Deutschland

ches Recht für alle“, verlangt Stolpe, der es wegen seiner Vergangenheit als ehemaliger -UNTERLAGEN Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Sekretär“ zu einem eigenen Untersuchungsausschuss im Potsdamer Landtag brachte. Stolpe: Ärger mit der Apotheke „Wenn zehn Jahre lang die Ossis mit Hilfe der Papierfetzen zum Teil in unfairer und Kurz vor Ende seiner Amtszeit gerät Aktenverwalter Joachim unrechter, die Menschenwürde verletzen- der Weise behandelt wurden, muss das Gauck wegen der Herausgabe von Dokumenten zur Spendenaffäre jetzt auch so ausgehalten werden von den- mit der Union über Kreuz. Hilfe kommt von einstigen Gegnern. jenigen, die von der Biografie her an an- derer Stelle gesessen haben.“ ür den ehemaligen Pfarrer war es ein Gauck ist die Welt verkehrt. Die Union, Die Abhörprotokolle sollten ruhig be- großer Tag, er durfte im Bundestag dem einstigen DDR-Bürgerrechtler bislang kannt werden. Das Kalkül: Wenn die auf- Freden. Gemeinsam mit den ehemali- derart gewogen, dass sie ihn sich sogar geschreckten Wessis erst mal so richtig ge- gen Präsidenten der USA und der UdSSR, schon als Bundespräsidenten vorstellen gen die Behörde marschieren, kann man George Bush und Michail Gorbatschow, konnte, schimpft auf Gauck und seine Be- den verhassten Laden vielleicht endlich sowie Altkanzler Helmut Kohl erinnerte amten. Und dessen alte Gegner, Stolpe und dichtmachen. , 60, Bundesbeauftragter die PDS, die seine Behörde am liebsten Ende vergangener Woche erreichte der für die Unterlagen des Staatssicherheits- abgewickelt sähen, spenden dem früheren Streit einen vorläufigen Höhepunkt. CDU- dienstes der DDR, am 9. November ver- DDR-Bürgerrechtler Applaus. Es ist wohl Führungskraft und die gangenen Jahres an den Fall der Berliner Gaucks letztes Gefecht, ehe er im Oktober Juristen der Bundestagsfraktion unter Lei- Mauer zehn Jahre zuvor. Im Anschluss an nach dann zehnjähriger Amtszeit geht. tung des CDU-Obmannes im Untersu- chungsausschuss Andreas Schmidt be- drängten Gauck und seinen Direktor Peter Busse am Freitagvormittag in der Berliner CDU-Zentrale, die fraglichen Dokumente wegzuschließen. Aber Gauck ließ sich nicht beirren. Tags zuvor hatte schon Altkanzler Kohl, der die Herausgabe seiner abgehörten Telefonate partout verhindern will, den Behördenchef gewarnt, seine „personen- bezogenen Daten an öffentliche oder nicht öffentliche Stellen herauszugeben“. Damit war auch der Untersuchungsausschuss gemeint. Über seinen Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner machte der frühere CDU-Chef vorigen Donnerstag „darauf aufmerksam“, dass er dadurch seine „durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die Verfassung begründeten Rechte ver- letzt“ sähe. Ultimativ verlangte Kohl eine „kurzfris- tige“ Stellungnahme Gaucks. Bis spätes- tens Freitag dieser Woche müsse der Hüter der Akten mitteilen, ob er „tatsächlich (auf Anfrage) die Herausgabe der Unterlagen beabsichtige“ und wie er dies „rechtlich rechtfertige“. Sollte Gauck liefern wollen,

C. JUNGEBLODT kündigte Kohls Anwalt an, erwäge man Behördenchef Gauck: Das Paradies erträumt – in Nordrhein-Westfalen aufgewacht „kurzfristig gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Bundestagspräsident Wolf- seine Festansprache („Sie hatten das Para- Anlass für die kuriose Umkehr der Sym- gang Thierse (SPD) warnte vergangene dies erträumt – und wachten auf in Nord- pathien ist der Streit um die Stasi-Unterla- Woche im kleinen Kreis: „Wenn Kohl rhein-Westfalen“) klatschten sogar seine gen zur CDU-Finanzaffäre, die in Gaucks durchkommt, ist die Behörde tot.“ notorischen Gegner von der PDS Beifall. Behörde lagern. Tausende Protokolle ab- Beraten lässt sich der Altkanzler von Mitte Januar gab sich auch noch Ger- gehörter Telefonate führender CDU-Poli- einem ehemaligen Bürgerrechtler, der hard Schröder als erster Bundeskanzler bei tiker könnten dem Bundestags-Untersu- heute in der Forschungsabteilung der Stasi- Gauck die Ehre. Nach einem Rundgang chungsausschuss bei seiner Arbeit mögli- Akten-Behörde arbeitet. Ehrhart Neubert durch die einstige Stasi-Zentrale im Berli- cherweise helfen. Doch soll und darf Gauck (CDU) wurde zu Gaucks schärfstem ner Bezirk Lichtenberg lobte der Regie- die illegal entstandenen Mitschnitte her- Kritiker. Eindeutig rechtswidrig sei die rungschef, Gaucks Behörde könne zu einer ausgeben? Soll das Parlament sie anfor- Herausgabe von Abhörprotokollen, hat „Apotheke gegen die Diktatur“ werden. In dern? Und wenn ja: Wie soll der Ausschuss Neubert Kohl erklärt. Auch Neubert tobte Ministerpräsident Man- die Unterlagen auswerten? glaubt: „Diese Geschichte gefährdet die fred Stolpe in seiner Staatskanzlei ob der Stolpe und die PDS voran verlangen ganze Behörde“ – nur meint er das genau freundlichen Worte seines Parteifreundes. Gleichbehandlung, schließlich seien die andersherum als Thierse. Nun, zwölf Wochen später, bereitet aus- Akten in zehntausenden von Fällen auch Kohl verlangt jetzt Einsicht in seine gerechnet die Apotheke Kopfweh, und für gegen Ostdeutsche genutzt worden. „Glei- Akten. Im Stasi-Archiv sollen die Kohl-

30 15/2000 Dossiers und -Abhörproto- Debatte erst einmal abzu- den. Die so genannte Telefonzielkontroll- kolle eilig zusammenge- warten und zu sehen, wie – kartei, in der alle abgehörten westdeut- stellt werden. etwa im Fall Kohl – die Jus- schen Größen samt Rufnummern aufge- Ansonsten freilich will tiz urteilt. So einfach, wie führt waren, landete samt etlichen Abhör- Gauck nicht weichen. Vo- es der CSU-Abgeordnete dossiers beim Bayerischen Landesamt für rigen Mittwoch verteidigte Gerhard Friedrich sich vor- Verfassungsschutz. Ein Stasi-Überläufer er gegenüber Bundesin- stellt, werden es sich die hatte in München Kasse gemacht. Das Bun- nenminister Parlamentarier allerdings desamt für Verfassungsschutz (BfV) zahlte (SPD) seine Position. Schi- nicht machen können. ebenfalls – 200000 Mark an zwei Ex-Offi- ly hatte Gauck und den Selbst wenn die Protokolle ziere, die dafür die abgehörten Telefonate Bundesbeauftragten für über die Medien „in der von BfV-Beamten ablieferten, welche die den Datenschutz Joachim Welt sind“, so Friedrich, Stasi aufgezeichnet hatte. Jacob, der die Herausgabe „sollte man sie nicht le- Fast alles landete im Aktenvernichter. der Abhörmaterialien für sen“. Der SPD-Obmann im Das Bundeskabinett entschied schon am rechtswidrig hält, zu sich Ausschuss, Frank Hof- 28. März 1990, die „Ergebnisse von Ab- bestellt. Beide beharrten mann, hält das für „völlig höraktionen zu vernichten“. Nur eine Wo- auf ihren Positionen. unrealistisch“. Hofmann: che später ordnete der damalige BfV-Prä- Noch hat sich das In- „Wir sind doch nicht blind sident Gerhard Boeden an, „auch Telefon- nenministerium nicht fest- oder können einfach die zielkontrollkarten sofort und ohne weitere gelegt. Aber Gauck, der Augen verschließen vor Prüfung zu vernichten“, soweit sie „neben sogar einige Kostproben dem, was vor uns liegt.“ Namen, Anschrift, Telefonnummer, Beruf

aus dem Archiv mitge- M. S. UNGER Sogar so vehemente Ver- und Beschäftigungsstelle oder sonstigen bracht hatte, machte auf Altkanzler Kohl fechter des Datenschutzes Zuordnungen Hinweise rein persönlicher Schily Eindruck. wie der einstige Bundes- Natur enthielten“. Am 29 Juni 1990 ent- Auch Bundestagspräsident Thierse, an- tagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) schied die Innenministerkonferenz im ver- fangs strikt gegen die Verwendung der Ak- plädieren dafür, einen Teil der Akten im traulichen Kamingespräch, dass auch die ten im Ausschuss, nähert sich inzwischen Untersuchungsausschuss zu nutzen. Der Li- Länder sich sofort von ihrer Beute trennen Gaucks Argumentation an. „Ich nehme berale schlägt vor, dass eine „unabhängige, sollten. Nur Berlin weigerte sich. doch an, dass sich der damalige Bundes- überparteilich respektierte Persönlichkeit“ Was in der vergangenen Woche zu einer kanzler bewusst war, dass er ohne jeden wie der frühere Bundespräsident Richard Art Geheimoperation stilisiert wurde, Zweifel eine Person der Zeitgeschichte ist“, von Weizsäcker oder Ernst Benda, einst wurde längst betrieben. Ganz stolz hatten so der Parlamentspräsident. Und für die Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Innenminister ihre Vernichtungsaktion sehe „das Gesetz kein Veröffentlichungs- die Abhörprotokolle sichten soll. Derjeni- am 2. Juli 1990 sogar in einer Pressemit- verbot vor“. Schon als „die politische Kar- ge solle dann entscheiden, welche der teilung („Stasi-Schmutz gehört in den riere Lothar de Maizières beendet wurde“, abgehörten Telefonate für den Unter- Reißwolf – Illegale Abhörunterlagen der hätte man sich, gibt Thierse zu bedenken, suchungsauftrag wichtig und welche rein Stasi werden vernichtet“) gefeiert. 1994 „kritisch über die Verwendung der Akten privat seien und deshalb unter Verschluss wollte Kohls Regierung ehemaligen Stasi- auslassen können und nicht erst, wenn man bleiben müssten. Hirsch: „Wenn es denn Mitarbeitern gar unter Strafandrohung sich selbst betroffen fühlt“. wirklich Hinweise auf Korruption in die- verbieten, ihr dienstliches Wissen über Am Mittwoch soll die Debatte im In- sen Akten gibt, muss der Ausschuss sie West-Politiker auszuplaudern. Der ent- nenausschuss des Bundestages weiter- haben.“ Schließlich habe auch dessen Un- sprechende Entwurf („Schutz von Privat- gehen. Die Abgeordneten wollen sich ein tersuchungsauftrag Verfassungsrang. geheimnissen“),am 14. Oktober 1994 von eigenes Urteil bilden und möglicherweise Dass es überhaupt noch so viel Kohl unterzeichnet, wurde aber nie Gesetz. dem Untersuchungsausschuss empfehlen, Lauschmaterial gibt, ist nach den deutsch- Ganz erledigen lässt sich das Problem wie er verfahren soll. Bisher ist dessen Li- deutschen Vernichtungsanstrengungen der auf deutschem Boden und nach deutschem nie klar: „Wir werden die Unterlagen nicht vergangenen zehn Jahre erstaunlich. „975 Recht ohnehin nicht – etliches lagert noch anfordern und auch nicht verwerten“, so laufende Meter“ waren noch im Frühjahr heute in Prag, Bratislava und Moskau. Das der Vorsitzende Volker Neumann (SPD). 1990 – in Ost-Berlin regierte bereits die Gros des Stasi-Materials ging stets auch an Die Strategie des Untersuchungsaus- CDU-geführte Regierung de Maizière – den KGB. Gemeinsam mit der damaligen schusses läuft darauf hinaus, die öffentliche „direkt der Papiermühle zugeführt“ wor- Tschechoslowakei betrieb die DDR drei Lausch-Stützpunkte: Von Bratislava, Cher- chov und Cheb wurden Telefonate in Süd- deutschland und Österreich abgefangen. Auch in Übersee machte man Beute. Der amerikanische Geheimdienst CIA kaufte wie die deutschen Kollegen ordent- lich auf. Nicht nur die Agentenkartei der DDR, die sie in der Operation „Rosenholz“ erbeutet hatte und seit vorvergangener Woche stückweise auf CD-Rom gepresst zurückgibt, sondern auch Unterlagen aus dem Abhörnachlass. Ein besonders ge- schäftstüchtiger Stasi-Mann verscherbelte die Zielkontrollkartei noch einmal. Was sonst noch von den abgehörten Tele- fonaten in den USA lagert, ist auch den bundesdeutschen Behörden nicht be- A. KULL / VISION A. KULL P. MEISSNER / ACTION PRESS MEISSNER / ACTION P. kannt. Stefan Berg, Wolfgang Krach, Stasi-Abhörbänder, „Rosenholz“-CD: „Dann ist die Behörde tot“ Georg Mascolo

der spiegel 15/2000 31