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FUSSBALL Verdeckte Betreuung Wenn Torhüter den Ball nicht mehr fangen oder Stürmer beim Torschuss versagen, wird schnell nach dem Psychologen gerufen. Doch Bemühungen großspuriger Motivationsgurus scheiterten bislang kläglich. Mancher Mentaltrainer soll deshalb lieber inkognito arbeiten. MICHAEL SOHN / AP -Profis (von Werder Bremen): „Hier herrscht ein Männerbild, wonach man keine Schwächen hat“

r trat wie ein Animateur auf, als hät- sei zwar „ein netter Kerl“, aber „was er Wieder ist in der Fußball-Bundesliga ein te ihn der Clubsponsor, der Ferien- genau macht, kann ich nicht sagen“. Versuch gescheitert, die Psyche des Perso- Ekonzern TUI, persönlich engagiert. Schnell verspottete die „Hannoversche nals von einer Fachkraft pflegen zu lassen. Chris Hamilton, 48, Spitzname „The Ham- Allgemeine“ den Briten als „Gute-Laune- Dabei sind sich Trainer, Präsidenten oder mer“, eilte über den Trainingsplatz von Onkel“. sonstige Gelehrte durchaus einig, dass etwa Hannover 96, um Spaß an der Arbeit zu Anfang vergangener Woche war Schluss die Ladehemmung so manches Stürmers verbreiten. Er tätschelte Schultern, grinste mit lustig. Vereinspräsident Martin Kind nicht im Schussbein, sondern im Kopf be- unermüdlich und versuchte, die Berufs- lehnte es ab, den mit 5000 Euro dotierten gründet ist. fußballer mit frohsinnigen Sprüchen auf- Vier-Wochen-Vertrag des ehemaligen Ten- So gibt es auch – gerade in Krisenzeiten zumuntern. nisprofis zu verlängern. Offizieller Grund: – immer wieder Anstrengungen, mit Moti- Doch die reagierten verlegen. Hamilton, Für so was ist kein Geld übrig. Inoffiziell: vationsgurus oder sonstigen Seelenheilern urteilte Kapitän und Torwart Jörg Sievers, Was soll der Zirkus? zum Erfolg zu kommen. Chris Hamilton

132 der spiegel 41/2002 wurde in Hannover als „Inner performance Der Essener Ulrich Kuhl, Mitte der Acht- satz – auf Wunsch des Auftraggebers im coach“ vorgestellt – ein nebulöser Begriff, ziger erster hauptamtlicher Psychologe im Verborgenen. der die Mannschaft eher abschreckte. „Mir deutschen Sport und am Olympiastütz- Ähnliche Erfahrungen machte der Sport- bleiben diese Leute suspekt“, sagt Günter punkt Rhein-Ruhr tätig, spricht vom psychologe Kuhl. Der wurde neun Jahre Netzer, Fußball-Chefkritiker der Nation, „Überstrahlungseffekt“ bei den namhaf- lang von den Leichtathleten ganz offiziell über Mentaltrainer. ten Übungsleitern: „Sie glauben, sie hätten als Verbandspsychologe geführt. Doch bei Das schlechte Image ist fundiert. Reich- in jedem Bereich alles im Griff. Der Trai- Aufträgen aus der Fußballbranche sollte er lich oft waren es Selbstdarsteller wie Jür- ner hat Angst, dass, wenn er sich kundiger diskret wie ein Privatdetektiv wirken. gen Höller, die auf Fußballspieler losgelas- Servicekräfte bedient, sein Lack abgeht.“ Oft wird den Mentalarbeitern von den sen wurden. Christoph Daum, seinerzeit So ließ vor gut einem Jahr bei Bayer Le- Clubs ein Schweigegebot auferlegt, als Chefcoach bei Bayer Leverkusen, hatte den verkusen Klaus Toppmöller den Mental- unterlägen sie einem Beichtgeheimnis. So Starkredner 1999 angeschleppt. Höller ließ trainer Gunnar Gerisch von seinen Aufga- musste auch der Berliner Gerd Driehorst, die Bayer-Profis barfuß über Glasscherben ben entbinden: „Das ist mein Job.“ Das 40, promovierter Linguist und seit Jah- laufen. Die Botschaft – das Unvorstellbare möglich machen – setzte die Mannschaft jedoch auf tragische Weise um. Im letzten Saisonmatch gelang dem Leverkusener Team schier Unvorstellbares: Es verlor in Unterhaching und damit den sicher ge- glaubten Meistertitel. Für Henning Allmer, Professor am Psy- chologischen Institut der Kölner Sport- hochschule, sind Glasscherbenläufe, gebo- gene Eisenstangen und ähnliche Schlager aus dem Bereich der Pop-Psychologie schlicht „Humbug“. Und der Heidelber- ger Sportpsychologe Hans Eberspächer weiß: Von diesen „Taschenspieler- oder Jahrmarkttricks“ bleibe „außer einem Aha-Erlebnis nichts haften“. Auch beim Hamburger SV, wo zu Zeiten des Cheftrainers ein Un- ternehmensberater die Profis vor dem Sai-

sonstart zu Balanceakten im so genannten ZUR NIEDEN ULRICH Hochseil-Garten anleitete, meint der jetzt Mentaltrainer Hamilton (bei Hannover 96): „Was er genau macht, kann ich nicht sagen“ amtierende Coach, Defizite im Selbstver- trauen bei der gewöhnlichen Tagesarbeit Ego seiner Eleven in Einzelgesprächen zu ren mit Stress- und Kommunikationstrai- auf dem Rasen heilen zu können. Von stärken, hält er, wie jüngst bei seinem um- ning für Führungskräfte aus Wirtschaft und Mentaltrainern hält Pagelsdorf-Nachfolger strittenen Neuzugang Jan µimák, für klas- Politik vertraut, zu Beginn seines Engage- Kurt Jara „grundsätzlich gar nichts“. sische Trainerarbeit. Hobby-Psychologe ments bei Hertha BSC die Profis verdeckt Einen Sonderbeauftragten für die Psy- Toppmöller („Das decke ich gut ab“) fand betreuen. Die Klienten begutachtete er che an ihre Mannschaft heranzulassen, wer- auch während der rätselhaften Niederla- also inkognito beim Training: „Die um- ten viele Trainer als Machtverlust. Man- genserie zum Saisonstart „positive Aspek- stehenden Journalisten dachten, ich sei che sehen auch schlicht ihre Position als te“ heraus. ein Fan.“ eigentlicher Star des Ensembles gefährdet. Die Abneigung gegen Mentalbetreuer Erst nach drei Jahren nahm der damali- hängt zuweilen auch mit deren Umtriebig- ge Cheftrainer Jürgen Röber den Perso- keit zusammen. Walter Dimler etwa, Rek- nalcoach ganz offiziell mit ins Trainings- tor der Grundschule in Großenseebach bei lager. Der neue Chef, der Niederländer Erlangen, coachte ein Jahr lang die Profis , verzichtet einstweilen auf des 1. FC Nürnberg in der Zweiten Liga Driehorsts Begleitung, stellt den Spielern auf dem Psycho-Sektor – bis der Verein ei- aber frei, sich weiter mit Driehorst zu tref- nen Tag vor der Aufstiegsparty den Vertrag fen. Eine Reihe von Profis nimmt die nicht verlängerte. Club-Manager Edgar Dienste in Anspruch, der kroatische Ab- Geenen beklagte unter anderem das „ge- wehrspieler Josip Simuniƒ bekannte sich steigerte Sendungsbewusstsein“ des frühe- sogar öffentlich zu seinen Fortschritten ren Torwarts, der auch bei Vereinssponso- beim Abbau von Selbstzweifeln. ren Klienten für sein Mentalcoaching zu Driehorst bevorzugt Einzelgespräche im akquirieren versucht habe. Restaurant. Seine Spezialität ist es, die zwei Bei seinen Mandanten wollte Dimler bis drei „Siegspieler“ pro Mannschaft zu „ein Motivations-Pushing“ erzielen. So identifizieren – jene also, die „ein hohes empfahl er den FCN-Profis, sie sollten sich Potenzial an Angstbewältigung“ besäßen. „mit einem Laserstrahl“ vergleichen: „Der Die müsse man ermutigen, mehr Verant- entsteht durch Bündelung der Kräfte. So wortung zu übernehmen. seid ihr unverwundbar.“ Auch für Hansa Herthas geheimer Helfer legt Wert auf Rostock war der selbst ernannte Per- die Feststellung, dass er „kein Feuerwehr-

DIEDGE / KÖLNER EXPRESS DIEDGE / KÖLNER sönlichkeitstrainer schon einmal im Ein-

* Im Juli 1999 mit dem damaligen Leverkusener Fußball- Motivationstrainer Höller (r.)* lehrer Christoph Daum, den Höller, wie auch einige Spie- Jahrmarkttricks der Pop-Psychologie ler, über Glasscherben laufen ließ.

der spiegel 41/2002 133 Sport mann für Krisenzeiten“ sei und auch kein Therapeut. Der Irrtum, dass Mentaltrainer an Defiziten herumdokterten wie Psychia- ter, sei weit verbreitet. Daher sei im Fuß- ballsport den Athleten jede psychologi- sche Betreuung peinlich: „Hier herrscht ein Männerbild, wonach man keine Schwächen hat.“ Das sieht auch Oliver Kahn so. Dass der Kapitän der deutschen Nationalelf zur Spielvorbereitung und zum Stressabbau verschiedene psychologische Techniken anwendet, mag Kahn in der Öffentlichkeit nicht näher ausführen. Der Fußball sei eine „Macho-Branche“; der Bayern-Torwart will vermeiden, als Schwächling „in so eine Psycho-Ecke hineingedrängt“ zu werden. Sportler und Trainer anderer Fakultä- ten haben da weniger Berührungsängste. Dass sich namhafte Skispringer und Eis-

kunstläufer, Leichtathleten und Golfer / DDP MICHAEL KIENZLER psychologisch beraten lassen, gilt als ak- Leverkusener Trainer Toppmöller zeptiert – und nicht selten als Grund für Das Ego in Einzelgesprächen stärken Erfolge. Eher im Stillen hat Werder Bremen die nen Internats kümmert. Fünf Jahre lang Tür für eine Wissenschaft geöffnet, die im spielte Harttgen als Profi in Werders Mann- amerikanischen Profisport so selbstver- schaft, von 1989 bis 1994, in der Ära Otto ständlich genutzt wird wie Masseure und Rehhagels, als der Club Meisterschaft und Physiotherapeuten. Bei den Hanseaten Europacup gewann. Ohne das Renommee kümmert sich Wilfried Sondag, 47, Sozial- der eigenen Karriere, da macht sich der pädagoge und als so genannter Systemi- ehemalige Mittelfeldspieler keine Illusio- scher Therapeut ein Spezialist fürs mensch- nen, hätte er wenig Chancen gehabt, als liche Miteinander, um die Kicker. „Couch, Psychologe im Fußball zu arbeiten. Macke – das ganze Register von Vorurtei- Fühlt er sich wie ein Pionier? „Es hat len“ kenne er. ein bisschen was davon“, sagt Harttgen. Seit einem Jahr kommen die Fußballer Auf fast allen Gebieten, ob trainingstech- für Einzelgespräche zu ihm. Anfangs zag- nisch oder medizinisch, werden die Bun- haft, inzwischen häufiger, meist von der desligateams mittlerweile intensiv betreut. Frage getrieben: „Wie gehe ich mit Frust Die Sportpsychologie indes, sagt Harttgen, und Spannung um?“ Die meisten sind sei „der letzte Bereich, in dem sich noch schlicht neugierig geworden. „Die Hemm- viel entwickeln kann“. schwelle war groß“, sagt Sondag mit ange- Harttgen geht es um mehr als kurzfris- nehmer Therapeuten-Stimme. „Es ist ein tige Motivation: „Bislang wird vor allem langer Weg, Vertrauen und Akzeptanz reagiert, wenn es mal nicht so läuft und muss ich mir erarbeiten.“ Von der Auf- man sich einen Schub für die Mannschaft dringlichkeit umherspringender Motiva- erhofft.“ tionsgurus grenzt er sich ab. Für die eige- So hatte wohl auch die Bremer ne Arbeit hält er es für „kontraproduktiv, Koryphäe Rehhagel die mentale Betreu- wenn ich mich selber profilieren will“. ungsarbeit eingeschätzt. Auf den Einwurf, Doch selbst ein Engagement wie das von ob sein Team psychologische Unterstüt- Sondag entsprang nicht der zielgerichte- zung brauche, konterte der Altmeister ten Suche des Vereins nach seelischem Bei- einst: „Ich bin im Kopf gesund. Und ich stand, sondern dem Zufall: Weil Bremens hoffe, meine Spieler sind es auch.“ Cheftrainer Thomas Schaaf Die alte Schule macht es in Sondags Nachbarschaft den Anbietern mentalen Bei- wohnt, ergab sich die Gele- stands nicht leicht. Daher genheit – und man lernte sich werden sie auch bei der deut- schätzen. „Wenn der Trainer schen Nationalmannschaft so nicht vom Sinn meiner Tätig- bald nicht landen. In typi- keit überzeugt ist, hat es kei- scher Rehhagel-Diktion er- nen Zweck“, sagt Sondag. widerte Teamchef Rudi Völ- Heute wirkt Werder Bre- ler auf die Frage, ob bei men wie das Vorzeigeprojekt hohem Leistungsdruck für der Bundesliga. Denn mit die Auswahlkicker psycholo- Uwe Harttgen, 38, haben die gischer Rat von außen ge- Norddeutschen zudem einen sucht werden müsse: „Glau-

Diplompsychologen fest an- STROSCHER ben Sie es, das ist Koko- gestellt, der sich um die Ju- Psychologe Harttgen lores.“ Detlef Hacke, gendspieler des vereinseige- Fünf Jahre Werder-Profi Jörg Kramer

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