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Eine Zeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2 Ungleichheit Erstickt Erholung 13 Rückverteilen! 2 2013 Ökologisches Grundeinkommen GESELLSCHAFTSANALYSE UND LINKE PRAXIS Herrschaft Als Knoten Denken Sozialismus des 21. Jahrhunderts #Occupygezi es reicht Nancy Fraser | Joseph E. Stiglitz | Antje Schrupp Euro-Exit? Frigga Haug | Mimmo Porcaro | | Michael Brie emburg

x Thomas Gebauer | Ulrich Schachtschneider |

ISBN 978-3-89965-865-1 10 Euro lu Sabine Reiner | Ueli MÄder | Katrin Mohr u.a.

_LUX_1302_TITEL.indd 1 25.06.13 16:16 w 1/2013 Gewerkschaft: AuSSer Konkurrenz Mit Kurzarbeit und Abwrackprämie sind Beschäftigte in der Industrie ohne größere Entlassungs- »Der VW-Vorstandsvorsitzende wellen durch die Krise gekommen. Zeitlich verzögert ist nun der Öffent­liche Dienst betroffen. Schuldenbremse, Fiskalpakt und Krisenkorporatismus schaffen neue Spaltungen – auch zwischen Gewerkschaften. Doch wie steht es um Organisationsmacht und politische Handlungsfähigkeit? erhält mehr als 45 000 Euro am Tag. Wichtige Auseinanderset­zungen fanden zuletzt im Bereich sozialer Dienstleistungen statt; unver- bunden noch, aber teils in kraftvollen Bündnissen zwischen Beschäftigten und denen, für die diese Arbeit geleistet wird. Liegen hier Ansätze einer (Re-)Organisierung, die Kämpfe um Arbeitsverhält- Für das Jahresgehalt des Deutschbankers Anshu Jain nisse mit solchen um ein gutes Leben verknüpfen könnte?

Jenseits des KrisenKorporatismus 1 der Fall opel 13 dezentrale streiKs als Krisenproteste 1 Wem gehört die zeit? geSellSCHAFTSANAlYSe uND lINKe PrAxIS 2013 Beiträge Heinz Bierbaum | Peter Birke | Wolfgang Menz | Antje Blöcker | Emma Dowling | pFlege organisieren Flexibel streiKen geWerKschaFt: ausser KonKurrenz heinz bierbaum | peter occupy lenin birKe | miguel sanz alcantára | sybille stamm | catharina Mehrdad Payandeh | Sybille Stamm | Mimmo Porcaro u.a. emburg

müsste eine Erzieherin 390 Jahre arbeiten.« x schmalstieg | mehrdad payandeh | luigi WolF | christine

isbn 978-3-89965-864-4 10 euro lu lohr | emma doWling | mimmo porcaro | Jan rehmann u.a. März 2013, 160 Seiten

Sabine Reiner w 4/2012 Reproduktion in der Krise

Erschöpfung dEs sozialEn 4 nach dEm müttErstrEik 12 Reproduktion ist die Frage nach der Zukunft: Wie wollen wir leben? Welche Arbeit muss getan Von dEr hausfrau zur lEihmuttEr 4 outsourcing unsErEs sElbst geSellSCHAFTSANAlYSe uND lINKe PrAxIS 2012 kotti & co plan b fEministisch rEproduktion in dEr krisE silVia fEdErici | mElinda coopEr werden, damit alle zur Arbeit kommen? Wie kann die Gesellschaft erhalten und entwickelt zEltEn politisch | mikE laufEnbErg | christa WichtErich emburg x susannE schultz | arliE hochschild | nancy frasEr | cornElia werden? Widersprüche zwischen der Reproduktion des Kapitals und dem Anspruch auf ein

isbn 978-3-89965-863-7 10 Euro lu möhring | shirin rai | isabEll lorEy | gabriElE WinkEr u.a. gutes Leben sind zugespitzt: Mehr Frauen sind erwerbstätig, Familienmodelle geraten in Bewegung; gleichzeitig ist Arbeit intensiviert, häufig prekär, Arbeitszeiten sind überlang. Wer sorgt für sich und andere? Wie kann die Krise der Reproduktion zum Ausgangspunkt einer Transformation werden, die reproduktive Praxen nicht mehr ausbeutet, sondern ins Zentrum alternativer Gesellschaftsgestaltung stellt?

Mit Beiträgen von Silvia Federici | Melinda Cooper | Nancy Fraser | Christa Wichterich | Arlie Hochschild | Cornelia Möhring | Gabriele Winker | Isabell Lorey | Georg Fülberth u.a.

Dezember 2012, 160 Seiten

LUX_1204_TITEL.indd 1 05.12.12 17:05

w 3/2012 Grüner Sozialismus

ÖkoloGie mit marx 3 GleicHHeit Statt verzicHt 12 »Green Economy« verspricht Auswege aus der Krise des neoliberalen Kapitalismus. ÖkofeminiSmuS und ÖkoSozialiSmuS 3 GeSellScHaftlicHe planunG geSellSCHAFTSANAlYSe uND lINKe PrAxIS 2012 GuteS leben Diese »große Transformation« ist jedoch eine halbe: Sie zielt auf die Beseitigung des fossilen beWeGunG in der linken Grüner SozialiSmuS GreGory albo | raul zelik | HorSt kaHrS reorGaniSierunG: Syriza, indiGnadoS nicola bullard | cHriStopH SpeHr | luiS JuberÍaS | elmar emburg x altvater | | katJa kippinG | bernd riexinGer Industrialismus, nicht auf seine politische Ökonomie. Gruner Sozialismus als Strategie und

iSbn 978-3-89965-862-0 10 euro lu Hilary WainWriGHt | mario candeiaS | martin eberle u.a. Orientierung riskiert auch eine Selbstveränderung der Linken. Neben Einstiegsprojekten bedarf die Transformation eines utopischen Horizonts. Welche Politiken, Strategien und Aktionen mussen verknupft werden, damit ein zukunftsfähiges Gesamtbild sozialistischer Naturverhältnisse entstehen kann? Wie können darin die vielfachen Ungleichheiten gemindert werden? Wie tragen sie zu einer Kultur solidarischer Kooperation bei?

Mit Beiträgen von Gregory Albo | Raul Zelik | Nicola Bullard | Christoph Spehr | Elmar Altvater | Sabine Leidig | Katja Kipping | Bernd Riexinger | Hilary Wainwright | Mario Candeias u.a.

September 2012, 160 Seiten

LUX_1203_TITEL.indd 1 07.09.12 11:05

w 2/2012 EUROPA, LINKS

krisE dEs krisEnmanagEmEnts 2 intEgration und impErialismus 12 Im Namen der »Rettung« treibt die herrschende Krisenpolitik viele Länder Europas in die griEchEnland im ausvErkauf 2 politischE strEiks für dEmokratiE geSellSCHAFTSANAlYSe uND lINKe PrAxIS 2012 linkE stratEgiEn in Europa Rezession, beschädigt die formalen Prozesse und sozialen Grundlagen der Demokratie und liEbE, klassE, monstEr Europa, links pErry andErson | marica frangakis | klaus organisiErung von hausarbEitErinnEn Ernst | michEl husson |a sbjØrn Wahl | margarita tsomou emburg x hEinz biErbaum | bob jEssop | panagiotis sotiris | karin drängt viele Menschen in Armut. Wie ist Gegenwehr von links möglich, ohne sich bloß auf den

978-3-89965-861-3 10 Euro lu papE | thomas händEl | Eva illouz | john kElly u.a. Nationalstaat zurückzuziehen? Eine europäische Koordinierung von linken Parteien und Bewe- gungen, übergreifende Strategien der Gewerkschaften stehen vielfach noch aus. Was können verbindende Perspektiven sein, mit denen die Linken ihre strategischen Probleme bearbeiten, wie kann die Linke zum Subjekt in der Krise Europas werden?

Mit Beiträgen von Perry Anderson | Marica Frangakis | Michel Husson | | Panagiotis Sotiris | Heinz Bierbaum | Asbjørn Wahl | Bob Jessop | Thomas Händel | Eva Illouz | John Kelly u.a.

Juni 2012, 160 Seiten

LUX_1202_TITEL_01.indd 1 14.06.12 12:01

working class, sunxez/flickr

_LUX_1302_TITEL.indd 2 25.06.13 16:16 ES REICHT

»Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 2 703 Euro monatlich bedeutet die geplante Rentenanpassung, dass in Zukunft 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt werden muss, um eine Rente über dem Grundsicherungsniveau zu erhalten. Heute sind es 26 Jahre.«

Matthias W. Birkwald

Umverteilen? Umverteilt Umfairteilen! Warum die ungleiche Verteilung Warum eine Rückverteilung Warum Gesundheit ein Men­ des Reichtums letztlich schlecht des gesellschaftlichen Mehr­ schenrecht ist und weltweit für alle ist werts mehr als überfällig ist soziales Eigentum braucht von Joseph E. Stiglitz von Sabine Reiner von Thomas Gebauer Schwerpunkt: Es REicht

umverteilen? umfa irteilen! 6 Umverteilen und 48 Gesundheit für alle neu verteilen von Thomas Gebauer Warum Umfairteilung mehr sein muss als Finanz-Trans­ 54 Soziale Infrastruktur statt fers von oben nach unten Grundeinkommen? von Horst Kahrs Wie die Debatte um Grundsicherung eine neue

14 Interview: Kampagne ­Wendung nehmen könnte umFairteilen – eine Bilanz von Thomas Gehrig VertreterInnen von ver.di, medico international, der 60 KONTROVERS: Ökolo­gisches

Mike/flickr LINKEN, attac, der Interventi- Grundeinkommen 134 Dreifachbewegung onistischen Linken und Wie der falsche Gegensatz von Nancy Fraser Alex DemiroviĆ zwischen ›sozial‹ und ›ökologisch‹ aufgehoben 22 Ungleichheit erstickt werden kann 100 Fotostrecke: Erholung von Ulrich Schachtschneider Türkei – #occupygezi von Joseph E. Stiglitz und Mario Candeias Online: Grenzen des neo­ liberalen Aufstiegs der Türkei umverteilt 68 Meine Oma hat nen von Cihan Tugal 28 Rückverteilen! Minijob bei Aldi von Sabine Reiner Warum die Rentenpolitik Armut produziert 36 Beschissatlas von Matthias W. Birkwald Wie man den Verteilungs­ beschiss hübsch aussehen 74 Mit Steuern umsteuern lassen kann Wie es die LINKE von Ute Scheub und machen würde Yvonne Kuschel von Axel Troost, Christoph Sauer, Philipp Hersel

42 Almosen, nein danke! Wie es ist, bei Superreichen zu arbeiten

Ush/flickr von Ueli Mäder RUBRIKEN LUXEMBURG ONLINE

78 KONTROVERS: 4 Rosa-Lux Kompakt Online-Dossier: Euro-Exit? Ehegattensplitting 2.0 Texte von Marica Frangakis, Wie »Splitting für alle« das Euro-exit? Dieter Klein, Julian Müller, Sorgen füreinander fördert 104 Die Macht der Schwachen Alex Demirovic´ u.a. und was dagegen spricht von Michael Brie Antje Schrupp vs. Katrin Mohr Krisenkosten zurückdrängen! 108 Der deutsche Machtblock Das europäische Krisenregime 84 Der Druck muss raus in der europäischen Krise von Etienne Schneider Warum Krankenhausbe­ von Frederic Heine und schäftigte entlastet und ihre Thomas Sablowski Ungleichheit und Wiederauf- Arbeit aufgewertet werden schwung – Einwände gegen muss sozialismus & Feminismus Joseph E. Stiglitz von Thomas Böhm 114 KONTROVERS: Sozialismus von Paul Krugman und des 21. Jahrhunderts Dean Baker 90 Den Wachstumsimperativ von Dieter Boris und unterbrechen Klaus Meschkat Die Angst des Journalismus Wie eine feministische vor der sozialen Kluft Antwort auf das Versagen 126 Herrschaft als von Hans-Jürgen Arlt und der Enquetekommission Knoten denken Wolfgang Storz aussieht von Frigga Haug von Christa Wichterich Umverteilen sozialdemokratisch Re-organiseren von Helge Meves 96 Ökonomie der Zeit 142 Occupy-Lenin-Debatte: Warum Kämpfe um Kunststücke Wohlstand von links? Zeit notwendiger Teil von Mimmo Porcaro Bilanz der Enquetekommission eines emanzipatorischen Gespräch mit Waltraud Wolff ­Projekts sein müssen 146 Arbeiten im Supermarkt (SPD), Sabine Leidig (Die Linke) von Katja Kipping von Matthias Neumann und Hermann Ott (Bündnis 90/ Die Grünen) 152 INTERVIEW: »Wir wollen eine Transformation von unten!« Was hat die Digitalisierung Abahlali (Südafrika) mit linker Politik zu tun? von und 160 Impressum rosa-lux kompakt

Was war? UMVERTEILEN. MACHT. GERECHTIGKEIT. Das NSU-Verfahren Kongress zu Armut und Reichtum VeranStaltung und Blog zum Prozess in der Euro-Krise Zwei Tage vor Prozessbeginn lud die Rosa-Luxem- Wie Verteilungsströme »von unten nach oben« und burg-Stiftung zu einer Informationsveranstaltung von öffentlich zu privat umgekehrt werden können, in München ein. Hintergründe lieferten Yavuz Narin, war im Mai in Berlin Thema. Die Rosa-Luxemburg- Nebenklage-Anwalt der Familie Boulgarides, Robert Stiftung hat gemeinsam mit vielen Organisationen Andreasch vom a.i.d.a.-Archiv und Vertreterinnen eingeladen. Mit dabei waren u.a. Richard Wilkinson, des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Zehra Khan, Heiner Flassbeck, Alex Demirovic´, Ulrike Audiodokumentation: Herrmann, Ueli Mäder (in diesem Heft). www.rosalux.de/documentation/48255 Dokumentation + live-stream: www.rosalux.de/event/48399 Der Stiftungs-Referent zu Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit, Fritz Burschel, berichtet für Radio LOTTE Weimar aus dem #cross_solidarity Gerichtssaal: Internationale Solidarität in der Krise Blog zum Verfahren: Die Krise ist international, ist es die Solidarität auch http://antifra.blog.rosalux.de/ (noch)? Mögliche Antworten auf diese Frage wurden im April in Wuppertal diskutiert. Wie können wir Solidarität konkret entwickeln? Wie lässt sich das Left Forum Transnationale mit dem Lokalen verbinden? Wie Das Left Forum ist das größte Treffen der US-ameri- können das »Recht zu bleiben« und das »Recht zu kanischen Linken. In New York kamen in den letzten gehen« gleichzeitig erkämpft werden? Jahren bis zu 4 000 Intellektuelle, AktivistInnen, Dokumentation: Organizer und GewerkschafterInnen zusammen. www.rosalux.de/documentation/48108 Die Rosa-Luxemburg-Stiftung nimmt seit 13 Jahren http://youtu.be/_Q3TSMfkluI an diesem Event teil. Diesmal trug das New Yorker Büro Veranstaltungen zu Energiedemokratie, Rassismus, Studiengebühren und dem Widerstand Blockupy Frankfurt gegen die Austeritätspolitik in Europa bei. Mit Tadzio Müller, Referent für Klima- und Energie- Die Blockupy Proteste in Frankfurt wurden von der politik, war die Stiftung auf dem Abschluss-Panel Rosa-Luxemburg-Stiftung u.a. durch Veranstaltungen vertreten. unterstützt. ❚ Eurokrise, Schulden, Schuldenaudit Dokumentation: und die Rolle der EZB www.rosalux-nyc.org/de/rls-nyc-at-the-left- forum-2013 ❚ Stop the cuts! – Cut the debts! – Tax the Rich! – Good life for everybody! ❚ Kapitalismus konkret: Nachrichten aus dem Maschinenraum Dokumentation: www.rosalux.de/news/39523

4 luxemburg 2/2013 | Es reicht Wer schreibt? was kommt? Linke Strategien zur Eurokrise Villa Rossa Studie von Heiner Flassbeck Seit einem Vierteljahrhundert gibt es in der letzten und Costas Lapavitsas Augustwoche die tapfere kleine linke Villa Rossa in Im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben einer alten Medici-Villa bei Volterra. Auch dieses Mal die beiden Ökonomen eine Studie zu den Ursachen wird die Ferienakademie von der Rosa-Luxemburg- der Eurokrise und möglichen Strategien zu ihrer Stiftung gefördert. Das Thema: Konzerne. Also: Überwindung vorgelegt. Sie war Gegenstand einer die 30 »DAX-Konzerne«, Nachhaltigkeitspolitik, Fachkonferenz in Berlin, bei der es um viel mehr Wertschöpfungsketten, Corporate Power, Deep Lob- ging, als um die Frage »Ist die LINKE für oder bying. Beiträge u.a. von Thomas Sablowski, Stefanie gegen den Euro?« Hürtgen, Rainer Fischbach, Ingo Matuschek, Marisol Dokumentation, Studie und weitere Positionen: Sandoval, Dieter Plehwe, Hans-Jürgen Urban. http://www.rosalux.de/eurokrise Programm und Bilder: www.s-gs.de/wordpress

Wohlstand – wie anders? Linke Perspektiven nach der Enquete FEMINISTISCHE HERBSTAKADEMIE Die Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Die 5. Feministische Herbstakademie fragt nach Lebensqualität« des Deutschen Bundestags hat den Möglichkeiten, in Widersprüchen wirkungs- nach gut zweijähriger Tätigkeit ihre Ergebnisse vor- voll zu handeln und eingreifend feministisch zu gelegt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat die Arbeit denken. Sie findet vom 11.–13. Oktober in Gersfeld über die gesamte Zeit kritisch begleitet und im in Hessen statt und wird auch dieses Jahr wieder Rahmen einer Tagung im April Resümee gezogen. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Videodokumentation: Informationen: www.rosalux.de/documentation/48092 http://www.inkrit.de/tagungen Publikation zur Einschätzung der Arbeit der Bericht der 4. Herbstakademie: Enquete aus linker Perspektive: http://www.bayern.rosalux.de/publication/39630 www.rosalux.de/publication/39525 mit wem? Commons-Sommerschule Wie gewöhnliche Menschen außergewöhnliche Dinge tun, ist das Thema der 2. Commons-Som- merschule im Kulturhof Bechstedt in Thüringen. Die Möglichkeit, ausführlich über Gemeingüter und ihre Bedeutung für ein linkes Transformationsprojekt zu diskutieren, wird – auch dieses Jahr – von der Landesstiftung in Thüringen unterstützt. Dokumentation 1. Commons-Sommerschule: http://commons-sommerschule.webcoach.at

Es reicht | luxemburg 2/2013 5 Umverteilen und neu verteilen

Horst Kahrs

Das Gebot der Stunde lautet »Umfairteilen«. Linke, Grüne und Sozialdemokraten zie- hen mit Programmen in den Bundestagswahlkampf, in denen – mal klar und deutlich, mal eher vernuschelt – eine steuerpolitische Kehrtwende verlangt wird. Auf rund 60 Milliarden Euro verzichten die öffentlichen Kassen jährlich, seit die Schröder-Fischer- Regierung Unternehmen, Vermögenseignern und Beziehern hoher Einkommen groß- zügige Steuergeschenke gemacht hat. Die Folgen sind am Zustand der öffentlichen Infrastruktur zu besichtigen – und an den ausgedünnten kommunalen Dienstleistun- gen für jene, die auf ihre Nutzung angewiesen sind, weil sie nicht zu den Beschenkten gehören. Die Elitenversteher in den Wirtschaftsredaktionen der großen bürgerlichen Zeitungen haben erkannt, dass sich die Grundstimmung in der Gesellschaft dreht. Sie beginnen, gegen die »rot-grünen Steuererhöhungspläne« anzuschreiben wie zuvor nur gegen die Forderung der LINKEN nach einer Begrenzung von Managergehältern. Gleichwohl werden sie Korrekturen der dominierenden Umverteilungspolitik nicht verhindern können, denn das Unbehagen über den desolaten Zustand des Gemein- wesens reicht weit in das alte und neue Bürgertum hinein. Einzig die FDP steht: Wenn schon keine Steuersenkungen, dann wenigstens keine Steuererhöhungen und abso- luter Vorrang für eine »Haushaltskonsolidierung« mit Schuldenbremse. Aber schon die Union traut sich nicht mehr zu, mit einer derart offen klassenpolitischen Mobi- lisierung ihre Anhängerschaft ausreichend zur Stimmabgabe motivieren zu können.

Bürgerliches Unbehagen Dort, wo um den Zusammenhang von Markt und Macht gewusst wird, im wirt- schaftspolitischen Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, lautet die Ein- schätzung der Kräfteverhältnisse zum »Tag der Arbeit« 2013 nüchtern: »Gute

6 luxemburg 2/2013 | Es reicht Arbeit, sichere Rente und ein soziales Europa – wer würde das nicht wollen? [...] Kämpferische Gewerkschaften? [...] Diese sind, wenn man es feierlich formulieren will, in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Oder, profaner und präziser: Die politische Mitte Deutschlands ist bei den Gewerkschaften angekommen.« (FAZ, 30.4.2013, 9) Der politische Ausgangspunkt für diese Neuordnung der gesellschaft- lichen Kräfte liegt im krisengestählten Neokorporatismus zwischen exportstarken Unternehmen und Gewerkschaften wie der IG Metall seit der Rezession 2009. Nicht gegen gewerkschaftliche Macht, son- dern im Bündnis mit den Gewerkschaften erfolg- reiche Politik in und mit der Krise zu machen, Horst Kahrs ist Redakteur dieser Zeitschrift, hat sich für die deutsche Volkswirtschaft als das sorgt sich als Referent der Rosa-Luxemburg- Stiftung um das Öffentliche und analysiert nicht gegenüber der »modernen Sozialdemokratie« nur Sozial­- und Klassenstrukturen, sondern auch von Blair und Schröder erfolgreichere Modell er- Wahlen. In dem von ihm herausgegebenen Buch wiesen. Mit ihm geht die Erkenntnis einher, dass »Piratenzauber« geht er der Frage nach, warum es im wirklichen Leben doch noch etwas anderes eine Gesellschaft Freibeuter hervorbringt. gibt als Individuen und Märkte, nämlich gesell- schaftliche Voraussetzungen und Akteure des Wirtschaftens, die Politik und staatliche Interventionen. Die ideologische Hegemonie von Markt und Eigenverantwortung bröckelt. Plötzlich waren es nicht mehr nur ein paar Linke am politischen Rand, die die Politik der Ungleichheit als nackte Berei- cherung am gemeinsam erwirtschafteten Reichtum bezeichneten. Mitten aus dem bürgerlichen Feuilleton wurde gerufen: Die Märkte sind nackt! Sie unterhöhlen die konservativen bürgerlichen Werte der Leistungsgerechtigkeit, der Chancengerechtig- keit, sie haben keine Moral, auf das Versprechen ihrer segensreichen Wirkungen sind keine Mehrheiten mehr zu bauen. Mittlerweile hat diese bürgerliche Werte- und Sinn- leere einen Namen: Uli Hoeneß. Erst erfolgreicher Wurstfabrikant und Vereinspräsi- dent, Wirtschaftsführer und Sozialstaatsverächter mit hoher sozialer Verantwortungs- bereitschaft nach eigenem Gusto – und dann das: auch nur ein schnöder Betrüger. Das ›wohlverstandene Eigeninteresse‹ reguliert sich nicht von selbst zum all- gemeinen Wohl. Dieses Vertrauen in die starken Wirtschaftssubjekte erwies sich als ebenso falsch wie das Paradigma, Märkte als regelfreie Zonen zu konzipieren. Sie bleiben eine Macht, die politische Verhältnisse gestalten kann. Diese ist aber nicht länger unangefochten. Glaubt man der Kanzlerin und ihrem Herausforderer, hat sich demokratische Politik zuerst vor den internationalen Finanzmärkten zu verantworten, bevor sie gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dargelegt wird. Krisenstrategien werden im Verschlossenen besprochen, Signale ausgesandt, die Reaktion ›der Märkte‹ getestet und auf Zeichen ihres Vertrauens gewartet. Erst dann wird die Maschinerie einer neuen Ratifizierungsdemokratie in Gang gesetzt, deren Resultat natürlich das

umverteilen? | luxemburg 2/2013 7 gerade aufgebaute Vertrauen ›der Märkte‹ nicht wieder zerstören darf. Wer sich hinter diesem politischen Subjekt verbirgt, provoziert um demokratische Regeln und Betei- ligung besorgte bürgerliche Schichten. Die Forderung nach ›Transparenz‹ liegt nahe und noch ganz im Rahmen neoklassischer Modelle, nach denen Märkte bei vollstän- diger Information am besten funktionieren. Doch der bürgerlich-liberale Grundsatz, dass Märkte Instrumente der Wirtschaftssubjekte sind und nicht verselbständigte Mächte, treibt seine Anhänger zur Kritik der bestehenden Verhältnisse. Die rechts und links verbreitete Renaissance des Ordoliberalismus zählt ebenso dazu wie Frank Schirrmachers Furor vor der technologischen Allmacht durchökonomisierter Algo- rithmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Mit Wolfgang Streeck wiederum zählt ein ehemaliger Berater der Schröder-Fischer-Regierung heute zu den vehemen- testen Warnern vor dem Untergang der Demokratie angesichts der Zerstörungsmacht, die der europäische Kapitalismus in der Politik mit der Krise entfaltet: »Ein Demo- kratieprojekt, das die Bestellung eines ›europäischen Finanzministers‹ ermöglichen soll, der wiederum die Bedienung der ›Märkte‹ zu garantieren und dadurch deren ›Vertrauen‹ wiederherzustellen hätte – ein Demokratieprojekt also, das davon absieht, die Demokratiefrage mit der Neoliberalismus- oder gar der Kapitalismusfrage zu ver- knüpfen –, bedarf des Schweißes der Demokraten nicht. Es läuft, als neoliberales Her- zensanliegen, von allein.« (Streeck 2013, 64) Die Sorge vor dem moralischen und demokratischen Bankrott der kapitalisti- schen Marktwirtschaft geht einher mit der sich ausbreitenden Klage über die Rück- kehr von offensichtlichen Klassenverhältnissen in der Sozialstruktur. Stabile soziale Schließungen werden in den oberen und unteren Schichten empirisch beobachtet bei der Verteilung von Betriebs-, Immobilien- und Geldvermögen, auf den Heirats- märkten, bei der Elitenrekrutierung, bei sozialer Aufstiegsmobilität und bei Bildungs- chancen. Deutschland zählt zu den Ländern mit der größten Differenz zwischen mitt- lerem und Durchschnittsvermögen und weist die höchsten Wachstumsraten in der Ungleichheit der Vermögensverteilung auf. Hans-Ulrich Wehler, Sozialhistoriker und ein der Linken abholder Intellektueller, konstatiert: »Mit verschärfter Ungleichheit wird, über kurz oder lang, die Legitimationsgrundlage des politischen Systems durch wachsende Zweifel in Frage gestellt. Denn die Glaubwürdigkeit der modernen sozi- alstaatlichen Massendemokratie beruht vor allem darauf, dass sie eine allzu schroffe Ungleichheit der Lebenslagen erfolgreich bekämpft, die Gleichheitschancen überzeu- gend vermehrt statt vermindert.« (Wehler 2013, 9) Was gemeint ist, lässt die Diskus- sion über die Begrenzung der Managergehälter aufblitzen: Wie viel Ungleichheit, wie viele Einkommensunterschiede sind durch Leistungsunterschiede gedeckt, also mit den Grundsätzen der Leistungs- und Chancengerechtigkeit vereinbar, und wo beginnt die nackte Bereicherung, der Raub, das egoistische Nehmen, was man kriegen kann?

8 luxemburg 2/2013 | Es reicht Solche Kritik am real existierenden Kapitalismus und seiner unzureichenden Selbst­reflexion jenseits der politischen Linken ist weit verbreitet und artikuliert ein tiefes Unbehagen, wonach es, so wie es läuft, nicht gut gehen kann. Zur Kennzeich- nung der Brüche und Kräfte gehört auch der Verweis auf starke Gegenspieler – etwa Thilo Sarrazin, dessen Thesen vor allem in Mittelschichten Wirksamkeit entfalteten, weil sie Ungleichheit mit Religion, Migration und vererbter Dummheit erklärten. Die Mittelschichten, also ›wir‹, würden durch Arme und Einwanderer ausgebeutet. Friedrich von Hayek prägte den Satz, dass den Idealen der Demokratie besser ge- dient wäre, wenn »alle Staatsdiener oder alle Empfänger öffentlicher Unterstützun- gen vom Wahlrecht ausgeschlossen wären« (2005, 135). Ökonomen seines Geistes- schlages formulieren heute so: »Bildungsferne Gruppen entscheiden aber über die künftige Entwicklung ihrer Heimat mit und fördern, dass Regierungen vor Wahlen gerne auf Pump kostspielige Zugeständnisse machen« (Ortner 2013, o.S.). Die De- mokratie neige dazu, »sich früher oder später in die Pleite zu wählen« (ebd.). Der Umgang mit den südeuropäischen Demokratien erscheint als Blaupause einer sol- chen reaktionären Transformationspolitik, denn für Korrekturen sei »eine Instanz notwendig, die den Prozess der Wählerbestechung per Schuldenaufnahme zum Stillstand bringt. Das ist nur möglich, wenn diese Instanz nicht genauso um ihre Wiederwahl bangen muss wie die Parlamentarier« (ebd.).

Von oben nach unten? Der zukünftige Weg der europäischen kapitalistischen Gesellschaften ist ein um- kämpfter, kein vorgezeichneter Weg. Autoritäre Modelle konkurrieren mit Modellen einer Erneuerung der demokratischen Legitimationsgrundlage. Deshalb stehen die Chancen für eine Umfairteilung nicht schlecht, denn beide Modelle sind darauf an- gewiesen, die – demokratisch oder autoritär vermittelte – Zustimmung einer breiten Basis zu generieren. Da sich die sozialen Schichten und Klassen der bundesdeutschen Gesellschaft vor dem Hintergrund der Krisenberichte aus den südeuropäischen Ge- sellschaften neu zueinander ordnen, sind neue Konstellationen möglich, etwa zwi- schen den schwarz-bürgerlichen und grün-bürgerlichen Milieus. Die umworbenen und umkämpften Klassen finden sich in der ›Mitte der Gesellschaft‹. Zurecht fürch- ten sie den sozialen Abstieg. Den sozialen Status und seine Grenzziehungen nach unten zu verteidigen, ersetzt allmählich die vorherige Aufstiegsorientierung. Diese gesellschaftliche Mitte fühlt sich im Bild von der Umverteilung zwischen Oben und Unten übergangen: Bei der Umverteilung von unten nach oben ist bei ihnen nichts hängen geblieben. Warum sollte es bei der umgekehrten Verteilungsrichtung anders sein? Umfairteilen mit Umverteilung von oben nach unten zu übersetzen, übersieht die soziale Lage und Befindlichkeit der mittleren Einkommensschichten. DieLINKE

umverteilen? | luxemburg 2/2013 9 rüttelt gelegentlich an den Stäben dieses diskursiven Käfigs: Entgegen ihrem Image, von den Reichen zugunsten der Armen nehmen zu wollen, vertritt sie für die Bundes- tagswahl das einzige Einkommensteuermodell, in dem eine Erhöhung des Spitzen- steuersatzes auch den mittleren Einkommen bis 60 000 Euro eine spürbare Entlas- tung bringen würde. Ein unmittelbarer Zugang zu den Befürchtungen und Diskursen der ›schrumpfenden‹ und ›bedrohten‹ Mitte fehlt jedoch noch. Eine weitere Grenze linker Diskursfähigkeit bildet ein traditionell skeptisches Verhältnis zur Verteilungspolitik überhaupt. Ist Verteilungspolitik nicht reformistisch? Steht sie nicht für ein vorschnelles und grundsätzliches Einverständnis mit der kapita- listischen Ordnung des Wirtschaftens? Ist es nicht die Aufgabe von Verteilungspolitik, durch die Abschöpfung von Produktivitätsgewinnen, durch den Aufbau von Sozialei- gentum der breiten Volksmassen und durch progressive Einkommensbesteuerung ungewollte Fehlsteuerungen in der ›Primärverteilung‹ der Einkommen auszuglei- chen? Muss nicht zuerst produziert werden, was verteilt werden kann? Woher sollen aber die Ressourcen für sozialpolitische Verteilungsziele kommen? Hat nicht erst die angemessene Verzinsung des vorgeschossenen Kapitals, also wirtschaftliches Wachs- tum, systematisch Vorrang vor der ›Verteilung‹ des übriggebliebenen Restes? Gehört nicht gerade zur linken Umverteilungspolitik der Nachweis, dass zu viel Armut und Ungleichheit einem reibungslos funktionierenden Kapitalverhältnis im Wege steht: Armut schadet dem Reichtum und seiner Akkumulation, weil es an Kaufkraft fehlt, weil Ressourcen verschwendet werden, weil der soziale Zusammenhalt gefährdet ist, weil der soziale Frieden und damit stabile Bedingungen für Investitionen fehlen (vgl. Stiglitz in diesem Heft). Ist also Verteilungspolitik bloße Reparaturpolitik, die dar- auf verzichtet, die Art und Weise der Produktion des gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtums zu verändern? Wer wollte die Berechtigung dieser Fragen bestreiten? Doch können wir sie uns im siebten Jahr des aktuellen Krisenzyklus leisten? Zu offensichtlich ist in vie- len europäischen Ländern, dass Austeritätspolitik nur ein anderer Name für eine aggressive Verteilungspolitik ist. Ihr geht es nicht darum, Wertschöpfung und wirt- schaftliches Wachstum zu generieren. Ziel ist vielmehr die Fähigkeit etwa des grie- chischen und anderer Staaten, in den kommenden Jahrzehnten die Staatsschulden bedienen zu können. Statt um Wertschöpfung geht es um Wertabschöpfung, die Abtretung eines gewaltigen Teils des erwirtschafteten Reichtums auf Jahrzehnte an ›die Märkte‹, von denen in diesem Fall ein erheblicher Teil in Deutschland zu Hause ist. Die Alternative lautet: Schuldknechtschaft, solange es etwas auszupressen gibt, also Löhne gesenkt und öffentliche Sozialleistungen abgebaut werden können, oder Wiedereintritt in einen wirtschaftlichen Zyklus, der ein selbsttragendes Überleben der nationalen Volkswirtschaft ermöglicht.

10 luxemburg 2/2013 | Es reicht nolifebeforecoffee/ flickr

Umverteilung als Klassenkampf … Wer von Umverteilung reden will, muss vom Kampf der Klassen nicht schweigen. Im Gegenteil: Die Krise verweist uns mit elementarer Macht auf die Frage nach der Verfü- gung über die Mittel der eigenen Reproduktion. Der Mittel für die eigene Subsistenz beraubt, kommt es entscheidend darauf an, einen Platz im Kapitalverhältnis zu finden. Nur durch den Verkauf des eigenen Arbeitsvermögens kann ein Einkommen erzielt werden, mit Hilfe dessen auf anderen Märkten die Mittel der eigenen Reproduktion gekauft werden können – es sei denn, sie werden öffentlich zur Verfügung gestellt oder sozialstaatlich erworben, etwa als Rechtsansprüche auf berufliche Weiterbildung, Krankenversicherung, Alterseinkommen oder andere Formen des individuellen oder gemeinsamen Sozialeigentums. Bei all dem handelt es sich weniger um eine Frage der vertikalen Verteilung von Einkommen zwischen oben und unten, sondern vielmehr um die Verteilung von Ka- pital – also der Chance, von Zinsen statt vom Lohn leben zu können. Die Teilung des Volksvermögens, des Betriebs-, Immobilien- und Finanzvermögens schreibt funda- mentale Abhängigkeitsverhältnisse fest: Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 61

umverteilen? | luxemburg 2/2013 11 Prozent des Volksvermögens, 70 Prozent nicht einmal ein Zehntel und die Hälfte kommt gerade mal auf ein Prozent. Verbinden sich diese Teilungen mit einer Politik des Sozialstaatsabbaus und der Ausweitung der Zonen marktvermittelter Reproduk- tion und marktfähiger Nachfrage, also der Ökonomisierung immer weiterer Lebens- bereiche, dann wachsen Unsicherheit, Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit der alltäglichen Reproduktion dramatisch – individuell wie gesellschaftlich. Immer öfter sind diejenigen glücklich, die auf familiäre, nachbarschaftliche oder andere soziale Ressourcen der Gegenseitigkeit zurückgreifen können.

… um Reproduktionsbedingungen Die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung um emanzipatorische Zie- le kann nicht allein auf dem monetären Feld geführt werden. Es geht immer auch um den Anteil der individuellen und der gesellschaftlichen Reproduktion, der nicht unmittelbar dem Kapitalverhältnis unterstellt ist, also um die Grenzziehungen zwi- schen marktvermittelten und sozialstaatlich vermittelten, zwischen monetären und nichtmonetären kollektiven Gütern. Ein großer Teil des wirtschaftlichen Drucks, der auf Angehörigen mittlerer Einkommensschichten lastet, resultiert aus der Auswei- tung marktvermittelter monetärer Reproduktion, angefangen bei der Gesundheit und endend bei den Kosten für die Schulbildung der Kinder. Eine neue Verteilung zwischen öffentlich und privat kann ein Schlüssel für ein auch politisch wirksames Unten-Mitte-Bündnis sein, gerade weil es entscheidende Lebensbereiche wieder vor der ökonomischen Logik schützen will. Die anschließende zweite große Frage, die sich aufdrängt, wenn die gesellschaft- liche Reproduktion aus der Perspektive der Nichtvermögensbesitzer gestellt wird, ist die Frage nach den »guten Dingen des Lebens«, dem Grund zum Glücklichsein: Ge- sundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Freundschaft – und Muße, Dinge ohne äußeren Zwang um ihrer selbst willen zu tun. Volkstümlich gibt es »wichtigere Din- ge im Leben als Geld«. Marx nannte es die »freie Lebensäußerung, daher Genuss des Lebens« (MEW 40, 463), deren materielle Bedingungen durch die kapitalistische Revolutionierung der Produktionsmittel geschaffen würden. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass die Revolutionierung der Produktionsmittel so weit fortgeschritten ist, dass global allen Menschen die Basisgüter eines guten Lebens zugänglich sein können. Die diskursiven Käfige der Linken haben viel mit der verloren gegangenen Fähigkeit zu tun, die emanzipatorischen Versprechen des Communismus mit der bürgerlichen Sinnsuche zu verknüpfen. Die neoklassischen Ökonomie-Modelle können die entstandenen Ungerechtig- keiten nicht erklären. Sie liefern keine Erklärung dafür, warum an den Finanzmärkten mehr zu verdienen ist als in der Realwirtschaft. Sie erklären nicht die Einkommens-

12 luxemburg 2/2013 | Es reicht unterschiede, die horizontalen und vertikalen Verteilungen des Reichtums im Rah- men eines ökonomischen Modells, das zugleich moralische Legitimität beanspruchen und gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften könnte. Die einzige Erklärung lautet: Sie können es tun, denn sie haben die Macht. Damit treten aber wieder Klassen und Konflikte auf die Bühne der Ökonomie, die politische Ökonomie oder das Politische der Ökonomie ist zurück im Spiel.

Neuverteilung Die Kraft der gesellschaftlichen und politischen Linken in Deutschland reicht aktuell nicht, in diesen Formierungen eine prägende Rolle zu spielen. Sie kann aber dazu beitragen, den Horizont der politischen Fantasie von der Umverteilung zu einer Neu- verteilung zu öffnen. Sie kann fortfahren, Steine zu werfen, nicht Pflastersteine auf die bruchsicheren Fenster von Banken, sondern diskursive ›Steine‹ guter Fragen und vorstellbarer Möglichkeiten. Mit den im symbolischen Teich aus gesellschaftlichen Klassenkonstellationen, Wahrnehmungsmustern der sozialen Welt und Alltagsbe- wusstsein ausgelösten Wellen kann sie politisch überraschende Verknüpfungen ver- binden. Vom Chronisten der amerikanischen und französischen Revolution wären dabei alte Einsichten in die Dialektik von Veränderung und Umwälzung neu zu entde- cken: »Man gelangt nicht immer dann zur Revolution, wenn eine schlimme Lage zur schlimmsten wird. Sehr oft geschieht es, dass ein Volk, das die drückendsten Gesetze ohne Klage und gleichsam, als fühlte es sie nicht, ertragen hatte, diese gewaltsam beseitigt, sobald ihre Last sich vermindert. Die Regierung, die durch eine Revolution vernichtet wird, ist fast stets besser als die unmittelbar vorausgegangene, und die Er- fahrung lehrt, dass der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung der ist, wo sie sich zu reformieren beginnt. [...] Zwanzig Jahre früher erhoffte man nichts von der Zukunft: jetzt fürchtet man von ihr nichts. Die Phantasie, die sich im voraus dieser nahen und unerhörten Glückseligkeit bemächtigt, macht gleichgültig gegen die Güter, die man bereits hat, und drängt den neuen Dingen entgegen.« (Tocqueville 1856, 177f)

Literatur Hayek, Friedrich A. von, 2005: Die Verfassung der Freiheit. Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Abt. B Band 3, hg. v. Alfred Bosch und Reinhold Veit, Tübingen Maier, Charles S., 2013: Das Politische in der Ökonomie. Die Machtvergessenheit in der Wirtschaftswissen- schaft; in: Mittelweg 36, 2/2013, 7–20 Marx, Karl: Historisch-ökonomische Studien (Pariser Hefte), Auszüge aus James Mills Buch »Éléments d’économie politique«, MEW 40 Ergänzungsband I, Berlin Ortner, Christian, 2013: Prolokratie: Demokratisch in die Pleite, Wien Skidelsky, Robert, und Edward Skidelsky, 2013: Zurück zum Wesentlichen. Was wir zum guten Leben brauchen; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2013, 79–90 Streeck, Wolfgang, 2013: Was nun, Europa?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2013, 57–68 de Tocqueville, Alexis, 1856: Der alte Staat und die Revolution, Warendorf (2013) Wehler, Hans-Ulrich, 2013: Die neue Umverteilung, München

umverteilen? | luxemburg 2/2013 13 Kampagne Umfairteilen EINE BILANZ

Martin Beckmann und Ralf Krämer nisse und Vorbehalten gegenüber konkreten Gewerkschaftssekretäre bei ver.di Umverteilungsvorschlägen. Reichtum muss Anne Jung sichtbar gemacht werden. Reichtumsfor- Campaigning bei medico international schung findet kaum statt und vielen Menschen sind die unglaublichen Dimensionen, die der Helge Bauer Koordinierungskreis von attac Reichtum in wenigen Händen angenommen hat, nicht klar (vgl. Reiner in diesem Heft). Tim Herudek Außerdem muss deutlich werden, dass die Bundesgeschäftsstelle der LINKEN Finanzkrise in eine Schuldenkrise transfor- Gerda Schneider miert wurde, was zu enormen Belastungen der Interventionistische Linke öffentlichen Haushalte geführt hat. Um dies Alex Demirovic´ zu bewältigen, brauchen wir beispielsweise GOETHE-UNIVERSITÄT FRANKFURT/M eine Vermögensabgabe und Vermögensteuer. Umverteilen schafft zudem eine notwendige Grundlage für öffentliche Investitionen in Welche Bedeutung hat die Kampagne Infrastruktur und Dienstleistungen. 1 umfairteilen aus Eurer Perspektive? Anne Jung Für uns als kritische Hilfs- und Martin Beckmann und Ralf Krämer Das Menschenrechtsorganisation ist es wichtig zu Thema Verteilungsgerechtigkeit ist für ver.di zeigen, dass gerechte Verteilung immer eine ein politischer Schwerpunkt des Wahljahres globale Dimension hat. Die internationalen 2013. Wir wollen deutlich machen, dass es Zeit Finanz- und Handelsbeziehungen, die oft- ist, den gesellschaftlichen Reichtum umzuver- mals von der EU dominiert werden, sichern teilen. Dafür wollen wir in der Bevölkerung den Zugriff des Nordens auf die Rohstoffe des werben – u.a. mit dem Bündnis Umfairteilen. Südens und ermöglichen so die unfaire Vertei- Im gesellschaftlichen Bewusstsein besteht eine lung des gesellschaftlichen Reichtums in den Diskrepanz zwischen einer grundsätzlichen Ländern des Südens (vgl. Gebauer in diesem Unterstützung gerechterer Verteilungsverhält- Heft). Doch nicht nur der geografische Süden

14 luxemburg 2/2013 | Es reicht ist davon betroffen, in Südeuropa entstehen kampagne umfairteilen: wachsende Zonen des globalen Südens. In Gewerkschaften, NGOs und Sozialverbände gründeten 2012 das Bünd- Griechenland haben die Menschen mit den nis umFAIRteilen, um in der deutschen Öffentlich- Folgen der von der Troika erzwungenen Spar- keit die wachsende Ungleichheit in der Verteilung maßnahmen zu kämpfen, wie wir dies vorher des gesellschaftlichen Reichtums zu skandali- sieren. Die Kampagne wird von linken Parteien nur aus Asien, Lateinamerika oder Afrika und zahlreichen lokalen Gruppen und Initiativen kannten. Zugang zu Gesundheitsfürsorge unterstützt. Neben bundesweiten Aktionstagen wird zum unbezahlbaren Luxus. fand Ende Mai 2013 der Kongress »Umverteilen. Die Lasten werden weltweit nach unten Macht.Gerechtigkeit« in Berlin statt, an dessen Vorbereitung auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung umverteilt, um die Reichen zu schonen. Gleich- beteiligt war. Die Zeitschrift LuXemburg hat vier zeitig schwimmt die Welt in Geld. Es wäre Partnerorganisationen nach ihrer Einschätzung der möglich, die Grundbedürfnisse aller Menschen Kampagne gefragt sowie zwei linke Stimmen, die nicht an dem Bündnis beteiligt waren. zu befriedigen und globale soziale Rechte zu verwirklichen. Allein, es fehlt am politischen Willen. Das wollen wir mit der Kampagne deut- gesellschaftliche Kräfteverhältnisse eingegriffen lich machen und Lösungsansätze aufzeigen. wird – wir sind ja angetreten, um diese nach links zu verschieben. Und der Wahlkampf ist Helge Bauer Die Krise wirft in Europa die Fra- nicht mehr weit. Die Initiative Neue Soziale ge nach einer gerechten Verteilung des Reich- Marktwirtschaft macht ja gerade etwas Ähnli- tums auf und zeigt Profiteure und Verlierer der ches von der anderen Seite: eine gut finanzierte aktuellen Politik. Auch in Deutschland werden Öffentlichkeitskampagne für eine Gerechtig- die katastrophalen Auswirkungen jahrzehn- keitsvorstellung, die die Oberen stärkt und im telanger Umverteilung von unten nach oben Einklang mit der Regierungspolitik steht. Unser sichtbar. Es war höchste Zeit, mit Forderungen Feld ist anders: Sozialverbände, Attac, Gewerk- an die Öffentlichkeit zu treten, die von breiten schaften, die LINKE u.a. – in dem vielfältig Teilen der Gesellschaft unterstützt werden. Un- zusammengesetzten Bündnis sind Konzepte sere Vorschläge würden einen großen Teil der zur Stärkung der Unteren entwickelt worden. aktuellen sozialen und ökologischen Probleme Uns ist es ein Anliegen, ein Teil – und zwar ein beheben. Daher hat Attac auf dem Ratschlag im treibender – darin zu sein. Die Aktionen des November 2012 die Themen Umverteilung und Bündnisses haben dazu beigetragen, unsere Krise als die Schwerpunkte der eigenen Arbeit Mitglieder und Unterstützerinnen und Unter- für das Jahr 2013 benannt. Das Bündnis Um- stützer zu mobilisieren. fairteilen ist ein Bestandteil dieser Arbeit. Gerda Schneider Umfairteilen ist der Tim Herudek Für die LINKE ist Umfairteilen Versuch, die Themen Reichen- und Vermö- wichtig, weil es gelungen ist, eine öffentliche gensteuer in den Wahlkampf einzubringen. Debatte um mehr soziale Gerechtigkeit anzu- Adressaten sind vor allem SPD und Grüne, zetteln und zu stärken. Das ist zentral, weil in weil die LINKE die Forderungen teilt und die

umverteilen? | luxemburg 2/2013 15 Regierungskoalition dafür nicht druckemp- Die Zahl der TeilnehmerInnen bei den findlich ist. Das hat bisher aber nur bedingt 2 Aktionen des Bündnisses war relativ funktioniert. Dennoch gab es einige zeitlich gering. Wie erklärt Ihr Euch das? gut platzierte Öffentlichkeitsaktionen, z.B. während der Veröffentlichung des umge- Martin Beckmann und Ralf Krämer In schriebenen Reichtums- und Armutsberichts. Umfragen gibt es breite Zustimmung zu den Es ist gelungen, das Thema immer wieder öf- Forderungen, aber tatsächlich treibt das Thema fentlich aufzurufen und die Politik der Sozial- bisher nicht die Massen auf die Straße, sondern kürzungen und Umverteilung von unten nach eher Aktive aus den beteiligten Organisatio- oben infrage zu stellen. nen. Es fehlt die drängende Betroffenheit und Nach den Blockupy-Protesten 2012 wurde bei spontane Empörung. »Reichtum besteuern« uns über die geplante Kampagne diskutiert. ist sehr abstrakt, der Zusammenhang zu kon- Dass ein breites Bündnis von Parteien, Ge- kreten Problemen der Einzelnen muss erst werkschaften und Verbänden im Zentrum der gezeigt werden. Auch fehlt eine akut zugespitz- Krise gegen die neoliberale Zurichtung in Ar- te Entscheidungssituation. Die Sozialverbände beit und Leben auftritt, ist wichtig. Schließlich mobilisieren nicht die Massen, das kritisch-bür- sind es diese Akteure, die eine emanzipatori- gerliche Spektrum demonstriert lieber gegen sche Umverteilung auch durchsetzen könn- Atomkraft und für gesunde Ernährung als ge- ten. Da dies auf uns als radikale Linke nicht gen soziale Ungleichheit. Für das links-aktivis- zutrifft, haben wir uns gegen eine Mitarbeit tische Spektrum ist das Bündnis zu zahm. Für im Bündnis entschieden. Auch wird mit einer die Gewerkschaften ist es nur ein Thema neben finanziellen Umverteilung der Kapitalismus anderen, die den Aktiven oft näher liegen. Und nicht überwunden, wir orientieren hier eher die Industriegewerkschaften enthalten sich fast auf Aneignungskämpfe. Außerdem hielten völlig. Damit ist auch der DGB blockiert. Es war wir es nicht für richtig, eine national fokus- nicht möglich, die Verteilungsfrage zu dem sierte Kampagne zu unterstützen. zentralen gewerkschaftlichen Thema vor den Wahlen zu machen, was politisch geboten ge- Alex DemiroviC´ Die Umverteilungsprozesse wesen wäre. Bei den unterstützenden Parteien der vergangenen dreißig Jahre müssen ins öf- mobilisiert faktisch nur die LINKE, von der SPD fentliche Bewusstsein gehoben werden. Dabei und mit regionalen Ausnahmen auch von den geht es nicht nur um Steuern oder Einkom- Grünen ist wenig zu sehen. men, sondern um die gesamte Lebenswei- se – also Verfügung über freie Zeit, Mobilität, Anne Jung So gering war die Mobilisierung Bildung, Gesundheit, Wohnen, Nahrung, die doch gar nicht, in vielen Städten haben etliche regionalen Ungleichheiten in Deutschland, tausend Menschen an Demos und Aktionsta- in Europa und global. Ein winziger Bevölke- gen teilgenommen. Zu einer noch größeren rungsteil verfügt über den globalen gesell- Mobilisierung hat es nicht gereicht, weil die schaftlichen Reichtum. Krise hierzulande gerade in der Mittelschicht

16 luxemburg 2/2013 | Es reicht noch kaum spürbar ist und die betroffenen engagieren, aber es hat halt auch Nachteile. Gesellschaftsgruppen sich von unserer Kam- Die Sozialverbände haben zwar auf dem Pa- pagne nicht angesprochen fühlen. Da gibt pier viele Mitglieder, aber die sind es nur sehr es Nachholbedarf für die Zeit nach der Bun- begrenzt gewohnt, auf Demonstrationen und destagswahl. Auch ist es bislang nicht ausrei- Kundgebungen zu gehen. Für die LINKE war chend gelungen, soziale Bewegungen für das die Kampagne trotzdem förderlich und wir Thema zu begeistern. werden uns auch weiter daran beteiligen.

Helge Bauer Es sind weniger auf die Straße Gerda Schneider Die Bündnisbreite ist gegangen als erwartet. Trotzdem müssen wir beeindruckend, auch die Tatsache, dass Sozial- uns auch nicht verstecken. Breit getragene verbände sich dort politisch äußern und beteili- Bündnisse haben viele Stärken, führen aber oft gen. Ich denke, dass die Sozialverbände, Ge- zu einer gewissen Unschärfe der Positionen. werkschaften und die LINKE ihre Basisaktiven Dies erschwert die Mobilisierung. Auch die Dar- mobilisieren, aber darüber hinaus nur schwer stellung des Bündnisses in Teilen der Medien überzeugen konnten, aktiv zu werden. Die war nicht gerade hilfreich: Oftmals wurde uns Mobilisierungsschwäche wirft auch Fragen zur eine Neiddebatte unterstellt, und auch die Kon- Strategie der Bündnisakteure auf. Möglicher- sequenzen der von uns geforderten einmaligen, weise setzen sie mit ihrer politischen Agenda europaweiten Vermögensabgabe sowie der nicht ausreichend an den Lebens- und Arbeits- Vermögensteuer wurden verkehrt dargestellt. verhältnissen der Menschen an. Also lässt sich Es ist uns beispielsweise nicht gelungen, klar nur noch ein geringer, organisierter Teil der zu machen, dass wir an das Eigenheim einer Zivilgesellschaft mobilisieren. Mittelstandsfamilie nicht dran wollen. Alex DemiroviC´ Wegen der vielen Dimensio- Tim Herudek Die Kampagne war nicht aus- nen von Verteilung ist das Thema komplex. Au- reichend zugespitzt: Es gab eine Vielzahl ßerdem liegt über Verteilungsfragen ein Tabu, von Konzepten und Forderungen, die aber das die Neoliberalen darüber errichtet haben. zum Teil keinen klaren Adressaten hatten. Stichworte: Neiddiskurs und Leistungsgerech- Das Bündnis wirkt dadurch – und ist es tigkeit. Das lässt sich am Parteitag der Grünen auch – eher gemäßigt. Da ist es schwierig, sehen: Zu der beschlossenen Erhöhung der Emotionen zu wecken und über die ›üblichen Einkommensteuer wurde ausdrücklich betont, Verdächtigen‹ hinaus Leute für das Anliegen es ginge dabei nicht um eine Umverteilung. Ich zu mobilisieren. Die Trägerorganisationen denke zudem, dass ein Teil der aufgeklärten po- haben auch nicht wirklich Bündnispartner auf litischen Liberalen und der Linken das Problem dem Feld, auf dem die Entscheidungen über der Verteilung nur als ein Element einer um- Vermögensteuer u.ä. gefällt werden, nämlich fassenderen Politik ansehen. Damit Verteilung dem Parlament. Das war im Bündnis gewollt, einen wirklich relevanten Effekt hat, muss – wie es hat Vorteile, sich parteipolitisch nicht zu John Rawls gezeigt hat – systematisch in die

umverteilen? | luxemburg 2/2013 17 Eigentumsstruktur der Gesellschaft eingegrif- einer Kampagne dabei. Auf Demos trifft man fen werden. Erst durch eine dauerhafte Installa- sonst oft nur die ›üblichen Verdächtigen‹ und tion von Umverteilungsmechanismen, die auch plötzlich demonstrieren Hunderte Mitglieder die Produktionsmittel selbst betreffen, kann von Sozialverbänden für die höhere Besteue- Ungleichheit im intergenerationellen Verhältnis rung der Reichen. Das Thema Umverteilen ist und zwischen den verschiedenen Regionen aus- in der politischen Debatte angekommen. Alle geglichen werden. Um etwas Derartiges durch- Parteien fühlen sich gerade genötigt, sich dazu zusetzen, bedarf es größerer Anstrengungen zu äußern; mit diesem Agenda-Setting ist ein und mehrerer Anläufe. wichtiges Kampagnenziel erreicht. Als kriti- sche Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Wo lagen dennoch bedauern wir jedoch, wie sehr das Thema wei- 3 die Stärken? terhin innerhalb nationalstaatlicher Grenzen verhandelt wird. Ein Blick über Europa hinaus Martin Beckmann und Ralf Krämer Die genügt, um zu sehen, dass es immer auch um Stärke des Bündnisses liegt in seiner Breite. unfaire Handelsbeziehungen, den Export von Für einen Sozialverband wie den Paritätischen GesundheitsarbeiterInnen von Süd nach Nord ist es die erste politische Bündnisaktivität und um Steueroasen geht. überhaupt. Bei den Aktiven in den beteiligten Organisationen, die die Auswirkungen der Helge Bauer Es gibt eine bemerkenswerte öffentlichen und privaten Armut dort täglich Breite an Trägerorganisationen. Wer hätte z.B. zu spüren bekommen, wurde die Erkenntnis gedacht, dass Attac und der Paritätische Wohl- verstärkt, dass wir eine Rück-Umverteilung fahrtsverband einmal gemeinsame Forde- von oben nach unten und zugunsten des So- rungen entwickeln, um zu Demonstrationen zialstaats brauchen. Das hat Auswirkungen aufzurufen? Durch gute Medienarbeit ist es auf die Diskussionen und Meinungsbildung uns gelungen, das Thema in die Öffentlich- in diesen Verbänden und auf deren öffentliche keit und in den Wahlkampf zu tragen, sodass Äußerungen. Insgesamt hat die Kampagne einiges von den Parteien aufgegriffen wurde. erheblichen Einfluss auf das öffentliche Mei- Aktuelle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit nungsklima gehabt. Es kommt darauf an, dies der Bevölkerung unsere Forderungen jetzt fortzusetzen und den Druck auf die politi- unterstützt. Außerdem haben wir innerhalb schen Akteure zu verstärken. weniger Monate über 100 lokale Umfairteilen- Bündnisse aufgebaut, die auf kommunaler Anne Jung Eine Stärke ist das Bündnis aus Ebene aktiv sind. Hier liegt m.E. der größte Gewerkschaften, Stiftungen, Sozialverbänden Erfolg. Ich halte das für wichtiger als die und NGOs, die gemeinsam die Ursachen für Teilnehmerzahlen. In den lokalen Bündnis- die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen sen setzen sich viele Menschen meist ehren- Reichtums benennen. Die großen Sozialver- amtlich für eine andere Verteilungspolitik bände sind zum ersten Mal seit langer Zeit bei ein. Und diese Menschen erleben tagtäglich,

18 luxemburg 2/2013 | Es reicht worum es in ihrer Kommune geht: ob es der Wie seht Ihr das Verhältnis der fehlende Kitaplatz ist, die Schließung von 4 Kampagne zu den Protesten gegen die Stadtteilprojekten oder Kultureinrichtungen europäische Krisenpolitik in Deutschland oder der nicht mehr bezahlbare Wohnraum. und in anderen EU-Ländern?

Tim Herudek Mit der Kampagne soll der Martin Beckmann und Ralf Krämer Es gesellschaftliche Diskurs verschoben werden, gibt zwischen den verschiedenen Kampagnen hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Dazu ist eher Synergien, da Blockupy stärker in akti- ein Anfang gemacht und das ist ein starker vistischen sozialen Bewegungen verankert Anker. Ich hoffe, dass es eine Stärke ist, dass ist, das Bündnis Umfairteilen hingegen eher sich untergründig mehr tut, als an der Ober- von Gewerkschaften, Sozialverbänden und fläche zu sehen ist. Parteien getragen wird. Bisher haben wir eher im nationalstaatlichen Rahmen und dort Gerda Schneider Bundesweit mehrere auch meist auf regionaler und lokaler Ebene dutzend lokaler und regionaler Bündnisse gewirkt. Der Kongress Umverteilen.Macht. aufzubauen ist nicht leicht und ein Erfolg. Die Gerechtigkeit setzte mit inhaltlichen Schwer- Frage ist nun, ob die Kampage, die eher top- punkten zur europäischen Ebene und Orga- down funktioniert, dieses sich an der Basis nisationen aus der Schweiz und Österreich entwickelnde Potenzial nutzen kann. Das stärker europäische Akzente. hieße nämlich, den lokalen Bündnissen mehr Partizipation bei bundesweiten Entscheidun- Anne Jung Organisationen wie medico oder gen einzuräumen und damit den Charakter Bewegungen wie attac verkörpern bereits Sy- von Umfairteilen eventuell zu verändern. Das nergien, weil wir in der Kampagne Umfairtei- könnte zu Konflikten führen. Es wird also da- len genauso engagiert sind wie bei Blockupy. rauf ankommen, dass sich die lokalen Bünd- Wir haben beispielsweise unsere pakistani- nisse die Kampagne aneignen. Stark würde sche Projektpartnerin, die Gewerkschafterin die Kampagne, wenn sich die Forderungen Zehra Khan, eingeladen, über die tödlichen stärker zivilgesellschaftlich verallgemeinern Folgen neoliberaler Umverteilung am Beispiel würden, und mit ihnen eine Kritik am deut- der pakistanischen Textilarbeiterinnen zu schen Krisenmanagement. sprechen – beim Umverteilen Kongress und bei Blockupy! Alex DemiroviC´ Es ist doch erstaunlich, dass mittlerweile Steuererhöhungen, Mindestlohn Helge Bauer Wichtig ist ein Austausch der oder eine Begrenzung von Managergehältern verschiedenen Bündnisse und Akteure. Dies eine gewisse Akzeptanz genießen. Das ist klappt teilweise recht gut, teilweise fehlen aber wenig und die wirklich Reichen werden solche die Ressourcen, um sich effektiver zu koor- Maßnahmen kaum treffen. Aber das Thema dinieren. Blockupy und Umfairteilen stehen ist gesetzt. im Kontakt, nicht zuletzt durch Personen,

umverteilen? | luxemburg 2/2013 19 die parallel in beiden Bündnissen mitarbeiten. auch kaum passieren. Aus unserer Perspek- Beide sind wichtig, da sie unterschiedliche Teile tive, die wir versuchen, uns auf europäischer der Bevölkerung erreichen und wir so breit und transnationaler Ebene zu organisieren, ist getragene Proteste ermöglichen, die die Unzu- dies eher ein Rückschritt. Der Generalstreik friedenheit der Bevölkerung mit der aktuellen am 14. November 2012, die Proteste gegen den (Krisen-)Politik zeigen. Gipfel in Brüssel im März dieses Jahres sowie der Altersummit im Juni 2013 in Athen wären Tim Herudek Die LINKE ist in verschiedenen Gelegenheiten gewesen, deutliche Zeichen zu der genannten Bündnisse und Spektren prä- setzen und der Kampagne ein internationales sent, bei Blockupy und bei Umfairteilen sind Profil zu geben. wir ja sehr aktiv. Auch zum Generalstreik am 14. November gab es zahlreiche Solidaritäts- Alex DemiroviC´ Es gibt ja einen in der Sache erklärungen aus der Partei. Umfairteilen und liegenden Zusammenhang: Die Krisenpolitik Blockupy gehören eigentlich zusammen, aber dient dem Zweck, den Vermögensbesitzern ihr davon wollten die jeweiligen Akteure nichts wis- Vermögen zu sichern. Dafür werden die Staats- sen. Die Bewegungen stärken sich dadurch nur haushalte, die sozialen Sicherungssysteme, die begrenzt gegenseitig: Umfairteilen ist politisch Sparguthaben und Einkommen eines erhebli- breit aufgestellt und kann damit, zumindest in chen Anteils der Menschen in Europa an jene den Debatten, gesellschaftliche Wirkung entfal- Vermögensbesitzer verpfändet. Dabei geht es ten. Blockupy bleibt zu sehr im aktivistischen nicht um die Reichen in Griechenland, Portugal Milieu – dafür schafft es die notwendige Zu- oder Spanien, diese können sich entziehen; die- spitzung und damit die mediale Aufmerksam- se Gesellschaften sind genauso wie die deutsche keit. Außerdem ist Blockupy in der Lage, eine Gesellschaft tief gespalten. Die Diskussion über internationale Vernetzung voranzutreiben. Die Umfairteilung ist also ein notwendiger Beitrag LINKE wird in beiden Zusammenhängen aktiv zur Bewältigung der Krise in Europa. bleiben und vielleicht gelingt es uns, eine Art Wir müssen ja selbstkritisch feststellen, Scharnier zu bilden, indem wir dazu beitragen dass wir trotz eines umfassenden Wissens können, Synergien zu schaffen. und vieler richtiger Argumente noch nicht zur wirklichen Protestmobilisierung der Menschen Gerda Schneider Gegen das deutsche Krisen- haben beitragen können. Insofern ist es ein kommando kann es in und aus der BRD nicht weiterer Versuch, Überzeugungsarbeit dafür genug Gegenrede geben. Dennoch müsste in zu leisten, endlich den Bruch mit denjenigen der Kampagne die transnationale Perspekti- zu vollziehen, die zwar eine Lösung der Krise ve gestärkt werden. Sie ist zu streng auf den versprechen, aber letztlich nur an den Erhalt nationalen Rahmen beschränkt. Einen Bezug und die Vergrößerung ihres Reichtums denken. auf Fiskalpakt und die Streiks in Europa gab es bisher nicht. Solange die Kampagne in erster Wie könnte und sollte Linie auf die Bundestagswahlen zielt, wird das 5 es weitergehen?

20 luxemburg 2/2013 | Es reicht Martin Beckmann und Ralf Krämer Die um die Situation der überlasteten Pflegekräfte in Unterschriftenkampagne für den Aufruf des Krankenhäusern geht. Und im Einzelhandel, wo Bündnisses läuft weiter. Bisher haben über die Arbeitgeber aus den Flächentarifverträgen 100 000 Menschen unterzeichnet. Am 14. Sep- aussteigen wollen. Die Verbindung mit gewerk- tember, also direkt vor der Bundestagswahl, schaftlichen Aktivitäten ist für beide Bündnisse wird ein weiterer Aktionstag stattfinden, mit gut. Und die Aktionen betreffen Kernpunkte der mindestens einer großen Demonstration in Politik der LINKEN. Da werden wir vor Ort mit Bochum und Berlin. solidarischen Aktionen dabei sein. Außerdem wird es weitere Blockupy-Aktionen im Sommer Anne Jung Nach der Bundestagswahl wird es 2014 geben, wenn der EZB-Tower eröffnet wer- hierzulande darum gehen, die Parteien an ihre den soll. Zu wünschen ist, dass wir hier einen vollmundigen Wahlversprechen zu erinnern. neuen Start einer europäischen Widerstandsbe- medico wird gemeinsam mit Partnerorganisati- wegung erleben. Ähnlich der No-Global-Bewe- onen aus vielen Ländern des Südens weiter um gung von 1999 bis 2007. Umfairteilen will im gerechte Verteilung kämpfen, das reicht von der September zu weiteren Kundgebungen aufru- Forderung nach solidarischer Finanzierung von fen, aber da wird es sicher notwendig sein, über Gesundheitsdiensten, über die nach bindenden das bisherige Konzept hinauszugehen. Maßnahmen gegen Schattenfinanzplätze bis zur Unterstützung von gewerkschaftlichen Kämpfen Alex DemiroviC´ Fragen der Vermögensvertei- um das Recht auf Organisierung in Pakistan lung, des Lebens der Reichen und der Besteue- und anderswo. Wenn es gelänge, diese Kämpfe rung weiter zu politisieren, erscheint mir zentral. besser zu bündeln, wäre viel gewonnen. Die Bundestagswahl kann dafür Aufmerksam- keit schaffen. Statt in der Krise Zwangsanleihen Helge Bauer Das Bündnis Umfairteilen plant oder Vermögensabgaben, Steuern von 75 Pro- weitere Aktionen in den nächsten Monaten zent für hohe Einkommen einzuführen, wur- und will damit Wahlkampf und Koalitionsver- den vermeintliche Sachzwänge geschaffen, die handlungen kritisch begleiten. Wichtig ist es rechtfertigen, dass soziale und kulturelle Infra- aus meiner Sicht, die Vernetzung mit anderen strukturen, Bildungsinstitutionen oder Gesund- Bündnissen (auch auf internationaler Ebene) heitsvorsorge abgebaut und der Staat autoritär und die kommunale Arbeit der lokalen Bündnis- gestärkt wird. Wir brauchen neue Protestformen. se zu stärken. In Spanien ziehen die Demonstranten in die Stadtviertel der Politiker und Reichen – dies löst Tim Herudek Bis zur Bundestagswahl wird Empörung aus, trifft also einen Nervenpunkt. Es es noch einige Aktionen geben, sowohl aus wäre aber auch zu überlegen, politisch verstärkt den beiden genannten Bündnissen als auch an die Benachteiligten heranzutreten, also neue innerhalb der Gewerkschaften. Gerade ver. Formen des Organizing auszuprobieren. di hat ja momentan zwei große Fronten: die Kampagne »Der Druck muss raus«, in der es Es fragten Barbara Fried und Thomas Sablowski

umverteilen? | luxemburg 2/2013 21 Ungleichheit erstickt Erholung

Joseph E. Stiglitz Obamas Wiederwahl glich einem Rorschach- Test, der vielfältigen Interpretationen offen steht. Im Wahlkampf wurden auf beiden Seiten Fragen diskutiert, die auch mich zutiefst beunruhigen: Zum einen die lang anhalten- de Konjunkturschwäche, deren Ende nicht absehbar ist, und zum anderen die wachsende Kluft zwischen dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung und dem Rest. Letztere bedeutet nicht nur eine Ungleichheit der Einkommen, sondern auch der Ausgangschancen. Für mich sind dies zwei Seiten derselben Medaille: Mit der größten sozialen Ungleichheit seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ist eine stabile wirtschaftliche Erholung kurzfristig nur schwer möglich und der American Dream – der ein gutes Leben durch harte Arbeit verspricht – stirbt. Gewöhnlich behandeln PolitikerInnen die wachsende Ungleichheit und den schleppenden Wiederaufschwung als separate Phänomene, obwohl sie miteinander verflochten sind. Soziale Ungleichheit erstickt Wachstum. Wenn sogar das marktliberale Magazin The Economist

22 luxemburg 2/2013 | Es reicht (Sonderausgabe 10/2012) erklärt, welche ernst Steuererleichterungen zu bewegen. Die kürzlich zu nehmende Gefahr vom Ausmaß und dem beschlossene Erhöhung des Einkommensteu- Charakter der Ungleichheit ausgeht, dann muss ersatzes für Einzelpersonen, die über 400 000 etwas ziemlich schief gelaufen sein. Trotzdem Dollar im Jahr verdienen, und Haushalte, haben wir auch nach vier Jahrzehnten wachsen- die mehr als 450 000 Dollar zur Verfügung der Ungleichheit und dem größten Abschwung haben, auf das Niveau der Clinton-Zeit hat an seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre dieser Tatsache nichts geändert. Gewinne aus nichts dagegen unternommen. Börsenspekulationen werden deutlich geringer Es gibt vier Hauptursachen dafür, dass die besteuert als andere Formen von Einkünften. Ungleichheit den Wiederaufschwung erstickt. Wegen des niedrigen Steueraufkommens kann Die unmittelbarste ist, dass die Mittelklasse die Regierung nicht die Mittel für Investitionen zu schwach ist, um das Konsumniveau auf- in Infrastruktur, Bildung, Forschung und rechtzuerhalten, das in der Vergangenheit das Gesundheit leisten, die für einen langfristigen Wirtschaftswachstum angetrieben hat. Das Wiederaufschwung unabdingbar wären. oberste eine Prozent der Verdienenden konnte 93 Prozent der Einkommenszuwächse einstrei- chen, während die Mittelklassehaushalte im Joseph E. Stiglitz war Berater der Clinton-Regie- letzten Jahr inflationsbereinigt über geringere rung und Chefökonom der Weltbank, deren Einkommen verfügten als im Jahr 1996. Es Politik er nach seinem Rücktritt in dem Buch Die Schatten der Globalisierung scharf kritisierte. Als sind diese Haushalte, die ihre Einkommen ten- einer der führenden Keynesianer erhielt er 2001 denziell ausgeben statt sie zu sparen. Sie sind den Wirtschaftsnobelpreis und lehrt heute Öko- somit die wahren Erschaffer von Arbeitsplätzen. nomie an der Columbia Universität in New York. Letztes Jahr erschien Der Preis der Ungleichheit. Das Wachstum des Jahrzehnts vor der Krise war Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft nicht aufrechtzuerhalten – es gründete darauf, bedroht, dessen These er hier zusammenfasst. dass die unteren 80 Prozent der Bevölkerung jährlich ungefähr 110 Prozent ihres Einkom- mens konsumierten – also auf Pump lebten. Viertens geht größere Ungleichheit mit Zweitens wurde die Mittelklasse seit den häufigeren und heftigeren Boom- und 1970er Jahren finanziell immer weiter belastet Krisen-Zyklen einher. Sie machen unsere (mit einer kurzen Ausnahme in den 1990ern). Wirtschaft instabiler und krisenanfälliger. Sie konnte nicht ausreichend in ihre Zukunft Obwohl die Krise nicht unmittelbar durch die investieren, weder in Form von Bildung für sich Ungleichheit verursacht wurde, so ist es doch und ihre Kinder, noch durch die Gründung oder kein Zufall, dass die 1920er Jahre – als die Vergrößerung von Unternehmen. Einkommensdisparität und die Reichtumsun- Drittens sinken durch die Schwäche der terschiede in den USA das letzte Mal so groß Mittelklasse die Steuereinnahmen, insbesondere waren wie heute – in einen Börsenkrach und weil sich die Oberschicht so gut darauf versteht, die Weltwirtschaftskrise mündeten. Der Inter- Steuern zu umgehen und Washington zu nationale Währungsfonds hat auf die systema-

Umverteilen? | Luxemburg 2/2013 23 tische Beziehung zwischen wirtschaftlicher wältigung alles noch viel schlimmer. Während Instabilität und wirtschaftlicher Ungleichheit 2009 riesige Summen für die Bankenrettung hingewiesen, aber die amerikanische Führung ausgegeben wurden, stieg die Arbeitslosigkeit scheint diese Lektion nicht gelernt zu haben. im Oktober desselben Jahres auf zehn Prozent Die zunehmende Ungleichheit steht in an. Die heutige Quote von 7,8 Prozent scheint krassem Gegensatz zu den meritokratischen zunächst besser, lässt sich jedoch vor allem auf Idealen eines Amerika, in dem jeder »es die Tatsache zurückführen, dass viele Menschen schaffen kann«, wenn er nur hart arbeitet und aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, nie Talent hat. Sie nimmt Kindern aus einkomm- Teil davon waren oder Teilzeitstellen angenom- mensschwachen Familien die Möglichkeit, men haben, da sie keine Vollzeitbeschäftigung ihre Potenziale zu entfalten. In anderen finden konnten. Eine hohe Arbeitslosigkeit reichen Ländern wie z.B. Kanada, Frankreich, drückt natürlich das Lohnniveau. Die inflati- Deutschland und Schweden haben Kinder onsbereinigten Reallöhne stagnieren oder sind im Verhältnis zu den USA größere Chancen, gesunken. Das durchschnittliche Einkommen erfolgreicher zu sein als ihre Eltern. Mehr als eines männlichen Arbeiters war im Jahr 2011 ein Fünftel unserer Kinder lebt in Armut – das (mit 32 986 Dollar) geringer als etwa 1968 ist der zweitschlechteste Wert aller entwickel- (33 880 Dollar). Im Gegenzug haben die sinken- ten Volkswirtschaften, schlechter als Bulgarien, den Steuereinnahmen zu gesamtstaatlichen und Litauen oder Griechenland. lokalen Kürzungen bei Leistungen geführt, die Unsere Gesellschaft verschwendet ihre gerade für die mittleren und unteren Einkom- wertvollste Ressource: unsere Jugend. Der mensgruppen entscheidend sind. Traum von einem besseren Leben, der Ge- Der größte Vermögenswert der meisten nerationen von ImmigrantInnen in unser US-AmerikanerInnen ist ihr Eigenheim. Mit Land lockte, wird durch die wachsende Schere dem dramatischen Preisverfall für Immobilien zwischen arm und reich zunichte gemacht. sanken folglich auch die Vermögen der Haus- Tocqueville, der in den 1830er Jahren den egali- halte – insbesondere, da so viele Menschen tären Impuls als wichtigstes Merkmal Ameri- so hohe Kredite für ihre Häuser und Woh- kas ansah, würde sich im Grabe umdrehen. nungen aufgenommen hatten. Der Nettowert Selbst wenn wir den ökonomischen des Ver­mögens vieler Haushalte nahm ab: Das Imperativ zur Behebung der Ungleichheit durchschnittliche Vermögen eines Haushalts ignorieren könnten, wären allein die Folgeschä- fiel um fast 40 Prozent von 126 400 Dollar den für unser soziales Gefüge und das politische im Jahr 2007 auf 77 300 Dollar im Jahr 2010 Leben Anlass genug zur Sorge. Ökonomische und erholte sich seitdem nur leicht. Seit Ungleichheit führt zu politischer Ungleichheit Beginn der Krise 2007 ging der größte Teil und zu einem dysfunktionalen demokratischen des Zuwachses des gesamtgesellschaftlichen Prozess. Ungeachtet der Beteuerungen Obamas, Reichtums an die Reichsten. allen AmerikanerInnen helfen zu wollen, mach- Während die Einkommen stagnierten oder ten die Rezession und die Folgen der Krisenbe- sanken, schnellten die Studiengebühren in die

24 luxemburg 2/2013 | Es reicht Höhe. In den USA führt der Weg zu höherer den. Stattdessen haben wir zugelassen, dass die Bildung – der einzigen sicheren Möglichkeit Jugendarbeitslosigkeit auf das Doppelte der lan- sozialen Aufstiegs – in die Verschuldung. Die desweiten Gesamtarbeitslosigkeit angestiegen Schuldenlast von Studienkrediten, die sich der- ist. Die Kinder der Reichen können die Schule zeit auf insgesamt eine Billion Dollar beläuft, beenden und die Universität besuchen, ohne übertraf 2010 zum ersten Mal die Gesamtver- sich ungeheure Schuldenlasten aufzuladen schuldung durch Kreditkarten. Schulden aus oder ihre Lebensläufe mit unbezahlten Praktika Studienkrediten erlöschen quasi nie, nicht aufzupeppen. Junge Menschen aus mittleren einmal bei Zahlungsunfähigkeit oder wenn das oder ärmeren Verhältnissen können das nicht. Kind verstirbt, für das die Eltern einen Studi- Wir säen die Saat künftiger Ungleichheit. enkredit aufgenommen hatten. Die (Hoch-) Die Regierung Obama trägt natürlich nicht Schulen sind von Profitstreben zugunsten allein die Schuld. Die drastischen Steuersen- ausbeuterischer Investoren getrieben. Die kungen 2001 und 2003 unter Präsident George Studienkreditschulden werden auch dann nicht W. Bush und seine Billionen verschlingenden erlassen, wenn Hochschulen eine unangemes- Kriege im Irak und in Afghanistan haben das sene Ausbildung anbieten, die Studierenden Sparschwein geschlachtet und die soziale Kluft mit irreführenden Versprechungen ködern und vertieft. Die neu ausgerufene Haushaltsdiszi- die Ausbildung nicht zu einem entsprechenden plin seiner Partei – die nicht mehr ist, als das Anstellungsverhältnis führt. Beharren auf niedrigen Steuern für die Reichen Statt Banken mit Geld zu überhäufen, und Kürzungen bei den Leistungen für die Ar- hätten wir versuchen können, unsere Wirtschaft men – ist der Gipfel der Scheinheiligkeit. Es gibt von unten her wieder aufzubauen. Eigenheim- allerhand Entschuldigungen für wirtschaftliche besitzerInnen, deren Schuldenlast höher ist als Ungleichheit. Manche behaupten, wir könnten der Wert ihres Hauses, hätte ein Neuanfang sie nicht beeinflussen und verweisen auf die gewährt werden können, indem die Wertminde- »Kräfte des Marktes«, auf Globalisierung, rungen durch entsprechende Teilabschreibun- Handelsliberalisierung und technologische gen der Kredite ermäßigt worden wären. Den Neuerungen oder auf den »Aufstieg des Rests Banken hätten im Gegenzug Anteile an den der Welt«. Andere versichern, ein Eingreifen in Gewinnen in Aussicht gestellt werden können, diesen Kreislauf würden uns alle zu Verlierern sollten sich die Immobilienpreise wieder machen, weil es unseren jetzt schon stotternden erholen. Obama hat die Banken gerettet, aber ökonomischen Motor abwürgen würde. All das nicht ausreichend in die ArbeiterInnen und sind eigennützige, ignorante Unwahrheiten. Studierenden investiert. Wir hätten erkennen Die Kräfte des Marktes existieren nicht in können, dass die Fähigkeiten junger Menschen einem Vakuum – wir gestalten die Rahmen- verkümmern, wenn sie arbeitslos sind. Wir bedingungen. Andere Länder, wie das schnell hätten sicherstellen können, dass sie sich alle wachsende Brasilien, haben die Bedingungen entweder in der Schule, der Universität, einer so gestaltet, dass sie ökonomische Ungleichheit Ausbildung oder in Arbeitsverhältnissen befin- reduzieren und gleichzeitig mehr Möglichkei-

Umverteilen? | Luxemburg 2/2013 25 ten und größeres Wachstum schaffen. Länder, manchmal auch zu Rigidität beitragen, so die weitaus ärmer sind als wir, haben beschlos- verfügen doch die Länder, die am erfolgreichs- sen, dass alle jungen Menschen Zugang zu ten auf die Krise reagierten, wie Deutschland Nahrung, Bildung und Gesundheitsversorgung oder Schweden, über starke Gewerkschaften bekommen sollten, damit sie ihre Hoffnungen und starke soziale Sicherungssysteme. Zu erfüllen können. Die gesetzlichen Rahmenbe- Beginn der zweiten Amtszeit Obamas müssen dingungen in den USA und die Art und Weise, wir daher alle anerkennen, dass unser Land wie sie umgesetzt werden, haben ebenfalls sich nicht schnell und nachhaltig von der Krise Spielräume geschaffen – allerdings vor allem erholen kann, ohne wirksame Maßnahmen für Missbrauch im Finanzsektor, für absurde gegen die Ungleichheit zu ergreifen. Wir brau- Abfindungen von Spitzenmanagern oder für chen eine umfassende Antwort, die zumindest Monopolisten, die ihre konzentrierte Macht breite Investitionen in Bildung, ein stärker ge- unrechtmäßig ausnutzen. staffeltes Steuersystem und eine Besteuerung Ja, der Markt wertet manche Fähigkeiten von Spekulationsgewinnen beinhalten sollte. höher als andere und diejenigen, die solche Die gute Nachricht ist, dass sich unser Fähigkeiten haben, werden erfolgreich sein. Ja, Denken gewandelt hat: Früher haben wir ge- Globalisierung und technologischer Fortschritt fragt, wie viel Wachstum wir für ein bisschen haben zum Verlust von Facharbeiterstellen in mehr Gleichheit und Chancengleichheit zu der Produktion geführt, die hier wahrschein- opfern bereit wären. Mittlerweile erkennen wir lich auch nicht wieder entstehen werden. Die den hohen Preis, den wir für unsere Ungleich- Beschäftigungszahlen in der Produktion sin- heit zahlen. Wir sehen, dass die Verringerung ken weltweit, schon allein durch die enorme sozialer Ungleichheit und die Förderung Produktivitätssteigerung. Und wahrscheinlich wirtschaftlichen Wachstums zusammenhän- wird nur ein schrumpfender Anteil der gen, komplementäre Ziele sind. Es liegt an uns insgesamt sinkenden Zahl neuer gewerblicher allen – unsere politische Führung inbegrif- Arbeitsplätze in den USA entstehen. Selbst fen –, den Mut und Weitblick aufzubringen, eine »Rettung« dieser Arbeitsplätze würde vor dieses erdrückende Elend endlich zu lin­dern. allem darin bestehen, besser bezahlte Arbeit in schlechter bezahlte Arbeit zu verwandeln – Aus dem Amerikanischen von Tashy Endres. wohl kaum eine längerfristige Perspektive. Der Text erschien zuerst auf http://opinionator. Die Globalisierung und die unausgegli- blogs.nytimes.com/2013/01/19. chene Art und Weise, in der sie vorangetrieben wurde, hat die Verhandlungsmacht der Ar- weiterlesen in LuXemburg-Online beiterInnen geschwächt: Firmen können mit www.zeitschrift-luxemburg.de Standortverlagerungen drohen – besonders Auf diesen Beitrag reagierten Paul Krugman, Keynesianer, wenn die Steuergesetzgebung Investitionen im Wirtschaftsnobelpreisträger und regelmäßiger Kolumnist der Ausland begünstigt. Dies hat die Gewerkschaf- New York Times, sowie Dean Baker, Co-Direktor des Center for Economic and Policy Research in Washington, D.C. ten geschwächt. Und obwohl Gewerkschaften Beide Texte in der Online-Ausgabe der LuXemburg.

26 luxemburg 2/2013 | Es reicht Installation von Steve Lambert, 2011, transmediale/flickr Rückverteilen!

Sabine Reiner Verteilungsgerechtigkeit ist Wahlkampfthema. Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung in Deutsch- land finden die Verteilung von Einkommen und Vermögen ungerecht. Wenn es ans Umvertei- len geht, ist die Zustimmung nicht mehr so eindeutig. Umverteilen scheint ein böses Wort, schwingt doch mit, dass jemandem etwas weggenommen werden soll. Davor schrecken viele zurück. Sie haben einschlägige Erfahrun- gen oder sie glauben, hohe Vermögen oder Einkommen stünden für Leistungsgerechtigkeit. Die Apologeten der Leistungsgesellschaft haben ganze Arbeit geleistet: Umverteilen macht ein schlechtes Gewissen, denn jeder weiß, dass Geld erst verdient werden muss, bevor es verteilt werden kann. Tatsächlich muss aber jeder Euro »erst erarbeitet werden, bevor er ›verdient‹ werden kann« so lautet der Gegen-Satz zum Ar- gument der Leistungsapologeten. Sehr treffend hat das Schweizer Denknetz deshalb vorgeschla- gen, von »Rückverteilen« zu sprechen, statt von Umverteilen (Ringger 2013).1

28 luxemburg 2/2013 | es reicht Umverteilung und Reichtumspflege täglich publiziert: Das Vermögen der Albrecht, Über die genaue Verteilung von Einkommen Schwarz, Otto, Klatten, Quandt, Plattner und und Vermögen kursieren unterschiedliche Zah- nochmals Quandt summierte sich am 10.5.2013 len. Ein wesentlicher Grund ist, dass offizielle laut Milliardärsindex auf 115,5 Milliarden Dollar Statistiken umso dürftiger werden, je höher (Bloomberg 2013). Im Richistan der Superrei- man bei den Vermögensverhältnissen kommt. chen wohnen weltweit 10–20 000 Personen, Das »Gesamtvermögen« besteht aus Geldvermö- darunter 2–3 000 Milliardäre (Krysmanski 2012, gen inklusive Wertpapieren und Beteiligungen 82f). Richistan ist übrigens eine Männerwelt: an Unternehmen, abzüglich Krediten und Laut der jährlich erscheinenden Liste des Wirt- anderen Verbindlichkeiten sowie Anlagegütern, schaftsmagazins Forbes waren 2012 von den Bauten und Bauland. Nicht eingerechnet wird 1 426 Dollar-Milliardären weltweit 138 weiblich. das Gebrauchsvermögen. Vom so definierten Das ist eine Frauenquote von 9,7 Prozent. Vermögen besaß nach dem kürzlich veröf- Sind die nackten Zahlen schon erschre- fentlichten 4. Armuts- und Reichtumsbericht ckend genug, kommt hinzu, dass die Vermö- im Jahr 2008 das vermögendste Zehntel der Bevölkerung 53 Prozent, 1998 waren es 45 Prozent. Die untere Hälfte dagegen besaß ein Sabine Reiner bewegt sich trittsicher in der Prozent – 1998 waren es immerhin noch drei linken Männerdomäne der Ökonomie: Sie ist Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik bei (BMAS 2013, 12). ver.di. Davor war die promovierte Politologin Das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor- Referentin in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, schung (DIW) hat die Verteilung in der Spitze deren stellvertretende Vorsitzende sie seit Ende durch die Methode der Hinzuschätzung für 2012 ist. An der Konzeption des Kongresses »Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit« war sie das Jahr 2007 ergänzt. Demnach konzent- maßgeblich beteiligt. rieren sich bei den reichsten zehn Prozent 67 Prozent des Vermögens, beim reichsten Hundertstel 36 Prozent und beim reichsten genskonzentration im Trend weiter zunimmt. Promille (das sind ca. 80 000 Personen) 22,5 Das ist Ergebnis von Reichtumspflege durch Prozent (DIW 2010, 52 und DIW 2011). Knapp Umverteilung bei Einkommen und bei der Steu- eine Million Geldvermögensmillionäre gibt es erbelastung. In Deutschland ist der Zuwachs mittlerweile hierzulande. Das Vermögen der beim Bruttoinlandsprodukt – also den im Inland 500 reichsten Deutschen summiert sich aktuell produzierten Gütern und Dienstleistungen – auf 500 Milliarden Euro. Sie gehören zu den seit der Jahrtausendwende praktisch ausschließ- Superreichen: eine ultraprivate und souveräne lich auf das Konto von Gewinn- und Vermögens- Gruppe, hierzulande wohl etwa 1 500 Personen einkommen geflossen. Preisbereinigt liegen die und Familien, deren Vermögen mehr als 500 ArbeitnehmerInnenentgelte aller Beschäftigten Millionen umfasst. Sieben von ihnen gehören heute zusammen nur minimal über dem Niveau zur Gruppe der »100 reichsten Menschen der des Jahres 2000, zwischenzeitlich lagen sie Welt«, die der Milliardärsindex von Bloomberg sogar fast fünf Prozent darunter. Gewinne und

umverteilt | luxemburg 2/2013 29 Löhne und Profite in Deutschland preisbereinigte Entwicklung 2000–2014 Prognose

140%

130%

120%

Unternehmens- und Vermögenseinkommen 110%

100% Arbeitnehmerentgelte

90% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Prognose: Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2013, eigene Preisbereinigung (Verbraucherpreise) Quelle: Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Prognose: Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2013, eigene Preisbereinigung (Verbraucherpreise)

Vermögenseinkommen dagegen liegen, eben- mit Tarifvertrag konnten ihre Realeinkommen falls preisbereinigt, um über 20 Prozent höher. gerade noch verteidigen. Wer aber ungeschützt Erreicht wurde diese völlig asymmetrische arbeiten muss, hatte dabei kaum Chancen. Verteilung der Ergebnisse gesellschaftlicher Zur Schieflage bei der Primärverteilung Arbeit durch eine rigorose Entwertung von kommt Reichtumspflege durch Steuerpolitik. Arbeit. Zwischen 2000 und 2012 wurden rund Gegenüber 1999 hat der Staat sich selbst zwei Millionen sozialversicherte, unbefristete um Einnahmen von 70 Milliarden Euro pro Vollzeitjobs vernichtet. Das angebliche Beschäf- Jahr gebracht. Die verschiedenen Reformen tigungswunder heute beruht auf einer Aus- haben die Einkommensungleichheit erheblich weitung von Minijobs, unfreiwilliger Teilzeit, verschärft, so eine Studie der Wiener Ökono- Leiharbeit und Werkverträgen. Diese prekären min Margit Schratzenstaller: »Der implizite Beschäftigungsverhältnisse und der zusätzliche Steuersatz auf Bruttolöhne und -gehälter wurde Druck durch die Zumutbarkeitsregeln von Hartz in Deutschland seit Anfang des vergangenen IV haben für eine Ausweitung und Verfestigung Jahrzehnts um 1,7 Prozentpunkte (und damit von Niedriglöhnen gesorgt. Mehr als ein Fünftel stärker als im EU15-Durchschnitt) reduziert. […] der Beschäftigten arbeitet für Niedriglöhne, Der Kapitalsteuersatz ging um 6,3 Prozentpunk- bei den Frauen ist es ein Drittel. Beschäftigte te und damit ein Mehrfaches im EU-Vergleich

30 luxemburg 2/2013 | es reicht zurück« (Schratzenstaller 2013, 25). Dagegen hat Verschuldete oder Schuldner sind, müssen die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Konsum Gläubiger sein, die gegenüber den Schuldnern belastet, was Schratzenstaller als »Schwächung einen Anspruch auf künftige Zahlungen, also des Leistungsfähigkeitsprinzips« (ebd., 24) Vermögen, haben. Wenn jemand Ersparnisse bezeichnet, weil indirekte Steuern geringere oder Vermögen anlegen will, müssen andere Einkommen stärker belasten.2 bereit sein, sich zu verschulden. Und wo viel Steuerentlastungen bei Gewinnen und Vermögen Anlage sucht, haben andere hohe hohen Einkommen haben außerdem eine Schulden: der Staat, private Investoren oder das Schieflage bezüglich Geschlechtergerechtigkeit. Ausland. In der Volkswirtschaftslehre ist dieser Zum einen leiden sozial Schwache und Frauen Zusammenhang unter dem Begriff »Saldenme- besonders darunter, wenn wegen geleerter chanik« bekannt. Die gesamtwirtschaftlichen Staatskassen öffentliche Angebote zurückge- Finanzierungssalden von privaten Haushal- stutzt oder verteuert werden. Zum anderen ten, Unternehmen, Staat und Außenhandel profitieren sie viel seltener von großzügigen addieren sich zu Null. Üblicherweise sparen Entlastungen wie der Senkung des Spitzensteu- private Haushalte – nicht jeder Einzelne, aber ersatzes von 53 auf nur noch 42 Prozent (bzw. 45 per Saldo alle zusammen – und verschulden Prozent bei zu versteuernden Jahreseinkommen sich Unternehmen, um zu investieren. In über 250 000 Euro). Im obersten Zehntel Deutschland haben allerdings Unternehmen, der EinkommensbezieherInnen, also bei in den Jahren 2004–2007 ebenfalls ›gespart‹, denjenigen, die am stärksten von der Senkung also per Saldo mehr Kredite getilgt als neue profitieren, sind Frauen nur noch zu 15 Prozent aufgenommen, und auch der Staat hat immer vertreten (Gender Datenreport 2005). weniger Schulden aufgenommen. Funktio- nieren konnte dies nur, weil sich das Ausland Schulden = Vermögen, oder: Schulden- gegenüber Deutschland verschuldet hat. In probleme sind Verteilungsprobleme den heutigen Krisenländern war es umgekehrt: Die Schuldenfrage ist in der Verteilungsdebatte Dort haben sich vor allem (Finanz-)Unterneh- das am stärksten mit Mythen behaftete Thema. Zumindest im deutschen Sprachgebrauch hat Vermögensverteilung jemand, der Schulden hat, Schuld auf sich gela- den: Er oder sie gibt mehr aus als sie hat (siehe Schwelle Durchschnitt Vermögen in Mrd. Euro »schwäbische Hausfrau«) und versündigt sich Reichstes 1% ab 770 000 Euro 3 700 000 Euro an kommenden Generationen. Ob die kommen- Reichste 10% ab 210 000 Euro 690 000 Euro den Generationen nicht ein funktionierendes Grundgesamtheit: Bildungs- oder Gesundheitssystem einem schul- 70 Mio. Personen, Reichstes 1%, 700 000; Reichstes 10%: 7 Mio. denfreien Staatshaushalt vorziehen würden, ist Nettovermögen der privaten Haushalte: Immobilienvermögen, Finanzvermögen und Versicherungsguthaben, Betriebsvermö- allerdings offen. Dass Vermögen die Kehrseite gen einschließlich Beteiligungen, Gold, Schmuck, Kunstsammlungen. Abzüglich der von Schulden sind, kommt eigentümlicherweise Verbindlichkeiten (Hypotheken u.a. Kredite). in der Schuldendebatte nicht vor. Aber: Wo Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2011

umverteilt | luxemburg 2/2013 31 Seit Jahrzehnten Steuergeschenke für Reiche ver.di Bundesvorstand Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer Bereich Wirtschaftspolitik

95% 90% 87% 1950 1980 2011

70%

60% 56,6% 56%

45% 40% 35%

USA frankreich schweden Deutschland

Quellen: OECD Tax Data Base, The Tax Foundation, Bundesministerium der Finanzen men und private Haushalte gegenüber dem zurückgeführt werden (Rhodes/Stelter 2011).3 Ausland immer stärker verschuldet. In der Schuldenabbau bei den einen ohne Anlage- Krise sind durch die bekannten Rettungsaktio- möglichkeiten für das dadurch frei werdende nen aus privaten Schulden der Unternehmen Vermögen bei den anderen kann jedenfalls (Banken) öffentliche Schulden dieser Länder rein logisch nicht funktionieren. Rückvertei- geworden. lung kann also einen relevanten Beitrag zur In Westeuropa stehen 27 Billionen Euro Behebung der Schuldenkrise leisten. an Geldvermögen einer öffentlichen Verschul- dung von zehn Billionen Euro gegenüber Rückverteilen – aber wo fängt (Allianz Global Wealth Report 2012). Nicht Reichtum an? von ungefähr hat die des Sozialismus un- Wenn es ums Rückverteilen geht, ist die Frage verdächtige Boston Consulting Group ein interessant, ab wann jemand reich ist. Bei Papier veröffentlicht, das zur Bekämpfung der einem Gesamtvermögen von über neun Billio- Schuldenkrise eine einmalige europaweite nen Euro in Deutschland beträgt das durch- Abgabe von 33 Prozent auf alle Geldvermögen schnittliche Vermögen pro Kopf über 100 000 oberhalb von 100 000 Euro zur Diskussion Euro. Betrachtet man nur das Geldvermögen, stellt. Damit könnte die Verschuldung inner- sind es 4,8 Billionen brutto und 3,3 Billionen halb Europas wieder auf ein tragbares Niveau Euro netto (Statistisches Bundesamt 2012).

32 luxemburg 2/2013 | es reicht Würde das durchschnittliche Gesamtver- mögen als Maßstab für die Rückverteilung genommen, bräuchten über 80 Prozent der Bevölkerung nichts zu befürchten. Schon ab einem Vermögen von 70 000 Euro gehört man zu den reichsten 20 Prozent – ein Ver- mögen, das die meisten nicht mit Reichtum assoziieren. Sind die oberen zehn Prozent reich? Schon ab einem Vermögen von 210 000 Euro gehört man dazu. Im Schnitt haben die reichsten zehn Prozent freilich ein Vermögen von fast 700 000 Euro. Auch in den oberen Sphären ist das Vermögen also stark konzen- triert. Werden Vermögensteuern oder -abgaben erst oberhalb eines Freibetrags von einer Million Euro erhoben, ist davon weniger als ein Prozent der Bevölkerung betroffen (vgl. Hersel/Troost in diesem Heft). Dies entspricht dem Vorschlag von ver.di: Mit einer regelmäßigen Vermögen- steuer in Höhe von einem Prozent besteuert werden sollen Nettovermögen über einer Million Euro pro Erwachsenem und 200 000 Euro pro Kind. Das jährliche Aufkommen würde bei rund 20 Milliarden Euro liegen (ver.di 2012). Zusätzlich zur Vermögensteuer soll eine einmalige Vermögensabgabe analog zum Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben werden. Auch hier wäre ein Freibetrag von einer Million Euro zu gewähren. Die Abga- be soll progressiv sein: Zunächst zehn Prozent, oberhalb eines Vermögens von zehn Millionen Euro sollen es 20 Prozent und ab 100 Millionen Euro 30 Prozent sein. Allerdings würde die Abgabe über einen Zeitraum von zehn Jahren gestreckt, sodass maximal drei Prozent pro Jahr fällig würden. Auch beim Lastenausgleich gab

es eine zeitliche Streckung über 30 Jahre, die working class, sunxez/flickr

umverteilt | luxemburg 2/2013 33 Abgabe hatte damals sogar eine Höhe von 50 Prozent. Prinzipiell spricht nichts gegen eine Prozent. Eine so gestaltete Vermögensabgabe solche Höhe. In Frankreich haperte es lediglich würde insgesamt 300 Milliarden Euro erbrin- an einer technisch korrekten Umsetzung. Nur gen. Das entspricht ziemlich genau dem durch Einzelpersonen mit einem Jahreseinkommen Bankenrettungsmaßnahmen verursachten von über einer Million Euro hätten den neuen Anstieg der öffentlichen Verschuldung. Spitzensteuersatz zahlen müssen, egal ob allein Erheblichen Spielraum zum Rückverteilen oder mit Familie. Eine Familie, in der beide gibt es jedoch nicht nur bei den Vermögen, Eltern je 900 000 Euro Jahreseinkommen sondern auch bei den Einkommen. Ende der erzielen, wäre nicht betroffen gewesen. Dies 1980er Jahre war das Gehalt von Dax-30-Mana- wurde zu Recht als Ungleichbehandlung kriti- gern 14mal so hoch wie das Durchschnittsgehalt siert. Der politische Wille vorausgesetzt, wäre der bei ihnen Beschäftigten, heute ist es 49mal eine Nachbesserung möglich. Und aus der Welt so hoch. Der VW-Vorstandsvorsitzende erhält sind solche Steuersätze beileibe nicht, nur etwas mehr als 45 000 Euro am Tag. Für das Jahres- aus der Mode. Immerhin beträgt auch heute der gehalt des Deutschbankers Anshu Jain müsste Spitzensteuersatz in Schweden noch 56 Prozent. eine Erzieherin 390 Jahre arbeiten. Von dort ist nichts über einen Massenexodus Sicherlich muss zuerst bei den Primär- von Millionären bekannt. Besser aber noch ist einkommen angesetzt werden. Dazu sind die Orientierung an den USA bis zur Amtsüber- in Deutschland existenzsichernde Löhne nahme von Ronald Reagan: Spitzensteuersatz nötig, eine Rückabwicklung der Agenda 70 Prozent. Und in Zeiten finanzieller Notstän- 2010 und endlich ein gesetzlicher Mindest- de bei den öffentlichen Haushalten – wie zum lohn. Europaweit müssen die Angriffe auf Beispiel heute – waren durchaus Einkommen- Arbeitnehmerrechte zurückgenommen und steuersätze von über 90 Prozent üblich. Tarifvertragssysteme geschützt werden. Einen Als letztes Beispiel für Ansatzpunkte zum wegweisenden Vorschlag haben außerdem Rückverteilen sei die Bekämpfung von Steu- die Schweizer Jusos unterbreitet: Sie haben erflucht und Steuerhinterziehung genannt. die Volksinitiative »1:12 – Für gerechte Löhne Die einseitige Orientierung am Wettbewerb – gestartet, die verlangt, dass der höchste von der Nationen in der EU und weltweit ist auch einem Unternehmen bezahlte Lohn nicht an nationalen Steuerbehörden nicht vorbeige- höher sein darf als das Zwölffache des nied- gangen. Diese werden gleich von zwei Seiten rigsten vom gleichen Unternehmen bezahlten in die Zange genommen. Erstens gilt lasche Lohnes. Abgestimmt werden soll darüber im Steuerprüfung als Standortvorteil und zwei- November 2013 oder Frühjahr 2014. tens sind die Steuerbehörden von Kürzungen Flankierend kann aber auch die Einkom- in den angeblich aufgeblähten Staatsapparaten mensteuerpolitik zur Rückverteilung genutzt betroffen. Eine Studie für den Europäischen werden. »Gerechtigkeitsterror«, lautete eine der Gewerkschaftsbund des Öffentlichen Dienstes Schlagzeilen zum französischen Vorschlag für (EGÖD) zeigt, dass seit 2007 in 24 von 28 eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 75 Ländern Europas Stellen bei Steuerbehörden

34 luxemburg 2/2013 | es reicht abgebaut wurden, teilweise um über zehn Sicherheit muss für alle möglich sein. Ohne Prozent (EPSU 2013).4 Rückverteilung wird das nichts. Steuerflucht und Steuerhinterziehung ist Literatur ein Reichensport, auch wenn gerne »der klei- Allianz (Hg.), 2012: Global Wealth Report, www.allianz.com/ ne Mann« angeführt wird, der doch auch bei de/economic_research/publikationen/spezialthemen/ agwr12d.html der Steuererklärung ein paar Kilometer mehr Bloomberg (Hg.), 2013: Bloomberg Billionairs. Today’s ranking für den Weg zur Arbeit angibt. Die meisten of the world’s richest people, www.bloomberg.com/billio- naires/2013-05-09/aaa/aaapa kommen mit der Pendlerpauschale nicht EPSU (Hg.), 2013: Impact of austerity on jobs in tax services über den Arbeitnehmerfreibetrag hinaus, der and the fight against tax fraud and avoidance in EU 27 + Norway. Report commissioned by EPSU (EGÖD) sowieso gewährt wird. Der wesentliche Unter- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), 2013: Lebens- lagen in Deutschland -– Vierter Armuts- und Reichtumsbericht schied zu wirklich Reichen ist: Bei Beschäftig- der Bundesregierung, 7. März 2013 ten wird die Lohnsteuer direkt an der Quelle Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2010: Aufkom- mens- und Verteilungswirkungen einer Grünen Vermögensab- abgezogen, nämlich vom Arbeitgeber. Da gabe, Berlin (sowie ergänzend, dass. 2011: Berechnungen bleibt keine Gestaltungsmöglichkeit. Die ha- des DIW auf Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) 2007, Tabelle unter https://wipo.verdi.de/wirt- ben nur diejenigen, die Kapital und Vermögen schaftspolitik_aktuell/data/DIW-Zahlen.pdf) besitzen, aus denen sie Einkünfte erzielen. Gender Datenreport, 2005: Erster Datenreport zur Gleichstel- lung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Wenn die hoch anmutenden Schätzungen von Deutschland, München rund einer Billion Euro Einnahmeverlusten Krysmanski, Hans Jürgen, 2012: 0,1 %. Das Imperium der Milli- ardäre, Frankfurt durch Steuerflucht und -hinterziehung in Rhodes, David, und Daniel Stelter, 2011: Back to Mesopotamia? Europa zutreffen – auch der EU-Kommissar The Looming Threat of Debt Restructuring, Boston Ringger, Beat, 2013: Rückverteilen und die Welt retten. Denknetz Semeta verwendet diese Zahl –, würde es nur Diskussionspapier 7 zehn Jahre dauern, um die gesamten akku- Schratzenstaller, Margit, 2013: Für einen produktiven und solide finanzierten Staat. Studie im Auftrag der Abteilung Wirt- mulierten öffentlichen Schulden allein durch schafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin diese Einnahmen verschwinden zu lassen. Statistisches Bundesamt (Hg.), 2012: Sektorale Vermögens­ bilanzen und Finanzstatistik, Berlin Die nackten Zahlen zeigen: Umverteilung Ver.di, 2012: Vermögensteuer und Vermögensabgabe, in: hat zu einer gewaltigen Schieflage bei Ein- ­Wirtschaftspolitische Informationen 5, www.wipo.verdi.de kommen und Vermögen geführt. Reichtum 1 Zu Mythen in der Verteilungsdebatte siehe außerdem hat sich sehr hartnäckig bei einem sehr ver.di: Antworten auf Einwände gegen Gerechtigkeit, https:// kleinen Teil der Bevölkerung festgesetzt. Ver- wipo.verdi.de/argumente. 2 Deutlich auch das Handelsblatt v. 20.8.2012: »Die mögensteuer und Vermögensabgabe, höhere Superreichen wurden überproportional stark entlastet und Einkommensteuer oder Kampf gegen Steuer- zahlen seitdem relativ gesehen weniger Steuern. So müssen die 50 Superreichen nur noch 29 Prozent ihres Einkommens kriminalität treffen keineswegs die breite Mit- abgeben, stolze 19 Prozentpunkte weniger als zu Kanzler telschicht oder gar die wahren Leistungsträger, Kohls Zeiten.« 3 Unter einem tragbaren Niveau verstehen die wie die Lobby der Reichen uns weismachen Autoren eine Gesamtverschuldung von 180 Prozent am will. Sie sind, neben der dringend nötigen Bruttoinlandsprodukt, abgeleitet aus einer jeweiligen Verschuldung der drei Sektoren (öffentliche Haushalte, Korrektur bei der Primärverteilung, erste Unternehmen und private Haushalte). Ansatzpunkte zum Rückverteilen. Leistung 4 Der Bericht entstand im Rahmen der EGÖD-Kampagne »Where has the money gone? We want it back: Europe’s muss sich lohnen und ein Leben in sozialer missing € 1 Trillion«, www.notaxfraud.eu.

umverteilt | luxemburg 2/2013 35 2011

Frauen in Deutschland verdienen durchschnittlich 23% weniger als Männer. Sie müssen etwa also drei Monate länger arbeiten, um gleich viel Geld auf dem Konto zu haben. Umgerechnet auf das Arbeitsjahr 2011 hätten Frauen vom 1. Januar 2011 bis zum 23. März 2012 arbeiten müssen, um dasselbe wie Männer zu verdienen (»Equal Pay Day«). E2

70% der erwerbstätigen Mütter in Beschissatlas Deutschland arbeiten in Teilzeit, aber nur 5% der erwerbstätigen Väter. Schluss mit der Hirnvernebelung!­ Ungefähr jede 8. erwerbstätige Frau Ute Scheub und Yvonne Kuschel ­illustrieren Zahlen und Fakten über hat einen Minijob, bei dem sie nur den Beschiss dieser Gesellschaft. minimale Rentenansprüche erwirbt. Fol- Schieflagen werden anschaulich. ge: Im Alter oder bei Scheidung droht Armut. Eine Sachverständigenkommissi- on, die 2011 im Auftrag des Bundes- familienministeriums den ersten Gleich- stellungsbericht erstellt hat, forderte deshalb, die steuerliche Förderung von Minijobs aufzugeben. E3

53% der arbeitenden Frauen welt- weit sind laut UN Women in pre- kären Jobs beschäftigt, oft ohne Schutz durch Arbeitsgesetze – zum Beispiel als kleine Selbst- ständige oder Straßenverkäufe- rinnen. E4

Entnommen aus: Yvonne Kuschel, Ute Scheub: Beschissatlas, © 2012 Ludwig Buchverlag, ­München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

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Frauen | Männer | Kinder 87

ATLAS_02|01.indd 87 13.06.2013 17:41:45 Uhr Eine alleinstehende Geringverdie - Top-Verdienende müssen weltweit immer nende muss in Deutschland knapp weniger Steuern zahlen. Von 2003 bis 2009 45% ihres Arbeitgeberbruttos für sank der Spitzensteuersatz laut einer Studie Steuern und Sozialabgaben aus- der Beratungsgesellschaft KPMG in 86 Ländern geben. Ein Multimillionär hingegen von durchschnittlich 31,2% auf 28,9%. 37 Länder B17 kommt nur auf eine durchschnitt- hatten ihren Steuerhöchstsatz gesenkt. liche Steuerlast von 28,7%. B16

Nur 5% der in wohnenden

Einkommensmillionäre erlebten 2009 eine Außenprüfung der Steu - erbehörden. In keinem anderen Bundesland wohnen so viele Millio - näre, und nirgendwo wurden sie

so wenig kontrolliert. Nach Ansicht von Steuerexperten ist das poli - tisch gewollt. In Deutschland

gibt es etwa 30 000 Spitzenver- dienende mit Jahreseinkommen von über einer halben Million Euro. 2008 wurden jedoch nur 1 770 »Steuerpflichtige mit bedeuten - dem Einkommen« kontrolliert. B18

Der deutsche Staat finanziert sich zu 60% durch Steuern und Abga- ben, die den Faktor Arbeit belas- ten. Umweltsteuern, die sowohl die Arbeitenden als auch die Natur entlasten würden, machenhinge gen nur 5,5% der Staatsfinanzen aus. B19

46 Arbeit und Wirtschaft

ATLAS_02|01.indd 46 13.06.2013 16:46:55 Uhr Eine alleinstehende Geringverdie - Top-Verdienende müssen weltweit immer nende muss in Deutschland knapp weniger Steuern zahlen. Von 2003 bis 2009 45% ihres Arbeitgeberbruttos für sank der Spitzensteuersatz laut einer Studie Steuern und Sozialabgaben aus- der Beratungsgesellschaft KPMG in 86 Ländern geben. Ein Multimillionär hingegen von durchschnittlich 31,2% auf 28,9%. 37 Länder B17 kommt nur auf eine durchschnitt- hatten ihren Steuerhöchstsatz gesenkt. liche Steuerlast von 28,7%. B16

Nur 5% der in Hamburg wohnenden

Einkommensmillionäre erlebten 2009 eine Außenprüfung der Steu - erbehörden. In keinem anderen Bundesland wohnen so viele Millio - näre, und nirgendwo wurden sie so wenig kontrolliert. Nach Ansicht von Steuerexperten ist das poli - tisch gewollt. In Deutschland gibt es etwa 30 000 Spitzenver- dienende mit Jahreseinkommen von über einer halben Million Euro. 2008 wurden jedoch nur 1 770 »Steuerpflichtige mit bedeuten - dem Einkommen« kontrolliert. B18 Ein Betriebsprüfer der Finanzämter treibt durchschnittlich 1 Million Euro pro Jahr ein. Bundesweit fehlen der- Der deutsche Staat finanziert sich zeit laut Ver.di 2 700 Betriebsprüfe- - zu 60% durch Steuern und Abga rinnen und 300 Steuerfahnder. B20 ben, die den Faktor Arbeit belas- ten. Umweltsteuern, die sowohl die Arbeitenden als auch die Natur entlasten würden, machenhinge gen nur 5,5% der Staatsfinanzen aus. B19

46 Arbeit und Wirtschaft 47

ATLAS_02|01.indd 46 13.06.2013 16:46:55 Uhr ATLAS_02|01.indd 47 13.06.2013 16:47:03 Uhr Schulden sind Umverteilungsmaschinen zugunsten der Besitzenden. Das Zinsniveau von Staatsanleihen und anderen Geldanlagen liegt zumeist über der Wachstumsrate, sodass die Besitzeinkommen schneller wachsen als die Gesamtwirtschaft. Deshalb muss ein ständig steigender Anteil der Staatseinnahmen für den Zinsendienst aufgewendet werden, die Verschuldung steigt und steigt. In den USA und Deutschland liegt die Verzinsung der Staatsanleihen allerdings momentan unter der Inflationsrate. D6

Wenn man die Schuldendienste der armen Länder an die reichen Staaten einrechnet, sind es die Armen, die den Reichen Ent- wicklungshilfe leisten. Ihr Zinsendienst liegt seit Jahrzehnten über den Beträgen, die sie als Entwicklungshilfe erhalten. Viele dieser Schulden sind illegitim: Sie entstanden etwa durch Luxusankäufe von Diktatoren oder Waffenlieferungen. D7

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ATLAS_02|01.indd 72 13.06.2013 17:38:04 Uhr Schulden sind Umverteilungsmaschinen zugunsten der Besitzenden. Das Zinsniveau von Staatsanleihen und anderen Geldanlagen liegt zumeist über der Wachstumsrate, sodass die Besitzeinkommen schneller wachsen als die Gesamtwirtschaft. Deshalb muss ein ständig steigender Anteil der Staatseinnahmen für den Zinsendienst aufgewendet werden, die Verschuldung steigt und steigt. In den USA und Deutschland liegt die Verzinsung der Staatsanleihen allerdings momentan unter der Inflationsrate. D6

Wenn man die Schuldendienste der armen Länder an die reichen Staaten einrechnet, sind es die Armen, die den Reichen Ent- wicklungshilfe leisten. Ihr Zinsendienst liegt seit Jahrzehnten über den Beträgen, die sie als Entwicklungshilfe erhalten. Viele dieser Schulden sind illegitim: Sie entstanden etwa durch Luxusankäufe von Diktatoren oder Waffenlieferungen. D7

72 Schulden | Bildung | Gesundheit 73

ATLAS_02|01.indd 72 13.06.2013 17:38:04 Uhr ATLAS_02|01.indd 73 13.06.2013 17:38:09 Uhr Almosen – nein danke!

Ueli Mäder Kürzlich suchte ich in einem Spielwarenge- schäft ein Geschenk aus. Der Verkäufer beriet mich sachkundig, schleppte das große Paket über den Ausgang hinaus bis zur Bushaltestelle und lehnte mein zusätzliches Entgelt mit dem Hinweis ab, bloß seine Pflicht zu tun und kein Trinkgeld zu benötigen. Seine Haltung kontras- tierte meine etwas hilflose Geste, im Kleinen symbolisch umzuverteilen, was im Großen weder bei den verfügbaren Einkommen noch bei den privaten Vermögen klappt. Und schon gar nicht bei der Teilhabe an der Wirtschaft.

Soziale Brisanz verschärft sich Seit Ende der 1980er Jahre setzt sich in der Schweiz ein finanzkapitalistisches Regime durch, das soziale Gegensätze legitimiert, Kapitalgewinne forciert und die wirtschaftliche Macht weiter konzentriert. Zwei Finanzins- titute, die Crédit Suisse und UBS, vereinen die Hälfte des gehorteten Bankenkapitals. Sie verfügen mit multinationalen Konzernen wie Nestlé und Novartis zusammen über viel Ein-

42 luxemburg 2/2013 | es reicht fluss, können staatliche Einrichtungen dazu Politische Macht verhält sich oft schwach bewegen, Verluste abzudecken, Steuervorteile gegenüber wirtschaftlich Starken und stark zu gewähren und hohe Preise zu akzeptieren. gegenüber sozial Schwachen. Härtere soziale Zum Beispiel für Medikamente. Dabei helfen Gegensätze bestätigte mir auch Daniel Vasella, ständige Drohungen, in autoritär geführte der langjährige CEO und Verwaltungsratsprä- Regionen abzuwandern, die Kartelle noch sident von Novartis. Er fragte jedoch zurück, rigoroser und ›liberaler‹ zu schützen. was daran problematisch sei, es dynamisiere Nach dem Zweiten Weltkrieg tendierte der doch die Entwicklung. Andere Reiche sorgen politisch liberale Kompromiss zwischen Kapital sich mehr um den gesellschaftlichen Zusam- und Arbeit immerhin noch zu einem beschränk- menhalt. Einzelne hoffen sogar, die Finanzkrise ten sozialen Ausgleich. Mit dem Aufschwung möge zu einem Umdenken und dazu führen, des Neoliberalismus verbreitete sich eine neue das demokratische Korrektiv gegenüber Markt- und Kapitalgläubigkeit. Der Markt kommerziellen Interessen zu stärken. Viele bestimme doch den Wert der Arbeit, sagte mir Reiche lehnen indes politische Eingriffe ab. Gerhard Schwarz, Direktor von Avenir Suisse, einer Denkfabrik der Wirtschaft. Seitdem ver- stärken sich nun vier Trends. Erstens nimmt die Ueli Mäder ist Ordinarius für Soziologie an der Erwerbslosigkeit zu. Wenn Maschinen manuelle Universität Basel und Professor an der Hochschule Arbeit ersetzen, könnte uns das zwar mehr Zeit für Soziale Arbeit. Er forscht zu der Frage, »Wie Reiche denken und lenken« (2010). und Geld bescheren, zumal die Produktivität steigt. Es hapert aber an der Verteilung. Zweitens halten Teile der nominell steigenden Löhne Sie begnügen sich mit privaten Zuwendungen mit den Lebenshaltungskosten nicht Schritt. an soziale Stiftungen oder beruhigen sich mit Das führt vor allem zu mehr erwerbstätigen kleinen Gesten gegenüber Bediensteten und Armen (working poor). Drittens orientiert sich nennen das direkte Umverteilung. das überforderte System der sozialen Sicherheit einseitig an der Erwerbsarbeit, es ignoriert neue Für wenig Entgelt Lebenslagen. So geraten viele Alleinlebende, Michel Müller ist Landschaftsgärtner. Er pfleg- Alleinerziehende und Familien mit Kindern in te während der letzten Jahrzehnte die Gärten Bedrängnis. Dies auch deshalb, weil die Schweiz mehrerer Villen und erzählte mir von seinen seit 2004 trotz enorm steigendem Reichtum Erfahrungen. Er erlebte wenig Knauseriges weniger Anteile ihres Bruttoinlandsproduktes und viel Großzügiges, wobei ihn das manch- für soziale Sicherheit bereitstellt (BSV 2012). mal irritierte. Bei einem reichen Paar holte ihn Viertens erhöht sich die soziale Kluft zwischen ein Chauffeur ab und sein Tageswerk begann den verfügbaren Einkommen und den privaten mit einem zweiten Frühstück, auch gab es Vermögen (Mäder et al. 2010). Und das politisch immer Zwischenverpflegungen. Sie vermit- demokratische Korrektiv ist nicht in der Lage, telten ihm den Eindruck, mehr Unterhalter die soziale Polarisierung zu verhindern. denn Gärtner zu sein. War der Garten wieder

umverteilt | luxemburg 2/2013 43 »zwäg« [in gutem Zustand], bat ihn »Madame« gewünscht, alleine. »Denn Reiche fürchten schon bald etwas nachzubessern. »Aber ich nichts so sehr, als wenn man über sie spricht.« wusste beim besten Willen nicht was.« Auf seine Verschwiegenheit war Verlass. »Mir Michel Müller kam fünfeinhalbjährig in sind gute Beziehungen mehr wert als Geld.« ein Waisenhaus. Der Heimleiter züchtigte ihn oft. Später arbeitete er in einer Gärtnerei. Wollte nichts von hier Während der Rezession verlor er seine An- Nadia Degen diente ebenfalls bei Reichen. stellung. Er half nun bei einer Tankstelle aus. Für 22 Franken (ca. 18 Euro) pro Stunde. Sie Bis sich die Kundschaft zunehmend selber arbeitete für eine private Pflegefirma. »Bei bediente. Über ein Zeitungsinserat bot er sich einem alten Ehepaar schwimmte ich im Lob«, nun für minimales Entgelt als Gärtner an und erzählte sie mir. Das tat ihr gut. Sie waren erhielt schon bald mehrere Anfragen. Sein nett. »Und wir mussten hier eine 24-Stunden- Kleinunternehmen florierte, ruinierte aber Betreuung organisieren.« Das kostete 30 000 seine Gesundheit. Deshalb konzentrierte er Franken im Monat, mit Köchin, Pflegefach- sich auf wenige Reiche. Das tat auch seinem frau, Nachtwache und allem. Anders verhielt Selbstwertgefühl gut. es sich an einem andern Ort. »Die Herrin »Ich war selbstständig und mein eigener herrschte mich immer wieder an und behan- Meister«, erzählt Michel Müller. »Ein Direktor delte mich als Gesinde. Und wenn sie telefo- kam schon am ersten Tag extra zum Mittag- nierte, befahl sie mir manchmal während des essen heim, um mit mir die Gestaltung des Gespräches, noch dies oder jenes zu tun. Sie Gartens zu besprechen. Und weil er eine halbe musste irgendwas beweisen und stellte mich Stunde zu spät kam, erlaubte mir seine Frau, gegenüber andern als ihre Putzfrau vor.« in der Zwischenzeit das Haus zu besichtigen. Eine andere Frau legte beim Essen ihre In der Regel wurde ich zum Kaffee eingeladen. Prothese ins Trinkglas. »Manchmal tätschelte Als ob ich ein Eigner wäre. Nur wenige ließen sie mir mit ihrem Stock auf mein Hinterteil mir die Suppe nach draußen bringen. Aber und musste dann kichern, auch wenn sie zum viele leben ja selber auch eher bescheiden.« Spaß grobe Schimpfwörter benutzte. Oder sie Wobei der Schein manchmal trügt. So erwies versuchte, mich zu erschrecken. Ihre Tochter sich ein besserer Geräteschuppen als Luxus- konnte nicht einmal zuschauen, wenn wir sauna mit offenem Kamin. In einer Loggia ihrer Mutter die Windeln wechseln mussten. entdeckte er einen Swimmingpool. Aber Sie hielt die Hilflosigkeit ihrer Mutter nicht diese Superreichen profitierten gleichwohl aus, die mit mir noch nach Argentinien wollte. bei Einkäufen von seinen Rabatten, die er im Und als einmal eine Kreditkarte herumlag, Gartenbaugeschäft erhielt. Sie akzeptierten sagte sie mir, ich könne die Karte entsorgen. auch seinen tiefen Lohn, gaben ihm aber etwas Ich begleitete die gute Frau dann zur Bank. mehr Trinkgeld. Und da stellte sich heraus, dass noch 60 000 Michel Müller brauchte etwa zwei Franken auf diesem Konto lagen. Sie hob Wochen für einen Garten. Er arbeitete, wie dann 10 000 Franken Haushaltsgeld ab,

44 luxemburg 2/2013 | es reicht Bei der Rente subventioniert die Unterschicht die Elite. Männer mit weniger als 1 500 Euro brutto im Monat werden laut einer Studie des Gesundheitsexperten im Schnitt nur 72 Jahre Der Wert der Renten in Deutschland alt, Männer mit über 4 500 Euro Der Wert der Renten in Deutschland ist seit 2001 real um 7% gefallen. dagegen fast 80. Sie beziehen also ist seit 2001 real um 7% gefallen. Grund: Inflation und Sozialkosten rund 8 Jahre länger Rente. Nur Grund: Inflation und Sozialkosten steigen schneller als die Alters- 79% der geringverdienenden steigen schneller als die Alters- bezüge. Gleichzeitig nimmt die Männer erreichen überhaupt das bezüge. Gleichzeitig nimmt die Altersarmut zu: Immer mehr alte und Rentenalter, bei den Einkommens- Altersarmut zu: Immer mehr alte und kranke Menschen sind auf staat- starken sind es hingegen 91%. kranke Menschen sind auf staat- liche Sozialleistungen angewiesen. D14 In Schweden ist diese Kluft deut- liche Sozialleistungen angewiesen. D14 lich kleiner und beträgt nur 2 Jahre. D17

In Deutschland steigt die Zahl der In Deutschland steigt die Zahl der Älteren, die arbeiten müssen oder Älteren, die arbeiten müssen oder auf Sozialleistungen angewiesen auf Sozialleistungen angewiesen sind, weil ihre Rente nicht ausreicht. sind, weil ihre Rente nicht ausreicht. 2010 gingen rund 660 000 Menschen 2010 gingen rund 660 000 Menschen zwischen 65 und 74 Jahren einer zwischen 65 und 74 Jahren einer geringfügigen Beschäftigung (Mini- geringfügigen Beschäftigung (Mini- job) nach. Besonders grassiert die job) nach. Besonders grassiert die Altersarmut unter Frauen, die wegen Altersarmut unter Frauen, die wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht der Betreuung ihrer Kinder nicht voll erwerbstätig waren und keine voll erwerbstätig waren und keine D15 oder geringere Gehälter bezogen. D15 oder geringere Gehälter bezogen.

Bei der Rente subventioniert die Unterschicht die Elite. Männer mit weniger als 1 500 Euro brutto im Monat werden laut einer Studie des Gesundheitsexperten Karl Lauterbach im Schnitt nur 72 Jahre alt, Männer mit über 4 500 Euro dagegen fast 80. Sie beziehen also rund 8 Jahre länger Rente. Nur 79% der geringverdienenden Männer erreichen überhaupt das Rentenalter, bei den Einkommens- starken sind esPrivate hingegen Rentensysteme 91%. sind unsicherer, ungerechter und wesentlich Private Rentensysteme sind unsicherer, ungerechter und wesentlich In Schweden istteurer diese als Kluft das deut öffentliche- Umlageverfahren bei den gesetzlichen teurer als das öffentliche Umlageverfahren bei den gesetzlichen lich kleiner undRenten. beträgt Die nur Gebühren 2 für Banken und Versicherungen machen private Renten. Die Gebühren für Banken und Versicherungen machen private Jahre. D17 Vorsorge kostspieliger als öffentliche. Viele Fonds haben höhere Vorsorge kostspieliger als öffentliche. Viele Fonds haben höhere Verwaltungskosten als die öffentlichen Rentenkassen. Manche Pensi- Verwaltungskosten als die öffentlichen Rentenkassen. Manche Pensi- onsfonds haben sich zudem in der Finanzkrise kräftig verzockt. D16 onsfonds haben sich zudem in der Finanzkrise kräftig verzockt. D16 78 78 Schulden | Bildung | Gesundheit 79

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Nachweise Seite 36–41, 45: B16 OECD, Taxing Wages, 2011; Stefan Bach et al., Effective Taxation D7 Weed, Schuldenreport 2004, www.erlassjahr.de of Top Incomes in Germany, Working Papers June 2011 D14 Rentner verlieren an Kaufkraft, Spiegel Online 5.7.11 B17 www.kpmg.de/Presse/15728.htm; Daniel Gratzla, D15 dapd und epd 22.8.11 Top Verdiender zahlen weniger Steuern, Tagesspiegel 25.8.09 D16 Felber, 50 Gründe, S. 78 B18 Claus Hulverscheidt, Millionäre bevorzugt, SZ 4.3.11; D17 Ulrike Hermann, a.a.O, S. 175; Karl Lauterbach, Ulrike Hermann, Hurra, wir dürfen zahlen, FfM 2010, S. 143f Der Zweiklassenstaat, Berlin 2008, S. 128ff B19 Forum Öko-Soziale Marktwirtschaft, www.foes.de, 2.8.11 E2 www.equalpayday.de B20 http://wipo.verdi.de/broschueren/skandal-steuervollzug_1; E3 Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Hermann, a.a.O. www.bmfsfj.de, Juni 2011 D6 Felber, 50 Gründe, S. 53, 59, E4 UN Women Report 6.7.11, www.unwomen.org

Schulden | Bildung | Gesundheit 79

ATLAS_02|01.indd 79 13.06.2013 17:40:14 Uhr obwohl 400 gereicht hätten. Ihre Tochter ablenken wolle, projiziere sie gerne auf andere. anerbot mir, für meine Dienste ein Bild Er verbinde ökonomische Interessen mit etwas auszuwählen. Aber ich wollte nichts von hier. Philanthropie. Das verleihe der eigennützigen Die einen suchen Wärme und wollen dich Botschaft mehr Würde. Soweit psychologische als Tochterersatz, bei andern musst du den Deutungen. Sie sind durchaus relevant, aber Hintereingang benutzen. Sie wollen einfach etwas trügerisch. Nämlich dann, wenn sie den ihr Ego befriedigen.« Anschein erwecken, nette Mächtige könnten strukturelle Krisen verhindern und eine Sie heben ab soziale Wirtschaftspolitik durchsetzen. Über das Ego von Reichen sprach ich auch mit Gerhard Dammann, Leiter der Psychiatrischen Trügerisch Macht verschieben Klinik Münsterlingen. Er beschreibt den Nar- Trügerisch können auch berechtigte Kritiken zissmus als Motor für Erfolg. Narzissten fehle an den hohen Boni sein. Auf CEOs fokussiert, die Bodenhaftung und das Gefühl für Grenzen. lenken sie davon ab, wie jene sich selbst berei- Sie heben ab und sehen in andern viel Feind- chern, die große Unternehmen besitzen. Dank liches, um sich besser über sie erhöhen zu mehr »Aktionärsdemokratie« lassen sich auch können. Sie gewähren wenig Unterstützung, Dividenden weiter erhöhen. Darauf wies mich weil die Energie eigenen Zielen nutzen soll. sogar der ehemalige VR-Präsident der Novartis Zudem verlangt die Konkurrenz, sich gegen hin. Er hätte bei seinem Abgang im Frühjahr andere durchzusetzen. Was zählt, ist der eigene 2013 noch 72 Millionen Franken erhalten Selbstwert. Erfolg verkommt zum Selbstzweck. sollen, um in den nächsten Jahren bei keinem Wer sich selbst überhöht, hält andere auf neuen Konzern anzuheuern. Auf meine Dis­tanz, die einen bewundern sollen. Die Forderung, die oberen Einkommen zu senken, Angst vor Nähe verunmöglicht Empathie. Der meinte Daniel Vasella, dann fließe bloß mehr Narzissmus führt zu einem Zynismus, der Geld – am Fiskus vorbei – zu den Aktionären. andere entwertet und Neid schürt. Besonders Ob sich zunehmend Macht von den im oberen Kader. Mächtige streben nach mehr Besitzenden zum Management verlagert, ist Anerkennung. Dabei geht es nicht um fördern- fraglich. Etliche Manager und wenige Mana- de Hin­wendung zu anderen Menschen, stellt gerinnen erhalten gewiss extrem hohe Löhne auch Psychotherapeut Thomas Kornbirchler und Boni. Bei der staatlich geretteten UBS- fest. Mächtige müssten das leere Selbst immer Bank bekommt Andrea Orcel mit 25 Millionen wieder affektiv aufladen. Die Egomanie ziele Franken Antrittsgeschenk sogar fünfhundert- darauf, andere für eigene Zwecke zu verein- mal mehr, als eine Putzfrau im Jahr verdient nahmen. Sie weise sich gerade in Krisen gerne (Work, 5.4.2013). Die Fusionen anonymisieren als schützende Hand aus. Guten Anklang die Unternehmen. Und die Globalisierung fände der Ruf nach Stärke und sauberen erhöht die Anforderungen. Gefragt ist deshalb Tugenden. Als Feindbild diene der »über- mehr Bereitschaft, hart durchzugreifen. Zu bordende Staat«. Wer von eigenen Vergehen Gunsten hoher Gewinne und Dividende.

46 luxemburg 2/2013 | es reicht Sie werden vom Management erwartet, das Lohns. In Schweizer Firmen lag 1984 das eigentlich aus Angestellten besteht. durchschnittliche Verhältnis vom tiefsten zum Viele Managerinnen und Manager zählen höchsten Lohn 1:6, Ende der 1990er Jahre selbst zu den Reichen. Sie sind über eigene bereits 1:13 und heute ist es 1:93; bei Novartis Aktien und vielfältige Privilegien mit den Be- sogar 1:266, bei Nestlé 1:215 und bei der UBS sitzenden der Unternehmen verflochten. Der 1:184 (Work, 5.4.2013). Die 1:12-Initiative (Jusos gehobene Lebensstil verbindet. Ebenfalls die Schweiz) beinhaltet also viel Potenzial zur Treffen in Verbänden und Klubs. Medial steht Umverteilung. Gegen die Initiative mobilisie- allerdings das Management im Rampenlicht. ren etliche Reiche und plädieren für freiwillige Das verstärkt den Eindruck der Machtverschie- Umverteilung. Aber darauf ist kein Verlass. bung. Aber die wirklich Vermögenden besitzen Die Existenzsicherung ist gesellschaftlich zu das Gros der Produktionsmittel. Sie lassen vereinbaren. Wir können uns den einseitig sich durch keine ›neue Klasse der Manager‹ angeeigneten Reichtum nicht länger erlau- verdrängen. Im Jahr 2012 stieg das Gehalt der ben. Einer Gesellschaft geht es gut, wenn es 30 wichtigsten Generaldirektoren zwar um möglichst allen gut geht. Und dazu braucht es 7,9 Prozent auf 178 Millionen Franken; die keine Almosen. Zunächst gilt es, die unteren Gewinne nahmen jedoch um 9,7 Prozent zu. Einkommen anzuheben. Noch arbeiten in der Die Kritik ist wieder mehr auf jene zu lenken, Schweiz 400 000 Personen zu Löhnen, die, die im Hintergrund wirken und ihr Kapital auf 100 Prozent hochgerechnet, unter dem strategisch einsetzen. gewerkschaftlich geforderten Satz von monat- lich 4 000 Franken liegen. Ergänzend ist die Umverteilen soziale Sicherung auszuweiten. Geld ist genug Im Frühjahr 2013 beschloss das Schweizer vorhanden. Gefragt sind politischer Wille Stimmvolk, das Abzocken des Managements zu und Mut. Vor allem, um die Umverteilung begrenzen. Das mag als symbolisches Zeichen strukturell zu festigen und die demokratische erfreulich sein, führt aber kaum dazu, Ein- Teilhabe auszuweiten. Zusammen mit wenig kommen von oben nach unten umzuverteilen; Verdienenden, wie dem eingangs erwähnten zumal die Initiative vornehmlich den Einfluss Verkäufer. Er will keine Almosen. An diesen der Aktienbesitzenden stärkt. Im Jahr 2013 Stolz lässt sich beim Kampf um mehr Lohn, stiegen in der Schweiz übrigens die Gewinnan- Rechte und Mitbestimmung anknüpfen. teile der Aktien deutlich stärker als die Löhne Literatur im Management (Basler Zeitung, 6.4.2013). Bundesamt für Sozialversicherungen, BSV 2012: Schweizeri- Die 30 größten Unternehmen schütteten 34,6 sche Sozialversicherungsstatistik 2012, Bern Dammann, Gerhard, 2007: Narzissten, Egomanen, Psychopa- Milliarden Franken an die Aktionärinnen und then in der Führungsetage, Bern Aktionäre aus – 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Kornbichler, Thomas, 2007: Die Sucht, ganz oben zu sein, Stuttgart Eine weitere Initiative verlangt, dass der Mäder, Ueli, Aratnam Ganga Jay und Sarah Schilliger, 2010: höchste Lohn in einem Unternehmen nicht Wie Reiche denken und lenken, Zürich Paucker, Julie und Peer Teuwsen, 2011: Wohin treibt die höher sein darf als das Zwölffache des tiefsten Schweiz? Zürich

umverteilt | luxemburg 2/2013 47 Gesundheit für alle Warum Gesundheitsförderung soziales Eigentum braucht

Thomas Gebauer Gesundheit für alle: Das Ziel von Gesundheits- aktivisten in aller Welt könnte heute bereits verwirklicht sein. Längst ließen es der weltweit erzeugte Reichtum und das Wissen um die Zu- sammenhänge des Lebens zu, allen Menschen ein Leben in Würde und Wohlbefinden zu ermöglichen. Die Realität aber ist eine andere: in den Ländern des Südens ebenso wie im eigenen Land. Nach wie vor leiden große Teile der Weltbevölkerung unter armseligen Lebens- umständen, die es ihnen nicht erlauben, die eigenen Gesundheitspotenziale zur Entfaltung zu bringen. Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisie- rung ist die Kluft zwischen Arm und Reich – und mit ihr die gesundheitliche Ungleichheit – nicht kleiner, sondern größer geworden. Das neoliberale Versprechen, dass mit der Libe- ralisierung des Waren- und Kapitaltransfers auch etwas für die Armen abfallen würde, hat sich als Trugschluss erwiesen. Statt zu einem »Trickle down«-Effekt kam es zu dessen Gegen- teil, zur Umverteilung von unten nach oben.

48 luxemburg 2/2013 | es reicht Mehr denn je macht es einen Unterschied, ob schen ernähren, nahezu das Doppelte der wir in einer der prosperierenden Regionen des derzeitigen Weltbevölkerung (vgl. Ziegler »globalen Nordens« zur Welt kommen oder im 2012). Die jährlichen Aufwendungen für »globalen Süden«. Gesundheit betrugen zuletzt 6,5 Billionen Dol- 90 Prozent der weltweiten Gesundheits- lar, das sind immerhin knapp 1000 Dollar pro ausgaben entfallen auf die 20 reichsten Länder Kopf und Jahr, deutlich mehr als die 12 Dollar, der Erde, in denen aber nur 20 Prozent der die beispielsweise den Menschen in Eritrea Weltbevölkerung leben. Knapp eine Milliarde zur Verfügung stehen (vgl. WHO 2012). In Menschen leiden an Unterernährung (wobei Deutschland sind es zwar über 3 500 Dollar, die Zahl der Hungernden im Zuge der Finanz- aber nicht alles, was wir uns zumuten (bzw. krise sprunghaft um 200 Millionen angestie- was uns zugemutet wird), ist auch notwendig. gen ist). 18 Millionen sterben alljährlich an Viele Milliarden könnten pro Jahr eingespart Krankheiten, die eigentlich gut behandelbar werden, wenn die Anwendung sinnloser wären. Dabei ist die gesundheitliche Un- Gerätediagnostik und unsinniger Medika- gleichheit längst kein Problem der südlichen Hemisphäre mehr allein. In Griechenland droht heute ein ganzes Gesundheitssystem zu Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von medico kollabieren, und auch in Deutschland stehen international. In dieser Funktion organisiert er Krankenhäuser vor dem finanziellen Aus. In konkrete Hilfen und setzt sich für Gesundheit als universales Menschenrecht ein. Zusammen mit Glasgow beträgt der Unterschied in der Lebens- medico rief er eine internationale Kampagne zum erwartung zwischen ärmeren und wohlhaben- Verbot von Landminen ins Leben, die 1991 den den Stadtvierteln 28 Jahre. Friedens­nobelpreis erhielt. Er ist seit Jahren Ko- operationspartner der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Soziale Ungleichheit tötet im großen Maßstab, heißt es in dem 2008 vorgelegten Bericht der WHO-Kommission über die »sozi- mente gestoppt und auch dem notorischen alen Determinanten von Gesundheit« (CSDH Abrechnungsbetrug und der Korruption ein 2008). Seit Ende des Ost-West Konflikts sind Riegel vorgeschoben würde. 300 Millionen Menschen an den Folgen aufge- zwungener Armut gestorben; mehr als in allen Solidarität beginnt mit der Anerkennung Kriegen des 20. Jahrhunderts zusammen. des Anderen – Die ethische Dimension des Das globale Elend aber ist nur die eine Umverteilens Seite der Wahrheit. Denn es mangelt nicht an Solche Zustände sind skandalös. Und sie wer- den Ressourcen, die nötig wären, um allen den auch nicht erträglicher mit der von Medien Menschen ein Höchstmaß an physischem, und Politik gebetsmühlenartig vorgetragenen psychischem und sozialem Wohlbefinden Behauptung, es mangele an Ressourcen. Wer zu ermöglichen. Beispielsweise ließen sich sich durch das Gerede von Alternativlosigkeit mit den vorhandenen landwirtschaftlichen und Sparzwängen den Blick für die Wirklich- Produktionskapazitäten 12 Milliarden Men- keit nicht verstellen lässt, wer sich die Fähigkeit

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 49 bewahrt hat, menschlich zu empfinden, und Solange es das Armutsgefälle gibt, kann nicht dulden will, dass jemand nur deshalb eine allgemeine Gesundheitsversorgung nur Jahrzehnte früher stirbt, weil er oder sie das erreicht werden, wenn diejenigen, die mehr Pech hatte, an einem marginalisierten Ort haben, auch für die Gesundheitsbedürfnisse zur Welt gekommen zu sein, wer in solchen der Ärmeren einstehen. Ohne Umverteilung ist Ungleichheiten schreiendes Unrecht sieht, der Ausbruch aus dem Teufelskreis von Armut kann gar nicht anders, als sich über Möglich- und Krankheit nicht möglich. Gleiches gilt keiten eines Ausgleichs Gedanken zu machen. für die Verwirklichung des Rechts auf soziale Es ist der Respekt vor der Würde des Anderen, Sicherung und all die anderen sozialen Rechte. aus dem der Impuls erwächst, füreinander solidarisch einzustehen. Die Bereitschaft, die Menschenrechte und Rechtsansprüche – Anderen mit ihren Bedürfnissen und Rechten die rechtliche Dimension des Umverteilens ernst zu nehmen, sie als Menschen anzuer- Das Prinzip solidarischer Umverteilung kennen, ist die Voraussetzung für solidarisches zählt zu den großen Errungenschaften der Umverteilen. Darin liegt die ethische Dimensi- Menschheitsgeschichte. Es prägt die Kulturen on des Umverteilens. indigener Gesellschaften, gehört zum Kern der katholischen Soziallehre und bildet auch Ausbruch aus dem Teufelskreis – die Grundlage der Idee des Gesellschaftsver- Die gesellschaftliche Dimension des trages, die mit der europäischen Aufklärung Umverteilens aufgekommen ist. In der Praxis kommt es in Bekanntlich haben ärmere Menschen häufiger genossenschaftlich betriebenen Dorfapotheken mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen ebenso zum Ausdruck wie in steuerfinanzier- als reichere. Dass sie auch ein dreimal höheres ten kommunalen Wasserwerken, öffentlichen Risiko für Herzinfarkte und Bluthochdruck Bibliotheken oder gesetzlich geregelten haben, belegt, dass selbst noch der Stress, der Krankenversicherungen, die von progressiv ge- oft als Problem der sogenannten Leistungsträ- staffelten Beitragszahlungen getragen werden. ger und Besserverdienenden betrachtet wird, in Umverteilen sorgt für soziale Kohäsion, ohne viel höherem Maße mit Armut korreliert. die weder Gesellschaftlichkeit noch menschli- Aber Armut macht nicht nur krank, che Existenz auf Dauer denkbar sind. sondern Krankheit auch arm. Nach Schätzun- Und so nimmt es nicht wunder, dass gen der WHO werden alljährlich 100 Millionen die Notwendigkeit eines Ausgleichs von den Familien in die Armut getrieben, weil sie für wenigsten bestritten wird. Selbst hartgesottene notwendige Gesundheitsleistungen ohne jede Liberale plädieren für eine Art Umverteilen, finanzielle Absicherung aus eigener Tasche wenn sie sich, wie beispielsweise Bill Gates, in aufkommen müssen. Ausgerechnet diejenigen, philanthropischen Stiftungen engagieren. Sie die aufgrund ihrer sozialen Lage den größten sehen darin aber einen freiwilligen Akt, für den Bedarf an gesundheitlicher Versorgung haben, es keine Verpflichtung geben darf. Sekundiert können sich diese am wenigsten leisten. werden sie dabei z.B. von Peter Sloterdijk (Süd-

50 luxemburg 2/2013 | es reicht deutsche Zeitung, 17.5.2010), der allen Ernstes verlangte, das bestehende Steuersystem von einem bürokratisierten Ritual der Zwangsabga- ben in eine Praxis freiwilliger Bürgerbeiträge umzuwandeln. Die zynische Konsequenz solcher Vorschläge zeigt sich z.B. im letzten Armutsbericht der Bundesregierung (2012), wo aus der ursprünglich vorgesehenen Formu- lierung, man prüfe, wie »privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung von öffentli- chen Aufgaben herangezogen werden kann« (Version Sept. 2012, XLII), der Satz wurde, man prüfe, »wie weiteres persönliches und finanzi- elles freiwilliges Engagement Vermögender in Deutschland für das Gemeinwohl eingeworben werden kann« (Nov. 2012, XLVIII). In der Idee der Menschenrechte aber Mental Health steckt mehr als nur das Programm für ein Clinic Protest, würdiges Leben. Sie umfasst auch gesellschaft- Chicago, 2012 Jamie Manley/ liche Verpflichtungen. Denn Rechte begründen flickr Rechtsansprüche, die nichts wert wären, wenn sie nicht mit entsprechenden Garantien der für die Rückkehr in den »Naturzustand« eines Gemeinwesen einhergingen. Nur als Mitglieder Krieges aller gegen alle. einer rechtlich verfassten Gemeinschaft sichern sich die Menschen ihre Rechte. Nur dort, wo Gemeingut Gesundheit – Die politische ein öffentlich getragenes Gesundheitssystem Dimension des Umverteilens existiert, kann das Recht auf Gesundheit auch Verwirklichung und Schutz des Rechts auf geltend gemacht werden. Wenn öffentliche Gesundheit verlangen Institutionen, die nur Institutionen fehlen oder bis zur Unkenntlich- den Bedürfnissen und Rechten der Menschen keit finanziell ausgehöhlt werden, läuft das verpflichtet sein dürfen. Die Sorge um Lebens- Recht sozusagen ins Leere. Bei einem privaten mittelsicherheit, die Erforschung essenzieller Krankenhausträger, bei philanthropischen Ver- Arzneimittel, die Sicherstellung nachhaltiger einen können Hilfsbedürftige vielleicht noch Müllbeseitigung oder einer flächendecken- Unterstützung beantragen, nicht aber mehr den Gesundheitsversorgung – all das sind einklagen. Wer verpflichtende Umverteilungs- öffentliche Aufgaben, die sich nur bedingt mit mechanismen ablehnt oder abschafft, sorgt partikularen Geschäftsinteressen vertragen. Ge- für eine rückwärtsgewandte Re-Feudalisierung sundheit für alle ist nur dann zu verwirklichen, der Verhältnisse – und in letzter Konsequenz wenn der Zugang zu den notwendigen Für-

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 51 sorgemitteln so reguliert wird, dass niemand Gesundheitsressourcen sowie die finanzielle ausgeschlossen bleibt und die vorhandenen Absicherung im Falle von Krankheit, Ar- Mittel weder unter- noch übergenutzt werden. beitslosigkeit, in der Kindheit, im Alter oder Letztlich verlangt Gesundheit – verstanden als während der Ausbildung garantiert. Gemeingut – die Schaffung einer gesellschaftli- Kern von Umverteilung ist somit die chen Sphäre, die von den Beschränkungen, die Umwandlung von privatem Eigentum in aus dem Eigentumsrecht rühren, frei ist. Die ein soziales Eigentum, auf das diejenigen Privatisierung des Gemeingutes Gesundheit, zurückgreifen können, die über kein privates seine Auslieferung an den Markt mag Kapital- Vermögen verfügen. Soziales Eigentum anlegern ein renditeträchtiges Geschäftsmodell erfordert keine komplizierten auf Rendite eröffnen, führt aber gesundheitspolitisch in die zielenden Anlagefonds, die lediglich erwirt- Irre. Denn die Kopplung sozialer Rechte an Pro- schaftete Gewinne ausschütten, sondern fit und private Kaufkraft bedeutet zwangsläufig Finanzierungsmechanismen, die das, was sie den Ausschluss derjenigen, denen die Mittel einnehmen, unmittelbar zur Befriedigung zur Realisierung ihrer Rechte fehlen. konkreter Bedürfnisse wieder ausgeben. Gute Versorgung erfordert ausreichende Budgets. Und zwar Budgets, die auf der Systemfrage – Die transformierende Grundlage bestehender Gesundheitsbedürf- Dimension des Umverteilens nisse öffentlich bereitgestellt werden und War Umverteilung zu Zeiten eines unbegrenzt nicht erst durch effiziente Bettenauslastung, scheinenden Wirtschaftswachstums und hoher unsinnige Diagnostik und medizinisch nicht Profitraten noch möglich, ohne die privaten indizierte operative Eingriffe erwirtschaftet Gewinne und Vermögen substanziell anzu- müssen, um am Ende auch noch Überschüsse greifen, stellt Umverteilung heute unmittelbar abzuwerfen. Die Grundlage angemessener die Systemfrage. Die gegenwärtige Krise des Versorgungssysteme sind solidarische Kapitalismus ist keine der üblichen zyklischen Finanzierungen. Dabei ist es nicht eigentlich Krisen mehr, die das Marktgeschehen schon von Bedeutung, ob sie steuerbasiert sind oder immer begleitet haben, sondern eine, in denen über die Pflichtbeiträge ihrer Mitglieder, wie die Grenzen des Wachstums auf doppelte Weise im Falle gesetzlicher Krankenversicherungen, sichtbar werden. Die Ökonomisierung von zustande kommen. Entscheidend ist, dass alle, Mensch und Gesellschaft ist nahezu abgeschlos- die es können, zur Finanzierung beitragen sen, die ökologischen Grenzen erreicht. Rendite und die Beiträge progressiv gestaffelt sind. versprechen tendenziell nur noch der Raubbau Neben der Besteuerung von Vermögen und an den natürlichen Ressourcen sowie die Erosi- Unternehmensgewinnen sorgt die Progres- on öffentlicher Institutionen (Privatisierung von sion in der Einkommenssteuer bzw. in den Gesundheitseinrichtungen, Kapitalisierung der Pflichtbeiträgen für eine permanente Umver- häuslichen Pflege, von genossenschaftlichen teilung, die schließlich allen – nicht nur den Wohnformen, der Wasserversorgung, Enteig- Vermögenden – den Zugang zu notwendigen nung bestehenden sozialen Eigentums etc.).

52 luxemburg 2/2013 | es reicht Wer heute Umverteilen fordert, fordert mehr Letztlich erfordert Umverteilen ein inklusives als Fairness, nämlich zugleich ein Eigentums- Handeln, was mit Blick auf die globalisierten modell jenseits von Privateigentum. Es geht Verhältnisse heute nur noch im internationalen um die Durchsetzung einer gesellschaftlichen Rahmen und durch Schaffung neuer globaler Strategie, die der kapitalistischen Dynamik, Institutionen gelingt, die schließlich auch zwi- die systematisch auf die Zerstörung von Ge- schen den Ländern für einen Ausgleich sorgen. meingütern und die letzten noch verbliebenen Der Naturzustand solle nicht nur innerhalb des Umverteilungsformen hinausläuft, diametral Staates, sondern auch zwischen den Staaten zuwiderläuft. Ziel von Umverteilen ist eine aufhören und in einen universalen Rechtszu- alternative Ökonomie, die sich nicht nach stand übergehen, forderte schon Immanuel den Regeln des Marktes richtet, sondern das Kant. Tatsächlich wären heute finanzielle Gemeinwohl der Gesellschaft sichert. Ausgleichfinanzierungsmechanismen im Es ist gut, dass die öffentliche Akzeptanz internationalen Rahmen umsetzbar, die wie der einer gemeinwohlorientieren Ökonomie noch Länderfinanzausgleich zwischen den Bundes- immer hoch ist. 77 Prozent der deutschen ländern für eine Balancierung der fiskalischen Bevölkerung unterstützen die Prinzipien einer Möglichkeiten von Ländern sorgen. An den solidarischen Krankenversicherung. 80 Pro- organisatorischen und finanziellen Vorausset- zent der Gesunden stehen zur Unterstützung zungen jedenfalls mangelt nicht. von Kranken durch Gesunde. 73 Prozent der Vieles spricht dafür, dass das Solidarprin- jungen Menschen sind für einen Solidaraus- zip mitsamt der ihm innewohnenden Idee gleich mit den Älteren. 82 Prozent derjenigen, des Umverteilens heute nur verteidigt und die über ein Nettoeinkommen von über 1 500 ausgebaut werden kann, wenn es über den Euro verfügen, sind für Beihilfen für Ärmere nationalen Rahmen hinaus um seine internati- (Deutscher 2003). Es sind nicht die onale Dimension erweitert wird. Leute, die auf eine Privatisierung der Gesund- heitsdienste drängen, sondern die am Profit Literatur ausgerichtete Gesundheitswirtschaft. BMAS, 2012a: 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregie- rung, Entwurf Sept. 2012: www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_ files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Einkommen-Ar- Internationalisierung des Solidaritäts- mut/Dokumente/Entwurf %204.%20Armutsbericht%20 der%20Bundesregierung%2017.9.2012.pdf; dass., 2012b: prinzips – Die universelle Dimension der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Umverteilung Endversion Nov. 2012: www.bmas.de/SharedDocs/Down- loads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reich- Umverteilung wird nur dann ihrer ethischen tumsbericht-2013.pdf?__blob=publicationFile Dimension gerecht, wenn sie mit dem Verbot Commission on Social Determinants of Health – CSDH, 2008: Closing the gap in a generation: Health equity through jeglicher Diskriminierung einhergeht. Öffent- action on the social determinants of health, WHO, Genf lich finanzierte Gesundheitswesen werden zur Deutscher Bundestag, 2003: Gutachten des Sachverständigen- rates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Farce, wenn ihre Leistungen beispielsweise http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/15/005/1500530.pdf RentnerInnen, Arbeitslosen oder MigrantInnen World Health Organization – WHO, 2012: Global Health Ex- penditure Atlas, Genf, www.who.int/nha/atlas.pdf nur reduziert oder gar nicht zugutekommen. Ziegler, Jean, 2012: Wir lassen sie verhungern, München

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 53 Soziale Infrastruktur statt Grundeinkommen?

Thomas Gehrig Die Spaltung der Subalternen drückt sich immer wieder in der Schwierigkeit aus, gemeinsame Forderungen zu entwickeln, die kollektive Handlungsperspektiven öffnen können – so auch in den Diskussionen um ein bedingungsloses Grundeinkommen: Erwerbslose, Soloselbständige und prekär Beschäftigte versprechen sich davon mehr Sicherheit und Freiheit. Beschäftigte in Normalarbeitsverhältnissen, die von steigenden Sozialabgaben geplagt sind, während Reallöhne stagnieren, befürchten weitere Belastungen. Die Debatte ist oft von starren Pro- und Contra- Positionen geprägt, die Linke kommt in dieser Frage seit Jahren nicht weiter. Kann das Nach- denken über »soziale Infrastrukturen« hier neue Perspektiven und Bündnisse ermöglichen?

Ungleichheit, Sozialpolitik, Umverteilung Sozialpolitische Forderungen sind umstritten, seit sie erhoben werden. Sie werden erhoben in dem Moment, in dem bürgerliche Freiheits-

54 luxemburg 2/2013 | es reicht rechte sich durchzusetzen beginnen. Und sie begründet, dass der Kapitalismus lediglich werden nicht zuletzt deshalb erhoben, weil als Zirkulationszusammenhang begriffen bürgerliche Freiheitsrechte explizit die sozia- wird (33ff). Bereits Marx war dies bewusst. len Bedingungen ausblenden, unter denen sie Er spricht von der »Illusion«, dass der Staat gelten sollen. Bürgerliche Gleichheit bedeutet: »bestimmt, wo er bestimmt wird« (Marx 1843: Es ist Armen wie Reichen verboten, unter 305). In Bezug auf den Sozialstaat heißt das Brücken zu schlafen. Bürgerliche Freiheit ist schwierige Kunststück linker Politik: »Vertei- Eigentümerfreiheit. Das soziale Recht auf Ar- digen, kritisieren und überwinden zugleich« beit wird im frühen 19. Jahrhundert gefordert (Diemer/Völker 1982). und sogleich vom Bürgertum abgelehnt. Die Not der Arbeiter bleibt ein struktu- Die bürgerliche Gesellschaft ist durch relles Problem des Kapitalismus und ist so soziale Ungleichheiten gekennzeichnet. Gegenstand der Sozialpolitik. Diese soll für ge- Die an Arbeit gebundene Klasse muss sich sellschaftlichen Zusammenhalt sorgen, dazu ihre Position, ihre Anerkennung innerhalb muss sie umverteilen. Sie muss Vorkehrun- dieses Systems erst erstreiten. Im Ringen um politische Macht erkämpft sie die demo- kratische Republik – und zunehmend auch thomas gehrig ist Sozialwissenschaftler und soziale Zugeständnisse. Diese erzwingen ein lehrt in Frankfurt am Main. Er ist Redakteur des express und von links-netz, einer Internet- Sozialsystem, das sich zu einem notwendigen Zeitschrift für linke Theorie und Politik. und funktionalen Moment des bürgerlichen Staates und seiner Ökonomie entwickelt. Der Sozialstaat muss die Existenz des Proletariats gen treffen für diejenigen, die überflüssig sind überhaupt möglich und erträglich machen. Er oder unbrauchbar für den kapitalistischen darf die divergierenden Teile der bürgerlichen Arbeits- und Verwertungsprozess. Also vor Gesellschaft nicht zu weit auseinanderdriften allem jene, die ihren Lebensunterhalt nicht lassen – kurz: er zielt auf einen Klassenkom- selbst generieren können. Die andauernde promiss. Freisetzung von Arbeitskraft, der so genannte An dieser Stelle tritt der ambivalente Fortschritt sowie die wiederkehrenden ökono- Charakter des Sozialstaats zutage. Er agiert für mischen Krisen machen aber beständig Teile den Kapitalismus, gegen die Gesetzmäßigkei- der Bevölkerung überflüssig. ten des freien Marktes, gegen das Herz des Wäre die sozialstaatliche Sicherung Kapitalismus. der Subsistenz nicht mehr durch die Arbeit Die Vorstellung einer selbständigen vermittelt, wäre – über das Recht auf Arbeit Institution Staat, die zum Subjekt gesellschaft- hinaus – ein Recht auf Subsistenz verwirklicht licher Veränderung gemacht werden könne, und damit die Logik des Arbeitsmarktes, also wird von Müller und Neusüß später (1970) letztlich auch die der kapitalistischen Ökono- als (wiederkehrende) Sozialstaatsillusion mie, außer Kraft gesetzt. Leben ohne Zwang analysiert. Sie sehen die Illusionen darin zur Arbeit wäre möglich – eine märchenhafte

umfairteilen! | Luxemburg 2/2013 55 Utopie, die in der bürgerlichen Vorstellungs- sein müsste, dass Repressionen gegenüber welt reifen konnte. Verallgemeinert man Transferbeziehern nicht dazu führen, dass diese Perspektive, bedeutet sie jedoch das Arbeitsplätze geschaffen werden. Es ist die Schlaraffenland, entweder in der Variante Absurdität, Menschen zu drangsalieren, als mit den gebratenen Tauben, die uns in die gäbe es die Realität des Arbeitsmarktes mit Münder fliegen, oder als technikfetischistische anhaltender, struktureller Massenarbeitslosig- mit Replikatoren und Robotern, die Roboter keit nicht. Unter diesem Blickwinkel erscheint bauen etc. In allen anderen, auch utopischen die Forderung nach einem bedingungslosen Varianten muss, wenn auch stark reduziert, Grundeinkommen, einem Existenzgeld nicht noch gearbeitet werden. nur verständlich, sondern vernünftig. Es ist eine andauernde Aufgabe der Sozialpolitik, für das Segment der Überflüssi- Offene Fragen eines bedingungslosen gen Sozialtransfers zu organisieren. Zugleich Grundeinkommens muss dabei der Zwang, seine Arbeitskraft auf Liberale haben ein Grundeinkommen dem Markt zur Verfügung stellen zu müssen, vorgeschlagen, um den Staat abzubauen, aufrechterhalten werden. Der Sozialstaat indem bürokratische sozialstaatliche Verfah- muss die Bürger beständig anhalten, selbst ren abgebaut werden. Hier verläuft eine Linie für ihre Subsistenz zu sorgen. Er muss sie von Milton Friedman bis zu den Parteien der fordern, wo sie oft nur gefördert zu werden gegenwärtigen Regierungskoalition. Grund- wünschen. Er wird repressiv, nicht zuletzt weil sicherungsforderungen beinhalten also einen in der liberalen Vorstellungswelt die soziale antistaatlichen Affekt. Für die einen geht es Situation Resultat freier Entscheidung bzw. um Abbau des Repressionsapparats, für die Fehlentscheidung ist. Die Nationalökonomen anderen um Entbürokratisierung mit der sprechen von der Arbeitslosigkeit als einer Perspektive weitergehender Privatisierung. freiwilligen, als Resultat zu hoher Löhne und Insofern ist diese Forderung nach Grundsi- der Kartellmacht der Gewerkschaften. Der cherung eine im Kern liberale Forderung. Sozialstaat wird repressiv, weil er sich be- In der BRD haben wir bereits eine schränken soll auf das Notwendige, weil wenig Grundsicherung im Alter und in besonderen Staat sein soll und weil er seine Mittel vom Lebenslagen. Sie orientiert sich an der Höhe Eigentum der Bürger nimmt, wozu er nur der gängigen Sozialtransfers (ALG II). Eine unter besonderen Umständen das Recht hat. Ausweitung dieser Form der Grundsicherung, Es ist einerseits diese Repression, die auf die auf dem bisherigen Niveau bleibt oder die alltägliche Demütigung hinausläuft, die es vielleicht sogar noch unterschreitet und mit der gegenwärtigen Sozialpolitik verbun- die für die Erwerbsfähigen den Zwang zur den ist: nicht als Bürger mit Rechten vor der Bereitstellung der Arbeitskraft aufrecht erhält, Amtsperson zu stehen, sondern bittstellend. ist Fortschritt im liberalen Sinne. Es ist andererseits die Absurdität einer gesell- Existenzgeld-Varianten unterscheiden schaftlichen Situation, in der es offensichtlich sich davon durch zwei wesentliche Punkte:

56 luxemburg 2/2013 | es reicht 1 | quantitativ: die Geldleistungen sind deut- lich höher angesetzt und 2 | qualitativ: der Zwang, sich dem Arbeits- markt zur Verfügung zu stellen – Grundmo- ment aller bisherigen staatlichen Transferleis- tungen – entfällt. Angesichts dieser zugespitzten Variante eines garantierten bedingungslosen Grund- einkommens ist der Frage nachzugehen, unter welchen Bedingungen ein solches ökonomisch funktionieren kann. Die Frage der Finanzierung stellt sich dabei unmittelbar. Zahlen die Reichen und Kapitaleigner? Die Standortbedingungen würden sich damit katastrophal verschlechtern. Zahlen alle über immens erhöhte Verbrauchssteuern? Hier be- steht die Gefahr, dass das, was vom Sozialstaat gegeben wird, vom Steuerstaat wieder genom- men wird. Oder bleiben die Abgabestrukturen, haso777/flickr wie sie jetzt sind? Viele Lohnabhängige, die tagtäglich vor Augen geführt bekommen, wie das gegenwärtige System der Finanzierung Transfermodellen eine Rolle. Die Klassenso- von Sozialleistungen funktioniert, befürchten lidarität ist nicht sehr ausgeprägt, das ›Teile zu Recht, dass sie die Kosten der neuen und herrsche‹ funktioniert zu gut. Sozialpolitik tragen müssen. Was sind aber die gesellschaftlichen und Betrachten wir die Höhe eines möglichen ökonomischen Auswirkungen eines bedin- bedingungslosen Grundeinkommens. Bleibt gungslosen Grundeinkommens und wer hat es gerade so an der Schwelle bisheriger sie zu tragen? Wird es zu einer ernstzuneh- Sozialtransfers, so dass Lohnarbeit für menden Alternative zur Lohnarbeit – ist es alle wünschenswert bleibt, die etwas besser, also so ausgestaltet, dass es den Vorstellungen sicherer, gesünder und nachhaltiger leben eines menschenwürdigen Lebens im em- wollen, und beruht das Existenzgeld auf der phatischen Sinne entspricht, und nicht nur Umverteilung unter den Lohnabhängigen, so nach der Rechtssprechung des Bundesverfas- ist es der arbeitenden Bevölkerung nicht so sungsgerichtes, und kann es soziale Teilhabe leicht näherzubringen. Dazu bedarf es keines ermöglichen, wie sie die BefürworterInnen Verweises auf einen ›Arbeits-Fetisch‹ oder verstehen –, so muss es notwendigerweise das eine Lohnarbeitsfixierung. Sicher spielen diese Fundament untergraben, auf dem es aufsitzt: Motive bei einer spontanen Ablehnung von das funktionierende ökonomische System der

umfairteilen! | Luxemburg 2/2013 57 Lohnarbeit. Ist es wirkliche Alternative zur und der Warenfälschung bis zu einer Reihe Lohnarbeit, d.h. zur Ausbeutung, zur Ent- ›parasitärer‹ Arbeiten, die nur für das Gelin- fremdung, führt es zur Möglichkeit einer von gen des kapitalistischen Systems notwendig materiellen Sorgen befreiten, selbstbestimm- sind (Werbung, Banken, Versicherungen etc.). ten Lebensgestaltung, bedeutet dies, dass die Sie ist zeitgemäß, weil die Absurdität auffällt, Attraktivität der Lohnarbeit ins Bodenlose dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen sinkt. Wer produziert dann noch und wie wird von der Arbeitsgesellschaft ausgeschlossen produziert und verteilt? Wer ein bedingungs- bleibt. Sie ist auch zeitgemäß, weil bewusst loses Grundeinkommen der eben definierten wird, dass eine Ökonomie, die auf Expansion, Art fordert, eines, das nicht bloß der mehr auf ständige Erweiterung angelegt ist, mit oder weniger soziale Ersatz bisheriger den Problemen eines steigenden Ressourcen- Sozialtransfers ist, muss wissen, dass damit verbrauchs in einer an Ressourcen endlichen diese Fragen unmittelbar zur Beantwortung Welt konfrontiert ist. anstehen. Mit einem umfänglichen bedingungs- Bei einigen ist jedoch das Nicht-Funktio- losen Grundeinkommen gehen jedoch noch nieren gerade der politische Trick des Exis- weitere Ungereimtheiten einher, weitere tenzgeldes: Wir fordern das Existenzgeld und ökonomische Probleme tauchen auf: Ein wenn es erst eingeführt ist, bricht (deshalb) bedingungsloses Grundeinkommen könnte der Kapitalismus zusammen. »Die Existenz- sich beispielsweise zu einer gigantischen geld-Forderung soll der Wolf im Schafspelz Lohnsubvention ausweiten, sofern es kein sein. Die vorgestellte Utopie setzt auf die Mindestlohngesetz gibt. Da der Grundbedarf Nasführung der ›Massen‹.« (Donat 1999) der Arbeitenden gedeckt ist, wäre es möglich, Die politische Forderung nach einem bestimmte Arbeiten nur noch mit sehr gerin- bedingungslosen Grundeinkommen ist trotz gem Lohn zu vergüten. Die Befürchtung, es aller Bedenken zeitgemäß. Sie bietet einen An- werde verstärkt zu Schwarzarbeit kommen, ist lass, einen Schritt zurückzutreten und sich der nicht abwegig, wenn die verbliebene Lohnar- grundlegenden Abläufe und Notwendigkeiten beit deutlich stärker besteuert wird. Was die einer sich reproduzierenden Gesellschaft in Kapitalseite von solchen Standortbedingungen heutiger Zeit noch einmal bewusst zu werden. hält, die mit einem bedingungslosen Grund- Was muss produziert werden, wie viel muss einkommen einhergehen würden, lässt sich dafür gearbeitet werden, wie kann diese Arbeit leicht ausmalen. verteilt werden etc.? Die Forderung ist wichtig In seinen unterschiedlichen Varianten in einer Gesellschaft, die auf einem Stand der bleibt das bedingungslose Grundeinkommen Produktivkräfte der Arbeit angelangt ist, die ein Konzept einer alternativen Sozialpolitik – bei anderer Organisation der Produktion mit weniger eine Alternative zur Sozialpolitik einem Bruchteil der Arbeitsleistung auskom- und zu jener Gesellschaft, die sie notwendig men würde. Die Palette dessen, was wegfallen macht. Allseits wird das Ende der bisherigen könnte, reicht vom eingebauten Verschleiß Sozialsysteme diagnostiziert. Die in gewissem

58 luxemburg 2/2013 | es reicht Rahmen geregelten und gesicherten fordisti- kann die Forderung nach einer Sozialen schen Lohnarbeitsverhältnisse, auf denen sie Infrastruktur als eine verbindende Perspektive beruhen, lösen sich immer weiter auf. Die für unterschiedliche sozialpolitische Akti- Zeiten der Vollbeschäftigung müssen als eine vistInnen gesehen werden. Sie wird immer Art Betriebsunfall des Kapitalismus begriffen plausibler, je weniger wir hinsichtlich dieser werden. Vollbeschäftigung, so zeigt sich, ist Grundbedürfnisse von Chancengleichheit nur in bestimmten und begrenzten histo- reden können. Grundeinkommen ist in rischen Konstellationen möglich. Darüber diesem Modell zwar auch vorgesehen, der hinaus ist die Perspektive Vollbeschäftigung Fokus liegt jedoch nicht auf Geldzahlungen, offenbar nur durch Werttransfers aus den sondern auf der sozialen Infrastruktur, auf Peripherien zu erreichen. Sie sind notwendig, sozialer Sicherheit und Chancengleichheit um die nationale Bevölkerung umfassend an für alle BürgerInnen. Dass eine Forderung die Kette wachsenden Wohlstands zu legen. noch keine soziale Bewegung schafft, die sie Wie genau sollte also eine Grundsiche- umsetzen könnte, ist evident. Es geht zu- rung ausgestaltet sein? Und welche Form nächst um eine übergreifende sozialpolitische der Grundsicherung wird sich unter den Perspektive. Soziale Auseinandersetzungen herrschenden politischen Verhältnissen müssen diese Perspektive und Forderung mit realisieren? Die Auseinandersetzung, die die Leben erfüllen. Die Kämpfe für eine Soziale Linke in Bezug auf Grundsicherung führen Infrastruktur können dabei zugleich Kämpfe muss, dreht sich nicht darum, ob ein solches um ihre Ausgestaltung und um Beteiligung eingeführt wird – denn das ist zu erwarten –, sein. Soziale Infrastruktur hat als Ziel, soziale sondern wie hoch es sein wird und mit Dienste zu dekommodifizieren, ihnen ihre welchem Grad von Arbeitszwang es gekoppelt Warenförmigkeit zu nehmen, und kann sie wird. dabei umfassend demokratisieren, sie in die Hände der ProduzentInnen und NutzerInnen Soziale Infrastrukturen – legen. Wir würden so einer sozialen Demokra- eine Alternative tie ein Stück näherkommen. Eine andere Alternative zur gegenwärtigen Sozialpolitik ist die Forderung nach einer Sozialen Infrastruktur (www.links-netz.de). Sie geht über die nach Existenzgeldzahlungen Literatur hinaus. Die Idee ist einfach: Es ist Aufgabe Diemer, Niko und Wolfgang Völker, 1982: Verteidigen, des Staates, den Menschen das, was für ein kritisieren und überwinden zugleich? Probleme mit dem Sozialstaat, in: Widersprüche, 4/5, menschenwürdiges Leben notwendig ist, zur Donat, Andreas, 1999: Radikale ExistenzgeldreformistInnen, Verfügung zu stellen, ohne dass ihre finanzi- in: Widersprüche 73, 89-105 Marx, Karl, 1843: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, ellen Ressourcen eine Rolle spielen. Dies trifft MEW 1 vor allem die Bereiche Bildung, Gesundheit, Müller, Wolfgang und Christel Neusüß, 1970: Die Sozial- staatsillusion und der Widerspruch von Lohnarbeit und Mobilität/Nahverkehr und Wohnen. Politisch Kapital, in: Sozialistische Politik, 6/7

umfairteilen! | Luxemburg 2/2013 59 Ökologisches Grundeinkommen Ulrich Schachtschneider Mario Candeias

nachhaltig-emanzipatorisch Die Idee eines ökologischen Grundeinkommens umverteilen (ÖGE) setzt hier an. Es wird durch Abgaben auf unerwünschten Umweltverbrauch finanziert,

Ulrich Schachtschneider also Ökosteuern auf CO2-Emissionen, Flächen- verbrauch, Rohstoffentnahmen und -einfuhren. Die Besteuerung von Konsum belaste Arme Sie werden am Ort ihres Entstehens erhoben – überproportional, lautet ein gängiger Einwand in der Regel am Anfang der Produktionskette. gegen Ökosteuern. Haben die Armen nicht Das Aufkommen dieser Nutzungsentgelte unter einer Erhöhung der Preise für Produkte wird dann gleichmäßig auf die Bevölkerung des täglichen Lebens am meisten zu leiden? zurückverteilt. Jedem Bürger, ob Säugling oder Trifft es nicht sie am härtesten, wenn die Nut- Greis, ob reich oder arm, wird ein »Öko-Bonus« zungsentgelte für Rohstoffe oder Emissionen ausgezahlt. Es handelt sich um die Finanzierung über die Wertschöpfungsketten in die Preise eines bedingungslosen Grundeinkommens im Laden und am Energiezähler einfließen? über die Besteuerung einer bestimmten Form Genau umgekehrt: Wohlhabende konsumie- des Konsums, der die Umwelt nach unseren ren mehr und haben damit in der Regel einen gesellschaftlichen Vorstellungen in falscher höheren Umweltverbrauch. Sie bewohnen Weise belastet und folglich dem Ziel einer mehr Wohnfläche pro Kopf, fahren mehr nachhaltigen Entwicklung zuwiderläuft. PKW-Kilometer und kaufen mehr Neuwaren. Wohlhabende sind durch ihren großen Sie nutzen mehr Ressourcen und müssten Konsum Netto-Zahler, durch die Pro-Kopf- daher überdurchschnittlich zahlen, würde all Ausschüttung würden sie nur durchschnittlich dieser Konsum unter Umweltgesichtspunkten von der Auszahlung profitieren, während besteuert. Ärmere und Kinderreiche gewinnen würden.

60 luxemburg 2/2013 | es reicht Eine Reihe von Forschungsergebnissen sprechen für diesen Zusammenhang. Ulrich Schachtschneider ist als ausgebildeter Politologe und diplomierter Ingenieur eine p Der Jahres-Energieverbrauch steigt mit p Rarität in der Linken. In dieser Doppel­funktion dem Pro-Kopf-Einkommen: Er lag bei einem arbeitet er daran, die ökologische Wende auch monatlichen Einkommen unter 1 000 Euro zu einer sozia­len zu machen – und umgekehrt. bei durchschnittlich 42 200 kWh im Jahr, bei Er ist Referent im Attac-Netzwerk und seit langem im Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung aktiv. Einkommen oberhalb von 2 500 Euro pro Monat bei durchschnittlich 69 800 kWh (vgl. Bilharz 2008). ppDer Münchener Umwelt-Survey weist eine Mario Candeias ist Mitbegründer und hinge- bungsvoller Redakteur dieser Zeitschrift. Als »deutlich positive Verknüpfung von Einkom- Co-Direktor des Instituts für Gesellschaftsanaly- men und Umweltverbrauch in München« se der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat er nicht nur (Keuschnigg/Schubert 2013) nach. Bei 10 die organische Krise des neoliberalen Hightech- Prozent höherem Pro-Kopf-Einkommen steigt Kapitalismus am Wickel, sondern auch dessen globale Protestbewegungen. der durch Wohnen und Mobilität verursachte

CO2-Ausstoß um 4,5 Prozent an. ppEin Vergleich deutscher Städte zeigt eine des Tarifs für den darüber hinausgehenden Be- klare Abhängigkeit der CO2-Emission vom darf. Haushalte, die von Sozialtransfers leben, Pro-Kopf-Einkommen: Frankfurt mit einem würden in 80 Prozent der Fälle bessergestellt BIP von 66 800 Euro pro Person emittiert 11,8 als vorher (vgl. Wuppertal-Institut 2008). t pro Kopf und Jahr, Berlin mit einem BIP von Natürlich existieren auch Gegenbeispiele. 21 400 Euro pro Person nur 5,6 t pro Kopf (vgl. Es gibt ärmere Menschen, die besonders ver-

Siemens AG 2011). Die CO2-Emission ist ein schwenderische Konsumpraktiken haben und relativ guter Indikator für den Gesamt-Ressour- höher belastet wären. Und es gibt Reiche, die cenverbrauch, da hoher Materialeinsatz in der besonderen Wert auf ressourceneffizienten Kon- Regel auch energieintensiv ist. sum legen. Genau das ist aber Teil des Prinzips ppDas Infras-Institut Zürich hat mit Hilfe »Tax and Share«, das dem ökologischen Grund- ökonometrischer Simulationen die Wirkungen einkommen zugrunde liegt: Für alle entsteht von verschiedenen Formen der Ökosteuer ein preislicher Anreiz, mit weniger Umweltver- verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass brauch hergestellte und daher billigere Güter eine Öko-Bonus-Lösung (also die paritätische und Dienstleistungen vorzuziehen. Was aber ist Rückverteilung der steuerlichen Einnahmen) mit ärmeren Schichten, die diese Auswahloption eine Umverteilung nach unten mit sich bringen nicht haben – etwa Bewohner von schlecht würde (vgl. Infras o.J.). isolierten Wohnungen? Hier würde sich endlich ppDas Wuppertal-Institut untersuchte die der politische Druck erhöhen, diese Praxis einer Wirkung eines »Strom-Spar-Tarifs«, bei dem aufgezwungenen Energieverschwendung zu be- jedes Haushaltsmitglied 250 kWh pro Person enden – etwa durch gezielte Förderprogramme, kostenlos erhält, finanziert über eine Erhöhung Modernisierungsauflagen für Vermieter oder

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 61 Mietminderungsrechte bei Unterlassung. Doch Das zweite Dilemma betrifft die Begrenztheit keineswegs müssen bei jedem Konsumprodukt ordnungsrechtlicher Ansätze der Umweltpo- sozial problematische Folgen einer Ökosteuer litik, also Ge- und Verbote. Linke sehen darin administrativ-ordnungsrechtlich abgemildert oftmals die sozial gerechtere Alternative zu werden. Die Fälle, bei denen Ärmere zu über- ökonomischen Instrumenten: Die Politik solle durchschnittlichem Umweltverbrauch gezwun- umweltschädliche Konsumtionen schlicht gen sind, sind überschaubar. und einfach verbieten. Ins Visier genommen werden dabei zuallererst die mit einem hohen Raus aus den Sackgassen symbolischen Luxus-, Schwachsinns- und der Umweltpolitik Schädlichkeitsfaktor belegten Produkte wie Das ÖGE ist aber nicht nur ein Moment der Geländewagen, Fleischkonsum, Fernreisen Umverteilung, es führt auch aus einer Reihe etc. Tendenziell sollen aber alle ökologisch von Sackgassen der Umweltpolitik. fraglichen Konsumtionen von unnötigen Auto- Das erste Dilemma betrifft die ökono- fahrten bis hin zu farbigem Toilettenpapier für mischen Instrumente der Umweltpolitik, alle untersagt oder zumindest eingeschränkt die bisher sämtlich ohne Sozialausgleich werden. Dies wäre sozial, weil es jeden gleich eingeführt wurden (vgl. Schachtschneider i.E.), trifft, und möglicherweise auch ökologisch wie etwa die Energiesteuer auf Strom oder die zielführend – es schränkt aber die individuelle Mineralölsteuer auf Heizstoffe: Sind die Sätze Freiheit stark ein. Wir können nicht im Detail zu niedrig, bewirken sie nichts. Sind sie zu vorschreiben, welche Fahrzeuge zu welchen hoch, werden sie unsozial. Mit dem ÖGE wird Anlässen wann benutzt werden dürfen, wie dieses Dilemma in einen Vorteil gewendet: Je groß welche Wohnungen bei wie vielen Kin- höher die Sätze, desto größer der Umvertei- dern sein dürfen, welche Speisen aus welchen lungseffekt, und zwar international genauso Ländern ich zu welchen Anlässen in welcher wie im nationalen Rahmen. Das Verfahren Menge zu mir nehmen darf. Das alles – und kann auf jeder räumlichen Ebene angewendet noch viel mehr – müsste nämlich festgelegt werden. Eine globale CO2-Steuer, von deren werden. Von welchem Standpunkt aus aber Ausschüttung nach dem Pro-Kopf-Prinzip kann welcher Lebensstil untersagt oder die bevölkerungsreichsten armen Länder des gestattet werden? In welchen auch nur halb- Südens am meisten profitieren würden, könnte wegs demokratischen Verfahren sollte dies möglicherweise die festgefahrenen Klima- geschehen? Aus der Akzeptanz der Pluralität schutzverhandlungen wieder in Gang bringen. der Lebensstile in der Moderne folgt vielmehr, Solange aber ein globales Abkommen nicht zu dass Regeln abstrakter werden müssen. Wenn erreichen ist, kann auch eine Nation oder ein wir nicht alles im Detail regeln können und Staatenbündnis (wie die EU) damit beginnen, wollen, kann der Preis von Umweltnutzungen ihre zulässige Umweltnutzung durch Steuern den Individuen eine Grenze ihres jeweiligen und Zertifikateverkauf zu begrenzen und die Gesamt-Umweltverbrauchs setzen, die aber Einnahmen rückzuverteilen. gleichzeitig eine der Moderne angemessene

62 luxemburg 2/2013 | es reicht Freiheit des eigenen Lebensplans ermöglicht. sicht auf neue Arbeitsplätze beruhigt werden Um keine Missverständnisse aufkommen zu sollen, setzt das ÖGE auf eine Garantie sozialer lassen: Natürlich soll nicht alles über diesen Sicherheit – einer sozialen Sicherheit unabhän- Mechanismus geregelt werden. AKW-Strom gig vom Wirtschaftswachstum! Das Grundein- oder gentechnische Nahrungsmittel etwa kommen gewährt den Einzelnen eine größere sollten auch mit hohem Aufschlag nicht mehr Wahlfreiheit auf dem Arbeitsmarkt – nicht jeder zu bekommen sein, Grenzwerte für Emissio- Job muss angenommen werden. Dies ist nicht nen von Heizungsanlagen oder Fahrzeugen nur ein emanzipatorischer Fortschritt, sondern erfüllen auch weiterhin ihren Sinn. auch ein ökologisches Plus: Der Zwang zu öko- Durch ein ÖGE wird die Akzeptanz ver- logisch bedenklichen ökonomischen Aktivitäten schiedener Lebensstile gewahrt, die im Rahmen wird geringer. der ökologisch-monetären Beschränkung gelebt In der ökologischen Debatte wird ein werden können. Bestimmte Konsumtionen ressourcenleichter Lebensstil propagiert – hier werden zwar unattraktiver, können aber in liegt das vierte Dilemma: Dieser seit 20 Jahren Maßen weiter vollzogen werden. Die umver- von zivilgesellschaftlichen und staatlichen teilende Wirkung des ökologischen Grundein- Institutionen mit medialem Aufwand betrie- kommens sorgt dafür, dass diese individuelle bene Appell kommt jedoch bisher – jenseits Freiheit nicht auf Wohlhabende beschränkt kleiner avantgardistischer Gruppen – kaum an. bleibt, sondern sich im Gegenteil für alle Ein ressourcenleichter Lebensstil besteht aus Bevölkerungsteile öffnet. zwei Komponenten: dem ›anders‹ und dem Ein drittes Dilemma der Umweltpolitik ist ›weniger‹ Konsumieren. Soll das Weniger nicht die Kopplung von ökonomischen Existenzen an nur für Randgruppen attraktiv sein, muss die umweltschädliche Arbeitsplätze. Viele Produk- Gesellschaft insgesamt weniger herrschafts- tionen, die längst als ökologisch bedenklich förmig werden. Ein genügsamerer Lebensstil, erkannt wurden, werden heute nolens volens eine ›Eleganz der Einfachheit‹ kann sich nur akzeptiert, wenn nicht gar politisch gefördert, auf der Basis eines freiheitlichen Lebensalltags weil in der arbeitsplatzfokussierten Regulation entwickeln. Wer unten ist oder sich in welcher der kapitalistischen Ökonomie persönliche Weise auch immer unterdrückt fühlt, wer Existenzen daran gekoppelt sind. Mit einem ständig ein Gefühl der Knappheit empfindet, ökologischen Umbau der Wirtschaft ist ein tief- wer seine Arbeit als entfremdet wahrnimmt, greifender Wandel von Arbeitsplätzen, -struk- wird sich kaum von neuer Bescheidenheit turen und -qualifikationen verbunden, für die überzeugen lassen. Vielmehr liegt es nahe, es nur in einer Situation von »Angstfreiheit im dies durch demonstrativen Status-Konsum zu Wandel« (Die LINKE im Bundestag 2012) eine kompensieren. Eine massenweise Hinwendung breite Akzeptanz geben wird. Während in den zum Weniger hat nur dann eine Chance, wenn hegemonialen Konzeptionen zur Bearbeitung sie nicht als mühsame, aber unvermeidbare der ökologischen Krise wie dem Green New Veränderung daherkommt, sondern in einer Deal die Sorgen der Menschen mit der Aus- Befreiung aus beengenden, stressigen, sozial

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 63 isolierenden Verhältnissen ihre Attraktivität erscheinenden ökologischen Strukturwandel entfaltet. Bestandteil einer solchen Vision der Wirtschaft, und es eröffnet Räume für ge- wären Zeitwohlstand, ein Leben in mehr – frei nügsame Lebensstilorientierungen über kleine gewählten – Gemeinschaften und mit mehr in- Randgruppen hinaus. dividuellen Freiräumen, aber weniger Konsum- und Erwerbsdruck. Das ÖGE erleichtert es allen, Sozial-ökologischer Umbau – libertär und aus der Tretmühle ›Erwerbsarbeit – Konsum – antiproduktivistisch Erwerbsarbeit‹ zunächst einmal ›auf Probe‹ Ein ÖGE wäre ein zentrales Element eines »neu- auszusteigen. Neue Lebensstile des Weniger, en Gesellschaftsvertrages« zugunsten sozial-öko- des Zeitwohlstands, der stärkeren Orientierung logischen Fortschritts. Durch die Besteuerung auf nicht-monetäre Eigen- und Gemeinschafts- von Umweltverbrauch würden Wohlhabende arbeit statt auf Erwerbsarbeit hätten eine Chan- einen Teil ihrer »Komfortmacht« an die »Natur ce, auch jenseits von Randgruppen ausprobiert und an die Schlechtergestellten« (BUND/EED und geschätzt zu werden. 2008) abgeben. Ersteres durch veränderten Die zweite Komponente eines ressourcen- und reduzierten Konsum, letzteres durch die leichten Lebensstils ist das ›Anders‹, also der Auszahlung des ÖGE an jede(n) Einzelne(n). Konsum wenig(er) umweltbelastender Alterna- Aber ein ÖGE ist mehr als ein Umverteilungs- tivprodukte. Die ökologische Finanzierung des modell, das den sozial-ökologischen Umbau erst Grundeinkommens ist hierfür eine notwendige sozial werden lässt. Mit ihm würde auch sein Voraussetzung. Aus ökologischer Sicht lautet libertärer Charakter gestärkt, da die Spielräume eine Kritik am Grundeinkommen bekanntlich, zur Gestaltung eines eigenen Lebensplans für dass dann mit der größeren Massenkaufkraft alle – nicht nur die Begüterten – größer werden. noch mehr umweltschädliche Dinge gekauft Das ÖGE erweitert den sozial-ökologischen werden. Genau dies wird durch eine Änderung Umbau außerdem um eine antiproduktivisti- der relativen Preise qua ökologischer Steuern sche Option: Neben der Förderung technologi- vermieden: Produkte mit großem ökologischen scher Alternativen mit geringerem Ressourcen- Rucksack werden teurer als ihre umweltfreund- einsatz bewirkt es insgesamt einen Rückgang lichen Alternativen. Aber auch die Bereitschaft, ökonomischer Aktivitäten. Es verteuert einmal das Weniger in Erwägung zu ziehen – Konsum und macht es angesichts der größe- also bestimmte schädliche Konsumtionen ren sozialen Sicherung unattraktiver, Arbeit gänzlich sein zu lassen, wird durch die Verteue- aufzunehmen – ob als abhängig Beschäftigter rung von Umweltverbrauch gestützt. oder als Selbständiger. Neben den technischen Das ÖGE hat also das Potenzial, gleich aus Wegen der Effizienz und der Konsistenz mehreren Aporien der Umweltpolitik herauszu- (Verträglichkeit anthropogener und natürlicher führen: Es kann die Ökosteuer sozial machen, Stoffkreisläufe, z.B. Kreislaufwirtschaften) es erhält die Freiheit des Lebensstils trotz wird auch der nicht-technische Weg der ökologischer Einschränkungen, es verschafft Suffizienz, die Genügsamkeit gefördert. Das massenweise Akzeptanz für den bedrohlich genaue Verhältnis von technischem und nicht-

64 luxemburg 2/2013 | es reicht technischem Weg kann nicht vorausgesagt der ausgegebenen Mengen (Senkung der Ober- werden. In jedem Fall aber hat das ökologische grenzen), wie von Umweltverbänden gefordert, Grundeinkommen eine deproduktivistische könnte sich der Preis und damit die Ausschüt- Komponente und ist damit Bestandteil einer tung schnell auf das Doppelte erhöhen. Postwachstumsökonomie. Die deproduktivisti- ppWürde die Ökosteuer in Deutschland so sche Wirkung läuft der Finanzierungsfunktion erhöht, dass die Endpreise für Strom und für das Grundeinkommen nicht entgegen. Wer- Brennstoffe um zehn Prozent steigen, könnten den weniger Güter konsumiert und produziert, dieser Familie weitere 1 000 Euro im Jahr aus- was aus ökologischen Gründen erwünscht ist, gezahlt werden, bei einem Anstieg bis zu 50 kann das finanzielle Aufkommen durch die Prozent wären es sogar 1 000 Euro pro Person. sukzessive Erhöhung der Steuersätze trotzdem ppEs könnte eine Steuer auf den Abbau bzw. gleichbleiben oder gar steigen. Die Aufrechter- die Einfuhr von Baustoffen, Metallen und haltung des Ausschüttungsvolumens erfordert seltenen Erden eingeführt werden. Das wäre nicht die Beibehaltung einer bestimmten nicht nur eine weitere Quelle für das Grund- Menge unerwünschter, umweltbelastender einkommen, sondern würde einen Schub in Produktion, wie einige Kritiker einwenden. Richtung Kreislaufwirtschaft bringen. ppDie Neu-Versiegelung von Flächen (in Ein Einstieg ist möglich Deutschland täglich circa 100 ha) könnte mit Neue Paradigmen lassen sich in der Regel nur einer Abgabe versehen werden, um diesen über Einstiegsprojekte etablieren. Ein ÖGE Prozess endlich wirksam zu verlangsamen. eignet sich hervorragend zur schrittweisen Ein- ppDas ÖGE kann auch in materialer Form führung. Es kann klein begonnen werden, um eingeführt werden, zum Beispiel als Basis­ zunächst das Prinzip zu verankern. Ein ÖGE freimenge für Strom oder Gas, finanziert über kann langsam parallel zur bisherigen sozialen einen höheren Preis für den darüber hinaus- Sicherung aufgebaut werden. So kann Sicher- gehenden Verbrauch. Ein solcher »Spar-Tarif« heit im Wandel entstehen, bleibt ausreichend wurde von der Verbraucherzentrale NRW 2008 Zeit für Anpassungsprozesse. Mit dem Prinzip vorgeschlagen. Über das Energiewirtschafts- des »Tax and Share« könnte auf verschiedenen gesetz könnte das Anbieten einer solchen Ebenen und bei verschiedenen Umweltmedien Tarifstruktur bundesweit für jeden Versorger begonnen werden: vorgeschrieben werden. ppDie Deutschland zustehenden Einnahmen Das alles ergibt noch kein existenzsichern- aus den ab 2013 verstärkt zu versteigernden des Grundeinkommen. Aber es sind Schritte (und nicht mehr zu verschenkenden) Zertifi- in die richtige Richtung. Eingeführt wird das katen im Rahmen des EU-Emissionshandels Prinzip: Jeder Mensch erhält ohne Bedingung werden auf circa 10 Milliarden Euro pro Jahr einen Anteil am gemeinsamen Erbe der Gesell- geschätzt. Werden sie pro Kopf ausgeschüttet, schaft, dem Reichtum an Ressourcen, Wissen bekommt eine vierköpfige Familie 500 Euro und Produziertem, dem Reichtum an erster pro Jahr »Öko-Bonus«. Bei einer Verringerung und zweiter Natur.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 65 Grundeinkommen oder für Schadstoffe oder das japanische Prinzip, kollektiver Konsum? jeweils die energieeffizienteste Variante eines Produkts als Standard zu setzen. Warum mario candeias sollten wir nicht versuchen, sozial-ökologische Mindeststandards in der Produktion durch- Eine sozial-ökologische Transformation zusetzen, ob in Textilfabriken in Bangladesh muss sich mit dem Dilemma herumschla- oder Hühnerfarmen in Deutschland? Oder gen, dass eine radikale Reduzierung von ein Verbot von Gigalinern und übergroßen Ressourcenverbrauch und Schadstoffausstoß Geländewagen oder von Genprodukten in der entweder mit deutlichen Preisanstiegen in Nahrung von Mensch und Tier? Dies schränkt Folge konsequenter Ökosteuern verbunden ist die individuelle Wahlfreiheit in keiner Weise oder mit gesetzlich eingeschränkter Nutzung ein und ist sogar demokratischer, weil es alle bestimmter Güter. Die erste Variante führt zu betrifft und nicht nur jene, die sich bestimmte einer unverhältnismäßigen Belastung ärmerer Dinge dann nicht (mehr) leisten können. Haushalte, die zweite zu einer Einschränkung Solche Ge- und Verbote lassen sich mit der individuellen Freiheit. Diese und andere Ökosteuern und dem Vorschlag eines ökolo- sozial-ökologische Dilemmata greift Ulrich gischen Grundeinkommens auch problemlos Schachtschneider auf, um sie im Sinne eines kombinieren. gerechten Überganges mit einem »ökologi- Eine andere Möglichkeit, um beispiels- schen Grundeinkommen« zu überbrücken. weise Energiearmut zu vermeiden, findet Zugleich ist dies ein Einstiegsprojekt in sich im Parteiprogramm der LINKEN: Der eine »postneoliberale Sozialstaatlichkeit« Basisverbrauch soll »erschwinglich für alle (Kahrs), da zunächst klein begonnen wer- bleiben« und durch zusätzliche Gebühren der den kann, parallel zu bestehenden sozialen Vielverbraucher finanziert werden. Auch dies Sicherungssystemen. Dieses Herangehen ist als Prinzip auf viele Bereiche anwendbar. ist ausdrücklich zu begrüßen. Nur so sind Mittlerweile wird diskutiert, ob es nicht gar die genannten Widersprüche produktiv zu eine entgeltfreie Grundversorgung mit Ener- bearbeiten. Andernfalls käme eine unsoziale gie für alle geben sollte, da ein Leben ohne ökologische Modernisierung heraus (oder gar Energie nicht vorstellbar ist, es sich also um kein ökologischer Umbau). ein modernes menschliches Grundbedürfnis Doch warum kann der Weg »nur über handelt. Genau darum geht es, nicht nur um den Preis von Umweltnutzung gehen«? individuelle Konsumentscheidungen. Schachtschneider spricht von der »Begrenzt- Jahrzehnte neoliberaler Politik haben in heit ordnungsrechtlicher Ansätze der Um- vielen Bereichen soziale Infrastrukturen und weltpolitik«. Doch sind es eben jene Ge- und Dienstleistungen ausgedünnt, die moderne Verbote, die in der Vergangenheit oft den menschliche Grundbedürfnisse abdeckten. effektivsten ökologischen Nutzen gebracht Die Krise hat die Situation nicht gerade ver- haben: etwa das Verbot von FCKW, Grenzwerte bessert, Länder an der europäischen Periphe-

66 luxemburg 2/2013 | es reicht rie an den Rand ihrer Reproduktionsfähigkeit Verteuerung meines privaten Swimmingpools; gebracht. Entsprechend treten Kämpfe um entgeltfreier öffentlicher Nahverkehr, aber Reproduktion und Lebensweisen wieder in Aufschläge für häufige Flugreisen, entgelt- den Vordergrund (vgl. LuXemburg 4/1012). Sie freier Zugang zum Internet und zu digitalen waren immer präsent, aber oft überschattet Gütern, aber Preissteigerungen für riesige von (klassischen) Arbeitskämpfen – obwohl Datentransfers etc. Notwendige Gesundheits- die Gegenüberstellung schon falsch ist: versorgung, Erstausbildung und bestimmte Produktions- und Lebensweisen hängen aufs Zeiten der Weiterbildung sollten für alle Engste zusammen. Die Einzelnen müssen die kostenfrei zur Verfügung stehen. Bezahlbarer damit verbundenen Widersprüche alltäglich (auch innenstädtischer) Wohnraum kann über austragen und abwägen, um handlungsfähig eine Mischung aus Mietpreisregulierung, zu bleiben. Es gibt gute Gründe, Politik von sozialem Wohnungsbau, Förderung nicht den Lebensperspektiven und Handlungsstra- profit-orientierten kollektiven Eigentums und tegien der Individuen selbst her zu denken. einer entsprechenden Liegenschaftspolitik Hier gilt es an existierende Kämpfe und erreicht werden. Eine solche Orientierung auf Praxen anzuknüpfen: für bessere Kinder- kollektiven Konsum qua sozialer Infrastruk- betreuung und Schulen, für Bildung und turen wäre die Grundlage für individuelle Gesundheit für alle, für bezahlbares Wohnen Freiheit jenseits von Existenzängsten – und oder Kämpfe um Zeit. auch die Grundlage einer sozial-ökologischen Sie alle drehen sich um moderne mensch- Lebensweise. liche Grundbedürfnisse, die nicht in jedem Fall über den Preis zu regeln sind. Sie sollten Literatur Bilharz, Michael, 2008: »Key Points« nachhaltigen Konsums, jeder Einzelnen, unabhängig von sonstigen Marburg BUND/EED (Hg.), 2008: Zukunftsfähiges Deutschland in einer Konsumentscheidungen, zur Verfügung globalisierten Welt, Frankfurt/M stehen, entgeltfrei oder zu geringen Kosten. Infras, o.J.: Soziale und räumliche Wirkung von Energieabgaben, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Energie, Bern Ein Beispiel für eine europaweit ver- Keuschnigg, Marc, und Johannes Schubert, 2013: Münchener bindende Perspektive von Kämpfen um Umweltsurvey: Privater Umweltverbrauch in den Berei- chen Wohnen und Mobilität, Arbeitspapier des Instituts soziale Grundbedürfnisse wäre die Arbeit an für Soziologie der LMU München einer Forderung für eine entgeltfreie soziale Die LINKE im Bundestag, 2012: Plan B. Das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau, Berlin Infrastruktur, eine bedingungslose sozial- Schachtschneider, Ulrich, i.E.: Verteilungswirkungen ökonomi- ökologische Grundversorgung, etwa in den scher Instrumente zur Steuerung der Energiewende, Studie im Auftrag der RLS Berlin Bereichen Energie, Trinkwasser, Mobilität, Siemens AG (Hg.), 2011: German Green City Index. ­Analyse der Internet etc., sowie kostenlose Gesundheits- Leistungen zwölf deutscher Großstädte im Bereich Umwelt- und Klimaschutz, Eine Studie der Economist ­Intelligence Unit versorgung, Bildung und Weiterbildung und im Auftrag der Siemens AG, München, www.berlin-partner. ein Recht auf Wohnen. Auch hier könnte – wie de/fileadmin/chefredaktion/pdf/studien-rankings/2011_ de_german_green_city_index.pdf bei der Energie – der Vielverbrauch entspre- Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie/ Ö-Quadrat, chend teuer gestaltet werden: also ein entgelt- 2008: Ökologische und ökonomische Konzepte: Kurz- gutachten Stromspartarif, www.energieverbraucher.de/ freies Trinkwasserkontingent pro Kopf, aber files_db/1236100843_1822__12.pdf

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 67 Meine Oma hat nen Mini-Job bei Aldi …

Matthias W. Birkwald »Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen und die erste und die zweite Hypothek« wollte Robert Steidl es im Kölner Karneval 1922 von den Gassenwänden widerhallen hören. Damit hatte er den Jahrhundertschla- ger komponiert. Von Kurt Tucholsky wurden wir in seiner Analyse glücklicherweise darüber aufgeklärt, dass »die Hypothek selbst ja eine Schuld ist, die man unmöglich vertrinken kann – meint er doch wahrscheinlich die für die eingetragene Hypothek als Darlehn gegebene Summe, die der Schuldner oder die Schuldnerin in leicht- fertiger Weise verbraucht.« (Panter 1922, 623) Nun ja. Deshalb hat sich wohl auch die Hühnerstallvariante durchgesetzt. Seither hat Oma viel erlebt und durch- gemacht: Schauspielkarriere in Hollywood, Motorradführerschein, Anschaffung eines Himmelbetts etc. Wehmütig denken wir 2013 zurück an Omas Klosettpapier mit Blümchen: Zu teuer. Wir erleben ihr Revival im neuen Globalisierungs-Look: Oma ist fit, beruflich

68 luxemburg 2/2013 | es reicht flexibel und entgeltpunktemäßig auf Zack. So mehr, noch durchschnittlich 1 021 Euro Rente donnert es von allen Seiten: überwiesen, im Jahr 2011 waren es nur noch Meine Oma hat nen Mini-Job bei Aldi, 953 Euro. Jeder Jahrgang, der neu in Rente bei Aldi, bei Aldi geht, erhält im Schnitt weniger Rente als der Meine Oma hat nen Mini-Job bei Aldi Jahrgang zuvor. Wen verwundert es da noch, Und am Wochenende putzt sie bei Frau Schmidt. dass auch die Anzahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten im Rentenalter zwi- Alarmierende Zahlen schen den Jahren 2000 und 2011 um knapp Grundgesichert im Ruhestand leben Rentne- 60 Prozent (vgl. Bundesagentur für Arbeit rInnen in Deutschland momentan von durch- 2012) gestiegen ist? schnittlich 707 Euro. Die »Grundsicherung Warum ist das so? In der Bundesrepublik im Alter und bei Erwerbsminderung« heißt Deutschland haben wir es bei der Rentenver- offenbar so, weil sie der Grund dafür ist, dass sicherung mit dem Prinzip der Teilhabeäqui- sich immer mehr RentnerInnen ihren Lebens- valenz zu tun. Rentenansprüche sind also unterhalt mit Mini-Jobs sichern müssen. Seit In-Kraft-Treten des Sozialgesetzbuches XII (SGB XII) am 1. Januar 2003 ist die Anzahl Matthias W. Birkwald ist Kölner, Bundestags- der Grundsicherungsbeziehenden allein bis abgeordneter und seit 27 Jahren Mitglied der IG- Metall. Politisch engagiert war er eigentlich schon zum Jahr 2010 um 80 Prozent gestiegen. Von immer: In den 1980er Jahren wurde er Jungdemo- ehemals 439 000 Menschen im Jahr 2003 auf krat/Junger Linker, 1993 PDS-Mitglied. Heute ist er 797 000 im Jahr 2010. Davon waren 436 210 rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion älter als 65 Jahre, ihre Zahl ist in diesem Zeit- die LINKE. Außerdem ist er Mitglied der Rosa- Luxemburg-Stiftung in Nordrhein-Westfalen. raum um 69 Prozent gestiegen (Statistisches Bundesamt 2012, eigene Berechnungen). Sie sind die amtlich in Altersarmut Lebenden. Die offizielle Quote für Armutsrisiko bei erstens davon abhängig, wie hoch oder eben über 65-Jährigen lag im Jahr 2010 bei 14,2 gering das beitragspflichtige Arbeitsentgelt der Prozent (Bundestag 2013, 303). Hinzu kommt, oder des Versicherten gewesen ist. Relevant dass etwa die Hälfte derjenigen, die einen ist dabei das sozialversicherungspflichtige Anspruch auf die Grundsicherung im Alter Einkommen des gesamten Arbeitslebens bis haben, diese nicht beantragen – Stolz oder zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. In Scham halten sie davon ab. Die Dunkelziffer manch anderen europäischen Staaten ist das liegt zwischen 60 und 68 Prozent und somit anders geregelt. In Spanien z.B. sind nur die irgendwo zwischen 1,1 und 1,4 Millionen (vgl. letzten 15 Jahre vor Renteneintritt von Belang. Becker 2012). Zweitens ist die Dauer der versicherungs- Die Rentenzahlbeträge sinken stetig. Im pflichtigen Erwerbstätigkeit zur Berechnung Jahr 2000 erhielten langjährig Versicherte, von Rentenansprüchen entscheidend. Hier also jene mit 35 Versicherungsjahren und wird deutlich, dass die relative Einkommens-

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 69 In Zukunft werden Menschen mit Phasen längerer Erwerbslosigkeit also zwangsläufig in der Altersarmut landen, was besonders Ostdeutsche betreffen wird.

Du willst mich wohl verriestern?! Die SPD-Grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder ist auch für die Riester-Reform von 2001 verantwortlich. In ihrem Kern bedeutet sie die Abschaffung der Lebensstandardsicherung als Prinzip der Alters- vorsorge. Ersetzt wurde sie durch das Prinzip der Beitragssatzstabilität – ein Paradigmen- wechsel mit harten Folgen. Das Rentenniveau sinkt seitdem von Jahr zu Jahr. Aber: Stabile Beitragssätze könnten auch durch höhere Einnahmen erzielt werden. Zum Beispiel könnten SpitzenverdienerInnen Pedro Moura auch zu SpitzenbeitragszahlerInnen gemacht Pinheiro/flickr werden, indem die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft würde. Auch könnten Minijobs ab position auf dem Arbeitsmarkt sich später der ersten Stunde sozialversicherungspflichtig auch in der Rente widerspiegelt. sein oder ein flächendeckender Mindestlohn Die verheerenden Entscheidungen der eingeführt werden. Die Lohneinkommen der SPD-Grünen-Regierung im Hinblick auf Beschäftigten könnten insgesamt gestärkt und den Arbeitsmarkt führten zur Explosion mehr gute Arbeit geschaffen werden. All dies des Niedriglohnsektors, zu Lohndumping, ist bis dato nicht geschehen. schlecht bezahlter Leiharbeit, Minijobs usw. Stattdessen wurde der andere Weg Inzwischen wird fast ein Viertel aller Beschäf- eingeschlagen, die Ausgaben für die Renten tigten im Niedriglohnsektor ausgebeutet. Im zu senken. Durch die Einführung von Dämp- Jahr 2010 lag der durchschnittliche Stunden- fungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel lohn im Niedriglohnsektor bei 6,68 Euro in wird das Sicherungsniveau der gesetzlichen Westdeutschland und 6,52 Euro im Osten Rente vor Steuern von knapp 53 Prozent im (vgl. Kalina/Weinkopf 2012). Niedrige Löhne Jahr 2000 auf bis zu 43 Prozent im Jahr 2030 bedeuten demnach per se niedrige Renten. sinken. So steht es als Möglichkeit schon Für Langzeiterwerbslose in Hartz IV heute im Gesetz. Die Renten verlieren damit haben Union und FDP jegliche Beitragszah- ein Fünftel ihres Wertes. Zwei kurze konkrete lung in die Rentenversicherung gestrichen. Beispiele: Eine Rente von 1 000 Euro ist

70 luxemburg 2/2013 | es reicht dann nur noch 800 Euro wert. Bei einem geflossen, elf Milliarden davon an die Ver- durchschnittlichen Bruttoeinkommen von sicherer, eine Milliarde an die Versicherten. 2703 Euro monatlich bedeutet diese Niveau- Die Versicherungsunternehmen haben bisher senkung, dass in Zukunft 35 Jahre lang in die etwa 36 Milliarden Euro an der Verriesterung Rentenkasse eingezahlt werden muss, um der Versicherten verdient (vgl. Kleine Anfrage eine Rente zu erhalten, die über dem Grundsi- 2011). Die Unternehmen dankten dies mit cherungsniveau liegt. Heute sind es 26 Jahre. großzügigen Parteispenden.1 Es entsteht also nach und nach eine immer größer werdende Versorgungslücke. Gekürzt und Abgeschlagen Um diese zu schließen, wurde ein simples, Auch bei den Invaliden-Renten griff man zu. aber sinnloses Konzept erarbeitet. Alle Versi- Die Berufsunfähigkeitsrente wurde abgeschafft cherten sollen neben der gesetzlichen Rente und für alle ab Jahrgang 1961 eine Erwerbs- noch vier Prozent ihres Bruttoeinkommens in minderungsrente eingeführt. Seither können eine Riester-Rente einzahlen. Diese sollte den Erwerbsgeminderte frühestens mit 63 Jahren Niveauverlust der gesetzlichen Rente sogar eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente überkompensieren. Sie wird aber die Lücke beziehen. Jeder einzelne Monat früher wird in der Altersvorsorge nicht einmal annähernd mit Abschlägen bestraft. Sie betragen im schließen können. Gerade einmal zwischen 37 Schnitt 76,61 Euro (vgl. Deutsche Rentenver- und 41 Prozent der potenziellen SparerInnen sicherung Bund 2012). Die durchschnittliche riestern, d.h. die Mehrheit derer, die eine Ren- Rente bei voller Erwerbsminderung beläuft tenlücke zu füllen haben, tut das nicht: Ihnen sich dabei mittlerweile nur noch auf rund 604 fehlt schlicht das Geld für die Prämien. Euro. Damit liegt sie noch unter dem durch- Aber auch bei den Menschen, die einen schnittlichen Grundsicherungsniveau. Vertrag haben, wird das Versprechen in den Auch bei der »Rente erst ab 67« handelt meisten Fällen nicht aufgehen. Denn ein es sich um ein drastisches Kürzungspro- Fünftel der Verträge ruht und viele Verträge gramm. Die wenigsten Menschen, nur 14,2 werden nicht mit dem vollen für die Zula- Prozent der 64-Jährigen, schaffen es, bis 65 genförderung nötigen Betrag bespart. Hohe sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu Verwaltungskosten, überhöhte Langlebigkeits- sein. Vollzeitbeschäftigt sind unter den 60- bis annahmen, miese Renditen und die mangeln- 64-Jährigen nur 19,4 Prozent, bei den Frauen de Dynamisierung der Leistungen machen sind es sogar nur 5,9 Prozent. Die »Rente erst Riestern nicht viel besser als den guten alten ab 67« bedeutet mehr Abschläge (bis zu 14,4 Sparstrumpf. Dafür hat sich die Riester-Rente Prozent) für eine noch größere Personengrup- in erster Linie als ein gigantisches Förder- pe und somit Kürzungen. Diese Zahlen und programm für die Versicherungswirtschaft die dahinter stehenden realen Entwicklungen erwiesen. Zwölf Milliarden Euro an Steu- sind schon bei einigen angekommen und ergeldern sind zwischen 2002 und 2012 in deshalb ist die Rentenpolitik auch ein großes Form von Subventionen in die Riester-Rente Wahlkampfthema.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 71 Rentenwahljahr 2013 Nur wenn die Dämpfungsfaktoren gestrichen, oder das Ende vom Lied die Beitragssatzobergrenzen gekippt und die Im Bundestagswahljahr 2013 nun schlagen Unternehmen damit wieder stärker in die fast alle Fraktionen mit vermeintlich neuen Verantwortung genommen werden, kann Rentenkonzepten auf. Werfen wir zunächst ein Rentenniveau erreicht werden, das den einen Blick auf die zukünftigen verarmten Lebensstandard im Alter sichert. RentnerInnen. Es sind Menschen, die heute Vergleichen wir die Konzepte von im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, Allein- Schwarz, Gelb-blau, Pseudorot und Grün, fällt erziehende, Erwerbsgeminderte, Langzeitar- vor allem auf, dass ihnen kaum zu überwin- beitslose und Solo-Selbstständige. Das betrifft dende Hürden innewohnen: derzeit gut 22 Prozent aller Erwerbstätigen. In Schwarz verlangt bis zu 45 Versiche- Ostdeutschland werden die Renten wegen der rungsjahre und bis zu 35 Jahre Riester-Vor- rund doppelt so hohen Arbeitslosigkeit und sorge o.ä. und bietet bis zu 850 Euro brutto der vielen gebrochenen Erwerbsbiographien (die »Lebensleistungsrente«). Vielleicht. seit 1990 drastisch sinken. Arbeitsmarkt- Oder doch nur zehn bis 15 Euro mehr als die politische Entscheidungen sind untrennbar Grundsicherung. Man ist sich noch nicht verknüpft mit Fragen nach Altersarmut und einig. Ergebnis: Meine Oma zockt mit Pfandfla- Konzepten, die ihr entgegenwirken. schen am Bahnhof, am Bahnhof... Zunächst einmal sind Gute Arbeit und Gelb-blau hat kein Konzept zur Verhin- Gute Löhne Voraussetzungen für eine Gute derung von Altersarmut, das diesen Namen Rente, die den erarbeiteten Lebensstandard verdienen würde. Ergebnis: Meine Oma fährt sichert. Derzeit ist ein flächendeckender Betrunkene im Taxi, im Taxi... gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von zehn Blassrot verlangt 40 Versicherungsjahre Euro brutto pro Stunde hier die dringend und 30 Beitragsjahre und bietet ebenfalls 850 notwendige absolute Untergrenze. Rechnet Euro (»Solidarrente«). Brutto oder Netto? Ist man das künftig sinkende Rentenniveau mit noch unklar. Ergebnis: Meine Oma sitzt im ein, müssten es heute eigentlich schon 11,31 Callcenter als Piepton, als Piepton... Euro sein. Ein flächendeckender gesetzlicher Grün verlangt immerhin ›nur‹ noch 30 Mindestlohn von 8,50 Euro ist also nicht hoch Versicherungsjahre für 850 Euro brutto (764 genug, um künftige Altersarmut zu verhin- Euro netto). Aber nur für künftige Rentne- dern. rInnen. Ergebnis: Kein Omasong, denn die Eine weitere Kernfrage im Kampf gegen Grünen sind über Volkskalauer erhaben. künftige Altersarmut ist das Rentenniveau: Für CDU/CSU, FDP und Grüne ist die Union, FDP und Grüne wollen da nicht ran, »Rente erst ab 67« alternativlos. Die LINKE sie halten die Absenkung des Rentenniveaus hingegen fordert eine Solidarische Min- für unabdingbar (vgl. IG Metall). Die SPD will destrente, deren Kern zunächst einmal darin es zwar über Lohnpolitik stabilisieren, wagt besteht, dass diejenigen sie bekommen, die sich aber nicht an die Rentenformel heran. sie brauchen. Das Ziel lautet: Niemand soll

72 luxemburg 2/2013 | es reicht von weniger als 1 050 Euro netto im Alter lasten. Das Gegenteil ist der Fall: Sie müssen leben müssen. mehr für ihre Altersversorgung aufbringen, Die »Rente erst ab 67« wird ohne Wenn weil die Unternehmen sich nicht paritätisch an und Aber abgelehnt, ebenso die ungerechten der Finanzierung ihrer gesamten Alterssiche- Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten. rung beteiligen, und erhalten später geringere Vielmehr sollen alle Menschen ab dem 60. Renten. Es ist also gerade auch im Interesse Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen der Jungen, die gesetzliche Rente zu stärken können, wenn sie 40 Jahre lang in die Ren- und gerecht zu finanzieren. An uns allen liegt tenversicherung eingezahlt haben. Außerdem es nun, für eine zukunftsfähige und bezahlbare fordert die LINKE, alle Erwerbstätigen in die Solidarische Rentenversicherung einzustehen, gesetzliche Rentenversicherung einzubezie- in die alle Erwerbstätigen einzahlen. Dann hen, also auch BeamtInnen, Selbständige kann Oma das Motorradfahren auch genießen. und PolitikerInnen. Mittelfristig muss ohne Beitragsbemessungsgrenze gelten: Je höher Literatur Becker, Irene, 2012: Finanzielle Mindestsicherung und Be- das Erwerbseinkommen, desto höher die Ein- dürftigkeit im Alter, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2012, zahlungen in die Rentenversicherung. Damit http://www.boeckler.de/impuls_2012_13_2.pdf (6.5.2013) Bundesagentur für Arbeit, 2012: Beschäftigungsstatistik: Umverteilungsspielraum entsteht, müssen die Geringfügig entlohnte Beschäftigte nach Altersgruppen. hohen Rentenansprüche abgeflacht werden. Deutschland – Zeitreihe, Nürnberg Bundestag 2013: Lebenslagen in Deutschland – Vierter Auch die ArbeitgeberInnen müssen sich – wie Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, früher – zur Hälfte an der Finanzierung einer BT-Drs. 17/12650, http://dip21.bundestag.de/dip21/ btd/17/126/1712650.pdf (21.5.2013) den Lebensstandard wieder sichernden gesetz- Deutsche Rentenversicherung Bund, Hg., 2012: Rentenversi- lichen Rentenversicherung beteiligen. Für die cherung in Zeitreihen, http://forschung.deutsche-renten- versicherung.de (6.5.2013). Beschäftigten wäre das unter dem Strich sogar IG Metall, o.D.: Bausteine für den flexiblen Übergang in den günstiger als heute mit Riester und Betriebs- Ruhestand. Gute Arbeit – gut in Rente, www.gut-in-rente. de/kampagne/broschueren-zum-download/ (21.5.2013) renten. MillionärInnen, Groß-ErbInnen und Kalina, Thorsten, und Claudia Weinkopf, 2012: Niedriglohnbe- SpitzenverdienerInnen müssen über höhere schäftigung 2010: Fast jede/r Vierte arbeitet für Niedrig- lohn, IAQ-Report 1/2012. Steuern stärker in die Pflicht genommen Kleine Anfrage 2011: Antworten der Bundesregierung auf die werden. Damit können Maßnahmen für Kleine Anfrage von Matthias W. Birkwald »Zur lückenhaften Datenlage und anhaltenden Kritik nach 10 Jahren Riester- den Solidarausgleich in der Rente finanziert Rente«, BT-Drs. 17/7964 v. 30.11.2011, Fragen 10 und 12. werden. Die sind dringend notwendig, denn Tucholsky, Kurt alias Peter Panter, in: Die Weltbühne v. 14.12.1922 die Entwicklung ist katastrophal: Schon heute Statistisches Bundesamt, 2012: Statistik der Empfänger von haben zum Beispiel über 120 000 Menschen, Grundsicherung. Genesis Onlinedatenbank die älter als 75 Jahre sind, einen Mini-Job und weder Hühnerstall noch Motorrad. 1 Allein die Allianz AG spendet seit 2002 immer wieder Häufig wird behauptet, die Rentenein- Beträge in Höhe von bis zu 60 Tausend Euro an CDU und SPD und Beträge bis zu 50 Tausend an FDP und Grüne. Vgl. u.a. schnitte von Rot-Grün bis Schwarz-Gelb seien http://www.bundestag.de/bundestag/parteienfinanzierung/ im Interesse der Jungen und würden sie von fundstellen50000/index.html) (21.5.2013). Mit dem Parteien- spendengesetz von 2002 sind erst Summen ab 50 Tausend den Kosten der Alterung der Gesellschaft ent- Euro veröffentlichungspflichtig und nachvollziehbar.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 73 mit steuern umsteuern

Axel Troost, Christoph Sauer Steuern sind mehr als nur Staatseinnahmen. Mit Steuern lässt sich – wie der Name schon und Philipp Hersel sagt – steuern. Die Forderungen der LINKEN zur Ausweitung bestimmter öffentlicher Aus- gaben sind nur eine Facette eines grundlegen- deren Paradigmas: Umverteilen! Steuern sind ein zentrales Instrument, Mittel von privat nach öffentlich umzuverteilen. Das Steuersys- tem entscheidet, welche Bevölkerungsgruppen wie viel zur Finanzierung des Öffentlichen beitragen müssen, von daher kann es in erheblichem Maße Einfluss auf die Einkom- mens- und Vermögensverteilung nehmen. Die Ausgabenstruktur des Staates wiederum ist auch ein Verteilungsinstrument, denn es macht einen großen Unterschied, ob der Staat die Renten und Sozialtransfers erhöht oder ob er sein Geld lieber an die Atom- oder Gentech- nikindustrie oder die sich häufenden ›großen unnützen Projekte‹ durchreicht. Die steuerpolitischen Vorstellungen der LINKEN sind daher nicht nur mit Blick darauf interessant, wie viel zusätzliche Staatseinnah-

74 luxemburg 2/2013 | es reicht men generiert werden, sondern wie die Um- dienerinnen und -verdiener sehr hoch belastet verteilungswirkungen insgesamt ausfallen. wurden (vgl. Reiner in diesem Heft).

Die Steuersünden der Vergangenheit Die öffentliche Hand In den vergangenen 14 Jahren sind alle größe- braucht mehr Einnahmen ren Steuerreformen nach demselben Muster Es steht außer Frage, dass die öffentliche Hand vorgenommen worden. Während es für mehr Einnahmen braucht, da die Steuerminder- niedrige und mittlere Einkommen bestenfalls einnahmen der Vergangenheit zu ökonomisch Almosen gab, durften sich Reiche und Vermö- schädlichen Ausgabenkürzungen geführt haben, gende über zahlreiche kräftige Steuergeschen- die Banken- und Eurorettung bereits jetzt im- ke freuen. Die hervorstechendsten Beispiele mense Kosten verursacht hat und die Volkswirt- sind die Nichterhebung der Vermögensteuer schaft endlich einen ökologisch-sozialen Umbau seit 1999, die Senkung des Spitzensteuer- braucht, um ein qualitatives, nachhaltiges satzes von 53 auf 42 Prozent durch Rot-Grün Wirtschaftswachstum anzustoßen. und die Einführung der Abgeltungsteuer und die Erbschaftsteuerreform durch die große Koalition. Letztere ermöglicht nicht nur die Axel Troost ist stellvertretender Parteivorsitzen- steuerfreie Vererbung von Betriebsvermögen, der, finanzpolitischer Sprecher und parlamen- sondern durch entsprechende Gestaltung tarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag. auch die von Privatvermögen: Beispielsweise Christoph Sauer ist steuerpolitischer Referent kann ­Vermögen in ein Unternehmen einge- der Linksfraktion. bracht und dann als Betriebsvermögen vererbt Philipp Hersel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter werden (»Cash-GmbHs«). Die amtierende im Bundestagsbüro von Axel Troost. schwarz-gelbe Koalition hat diese Privilegie- rung noch weiter ausgebaut. Derzeit können Vermögen im Bereich zwei- bis dreistelliger Reform der Einkommensteuer: Die LINKE will die Millionenbeträge steuerfrei oder nur mit Umverteilung von unten nach oben umkehren. niedrigen Belastungen vererbt werden. Geringe und mittlere Einkommen können stark Insgesamt sind durch diese Maßnahmen entlastet werden, indem der Grundfreibetrag auf Mindereinnahmen von 235,5 Milliarden Euro 9 300 Euro erhöht und der bislang steile Anstieg im Zeitraum 2000 bis 2011 entstanden (vgl. der Steuersätze für mittlere Einkommen deut- Höll et al. 2013). lich gesenkt wird. Der Spitzensteuersatz soll ab Obwohl die Reichen immer reicher wur- einem zu versteuernden Jahreseinkommen in den, blieb ihr Anteil am Steueraufkommen Höhe von 65 000 Euro wieder wie zu Helmut weitgehend konstant. Das bedeutet nichts Kohls Zeiten auf 53 Prozent erhöht werden, ein anderes, als dass die reale Steuerbelastung zu versteuerndes Einkommen von über einer der Superreichen in Deutschland deutlich Million Euro jährlich (nach Abzug aller Sozial- gesunken ist, während vor allem Geringver- versicherungsbeiträge) mit einer Reichensteuer

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 75 von 75 Prozent belegt werden. Im Ergebnis wird jede Person, die weniger als 5700 Euro pro Monat zu versteuern hat, entlastet. Alle anderen werden belastet. Durch eine starke Mehrbelas- tung zehntausender Reicher wird eine deutliche Steuerentlastung für Millionen finanziert. Für deutliche Mehreinnahmen des Staates, also eine Umverteilung von privat nach öffentlich, bleiben bei der Einkommensteuer leider kaum Spielräume. Dies wird eher durch die Millio- närs- und Erbschaftsteuer erreicht (s.u.) Abschaffung der Abgeltungsteuer:Ein ele- mentarer Bestandteil der Reform der Einkom- mensteuer hin zu einer höheren Besteuerung großer Einkommen muss die Abschaffung der Abgeltungsteuer für Kapitalerträge sein.1 Die LINKE fordert, dass Kapitalerträge zum persönli- chen Steuersatz statt pauschal mit einem Satz in Höhe von 25 Prozent versteuert werden. Die Abgeltungsteuer ist ein klarer Verstoß gegen die steuerliche Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und stellt eine deutliche Privilegierung hoher Kapitalerträge dar. Die Begründung der unsozialen Abgeltungsteuer durch den damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) (»Lieber 25 Prozent von x als 45 Prozent von nix«; er meinte damit, die Abgeltungsteuer würde die Anreize zur Steuerhinterziehung vermindern) ist von der Realität widerlegt. Höhere Besteuerung von Vermögen durch Erbschaft- und Millionärsteuer: Kaum ein Land erzielt bei den vermögensbezogenen Steuern

(Grund-, Vermögen-, Erbschaft- und Schen-

kungs- sowie Vermögensv erkehrssteuern) so geringe Einnahmen wie Deutschland. Laut OECD betrug deren Anteil am Bruttoinlandspro-

dmytrok/flickr dukt im Jahr 2010 gerade einmal 0,8 Prozent.

76 luxemburg 2/2013 | es reicht Das ist nicht einmal die Hälfte des OECD- bung des Körperschaftsteuersatzes für Kapital- Durchschnitts von 1,8 Prozent (vgl. OECD 2013). gesellschaften von 15 auf 25 Prozent. Zur gezielten Besteuerung hoher Vermögen fordert die LINKE die Wiedererhebung der Fazit Vermögensteuer in Form einer Millionärsteuer Eine höhere Besteuerung von Reichen und sowie eine Reform der Erbschaftsteuer.2 Vermögenden ist aus verteilungs-, haushalts-, Die Millionärsteuer bezieht sich aus- finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen schließlich auf Nettovermögen von Vermögens- notwendig. Die LINKE hat hierfür konkrete und millionären. Vermögen unter einer Million umsetzbare Vorschläge vorgelegt. Die Erzielung Euro sind als Freibetrag von der Millionärsteu- zusätzlicher Staatseinnahmen (»Umvertei- er freigestellt. Der Teil des Vermögens von Mil- lung von privat nach öffentlich«) ist dabei ein lionären, welcher oberhalb von einer Million wichtiger, aber keineswegs der einzige Aspekt. Euro liegt, wird mit fünf Prozent besteuert. Das Steuerkonzept zieht seine Berechtigung Mit einer Reform der Steuersätze und der auch aus seiner Umverteilungswirkung zwi- Steuerbefreiungen will die LINKE die Einnah- schen den Einkommensteuerzahlerinnen und men aus der Erbschaftsteuer deutlich erhöhen. -zahlern, weil im Gegensatz zum Steuerkonzept Eckpunkte sind: Alle Begünstigten erhalten der SPD eine Entlastung der niedrigen und einen einheitlichen Freibetrag in Höhe von mittleren Einkommen zulasten der Reichen 150 000 Euro. Für Erben, die das 60. Lebens- vorgesehen ist. Diese fällt um ein Vielfaches jahr vollendet haben, minderjährige Kinder, höher aus als im Steuerkonzept der Grünen. Hinterbliebene aus einer Ehe oder einer einge- Umverteilen durch Um-Steuern ist keine tragenen Lebenspartnerschaft oder alternativ Alternative zur Durchsetzung höherer Löhne für eine von der Erblasserin oder dem Erblasser und Gehälter. Der Kampf um die Lohntüte benannte Person verdoppelt sich der Freibetrag muss mindestens ebenso hart geführt wer- auf 300 000 Euro. Damit ist sichergestellt, dass den wie der Kampf um Steuergerechtigkeit. das durchschnittliche Wohneigentum nicht be- Umgekehrt ist Steuerpolitik aber keineswegs steuert wird. Darüber hinaus gehende Erbfälle ein naiver, kosmetischer Reparaturbetrieb und werden mit einem Eingangssteuersatz von 6 verdient daher den vollen politischen Einsatz. Prozent bis hin zu einem Spitzensteuersatz Literatur von 60 Prozent (ab einem zu versteuernden Höll, Barbara, Richard Pitterle und Axel Troost, 2013: »Staats- Erbe von drei Millionen Euro) besteuert. Groß- schuldenkrise« und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand, http://dokumente.linksfraktion.net/download/ zügige Stundungsregelungen verhindern, dass staatsschuldenkrise.pdf, 8.1.2013 das Fortbestehen von kleinen und mittleren IMK 2012: IMK-Steuerschätzung 2012-2016, IMK Report 76, Oktober 2012 Unternehmen gefährdet wird. OECD 2013: StatExtracts, http://stats.oecd.org, 1.3.2013 Unternehmensbesteuerung: Die zahlreichen Steuersenkungen für Unternehmen aus den 1 Vgl. Antrag der Fraktion die LINKE, Bundestags-Drucksa- letzten zehn Jahren sollen zurückgenommen che Nr. 17/4878. 2 Vgl. Anträge der Fraktion die LINKE, Bundestags-Drucksa- werden. Wichtigste Maßnahme ist die Anhe- chen Nr. 17/8792 und 17/2944.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 77 ehegattensplitting 2.0

Katrin Mohr Antje Schrupp

Splitting für alle selbstständig für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Nicht alle wollten sich nun wieder Antje Schrupp an einen Ehemann binden. In den ersten Nachkriegsjahren gab es zahlreiche alleinste- Das Ehegattensplitting gehört abgeschafft – hende Frauen und auch viele, die mit anderen dies scheint Konsens zu sein im linken und/ Frauen zusammen lebten. Nicht unbedingt in oder feministischen Lager und sogar darüber einer lesbischen (Liebes)beziehung, aber eben hinaus. Dass der Staat Steuererleichterungen doch: unabhängig von Männern. einräumt für Paare, von denen einer (oder In dieser Situation bot das Ehegatten­ meistens: eine) nicht erwerbstätig ist oder splitting einen finanziellen Anreiz zur zumindest deutlich weniger verdient, ist in Eheschließung: Es gewährte Ehepaaren der Tat ein Relikt aus Zeiten, in denen es eine die Möglichkeit, ihren zum gemeinsamen klare Rollenteilung zwischen »Familienernäh- Lebensunterhalt notwendigen Erwerbsarbeits- rer« und »Hausfrau« gab. aufwand drastisch zu vermindern. Wenn die Aus diesem Grund ist das Ehegattensplit- Frau nach der Heirat ihren Job aufgab und ting nach dem Zweiten Weltkrieg ja eingeführt »Hausfrau« wurde, glich der Staat diesen worden: zur Rettung der heteronormativen Einkommensausfall teilweise aus. Ehe. Soziale Gemeinschaften sollten sich Heute ist die Situation eine andere. ausschließlich über das Mann-Frau-Paar als Lesbische und schwule Lebensgemeinschaften »Kernzelle« konstituieren. Dieses Modell war sind bei einer Mehrheit der Bevölkerung damals nämlich ins Wanken geraten, denn akzeptiert, und das Bundesverfassungsgericht während des Krieges waren viele Frauen einer hat im Juni 2013 verfügt, dass das Ehegatten- Erwerbsarbeit nachgegangen und hatten splitting auf diese ausgeweitet werden muss.

78 luxemburg 2/2013 | es reicht Auch die zementierte Rollenverteilung, wonach der Mann das Geld verdient, während die Antje Schrupp ist Bloggerin des Jahres 2012. In ihrem feministischen Blog »Aus Liebe zur Frei- Frau nicht erwerbstätig ist, wird kaum noch heit. Notizen zur Arbeit der sexuellen Differenz« propagiert. An ihre Stelle ist das Idealbild einer schreibt sie über das bisschen Haushalt, das Gesellschaft getreten, in der alle Erwachsenen Gute Leben und italienischen Feminismus. Für gleichermaßen zur Erwerbsarbeit verpflichtet LuXemburg entwirft sie Ehegattensplitting 2.0 als Einstiegsprojekt. Politikwissenschaftlerin ist sind. Berufliche Qualifikationen von Frauen, sie auch noch und promovierte zu Frauen in der sollen nicht mehr in Privathaushalten ›ver- Ersten Internationale. plempert‹ werden, sondern möglichst unein- geschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Forderung nach einer Abschaffung Katrin Mohr ist promovierte Soziologin, des Ehegattensplittings stößt exakt in dieses Referentin bei der Bundestagsfraktion die LINKE Horn. Deshalb ist sie vielleicht gar nicht so und Mitglied im Kuratorium des Instituts Soli- gesellschaftskritisch, wie viele denken. darische Moderne. In ihrer wissenschaftlichen und politischen Arbeit geht es ihr um sozialpo- litische Alternativen jenseits des Gegensatzes Kosten der Sorgearbeit sozialisieren von fordistischem Sozialstaat und aktivierender Denn was bei diesem Umbau kultureller Sozialpolitik. Paradigmen bezüglich Arbeit, Ehe und Ge- schlechterverhältnis unter den Tisch fällt, ist die Frage der gesellschaftlichen Organisation Das Ehegattensplitting steht also für eine zwar der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeiten. ungenügende, aber immerhin teilweise Einbe- Was immer man gegen das Ehegattensplitting ziehung dieser Haus- und Fürsorgearbeiten in aus guten Gründen einwenden mag: Es hatte die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsrech- auch die Funktion, die Kosten dieser Arbeit nung: Die Steuerersparnis ist ein konkreter zumindest teilweise auf die Gesellschaft finanzieller Beitrag der Allgemeinheit für umzulegen. Die klassische Hausfrau hat ja die Arbeit, die – meist von Frauen – in den nicht nichts gearbeitet, sondern wichtige und Haushalten geleistet wird. notwendige Tätigkeiten übernommen. Und Allerdings sind mit dem bestehenden vor allem hat sie diese Arbeiten nicht nur für Modell noch weitere Probleme verbunden. sich erledigt, sondern auch für diejenigen So ist beispielsweise eine erhebliche soziale Familienmitglieder, die dazu selbst nicht Ungleichheit eingearbeitet. Die Höhe der in der Lage waren: für Kinder, kranke oder Steuerersparnis korreliert direkt mit der Höhe pflegebedürftige Menschen, für Alte. Und des Einkommens des erwerbstätigen Ehepart- auch der erwerbstätige »Alleinverdiener«, der ners. Als wäre die Arbeit einer Hausfrau, die von diesen notwendigen Arbeiten entlastet mit einem gut verdienenden Mann verheiratet war, profitierte davon. Er setzte sich abends an ist, mehr wert als die einer Hausfrau, deren den gedeckten Tisch und fand am nächsten Mann wenig Geld verdient. Keine Rolle spielt Morgen das frisch gewaschene Hemd vor. hingegen der tatsächliche Umfang der von ihr

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 79 geleisteten Arbeit: Der finanzielle Nutzen des diener-Ehe ergeben, ist deshalb die Frage: Wer Ehegattensplittings ist unabhängig davon, ob macht eigentlich und unter welchen Bedin- die betreffende Hausfrau nur einen Zwei- gungen die Arbeiten, die früher die Hausfrau- Personen-Haushalt führt oder zahlreiche en gemacht haben? Wie wollen wir zukünftig Kinder und eventuell noch pflegebedürftige gesellschaftlich notwendige, aber nicht Angehörige versorgt. profitträchtige Sorgearbeiten organisieren und Die Frage ist jedoch, ob seine Abschaffung den Lebensunterhalt derjenigen sicherstellen, diese Ungerechtigkeiten mildern würde. die sie tun? Dabei könnten bestimmte Aspekte Gerade was das unterschiedliche Lohnniveau des Ehegattensplittings interessant sein. zwischen einträglichen und schlecht bezahl- ten Berufen betrifft, tendiert das Modell der Splitting für alle (die es wollen) individuellen Erwerbsarbeit aller Erwachsenen Wie wäre es, wenn wir das Konstrukt der Le- nämlich dazu, diese Unterschiede noch zu benspartnerschaft über die jetzige Engführung verschärfen. Eheschließungen erfolgen meist auf Paare, die durch ein sexuelles Begehren unter sozial ähnlich Gestellten – der Arzt miteinander verbunden sind, hinaus auswei- heiratet die Rechtsanwältin, die Verkäuferin ten? Könnten wir die steuerlichen Vorteile den Mechaniker. Aus diesem Grund driftet die eines Ehegattensplittings nicht vielmehr Schere von Arm und Reich weiter auseinander, so verbreitern, dass alle Menschen in ihren wenn man pro Familie von zwei statt einem Genuss kommen, die sich auf Dauer mit an- Vollzeiterwerbstätigen ausgeht: Nach einer deren zusammentun und kollektiv leben und Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wirtschaften wollen? Ehegattensplitting für in Köln hat die Ungleichheit der von Paaren alle also, die sich einen verbindlichen Rechts- insgesamt erzielten Einkommen zwischen status für gemeinsames Leben, Versorgen und 1998 und 2008 um 18 Prozent zugenommen, Wirtschaften geben möchten? die Einkünfte der einzelnen in Paar-Haushalten Zum Beispiel kenne ich zwei Schwestern, lebenden Personen jedoch nur um 6 Prozent. die mit ihren Kindern, insgesamt dreien, Das verstärkt natürlich auch die Un- zusammenleben. Sie haben gemeinsam ein gerechtigkeiten bezüglich der unbezahlten Haus gekauft, teilen ihr Einkommen und die Haus- und Fürsorgearbeiten, und zwar viel Familienarbeit – sind aber kein romantisches mehr als das Ehegattensplitting: Während sich Liebespaar. Eine von ihnen verdient mehr gut verdienende Paare häusliche Dienstleis- Geld, während die andere sich mehr um den tungen kaufen und Putzhilfen, Kinderfrauen Haushalt kümmert. Warum sollen sie nicht in und Pflegekräfte einstellen können, müssen den Genuss des Ehegattensplittings kommen? schlecht verdienende Paare diese Arbeiten Ähnlich steht es bei Beziehungen zwischen selbst leisten – und zwar zusätzlich zu ihrer verschiedenen Generationen, also wenn etwa beider Vollzeit-Erwerbstätigkeit. die 50-jährige Tochter mit der 75-jährigen Eine der größten Herausforderungen, die Mutter zusammenlebt. Aber es sind auch sich mit dem Ende der Hausfrauen-Alleinver- Lebensgemeinschaften zwischen generati-

80 luxemburg 2/2013 | es reicht onsübergreifenden Paaren denkbar, die nicht Steuern zahlen, dafür aber auch im Bedarfsfall durch Blutsverwandtschaft, sondern durch zunächst füreinander einstehen, bevor wir gegenseitige Sympathie begründet sind. staatliche Leistungen in Anspruch nehmen). Außerdem wären ja auch Lebenspartner- Das Ehegattensplitting schafft einen schaften zwischen mehr als zwei Erwachsenen gewissen Freiraum für kollektive Lebenspla- denkbar, die – ob mit sexueller Komponente nung außerhalb der rein betriebswirtschaftli- oder nicht – ihr Leben gemeinsam planen chen Logik des individuellen Verkaufens von und füreinander Verantwortung übernehmen Arbeitskraft. Ein Splitting 2.0 – also eines, möchten: Warum sollen sie sich nicht auch das von der Fixierung auf Mann-Frau-Paare ›verpartnern‹? Dann könnten vielleicht drei befreit wurde – könnte diese positiven Aspekte von ihnen erwerbstätig sein, während einer bewahren und dafür sorgen, dass sie allen zu den gemeinsamen Haushalt führt und die Gute kommen, die das wollen. Kinder versorgt. Es sind viele Lebensmodelle denkbar, in denen Menschen sich zu einem gemeinsamen Wirtschaften verpflichten, bei denen eine Ungleichverteilung von unbezahl- Wider die Abhängigkeit 2.0 ter Haus- und Fürsorgearbeit und bezahlter Erwerbsarbeit durchaus für alle Beteiligten Katrin Mohr sinnvoll wäre. Ein Steuermodell, bei dem der Staat solche Lebenspartnerschaften unter- Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist stützt, würde der Tatsache Rechnung tragen, auch im beginnenden Bundestagswahlkampf dass die Übernahme von unbezahlter Haus- ein heißes Thema. SPD, Grüne und LINKE und Fürsorgearbeit kein Privatvergnügen ist, haben sich dafür ausgesprochen, obwohl laut sondern etwas zum Wohlstand der Gesell- einer Forsa-Umfrage unter Eltern 80 Prozent schaft beiträgt. der Befragten für eine Beibehaltung sind und Mit einem »Ehegattensplitting«, das auf auch unter den WählerInnen der drei Parteien alle möglichen Konstellationen angewandt nicht wenige sein dürften, die davon profitieren. würde, die sich für ein gemeinsames Wirt- Das Ehegattensplitting hat sich jedoch schaften und Füreinander-Sorgen entschei- normativ und ökonomisch überlebt. Die den, hätten wir alle die Wahl, ob wir uns in Pluralität der Lebensformen, die in der dieser Hinsicht lieber individuell aufstellen zunehmenden Verbreitung von lesbischen (mit eigenem Einkommen, mit individueller und schwulen Partnerschaften mit und sozialer Absicherung, mit entsprechender ohne Kinder, in Patchworkfamilien oder Steuerlast und entsprechenden Ansprüchen Lebensgemeinschaften von Verwandten und auf Versorgung im Bedarfsfall), oder ob wir FreundInnen ihren Ausdruck findet, erfordert uns mit anderen zusammentun möchten eine Familienpolitik, die nicht bestimmte (und rechtlich abgesichert Einkommen und Normalitätsvorstellungen durchsetzt, indem Fürsorge miteinander teilen, also weniger sie sie steuerlich und rechtlich besser stellt

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 81 als andere. Stattdessen müssen Gemein- Tatsächlich droht – wie Schrupp be- schaften, in denen Menschen füreinander fürchtet – in dieser historischen Situation die Verantwortung übernehmen, gleichgestellt Forderung nach Abschaffung des Ehegatten- und gefördert werden. Die Bemühungen um splittings einer neoliberalen Mobilisierung Gleichberechtigung der Geschlechter in der aller für einen deregulierten Arbeitsmarkt Erwerbs- und Sorgearbeit erzwingen einen und einer weitgehenden Vermarktlichung der Abbau der immer noch bestehenden mas- Sorgearbeit das Wort zu reden. Doch kann die siven Anreize für die – mehr oder weniger Schlussfolgerung daraus eine Neuauflage des modernisierte – klassische Arbeitsteilung, die Ehegattensplittings, ein Ehegattensplitting 2.0 für viele Frauen in der beruflichen Sackgasse, sein? Diese Frage ist entschieden zu vernei- in ökonomischer Abhängigkeit oder in Armut nen. endet. Soweit besteht Einigkeit. Es ist jedoch nicht allein der »Umbau Umverteilung von Arbeit Und ... kultureller Paradigmen bezüglich Arbeit, Ehe Die Frage der Verteilung von Reproduktions- und Geschlechterverhältnis« (Antje Schrupp arbeit würde so keinesfalls egalitär, sondern in diesem Heft), der das Ehegattensplitting in neue, buntere Formen der Arbeitsteilung gesellschaftlich überholt erscheinen lässt. aufgelöst, die mit neuen Ungleichheiten Nicht zufällig gerät es in einer Zeit politisch und Abhängigkeiten einher gehen. Denn in unter Druck, in der das dahinter stehende Schrupps Vorstellung spezialisiert sich eineR Leitbild nicht nur ideologisch an Bindekraft (oder mehrere) der PartnerInnen auf die Sor- einbüßt, sondern in der auch die Familien­ gearbeit, während die andere(n) über Erwerbs- ernährer-Hausfrauen-Ehe ökonomisch an arbeit das Einkommen der Lebensgemein- Bedeutung verliert. Gewollt und ungewollt schaft erwirtschaften. Statt in die Abhängigkeit macht sie dem Modell der Zweifachverdiener- des Ehepartners, begibt man sich also in die Ehe oder gar dem der weiblichen Familiener- Abhängigkeit seiner LebenspartnerInnen. nährerin Platz.1 Löhne und Arbeitsverhältnis- Wiederum wird die Übernahme der Sorgear- sen sind vielfach nicht mehr so beschaffen, beit durch einen Teil der Lebensgemeinschaft dass sie ergänzt durch den Splittingvorteil staatlich subventioniert, statt durch Umver- in weiten Teilen der Bevölkerung zu einem teilung von Erwerbs- und Sorgearbeit die Familienlohn führen, der den Verkauf der spezialisierte Arbeitsteilung zugunsten einer Arbeitskraft des weiblichen Teils der Haus- Vereinbarkeit unterschiedlicher Perspektiven haltsgemeinschaft überflüssig macht. Das für alle zu überwinden. Ehegattensplitting wird damit auch als Stütze eines spezifischen Reproduktionsmodells ... eigenständige Existenzsicherung obsolet. Da, wo es hoch qualifizierte weibliche Für die Frage meiner beruflichen Zukunft Arbeitskräfte davon abhält, ihre Arbeitskraft nach der Auflösung einer rechtlich verbindli- auf dem Markt anzubieten, wird es aus Sicht chen Lebensgemeinschaft, in der ich jahrelang der Wirtschaft sogar dysfunktional. die Familienarbeit übernommen und meiner

82 luxemburg 2/2013 | es reicht Partnerin oder meinem Partner oder meinen verringerter Arbeitszeit die persönliche Exis- PartnerInnen den Rücken frei gehalten habe, tenz sichern und ausreichend eigenständige ist es völlig egal, ob dies in einer Ehe oder ei- Alterssicherungsansprüche aufbauen lassen – ner anderen Form der Lebensgemeinschaft ge- all das tritt hinter die Demokratisierung eines schah. Die berufliche Auszeit wird so oder so Anreizsystems zurück, das familiäre Abhän- meinen Wiedereinstieg und meine Karriere- gigkeiten fördert statt persönliche Autonomie. chancen beeinträchtigen und mir gegenüber Aus linker Perspektive muss es statt- meinem früheren Pendant am Arbeitsmarkt dessen darum gehen, die Vereinbarkeit von zum Nachteil gereichen. Auch in der Rente Familie und Beruf für alle Lebensmodelle – ob macht es keinen Unterschied, ob ich mangels als Paar, Alleinerziehende oder als wie auch eigenständiger Rentenansprüche im Alter auf immer geartete Lebensgemeinschaft zu das Einkommen meiner LebenspartnerIn(nen) gewährleisten. Der Aufbau einer flächende- oder auf die (ebenfalls gegenüber anderen ckenden, bedarfsgerechten und qualitativ Lebensformen geöffnete) Hinterbliebenen- hochwertigen Kinderbetreuung und von versorgung angewiesen bin statt auf die Ganztagsschulen ist hierfür ebenso zentral abgeleiteten Ansprüche aus einer Ehe. Auch in wie die familienfreundliche Umgestaltung der einer gut funktionierenden – wie auch immer Arbeitswelt und Vorstöße zu einer kollektiven gearteten – Lebensgemeinschaft bleibe ich auf Arbeitszeitverkürzung. Ergänzt werden muss das Einkommen meiner LebenspartnerIn(nen) diese institutionelle Infrastruktur eines neuen, angewiesen und damit ökonomisch abhängig. egalitären Reproduktionsmodells durch sozi- Das kann nicht Ziel linker Familien- und ale Sicherungssysteme, die die eigenständige Gleichstellungspolitik sein! Absicherung von Erwachsenen und Kindern Mit dem Ehegattensplitting 2.0 wird auch gewährleisten und die im Bedarfsfall sicher der Anspruch aufgegeben, das Reproduk- vor Armut und vor Abhängigkeit schützen. tionsmodell grundlegend zu verändern. Es Kurz: Es muss um die Vereinbarkeit von geht nur noch darum, seine Arbeitsteilungen, Perspektiven und die eigenständige Existenz- Abhängigkeitsmuster und Zumutungen für sicherung gehen statt um die Schaffung von alle Lebensformen zu demokratisieren, nicht Abhängigkeit 2.0. mehr darum, den Kern des Systems – die kapitalistisch organisierte Erwerbsarbeit – zu Literatur verändern. Und zwar so, dass eine eigenstän- Klenner, Christina und Ute Klammer, 2009: Erosion des dige Existenzsicherung und die Vereinbarkeit Ernährermodells, in: Böckler Impuls Nr. 3 von Erwerbs- und Sorgearbeit für alle lebbar werden. Der Anspruch auf eine familien- 1 Vgl. hierzu die Studien von Christina Klenner und Ute freundliche Arbeitswelt, auf Zeitsouveränität Klammer (2009) zu weiblichen Familienernährerinnen. Sie kommen darin zu dem Ergebnis, dass diese Rolle häufig der Beschäftigten, auf stärkeren arbeitsrecht- unfreiwillig, aus ökonomischen Zwängen heraus eingenom- lichen Schutz von Sorgetragenden, auf gute men wird, oder weil die Frauen alleinerziehend werden. Die Einkommen der weiblichen Familienernährerinnen reichen Löhne und gute Arbeit, mit der sich auch bei vielfach nicht an die der klassischen Familienernährer heran.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 83 Der druck muss raus Krankenhausbeschäftigte aufwerten und entlasten

thomas böhm Die Lage der Beschäftigten in den Kranken- häusern und insbesondere des Pflegepersonals hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Als typischer sozialer Beruf und als typischer Frauenberuf waren sie schon immer unterbewertet und unterbezahlt. Eine Kran- kenschwester verdient immer noch deutlich weniger als Facharbeiter und als technische Berufe. Durch die Einführung von markt- wirtschaftlichen Steuerungselementen im Gesundheitswesen (Finanzierung der Kran- kenhauskosten über Fallpreise) setzte ein Prozess ein, in dem es zunehmend darauf ankam, immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit mit immer geringeren Kosten zu behandeln, lukrative Fälle anzuziehen, die Abrechnung dieser Fälle möglichst optimal zu gestalten (»upcoding«) und die Diagnosen und Behandlungsmaßnahmen so zu gestalten, dass ein Optimum an Einnahmen erzielt wird. Dies wertete die Ärzte, die in der Hierarchie sowieso

84 luxemburg 2/2013 | es reicht schon oben standen, nochmals auf – und die bewirkt, dass immer mehr Baustellen in Kran- anderen Berufsgruppen ab. kenhäusern durch Personalstellen finanziert Institutionell wurde ein Krankenhaus werden: Die Gelder für notwendige Investiti- früher durch eine gleichberechtigte Dreierlei- onen werden aus den laufenden Mitteln und tung, bestehend aus dem Verwaltungsdirektor, damit von den Beschäftigten genommen. dem ärztlichen Direktor und der Pflegedirek- Folge ist eine Einsparrunde nach der anderen. torin, geleitet. Diese Vorschrift wurde Ende Nachdem in einer ersten Kürzungswelle der 1990er Jahre (parallel zur Einführung die so genannten patientenfernen Bereiche der Fallpreise) aufgehoben und die Rolle der (Reinigung, Hauswirtschaft, Küchen) – alles Manager deutlich gestärkt. Einher ging das in ebenfalls Frauen- und Migrantinnenberufe – den meisten Kliniken damit, dass ein Arzt von nahezu flächendeckend out-gesourced worden seiner ärztlichen Tätigkeit freigestellt wurde waren, war das nächste Sparopfer die Pflege. und quasi als ärztlicher Manager dem eigent- 162 000 Beschäftigte fehlen in den deut- lichen Manager zur Hand gehen sollte. Die schen Krankenhäusern (ver.di-Personalcheck Pflegedirektorin wurde zum untergeordneten Befehlsempfänger. Diese Entwicklung folgte der Logik, dass »der Arzt an der Kasse sitzt« Thomas Böhm war ver.di Bezirksvorsitzender in (so ein Manager der privaten Krankenhausket- Stuttgart sowie Personalratsvorsitzender des te Sana) und deswegen der ärztliche Bereich städtischen Klinikums Stuttgart und dort trei- bende Kraft beim Aufbau eines kämpferischen aufgewertet werden muss. Kreises von Gewerkschaftsaktiven. Gemeinsam Parallel zur Vermarktwirtschaftlichung verhinderten sie mehrmals Versuche, die Klinik der Krankenhäuser ist die Finanzierung zu privatisieren. Auch in Altersteilzeit bleibt der laufenden Kosten der Krankenhäuser der ehemalige Chirurg einer Verbesserung der ­Arbeitsbedingungen im Krankenhaus verbun- gedeckelt, und die Länder, die eigentlich für den und setzt Maßstäbe in Bezug auf gewerk- die gesamte Investitionskostenfinanzierung schaftliche Kampagnenaktivitäten. zuständig sind, entziehen sich zunehmend dieser gesetzlichen Pflicht. Die Deckelung führt dazu, dass nicht vom 19.2.2013). Das sind ca. 20 Prozent aller einmal die Preissteigerungen und die Tarif- Stellen. Jeder kann sich ausrechnen, was ein steigerungen durch die Kassen refinanziert Personalmangel von 20 Prozent für einen werden, und dazu, dass die Krankenhäuser Bereich oder eine Station bedeutet. zunehmend Defizite haben. Dies ist politisch Seit 1996 wurden in der Pflege mehr als gewollt und soll zu einer Bereinigung der 38 000 Stellen abgebaut. (Gleichzeitig wurden Krankenhauslandschaft und zum Abbau von im ärztlichen Bereich 33 000 Stellen aufge- Betten führen. baut.) Da parallel dazu die Zahl der Patienten Die Unterfinanzierung der Investitionen um 2,9 Millionen anstieg, erhöhte sich die (in Baden-Württemberg allein gibt es einen Arbeitsbelastung einer durchschnittlichen Förderstau von weit über einer Milliarde Euro) Pflegekraft um mehr als 27 Prozent.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 85 Die Arbeitshetze geht zwischenzeitlich buch- rung der Lage der Krankenhausbeschäftigten stäblich bis zu körperlicher Erschöpfung und und insbesondere des Pflegepersonals not- Krankheit. Burn-Out und häufig Berufswechsel wendig und aufgrund des sich abzeichnenden sind die Folge. Fast 70 Prozent der Pflegekräfte Personalmangels und der zunehmenden Unzu- in deutschen Krankenhäusern können sich friedenheit der Pflege auch möglich sind. nicht vorstellen, bis zur Rente in diesem Beruf Die Wut innerhalb der Pflege hat in den zu arbeiten. Dies ist umso dramatischer, als letzten Jahren deutlich zugenommen und wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass die auch die Beteiligung an Tarifstreiks ist stark Zahl der betreuenden Pflegekräfte unmittelbare angestiegen. Der ver.di-Fachbereich 3 (Gesund- Auswirkungen auf die Versorgungsqualität und heit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen) die Sterblichkeit in den Krankenhäusern hat. ist einer der am schnellsten wachsenden. Bisher bestand kein Arbeitskräftemangel Notwendig ist also zweierlei: in den Pflegeberufen – bedingt durch den Stel- ppDer Kampf um die (finanzielle) Aufwertung lenabbau und weil in den 1980er und 1990er der Arbeit im Krankenhaus und speziell der Jahren viele junge Menschen den Pflegeberuf Pflege; ergriffen. Kombiniert mit dem leider immer ppDer Kampf für eine Verbesserung der noch vorhandenen »Helfersyndrom« bei vielen Krankenhausfinanzierung durch die Bundes- Krankenhausbeschäftigten erklärt dies, warum regierung und der Investitionskostenfinanzie- solche Verschlechterungen ohne größeren rung durch die Länderregierungen, um wieder Widerstand durchgesetzt werden konnten. Dies menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den ändert sich gerade. Die schlechten Arbeitsbe- Krankenhäusern herzustellen. dingungen und die schlechte Bezahlung führen zu Nachwuchsmangel. Kombiniert mit den Kampf um die finanzielle Aufwertung geburtenschwächeren Jahrgängen zeichnet sich der Arbeit im Krankenhaus ein neuer Pflegenotstand ab. Die Arbeitgeber Die Aufwertung lässt sich eigentlich nur über setzten in dieser Situation auf individuelle oder eine Verbesserung der tariflichen Bezahlung bereichsbezogene (Leistungs-)Zulagen und auf erreichen. In den allgemeinen Tarifrunden, den Rückgriff auf Hilfskräfte oder ausländische in denen es im Wesentlichen um den Aus- Arbeitskräfte. Es besteht die große Gefahr, dass gleich der Preissteigerungen und den Kampf die Beschäftigten entlang der Wertschöpfungs- gegen Reallohnverlust aller Beschäftigten des kette gespalten werden, die stationäre Pflege öffentlichen Dienstes geht, ist eine solche abgehängt wird, ein ungerechter Wildwuchs Sonderproblematik nur sehr schwer durch- von Zulagen und Leistungsentgelten entsteht zusetzen. Die Verfolgung von Sonderzielen und die betrieblichen Interessenvertretungen wirkt innerhalb einer allgemeinen Tarifrunde zu Getriebenen von ökonomischen Arbeitge- spaltend in Bezug auf die gemeinsamen Ziele berinteressen und Partialinteressen werden. aller Beschäftigten. Quintessenz dieser kurzen Situationsana- Andererseits muss es einen Raum geben, lyse ist, dass Kampfmaßnahmen zur Verbesse- um die Unterbewertung einzelner Berufsgrup-

86 luxemburg 2/2013 | es reicht pen oder die Kampfstärke bestimmter Bereiche Betriebs- und Personalräte-Konferenz mit zur Geltung zu bringen. Das nützt letztlich über 300 Teilnehmenden Ende 2010 in Berlin allen Beschäftigten, weil so das Lohnniveau ins- wurde von uns eine Resolution eingebracht, gesamt steigt und erfolgreiche Auseinanderset- die sich (bei nur vereinzelten Gegenstimmen zungen dieser Art eine Motivation für andere und Enthaltungen) für eine trägerübergreifende Bereiche sein können (siehe den Tarifkampf Krankenhaustarifrunde im Jahr 2011 aussprach. der Erzieherinnen im Jahr 2009). So wurde die Kampagne »Der Druck muss Eine solche tarifliche Sonderentwicklung raus« geboren. Nach anfänglichen Bemühun- gegen die Notwendigkeit eines gemeinsamen gen, die Kampagne und die Sondertarifrunde Kampfes aller Beschäftigten des öffentlichen zu realisieren, ebbte das Ganze jedoch schnell Dienstes um höhere Löhne auszuspielen, wieder ab. Insbesondere der Bundesfachbereich wäre also ebenfalls völlig falsch. Auch hier gilt: und einige Landesfachbereiche bremsten erheb- Beides ist notwendig. lich. Zunächst gab es große Bedenken wegen Einen Weg hierzu haben die Erzieherin- der Rechtmäßigkeit solcher Aktionen (Frie- nen aufgezeigt. Sie beteiligten sich solidarisch denspflicht). Danach wurde die relativ einfache an den allgemeinen Tarifrunden, um danach Forderung nach »aufwerten und entlasten« in einer Sondertarifrunde Verbesserungen für derartig verkompliziert und in einen Tarifver- ihre Gruppe durchzusetzen. Da Friedenspflicht tragsentwurf mit X Detailforderungen aufgelöst, herrschte, musste eine Form gefunden werden, den niemand mehr verstand und dessen Nutzen um überhaupt in Streikmaßnahmen eintreten sich auch Eingeweihten kaum mehr erschloss. zu können. Diese Form war die Forderung Folge war, dass der Funke nicht übersprang, nach einem Gesundheitstarifvertrag. Obwohl wesentlich bedingt durch die erhebliche Skepsis in dem geforderten Tarifvertrag nicht viel im hauptamtlichen Bereich von ver.di. Außer- Handfestes drin stand, sprang der Funke auf dem machte die allgemeine Tarifrunde Anfang die Erzieherinnen über und es kam zu bis 2012 das Zeitfenster für eine Sondertarifrunde dahin ungekannten und unerwarteten Kampf- wieder zu. Eine große Chance war vertan und maßnahmen in diesem Bereich. Da die Erzie- die Sondertarifrunde wurde de facto beerdigt. herinnen immer die Frage der Aufwertung Die Kampagne »Der Druck muss raus« wurde ihrer Tätigkeit mit dem Gesundheitsschutz (halbherzig und mit teilweise anderer Zielset- und mit der guten Versorgung der Kinder zung) fortgesetzt. Dazu unten mehr. verbanden, hatten sie auch die Unterstützung der Bevölkerung. Am Ende kam sowohl ein Kampf für die Verbesserung der Gesundheitstarifvertrag als auch eine bessere Krankenhausfinanzierung Bezahlung dabei heraus. Gegner in einer solchen Auseinandersetzung Genau diesen Weg sollte nach den Vor- sind die Bundes- und Landesregierungen, stellungen des ver.di-Bezirks Stuttgart der potenzielle Bündnispartner die Krankenhaus- Bundesfachbereich 3 auch in Bezug auf das leitungen, die Krankenhausgesellschaften, die Pflegepersonal gehen. In einer bundesweiten Arbeitgeberverbände, aber auch die Kranken-

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 87 hausträger, insbesondere in den Kommunen stellt quasi ein Element einer Wettbewerbsord- und Landkreisen. Eine solche gemeinsame nung dar und verhindert Dumping auf Kosten Kampagne (»Der Deckel muss weg«) gab es der Beschäftigten. Darüber hinaus gewährleistet schon einmal 2008. Sie endete mit der größten sie die – durch den Konkurrenzkampf – stark Demonstration von über 135 000 Krankenhaus- gefährdete Qualität der Patientenversorgung. beschäftigten in Berlin und deutlichen Verbes- Dies ist auch der Grund, warum eine Personal- serungen bei der Krankenhausfinanzierung, bemessung gesetzlich geregelt werden muss die aber in den nächsten Jahren durch die und nicht tarifvertraglich. Patientensicherheit CDU/FDP-Regierung wieder kassiert wurden. kann nicht von der Kampfstärke der Beleg- Trotz dieses Erfolges (auch bei der schaften abhängen. Wettbewerbsbeschränkende Mobilisierung der Krankenhausbeschäftigten gesetzliche Mindestregelungen und eine gute und der »neuen« Stimmung bei ihnen, dass Patientenversorgung müssen in jedem Kran- man sich wehren kann und muss) tat sich die kenhaus gewährleistet sein. bisherige Bundesfachbereichsleitung von ver.di In keinem Fall darf man auch den Kampf schwer, eine Neuauflage dieser Kampagne zu um eine Verbesserung der Krankenhausfinan- organisieren bzw. zu unterstützen. Argument zierung gegen tarifvertragliche Regelungen war, dass letztlich bei den Beschäftigten nichts zum Beispiel zum Gesundheitsschutz oder angekommen sei. Dies ist nicht richtig: Der zur Aufwertung der Arbeit im Krankenhaus Abwärtstrend bei den Pflegestellen wurden ausspielen. Beides ist notwendig– allerdings gestoppt und selbst wenn die Gelder nur der zeitlich aufeinander abgestimmt. Beides Reduzierung des Sparzwangs in den einzelnen gleichzeitig geht nicht. Man kann nicht im Krankenhäusern dienten, war dies schon ein Bündnis mit den Krankenhausträgern und den Erfolg, weil noch mehr Stellenabbau und noch Arbeitgebern gegen die Bundesregierung ins mehr Absenkungstarifverträge dadurch vermie- Feld ziehen und gleichzeitig einen Tarifkampf den werden konnten. Außerdem gilt sowieso: gegen die »Bündnispartner« führen. Keine Verbesserung ist für immer garantiert, Darüber hinaus ist ein Zusammenhang der Kampf geht weiter – von beiden Seiten… offensichtlich: Auch Tarifverhandlungen wer- Richtig ist, dass versucht werden muss, die den immer schwieriger, wenn den Kranken- Verbesserung der Krankenhausfinanzierung häusern das Wasser bis zum Hals steht. Diese unmittelbarer mit der Entlastung der Beschäf- Überlegung bedeutet nicht: erst Krankenhaus- tigten zu koppeln. Dauerhafte Entlastung geht finanzierung und dann Tarifkampf. Auch die nur über die Forderung nach einer gesetzlichen umgekehrte Reihenfolge ist möglich (und war Personalbemessung, die auch finanziert ist. im Jahr 2011 auch so angestrebt), damit der Diese Forderung ist auch deswegen wichtig, da- notwendige Druck auf die Bundesregierung mit der – durch die marktwirtschaftliche Steu- auch von Seiten der Krankenhäuser aufgebaut erung angetriebene – Kostenwettbewerb der wird. Es geht eben nur nicht gleichzeitig. Krankenhäuser nicht über die Frage, »wer baut Der ver.di-Landesbezirk Baden-Württem- am meisten Stellen ab«, ausgetragen wird. Sie berg und die Betriebsräte, Personalräte und

88 luxemburg 2/2013 | es reicht Mitarbeitervertretungen der Krankenhäuser schwerpunktmäßig Kampf für den Gesund- haben deshalb beschlossen, ab sofort bis nach heits-Tarifvertrag) in Konflikt mit der nächsten den Bundestagswahlen eine Kampagne unter allgemeinen Tarifrunde, die bereits wieder dem Slogan »Der Deckel muss weg – der im Frühjahr 2014 ansteht. Wenn man eine Druck muss raus!« (inklusive Bündnisangebot Sondertarifrunde machen will, dann muss an die Arbeitgeber und Träger-Seite) durchzu- man sie so planen, dass sie möglichst genau führen. Forderungen sind: zwischen zwei allgemeine Tarifrunden fällt. ppMehr Geld für Krankenhäuser; Das ist frühestens im Herbst 2014/Frühjahr ppGesetzliche Personalbemessung; 2015 wieder möglich. Die Zeit bis zur Bundes- ppAufwerten und entlasten. tagswahl sollte also jetzt genutzt werden, um Erster Schritt ist eine Unterschriften- wirklich Druck auf die Bundesregierung zur sammlung für diese Forderungen unter den Verbesserung der Krankenhausfinanzierung Beschäftigten, die bisher ca. 30 000 unter- und für eine gesetzliche Personalbemessung schrieben haben. Weitere Aktionen werden aufzubauen – zumindest ersteres gemein- folgen (näheres siehe unter www.biv-bw.de). sam mit den Krankenhausträgern und den Der Bundesfachbereich von ver.di hat Arbeitgebern. (Von einer gesetzlichen Perso- sich – auch hier wieder halbherzig – dem nalbemessung sind die Arbeitgeber verständ- teilweise angeschlossen und verfolgt jetzt die licherweise nicht so begeistert.) Danach käme Strategie des so genannten Dreiklangs: Immer die allgemeine Tarifrunde, die unter Krisen- noch unter dem Slogan »Der Druck muss bedingungen mit einheitlichen Forderungen raus« sollen jetzt ein Gesundheits-Tarifvertrag, der Sicherung und Verbesserung des Lebens- eine gesetzliche Personalbemessung und mehr standards aller Beschäftigten des öffentlichen Geld für Krankenhäuser durchgesetzt werden. Dienstes dienen muss. Und spätestens danach Aber auch das kann nicht wirklich sollten alle verfügbaren Kräfte darauf konzen- funktionieren. Eine Kampagne gegen die triert werden, eine Sondertarifrunde für die Bundesregierung wegen der Unterfinan- Krankenhausbeschäftigten und insbesondere zierung der Krankenhäuser gemeinsam für die Pflege vorzubereiten – durchaus unter mit der Krankenhausgesellschaft und den dem Oberthema »Gesundheitsschutz«, aber Arbeitgebern lässt sich nicht unter einen mit erheblichen finanziellen Aufwertungsas- Hut bringen mit einer Sondertarifrunde, die pekten. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine sich gegen die Arbeitgeber wendet. Weiter Gesundheitsschutzzulage oder eine Überlas- ist unklar, ob im Rahmen des Kampfes für tungszulage – aufwerten und entlasten halt. einen Gesundheits-Tarifvertrag auch eine Aufgrund der Erfahrungen bei den Erzie- finanzielle Aufwertung insbesondere für die herinnen ist es nahezu sicher, dass eine solche Pflege erfolgen soll. Außerdem käme man mit Tarifrunde und solche Kampfmaßnahmen bei den aktuellen Planungen (bis zu den Wahlen den Beschäftigten ›ankommen‹ und sie sich schwerpunktmäßige Mobilisierung für eine daran beteiligen und streiken werden – wenn bessere Krankenhausfinanzierung, danach ver.di dazu aufruft.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 89 Den Wachstumsimperativ unterbrechen

Eine feministische Antwort auf das Versagen der Enquetekommission

Christa Wichterich Nach Hannah Arendt besteht das »Wunder der Freiheit« darin, dass Menschen Prozesse unterbrechen und einen Neuanfang machen. Die Enquetekommission »Wachstum, Wohl- stand, Lebensqualität«1 hat den entscheiden- den Schritt der Freiheit nicht getan: Sie hat Wachstum als materielles und metaphysisches Organisationsprinzip für die Ökonomie und die Naturverhältnisse unserer Gesellschaft nicht in Frage gestellt. Sie hat Wohlstand und Lebensqualität nicht von Wachstum entkoppelt und nicht den Tunnelblick des herrschenden Wohlstandsmodells geöffnet. Als Quellen von Wohlstand gelten einzig die Arbeit des homo oeconomicus, verkörpert im erwerbstätigen Mann, der seinen individuel- len Nutzen auf dem Markt maximiert, und die Naturbeherrschung, die optimale, auch imperiale Natur- und Ressourcenausbeutung voraussetzt. Wohlstand wird primär in Güter- reichtum und materieller Fülle gemessen. Die Kommission bestätigt damit Wohl- stand und Lebensqualität als Konsequenzen

90 luxemburg 2/2013 | Es reicht von Ökonomisierung und Wachstum, auch Kontext von Tschernobyl sowie neokolonialer wenn sie eine Reduktion des Ressourcenver- Ausbeutung und Strukturanpassungszwang im brauchs fordert. Für Gegenwart und Zukunft globalen Süden. In der zweiten Welle hatten Fe- nimmt sie billigend in Kauf, dass die Ökono- ministinnen mit ihrer Kritik an Technologie und misierung und die Logik des Return on Invest- Machbarkeitsideologie, mit der Subsistenzorien- ment zunehmend auf bislang außermarktliche tierung sowie der Konsumverzichts- bzw. Kon- Bereiche des Lebens zugreift: auf das Soziale, sumbefreiungsdebatte eine prominente Rolle das Öffentliche, die soziale Reproduktion eingenommen. Sie verknüpften Herrschaftskri- ebenso wie die Natur und die natürliche tik mit praktischen Alternativen im Norden wie Regeneration. Sie durchdringt diese Bereiche im Süden. Dagegen fällt in der aktuellen dritten desintegrierend, ungerecht, krisenhaft und Welle eine erneute Abspaltung und Ignoranz letztlich zerstörerisch. In diesem unkritischen gegenüber feministischen Perspektiven auf. In Bezug verharmlost die Kommission den der Enquetekommission blieben feministische systemischen Charakter der Vielfachkrise wie Positionen zunächst völlig ausgeschlossen. auch die Vielfachgrenzen des Wachstums. In der Vielfachkrise geht es nicht um Wohlstandsperspektiven für den »Notfall« Christa Wichterich bespielt als Soziologin, stagnierender oder sinkender Wachstums- Publizistin und Aktivistin seit Jahren die Felder raten. Vielmehr ist ein Perspektivwechsel feministische Ökonomiekritik, neoliberale Globali- sierung, Frauenarbeit, Ökologie und Gender – ein notwendig, ein geplanter und gezielter Bruch besonderer Fokus liegt dabei auf dem globalen mit dem BIP als zentralem Wohlstandsindika- Süden. Eine feministische Perspektive auf tor. Der Wachstums- und Akkumulationslogik Wachstumskritik brachte sie zuletzt in dem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Fraktion Die LINKE ist eine andere Vernunft entgegenzusetzen, organisierten Salon zur Bundestags-Enquete um aus dieser heraus andere Qualitäten von »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« ein. Wohlstand und Leben zu schaffen. Das wäre Unterbrechung im Arendtschen Sinne oder der Beginn einer Transformation, die aus der Dann wurden sie gehört, aber durch fehlende Armut an Visionen herausführt, wie sie durch Bezugnahme weiterhin ausgegrenzt. die zunehmende Komplexität und erdrücken- Die Kommission zeigte sich gleichgültig de Übermacht des neoliberal-kapitalistischen gegenüber der Krise sozialer Reproduktion Fortschrittsmodells entstanden ist. und der Art und Weise, wie diese Wohlstand beeinträchtigt – beides sind zentrale Achsen Feministische Perspektiven: feministischer Kritik. Darin steckt eine zyni- Die Rationalität der Sorge sche Banalisierung der Problemlagen und des Die Vielfachkrise seit 2007 hat eine dritte Welle Leidens am Wachstumsmodell. Diese spitzen der Wachstumskritik ausgelöst – nach dem sich zu in Symptomen wie Burnout als neuer Aufschlag in den 1970er Jahren durch den Club »Volkskrankheit« oder der Endlosserie von of Rome und den 1980er und 1990er Jahren im Lebensmittelskandalen.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 91 Feministische Wachstumskritik will neue Die Krise der sozialen Reproduktion hat vielfäl- Wohlstandsmodelle aus einer lebensweltli- tige Erscheinungsformen, die im öffentlichen chen, herrschaftskritischen Perspektive heraus Bewusstsein Wohlstand und Lebensqualität abstecken. Soziale Reproduktion und Regene- mindern: wachsende soziale Ungleichheit, ration der Natur sind dabei Ausgangspunkte, Notstand der Altenpflege, fehlende KiTas, Unsi- Wohlstand und Lebensqualität speisen sich cherheit der Renten, steigende Mieten, Burnout aus einer Rationalität der Versorgung, der Für- und Depressionen, Bildungs- und Beschäf- sorge und Vorsorge. Wohlstand bedeutet zu tigungskrise für Jugendliche, Nahrungsmit- allererst, Bedürfnisse zu befriedigen, Rechte telskandale. All dies schafft im gelebten Alltag einzulösen und Zugang und Kontrolle über und im Alltagsverstand ein klares Bewusstsein Ressourcen nach der Maßgabe von Gleichheit darüber, dass die derzeitige Wachstumsökono- und Gerechtigkeit zu sichern. mie auf Dauer kein gutes Leben und keinen Derzeit bewegen sich internationale sozialen Wohlstand im Sinne von existenzieller feministische Diskurse in einem Dreieck aus: Sicherheit für alle hervorbringt. Für breite 1) einer Umverteilung und Umbewertung von Bevölkerungsschichten sind Arbeit und Leben Arbeit, 2) der Sicherung des Öffentlichen und «entsichert«. Dabei sind die Fragen, wer sorgt von Gemeingütern und 3) dem Ausstieg aus für die Kinder, für die Kranken, die Alten, der Wachstumsspirale von Naturverbrauch, für gesundes Essen, für die Müllentsorgung, Produktion und Konsum. Die Eckpunkte – essenzielle Wohlstandsfragen. Wohlstand Sorgearbeit, das Öffentliche und das Genug – braucht bedürfnisorientierte Versorgung bieten zum einen Anknüpfungspunkte, aus und Sicherheiten, die nicht an Effizienz- und denen sich in der aktuellen Vielfachkrise Profitabilitätskriterien ausgerichtet und auch Richtungsforderungen ableiten lassen. Zum nicht dem spekulativen Kalkül von Derivaten anderen sind sie Bezugshorizonte für Strate­ oder Hedgefonds unterworfen werden. gien des Übergangs, die mit der Funktions­ logik von Wachstum und Renditemaximie- Arbeit, Sorgen, Kümmern rung brechen. Die Krise der sozialen Reproduktion ist nicht zu lösen ohne eine Umorganisation Umbau- und Übergangsstrategien aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Alternative Wohlstandsmodelle müssen ein- Arbeit ist ein Kernbereich individueller und schließen, was bisher ausgeschlossen wurde, gesellschaftlicher Alltagspraxis, materielle aber wesentlich zum sozialen Wohlergehen Existenzsicherung und soziale Reproduktion und individueller Lebensqualität beiträgt: im Austausch mit der Natur, aber auch Modus nämlich das, was nicht durch die Prinzipien der Vergesellschaftung und der Subjektbil- des Marktes und des homo oeconomicus dung, einschließlich der Konstruktion von bestimmt ist, die Produktivität der sozialen Geschlechtsidentitäten. Wie Arbeit definiert, Reproduktion und aller Sorgearbeit sowie die geteilt und bewertet wird, unter welchen Produktivität der Natur. Umständen mit welchem Ziel und Sinn sie wo

92 luxemburg 2/2013 | Es reicht geleistet wird, ist maßgeblich für Wohlbefin- lung von Männern bei der Sorgearbeit sind den, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. dafür unabdingbar. Auch muss der Staat Für eine solche Reorganisation von Arbeit Verantwortung für soziale Sicherheit und Re- bedürfte es einer Neudefinition, die das Ganze produktion übernehmen und mit öffentlichen der Arbeit umfasst: unbezahlte und bezahlte, Mitteln eine Infrastruktur zur Daseinsvorsor- marktförmige und versorgungsorientierte. ge bereitstellen. Gleichzeitig sollte über ein Arbeit in der Haushalts- und Subsistenzöko- bedingungsloses Grundeinkommen nachge- nomie, im Schrebergarten und der Gemeinde, dacht werden, das weder neoliberal gewendet jenseits des Geld- und Effizienzmaßes, alles, werden noch die geschlechtshierarchische was soziale und natürliche Lebensgrundlagen Zuweisung von Arbeit bestätigen darf. und Umwelt produziert, erhält und reprodu- Eine Neubewertung von Arbeit muss ziert, ist als wert- und wohlstandsschöpfend die wachsende Kluft zwischen unterbewer- zu betrachten. Die hierar­chische Dichotomie teter und überbewerteter Arbeit – Stichwort von Produktion und Reproduktion gilt es zu Boni für Banker und unterbezahlte KiTa- überwinden, zusammen mit den darin ein- Beschäftigte – schließen. Gesellschaftliche und festgeschriebenen Geschlechterrollen Anerkennung von un- und unterbezahlter und Hierarchien. Ein neues Verständnis von Sorgearbeit und ihre monetäre Aufwertung Beschäftigung schließt entsprechend Erwerbs- sind derzeit auch zentrale Forderungen von arbeit genauso ein wie unbezahlte Sorgearbeit. Frauenorganisationen im globalen Süden. Ziel einer Um- oder Neuverteilung der Der Markt schätzt Sorgearbeiten gering, weil gesellschaftlich notwendigen Arbeit ist es, kaum eine Steigerung ihrer Produktivität und durch neue Gesellschafts- und Geschlechter- Effizienz möglich ist – das Füttern von Babys verträge sowohl die Erwerbsarbeit als auch die und Alten hat ein eigenes Tempo. Deshalb Sorgeverantwortung gleicher und gerechter muss die Gesellschaft andere Wertmaßstäbe, zu verteilen und Zeitwohlstand zu erlangen. nämlich politische, nicht-marktförmige Eine Verkürzung der wöchentlichen Erwerbs- Kriterien einführen. Das könnte ein Wert für arbeitszeit ist eine Voraussetzung für die soziale Reproduktion oder natürliche Regene- Umverteilung von Sorgearbeit und entspricht ration sein, ein Gemeinwohl- oder Solidari- außerdem dem erreichten Produktivitäts- tätsbonus. Eine Begrenzung der Einkommen niveau. Weniger Arbeitskräfte sind heute von unten und von oben, d.h. Mindestlöhne notwendig, um mehr Produkte und Dienst- für personennahe Dienstleistungen und leistungen zu erzeugen. Teilzeiterwerbsarbeit Maxieinkommen für Manager durch Vermö- und Teilzeitsorgearbeit für alle ergeben eine gens- und Reichensteuer. All das wären erste neue Vollzeitbeschäftigung und brechen die Schritte, um das gesamte Spektrum sozialer geschlechtshierarchische Arbeitsteilung auf. Ungleichheit in Bewegung zu bringen. Hinzu Gezielte politische Steuerungsmaßnahmen könnten vollwertige Anrechte auf soziale und zur Beseitigung von Frauendiskriminierung Alterssicherung kommen, die aus unbezahlter auf den Erwerbsmärkten und zur Gleichstel- Sorge- und Freiwilligenarbeit ableitbar sind.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 93 Gemeinsam und öffentlich sche Teilhabe und sozialen Ausgleich genießen Wohlstand wird in bürgerlichen Gesellschaften können. Gemeineigentum verpflichtet. zu allererst über privaten Reichtum an Gütern Die Politik ist gefordert, die öffentliche und Geld definiert. Die Anhäufung privaten Infrastruktur der Daseinsvorsorge zu erhalten Wohlstands geht zunehmend auf Kosten des und auszubauen, statt sie abzuspecken und gesellschaftlichen Reichtums und des Gemein- Austerität als vermeintlichen Wachstumsmotor wohls. Aktuelle Austeritätspolitiken verstetigen einzusetzen. Gleichzeitig muss sie demokrati- diese Ungleichheitsentwicklung. Der Megatrend sche Gestaltungsräume in Kommunen ermögli- der Privatisierung von Wohlstand, Verarmung chen, wo kollektives Handeln und Solidarpakte des Gemeinschaftlichen und der Schrumpfung z.B. in Form partizipativer Haushalte mit des Gemeinwohls muss unterbrochen werden, Gender-Budgets greifen können. Öffentliche wenn Wohlstand und Lebensqualität nicht und Gemeingüter sind vor Privatisierung und exklusiv sein sollen. Die Schwächsten in der Finanzialisierung zu schützen, weil sonst Gesellschaft, die keine Rückfallpositionen private Kapitaleigner und die Spielregeln des haben, sind am stärksten auf sicheren Zugang Marktes über das Gemeinwohl, die Umsetzung zu öffentlicher Versorgung angewiesen, um von Menschenrechten und globalen sozialen ihre sozialen Rechte zu verwirklichen. Das Rechten entscheiden. Öffentliche ist ein kostbares Gut, das privatwirt- schaftliche Interessen einhegt und begrenzt. Es Ökonomie und Ökologie des Genug folgt der Logik von Gemeinwohl und Ausgleich, Demokratische Gestaltungsräume sind auch die gegenläufig ist zur Logik von kapitalistischer notwendig, um auszuhandeln, was wachsen Akkumulation und Konkurrenz. soll, was schrumpfen muss, wo zu viel und wo Commoning, gemeinsames Definieren von zu wenig ist. Das Maß, das Genug, muss neu Gemeingütern, demokratisches Aushandeln bestimmt werden. Es muss soziale, ökonomi- von Nutzungsregeln und deren selbstorganisier- sche und ökologische Grenzen akzeptieren und te Verwaltung brechen mit der Logik privater private Aneignungs- und Akkumulationsinter- Wohlstandsanhäufung und des Privateigen- essen konfrontieren. Der Effizienzlogik, die das tums. Wo Wissen und Gesundheitsversorgung, Wachstum befeuert, muss eine Suffizienzlogik gute Luft und Sportplätze, Transportmittel und entgegengestellt werden. Ein Maßstab ist, dass Bibliotheken als demokratische Räume und soziale und ökologische Kosten, Risiken und kollektiver Reichtum definiert werden, setzen Schäden der Produktion und des Konsums sich »Gemeinschaften« als politische Subjekte der globalen Mittelschichten nicht länger durch. Auch wenn Commons nicht automatisch externalisiert und an die sozial Schwachen, den Gleichheit, Gerechtigkeit und erst recht keinen globalen Süden und die Natur verschoben wer- Bruch mit Geschlechterhierarchien garantieren, den. Bisher gilt der globale Süden als Reservoir so verspricht doch das Teilen von Ressourcen, billiger Ressourcen und Arbeitskräfte sowie Räumen und Gütern den Nutzen, dass mehr als Senke für die Wohlstandsproduktion im Menschen, vor allem Schwächere, demokrati- Norden. Dies setzt das koloniale und imperiale

94 luxemburg 2/2013 | Es reicht Prinzip des Lebens auf Kosten anderer fort. wirken. Sie müssen den kapitalistischen Ver- Deshalb steht auch die Aufkündigung des neo- wertungs- und Akkumulationsmechanismen liberalen und neokolonialen »Sozialpakts« an, Energien entziehen, sie aus dem Takt bringen nämlich die Kompensation von Reallohnsen- und Gegenentwürfe möglich machen. Sie kung im Norden durch Billigprodukte, die auf müssen aber auch emanzipatorisch wirken, der Ausbeutung menschlicher und natürlicher d.h. Geschlechterhierarchien aufbrechen. Ressourcen im globalen Süden basieren. Sozial-ökologische und ökonomische Transi- Während Sektoren wie Daseinsvorsorge, tionen verändern sowohl Strukturen als auch Betreuung, Pflege und soziale Sicherheit, die Subjektivitäten. Sie organisieren Unterbre- derzeit schrumpfen, wachsen müssen, gilt es chungen des Wachstumsimperativs, der als ressourcen-, energie- und emissionsintensive Wirtschafts- und Naturverhältnis sowohl in die Überproduktionsindustrien im globalen materiellen Strukturen als auch ins Bewusst- Norden, z.B. die Autoindustrie, sozialverträg- sein und Verhalten eingelassen ist. lich zu schrumpfen und destruktive Industrien Eine Vielfalt solcher Praxen wird bereits wie die Rüstungsindustrie zu konvertieren. erprobt, zahlreiche AkteurInnen haben sich Um die Verwertungslogik zu schwächen, ist aufgemacht, unterschiedliche Wege beschrit- ein Rückbau von Produktions-, Handels-, ten, politische Forderungen gestellt. Kämpfe, Finanz- und Konsumstrukturen notwendig mit die nicht auf die eine große Transformation dem doppelten Ziel, Naturverbrauch und CO2- warten, sondern aus einer akteurs- und Emissionen zu reduzieren und globale soziale praxispluralistischen Perspektive Veränderung Rechte einzulösen. im Hier und Jetzt beginnen lassen, sind jedoch Gleichzeitig müssen Räume für solida- bislang ein Flickenteppich. Diese Fragmentie- rische Austausch- und Wirtschaftsformen rungen zu überwinden, ist die größte strategi- und bedürfnisorientierte lokale und regionale sche Herausforderung für alle an Transforma- Wirtschaftskreisläufe geöffnet und gefördert tion interessierten Kräfte. werden. Bedürfnisse nach der Rückgewinnung souveräner Produktion, z.B. Ernährungssou- 1 Der Deutsche Bundestag beschloss im Dezember 2010 veränität, nach kollektivem Handeln und die die Einsetzung einer Enquetekommission mit dem Titel Zurückweisung der Ökonomisierung und »Wachstum, Wohlstand Lebensqualität – Wege zu nachhalti- gem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Industrialisierung aller Versorgung organisiert Sozialen Marktwirtschaft«. Sie nahm Anfang 2011 ihre Arbeit und artikuliert sich derzeit in Transition-Town- auf und legte im Juni 2013 einen Abschlussbericht vor. Konzepten, urbaner Landwirtschaft und neuen Schrebergartenkulturen. weiterlesen in LuXemburg-Online www.zeitschrift-luxemburg.de Transitionen, Transformationen Im Gespräch mit Ulrich Brand ziehen die Kommissions­ Aus einer feministischen Perspektive müssen mitglieder und Bundestagsabgeordneten Waltraud Wolff konkrete Übergangsstrategien und alternative (SPD), Sabine Leidig (Die Linke) und Hermann Ott (Bündnis90/Die Grünen) Bilanz über ihre Arbeit in der Praxen subversiv und transformatorisch Enquetekommission. Nachzulesen in der Online-Ausgabe.

umfairteilen! | luxemburg 2/2013 95 Ökonomie der Zeit fortsetzung »Debatte Arbeitszeit« Luxemburg 1/2013

Katja Kipping Einzelne Sätze aus Marx-Werken herauszuneh- men, ist ein gewagtes Unterfangen. Sie stehen in einem bestimmten Kontext, sind oft Rep- liken. Versuchen wir es trotzdem mit einem Zitat aus den Grundrissen: »Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbe- stimmung natürlich wesentlich. Je weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu anderer Produktion, materieller oder geistiger. Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab. Öko- nomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf. Ebenso muss die Gesellschaft ihre Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu erzielen.« (MEW 42, 89) Marx spricht verschiedene Dimensionen an: die allseitige Entwicklung der Individuen und die gemeinschaftliche Produktion, von der wir weit entfernt sind. Von »Gesamtbedürfnis- sen« ist die Rede und vom Zeitgewinn durch

96 luxemburg 2/2013 | es reicht die Entwicklung der Produktivität. Den letzten in der Ausbeutung der Arbeitskräfte. So hat Aspekt möchte ich hier verfolgen: Wie nutzen die Modekette H&M das System der Stunden- wir die Zeit, die durch Produktivitätsfortschritte löhnerInnen eingeführt. Die Beschäftigten freigesetzt wird bzw. freigesetzt werden müsste? sind nicht mehr bei einem Laden angestellt, sondern bei der Kette. Fällt eine Verkäuferin Fortschritt sollte Zeit freisetzen aus Krankheitsgründen aus, wird ihre Arbeits- In den Grundrissen ist auch die Rede davon, zeit ins Netz eingestellt und wer sich zuerst dass es neben der unmittelbaren materiellen per SMS meldet, darf diese Stunden ableisten. Produktion noch eine andere »Arbeit« gibt. Die Die Betroffenen müssen ständig bereit stehen, dieser Arbeit innewohnende Produktivkraft ist ohne zu wissen, ob sie zum Einsatz kommen. »das allgemeine gesellschaftliche Wissen«, die Entlohnt wird nur der Einsatz, nicht die Tage »Kombination der menschlichen Tätigkeiten« und Stunden des Bereitstehens. und die »Entwicklung des menschlichen Vor diesem Hintergrund scheint es fast Verkehrs« (ebd., 601f). Hier deutet sich an, ein intellektueller Luxus, sich für konsequente was heute unter Begriffen wie immaterielle Arbeit, soziale Kompetenz und politisches Engagement, Wissensgesellschaft und Demo- Katja Kipping streitet für ein bedingungsloses kratie diskutiert wird. Schauen wir uns aber Grundeinkommen, für feministische wie für die heutige Arbeitswelt an, so ist die Bilanz libertäre Politik und für den Anspruch, das Gute Leben im Hier und Heute beginnen zu lassen. ernüchternd: Von Zeitwohlstand, von einer all- Kämpfe um Zeit spielen darin eine zentrale Rolle seitigen Entwicklung kann keine Rede sein. Die und reichen bei ihr weit über den engen Blick auf einen, die Vollzeitstellen haben, nehmen nur Erwerbsarbeit hinaus. Sie ist Mitbegründerin des Instituts Solidarische Moderne, Herausgeberin zu oft Überstunden in Kauf. Raubbau an sich des Prager Frühlings und seit 2012 Vorsitzende selbst gehört zum guten Ton. Kein Wunder, der Partei die LINKE. dass stressbedingte Krankheiten zunehmen, während andere sich ein ums andere Mal erfolglos bewerben. Jobs werden in Produk- Arbeitszeitverkürzung einzusetzen und tionszweigen geschaffen, die vor allem den dies auch noch mit einer Neuverteilung der Raubbau an der Natur befördern. Der Stand der Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern zu Produktivkraftentwicklung gäbe zwar ein Mehr verknüpfen. Doch genau diese Perspektive ist an Zeitwohlstand für alle her. Die konkreten notwendig. Gerade das wachsende Empfinden Machtverhältnisse und die am Profit orientierte von Stress ist ein Ausgangspunkt. Hier gibt es Wirtschaftsweise stehen dem jedoch entgegen. Alltagserfahrungen, an denen wir anknüpfen Erschwerend kommt hinzu, dass es können. Es geht eben nicht nur um die Höhe heutzutage als schick gilt, überarbeitet zu sein. des Lohnes, sondern auch um die kostbarste, Gewerkschaftliche Kämpfe konzentrieren sich weil endliche Ressource Zeit. Es geht um die vor allem auf das Abwehren von Verschlech- Art, wie Arbeit organisiert ist und wofür wir terungen. Die Firmen sind sehr erfinderisch Zeit brauchen.

debatte arbeitszeit | luxemburg 2/2013 97 MuSSe und politische Einmischung etc.« (MEW 26.3, 252). Und in den Grundrissen Dass es Zeit für Familienarbeit und Repro- ist zu lesen: »Die Ersparung von Arbeitszeit duktionsarbeit braucht, ist noch recht leicht ist gleich Vermehren der freien Zeit, d.h. Zeit zu vermitteln. Dass zu den Herrschaftsknoten für die volle Entwicklung des Individuums, die (vgl. Haug in diesem Heft) auch die vom selbst wieder als die größte Produktivkraft zu- Patriarchat geprägte Verteilung der Familienar- rückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit. […] beit zwischen Männern und Frauen gehört und Die freie Zeit, die sowohl Mußezeit als Zeit für dass es hier einer deutlichen Umverteilung höhre Tätigkeit ist – hat ihren Besitzer natürlich bedarf, stößt schon nicht mehr überall auf Be- in ein andres Subjekt verwandelt, und als dies geisterung. Wirklich schwierig wird es jedoch andre Subjekt tritt er [ich füge hinzu: und sie] mit einem Gedanken aus der 4-in-1-Perspektive dann auch in den unmittelbaren Produktions- (vgl. Haug in LuXemburg 2/2011): dass ein Vier- prozeß.« (MEW 42, 607) tel einer Arbeitswoche jeweils für politische Ich lese dies so, dass Arbeit an sich selbst, Einmischung und für Arbeit an sich selbst, also dass also Muße, die Entwicklung der eigenen auch für Muße, vorgesehen sein könnte. Nicht Fähigkeiten auch dazu beitragen kann, die alle wollen auf Anhieb, jeden Tag vier Stunden eigene Widerständigkeit zu erhöhen, Erkennt- politisch aktiv sein. Aber in Bewegungen, in nisse zu erlangen, die uns vorbereiten auf das Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen habe Ansetzen am Herrschaftsknoten. Muße, das ich immer wieder erlebt, dass sich auch die Reich der Freiheit, ist also kein Luxus, sondern Bedürfnisse verändern, wenn etwas in Gang wichtig im politischen Kampf. Dies erfordert gekommen ist. Wir können doch die Demo- dringend eine Verkürzung der Erwerbsarbeits- kratie nicht aufs Abgeben der Stimme an einer zeit. Denn »es bleibt dies immer ein Reich Urne reduzieren! Wir verstehen doch Demo- der Naturnotwendigkeit. Jenseits desselben kratie auch als Demokratisierung der Teilberei- beginnt die menschliche Kraftentwicklung, che, als Mitbestimmung im Büro oder Betrieb, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich als aktive Gestaltung des eigenen Kiezes, als der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich Mitsprache der SchülerInnenvertretung in der der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn Schule. Wir wollen doch Demokratie nicht den kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die BerufspolitikerInnen überlassen. Grundbedingung.« (MEW 25, 828) Und die Muße? Auch in linken Kreis wird sie gern als Spleen abgetan. Lesen wir noch mal Vielfältige Arbeitszeitverkürzungen bei Marx nach. Da heißt es in den Theorien über Wenn wir aber eine Offensive zur Arbeits- den Mehrwert: Freie Zeit ist die Zeit, »die nicht zeitverkürzung in Angriff nehmen, so muss durch unmittelbar produktive Arbeit absorbiert diese immer unterschiedliche Formen von wird, sondern zum enjoyment [Genießen], zur Arbeitszeitverkürzung in den Blick nehmen: Muße dient, [so] daß sie zur freien Tätigkeit und die kollektiven wie die individuell selbstbe- Entwicklung Raum gibt. Die Zeit ist der Raum stimmten. Auch angesichts des Wandels der für die Entwicklung der faculties [Fähigkeiten] Arbeitswelt und angesichts der Verschiedenheit

98 luxemburg 2/2013 | es reicht der Lebenslagen gehen die Vorstellungen von Arbeitsteilungen. Wenn weniger Zeit in den Arbeitszeitverkürzung und die jeweiligen männlich geprägten Bereichen der Erwerbsar- Bedürfnisse weit auseinander (vgl. Riexinger in beit verbracht wird, bleibt mehr Zeit für andere LuXemburg 4/2012). Tätigkeiten wie die Pflege von Angehörigen. Um nur einige Formen zu nennen: Da Dies ist eine Voraussetzung für die gerech- wäre die traditionelle, kollektiv in Tarifverträgen tere Verteilung der Tätigkeiten zwischen den auszuhandelnde Reduktion der Wochenarbeits- Geschlechtern. Es geht um die Entwicklung der zeit, die kollektive Verkürzung der Lebensar- eigenen Fähigkeiten, darum, sich die Demokra- beitszeit durch ein früheres Renteneintrittsalter, tie anzueignen. Und letztlich geht es auch um und die Einführung von mehr gesetzlichen ein kulturgeschichtliches Projekt. Wie André Feiertagen, zum Beispiel am 8. März oder am Gorz es so treffend auf den Punkt bringt: »Die 8. Mai. Außerdem wäre mein Vorschlag, einen Ablösung der Herrschaft des Kapitalismus ist Elternbonus im Urlaubsgesetz einzuführen, ein kulturgesellschaftliches Projekt. Dieses wonach Väter wie Mütter alle zwei Monate einen zielt darauf, den vom ökonomischen Kalkül zusätzlichen freien Tag bekommen sollten für regierten Bereich zu reduzieren und gleichzei- Arzttermine und Behördengänge – auch das tig den Bereich selbstbestimmter, selbstorga- dient der Arbeitszeitverkürzung. Und dann der nisierter Tätigkeiten auszudehnen, in denen Lesetag: Die Thüringer Landtagsfraktion der sich menschliche Fähigkeiten frei entfalten LINKEN hat für alle MitarbeiterInnen einen können.« (Gorz 1994, 9) monatlichen Lesetag eingeführt. Ich fand das Arbeitszeitverkürzung zielt auch darauf, eine großartige Idee und habe deshalb mit der die Macht über die Lebenszeit den Arbeitenden Betriebsratschefin meines Abgeordnetenbüros selbst zuzuweisen. Es geht um Zeitsouveräni- ebenfalls eine solche Vereinbarung getroffen. Zu tät. Oder anders ausgedrückt: um die Verfü- den bekanntesten selbstbestimmbaren Formen gungsgewalt über das eigene Leben. Letztlich der Arbeitszeitverkürzung gehören zeitlich geht es um ein gutes Leben. Der Kampf darum begrenzte Auszeiten (Sabbaticals). Auszeiten, ist ohne Kämpfe um Zeit undenkbar. die keinen Ausstieg aus dem Job bedeuten, aber einen zeitlich begrenzten Rückzug, sei es zur Der Beitrag beruht auf einer Rede auf dem Sympo- Weiterbildung, zur Erweiterung des Horizonts sium »Am Herrschaftsknoten ansetzen«, das am oder zur Prävention von drohendem Burnout. 15.3.2013 anlässlich des 75. Geburtstags von Frigga Ein entscheidendes Hindernis bei der Wahrneh- Haug in Berlin stattfand. Eine Dokumentation der mung solcher Auszeiten ist oft die dann fehlen- Veranstaltung ist zu finden unter: de oder zu geringe materielle Absicherung. www.rosalux.de/documentation/48090 Es geht aber eigentlich um viel mehr als nur um die Verkürzung der Erwerbsarbeits- Literatur Gorz, André, 1994: Kritik der ökonomischen Vernunft, Hamburg zeit: Mit einer Umverteilung der Tätigkeiten Marx, Karl, 1968: Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, Berlin zwischen den Geschlechtern geht es auch Ders.,1983: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, Berlin um den Angriff auf eine der historischen Ders., 1984: Das Kapital, MEW 25, Berlin

debatte arbeitszeit | luxemburg 2/2013 99 Fotos linke Seite: ©Thomas Rassloff Fotos rechte Seite: Ush/flickr

Ob es der Bewegung gelingt, über den Moment hinausgehende Perspektiven, Strategien und politische Bündnisse zu entwickeln, ist offen. Mit Fotos und einer von den AktivistInnen erstellten Infografik dokumentieren wir die ersten Tage des landesweiten Protests. #occupygezi

Die politische Krise in der Türkei begann Ende Mai 2013 als Auseinandersetzung um Stadtpolitik: Der Gezi-Park, eine der wenigen öffentlichen Grünflächen im Zent- rum Istanbuls, sollte einem osmanisch anmutenden Einkaufszentrum weichen und wurde zum Symbol einer heterogenen Demokratiebewegung. Innerhalb weniger Tage gelang es, die Stabilität der AKP-Hegemonie in Frage zu stellen. Das durch den wirtschaftlichen Boom geschönte Bild der autoritär-neoliberalen Transformation in der Türkei bekam tiefe Risse. Die vielen vereinzelten Kämpfe der letzten Jahre fanden einen gemeinsamen Nenner: #direngezipark. Nach der brutalen Räumung von Taksim-Platz und Gezi-Park gehen die Proteste weiter. ©Emrah Cengiz/ infografik.com.tr

Die Macht der Schwachen

Weshalb die Linke eine offene Diskussion über die Zukunft der EuroZone braucht

Michael Brie Endlich hat die Linke in Deutschland eine offene Diskussion über Alternativen in der Krise der europäischen Integration begonnen. Anlass ist die Frage nach Sinn oder Unsinn des Ausstiegs einiger Länder aus der Wäh­ rungsunion. Die Diskussion ist zwingend erforderlich. Es reicht nicht, den Beschlüssen von Troika, Rat oder Kommission jeweils eigene Vorschläge entgegenzustellen. Der Gebrauchswert der Linken muss sich konkret erweisen am realen Einfluss auf Handlungs­ optionen. Auch die Partei die LINKE kann sich hier nicht mehr entziehen. Gefährlich wird es nur dann, wenn sich die offene Dis­ kussion in erster Linie als innerparteilicher Machtkampf darstellt. Nützlich könnte sich die LINKE hingegen dadurch erweisen, dass man mit ihr ein öffentliches Gespräch führen kann, über Auswege aus der Fortführung neoliberaler Politik mit leicht veränderten Mitteln. Bislang waren die Differenzen innerhalb des Parteiensystems zur europäischen Kri­

104 luxemburg 2/2013 | es reicht senpolitik eher marginal. Mit der Allianz für herrschenden Kreise und der dominierenden Deutschland wird nun eine nationalliberale Kapitaloligarchien verschoben worden. Um Alternative eröffnet. Ihr Kern ist ein Wirt­ Handlungskraft wiederzugewinnen, bliebe schaftsnationalismus, der die in Deutschland deshalb nur, die EU selbst zu verlassen. Dem ansässigen ›Leistungsträger‹ und ›Kerngrup­ steht eine doppelte Erfahrung entgegen: Zum pen‹ vor den Krisenkosten schützen soll. Eine einen hat gerade Großbritannien deutlich ge­ Alternative von links ist weniger klar. Das macht, dass die herrschenden finanzkapital­ Ausstiegsszenario zwingt dazu, die Prämissen orientierten Kreise der ›Insel‹ sich keinesfalls möglicher Antworten offen zu legen. Ich sehe dem ›Brüsseler Diktat‹ beugen. Von ›oben‹ zwei Gründe, die die Linke dazu bewegen her betrachtet war Brüssel nie ein wirksames könnten, sich nicht für eine andere Politik Hindernis. Zum anderen zeigte sich z.B. am innerhalb von EU und Währungsunion zu Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen entscheiden, sondern für eine Politik gegen (ACTA), dass starker Widerstand in wichtigen diese – also für den Exit. Ländern auch die Regierungen zum Einlen­ Die Option, die Währungsunion zu verlassen, ist aber zugleich eine Option gegen die EU in ihrer derzeitigen Verfasstheit: Mit Michael Brie leitet das Institut für Gesellschafts- dem Lissaboner Vertrag ist sie auf Wettbe­ analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit werbsintegration orientiert. Sie verweigert Jahren arbeitet er mit anderen an einem »linken Mosaik« und an der strategischen Weiterent- sich einer sozialen, einer demokratischen wicklung der Linken. Sich und dem Institut hat er und ökologischen Union mit gemeinsamen sozialistische Transformationsforschung auf die Mindeststandards und Korridoren, die zum Fahnen geschrieben. Wettbewerb um bessere soziale Leistungen führen könnten. Die Währungsunion dient in diesem Projekt als Bedingung eines global ken bewegen kann. Wer also annimmt, das wettbewerbsfähigen, exportorientierten Handeln der nationalen Regierungen sei Kerneuropas. nachhaltig zu beeinflussen, kann auch davon Der erste Grund, die EU nicht (mehr) ausgehen, dass dies europäische Auswir­ als Handlungsraum einer Linken zu begrei­ kungen hat. Und selbst einseitige Schritte fen, ist folgender: In ihrer grundsätzlichen sind möglich, wenn auf nationaler Ebene institutionellen Verfasstheit macht die EU ein ein entsprechender Konsens herrscht: So Handeln von unten, Handeln von links, Han­ gab es beispielsweise Moratorien von EU- deln mit solidarischen demokratischen Zielen Beschlüssen durch einzelne Mitgliedsländer prinzipiell unmöglich. Stattdessen werde über oder die Verweigerung, neoliberale Richtlini­ die europäische Ebene all das von oben durch­ en umzusetzen. Schon jetzt gibt es dafür eine gesetzt, was nationalstaatlich nicht möglich ganze Reihe von Beispielen. Es ist nicht so, sei. Mittels der europäischen Union seien die dass die nationalen Parlamente und Regie­ Kräfteverhältnisse irreversibel zugunsten der rungen keinen Handlungsspielraum haben,

Euro-Exit? | luxemburg 2/2013 105 hinsichtlich Arbeit und Erwerb. Angesichts der geringen ökonomischen Handlungsmacht dieser Länder und ihrer Bevölkerungen könn­ te der Verlust institutioneller Mitsprachemög­ lichkeiten innerhalb der EU und des damit verbundenen Potenzials der Blockade deutlich stärker zu Buche schlagen als der Gewinn, der aus einer formellen Eigenständigkeit an der Peripherie der EU und der Abwertung der dann wieder nationalen Währung zu ziehen wäre. Mir scheint, dass die eigentliche Frage nicht darin besteht, aus der Währungsunion, geschweige denn aus der EU auszusteigen, sondern dass es in jedem Fall darum geht, Handlungsfähigkeit vor Ort zu stärken. Dass es darum geht, kommunal, regional und nationalstaatlich zu arbeiten und durch Vernetzung zugleich eine europäische Hand­ lungsfähigkeit von links zu entwickeln. Dafür bedarf es auch des Thatcherschen Muts zum Taksim-Platz, sondern so, dass sie ihn gar nicht im Sinne ›Nein‹, wenn einmal linke Kräfte tatsächlich Istanbul,Burak Su/flickr sozialer, ökologischer und demokratischer die Regierung tragen sollten. Würde es uns Forderungen nutzen wollen. gelingen, eine handlungsfähige und selbstbe­ Zweitens wird argumentiert, dass ein wusste Linke in Europa zu befördern, dann Verlassen der EU bzw. der Währungsunion könnten wir auch souverän fragen, ob nicht gerade die schwächeren Länder und deren eine andere, eine soziale, demokratische und Bevölkerung stärken würde. Man müsse ökologische Union mit solidarischen Hand­ sich dann ja nicht mehr den Beschlüssen lungsformen in der Welt die bessere Option aus Brüssel beugen. Die Frage ist nur, ob für das 21. Jahrhundert wäre. diese Rechnung aufgeht. Die realwirtschaft­ lichen Abhängigkeitsverhältnisse bleiben weiterlesen in LuXemburg-Online auf absehbare Zeit bestehen, während die www.zeitschrift-luxemburg.de formellen Handlungspotenziale innerhalb der europäischen Institutionen für die jeweiligen Eine von der RLS beauftragte Studie von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas zu Ursachen und Auswegen aus der Regierungen, aber auch für die Bürgerin­ Euro-Krise hat eine breite Diskussion über linke Strategien – nen und Bürger dieser Länder wegfallen. darunter auch über Sinn oder Unsinn eines »Euro-Exits« – angestoßen. Weitere Texte und Kommentare finden sich in Hier geht es nicht zuletzt um Freizügigkeit der Online-Ausgabe der LuXemburg.

106 luxemburg 2/2013 | es reicht Oben: Istanbul Unten: Gezi-Park Beide Bilder: ©Simon Becker Der deutsche Machtblock in der europäischen Krise

Frederic Heine UND Linke Kritik richtet sich vielfach auf die Krisen- dynamik verschärfende Kürzungspolitik und Thomas Sablowski auf die zentrale Rolle der deutschen Bundes- regierung bei der Disziplinierung der Krisen- länder. Doch welche Faktoren spielen für die Ausrichtung der Krisenpolitik eine Rolle? Von welchen sozialen Kräften wird sie getragen? Wir konzentrieren uns hier auf eine Analyse unterschiedlicher Kapitalfraktionen innerhalb des deutschen Machtblocks und ihrer Widersprüche. Letztere können für eine Vertiefung der Hegemoniekrise und den Erfolg einer emanzipatorischen gegenhegemonialen Mobilisierung subalterner Klassen entschei- dend sein. Auch die in der Öffentlichkeit diskutierten politischen Alternativen beruhen auf Widersprüchen innerhalb des Machtblocks. Es ist daher notwendig, sich Klarheit über die Interessenlagen innerhalb der herrschenden Klassen zu verschaffen. Die Bourgeoisie ist dabei kein homogenes Subjekt, sondern von zahlreichen Widersprü- chen durchzogen (vgl. Poulantzas 1975, 80ff).

108 luxemburg 2/2013 | es reicht Zu nennen sind hier Widersprüche zwischen Aus den Differenzen, die sich in Bezug auf Monopolkapital und nichtmonopolistischem andere Fragen der europäischen Krisenpolitik Kapital, zwischen Bank-, Industrie- und zeigten, ließen sich in unserer Untersuchung Handelskapital sowie zwischen Kapitalfrak- drei Gruppierungen ausmachen, die auf tionen, die vorwiegend im nationalen Raum, Widersprüche hindeuten. Unseres Erachtens in der Europäischen Union (EU) oder global maßgeblich ist die global-expansive Gruppie- operieren. Von diesen Widersprüchen ausge- rung (zu ihr zählen wir die Verbände BDI, hend haben wir im Zeitraum Anfang 2010 bis BDA, BdB, DIHK und überwiegend auch die Frühjahr 2013 die Positionen deutscher Wirt- einzelnen industriellen Branchenverbände). schaftsverbände zu Fragen der europäischen Diese Gruppe vertritt in der europäischen Krisenpolitik untersucht. Einige der Ergebnisse Rettungspolitik die Linie der Bundesregierung, lassen Rückschlüsse für die Erklärung der den Währungsraum in seiner jetzigen Form europäischen Krisenpolitik zu. aufrecht zu halten, und akzeptiert dafür Große Übereinstimmung bestand bei Notfallkreditprogramme sowie temporäre allen untersuchten Verbänden1 in drei zentra- len Punkten der Europolitik: Ablehnung von Eurobonds und von Anleiheankäufen durch die Thomas Sablowski ist Politikwissenschaftler und EZB sowie die Befürwortung von Maßnahmen Referent am Institut für Gesellschaftsanalyse der zur Stärkung der Haushaltsdisziplin (wie im Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dort ist er zuständig für die politische Ökonomie der Globalisierung. »Six Pack« und dem Fiskalpakt). Die Finan- Als Aktivist beteiligt er sich u.a. bei Blockupy und zierung zu vergleichsweise niedrigen Zinsen im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Außer- auf dem deutschen Kredit- und Kapitalmarkt dem ist er Redakteur der Prokla wie auch dieser Zeitschrift. scheint für die Klientel dieser Verbände einen großen Wettbewerbsvorteil darzustellen, Frederic Heine ist Politologe und Aktivist. Für der durch eine Einführung von Eurobonds die in Kürze erscheinende Studie untersuchten sie gemeinsam Die Europapolitik des deutschen gefährdet würde. Die einheitliche Zustimmung Machtblocks und ihre Widersprüche. zu den radikalen haushaltsdisziplinierenden Maßnahmen verweist darauf, dass sich das deutsche Kapital international in einer Gläubi- (EFSF) und schließlich auch dauerhafte (ESM) gerposition befindet. Die Entwertung deutscher europäische Mechanismen für Hilfskredite. Forderungen gegenüber den Krisenländern soll Wichtig sind diesen Verbänden die mit den verhindert werden; die Kosten für den explodie- Krediten verbundenen harten Auflagen, um renden Schuldendienst sollen vor allem auf die eine aus ihrer Sicht gesunde Mischung aus Lohnabhängigen und das Kleinbürgertum in »effizienter Rettung« und »Vermeidung von der europäischen Peripherie abgewälzt werden. Fehlanreizen« (BdB 2010, 27) zu erreichen. Angesichts der breiten Übereinstimmung in In Bezug auf die Reformen der »Economic diesen Fragen ist die Haltung der Bundesregie- Governance« des Euroraums befürworten die rung wenig überraschend. Verbände – neben den genannten Maßnah-

Euro-exit? | luxemburg 2/2013 109 die am globalen Wettbewerb orientierte, auf Produktivitätssteigerung, Lohnzurückhaltung, Arbeitsmarktflexibilisierung und durch den Konsum in externen Märkten gestützte Akku- mulation der monopolistischen Kapitalfraktion. Diese sieht die Krise als Chance, um diese Stra- tegie durch eine Vertiefung der europäischen Integration und die Anpassungsprogramme in den Krisenländern weiterzuentwickeln. Durch die Forcierung einer austeritätspolitischen und wettbewerbsorientierten Rahmengesetzgebung und die Ablehnung einer direkten Wirtschafts- regierung versucht sie gleichzeitig, den ökono- mischen Kampf gegenüber dem politischen Kampf aufzuwerten. Denn das Akkumulations- modell trifft, wie wir vermuten, insbesondere auf der europäischen Ebene auf Gegner, die politisch in der EU tendenziell eine Mehrheit organisieren können, während sie ökonomisch weniger konkurrenzfähig sind. Die zweite Gruppierung in unserer Taksim-Platz, men zur Verschärfung der Haushaltsdisziplin Untersuchung ist die stabilitätsorientierte Istanbul,Ush/flickr der Mitgliedsstaaten – auch die Bekämpfung mit den Verbänden DSGV, BVR und ZDH. makroökonomischer Ungleichgewichte. Dabei Auch diese Verbände unterstützen in der geht es ihnen vor allem um die Wettbewerbs- Rettungspolitik die oben beschriebene Linie fähigkeit als zentrale wirtschaftspolitische der »konditionierten Kreditvergabe« (DSGV Zielgröße. Die Angleichung müsse sich jedoch 2001, 7) und die Aufrechterhaltung des strikt nach dem Maßstab der leistungsstärks- Währungsraums grundsätzlich – auch wenn ten Staaten richten. Zugleich sprechen sich sie 2012 die angebliche Bedingungslosigkeit diese Verbände gegen eine »dirigistische« der Kreditprogramme schärfer kritisierten als Wirtschaftsregierung in der EU, aber für eine die oben genannten Verbände. In den makro- ordnungspolitische Rahmengesetzgebung ökonomischen Ungleichgewichten sehen der auf EU-Ebene aus – Koordination soll mittels BVR und der DSGV insbesondere eine Gefahr »peer pressure« und die Disziplinierung durch für die Zahlungsfähigkeit der Defizitländer. Sie (halb)automatische Sanktionsverfahren und die plädieren außerdem für ein Vetorecht der EU Finanzmärkte selbst erfolgen. Interpretieren gegenüber den nationalen Haushaltsplänen lassen sich diese Positionen u.E. als Verteidi- und wollen Ländern, deren Schuldenstand gung einer spezifischen Akkumulationsstrategie: eine gewisse Schwelle überschreitet, durch

110 luxemburg 2/2013 | es reicht Oben: Gezi-Park, Zsombor Lacza/flickr Unten: Solidemo, San Francisco, Steve Rhodes/flickr die Einsetzung eines kommissarischen Im Hinblick auf die hier analysierten Verwalters die haushaltspolitische Souverä- ökonomisch-korporativen Interessen erscheint nität entziehen. Diese hätte den »Vorteil«, uns der deutsche Machtblock gegenwärtig einen »wirtschaftspolitische[n] Kurswechsel« trotz seiner inneren Widersprüche relativ unabhängig von »schwankende[n] politische kompakt. Dies hängt damit zusammen, dass Mehrheiten« (BVR 2011, 5) herbeiführen zu die krisenbedingten Lasten weitgehend auf können. In der stabilitätsorientierten Gruppie- die Lohnabhängigen abgewälzt bzw. externa- rung, die vorwiegend das nichtmonopolistische lisiert werden konnten. Die sozialen Kon- Kapital repräsentiert, spielen aus unserer flikte konzentrieren sich in den Ländern der Sicht Gläubigerinteressen eine zentrale Rolle. europäischen Peripherie, obwohl das deutsche Dementsprechend geht es vor allem um die Kapital Teil der sozialen Verhältnisse ist, die Gewährleistung des Schuldendienstes der in die Krise geraten sind. Die Widersprüche Schuldnerländer (DSGV und BVR) oder um die innerhalb des deutschen Machtblocks könnten Vermeidung weiterer Gläubigerrisiken seitens sich jedoch weiter zuspitzen, wenn die kri- des deutschen Staates (ZDH). Dieser Gruppie- senhaften Entwicklungen in der europäischen rung geht es weniger um die Weiterentwick- Peripherie und in anderen Weltregionen auch lung einer Akkumulationsstrategie als um die die Akkumulation des Kapitals in Deutschland Bewahrung des Status quo trotz Eurokrise. stärker beeinträchtigen. Ein anderes Bild Drittens bleiben die reaktionären Kräfte. über die Tiefe der Widersprüche könnte auch Hier bildet der Verband Die Familienunternehmer entstehen, wenn man die kulturellen und po- mit seinen deutlich unterscheidbaren Positionen litischen Kämpfe stärker in den Blick nähme – eine Kategorie für sich. Die Familienunternehmer nicht zuletzt scheinen sich die reaktionären lehnten die Rettungspolitik von Anfang an ab, Kräfte auch politisch mit der Gründung der argumentieren für einen »Grexit«, verlangen Partei »Alternative für Deutschland« stärker eine weitere Verschärfung der fiskalpolitischen zu formieren –, oder wenn sich die Kräfte- Maßnahmen, sind gegen jede Form von wirt- verhältnisse in Deutschland zugunsten der schaftspolitischer Europäisierung und bedienen Lohnabhängigen verschöben. sich argumentativ einer teils rechtspopulis- Die Politik der dominierenden global- tischen Rhetorik. Sie verfolgen ängstlich die expansiven Gruppierung (und der sie weitge- Dynamik der europäischen Rettungspolitik und hend unterstützenden stabilitätsorientierten versuchen, sie insgesamt abzuwehren. Im Ver- Gruppierung) ist widersprüchlich, weil sie band Die Familienunternehmer artikulieren sich einerseits die Eurozone verteidigt und auf eine Unternehmer, die befürchten, dass sie durch Vertiefung der europäischen Integration zielt, eine Verschärfung der europäischen Konkur- andererseits durch ihre autoritär-neoliberale renz qua Vertiefung der europäischen Integrati- Ausrichtung die Kohäsion der Europäischen on mehr verlieren als gewinnen werden. Daher Währungsunion (und der EU) unterminiert. versuchen sie diese durch scharfe politische Der bisherige Verlauf der Krisenpolitik legt (und rechtliche) Interventionen aufzuhalten. allerdings nahe, dass die Europäische Wäh-

112 luxemburg 2/2013 | es reicht rungsunion weiter verteidigt werden wird und autoritär-neoliberale Weiterentwicklung der EU dass bei einer Zuspitzung der politischen Krise und gegen eine reaktionäre Kehrtwende, wie auch Zugeständnisse wie etwa eine Lockerung sie die Familienunternehmer und die Alternative der Kürzungspolitik oder eine Streckung für Deutschland verkörpern. Gegenüber diesen der Schuldentilgung zu erwarten sind. Die beiden Polen im Machtblock kann die Linke nur Möglichkeiten eines »muddling through« der eine autonome Position entwickeln, wenn sie herrschenden Kräfte sollten nicht unterschätzt klar macht, dass die Ursachen der Krise letzt- werden. Andererseits sollte aber auch die Sta- lich nicht im Verhältnis der Nationen, sondern bilität der Kräfteverhältnisse nicht überschätzt in den Klassenverhältnissen begründet sind. werden. Die Diskussion über eine Auflösung der Europäischen Währungsunion hat quer Dieser Beitrag beruht auf einer ausführlicheren Stu- durch die politischen Lager an Dynamik die zum Thema (Heine/Sablowski 2013). Wichtige gewonnen, seitdem die national-konservativen andere Erklärungsfaktoren – das gesamtgesellschaft- und orthodox-neoliberalen Kräfte, die sich bis liche Kräfteverhältnis, die Machtblöcke anderer dato vor allem im Verband Die Familienunter- Staaten, deren Artikulation in der EU – konnten nehmer artikulierten, mit der Alternative für nicht einbezogen werden. Deutschland einen parteipolitischen Ausdruck gefunden haben. Die Massenmedien haben in Literatur den letzten Jahren mit ihrem nationalistischen BdB, Bundesverband deutscher Banken, 2010: Währungsunion 2.0, https://bankenverband.de/publikationen/pubbanken/ Diskurs den Boden für reaktionäre politische shopitem/5c7260ea3776d7701c73ddb064b7f459 Verschiebungen bereitet. Unglücklicherweise BVR, Bundesverband der deutschen Volks- und Raiffeisen- banken, 2011: Volkswirtschaft special, Nr. 8/2011, www.bvr. erscheint die rechte Kritik an der EU derzeit de/p.nsf/82F8B4FD6BF614FEC125789B002CE1EE/$FIL stärker als die linke. Die Vorstellung, man E/2011BVRVolkswirtschaftSpecialNr6.pdf DSGV, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, 2011: Memo- könnte der rechten Kritik am Euro das Wasser randum zu aktuellen Fragen »Europa und Euro«, abgraben, indem man die Diskussion über eine www.dsgv.de/_download_gallery/Stellungnahmen/110924_ Memorandum_IWF_dt.pdf Auflösung der Eurozone von links befördert, ist Heine, Frederic und Thomas Sablowski, 2013: Die Europapo- litik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche, Ms., höchst gefährlich. Am Ende droht eine solche Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin Taktik, die Linke zu spalten und weiter Wasser Poulantzas, Nicos, 1975: Klassen im Kapitalismus heute, West- berlin auf die Mühlen der Rechten zu lenken. Es wäre Ders., 2002: Staatstheorie, Hamburg auch falsch, die Kritik nur auf die neoliberal-au- toritäre Vertiefung der europäischen Integration 1 Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), zu konzentrieren, die von der global-expansiven Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände Gruppierung vorangetrieben wird, weil diese (BDA), Verband der Automobilindustrie (VDA), Verband der Chemischen Industrie (VCI), Verband Deutscher Maschinen- die hegemoniale Fraktion ist, und die reaktio- und Anlagenbau (VDMA), Zentralverband Elektrotechnik- nären Positionen der Familienunternehmer und und Elektronikindustrie (ZVEI), Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHK), Zentralverband des deutschen Handwerks der Alternative für Deutschland als unbedeutend (ZDH), Die Familienunternehmer, Bundesverband deutscher abzutun. Die Linke muss weiterhin einen Banken (BdB), Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV) und Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Kampf an zwei Fronten führen: gegen die Raiffeisenbanken BVR( )

Euro-exit? | luxemburg 2/2013 113 Sozialismus des 21. Jahrhunderts dieter boris klaus Meschkat

Warum denn immer Lateinamerika? Strategi- werden, Reichtum wurde umverteilt, Armut sches Labor, Ikonenschmiede, Projektionsfläche – reduziert, städtische Arme und indigene Land- Begriffe, die das komplexe Verhältnis der Linken bevölkerung ermächtigten sich in revolutionären im globalen Norden zur lateinamerikanischen Prozessen selbst. Die materiell-stoffliche Basis Linken beschreiben, sind vielfältig. Am Ende geht des neuen Sozialismus geriet jedoch schnell in es immer um dasselbe: Lateinamerika ist die die Kritik, basierten doch die ›revolutionären‹ einzige Großregion der Welt, in der linke Kräfte Regierungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador stark genug sind, immer wieder die Machtfrage auf einer politischen Ökonomie der Extraktion zu stellen und sie manchmal sogar für sich zu natürlicher Ressourcen. Ist dies nicht einfach eine entscheiden. In Lateinamerika erringen ›wir‹ – Umverteilung der durch Raubbau an der Natur im Sinne einer globalen Linken – Erfolge. Gerade gewonnenen Ressourcen? Ein Raubbau, der im deshalb sind unsere Niederlagen dort auch die Kontext der globalen sozial-ökologischen Krise tragischsten. Dort steigen wir am höchsten – und kaum ein zukunftsfähiges Projekt sein kann und fallen am tiefsten. in diesen Ländern hart umkämpft ist? Auch in der Hochphase des Neoliberalismus, Mit dem von Miriam Lang, Büroleiterin in der Thatchers »there is no alternative« zum in Quito, herausgegebenen Band Demokratie, noch erdrückenderen »Ende der Geschichte« Partizipation, Sozialismus (2012) beteiligt sich wurde, spielte Lateinamerika diese Rolle. Als die Rosa-Luxemburg-Stiftung an dieser Diskus- Hugo Chávez den »Sozialismus des 21. Jahrhun- sion. Das Buch selbst hat eine Debatte ausgelöst, derts« verkündete, als ein Linksruck durch den aus der wir zwei Beiträge veröffentlichen.1 gesamten Kontinent ging, schien der ideologische Bann gebrochen. Weite Teile der Staatsapparate Tadzio Müller konnten der Kontrolle korrupter Eliten entzogen für die Redaktion

114 luxemburg 2/2013 | es reicht Im Labyrinth von Dieter Boris ist Marxist im Unruhestand, »Post-Entwicklung« Lateinamerika gilt seine Leidenschaft – insbeson- und »Buen Vivir« dere Analysen der Linken von Subcomandante Marcos bis Hugo Chávez. Als Professor für Dieter Boris Soziologie prägte er die Marburger Schule in der Tradition Wolfgang Abendroths mit. Seit Jahren engagiert er sich als Vertrauensdozent der Rosa- In dem von Miriam Lang herausgegebenen Luxemburg-­Stiftung. programmatischen Band2 kommt der kritische Hinweis auf »eurozentristische« Betrachtungs- weisen ziemlich häufig vor, auch wenn dieses Klaus Meschkat widmet sich nach seiner Argument keineswegs neu ist. Die unzulässige Eme­ritierung von der Uni Hannover weiter der Übertragung theoretischer Kategorien und kritischen Analyse von Entwicklung, vor allem in systematisch-inhaltlicher Zusammenhänge, Lateinamerika. Kritisch-solidarisch setzt er sich die aus der Betrachtung europäischer Realitä- mit linken Bewegungen und Regierungspro- jekten auseinander. Er ist Mitglied im wissen- ten gewonnen wurden, auf außereuropäische schaftlichen Beirat von attac und wirkt – wie auch Gesellschaften kann als Eurozentrismus Dieter Boris – im Arbeitskreis Lateinamerika der qualifiziert werden. Und muss – nach der im Rosa-Luxemburg-Stiftung mit. linken Spektrum fast einhelligen Meinung – stark relativiert oder zurückgewiesen werden. Dies betrifft insbesondere die damit häufig Produktionsweisen, kulturellen Eigenheiten verbundenen normativen Vorgaben. etc. zu analysieren. Eine andere Frage ist, ob damit automa- Der in Teilen der lateinamerikanischen tisch alle Kategorien, die in Europa gewonnen Linken weit verbreitete Begriff des »plurina- wurden, als falsch und unbrauchbar anzu- tionalen Staates« ist selbst ein hochgradig sehen sind; zumal dann, wenn bestimmte eurozentristischer Begriff. »Nation« ist seiner ökonomische und gesellschaftliche Institu- Herkunft nach ein europäisches Konzept, das tionen von Europa z.B. nach Lateinamerika bekanntlich im Europa des 19. Jahrhunderts sei- übertragen wurden. Sind beispielsweise die nen größte Bedeutung erlebte (vgl. die einschlä- analytischen Begriffe der Kapitalismusana- gigen Analysen bei E. J. Hobsbawm, B. Ander- lyse (Gebrauchswert/Tauschwert; konkrete/ son, A.D. Smith und E. Gellner). Dies kann den abstrakte Arbeit, Mehrwert, Akkumulation Schöpfern dieser Begrifflichkeit in den neuen etc.) automatisch falsch und deplatziert, wenn Verfassungen Boliviens und Ecuadors kaum kapitalistische Prozesse in Lateinamerika entgangen sein. In der Ketschua-Sprache, im analysiert werden? Ich glaube nicht. Wichtig Nahuatl (im Azteken-Bereich) und den Maya- ist, die Artikulation, d.h. die Verbindung und Sprachen existiert meines Wissens kein Begriff Verflechtung solcher kapitalistischer Sektoren von Nation. Es ist erstaunlich, wie viele linke in gesamtgesellschaftlichen Kontexten, z.B. Theoretiker ohne Bedenken bereit sind, auch im Zusammenhang mit vorkapitalistischen die kleinste Ethnie als Nation zu bezeichnen.

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 115 Solidemo, Athen, how will i ever/ flickr

Zwar ist das Bestreben nach »Gleichwertigkeit« auszusetzen. Das berühmte Kind wird mit dem und voller »Anerkennung« zu verstehen; aber Bade ausgeschüttet. die Frage bleibt, ob dies durch die Übernahme Es wird behauptet, der Begriff »Entwick- der Begriffe der Eroberer geschehen muss. lung« sei erst 1949 von US-Präsident Harry Truman in seiner Point IV Declaration erfun- »Jenseits der Entwicklung«. den, und seither im Sinne und im Dienste Post-Developmentalism des US-Imperialismus und des westlichen Die Gründung der Arbeitsgruppe Más allá del Kapitalismus gebraucht worden. Diese Position Desarrollo, die von der RLS in Quito 2010/11 unterschlägt, dass der Entwicklungsbegriff eine angestoßen wurde, spiegelt ein deutliches längere und vielschichtigere Geschichte besitzt. Interesse an der seit einigen Jahren bestehen- Spätestens seit der Aufklärung und insbe- den Theorierichtung des Post-Development. Die sondere in der Philosophie des 18. und 19. berechtigte Kritik, der herrschende Entwick- Jahrhunderts meinte er die widersprüchliche, lungsdiskurs sei kapitalapologetisch, neokolo- emanzipatorische Entfaltung von inhärenten nialistisch, kulturimperialistisch und teilweise Potenzialen bei Individuen und Gesellschaften rassistisch, läuft jedoch Gefahr, jedes entwick- hin zu größerer Autonomie (Erweiterung der lungstheoretische Denken diesem Verdacht Freiheitsspielräume) und einer materiellen wie

116 luxemburg 2/2013 | es reicht immateriellen Besserstellung. Diese Tradition vivir insbesondere für linke, sozialistische oder hat sich in einem relativ breiten marxistischen marxistische Positionen durchaus attraktiv. entwicklungstheoretischen Denken seit Nur ersetzen sie in ihrer Allgemeinheit keine Ende des 19. Jahrhunderts fortgesetzt (z.B. R. konkrete Analyse und Programmatik. Luxemburg, N. Bucharin, P. Baran, P. Khalat- Dem Diskurs um buen vivir kommt weder bari, P. Jaleé, de Bernis, S. Amin, I. Wallerstein, eine analytische (auf zusätzlichen Erkennt- G. Arrighi, R. Kößler, G. Hauck, K.H. Tjaden nisgewinn angelegte Begrifflichkeit) noch etc.). Mit diesen und anderen marxistischen eine kohärente und präzise programmatische Entwicklungstheoretikern setzen Lang et al. Bedeutung zu. Gerade in dieser Überset- sich jedoch nicht auseinander. zungsarbeit der abstrakten Prinzipien scheint Was wäre denn die Alternative zu einer das Hauptproblem zu liegen. Schon beim wohlverstandenen Entwicklung? Schließlich Kern- und Wesenselement des Diskurses, dem kommen selbst gestandene ›Post-Developmen- »Bruch mit der Moderne«, gelangt man auf ne- talisten‹ nicht ganz ohne den Begriff aus. So bulöses Terrain. Was genau ist ›die Moderne‹? argumentiert beispielsweise Eduardo Gudynas Ist es die Renaissance, der Kapitalismus, die (2012, 9): »Dieses System des Buen Vivir ist neuzeitliche Wissenschaft, die moderne Kunst, wiederum mit dem ›System der Entwicklung‹ die moderne Architektur, sind es die moder- verbunden. Hier erfolgt eine wichtige Präzi- nen Kriege? Dies wird nicht erläutert. sierung, denn es wird darauf hingewiesen, In vielen Ländern Lateinamerikas dass die Entwicklung dem guten Leben dienen bestehen die Bevölkerungen mehrheitlich muss.« Die Tatsache, dass der Entwicklungs- aus Mestizen oder Weißen; müssen sie sich Begriff im obigen Sinne ›missbraucht‹ worden nun die andinen Kosmovisionen aneignen? ist, kann nicht heißen, komplett auf ihn zu Wollen denn alle indigenen Bevölkerungsteile verzichten. Das müsste sonst auch für andere nach dieser Philosophie leben? Der jüngste ›missbrauchte‹ Begriffe wie Demokratie, Wahlausgang in Ecuador, in dem Alberto Nachhaltigkeit oder Sozialismus gelten. Acosta, der Kandidat der ›Postentwicklungslin- ken‹ gegen den ›Extraktivisten‹ Rafael Correa Buen Vivir (sumak kawsay) verloren hat, scheint nicht in diese Richtung Das Konzept des buen vivir aus den andinen zu deuten. Kosmovisionen umfasst bestimmte Vorstel- In dem gesamten Diskurs kommen zent- lungen zum richtigen/guten Leben (samt der rale Begriffe der kritischen Gesellschaftsanalyse entsprechenden Verhaltensweisen). Es kann höchstens am Rande oder überhaupt nicht m.E. jedoch höchstens als entfernter Leitstern vor: Kapitalismus, Herrschaft, Ausbeutung, für eine bessere, andere, nicht-kapitalistische, Diskriminierung, Ungleichheit, Exklusion, nachhaltig wirtschaftende und solidarische ideologisches Bewusstsein etc. Auch werden Gesellschaft dienen. Als allgemeine Richt- diese Phänomene nicht erklärt. Oft wird von schnur und Zielbestimmung gesellschaftlicher einer Gesellschaft oder Gemeinschaft jenseits Veränderungen sind die Maximen des buen von Kapitalismus und Sozialismus gesprochen.

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 117 (Neo-)Extraktivismus ppAuch wenn Rohstoffexporte insgesamt Als (Neo-) Extraktivismus wird eine wirtschafts- zunehmen, wächst in einigen Länder die indus- politische Tendenz bezeichnet, in der der trielle Produktion absolut und sogar relativ (in Abbau von Bodenschätzen und Agrargütern Bezug auf das BIP). Dies gilt beispielsweise für für den Export ein wachsendes und tendenziell Brasilien, Argentinien und Costa Rica. schädliches Gewicht erlangt. In Lateiname- ppDie These, wonach die dynamische Wirt- rika ist eine solche Tendenz allgemein zu schaftsentwicklung der letzten zehn Jahre beobachten. Dies liegt nicht zuletzt an den in Lateinamerika nur auf die Expansion des erheblichen Preissteigerungen von Rohstoffen Rohstoffabbaus und dessen Export zurückzu- auf den Weltmärkten während der letzten führen sei, ist falsch. In Ländern wie Argenti- Dekade und dem Versuch, hierüber nicht nur nien, Brasilien, Uruguay, Ecuador, Venezuela die volkswirtschaftlichen Deviseneinnahmen, waren vor allem der Anstieg der Reallöhne, die sondern auch die staatlichen Einnahmen zu teilweise drastische Erhöhung der Minimallöh- steigern. Daran entzünden sich zahlreiche ne, die Zunahme formeller Arbeitsverhältnisse soziale Konflikte. Die Zahl sozial-ökologisch sowie die Verbesserung der gewerkschaftlichen bedingter Auseinandersetzungen hat in diesem Verhandlungsposition (auch in rechtlicher Zeitraum zugenommen, viele der Proteste sind Hinsicht) für das Wachstum des Binnenmarkts verständlich und verdienen Unterstützung. verantwortlich. Auch die Konjunktur-, Wechsel- Mittel- und langfristig gesehen stellt der Neo- kurs- und Fiskalpolitik sowie die Sozialpolitik Extraktivismus also eine Fehlentwicklung dar, der progressiven Regierungen waren wichtige die aus unterschiedlichen Gründen korrigiert Faktoren dieser Entwicklung; ebenso wie werden sollte: aus ökonomischen (einseitige die Verringerung der »demographischen Abhängigkeit), ökologischen (Klimawandel, Abhängigkeit«, d.h. die günstigere Relation Naturzerstörung, Gefährdung des Wassers von arbeitsfähiger und nicht arbeitsfähiger etc.), sozialen (Bedrohung der betroffenen Bevölkerung. Schließlich haben die deutliche Bevölkerung) und arbeitsmarktpolitischen Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit und der Gründen (geringe Arbeitskraftintensität). Anstieg der Transfers von ArbeitsmigrantInnen Der (Neo-)Extraktivismus ist aber nicht in das durchschnittliche Haushaltseinkommen in allen Ländern Lateinamerikas gleichermaßen vielen Ländern Lateinamerikas spürbar erhöht ausgeprägt (vgl. Matthes 2013), und es gibt eini- (vgl. Boris 2013, 138ff). ge Aspekte, die seine Bedeutung relativieren: Für einen Ausweg aus dem skizzierten ppDer exorbitante Anstieg der Preise (zumin- Dilemma könnten sicherlich kurz- und dest für manche Rohstoffe) suggeriert eine mittelfristige Kompromisse gerade unter den Expansion von Exporten, die oftmals nicht exis- progressiven Regierungen gefunden werden. tiert. In Venezuela beispielsweise haben sich Durch scharfe Umwelt- und Arbeitsauflagen, die Exporteinnahmen aus dem Erdöl seit 2003 eine nationale Kontrolle der betreffenden verdreifacht. Die Exportmenge hat gegenüber Unternehmen und die Beteiligung der Kommu- jener Zeit jedoch klar abgenommen.3 nen bei Investitionsentscheidungen könnten

118 luxemburg 2/2013 | es reicht Negativfolgen abgemildert werden. Würde man perspektivisch die Entnahme von Rohstoffen reduzieren und diese überwiegend national und regional verarbeiten, könnte dies langfristig zu größerer Nachhaltigkeit und Diversität der Produktionsstrukturen führen. Solche Schritte in absehbarer Zeit zu gehen, scheint möglich.

Staatsanalyse Die Analyse der Rolle des Staates im Transfor- mationsprozess ist ein zentrales Thema in den genannten Texten und Diskussionen. Die De- batte krankt bisher an verschiedenen Punkten: ppEs existiert kein theoretisches Konzept vom Staat in peripher-kapitalistischen Ländern; stattdessen wird vom »bürgerlichen Staat« als solchem gesprochen, ohne die Spezifika des Staates in den betreffenden Gesellschaften theoretisch-konzeptionell zu bestimmen. Istanbul, mrtasci/flickr ppEine genaue Analyse der sich im Transforma- tionsprozess verändernden Kräfteverhältnisse in den Gesellschaften sowie im Staat und in systemerhaltenden Oppositionskräfte zurück- seinen Apparaten fehlt weitgehend. Genau dies zudrängen, eventuelle Boykottmaßnahmen zu wäre aber die Hauptaufgabe einer Analyse der minimieren oder gewaltsame Rollbackversuche Rolle, der Schranken und Möglichkeiten von wie beispielsweise in Chile zwischen 1970 und Staaten im Transformationsprozess. 1973 zu verhindern, sind in den vorliegenden ppLetzteres würde auch einschließen, einzelne Texten kaum zu finden. Staatsapparate (Militär, Polizei, Justiz z.B.) oder Für eine ernsthafte Analyse müsste man Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen hin- sich über die zentralen Fragen eines Transfor- sichtlich ihrer Stabilität sowie hinsichtlich ihrer mationsprozesses verständigen – hier scheinen bereits vollzogenen Veränderung zu überprüfen. große Unterschiede zu bestehen. Und diese ppStatt solche theoretisch-konzeptionellen und müssten dann sowohl theoretisch als auch empirischen Analysen vorzulegen, finden sich empirisch untersucht werden, ohne inhaltsleere viele zukunftsbezogene Beiträge darüber, wie Schlagworte (»jenseits der Entwicklung«, buen der »Plurinationale Staat« am besten funktio- vivir etc.) an die Stelle konkreter Analyse zu nieren sollte. setzen. Beispielsweise wäre zu klären, inwieweit ppZentrale Fragen, inwiefern z.B. der in Trans- der Staat bereits weitgehend in die Gesellschaft formation befindliche Staat in der Lage ist, die zurückgenommen wurde, folglich permanente

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 119 Partizipation und Kontrolle nun leichter mög- »Buen Vivir« lich ist als früher. als partizipativer

Gravierende Defizite Gegenentwurf Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den Klaus Meschkat genannten Diskussionen ppdie Dimension internationaler politischer Die inneren Konflikte in den bolivarianischen und ökonomischer Beziehungen weitgehend Ländern (Venezuela, Bolivien und Ecuador) ausgeblendet wird; haben in den letzten Jahren zugenommen, ob- ppes kaum Ansätze von Sozialstrukturanalysen wohl sich die progressiven Regierungen gegen in den betreffenden Transformationsländern putschistische Manöver der extremen Rechten gibt (vor allem eine Analyse der herrschenden durchsetzen und überall, zuletzt in Ecuador, bei Klasse fehlt); Wahlen eindrucksvolle Erfolge erzielen konn- ppzentrale Aspekte der ökonomischen Produk- ten. Die Rechte wurde zurückgedrängt, zugleich tion und Reproduktion zumeist ausgespart sind aber haben sich die Spannungen zwischen sozi- oder unterbelichtet bleiben; alen Bewegungen und den Spitzen der Staats- ppdie ideologischen Auseinandersetzungen apparate verschärft. Sie führten in Ecuador bei sowie die medialen Konstellationen in den den letzten Wahlen sogar dazu, dass auf der jeweiligen Ländern kaum erwähnt werden; Linken ein eigener Präsidentschaftskandidat ppeine ernsthafte Analyse des Staates, der gegen Correa auftrat. In Bolivien kulminieren einzelnen Staatsapparate, des Ausmaßes der sie im TIPNIS-Konflikt, der Auseinanderset- bisherigen Veränderungen zugunsten eines zung um den Bau einer Fernstraße durch ein recht pauschalen Anti-Etatismus fast vollständig Naturschutzgebiet im Amazonasbecken. Wie in den Hintergrund tritt; man diese Konflikte beurteilt, hängt auch von ppeine differenzierte Analyse der sich verän- einem Verständnis der progressiven Regime in dernden Kräfteverhältnisse im Prozess der den Anden-Ländern ab. Transformation nicht zu erkennen ist. In dem von Miriam Lang herausgegebenen Neo-Extraktivismus Band bleiben in den meisten Artikeln wichtige Fast gleichzeitig mit dem von Miriam Lang Ausschnitte der Realitäts unbeachtet oder (2012) herausgegebenen Buch erschien werden stark vernachlässigt. Arbeiten, die bean- eine deutschsprachige Publikation des For- spruchen, gesamtgesellschaftliche Transforma- schungs- und Dokumentationszentrums tionsprozesse zu analysieren, dürfen jedoch von Chile-Lateinamerika – FDCL (2012) zum Neuen zentralen Realitätsbereichen nicht abstrahieren. Extraktivismus. Dort werden eine ganze Reihe Eine wissenschaftlich und politisch angemes- Fragen zufriedenstellend klärt, die Dieter Boris sene Transformationsforschung müsste aus in seiner kritischen Rezension aufwirft. Es wird linker (oder gar marxistischer) Perspektive beispielsweise empirisch belegt, in welchem anders aussehen. erschreckenden Umfang der Extraktivismus

120 luxemburg 2/2013 | es reicht das vorherrschende Wirtschaftsmodell fast aller Trotz vieler Absichtserklärungen, die Abhän- lateinamerikanischer Länder geworden ist. gigkeit von Rohstoffexporten vermindern zu Dennoch gibt es Unterschiede zwischen wollen, hat sich der Neo-Extraktivismus jedoch dem auf die Spitze getriebenen Extraktivismus in eher konsolidiert – in Venezuela wie in Ecuador Ländern wie Kolumbien, wo die »Bergbauloko- und Bolivien. In Ecuador scheint es mir bemer- motive« beschworen wird, und dem Neo-Extrak- kenswert, dass Rafael Correa sogar klare Be- tivismus unter progressiven Regimen. Eduardo kenntnisse zu einer Expansion des modernen Gudynas hat diesen Unterschied m.E. überzeu- Bergbaus abgelegt hat, verbunden mit einer gend herausgearbeitet: Im Neo-Extraktivismus aggressiven Anprangerung aller Gegner dieser spielt der Staat die entscheidende Rolle bei der Politik als Handlanger des Imperialismus. Aneignung und Verwendung der Überschüsse Die wirtschaftlichen Folgen und Gefahren aus den gesteigerten Rohstoffexporten, und er einer Vertiefung des Neo-Extraktivismus sind benutzt diese zusätzlichen Einnahmen gezielt vielfach analysiert worden, seine politischen für eine Verbesserung der materiellen Lage der Konsequenzen müssten aber noch weiter ausge- Mehrheit der Bevölkerung (vgl. 2012, 55). Dies lotet werden. Nach meiner Auffassung besteht scheint mir die Grundlage für die Wirtschafts- ein enger Zusammenhang zwischen Extrakti- politik der bolivarianischen Regime zu sein, und vismus und der Verstärkung von Zentralismus es ist mir ganz unverständlich, warum Boris und autoritären Tendenzen im politischen abstreitet, dass die günstige wirtschaftliche Bereich. Eine Staatsspitze, die unbeschränkt und Entwicklung der letzten zehn Jahre vor allem unkontrolliert Zugang zu den ertragreichsten »auf die Expansion des Rohstoffabbaus und Ressourcen ihres Landes hat, kann bequem die dessen Export zurückzuführen sei« (Boris in Fortdauer ihrer Herrschaft sichern, ohne sich diesem Heft). mit unabhängigen gesellschaftlichen Kräften auf Im Gegenteil ist seit dem Beginn der Augenhöhe auseinandersetzen zu müssen. Auch Präsidentschaft von Hugo Chávez der Vorrang wenn sie sich in regelmäßigen Abständen freien von Erdölexporten in der Praxis niemals in Frage Wahlen stellen muss. Sie handelt nach ihrem gestellt worden, und weder die Regierung noch Selbstverständnis demokratisch im Dienste der ihre Kritiker auf der Linken oder Rechten haben breiten Mehrheit der Bevölkerung, selbst wenn jemals ernsthaft den sofortigen Ausstieg aus der dies die dauerhafte Verwüstung bestimmter Rohstoffextraktion gefordert. Chávez’ Leistung Gebiete und den Verlust der Lebensgrundla- besteht zweifellos darin, gegen große Widerstän- ge der dort lebenden Menschen, oft ganzer de die Kontrolle des Staates über die Erträge aus indigener Völker, bedeutet. Es ist unvermeidlich, der Ölförderung durchgesetzt zu haben und, dass sich die unmittelbar Betroffenen zu Wehr begünstigt durch steigende Ölpreise, diese Mittel setzen. Regionaler Widerstand organisiert sich für Sozial-, Gesundheits- und Bildungsprogram- in Ländern mit rechtsgerichteten Regierungen me im Land und für umfangreiche Maßnahmen (Peru, Kolumbien), aber auch in Venezuela, internationaler Solidarität nach außen zu Ecuador und Bolivien. Leider ist auch dort zu verwenden. beobachten, dass dem Widerstand mit repres-

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 121 Gezi-Park, Istanbul, oben: © Thomas Rassloff, unten: © ardac/flickr siven Maßnahmen begegnet wird, und dass die im Rahmen eines kommunitären, dezen- die Konflikte als das Werk proimperialistischer tralen Staates mit weitgehenden Autonomien Kräfte in Gestalt auslandsfinanzierter NGOs zusammengeschlossen sind. gebrandmarkt werden. Solche Töne klingen bei In den Verfassungen Boliviens und Boris glücklicherweise nur schwach an, deutlich Ecuadors wird als Grundlage des neuen Staates wird indes ein schier unbegrenztes Vertrauen ein neues Prinzip verkündet, das auf Quechua in das verantwortliche Handeln der jeweiligen sumak kawsay und auf Aymara suma qamaña Staatsführungen, denen zugestanden und heißt, im Spanischen meist mit buen vivir zugetraut wird, pragmatisch nach verantwortba- übersetzt. Die deutsche Übersetzung als »Gutes ren Kompromissen zu suchen. Dies scheint mir Leben« gibt den ursprünglichen Sinn kaum wie- nach den Erfahrungen der letzten Jahre kaum der. Gutes Leben bedeutet nämlich keineswegs gerechtfertigt – es sei denn, man identifiziert ein Leben in einem Wohlstand, der nur durch sich wieder einmal unbesehen mit Staatsführun- ständiges Wachstum erworben werden kann, gen und staatstragenden Parteien, weil sie den sondern im Gegenteil ein Leben in Harmonie real möglichen Fortschritt erkämpfen wollen. und Gleichgewicht mit der Natur und den Mitmenschen. Dies impliziert einen Bruch mit Buen Vivir der unverzichtbaren Grundlage kapitalistischen Buen vivir benennt das Gegenprinzip zum Wirtschaftens, dem Zwang zum unbegrenzten Festhalten an einem extraktivistischen Wirt- Akkumulieren. Was dies für die Organisation schaftsmodell. Es ist nicht etwa in Gestalt von Staat und Wirtschaft bedeutet, wird in postmoderner Theoriefetzen nach Lateinamerika beiden Verfassungen teils angedeutet, teils gelangt, sondern dort im Zuge der Ausarbeitung ausgeführt, ohne dass der damit verbundene von neuen Verfassungen von indigenen Intel- Verfassungsauftrag an die Gesetzgebung bisher lektuellen wie z.B. dem bolivianischen Außen- auch nur in Ansätzen eingelöst wurde. minister Choquehuanca entwickelt worden. Das buen vivir bezeichnet also das Ziel einer Dabei handelte es sich aber nicht nur um eine solidarischen Gesellschaft, in der ein menschen- gerechtere Berücksichtigung von Minderheiten würdiges Leben aller nicht mit einer Zerstörung in einem immer noch zentralistischen National- der Natur erkauft wird – und wenn in der staat. Es ging vielmehr um eine grundlegende Verfassung von Ecuador ein eigenes Recht der politische Umwälzung in Ländern, die bis vor Natur postuliert wird, so hängt auch dies eng mit kurzem von kleinen Minderheiten der Nach- dem Konzept des buen vivir zusammen. Es wird kommen und Nachfolger spanischer Eroberer durchaus eine Zielvorstellung benannt, deren beherrscht worden waren. Der dieser Umwäl- Fehlen Boris zu Unrecht bemängelt. Der damit zung entsprechende staatliche Neubau findet gegebene Verfassungsauftrag muss allerdings seinen Ausdruck in der Benennung des Staates konkretisiert werden – ähnlich wie zum Beispiel als plurinational: Nicht ein homogen gedachtes der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes, dass Staatsvolk ist Träger des neuen Staates, vielmehr Eigentum verpflichtet. Die linken Kritiker werfen sind es Nationalitäten, wenn nicht gar Nationen, den Regierungen in Ecuador und Bolivien vor,

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 123 dass sie keine Strategien entwickeln, um diesen bar zu erklären. Der Konflikt schien zunächst Verfassungsauftrag zu erfüllen. Sie befürchten, ausgestanden, flammte jedoch erneut auf, als dass Chávez’ Slogan vom »Sozialismus des 21. Siedler und mit ihnen kooperierende Indígenas Jahrhunderts«, der von Evo Morales und Rafael aus der südlichen Region des TIPNIS, die an Correa ebenfalls in Anspruch genommen wird, die Koka-Gebiete des Chapare angrenzt, für die in Wahrheit auf eine Wiederholung des real Fortsetzung des Baus mobilisierten. Mit Hilfe existierenden Sozialismus des vergangenen Jahr- der Regierung gründeten sie eine rivalisierende hunderts hinausläuft. Dieser war bekanntlich indianische Organisation, die eine plebiszitäre bereit, die Zerstörung der Natur zugunsten des Abstimmung zum Bau der Straße verlangte. We- Fortschritts in der Entfaltung der Produktivkräfte gen der Spaltung der Indígena-Organisationen in Kauf zu nehmen. Das in den Verfassungen ergab das umstrittene Plebiszit letztlich eine verankerte Prinzip des buen vivir wird aus der Mehrheit für den Bau der Fernstraße. Sicht der Kritiker einem weitergetriebenen Eine Analyse des Konflikts erhellt verschie- Extraktivismus geopfert. dene Aspekte: Das oberste Ziel des Bauprojekts ist die Erleichterung brasilianischer Exporte nach Das Beispiel TIPNIS Fernost. Finanziert durch eine brasilianische Erstaunlich in der Rezension von Dieter Boris Entwicklungsbank und durchgeführt von einem ist die Tatsache, dass er den für die Debatte brasilianischen Bauunternehmen diente es der zentralen Konflikt um den Erhalt des National- verstärkten Bindung Boliviens an das mächtige parks von TIPNIS (Territorio Indígena y Parque Brasilien. Für Bolivien selbst hätte die neue Nacional Isiboro-Sécure) nur am Rande erwähnt. Direktverbindung zwischen Cochabamba/La Paz Die dort geplante Fernstraße von Brasilien nach und den ertragreichen Landwirtschaftszonen Peru läuft quer durch ein Gebiet, das nicht nur des Tieflands die Folge, dass Santa Cruz seine seit 1965 Nationalpark ist, sondern in Folge bisherige Monopolstellung als Drehscheibe der eines Marsches der Tieflandindianer zu Beginn Agrarindustrie verlieren würde. Für Morales’ der 1990er Jahre außerdem als indigenes Partei MAS wäre das ein willkommener Nebenef- Territorium ausgewiesen wurde. Obwohl laut fekt in der Auseinandersetzung mit der rechten Verfassung nur mit Konsultation der im TIPNIS Opposition im Osten Boliviens. ansässigen indigenen Völker gestattet, vereinbar- Bei dem Konflikt zwischen den Gegnern te Evo Morales 2007 mit dem damaligen brasilia- und Befürwortern der Fernstraße stoßen zwei nischen Präsidenten Lula da Silva dort den Bau unterschiedliche Logiken aufeinander: Einmal einer Straße, die den Weg brasilianischer die amazonische Wirtschaftsweise der im TIPNIS Exportprodukte an die Pazifikküste des Subkon- ansässigen Indigenen, die auf Subsistenz und tinents verkürzen sollte. Mitte 2011 organisierten Ernährungssicherheit ausgerichtet ist und kol- die Tieflandindianer einen weiteren Marsch, der lektive Nutzungs- und Verbrauchsrechte an den den Präsidenten schließlich veranlasste, den Produkten des Waldes einschließt. Zum anderen Bau des mittleren Abschnitts der Fernstraße zu die auf individueller Landzuteilung beruhende stoppen und das Herz des TIPNIS für unantast- Ökonomie der andinen Siedler, die den Wald in

124 luxemburg 2/2013 | es reicht Land für den Koka-Anbau verwandeln wollen finsterer Mächte des Imperialismus verteufelt (ebd., 82ff). Im Süden desTIPNIS sind die wird, zeigt die Geschichte. Bei der Warnung, Auswirkungen dessen bereits sichtbar: Die Zone man müsse immer auch die internationalen ist weitgehend entwaldet. Die dort ansässigen Kräfteverhältnisse und die Gefahr einer Rück- Yucare haben ihre kollektiven Gemeinschafts- kehr konterrevolutionärer Kräfte bedenken, ist formen größtenteils verloren und sind als deshalb Vorsicht geboten. Gewiss ist es richtig, Hilfskräfte in die Koka-Ökonomie einbezogen. die außenpolitischen Zwänge und die fortbeste- Der Bau der Straße hätte zur Folge, dass sich der henden imperialistischen Ambitionen der USA Koka-Anbau in das Herz des TIPNIS ausweiten in Rechnung zu stellen – aber ohne sich deshalb würde, was sich gut mit einem ›Extraktivismus‹ der verhängnisvollen Logik zu unterwerfen, dass anderer Art vereinbaren ließe: 2007 vergab der Feind meines Feindes immer schon mein die Regierung Konzessionen zur Exploration Freund sein muss. Für Demokraten und Sozia- großer Teile des TIPNIS an zwei ausländische listen muss beispielsweise die Freundschaft mit Erdölgesellschaften, die von brasilianischem und den Machthabern eines theokratischen Unter- venezolanischem Kapital kontrolliert werden. drückungsregimes unerträglich sein. Dies darf Dies widerspricht einer seit 2001 bestehenden nicht länger schweigend übergangen werden, Schutzbestimmung für den TIPNIS, die Ölförde- denn es gehört auch zu einer Positionierung der rung ausschließt. Linken.

Was fehlt? Literatur Boris, Dieter, 2013: Neue Tendenzen in den Sozialstrukturen Je eindeutiger sich die Wende zum Neoextrak- Lateinamerikas, in: PROKLA 170, 138ff FDCL und Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.), 2012: Der Neue tivismus in den progressiven Regimen durch- Extraktivismus. Eine Debatte über die Grenzen des Rohstoff- setzt, desto stärker wächst auch die Neigung, modells in Lateinamerika, Berlin Gudynas, Eduardo, 2012: Buen Vivir. Das gute Leben jenseits von den Widerstand dagegen als konterrevolutionär Entwicklung und Wachstum, in: Lang 2012, 28ff abzustempeln. Im Juni 2011 verfasste einer ders., 2012: Der neue progressive Extraktivismus in Latein- amerika, in: FDCL und RLS, 46ff Gruppe bolivianischer Intellektueller ein Lang, Miriam, (Hg.), 2012: Demokratie, Partizipation, Sozia- Manifest, in dem sie ihre Regierung zur Ein- lismus. Lateinamerikanische Wege zum Sozialismus, RLS, Berlin, www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Ma- lösung des Verfassungspostulats des buen vivir nuskripte/Manuskripte_96_Web.pdf aufforderte. Darauf antwortete der Vizepräsident Dies. et al. (Hg.), 2013: Alternativas al Capitalismo/Colonialismo del siglo XXI. RLS Quito Alvaro García mit einem Büchlein »El OENE- Matthes, Sebastian, 2013: Eine quantitative Analyse des Extrakti- GISMO, enfermedad infantil del derechismo« vismus in Lateinamerika, Kassel (Der NGOismus, Kinderkrankheit des Rechtsab- weichlertums). Er warf seinen Kontrahenten vor, 1 Weitere Debattenbeiträge finden sich in FDCL, RLS 2012; und Lang et al. (Hg.), 2013, Alternativas al Capitalismo/Colo- Instrument der vom Ausland finanziertenNGO s nialismo del siglo XXI. RLS: Quito. zu sein. Ähnliche Töne schlug Rafael Correa in 2 Siehe hierzu auch meine Besprechung in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 92 (2012), 178-189. seiner Wahlkampagne und in Erklärungen nach 3 »Als Chávez 1999 sein Amt antrat, lag der Ölpreis bei 10 seinem Wahlsieg an. Wohin es führen kann, Dollar je Fass. Heute liegt er über 100 […] Doch die Förderung ist heute um etwa 20 Prozent niedriger als zu Chávez’ wenn der politische Gegner direkt als Werkzeug Machtantritt.« (FAZ, 11.3.2013, 20)

Sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 125 Herrschaft als Knoten denken

Frigga Haug Märchen sind voll Weisheit zum Einen, voller Moral zum Zweiten und dunkel von Schweigen, dass wir detektivisch Neues entdecken können. Beginnen wir mit dem Fischer und seiner Frau. Obwohl es Spaß macht, den gleichen Refrain immer bedrohlicher zu wiederholen, kommt es hier nur auf das Gerüst an, damit wir die Bauweise auseinandernehmen können. Ein armer Fischer und seine Frau leben in einem kleinen Verschlag und ernähren sich vom Fisch- fang. Er fängt wenig, wird immer mutloser, bis eines Tages ein großer Butt an seiner Angel hängt. Er zieht ihn heraus, da fängt der an zu sprechen und fleht um sein Leben. Der Fischer gewährt ihm dieses, da er sich nicht vorstellen kann, einen Fisch zu töten, der sprechen kann. Zuhause erzählt er es seiner Frau, die sich sogleich empört, dass er dem Fisch keinen Gegenwert für sein Leben abgenom- men hat, und ihn zurück ans Meer schickt, das Versäumte nachzuholen. Sie will ein Haus mit Mö- beln und Garten und Hühnern im Hof. Unwilllig geht der Fischer, bekommt aber sogleich des Weibes Wunsch erfüllt, und nun nimmt das Unheil seinen

126 luxemburg 2/2013 | es reicht Lauf. Die Wünsche der Frau werden immer größer. zuschließen und Männer allein die Geschicke Vom Haus zum Schloss, es kommen haufenweise lenken zu lassen. Aber das maßlose, rastlose, Bedienstete hinzu und Kutschen. Um weiter zu planlose Verlangen, das vom ersten Sündenfall wünschen, muss sie ihr Geschlecht wechseln, nicht bis heute weibliche Mitgift ist, musste wohl Königin, sondern König werden, dann Kaiser, jetzt in einen anderen Bereich auswandern, als die hat sie Soldaten als Machtposten. Dann will sie Frauen in die Häuser gesperrt waren. Endlich Papst werden, hier ist der Prunk am größten, sie konnte sich das Kapital dieses vogelfreien Be- hat gleich vier Kronen, aber sie bleibt unzufrieden, gehrens annehmen oder vielmehr das Begehren will auch den Sonnenaufgang und -untergang bemächtigte sich des Geldes, dass es Kapital befehlen und also sein wie Gott. Die Katastrophe ist werde. Planlos, maßlos, rastlos – wie Marx das vorherzusehen. Sie sitzt schließlich wieder in ihrem analytisch herausarbeitet. In seiner Gier stürzt Verschlag. es von Krise zu Krise, jede Lösung bereitet nur Von Wunsch zu Wunsch, von Meergang die Mittel für die nächste, heftigere vor, wie das zu Meergang wächst die Empörung der Natur beim Fischer und seiner Frau geschah. über ihr widernatürliches Verhalten, erfahrbar am Farbwechsel des Meeres von blau nach gelb nach grün, violett bis schwarz und sich gewaltig Frigga Haug ist Soziologin und kritische Psycho- türmenden Wellen und tosendem Krach. login. Als marxistische Feministin war sie von Be- ginn an in der westdeutschen Frauenbewegung Die Lehre ist ziemlich klar und grundle- und im SDS aktiv. Sie ist Mitherausgeberin des gend: Der Fischer ist arbeitsam und arm, die Historisch Kritischen Wörterbuchs des Marxismus Frau voll gierigen Verlangens. Sie will aus der und der Zeitschrift Das Argument. Mit der 4in1- Perspektive orientiert sie auf ein neues Verhältnis Ordnung gehen bis hin zur Schöpfung – so von Lohnarbeit zu sozialer Reproduktion. muss die alte Ordnung wiederhergestellt wer- den. Arbeitsam der eine und … jetzt merken wir, dass wir nicht erfahren haben, was die Frau Da wir so märchenhaft aus dem armseligen vorher eigentlich tat oder ob überhaupt etwas, Verschlag in die Krise des Kapitalismus außer dass sie bis zur Dummheit unverschämt gesprungen sind, können wir die Frage nach ist. Aber ist dies überhaupt eine Geschichte dem Herrschaftsknoten stellen, ohne die über Herrschaft und nicht eher über Arbeits- überlieferten Herrschaftstheorien noch einmal teilung, bei der nur ein Teil arbeitet, der andere intensiv aufzusuchen. vorläufig bloß gierig ist? Aber in der Unruhe der Weltwirtschafts- krise werden doch andere Fragen stellbar. Die »die Lehr’ von der Geschicht’« am meisten beunruhigende ist die, warum Frauen, so kann man aus Überlieferungen al- Menschen sich bei so offenkundigen Unge- lenthalben lernen, sind unheilvolle Mächte, um rechtigkeiten, die als Reparaturversuche, die die Kriege geführt werden, die große verdiente alte Gesellschaft noch eine Weile laufen zu Männermacht über Nacht zu Schaum schlagen lassen, im Angebot sind, nicht massenhaft können – von daher ist es angebracht, sie ein- wehren. Wie reproduzieren sich diese kapita-

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 127 listische Gesellschaft und ihre Herrschaft trotz des Fischers Frau mit maßlosen Wünschen. aller Katastrophen oder mit ihnen? Wir können wohl kaum annehmen, dass sie Indem wir nach dem Muster kapitalis- den ganzen Tag, zumal in einem kleinen tischer Gesellschaft und ihrer Reproduktion Verschlag, auf der faulen Haut lag und wartete, fragen, rücken wir der Begriffssprache, in dass ihr Mann etwas zum Essen heimbrächte, der Knoten eine Rolle spielen, schon näher. was, wie wir auch aus dem Märchen erfuhren, Hier können wir voraussetzen, dass es zum sehr häufig nicht gelang. Vermutlich hatten sie allgemeinen Wissen gehört, dass das treibende Kinder, auch für sie musste gesorgt werden, Motiv dieser Regulationsweise der Profit ist; Nahrung musste her, es musste gesammelt, Wachstum, immer mehr, immer größer, das gepflanzt, geerntet werden, aus dem Natur- unstillbare Verlangen, das wir in der Seele der zustand geputzt, geschält, gekocht, zuvor Fischersfrau fanden und das im Märchen als fürs Feuer gesammelt, danach das Geschirr menschlich nicht lebensfähig ausgemustert gesäubert, geräumt, die Kinder getragen, gebo- wurde. Wie lebt dann aber Kapitalismus, ren, gehütet, gesäubert, gekleidet, die Kleider wenngleich krisenhaft? genäht, geflickt werden usw. – vielleicht war In den überlieferten Herrschaftstheorien, noch jemand Altes oder Krankes zu versor- das sei hier nur kurz angemerkt, werden gen, wie wir aus anderen Märchen oder aus Formen untersucht, in denen von oben nach eigener Erfahrung wissen. Bei großer Armut unten gehandelt wird – durch überliefertes muss weit gegangen werden, um Ernährung Recht, durch Beamte, durch einen Führer, an herbeizuschaffen – historisch später, wenn den geglaubt wird: »Herrschaft soll heißen die die Fischersfrau schon ein Haus und dann Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts einen Geflügelhof hat, ist es ein Bauernbetrieb bei angebbaren Personen Gehorsam zu fin- mit einer Unmasse von Arbeiten, mit Vieh den«, heißt es bündig bei Max Weber (1922, 38). und Land, Futter besorgen, Schafe auf die Da ist gar kein Gedanke an einen Knoten, der Weide treiben, dann scheren, bei Geburten sich in der sauber durchgeführten historisch der Tiere helfen, bei Krankheiten auch, bis hin gestützten Analyse jetzt eher wie ein Vorschlag zum Schlachten und Häuten und Rupfen – ausmacht, der aus dem häuslichen Nähkörb- Arbeiten, von denen im übrigen Engels in chen kommt und mit ernsthaftem politischem seiner Schrift zum Ursprung der Familie, des Handeln wohlweislich nichts zu tun zu haben Privateigentums und des Staates denkt, dass sich scheint. An dieser Stelle kommen wir nicht wei- diese Tätigkeiten fast von selber tun. »Jetzt mit ter, wenn wir nicht aus der gewohnten histori- den Herden der Pferde, Kamele, Esel, Rinder, schen Überlieferung ein wenig aussteigen und Schafe, Ziegen und Schweine hatten die nach dem nicht so Sichtbaren, dem nicht ganz vordringenden Hirtenvölker [...] einen Besitz Bewussten, jedenfalls Verschwiegenen suchen. erworben, der nur der Aufsicht und rohesten Gehen wir also noch einmal zurück zur Pflege bedurfte, um sich in stets vermehrter Fischersfrau, die zwar einen Namen hat, die Zahl fortzupflanzen und die reichlichste Nah- Ilsebill, aber ansonsten nichts weiter ist als rung an Milch und Fleisch zu liefern.« (Engels

128 luxemburg 2/2013 | es reicht Taksim-Platz, Istanbul eser.karadag/ flickr

1973, 58) Man denkt ans Schlaraffenland, wo schon zu absichtsvoll, – zieht sich durch die Schweine bekanntlich gebraten mit Messer die Geschichtsschreibung. Wer je versucht und Gabel im Rücken umherlaufen. In der hat, Frauengeschichte zu erforschen, stößt gleichen Schrift gibt es auch die grandiose und immerzu auf Leerstellen, Lücken, Mängel, häufig zitierte Formulierung von der »welt- Nichts (vgl. Haug 2001b; 2010). Und doch geschichtlichen Niederlage des weiblichen ist auch wiederum allen bewusst, dass die Geschlechts« (61) durch den Umsturz des Produktion des Lebens, wie Marx und Engels Mutterrechts. Es folgt der Satz: »Der Mann dies ausdrücken, das Wesentliche ist, dem die ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau Produktion der Lebensmittel dient. Allerdings wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner so, dass das eine ohne das andere nicht geht, Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeu- ein Trennungszusammenhang. Eine Ver- gung.« Und schon wieder tut sie nichts, als kehrung kommt hinein, wenn das eine dem ein passives Objekt und Werkzeug für andere anderen wirklich übergeordnet ist, wie dies zu sein. Lesen wir dies als eine Geburt des eben im Kapitalismus mit der Produktion des Opferdiskurses. Profits wegen geschieht, für die das Leben Das Übersehen, nicht in Betracht und seine Produktion nur Mittel sind. Aber ziehen, Vergessen – ›Verschweigen‹, wäre die hierarchische Überordnung der profitlich

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 129 organisierten Mittelproduktion über das Leben Natur nötig sind. Diese bilden einen eigenen selbst braucht zu ihrem Betrieb die vorher- Strang, haben eine andere Zeitlogik, lassen gehende Unterdrückung der Frauen, dass sie sich schlecht rationalisieren oder effektiver sich des Lebensnotwendigen außerhalb der und schneller schaffen, um gewinnbringend Profitgesetze annehmen. zu sein. Die unterschiedlichen Individua- In dieser Weise können wir feststellen, litätsformen von der liebenden Mutter zur dass Geschlechterverhältnisse Produktionsver- heroischen Krankenschwester, zur ehrenamt- hältnisse sind (vgl. Haug 2001a). Diese These lich Wohltätigen, zum Umweltschützer sind gibt uns schon Auskunft über die Hartnäckig- ebenso bekannt wie die Katastrophen, die keit, mit der Frauenmarginalisierung und hinterrücks die Menschen überfallen: von der -unterdrückung bleibt, selbst wenn die Lage Verrohung und dem Verkommen von ganzen der Frauen historisch immer weiter verbessert Generationen und Bevölkerungsteilen bis wird. Alle Verhältnisse sind in Geschlechter- zur Unbewohnbarkeit der Erde. Viele dieser verhältnissen kodiert. Dieser einfach zu spre- ­Tätigkeiten bleiben unsichtbar. Vieles wurde chende Satz eröffnet einem außerordentlich in den entwickelten kapitalistischen Län- weit verzweigten Dasein ein riesiges Untersu- dern in die Lohnarbeit überführt, wo es ein chungsfeld. Auch kapitalistische Herrschaft, geduldetes, schlechtes und schlecht bezahltes diese vor allem, braucht Frauenmarginalisie- Ansehen hat. rung, um an Stelle der Barbarei, die Marx und In diese Verklammerung geht ebenso Luxemburg vorhersahen, weiter funktionieren fast unerwähnt die Vernachlässigung der zu können, wenngleich krisenhaft. Menschen je selbst als Menschen ein. Ent- Dies nenne ich den Herrschaftsknoten, wicklung ist etwas, das sich nur Reiche leisten das Ineinander-Verflochten-Sein unterschied- können, während die Regungen, menschlich licher Stränge, die einander abstützen und Mögliches zu entfalten, im Konsumrausch halten, von denen eine Reihe nicht sichtbar erstickt werden, der zugleich eine Grundlage sind, die in ihrem Wirkungszusammenhang für Wachstum, Verbrauch ist – und sich auf aber die kapitalistische Gesellschaft am Laufen andere Weise das Verlangen der Fischersfrau halten. Verflochten sind in diesem Knoten: zunutze gemacht hat. Ebenso unbemerkt das profitgetriebene Agieren des Kapitals, das bleibt, dass Menschen subaltern in Unmün- sich lebendige Arbeit in der Form der Lohn- digkeit gehalten bleiben in Bezug auf die arbeit einverleibt, die Produktivkräfte immer Gestaltung der Gesellschaft, was wir das Politi- weiter entwickelt und damit Arbeit, die ihre sche nennen. Diese vier Stränge sind vielfältig Quelle ist, austrocknet und einspart – dies eingeflochten, abgesichert, ausgestaltet, finden allein ist schon ein komplizierter dialektischer sich in Gewohnheiten, Taten, Moral, im Zusammenhang. Dann die unsichtbaren Hoffen und Begehren, im Commonsense. Sie ungesprochenen und geschichtslosen Taten, zusammenzuführen ist das Projekt der Vier- die allesamt zur Wiederherstellung des Lebens in-Einem-Perspektive (Haug 2011; LuXemburg der Menschen und der sie umgebenden 3/2011; Kipping in diesem Heft).

130 luxemburg 2/2013 | es reicht Herrschaft als Knoten denken einen Doppelknoten. Wenn man vier oder mehr »Über, was Herrschen ist, besteht eine verkehr- Stränge hat, wird es fast unlösbar – wie der te Meinung bei einigen. Die meisten Leut wis- gordische Knoten – die Lösung bleibt Aufgabe. sen zeit ihres Lebens nicht, dass sie beherrscht Aber worauf es jetzt hier ankommt, ist, dass es werden, das ist eine Tatsache. Sie meinen, sie immer die Möglichkeit gibt, am falschen Ende tun, was sie auch täten, wenns überhaupt keine zu ziehen und so den Knoten fester und die Obrigkeit oder sonstwas, was herrscht, gäb« Lösung unmöglicher zu machen. (Brecht 1967a, 1437), sagt Kalle in den Flücht- Im Projekt der 4in1-Perspektive ist die lingsgesprächen und spricht so aufs Knappste, Vorstellung vom Knoten und seiner tückischen dass Herrschaft die Beherrschten braucht, die Weise, sich beim Lösen festigen zu können, ihr Beherrschtsein praktisch betätigen Tag und zentral. Das ist einfach zu begreifen und zu Nacht. Man kann sich das Zusammenwirken erklären, wenn man sich etwa die in Lohnform dieser vielfältigen Kräfte vorstellen, auch, wie gefangene Arbeit ansieht und ihre Verkür- enorm das Forschungs- und Praxisfeld ist, zung als ausschließliche Politik betreibt. Die das zur Befreiung von Herrschaft beschritten Vernachlässigung aller anderen gesamtgesell- werden muss, und wieviele gehen müssen schaftlichen Arbeit ist dabei ebenso evident wie verändernd sich und ihre Bedingungen. die Zielgruppe mit Entwicklung der Produktiv- Bei Gramsci finden wir als Aufgabe: »Man kräfte immer kleiner wird. Die vielen anderen muss eine Lehre erarbeiten, in der alle diese Arbeiten verschwinden immer weiter aus dem Verhältnisse tätig und in Bewegung sind, wobei sichtbaren Feld, während ihre in Lohnform ganz deutlich festgestellt wird, dass der Sitz die- überführten Teile den Sparmaßnahmen in der ser Tätigkeit das Bewusstsein des Einzelmen- Krise zum Opfer fallen, z.B. im Gesundheits-, schen ist, der erkennt, will, bewundert, schafft, im Schulwesen, in der Sozial- und Jugendarbeit, insofern er bereits erkennt, will, bewundert, in der Altenpflege, im Kulturellen. Die vielen schafft usw. und sich nicht als isoliert, sondern Sorge- und Reproduktionsarbeiten finden als voller Möglichkeiten begreift, die ihm von sich allgemein in großer Not, für sie reicht anderen Menschen und von der Gesellschaft die Zeit nicht. Daher müssen die Kämpfe der Dinge geboten werden, wovon er unver- um sie anders geführt werden als die um meidlich eine gewisse Kenntnis hat.« (Gramsci Erwerbsarbeitszeitverkürzung allein. Beginnt 2012, H7, §35) man, an dem zweiten Strang zu ziehen und Aber was bringt es, in diesem Zusam- z.B. Betreuungsgeld, Elterngeld, Müttergeld menhang von einem Herrschaftsknoten zu zu fordern, also damit, diesen Bereich der sprechen, statt einfach von einem Zusammen- menschlichen Reproduktion ebenfalls gänzlich wirken? Ich nehme das einfache Beispiel vom in die Geldform zu überführen, erfährt man Schuh mit Schnürsenkeln. Jeder weiß, dass hier schnell, dass fast unvermeidlich reaktionäre zwei Stränge so zusammengebunden werden, Mutterbilder verfolgt werden, die, wie Bloch das dass sie sich nicht leicht von selber lösen ausspricht, das weibliche Geschlecht »auf ewig können. Damit das garantiert ist, macht man ans Kreuz der Geschichte nageln« (Bloch 1978,

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 131 295). Es ist, allein gezogen, das falsche Ende, Herrschaft destabilisieren ohne – wie schon bei der Arbeitszeitverkür- Bleibt weiter die Frage, warum sich die zung – überhaupt falsch zu sein. Der Knoten Menschen in der jetzigen Großen Krise nicht muss anders gelöst werden. Das Knotengewirr wehren, sondern diejenigen als ihre Vertreter beim Alten zu lassen und vorsichtig am Strang zumeist wählen, die diese Krise politisch allseitiger Entwicklung zu ziehen, festigt die mit verursacht haben. Die Frage allgemeiner Grenzen, die um die Ausbildung von Eliten gestellt zeigt Wege ihrer Beantwortung. Zu gezogen sind. Denn die Verknüpfung mit den sich festzurrenden Fäden des Herr- wirtschaftlichem Wachstum führt zur Unter- schaftsknotens gehört wie eine Sicherung, stützung von wirtschaftlich Gebrauchten, was dass in den Befestigungen auch Belohnungen weder der allseitigen Entwicklung der Persön- stecken. Der verschnürte Schuh erleichtert das lichkeit zugute kommt, noch der Entfaltung Laufen. In jeder Herrschaftsform steckt nicht aller Sinne. Stattdessen kommt es zur Konzen- nur Gewohnheit, sondern damit auch Hand- tration des Erfindungsgeists aufs Machbare, lungsfähigkeit für die Unterworfenen. Das was die Indienstnahme von Natur anbelangt: erschwert ein weiteres Mal, die einzelnen zur Verlängerung des Lebens für Reiche, Erset- Veränderung ihrer Lebensbedingungen zu er- zung ihrer Organe durch anderswo geraubte, mutigen. Die Lösung des Herrschaftsknotens fehlerfreie Kinder für einige usw. Man muss, ist daher nicht nur eine unerhört langfristige wie Donna Haraway (1995, 178ff) das fordert, und komplizierte Arbeit. Sie kann nur in allen eine Liste erstellen, welche Erfindungen und Bereichen zugleich begonnen werden und Entwicklungen den Ausschluss vieler aus dem braucht die Kraft und die Zeit der Vielen. allgemeinen Menschsein fördern, also Herr- Da ruckeln sie an den einzelnen Strän- schaft stützen. Schließlich der Strang Politik. gen. Sie lockern ihren Griff auf die Erwerbsar- Alle Verbesserungen in der politischen Stellver- beit in Vollzeitform und wollen weniger Zeit tretung, die gewiss nötig sind, ermäßigen die dort verbringen, um die freigewordene Zeit Notwendigkeit, dass es letztlich darum gehen der fürsorgenden Arbeit zu widmen und der muss, Politik von unten zu machen – Sozialis- Freundlichkeit in der Welt. Sie gewichten um, tische Demokratie, in der alle befähigt werden, halten Lohnarbeit nicht mehr für das aus- die Gesellschaftsgestaltung in eigene Hände zu schließliche Zentrum ihres Lebens die einen, nehmen. Wiewohl sich das phrasenhaft anhört, wollen sich nicht mit ganzer Zeit dem Häus- weil wir nicht mehr daran glauben, dass dies lichen widmen die andern. Beide erkennen gelingen könnte, bleibt es Fernziel, bleibt in größerer Muße, dass menschliche Sinne unsere Politik die Vertiefung von Demokratie mehr vollbringen als bloßes Abrackern in der als Handeln von allen. Nicht Arbeitszeitver- einen oder anderen Form. Aufatmend blicken kürzung für Vollbeschäftigung und diese für sie um sich, sehen, dass wenig zum Rechten Wachstum, sondern Arbeitszeitverkürzung, steht und sehen auch, dass sie die Gestaltung damit wir Zeit haben für Märchen, für andere der Gesellschaft gemeinsam vorantreiben, und fürs Politikmachen. also Politik in ihre Hände nehmen müssen. In

132 luxemburg 2/2013 | es reicht diesen vier Bewegungen zugleich lockern sich muss das Wünschen in die richtigen Hände, die Knoten, wird Herrschaft instabil. Diese die dann wiederum den Fischer sich zunutze Lockerung ist antikapitalistisch und radikal machen können als verfügbare Arbeitskraft in demokratisch. Deshalb ist mit systematischem einer immer gesellschaftlicher, also arbeitstei- Widerstand zu rechnen. liger und kooperativer werdenden Form. Die Lernen wir von Brecht als politischem Verfügung über Körper und Arbeit der Frauen Lehrer: bleibt weiter unerwähnt – eine Kraft, die der »Wenn die herrschende Klasse ihren Verknotung anheim fällt. Es ist also auch Griff verliert, fallen die Beherrschten zunächst wichtig und gehört zum Herrschaftsknoten, meist zusammen. Die Institutionen schwan- dass ein großer Teil der gesamtgesellschaftli- ken und zerfallen schon, und die Unterdrück- chen Arbeit unerkannt, unbewusst, verborgen ten machen noch lange keine Anstalten, die ist. So bekommt der Knoten eine schwerer zu Führung zu übernehmen. Gegen sie steht ihre entziffernde Form. In seine Lösung geht Er- Religion, ihre Lebenskunst, die sie mühsam kenntnis ein und damit eine Wahrnehmung, gelernt haben, viel davon vom Feind, einiges die die Arbeiten nebeneinander stellt, dass davon im Kampf mit dem Feind, eine kom- sie gleichzeitig sichtbar sind, wie ebenso ihre plexe Ausstattung von Gewohnheiten und Unsichtbarkeit als Strategie gesehen werden Maximen. Deshalb muss der Umsturz selber kann. Erst von da aus ist eine Zukunftser- etwas Geschäftsmäßiges bekommen, ein zählung zu schreiben und an schrittweise organisiertes Unternehmen, in dem sie Züge Verwirklichung zu gehen. ihres Alltags wieder erkennen können, kurz, vernünftig, um die Massen einzubeziehen.« (Brecht 1967b, 120) Literatur Vom Fischer und seiner Frau. Märchen der Gebrüder Grimm Bloch, Ernst, 1978: Tendenz, Latenz, Utopie, Ergänzungsband Das Ineinander offen legen zur Gesamtausgabe, Frankfurt/M Brecht, Bertolt, 1967a: Flüchtlingsgespräche, in: GW 14, Noch einmal zurück zur Fischersfrau, die am Frankfurt/M, 1381–1515 Anfang des Märchens untätig im Verschlag Ders., 1967b: Marxistische Studien (1926–1939), in GW 20, Frankfurt/M, 45–123 saß und immer höher fliegende Wünsche Engels, Friedrich, 1973: Der Ursprung der Familie, des Privatei- hatte. Die einseitige Abbildung, die ihre gentums und des Staates, Berlin, 25–173 Gramsci, Antonio, 2012: Gefängnishefte, kritische Ausgabe in 10 Taten vergaß, dient auch dazu, allgemein die Bd. (1990f.), Hamburg, broschierte Ausgabe Wünsche zurückzustufen, besonders die weib- Haraway, Donna, 1995: Lieber Kyborg als Göttin! (1984), in: Monströse Versprechen. Die Gender- und Technologie-Essays, lichen. Sie soll im Verschlag bleiben und das Hamburg, 165–184 Nötige tun ohne weitere Worte. Kann so davon Haug, Frigga, 2001a: Geschlechterverhältnisse, in: Historisch- Kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM), Bd. 5, ausgegangen werden, dass die Menschheit Hamburg 493–531 einstweilen überlebt und Fortschritt in den Dies., 2001b: Hausfrau, in: HKWM, 1196–1209 Dies., 2010: Köchin, in: HKWM, Bd. 7/2, Hamburg, 1077– Händen des Fischers läge? Aber er wird von 1095 allein nicht auf bessere, gewinnbringendere Dies., 2011: Die Vier-in-Einem-Perspektive. Politik von Frauen für eine neue Linke, Hamburg Nutzung seiner Arbeitskraft kommen – daher Weber, Max, 1922: Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1, Tübingen

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 133 Dreifachbewegung

die politische Grammatik der Krise

Nancy Fraser

In vielerlei Hinsicht erinnert die heutige Krise an die der 1930er Jahre, wie Karl Pola- nyi sie in Die große Transformation beschrieben hat. Damals wie heute werden mit un- nachgiebigem Druck Märkte ausgeweitet und dereguliert. Überall entsteht Chaos, die Lebensgrundlagen von Milliarden von Menschen werden zerstört, solidarische gesell- schaftliche Beziehungen zerbrechen. Damals wie heute resultiert diese Entwicklung in einer multidimensionalen Krise, die nicht nur ökonomische und finanzielle, son- dern ebenso ökologische und gesamtgesellschaftliche Dimensionen hat. Darin hat die aktuelle Krise eine bestimmte tiefenstrukturelle Logik, die der von Polanyi analysier- ten Situation ähnelt. Beide scheinen in einer gemeinsamen Dynamik zu wurzeln, die er »fiktive Kommodifizierung« (Warenwerdung) nannte. In beiden Perioden haben Marktfundamentalisten versucht, alle notwendigen Voraussetzungen der Produktion (Arbeit, Natur und Geld) in Waren zu verwandeln – zum Verkauf auf sich »selbst re- gulierenden« Märkten. Tatsächlich aber war und ist dieses Projekt in sich selbst wider- sprüchlich. Der Wirtschaftsliberalismus droht, die Mechanismen des Kapitalismus zu untergraben, auf denen er selbst beruht. Angesichts dieser strukturellen Ähnlichkei- ten sprechen viele in Anlehnung an Polanyi von einer zweiten großen Transformation, gleichwohl: Die politische Antwort auf die Krise ist eine völlig andere. Die sozialen Kämpfe in der Krise der 1930er Jahre beschreibt Polanyi als Dop- pelbewegung: Entlang einer klaren Trennungslinie formierten sich Parteien und Bewegungen und schlossen Bündnissen. Auf der einen Seite standen politische Kräfte und wirtschaftliche Interessen, die deregulierte Märkte und eine Ausdeh- nung der Inwertsetzungsprozesse unterstützten; ihnen gegenüber stand eine breite klassenübergreifende Front, die die Gesellschaft vor den Verheerungen des Marktes bewahren wollte – sie umfasste städtische Arbeiter und Landbesitzer, So-

134 luxemburg 2/2013 | es reicht zialisten und Konservative. Als sich die Krise vertiefte, gewannen die Anhänger gesellschaftlicher Wohlfahrt und sozialer Sicherung vermehrt politische Kämpfe: An so unterschiedlichen Orten wie dem Amerika des New Deal, dem stalinistisch regierten Russland oder den faschistisch beherrschten Teilen Europas und später auch in den europäischen Nachkriegsdemokratien verständigten sich die politi- schen Klassen darauf, dass sogenannte selbstregulierende Märkte nicht sich selbst überlassen werden dürfen; sollen sie Gesellschaft und Natur nicht zerstören, ist politische Regulation notwendig. Heute gibt es einen solchen Konsens nicht. Die politischen Eliten sind neoliberal. nancy fraser ist Politikwissenschaftlerin und Dem Schutz von Investoren verpflichtet, for- eine der bekanntesten US-amerikanischen dern fast alle, einschließlich sogenannter So- Feministinnen. Zurzeit ist sie Professorin für Politik- und Sozialwissenschaften an der zialdemokraten, Austerität und den Abbau von New School for Social Research in New York. Haushaltsdefiziten – trotz der Gefahren, die Gemeinsam mit Andrew Arato ist sie Herausge- derartige Politiken darstellen. Trotz intensiver berin der Zeitschrift Constellations, einer inter- nationalen Fachzeitschrift für Kritische Theorie kurzfristiger Aufbrüche wie in der Occupy- und Demokratietheorie. Aus der Perspektive oder Indignados-Bewegung sammelt sich im von Polanyis historischer Analyse der »Großen Zeichen einer gemeinsam formulierten solida- Transformation« blickt sie auf die aktuelle Krise rischen Alternative keine übergreifende Oppo- und ihre Überwindung. sition. Den Protesten fehlt im Allgemeinen ein klares politisches Programm. Die sozialen Be- wegungen bestehen fort, sind stärker institutionalisiert, aber auch sie leiden unter Fragmentierungen und vereinen sich nicht zu einem kohärenten Gegenentwurf.

Die Krise des 21. Jahrhunderts begreifen Es fehlt ein gegenhegemoniales Projekt, die Gesellschaft und die Natur vor dem Neo- liberalismus zu schützen. Doch warum zeichnet sich aktuell keine Doppelbewegung im Polanyischen Sinne ab? Warum überlassen die politischen Klassen unserer Zeit das Politikmachen den Zentralbanken? Warum gibt es keine breite Unterstützung ei- nes neuen »New Deals«, kein Bündnis von GewerkschafterInnen, Arbeitslosen oder prekären ArbeiterInnen, Feministinnen, UmweltschützerInnen und Antiimperialis- tInnen, SozialdemokratInnen und demokratischen SozialistInnen? Warum keine ge- meinsame Front, die darauf besteht, dass die Kosten der fiktiven Inwertsetzung nicht von der Gesellschaft oder der Natur bezahlt werden sollten, sondern durch die, deren unersättliches Akkumulationsstreben die Krise erst verursacht hat? Eine einfache Hypothese wäre es, politisches Führungsversagen als Grund für die Abwesenheit einer Doppelbewegung anzuführen. Das reicht jedoch nicht. Erklärt werden muss das breiter zu fassende Versagen politischer Regulierung, das

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 135 Wegbrechen von Positionen des politischen Keynesianismus innerhalb der Eliten und das Versagen einer ganzen Führungsschicht, die nicht einen einzigen ernst- haften Versuch unternimmt, die drohende Katastrophe abzuwenden. Eine weiter gehende Erklärung bezieht sich auf den Übergang von einem for- distischen Akkumulationsregime, das auf industrieller Produktion basierte, zu ei- nem postfordistischen Akkumulationsregime, das durch Finanzkapital dominiert wird. Im fordistischen Kapitalismus spielten Arbeit und die organisierte Arbei- terInnenschaft innerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse eine zentrale Rolle, denn die Ausbeutung von Arbeit war der Antriebsmotor der Kapitalakku- mulation. IndustriearbeiterInnen verfügten über bedeutende Machtmittel und die Konzentration vieler an einem Ort erleichterte die gewerkschaftliche Organisie- rung. Eine Streikdrohung war damals eine machtvolle Waffe. Gewerkschaften bil- deten das Rückgrat einer breiten popularen Bewegung und trieben Bemühungen voran, den Kapitalismus zu regulieren und die Gesellschaft vor den desintegrati- ven Effekten ökonomischen Laissez-faires zu schützen. Der Industriekapitalismus brachte zu Polanyis Zeiten strukturell eine gesellschaftliche und politische Basis des schützenden Pols der Doppelbewegung hervor. Die Situation im gegenwärtigen Kapitalismus ist grundlegend anders. Das Ka- pital versucht, das riskante Geschäft der Produktion ganz zu vermeiden. Heutige Investoren erzielen Profite durch den Kauf und Verkauf von Geld und von neuen finanziellen Produkten, die finanzielle Risiken in Wert setzen. Das reduziert die Abhängigkeit des Kapitals von der ArbeiterInnenschaft, die ohnehin durch Ent- wicklungen neuer Technologien an Bedeutung verliert. Die industrielle Produktion wandert ab in die Semiperipherie, der gewerkschaftliche Organisierungsgrad sinkt und die Streikwaffe wird stumpfer, vor allem im globalen Norden. Statt des Klas- sengegensatzes von Arbeit und Kapital spielt die Spaltung zwischen schrumpfen- den Kernbelegschaften und wachsendem Prekariat eine größere Rolle. Aus diesen strukturellen Gründen ist die organisierte ArbeiterInnenschaft im 21. Jahrhundert nicht Teil einer Doppelbewegung. Die Vielen im Prekariat oder der »Multitude« besitzen nichts, was das Kapital braucht, nichts, das sie verweigern könnten. Ju- gendliche, BäuerInnen, KonsumentInnen, Frauen und die nicht mehr so neue Klasse der Symbol-ArbeiterInnen (in Gestalt von Hackern und Internetpiraten) wurden auf ihr revolutionäres Potenzial geprüft, doch fehlt ihnen die Kraft zu po- litischer Einheit. Die Polanyische Dynamik ist gestört. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus erzeugt aus sich heraus, anders als sein Vorgänger, keine erkennbare gesellschaftliche Kraft, die eine gegenhegemoniale Bewegung anführen könnte. Diese Hypothese vom Übergang zum Finanzmarktkapitalismus als Ursache für das Fehlen einer Gegenbewegung greift jedoch an einigen Stellen zu kurz. Sie

136 luxemburg 2/2013 | es reicht ignoriert die Bereiche sozialer Reproduktion jenseits des offiziellen ökonomischen Systems, die heutzutage zentrale Orte des Widerstands gegen den Neoliberalismus sind. Wir sehen das in Kämpfen, die es überall auf der Welt gibt: um Bildung, Ge- sundheitsversorgung, Wohnraum, um Wasser, gegen Umweltverschmutzung, für Nahrung und lebenswerte Gemeinwesen. Mit einem einseitigen Fokus auf Klas- senverhältnisse als vermeintlich einziger Basis für den politischen Kampf über- sieht diese Perspektive, dass heutzutage Statusverhältnisse die Mobilisierungsba- sis sozialer Kämpfe bilden. Sichtbar werden sie in einer Politik der Anerkennung, die Kämpfe um Gender, Sexualität, Religion, Sprache, Race, Ethnizität und Natio- nalität organisiert. Allgemeiner betrachtet kann man sagen, dass die zweite Hypo- these die diskursive Seite des Politischen übersieht: die Regeln für das Stellen von Ansprüchen, in denen Struktur und Handlungsfähigkeit miteinander vermittelt sind, ebenso wie die sozialen Vorstellungswelten, in denen das gesellschaftliche Leben erfahren, interpretiert und bewertet wird. Eine dritte Erklärung bezieht sich auf eine weitere strukturelle Verschiebung seit Polanyis Zeiten: Die Ebene, auf der die Krise erfahrbar wird, hat gewechselt und muss daher mittels neuer Deutungsrahmen erfasst werden. Wurde das Kri- senszenario des 20. Jahrhunderts in Form einer nationalen Erzählung verhandelt, so findet sich im Krisenszenario des 21. Jahrhunderts, das den nationalen Rahmen politisch destabilisiert hat, kein plausibler Ersatz. Dieser nationale Rahmen ist so nicht mehr gegeben. Nach dem Zweiten Welt- krieg zielten die USA mit dem Bretton-Woods-Abkommen darauf, internationalen Freihandel mit staatlicher Regulierung auf nationaler Ebene zu kombinieren. Die- ser Kompromiss hielt jedoch nicht sehr lange. Weltweit verloren die Nationalstaa- ten zunehmend die Kontrolle über ihre nationalen Ökonomien – so sie sie jemals hatten. Auch die Konstruktion Europas als Wirtschafts- und Währungsunion ohne politische und fiskalische Integration hat inzwischen die sozialen Sicherungsme- chanismen ihrer Mitgliedsstaaten außer Kraft gesetzt, ohne entsprechenden Aus- gleich zu schaffen. Vorhaben der sozialen Sicherung bzw. des gesellschaftlichen Selbstschutzes können folglich nicht länger in nationalen Bezügen gedacht wer- den. Ohne ein alternatives Deutungsmuster in Sicht, das diesen Entwicklungen entgegengesetzt werden könnte, scheint das Projekt gesellschaftlichen Selbst- schutzes seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Keine der bisher diskutierten Hypothesen oder eine Kombination kann die gegenwärtigen Krisenphänomene und das Fehlen politischer Gegenwehr erklären. Möglicherweise haben wir die Frage bislang falsch gestellt. Was aber, wenn wir sie anders denken, als offene Frage nach der sozialen Grammatik realer Kämpfe seit den 1930er Jahren, die nicht durch diese Doppelbewegung strukturiert waren?

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 137 Dreifachbewegung: Vermarktlichung, Schutz des Sozialen, Emanzipation In den 1960er Jahren entstand eine beeindruckende Zahl von Befreiungsbewe- gungen und verbreitete sich über die gesamte Welt. Diesen emanzipatorischen Bewegungen ging es oft mehr um Anerkennung als um Umverteilung. Sie waren kritisch gegenüber den Formen sozialer Sicherung, die in den damaligen Wohl- fahrts- und Entwicklungsstaaten entstanden waren. Ihre harsche Kritik an den kul- turellen Normen des Wohlfahrtsstaates brachte versteckte Hierarchien und soziale Ausschlüsse zum Vorschein. Dadurch verlor der Begriff Schutz für immer seine Unschuld. Die Neue Linke enthüllte den Unterdrückungscharakter bürokratisch organi- sierter Wohlfahrtsprogramme, welche diejenigen entmächtigten, denen sie zugute kommen sollten und Bürger zu Bittstellern machten. AntiimperialistInnen und FriedensaktivistInnen kritisierten die nationale Beschränkung sozialer Sicherung in der ersten Welt, die nicht zuletzt durch Ausbeutung postkolonialer Völker fi- nanziert war, letztere aber vom sozialen Schutz ausschloss. Sie deckten die Unge- rechtigkeit auf, die diesen ›falsch‹ verankerten Schutzmechanismen innewohnt: das Ausmaß, in dem Menschen Gefährdungen ausgesetzt sind (oft transnational) findet keine Entsprechung in dem Ausmaß, in dem Schutzmaßnahmen (übli- cherweise national) organisiert werden. Zeitgleich entlarvten Feministinnen den Unterdrückungscharakter von Sozialleistungen, die auf dem Modell eines Famili- enlohns und auf einer androzentrischen Perspektive auf Arbeit basieren und die den gesellschaftlichen Beitrag, den Frauen leisten, völlig ignorieren. Sie zeigten, dass das, was hier geschützt wurde, nicht die Gesellschaft im Ganzen war, son- dern vielmehr patriarchale Herrschaft. LGBT-AktivistInnen enthüllten den nieder- trächtigen Charakter öffentlicher Fürsorge, die auf restriktiven heteronormativen Definitionen von Familie basiert. BehindertenaktivistInnen legten den exklusiven Charakter von Gebäudeumgebungen und Architektur offen, in deren Gestaltung sich die Perspektive von Nichtbehinderten auf Mobilität und Befähigung spiegelt. VertreterInnen des Multikulturalismus enthüllten den unterdrückenden Charak- ter sozialer Sicherungsmaßnahmen, die auf mehrheitsgesellschaftlichen religiö- sen oder ethno-kulturellen Selbstverständnissen beruhen und Mitglieder gesell- schaftlicher Minoritäten benachteiligen. Diese Bewegungen passten zu keinem der Pole der Doppelbewegung. Sie ver- langten Zugang und nicht Schutz im bisherigen Sinn. Ihr Hauptziel war nicht die Verteidigung der Gesellschaft, sondern die Überwindung von Herrschaft. Doch befürworteten diese emanzipatorischen Bewegungen auch keineswegs das wirt- schaftsliberale Paradigma. Mit der Abwendung von der Gesellschaft wurden sie

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nicht zu Parteigängern der Wirtschaft. Sie waren sich des Umstands bewusst, dass die Ausweitung von Marktbeziehungen Herrschaft oft veränderte, sie aber nur selten abschaffte. Sie begegneten denen mit Skepsis, die den selbstregulierenden Markt als eine Art Allheilmittel verkauften. Vertragsfreiheit sehen sie nicht als Zweck an sich, sondern als eines von vielen Mitteln auf dem Weg zu Emanzipation in einem weit verstandenen Sinn. Die momentane gesellschaftliche Konstellation lässt sich entsprechend mithil- fe einer anderen Denkfigur analysieren, die ich die Dreifachbewegung nenne. Sie dient dazu, die Grammatik sozialer Kämpfe in der heutigen kapitalistischen Ge- sellschaft zu entziffern. Anders als die Denkfigur der Doppelbewegung beschreibt sie einen dreiseitigen Konflikt zwischen AkteurInnen des Wirtschaftsliberalismus, VerteidigerInnen des Wohlfahrtssystems und AnhängerInnen der Befreiungspers- pektive. Es geht darum, die sich verändernden Beziehungen zwischen diesen drei Typen politischer Kräfte nachzuvollziehen und zu zeigen, wie sie sich immer wie- der kreuzen und auch immer wieder aufeinanderprallen. Im Prinzip kann jeder dieser drei Pole mit jedem der anderen eine Koalition gegen den dritten eingehen. Die konstituierenden Pole bleiben in der Dreifachbewegung notwendig ambivalent.

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 139 Anders als bei Polanyi können wir nun sehen, dass soziale Sicherung per se ambi- valent ist. Sie entwickelt Schutz vor den desintegrativen Effekten, die Märkte auf Gemeinschaften haben. Gleichzeitig vertieft sie aber auch oft Herrschaft in und zwischen solchen Gemeinschaften. Das Gleiche gilt für die anderen zwei Pole: Die marktförmige Bearbeitung sozialer Beziehungen kann negative Effekte haben. Wie Marx argumentierte, kann deren Ausweitung aber durchaus positive Effekte haben, insofern die Sicherungen, die durch die Neoliberalisierung zerstört werden, oft selbst Herrschaftsmechanismen sind. Auch Befreiungsbewegungen sind gegen- über dieser Art von Ambivalenz nicht immun. Emanzipation produziert nicht nur Befreiung, sondern sie führt auch dazu, dass bestehende Solidaritäten unter Druck geraten. Emanzipation überwindet zwar Herrschaft, aber indem sie das tut, kann sie gleichzeitig die solidarische ethische Basis sozialer Sicherung untergraben und somit weiteren Neoliberalisierungen Vorschub leisten. Jeder dieser drei Pole hat folglich ein eigenes Potenzial für Ambivalenz, das sich erst in der Interaktion mit den anderen Polen entwickelt. Beispielsweise kann der Konflikt zwischen Neolibe- ralisierung und sozialer Sicherung nicht ohne Bezug auf Emanzipation verstanden werden. Andererseits ist es aber auch so, dass historisch später entstandene Konflik- te zwischen sozialer Sicherung und Emanzipation nicht verstanden werden können, wenn wir sie nicht im Kontext der Kräfte der Neoliberalisierung begreifen. Befreiungsbewegungen in der Nachkriegszeit stellten herrschaftliche oder un- terdrückende Sicherungen in Frage. Sie enthüllten eine Art von Herrschaft und er- hoben Anspruch auf Befreiung, letztere war jedoch ambivalent. Die Bewegungen konnten sich im Prinzip auf beiden Polen positionieren – auf der Seite des Marktlibe- ralismus oder auf der der sozialen Sicherung. Im ersten Fall würden sie nicht nur die herrschaftliche, unterdrückende Dimension auflösen, sondern auch die solidarische Basis von gesellschaftlichem Schutz. Würden sich die Emanzipationsbewegungen jedoch auf die Seite des gesellschaftlichen Selbstschutzes stellen, könnten sie die ethische Substanz, die ihm zugrunde liegt, nicht erodieren, sondern transformieren. Tatsächlich finden wir in allen diesen Befreiungsbewegungen sowohl protekti- onistische als auch neoliberalisierende Strömungen. Und in jedem Fall tendierten die eher liberalen Strömungen in diesen Bewegungen in Richtung der Neoliberali- sierung, während sozialistische und sozialdemokratische Strömungen sich sehr viel eher auf die Seite der Kräfte des sozialen Selbstschutzes stellten. Man könnte aber auch sagen, dass diese Ambivalenz der Emanzipationsperspektive in den letzten Jahren zugunsten neoliberaler Positionierungen aufgelöst wurde. Die hegemonialen Strömungen innerhalb der emanzipatorischen Kämpfe waren nur ungenügend auf den Aufstieg der »freien Marktkräfte« eingestellt und gingen eine Art gefährlicher Liebschaft mit dem Neoliberalismus ein. Sie entwickelten einen Teil des neuen Geis-

140 luxemburg 2/2013 | es reicht tes des Kapitalismus oder der charismatischen Rationalität einer neuen Akkumula- tionsweise mit, die als flexibel, kreativitätsfördernd und kosmopolitisch angepriesen wird. Im Ergebnis näherte sich die emanzipatorische Kritik repressiver Schutzme- chanismen immer stärker an deren neoliberale Kritik an. In der Konfliktzone der Dreifachbewegung führen AnhängerInnen der Befreiungsbewegungen zusammen mit Marktradikalen einen doppelten Angriff auf die soziale Sicherung. Allmählich erhellt sich die tatsächliche Situation politischer Kämpfe im 21. Jahr- hundert. Gegenwärtig schöpfen ermutigte Neoliberale Kraft aus dem geliehenen Cha- risma emanzipatorischer Befreiungsbewegungen. Sich selbst als Aufstandsbewegung stilisierend, übernehmen sie die Sprache der Emanzipation, um damit Mechanismen sozialer Sicherung als Fesseln der Freiheit zu attackieren. Gleichzeitig versuchen deut- lich geschrumpfte, protektionistische Kräfte, den Makel der Herrschaft loszuwerden, der erst durch die emanzipatorischen Bewegungen enthüllt wurde. Demoralisiert in der Defensive und ohne wirkliche Überzeugungen generieren sie keine Erzählung, keine gegenhegemoniale Vision, die in der Lage wäre, einen Gegenentwurf gegen den Neoliberalismus zu artikulieren. Und schließlich: Die Kräfte der Emanzipation versuchen sich auf einem schmalen Grat zwischen den zwei anderen Polen zu bewe- gen. Doch ihre dominanten Strömungen überschreiten immer wieder die Grenze, die eine notwendige und richtige Kritik herrschaftlicher und unterdrückender Formen sozialer Sicherung und legitimer Ansprüche auf Zugang zum Arbeitsmarkt von indi- vidualistischer Leistungsideologie und privatistischen Verbrauchslogiken trennt. Die Hypothese der Dreifachbewegung verweist uns auf die Notwendigkeit, das Befreiungsvorhaben zu verkomplizieren. Es kommt darauf an, wie der Impuls Herrschaft zu überwinden, in seinem konkreten Zusammentreffen mit anderen Anliegen gestaltet wird. Eine Befreiungsperspektive, die auf einem naiven Glau- ben an Verträge und individuelle Leistung basiert, wird leicht für andere Zwecke missbraucht werden. Gleichzeitig kann man sagen, dass Emanzipation, die Märkte vollständig ablehnt, unverzichtbare liberale Ideen den Ideologien des freien Mark- tes überlässt und zugleich Milliarden Menschen auf der ganzen Welt zurückweist. Menschen, die wissen, dass es noch etwas Schlimmeres gibt als ausgebeutet zu werden: der Ausbeutung nicht einmal wert zu sein.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Luxemburg Lectures im Februar in Berlin. Eine längere Fassung des Textes erscheint parallel auf Englisch im New Left Review. Ein Videomitschnitt ist zu sehen unter: www.rosalux.de/documentation/47122.

Aus dem Amerikanischen von Tadzio Müller und Chatharina Schmalstieg.

sozialismus & feminismus | luxemburg 2/2013 141 Kunststücke fortsetzung »occupy lenin« aus Luxemburg 1/2013

mimmo porcaro

Was eine Partei alles können muss, beschreibt Mimmo Porcaro in seiner Replik auf Candeias und Rehmann Mein kurzes Essay über Lenin (vgl. LuXemburg 1/2013) ist vor allem eine Polemik ge- gen die – in der italienischen Linken verbreitete – Gewohnheit, die berechtigte Kritik am Staatssozialismus und die richtige Idee der sozialen Selbstorganisation als Alibi zu benutzen, um sich nie der Frage der Staatsmacht und der Kontrolle der Produkti- onsmittel zu stellen. Eine solche Gewohnheit wird zu einem schwerwiegenden Prob- lem, wenn – wie es sich heute zeigt – das Privateigentum über die Produktionsmittel und die Staatsmacht die wichtigsten Bastionen der Herrschaft des Kapitalismus sind. Die »sozial verbreitete Macht«, die von den post-gramscianischen, foucaultschen und post-operaistischen Theorien ausgiebig untersucht wurde, ist nicht mehr allein in der Lage, die kapitalistische Hegemonie über die Gesellschaft zu garantieren. Die politische Stärke ist erneut entscheidend geworden, nicht nur als letztinstanzliche Si- cherheitsvorkehrung, sondern als unmittelbare Modalität der Steuerung der gesell- schaftlichen Beziehungen. In diesem Punkt scheint es mir, dass Rehmann und Can- deias im Wesentlichen mit mir übereinstimmen. Also sind wir einer Meinung in der Hauptsache. Wir sind uns ebenfalls einig, dass die (Wieder-)Entdeckung der Zentra- lität der Staatsmacht keine Negation der theoretischen Überlegungen und Praxen der Bewegungen impliziert, hinsichtlich einer Kritik am »realen Sozialismus«, der Über- windung des Etatismus, der Bedeutung direkter und selbstorganisierter Demokratie und der Vielgestaltigkeit und Komplexität des revolutionären Subjekts. Die Meinungsverschiedenheiten betreffen zum einen das Verhältnis zwischen Bewegungskrieg und Stellungskrieg und zum anderen das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher und politischer Macht, zwischen Zivilgesellschaft und Staat.

142 luxemburg 2/2013 | es reicht Bewegungskrieg – Stellungskrieg Rehmann erinnert mich – zu Recht – daran, dass Gramsci den Bewegungskrieg als eine gefährliche Flucht nach vorn ansieht, als ein extremistisches und abenteuer- liches Verhalten, das sich auf die Illusion stützt, die ökonomische Krise des Kapi- talismus könne sich unmittelbar in eine politische Krise der herrschenden Klasse umwandeln. Ich beziehe mich in meinen Überlegungen allerdings gar nicht direkt auf die Gedanken Gramscis. Auch mein Anliegen ist ein anderes: In einigen ka- pitalistischen Ländern, vor allem in Südeuropa, die stärker von der ökonomischen Krise betrof- fen sind als andere, führen die Schwierigkeiten, Mimmo Porcaro ist Vordenker der Rifondazione eine stabile Bearbeitung der Krise zu finden, zu Communista. Seit Jahrzehnten sammelt er als organischer Intellektueller in der kommunisti- wachsender politischer Instabilität. Es kommt schen Tradition Erfahrungen in Staatsapparaten zu einer brüsken Beschleunigung der Zeit- und Partei-Bewegungen Italiens. Diese brachte läufe von Konflikten und zu einem ständigen er als Fellow mit ans Institut für Gesellschafts- Ausein­anderfallen und Neuformieren der poli- analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In Lu- Xemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis tischen Fronten, die – auch wenn sie in der Tat schreibt er über die historische Aufgabe einer nicht unmittelbar zu einer revolutionären Krise »verbindenden Partei«, die Staatsvergessenheit führen – so doch eine neue Organisationsform der Linken und die Konstitution einer Macht, die der antikapitalistischen Bewegungen notwen- noch nicht existiert. dig machen. Eine Organisation, die sowohl in der Lage ist, die verschiedenen Klassenfraktionen und Strömungen der Bewegun- gen zu verbinden als auch schnelle gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Sie muss in der Lage sein, die Stärke der Bewegungen auf entscheidende Punkte der poli- tischen Konjunktur zu lenken – Punkte, die sich ja ständig verändern. Es braucht also eine verbindende Partei, die die Bewegungen vereint, ohne sie innerhalb einer Massenpartei alten Typs aufzulösen. Aber auch eine strategische Partei, die sich nicht darauf beschränkt, einen Dialog zwischen den verschiedenen antikapitalistischen Kulturen zu ermöglichen, sondern die im Stande ist, eine gemeinsame politische Linie zu schaffen. Das heißt nicht, dass man heute sofort und jederzeit die Frage der Staats- macht stellen kann. Es bedeutet eher, dass eine Stärkung oder Schwächung der antikapitalistischen Bewegung sich ungemein schnell vollzieht. Das gleiche gilt für eine Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen zum Besseren oder zum Schlechtern. Sie hängen direkt ab von politischen Entscheidungen, die von Mal zu Mal getroffen werden, und die heute die soziale Dynamik wesentlich stärker prägen, als dies früher der Fall war. Vielleicht widerlegen die deutschen und französischen Erfahrungen meine Hypothese, die italienischen Erfahrungen jedenfalls bestätigen sie.

re:organisieren | luxemburg 2/2013 143 Zivilgesellschaft und Staat Candeias (aber auch Rehmann) haben Recht, wenn sie einwenden, dass man den Kampf in der Zivilgesellschaft nicht abstrakt vom Kampf im (bzw. gegen den) Staat trennen kann (auch weil – ergänze ich – die Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft und Staat eine konzeptionelle ist und keine empirische). Beide Kämpfe müssen sich mit- einander verknüpfen, aber es ist wichtig zu verstehen, dass sie verschiedene Zeitläufe und Bedingungen haben. Der erste verlangt längere Zeiträume, einen höheren Grad von Dezentralisierung und eine Diversifikation der Sprache. Der zweite ist schneller, konzentrierter und braucht eine Vereinheitlichung der Sprache. Wir können also we- der den ›gesellschaftlichen‹ noch den ›politischen‹ Kampf abschaffen, noch können wir den einen im anderen aufgehen lassen, sondern müssen mit diesem unausweich- lichen (und positiven) Widerspruch umgehen. Candeias hat außerdem Recht, wenn er die Bedeutung der neuen Institutionen – die ich »Institutionen der Bewegung« nenne – unterstreicht und auf deren konstituierenden Charakter hinweist. Man kann nicht von der Eroberung und der Transformation der Staatsmacht sprechen, wenn man nicht von der Existenz und dem Aufbau derartiger Institutionen ausgeht. Sie sind der Ort, an dem sich das revolutionäre Subjekt erst herausbildet, das anschließend den Staat besetzt und transformiert. Ohne sie kann keine Situation als ›revolutionär‹ definiert werden. Zwei Präzisierungen sind hier notwendig. Früher organisierte der Kapitalismus die Massen innerhalb stabiler ökonomischer und politischer Strukturen (in den Fa- briken und den Apparaten des Sozialstaates), heute hingegen tendiert er dazu, sie durch Fragmentierung der Produktionseinheiten und die Auflösung des Sozialstaates zu zerstreuen. Die neuen Institutionen müssen also eine zerstreute Bevölkerung ver- einigen. Ihr Aufbau (oder ihre Zerstörung) läuft in viel schnelleren – eher ›sozialen‹ als ›politischen‹ – Zeiträumen ab. Folglich müssen die neuen Institutionen stabil und dauerhaft sein, wenn sie die aktuellen staatlichen Institutionen herausfordern wollen. Die Bewegungen heute neigen leider dazu, sich sehr unbeständige und schwache In- stitutionen zu geben. Die Aufgabe einer politischen Avantgarde ist es also vorzuschla- gen, diese schwachen Institutionen nicht durch die Partei zu ersetzen, sondern durch ›starke Institutionen‹. Sie sind der Raum, innerhalb dessen sich eine verbindende und strategische Partei erst bilden kann.

Linker Populismus Wir überlegen immer so, als gäbe es nur zwei Protagonisten einer sozialen Emanzi- pation: die Selbstorganisation und die Partei. Neben der sozialen Selbstorganisation und der libertären und anti-etatistischen Tendenz taucht aber eine weitere Tendenz auf: Ein ›Volk‹, das aus isolierten Individuen besteht, die sich nicht durch Selbstor- ganisation verbinden, sondern in Bezug auf ein politisches Ziel oder – schlimmer

144 luxemburg 2/2013 | es reicht noch – in Bezug auf einen politischen Anführer. Es sind Fraktionen, die nicht über die Ressourcen verfügen, um sich selbst zu organisieren, die traditionelle Parteien kritisieren, aber trotzdem von einer ›effizienten‹ Partei träumen, ein Volk, das den ineffizienten Staat kritisiert, aber trotzdem einen einflussreichen Staat will, der in der Lage ist, sie vor den Auswirkungen der Krise zu schützen. Diese popularen Massen sind vielleicht populistisch, aber der Populismus ist nicht immer und in jedem Fall ein Phänomen der Rechten. Auch bei einem nicht unbedeutenden Teil der Menschen, die sich als links verstehen, existieren populistische Verhaltensweisen und vielleicht sind die ›linken Populisten‹ viel zahlreicher als die Aktivisten, die für Selbstorganisation stehen. Ein Emanzipationsprojekt und vor allem ein sozialistisches Projekt sollte sich also nicht nur mit der Dialektik zwischen Selbstorganisation und Partei beschäfti- gen, sondern sich auch mit derjenigen zwischen Partei und Selbstorganisation auf der einen Seite und dem Popularen auf der anderen Seite. Andernfalls überlässt man die Subalternen dem rechten Populismus. Die Partei kann daher nicht nur eine ver- bindende und strategische sein. Wahrscheinlich müsste sie auch einige Wesenszüge der alten Massenpartei übernehmen oder, mit der gebotenen Vorsicht, einige Aspekte einer Politik, die sich auf persönliches Charisma stützt.

Ein Macht schaffen, die noch nicht existiert... In Occupy Lenin argumentiere ich, dass besonders in Europa die Staatsmacht nicht identisch ist mit öffentlichen nationalen Institutionen, sondern mit einem Komplex aus öffentlichen und privaten, nationalen und supranationalen Institutionen. Die na- tionale Souveränität läuft ausgerechnet in den schwächsten Ländern Gefahr, von su- pranationalen technischen Organen absorbiert zu werden. Die Eroberung der Staats- macht impliziert hier notwendigerweise auch eine supranationale Strategie. Aber es ist nicht gesagt, dass diese eine europäische sein müsste oder sollte. Falls eine anti- kapitalistische europäische Bewegung nicht rechtzeitig entstehen sollte, müsste die Eroberung der Staatsmacht sich mit der Definition eines neuen politischen Raumes identifizieren, der zu aller erst die nationale Dimension wiederherstellt und sofort danach eine supranationale Dimension neuen Typs schafft. Dies könnte durch eine Rebellion der südeuropäischen Arbeiter passieren und durch die Schaffung einer eigenen Föderation (und einer Währung) der PIIGS. Auch aus diesem Blickwinkel impliziert die Eroberung der Staatsmacht also nicht nur die Aktion innerhalb einer gegebenen Situation, sondern auch die Schaffung einer völlig neuen Situation. Nicht nur die Eroberung einer bestehenden Macht, sondern die Konstitution einer Macht, die noch nicht existiert.

Aus dem Italienischen von Bodo Acker

re:organisieren | luxemburg 2/2013 145 Arbeiten im Supermarkt »Jeden Tag ein bisschen besser«?

Matthias Neumann Die Mitte 2013 laufende Tarifrunde im Einzel- handel entwickelt sich zu einem Großkonflikt, da der Handelsverband Deutschland (HDE) den Manteltarifvertrag (MTV) zum 1.5.2013 gekündigt hat. Im MTV sind die wesentlichen Rahmenbedingungen der Lohnarbeit mit Aus- nahme des Grundlohns geregelt. Diese stellt der Unternehmensverband des Einzelhandels nun allesamt in Frage. Dass die Kapitalseite den MTV kündigt, ist eher ungewöhnlich, ver.di wertet dies als einen Angriff auf das bestehende Tarifsystem. Was steckt dahinter? Bereits im Jahr 2000 kündigte der HDE die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifver- träge im Einzelhandel, was in der Folge eine untertarifliche Bezahlung ermöglichte. Niedriglohnarbeit in der Branche stieg an und mittlerweile wird weder in West- noch in Ostdeutschland die Quote von 50 Prozent der Beschäftigten in Tarifbindung erreicht, die nach §5 Tarifvertragsgesetz für eine Allgemeinverbindlichkeit erforderlich ist. Nun will der HDE in der aktuellen Tarifrunde nach

146 luxemburg 2/2013 | es reicht eigener Aussage Bedingungen schaffen, die Preis ausgetragen. Unternehmen vollziehen für Einzelhandelsketten eine Rückkehr zur den Spagat, die Lohnkosten zu drücken und Tarifbindung attraktiv machen.1 Dazu will er gleichzeitig die Abläufe im Markt zu sichern. Niedriglohngruppen einführen, beispielsweise Dies impliziert die Erwartung an die Angestell- für zentrale Tätigkeiten wie das Auffüllen von ten, zu schlechteren Bedingungen möglichst Regalen und Kassieren. Umgekehrt sollen immer bessere Arbeitsergebnisse zu erbringen. einem Kern ausgebildeter Beschäftigter höhere Die Aufkündigung der Allgemeinverbind- Löhne gezahlt werden. Der Grund ist, dass lichkeit im Jahr 2000 ermöglichte eine unter- eine reine Strategie der Niedriglöhne an ihre tarifliche Bezahlung und die Hartz-Gesetze Grenzen stieß. Der HDE verfolgt nun das Ziel, schafften die entsprechenden Rahmenbedin- mit einer tariflichen Regulierung die im letz- gungen: Der Zwang, Jobangebote im Wortsinn ten Jahrzehnt vollzogene Fragmentierung und um jeden Preis anzunehmen, die Aufhebung Spaltung in Kern- und Randbelegschaft auch der faktischen Stundenlohnuntergrenze bei im Sinne einer Lohnspreizung tarifvertraglich Minijobs und die Möglichkeit, LeiharbeiterIn- zu zementieren und auf diese Weise für die Unternehmen kostenneutral zu gestalten. Diese Entwicklung, die nun Gegenstand matthias Neumann ist Politikwissenschaftler der aktuellen Tarifrunde ist, will ich im Fol- und seit knapp 2 Jahren in Supermärkten der genden auch anhand eigener Erfahrungen in EDEKA-Gruppe beschäftigt. In einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels untersucht er derzeit die Veränderungen von (LEH) darstellen. Dass diese Zergliederung der Arbeitsbedingungen in Supermärkten, die aus Belegschaften bereits weit fortgeschritten ist, der Regie von EDEKA an private InhaberInnen übertragen wurden. Er ist Betriebsrat in einem folglich nur noch im Tarif verankert und da- dieser inhabergeführten Betriebe in Berlin und mit verallgemeinert und normalisiert werden aktiv in der ver.di-Betriebsgruppe. soll, macht die Gegenwehr der Beschäftigten schwierig: Die Kräfteverhältnisse sind bereits verschoben. nen billiger als vergleichbare ArbeiterInnen im Einsatzbetrieb zu bezahlen, sorgten für ein Veränderungen in der rasches Wachstum des Niedriglohnsektors. Unternehmensstrategie Der Arbeitsprozess wurde im LEH zunehmend Wenige Unternehmensgruppen dominieren in fragmentiert, Vollzeitarbeitsplätze gingen Deutschland den LEH, die größte Teilbranche zugunsten von Teilzeit sowie geringfügiger des Einzelhandels. Diese stehen auf einem Beschäftigung zurück. Unternehmen setzten bestenfalls stagnierenden, tendenziell sogar verstärkt auf Werkverträge mit Dienstleis- schrumpfenden Markt in intensiver Konkur- tungsfirmen, die sogar die Leiharbeitslöhne renz zueinander. Wachstum bedeutet Kampf unterbieten. Momentan liegt der Bruttostun- um Marktanteile. Dieser Verdrängungswettbe- denlohn in der untersten Tarifgruppe bei 6,12 werb wird über die Angebotsqualität und den Euro in Ostdeutschland. Bei Werkverträgen mit

re:organisieren | luxemburg 2/2013 147 gleichzeitig betriebswirtschaftliche Erwägungen berücksichtigen. Den KollegInnen stellt sich ih- re Arbeit längst nicht als banal dar und auch die Unternehmen haben im Blick, dass Erfahrungs- wissen, soziale Bindung an den Betrieb und Ausbildung notwendig sind, um das doppelte Ziel niedriger Kosten und hoher Qualität zu erreichen. Die Realität widerspricht dem Bild der ungelernten Hire-and-Fire-Jobs deutlich: Der Anteil von Fachkräften an den Angestellten liegt konstant bei über 80 Prozent. Der Anteil Auszubildender an sozialversicherungspflichtig Angestellten steigt sogar tendenziell, und die Übernahmequote ist hoch.

Die Neuzusammensetzung der Belegschaften Einerseits ist eine Entwicklung hin zu Nied- riglöhnen, Aushilfstätigkeiten, Outsourcing Ush/flickr und Fragmentierung der Belegschaft zu beobachten. Andererseits wird weiterhin an Dienstleistungsfirmen handelt es sich sowohl der Bedeutung von Ausbildung und Bindung um klassisches Outsourcing als auch um Beschäftigter an den Betrieb festgehalten. Scheinwerkverträge, also verdeckte Arbeitneh- Beide Tendenzen scheinen auf den ersten merInnenüberlassung. Blick schwer miteinander vereinbar, sie sind Ein ausschließliches Niedriglohnkonzept es aufgrund sich wandelnder Verhältnisse aber ist jedoch für Unternehmen keine Option, zu- doch: Veränderte Rahmenbedingungen und mindest nicht für die klassischen Supermärkte Unternehmensstrategien haben in sehr kurzer mit Bedienungstheken und großem Sortiment. Zeit nicht nur Belegschaftszusammensetzung, Was von außen – und in vielen Darstellungen Arbeitsverträge und Arbeitsbeziehungen verän- der Medien über Discounter – als einfache dert, sondern auch die Arbeitsorganisation und Jedefrau-Tätigkeit erscheint, ist tatsächlich kom- die Art, wie die betriebliche Leitung auf das plex. So müssen die Angestellten unterschiedli- Arbeitsvermögen der Beschäftigten zugreift, che Tätigkeiten wie Bestellungen, Regale füllen, was sich vor allem in der Trennung in Kern- Warenannahme, KundInnenberatung, Lager- und Randbelegschaft zeigt. organisation, flexibles Einspringen in anderen Die Anforderungen an die Kernbelegschaft Abteilungen oder Wechseln zwischen Kasse steigen mit der Verlängerung der Öffnungszei- und Laden unter Zeitdruck leisten und dabei ten, Arbeitszeiten von 6 bis 14 Uhr und von 14

148 luxemburg 2/2013 | es reicht bis 22 Uhr innerhalb einer Woche sind nichts angereichert, wodurch Druck und Arbeitsbelas- Ungewöhnliches. Es wird zudem von allen tung steigen. Die abgespaltenen Tätigkeiten, die Beschäftigten auch unterhalb der Marktleitung einer Randbelegschaft zugewiesen werden, sind erwartet, dass sie sich verstärkt an betriebli- dagegen wenig fordernd und eintönig. chen Kennzahlen orientieren und neben der WissenschaftlerInnen haben anhand von Sicherung der betrieblichen Abläufe auch die Untersuchungen zu Leiharbeit die Wirkung Rentabilität des Betriebs erhöhen. Indem der einer solchen Fragmentierung der Belegschaft Kostendruck und die verlängerten Öffnungs- häufig so gedeutet, dass sie den Festangestellten zeiten zu einer Ausdünnung der Belegschaft ihre jederzeitige Ersetzbarkeit vor Augen führe. führen, steigen auch die Anforderungen, Ein unbefristeter Arbeitsvertrag erscheine nun selbständig zwischen Aufgaben und Abteilun- als Privileg, das sie sich durch besonderen gen hin und her zu springen. Einsatz zu verdienen hätten. Der Randbeleg- Wachsende Arbeitsbelastung ist also schaft wiederum werde die Möglichkeit des einerseits Folge einer niedrigeren Personalde- Aufstiegs in eine Festanstellung bei entspre- cke, andererseits einer veränderten Zusammen- chender Leistung suggeriert, so dass auf Basis setzung des Personals. Ein Teil der Tätigkeiten des bestehenden Unterschieds in Einkommen wird nun von Beschäftigten erledigt, die vor und Arbeitsplatzsicherheit beide Gruppen zu allem billig sein müssen, der so genannten intensiverer Verausgabung ihrer Arbeitskraft Randbelegschaft. Da die Unternehmensleitung angetrieben werden. Diese These basiert vor weder in ihre Qualifikation noch in ihre Zufrie- allem auf Untersuchungen in Industriebe- denheit mit dem Job investiert, fluktuiert sie trieben, in denen fest und prekär Beschäftigte permanent. Sie wird vor allem dort eingesetzt, tatsächlich die gleichen Tätigkeiten verrichten wo Tätigkeiten klar abgrenzbar und in ihrer und die Willkürlichkeit dieser Unterscheidung Ausführung und ihrem Ergebnis kontrollierbar offensichtlich ist (vgl. Dörre 2010). sind, also vor allem an den Kassen und beim Die Fragmentierung im Lebensmittelein- Füllen der Regale. Dadurch entstehen Einarbei- zelhandel unterscheidet sich von Industriebe- tungs-, Koordinations- und Kontrollaufgaben trieben dadurch, dass die Festangestellten und gegenüber Aushilfen und Beschäftigten von der um sie fluktuierende Rand tatsächlich auf Leiharbeits- bzw. Personaldienstleistungsfir- verschiedene Weise in die Arbeitsorganisation men, die Kernbeschäftigte nun als weitere des Betriebs integriert sind. Die Unterschiede unbezahlte Zusatztätigkeit übernehmen. in Entlohnung, Absicherung und Weiterbil- Die Fragmentierung der Beschäftigung dungsmöglichkeiten erscheinen legitimiert bringt zunächst Unterschiede in Verträgen und durch die Unterschiede in der ausgeübten Lohn sowie in Wochenarbeitszeit und Sicher- Tätigkeit. Niedrige Löhne der Randbelegschaft heit des Arbeitsplatzes mit sich. Auch in der erlauben es dem Unternehmen, den Stammbe- Arbeitsorganisation spiegelt sie sich wider. Die schäftigten bei Lohnhöhe oder Arbeitsintensität Arbeit der Kernbelegschaft wird mit anspruchs- entgegenzukommen, ohne dass die Personal- vollen und abwechslungsreichen Tätigkeiten kosten insgesamt steigen. Zudem entlastet die

re:organisieren | luxemburg 2/2013 149 Randbelegschaft die Festangestellten von un- mit einer austauschbaren Randbelegschaft an angenehmen Tätigkeiten, in begrenztem Um- Grenzen. Unabhängig von Firmenzugehörig- fang von unsozialen Arbeitszeiten, und auch keit und Arbeitsvertragsverhältnis wird in den das Risiko des Arbeitsplatzverlustes betrifft Filialen Seite an Seite gearbeitet, und neben primär die Randbeschäftigten. Dadurch er- der notwendigen Kooperation im Arbeitsab- scheint die entstandene informelle Hierarchie, lauf entstehen persönliche Kontakte. Das von die durch die arbeitsvertraglichen Anforde- Seiten der Stammbelegschaft durchaus auch rungen nicht gedeckt, gegenüber Angestellten instrumentelle Verhältnis zur Randbelegschaft der Werkvertragsfirmen sogar explizit ausge- wird dadurch immer wieder auf die Probe schlossen ist, vielen Stammbeschäftigten nicht gestellt. Dass Arbeit im Kapitalismus als nur begründet, sondern auch wünschenswert. Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess Dem für die Industrie beschriebenen Szenario gleichzeitig Konkurrenz und Kooperation der Belegschaftsspaltung durch Konkurrenz erzeugt und somit auch Quelle möglicher zwischen Stamm- und Randbeschäftigten lässt Solidarität zwischen den Arbeitenden sein sich für den Lebensmitteleinzelhandel also kann, ist nichts Neues. Wichtig ist, wie dieses tendenziell ein Szenario akzeptierter ›Normali- Verhältnis im konkreten Fall aussieht und wo tät‹ gegenüberstellen. sich gewerkschaftspolitisch ansetzen ließe. Einige Beschäftigte sind für diese Aufwertung ihrer Tätigkeit durchaus empfäng- Handlungsoptionen lich. Unterstützt wird dies durch das Bild der Der Trend zur Aufspaltung der Belegschaften Betriebsfamilie als konstruiertem ›Wir‹, das in und umfassender, teils selektiver Verschlech- internen Publikationen, der Rhetorik der Un- terung von Löhnen und Arbeitsbedingungen ternehmensleitung oder auch gemeinsamen war mit klassischer Gewerkschaftspolitik, Aktivitäten außerhalb der Arbeit hochgehalten Tarifrunden und Verhandlungen zwischen wird. Die Akzeptanz dieser Entwicklung hat Betriebsrat und Management bisher nicht allerdings Grenzen: Erstens ist der Lohn aufzuhalten. Unternehmensgruppen und im Vergleich zu anderer Facharbeit relativ einzelne inhabergeführte Märkte waren nicht niedrig, zudem verwehrt die Unternehmens- daran zu hindern, sich der Tarifbindung und leitung den Beschäftigten oftmals die (aus der Zuständigkeit der bestehenden Betriebs- finanziellen Gründen) gewünschte Aufsto- räte zu entziehen. Erfahrungen aus Ausein­ ckung der Arbeitszeit. Zweitens wirkt die andersetzungen im Einzelhandel zeigen, zunehmende Verantwortung für die diversen dass Erfolge auf der aktiven Beteiligung der Arbeitsabläufe Stress verstärkend, wenn Belegschaft basieren.2 Zentral für die Rückge- verinnerlichte Rentabilitätsziele in Konflikt winnung von Handlungsfähigkeit scheint mir mit der Qualität der Arbeitsergebnisse eine Selbstverständigung in den Filialen mit kommen. Drittens stößt die Entgegensetzung dem Ziel, die Kooperation und Solidarität über einer leistungsorientierten, erfahrenen und die unterschiedlichen Vertrags- und Arbeits- Verantwortung tragenden Stammbelegschaft bedingungen hinweg zu stärken, füreinander

150 luxemburg 2/2013 | es reicht einzustehen und grundsätzliches Verständnis Diese beiden Überlegungen treffen sich in für die je unterschiedlichen Lagen zu errei- verschiedener Hinsicht. Entscheidend ist nicht chen. Das bedeutet auch, eine Argumentation stellvertretendes Handeln von außen für die über Marktzwänge nicht zu akzeptieren: In Beschäftigten, sondern eine Unterstützung einem Land mit einem solchen Produktivitäts- ihrer Selbsttätigkeit und Selbstorganisation. niveau müssen existenzsichernde Löhne und Über das Konzept eines Rechts auf ein gutes nicht krank machende Arbeitsbedingungen für Leben für alle ist eine Verallgemeinerung der alle möglich sein. Konfliktführung über Vertrags-, Unternehmens- Darüber hinaus ist in einer Branche, in der oder Branchengrenzen hinaus möglich. Dabei die Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaften ist der Zwang, unter Konkurrenzbedingungen auf längere Sicht eher gering sein wird, Unter- profitabel sein zu müssen, etwas, was die Kom- stützung von außen notwendig. Die Schlecker- promissfähigkeit der je einzelnen Unterneh- Kampagne in den 1990er Jahren ist ein erfolg- men begrenzt. Wenn etwa die Hartz-Gesetze reiches Beispiel dafür, wie die Gewerkschaft als Voraussetzung eines Niedriglohnsektors die mittels externen Drucks im Rahmen von Koali- Konkurrenzposition für Unternehmen gefähr- tionen und Pressearbeit die Handlungsräume den, die Tariflöhne zahlen, muss diese politi- für die Gründung von Betriebsräten erweitert sche Rahmenbedingung angegriffen werden. hat. Es ist wichtig, dabei am Selbstbild und den Gleiches gilt etwa für Vorgaben einer Unterneh- Vorstellungen der Beschäftigten anzusetzen, die menszentrale oder den in der kapitalistischen eine anspruchsvolle und sinnvolle Arbeit leisten Ökonomie verankerten Akkumulationszwang wollen, die entspannter ist, deren Bedingungen selbst. Ein Agieren auf dieser Ebene allerdings mehr Rücksicht auf private Lebenswünsche und übersteigt tatsächlich die Möglichkeiten der -verpflichtungen nehmen, die allen Arbeiten- einzelnen Belegschaft. Zu Ende gedacht, haben den Zugang zu (wenigstens) Tariflöhnen und betriebliche Kämpfe nur als Teil gesellschaftli- Vertragssicherheit bietet und die das Recht auf cher Auseinandersetzungen eine Chance. Das selbstbewusste Interessenvertretung beinhaltet. kann und muss in dieser Tarifrunde, die sich Auf dieser Ebene würden sich vermutlich vermutlich lange hinziehen wird, geübt werden. Beschäftigte und UnterstützerInnen besser als gemeinsam Kämpfende erkennen als in einem Literatur Dörre, Klaus, 2010: Landnahme und soziale Klassen. Zur ›Ihr-armen-Opfer-Diskurs‹. Dieser liegt jedoch Relevanz sekundärer Ausbeutung, in: Hans-Günter Thien verschiedenen öffentlichkeitswirksamen Kam- (Hg.), Klassen im Postfordismus, Münster Thamheyn, Bärbel, und Katharina Wesenick, 2013: Vertrauen pagnen zum Thema Arbeit zugrunde. Er ist ist gut Vertrag ist besser, in: ver.di, Schöne neue Handels- zwar skandaltauglich und provoziert kurzfristig welt, Berlin, o.S. öffentliche Aufmerksamkeit, verstellt allerdings den Blick auf gemeinsame Lebenslagen und 1 www.einzelhandel.de/index.php/presse/aktuellemel- dungen/item/122500-handel-fordert-modernisierung-der- Zwänge. Er entmündigt auch die eigentlichen tarifverträge.html 2 Beispielhaft ist der Konflikt um die Beibehaltung der Tarif- Subjekte der Kampagne, die sich auf diese Wei- bindung in einem an einen Inhaber übertragenen E-Center in se kaum als Handelnde angesprochen fühlen. Bad Gandersheim (Niedersachsen); vgl. dazu Thamheyn (2013).

re:organisieren | luxemburg 2/2013 151 »Wir wollen eine Transformation von unten« ein gespräch mit Abahlali baseMjondolo über inoffzielle Siedlungen, Selbstorganisierung und Repression in Südafrika vollständiges Interview nachzulesen in LuXemburg-Online

Thembani Jerome Ngongoma nisieren. Es steht aber auch für die vielen Durban/Südafrika Enttäuschungen mit der Drei-Parteien Allianz Mitglied des Vorstands von Abahlali aus ANC, COSATU und SACP, die lange Zeit als legitime Vertretung der armen – also schwar- Muziwhake Gerald Ndlalose zen – Bevölkerung galt. Nachdem sich deren Präsident dieser Organisation ökonomische Situation in den letzten Jahren Abahlali baseMjondolo ist Zulu und bedeutet zusehends verschlechterte, öffentliche Güter »BewohnerInnen der Hütten« in den so und Infrastrukturen (Wasser, Strom, Bildung genannten informellen Siedlungen in Südafri- und Gesundheit) privatisiert wurden, wächst ka.1 Der Film »Dear Mandela«2 zeigt die politi- der Unmut gegen die Allianz. Ausdruck dafür sche Selbstorganisierung der BewohnerInnen. sind die so genannten service delivery protests – Zur europäischen Premiere im November Proteste, die den Zugang zu Infrastrukturen 2012 waren Thembani Jerome Ngongoma und und öffentlichen Dienstleistungen fordern. Muziwhake Gerald Ndlalose in Deutschland Der Soziologe Peter Alexander (2010) nennt und sprachen mit uns über die Selbstorga- sie rebellions of the poor, denn es geht auch um nisierung der Abhalali baseMjondolo, über Löhne und Jobs, um Perspektivlosigkeit, Wür- Chancen und Konflikte und über Visionen in de und Lebenschancen. Südafrika gilt derzeit und für Südafrika. als das Land mit dem höchsten Protestaufkom- Wie die erste neue Organisierungswelle men nach China (vgl. Mottiar/Bond 2012). sozialer Bewegungen nach dem Ende der Diese Kämpfe sind allerdings nicht not- Apartheid um die Jahrtausendwende steht wendig emanzipatorisch. In ihnen artikulieren Abahlali für Versuche, sich jenseits etablierter sich auch Konkurrenzen und Machtkämpfe Strukturen für die eigenen Rechte zu orga- um die knappen Ressourcen. Nicht selten rich-

152 luxemburg 2/2013 | es reicht Durban, Südafrika ©stephatriseup/ flickr ten sie sich gegen MigrantInnen aus anderen durch (partei-)politische oder privatwirtschaft- afrikanischen Ländern. Umso bedeutender liche Akteure. Das Massaker in Marikana im sind Bewegungen wie Abahlali, deren Selbst- Sommer 2012 (vgl. LuXemburg 4/2012) ist nur Organisierung starke Elemente von Basisde- das eklatanteste Beispiel dieser Einschüchte- mokratie umfasst und Perspektiven auf eine rung »von oben«. grundsätzlich andere Gesellschaft öffnet. Sie selbst nennen diesen Ansatz »lebende Politik« Corinna Genschel führte das Gespräch (2010). Mit mittlerweile über 10 000 zahlen- den Mitgliedern sind sie eine wichtige – auch weiterlesen in LuXemburg-Online politische – Kraft in der Politik Durbans und www.zeitschrift-luxemburg.de Südafrikas geworden – auch wenn sie gemes- sen daran, dass allein in Durban über 800 000 Literatur Menschen in informellen Siedlungen wohnen, Alexander, Peter, 2010: Rebellion of the poor: South Africa’s service delivery protests – a preliminary analysis, in: Re- nur wenige sind (vgl. Gibson 2013). view of African Political Economy, Vol. 37, No. 123, 25–40 Immer wieder sind diese »Bewegungen Mottiar, Shauna, und Patrick Bond, 2012: The Politics of Dis- content and Social Protest in Durban, in: Politikon: South von unten« mit massiven Einschüchterungs- African Journal of Political Studies Vol. 39, No. 3, 309–330 versuchen durch diejenigen konfrontiert, die sich in ihrer Macht beschnitten fühlen – ob 1 www.abahlali.org auf kommunaler und provinzialer Ebene, ob 2 www.dearmandela.com

re:organisieren | luxemburg 2/2013 153 VSA: Um- & Neuverteilung

Lesen und mehr: www.vsa-verlag.de

AttacBasisTexte 44 AttacBasisTexte 43 Andrea Kocsis / Gabriele Sterkel / BEIGEWUM Hans Thie Jörg Wiedemuth (Hrsg.) Mythen des Sparens Bruno Marcon Antizyklische Alternativen zur Schuldenbremse Dohmen / Fiedler Rotes Grün Steffen Stierle Rätz / Schüßler Umverteilen: Herausgegeben vom Gesundheit ist Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen von oben nach unten

Verteilungsgerechtigkeit keine Ware statt Kürzungsdiktat Wenn Geld die Medizin beherrscht! Ursachen – Folgen – Alternativen Pioniere und Organisieren am Konfl ikt Prinzipien einer ökologischen Tarifauseinandersetzungen und Gesellschaft Mitgliedere ntwicklung im Dienstleistungssektor V S V V V V V S S S S V V V V

BEIGEWUM Bruno Marcon/ A. Dohmen/M. Fiedler/ Hans Thie Andrea Kocsis/ Mythen des Sparens Steffen Stierle W. Rätz/W. Schüßler Rotes Grün Gabriele Sterkel/ Antizyklische Alternativen Umverteilen: Gesundheit Pioniere und Prinzipien Jörg Wiedemuth (Hrsg.) zur Schuldenbremse von oben nach unten ist (k)eine Ware einer ökologischen Organisieren am Konfl ikt Herausgegeben vom Verteilungsgerechtigkeit Wenn Geld die Medizin Gesellschaft Tarifauseinandersetzun- Beirat für gesellschafts-, statt Kürzungsdiktat beherrscht! Ursachen – Eine Veröffentlichung der gen und Mitglieder- wirtschafts- und umwelt- AttacBasisTexte 44 Folgen – Alternativen Rosa-Luxemburg-Stiftung entwicklung im Dienst- politische Alternativen 96 Seiten | 7.00 AttacBasisTexte 43 176 Seiten | 16.80 leistungssektor 144 Seiten | 11.80 ISBN 978-3-89965-565-0 96 Seiten | 7.00 ISBN 978-3-89965-552-0 320 Seiten | 19.80 ISBN 978-3-89965-555-1 ISBN 978-3-89965-564-3 ISBN 978-3-89965-533-9

Hans Coppi / Sabine Kebir Vier linke Zeitschriftenprojekte: Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen Ilse Stöbe: Wieder im Amt Gerhard Stuby Heft 7/8-2013 | 40. Jahrgang | EUR 6,20 | C 12232 E monatlich Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Sozialismus 64 Seiten Beziehungen www.Sozialismus.de Aktualisierte Ausgabe + jeden 2. Monat ein Eine Widerstandskämpferin in der Wilhelmstraße Supplement. Wie rechter Terror, Behördenkumpanei und Mit einem Vorwort von Johanna Bussemer Uli Cremer: Syrien und die S. Sjöberg/K. Willkomm- Köhlinger/Ott/Zabel: Klaus Bullan: Rassismus aus der Mitte zusammengehen und Wolfgang Gehrcke Chemiewaffen-Geschichten Wiemer: Kollektivfonds Betriebsschließungen Das Elend mit der Schule Jörg Wiedemuth: Frontal- Herausgegeben von angriff im Einzelhandel Abo: 62,- Forum Gewerkschaften (erm.: 44,- );

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tember 2011 mit einer Warnung vor

DPA ER

- / Tamerlan Tsarnajew und der Bitte um y

DENKANSTOSSW VON LINKS!

D hochar Tsarnajew. Nicht nur die Bundespolizei, sondern

Informationsaustausch an die CIA UCCHI

n Bruder Tamerlan aufmerksam gemacht worden Z

gewandt. Diese veranlaßte darauf WE ICHAEL nordkaukasischen Region Dagestan,

U . Im Tarifkonflikt hin, daß der 26jährige, dessen Eltern habe man erfahren, daß der FSB sich /hamburg AP/M Stuttgart aus dem Nordkaukasus stammen,– einer nachim FBI-Agenten am vergangenen Freitag auf der Jagd nach Dsc im November 2012 erneut an das FBI der Metall- und Elektroindustrie hat Oktober 2011 auf eine vom National mit Tamerlan Tsarnajew und einigen gewandt und eine Akte über Tsarnajew- auch die CIA waren offenbar lange vorher aufseiner diesen Angehörigen und seine geführt. Im Juni die Gewerkschaft erste Warnstreiks Counterterrorism Center – geführte - übergeben habe. Dieser soll sich unter angekündigt. Beschäftigte in Baden- dem 11. September 2001 eingerichte- 2011 soll entschieden worden sein, anderem sechsmal in einer »salafi 2012 nicht angezeigt worden sei. Als daß an der Sache nichts dran sei, und - Württemberg, Niedersachsen und ten Koordinierungsstelle Begründung gab sie an, daß die Un- stischen« Moschee in Machatschka- Sachsen-Anhalt sollen am 2. Mai - sogenannte Watchlist gesetzt wurde. im August habe das FBI dieses Er la mit einem Mann getroffen haben, tersuchung seines Falles in der Zwi- gebnis den Russen übermittelt, ver ihre Arbeit niederlegen, teilte die IG Diese mit dem Kürzel TIDE bezeich- schenzeit »abgeschlossen« worden der »in die militante islamische Un- Metall am Donnerstag mit. Begin nete Datenbank soll insbesondere da- – angeblich ohne Anhaltspunkte bunden mit der Bitte um zusätzliche tergrundbewegung verwickelt« sei. sei und genauere Informationen. Darauf - nen soll der Arbeitskampf bereits für sorgen, daß Ein- und Ausreisen Nach Angaben der NBC-Quelle habe - für eine terroristische Tätigkeit. sei jedoch keine Antwort gekommen. in der Nacht zum 1. Mai in zwei der dort Registrierten an eine Reihe Der Inhalt der Anfrage des FSB an das FBI auf diese Mitteilungen des Betrieben in Niedersachsen, wo die einschlägiger Dienststellen gemeldet Bisher gibt es zu dem gesamten Vor FSB »niemals geantwortet«. Die Bun- die CIA vom September 2011 stimmte gang keine offizielle Stellungnahme Nachtschichtarbeiter zum »Mitter April werden. TIDE enthält US-amerikani- den Presseberichten zufolge mit der despolizei FBI hat auf diesen Bericht, nachtsstreik« aufgerufen sind. Die schen Presseberichten zufolge rund von russischer Seite. der von den großen US-Medien weit- 000 Namen. überein, die die Russen zuvor vergeb- Unbestätigt und rätselhaft ist - Tarifverträge Mai laufen sollen am großflächige 30. 700 lich beim FBI eingereicht hatten (jW gehend ignoriert wurde, bisher nicht aus. Am 2. Das Alarmsystem »schlug an«, als ein Bericht des Senders NBC vom reagiert. berichtete). Aus den jüngsten Darstel- Sonntag: Von einem nicht nament Warnstreiks im Südwesten sowie Tsarnajew am 12. Januar 2012 nach lungen ergibt sich, daß die Bundes- - in Werken in Niedersachsen und Rußland ausreiste, wo er sich ein hal- - lich genannten »Polizeifunktionär« polizei dieses Auskunftsersuchen im in Machatschkala, der Hauptstadt der Sachsen- Anhalt folgen, teilten die bes Jahr lang in verschiedenen Teilen März 2011 erhalten hatte und stan zuständigen IG-Metall-Bezirke mit. des Nordkaukasus aufhielt. Zumin dardmäßig anhand ihrer Datenbanken In Hamburg sprach sich die große dest erklärte das die Ministerin für prüfte. Außerdem wurden Gespräche Tarifkommission der IG Metall - Innere Sicherheit, Janet Napolitano, Küste einstimmig für Warnstreiks -in am Dienstag. Zugleich behauptete sie Norddeutschland aus. Die Gewerk- aber, daß seine Wiedereinreise im Juli schaft fordert für 3,7 Millionen Be tei, die »ihren eigenen prominenten schäftigte der Branche in Deutsch (dpa/jW) - Rassisten, Thilo Sarrazin« nicht aus- land 5,5 Prozent mehr Lohn für eine 375 - schließen könne, »fordert hier schein- Laufzeit von zwölf Monaten. . - Gefahr ausgehen.« heilig ein komplettes Parteiverbot«, Der Parlamentarische Geschäfts wird herausgegeben(Stand von 16. April 1 2013) Bundestag lehnt NPD-Verbotsantragso Kilic. ab Grünen-Fraktionschefin Re- junge Welt Genossinnen und Genossen führer der SPD-Fraktion, Thomas Op nate Künast sprach von einem »Show-- Schwarz-gelbe Koalition folgtMinisterpräsidentin Bundesrat nicht. Christine Grüner Lieber hält permannSPD-Vors warbtoß in der wegen Debatte Sarrazinfür den für scheinheilig Informationen: www.jungewelt.de/lpg knecht (CDU), zur Zeit Vorsitzende Antrag«, ihr Fraktionskollege Volker - Verbotsantrag: »Gegen ihre Feinde Beck erklärte, wenn ein Verbotsver rwartungsgemäß hat sich der - der Ministerpräsidentenkonferenz. dürfen sich Demokraten nicht neutral - Bundestag mehrheitlich gegen Die Bundesregierung hatte gegen ei- fahren große Chancen hätte, würden verhalten.« alle Parlamentarier »mit fliegenden einen eigenen Antrag zum Ver nen eigenen Antrag in Karlsruhe ar In einer persönlichen Erklärung E gumentiert, sie fürchte ein Scheitern Fahnen Ja sagen«. Für die Linksfrak bot der neofaschistischen NPD ausge- - warf der Grünen-Abgeordnete Meh- tion sprach sich für den des Verfahrens wie im Jahr 2003. Der met Kilic der SPD vor, sie wolle »le- (Reuters/dpa/jW) sprochen. Der Vorstoß der SPD schei- innenpolitische Sprecher der Unions- Antrag aus: »Auschwitz gedenken terte am Donnerstag an den Stimmen diglich öffentlichkeitswirksam eine heißt: NPD verbieten.« fraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), er Aktivität vorweisen«. Den Antrag - der schwarz-gelben Koalition. Die klärte dagegen mit Blick auf die NPD Grünen enthielten sich. Damit folgte - habe sie ohne vorherige Sichtung der im Südwestrundfunk: »Eine Partei, Beweismittel eingebracht. Eine Par das Parlament nicht dem Bundesrat, die verachtet wird, die ›Null Komma‹ der sich im Dezember für ein Ver Prozent bekommt, von der kann für botsverfahren entschieden hatte. Der die Demokratie in Deutschland keine Antrag der Länder bleibt jedoch be- stehen. Das Bundestagsvotum ände- re nichts daran, betonte Thüringens Zeitschrift Marxistische Zeitschrift Marxistische Erneuerung Erneuerung Vierteljahreszeitschrift 24. Jahrgang, Nr. 94, Juni 2013, 224 Seiten

Vierteljahres- Kriege von morgen zeitschrift Paech – Rückkehr des Krieges / Höger – Krieg um Rohstoffe / Strutynski 24. Jahrgang, Nr. 94, Juni 2013, 224 Seiten – Kriege im 21. Jahrhundert / Becker – Frankreichs Intervention in Mali Kriege von morgen Bundeswehr und Rüstungswirtschaft Rose – Interventionstruppe / Seifert – Transformation der Rüstungswirt- Paech – Rückkehr des Krieges / Höger – schaft / Seifer & Lurz – Rüstungsexportsystem der BRD Krieg um Rohstoffe / Strutynski – Kriege im 21. Jahrhundert / Becker – Frank- Militarisierung der EU reichs Intervention in Mali Schirmer – Ohne Alternative? / Lösing & Wagner – Oligopolisierung des Rüstungssektors / Oikonomou – Militärische Beziehungen EU-USA Bundeswehr und Rüstungs- Und: Zeise – SDS-Strategie / Geschonneck – Zivilklauselbewegung / wirtschaft Wiegel – NSU-Untersuchungsausschuss / Sorg – Losurdos Stalinbilder Rose – Interventionstruppe / Seifert – / Müller – Geldtheorie Gesells / Czeskleba-Dupont & Tjaden – „Wachs- Transformation der Rüstungswirtschaft tumszwang“ / Seifer & Lurz – Rüstungsexportsystem Sowie: Diskussion, Kritik, Zuschriften, Berichte, Buchbesprechungen der BRD Z Einzelpreis: 10,- Euro (zzgl.Versand) im Abo: 35,00 Euro; Auslandsabo 43,- Militarisierung der EU Euro (4 Hefte/ Jahr incl. Vers.) Studenten-Abo: Inland 28,00 u. Ausland 36,- Schirmer – Ohne Alternative? / Lösing & Euro. Bezug über E-mail, Buchhandel (ISSN 0940 0648) oder direkt:Z-Vertrieb: Wagner – Oligopolisierung des Rüstungs- Postfach 500 936, 60397 Frankfurt am Main, Tel./Fax 069 / 5305 4406 sektors / Oikonomou – Militärische Be- ziehungen EU-USA www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de - e-mail:[email protected] Und: Zeise – SDS-Strategie / Geschonneck – Zivilklauselbewegung / Wiegel – NSU-Un- tersuchungsausschuss / Sorg – Losurdos Stalinbilder / Müller – Geldtheorie Gesells / Zeitschrift Marxistische Erneuerung Czeskleba-Dupont & Tjaden – „Wachstums- zwang“ Vierteljahreszeitschrift 24. Jahrgang, Nr. 94, Juni 2013, 224 Seiten Sowie: Diskussion, Kritik, Zuschriften, Kriege von morgen Rüstungssektors / Oikonomou – Mili- Berichte, Buchbesprechungen Paech – Rückkehr des Krieges / Hö- tärische Beziehungen EU-USA Z Einzelpreis: 10,- Euro (zzgl.Versand) im ger – Krieg um Rohstoffe / Strutynski Und: Zeise – SDS-Strategie / Geschon- Abo: 35,00 Euro; Auslandsabo 43,- Euro (4 neck – Zivilklauselbewegung / Wiegel Hefte/ Jahr incl. Vers.) Studenten-Abo: Inland – Kriege im 21. Jahrhundert / Becker – – NSU-Untersuchungsausschuss / Sorg 28,00 u. Ausland 36,- Euro. Bezug über E-mail, Frankreichs Intervention in Mali – Losurdos Stalinbilder / Müller – Geld- Buchhandel (ISSN 0940 0648) oder direkt: Z- Bundeswehr und Rüstungs- Vertrieb: Postfach 500 936, 60397 Frankfurt am theorie Gesells / Czeskleba-Dupont & Main, Tel./Fax 069 / 5305 4406 wirtschaft Tjaden – „Wachstumszwang“ Rose – Interventionstruppe / Seifert Sowie: Diskussion, Kritik, Zuschriften, www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de – Transformation der Rüstungswirt- Berichte, Buchbesprechungen - Z Einzel- e-mail:[email protected] schaft / Seifer & Lurz – Rüstungsex- preis: 10,- Euro (zzgl.Versand) im Abo: 35,00 portsystem der BRD Euro; Auslandsabo 43,- Euro (4 Hefte/ Jahr incl. Vers.) Studenten-Abo: Inland 28,00 u. Militarisierung der EU Ausland 36,- Euro. Bezug über E-mail, Buch- Schirmer – Ohne Alternative? / Lösing handel (ISSN 0940 0648) oder direkt:Z-Ver- trieb: Postfach 500 936, 60397 Frankfurt am & Wagner – Oligopolisierung des Main, Tel./Fax 069 / 5305 4406 Zeitschrift www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de - e-mail:[email protected] Marxistische Erneuerung Zeitschrift Marxistische Erneuerung Vierteljahreszeitschrift 24. Jahrg., Nr. 94, Juni 2013, 224 S. Vierteljahreszeitschrift 24. Jahrgang, Nr. 94, Juni 2013, 224 Seiten Kriege von morgen Kriege von morgen Und: Zeise – SDS-Strategie / Geschonneck – Zivilklau- Paech – Rückkehr des Krieges / Höger – Krieg um Roh- Paech – Rückkehr des Krieges / Höger – Krieg um Roh- selbewegung / Wiegel – NSU-Untersuchungsausschuss / stoffe / Strutynski – Kriege im 21. Jahrhundert / Becker – stoffe / Strutynski – Kriege im 21. Jahrhundert / Becker – Sorg – Losurdos Stalinbilder / Müller – Geldtheorie Gesells Frankreichs Intervention in Mali Frankreichs Intervention in Mali / Czeskleba-Dupont & Tjaden – „Wachstumszwang“ Bundeswehr und Rüstungswirtschaft Sowie: Diskussion, Kritik, Zuschriften, Berichte, Buchbe- Bundeswehr und Rüstungswirtschaft Rose – Interventionstruppe / Seifert – Transformation der sprechungen Rose – Interventionstruppe / Seifert – Transformation der Rüstungswirtschaft / Seifer & Lurz – Rüstungsexportsy- Z Einzelpreis: 10,- Euro (zzgl.Versand) im Abo: 35,00 Rüstungswirtschaft / Seifer & Lurz – Rüstungsexportsystem stem der BRD Euro; Auslandsabo 43,- Euro (4 Hefte/ Jahr incl. Vers.) der BRD Militarisierung der EU Studenten-Abo: Inland 28,00 u. Ausland 36,- Euro. 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Kontakt zur Redaktion: [email protected] Redaktionsbüro: Harry Adler, [email protected] Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Telefon: +49 (0)30 44310–157 Fax: +49 (0)30 44310–184 www.zeitschrift-luxemburg.de Join us on Facebook: http://www.facebook.com/zeitschriftluxemburg Twitter: http://twitter.com/luxemburg_mag

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