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SWR2 Musikstunde

„Sie war wie ein Vulkan!“ Annäherungen an Alma - Werfel (5)

Von Susanne Herzog

Sendung: Freitag, 04. Dezember 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau

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Musikstundenwoche KW 50 Freitag, den 11. Dezember 2015

Mit Susanne Herzog

„Sie war wie ein Vulkan!“ Annäherungen an -Werfel (5)

Mit Susanne Herzog und der letzten Folge über Alma Mahler-Werfels aufregendes Leben.

Titelmelodie

Almas Handtasche muss groß gewesen sein: denn als sie gemeinsam mit Franz Werfel an der französisch-spanischen Grenze einen Berg der Pyrenäen hinaufklettert, um noch in letzter Sekunde zu Fuß irgendwie aus Frankreich raus zu kommen, trägt Alma bei diesem anstrengenden Aufstieg in der gleißenden Hitze in besagter Handtasche nicht nur Bargeld und Schmuck, sondern auch Partituren von Mahler und Bruckner. Die zwölf Koffer mit ihrem restlichen Hab und Gut hat sie dem amerikanischen Fluchthelfer Varian Fry anvertraut: der bringt das Gepäck per Zug über die Grenze. Fry ist vom in New York gegründeten „Emergency Rescue Committee“ nach Marseille geschickt worden, um verfolgte Intellektuelle aus Frankreich zu retten. Und zuweilen ist dies eben nur noch auf abenteuerlichen Wegen irgendwie zu schaffen. Auch der schon etwas ältere Heinrich Mann quält sich den Berg hinauf, so gut es geht unterstützt von seiner Frau Nelly. Thomas Manns Sohn Golo ist ebenfalls mit von der Partie. Alma und Werfel treffen als erste auf die spanischen Grenzposten. Varian Fry hat Alma Zigaretten gegeben und die lässt sie jetzt in die Tasche des Grenzpostens gleiten. Der ist zwar nett, aber versteht nicht recht und führt die beiden zurück zu den französischen Kollegen. Welch ein Alptraum! Doch dort winkt man sie durch und schließlich bekommen sie an der spanischen Grenze die ersehnten Stempel. Mit dem Zug geht es weiter nach Barcelona und Madrid, von dort fliegen sie nach Lissabon. Am 4. Oktober 1940 schließlich besteigen Alma 3 und Franz Werfel gemeinsam mit Golo und Heinrich Mann sowie dessen Frau Nelly das Schiff nach Amerika.

1. Musik Blicke mir nicht in die Lieder! aus: Rückert-Lieder <15> 1„19 Christian Gerhaher, Bariton Gerold Huber, Klavier RCA Red Seal, 88697567732, LC 00316

Christian Gerhaher und Gerold Huber mit dem Rückert Lied „Blicke mir nicht in die Lieder“ von Gustav Mahler.

Nachdem Alma und Franz Werfel in New York angekommen sind, ziehen die beiden Ende des Jahres 1940 nach Los Angeles: hier in der Los Tilos Road hat Alma mit Hilfe von Bekannten ein Haus gefunden. Sogar ein Butler wird aufgetrieben: der Deutsche August Hess, ein ehemaliger Operettentenor. Er chauffiert Alma und Werfel durch die Gegend, kümmert sich um den Garten, bedient beim Dinner und trinkt auch ganz gern mal ein Gläschen mit Alma. Das Grauen des Krieges in Europa ist weit weg in Los Angeles und doch offensichtlich: denn hier sind viele deutsche Künstler gestrandet, die vor den Nationalsozialisten geflohen waren: neben den Werfels, Heinrich und Thomas Mann, Berthold Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Arnold Schönberg, und einige andere. Oft wohnen die Emigranten ganz nah beisammen: man trifft sich zu diversen Dinner Partys, liest, musiziert, diskutiert. Aber - nicht allen geht es gut: Manch einer integriert sich besser im kalifornischen Paradies, andere finden kaum ein Auskommen. Franz Werfel jedoch setzt seine Erfolge als Schriftsteller fort: als erstes steht ein neues Buchprojekt auf seinem Programm, das noch eng mit den Erinnerungen an die Flucht in Verbindung steht. Nach zahlreichen nervenaufreibenden Fehlschlägen: vergeblichen Versuchen Visa zu erhalten, wilden Taxifahrten im Kreis, verlorenem Gepäck und vielen anderen Ängsten und Strapazen mehr, landen Alma und Werfel im Juni 1940 schließlich in dem französischen 4

Wallfahrtsort Lourdes. Mehrere Wochen müssen sie dort warten und so beschäftigen sich beide mit der Geschichte von Bernadette Soubirous, des Mädchens, dem eine „weiße Dame“ erscheint und das dann nach deren Hinweisen eine Heilquelle entdeckt. „Werde ich herausgeführt aus dieser verzweifelten Lage […]“ erklärt Werfel damals, „dann will ich als erstes das Lied von Bernadette singen, so gut ich es kann.“ Und so beginnt er in Amerika gleich mit einem Roman über die Visionen von Bernadette Soubirous. Es zeigte sich, dass Werfel das „Lied der Bernadette“ sehr gut singen kann, denn sein Buch wird ein riesen Erfolg, ein Bestseller. Sogar Hollywood interessiert sich dafür und der Roman von Werfel wird verfilmt.

2. Musik Alfred Newman I saw a lady aus: The song of Bernadette (Filmmusik) 1. <5> 2‟42 Alfred Newman, Ltg. Varese Sarabande, VSD2-6025, LC 6083

Ein Ausschnitt aus der Musik von Alfred Newman zu dem Film “The song of Bernadette” nach dem Roman von Franz Werfel.

In Los Angeles und auch in Beverly Hills, wohin Alma und Franz Werfel 1942 umziehen, lässt Alma ihren Salon wieder aufleben: die Manns, Thomas wie Heinrich mit Ehefrauen, die Schönbergs sind zu Gast, Korngold und seine Frau kommen zum Dinner, die Feuchtwangers sind immer mal dabei, Bruno Walter wohnt in späteren Jahren sowieso gleich nebenan. Es gibt erlesene Speisen und natürlich geht es – wie sollte es bei Alma anders sein - feucht fröhlich zu: der Champagner fließt und die Flaschen mit Bénédictine werden eine nach der anderen geleert. Besonders trinkfreudig ist der Schriftsteller Erich Maria Remarque, der ganz nach Almas Geschmack ist. Nach dem ersten Treffen ist Remarque aber doch ein wenig erstaunt: „[…] ein wildes, blondes Weib, gewalttätig, saufend. Hat bereits Mahler unter die Erde gebracht. 5

War mit Gropius u. Kokoschka, die ihr scheinbar entkommen sind. Werfel wird nicht. Wir soffen. Sie pfiff Werfel wie einen Hund, war stolz darauf; er kam auch. Das erboste mich u. wodkaumflossen, sagte ich ihr die Meinung.“ Das alles tut der Freundschaft aber keinen Abbruch. Eng verbunden – allerdings mit weniger Alkohol im Spiel – ist Alma dem Schriftsteller Friedrich Torberg, den sie auf der Überfahrt von Lissabon nach New York kennen gelernt hat. Auch Franz Werfel ist Torberg sehr zugetan. Eher zu Almas Freunden gehört das Ehepaar Gustave Otto und Gusti Arlt. Er ist Germanist an der University of California. Und politisch liegt er mit Alma auf einer Wellenlänge: angeblich ist er ein Antikommunist und steht Nazideutschland nicht gerade sehr kritisch gegenüber. Während Alma in der Gegenwart der Arlts ihre antisemitischen Aussprüche tätigt und die Nazis mit Hitler zu Supermännern stilisiert, verkriecht Werfel sich an seinem Schreibtisch zum Arbeiten. Der Dauerstreit um Politik zwischen Alma und Werfel setzt sich in den USA in unverminderter Härte fort. Immer wieder weicht Werfel nach Santa Barbara aus, wo das Ehepaar ein Sommerhaus gekauft hat. Hier kann Werfel ungestört arbeiten.

3. Musik Gustav Mahler Nun will die Sonn„ so hell aufgeh‟n aus: <14> 4„47 , Alt Wiener Philharmoniker Bruno Walter, Ltg. Emi classics, 566911 2

Gustav Mahler: „Nun will die Sonn„ so hell aufgeh‟n“, das erste seiner Kindertotenlieder. Eine historische Aufnahme mit der Sängerin Kathleen Ferrier und den Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Bruno Walter. Der lebte Mitte der vierziger Jahre in unmittelbarer Nachbarschaft von Alma und Franz Werfel in Beverly Hills.

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Im September 1943 erleidet Werfel einen schweren Herzinfarkt. Erst im Frühjahr des folgenden Jahres geht es langsam wieder bergauf. Im Sommer dann fühlt er sich bereit, nach Santa Barbara zu fahren und seinen utopischen Roman „Stern der Ungeborenen“ weiter zu verfolgen. Nicht anders als bei Mahlers Erkrankung vor seinem Tod rückt Alma auch jetzt wieder näher an ihren Ehemann heran. Ihr „Mannkind“ pflegen: das passt ganz gut in Almas Gefühlshaushalt. Am 26. August 1945, Almas Freude Gustave und Gusti Arlt sind gerade zu Besuch und Werfel hat sich zum Arbeiten zurückgezogen, an diesem Augusttag bekommt Werfel allein am Schreibtisch sitzend erneut einen Herzinfarkt. Und Alma findet ihn, als sie zwischendurch nach ihm schaut: „Ich kam in seinen Arbeitsraum … kein Laut. Ich rief… keine Antwort. Ich stürzte vor… Franz Werfel lag vor seinem Schreibtisch auf dem Boden… mit ruhig lächelndem Gesicht und unverkrampft weichen Händen. Ich schrie, schrie so stark ich schreien konnte.“ Es ist keine Ohnmacht, wie Alma hofft, Franz Werfel ist tot. Drei Tage später findet die Trauerfeier statt: viele Freunde kommen. Nur eine Person fehlt: Alma. Sie sitzt zu Hause und feilt an der Trauerrede für den Geistlichen. Der wiederum kommt deshalb eine Stunde zu spät. Die Rede ist verwirrend geraten und hat im Nachhinein die Frage aufgeworfen, ob Alma Franz Werfel in der Stunde seines Todes noch schnell hat katholisch taufen lassen. Alma bestreitet das, aber klar ist auch, dass sie bestimmt ganz gern aus ihrem jüdischen Ehemann in letzter Sekunde noch einen Katholiken gemacht hätte. Wie dem auch sei: Während die Trauergäste warten, bis Alma die Trauerrede nach ihrer Fasson gestaltet hat, spielt Bruno Walter einige Klavierstücke von Franz Schubert.

4. Musik Franz Schubert Impromptu op. 90 Nr. 3 Ges-Dur, D 899 2. <3> 5„48 Paul Lewis, Klavier HMC 902115.16, LC 7045

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Der Pianist Paul Lewis mit dem dritten Impromptu op. 90 von Franz Schubert.

Nach Werfels Tod fühlt sich Alma unglaublich allein: ohne Mann, zum ersten Mal in ihrem Leben, das ist eine ganz neue Erfahrung. Im Winter reist sie zunächst nach New York: dort lebt inzwischen ihr Freund Friedrich Torberg. Konzerte und Opern schaffen Abwechslung und Alkohol tröstet sie über ihren Verlust hinweg. Zurück in Beverly Hills jedoch lässt sich die Leere nach Werfels Tod nur noch schlecht vertreiben. 1947 reist Alma nach Wien, um zu sehen, was dort von ihren Besitztümern noch zu retten ist. Was sie allerdings dort vorfindet, ist erschreckend: „Das Haus auf der Hohen Warte konnte ich nicht beziehen, es war nur noch eine Ruine. Aber auch alles andere sah furchtbar aus. Die Oper, das Burgtheater, der Stephansdom waren schwer beschädigt.“ Einige Bilder ihres Vaters entdeckt sie in einer Galerie und kann sie mit vielen Schwierigkeiten zurückbekommen. Die „Sommernacht am Strand“ von Edvard Munch allerdings, die ihr zur Geburt von Manon geschenkt hat, dieses Gemälde hat Carl Moll an die Österreichische Galerie verkauft. Nun war es an Alma nachzuweisen, dass er das nicht mit ihrem Einverständnis getan habe. Was da der Wahrheit entspricht, bleibt an dieser Stelle mal dahingestellt. Jedenfalls entspinnt sich ein endloser Rechtsstreit und erst 2006, lange nach Almas Tod, gelingt es ihrer Enkelin Marina Mahler, das Gemälde in den Familienbesitz zurück zu führen. Völlig frustriert von ihrer Wien Reise zurück in New York schreibt Alma an Helene Berg: „Wien, dieses Nazi-Räuber-Nest, nie mehr!“ Damit sollte sie Recht behalten: Alma fühlt sich so ungerecht behandelt, dass sie nie wieder nach Wien kommt. Und ihre Wut darüber bei verschiedenen Gelegenheiten an völlig Unschuldigen auslässt: Bruno Walter bekommt sie zu spüren, als Alma kurzfristig aus völlig nichtssagenden Gründen ihre Teilnahme bei einem Festakt in der Wiener Staatsoper absagt, bei dem die Rodin Büste von Gustav Mahler wieder im Foyer der Oper aufgestellt werden sollte. Auch bei der Gründung einer internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft lässt Alma Bruno Walter im Stich. 8

In den USA dagegen fühlt sie sich so hofiert, wie es ihrer Meinung nach der Witwe von Mahler und Werfel gebührt: als Eugene Ormandy Mahlers 8. Sinfonie in der Hollywood Bowl aufführt, ist Alma ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit.

5. Musik Gustav Mahler Neige, neige, du Ohnegleiche Ausschnitt aus: Sinfonie Nr. 8 <16> 5‟04 ausblenden Hillevi Martinpelto, Sopran Edinburgh Festival Chorus BBC Scottish Symphony Orchestra Royal Scottish National Orchestra Donald Runnicles, Ltg. BBC MM330, kein LC

„Neige, neige, du ohnegleiche“ aus Mahlers 8. Sinfonie, gesungen von Hillevi Martinpelto und dem Edinburgh Festival Chorus. Donald Runnicles leitete das BBC Scottish Symphony Orchestra und das Royal Scottish National Orchestra.

Am 31. August 1949 feiert Alma ihren siebzigsten Geburtstag. Ihre Freunde Gustave und Gusti Arlt haben ein ganz besonderes Geschenk für sie vorbereitet: siebenundsiebzig Gratulanten haben für Alma jeweils etwas geschrieben und das Ganze haben die Arlts dann als Buch zusammengefasst. Eine beeindruckende Liste an Mitwirkenden kommt da zusammen: Walter Gropius und sind dabei, Musiker wie Benjamin Britten oder Igor Strawinsky, Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger oder Thomas Mann. Der schreibt über die „Erquickung“ bei dem Zusammensein mit ihr, obwohl er allen Grund gehabt hätte, ziemlich sauer auf Alma zu sein. Denn sie hatte hinter den Kulissen agiert, als es um Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ und die Auseinandersetzung darüber mit Arnold Schönberg gegangen war. Kein Geringerer als Theodor W. Adorno ist es, der Thomas Mann Schönbergs Zwölftonmethode erklärt. Und diese Kompositionstechnik ist Vorbild für das Komponieren von der Figur Adrian Leverkühn aus Manns „Doktor Faustus“. Mit Schönberg selbst hat Thomas Mann darüber nicht gesprochen. Alma aber kennt Auszüge des Romans. 9

Als Mann seinen „Doktor Faustus“ im Januar 1948 an Schönberg schickt mit der Widmung „dem Eigentlichen“, da packt Alma aus: sie erklärt Schönberg, der das Buch wegen eines Augenleidens nicht lesen kann, dass Mann hier seine Zwölftonmethode darstelle. Er glaubt aufgrund von Almas Schilderung, dass der Schriftsteller ihm seine Erfindung sozusagen „gestohlen“ habe. Daraufhin überbringt Alma Thomas Mann Schönbergs Wunsch einer erklärenden Nachbemerkung, die Mann tatsächlich einfügt. Doch dann schreibt Schönberg einen Leserbrief an die „Saturday Review of Literature“, aus dem für Thomas Mann eindeutig hervor geht, dass Alma ihre Finger im Spiel gehabt hat. Dennoch reagiert der Schriftsteller besonnen und sachlich, nicht aber ohne das „Geschwätz von Zwischenträgern“ zu erwähnen. Letztlich verebbt der Streit, doch Schönberg bleibt enttäuscht: bei Almas siebzigsten Geburtstag will er nicht dabei sein, hat ihr aber einen vierstimmigen Kanon komponiert: „Gravitationszentrum eigenen Sonnensystems, von strahlenden Satelliten umkreist, so stellt dem Bewunderer dein Leben sich dar.“ So lautet der Text dieses Kanons. Er selbst fühle sich nicht wohl in fremden Sonnensystemen, deshalb keine persönlichen Glückwünsche. Aber eine Einspielung der Gurrelieder legt Schönberg noch bei.

6. Musik Arnold Schönberg Orchester Vorspiel aus: Gurrelieder <1> 6‟50 ausblenden Staatskapelle Dresden Giuseppe Sinopoli, Ltg. Teldec, WE 878, LC 6019

Die Staatskapelle Dresden mit Guiseppe Sinopoli spielten das Orchester Vorspiel zu den Gurreliedern von Arnold Schönberg. Eine Aufnahme dieses Werks hatte Schönberg Alma zu ihrem siebzigsten Geburtstag geschickt.

Nach Almas Geburtstag wird es wieder ruhig um die berühmte Witwe. Ende 1950 zieht ihre Tochter Anna mit Enkelin Marina nach Kalifornien. Doch die erhoffte 10

Nähe stellt sich nicht ein: Alma kämpft um Aufmerksamkeit und ihre Tochter kann die Leere um Alma nicht füllen. Sogar auf die eigene Enkelin ist Alma eifersüchtig. Sie beschließt umzuziehen: in New York hat sie ein Haus gekauft. Hier hofft sie, genug Ablenkung zu finden, um ihre Einsamkeit in den Griff zu bekommen. 1951 bezieht Alma eine kleine Wohnung in ihrem Haus in der Upper East Side. Umgegeben von den Kunstwerken ihrer Ehemänner und Liebhaber widmet sie sich ihren Memoiren. Als Grundlage dienen Alma ihre Tagebücher: aber sie lässt vieles weg, einiges verdreht sie völlig. 1958 erscheint die englische Fassung unter dem Titel „And the Bridge is Love“. Walter Gropius ist völlig entsetzt und schreibt ihr: „Die Liebesgeschichte, die Du in Deinem Buch mit meinem Namen verbindest war nicht die unsrige. Das Andenken an Mutzi [gemeint ist die gemeinsame Tochter Manon] sollte Dich davor bewahrt haben, unser Erlebnis seines wesentlichen Inhalts zu entkleiden und seine literarische Preisgabe muß nun auch in mir die Blüten der Erinnerung töten. Der Rest ist Schweigen.“ Mit der deutschen Autobiographie „Mein Leben“ sah es kaum besser aus. Auch hier eine Verzerrung der Wahrheit. An ihren Co-Autor schreibt Alma: „Lasse bitte die ganze Judenfrage in die Versenkung verschwinden.“ Ja und dann präsentiert sich da eine geliebte, begehrte Alma an der Seite berühmter Männer, stets inspirierend. Der Autor Oliver Hilmes hat in seiner Biographie „Witwe im Wahn“ dieses Bild ziemlich zu Recht gerückt: er hat nämlich unter anderem eine Abschrift der originalen Tagebücher zwischen 1902 bis 1944 entdeckt: und da kann man dann die absolut verletzenden Urteile nachlesen, die Alma zuweilen über ihre Mitmenschen fällt. Ihre antisemitischen Äußerungen treten in diesen Tagebüchern völlig ungeglättet zu Tage. Doch zurück zu Almas letzten Lebensjahren in New York: so lange sie noch körperlich dazu in der Lage ist, beschäftigt sie sich nicht nur mit ihren Memoiren, sondern geht auch gelegentlich ins Konzert: „Gestern war ich in der Generalprobe der II. Mahler unter Bernstein. Das ist einmal wirklich ein genialer Dirigent […]“

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7. Musik Gustav Mahler Urlicht aus: Sinfonie Nr. 2 3. <4> 6„18 Christa Ludwig, Mezzosopran New York Philharmonic Leonard Bernstein, Ltg. DG, 435 164-2, LC 0173

Urlicht, der vierte Satz aus Gustav Mahlers zweiter Sinfonie mit Christa Ludwig. Leonard Bernstein stand am Pult der New Yorker Philharmoniker.

August Hess, der Butler von Alma und Franz Werfel in Beverly Hills, ist zunächst mit Alma nach New York gekommen und hat mit ihr in ihrem Haus gewohnt. Doch er will zurück nach Los Angeles. Da kommt Ida Gebauer zur Hilfe: sie war seinerzeit für als Kindermädchen engagiert worden, jetzt zieht sie mit über sechzig Jahren von Wien nach New York, um sich um die betagte Alma zu kümmern. Nicht nur im physischen Sinne: denn mit Ida Gebauer kann Alma in der Vergangenheit umherschweifen. Auch Anna Mahler kommt immer häufiger zu Besuch. Gesundheitlich geht es mit Alma bergab: ihr Herz ist angeschlagen und sie hat einige leichtere Schlaganfälle. Außerdem wird sie immer schwerhöriger. Als sie sich dann auch noch den Arm bricht, rückt das Klavierspielen und die Musik – ihre große Leidenschaft – in immer weitere Ferne. Letztlich stirbt Alma am 11. Dezember 1964 an einer Lungenentzündung. Als die Tochter Anna ihre Mutter vor ihrem Tod noch einmal umarmen will, stößt Alma sie weg. Die Witwe Alma Mahler-Werfel stirbt allein. Ida Gebauer sorgt dafür, dass Alma in Wien begraben wird: auf dem Grinzinger Friedhof neben ihrer Tochter Manon Gropius.

8. Musik Wolfgang Amadeus Mozart Menuetto aus: Streichquartett d-moll KV 421 <7> 3„46 Arcanto Quartett HMC 902168, LC 7045 5189 805

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Der dritte Satz aus dem Streichquartett in d-moll KV 421 von Wolfgang Amadeus Mozart gespielt vom Arcanto Quartett. Nach Almas Beerdigung spielen die Wiener Philharmoniker einen Satz aus einem Mozart Streichquartett.

Alma ist tot, doch ihre Legende, ihr abenteuerliches Leben ist bis heute präsent: in zahlreichen Biographien und veröffentlichten Briefwechseln. Und auch in Joshua Sobols Theaterstück „Alma“: bei diesem von Paulus Manker inszenierten Polydrama kann der Zuschauer mitten drin sein im Geschehen. Da werden ungewöhnliche Lokalitäten auf mehreren Ebenen bespielt und man kann frei wählen, ob man bei einer legendären Party von Alma dabei sein will oder ihre „amour fou“ mit Kokoschka live erlebt. Einiges aus diesem bewegten Leben von Alma Mahler-Werfel hat die Musikstunde diese Woche erzählt. Ich freue mich, dass Sie dabei waren. Mein Name ist Susanne Herzog und das Schlusswort übergebe ich jetzt an Almas Freund Friedrich Torberg. Der berichtet in seinem Nachruf auf Alma: „Am Morgen pflegte sie um 6 Uhr aufzustehen, trank eine Flasche Champagner leer und spielte eine Stunde lang das ‚Wohltemperierte Klavier„. […] es geschah nicht selten, dass im Morgengrauen das Telephon ging, dem dann ohne weitere Formalitäten ihre Stimme entklang: ‚Bist noch wach? Komm frühstücken!„ Und da gab es keinen Widerspruch.“