Plenarprotokoll 18/218

Deutscher

Stenografischer Bericht

218. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2017

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Par- in Verbindung mit lamentarischen Staatssekretäre und Hans-Joachim Fuchtel sowie den Abgeordneten und Harald Zusatztagesordnungspunkt 2: Weinberg...... 21765 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- tur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine nung ...... 21765 B Leidig, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Absetzung der Tagesordnungspunkte 15, 22, Planungen für die Gründung einer Bundes- 28 a...... 21766 D fernstraßengesellschaft sofort einstellen Drucksachen 18/6547, 18/8885 ...... 21767 D Nachträgliche Überweisungen...... 21767 A Dr .W olfgang Schäuble, Bundesminister BMF ...... 21768 A Tagesordnungspunkt 3: Dr . (DIE LINKE)...... 21770 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (Erfurt) (SPD)...... 21771 C rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Grundgesetzes (BÜNDNIS 90/ (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, DIE GRÜNEN)...... 21773 C 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) (CDU/CSU)...... 21775 A Drucksachen 18/11131, 18/11186...... 21767 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ b) Erste Beratung des von der Bundesregie- DIE GRÜNEN)...... 21775 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 21777 C zes zur Neuregelung des bundesstaatli- chen Finanzausgleichssystems ab dem Johannes Kahrs (SPD) ...... 21778 C Jahr 2020 und zur Änderung haushalts- rechtlicher Vorschriften Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21779 A Drucksachen 18/11135, 18/11185...... 21767 C Dr .Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ c) Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN)...... 21780 C , Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: (CDU/CSU)...... 21781 C Autobahnprivatisierungen im Grundge- setz ausschließen (SPD)...... 21782 B Drucksache 18/11165 ...... 21767 D Alois Rainer (CDU/CSU)...... 21783 D II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Tagesordnungspunkt 4: Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung a) Erste Beratung des von der Bundesregie- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Förderung der Transparenz von Entgelt- setzes zu dem Übereinkommen vom strukturen 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Drucksache 18/11133...... 21785 B Patentgericht Drucksache 18/11137 ...... 21815 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ ...... 21785 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 21787 C zes zu dem Abkommen vom 19. Febru- ar 2016 zwischen der Bundesrepublik Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU). . . . 21788 D Deutschland und der Republik Finnland Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ zur Vermeidung der Doppelbesteuerung DIE GRÜNEN)...... 21790 A und zur Verhinderung der Steuerver- kürzung auf dem Gebiet der Steuern Dr . Carola Reimann (SPD)...... 21791 B vom Einkommen Drucksache 18/11138 ...... 21815 B Jutta Krellmann (DIE LINKE)...... 21792 B c) Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 21793 A Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Ab- Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – DIE GRÜNEN)...... 21795 C Afri­kanische Elefanten schützen Petra Crone (SPD)...... 21796 B Drucksache 18/10494...... 21815 C Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU)...... 21797 A d) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- Sönke Rix (SPD)...... 21798 C geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Offenlegung von Gutachten zur Deut- (CDU/CSU)...... 21799 C schen Bahn AG Drucksache 18/11011 ...... 21815 C

Zusatztagesordnungspunkt 3: e) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, , weite- Antrag der Fraktion DIE LINKE: Eine erfolg- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE reiche Integrationspolitik erfordert eine so- LINKE: Förderung des sozialen Woh- ziale Offensive für alle nungsbaus durch den Bund auch nach Drucksache 18/9190...... 21800 D 2019 ermöglichen Drucksache 18/11169 ...... 21815 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 21801 A f) Antrag der Abgeordneten Annalena Dr . (CDU/CSU) ...... 21802 C Baerbock, , Bärbel Höhn, Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückstel- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)...... 21804 C lungen für Braunkohlefolgekosten si- (SPD) ...... 21806 A cherstellen Drucksache 18/11172 ...... 21815 D Dr . Martin Pätzold (CDU/CSU)...... 21807 B (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21808 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr . (SPD)...... 21809 C Renate Künast, , weiterer (SPD) ...... 21810 A Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Transpa- (DIE LINKE)...... 21810 C renz und Klarheit bei Buchungs- und Sabine Zimmermann (Zwickau) Vergleichsportalen schaffen Drucksache 18/10043...... 21815 D (DIE LINKE) ...... 21811 D b) Antrag der Abgeordneten , Kerstin Griese (SPD) ...... 21812 A , Anja Hajduk, weiterer Ab- Mark Helfrich (CDU/CSU)...... 21812 C geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Initiative „She Decides“ Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD)...... 21814 A unterstützen ‒ Die sexuellen und repro- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 III

duktiven Rechte und die Selbstbestim- stärken – Valide Datengrundlage zur mung und Gesundheit von Frauen und Versorgung und Einkommenssituati- Mädchen in Ländern des globalen Sü- on von Heilmittelerbringern schaffen dens stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksache 18/11177 ...... 21816 A Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, c) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr . , , weite- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versor- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- gung verbessern – Kompetenzen von NIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag Heilmittelerbringern ausbauen für eine Delegierte Verordnung der – zu dem Antrag der Abgeordneten Kommission zur Ergänzung der Richt- Maria Klein-Schmeink, Elisabeth linie 2014/65/EU des Europäischen Par- Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, laments und des Rates durch technische weiterer Abgeordneter und der Frakti- Regulierungsstandards für die Anwen- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fai- dung von Positionslimits für Warenderi- ren Wettbewerb in der solidarischen vate Krankenversicherung ermöglichen – K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 Weiterentwicklung des morbiditäts- hier: Stellungnahme des Deutschen orientierten Risikostrukturausglei- Bundestages gemäß Artikel 23 ches vorantreiben Absatz 3 des Grundgesetzes Drucksachen 18/8399, 18/10247, i.. V m. § 8 des Gesetzes über die 18/10252, 18/11205...... Zusammenarbeit von Bundesre- 21819 B gierung und Deutschem Bundes- c) Beschlussempfehlung und Bericht des tag in Angelegenheiten der Euro- Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag päischen Union der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Corinna Rüffer, Elisabeth Scharfenberg, Kommissionsvorschlag zurückweisen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 18/11173 ...... 21816 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die ge- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ sundheitliche Versorgung von Menschen DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung). . . . 21816 C mit Behinderung menschenrechtskon- form gestalten (CDU/CSU) Drucksachen 18/3155, 18/11205...... 21819 C (zur Geschäftsordnung)...... 21817 A Dr . Roy Kühne (CDU/CSU)...... 21819 C Birgit Wöllert (DIE LINKE)...... 21821 B Tagesordnungspunkt 28: Dr . (SPD)...... 21822 C b)–g) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Beratung der Beschlussempfehlung des DIE GRÜNEN)...... 21823 C Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 405, 406, 407, 408, 409 und 410 zu (CDU/CSU)...... 21825 A Petitionen Martina Stamm-Fibich (SPD)...... 21826 A Drucksachen 18/10991, 18/10992, 18/10993, 18/10994, 18/10995, 18/10996...... 21818 C (CDU/CSU)...... 21827 B

Tagesordnungspunkt 6: Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von der Erste Beratung des von der Bundesregierung Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- Bekämpfung der Steuerumgehung und zur und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Änderung weiterer steuerlicher Vorschrif- Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) ten (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz Drucksachen 18/10186, 18/11205...... 21819 A – StUmgBG) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 18/11132, 18/11184...... 21829 B Ausschusses für Gesundheit Dr . , Parl . Staatssekretär – zu dem Antrag der Abgeordneten BMF ...... 21829 B Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 21830 B weiterer Abgeordneter und der Frakti- (Heidelberg) (SPD)...... 21831 B on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ver- sorgung durch Heilmittelerbringer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . . 21832 C IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Uwe Feiler (CDU/CSU)...... 21833 D (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... Dr . Jens Zimmermann (SPD)...... 21834 D 21856 B Dr . h . c . (CDU/CSU). . . . . 21835 D Franz Thönnes (SPD)...... 21857 A Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU)...... 21858 B

Tagesordnungspunkt 8: Dr . (SPD)...... 21859 D Antrag der Abgeordneten , , Volker Beck (Köln), weiterer Dr . (CDU/CSU)...... 21860 D Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Eine bundesweite Präventi- onsstrategie gegen den gewaltbereiten Isla- Tagesordnungspunkt 11: mismus Drucksache 18/10477...... 21836 D a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ eines Ersten Gesetzes zur Änderung des DIE GRÜNEN)...... 21836 D Düngegesetzes und anderer Vorschriften (CDU/CSU)...... 21838 A Drucksachen 18/7557, 18/11171...... 21862 A Dr . (BÜNDNIS 90/ b) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN)...... 21839 B Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft (DIE LINKE)...... 21839 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Uli Grötsch (SPD)...... 21841 A Dr ., Caren Lay, (CDU/CSU) ...... 21842 B Dr .Dietmar Bartsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: (SPD)...... 21843 C Wasserqualität für die Zukunft si- (CDU/CSU)...... 21844 B chern – Düngerecht novellieren – zu dem Antrag der Abgeordneten , Peter Meiwald, Tagesordnungspunkt 24: Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- GRÜNEN: Neues Düngerecht endlich schusses für Wirtschaft und Energie zu dem beschließen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Drucksachen 18/1332, 18/9044, SPD: Regionale Wirtschaftspolitik – Ein in- 18/11171...... 21862 B tegriertes Fördersystem für strukturschwa- che Regionen in ganz Deutschland schaffen Dr . , Parl . Staatssekretärin Drucksachen 18/10636, 18/11202...... 21845 D BMEL...... 21862 C (SPD)...... 21846 A Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE)...... 21863 C (DIE LINKE) ...... 21846 C Dr .W ilhelm Priesmeier (SPD)...... 21864 C (CDU/CSU)...... 21847 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... DIE GRÜNEN)...... 21849 A 21866 A Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin BMWi. . . . 21850 A Waldemar Westermayer (CDU/CSU)...... 21867 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU)...... 21851 A (SPD) ...... 21868 B (SPD)...... 21852 B Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU). . . . . 21869 B

Tagesordnungspunkt 10: Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, , Dr .Alexander S . Neu, weiterer Antrag der Abgeordneten Dr ., Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Christian Kühn (Tübingen), Bärbel Höhn, wei- Für eine neue Ostpolitik Deutschlands terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 18/11167...... 21853 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht voran- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 21853 B bringen – Aktionsplan Faire Wärme starten Dr . (CDU/CSU)...... 21854 D Drucksache 18/10979...... 21871 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 V

in Verbindung mit Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fluchtursachen statt Flüchtlinge be- kämpfen Zusatztagesordnungspunkt 5: Drucksachen 18/7039, 18/7046, 18/7446. . . . 21884 C Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... 21884 C ordneten Dr .Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), , weiteren Ab- Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 21885 C geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Jürgen Klimke (CDU/CSU)...... 21886 C DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ Förderung Erneuerbarer Energien im Wär- DIE GRÜNEN)...... 21888 A mebereich (Erneuerbare-Energien-Wärme- gesetz – EEWärmeG) (CDU/CSU)...... 21888 D Drucksachen 18/6885, 18/8438 ...... 21871 B (DIE LINKE) ...... 21889 A Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21871 B Tagesordnungspunkt 9: Dr . (CDU/CSU)...... 21872 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE)...... 21874 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr . (SPD)...... 21875 B zes zur Neufassung des Gesetzes zur Re- gelung von Sekundierungen im Rahmen Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ von Einsätzen der zivilen Krisenpräven- DIE GRÜNEN)...... 21876 A tion Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/11134 ...... 21890 C DIE GRÜNEN)...... 21876 B b) Antrag der Abgeordneten , (SPD)...... 21877 A Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ LINKE: Für eine aktive zivile Friedens- DIE GRÜNEN)...... 21877 C politik Drucksache 18/11166 ...... 21890 C Zusatztagesordnungspunkt 6: c) Antrag der Abgeordneten Dr .Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter desregierung eingebrachten Entwurfs eines und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzes über die Feststellung eines Nach- NEN: Zivile Krisenprävention und Frie- trags zum Bundeshaushaltsplan für das densförderung stärken – Neue Lösungs- Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushalts- ansätze erarbeiten und umsetzen gesetz 2016) Drucksache 18/11174 ...... 21890 D Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr . 1 .16, 18/11170...... 21878 D d) Antrag der Abgeordneten Dr .Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena (CDU/CSU)...... 21878 D Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Roland Claus (DIE LINKE)...... 21879 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Group of Friends“ für Konfliktpräven- (Spandau) (SPD)...... 21880 B tion im Rahmen der Vereinten Nationen Dr .T obias Lindner (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/11175 ...... 21890 D DIE GRÜNEN)...... 21881 D Michael Roth, Staatsminister AA...... 21891 A (CDU/CSU)...... 21882 D Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 21892 B (CDU/CSU)...... 21893 B Tagesordnungspunkt 14: Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE GRÜNEN)...... 21894 B wärtigen Ausschusses Michael Vietz (CDU/CSU)...... 21895 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 16: DIE LINKE: Fluchtursachen bekämpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Antrag der Abgeordneten , Özcan Roth (Augsburg), , Luise Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

DIE GRÜNEN: Attraktivitätsverlust stop- Tagesordnungspunkt 19: pen – BAföG noch 2017 erhöhen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksache 18/11178...... 21896 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Dritten Gesetzes zur Änderung der Bun- DIE GRÜNEN)...... 21896 C des-Tierärzteordnung Drucksachen 18/10606, 18/10901 ...... 21906 B Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU)...... 21897 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21899 D Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU)...... 21900 C brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes- (DIE LINKE)...... 21900 D serung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Ange- (SPD) ...... 21901 D legenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten (CDU/CSU)...... 21903 A Drucksache 18/10485...... 21906 D (SPD)...... 21904 D Nächste Sitzung ...... 21906 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Anlage 1 desregierung eingebrachten Entwurfs eines Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 21907 A Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssi- cherheit bei Anfechtungen nach der Insol- venzordnung und nach dem Anfechtungs- gesetz Anlage 2 Drucksachen 18/7054, 18/11199...... 21905 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Tagesordnungspunkt 18: Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungs- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gesetz schusses für Kultur und Medien zu dem An- (Zusatztagesordnungspunkt 7)...... 21907 C trag der Abgeordneten (Havel- land), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Dr. (CDU/CSU)...... 21907 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . 21910 A Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes ge- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 21910 D währleisten Dr. (SPD) ...... 21911 C Drucksachen 18/8888, 18/11115...... 21905 D Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 21912 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . 21912 D Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage 3 Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtli- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung nien der Europäischen Union zur Arbeits- der Beschlussempfehlung und des Berichts migration des Ausschusses für Kultur und Medien zu Drucksachen 18/11136, 18/11182...... 21906 A dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Tagesordnungspunkt 17: LINKE: Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gewährleisten desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Tagesordnungspunkt 18)...... 21913 B Gesetzes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in einer Ver- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . 21913 C sorgungskrise (CDU/CSU)...... 21914 A Drucksachen 18/10943, 18/11141, 18/11203...... 21906 A (SPD) ...... 21915 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 VII

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . 21916 D Anlage 6 Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung DIE GRÜNEN)...... 21918 A des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung Anlage 4 (Tagesordnungspunkt 19)...... 21928 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Hermann Färber (CDU/CSU) ...... 21928 A des von der Bundesregierung eingebrachten (CDU/CSU)...... 21928 B Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung auf- enthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäi- Dr. Karin Thissen (SPD)...... 21929 C schen Union zur Arbeitsmigration Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE). . . . . 21930 B (Tagesordnungspunkt 13)...... 21918 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 21918 C DIE GRÜNEN)...... 21930 D (SPD)...... 21919 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 21920 C Anlage 7 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des DIE GRÜNEN)...... 21922 B vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmög- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim lichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern Bundesminister des Innern...... 21922 D in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten (Tagesordnungspunkt 20)...... 21931 C Anlage 5 Dr. (CDU/CSU) ...... 21931 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . 21932 C Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Dr. (SPD)...... 21933 D Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in ei- ner Versorgungskrise Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 21935 A (Tagesordnungspunkt 17)...... 21923 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 21923 D DIE GRÜNEN)...... 21935 C Carola Stauche (CDU/CSU)...... 21924 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 21925 C Anlage 8 Karin Binder (DIE LINKE)...... 21926 A Neudruck: Antwort der Staatsministerin Dr . Maria Böhmer auf die Frage des Abgeord- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ neten Andrej Hunko DIE GRÜNEN)...... 21927 B (217 . Sitzung, Anlage 9)...... 21936 C

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21765

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218. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. Februar 2017

Beginn: 9 .01 Uhr

Präsident Dr. : Drucksache 18/9190 Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Innenausschuss begrüße Sie alle herzlich . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich möchte vor Eintritt in unsere Tagesordnung den Parlamentarischen Staatssekretären Norbert Barthle ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- und Hans-Joachim Fuchtel sowie dem Kollegen Arno fahren Klare nachträglich zu ihrem jeweiligen 65 .Geburtstag (Ergänzung zu TOP 27) gratulieren . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole (Beifall) Maisch, Renate Künast, Markus Tressel, weiterer (B) Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (D) Das gilt in ähnlicher Weise für den Kollegen Harald DIE GRÜNEN Weinberg, der in dieser Woche seinen 60 .Geburtstag gefeiert hat, dem ich ebenfalls alles Gute für das neue Mehr Transparenz und Klarheit bei Bu- Lebensjahr wünsche . chungs- und Vergleichsportalen schaffen (Beifall) Drucksache 18/10043 Überweisungsvorschlag: Es gibt eine Reihe von Vereinbarungen der Fraktio- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) nen, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste Finanzausschuss aufgeführten Punkte zu erweitern: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Tourismus ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Ausschuss Digitale Agenda LINKE: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Zur wachsenden Gefahr der Altersarmut bei Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer 5,7 Millionen Betroffenen in Deutschland Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (siehe 217 . Sitzung) Initiative „She Decides“ unterstützen ‒ Die ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sexuellen und reproduktiven Rechte und die richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau- Infrastruktur (15 .Ausschuss) zu dem Antrag der en und Mädchen in Ländern des globalen Sü- Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, dens stärken Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Drucksache 18/11177 Überweisungsvorschlag: Planungen für die Gründung einer Bundes- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und fernstraßengesellschaft sofort einstellen ­Entwicklung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksachen 18/6547, 18/8885 Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE Haushaltsausschuss Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfor- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe dert eine soziale Offensive für alle Kekeritz, Dr .Gerhard Schick, Harald Ebner, 21766 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin (C) NIS 90/DIE GRÜNEN Andreae, Dr .Thomas Gambke, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- zu dem Vorschlag für eine Delegierte Ver- NIS 90/DIE GRÜNEN ordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Mehr für das Gemeinwohl – Steuerabzug für Parlaments und des Rates durch technische Managergehälter deckeln Regulierungsstandards für die Anwendung Drucksache 18/11176 von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 final; Ratsdok. 15163/16 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Ausschuss für Wirtschaft und Energie Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- über die Zusammenarbeit von Bundes- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- regierung und Deutschem Bundestag cherschutz (6 .Ausschuss) in Angelegenheiten der Europäischen Union zu den Streitverfahren vor dem Bundesver- fassungsgericht Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kom- 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, missionsvorschlag zurückweisen 2 BvR 1494/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1624/16, Drucksache 18/11173 2 BvR 1807/16 und 2 BvR 2354/16 ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Drucksache 18/11198 ordneten Dr .Julia Verlinden, Christian Kühn ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ (Tübingen), Annalena Baerbock, weiteren Ab- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE setzes zur Neustrukturierung des Bundeskri- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- minalamtgesetzes zes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich Drucksache 18/11163 (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EE- Überweisungsvorschlag: WärmeG) Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) Drucksache 18/6885 Ausschuss für Wirtschaft und Energie (D) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss Digitale Agenda ses für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Drucksache 18/8438 Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Anstelle des Tagesordnungspunktes 5 – hier ging es wurfs eines Gesetzes über die Feststel- um den Antrag zur Begrenzung von Managergehältern – lung eines Nachtrags zum Bundeshaus- soll der Antrag auf der Drucksache 18/9190 mit dem Ti- haltsplan für das Haushaltsjahr 2016 tel „Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) soziale Offensive für alle“ unter Beibehaltung der vor- gesehenen Debattenzeit von 60 Minuten beraten werden . Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr. 1.16 Der Tagesordnungspunkt 22 – ein Antrag zur Gestal- tung der Arbeitswelt von morgen – soll abgesetzt und Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- stattdessen der Antrag auf der Drucksache 18/11176 mit haltsausschusses (8 .Ausschuss) dem Titel „Mehr für das Gemeinwohl – Steuerabzug für Managergehälter deckeln“ in Verbindung mit dem so- Drucksache 18/11170 eben genannten Tagesordnungspunkt 5 mit einer Debat- ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bun- tenzeit von wiederum 60 Minuten aufgerufen werden . desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Ebenso sollen der Tagesordnungspunkt 15 – hier setzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit geht es um die abschließende Beratung des Gesetzes zur bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur und nach dem Anfechtungsgesetz Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechts- Drucksache 18/7054 beratenden Berufe – und der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 28 a – abschließende Beratung des Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Entwurfes eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertra- ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - gung in der Justiz – abgesetzt werden . schuss) Es gibt darüber hinaus die in der Zusatzpunkteliste Drucksache 18/11199 dargestellten Änderungen im Ablauf . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21767

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich mache auf zwei nachträgliche Ausschussüber- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie (C) weisungen im Anhang zu dieser Zusatzpunkteliste auf- den Zusatzpunkt 2 auf: merksam: 3 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Der am 26 .Januar 2017 (215 .Sitzung) überwiese- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, schuss) zur Mitberatung überwiesen werden: 143d, 143e, 143f, 143g) Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksachen 18/11131, 18/11186 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wei- Überweisungsvorschlag: teren Verbesserung des Hochwasserschutzes Haushaltsausschuss (f) und zur Vereinfachung von Verfahren des Innenausschuss Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz setz II) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/10879 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Überweisungsvorschlag: abschätzung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ sicherheit (f) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Innenausschuss eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Neuregelung des bundesstaatlichen Fi- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur nanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 Haushaltsausschuss und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften Die am 19 .Januar 2017 gemäß § 80 Absatz 3 der Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unter- Drucksachen 18/11135, 18/11185 richtung soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus Überweisungsvorschlag: (20 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Zwölfter Bericht der Bundesregierung über Ausschuss für Wirtschaft und Energie ihre Menschenrechtspolitik Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (B) (Berichtszeitraum 1 . März 2014 bis 30 . Septem- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- (D) ber 2016) abschätzung Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 18/10800 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Sabine Leidig, Roland Claus, Caren Lay, Auswärtiger Ausschuss weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz LINKE Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Autobahnprivatisierungen im Grundge- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und setz ausschließen ­Entwicklung Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/11165 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Ich frage Sie, ob Ihnen das alles so plausibel vor- Infrastruktur (15 .Ausschuss) zu dem Antrag der kommt, dass Sie ohne weiteres Zögern zustimmen kön- Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, nen . Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist tion DIE LINKE perfekt! – Dr . [BÜNDNIS 90/ Planungen für die Gründung einer Bundes- DIE GRÜNEN]: Besser könnte es nicht sein!) fernstraßengesellschaft sofort einstellen – Das habe ich mir gedacht . Drucksachen 18/6547, 18/8885 (Zuruf der Abg . Britta Haßelmann [BÜND- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für NIS 90/DIE GRÜNEN]) diese Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen .– – Ja, Frau Haßelmann, man könnte sich fragen, warum Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Also können man nicht gleich darauf gekommen ist, das in dieser Rei- wir so verfahren . henfolge zu machen, wenn sich dieser Ablauf eigentlich Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem aufdrängt . Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. (Heiterkeit) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wie schön . Wir sind uns einig . ordneten der SPD) 21768 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- dass der Bund den Ländern hierfür ab 2020 Finanzhilfen (C) zen: in Höhe von rund 330 Millionen Euro gewährt . Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Für eine zielgerichtete und effiziente Förderung von ren! Mit den beiden Gesetzentwürfen sollen die Finanz- Investitionen in gesamtstaatlich bedeutsamen Bereichen beziehungen zwischen Bund und Ländern neu geregelt soll der Bund mehr Einwirkungsrechte bei Finanzhilfen werden . Die Gesetzentwürfe setzen das nach langen in- erhalten . Künftig werden die Arten der zu fördernden tensiven Verhandlungen erzielte Einvernehmen zwischen Investitionen und die Grundzüge der Ausgestaltung der den Regierungschefs von Bund und Ländern um . Länderprogramme zur Verwendung der Finanzhilfen Die Länder sollen zur Unterstützung bei der Erfüllung durch eine bundesrechtliche Regelung mit Zustimmung ihrer Aufgaben ab dem Jahre 2020 um insgesamt etwas des Bundesrats oder durch Verwaltungsvereinbarungen über 9,7 Milliarden Euro jährlich finanziell entlastet geregelt . werden, wobei die Summe im Laufe der Jahre ansteigen Wir haben im Übrigen 2015 den Kommunalinvesti- wird . Diese 9,7 Milliarden Euro sind die für den Bund im tionsförderungsfonds aufgelegt, um finanzschwachen Jahre 2020 entstehenden Kosten . Die Berechnung basiert Kommunen zusätzliche Investitionen zu ermöglichen . auf der aktuellen Steuerschätzung vom November 2016; Dabei muss erwähnt werden, dass die Hilfen des Bun- sie wird sich also noch ein wenig verändern . Die Kosten des immer nur eine ergänzende Funktion haben können . werden, wie erwähnt, in den Folgejahren in Abhängig- Denn in allererster Linie – dabei muss es auch bleiben – keit von der Steuerentwicklung und der Finanzkraftent- haben die Länder für eine ausgewogene Finanzierung ih- wicklung der Länder anwachsen . Den Kosten des Bun- rer Kommunen zu sorgen . des stehen Entlastungen der Länder in gleicher Höhe gegenüber . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein wichtiger Hinweis!) Ein Großteil der Länderentlastung ab 2020 erfolgt über den bundesstaatlichen Finanzausgleich . Bekannt- Das ist die Ordnung des Grundgesetzes und die Aufgabe lich laufen die geltenden Regeln des Finanzausgleichs der Länder . nach aktueller Rechtslage Ende 2019 aus . Der Entlas- tungsbetrag enthält die Fortsetzung von bereits heute gel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tenden bzw . ähnlich geltenden Regelungen wie den Ent- ordneten der SPD) flechtungsmitteln – auch die Entflechtungsmittel waren ursprünglich einmal bis Ende 2019 befristet; wir haben Das klappt auch in vielen Ländern ganz gut, leider nicht uns darauf verständigt, dass sie länger gewährt werden in allen . (B) sollen; sie sollen künftig als Umsatzsteuerfestbetrag in (D) ( [CDU/CSU]: Sehr genau!) gleicher Höhe fortgesetzt werden –, der Gemeindever- kehrsfinanzierung, der Finanzhilfen für Seehäfen und der Deswegen ist eine zeitlich, inhaltlich und finanziell klar Sanierungshilfen für das Saarland und die Freie Hanse- begrenzte Bundeshilfe für finanzschwache Kommunen stadt Bremen anstelle der heutigen Konsolidierungshil- sinnvoll . fen sowie der besonderen Hilfen für die ostdeutschen Länder, die an die Stelle des Ende 2019 wegfallenden Damit wir den Kommunen effektiver helfen können, Solidarpakts II treten sollen . erweitern wir durch eine Grundgesetzänderung für die- sen Zweck die Möglichkeiten von Bundeshilfen an fi- Der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne wird in nanzschwache Kommunen, insbesondere im Bereich der seiner jetzigen Form mit diesen Gesetzentwürfen abge- kommunalen Bildungsinfrastruktur, vor allem für die Sa- schafft – ebenso wie der Umsatzsteuervorabausgleich. nierung von Schulbauten . Wir stocken dafür den Fonds um weitere 3,5 Milliarden Euro auf . Die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer wird grundsätzlich nach der Einwohnerzahl der Länder Wir schaffen bei Mischfinanzierungen neue Kontroll- erfolgen, aber modifiziert durch Zu- und Abschläge zum rechte des Bundesrechnungshofs in den Ländern und angemessenen Ausgleich der Unterschiede in der Finanz- Kommunen . Auch das war ein lange diskutierter Punkt . kraft . Die nähere Ausgestaltung dieses Ausgleichs erfolgt in enger Anlehnung an den bisherigen Finanzausgleich Wir stärken den Stabilitätsrat, der künftig neben der unter den Ländern . Einhaltung der Schuldenbremse im Bund auch die Ein- haltung der Schuldenbremse in den einzelnen Ländern Wie erwähnt kann der Bund zur besonderen Entlas- überwachen soll und überwachen kann . tung des Saarlands und der Freien Hansestadt Bremen künftig Sanierungshilfen gewähren . Die Länder ergreifen Wir haben uns mit den Ländern darauf verständigt, dafür gleichzeitig Maßnahmen zum Abbau ihrer übermä- dem Bund zusätzliche Kompetenzen in der Steuerver- ßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- waltung zu übertragen, insbesondere im Bereich der und Finanzkraft . Informationstechnik. Das wird künftig hoffentlich die Einigung in Steuerfragen zwischen Bund und Ländern Daneben werden die Voraussetzungen für die Weiter- vereinfachen und beschleunigen . gewährung der Finanzhilfen des Bundes in den Berei- chen Seehäfen und Gemeindeverkehrsfinanzierung ge- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hoffent- schaffen. Die Änderungen des Grundgesetzes sehen vor, lich, ja!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21769

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) – Ja, hoffentlich. Alle, die damit zu tun haben, wissen, Diese Reform soll am 1 . Juli 2017 in Kraft treten, da- (C) dass das „hoffentlich“ aus vollem Herzen ausgesprochen mit die Kommunen genügend Zeit haben, sich auf die ist . neue Rechtslage einzustellen . Der Bund trägt statt, wie bisher, einem Drittel künftig 40 Prozent der Kosten; die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Länder tragen 60 Prozent der Kosten für den Unterhalts- Mit der verabredeten Verkehrsgesellschaft des Bun- vorschuss . Die Mehrausgaben für den Bund unter Ein- des schaffen wir die Bundesauftragsverwaltung bei den rechnung der im SGB‑II-Bereich entstehenden Entlas- Bundesautobahnen ab . Der Bund wird die alleinige Ver- tungen betragen insgesamt 38 Millionen Euro pro Jahr . antwortung für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Fi- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses umfang- nanzierung von Bundesautobahnen übernehmen . Er kann reiche Gesetzespaket spiegelt einen nach schwierigen sich dann künftig zur Erledigung dieser Aufgabe einer Verhandlungen erzielten Kompromiss zwischen den Gesellschaft privaten Rechts bedienen . Die Autobahnen Ländern und dem Bund wider . Die Ausgestaltungen des und Fernstraßen und die Gesellschaft selbst bleiben im Finanzausgleichs im Einzelnen sind im Wesentlichen unveräußerlichen Eigentum des Bundes . Eine Betei- zwischen den 16 Ländern so vereinbart worden, und ligung privater Investoren an der Gesellschaft ist nicht der Bund hat dann seinen Teil in den Verhandlungen mit vorgesehen. Aber die Gesellschaft wird offen sein für den Ländern beigetragen . Weil es ein nach schwierigen, Finanzierungen durch öffentlich-private Partnerschaften, langen Verhandlungen erzielter Kompromiss ist, hat die wie wir sie bereits jetzt haben . Ich will bei der Gelegen- Bundesregierung in der Gegenäußerung zu den Stel- heit hinzufügen, dass ich nicht sehe, dass die Gesell- lungnahmen des Bundesrates im ersten Durchgang dafür schaft eine Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten geworben, dass man bei dem vereinbarten Kompromiss erhalten wird . bleibt und dass auch der Bundesrat und die Bundesländer Mit der Einrichtung eines verbindlichen bundesweiten nicht versuchen sollten, das mühsam erzielte Kompro- Verwaltungsportalverbundes machen wir einen großen misspaket jetzt wieder aufzuschnüren . Ich werbe im Inte- Schritt in der Modernisierung der öffentlichen Verwal- resse des Gesamtpaketes ausdrücklich dafür . tung . Alle Nutzer, Bürgerinnen und Bürger sowie Un- (Beifall bei der CDU/CSU) ternehmen, werden künftig Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen online in Anspruch neh- Ich will im Übrigen hinzufügen: Natürlich ist die sich men können . Wir sehen dafür eine Übergangsfrist von ab dem Jahre 2020 ergebende Mehrbelastung für den fünf Jahren vor; denn es ist ein ungeheuer ambitioniertes Bund in Höhe von 9,7 Milliarden Euro aufsteigend eine Projekt . Dabei wird sich für die Verwaltungen dann auch Berechnung gegenüber der heutigen Rechtslage . Wenn der administrative Vollzugsaufwand verringern . Wir wer- man die Sachlage, die bis 2019 besteht, zum Maßstab (B) den stärker wegkommen von einfachen Routinearbeiten, nimmt, beträgt die Mehrbelastung für den Bund 4,3 Mil- (D) was angesichts der knappen Personaldecke in vielen Ver- liarden Euro aufsteigend . Aber auch das ist ein erheb- waltungsbereichen zu einer Entlastung führen kann . licher Beitrag . Ich will das in diesem Zusammenhang erwähnt haben . Entsprechendes haben wir mit dem Gesetz zur Moder- nisierung des Besteuerungsverfahrens für die Steuerver- Was uns in diesen Verhandlungen nicht gelungen ist, waltung bereits auf den Weg gebracht . Auch hier werden ist, eine Vereinbarung zu erzielen, die das Gesamtsystem, die Beschäftigten künftig mehr Zeit für zielgerichtete das komplizierte System des Ausgleichs zwischen Bund, Prüfungen haben, um Verstöße noch besser aufdecken zu Ländern und Kommunen, ein Stück weit transparenter, können . ein Stück weit systemischer und berechenbarer macht und vor allen Dingen Anreize in dem System verbessert . In dem Gesetzespaket ist auch ein Entwurf zur Neu- Das war am Anfang das ehrgeizige Vorhaben der Bun- regelung zum Unterhaltsvorschuss enthalten . Für alle desregierung . Wir sind damit jedenfalls nicht zu einem Kinder bis zur Vollendung des 12 .Lebensjahres sind bei durchschlagenden Erfolg gekommen, um es zurückhal- Ausfall der Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils tend zu sagen . Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz aus- nahmslos und ohne Höchstbezugsdauer zu gewähren . Deswegen werbe ich erstens dafür, dass wir den Kom- Das wird so vorgeschlagen . promiss, so wie wir ihn vereinbart haben, jetzt gesetz- geberisch umsetzen, und ich werbe zweitens dafür, dass Für Kinder von der Vollendung des 12 .Lebensjahres man sich in künftigen Legislaturperioden damit beschäf- bis zur Vollendung des 18 .Lebensjahres sollen die Leis- tigt, wie wir das Verhältnis unserer föderalen Ordnung, tungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nur dann das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommu- zustehen, wenn das Kind nicht auf SGB‑II-Leistungen nen, so weiterentwickeln können, dass wir in Anbetracht angewiesen ist oder wenn der alleinerziehende Elternteil des schnelleren Wandels aufgrund der Veränderung der im SGB‑II-Bezug ein eigenes Einkommen von mindes- Bedingungen im wirtschaftlichen Wettbewerb, der Glo- tens 600 Euro brutto erzielt . Durch diese Regelung soll balisierung und vieler anderer Fragen in der Lage sind, ein langfristig paralleler Bezug von SGB‑II-Leistungen angemessen schnell zu reagieren . Dafür sind wir im und Unterhaltsvorschuss vermieden werden . Kindes- Bund-Länder-Verhältnis in einer grundsätzlich richtigen einkommen wird entsprechend dem Unterhaltsrecht zur Ordnung nicht optimal aufgestellt . Hälfte angerechnet, wenn das Kind einen Schulabschluss hat. Regelungen zum Rückgriff auf den barunterhalts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- pflichtigen Elternteil werden verbessert und vereinfacht. ordneten der SPD) 21770 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Die Verwaltungsverfahren müssen schneller werden, lich zu wenig ist . Der Investitionsstau in den Schulen ist (C) und wir müssen Anreize schaffen, dass diejenigen, die mit 34 Milliarden Euro viel höher . Entscheidungen treffen, stärker die finanziellen Konse- quenzen aus ihren Entscheidungen tragen . Das ist ein (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wofür haben altes ordnungspolitisches Prinzip . Wir haben einen wich- wir denn Länder?) tigen Schritt gemacht . Aber wir sind mit den Arbeiten, Natürlich ist es auch so, dass die Gegenfinanzierung der unseren Föderalismus zukunftstauglich zu halten, nur für Kommunen schwierig ist . diese Legislaturperiode, aber nicht für die Zukunft am Ende . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wofür haben wir Länder?) Herzlichen Dank . Aber Investitionen von der Bundesebene in die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Kinder und in die Bildung sind möglich . Das ist ver- ordneten der SPD) nünftig .– Damit habe ich das Positive hier ordentlich abgehandelt .

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe auch an anderer Stelle schon gesagt – das ist eben ein Ausdruck des Ganzen –, dass die Große Koaliti- Für die Fraktion Die Linke erhält der Kollege Dietmar on – letztlich mit den Ländern – hier ein großes Reform- Bartsch das Wort . projekt eben nicht auf den Weg gebracht hat . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Eine Logik ist erhalten geblieben, und das ist die Logik Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): der Schuldenbremsenpolitik . Die besteht weiter fort, und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke damit werden am Ende des Tages die negativen Folgen bewertet das vorliegende Gesetzespaket – Herr Schäuble, bei den Kommunen abgeladen, meine Damen und Her- Sie haben es noch einmal umfangreich dargestellt – so, ren . wie Sie das von uns kennen: differenziert. Wir sehen Stichwort „Investitionsstau“: Der Bund hat mit dem Positives und Kritisches . Ich war überrascht, wie viel Stabilitätsrat, den Sie hier so gelobt haben, de facto eine Kritisches Sie in kluger Formulierung zum Schluss doch Troika für die Länder geschaffen. Die Folgen der Troika festgestellt haben . Ich teile im Übrigen, dass wir wirk- und deren Ergebnisse kennen wir alle . Ich glaube, dass lich etwas tun müssen, damit diese Beziehungen gere- das überhaupt kein guter Weg ist . (B) gelt sind, und zwar im Interesse aller Ebenen . Ich glaube, (D) dass das sehr notwendig ist, und Sie haben mehrfach vom (Beifall bei der LINKEN) Kompromisscharakter des Gesetzeswerks gesprochen . Ein aus der Sicht der Städte und Gemeinden gedach- Ich will mit dem Positiven beginnen: Erstens ist es ter, solidarischer Finanzausgleich hätte wirklich anders überhaupt positiv, dass es eine Fortsetzung der Aus- aussehen müssen . Jetzt wird man ja den Eindruck nicht gleichszahlungen für finanzschwache Länder gibt. Dass los – Sie haben das eben noch einmal geschildert –, dass das erzielt worden ist, ist gut . Bund und Länder die kommunale Selbstverwaltung als einen Gnadenakt betrachten . Das ist aber nicht unsere (Beifall bei der LINKEN) Aufgabe, sondern unsere Aufgabe ist, eine angemessene Finanzausstattung zu gewährleisten . Eine wirklich ge- Die Wortführer des Ellbogenföderalismus, die insbeson- rechte und zukunftsorientierte Neuordnung der Finanz- dere in einem südlichen Land sitzen, sind gestoppt wor- verteilung zwischen Bund und Ländern ist von Ihnen of- den . Das ist auch ein Verdienst der Linken im Bundesrat, fensichtlich nicht beabsichtigt worden . Dafür muss man wo wir durchaus an Ihrer Seite waren, Herr Schäuble . auch wirklich an die Steuern herangehen; dafür braucht Es ist gut für die Menschen in diesem Land, wenn die man Mehreinnahmen für Bund und Länder . Wir haben da Linke in den Ländern regiert . Ich glaube, das hat sich da mit unseren Steuerkonzepten Angebote gemacht . deutlich gezeigt . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich will aber jetzt zum Schluss zu einem Kernpunkt Das Zweite, das man festhalten muss, ist, dass das so- kommen, den Autobahnen, Herr Schäuble . Die Bundes- genannte Kooperationsverbot zwischen Bund und Län- fernstraßengesellschaft ist offensichtlich ein Geschenk dern in der Bildungspolitik mit dem Paket zumindest an an Versicherungen und Anlagefonds und deren Rendi- einer Stelle ein bisschen gelockert wird . teerwartungen . Es drohen weiter Teilprivatisierungen . Sie haben das zwar eben klug formuliert, aber sie drohen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- weiter, und vor allen Dingen droht ein erheblicher Ein- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schnitt in die parlamentarischen Rechte des Bundestages und auch der Länder, meine Damen und Herren . Das Wir hätten es am liebsten ganz und gar aufgehoben, aber wird im Übrigen auch in dem Gutachten des Bundes- das können wir ja im September gegebenenfalls nachho- rechnungshofes ganz deutlich sichtbar . Meine Fraktion len . Immerhin werden so Investitionen in Schulen mög- hat die Autoren zu sich eingeladen . Dort wurde das sehr lich . Das ist ein Schritt nach vorne, auch wenn das natür- deutlich gemacht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21771

Dr. Dietmar Bartsch (A) Da will ich auch an die Kollegen der SPD appellieren . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): (C) Der Anführer der APO, also der außerparlamentarischen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mi- Opposition der SPD gegen die eigene Regierungsverant- nister Schäuble hat aufgezeigt, dass dieses Gesetzespaket wortung, der Spitzenkandidat , zahlreiche Grundgesetzänderungen enthält . Nicht nur die (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abge- Quantität, sondern auch die Qualität zeigt, dass es hierbei ordneten der CDU/CSU) um eine der einschneidendsten Veränderungen im föde- ralen Gefüge Deutschlands für die nächsten Jahrzehnte redet zu Recht über mehr soziale Gerechtigkeit . Das ist gehen wird . ein erheblicher Fortschritt . Das ist auch sehr gut . Nur müssen wir beim Inhalt in dieser Frage noch einmal deut- Der bisherige Länderfinanzausgleich, der die Solidari- lich zulegen; denn jetzt wird ein Gesetzespaket einge- tät zwischen den Ländern sichert, sodass die Gleichwer- bracht, nach dessen Inkrafttreten kaum noch rückgängig tigkeit der Lebensverhältnisse einigermaßen dargestellt gemacht werden kann, dass solche Teilprivatisierungen ist, dieser Länderfinanzausgleich hatte sich bewährt. möglich sind . ( [SPD]: Richtig!) (Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie das schon Wir haben gute Ergebnisse erzielt . Der Angleichungs- mit Frau Petry abgeklärt, ob das eine gemein- prozess der ostdeutschen Bundesländer ist vorange- same Position sein kann? – Gegenruf von der schritten . Mittlerweile liegt ihre Steuerkraft bei etwa LINKEN: Unverschämtheit!) zwei Drittel derjenigen der westdeutschen Länder . Das Das ist die Realität . Es geht in diesem Land ungerecht zu, BIP je Einwohner in Ostdeutschland ist von 42 Prozent aber mit den Privatisierungen wird die Ungerechtigkeit des westdeutschen Wertes im Jahr 1991 auf 72 Prozent noch größer, meine Damen und Herren . Denn am Ende im Jahr 2015 gestiegen . Das alles war auch durch das bezahlen die Autofahrerinnen und Autofahrer die Rendi- Engagement des Bundes im Rahmen des Solidarpaktes teerwartungen, die mit dieser Privatisierung verbunden möglich . Über 150 Milliarden Euro sind dadurch in die sind. Da täuschen Sie im Übrigen auch die Öffentlich- ostdeutschen Bundesländer investiert worden, und sie keit . Nach den ersten Medienberichten wurde gesagt, das haben sich gerechnet . sei alles überhaupt nicht möglich . Das ist aber schlicht Es gab aber auch zwei Länder, die gegen diesen Län- unwahr . derfinanzausgleich geklagt haben, nämlich Hessen und (Johannes Kahrs [SPD]: Was hat denn der Bayern – beide unionsregiert . Herr Ramelow dazu gesagt, Herr Bartsch?) (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (B) DGB, Verdi, die Bauwirtschaft usw . kritisieren diese Beide Länder machten die klare Ansage: Wir wollen (D) Grundgesetzänderungen . weniger Solidarität und „mehr von unserem eigenen (Johannes Kahrs [SPD]: Was hat der Herr Geld“ – ich zitiere das – behalten. Ramelow dazu gesagt?) ( [CDU/CSU]: Was heißt, Sie reiten ein Trojanisches Pferd über die Autobahn, Kol- „weniger Solidarität“, wenn man 56 Prozent lege Kahrs . Das ist die Realität . zahlt?) (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs Das war die Ausgangslage der Verhandlungen . [SPD]: Herr Ramelow hat zugestimmt! Die Im Ergebnis bekommen wir jetzt einen Länderfinanz- Linke hat doch zugestimmt!) ausgleich, der die finanzschwachen Länder zwar weiter- Diese Grundgesetzänderungen können zur mittelba- hin stützt, aber nicht mehr in dem Ausmaße wie bisher . ren Privatisierung über ÖPP führen . Das ist das ganz gro- ( [SPD]: Hört! Hört!) ße Problem . Die finanzstarken Länder werden mehr eigene Mittel (Johannes Kahrs [SPD]: Sagen Sie doch mal, behalten können . De facto heißt das: Der Bund muss warum Herr Ramelow zugestimmt hat!) eingreifen und sich noch stärker engagieren, um den fi- Deswegen sollten Sie das jetzt nicht tun . Sie sollten da- nanzschwachen Ländern – das sind sehr viele – zu hel- mit warten und die Privatisierung nicht zulässig machen . fen, in etwa auf das gleiche Niveau zu kommen – wir Das können wir alles zu einem späteren Zeitpunkt ver- reden niemals davon, dasselbe zu erreichen –, damit sie nünftig machen . Haben Sie den Mut, und hören Sie hier sich in etwa das Gleiche leisten können, wenn es um die mehr auf Ihren Kanzlerkandidaten! Bezahlung der Lehrer, die Polizei und die sozialen Leis- tungen geht . Herzlichen Dank . (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (Beifall bei der LINKEN) Das tun wir jetzt. Das heißt aber auch: Die finanz- schwachen Länder werden abhängiger von der Leis- Präsident Dr. Norbert Lammert: tungsfähigkeit und der Bereitschaft des Bundes sein, sie Carsten Schneider ist der nächste Redner für die zu unterstützen . Das ist eine substanzielle Veränderung SPD-Fraktion . unseres föderalen Gefüges . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) 21772 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Ob das der Eigenständigkeit der Länder dient, wird die die von Armut am stärksten betroffen sind – das sind Al- (C) Zeit zeigen . leinerziehende mit Kindern, Männer wie Frauen .

(Johannes Kahrs [SPD]: Darf bezweifelt wer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des den!) Abg . Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])

Ich sehe mich jedenfalls bestätigt darin, dass wir ers- Diese zeitliche Befristung des Vorschusses auf insgesamt tens das Grundgesetz in Bezug auf den Punkt „Gleich- sechs Jahre bzw . bis zur Vollendung des zwölften Lebens- wertigkeit der Lebensverhältnisse“ sehr ernst nehmen jahres war für mich nie nachvollziehbar . Ich bin Manuela und dass zweitens der Bund die Fähigkeiten, die Instru- Schwesig, der Familienministerin, sehr dankbar, dass sie mente und die Steuereinnahmen haben muss, um diese das vorangetrieben hat und dass wir dort einig sind . Gleichwertigkeit darzustellen und dafür zu sorgen, dass Drittens wird es um die Frage gehen, welche Möglich- es in allen Regionen unseres Landes – in den Städten und keiten der Bund zusätzlich zu dem hat, was er an Mitteln auf dem Land, in den Zentren und in den Kleinstädten – für regionale Strukturpolitik bereitstellt . Wir wollen das in etwa die gleichen Bedingungen gibt . ganz simpel machen . Die Landesregierung in Thürin- gen – ich komme aus Thüringen, das hört man vielleicht Das bedeutet für den Bund aber eine Mehrbelastung . ab und an – Diese Mehrbelastung wird – das werden wir in den nächsten Legislaturen sehen – durch einen kleineren (Dr .Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gutes Ausgabespielraum oder einen größeren Einnahmespiel- Land! Gute Regierung!) raum des Bundes hat sich, nachdem sie es jahrzehntelang nicht getan hat, (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist dazu entschlossen, Lehrer zu verbeamten . Warum? Weil doch mal eine Idee!) Thüringen mit dem normalen TVöD-Gehalt, das es an- gestellten Lehrern zahlt, gegenüber den angrenzenden zu bewältigen sein . Das ist die Konsequenz dessen, was Bundesländern Bayern und Hessen nicht mehr konkur- wir hier beschließen . renzfähig ist und sich die Menschen, die in Thüringen ausgebildet werden, dafür nicht mehr einstellen lassen . Wir als SPD-Fraktion werden dies mittragen . Ich sage Das will keiner mehr . Das heißt, der Wettbewerb zwi- aber auch gleich: Herr Minister Schäuble: Es gilt immer schen den Bundesländern hängt immer mehr auch von noch das Struck’sche Gesetz . Es gibt hier viele verschie- der Finanzkraft ab . Nur wenn ich gute Leute habe, kann dene Punkte . Den Appell an den Bundesrat sehe ich ger- ich gut ausbilden . Nur so kann ich dann auch die Gleich- ne; der war ja intensiv daran beteiligt . (B) wertigkeit der Lebensverhältnisse sicherstellen . (D) Der Bundestag beschäftigt sich am heutigen Tage in Einige Bundesländer werden jetzt aber zusätzliches erster Lesung mit diesem Gesetzespaket . Wir haben im Geld bekommen . Die ostdeutschen Länder dagegen wer- Haushaltsausschuss viele Anhörungen dazu angesetzt . den ab 2020 keinen Cent mehr haben, sogar ein kleines Es gibt hier enorm wichtige Punkte zu regeln, auch im bisschen weniger als 2019, während andere Länder mehr innerstaatlichen Verhältnis . Dabei geht es etwa um die haben werden . Dieses Mehr an Mitteln wird natürlich Steuerverwaltung und deren Effizienz sowie um den eingesetzt werden – ich hoffe, klug – und dazu führen, Bundesrechnungshof und seine Prüfungsrechte . Wenn dass die Unterschiede zwischen den Ländern eher größer wir Mittel geben, müssen wir tatsächlich auch erheben werden . Das ist zumindest die Sorge, die wir haben . Ich können, was damit gemacht wird . Es liegt in unserer Ver- finde, der Bundestag hat eine gesamtstaatliche Verant- antwortung gegenüber den Steuerzahlern, das nachvoll- wortung und muss auf solche Entwicklungen reagieren . ziehen zu können . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) der CDU/CSU) Dazu muss er die richtigen Instrumente haben . Ich behalte mir vor, dass auch wir als Fraktion diese Eines dieser Instrumente kann die ein wenig einge- Punkte aufgreifen . schlafene regionale Strukturpolitik sein . Sie wird nicht mehr für einen Ausgleich zwischen Ost und West sorgen . In dem Paket sind aber auch andere wichtige Maßnah- Darum geht es nicht mehr, das brauchen wir 30 Jahre men enthalten . nach der Einheit nicht mehr. Ich finde es auch gut, dass Erstens: die Infrastrukturgesellschaft . Kollegin die Bundesregierung gestern unter Führung von Andrea Hagedorn wird darauf noch eingehen . Ich habe mit Freu- Nahles beschlossen hat, endlich die Ost-West-Anglei- de zur Kenntnis genommen, dass Sie hier gesagt haben: chung bei der Rente durchzusetzen . Auch da werden wir Diese Gesellschaft soll keine Kreditermächtigung erhal- einheitliches Recht haben . ten .– Das ist bisher anders vorgesehen, aber ich begrüße (Beifall bei der SPD) diese Feststellung . Aber die strukturellen Unterschiede werden größer wer- Zweiter Punkt . Der von Ihnen bereits genannte Un- den . Genau aus diesem Grund muss der Bund, weil er ein terhaltsvorschuss ist eine ganz wichtige Maßnahme, um Eigeninteresse daran hat, dass die Menschen nicht alle denjenigen zu helfen, denen es am schlechtesten geht und von Erfurt nach München ziehen, weil es da Arbeitsplät- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21773

Carsten Schneider (Erfurt) (A) ze gibt, dafür sorgen, dass es überall Arbeitsplätze unter Vielen Dank . (C) einigermaßen ordentlichen Bedingungen gibt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das der CDU/CSU) liegt aber auch an den Ländern selbst!) Er muss von daher auch die Instrumente und Mittel dafür Präsident Dr. Norbert Lammert: haben, um regional investieren zu können, sei es in die Ich bedanke mich .– Das Wort erhält nun die Kollegin Hochschulen, sei es in die regionale Infrastruktur . Das Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . wird dann aber für das ganze Bundesgebiet gelten . (Johannes Kahrs [SPD]: Da klatscht ja gar Der letzte Punkt ist, dass mit dieser Reform das Ende kein Grüner! – Gegenruf der Abg . Bettina des Kooperationsverbotes eingeleitet wird; das ist ein Hagedorn [SPD]: Hinterher! – Weiterer Ge- wirklicher Durchbruch . genruf des Abg . Dr .Anton Hofreiter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr nie ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf standen!) von der LINKEN: Ja!)

Wir haben 2006/2007 – das will ich mahnend sagen – Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einen Fehler gemacht, indem wir dem Bund die Mög- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- lichkeit genommen haben, in die Bildungsinfrastruktur ren! Heute diskutieren wir endlich – wir sind damit schon zu investieren . Das kann niemand nachvollziehen . ziemlich spät dran – über die Reform der Bund-Län- (Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Doch!) der-Finanzbeziehungen . Der Umfang dieser Reform mit 13 Verfassungsänderungen ist in der Tat erheblich . Es Kollege Bartsch hat die Zahlen zitiert: Das Ergebnis ist geht hier um nichts Geringeres als um unseren Föderalis- ein Sanierungsstau in den Schulen in Höhe von 34 Mil- mus und darum, diesen zukunftsfest – für mindestens die liarden Euro . Wir ermöglichen es jetzt – das war der nächste Dekade, wenn nicht länger – aufzustellen . Wunsch und der Wille der SPD, und wir haben es durch- gesetzt –, dass der Bund finanzschwachen Kommunen Ich will vorweg sagen: Wir Grünen werden, auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellen kann, um in die wenn wir die bisherigen Hinterzimmerberatungen der Bildungsinfrastruktur, also in Schulen, Horte etc , . zu Großen Koalition, um es einmal so auszudrücken, für in- investieren . Wir schließen da an das erfolgreiche Ganz- transparent und im Ergebnis ineffizient erachten, hieran tagsschulprogramm von Gerhard Schröder und Edelgard jetzt konstruktiv mitarbeiten . Bulmahn an . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) (Beifall des Abg . [SPD]) Denn es geht um die Planungssicherheit des Bundes und Ich glaube, dass diese Kooperation ein ganz entschei- insbesondere der Länder, und das vor dem Hintergrund dender Schritt ist, um zwei Dinge zu erreichen, nämlich der Verpflichtung der Länder, ab 2020 die Schulden- erstens, um Schulen zu sanieren, aber zweitens auch, um bremse einzuhalten . Es geht hier um die Handlungsfä- zu investieren . higkeit der öffentlichen Hand und auch um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ebendiese Handlungsfä- Herr Minister Schäuble hat auf einen wichtigen Punkt higkeit . hingewiesen . 2009 gab es ja eine Finanz- und Wirt- schaftskrise mit einer Verringerung des Wachstums um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 5 Prozent . Was macht man da normalerweise? Der Staat Kern der Reform ist die Abschaffung des Länderfi- investiert, um private Investitionen zu ersetzen . Wenn nanzausgleichs im eigentlichen Sinne; Herr Schäuble hat wir uns das Ganze aber retrospektiv anschauen, sehen das schon ausgeführt . Dass die Länder selbst – gerade wir, dass die Investitionen tatsächlich erst 2011 angelau- auch überzeugte Föderalisten – in ihrer Vielfalt und Un- fen sind . Da waren wir schon wieder auf einem Wachs- terschiedlichkeit den Länderfinanzausgleich gerade auch tumspfad . Das heißt, wenn man konjunkturpolitisch noch als sichtbares Zeichen ihrer Solidarität untereinander einigermaßen agieren will – und das wollen wir als So- aufgeben, finde ich bemerkenswert. zialdemokraten; ich glaube, das wollen mittlerweile auch große Teile der Wirtschaftswissenschaft –, dann ist es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entscheidend, dass wir die politischen Entscheidungen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und zur Konjunktursteuerung und zu Investitionen, die wir der SPD – Ulrich Freese [SPD]: Traurig! – hier treffen, auch umsetzen können, um sozusagen die Bettina Hagedorn [SPD]: Traurig!) PS auch auf die Straße zu bekommen . Ich glaube nicht, dass wir das von der Bundesebene wer- den zurückdrehen können . Das haben die Ministerpräsi- Präsident Dr. Norbert Lammert: denten so beschlossen . Herr Kollege . Dass dieser MPK-Beschluss aber den Charakter un- seres Föderalismus ändern wird, glaube ich schon . Es Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): ist das ausdrückliche Ziel dieses Beschlusses, dass es Herr Bundestagspräsident, das war mein Schluss- formal keine Geber und Nehmer mehr geben soll; alle wort . – Und so will ich dann auch in die Beratungen ge- wollen stattdessen Nehmer von Steueranteilen, die das hen . Bundesgesetz ihnen zuteilt, werden . So hat das Professor 21774 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Anja Hajduk (A) Korioth in einem aktuellen Beitrag im ifo Schnelldienst Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen, (C) geschrieben . Ich vermag in diesem Verzicht auf Solida- um für Ausgleich in unserem Land zu sorgen . rität untereinander keine Stärkung unseres Föderalismus erkennen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg . Dr .Dietmar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bartsch [DIE LINKE]) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Aber es gibt auch Licht . Dieses Licht ist eine Korrek- Die eigentliche Schwäche der Reform liegt für mich tur, eigentlich eine Selbstkorrektur der Großen Koalition . allerdings darin – damit komme ich zu Ihrer Verantwor- Die Erweiterung des Grundgesetzes um die Mitfinanzie- tung, Herr Schäuble –, dass die drängendsten Heraus- rungskompetenz des Bundes im Bereich der kommuna- forderungen unseres Föderalismus – auch das, was als len Bildungsinfrastruktur für finanzschwache Kommu- Herausforderung in Zukunft sichtbar ist – nicht zielge- nen ist das Licht in diesem Reformbauwerk, und das ist nau angegangen werden . Das ist nämlich die wachsende wirklich notwendig und überfällig . Spreizung von armen und reichen Regionen . (Johannes Kahrs [SPD]: Aber der Treiber dieses Trends ist der demografische Wandel Kretschmann ist doch dagegen, oder?) und auch der sozialräumliche Wandel, den wir ja sehen . Es gibt Wegzugsregionen und Zuzugsregionen . Wir ha- Herr Schneider hat es ja zugegeben: Das war ein Fehler ben ein System in unserem Föderalismus, in dem der der vorangegangenen Föderalismusreform .– Dass wir Maßstab des Ausgleichs die Finanzkraft, gemessen pro jetzt finanzschwache Kommunen gezielt und insbeson- Kopf, ist. Angesichts des demografischen Trends und dere mit Blick auf die Bildungsinfrastruktur vom Bund des sozialräumlichen Wandels muss man sich doch fra- aus mitfinanzieren können, wird von den Grünen aus- gen, ob in überalterten Regionen mit schwacher Finanz- drücklich unterstützt . kraft und Wirtschaftskraft der Maßstab „Finanzkraft pro Kopf“ überhaupt noch richtig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wir sagen aber auch: Diese schmale Öffnung in un- LINKEN) serer Verfassung ist nur ein erster Schritt . Wir halten an der vollständigen Aufhebung des Kooperationsverbotes Es wäre Ihre Verantwortung gewesen, diese Gedanken, fest . Wir halten das als eine wesentliche Zukunftsaufga- (B) also den demografischen und sozialräumlichen Wandel, be unserer Gesellschaft für notwendig und werden weiter (D) zum Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Analyse der daran arbeiten . Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu ma- chen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben leider mit Ihrem Setting den Bundestag be- sowie bei Abgeordneten der SPD) wusst nicht einbezogen . Ich sage auch ganz deutlich in Richtung Länder: Wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Bund jetzt finanzschwache Kommunen in der Bil- dungsinfrastruktur unterstützt, werden wir auch auf den Die Verantwortung tragen aber auch die großen Frakti- Bundeseinfluss achten. onen hier im Haus . Aber dass wir das nicht im Rahmen einer sorgfältigen Analyse als Grundlage für unsere Re- Es gibt noch viele andere Punkte bei dieser Reform . formüberlegungen nehmen, ist wirklich peinlich und der Meine Kollegin wird noch auf den wichtigen Punkt Ver- Herausforderung auch inhaltlich nicht angemessen . Wir kehrsinfrastruktur eingehen . Gut, dass wir uns wenigs- beklagen gerade den Frust von Menschen, die sagen: tens ausführlich Zeit nehmen, in mehreren Anhörungen Die öffentliche Infrastruktur ist in bestimmten Regionen dieses Gesetzeswerk zu beraten . Ich rufe die Große Ko- dieses Landes nicht gewährleistet .– Das hat politische alition auf: Lassen Sie uns bitte auch Verbesserungen Folgen. Wir haben nicht die Chance ergriffen, dem ver- vornehmen! nünftig entgegenzuwirken . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der SPD) LINKEN) Ich muss noch einmal ganz deutlich unterstreichen, was Herr Schneider angedeutet hat: Es gibt natürlich Sie sind notwendig; wir sollten sie nicht scheuen . Trotz- längst wissenschaftliche Untersuchungen zu Auswirkun- dem müssen wir vor dem Sommer zum Abschluss kom- gen dieser Reform . Diese Untersuchungen – zum Bei- men . Das brauchen insbesondere die Länder, und dann spiel von Professor Lenk von der Uni Leipzig – kommen werden die schon mitziehen . zu dem Ergebnis, dass ab 2020 die wirklich starken Län- der überproportional profitieren werden, die schwachen Schönen Dank . jedoch nicht . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der SPD: Recht hat er!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21775

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kammer . Aber zugleich bat Herr Schäuble am Ende sei- (C) Ralph Brinkhaus ist der nächste Redner für die CDU/ ner Ausführungen ja darum, dass wir als Parlament bitte CSU-Fraktion . nichts mehr ändern sollten, weil das den Vorgang ver- komplizieren würde . (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, ich habe gerade auch geklatscht, meine aber – und des- (CDU/CSU): Ralph Brinkhaus halb frage ich Sie, Herr Brinkhaus –, dass Sie das dann Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möch- auch ernst nehmen und als Koalition und als Bundesre- te die nächsten Minuten nutzen, um einige Irrtümer aus- gierung entsprechend handeln sollten . Ich sehe jedoch zuräumen, um einige kritische Anmerkungen zu machen zwischen der Kritik, die Sie gerade geäußert haben – der und um insbesondere über das parlamentarische Verfah- auch wir zustimmen –, und dem Handeln der Bundes- ren zu sprechen . regierung und der Großen Koalition einen erheblichen (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Dissens . GRÜNEN]: Das hat keinen pädagogischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehrwert! – Widerspruch bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist ja, meine Damen und Herren, ein parlamenta- Denn Sie nutzen bei jeder grundsätzlichen Problematik, risches Verfahren mit erster Lesung, mit Anhörungen, die Sie in dieser Koalition haben, die Ministerpräsiden- mit Ausschussberatungen und einer zweiten und dritten tenkonferenz als vorgeschaltetes Gremium . Lesung . Und an die Adresse des Bundesrates gerichtet sage ich: Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein Ver- (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nur fassungsorgan . wegen Seehofer!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Dann gibt es dort eine Problembeschreibung . Dann gibt bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE es dort eine Einigung . Und dann kommt ein Gesetzent- GRÜNEN) wurf in den Deutschen Bundestag, dem wir am Ende nur noch zustimmen sollen . Ich könnte ihnen etliche Beispie- Gesetze werden, meine Damen und Herren, immer noch le nennen . im Deutschen Bundestag erarbeitet und nicht in irgend- welchen Nachtsitzungen von irgendwelchen Minister- Da Reden und Handeln weit auseinanderklaffen, lau- präsidenten . Und da ist es auch völlig egal, ob da 16 : 0 tet meine Frage: Können wir jetzt damit rechnen, dass oder 15 : 1 entschieden wird . Gesetze werden hier ge- Schluss ist mit diesem Prinzip? (B) macht! Das schreiben Sie sich bitte ins Gebetbuch . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zuruf von der SPD: Jawohl!) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, zwei Anmerkungen . Erstens . Ich habe Herr Kollege Brinkhaus, darf die Kollegin Haßelmann noch keinen Minister kennengelernt, der mehr für die eine Zwischenfrage stellen? Parlamentsrechte eintritt als Wolfgang Schäuble . Inso- fern müssen Sie etwas missverstanden haben .

Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Die Kollegin Haßelmann kann gerne eine Zwischen- Die zweite Bemerkung bezieht sich auf Ihren Satz, wir frage stellen . – Das ist aber schon früh, Frau Kollegin . benutzten die Ministerpräsidentenkonferenz . Ich glaube, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) die Ministerpräsidentenkonferenz würde sich dagegen verwahren, benutzt zu werden, und zwar insbesondere Ich habe gerade erst angefangen . vom Bundestag und von der Bundesregierung . Insofern sind Ihre Anmerkungen da nicht zielführend .– Herzli- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chen Dank . Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, auch (Heiterkeit des Abg . Johannes Kahrs [SPD]) Herr Brinkhaus, dass Sie meine frühzeitige Zwischenfra- ge zulassen . Reden wir einmal über das, was hier und heute zu re- geln ist . Es geht um 725 Milliarden Euro Steuergelder . Bei Ihren Ausführungen gerade haben Vertreterin- Diese Steuergelder werden erst einmal aufgeteilt zwi- nen und Vertreter aller Fraktionen geklatscht . In diesen schen dem Bund und den 16 Ländern, um dann innerhalb ging es ja darum, nochmals ins rechte Licht sowohl hin- der 16 Länder aufgeteilt zu werden . Das Verfahren, das sichtlich der Kammer des Bundesrates als auch dieser sich in den letzten Jahrzehnten dazu entwickelt hat, ist Kammer, nämlich des Bundestags, des Parlaments, zu rü- so kompliziert, dass ich behaupte, dass es keine 20 Leu- cken, wo eigentlich gewählte Vertreterinnen und Vertre- te in Deutschland verstehen . Es wäre eigentlich unsere ter sitzen; und da nahmen Sie eine Einordnung vor, was Aufgabe gewesen, dieses Verfahren transparenter zu ma- die Ministerpräsidentenkonferenz eigentlich ist und wel- chen . Wir müssen dieses Verfahren anpacken, weil die che Entwicklung sich dort inzwischen vollzogen hat . Wir Geltungsdauer bestimmter gesetzlicher Regelungen nach tun ja inzwischen öffentlich so, als wäre das eine dritte 2019 nicht mehr verlängert wird . 21776 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Ralph Brinkhaus (A) Jetzt könnten Sie fragen: Wo bleiben eigentlich, da Meine Damen und Herren, wir haben trotzdem etwas (C) Herr Brinkhaus jetzt vom Bund und von den Ländern re- für die Kommunen und die Länder gemacht, weil wir det, die Kommunen? Damit sind wir beim ersten Irrtum, gesehen haben, dass bestimmte Bundesländer es einfach dem sowohl der Kollege Schneider als auch die Kolle- nicht geregelt bekommen und dass das zulasten der Bür- gin Hajduk aufgesessen sind . Es ist nämlich so, dass die ger geht . Kommunen Bestandteil der Länder sind . Das heißt, für (Beifall bei der CDU/CSU) eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen sind die Länder zuständig . Das Entlastungsvolumen belief sich in dieser Legislatur- periode – ohne den Ersatz der Kosten für Migration und (Beifall bei der CDU/CSU) Flüchtlinge – auf mehr als 80 Milliarden Euro: Grund- Wenn immer wieder gesagt wird, dass hier in Berlin sicherung im Alter, Kitaausbau, Kitabetriebskosten, irgendetwas entschieden wird, was die Kommunen be- BAföG-Übernahme, Investitionszuschüsse und viele an- lastet, dann ist dazu festzustellen, dass das leider richtig dere Dinge . Wir hätten das nicht machen müssen, aber ist . Aber bei diesen Entscheidungen sitzen die Länder wir haben es gemacht, weil die Bundesländer in ihrer durch den Bundesrat immer mit am Tisch . Es gibt zwei Aufgabenerfüllung an dieser Stelle versagt haben . Möglichkeiten, darauf zu reagieren, wenn die Kommu- (Beifall bei der CDU/CSU) nen mit ihren Aufgaben nicht mehr klarkommen . Dass die Kommunen eine angemessene Finanzausstattung Meine Damen und Herren, wir werden zwei Pakete bekommen, ist die erste Möglichkeit . Die zweite Mög- beschließen – vielleicht auch mit einigen Änderungen –: lichkeit ist: Wenn die Länder das nicht schaffen, dann ein Finanzpaket und ein Paket mit strukturellen Verbes- müssen sie hier ein Veto gegen die entsprechenden Ge- serungen . setzentwürfe einlegen . Das Finanzpaket kostet uns – der Bundesfinanzminis- ter hat das bereits erläutert – 10 Milliarden Euro . Dieses Die Mischfinanzierungen, die Sie, Frau Hajduk und Finanzpaket ist aus mehreren Gründen durchaus kritisch Herr Schneider, immer fordern, sind Gift für den Födera- zu beleuchten . lismus und sind Gift für die Demokratie, weil am Ende des Tages die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar sind . Der erste Punkt ist: Diese 10 Milliarden Euro tun uns Was ist denn, wenn eine Schule kaputt ist? Wer ist denn weh . Diese wachsen übrigens auf 13 Milliarden Euro und dafür verantwortlich? Die Kommune, das Land oder der mehr auf . Diese 10 Milliarden Euro tun uns deswegen Bund? weh, weil die finanzielle Situation, die wir momentan ha- ben, nicht immer so bleibt . Wir stehen vor erheblichen (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Risiken auf der Einnahmenseite – Stichwort: wirtschaft- (B) Das Schlimme ist, dass die Schule kaputt ist, liche Entwicklung –, aber auch auf der Ausgabenseite: (D) und nicht, wer zuständig ist!) innere Sicherheit, äußere Sicherheit, Migration, Stabi- Wie soll denn der Bürger eine Entscheidung treffen, lisierung der Sozialversicherungssysteme . Wenn wir so wenn er will, dass es in eine bestimmte Richtung geht? weitermachen, dass wir unser Bundesgeld an die Län- der und Kommunen geben, dann haben wir bald keine (Beifall bei der CDU/CSU) Handlungsspielräume mehr, dann können wir keine pro- duktiven Ausgaben mehr tätigen, dann können wir nicht Deswegen kann ich Ihnen nur eines sagen: Das Ko- mehr gestalten, sondern wir sind dann nur noch damit operationsverbot ist grundsätzlich richtig, und Mischfi- beschäftigt, unser Geld an die Länder und Kommunen nanzierungen sind Gift für unsere Demokratie und Gift weiterzuleiten und Pflichtaufgaben zu erfüllen. Das sollte für unseren Staat . Deswegen sollten wir uns überlegen, nicht so sein . wie sich die Mischfinanzierungen verringern lassen, und nicht darüber nachdenken, wie sie sich vermehren lassen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie Zweiter Kritikpunkt – das hat Frau Hajduk sehr gut ja nicht sehr erfolgreich gewesen!) ausgeführt; vielen Dank dafür – ist die Entsolidarisierung der Länder . Das heißt, was momentan mit diesem Paket Zweiter Irrtum . Es wird immer wieder gesagt, dass passiert, ist, dass für die unterschiedliche Finanzkraft der Bund vor Steuereinnahmen nur so überquillt, wäh- der Länder zunehmend der Bund verantwortlich ist und rend Länder und Kommunen nicht genug haben . Ja, wir nicht mehr die Solidargemeinschaft der Länder . Darü- als Bund haben mehr Steuereinnahmen . Aber ich weiß ber mag sich Bayern freuen – Bayern spart 1 Milliarde nicht, ob jeder hier im Haus weiß: Von 1 Euro Einkom- Euro –, aber Länder wie Berlin werden zum Kostgänger mensteuereinnahmen gehen nur 42,5 Cent an den Bund des Bundes . Ob das mit einem selbstbewussten föderalen und 57,5 Cent an die Länder und die Kommunen . Das System zu vereinbaren ist, ist eine Frage, die diese Län- heißt, wenn wir als Bund mehr Steuereinnahmen haben, der selber beantworten müssen . dann haben auch die Länder und die Kommunen ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- meinschaftlich mehr Steuereinnahmen; auch das muss an ordneten der SPD) dieser Stelle klar gesagt werden . Deswegen ist auch die Verschuldung des Bundes höher als die Verschuldung der Der dritte Kritikpunkt, der mich dräut, ist, dass wir, um Länder und Kommunen . Dementsprechend haben wir dieses alles möglich zu machen, umfangreiche Grundge- auch weniger Spielräume . setzänderungen vornehmen müssen . Das Grundgesetz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21777

Ralph Brinkhaus (A) war für mich eigentlich immer etwas Heiliges, das man Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): (C) nur im äußersten Notfall anpackt . Vielen Dank .– Herr Präsident! Meine sehr verehrten (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damen und Herren! Wir haben hier heute die erste Le- NEN]: Das stimmt!) sung eines umfangreichen Gesetzespaketes . Bei meinem Kollegen Dietmar Bartsch kamen Zwischenrufe, und es Die Tatsache, dass wir jetzt so mir nichts, dir nichts, um wurde gefragt, wer alles zugestimmt habe . Ich glaube, wir irgendwelchen Bundesländern finanzielle Vorteile zu müssen hier einmal über unser Selbstverständnis reden . verschaffen, umfangreich in das Grundgesetz eingrei- Wir sind der Deutsche Bundestag, wir haben die Aufga- fen, kann uns auch nicht zufriedenstellen . Auch darüber be, über das Gesetz im Detail zu beraten, und Dietmar müssen wir im Laufe des parlamentarischen Verfahrens Bartsch hat sehr deutlich gemacht, dass es grundlegende reden . Verbesserungen geben muss . Dafür werden wir uns auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hier im Parlament einsetzen . ordneten der SPD und der Abg . Anja Hajduk (Beifall bei der LINKEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben bekanntermaßen im Haushaltsausschuss Wir müssen uns zumindest aber ausreichend Zeit neh- drei umfangreiche Anhörungen geplant, und eine Anzahl men, diese Grundgesetzänderungen ordentlich zu bera- weiterer Ausschüsse wird sich mit diesem Gesetzespaket ten, und dürfen das Ganze jetzt nicht im Schnellverfahren zu beschäftigen haben . Darum müssen die Ungerechtig- durchziehen . keiten, die hier schon benannt worden sind, insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie die Privatisierungsversuche, eindeutig gestoppt werden . bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ganz kurz noch zu dem Strukturpaket: Es geht nicht nur um das Geld, sondern wir wissen alle – wir alle sind Zuerst einmal etwas Positives, eine gute Nachricht: Freunde des Föderalismus –, dass der Föderalismus Eine alte Forderung, die auch von den Linken immer knirscht und kracht und dass es Verbesserungen geben wieder erhoben wurde, wird nun umgesetzt . Alleinerzie- muss, nicht nur im Bereich des Fernstraßenbaus, son- hende Elternteile – in der übergroßen Mehrzahl sind das dern auch im Bereich der Digitalisierung der Steuerver- Frauen, alleinerziehende Mütter –, die keinen Unterhalt waltung . Deswegen haben wir strukturelle Maßnahmen bekommen, können ein bisschen aufatmen . und Veränderungen auf den Weg gebracht . Davon waren (Johannes Kahrs [SPD]: Manuela Schwesig die Bundesländer nicht sonderlich begeistert, aber wer (B) sei Dank! – Beifall der Abg . Ulli Nissen (D) 10 Milliarden Euro haben will, muss an anderer Stelle [SPD]) Zugeständnisse machen . Deswegen ist es auch überhaupt nicht akzeptabel, dass der Bundesrat in seiner ersten – Ja, bitte Beifall, danke . Stellungnahme das Geld nimmt, aber die strukturellen Zugeständnisse wieder infrage stellt . So haben wir nicht (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli gewettet, und so wird dieses parlamentarische Verfahren Nissen [SPD]: Für Manuela Schwesig!) auch nicht laufen, meine Damen und Herren . Das geht Bekanntlich sind alleinerziehende Mütter besonders häu- so nicht . fig von Armut bedroht, und wir unterstützen deshalb die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- se Regelung . ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Es war mir sowieso schon immer ein großes Rätsel, DIE GRÜNEN) wie die Mehrheit in diesem Hause übersehen konnte, Insgesamt gesehen muss man sich den Worten eini- dass Kinder auch nach dem zwölften Lebensjahr eine ger Vorredner anschließen . Wir werden mit diesem Paket Menge Geld brauchen . Gerade in der Pubertät wechselt über die nächsten Jahre kommen, die Bundesländer bes- die Schuhgröße manchmal von einem Tag zum anderen, ser als der Bund; das ist überhaupt keine Frage . Aber die weil die Füße größer werden . Da muss geholfen werden . grundlegende Frage, wie ein moderner Föderalismus im Wir brauchen wirksame Regelungen gegen Kinderarmut . 21 .Jahrhundert in einer europäisierten und globalisierten Das kann nur der erste Schritt sein . Wir werden uns im Welt aussehen muss, haben wir immer noch nicht beant- Wahlkampf sehr deutlich mit dem Thema Kinderarmut wortet . Das müssen wir aber tun; denn ansonsten wird auseinandersetzen, meine Damen und Herren . der Föderalismus mittelfristig scheitern . (Beifall bei der LINKEN) Danke schön . Nun die schlechte Nachricht: Union und SPD – so ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es hier zumindest einmal vorgeschlagen worden; aber ich ordneten der SPD) höre auch sehr viel Kritik aus der Fraktion der SPD, auch von der Union – wollen durch die Hintertür die Autobah- Präsident Dr. Norbert Lammert: nen verscherbeln . Sie selbst bestreiten das zwar – auch Gesine Lötzsch erhält nun das Wort für die Fraktion Herr Schäuble hat versucht, das mit schönen Wortgirlan- Die Linke . den zu umschreiben –, (Beifall bei der LINKEN) (Zurufe von der CDU/CSU) 21778 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Gesine Lötzsch (A) aber selbst der Rechnungshof, der ja eine von uns al- gemacht! – Ulli Nissen [SPD]: Was war denn (C) len hochgeachtete Institution ist, hat geschrieben, dass mit Herrn Ramelow, Frau Kollegin?) es hier um eine funktionelle Privatisierung geht . Dem, Angesichts der vielen Zwischenrufe, die ich hier gehört meine Damen und Herren, müssen wir uns alle entge- habe, und der vielen unterschiedlichen Diskussionsbei- genstellen . träge bin ich guter Hoffnung, dass es uns auch gelingen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wird, zu Verbesserungen zu kommen . neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Herzlichen Dank . GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Denn der Einfluss von Bundestag und Bundesregierung wird, wenn das so umgesetzt wird, gegen null gehen, und der Rechnungshof wird auch nicht mehr kontrollieren Präsident Dr. Norbert Lammert: dürfen . Was in dieser Gesetzesvorlage geplant ist, ist eine Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Lizenz zum Gelddrucken, und zwar für Versicherungs- Johannes Kahrs . fonds und Banken, und das machen wir nicht mit, meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren . (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Johannes Kahrs (SPD): Thomas Jurk [SPD]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier eine Debatte, in der – das hat Wenn sich die Menschen dann über steigende Maut- sich eben schon in den Beiträgen der Kollegen gezeigt – gebühren beschweren werden, werden Sie sagen: Dafür die Opposition relativ wenig Opposition war, weil auch sind wir nicht mehr zuständig .– Das können wir nicht Ministerpräsidenten wie Ramelow und Kretschmann zu- akzeptieren, zumal wir in unserem Nachbarland Frank- gestimmt haben . reich sehen, wie das funktioniert . In Frankreich ist es nämlich so: Da teilen sich drei Konzerne die Mautein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nahmen und realisieren eine Umsatzrendite von 20 bis 24 Prozent . Das sind Renditen, die wir noch von Herrn Die schärfste Kritik dagegen kam von Ralph Brinkhaus Ackermann und der Deutschen Bank kennen . Das ging und Carsten Schneider . Man muss einfach einmal sagen: nur auf dem Rücken der Beschäftigten und der Steuer- Das gibt es relativ selten im Deutschen Bundestag . zahler . Diese Zeiten müssten ein für alle Mal vorbei sein, Wenn man sich den Grund dafür anschaut, erkennt meine Damen und Herren . man: Er liegt darin, dass eine Zustimmungsrate von 16 : 0 nirgendwo im Grundgesetz verankert ist . Eine sol- (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D) che Zustimmungsrate wäre Ausdruck einer neuen Regie- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rungsform in diesem Land, und die Frage ist, ob man das Ich will nur daran erinnern – die Idee ist ja nicht neu –: will . Schon 2015 hat sich die sogenannte Gabriel-Kommissi- Hier hat bisher nur die Exekutive mit der Exekutive on mit der zukünftigen Finanzierung der Autobahnen verhandelt . Hier haben die Länder mit der Bundesregie- beschäftigt und vorgeschlagen, „mit attraktiven Investi- rung verhandelt . Jetzt wird erwartet, dass der Deutsche tionsangeboten kapitalkräftige Versicherungen und Pen- Bundestag dem Ergebnis zustimmt – am besten ganz sionsfonds als Investoren“ zu gewinnen. Das darf nicht schnell, am besten ohne Anhörung und am besten eben geschehen, meine Damen und Herren . Herr Gabriel hat ja so, dass es keiner groß merkt . Ich glaube, das geht nicht . nun ein anderes Aufgabenfeld; also sollte man das auch ad acta legen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Abschließend ist die Frage zu beantworten – auch Wir sind Bundestagsabgeordnete, wir haben ein Selbst- Kollegin Hajduk ist schon darauf eingegangen –, ob die verständnis, und das, was da bisher gelaufen ist, geht Finanzverteilung zwischen den Ländern nun gerechter überhaupt nicht . wird . Das ist mitnichten so . Die reichen Länder haben sich aus der Solidarität verabschiedet, und bei der Vertei- Es gilt immer noch das Struck’sche Gesetz: Kein Ge- lung sehen wir das genau – auf die Studie von Thomas setzentwurf wird den Bundestag so verlassen, wie er in Lenk, Professor für Finanzwissenschaft in Leipzig, ist den Bundestag hineingekommen ist .– Wir haben das ja Frau Hajduk ebenfalls schon eingegangen –: Die Länder heute schon mehrfach gehört . Das halte ich für richtig, werden im Durchschnitt 234 Euro pro Einwohner mehr und das halte ich für gut . Ich glaube, dass es nicht ange- bekommen; in Bayern werden es 271 Euro sein und in hen kann, dass sich die Länder hier mit einem Stimmen- Brandenburg nur 134 Euro .– Gerechtigkeit sieht anders verhältnis von 16 : 0 auf Kosten des Bundes durchsetzen aus, meine Damen und Herren! und dass der Deutsche Bundestag dem sang- und klang- los zustimmt . Die Linke wird für eine Veränderung dieses Gesetzes­ paketes kämpfen . Wenn man sich das in der Sache einmal anschaut, dann kann man sich über Feinheiten streiten . Der Kollege (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brinkhaus hat gegen die Eingrenzung des Kooperations- Leider haben da die ostdeutschen Länder mit- verbotes gewettert . Das hat er schon immer getan; daher Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21779

Johannes Kahrs (A) ist er sich darin treu geblieben . Die Grünen haben uns ge- dass man eine Frage stellt und so lange stehen bleibt, bis (C) mahnt, es nun aufzuheben . Man muss aber auch einmal man eine Antwort bekommt . sagen, dass es der grüne Ministerpräsident Kretschmann war, der in einer Protokollnotiz am härtesten von 16 Mi- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisterpräsidenten gegen die Aufweichung des Kooperati- NEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: onsverbotes vorgegangen ist . Eine Zwischenbemerkung, Herr Kollege! Das steht in der Geschäftsordnung!) (Beifall bei der SPD – Zuruf von der LIN- KEN: Genau!) Wenn man aber keine Frage stellt, sondern ein Statement bringt, dann habe ich jetzt ein Problem . Da muss man sich als Grüner doch einfach einmal fra- gen, warum man hier entsprechend predigt, aber der ei- Ich finde es natürlich gut, dass Sie noch einmal betont gene Ministerpräsident das genaue Gegenteil tut . haben, dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann dagegen ist, dass der Bund Geld gibt, um Schulen zu (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- finanzieren. Dass Sie noch einmal unterstreichen, dass NEN]: Das kommt gelegentlich vor!) Sie das anders sehen, finde ich okay. Aber damit dürfte auch bei den Letzten die Nachricht angekommen sein, Es gibt den Wunsch nach eine Zwischenfrage, Herr dass sich die Grünen nicht einig sind .– Vielen Dank . Sie Präsident . dürfen sich setzen . (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ja, ich habe es gesehen. Ganz offenkundig haben Sie Im Ergebnis ist es aber so, dass neben diesem Punkt darauf gewartet . auch andere Punkte enthalten sind . Das Thema Unter- haltsvorschuss ist bereits erwähnt worden . Ich danke (Heiterkeit bei der SPD) Manuela Schwesig für ihren monatelangen Kampf . Das Bitte schön, Frau Haßelmann . war nicht ganz einfach; wir wissen das . Daher freuen wir uns, dass du dich dort durchgesetzt hast .

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Herr Präsident . Vielen Dank auch, Herr Im Ergebnis, denke ich, ist es nämlich so, dass gerade Kahrs, dass Sie die Frage zulassen .– Um keinen falschen den Alleinerziehenden, über die viel geredet wird, die Eindruck entstehen zu lassen: Ich spreche mich mit Herrn aber manchmal ziemlich allein sind, geholfen wird . Das (B) Kahrs nicht ab . ist eines der guten Dinge . (D) Ich habe eine Frage zu dem, was Sie gerade gesagt ha- (Beifall bei der SPD) ben . Herr Kahrs, der Neuigkeitswert Ihrer Aussage geht doch gen null . Dass Herr Kretschmann dazu eine andere Was schwierig ist, ist allerdings, dass wir 13 Grund- Position hat als die grüne Bundestagsfraktion gesetzänderungen haben . Wir haben alle hart darum gerungen, dass wir sechs Anhörungen in drei Tagen (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchführen können . Wir müssen im März sehr genau NEN]: Das ist Jahrzehnte bekannt!) prüfen, inwieweit wir das, was es an Diskussions- bzw . Beratungsbedarf gibt, in diesen drei Sitzungen behandeln und sehr viele andere grün-regierte Länder, ist hinrei- können . Ich bin den Kollegen der CDU/CSU sehr dank- chend bekannt, und zwar seit Jahrzehnten, lange vor die- bar, dass wir das gemeinsam so beschlossen haben . Das sen Vereinbarungen . ist nicht einfach . Aber ich denke, es kann nicht angehen, Wenn Sie dieses Prinzip gern als Maßstab anlegen, dass zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregie- dann muss ich sagen: Uns ist durch öffentliche Einlas- rung jahrelang diskutiert wird und wir das hier einfach sungen auch bekannt, dass sich Ihr neuer Spitzenkandi- durchwinken . Für mich ist das nicht akzeptabel . Deshalb dat Schulz öffentlich massiv gegen die Managergehälter meine ich, dass man sich das im Ergebnis genau anschau- positioniert, wie wir Grünen dies ebenfalls tun, gleich- en muss . zeitig aber die Vertreter der Regierung in Niedersach- Es gibt nämlich Dinge, von denen ich auch persön- sen – das gilt für die CDU/FDP-Koalition als auch für lich denke, dass man noch etwas ändern muss . Das sind die SPD; ich nenne hier die Ministerpräsidenten Wulff beispielsweise die Rechte des Bundesrechnungshofes . Er und Weil – für alle entsprechenden Regelungen bei VW hat eine wichtige Aufgabe . Wenn wir die Stärkung seiner gestimmt haben . So ist es manchmal im Leben, und ich Rechte gemeinsam durchsetzen können, würde mich das denke, es ist wichtig, dass unsere grüne Fraktion ihre Po- jedenfalls sehr freuen . sition deutlich macht . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke auch, dass die Rechte des Bundes mit Blick Johannes Kahrs (SPD): auf die Steuerverwaltung gestärkt werden müssen . Jetzt habe ich das Problem, Frau Kollegin – und ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bedaure das, weil Sie eine so erfahrene Kollegin sind –, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ dass die Frage gefehlt hat . Eigentlich ist es ja so üblich, DIE GRÜNEN) 21780 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Johannes Kahrs (A) Ich bin immer ein großer Fan einer einheitlichen Bun- zent haben . Das kann nicht das Interesse des Deutschen (C) dessteuerverwaltung gewesen, und ich denke, dass dieser Bundestages, des Steuerzahlers Wirrwarr mit den Ländern aufhören muss . Wenn wir das schon nicht komplett schaffen, muss es zumindest stärke- (Beifall bei der SPD) re Kontrollrechte des Bundes geben, damit in allen Län- und in diesem Fall auch des Autofahrers sein, der dies dern gleiches Recht existiert . dann über eine neu geschaffene Pkw-Maut langfristig Außerdem müssen wir uns das Thema der Bundes- zahlen wird . fernstraßengesellschaft noch einmal genau anschauen . Vielen Dank . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich bin dem Bundesminister der Finanzen sehr dankbar, dass er eben gesagt hat, dass diese neue Gesellschaft

nicht kreditfähig sein wird . Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Valerie Wilms für (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . CSU)

Wir Haushälter hatten große Angst, dass hier das Pro- Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): blem von Schattenhaushalten entsteht . Das kann und darf Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! so nicht sein . Meine Damen und Herren! Herr Kahrs, das Spezialthe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ma Autobahngesellschaft, das Sie angesprochen haben, der CDU/CSU) würde ich gerne mit Ihnen noch einmal behandeln; denn im Straßenbau – da sind wir uns, glaube ich, alle einig – Gleichzeitig glauben wir aber nicht, dass eine GmbH läuft einiges schief . die richtige Lösung wäre, um hier um die Kurve zu kom- men . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir schaffen es einfach nicht, Straßen und Brücken vernünftig zu erhalten . Erst fehlt jahrelang das Geld, Wir haben das anderswo erlebt . Wenn man den Bericht dann stecken wir Milliarden rein, und am Ende gelingt es des Bundesrechnungshofes liest, dann stellt man fest, (B) nicht, dieses Geld auszugeben . Wir verhaken uns in den (D) dass nach wenigen Jahren die Rechtsform in Richtung Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern . Der Bund Aktiengesellschaft geändert werden kann . Das haben wir stellt die goldene Kreditkarte bereit, die Länder sollen bei der Deutschen Bahn erlebt . Jeder, der erklärt, dass das Geld ausgeben . So eine Trennung in den Verantwort- die Deutsche Bahn ein wunderbares Instrument ist, um lichkeiten geht immer schief . Das heutige System der irgendetwas effizient und vernünftig zu organisieren, Auftragsverwaltung funktioniert nicht oder zumindest der möge das doch einfach einmal täglich ausprobieren . nicht so, wie das die Bürgerinnen und Bürger von uns Dann kommt er vielleicht zu anderen Ergebnissen . Ich erwarten . Da muss eine Reform her . persönlich halte eine Anstalt des öffentlichen Rechts für die richtige Rechtsform . Jetzt steht die Frage im Raum, ob die geplante Auto- bahngesellschaft die Probleme lösen kann . So eine Re- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten form bringt nur etwas, wenn die Organisation damit tat- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sächlich effizienter wird und die Verantwortlichkeiten in Ich glaube, dass wir hier kein Geldproblem haben, einer Hand liegen . Ich glaube, Herr Kahrs, da liegen wir sondern ein Organisationsproblem . Wenn es denn dann nicht weit auseinander . Wenn es andere Absichten gibt, so sein sollte, dass die Länder zustimmen, dass das bekommen wir früher oder später massive Probleme . Die Ganze auf Bundesebene stattfindet, dann müssen wir Zeiten neoliberaler Privatisierungsorgien – da schaue ich auch dafür sorgen, dass es funktioniert . Nur weil es eine einmal zum Finanzminister – müssen ein für alle Mal Bundesverwaltung wird, heißt das nicht, dass sie besser vorbei sein . funktioniert . Ich könnte jetzt über die Wasserstraßen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Schifffahrtsverwaltung des Bundes sprechen. Es gibt sowie bei Abgeordneten der LINKEN – also bestimmte Gesellschaften des Bundes, bei denen das Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann nicht so toll funktioniert . Bei der Bundeswehr erleben waren die eigentlich?) wir das auch ab und an . Öffentliches Eigentum darf schlicht und ergreifend Im Ergebnis ist es so, dass wir hier eine Anstalt öf- nicht verschleudert werden . fentlichen Rechts brauchen . Ich glaube, diese sollte nicht kreditfähig sein . Da müssen wir ganz klar aufpassen und (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE alle gemeinsam darauf achten, dass nachher nicht über LINKE]) die Hintertür eine Privatisierung dieser Bundesautobah- nen stattfindet mit dem Ergebnis, dass die beteiligten Fir- Die Straßen gehören allen . Dafür muss die Politik dauer- men dann wie in Frankreich Renditen von 22 bis 27 Pro- haft sorgen . Deswegen muss der Gesetzgeber hier ganz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21781

Dr. Valerie Wilms (A) klar sein: Keine Privatisierung zu keinem Zeitpunkt! Wo es an Klarheit mangelt, müssen wir jetzt als Parla- (C) Punkt, aus, vorbei! ment ran . Das ist üblich . Der Bundesrat hat einige inter- essante Vorschläge gemacht . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Alles, was eine Hintertür öffnet, müssen wir ausschlie- Die können Sie, Frau Kollegin, jetzt aber nicht mehr ßen. Trickreiche Konstruktionen für öffentlich-private erläutern . Partnerschaften brauchen wir einfach nicht mehr .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE Die sollten wir uns bei den Fachberatungen einmal ge- LINKE]) nau ansehen .– Herr Präsident, damit bin ich auch schon Auch irgendwelche Anlagemodelle für die Versiche- am Ende . rungswirtschaft haben hier nichts verloren; denn im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Straßenbau fehlt nicht in erster Linie Geld . Was uns aber fehlt, sind: erstens eine effiziente Organisation mit ein- deutigen Verantwortlichkeiten Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie schön, ich bedanke mich . – Norbert Brackmann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion . und zweitens die Bereitschaft der Politik, das Anlagever- (Beifall bei der CDU/CSU) mögen des Staates endlich einmal vernünftig zu bilanzie- ren . Das haben wir bis heute noch nicht getan . Norbert Brackmann (CDU/CSU): Werte Kolleginnen und Kollegen, da es um Geld geht, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und kann ich gleich zum nächsten Punkt kommen: zu der Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung die Ab- Kreditfähigkeit . Hier gibt es zwei Dinge, auf die wir ach- schaffung des klassischen Länderfinanzausgleichs. Der ten müssen . Erstens . Wenn sich die Autobahngesellschaft erste Eindruck ist: Eine Änderung des Grundgesetzes an verschulden kann, dann kann damit die Schuldenbremse 13 Stellen ist nicht unbedingt hilfreich, wenn man den umgangen werden . Das wollen wir eindeutig nicht . Menschen Politik erklären will . Wir sind aber gehalten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Menschen Politik zu erklären, damit sie sie begrei- sowie bei Abgeordneten der SPD – Johannes fen können . Dazu gehört auch, dass man das transparent Kahrs [SPD]: Der Minister auch nicht!) macht, was man durchsetzen will . (B) (D) Zweitens . Wenn die Gesellschaft Kredite ohne Staats- Es ist der Eindruck entstanden, als ginge es darum, garantie aufnimmt, dann wird es teurer, weil sie höhere dass die Länder kein Geld mehr hätten, um ihre Auf- Zinsen zahlt als der Staat . Auch daran haben wir kein In- gaben zu erfüllen, und dass der Bund dort helfen müs- teresse . se . Das blendet aber aus, dass die Länder im Jahr 2015 2,8 Milliarden Euro und im Jahr 2016 8,6 Milliarden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Euro Überschuss gemacht haben . 14 von 16 Ländern ha- Ich habe mit Interesse vernommen, was Herr Schäuble ben das Geld genommen, um Schulden zu tilgen, aber heute gesagt hat . Er war in der Vergangenheit trotz vie- nicht, um die viel beschworenen Aufgaben, die auch ler Nachfragen von mir oder von Kollegen noch nie so heute Morgen wieder diskutiert wurden, in Angriff zu eindeutig . Schauen wir einmal, ob er es auch durchhält . nehmen, wie zum Beispiel Schulen sanieren oder andere wichtige Landesaufgaben . Werte Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe die Skepsis vieler gegenüber einer Autobahngesellschaft . Es Es geht uns doch ein Stück Transparenz verloren, wurde in der Vergangenheit viel Murks bei der Auslage- wenn wir mit der Aufhebung des Kooperationsverbotes rung von staatlichen Aufgaben gemacht . Ganz wichtig diesen Weg der Verschleierung weitergehen würden . So- sind deswegen sinnvolle und wirksame demokratische lange wir keine klaren Verantwortlichkeiten haben, so- Kontrolle und Transparenz . lange wir nicht wissen, wer wofür zuständig ist, so lange werden wir nur provozieren, dass es weitergeht in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 16 : 0 - oder 16 : 1-Ränkespiel . Wir brauchen keine Straßenbaumaschine, die wild Am Ende werden wir auch für die kaputten Toiletten drauflosbaut. Die Politik muss klare Ziele vorgeben und in den Kommunen verantwortlich gemacht . Es geht dann damit wirksam steuern. Wir müssen effektiv kontrollie- nicht mehr um die Frage: „Haben wir die Fähigkeit, ir- ren können, dass die Ziele umgesetzt werden und was gendwo etwas mitzufinanzieren?“, sondern um die Frage: mit Maut und Steuergeld gemacht werden . Wir kennen Haben wir in Wirklichkeit die Zuständigkeit, und werden die Probleme bei ÖPPs und bei der Bahn . Daraus müssen wir für jedes Defizit in jedem Dorf in ganz Deutschland wir lernen, und deswegen schließen wir Grüne eine Akti- als Bund künftig verantwortlich gemacht? engesellschaft ein für alle Mal aus . Dieser Punkt spielt schon eine Rolle . Insofern reden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir nicht erst, seit wir die heute zu beratende Vorlage auf Werte Kolleginnen und Kollegen, der Entwurf der dem Tisch haben, über 16 : 0; dieser Eindruck verbreitet Bundesregierung hinterlässt noch einige Fragezeichen . sich auch in den Medien . Was die Menschen am wenigs- 21782 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Norbert Brackmann (A) ten brauchen, ist, dass wir uns immer über Zuständigkei- Es ist ja so, dass heute nicht nur wir Politiker sagen, (C) ten streiten . Die Menschen wollen, dass wir endlich ihre sondern auch in den Medien zu lesen ist: Ein großes Pro- Probleme anpacken und auch lösen . Und da ist es dann blem – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in der auch wieder wichtig, darüber zu diskutieren, wie wir das ganzen Welt – und eine bedeutende Ursache von Frust angehen . bei den Menschen ist die Tatsache, dass die Schere zwi- schen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht . Nehmen wir das Beispiel der Autobahngesellschaft: Da streiten wir uns darum, wie wir es im Einzelnen aus- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die gestalten . Klar ist aber, dass es hier nicht um eine Frage OECD sagt was anderes!) der Kooperation geht . Wir sind – Carsten Schneider hat Hier ist schon gesagt worden – es stimmt, und ich will es es angesprochen – für gleichwertige Lebensverhältnisse unterstreichen –: Wenn dieses Gesetz, auch in veränder- zuständig . Aber schon heute – da geht es nicht einmal um ter Form, vom Deutschen Bundestag beschlossen wird Kooperation, weil die Länder nach unserer Verfassung im und die Verfassung geändert wird, dann werden wir dazu Rahmen der Auftragsverwaltung dafür zuständig sind – beitragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich gibt es vorsorglich die Aussage: Wir spielen da nicht mehr mit . – Einzelne Länder sagen: Wir haben da ja noch (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen zweiten Finanzausgleich .– Es geht also nicht nur NEN]: Dann muss man aber eine ganze Men- um den Finanzausgleich, über den wir hier reden . Denn ge drehen!) die Länder sparen bei Investitionen in Autobahnen und bezogen auf die Bundesländer in Deutschland immer Bundesstraßen im Schnitt auch noch 15 Prozent der In- weiter auseinandergeht . Damit würden wir einen Beitrag vestitionskosten, weil sie die Planungskosten nicht mehr dazu leisten, dass das, was in unserer Verfassung steht, aufbringen müssen . Das sind für das Jahr 2016 noch ein- dass wir nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse mal über 200 Millionen Euro, und das muss man einmal in der Republik zu sorgen haben, immer schwieriger zu hochrechnen . Das ist heute schon Anreiz für manch ein erreichen und alleine vom Bund zu schultern sein wird . Land, einfach zu sagen: Wir stellen die Arbeit ein . Darum ist es nicht verwunderlich, dass quer durch alle Als Beleg will ich einmal ein wörtliches Zitat neh- Fraktionen, insbesondere von den Mitgliedern des Haus- men – 9 . Februar, Verkehrsminister Meyer, Schles- haltsausschusses, hier heute schon sehr viel grundsätz- wig-Holstein –: lich Problematisches und Negatives zu den Rahmenbe- dingungen dieser Reform gesagt worden ist . „Mit Blick auf die Infrastrukturgesellschaft Verkehr, (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die künftig für die Bundesautobahnen und damit NEN]: Zu Recht gesagt worden ist!) (B) auch für die neue Teilanschlussstelle bei Hamberge (D) zuständig sein wird, wurden die Planungsaktivitä- Dem will ich mich ausdrücklich anschließen . ten für die Anschlussstelle erst einmal zurückge- Zu der Infrastrukturplanungsgesellschaft sagt der stellt“, erklärte der Minister. Das Land werde keine Bundesrechnungshof, auf den hier schon sehr oft verwie- finanziellen Ressourcen für ein Projekt einsetzen, sen wurde, seit Jahren: Das muss besser werden als der dass demnächst in der alleinigen Verantwortung des Status quo, als die Auftragsverwaltung .– Dem schließe Bundes liege . ich mich an . Wir können mit dem heutigen Stand nicht Das heißt, da gibt es heute schon – entgegen unserer zufrieden sein. Eine Entflechtung der Zuständigkeiten, Verfassung, entgegen den Zuständigkeiten – Arbeitsver- also Finanzierung, Planung und Bau in eine Hand zu le- weigerung, also eine Verweigerung, die eigene Arbeit zu gen, ist ein guter Weg . Das wäre besser, wenn es denn machen . Die Erklärung dafür, dass beim Lärmschutz an gelingt . Wir müssen uns anschauen, ob man mit den Ge- Straßen schon heute die Arbeit eingestellt wird, ist die setzentwürfen, die hier vorgelegt wurden, diesem Ziel Aussicht auf schnöden Mammon in der Zukunft . So kann gerecht werden kann . keine Reform gelingen, meine sehr verehrten Damen und Herr Schäuble, ich habe mit Freude gehört, dass Sie Herren . vorhin gesagt haben, diese Gesellschaft solle nicht kre- ditfähig sein . Allerdings sagt der Bundesrechnungshof – (Beifall bei der CDU/CSU) auch das ist zu betonen –: Im Gesetzentwurf steht das leider nicht so drin . – Das heißt, wir müssten den Gesetz- Präsident Dr. Norbert Lammert: entwurf an dieser Stelle verändern . Ich erteile der Kollegin Bettina Hagedorn für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des SPD-Fraktion das Wort . BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Das Gutachten des Bundesrechnungshofs besagt ganz eindeutig, dass in dem Gesetzentwurf drei Phasen vorge- Bettina Hagedorn (SPD): sehen sind und nur in der ersten Phase eine Kreditfähig- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! keit nicht vorgesehen ist . In der zweiten und dritten Phase Auch ich möchte ausführlich auf das hier schon häufig werde sie aber hergestellt, und die dritte Phase soll schon angesprochene Thema der neu zu gründenden Infrastruk- 2020 erreicht sein, sodass die Gesellschaft dann die Kre- turgesellschaft des Bundes für die Autobahnen eingehen . ditfähigkeit hätte . Wenn wir das nicht wollen – und ich Aber eine Bemerkung sei mir vorab gestattet . habe dem Beifall vorhin entnommen, dass wir das nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21783

Bettina Hagedorn (A) wollen –, dann greift an dieser Stelle das Struck’sche Ge- will, glaube ich, ein solches intransparentes Monstrum, (C) setz: Wir müssen den Gesetzentwurf ändern . das am Ende nicht mehr der parlamentarischen Steue- rung und Kontrolle unterliegt . Darum müssen wir hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten etwas tun . der LINKEN und des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In dem vorgelegten Gesetzentwurf sind Prüfrechte Wir müssen also sehr viel tun . 13 Grundgesetzände- des Bundesrechnungshofs nicht vorgesehen . Auf unsere rungen werden – das ist hier schon gesagt worden – an- Nachfrage hat das Bundesfinanzministerium erklärt, das gestrebt . Liebe Gesine Lötzsch, du hast vorhin gesagt, könnten wir im parlamentarischen Verfahren ändern . Das wir hätten drei Anhörungen . Nein, wir haben sechs An- stimmt, und ich gehe davon aus, dass wir das tun . Aller- hörungen . dings muss man fragen, warum diese Prüfrechte in der Vorlage der Regierung nicht drinstehen; denn eines ist (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Drei wahr: Wenn der Bundesrechnungshof keine Prüfrechte Tage!) hat, dann haben wir Abgeordneten auch keine Chance, Wir haben gestern beschlossen, sechs Anhörungen an im Haushaltsausschuss unserer Aufgabe der Kontrolle drei Tagen innerhalb von drei Wochen durchzuführen . Zu und letzten Endes auch der Steuerung der Ausgabenströ- jeder Anhörung werden wir neun Sachverständige einla- me – dabei geht es um Milliarden –, die wir anstreben, den . Das heißt, wir erwarten innerhalb von drei Wochen gerecht zu werden . Insofern müssen wir die Prüfrechte über 50 Gutachten, die wir alle nicht nur lesen, sondern des Bundesrechnungshofs einfügen . Sonst entmachten vor allen Dingen auch bewerten müssen . Dafür brauchen wir uns als Abgeordnete selber . wir Zeit. Bei einem solch umfangreichen Eingriff, wie er (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hier schon vielfach beschrieben worden ist, geht Gründ- lichkeit vor Schnelligkeit . Das Stichwort „Privatisierung“ ist hier zu Recht schon häufig genannt worden. Es ist gut, dass Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns . Ich bin am 24 . November 2016 durchgesetzt hat, dass neben der froh, heute aus allen Fraktionen gehört zu haben: Ja, die- einfachen Privatisierungsbremse, die mit den Stimmen se Aufgabe nehmen wir verdammt ernst . Darum: Wenn aller 16 Ministerpräsidenten am 14 .Oktober 2016 abge- es eine Zustimmung zur Verfassungsänderung mit Zwei- segnet wurde, eine zweite Privatisierungsbremse in den drittelmehrheit geben soll, dann – davon gehe ich aus – Regierungsentwurf eingefügt wurde, es also eine dop- muss der Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten ver- pelte Privatisierungsbremse gibt . Allerdings – auch das ändert werden . will ich hier deutlich sagen – ist das nichts, worauf wir Vielen Dank . (B) uns ausruhen können . Wir müssen an dieser Stelle drin- (D) gend nachbessern, da funktionale Privatisierungen, zum (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Anja Beispiel über Netz-ÖPP, möglich sind . Der Bundesrech- Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nungshof hat uns dazu dankenswerterweise aufgeschrie- ben – sehr klug –, welche Privatisierungen durch die Präsident Dr. Norbert Lammert: Hintertür es geben könnte, wenn wir den Gesetzentwurf Alois Rainer ist der nächste Redner für die CDU/ so belassen, wie er jetzt ist . Ich gehe davon aus, dass wir CSU-Fraktion . das nicht wollen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs [SPD]) Der Bundesrechnungshof hat uns hinsichtlich der Ge- sellschaftsform darauf aufmerksam gemacht, dass wenn, Alois Rainer (CDU/CSU): wie im Gesetzentwurf vorgesehen, jetzt eine GmbH ins- Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und talliert wird, eine Aktiengesellschaft nicht ausgeschlos- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! sen ist . Ich schließe mich diesbezüglich meinem Kolle- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung gen Johannes Kahrs an: Wir von der SPD-Fraktion halten des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem eine Anstalt öffentlichen Rechts für die richtige Form; Jahr 2020 wollen wir nicht nur die finanziellen Weichen diese wäre aber ausgeschlossen, wenn der Gesetzentwurf für unsere föderale Struktur in Deutschland neu stellen, so bliebe . Ich habe nicht gehört, dass irgendjemand in sondern auch die Zusammenarbeit von Bund und Län- diesem Parlament die Aktiengesellschaft will . Sogar das dern modernisieren . Mehrmals – es ist schon angespro- BMF hat gesagt, dass es die Aktiengesellschaft eigentlich chen worden; ich werde später noch darauf eingehen – nicht will . Ich frage mich allerdings, warum sie weiterhin trafen sich die Regierungschefs von Bund und Ländern, im Prüfauftrag enthalten ist . um die Eckpunkte zur Neuregelung des Bund-Länder-Fi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nanzausgleichs festzulegen . BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zusätzlich muss auch das Grundgesetz an der einen Der Bundesrechnungshof warnt uns davor . Er sagt: Lie- oder anderen Stelle neu geregelt oder ergänzt werden . be Parlamentarier, wenn ihr diesen Prüfauftrag nicht Grundsätzlich werden die Länder durch die Einigung streicht, kann in Zukunft ohne Parlamentsbeteiligung aus ab 2020 per anno um circa 10 Milliarden Euro entlastet . einer GmbH eine AG entstehen .– Als Beispiel wurde die Dies ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle, ein statt- Deutsche Bahn genannt . Niemand von uns im Parlament licher Betrag. Damit ist der Bund den Ländern finanziell 21784 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Alois Rainer (A) sehr weit entgegengekommen und übernimmt auch noch Diese Ministerpräsidentenkonferenz – gestern das (C) zusätzliche Aufgaben . 5 : 1 des FC Bayern gegen Arsenal war ja auch schön –

Ich sagte eingangs, dass wir mit den Änderungen auch (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der die Strukturen modernisieren wollen, etwa bei der Steuer- CDU/CSU) verwaltung und mit Blick auf die Einwirkungsrechte für ist meines Erachtens durchaus sinnvoll . Finanzhilfen an die Länder . Auch soll es Verbesserungen bei der Digitalisierung der Verwaltungen geben . Außer- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem bekommt der Bund, wie bereits angesprochen, die NEN]: Das kann ich verstehen, dass das von vollständige Verantwortung für die Bundesautobahnen . der CSU kommt!) Es ist ein wahrlich großer Schritt, die Verwaltung der – Ich werde gleich noch etwas dazu sagen . – Denn wir Autobahnen gesamtheitlich zu übernehmen . Genau des- können uns in diesem Haus schön einig sein, wenn wir halb müssen und werden wir hier im parlamentarischen jedoch über dieses Gesetzesvorhaben keine Einigung im Verfahren besonders aufpassen und vorsichtig agieren . Bundesrat erzielen, werden wir in den nächsten Jahren Denn das darf nicht dazu führen, dass gute Strukturen keinen Erfolg haben . den Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes zum Op- fer fallen . (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wissen wir ja!) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kollegin, jetzt sage ich Ihnen einmal eines, Als bayerischer Abgeordneter spreche ich natürlich wenn Sie die CSU und vielleicht die Solidarität der CSU auch davon, dass es in Bayern funktioniert . ansprechen: (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall des Abg . Philipp Graf Lerchenfeld NEN]: Ja, genau!) [CDU/CSU]) Bayern zahlt momentan 55 Prozent in den Länderfinanz­ Der Ausbau der Bundesfernstraßen in Bayern funktio- ausgleich . niert . Kein anderes Bundesland ruft so viele Mittel für den Straßenbau ab wie Bayern . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn das kei- Als Haushaltsberichterstatter für den Bereich des Fa- ne Solidarität ist!) milienministeriums ist es für mich heute natürlich eine Nur dies ist solidarisch . besondere Aufgabe, ein paar Worte über den Unterhalts- (B) vorschuss zu verlieren . Ich freue mich über den Vorstoß (Petra Crone [SPD]: Ihr habt auch oft genug (D) der Ministerin . So konnte unsere AG Familie ihren schon etwas bekommen! Nun aber langsam!) länger gehegten Wunsch, den Unterhaltsvorschuss zu re- Dann sage ich Ihnen noch etwas: Diese Entlastung in formieren, jetzt erfolgreich umsetzen . Ich bin auch äu- Höhe von 1,35 Milliarden Euro, die Bayern aus der neu- ßerst froh darüber, dass diese Änderungen erst Mitte des en Struktur erhalten wird, wird sich innerhalb von drei Jahres greifen . Denn wenn wir jetzt einen Schnellschuss Jahren wieder kompensieren . gemacht hätten, wer weiß, was dann am Ende des Tages dabei herausgekommen wäre . Es ist auch richtig, dass (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir die Alleinerziehenden dementsprechend unterstützen DIE GRÜNEN) können . Da sind wir mit dabei . Und das Nächste sage ich Ihnen auch: Ein Stück weit Ich freue mich auch, dass diese Regelung mit den sind die Länder schon selbst für ihr eigenes Glück ver- Ländern herbeigeführt worden ist . Aber ich habe in je- antwortlich . der Rede, in jeder Ausführung im Ausschuss gesagt: Ich (Beifall bei der CDU/CSU) bin bei Verbesserungen des Unterhaltsvorschusses dabei . Jedoch darf man nie vergessen, dass es ein Vorschuss ist . Man kann nicht ständig mit dem Finger auf den Bund Man darf auch nicht vergessen, dass – darüber bin ich zeigen und seine Hausaufgaben zu Hause nicht machen . froh – bei der Rückholquote Verbesserungen angestrebt (Beifall bei der CDU/CSU) werden . Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss (Beifall bei der CDU/CSU) weiter daran arbeiten . Der Bund – da bin ich dabei –, die- se Bundesregierung, unterstützt die Länder und die Kom- Ich nenne da nur zwei Zahlen: Bayern 30 Prozent, Bre- munen wie noch keine Regierung zuvor . men 11 Prozent . In dieser Spanne bewegen wir uns in Deutschland . Ich würde mir wünschen, dass wir auch in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesem Bereich Erfolge erzielen . Wir können das auch, weil wir gute Steuereinnahmen ha- ben . Aber auch diese guten Steuereinnahmen sind nicht Heute ist viel philosophiert worden über 16 : 0 oder so einfach vom Himmel gefallen . 15 : 1 . Deshalb freue ich mich, dass wir jetzt in der ersten (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Lesung diesen Länderfinanzausgleich – wenn ich es so GRÜNEN]: Fünf zu eins!) nennen darf – beraten haben, freue mich aber auch auf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21785

Alois Rainer (A) die Anhörungen und das parlamentarische Verfahren, Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der (C) das durchaus notwendig ist . Und so selbstbewusst sind Bundesministerin Manuela Schwesig . wir als Parlamentarier, dass wir uns durchaus zutrauen, in diesem Verfahren noch die eine oder andere Verbesse- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung in unserem Sinne zu erreichen . der CDU/CSU) In diesem Sinne vielen herzlichen Dank . Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, (Beifall bei der CDU/CSU) Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Präsident Dr. Norbert Lammert: Damen und Herren Abgeordnete! Heute ist ein wichtiger Ich schließe die Aussprache . Tag für Frauen und Männer in unserem Land, aber ins- besondere für Frauen . Denn mit zwei Gesetzentwürfen, Über den weiteren Verlauf von Champions-Le- die heute hier im Parlament beraten werden, wertschät- ague-Spielen sind keine Beschlüsse herbeizuführen, aber zen wir die Leistung von überwiegend Frauen, aber auch wir müssen uns über den Umgang mit den hier zur De- Männern besser . In der vorigen Debatte zum Unterhalts- batte stehenden Materialien verständigen . vorschuss ging es um die wirklich starke Leistung von alleinerziehenden Frauen und Männern – aber zu 90 Pro- Hierzu gibt es einen interfraktionellen Vorschlag, zent sind Alleinerziehende eben Frauen –, die jeden Tag die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/11131, unheimlich viel leisten . Alle von uns, die wir Kinder 18/11186, 18/11135 und 18/11185 an die in der Tagesord- haben, wissen: Es ist schon zu zweit ein Riesenkraftakt, nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .– Das ist und gelegentlich kommt man an seine Grenzen . Wer offensichtlich einvernehmlich und damit so beschlossen. dabei alleine ist, der hat meinen großen Respekt . Wenn Dann kommen wir unter dem Tagesordnungspunkt 3 c man dann noch finanzielle Probleme hat, ist es besonders zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- schwierig . Deshalb ist es gut, dass wir hier ein Zeichen che 18/11165 . Die Fraktion Die Linke wünscht Abstim- für die Bekämpfung der Kinderarmut, aber auch für die mung in der Sache . Die Fraktion CDU/CSU wünscht Anerkennung der Leistung von alleinerziehenden Frauen Überweisung, und zwar federführend an den Haushalts- und Männern setzen . ausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Ich danke in dieser Debatte denen, die dieses Thema (B) Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des- (D) halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer aufgerufen haben . Es waren vor allem Männer, in der stimmt dagegen? – Die Antragsteller . Wer enthält sich? – SPD-Fraktion, aber auch in der CDU/CSU-Fraktion . Ich Keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen . will auch Finanzminister Schäuble erwähnen, der ge- meinsam mit mir mit den Ländern verhandelt hat, damit Beim Zusatzpunkt 2 geht es um die Beschlussemp- wir das hinbekommen . Auch ihm gilt mein Dank . fehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem (Ulli Nissen [SPD]: Und unser Dank gilt dir!) Titel „Planungen für die Gründung einer Bundesfern- In unserem Entwurf eines Gesetzes für mehr Lohn- straßengesellschaft sofort einstellen“. Der Ausschuss gerechtigkeit, den wir jetzt beraten, geht es auch um die empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Anerkennung von Leistung, um die Anerkennung der sache 18/8885, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Leistung insbesondere von Frauen . Wir wollen, dass Drucksache 18/6547 abzulehnen . Wer stimmt dieser Be- Frauen, die arbeiten, in unserem Land genauso fair be- schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer zahlt werden wie Männer – nicht mehr, aber eben auch enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit nicht weniger . den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der An- tragsteller bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grünen angenommen . der LINKEN) Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Meine Damen und Herren, wir brauchen solche Gesetze, Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- um die Rechte von Frauen zu stärken, in der Arbeitswelt gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde- und in der Familienwelt . Gleichzeitig müssen wir das, rung der Transparenz von Entgeltstrukturen was wir schon erreicht haben, bewahren . Drucksache 18/11133 Sehr geehrter Herr Präsident, weil ich heute die Gele- genheit habe, dann zu reden, wenn Sie im Hohen Hause Überweisungsvorschlag: sind, möchte ich Ihnen für Ihre klaren Worte gegen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Rechtspopulisten im Rahmen der Bundesversammlung Ausschuss für Arbeit und Soziales danken . Das hat sehr, sehr gut getan . Auch hier ist eine 77-minütige Debatte vorgesehen .– (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dazu sehe ich keine anderen Vorschläge . Wir können der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- also so verfahren . NISSES 90/DIE GRÜNEN) 21786 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Bundesministerin Manuela Schwesig (A) Denn diese Rechtspopulisten sind nicht nur gegen Frem- Aber selbst, wenn man das alles wegnimmt, ist im- (C) de, sondern sie stellen auch einen gesellschaftlichen mer noch eine Lohnlücke von 7 bis 8 Prozent vorhanden . Konsens infrage, nämlich den gesellschaftlichen Kon- Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir müs- sens von uns Demokraten hier im Parlament – unabhän- sen uns fragen: Wollen wir, dass auch diese Generation gig von einzelnen Instrumenten –, dass die Forderungen von jungen Mädchen, die heute hier sitzen, die oft besser nach gleichen Rechten für Frauen und Männer, nach sind als ihre Geschlechtsgenossen, in Zukunft weiter so Gleichberechtigung von Frauen und nach Gleichstellung schlecht behandelt wird? Wollen wir das auch für unsere bei den Chancen kein Genderquatsch sind, sondern dass Kinder? dies in unserer Demokratie Grundrechte sind . ( [SPD]: Nein, das wollen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir nicht!) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Oder wollen wir das nicht endlich verändern? NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben schon viel verändert . Wir haben mit dem Es ist wichtig, hier klare Kante zu zeigen . Wir wol- Elterngeld Plus und mit mehr Kitaausbau dazu beige- len die Rechte von Frauen, die viele Frauen und einige tragen, dass es mehr Möglichkeiten gibt, Beruf und Fa- ­toughe Männer in den Jahrzehnten vor uns erkämpft ha- milie zu vereinbaren . Wir brauchen aber einen weiteren ben – vom Frauenwahlrecht bis hin zu mehr Chancen in Schritt . Wir müssen erreichen, dass sich Unternehmen, der Arbeitswelt –, nicht nur verbessern, sondern sie auch aber auch der öffentliche Dienst mit der Frage der Lohn- vor Kräften in unserer Gesellschaft, die diese Entwick- lücke beschäftigen und hinschauen: Warum sind es vor lung zurückdrehen wollen, schützen und bewahren . allem Frauen, die Teilzeit arbeiten? Warum möchten 35 Prozent der Teilzeitbeschäftigten in unserem Land (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eigentlich mehr arbeiten, können es aber nicht? Warum haben die jungen Väter immer noch Hemmungen, zu sa- Da, Herr Präsident, haben Sie klare Worte gefunden . Das gen: „Ich will eigentlich in Elternzeit gehen, ich will gern war gut, mutig und richtig und hat denen, die die Mehr- auch einmal Teilzeit arbeiten“? Mit all diesen Fragen be- heit sind, gut getan . Denn wir wissen: Es lohnt sich, in schäftigt sich dieser Gesetzentwurf auch und legt fest: unserer Gesellschaft dafür zu kämpfen . Es lohnt sich aber Das soll zukünftig Thema in Unternehmen, aber auch im auch, konkrete Gesetze auf den Weg zu bringen . öffentlichen Dienst sein. Eine große Errungenschaft sind die Werte unseres Ein zweiter wichtiger Punkt: Wir wollen mehr Trans- Grundgesetzes . Die große Mehrheit in unserem Land ist parenz schaffen. Oft wird Frauen vorgeworfen: Ihr seid sich einig, dass dies die Werte sind, auf deren Grundlage doch selbst schuld daran, ihr verhandelt nicht richtig .– (B) wir in unserem Land zusammenleben wollen, unabhän- Aber ich frage Sie: Wie will man verhandeln, wenn man (D) gig von sozialer Herkunft, ethnischer Herkunft, Religion gar nicht weiß, wie viel Geld vielleicht der Mann, der die und der Frage: Glaube, ja oder nein? Ein wichtiger Wert Stelle vorher besetzt hat, bekommen hat oder wie viel die ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern . Die anderen bekommen? Politik hat die Verantwortung – auch das steht im Grund- gesetz –, diese Gleichberechtigung voranzubringen . Aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gleichberechtigung muss auch in der Lebenswirklichkeit Alle Frauen, die derzeit vor Gericht klagen, ob die der Frauen ankommen; sie darf nicht nur im Grundgesetz Journalistin oder andere, haben es durch Zufall erfahren; stehen . (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Zur Lebenswirklichkeit von Frauen in der Arbeits- GRÜNEN]: Das wird aber mit dem Gesetz welt gehört immer noch, dass sie für ihre Arbeit weniger nicht anders!) Geld bekommen als Männer . Die Lohnlücke beträgt in wie eine Mechanikerin, die der Antidiskriminierungsstel- Deutschland 21 Prozent . le berichtet hat, sie habe nur durch Zufall von Kollegen (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Und das seit erfahren, dass die Kollegen besser verdienen . Und der 100 Jahren!) Chef war ehrlich, als er gesagt hat, warum das so ist: Weil Sie eine Frau sind! – Kein guter Grund, aber es zeigt, was – „Seit 100 Jahren“, das hört sich nicht gut an; deswegen immer noch in unserem Land los ist . wollen wir das ändern . – Sie hat verschiedene Ursachen . Ich sage all denjenigen, die in diesen Tagen wieder Frauen geraten schnell aufs berufliche Abstellgleis, wenn versuchen, die Lohnlücke zu negieren, die sagen, das sei- sie sich für Kinder entscheiden . Da heute viele junge en alles Gründe, die bei den Frauen selbst lägen: Man Frauen auf der Zuschauertribüne sitzen, sage ich: Ob- kann unterschiedlicher Meinung über die richtigen In- wohl es in der Regel die Mädchen sind, die in der Schule strumente sein, um die Lohnlücke zu schließen, aber die die besseren Abschlüsse machen, und obwohl mehr jun- Tatsache zu bestreiten, dass es immer noch so ist, dass ge Frauen als Männer einen Studienabschluss machen, Frauen schlechter bezahlt werden als Männer und dass erleben sie, wenn sie in der Arbeitswelt ankommen, dass das auch strukturelle und gesellschaftspolitische Gründe sie schlechter bezahlt werden und schlechtere Karriere­ hat, ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen . chancen haben als Männer, auch dann, wenn sie sich nicht für Kinder entscheiden . Aber gerade dann, wenn sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich für Kinder entscheiden, geraten sie in die Teilzeitfal- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ le, und ihre Arbeit wird schlechter bezahlt . DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21787

Bundesministerin Manuela Schwesig (A) Da wird die Lebensrealität nicht ernst genommen . Wir Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) nehmen sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ernst . Cornelia Möhring ist die nächste Rednerin für die Wir wollen, dass zukünftig der Grundsatz „Gleicher Fraktion Die Linke . Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ für alle fest- geschrieben wird, für alle ohne Ausnahme . So steht es (Beifall bei der LINKEN) auch im Gesetzentwurf . Cornelia Möhring (DIE LINKE): (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN]: Das ist schon Gesetzeslage!) Sehr geehrte Ministerin Schwesig, ich kann Ihre Begeis- – So konkret nicht, liebe Abgeordnete . terung für diesen Gesetzentwurf leider gar nicht teilen, und ich befürchte, dass das Gesetz in der jetzigen Form Wir unterstützen das konkret mit drei Instrumenten nicht besonders hilfreich wird . in diesem Gesetz: mit einem Auskunftsrecht für mehr Das hat andere Gründe als die Blockaden der Union Transparenz für Betriebe ab 200 Mitarbeiterinnen und und auch andere Gründe als die Kritik der Arbeitgeber- Mitarbeitern und mit Prüfverfahren und Berichtspflich- verbände; denn im Gegensatz zu den beiden genannten ten für Betriebe ab 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Organisationen finden wir Transparenz durchaus sinnvoll tern . Das Gesetz, das Ihnen vorliegt, ist ein Kompromiss . und besonders nötig . Es ist kein Geheimnis, dass wir lange in der Regierung und in der Koalition darum gerungen haben, ab wann die (Beifall bei der LINKEN) Instrumente gelten sollen . Ja, wenn es nach mir ginge, Wer nicht weiß, was die Kollegen und Kolleginnen ver- gälten sie für alle bzw . so viele Beschäftigte wie möglich . dienen und für die gleiche Arbeit bekommen, der kann Dem Koalitionspartner war es wichtig, darauf zu achten, keine Ungerechtigkeiten erkennen . Das haben Sie zu dass es erst bei größeren Betrieben anfängt . Deshalb bin Recht festgestellt . Ob mit diesem Gesetzentwurf die nöti- ich froh, dass wir uns geeinigt haben, dass die Grenze, ge Transparenz aber wirklich hergestellt wird, bezweifle ab der das Auskunftsrecht gilt, nicht erst bei Betrieben ich stark . mit mehr als 500 Beschäftigten liegt, sondern schon in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitar- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- beitern gilt . In solchen arbeitet immerhin die Hälfte der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beschäftigten . Sie haben eben gesagt, es werden drei zentrale Instru- Jetzt kann man viel darüber diskutieren, ob es zu we- mente eingeführt . Alle drei genannten Instrumente sind nig ist . Es gibt aber auch einige Stimmen, die sagen, es an sich auch nicht falsch, sie sind aber völlig unzurei- (B) sei ihnen viel zu viel. Offensichtlich liegt man dann ganz chend . Diskriminierung kann nicht einfach weggestrei- (D) richtig, wenn die einen sagen, es sei ihnen zu wenig, und chelt werden . die anderen sagen, es sei ihnen zu viel . (Beifall bei der LINKEN) Mir ist wichtig, dass wir dieses Gesetz jetzt gut bera- Zum ersten Punkt . Die Beschäftigten sollen einen in- ten und dass wir es dann auf den Weg bringen . Es nützt dividuellen Anspruch gegenüber ihren Arbeitgebern auf auch nichts, dass man seit Jahrzehnten die Lage beklagt, Auskunft über die Höhe des Entgelts für gleiche und wenn wenig passiert . Wir müssen, nachdem wir das Ge- gleichwertige Tätigkeiten im Unternehmen erhalten . Das setz zur Frauenquote auf den Weg gebracht haben – und gilt aber, wie Sie eben selber festgestellt haben, nicht für es wirkt; wir sehen, dass wir mehr Frauen in Führungs- alle Beschäftigen, sondern nur für die, die in Betrieben positionen in kürzerer Zeit mit Gesetz als in der langen mit mehr als 200 Beschäftigten arbeiten . Wo arbeiten Zeit ohne Gesetz haben –, auch dieses Gesetz auf den aber die meisten Frauen, und wo ist die Lohnlücke am Weg bringen, um deutlich zu machen: „Gleicher Lohn größten? Ja, richtig, in Betrieben, die kleiner sind . So- für gleiche und gleichwertige Arbeit“ ist ein politisches, mit lassen Sie die Mehrheit der Frauen leider im Regen gesellschaftspolitisches Thema . Wir erwarten, dass Un- stehen . ternehmen und öffentlicher Dienst sich damit auseinan- dersetzen . Wir wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern In Ihrem eigenen Bundesland beträgt die Anzahl der mehr Rechte dafür geben . Beschäftigten in Betrieben ab 200 Beschäftigten übri- gens mitnichten 50 Prozent . Nach der Antwort auf eine Ich will eines deutlich machen: Die Frage nach glei- Anfrage der Linken im Landtag Mecklenburg-Vorpom- chem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit ist nicht mern haben gerade einmal 0,5 Prozent der Betriebe über nur eine Frage für Frauen . 200 Beschäftigte . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Kein Mann kann wollen, dass seine Partnerin schlechter bezahlt wird, weil sie eine Frau ist . Und kein Vater kann Aber auch für Frauen in größeren Betrieben geht der wollen, dass seine Tochter schlechter bezahlt wird, nur Auskunftsanspruch meiner Meinung nach an der Realität weil sie eine Frau ist . In diesem Sinne sollten wir ge- vorbei . Einmal mehr wird die Verantwortung den Frauen meinsam für die Lohngerechtigkeit kämpfen . zugeschoben; denn die Frauen müssen nun von Ihren Ar- beitgebern die Auskunft einfordern und erfragen, ob sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diskriminiert werden . Es ist doch logisch, dass sich die der CDU/CSU und der LINKEN) Anzahl derjenigen, die von diesem Recht Gebrauch ma- 21788 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Cornelia Möhring (A) chen, noch einmal reduziert. Ich finde, ein berechtigter nenarbeit den Wind aus den Segeln, weil Sie vorgaukeln, (C) Anspruch wäre es, von den Arbeitgebern zu verlangen, tatsächlich etwas Sinnvolles auf den Weg zu bringen . dass sie nachweisen müssen, ob sie gerecht entlohnen Dieses Gesetz mit seinen butterweichen Regelungen zur bzw . bezahlen . Prüfung kann, wie ich eben sagte, richtig viel Schaden anrichten . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Ministerin Schwesig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich bitte Sie wirklich eindring- Was erwartet aber die Bundesregierung von den Ar- lich: Bringen Sie nicht so etwas Halbgares auf den Weg! beitgebern? Es soll – das ist das zweite Instrument – eine Berichtspflicht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eingeführt werden. Die Berichtspflicht ist auch schön neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und gut, aber auch hier ist nach dem ersten Trippelschritt schon wieder Schluss . Sie gilt nur für Unternehmen mit Es wäre besser, wenn dieses Gesetz den Bundestag nicht über 500 Beschäftigten, und es ist völlig unklar, ob und, verließe . Oder nutzen Sie die Mehrheiten hier im Parla- wenn ja, was überhaupt auf diese Berichte folgt . Ich wür- ment . Lassen Sie uns mit verbindlichen Regelungen, mit de Ihnen damit die höchste Punktzahl auf der Skala der Regelungen zur Transparenz und zu Rechten, die für alle Unverbindlichkeit erteilen . gelten, und mit Regelungen für geeignete zertifizierte Prüfverfahren einen wirklichen Schritt zur Herstellung (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . von Entgeltgleichheit gehen . Sie haben die Wahl: Gleich- Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE stellung oder GroKo . Die Linke wäre dabei an Ihrer Sei- GRÜNEN]) te . Das dritte Instrument ist die absolut unverbindliche Vielen Dank . Aufforderung, sogenannte Lohnvergleichsverfahren ein- zuführen . Mit Lohnvergleichsverfahren werden Tätigkei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ten und Anforderungen verglichen . Solch ein Check ver- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) setzt Betriebe und uns erst in die Lage, festzustellen, ob bei gleichwertiger und gleicher Arbeit die Arbeitsplätze Präsident Dr. Norbert Lammert: auch gerecht bewertet sind . Deshalb ist es eine zentrale Das Wort hat nun die Kollegin Nadine Schön für die Forderung all derjenigen, die wirklich Lohngerechtigkeit CDU/CSU-Fraktion . wollen, dass diese Vergleichsverfahren zertifiziert und verbindlich eingeführt werden . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . (D) Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU): GRÜNEN]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entgeltgleichheit auf Knopfdruck, hergestellt Nach Ihrem ersten Entwurf aus 2015 sollte das auch mit einem Gesetz des Deutschen Bundestages: Das wäre noch so sein . Davon ist jetzt aber keine Rede mehr . Da- so schön, das würden wir alle gerne machen . Aber leider mit bescheren Sie uns ein großes Problem, weil das voll wird das auch mit dem Gesetz, das wir heute in erster nach hinten losgehen kann . Ich zitiere hier einmal den Lesung beraten, nicht so sein; denn Entgeltgleichheit ist Deutschen Juristinnenbund, der sagt: schwer herzustellen . Das dauert Jahre . Das hat viele Ur- Das freiwillige Prüfverfahren kann sogar zu gegen- sachen und Gründe und muss deshalb an verschiedenen läufigen Ergebnissen führen, denn die Unternehmen Punkten angepackt werden . Wir müssen am heutigen Tag dürfen die Methode dieser freiwilligen Prüfung so offen und ehrlich sein, zu sagen, dass wir mit diesem frei wählen und nicht nur unter den zertifizierten Gesetz die Entgeltungleichheit in unserem Land leider Verfahren . So können ungeeignete Prüfverfahren nicht mit einem Schlag beenden . verwendet werden, die dem geltenden Recht nicht Wir wissen, dass die Gründe für die Lohndifferenz in entsprechen und nicht geeignet sind, Diskriminie- unserem Land vielfältig sind . Deshalb macht man es sich rungspotenziale und Diskriminierung aufzudecken . zu einfach, wenn man den Eindruck erweckt, man kön- Unternehmen könnten sich sodann fälschlicherwei- ne dieses Problem mit einem Gesetz lösen . Wir kennen se einer Diskriminierungsfreiheit rühmen und ent- die objektiven Kriterien für den größten Teil der Lohnlü- standene Ansprüche von (diskriminierten) Beschäf- cke – das ist der Teil, den man erklären und nachvollzie- tigten zum Erlöschen bringen … hen kann –, nämlich die Tatsache, dass jede zweite Frau Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das finde ich brand- in unserem Land Teilzeit arbeitet . Bei den Müttern sind gefährlich . es sogar drei Viertel, also drei von vier Frauen . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Deswegen darf man nicht schlech- ter bezahlt werden! Was soll das denn?) Damit erweisen Sie den Frauen und dem Anliegen, der Herstellung von Entgeltgleichheit, womöglich einen Bä- Diese Lücke ist auch darauf zurückzuführen, dass es rendienst . Schlimmstenfalls wird dadurch nämlich einem bei vielen Frauen zu Erwerbsunterbrechungen kommt, wirkungsvollen Entgeltgleichheitsgesetz für lange Zeit wegen der Familie oft auch mehrmals . Es liegt ebenfalls der Weg versperrt . Es nimmt der jahrelangen Kampag- daran, dass Frauen in Berufen arbeiten, die schlechter be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21789

Nadine Schön (St. Wendel) (A) zahlt werden – auch das ist ein Grund –, und leider auch Arbeitgeber und Gewerkschaften haben deshalb viele (C) in Führungspositionen oft nicht vertreten sind . Daran er- Wochen mit der Familienministerin an diesem Gesetz- kennt man, dass es vieler Maßnahmen bedarf, um diese entwurf gearbeitet und um Verbesserungen gerungen . Lohnlücke anzugehen . (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Das tun wir seit Jahren, etwa mit dem Elterngeld und GRÜNEN]: Die Kritik kommt jetzt, nachdem dem Elterngeld Plus, mit denen der Wiedereinstieg in den es noch einmal verschlechtert wurde!) Beruf erleichtert und die Partnerschaftlichkeit gestärkt Was wir jetzt haben, ist etwas ganz anderes als das, werden . Das tun wir mit dem Ausbau der Kitabetreuung, was damals im Referentenentwurf vorgelegen hat . Sie für die wir in den letzten Jahren eine Menge Geld von haben auf das große Auskunftsverfahren für viele Betrie- Bundesseite gegeben haben, um die Vereinbarkeit von be verzichtet . Wären vorher noch 36 Millionen Beschäf- Familie und Beruf zu erleichtern . Das tun wir mit den tigte von diesem ausgiebigen Auskunftsanspruch be- MINT-Initiativen und den Berufswahl-Initiativen . Das troffen gewesen, sind es jetzt noch 14 Millionen, davon tun wir mit dem Gesetz für mehr Frauen in Führungspo- 1 Million Frauen, die in Betrieben ohne Tarifvertrag bzw . sitionen. Das tun wir auch mit dem Pflegestärkungsge- Tarifanwendung arbeiten . Das ist auch sachgerecht; denn setz, das dazu führen wird, dass Frauen, die in der Pflege wenn es einen Tarifvertrag gibt, dann muss man davon arbeiten, besser bezahlt werden . ausgehen, dass er geschlechtssensibel ist und dass Män- (Beifall bei der CDU/CSU) ner und Frauen, die derselben Gehaltsgruppe angehören, das gleiche Gehalt bekommen . Das alles betrifft die objektiven Kriterien, die den größten Teil der Lohnlücke ausmachen . Der kleinere (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Teil – sein Anteil liegt zwischen 2 und 7 Prozent – ist GRÜNEN]: Er muss nicht diskriminierungs- nicht zu erklären . Auch dagegen wollen wir vorgehen . frei sein!) Es ist ein Skandal, dass wir in unserem Land bei einem Das liegt in der Natur eines Tarifvertrages . gewissen Teil der Lohnlücke immer noch nicht wissen, woher er kommt, bei dem man davon ausgehen muss, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ dass Frauen wegen ihres Geschlechtes oder wegen der DIE GRÜNEN]: Und was ist, wenn sie schon Unachtsamkeit der Arbeitgeber schlechter bezahlt wer- falsch eingruppiert ist?) den als Männer, auch wenn sie eine gleiche oder gleich- Deshalb ist es auch sachgerecht, dass es hier eine Privi- wertige Tätigkeit ausüben . Da wollen wir mit diesem legierung gibt . Gesetz ansetzen . (B) Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf werden (D) Frau Ministerin, Sie haben gesagt: In diesem Gesetz Betriebe nicht mehr verpflichtet, das Lohnfeststellungs- schreiben wir vor, dass die ungleiche Bezahlung ab sofort verfahren durchzuführen; sie werden dazu aufgefordert . nicht mehr erlaubt ist . – Das ist schon jetzt nicht erlaubt . Diese Verfahren müssen nicht mehr von der Antidiskri- minierungsstelle zertifiziert werden. Auch muss bei Aus- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE schreibungen nicht mehr das Mindestgehalt angegeben GRÜNEN]: Genau!) werden . Das AGG verbietet, dass Männer und Frauen bei gleicher Man sieht: Dieser Gesetzentwurf ist ein Kompromiss oder gleichwertiger Arbeit ungleich bezahlt werden . zwischen den Interessen der Arbeitgeber und der Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – werkschaften . Das alles wurde im Familienministerium Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE in langen Beratungen ausdiskutiert . Wir beraten diesen GRÜNEN]: Da haben Sie mal recht!) Kompromiss jetzt im Deutschen Bundestag . Wir werden uns mit dem Gesetzentwurf gründlich befassen und ihn Was wir bis jetzt noch nicht hatten, war die Möglichkeit, mit allen Beteiligten diskutieren und noch einmal in die herauszufinden, ob das tatsächlich so ist. Hier setzt dieses Tiefe gehen . Ich freue mich auf die Beratungen . Gesetz an . Woher sollen Frauen wissen, ob sie ungerecht Klar ist aber auch: Wir werden auch mit diesem Ge- bezahlt werden, wenn es keine Transparenz hinsichtlich setzentwurf die Lohnlücke nicht auf null bringen, weil der Bezahlung der Kollegen gibt? das Ganze zu schwierig und kompliziert ist, um dies mit (Beifall bei der CDU/CSU) einem Gesetz zu ermöglichen . Deshalb, liebe Kolleginnen, sind wir alle weiterhin Dieses Problem gehen wir mit diesem Gesetz an . gefordert, auch vor Ort in den Unternehmen – in der Dis- Jetzt ist es so, dass der vorliegende Gesetzentwurf – kussion mit Unternehmern, aber auch mit Frauen – da- das hat die Kollegin Möhring erwähnt – während der Be- rauf hinzuwirken, dass Frauen in Gehaltsverhandlungen ratungen schon große Kritik erfahren hat, und zwar nicht gut verhandeln, dass aber auch die Unternehmer sensib- nur – das betone ich – von den Arbeitgebern, sondern ler dafür werden, dass Frauen im Erwerbsleben anders auch von den Gewerkschaften . agieren . Aber das darf kein Grund dafür sein, dass Frauen schlechter bezahlt werden . Deshalb müssen wir sowohl (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwas gegen die erklärbare Lohnlücke als auch gegen die NEN]: Aus anderen Gründen! Das muss man 2 Prozent bis 7 Prozent tun, für die wir keine Erklärung schon sagen!) haben . 21790 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Nadine Schön (St. Wendel) (A) Das ist eine Frage der Gerechtigkeit . Dafür kämpfen Lohngerechtigkeit international weiterhin abgeschlagen . (C) wir . Das ist ein Anliegen der Union, und der Gesetzent- Im europäischen Vergleich rangieren wir auf dem dritt- wurf ist ein Baustein dafür . Deshalb, liebe Kolleginnen letzten Platz . Schlechter sind nur Tschechien und Est- und Kollegen, freue ich mich auf die Beratungen . land .– Und was legt uns Frau Schwesig heute vor? Kein Entgeltgleichheitsgesetz, kein Gesetz für mehr Lohnge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rechtigkeit, wie sie es immer nennt – mitnichten! Denn ordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke wirklich wirksame Mechanismen, um Entgeltgleichheit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine herzustellen und Diskriminierung zu beseitigen, sucht Rede mit Begeisterung!) man in diesem Gesetzentwurf vergebens . Komplette Fehlanzeige! Frau Schwesig legt ein Transparenzgesetz Präsident Dr. Norbert Lammert: vor – so heißt es ja ganz offiziell –, das diesen Namen Kaja Dörner erhält nun das Wort für die Fraktion nicht wirklich verdient . Bündnis 90/Die Grünen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Auskunftsrecht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! soll nur für Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten gel- Liebe Kollegen! Frau Schwesig, vieles von dem, was ten; die Zahl hat das Ministerium genannt . Nicht einmal Sie eben ausgeführt haben, hätte ich voll und ganz un- 40 Prozent der berufstätigen Frauen hätten überhaupt ein terschreiben können . Gerade deshalb hätten wir uns ein Auskunftsrecht, weil der Großteil der Frauen einfach in wirklich wirksames Lohngleichheitsgesetz gewünscht . kleineren Betrieben beschäftigt ist . Etwas mehr Transpa- Aber das liegt heute nicht vor . renz für nicht einmal die Hälfte der Frauen – das hat mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN echter Lohngleichheit gar nichts zu tun . und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, manchmal muss sowie bei Abgeordneten der LINKEN) man in der Politik kleine Schritte gehen . Das wissen wir, Und darüber, dass überhaupt nur Unternehmen mit mehr glaube ich, alle . Aber man sollte den kleinen Schritt dann als 500 Beschäftigten aufgefordert sind – sie sind nur nicht als großen Erfolg verkaufen . aufgefordert und mitnichten dazu verpflichtet –, betrieb- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liche Prüfverfahren vorzunehmen, kann man nur den sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kopf schütteln . (B) Es gibt auch kleine Schritte, bei denen man erhebliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Zweifel haben muss, ob sie zum Ziel führen . Das ist lei- Allerdings: Was nützt es letztlich, zu wissen, dass der mit diesem Entwurf eines Entgeltgleichheitsgesetzes ich in meinem Unternehmen für die gleiche Arbeit we- der Fall. Mit diesem Gesetzentwurf wird der Öffentlich- niger Lohn bekomme, wenn ich faktisch keine wirkli- keit bzw . den Frauen Sand in die Augen gestreut, weil chen Durchsetzungsmöglichkeiten habe, diesen Zustand, nicht drin ist, was draufsteht, weil er nicht hält, was er diese offensichtliche Diskriminierung zu beenden? Um verspricht . Lohngerechtigkeit durchsetzen zu können, brauchen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dringend ein Verbandsklagerecht . sowie bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mechthild Rawert [SPD]: So ein Quatsch!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Wi- Wir konnten im Laufe der letzten Monate sehen, wie derspruch bei der CDU/CSU) aus einem ersten wirklich diskutablen Schritt für mehr Dass Frauen individuell klagen, wird selten vorkom- Lohngerechtigkeit dank eifriger Interventionen der Uni- men; das können wir von den Frauen auch nicht verlan- on der mickrige Aufschlag wurde, der uns heute vor- gen . Ich halte es für einen kardinalen Webfehler in die- liegt . Ich fand es bei Ihrer Rede bemerkenswert, Frau sem Gesetzentwurf, dass das Verbandsklagerecht fehlt . Schön, dass Sie dafür plädieren, dass es gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt, aber gleichzeitig in Ihrer Presse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mitteilung begrüßen, dass das Auskunftsrecht durch die sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Beate Verhandlungen so weit reduziert werden konnte, dass es Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wahrscheinlich nur 1 Prozent der Berechtigten in An- NEN]: Genau!) spruch nehmen wird . Das passt nicht zusammen, und das Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich ärgere mich zeigt, dass es Ihnen mit Lohngleichheit nicht wirklich über diesen Gesetzentwurf wirklich – das muss ich sa- ernst ist . gen –, weil ein gutes und wirkungsmächtiges Entgelt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleichheitsgesetz so wichtig wäre, weil gleicher Lohn für gleiche und für gleichwertige Arbeit einfach gerecht Beim ersten Internationalen Frauentag 1911 forder- ist, weil so viele Frauen schon so lange darauf warten te Clara Zetkin schon gleichen Lohn für gleiche Arbeit . und sich so viele Frauen in diesem Land so intensiv dafür Heute, mehr als einhundert Jahre später, gibt es den engagiert haben . Entgeltgleichheit würde viele Probleme Equal Pay Day, der am 18. März stattfindet. Mehr als zwar nicht komplett lösen, aber doch anpacken, ange- hundert Jahre später ist Deutschland in der Frage der fangen von der gerechten Verteilung von Erwerbs- und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21791

Katja Dörner (A) Familienarbeit bis hin zur Vermeidung von Altersarmut det! – Nein, ungleiche Bezahlung ist nicht die Schuld der (C) von Frauen . Deshalb ist dieser Gesetzentwurf aus unserer betreffenden Frauen. Sie ist vielmehr die Folge verkrus- Sicht eine ganz herbe Enttäuschung . teter Strukturen in unserer Gesellschaft und in unserer Arbeitswelt. Es ist unsere Pflicht als Gesetzgeber, dage- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen vorzugehen . Mit dem Mindestlohn und der Frauen- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) quote sind in dieser Legislaturperiode wichtige Meilen- Schon den Referentenentwurf kommentierte der Deut- steine für mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt gesetzt . sche Frauenrat mit den Worten, die Entgeltgleichheit sei Das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit ist ein weiterer mächtigen Wirtschaftsinteressen geopfert worden . Aber wichtiger Schritt, damit das Gebot „Gleicher Lohn für selbst der Referentenentwurf ist im weiteren Verfahren gleiche bzw. gleichwertige Arbeit“ auch in der Praxis weiter entkernt worden . umgesetzt wird . Der DGB hat sich mit seiner Pressemitteilung direkt (Beifall bei der SPD) an uns, an den Bundestag, gewandt und uns aufgefordert, Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern muss den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren zu sich auch auf dem Lohnzettel widerspiegeln . verbessern . Das Parlament soll sich einen Ruck geben und den Gesetzentwurf verbessern . Wir Grüne sind sehr Die Lohnlücke ist ein Skandal. Noch schlimmer finde gern dazu bereit . Wer echte Lohngerechtigkeit für Frau- ich persönlich, dass viele Frauen gar nicht wissen, dass en will, muss aus diesem zahnlosen Tiger eine kräftige sie schlechter bezahlt werden . Genau hier liegt die Stärke Raubkatze machen . des Gesetzentwurfs . Er setzt auf Transparenz . Mit dem individuellen Auskunftsanspruch, der Berichtspflicht Vielen Dank . und der Aufforderung zum Prüfverfahren leistet er ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen wichtigen Beitrag, Lohnstrukturen und Lohnfindung sowie bei Abgeordneten der LINKEN) transparent zu machen . Es ist kein Geheimnis, dass die SPD an dieser Stelle weitergegangen wäre . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Katja Dörner .– Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen .– Die nächste Rednerin: Wir sind der Meinung, dass alle Beschäftigten ein Recht Dr . Carola Reimann für die SPD-Fraktion . darauf haben, zu erfahren, ob sie gerecht bezahlt werden . Deshalb bleibt unser Ziel ein Auskunftsanspruch für alle . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Art der (D) Dr. Carola Reimann (SPD): Auskunft ist doch falsch!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleicher Job, gleiche Leistungen, weniger Wir hätten uns von unserem Koalitionspartner gerade Geld – für viele Frauen in Deutschland ist das die bittere in Sachen Transparenz mehr Mut und mehr Gestaltungs- Realität im Arbeitsalltag . Guckt man sich das konkret an, willen gewünscht . Klar ist aber auch: Ohne die SPD und stellt man fest, dass das für eine Lagerarbeiterin heißt, den beharrlichen Einsatz der Ministerin gäbe es über- dass ihr Bruttomonatseinkommen um fast 300 Euro unter haupt kein Gesetz . dem ihrer männlichen Kollegen liegt . Eine Köchin be- (Beifall bei der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] kommt für ihren Knochenjob 400 Euro weniger als der [CDU/CSU]: Das haben wir ausgehandelt! – Koch am Nachbarherd . Nadine Schön [St . Wendel] [CDU/CSU]: Das (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- steht im Koalitionsvertrag!) NEN]: Aber daran ändert der Gesetzentwurf Die Äußerungen, die in dieser Woche von einigen Her- gar nichts!) ren der CDU/CSU-Fraktion zu vernehmen waren, haben Bei der Bürokauffrau sieht es auch nicht besser aus. All das wieder deutlich gemacht . Dass oft, wenn es um Frau- das sind Berufe, die nicht gerade exorbitant gut bezahlt enrechte geht, Bürokratiekeulen geschwungen werden, werden; da sind 300, 400 Euro richtig viel Geld . Das be- kennen wir schon . trifft Frauen mit Kindern, die Familie und Beruf unter (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das ist einen Hut bringen müssen, Frauen, die auf jeden Euro in eurer Fraktion nicht der Fall, nicht wahr?) angewiesen sind, Frauen, die viel leisten, dafür aber viel schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen . Aber Freiherr von Stetten hat mit seiner Äußerung zu Das ist nicht gerecht . Deshalb braucht es jetzt ein Gesetz . Beginn dieses Jahres noch eines draufgesetzt . Ich zitie- re: „Durch den Lohnauskunftsanspruch werden Neid und Es geht nicht um Peanuts und auch nicht um Prozent- Unfrieden in die Unternehmen einziehen.“ punkte, über die wir viel diskutieren . Es geht um diese Frauen . Deshalb regt es mich auch so auf, wenn versucht (Widerspruch bei der SPD – Beifall des Abg . wird, diese Lohnlücke kleinzureden und zu erklären . Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]) Noch schlimmer ist, so zu tun, als ob diese Lohnlücke Was ist das denn für eine Vorstellung von Unternehmens- darauf basierte, dass die Frauen persönliche Entschei- kultur und Arbeitnehmerrechten in unserem Land? dungen getroffen hätten, die falsch sind, nach dem Mot- to: Selbst schuld, wenn ihr euch für diesen Job entschei- (Beifall bei der SPD) 21792 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Carola Reimann (A) Herr von Stetten – er ist nicht anwesend –, das nennt man die Bundesregierung hat das zugelassen . Was kommt da- (C) nicht Neid und Unfrieden, sondern Transparenz und Mit- bei heraus? Ein Gesetz für Betriebe ab 200 Mitarbeitern, bestimmung . Sie gehören zu den Grundsäulen unserer und dabei weiß jeder – das ist auch hier schon gesagt demokratischen Gesellschaft . worden –, dass genau in den kleinen und mittelständi- schen Betrieben mit unter 200 Beschäftigten die größ- (Beifall bei der SPD) ten Ungerechtigkeiten stattfinden. Genau da machen wir Was Sie wollen, ist nichts anderes, als die Geheimniskrä- nichts . merei auf dem Rücken der Frauen fortzuführen . Das ist mit uns nicht zu machen . Auch in anderen Punkten hält der Gesetzentwurf nicht das, was er im Grunde verspricht, zum Beispiel bei der (Beifall bei der SPD – Katja Dörner [BÜND- Mitbestimmung. Obwohl 25-mal das Wort „Betriebsrat“ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich doch!) vorkommt, ändert sich im Verfahren für Betriebsrätinnen Im Übrigen ist das auch wirtschaftspolitischer Unsinn . und Betriebsräte rein gar nichts . Das alles steht schon seit Die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Ar- 45 Jahren im Betriebsverfassungsgesetz . Wichtig wären beitswelt ist ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft . Ich erzwingbare Mitbestimmungsrechte, und genau die feh- bin fest davon überzeugt: Der Wettbewerb um die besten len wieder . Fachkräfte kann nur mit einer offenen, wertschätzenden Unternehmenskultur gewonnen werden (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Lohnlisten und Gehaltslisten müssten an die Be- triebsräte ausgehändigt werden . Einsichtsrechte alleine und nicht mit von Stettens Wirtschaftsverständnis der genügen doch nicht . Aber mit dieser Regierung ist noch 50er-Jahre, wo zigarrenrauchende Herren in Hinterzim- nicht einmal das zu machen . Erneut haben Sie der Ta- mern allein entscheiden . rifbindung keinen Gefallen getan. Wieder finden sich in (Beifall bei der SPD) diesem Gesetzentwurf tarifliche Öffnungsklauseln, die es den Arbeitgebern erlauben, im Betrieb von der Prüf- Mit diesem Gesetz stoßen wir eine Tür auf . Wir sorgen pflicht abzuweichen. Hören Sie endlich auf, die Tarifbin- für faire Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr dung zu entwerten, auch in diesem Gesetzentwurf . Transparenz . Viel Vorarbeit ist geleistet sowohl im Koa- litionsvertrag als auch im Koalitionsausschuss und nun (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . auch mit diesem Gesetzentwurf . Deshalb steht einem zü- Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE gigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in diesem GRÜNEN]) Haus nichts im Weg . (B) Frauen werden nicht nur schlechter behandelt; die Ar- (D) Danke . beitsbedingungen sind fast noch entscheidender . Es sind (Beifall bei der SPD) meist Frauen, die in Minijobs oder in Teilzeit arbeiten . Die Folge: Sie werden im Alter arm sein . Das wissen doch eigentlich alle . Dagegen muss etwas getan werden . Vizepräsidentin Claudia Roth: Es geht nicht nur darum, dass ich erfahre, an welcher Vielen Dank, Carola Reimann .– Nächste Rednerin: Stelle ich schlecht behandelt werde . Jutta Krellmann für die Linke . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich allen Erzieherinnen und So- Jutta Krellmann (DIE LINKE): zialpädagogen, die gestern gestreikt haben, von hier aus Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sagen: Ihr führt einen gerechten Kampf nicht nur um Kollegen! Als 20-jährige Chemielaborantin hätte ich mir Lohnprozente, sondern auch um die spürbare Aufwer- nicht träumen lassen, dass ich 40 Jahre später noch im- tung eurer Arbeit . Dabei unterstützen wir euch als Linke, mer über Lohngerechtigkeit von Frauen und Männern damit auch ihr nicht nach 40 Jahren feststellen müsst, streiten muss. Ich empfinde das echt als superbitter, was dass ihr nicht gleiches Geld für gleiche Arbeit erreicht hier passiert . habt . Wir wollen, dass eure Arbeit endlich aufgewertet Heute muss ich als Bundestagsabgeordnete über ein wird und ihr endlich sagen könnt: Jawohl, auch wir ha- Gesetz mitentscheiden, das mich nicht wirklich zufrie- ben dafür gesorgt, dass Männer und Frauen gleiches Geld denstellt . Gleiches Geld für gleiche Arbeit, das ist doch für gleiche Arbeit erhalten . Deshalb viel Erfolg! eine zentrale Forderung und ein zentrales Anliegen der Vielen Dank . Frauenbewegung schon seit vielen Jahrzehnten . Das ist wirklich nichts Neues, sondern schon seit Jahrzehnten (Beifall bei der LINKEN) Thema . Wieder liegt ein Gesetzentwurf vor, der diesem Anliegen nicht gerecht wird . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank, Jutta Krellmann .– Nächster Redner: Wie lange sollen Frauen denn noch warten? Weitere Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion . 40 Jahre? Das kann doch überhaupt nicht wahr sein . Die Arbeitgeber haben den Gesetzentwurf weichgespült, und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21793

(A) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): wollen, dass Töchter und Söhne für die gleiche Arbeit (C) Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen auch das gleiche Einkommen erhalten . und Kollegen! Dass das eine differenzierte Debatte wer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den muss, darüber müssen wir uns schon im Klaren sein . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Deswegen will ich, bevor ich gleich nett werde und ver- kriegen beide zu wenig Taschengeld, neben- suche, den Konsens herzustellen, zwei, drei Bemerkun- bei gesagt!) gen zu den Reden von Frau Reimann und Frau Dörner machen . – Na, 1 Euro für einen Sechsjährigen ist doch schon am- bitioniert, oder? Liebe Frau Reimann, wir haben hier ein Problem und (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine Schieflage. Darüber debattieren wir auch. Ich finde es nur unangemessen, den deutschen Unternehmer als Zweitens. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ zigarrenrauchenden Mann zu bezeichnen, der grundsätz- Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sollte man häufiger lich Frauen diffamiert. wiederholen, weil er uns als Orientierung und als Maß- stab dient . In diesem Zusammenhang noch einmal einen (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Carola Dank an die vier Frauen, die damals dafür gesorgt haben, Reimann [SPD]: Das habe ich nicht ge- dass dieser Satz im Grundgesetz steht: Elisabeth Selbert, macht! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Helene Weber, Helene Wessel und Frieda Nadig . Zuhören! Sie sprach von den 50er-Jahren!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie wissen und müssten es viel besser als ich wissen, der SPD) dass gerade viele deutsche Unternehmer hier voranmar- Frau Dörner, Sie scheinen eins zu verwechseln . Wenn schieren, Sie ein bisschen Zeit haben, dann können Sie sich ger- (Sönke Rix [SPD]: Das ist aber so nicht ge- ne einmal mit der Sozialethik der Christdemokraten sagt worden!) beschäftigen; ich rate das an . Es ist für uns unter sozi- alethischen Gesichtspunkten eine Selbstverständlichkeit, auch in der Frage der Entgeltgleichheit . dass Frauen und Männer bei gleicher Arbeit auch gleich bezahlt werden . Liebe Frau Dörner, wenn wir darüber diskutieren, müssen wir gemeinsame Lösungen erarbeiten und schau- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) en, wo die Probleme und die Schieflagen sind. Dass Sie Das ist ein Grundsatz für uns als christliche Partei; das ist jetzt das Verbandsklagerecht ins Spiel bringen, halte ich christliches Gedankengut . (B) für eine hochinteressante politische Forderung . Ich kann (D) nur sagen: Dann würden Sie wirklich das Kind mit dem Nun muss man aber auch eins sagen: Da, wo es glei- Bade ausschütten . Dazu sage ich als Hamburger, der viel che Arbeit gibt, muss gleich bezahlt werden . Aber da, wo mit Verbandsklagerechten erlebt hat: Das wäre der völlig ungleiche Arbeit verrichtet wird, da kann und muss die falsche Weg . Den werden wir selbstverständlich ableh- Entlohnung sogar voneinander abweichen . Was wir wol- nen . len, ist die Gerechtigkeit . Was wir nicht wollen, ist die von oben vorgeschriebene Gleichheit . (Beifall bei der CDU/CSU) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Trotzdem will ich den gesellschaftlichen Konsens, NEN]: Und wenn es um Grundrechte geht?) den die Ministerin angesprochen hat, gerade in diesen Insofern unterscheiden wir uns schon ganz deutlich von Zeiten, in denen in anderen Ländern, gar nicht einmal gewissen Ansätzen, auch was sozialethische Grundan- so weit von Deutschland entfernt, Gesetze wieder rück- nahmen betrifft. Auch wir haben immer gesagt: Wenn gängig gemacht werden, die die Rechte von Frauen ga- Menschen den ganzen Tag mit ihren Händen arbeiten, rantiert haben, gerne aufgreifen . Woanders werden jetzt dann sollen sie davon leben können . Aber die, die etwas Gesetze gemacht, die die Rechte oder gar den Schutz von mehr arbeiten, müssen auch mehr davon haben . Deswe- Frauen einschränken . Sie wissen, was ich meine . Es han- gen muss es sicherlich einen Unterschied bei der Entloh- delt sich um ein Land, in dem alle 40 Minuten eine Frau nung geben . umgebracht wird, weil der Mann sie schlägt . Insofern ist es wichtig, dass wir zwei oder drei grundsätzliche Dinge (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE klarstellen: GRÜNEN]: Auch bei gleicher Tätigkeit?) – Vielleicht hören Sie zu, wenn ich es immer wieder Erstens – das halte ich eigentlich für die beste Erklä- sage: Für die gleiche Arbeit muss es selbstverständlich rung –: Ich bin Vater; ich habe einen Sohn . Andere haben den gleichen Lohn geben . eine Tochter . Es gibt auch welche, die haben Tochter und Sohn . Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass es Dritter Punkt . Es geht mir darum, Konsens herzustel- richtig wäre, wenn ein Vater oder eine Mutter beim Aus- len – verfassungsrechtlich haben wir es klar definiert; zahlen des Taschengeldes am Samstag um 10 Uhr sagen wir haben es sozialethisch, aber auch gesellschaftspoli- würde: Der Sohn bekommt 1 Euro, und die Tochter be- tisch definiert –: Ja, vor 30, 40, vielleicht sogar noch vor kommt 90 Cent . Das kann man zwar gerne machen, aber 20 Jahren mussten viele Frauen für die Gleichstellung über den Familienfrieden in den darauffolgenden Tagen noch kämpfen . Dieses Thema wurde von vielen Frauen möchte ich lieber nicht nachdenken . Mütter und Väter nach vorne gebracht . Sie wurden teilweise belächelt, 21794 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) despektierlich betitelt, und ihre Vorschläge wurden nicht Viele Mittelständler mit wenigen Beschäftigten sind (C) ernst genommen . Wir wissen heute: Für über 77 Prozent gerade mühevoll dabei, Frauen ein gleich hohes Gehalt der Menschen in Deutschland ist das Thema Gleichstel- zu zahlen . Deshalb, denke ich, müssen wir auch auf die lung ein wichtiges Thema . Das heißt, nicht nur verfas- mit Blick auf die Bürokratie geäußerten Bedenken hören . sungsrechtlich und sozialethisch, sondern auch gesell- schaftspolitisch müssen wir dieses Thema mit diesem Der zweite Punkt: Arbeitgeber mit mehr als 500 Be- Gesetz in der Koalition angehen . Das ist eine gute Ent- schäftigten werden aufgefordert, betriebliche Verfahren wicklung in Deutschland, könnte man sagen . Ich habe zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit darauf verwiesen, dass es in anderen Regionen dieser durchzuführen – in der Methodik offen. Welt mittlerweile wieder Rückschritte gibt . Umso wich- Der dritte Punkt: Für Unternehmen mit in der Regel tiger ist es, dass wir zu dieser Entwicklung stehen . mehr als 500 Beschäftigten wird, soweit diese lagebe- Richtig ist das, was die Ministerin angesprochen hat: richtspflichtig sind, eine Berichtspflicht zu Gleichstel- Viele Frauen sind heutzutage gut ausgebildet, voller Ta- lung und Entgeltgleichheit eingeführt . tendrang, und sie bringen sich in die Gesellschaft und in die Arbeit ein . Sie nutzen ihre Chancen . Aber sie müs- Es gab einen ersten Entwurf im Dezember 2015 . Ich sen ihre Chancen auch haben, und zwar selbstverständ- sage ganz offen: Als wir ihn gelesen haben, konnten wir lich gerechte Chancen . Deswegen sagen wir: Da, wo es als Union nicht mitgehen, weil wir – das ist unsere Auf- Unterschiede gibt, die nicht erklärbar sind, müssen sie gabe – den mittleren Weg, den Sie beschrieben haben, abgestellt werden . zwischen der Wirtschaft und dem, was wir mit Blick auf die Entgeltgleichheit erreichen wollen, gehen wollen . Jetzt komme ich zum Thema Gender Pay Gap . Die Deshalb ist es richtig, dass dieser Entwurf vom Dezem- Diskussion darüber müssen wir sehr differenziert führen. ber 2015 in sehr vielen Punkten nochmals verändert wur- 21 Prozent, 7 Prozent, 1,8 Prozent, 3 Prozent – all diese de . Zahlen habe ich schon gehört . Es ist mir, auf Deutsch gesagt, relativ egal: Lohnunterschied ist bei gleicher Ar- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE beit Lohnunterschied, und der muss abgestellt werden . GRÜNEN]: Nur ein ganz kleines bisschen Da sind wir, glaube ich, einer Meinung . Trotzdem bitte Transparenz?) ich darum, eine politisch saubere Diskussion zu führen . Es war wichtig und richtig, dass die Gewerkschaften Man muss gewisse Dinge schon erklären . Eine Frage und die BDA dabei waren, da sie diejenigen sind, die die ist, ob ein Lohnunterschied von 21 Prozent erklärbar ist Interessen ihrer jeweiligen Gruppe gut repräsentieren . oder nicht . Nadine Schön hat schon deutlich gemacht, Deshalb sind die Änderungen auch sehr klug . (B) dass wir den Lohnunterschied von 7 Prozent im Fokus (D) haben; denn es gibt Gründe, warum Löhne voneinander (Zuruf von der LINKEN) abweichen . Sie dürfen nur nicht bei gleicher Arbeit von- Es ist weder Sinn noch Zweck eines solchen Gesetzes, einander abweichen . Deswegen verweisen wir, wenn wir die Arbeitgeber zu überfordern . Wir müssen sie mitneh- uns auf die laut Statistischem Bundesamt nicht erklärbare men, und wir müssen Dinge verändern; aber wir sollten Lohnlücke von 7 Prozent beziehen, auf den Gesetzent- die Arbeitgeber nicht überfordern und an möglicherweise wurf . zu hohen Hürden scheitern lassen . Darauf werden wir als (Dr . Dorothee Schlegel [SPD]: Dann reden Union achten . wir doch von „erklärbar“!) (Beifall bei der CDU/CSU) Drei Kernelemente dieses Gesetzentwurfs wurden be- reits dargestellt: Angesprochen wurde bereits der Auskunftsanspruch mit den Entgeltbestandsteilen . Darüber wird man disku- Erstens . Für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als tieren. Er ist jetzt geändert worden. Es fließen nicht mehr 200 Mitarbeitern wird ein individueller Auskunftsan- alle Entgeltbestandteile ein, sondern nur noch zwei . spruch eingeführt . Kritisiert wurde: Dieser Anspruch muss doch eigentlich schon für Betriebe mit einem Mit- Nun komme ich zu dem Satz mit dem Unfrieden von arbeiter eingeführt werden . Ich kann nur anraten, diese Herrn . Was er meint, ist doch ein- schwierige Debatte hochsensibel zu führen und Lösun- mal überlegenswert . Es ist doch so: Was bauen Sie bei gen zu erarbeiten, die dem Ansinnen gerecht werden, der Betrachtung der Entgeltgleichheit mit ein – nur das die es aber auch mit sich bringen, dass die deutsche Grundeinkommen, oder gibt es weitere Bestandteile? Wirtschaft, auch kleinere und Kleinstunternehmen, das wuppen kann . Denn wir brauchen die Unterstützung der (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Unternehmen in dieser Frage . Was wir nicht brauchen, GRÜNEN]: Was macht das für einen Sinn?) ist, dass die einen für die Frauen sind, während die ande- Ich finde es richtig, und man sollte es nicht so diffamiert ren für die Wirtschaft sind. Eine solche Konflikthaltung darstellen, wie es hier geschehen ist, dass man fragt: Wie müssen wir verhindern; vielmehr müssen wir beides zu- kann ich dafür sorgen – das ist doch die erste Pflicht –, sammenbringen . dass wir weiterhin Frieden in den Unternehmen haben? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen war es, glaube ich, richtig, die Beschäftigten- NEN]: Das hat der Abgeordnete so nicht ge- zahl zu erhöhen . meint!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21795

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) Denn das ist doch die Basis des Wohlstandes und der Er- Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) folge der deutschen Unternehmen . NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD freut NEN]: Wenn Frauen so viel verdienen wie sich über das Entgelttransparenzgesetz. Die Lohnfindung Männer, gibt es keinen Frieden?) dürfe keine Blackbox sein, so die Ministerin, deshalb sei Wenn man den jetzigen mit dem ursprünglichen Ge- das Gesetz ein echter Durchbruch . setzentwurf vergleicht, dann sieht man, dass wir den Bü- Einen Grund zum Feiern hat aus meiner Sicht eigent- rokratieaufwand und die Belastungen für die betroffenen lich nur die Union; denn sie hat so lange verhandelt, bis Betriebe auf ein annehmbares Maß reduziert haben . Wir Anspruch und Wirklichkeit weit auseinandergehen . Da- werden auch im parlamentarischen Verfahren weiter fra- bei haben die Wirtschaftskonservativen wirklich ganze gen: Wo können wir mit Blick auf die Bürokratie weitere Arbeit geleistet, deshalb ist das Gesetz auch kein Durch- Veränderungen vornehmen? bruch, sondern nur eine Nebelkerze, und das wird diesem Ich bin mir sicher, dass wir am Ende ein Gesetzespa- wichtigen Thema in keiner Weise gerecht . ket bekommen, das im Sinne der Frauen sowie im Sinne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der deutschen Wirtschaft ist . Noch einmal: Wir wissen, dass wir hier nur einen kleinen Schritt gehen . Daneben Meine Kollegin Katja Dörner hat ja schon ausgeführt, sind auch andere Bereiche entscheidend, zum Beispiel dass das Gesetz viel verspricht, aber ein Großteil der das Thema „Rückkehrrecht nach Teilzeit“. Frauen gar nicht davon profitiert. Wir haben noch mehr Kritik . Vier Aspekte möchte ich kurz ansprechen . (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Widerspruch in sich!) Erstens . Das Entgeltgleichheitsgebot gilt für alle Teile des Lohns, doch wird das Auskunftsrecht jetzt Angesprochen wurde schon der gesamte Kitaausbau . All beschränkt auf den durchschnittlichen Bruttolohn und die Maßnahmen der vergangenen Jahre haben doch dafür auf zwei Lohnanteile . Ich frage mich: Wie soll das ge- gesorgt, dass sich die Situation insbesondere für Frauen hen? Woher sollen denn die Beschäftigten wissen, nach ändert . welchen Lohnanteilen sie fragen müssen? Der durch- schnittliche Bruttolohn allein macht Benachteiligungen Wir sehen aber auch am Beispiel Schweden, wo es nicht sichtbar . Diese Regelung ist komplett verfehlt und ganz andere gesetzliche Maßnahmen gibt, dass die berei- nichts anderes als eine Mogelpackung; denn nur dann, nigte Lohnlücke bei 6 Prozent liegt, während sie bei uns wenn die Beschäftigten den monatlichen Bruttolohn und (B) bei 7 Prozent liegt . Deshalb sollte man das als Gesamt- alle Lohnanteile vergleichen können, entsteht tatsächlich (D) paket sehen . Das heißt, das Thema „Gleichstellung im Transparenz . Arbeitsleben“ ist ein Gesamtpaket. Dazu gehören viele Aspekte, so auch die Situation derjenigen, die im Pflege- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereich arbeiten und deren finanzielle Situation dringend sowie der Abg . [DIE LINKE]) verbessert werden muss . Zweitens . Für Betriebe, die an einen Tarifvertrag Ich fand es übrigens in der Diskussion über die Frage gebunden sind oder sich darauf beziehen, und – ganz „Frauen in Führungspositionen“ – dort haben wir ja auch neu – auch für kirchliche Arbeitgeber gilt eine Ange- ein gutes Gesetz hinbekommen – immer viel wichtiger, messenheitsvermutung . Angemessen bedeutet hier: Die dass man bei jenen, die nur ein geringes Einkommen ha- Lohnstrukturen sind per se diskriminierungsfrei, und Tä- ben, dafür sorgt, dass Frauen und Männer gleichbezahlt tigkeiten in unterschiedlichen Entgeltgruppen werden als werden . nicht gleichwertig definiert. Das ist fatal; denn die Be- schäftigten können nicht mehr überprüfen lassen, ob sie Deshalb ist der Gesetzentwurf richtig . Er bietet die ge- richtig eingruppiert wurden, obwohl gerade durch eine sellschaftliche Chance, ihn als Signal zu begreifen; denn fehlerhafte Eingruppierung ganz häufig Entgeltdiskrimi- das Entgelttransparenzgesetz wird ein weiterer Schritt nierungen entstehen . Diese Angemessenheitsvermutung sein, um die Gleichstellung von Frauen und Männern in schafft keine Transparenz. Im Gegenteil: Sie führt sogar der Erwerbswelt voranzutreiben . Denken Sie einmal da- dazu, dass Benachteiligungen bei der Eingruppierung ran: Väter und Mütter wollen, dass Söhne und Töchter verschleiert werden . Das ist nicht akzeptabel . für gleiche Arbeit auch das gleiche Einkommen erhalten . Daran werden wir weiter arbeiten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank . Drittens . Unternehmen sollen zukünftig ihre Lohn- strukturen auf Entgeltdiskriminierung überprüfen . Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hört sich gut an, und es wäre auch wichtig . Aber das gilt ordneten der SPD) nur für private Unternehmen mit mehr als 500 Beschäf- tigten und nicht für tariflich gebundene oder kirchliche Arbeitgeber . Die wenigen, die dann noch prüfen sollen, Vizepräsidentin Claudia Roth: sind nicht einmal an ein zertifiziertes Prüfverfahren ge- Und das gleiche Taschengeld . Vielen herzlichen Dank, bunden . Vor allem werden die Arbeitgeber nicht ver- Marcus Weinberg . – Nächste Rednerin: Beate Müller- pflichtet, sondern nur aufgefordert. Ein Prüfauftrag ohne Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen . Verpflichtung und ohne Sanktionen wird aber ins Leere 21796 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Beate Müller-Gemmeke (A) laufen . Dabei könnte das Prüfverfahren richtig wirkungs- finde, ganz gut ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorliegen (C) voll sein . Diese Chance haben Sie schlichtweg verpasst . haben . Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tri- bünen, Sie merken, bei diesem Thema ist die SPD-Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- destagsfraktion sozusagen die Butter auf der Klappstulle . NEN sowie der Abg . Cornelia Möhring [DIE LINKE]) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Matthias Viertens . Niemand darf wegen seines Geschlechts W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie wird also ge- mittelbar beim Lohn benachteiligt werden . Das ist Ge- fressen!) setzeslage . Aber genau dieses Verbot wird jetzt rela- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Frau- tiviert; denn laut Entgelttransparenzgesetz können ar- en stärken . Wir wollen ihnen ein Instrument an die Hand beitsmarkt-, leistungs- und arbeitsbezogene Kriterien geben, das ihnen ermöglicht, Licht ins Dunkel von Ge- ungleiche Bezahlung rechtfertigen. Definiert werden die haltsentscheidungen zu bringen . Sie müssen nicht wie Kriterien aber nicht . Sie müssen nur angemessen sein . bisher auf ihr eigenes Risiko hin klagen . Diese Hürde Damit ist Entgeltdiskriminierung zukünftig möglich . Sie nehmen wir . Denn zu viel wird immer noch willkürlich muss nur begründet werden, und der Interpretationsspiel- verhandelt und entschieden . raum dafür ist groß . So wird Entgeltungleichheit nicht abgebaut, sondern im Gegenteil in diesen Fällen gesetz- Bei Unternehmen mit Tarifbindung werden schon im lich legitimiert . Und das geht gar nicht . Vorfeld große Teile an Eingruppierungs- und Lohnunge- rechtigkeiten abgefedert . Aber in vielen Unternehmen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt es keine Tarifbindung . Gemeinsam mit den Be- Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Lohnlücke triebsräten sollen auch dort Frauen – und übrigens auch von 21 Prozent ist ungerecht . Deshalb brauchen wir ge- Männer – die Möglichkeit haben und ermuntert werden, setzliche Regelungen, damit Entgeltgleichheit endlich eventuelle Ungleichheiten aufzuspüren . Das ist ein Rie- durchgesetzt wird, und wir brauchen – ich sage es noch senfortschritt im Vergleich zur jetzigen Situation . einmal – ein Verbandsklagerecht, damit Verbände bei (Beifall bei der SPD) strukturellen Diskriminierungen klagen können . Meine Herren und Damen, das Gesetz zur Förderung (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sicher der Transparenz von Entgeltstrukturen müssen wir als nicht!) einen Baustein in einem Gefüge begreifen . Die Einfüh- Das sogenannte Entgelttransparenzgesetz wird diesem rung des Mindestlohns, die Verbesserungen durch das Anliegen aber in keiner Weise gerecht . Das Gesetz ver- Elterngeld Plus, das geplante Rückkehrrecht von Teilzeit spricht viel, aber es ist darauf ausgerichtet, dass mög- auf die frühere Arbeitszeit und die Modernisierung der (B) (D) lichst wenig passiert . Gesetzliche Regelungen sind zwar Pflegeberufe flankieren den Wunsch der Mehrheit der dringend notwendig, aber dieses Gesetz brauchen wir Bevölkerung: die Partnerschaftlichkeit von Männern und wahrlich nicht . Frauen . Vielen Dank . (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das kann nicht nur privat gelten . Wir müssen und wollen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) darauf eine politische Antwort geben . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor ein paar Vizepräsidentin Claudia Roth: Tagen fragte mich ein Journalist in einem Interview zu Vielen Dank, Beate Müller-Gemmeke .– Nächste diesem vorliegenden Gesetz: Warum wählen Frauen Rednerin: Petra Crone für die SPD-Fraktion . auch die falschen Berufe? Ich frage Sie alle hier: Sind (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten etwa Pflegeberufe, in denen hauptsächlich Frauen arbei- der CDU/CSU) ten, falsche Berufe? (Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert Petra Crone (SPD): [SPD]: Nein!) Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolle- In der Altenpflege verrichten diese Frauen eine körper- ginnen! Meine Herren und Damen auf der Tribüne! Viele lich und seelisch sehr anstrengende Arbeit für Menschen . Jahre – einige sagen: 100 Jahre – haben wir Frauen – und übrigens auch Männer – parteiübergreifend für eine ge- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist rechte Bezahlung von Frauen und Männern gearbeitet . es!) Es ist kein Geheimnis, liebe Koalitionskolleginnen: Durch die Einführung der generalistischen Pflegeausbil- Sie sind bei diesem Thema nicht gerade fahnenschwen- dung kend vorausgeeilt . Aber wir haben uns immer gemein- sam jährlich zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor (Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD]) getroffen und damit der Lohnungerechtigkeit unseren werden wir die berufliche Wertschätzung für diese Frau- Kampf angesagt . Jetzt haben wir ein Ergebnis . Ja, lie- en erhöhen und auch endlich die notwendige finanzielle be Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es bleibt Aufwertung erreichen . hinter den Erwartungen der SPD-Bundestagsfraktion zu- rück . Aber wir sind zufrieden, dass wir einen, wie ich (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21797

Petra Crone (A) Eines zum Schluss . Oft wird gönnerhaft oder auch kri- Dies gilt umso mehr in einer Zeit der hybriden Ar- (C) tisch bei diesem Gesetz von Boni für Frauen gesprochen . beitsverhältnisse . Denn wir müssen aufpassen, dass wir Nein, es ist eine Selbstverständlichkeit . Wer Selbstver- nicht einen aussterbenden Arbeitsmarkt regeln, während ständlichkeiten wie die faire Bezahlung von Männern die Realität längst ganz anders aussieht und unsere Ge- und Frauen stets mit Bürokratie gleichsetzt, zeigt, dass setze schon vor der Einführung quasi überholt sind . er den Wert gesellschaftlicher Modernisierungen nicht Ich werbe dafür, nicht mit zweierlei Maß zu messen . verstanden hat . Wir müssen offensichtliche Ungerechtigkeiten über- (Beifall bei der SPD) all abbauen, auch und gerade in unserem Bereich, dem öffentlichen Dienst. Der Bund ist in diesem Gesetz mit Deshalb lassen Sie uns gemeinsam mehr Gerechtigkeit drin, Länder und Kommunen aber draußen; schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Ich danke Ihnen für das Zuhören . GRÜNEN]: Beim Prüfauftrag ist der öffentli- (Beifall bei der SPD) che Dienst nicht drin!) und gerade da ist noch viel zu tun – beispielsweise in vie- Vizepräsidentin Claudia Roth: len Jobcentern der Arbeitsagenturen . Dort gibt es unter- Vielen Dank, Petra Crone .– Die nächste Rednerin: schiedliche Bezahlungen für Angestellte, je nachdem, ob Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion . sie beim Bund oder bei der Kommune angestellt sind, für exakt die gleiche Tätigkeit im selben Büro . Da können (Beifall bei der CDU/CSU) wir ganz schnell Abhilfe schaffen.

Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Ein weiteres Beispiel sind befristete Verträge, die hier Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! immer von vielen angeprangert werden, aber beispiels- Liebe Gäste! Mit dem Gesetz zur Förderung der Trans- weise bei Lehrkräften in Rheinland-Pfalz gang und gäbe parenz von Entgeltstrukturen setzen wir nach der Frau- sind . Hier gibt es eine ungleiche Bezahlung für zwei enquote eine weitere wichtige Maßnahme im Bereich Lehrkräfte an ein und derselben Schule, die ein und die- Gleichstellung und Frauenpolitik um, die wir nicht nur selbe Tätigkeit ausüben . Solange wir so etwas dulden, im Koalitionsvertrag, sondern zuerst auch in unserem brauchen wir nicht mit spitzen Fingern auf andere zu zei- Wahlprogramm vereinbart hatten . Dass der CDU frauen- gen, sondern wir können selbst etwas tun . politische Themen – Chancengerechtigkeit und Fairness Ich möchte auch dafür plädieren, dass wir weniger Re- in der Berufswelt – wichtig sind, dokumentieren wir auch gulierungswut zulassen . Die Annahme, alles mit Geset- (B) dadurch, dass unser Fraktionsvorsitzender Herr Kauder zen regeln zu können und zu müssen, erweist sich näm- (D) heute hier ist . Ich frage mich: Wo sind die anderen Frak- lich auch bei der Entgelttransparenz als Irrglaube, tionsvorsitzenden, denen dieses Thema so wichtig ist? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner GRÜNEN]: Warum legen Sie denn dann ein [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon wird Gesetz vor?) es auch nicht besser! – Sönke Rix [SPD]: Ich sage es gleich: Er ist krank! Man kann sich und zwar aus mehreren Gründen: auch vorher erkundigen, bevor man das kriti- Erstens . Es hat sich die allumfassende Regulierung siert!) in Sachen Gleichstellung weder hier noch anderswo bewährt; mein Kollege hat darauf hingewiesen . Skandi- Wir beginnen damit eine breite gesamtgesellschaftli- navien wird immer als glühendes Vorbild hochgehalten . che Debatte, ohne die ein solches Gesetz keine dauerhaf- Dabei wird von allen Kolleginnen aus den Parlamenten te Veränderung in der Gesellschaft möglich macht . dieser Länder bestätigt, dass trotz totaler Transparenz Wir alle erwarten, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, beim Einkommen, trotz verpflichtender Vätermonate den Lohnunterschied bei Männern und Frauen zu ver- und, und, und sie eine um nur 1 Prozentpunkt niedrigere kleinern . Klar ist aber auch, dass allein mit diesem Ge- bereinigte Lohnlücke haben als wir . setz die restliche Lohnlücke nicht zu schließen sein wird, Und zweitens ist gerade bei diesem Gesetz der An- sondern wir weiterhin auf allen gesellschaftlichen Ebe- wendungsbereich derart disparat, dass es sehr schwer ist, nen dafür kämpfen müssen . damit allen Arbeitnehmerinnen gleichzeitig zu helfen . Im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gegensatz zur Frauenquote oder zum Mindestlohn soll dieses Gesetz Frauen in allen Branchen, allen Berufen Dabei ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt: Wir und auf allen Ebenen etwas bringen – von der Kassiere- müssen junge Frauen und junge Männer viel früher in rin bis zur Managerin, von der Krankenschwester bis zur Sachen Beruf und Finanzen aufklären und informieren Chefärztin . und die Beratung viel breiter aufstellen – nicht erst bei der Arbeitsagentur oder bei der Berufsberatung, sondern Dabei wissen wir doch, dass es schon schwer ist, in allen Schulen ab der siebten Klasse, übrigens nicht nur innerhalb einer Branche die Lohnlücke zu reduzieren, zu Verdienstmöglichkeiten in einzelnen Branchen, son- weil sie dort unterschiedlich ausfällt . Nehmen wir den dern auch über deren Auswirkungen bis zur Rente, inklu- Bereich der Kunst: Beim Film haben wir beispielswei- sive Erwerbsunterbrechungen aus den verschiedensten se katastrophal schlechte Voraussetzungen, während es Gründen . bei Bibliotheken oder in der Kunstpädagogik für Frauen 21798 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Ursula Groden-Kranich (A) deutlich besser aussieht . Und das gilt erst recht, wenn Ich bin mir sicher, dass das Thema Entgeltgleichheit (C) man mehrere verschiedene Branchen vergleicht . jetzt in den Unternehmen und in den Köpfen der Arbeit- geberinnen und Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Es ist hier nicht nur die Politik gefordert, sondern es Arbeitnehmer präsenter sein wird und damit der Einsatz sind die Sozialpartner gefordert, und dem werden sie in für faire Entlohnung wichtiger und vor allem erfolgrei- der Regel auch gerecht . Aber wir sollten den Gewerk- cher werden wird . Wenn wir alle unseren Töchtern und schaften, die ja letztlich auch selbst Arbeitgeber sind, Söhnen vorleben, dass es sich lohnt, für unsere Ziele zu genauso wenig pauschal eine unfaire Bezahlung unter- streiten, und partnerschaftlich unsere Aufgaben teilen, stellen wie irgendeinem mittelständischen Unternehmen . erreichen wir dauerhaft am meisten für Frauen in der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) sellschaft . Danke schön . Die Privilegierung von tarifgebundenen und tarifan- wendenden Unternehmen zieht sich als roter Faden durch (Beifall bei der CDU/CSU) den gesamten Gesetzentwurf . Damit honorieren wir die Tatsache, dass schon heute die Lohnlücke in Tarifbetrie- Vizepräsidentin Claudia Roth: ben am niedrigsten ist . Aber wir verbinden damit auch ei- Vielen Dank, Ursula Groden-Kranich . – Nächster nen klaren Auftrag an die Sozialpartner und Betriebsräte: Redner: Sönke Rix für die SPD-Fraktion . Das Engagement für Gleichstellung und Frauenförde- rung muss fortgesetzt und zu einer Selbstverständlichkeit (Beifall bei der SPD) gemacht werden . Ein dritter Punkt, der gegen zu viel Regulierung und Sönke Rix (SPD): Gesetzeshörigkeit spricht: Wir schaden damit sowohl Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den Unternehmen als auch den Frauen selbst . Wir sollten Zunächst einmal ganz kurz zur Vorrednerin, zur werten anerkennen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen Koalitionskollegin: Sie haben gerade gesagt, dass die in aller Regel für beide Seiten buchstäblich gewinnbrin- Frauen ruhig noch eine Schippe drauflegen können, wenn gend zusammenarbeiten . Dies gilt übrigens auch für die es um den Kampf für ihre eigenen Rechte geht . Mindes- bereits angesprochenen vielen kleinen und mittleren Un- tens die drei Herren hier vorne haben gleich geklatscht . ternehmen ohne Tarifvertrag . Ich will an dieser Stelle sagen: Es liegt nicht in erster Linie am Kampfesgeist der Frauen, wenn es um ihre ei- Die Frage ist doch: Wie gehen wir das Ziel Gleich- genen Rechte geht, sondern meistens an der Blockade stellung an? Gehen wir von einer feindlichen Arbeitge- einiger Männer . (B) berschaft und böswilligen Kollegen aus? Dann spräche (D) tatsächlich vieles dafür, Frauen mit umfassenden Geset- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie zesmaßnahmen zu beschützen . Ich glaube aber, die Wirk- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE lichkeit ist – in den meisten Fällen jedenfalls – längst eine GRÜNEN – Ursula Groden-Kranich [CDU/ andere . Wo Missstände sind, müssen wir diese energisch CSU]: Wir können uns hier nicht beschwe- angehen; aber wir sollten nicht den Fehler begehen, Frau- ren!) en immer nur beschützen zu wollen . – Ein Glück, dass das hier nicht so ist, auch nicht, wenn wir über diesen Gesetzentwurf reden . Nein, um Gottes (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE willen .– Aber die Frauen dafür selber verantwortlich zu GRÜNEN]: Es geht nicht um „beschützen“! machen, das sollten wir, finde ich, nicht tun. Gerade des- Es geht um gleiche Rechte!) halb reden wir jetzt das erste Mal über richtig konkre- Wir sollten sie stattdessen lieber fördern und unterstüt- te gesetzliche Maßnahmen: weil die Frauen eben nicht zen, was diese Bundesregierung auch getan hat, bei- selbst verantwortlich dafür sind, dass sie weniger Geld spielsweise durch den Ausbau der Kinderbetreuung . für die gleiche oder gleichwertige Arbeit verdienen . Frauen sind wesentlich belastbarer und flexibler als Dieser erste, wie ich finde, wichtige und gute Schritt Männer . Nur in Sachen Selbstbewusstsein und Streitbar- ist sehr nötig, um den Frauen an dieser Stelle zu helfen, keit, wenn es um uns selbst geht, könnten wir noch eine liebe Kolleginnen und Kollegen . Schippe drauflegen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Er schafft Transparenz. Er schafft endlich die Gelegen- Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr gut!) heit, Transparenz in Gehaltsstrukturen zu bekommen . Wir sind seit Jahrzehnten geprägt davon, dass man nicht Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Das Ge- einmal in der eigenen Familie darüber spricht, dass man setz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstruktu- nicht einmal dem eigenen Schwager erzählt, welches Ge- ren ist nur ein weiterer Schritt in Sachen Gleichstellung . halt man bekommt . Bei uns, die wir hier sitzen: Da weiß Das Engagement für eine moderne, partnerschaftliche jeder, was wir bekommen . Bei vielen ist das aber eher ein Arbeits- und Familienwelt muss weitergehen . Tabuthema . In den Ländern, in denen Lohntransparenz (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) herrscht, in den Ländern, in denen sie ganz selbstver- ständlich ist, weil inklusive Steuererklärung alles irgend- Gerade junge Frauen sollten die bisherigen Errungen- wie öffentlich ist, ist das Gap in der Entlohnung zwischen schaften nicht als Selbstverständlichkeit betrachten . den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21799

Sönke Rix (A) bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit geringer . Von Paul Lehrieder (CDU/CSU): (C) daher ist Lohntransparenz nicht nur ein erster Schritt zur Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Ar- Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren an den beitswelt, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Her- Bildschirmen und hier im Auditorium! Genau wie alle stellung von Gerechtigkeit in der Lohnpolitik insgesamt . anderen Kolleginnen und Kollegen habe auch ich pünkt- Das tut uns ganz gut, liebe Kolleginnen und Kollegen . lich zum Valentinstag den Equal-Pay-Newsletter be- kommen . Darin wird auf den diesjährigen internationa- (Beifall bei der SPD) len Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Männern Der Gesetzentwurf schafft einen soliden Rahmen und Frauen hingewiesen . Am 18 .März jährt sich dieser und befreit uns von dem Gang vors Gericht, wenn wir Tag in Deutschland zum zehnten Mal . Rund um dieses glauben, wir werden für die gleiche Arbeit nicht gleich Datum werden bundesweit wieder zahlreiche Aktionen bezahlt . Denn die Regelung, wie wir bezahlt werden, stattfinden. gehört in die Betriebe . Deshalb leistet dieses Gesetz (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch so einen wichtigen Beitrag . Es darf nicht sein, dass NEN]: Wir wollen diesen Feiertag aber über- Lohndiskriminierung eine Sache von Verhandlungen in flüssig machen!) Hinterzimmern ist . Lohndiskriminierung ist einfach nur unfair . Von daher muss dieser Bereich gesetzlich geregelt – Ja, wir wollen den sukzessive auf den 1 .Januar vor- werden . verlegen . Liebe Frau Kollegin Dörner, danke für den Einwand . Wenn Sie eine Frage stellen würden, hätte ich (Beifall bei der SPD) etwas mehr Redezeit; das würde mich noch mehr freuen . Natürlich ist es auch ein Signal . Mit diesem Gesetz- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Er entwurf sagen wir auch: Wir greifen diese Debatte auf . versucht es!) Wir machen einen ersten Schritt hin auf gesetzliche Rah- menbedingungen, wissen aber natürlich auch, dass dies, Natürlich arbeitet diese Große Koalition ein halbes wenn wir von schlechterer Bezahlung von Frauen nicht Jahr vor der nächsten Bundestagwahl in die richtige nur für gleiche, sondern eben auch für gleichwertige Ar- Richtung . Ich hätte es begrüßt, Frau Kollegin Möhring, beit sprechen, nur ein Baustein ist . Ein anderer Baustein wenn Sie gesagt hätten: Jawohl, das ist ein Schritt in die ist – viele Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt –: richtige Richtung . Wir, die Linke, unterstützen das .– Von das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit . Hier müssen euch hätte ich es mir auch gewünscht . Wie schon gesagt, wir noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. ihr habt noch die Möglichkeit, in der Ausschussanhörung Ferner: Wir wollen die Pflegeberufe aufwerten. in euch zu gehen und diesen Gesetzentwurf mitzutragen . (B) (D) (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Ich habe ja Ich will an dieser Stelle sagen, auch wenn ich nicht gesagt, was noch rein muss!) konkret in die Tarifverhandlungen eingreifen will: Meine Solidarität gehört denjenigen, die jetzt gerade im öffentli- Sie könnten sagen: Wir könnten noch mehr haben, aber chen Dienst, insbesondere in den Bereichen Pflege, Kin- wir sind auf einem guten Weg . dererziehung und Soziales, in Verhandlungen treten mit dem Ziel, dass sie besser bezahlt werden . Meine Solida- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE rität haben diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . GRÜNEN]: Da muss noch ein bisschen was verändert werden! Dann machen wir das!) (Beifall bei der SPD) Ich darf mich sehr herzlich bedanken . Wenn Sie sa- Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, über den die Uni- gen, Frau Kollegin Crone, die SPD sei die Butter auf on sagt: Das geht in Teilen ein Stück weit zu weit . Die der Stulle, dann muss ich sagen, dass die CDU/CSU der Opposition sagt: Das geht uns nicht weit genug und ist Schinken auf der Butter ist . Das macht es erst schmack- eher zu wenig . Einige Arbeitgeber sagen: Das ist zu viel haft; nur, dass Sie Bescheid wissen . Bürokratie und belastet uns zu viel . Die Frauenverbände (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und Arbeitnehmerinnen sagen: Im Gegenteil, es hilft uns Petra Crone [SPD]: Nein, nein! Die eine Seite noch nicht richtig . – Aus diesen Aussagen leite ich ab: der Klappstulle!) Das ist ein vernünftiger erster Schritt, ein guter Kompro- miss. Ich finde, den sollten wir schnellstmöglich hier im Von Vorrednern wurde bereits auf viele Details des Ge- Parlament umsetzen . setzentwurfes hingewiesen . Ich glaube, es ist ganz wich- tig, dass wir diesen Gesetzentwurf als Teil eines ganzen Herzlichen Dank . Paketes sehen . Ebenfalls wurde darauf hingewiesen, dass (Beifall bei der SPD) auch die starken Frauen – hier geht es um das Verhand- lungsgeschick bei Lohnverhandlungen – ein Stück weit stärker motiviert werden müssen . Ich bin nicht der Auf- Vizepräsidentin Claudia Roth: fassung, dass der böse Arbeitgeber den Frauen Ansprü- Vielen Dank, Kollege Rix . – Der nächste und letz- che in vielen Bereichen vorenthält, wie es klassenkämp- te Redner in dieser Debatte: der werte Kollege Paul ferisch von einer Vorrednerin ausgeführt wurde . Nein, Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion . ich glaube, wir müssen die Frauen durch verschiedene Programme – diese gibt es parteiübergreifend –, zum (Beifall bei der CDU/CSU) Beispiel Mentoringprogramme, unterstützen . Ich ken- 21800 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Paul Lehrieder (A) ne das zum Beispiel bei uns in der Frauen-Union . Dort ein bisschen Lob von der Linkspartei gewünscht, Herr (C) geht es um die Frage: Wie kann ich in der Politik, wie Kollege Birkwald; habt ihr leider vergessen, uns dafür kann ich im gesellschaftlichen Bereich so auftreten, dass zu loben – zeigen im Endeffekt, dass viel Gutes in dem ich genau dieselbe Härte habe wie die Männer, wenn es Gesetz steht . Wir werden damit die Situation der Frauen beispielsweise um Lohnverhandlungen geht? Ich glaube, in der Arbeitswelt, aber auch die Möglichkeit, Familie wir müssen versuchen, über Mentoringprogramme die und Beruf zusammenzubringen, deutlich verbessern . Ich Arbeitnehmerinnen zu stärken . Wir müssen den Frauen wünsche mir am 6 . März in der Anhörung ein konstruk- auch klarmachen – Stichwort: „Fachkräftemangel“ –: Ihr tives Begleiten . werdet gebraucht . Dies hilft ihnen in ihrer Position . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Paul, Eines, Frau Ministerin, haben wir, glaube ich, in dem ich verspreche dir: Ich komme zur Anhörung!) Gesetzentwurf übersehen; das wird sicherlich in der An- hörung nachgebessert werden . Wir haben im Kabinett den Ich bin froh, dass auch als Vertreter unseres Wirt- Beschluss „One in, one out“, also dass man fragt: Wie schaftsflügels der Kollege Klaus-Peter Willsch hier ist können wir Bürokratie an anderer Stelle ein Stück weit und gesagt hat: Wir werden uns bei der Anhörung mit reduzieren? Dann wird der Gesetzentwurf noch besser . einklinken und auf die Bedenken bzw . die Themen der Unternehmen hinweisen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Paul, Wir haben eine spannende Anhörung in 14 Tagen . Das wir kommen zur Anhörung!) Thema Lohngerechtigkeit gehen wir auf mehreren Ebe- nen an . Verantwortlich regieren heißt, die verschiedenen In- teressen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Betei- Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass wir am ligten unter einen Hut zu bringen . Da sind wir auf einem 1 . Januar genau vor zehn Jahren das Elterngeld einge- guten Weg, Frau Ministerin . Ich glaube, wir haben ein führt haben . Damals – unter der Familienministerin Frau vernünftiges Gesetz hinbekommen . von der Leyen – wurden die Kindergartenbetreuung und der Kitaausbau vorangebracht . Wir haben mittlerweile Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und viel erreicht in dieser Beziehung . Wir haben seit dreiein- auf die Anhörung und wünsche Ihnen allen noch einen halb Jahren – seit dem 1 .August 2013 – den Rechtsan- schönen Tag . spruch auf einen Kitaplatz . Das macht natürlich auch die Herzlichen Dank . Position von jungen Frauen, die sich um einen Arbeits- platz bewerben, besser . (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: GRÜNEN]: Das hat jetzt nicht unbedingt was mit Lohnhöhe zu tun!) Und ich lobe Sie, lieber Paul Lehrieder, dass Sie sich so an die Redezeit gehalten und sogar noch ein bisschen Das spielt hier alles ein Stück weit positiv hinein . Es sind eingespart haben . verschiedene Puzzlesteine, wie du gesagt hast, die hier ein Gesamtbild ergeben . Das wird dazu führen, dass die (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie kennen Position der Frauen stärker wird . mich doch, Frau Präsidentin!) Der Ausbau der Kinderbetreuung, der Rechtsanspruch – Ja, ich kenne Sie doch, natürlich . auf einen Kitaplatz, das Elterngeld Plus mit Partnermona- Damit schließe ich die Aussprache . ten, aber natürlich auch die richtige Behandlung von Ta- gespflegepersonen – das ermöglicht es, zu sagen: Jawohl, Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs ich kann nach der Geburt eines Kindes, wenn ich das wün- auf Drucksache 18/11133 an die in der Tagesordnung sche, dem Unternehmen wieder zeitnah zur Verfügung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt keine stehen . – Es stärkt die Position der Frauen – auch bei Ge- anderweitigen Vorschläge, dann ist die Überweisung so haltsverhandlungen –, wenn sie sagen können: Ich bleibe beschlossen . keine drei Jahre zu Hause – wie es noch vor zehn Jahren Vielen Dank für die lebendige Debatte . der Fall war –, sondern ich kann, wenn ich will, nach 12 oder 14 Monaten wieder an meinem Arbeitsplatz sein . Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, bitte ich darum, zügig die Plätze zu tauschen . (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Das ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Thema: Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf er- Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE möglicht kontinuierliche Erwerbsbiografien von Frauen Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfor- und existenzsichernde Beschäftigungsformen . dert eine soziale Offensive für alle Ja, es ist richtig: Es handelt sich um eine Abwägung Drucksache 18/9190 bei der Frage: Was können wir hier ein Stück weit er- reichen? Der Auskunftsanspruch bei 200 Beschäftigten, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) die Berichtspflichten bei 500 Beschäftigten, im Übrigen Innenausschuss auch die Stärkung der tarifgebundenen Unternehmen Ausschuss für Wirtschaft und Energie bzw . der Gewerkschaften – dafür hätte ich mir auch Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21801

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für keit und die Wiederherstellung des Sozialstaates fordert . (C) die Aussprache 60 Minuten vorgesehen .– Ich höre man- Aber wir als Linke werden dranbleiben, bis diese Unge- ches, aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlos- rechtigkeiten aufgehoben sind . sen . (Beifall bei der LINKEN) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Sevim Dağdelen für die die Linke. Wenn es etwas gibt, das CDU, CSU, SPD, FDP und auch die Grünen eint, dann ist es die Zerstörung des So- (Beifall bei der LINKEN) zialstaates . (Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit!) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Denn ob mit Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder jetzt Schwarz- Kollegen! Wir leben in einem Land – wie es der Politik- Rot: Seit Jahren wurde die Axt angelegt . Gesundheit ist wissenschaftler Christoph Butterwegge so treffend for- in unserer Gesellschaft zu einer teuren Ware verkommen . muliert hat –, in dem die Reichen immer reicher und die Statt sicherer Arbeitsplätze, guter Löhne und damit na- Armen immer zahlreicher werden . türlich auch guter Renten nehmen 1-Euro-Jobs, Leihar- beit, Dauerbefristungen und auch Werkverträge zu, mit (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Lei- dem Ergebnis, dass Hunderttausende von ihrer Arbeit der!) nicht leben und ihre Familien schlicht nicht ernähren Wir leben in einem Land, das sich sozial immer weiter können . Gleichzeitig explodieren die Mieten, und das zerlegt; einem Land, in dem der eiskalte Neoliberalismus längst nicht mehr nur in den lukrativen Ballungszentren, der letzten drei Jahrzehnte gesellschaftlichen Zusam- wie man sehen kann . Wen wundert es dann, wenn immer menhalt immer weiter und immer stärker zerstört; einem größere Teile der Bevölkerung von Zukunftsängsten ge- Land, in dem in vielen Städten mittlerweile jedes fünfte plagt werden? Kind, ja in manchen sogar jedes dritte Kind von Hartz IV (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) leben muss . Und wir leben in einem Land, in dem sich die soziale Frage in aller Schärfe neu stellt, wie es der Haupt- Es kommt hinzu, dass die Infrastruktur in Deutschland geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, auf den Hund gekommen ist . Das Ergebnis dieser rigoro- Ulrich Schneider, in seinem wirklich lesenswerten Buch sen Rotstiftpolitik der vergangenen Jahre: marode Brü- Kein Wohlstand für alle!? auf den Punkt gebracht hat . cken, marode Bahnstrecken, Schlaglöcher in den Straßen Schneider benennt in seinem Buch die Dynamik dieser und immer mehr Schwimmbäder, die schließen müssen . Entwicklung wie folgt – ich zitiere –: (B) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Alles in (D) Den Menschen wurde ein ganzes Stück sozialer rot-rot regierten Ländern!) Sicherheit genommen . Wer sehr gut verdient und einen sicheren Job hat, kann damit umgehen . Für Der Investitionsrückstand beträgt allein bei den Kom- diejenigen aber, für die jeder Cent zählt und deren munen mittlerweile 130 Milliarden Euro . Das Deut- Jobs alles andere als sicher sind, häufig nur befristet sche Institut für Wirtschaftsforschung errechnete einen oder auch als Leiharbeit, ist es eine echte Bedro- Investitionsstau von über 1 000 Milliarden Euro seit hung und wird auch so wahrgenommen . Es reicht 1999 . Dieses Kaputtsparen, meine Damen und Herren, dann der Zuzug von Flüchtlingen, wie wir ihn in den hat wirklich ganz konkrete Konsequenzen . Mittlerweile letzten Jahren hatten, um die politische Stimmung kann am Ende der vierten Klasse nur noch jeder zwei- völlig kippen zu lassen, um Rassismus und Aggres- te Grundschüler schwimmen, klagt die Deutsche Le- sion hochkommen zu lassen und jenen eine Chance bens-Rettungs-Gesellschaft . Nicht besser sieht es bei den einzuräumen, die mit nationalistischen Parolen er- öffentlichen Bibliotheken als Orten von gesellschaftli- folgreich sein wollen . cher Teilhabe, als Orten von Austausch und Begegnung aus, so wie ich es zumindest empfunden und auch gelernt Auf die Frage nach den Ursachen führt der Geschäfts- habe . Auch sie werden nach und nach weggespart und führer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Schneider, damit nach und nach geschlossen . wie folgt aus: Doch nicht nur im Bereich der fehlenden Investitionen Doch es waren nicht die Geflüchteten. Es waren die wurde der Staat gezielt geschwächt . Auch vor der An- neoliberale Ungleichheitspolitik und die damit ver- kunft der Flüchtlinge gab es zu wenige Lehrer, zu wenige bundenen Ausgrenzungen und Bedrohungen . Krankenpfleger, zu wenige Finanzbeamte und zu wenige Genau deshalb, meine Damen und Herren, ist es ver- Polizisten . antwortungslos, jetzt von sozialer Ungerechtigkeit zu (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist alles Sa- sprechen, sich aber gleichzeitig in dieser Welt, in der che der Länder!) Wirklichkeit, allem zu verweigern, was nur ein Stück mehr an Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft schaffen Auch durch die massiven Kürzungen im öffentlichen könnte . Dienst in den letzten Jahren war man als Staat damals (Beifall bei der LINKEN) bei der Ankunft von vielen Flüchtlingen nur noch bedingt handlungsfähig . Dabei ist der Sozialstaat gerade auch für Vor diesem Hintergrund: Es gilt ja für Sie gleich als skan- gesellschaftliche Notsituationen konzipiert worden . Ein dalös, wenn man, wie die Linke, mehr soziale Gerechtig- starker Sozialstaat hätte in dieser Situation ganz anders 21802 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Sevim Dağdelen (A) reagieren können . Deshalb fordern wir die Wiederher- Wir sagen: Das Geld ist da . Wir müssen dafür sorgen, (C) stellung eines starken Sozialstaates in Deutschland . dass die Reichen in diesem Land den Tisch decken für eine soziale Offensive in diesem Land, damit Integrati- (Beifall bei der LINKEN) on gelingen kann, damit nicht gespaltet wird, damit kein Sie sagen: Wir haben doch in die Integration inves- Rassismus in diesem Land geschürt wird, sondern eine tiert .– Sicher, das ist unbestritten so . Das sagen auch Perspektive für alle Menschen in Deutschland gewähr- wir Linke und haben es immer gefordert . Für die Inte- leistet ist und somit denjenigen, die von dieser Situation grationsleistungen wendete der Bund laut dem Bundes- profitiert haben, der Nährboden entzogen wird. finanzministerium im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden Vielen Dank . Euro auf . Doch das reicht bei weitem nicht aus . Auch die Überweisungen des Bundes an die Länder und Kommu- (Beifall bei der LINKEN) nen, die 9,3 Milliarden Euro, reichen nicht aus, um die Integrationskosten vor Ort zu decken . Man hängt auch einer gefährlichen Illusion an, wenn man glaubt, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: die Gelder, die man eingeplant hat, reichen und man den Vielen Dank, Sevim Dağdelen. – Nächste Rednerin: Haushalt nicht entsprechend aufstocken müsste . Die Fol- Dr .Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion . gen sind für uns alle verheerend; denn das Geld reicht einfach nicht aus – das beklagen zumindest die Kommu- (Beifall bei der CDU/CSU) nen bei uns in NRW –, um ausreichend Integrationskurse anzubieten, und auch für den notwendigen Bau von So- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): zialwohnungen, Kindergärten und Schulen ist kein Geld da . Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, es ist (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann ja nicht sehr schwer, zu erkennen, was Sie hier machen: wird es Zeit, dass da die Regierung wechselt! Sie nehmen die Themen Integration und Zuwanderung Rot-Grün hat abgewirtschaftet!) zum Vorwand, um uns hier schon einmal Ihr Bundestags- wahlprogramm aufzutischen und eine kleine Generalde- – Meine liebe Kollegin, das trifft auch für die CDU- oder batte vom Zaun zu brechen . Die Flüchtlingsthematik ist CSU-regierten Kommunen zu . für solche durchsichtigen Wahlkampfspielchen eigent- (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht so sehr!) lich zu ernst und zu wichtig; aber Sie wollen es so . Es ist nicht so, dass nur die rot-grün regierten Bundeslän- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . (B) der davon betroffen sind. Es ist so, dass man die Kom- Birkwald [DIE LINKE]: Ach, das können Sie (D) munen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im- besser! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ mer weiter finanziell hat ausbluten lassen. Sie sollten mit DIE GRÜNEN]: Angesichts dessen, was Ihre dieser Parteipolitik aufhören; denn ein Finger zeigt auch Kollegen bei Amri im Innenausschuss veran- auf Sie. Von einer sozialen Offensive zu sprechen, sollte stalten, gibt es auch noch andere ernsthafte man vermeiden, wenn man bedenkt, dass das Geld vor Themen, die gerade instrumentalisiert wer- Ort nirgendwo reicht . den!) (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen uns weismachen, dass im Zuge der Flücht- lingskrise erst so richtig offenkundig wurde, wie desolat Es ist eine schwere Hypothek auf die Zukunft, die Sie unser Staatswesen ist . Ich sage Ihnen: Genau das Gegen- mit dieser Art der unzureichenden Integrationspolitik teil ist der Fall . Im Zuge der Flüchtlingskrise wurde deut- aufnehmen . Zusätzlich schüren Sie Ressentiments in die- lich, wie stark unser Land ist . sem Land, fördern die Spaltung dieser Gesellschaft, wenn Sie Flüchtlinge als Lohndrücker einsetzen wollen, indem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie beispielsweise 100 000 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge ordneten der SPD) schaffen oder den Mindestlohn bei Flüchtlingen ausset- zen wollen und das alles Integrationsgesetz nennen . Wir Wie kein anderes Land dieser Erde haben wir in Deutsch- lehnen das ab . Sie sollten vernünftige Löhne sowohl für land geholfen, wie kein anderes Land dieser Erde haben die Einheimischen als auch für die Geflüchteten als Re- wir Humanität bewiesen, wie kein anderes Land dieser gel einführen und nicht irgendwelche Ausnahmen . Erde haben wir soziale Verantwortung gezeigt . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) In diesem Sinne ist es für uns auch völlig inakzepta- Es scheint momentan unter Rechtspopulisten ebenso bel, dass Sie mit 300 Millionen Euro Sprachkurse für die wie unter Linkspopulisten aber wieder schick zu sein, Flüchtlinge von der Arbeitsagentur und damit aus den den Untergang Deutschlands zu propagieren . Dass die Beiträgen der Arbeitslosenversicherung bezahlen lassen . Ränder des politischen Spektrums eng beieinander lie- Es kann doch nicht sein, dass die Integrationskosten den gen, konnten wir am vergangenen Wochenende bei der Beitragszahlern der Sozialversicherung aufgebürdet wer- Bundesversammlung sehen . den, während Sie hier andererseits jede Initiative zur Ein- führung einer Reichensteuer, einer Millionärssteuer blo- (Beifall der Abg . Sabine Weiss [Wesel I] ckieren . Das zeigt nur, welche Interessen Sie bedienen . [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21803

Dr. Astrid Freudenstein (A) Es war ja fast schon beklemmend, mit ansehen zu müs- Deshalb liefere ich Ihnen gleich noch ein paar mehr die- (C) sen, wie ähnlich Ihr Verhalten in diesem Raum ist . ser für Sie so ungünstigen Fakten . (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck Ich möchte mich der Beschreibung unseres Sozial- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- staates widmen, nachdem Sie den Menschen jetzt weis- nau! Einschließlich Seehofer!) machen wollen, dass es den in unserem Land so gut wie gar nicht mehr gibt: Sie von der ganz Linken und von der ganz Rechten haben offenbar Freude daran gefunden, unseren Rechts- Es gibt beispielsweise eine wichtige Kennzahl, die und Sozialstaat in diesem Wahlkampf als marodes Ge- aussagt, welchen Anteil am Bruttoinlandsprodukt ein bilde darzustellen, das unfähig ist, seine Aufgaben zu Staat für soziale Zwecke ausgibt . Seit erfüllen, aber immer noch fidel genug, um uns alle in den 2005 Bundeskanzlerin geworden ist, hat sich diese So- Untergang zu treiben . zialleistungsquote erhöht, und das, obwohl wir weniger Arbeitslose haben . Das heißt, weniger Bedürftige haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mehr bekommen . Unter Angela Merkel wurde der Sozi- alstaat eben gerade nicht ausgehöhlt . In Ihrem linkspopulistischen Manifest basteln Sie sich eine ganz schlichte Welt zusammen, eine Welt aus Gut (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine und Böse, aus Schwarz und Weiß, und entsprechend ein- Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ge- fach fallen Ihre Antworten aus . schliffen wurde er! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Märchenstunde bei der CDU/CSU!) (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Schwarz- weiß sind nur Sie, Frau Kollegin!) Erst gestern hat das Kabinett Verbesserungen für Er- werbsminderungsrentner beschlossen . Ich halte diese Sie müssen selbst wissen, ob Sie das in Ordnung finden. Maßnahmen für wichtig . Mir wäre nicht ganz wohl dabei . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine (Beifall bei der CDU/CSU) Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Da- von kann man gar nicht leben!) Erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen zu Ihren Aus- führungen; denn blankem Linkspopulismus kommt man Wir haben ein Bundesteilhabegesetz beschlossen, das vielleicht am besten mit Fakten bei: wesentliche Verbesserungen für Menschen mit Behinde- rungen bringt . (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Na ja!) (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN]: Jetzt ist wieder Märchenstunde!) (D) Die Arbeitslosenquote ist seit 2005, also seit die Union Regierungsverantwortung trägt, von 11,7 auf 6,1 Pro- Wir werden diesen Weg weitergehen . Auch hier haben zent gesunken; sie hat sich fast halbiert . Die Zahl der wir gezeigt, dass wir Sozialstaat können . sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in dieser (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zeit von 26 Millionen auf 32 Millionen gestiegen . Das ordneten der SPD) Durchschnittseinkommen stieg von 29 000 Euro auf jetzt 36 000 Euro . Das führt unter anderem dazu, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, Deutsche noch nie in ihrer Geschichte so wenige Stun- ich will Ihnen einmal sagen, wo offenbar die grundle- den arbeiten mussten wie heute, um sich einen Fernse- genden Unterschiede in unserem Sozialstaatsverständnis her leisten zu können, nämlich im Schnitt 26 Stunden . liegen: Vielleicht auch aus diesem Grund sind laut einer Studie (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE von TNS Infratest 92 Prozent der Bundesbürger sehr oder LINKE]: Wir sind sozial!) ziemlich zufrieden mit dem Leben in unserem Land . Seit zehn Jahren hat die Ungleichheit bei den Einkommen in Sie sind der Meinung, dass man mit Geld alles richten Deutschland nicht weiter zugenommen . kann . Ich sage Ihnen: Das kann man nicht, weil wir es mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun haben . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ist aber auch nicht Sie sind für Gleichmacherei und bezeichnen das als gesunken!) Gerechtigkeit . Ich sage Ihnen aber: Menschen sind Indi- viduen, und man wird ihnen eben nicht durch Gleichma- Wir stehen beim Gini-Koeffizienten, der die Einkom- cherei gerecht, sondern nur durch Fördern und Fordern, mensungleichheit anhand des verfügbaren Einkommens damit sie selbst das Beste aus ihrem Leben machen kön- bemisst, besser da als der OECD-Durchschnitt . nen . Liebe Linksfraktion, ich weiß, dass all diese Fakten Sie wollen 100 Milliarden Euro jährlich mehr in den ungünstig sind, wenn man sich erst einmal vorgenom- Sozialhaushalt pumpen und glauben, das ließe sich dau- men hat, einen Wahlkampf dahin gehend zu führen, dass erhaft finanzieren, indem man sich das Geld von den Rei- man den Untergang des Abendlandes propagiert . chen und Superreichen holt . (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das macht (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE doch Seehofer! Sie verwechseln uns mit LINKE]: Sie wollen sie ja in die Rüstung ge- Seehofer!) ben! Das unterscheidet uns!) 21804 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Astrid Freudenstein (A) Ich aber sage Ihnen: Wir sind eine Solidargemeinschaft Mensch ist anders . Auch in einem Sozialstaat haben wir (C) und keine Räuberbande mit ausgeprägter Selbstbedie- es mit Individuen zu tun . nungsmentalität, die sich einfach beim Bürger holt, was Wir werden Ihren Antrag ablehnen, weil dessen Um- sie braucht . setzung unseren Sozialstaat innerhalb kürzester Zeit ru- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- inieren würde . Möge der Wähler dafür sorgen, dass Sie ordneten der SPD) mit Ihren Ideen nicht zum Zuge kommen . Sie wollen einen Mindestlohn von 12 Euro, das Ende (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . von Hartz IV, Daniela Kolbe [SPD] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das werden wir erst mal sehen!) (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!) Vizepräsidentin Claudia Roth: eine Rückkehr zur Rente mit 65 und eine Grundsiche- Vielen Dank, Astrid Freudenstein .– Nächster Red- rung von mehr als 1 000 Euro . Damit würden Sie unseren ner: Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Sozialstaat frontal gegen die Wand fahren, und für unsere Grünen . Kinder und Kindeskinder bliebe nichts mehr übrig . Wenn es der Bundestagswahl im Herbst dient, ist Ihnen aber Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ offenbar jedes Mittel recht. Ich sage Ihnen: Wir werden DIE GRÜNEN): diesen Sozialstaat vor solchen Fantasien schützen, weil Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir nicht die Letzten sind, die hier stehen, und weil auch Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine die, die nach uns kommen, eine Grundlage brauchen . Rede gehört, in der alles schwarzgemalt worden ist, und (Beifall bei der CDU/CSU) eine Rede, in der alles schöngeredet und rosarot gemalt worden ist . Noch ein paar Sätze zu dem Thema, das Sie als Vor- wand für die heutige Debatte genommen haben, nämlich ( [CDU/CSU]: Na, na, na! – zur Integrationspolitik. Ihre Fraktionschefin und Oppo- Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Jetzt sitionsführerin hier im Bundestag hat bereits erkannt – malst du es grün!) was nicht so schwer ist –, dass man Zuwanderung be- Es ist wichtig, klar zu sagen, was gut ist und was schlecht, grenzen muss, um integrieren zu können . Davon steht wo die Chancen liegen und wo die Risiken, und auch die in dem uns vorliegenden Antrag nichts . Wahrscheinlich Probleme deutlich zu benennen . haben Sie einfach vergessen, es hineinzuschreiben . Im (B) Antrag steht nur, was Sie als Linksfraktion den Zuwan- ( [SPD]: Jetzt kommt die Mitte!) (D) derern alles zugestehen wollen, unter anderem einen vol- Ich fange mit dem Positiven, mit den Chancen an . In len Zugang zu allen Sozialleistungen . Das wären nach der Tat, Deutschland geht es gut . Wir sind in einer guten Ihren Vorstellungen für jeden Asylbewerber vom ersten ökonomischen Phase . Wir sind auch in einer guten demo- Tag an 1 050 Euro netto im Monat . Ich will Ihnen sagen: grafischen Phase. Uns geht es im Durchschnitt gut. Damit hätten wir einen solchen Pull-Faktor geschaffen, dass nie wieder ein Asylbewerber auf die Idee käme, in (Beifall der Abg . Kerstin Griese [SPD]) einem anderen Land als in Deutschland einen Asylantrag Sie haben es gesagt: Die Mehrheit ist durchaus zufrieden . zu stellen . (Kerstin Griese [SPD]: Da kann man doch (Beifall bei der CDU/CSU) mal klatschen! – Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gäbe eine explosionsartige Zuwanderung in unsere Sozialsysteme mit allen Folgen . Es kann nicht oft genug betont werden: Es gibt nach wie vor Millionen Menschen in Deutschland, die geflüch- Ich sage Ihnen auch: Man muss für gute Integration teten Menschen helfen und sie dabei unterstützen, bei uns tatsächlich Geld in die Hand nehmen . Um zu sehen, wie anzukommen und Teil unserer Gesellschaft zu werden, man das richtig macht, können Sie nach Bayern schauen . die für das neue Wir arbeiten . Das sind viel mehr Men- Dort schaffen wir Stellen bei der Polizei, Stellen bei der schen als die, die in Dresden und anderswo für Fremden- Justiz und natürlich auch Stellen in den Schulen . Da kön- feindlichkeit demonstrieren . Pegida und Co . sind nicht nen Sie lernen, wie Integration funktioniert . Richten Sie die Mehrheit . das einmal Ihren Parteifreunden in Thüringen aus! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur weil ein Asylbewerber mehr Geld vom deutschen Zuwanderung ist für Deutschland eine Chance, und Staat überwiesen bekommt, so wie Sie sich das vorstel- zwar sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch . Eine len, wird er sich garantiert nicht besser integrieren . Um bunte, vielfältige Gesellschaft ist in jeder Hinsicht gut . zum Beispiel die deutsche Sprache zu lernen, braucht es Wir brauchen Vielfalt statt Einfalt . Willen, Fleiß und Disziplin . Wenn man Begabung für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sprache hat, macht das das Ganze deutlich einfacher . Da- mit sind wir aber wieder bei dem grundlegenden Unter- Wir müssen diese Chance aber auch nutzen . Wenn es uns schied zwischen Ihrem und meinem Menschenbild . Jeder nicht gelingt, die Menschen, die zu uns kommen, in den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21805

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu integrieren, wer- Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der niemand ausge- (C) den wir ernste Probleme bekommen . Wir dürfen deshalb grenzt wird, die Fehler, die wir bei den sogenannten Gastarbeitern ge- macht haben, nicht wiederholen . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Es ist zum Beispiel ein Fehler der Bundesregierung, dass wir eine Dreiklassenintegration haben und dabei da- die bunt und vielfältig ist und in der alle das Gefühl ha- nach unterscheiden, aus welchem Land jemand kommt . ben: Ich gehöre dazu. – Statt Ausspielen der Geflüchteten gegen Einheimische braucht es einen inklusiven Ansatz . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es braucht inklusive Strukturen und Institutionen, bei denen die einzelnen Menschen mit ihren jeweiligen Stär- Es ist doch völlig daneben, dass jemand aus einem Land ken und Schwächen in den Mittelpunkt gestellt werden, mit einer Anerkennungsquote von 49 Prozent weniger und zwar egal ob jemand aus Dresden oder aus Damas- Unterstützung erhält als jemand aus einem Land mit kus kommt . Es geht nicht um die Frage „Wo kommst du einer Anerkennungsquote von 51 Prozent . Wir müssen her?“, sondern um die Frage „Wo willst du hin?“. doch den einzelnen Menschen in den Blick nehmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Wir brauchen inklusive Bildung, damit nicht mehr Daniela Kolbe [SPD]) die Herkunft entscheidet . Wir brauchen einen inklusi- ven Arbeitsmarkt . Wir brauchen Wohnraum für alle . Wir Integrations- und Sprachkurse lohnen sich auch für Men- brauchen Gesundheit für alle statt einer Dreiklassenver- schen – da gucke ich vor allen Dingen in Richtung Uni- sorgung. Die Notversorgung für Geflüchtete reicht nicht. on –, die vielleicht wieder in ihre Heimat zurückkehren . Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft. Wir brauchen Integration von Anfang an, und zwar für alle . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sind für gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen, sowie der Abg . Daniela Kolbe [SPD]) aber auch für eine gleiche Grundsicherung; denn die Wir dürfen aber auch die Probleme nicht verschwei- Würde des Menschen ist unantastbar . gen . Die Armutszahlen sind in Deutschland seit zehn (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Jahren auf Rekordniveau . Es gibt schon jetzt mindestens SES 90/DIE GRÜNEN) (B) 12 Millionen Menschen, die Leistungen der Grundsiche- (D) rung beziehen oder einen Anspruch darauf haben . Jetzt kommen noch einige Hunderttausend Menschen hinzu, Vizepräsidentin Claudia Roth: die ebenfalls Unterstützung brauchen. Das schafft gro- Und die Redezeit ist begrenzt . ße Herausforderungen . Möglicherweise steigen dadurch Armut und Ungleichheit noch an . Auch die Zahl der Arbeitslosen könnte durch die Menschen, die zu uns Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ kommen, steigen, weil nicht nur gut qualifizierte Fach- DIE GRÜNEN): arbeiterinnen und Facharbeiter kommen . Es stellt unser Unser Ziel ist selbstbestimmte Teilhabe für alle: für Bildungssystem vor Herausforderungen, und wir brau- die, die hier geboren sind und schon länger hier leben, chen mehr Wohnraum . Um diesen Herausforderungen und die, die neu dazukommen . gerecht zu werden, müssen wir investieren . Aber das sind Investitionen, die sich mittel- und langfristig lohnen . Ja, gesellschaftliche Teilhabe für alle und die Schaf- fung von inklusiven Strukturen kosten auch Geld . Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht auch um einen Kampf um Ressourcen . Dabei stehen die, die schon länger hier leben und ausgegrenzt werden Wenn wir sie nicht durchführen, kann uns das teuer zu oder sich ausgegrenzt fühlen, – stehen kommen: ökonomisch und sozial .

Die Bundesregierung hat aber immer noch kein Kon- Vizepräsidentin Claudia Roth: zept . Stattdessen diskutiert sie über Abschottung und da- Herr Kollege! rüber, wie ein paar Tausend Menschen schneller und ein- facher abgeschoben werden können . Dadurch wird kein einziges Problem gelöst . Ich fände es gut, wenn Sie Ihre Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Energie endlich dafür verwenden würden, sich darum zu DIE GRÜNEN): kümmern, wie wir es schaffen, dass diejenigen, die hier – und die, die jetzt neu dazukommen, eigentlich auf sind und hier bleiben, Teil unserer Gesellschaft werden . der gleichen Seite . Wir haben Ihnen dazu schon vor ziemlich genau ei- Deutschland ist ein reiches Land . Wir können das nem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir deutlich ge- schaffen. macht haben, was ansteht . Wir Grünen haben dabei einen klaren Kompass . Unser Kompass ist der einer inklusiven (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21806 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Alleinerziehender verbessert, die gesetzliche Rente ge- (C) Vielen Dank, Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn . – Ich stärkt . Ich könnte die Aufzählung fortführen . bitte Sie, auf die Redezeiten zu achten . Alle! – Nächste Frau Dağdelen, ich muss schon sagen: Ich finde es Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion . sehr ärgerlich, was für Nebelkerzen Sie hier werfen . (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: (Beifall der Abg . Kerstin Griese [SPD]) Sie hat doch gar nichts gesagt!) Wer will denn bitte schön den Mindestlohn für Geflüch- – Ja, sie trifft es jetzt. tete abschaffen? So ein Blödsinn!

Daniela Kolbe (SPD): (Beifall bei der SPD – Sevim Dağdelen [DIE Dann rede ich schneller . – Sehr geehrte Frau Präsiden- LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Ausset- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Integration ist ein zen!) höchst umstrittener Begriff. Viele haben damit Probleme. Und wenn Sie sagen, die berufsbezogenen Sprachkurse Ich habe mich ein bisschen mit dem Begriff versöhnt, als würden allein den Beitragszahlern zur Last fallen, ich mich noch einmal mit seinen Wurzeln befasst habe . Integration ist dem lateinischen Wort „integrare“ ent- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Arbeits- lehnt. Das bedeutet „ergänzen“, aber auch „unversehrt losenversicherung!) machen“. Das ist eigentlich eine ganz schöne Bedeutung. dann schauen Sie sich bitte die Sozialgesetzbücher an: Das bedeutet quasi eine gelungene, gewinnbringende Der allergrößte Teil ist im Bereich des SGB II und damit Eingliederung in ein bestehendes System . sozusagen Jobcenterangelegenheit . Wir können Ihnen Ja, der gesunde Menschenverstand sagt uns: Natürlich gern erklären, wie das mit den Sozialgesetzbüchern läuft; funktioniert das nur dann gut, wenn das bestehende Sys- das können wir nach der Rede gerne machen . tem gut funktioniert . Integration ist also nur dann einfach, (Beifall bei der SPD – Waltraud Wolff [Wol- wenn es der Aufnahmegesellschaft gut geht . Das hat die mirstedt] [SPD]: Frau Dağdelen, kommen Sie SPD schon immer gesagt; wir haben auch in dieser Le- doch mal in unseren Ausschuss!) gislatur danach gehandelt und wichtige Beiträge geleis- tet . Beispielsweise haben wir den Mindestlohn eingeführt Schauen Sie doch auch einmal bei uns im Ausschuss für und gerade gestern die Verbesserung der Erwerbsminde- Arbeit und Soziales vorbei! rungsrente auf den Weg gebracht . All das zeigt Wirkung, und es trägt eine sozialdemokratische Handschrift . Wir Aber zurück zu Ihrem Antrag . Ein bisschen trägt er schon die Handschrift – da würde ich auch zustimmen –, (B) können sagen: In vielerlei Hinsicht geht es Deutschland (D) gut . Die Arbeitslosigkeit ist sehr niedrig, und wir haben dass eine clevere Integrationspolitik allen nutzt, den Ein- Haushaltsüberschüsse . Das ist gut so; denn dann gelingt heimischen und den Geflüchteten. Die SPD hat genau Integration leichter . das vorangetrieben, und wir haben sehr viel erreicht . Wir haben die Wohnungsbaumittel zweimal verdoppelt; das (Beifall bei der SPD) nutzt allen, Hinzukommenden wie hier Lebenden . Wir Aber in gewisser Weise ist der Tenor des Antrags auch haben die Kommunen massiv entlastet; auch das nutzt teilweise richtig . Auch wir sehen bei vielen Dingen eine allen . Wir haben das Personal in den Jobcentern aufge- Schieflage in diesem Land. Deutschland ist im Durch- stockt; das nutzt allen . schnitt ein sehr reiches Land . Dennoch macht uns Sor- (Beifall bei der SPD) gen, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich ausei- nandergegangen ist . Wir machen uns Gedanken über die Wir haben Integrationskurse und Ausbildungsförderung Langzeitarbeitslosigkeit, die nicht so stark zurückgehen für Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive geöffnet; will, wie wir das gerne hätten . das nutzt auch allen . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht sie nicht Damit kommen die Menschen nämlich aus der Hilfsbe- von alleine!) dürftigkeit heraus, und unsere Wirtschaft bekommt Ar- Wir machen uns auch Gedanken über prekäre Beschäf- beitskräfte, und das schneller . tigung . Das kann nicht so bleiben; das müssen wir an- Also: Es geht Deutschland gut, und wir haben gute gehen . Voraussetzungen für Integration . Aber wir haben natür- Trotzdem, liebe Linke: Wir haben schon richtig viel lich noch einiges zu tun . Beispiel Ausbildungsförderung, geschafft. Das auszublenden, wie Sie das in Ihrem Antrag Berufsausbildungsbeihilfe: Wir haben das für Geflüchte- machen, ist hochgradig peinlich und albern . te mit guter Bleibeperspektive geöffnet. Wir müssen aber den Fokus darauf richten, dass alle, die sich in Deutsch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten land anstrengen, etwas davon haben . der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Ein paar Stichworte zum Mitschreiben: Wir haben den Mindestlohn eingeführt, die Tarifbindung gestärkt und Das mache ich nicht an einer Bleibeperspektive fest . Wer die Leiharbeit eingedämmt . Wir haben ein Programm sich anstrengt, sollte auch etwas davon haben . Ich per- gegen Langzeitarbeitslosigkeit aufgelegt, die Situation sönlich bin für eine weitere Öffnung dieser Hilfen. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21807

Daniela Kolbe (A) Sprechen wir beispielsweise über die aus Afghanis- Ich möchte einmal die Entwicklungen im Berliner Os- (C) tan Geflüchteten. Dazu hätte ich auch noch einen Satz ten, in meinem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg darlegen . zu sagen . Wenn wir uns ernst nehmen, müssen wir uns Wir haben die Wiedervereinigung und danach soziale an unsere eigenen Regeln halten . Für mich bedeutet eine und gesellschaftliche Umbrüche erlebt . 2005 – das war Schutzquote von 50 Prozent – ich hatte es so verstanden, der Höhepunkt – lag die Arbeitslosenquote in meinem dass das allgemein anerkannt ist – eine gute Bleibeper- Wahlkreis bei 17,3 Prozent . Damals hat sich die rot-grü- spektive . ne Koalition durchgerungen, mutige Arbeitsmarktrefor- men umzusetzen, und zwar mit Unterstützung der Union . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- So ist die Arbeitslosenquote von 17,3 Prozent im Jahres- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch!) durchschnitt 2013 auf 10,8 Prozent gefallen . Das war das Aus Afghanistan Geflüchtete haben seit vielen Monaten Jahr, in dem ich in den Deutschen Bundestag gewählt eine Bleibeperspektive von deutlich über 50 Prozent . wurde und meinen Beitrag im Ausschuss für Arbeit und Nach meiner Lesart sind das Menschen mit guter Bleibe- Soziales leisten wollte, dass diese positive Entwicklung perspektive, die Zugang zu Integrationskursen und ande- fortgesetzt wird . Im Jahresdurchschnitt 2016 lag die Ar- ren Hilfen bekommen müssten . beitslosenquote in Berlin-Lichtenberg bei 8,5 Prozent . Das bedeutet, dass wir uns weiterhin um diejenigen (Beifall bei der SPD) kümmern müssen, die noch Arbeit suchen . Im gleichen Das wird derzeit im BMI geprüft . Ich kann nur dazu ra- Zeitraum gab es ebenfalls eine positive Entwicklung bei ten, zügiger zu prüfen; denn bei der Frage, ob wir diese der Jugendarbeitslosigkeit . Die Jugendarbeitslosigkeit Menschen zügig integrieren, geht es auch um die Zukunft ist im Jahresdurchschnitt 2013 von 10 Prozent auf nun unseres Landes . 8 Prozent gesunken . Das alles sind höchst erfreuliche und positive Zahlen . Wenn wir als Gesetzgeber sagen, dass Geflüchtete im Asylverfahren, die eine Ausbildung beginnen, hier Wenn es um eine soziale Offensive geht – hier suche sicher sind und noch zwei Jahre arbeiten können, muss ich gern das Verbindende –, dann muss man natürlich das auch gelten, und zwar in allen Bundesländern glei- ansprechen, dass es auch in den letzten Jahren Personen- chermaßen . Wir sehen, dass in manchen Bundesländern kreise gab, die von der positiven Entwicklung auf dem versucht wird, die Menschen noch schnell außer Landes Arbeitsmarkt nur zum Teil profitiert haben. Dazu gehö- zu bringen, bevor sie ihre Ausbildung antreten können . ren Langzeitarbeitslose – diese machen mittlerweile in So haben wir das hier nicht gemeint . Deswegen lassen Lichtenberg einen großen Anteil aus –, die leider Gottes Sie uns deutlich sagen – wir müssen das ernst nehmen –: nicht so einfach in Arbeit integriert werden konnten . Des Die Drei-plus-zwei-Regelung muss in allen Bundeslän- Weiteren gibt es geflüchtete Menschen, die hier einen (B) dern gelten, auch im Süden dieses Landes . Bleibestatus haben und es ebenfalls nicht einfach haben, (D) in Arbeit zu kommen . Aber eine richtige Integration kann (Beifall bei der SPD) nur über Arbeit erfolgen . In diesem Sinne: Schön, dass wir über dieses Thema In der Politik ist es entscheidend, konkrete Vorschlä- reden konnten; aber Sie haben es mit Ihrem Antrag kom- ge zu machen . Ich habe bei der Abgeordnetenhauswahl plett übertrieben . Sie haben zum Beispiel über Zwangs- erlebt, dass der Anteil populistischer Parteien in Ber- verrentung gesprochen . Warum bitte schön? Mit dem lin-Lichtenberg hochgegangen ist . Auch deswegen ha- Thema hat das aus meiner Sicht gar nichts zu tun, zumal ben wir uns entschieden, ein Pilotprojekt in Lichtenberg wir die Zwangsverrentung auch gerade – da sind Ihre auf den Weg zu bringen . Dieses Tandem-Job-Programm Kenntnisse etwas veraltet – weitgehend abgeschafft ha- integriert immer einen Langzeitarbeitslosen und einen ben, übrigens auf SPD-Initiative . Flüchtling in Arbeit . Dieses Pilotprogramm erfährt gro- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ße Unterstützung von Karl Schiewerling und Peter Weiß aus der Arbeitsgruppe . An diesem Programm beteiligen (Beifall bei der SPD) sich freiwillig große Unternehmer aus Berlin-Lichten- berg wie das Königin-Elisabeth-Herzberge-Krankenhaus Vizepräsidentin Claudia Roth: und das Abacus-Tierpark-Hotel sowie Unternehmen aus Vielen Dank, Daniela Kolbe .– Nächster Redner: der Sicherheitsbranche genauso wie soziale Unterneh- Dr . Martin Pätzold für die CDU/CSU-Fraktion . men, zum Beispiel die Kiezküchen . Insgesamt werden so 20 Personen durch bestehende Möglichkeiten der FAV in (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeit integriert . Das heißt, zehn Langzeitarbeitslose und zehn Flüchtlinge werden gemeinsam von Unternehmen Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): in Arbeit integriert . Das ist ein Beitrag für eine soziale Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Offensive in meinem Wahlkreis, der Menschen konkret und Herren! Der Antrag der Linken gibt uns heute die hilft, in Arbeit zu kommen . Möglichkeit, über die Erfolge der Arbeitsmarkt- und So- (Beifall bei der CDU/CSU) zialpolitik der Großen Koalition zu sprechen . So sehe ich Ihren Antrag, der in einigen Punkten – in diesem Fall Sie nennen in Ihrem Antrag die Punkte, wo Ihrer sind es sieben Politikfelder – Defizite benennt. Aus Sicht Auffassung nach Defizite bestehen, zum Beispiel bei eines Unionspolitikers halte ich ihn zum Teil für sehr der Schaffung des Wohnraums, der Arbeitsmarktre- einseitig . Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich die form – diese sind wir Ihrer Meinung nach nicht angegan- Wirklichkeit betrachte . gen – und im Gesundheitsbereich . Zudem stellen Sie im 21808 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Martin Pätzold (A) Bereich des Arbeitsmarktes Forderungen an die Bundes- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) regierung . Ich will auf drei Punkte eingehen, die Sie im Vielen Dank, Dr . Martin Pätzold . – Nächster Redner: Bereich der Arbeitsmarktpolitik formulieren . Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen . Erstens. Sie wollen den öffentlichen Beschäftigungs- sektor auf 300 000 Personen ausbauen . Angesichts mei- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ner Erfahrungen in meinem Wahlkreis Lichtenberg kann Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der ich verstehen, dass es Personengruppen gibt, für die man ökonomistischen Grundthese Ihres Antrags vermag ich Hilfe organisieren muss . Aber 300 000 Personen und nicht zu folgen . Soziale Gerechtigkeit und Rechtspopu- eine entsprechende Finanzierung stellen eine Herausfor- lismus folgen nicht einem einseitigen Wirkungsmecha- derung dar, die wir im Bundeshaushalt nicht stemmen nismus . Soziale Gerechtigkeit sollte man um ihrer selbst könnten und auch nicht stemmen wollen . willen machen, aus ethischer und verfassungsrechtlicher Zweitens wollen Sie die Sanktionen abschaffen. Ich Grund­überzeugung, und nicht bloß als Rechtspopulis- will ganz offen sagen, dass es auch bei uns Diskussio- musprophylaxe . nen darüber gibt, ob es tatsächlich so hilfreich ist, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Personen aus den Hilfesystemen herausfallen . Aber die sowie bei Abgeordneten der SPD) grundsätzliche Abschaffung von Sanktionen lehnen wir selbstverständlich ab . Es erklärt sich auch nicht alles, was wir an Pegida, AfD und dergleichen haben, nur aus der sozialen Situati- (Beifall bei der CDU/CSU) on . Empirisch ist das sogar falsch . Die Leute, die diesen Der dritte Punkt in Ihrem Antrag ist – das führt die Gruppen anhängen, sind überwiegend eher gut situiert Gesellschaft nicht zusammen –, dass Sie eine Sonderab- und haben allenfalls Abstiegsängste . Denen geht es letzt- gabe für Arbeitgeber in Höhe von 0,5 Prozent einführen endlich nicht um soziale Gerechtigkeit, sondern ein Stück wollen, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen . weit um Egoismus; sie haben Angst vor Veränderungen, Dieses Gegeneinander-Ausspielen von Gruppen wird, und das muss man eigenständig politisch adressieren . finde ich, in Ihrem Antrag sehr deutlich. Auch deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist es für uns, die CDU/CSU, klar, dass wir Ihren Antrag sowie bei Abgeordneten der SPD) ablehnen . Ihr Antrag enthält am Ende viel Richtiges und Fal- Meine Vorrednerin Astrid Freudenstein hat schon sches . Er ist ein buntes Potpourri, und man fragt sich, sehr deutlich gemacht, dass Ihr Antrag eine Zusammen- wozu man reden soll und was man sich herausgreifen stellung Ihres Wahlprogramms ist, in dem Sie die un- (B) soll . (D) terschiedlichen Themenbereiche benennen . Ich bin ge- spannt, in der politischen Debatte zu erfahren, wie Sie Ich will Ihren Antrag insofern ernst nehmen, als er Ihre Forderungen finanzieren wollen. zum Thema Integrationspolitik gestellt worden ist, und ein wichtiges Thema aufgreifen, bei dem ich finde, dass (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Haben wir wir besser werden müssen, weil die Regelung nicht so doch! Haben Sie den Antrag nicht gelesen?) funktioniert hat, wie sich die Koalition sie vorgenommen Ich möchte an dieser Stelle den zahlreichen Unterneh- hat: Das ist die Bleiberechtsregelung . mern in Lichtenberg danken, die in den letzten Jahren Ich habe die Bundesregierung danach gefragt, wie vie- Tausende Arbeitsplätze geschaffen haben. Ich möchte le Menschen davon eigentlich profitiert haben. Ursprüng- dem Jobcenter Lichtenberg dafür danken, dass es mit viel lich sagte man, dass man 30 000 Menschen, die geduldet Initiative und mit vielen engagierten Mitarbeitern dazu sind und seit acht Jahren hier leben, eine anständige auf- beiträgt, dass Menschen in Arbeit kommen . In diesem enthaltsrechtliche Perspektive eröffnet. 4 100 sind es nur Zusammenhang seien Lutz Neumann, der Geschäftsfüh- geworden . Wir können doch nicht sagen, dass wir eine rer, und Michael Denkert, der Bereichsleiter, genannt . gute Integrationspolitik machen, wenn wir sehen, dass wir (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kennt aber offensichtlich bei Menschen innerhalb von acht Jahren sonst niemand in Deutschland!) keine aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen durchführen können, aus praktischen oder menschenrechtlichen guten Ich danke auch der Agentur für Arbeit in Berlin-Branden- Gründen . Dann muss man doch im Sinne der Integration burg, die es ermöglicht hat, das Tandem-Job-Programm sagen: Ja, kommt hinein in diese Gesellschaft, macht mit, in die Wirklichkeit umzusetzen . Es sind vor allem Jutta nehmt eure Chancen wahr, beteiligt euch . Das ist besser, Cordt und Bernd Becking, denen mein Dank gebührt . als den dauerhaften Ausschluss durch den prekären Auf- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kennt aber enthaltsstatus fortzusetzen . Das ist integrationspolitisch jetzt niemand!) falsch und integrationsfeindlich. Ich finde, hier müssen wir dringend umsteuern . Den Antrag der Linken müssen wir leider ablehnen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank . Wenn man sich das genau anschaut, dann sieht man, (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich dass das Elend eigentlich noch viel schlimmer ist und die [DIE LINKE]: Wir sind hier nicht im Lichten- Hürden einfach zu hoch sind . Länger als sechs Jahre sind berger Rathaus!) 86 000 Menschen in diesem Land . Wir haben gerade ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21809

Volker Beck (Köln) (A) mal 4 100 Menschen zu einem Aufenthaltsstatus verhol- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) fen . Das kann auf Dauer nicht gutgehen . Ja, das weiß ich, dass Sie sich darüber freuen . Deswe- gen habe ich ja gefragt, ob Sie das zulassen . Aber Sie tun Diese Leute sind aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt . das natürlich . Ihre Kinder sind aus dem Bildungsbereich ausgegrenzt . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hier setzt sich das Schicksal der Ausgrenzung von Gene- NEN]: Mehr Redezeit!) ration zu Generation fort . Das ist ein großer desintegra- tiver Faktor in unserer Gesellschaftspolitik . Hier müssen Bitte schön, Herr Dr . Rosemann . wir anders vorgehen . Dr. Martin Rosemann (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Herr Kollege Beck, wie erklären Sie der Öffentlichkeit, dass in dem- Bun Sie haben vorhin das Thema Afghanistan angespro- desland, das in Deutschland als einziges einen grünen chen . Als Ausländerrechtler, als Einwanderungspolitiker Ministerpräsidenten hat, im Unterschied zu einer gan- muss ich sagen: Ja, wir entscheiden, wer hier herein- zen Reihe von Ländern, die einen sozialdemokratischen kommt . Wenn Menschen aus humanitären Gründen kom- Ministerpräsidenten haben, etwa weil sie rot-grün regiert men, wenn sie Schutz vor Verfolgung brauchen, dann sind, dass in dem einzigen Bundesland, in dem die Grü- kann es keine Obergrenze geben, sondern dann müssen nen die führende Regierungspartei sind, – das Asylrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention zur Wirkung Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kommen . Wenn Leute keinen Anspruch auf Schutz vor Das schmerzt Sie sehr . Verfolgung haben, dann muss man dazu stehen, dass sie gehen müssen, es sei denn, dass sie aus arbeitsmarkt- Dr. Martin Rosemann (SPD): politischen Gründen, also über einen anderen Korridor, – Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt und als Migranten, die wir brauchen, in unserer Gesellschaft vom grünen Ministerpräsidenten auch verteidigt werden? Platz finden. – Ja, das ist richtig.

Wenn man sich aber die Praxis im Einzelnen anschaut, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wie die Asylverfahren ablaufen, muss man feststellen: Das erkläre ich mir dadurch, dass auch ein grüner Mi- Nicht jeder, der verfolgt wird, kann in diesem Verfahren nisterpräsident in der Lage ist, falsche Ansichten zu ver- tatsächlich erwirken, dass sein Verfolgungsschicksal er- treten . Ich sehe das anders als der Kollege Kretschmann . (B) (D) kannt und anerkannt wird . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Was nicht geht, unter keinen Bedingungen, ist, dass man Menschen in kriegerische Auseinandersetzungen Ich habe hier übrigens keinen parteipolitischen Angriff abschiebt . gemacht, weil ich das bei solchen Themen im Ergebnis billig fände . Mir geht es um die Menschen, um das Leben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Menschen . Ihre Partei stellt so viele Ministerpräsi- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denten . Auch die schieben kräftig ab . Was soll das? Wir müssen um die Wahrung eines menschenrechtli- Deshalb fehlt mir jedes Verständnis dafür, dass man chen Prinzips kämpfen . Das Recht auf Leben darf nicht Menschen, selbst wenn sie Ladendiebe sind, zurück nach infrage gestellt werden, unabhängig davon, ob es um Afghanistan abschiebt . Wir brauchen hier eine Neube- Menschen geht, die den Status „politisch verfolgt“ ha- wertung der Sicherheitslage . ben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr . Martin Rosemann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Lassen Sie uns deshalb zusammenarbeiten – im Sinne der Humanität und nicht im Sinne von Parteipolitik, bei – Ich freue mich auf die Zwischenfrage .– Diese Men- der man mit dem Finger auf andere Leute zeigt . Alle hier schen muss man nicht dauerhaft dabehalten; aber man vertretenen Parteien sind auch in Landesregierungen ver- darf sie nicht in ein kriegerisches Land abschieben und treten . Sofern wir humanitär orientiert sind, sind wir alle ihr Leben damit aufs Spiel setzen . nicht mit jedem Beschluss von Ministerpräsidentenkon- ferenzen, in denen übrigens ebenfalls alle hier vertrete- nen Parteien repräsentiert sind, immer einverstanden . Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Ab- Vizepräsidentin Claudia Roth: geordneten Dr . Rosemann? Jetzt kommen Sie bitte zum Ende .

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich denke, wir sollten uns an den Inhal- Ja, ich würde mich sehr darüber freuen . ten orientieren . Aber ich verstehe, dass es Sie schmerzt, 21810 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Volker Beck (Köln) (A) dass Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsi- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) denten hat, während Sie dort in der Opposition sitzen . Frau Kollegin Griese, erlauben Sie eine Zwischenfra- ge oder -bemerkung vom Kollegen Ulrich von der Lin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken?

Vizepräsidentin Claudia Roth: Kerstin Griese (SPD): Vielen Dank, Volker Beck . – Nächste Rednerin: Selbstverständlich . Kerstin Griese für die SPD-Fraktion . (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut . Kerstin Griese (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Alexander Ulrich (DIE LINKE): gen! Der Antrag der Fraktion Die Linke vom Juli letzten Kollegin Griese, Sie versuchen wieder, unseren An- Jahres ist ein sozialpolitischer Rundumschlag, der alles trag schlechtzureden und wollen ablenken . Sie erzählen kritisiert, alles schwarzmalt, was mit dem Zusammenle- hier, wie toll doch alles ist, was Sie in der Großen Koa- ben und dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesell- lition umgesetzt haben, und versuchen, die Agenda 2010 schaft zu tun hat . Wieder einmal ist es angeblich – große zu lobpreisen . Überraschung – die Agenda 2010, die an allem Elend in Es gibt seit zwei, drei Wochen einen neuen Kanzler- Deutschland schuld ist; kandidaten der SPD, der keine Talkshow auslässt und (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: An vielem erzählt, wie sozial ungerecht es in diesem Land zugeht . bestimmt!) Haben Sie eine andere Auffassung als Ihr Kanzlerkandi- dat, wenn dieser von sozialer Ungerechtigkeit spricht, die es darben Millionen verarmter Bürgerinnen und Bürger . – bei jedem hart arbeitenden Menschen spürbar wäre? Was Ich will das gar nicht fortsetzen; denn wir kennen das von glauben Sie denn, was er dazu sagt bzw . was seine Vor- Ihnen zur Genüge . Aber ich sage Ihnen ganz klar: Das stellungen dazu sind? Oder sagen Sie auch, er hat unrecht Bild, das Sie von unserer Gesellschaft zeichnen, wird mit seiner Darstellung der sozialen Lage in Deutschland? durch stete Wiederholung nicht richtiger . Unsere Gesell- schaft ist nicht schwarz; sie ist bunt und vielfältig . (Beifall bei der LINKEN)

(B) (Beifall bei der SPD) Kerstin Griese (SPD): (D) Es gibt viel zu tun . Ja, wir alle, besonders natürlich Lieber Herr Kollege Ulrich, ich bin Ihnen sehr dank- wir von der SPD, wollen mehr soziale Gerechtigkeit . Wir bar, dass Sie den SPD-Kanzlerkandidaten und zukünfti- kämpfen dafür mit viel Leidenschaft und konkreten Ide- gen Bundeskanzler Martin Schulz erwähnen . en . Aber wir wissen auch, dass die Menschen in unserem (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ Land zuversichtlich sind, dass sie zusammenhalten, dass CSU: Oh!) sie sich gegen Spaltung und für den Zusammenhalt enga- gieren . Und das ist gut so . Denn er tut genau das, was ich eben sagte: mit Leiden- schaft und Konzepten für mehr soziale Gerechtigkeit Unser Arbeitsmarkt ist in einer guten Verfassung . Wir kämpfen; und das werden Sie auch von uns immer ge- haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 26 Jahren . meinsam so hören . Wenn Sie meiner Rede weiterhin zu- Die Zahl der Menschen in Beschäftigung, die Zahl der hören, werden Sie auch einige konkrete Vorschläge dazu Erwerbstätigen, ist mit über 43 Millionen so hoch wie vernehmen . Ich bin sehr froh, dass Martin Schulz das noch nie . Darüber gibt es viel Positives zu sagen, und ge- Thema soziale Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt rade deshalb sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozial- der politischen Debatte gestellt hat, und er ist unser aller demokraten: Wir müssen uns gerade jetzt noch mehr um Unterstützung gewiss . die Langzeitarbeitslosen kümmern . Für sie müssen wir noch mehr tun . Gerade in Zeiten guter Beschäftigungs- (Beifall bei der SPD – Dr .W olfgang konjunktur geht es darum, ihnen zu helfen . Es geht dabei Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber auch darum, pragmatische Vorschläge zu machen NEN]: Das hat die SPD in den letzten Jahren und nicht dauernd zu übertreiben oder schlichte Rezepte nicht geschafft! Deswegen braucht es das anzubieten, wie Sie das tun . jetzt! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wa- rum sagt der Schulz, dass alles nicht so gut Wir haben dafür Lösungen . Wir schlagen den Pas- ist?) siv-Aktiv-Transfer vor . Wir tun viel, um Langzeitarbeits- lose in Arbeit zu bekommen, und wir reden nicht alles nur Wir haben viel Gutes zu berichten, ich sage nur: schlecht . Ich sage Ihnen: Es gibt viel Gutes zu berichten . Mindestlohn, Mietpreisbremse, sozialen Wohnungsbau ausgebaut, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, Ganz- (Beifall bei der SPD – Dr .W olfgang tagsschulausbau, Regulierung der Leiharbeit und der Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Werkverträge, massive Verbesserungen in der Rente – NEN]: Aber den gibt es nur da, wo die Grünen das alles ist gut . Wenn Sie einmal in den 5 .Armuts- und regieren!) Reichtumsbericht schauen, sehen Sie, wo die Ursachen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21811

Kerstin Griese (A) der Probleme liegen . Die Einkommensschere, die sehr haft auf bundesgesetzlicher Grundlage unterstützen . Da (C) weit offen war, schließt sich langsam wieder, gibt es ja noch einen offenen Posten aus dem Koalitions- vertrag: das Demokratiefördergesetz . Das brauchen wir (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- dringend, damit gerade in diesen Zeiten, in denen der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, tut sie nicht!) Rechtspopulismus stärker wird, diejenigen unterstützt weil wir Gutes getan haben, zum Beispiel beim Min- werden, die sich für Demokratie, Toleranz und Miteinan- destlohn . Was auseinandergeht, ist die Vermögenssche- der engagieren . re, weil in Deutschland dadurch so viel Ungerechtigkeit Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind alle zu- herrscht, dass die Chancen ungerecht verteilt sind, weil sammen gefragt, bei rechtsextremen oder rechtspopu- große Vermögen vererbt werden und dadurch die einen listischen Parolen gegenzuhalten, für unsere offene und mehr und die anderen weniger Chancen haben . plurale Gesellschaft zu streiten . Das tun wir am besten, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Naturereig- indem wir nicht schwarzmalen, sondern indem wir die nis?) Realität sehen – sowohl die Erfolge als auch die Defizite; dafür habe ich Beispiele genannt – Deshalb ist der richtige Schlüssel, dort anzusetzen, damit alle Kinder gleiche und gerechte Chancen haben . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Also tut Herr Schulz schwarzmalen!) (Beifall bei der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ein Naturereignis, oder was?) und indem wir alle zusammen anpacken . Martin Schulz – danke, dass Sie ihn noch einmal erwähnt haben, Herr Gerade bei der Integration von Flüchtlingen haben wir Kollege Ulrich –, der Kanzlerkandidat der SPD, viel geleistet; die Kollegin Daniela Kolbe hat es schon erwähnt . Wir haben ein Integrationsgesetz beschlossen, (Beifall bei der SPD) in dem wir die Rechte und Pflichten von Flüchtlingen für macht genau das: Er appelliert an den Zusammenhalt eine gelingende Integration festgehalten haben . Wir ha- unserer Gesellschaft . Er sagt: Wo es Ungerechtigkei- ben Hürden abgebaut . Sprache, Arbeit und Bildung – das ten gibt, setzen wir uns für mehr soziale Gerechtigkeit sind die zentralen Punkte der Integration . ein – darüber zu diskutieren, ist sinnvoll und richtig –, Wir haben Rechtssicherheit geschaffen, wenn ein für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für Flüchtling in der Ausbildung ist – die Drei-plus-zwei- ein solidarisches Miteinander, für gute Chancen für alle Regelung –; das ist Rechtssicherheit für die Auszubil- Generationen . denden und die Arbeitgeber . Wir haben zum Beispiel in (Tino Sorge [CDU/CSU]: Heute so, morgen Nordrhein-Westfalen mit den Integration Points in allen so! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: (B) 47 Arbeitsagenturbezirken ein richtig gutes Konzept ei- (D) Aber ansonsten inhaltsleer! Sprechblasen!) ner Verzahnung der Arbeit von Arbeitsagentur, Jobcen- ter und kommunalen Ausländerbehörden . Wir haben die Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zuversicht- Vergütung der Sprachkurslehrerinnen und -lehrer verbes- lich, dass die Menschen keine Schwarzmalerei wollen . sert, wir haben das Gesamtprogramm Sprache aufgelegt, Sie wollen, dass wir zusammen an einer solidarischen und was mich besonders freut: Es ist endlich auch wieder Gesellschaft arbeiten; denn gemeinsam sind wir stark . Kinderbetreuung bei den Deutschkursen möglich . Das ist insbesondere für die Mütter wichtig, die geflohen sind Vielen Dank . und jetzt die deutsche Sprache lernen . (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der in dem Antrag der Linken komplett falsch ist und schwarzgemalt Vizepräsidentin Claudia Roth: wird: die Kommunen . Der Bund hat die Kommunen bei Vielen Dank, Kerstin Griese .– Das Wort zu einer der großen Aufgabe, den Zuzug der Flüchtlinge zu be- Kurzintervention hat die Kollegin Zimmermann . werkstelligen, keineswegs alleingelassen: 7 Milliarden Euro für die Integration von Flüchtlingen zur Förderung Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): des Wohnungsbaus, 2,6 Milliarden Euro für die Kosten Danke schön .– Ich muss noch einmal auf das einge- der Unterkunft und, was immer wieder vergessen wird, hen, was die Kollegin Griese bezüglich der Agenda 2010 aber erwähnt werden muss, 5 Milliarden Euro jährlich gesagt hat . Martin Schulz spricht ja davon, dass die hart für die Entlastung der Kommunen ab 2018, unabhängig arbeitenden Menschen endlich mehr Lohn in der Tüte vom Flüchtlingszuzug . Diese 5 Milliarden Euro jährliche bzw . mehr Geld in der Tasche brauchen Entlastung ist die größte Unterstützung der Kommunen, die je eine Bundesregierung geleistet hat . Das ist ein ganz (Beifall bei der SPD) wichtiger, riesiger Schritt . und dass die Armut zunimmt . Davon spricht er . Ich will (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber – ich bin noch nicht ganz fertig – die SPD-Genos- der CDU/CSU) sinnen und -Genossen einmal daran erinnern, dass wir durch die Agenda 2010 einen enormen Wandel am Ar- Es gibt einen Punkt, in dem ich dem Antrag der Lin- beitsmarkt erlebt haben, nämlich weg vom gut bezahlten ken zustimme: dass wir der Verrohung unserer Sprache Vollzeitarbeitsverhältnis hin zu prekärer Beschäftigung . entgegenwirken müssen und etwas für einen guten und solidarischen Umgang miteinander tun müssen . Wir (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Aber 2 Millio- müssen die Initiativen zur Demokratieförderung dauer- nen Arbeitslose weniger!) 21812 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Ich will das auch mit Zahlen unterstützen: Wir haben Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) 1 Million Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitneh- Jetzt hat Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion mer – gerade haben wir die Schwelle von 1 Milli- das Wort . on erreicht –, und wir wissen ganz genau, dass die bis 50 Prozent weniger Geld kriegen als die, die in der (Beifall bei der CDU/CSU) Stammbelegschaft arbeiten . Wir haben Werkverträge . Wir haben 5,7 Millionen Menschen, die in Altersarmut Mark Helfrich (CDU/CSU): leben . Wir haben 3,4 Millionen Kinder, deren Eltern sich Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! nicht einmal eine Woche Urlaub leisten können . Ich reklamiere gleich zu Beginn meiner Rede die Betei- (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!) ligung der CDU/CSU an dem Erfolg, den die Kollegin Griese gerade richtig herausgestellt hat . Das alles sind Auswirkungen der Agenda 2010, und ich finde, dass man sich an dieser Stelle nicht hinstellen und (Dr .Martin Rosemann [SPD]: Genau darin sagen kann, wie gut diese Agenda 2010 gewesen ist; liegt der Denkfehler!) denn sie hat Armut in diesem Land gebracht . Auch die SPD muss endlich einmal einsehen, dass es so ist, und ich Ich bedanke mich bei den Linken, dass wir heute über hoffe, dass der Kanzlerkandidat Martin Schulz sich von diesen Antrag und über Integrationspolitik sprechen kön- der Agenda 2010 distanziert . nen . Uns liegt Integrationspolitik am Herzen . Der An- trag, der hier vorliegt, ist allenfalls preiswürdig in der Danke . Kategorie „Recycling“. Der Antrag enthält nichts, was (Beifall bei der LINKEN) wir nicht schon einmal von Ihnen gehört haben, und er enthält alle Forderungen, die wir auch schon einmal von Ihnen gehört haben . Vizepräsidentin Claudia Roth: Kerstin Griese, bitte . Lassen Sie mich exemplarisch auf drei Punkte einge- hen, die Sie vom Bund fordern . Der erste Punkt ist: mehr finanzielle Unterstützung der Kommunen. Der zweite (SPD): Kerstin Griese Punkt, auf den ich eingehen möchte: mehr finanzielle Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich bin auch Ihnen Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus . Der dritte dankbar, dass Sie noch einmal Martin Schulz erwähnen, Punkt: mehr finanzielle Unterstützung beim Ausbau der den Kanzlerkandidaten der SPD, Kinderbetreuung . Man bekommt beim Lesen schnell das (Beifall bei der SPD) Gefühl, dass sich erstens der Bund auf dem Gebiet der (B) Integrationspolitik überhaupt noch nicht engagiert hat, (D) der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass hart arbeiten- weswegen ich mich zweitens frage, wie Sie so erkennt- de Menschen gerecht behandelt werden wollen und mehr nisfrei durch die letzten anderthalb Jahre gekommen Lohn in der Tüte brauchen . sind . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir machen eine Politik dafür, eine Politik für mehr ordneten der SPD) Tarifbindung . In jedem unserer Gesetze haben wir die Ich möchte einige Beispiele nennen, um zu zeigen, Tarifbindung gestärkt. Wir pflegen eine enge und gute was wir alles auf den Weg gebracht haben . Ich entschul- Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften . Insofern ist dige mich schon jetzt bei den Zuhörern . Ihnen werden in dieser Weg genau richtig . Anbetracht der Millionen- und Milliardenbeträge, die ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gleich nenne, die Ohren schlackern . Leider bin ich ge- zwungen, sie zu nennen, um Ihnen die Absurdität des An- Ich bitte Sie, da Sie immer auf die Agenda 2010 trages, über den wir heute beraten, vor Augen zu führen . schimpfen, über eine Sache einmal ganz ernsthaft nach- zudenken: Wir haben jetzt 2 Millionen Arbeitslose we- Kommen wir zum ersten Punkt Ihrer Forderungen: niger als vor deren Einführung . Stellen Sie sich einmal mehr finanzielle Unterstützung für die Kommunen. Wir vor – einfach nur einen Moment darüber nachdenken –, haben bereits im Koalitionsvertrag festgelegt, dass der wir müssten die Integration von Flüchtlingen bei 5 Milli- Bund den Kommunen von 2015 bis 2017 jährlich 1 Mil- onen Arbeitslosen bewältigen . Dass wir momentan in ei- liarde Euro zur Verfügung stellen wird . Im Jahr 2017 ner wirtschaftlich so guten Situation sind, hilft uns doch kommen noch einmal 1,5 Milliarden Euro hinzu . Im Juli gerade – wir diskutieren ja hier auch über Integration –, letzten Jahres hatten sich Bund und Länder darauf ver- die Flüchtlinge gut in unseren Arbeitsmarkt zu integrie- ständigt, dass der Bund den Ländern als Kompensation ren . Wir sind froh, dass wir diese Entwicklung haben; es von Mehrausgaben für die Integration von Flüchtlingen ist eine positive Entwicklung für die Menschen . Außer- bis zum Jahr 2018 weitere 7 Milliarden Euro zur Verfü- dem haben wir den Mindestlohn eingeführt; das ist ganz gung stellt . Im November letzten Jahres wurde hier im wichtig . In dieser Situation kann unsere Gesellschaft die- Bundestag beschlossen, dass der Bund seine Beteiligung se große Integrationsleistung erbringen . Daran ist auch an den Kosten der Integration noch einmal deutlich aus- die Politik der SPD im positiven Sinne schuld . weitet . Länder und Kommunen werden mit zusätzlich 6 Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2018 unterstützt . Vielen Dank . Zudem wurde auch die Verteilung der ab 2018 vorgese- (Beifall bei der SPD) henen Kommunalentlastungen in Höhe von 5 Milliarden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21813

Mark Helfrich (A) Euro jährlich beschlossen . Das ist eine gewaltige Leis- Zudem förderte der Bund im Zeitraum 2011 bis 2015 (C) tung des Bundes für die Kommunen . mit weiteren 400 Millionen Euro die Sprachförderung in den Kindertagesstätten . Dieses Programm wird seit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- 2016 fortgesetzt . Der Bund stellt dafür bis 2020 Mittel ordneten der SPD) im Umfang von bis zu 1 Milliarde Euro zur Verfügung . So können zusätzlich bis zu 7 000 Halbtagsstellen für Die Länder verfügen also über das notwendige Geld, Fachkräfte in den Kindertagesstätten und in den Fachbe- um den Kommunen die Kosten der Integration von der ratungsstellen geschaffen werden. Hand zu halten . Jetzt muss das Geld endlich auch einmal in die Kommunen fließen. Das ist auch noch nicht alles: Derzeit wird im Bundes- tag über ein Gesetz beraten, mit dem das Investitionspro- (Beifall bei der CDU/CSU – Karl Schiewerling gramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ weitergeführt [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Sabine Weiss werden soll . Damit sollen zusätzliche 100 000 Betreu- [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) ungsplätze für ältere Kinder bis zum Schuleintritt ge- Zweitens . Kommen wir zu der Forderung der Lin- schaffen werden. Für dieses neue Programm bis 2020 ken nach mehr finanzieller Unterstützung des sozialen sollen insgesamt 1,1 Milliarden Euro durch den Bund zur Wohnungsbaus durch den Bund . Richtig ist, dass es Auf- Verfügung gestellt werden . gabe des Sozialstaates ist, Menschen aus sozial schwa- Ich will nur am Rande erwähnen – damit wir ein voll- chen Verhältnissen zu unterstützen und für Wohnraum ständiges Bild bekommen –: Im Bereich Familie und zu sorgen . Wenn Wohnungen fehlen, muss der soziale Bildung belaufen sich die Entlastungen des Bundes für Wohnungsbau gefördert werden . Was die Kollegen der die Länder in den Jahren 2010 bis 2019 auf über 50 Mil- Linken aber offensichtlich übersehen haben: Für den so- liarden Euro . zialen Wohnungsbau sind seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 allein die Länder zuständig . Der Bund Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann lediglich Modellvorhaben und Förderprogramme Sie sagen, eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordere ausschreiben . Davon hat er Gebrauch gemacht . Er will eine soziale Offensive für alle. in den nächsten zwei Jahren jeweils eine halbe Milliarde (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jawohl!) Euro mehr zur Unterstützung des sozialen Wohnungs- baus ausgeben . Das ist eine gute Nachricht; denn mit Und ich sage Ihnen: Nichts anderes machen wir seit Jah- anständigen Wohnungen zu bezahlbaren Preisen sichern ren vonseiten des Bundes, wir den sozialen Zusammenhalt in unserem Land . (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]) (D) Bereits zum zweiten Mal in Folge werden die Mittel und zwar als Daueraufgabe und nicht mit einem effekt- um eine halbe Milliarde Euro aufgestockt . Erst zu Beginn haschenden Antrag, den man kurz vor einer Bundestags- des letzten Jahres hat der Bund die Kompensationsmittel wahl hier ins Plenum einbringt . Wer hier von unzurei- auf über 1 Milliarde Euro fast verdoppelt . Diese werden chender finanzieller Unterstützung redet – man könnte den Ländern für den sozialen Wohnungsbau zur Verfü- auch sagen: schwadroniert –, dem ist wahrlich nicht zu gung gestellt . Ab dem 1 .Januar 2017 stehen damit über helfen . 1,5 Milliarden Euro aus Mitteln des Bundes für den drin- Ich sage Ihnen aber auch: Eine erfolgreiche Integra- gend benötigten sozialen Wohnungsbau zur Verfügung . tionspolitik erfordert, dass wir uns vorrangig auf Flücht- Klar ist aber auch, dass die Mittel, die der Bund gibt, von linge mit guter Bleibeperspektive konzentrieren . Nur der den Ländern aufgestockt werden müssen . darf bleiben, der tatsächlich einen Schutzanspruch erhält . Kommen wir zum dritten und letzten Punkt, auf den Laut einer aktuellen McKinsey-Analyse für die Regie- ich eingehen möchte: mehr finanzielle Unterstützung rung ist davon auszugehen, dass die Zahl der Ausreise- der Kinderbetreuung . Es ist ein sehr interessanter Punkt, pflichtigen bis Jahresende auf 485 000 Menschen anstei- auch für mich ganz persönlich als Vater eines kleinen gen könnte. 2016 kehrten rund 80 000 ausreisepflichtige Jungen, der in der Kita ist . Ich habe nach dieser Rede Menschen in ihre Heimatländer zurück; dabei handelte es sicher einen anderen Blick auf das Geschehen . Auch sich in gerade einmal 24 000 Fällen um Abschiebungen . der Ausbau der Kleinkindbetreuung – Sie können sich Schuld an diesen minimalen Zahlen sind vor allem rot- sicher denken, was jetzt kommt – fällt in die originäre grün regierte Bundesländer . Das Land Berlin, in dem Sie verfassungsrechtlich geregelte Zuständigkeit der Län- mitregieren, ist da die ganz unrühmliche Nummer eins . der . Gleichwohl hat der Bund das Betreuungsprogramm Sie verfahren leider nach dem Motto: Einmal in Deutsch- für unter Dreijährige im Rahmen des Investitionspro- land, immer in Deutschland . gramms „Kinderbetreuungsfinanzierung“ bis 2014 mit (Johannes Selle [CDU/CSU]: Da kannst du 5,4 Milliarden Euro gefördert . In dieser Wahlperio- noch nicht mal applaudieren!) de wird das Programm nochmals um 1 Milliarde Euro aufgestockt . Für den Betrieb von Kinderkrippen und Bedenkt man, dass die Kosten, die ein Ausreisepflich- Tagespflegestellen werden seit dem Jahr 2015 jährlich tiger verursacht, 670 Euro im Monat betragen, liegen 845 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Für die Jah- damit laut der genannten Analyse die Gesamtkosten in re 2017 und 2018 erhöht der Bund diesen Betrag noch diesem Jahr bei rund 3 Milliarden Euro – Geld, das bei einmal um 100 Millionen Euro . konsequenter Rückführung für die Sozial- und Integra- 21814 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Mark Helfrich (A) tionspolitik, für diejenigen, die wirklich schutzbedürftig wir streiten . Da sehen auch wir Baustellen; das ist in die- (C) und hilfsbedürftig sind, zusätzlich zur Verfügung stünde . ser Debatte deutlich geworden . Herzlichen Dank . Aber meinen Sie das ernst, wenn Sie in Ihrem Antrag von der Wiederherstellung des Sozialstaates sprechen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Da dreht sich jedem Demokraten hier in Deutschland, Vielen Dank, Kollege Helfrich .– Die letzte Rednerin glaube ich, der Magen um . in dieser Debatte: Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg . der CDU/CSU) Dr . Martin Pätzold [CDU/CSU]) Deutschlands gut funktionierendes Sozialsystem sucht in der Welt seinesgleichen . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Freudenstein hat entsprechende Zahlen genannt, Ich will diese Debatte mal so zusammenfassen: Herzlich Kollegin Kolbe hat entsprechende Zahlen genannt, willkommen im Wahlkampf! (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) LINKE]: Ich auch!) Sieben Monate vor der Bundestagswahl hat die Linke ihr und der Kollege Helfrich hat das alles in epischer Breite Wahlprogramm mal in einen Antrag gepackt und bringt dargestellt . Wir müssen darüber diskutieren, wie wir die- ihn heute in den Bundestag ein . ses Sozialsystem noch besser machen können . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wann kommt der CDU/CSU) denn das Programm der SPD? – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Zumindest haben Wir müssen darüber reden, wie wir die sich völlig ver- wir ein Programm! Was hat Ihr Kanzlerkandi- ändernde Arbeitswelt anpassen können . Aber hören Sie dat außer Sprechblasen?) bitte auf, unseren Sozialstaat schlechtzureden und Luft- schlösser anzubieten . (B) Das ist sehr schön . Es ist aber auch sehr einfach . Diese (D) Einfachheit kann man so eigentlich nicht stehen lassen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Es Ganz ernsthaft, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ja, in war doch mal alles besser!) unserer Gesellschaft sind Konflikte aufgebrochen – Kon- flikte, die auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen mitten in zu uns vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Ja, es ist einer Arbeitswelt, die sich rasant ändert . auch so, dass es nicht gerecht ist, wenn ein alteingesesse- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE nes Café oder auch die Kellnerinnen, die dafür arbeiten, LINKE]: Eben! Genau!) ordentlich und brav ihre Steuern zahlen, aber der welt- weit agierende Kaffeekonzern sich davor drücken kann. Neue Technologien führen zu neuen Anforderungen, und die Flexibilität gewinnt immer mehr an Bedeutung . (Beifall bei der SPD) Diesen Wandel wollen nicht nur Unternehmen . Diesen Und ja, die Menschen müssen spüren, dass wir auf ihrer Wandel wollen auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Seite stehen . Wir nehmen sie ernst, und darum verspre- Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen . Viele erleben chen wir jedenfalls nicht das Blaue vom Himmel . es als Freiheit, zum Beispiel von zu Hause aus arbeiten zu können . Ich weiß das aus der eigenen Familie . Mein (Beifall bei der SPD) Sohn macht das auch . Der Antrag der Linken, liebe Kolleginnen und Kolle- Eine Medaille hat natürlich immer zwei Seiten . So gen, nimmt keine Rücksicht auf Zuständigkeiten – Bund, wissen wir natürlich, dass, wenn wir auf diese Weise Land, Kommunen, alles quer durch den Gemüsegarten –, arbeiten, psychische Belastungen zunehmen . Wir haben er nimmt keine Rücksicht auf die Kosten – das haben gestern schon darüber geredet, dass es dazu Untersu- verschiedene Kollegen hier schon deutlich gemacht –, chungen gibt . Viele Menschen haben Angst davor, dass und letztendlich nimmt dieser Antrag auch überhaupt sie im Rahmen der Digitalisierung einfach abgehängt keine Rücksicht auf die Auswirkungen . Kurz gesagt: Sie werden . Ich glaube, dass hier ein kleiner Teil der Antwort versprechen wirklich das Blaue vom Himmel . auf die Frage nach den Konflikten in unserer Gesellschaft zu finden ist. Hier gibt es begründete Ängste, die wir auf- Das finde ich sehr schade, weil in dem Antrag auch greifen müssen . Hier müssen wir an der Seite der Men- manches Richtige steht, zum Beispiel dass wir denen, schen stehen . Aber leider lese ich darüber nichts in dem die bei uns Schutz suchen, genauso helfen müssen wie Antrag der Linken . denen, die schon immer hier leben und Unterstützung be- nötigen – keine Frage . Über das Wie müssen und können (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21815

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) Liebe Kollegen und Kolleginnen, Bundesministerin c) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Nahles hat mit dem Diskussionsentwurf zum Weißbuch Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren „Arbeiten 4.0“ einen ganz wichtigen Beitrag zur Gestal- Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- tung der Digitalisierung geleistet . Wir haben außerdem on DIE LINKE den Mindestlohn eingeführt, Leiharbeit und Werkverträ- ge eingeschränkt, Anreize für eine bessere Tarifbindung Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afri- gesetzt und für etliche Verbesserungen bei der gesetzli- kanische Elefanten schützen chen Rente gesorgt . Wir haben erst gestern darüber ge- Drucksache 18/10494 sprochen, wie gut es bei der Erwerbsminderungsrente sein wird .– All das haben wir getan . Das sind unsere Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Erfolge . Das ist unsere Politik für die Menschen in un- torsicherheit (f) serem Land . Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (Beifall bei der SPD) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Als SPD-Fraktion haben wir auch einen Vorschlag vorgelegt, wie wir die Solo-Selbstständigen sozial absi- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten chern können . Auch das gehört zum sozialen Zusammen- Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, halt . weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der SPD) Offenlegung von Gutachten zur Deut- Wir haben umsetzbare Möglichkeiten aufgezeigt, wie schen Bahn AG wir die Renten bis 2045 stabilisieren können . Das sind unsere Ziele . Unser Anspruch war und bleibt es, den So- Drucksache 18/11011 zialstaat besser zu machen . Diesem Anspruch sind wir in Überweisungsvorschlag: dieser Koalition in dieser Wahlperiode mehr als gerecht Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) geworden . Haushaltsausschuss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten e) Beratung des Antrags der Abgeordneten der CDU/CSU) Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Vizepräsidentin Dr. h. c. : LINKE (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich Förderung des sozialen Wohnungsbaus (D) die Aussprache . durch den Bund auch nach 2019 ermög- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf lichen Drucksache 18/9190 an die in der Tagesordnung aufge- Drucksache 18/11169 führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Überweisungsvorschlag: verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- so beschlossen . torsicherheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f sowie Haushaltsausschuss Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf: f) Beratung des Antrags der Abgeordneten 27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Annalena Baerbock, Oliver Krischer, Bärbel eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Höhn, weiterer Abgeordneter und der Frak- dem Übereinkommen vom 19. Februar tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Rückstellungen für Braunkohlefolgekos- Drucksache 18/11137 ten sicherstellen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/11172 Überweisungsvorschlag: b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dem Abkommen vom 19. Februar 2016 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- sicherheit land und der Republik Finnland zur Ver- ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten meidung der Doppelbesteuerung und zur Nicole Maisch, Renate Künast, Markus Verhinderung der Steuerverkürzung auf Tressel, weiterer Abgeordneter und der dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/11138 Mehr Transparenz und Klarheit bei Bu- Überweisungsvorschlag: chungs- und Vergleichsportalen schaffen Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/10043 21816 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Überweisungsvorschlag: Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie und der SPD wünschen Überweisung . Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur Geschäftsordnung erwünscht ist . Deshalb hat zunächst b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Frau Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, wei- das Wort . terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Initiative „She Decides“ unterstützen ‒ Die Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- sexuellen und reproduktiven Rechte und ginnen und Kollegen! In der Tat waren wir nicht damit die Selbstbestimmung und Gesundheit von einverstanden, dass hier im Rahmen eines Tagesord- Frauen und Mädchen in Ländern des glo- nungspunktes ohne Debatte unser so wichtiger Antrag balen Südens stärken zum Thema „Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen“ ohne Diskussion Drucksache 18/11177 einfach in die Ausschüsse überwiesen wird . Weshalb wa- Überweisungsvorschlag: ren wir damit nicht einverstanden? Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Meine Damen und Herren, wir halten es für zwingend Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend notwendig, dass der Deutsche Bundestag in dieser Wo- Ausschuss für Gesundheit che, also heute, darüber eine Abstimmung durchführt . Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss Denn heute ist die letzte Möglichkeit für den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung, zu widersprechen, c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe bevor in Brüssel entschieden wird . Deshalb ist dieser Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Harald Ebner, Antrag auf Überweisung in die Ausschüsse, den Sie nun weiterer Abgeordneter und der Fraktion stellen, irreführend und täuschend . Denn es ist vollkom- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men klar: Wenn wir so verfahren, wie Sie von SPD und zu dem Vorschlag für eine Delegierte Ver- CDU/CSU das wünschen, dann kann sich dieses Parla- ordnung der Kommission zur Ergänzung ment nicht mehr zu dieser wichtigen Frage positionieren, der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen und das ist grundfalsch . Parlaments und des Rates durch technische (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Regulierungsstandards für die Anwendung sowie bei Abgeordneten der LINKEN) von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 Meine Damen und Herren, uns steht das Recht auf eine Stellungnahme zu diesem Kommissionsvorschlag hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- nach Artikel 23 Grundgesetz zu . Wenn Sie von die- destages gemäß Artikel 23 Absatz 3 sen beiden Fraktionen nun heute für die Überweisung des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des stimmen, entziehen Sie dem Deutschen Bundestag das Gesetzes über die Zusammenarbeit Recht – Ihr und auch unser Recht – auf eine fristgemäße von Bundesregierung und Deut- Stellungnahme zu einem so wichtigen Thema . schem Bundestag in Angelegenhei- ten der Europäischen Union (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen Deshalb habe ich hier heute das Wort gewünscht . Es geht darum, dass sich die Bundesregierung bis zum 1 .März – Drucksache 18/11173 da endet nämlich die Widerspruchsfrist – im Europäi- Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein- schen Rat zum Kommissionsvorschlag zum Stopp von fachten Verfahren ohne Debatte. Nahrungsmittelspekulationen äußert . Wir halten den Vor- schlag der Kommission für absolut unzureichend; denn Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- er bietet entgegen der bisherigen Positionierung in Eu- sungen . ropa keinen Stopp bzw . keinen klaren Rahmen für das Ende von Nahrungsmittelspekulationen . Das ist ein gro- Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f sowie Zusatz- ßes Problem, wenn wir an die Bekämpfung von Hunger punkte 4 a und 4 b . Interfraktionell wird vorgeschlagen, und Armut weltweit denken . die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den? – Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so sowie bei Abgeordneten der LINKEN) beschlossen . Wir alle waren uns damals in der Finanzmarktkri- Wir kommen nun zu einer strittigen Überweisung: Zu- se 2008 und 2009 einig, dass den Nahrungsmittelspeku- satzpunkt 4 c . Hier liegt der Antrag der Fraktion Bünd- lationen deutliche Grenzen gesetzt werden müssen, und nis 90/Die Grünen zum Stopp von Nahrungsmittelspe- zwar hier im Deutschen Bundestag und auf europäischer kulationen auf Drucksache 18/11173 vor . Die Fraktion Ebene . Das war die Haltung, die Sie alle, die wir alle Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21817

Britta Haßelmann (A) zusammen zum Ausdruck gebracht haben . Jetzt weicht Das ist einfach schlechter Stil . (C) der Kommissionsvorschlag von dieser klaren Haltung ab, und das ist das Problem . Deshalb wollen wir die Bundes- Wir wollen, dass das ordnungsgemäß beraten wird: regierung auffordern, sich noch vor dem 1. März hier klar federführend im Finanzausschuss, mitberatend im Aus- zu positionieren . schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung . Es muss ein deutliches Signal des Deutschen Bundes- tags gegen Nahrungsmittelspekulationen geben . Wir wis- (Karin Binder [DIE LINKE]: Aber dann nützt sen, dass Millionen von Menschen weltweit durch diese es doch nichts mehr!) Preisspekulation auf Nahrung Hunger und Armut erlebt Der Antragsteller, Bündnis 90/Die Grünen, hat sich hier haben . Das können wir nicht nur in Sonntagsreden kri- für einen anderen Weg entschieden . Sie wollen das heute tisieren, sondern da müssen wir uns auch positionieren . auf die Schnelle abstimmen, haben das als Ohne-Debat- Deshalb fordere ich Sie auf, heute für die Sofortab- te-Punkt auf die Tagesordnung gesetzt . Sie hätten es hier stimmung zu stimmen und diesen Antrag, der so wichtig als Debattenpunkt auf die Tagesordnung setzen können; ist und der die Bundesregierung binden würde, sich zu haben Sie nicht getan . verhalten, nicht in einen Ausschuss zu überweisen, wo er (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wi- dann frühestens am 6 . März, wenn unsere Fristen schon derspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verstrichen sind, zur Entscheidung stehen würde . NEN – [CDU/CSU], an Vielen Dank . BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Das ist Irreführung der Öffentlichkeit, was ihr hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie verwehren stattdessen uns allen hier die Möglichkeit, über dieses wichtige Thema vernünftig zu beraten . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Für die Koalition hat Matthias Hauer das Wort . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN]: Wer hat Sie denn daran ge- NEN]: Das ist ja wie die Selbstentmachtung hindert?) des türkischen Parlaments hier!) Da nützt auch die gespielte Empörung Ihrer Kollegin überhaupt nichts . Sie hatten genug Zeit . Die Verordnung Matthias Hauer (CDU/CSU): (B) auf europäischer Ebene ist nicht vom Himmel gefallen . (D) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Seit einem Jahr wird darüber europäisch debattiert, wie Herren! – Schreien Sie doch nicht, bevor ich angefangen da die Positionslimits aussehen – seit über einem Jahr . habe zu reden! Das können Sie gleich noch nachholen . Seit dem 1. Dezember ist diese Verordnung veröffent- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- licht, und soweit ich mich erinnere, hatten wir im De- NEN]: Sie können ja dagegenreden!) zember auch eine Sitzungswoche . Wir hatten dann im Januar zwei Sitzungswochen . Wo waren da Ihre Anträ- Der Antrag „Nahrungsmittelspekulation stoppen“ ge? Ich habe keinen Antrag gesehen . Sie haben keinen (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- gestellt . Insofern: Fehlanzeige bei den Grünen . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ihn auch (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einfach ablehnen!) NEN]: Also Sie wollen es gar nicht diskutie- hat eine ordnungsgemäße parlamentarische Beratung in ren!) den Fachausschüssen verdient, eine inhaltliche Debatte Da muss man einmal sagen: Sie hätten das einfach auf im Plenum . die Tagesordnung bringen können; dann hätten wir das (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier ordnungsgemäß beraten . NEN]: Haben Sie nicht verstanden, worum es Was passiert nun? Gestern kommt Ihr Antrag, heute geht?) nur darüber abzustimmen, nicht in der Debatte zu bera- Und das verwehren Sie uns heute . Sie betonen die Rechte ten. Das finde ich nicht in Ordnung. Das lassen wir Ihnen des Parlaments, entziehen uns aber die Möglichkeit, hier auch so nicht durchgehen . heute vernünftig darüber zu diskutieren, indem Sie das (Karin Binder [DIE LINKE]: Sie hätten es ja als Ohne-Debatte-Punkt anmelden . selber aufsetzen können, wenn es Ihnen wich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tig wäre!) ordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/ – Sie haben es auch nicht auf die Tagesordnung setzen CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ge- lassen, sehr geehrte Kollegin .– Im Übrigen: Wir werden wandt: Geht’s denn noch? – Dr .W olfgang das im Rahmen der Beratungen zur MiFID ohnehin bera- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten . Insofern vergeben wir uns dazu nichts . NEN]: Wir können gern nächste Woche eine Sondersitzung machen! Wir müssen doch vor (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem 1 . März entscheiden hier im Bundestag!) NEN]: Nach der Frist!) 21818 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Matthias Hauer (A) – Zur Frist komme ich genau jetzt . – Der Antrag ist näm- Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen wir (C) lich auch überholt . Sie fordern die Bundesregierung auf, über den Antrag auf Drucksache 18/11173 nicht in der Einwände auf europäischer Ebene zu erheben, obwohl Sache ab . der Ecofin-Rat dazu bereits Ende Januar getagt hat. Da (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE hat übrigens kein Land Ihre Bedenken geteilt . GRÜNEN]: Wann stimmen wir denn über die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geschäftsordnung ab?) NEN]: Umso schlimmer!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 b bis 28 g auf . Gestern hat das Europäische Parlament die Verord- Es handelt sich hierbei um Beschlussfassungen zu Vor- nung angenommen . Das Thema ist also europäisch ent- lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . schieden . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Wir wollen einfach, dass das Thema angemessen be- titionsausschusses . handelt wird . Es ist ein wichtiges Thema . Tagesordnungspunkt 28 b: (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie trauen sich ein- onsausschusses (2 .Ausschuss) fach nur nicht! Trauen Sie sich einfach, dage- Sammelübersicht 405 zu Petitionen genzustimmen!) Drucksache 18/10991 Es geht dabei einerseits darum, Spekulationen mit Le- bensmitteln zu unterbinden, und andererseits, zum Bei- Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Stimmt je- spiel Landwirten es zu ermöglichen, sich weiterhin ge- mand dagegen? – Das ist nicht der Fall . – Enthält sich gen Preisrisiken abzusichern . Das sieht die Delegierte jemand? – Auch nicht . Dann ist diese Sammelübersicht Verordnung auf europäischer Ebene so auch vor, und angenommen worden . das werden wir so beraten – in den Fachausschüssen und Tagesordnungspunkt 28 c: später dann auch hier inhaltlich im Plenum, leider inhalt- lich nicht schon heute, weil die Grünen es nicht anders Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- wollten . onsausschusses (2 .Ausschuss) Vielen Dank . Sammelübersicht 406 zu Petitionen Drucksache 18/10992 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent- (B) hält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 406 (D) ebenfalls einstimmig angenommen worden . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Wir stimmen jetzt nach – wie es so schön heißt – stän- Tagesordnungspunkt 28 d: diger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüber- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- weisung ab . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- onsausschusses (2 .Ausschuss) schen Überweisung zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss Sammelübersicht 407 zu Petitionen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Drucksache 18/10993 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht hilfswei- se, sofern über den Antrag nicht in der Sache abgestimmt Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- wird, Überweisung zur federführenden Beratung an den hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 407 mit den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion wicklung und zur Mitberatung an den Finanzausschuss Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die und an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft . Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 e: Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus- führung beim Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen- schusses (2 .Ausschuss) arbeit und Entwicklung . Wer stimmt für diesen Überwei- Sammelübersicht 408 zu Petitionen sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag abge- Drucksache 18/10994 lehnt worden . Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent- (Manfred Grund [CDU/CSU], an BÜND- hält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht ein- NIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Ich dachte, stimmig angenommen worden . ihr wolltet Abstimmung!) Tagesordnungspunkt 28 f: Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, also onsausschusses (2 .Ausschuss) Federführung beim Finanzausschuss . Wer stimmt für die- sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Sammelübersicht 409 zu Petitionen Damit ist dieser Überweisungsvorschlag angenommen . Drucksache 18/10995 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21819

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) enthält sich? – Die Sammelübersicht 409 ist mit den richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange- Klein-Schmeink, Corinna Rüffer, Elisabeth nommen worden . Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 28 g: Die gesundheitliche Versorgung von Men- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- schen mit Behinderung menschenrechtskon- onsausschusses (2 .Ausschuss) form gestalten Sammelübersicht 410 zu Petitionen Drucksachen 18/3155, 18/11205 Drucksache 18/10996 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 410 mit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu position angenommen worden . Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Aussprache hat Dr .Roy Kühne für die CDU/CSU-Frak- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes tion das Wort . – Herr Kollege . zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversor- gung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsge- (Beifall bei der CDU/CSU) setz – HHVG) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Drucksache 18/10186 Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und ses für Gesundheit (14 .Ausschuss) Herren! Mein Fraktionsvorsitzender – er ist jetzt nicht da – erinnert gerne an den Satz von Kurt Schumacher: Drucksache 18/11205 „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“ b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – (B) richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (D) schuss) GRÜNEN]: Das finde ich schon mal gut!) – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Die Wirklichkeit im Bereich der Heilmittel- und Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Hilfsmittelerbringer sieht aber nicht besonders gut aus . Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordne- Nur 5,4 Prozent der GKV-Gesamtausgaben sind offen- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bar weder politisch noch finanziell interessant genug, NEN um etwas zu tun . Beide Bereiche sind nicht gut geregelt . Es kommt zu Qualitätseinbrüchen, es kommt zum Ab- Versorgung durch Heilmittelerbringer wandern von Mitarbeitern, und es kommt bedauerlicher- stärken – Valide Datengrundlage zur Ver- weise inzwischen auch zu massiven Nachwuchssorgen . sorgung und Einkommenssituation von Heute beschließen wir deshalb ein Gesetz zur Stärkung Heilmittelerbringern schaffen der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Das sage ich mit – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth aller Deutlichkeit: Die Heil- und Hilfsmittelerbringer in Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Deutschland haben es verdient . Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Versorgung verbessern – Kompetenzen von GRÜNEN]: Erst einmal haben es die Patien- Heilmittelerbringern ausbauen ten verdient!) – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein- – Danke . Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Es ist ein Gesetz, welches die Versorgung verbessern Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der wird und unsere Heilmittelerbringer, die Therapeutinnen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Therapeuten, in ihrer Arbeit stärkt und sie respektiert . Fairen Wettbewerb in der solidarischen Es ist ein Gesetz, das aber auch unsere Hilfsmittelerbrin- Krankenversicherung ermöglichen – Wei- ger – das sind unter anderem die Orthopädietechniker, terentwicklung des morbiditätsorientierten die Orthopädieschuhtechniker und die Pflegehilfsmittel- Risikostrukturausgleiches vorantreiben berater – weiter etabliert . Es ist ein Gesetz – und das ist wichtig –, das die ganzheitliche Versorgung in unserem Drucksachen 18/8399, 18/10247, 18/10252, Land vorantreibt . Das Hilfsmittelverzeichnis zum Bei- 18/11205 spiel wird einer grundlegenden Überarbeitung unterzo- 21820 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Roy Kühne (A) gen . Das ist notwendig, damit wir auch hier einen aktu- als ein Menschenmechaniker . – Dieses Wort meine ich (C) ellen Stand halten und Patienten mit neuen, innovativen nicht despektierlich, sondern voller Respekt . Produkten versorgen können . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ordneten der SPD und der LINKEN – [CDU/CSU]: Schönes Wort!) Diese Überarbeitung muss bis Ende 2018 abgeschlossen werden; das ist sportlich . Ganz ehrlich: Man muss auch laut nachfragen dür- fen, die Ursachen ergründen und dann mit den Verant- Ich würde mich freuen, wenn sich der Spitzenver- wortlichen darüber reden, warum die Bezahlung so ist . band der Krankenkassen meiner Forderung nach einer Aufgrund der schlechten Gehaltsaussichten interessie- Hilfsmittelkommission anschließt und eine gelebte Zu- ren sich kaum noch junge Menschen für diese Berufe . sammenarbeit umsetzt . Das Know-how der Hersteller Es sind schöne Berufe, welche an sich sehr beliebt sind . und Betroffenenverbände ist enorm. Es gilt, dieses Wis- Kommen wir aber mit den Gehaltsinformationen, fliegen sen mitberatend einzubinden . Wir können es nicht ver- sie meistens schnell wieder aus den Berufsvorstellungen schwenden . Stellungnahmen für die Schublade haben wir hinaus . Wir haben erkannt, dass die Vergütungssituation in letzter Zeit genug produziert . offensichtlich abschreckend ist. Wir haben erkannt, dass Qualität ist der Maßstab – eine Regel, die wir alle wir mit der Entkoppelung von der Grundlohnsumme ein privat natürlich beherzigen . 5 Millionen Menschen in Signal setzen können – ein Signal, durch das wir deutlich Deutschland sind direkt oder indirekt auf eine vernünf- machen, dass die Patientinnen und Patienten von besser tige Hilfsmittelversorgung angewiesen . Das haben wir bezahlten Therapeuten mehr haben . Hier tragen jetzt erkannt und haben Maßstäbe gesetzt . Bei Ausschreibun- aber die Verbände die Verantwortung . Auch das wird ein gen – sehr wichtig – müssen jetzt zum Beispiel 50 Pro- Lernprozess sein . Sie müssen lernen, sich gut mit den zent der Produktkriterien qualitative Aspekte sein . Wir Krankenkassen auseinanderzusetzen . – Nur ein Hinweis setzen weiterhin durch, dass Versicherte zwischen ver- an die Verbände: Je geschlossener Sie dies tun, umso er- schiedenen aufzahlungsfreien Hilfsmitteln wählen dür- folgreicher werden Sie wohl werden . fen . Diese müssen auch eine gute Qualität haben . Bei Weiterhin wissen wir, dass das Potenzial von gut aus- Hilfsmitteln mit einer hohen Individualität legen wir fest, gebildeten Therapeuten nicht genug ausgeschöpft wird . dass es keine Ausschreibung geben darf . Das alles ist Wir müssen ihr Wissen mehr nutzen und Modelle finden, vernünftig und endlich im Interesse der Patientinnen und mit denen wir das Wissen adäquat ausschöpfen . Mit der Patienten in Deutschland . Blankoverordnung haben wir uns für solch ein Modell entschieden . Es gibt den Therapeuten die Chance, zu zei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) gen, wie sie ihre Arbeitsqualität einbringen können . Es (D) Aber auch der Bereich der Heilmittel wird neu über- stellt sich die Frage, mit welcher Therapieform und wie dacht . Heilmittelerbringer kennen Sie alle: Es sind Po- lange sie nach einer ärztlichen Diagnose am Patienten dologen . Sie sorgen dafür, dass wir gut zu Fuß sind . Es arbeiten . sind die Logopäden, die besonders nach Schlaganfällen Das Modellvorhaben wird deutlich machen, wie groß Betroffenen das richtige Sprechen wieder beibringen. das Potenzial ist, nicht nur fachlich, sondern auch wirt- Es sind weiterhin die Ergotherapeuten, die die einge- schaftlich bewusst zu arbeiten – und das allen Unkenru- schränkte Motorik zum Beispiel für das Schreibenler- fen zum Trotz. „Delegation“ und „Substitution“ sind die nen bei Kindern verbessern – wichtig für die Teilhabe . Stichworte, die wir jetzt und zukünftig umsetzen müssen . Fast jeder von uns war bestimmt schon einmal bei einem Physiotherapeuten oder einem Masseur . Nicht nur beim (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Spruch „Ich habe Rücken!“ können sie weiterhelfen. Sie geordneten der SPD, der LINKEN und des alle leisten gute Arbeit am Patienten . Dafür mein aufrich- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria tigster Dank an diese Berufsgruppen! Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, dazu haben wir jetzt noch nicht viel (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gehört! Da ist noch Hoffnung!) ordneten der SPD) Ich bin mir ganz sicher, dass wir dadurch eine ver- Aber sie alle sind in der Vergangenheit oftmals besserte Versorgung erreichen werden, und ich bin sehr aus dem Blickfeld von Politik und Kassen gerutscht . davon überzeugt, dass wir kurz- und langfristig Kosten Schlechte Bezahlung, aber doch Wertschätzung durch einsparen werden. Es muss ein Umdenken stattfinden. Es die Patienten sind Alltag. Stichpunkt „Wertschätzung“: kann nicht mehr ein Nebeneinanderher geben; dieses Si- Sie alle haben bestimmt ein Auto, wenn nicht sogar zwei . lodenken muss aufhören . Man muss daran denken, dass Denken Sie doch einmal an Ihr Auto . Jeder von uns weiß, man im Interesse der Patienten arbeitet . was die Stunde beim Automechaniker kostet . Die Preise brauche ich Ihnen sicher nicht zu nennen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe drei Fahrräder!) Letztendlich ist mir noch ein Punkt wichtig, welcher in der Vergangenheit leider schon oft übersehen wurde: Aber wissen Sie auch, was die Therapeuten für eine Wenn die Politik einen Gesetzentwurf verabschiedet, Stunde ihrer Arbeit bekommen? Es kann nicht sein, dass dann darf sie sich nicht von der Begleitung des Gesetzes ein Automechaniker offensichtlich deutlich mehr wert ist verabschieden . Es muss eine Berichterstattung bei der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21821

Dr. Roy Kühne (A) Durchführung und eine Sanktionierung bei Nichtumset- sende Hilfsmittel kaufen . Es ist überfällig, dass damit (C) zung geben . Der Gesetzgeber sanktioniert ja auch Men- jetzt wenigstens in Ansätzen Schluss gemacht wird . schen, die bei Rot über die Ampel fahren . (Tino Sorge [CDU/CSU]: War das ein Lob?) Sehr geehrte Damen und Herren, die Idee, welche – Das war das Lob . nicht im Koalitionsvertrag steht – damit komme ich zum Ende –, hatte eigentlich keine Chance . Deshalb (Beifall der Abg . Maria Klein-Schmeink geht mein herzlicher Dank an unseren Bundesminister [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Tino Sorge für Gesundheit, Hermann Gröhe, an die Parlamentari- [CDU/CSU]: Sehr gut, Frau Kollegin!) schen Staatssekretärinnen Annette Widmann-Mauz und Es gibt in diesem Gesetzentwurf ein paar Dinge, die Ingrid Fischbach, an den Pflegebeauftragten Karl-Josef durchaus in die richtige Richtung gehen . ­Laumann und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums . Aber auch meiner AG-Vorsitzenden Maria (Tino Sorge [CDU/CSU]: Wieder ein Lob!) Michalk will ich danken – und zum Schluss meinen Kol- Es ist schön, dass ich es mir ersparen kann, etwas zu den leginnen und Kollegen aus der Arbeitsgruppe, welche ich einzelnen Berufsgruppen der Heilmittelerbringer zu sa- mit dem Thema sicherlich immer wieder genervt habe . gen, weil das der Kollege Kühne schon sehr schön ge- (Heiterkeit der Abg . Maria Michalk [CDU/ macht hat . CSU]) (Beifall des Abg . Manfred Grund [CDU/ CSU]) Ich danke aber auch den Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss . Ich sage noch einmal, was alles als Heilmittel gilt: An- wendung von Physiotherapie, Krankengymnastik, Mas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sage, Logopädie bei Stimm- und Sprechstörungen – das SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- ist vor allem für Patienten wichtig, die einen Schlaganfall NEN) hatten, aber auch für Kinder und Jugendliche, damit sich Zuletzt möchte ich mich bei denjenigen bedanken, Benachteiligungen nicht fortsetzen –, Ergotherapie für die es betrifft, nämlich bei den Heil- und Hilfsmitteler- alles, was die Motorik, die Sinnesorgane und die geisti- bringern, welche uns als CDU/CSU-Fraktion mit vielen gen und psychischen Fähigkeiten betrifft – das sind be- Beiträgen spürbar zu diesem Gesetz ermutigt haben . Es sonders wichtige Therapien für Menschen im Alter, aber sind diejenigen, die täglich am Patienten arbeiten, und sie auch für Kinder –, und, nicht zu vergessen, Podologie, haben meinen vollsten Respekt verdient . mit der oftmals die Volkskrankheit Diabetes am Fuß be- handelt wird und eine Amputation verzögert oder sogar (B) (D) Danke für Ihre Aufmerksamkeit . verhindert werden kann . All das ist deshalb wichtig . Die entsprechenden Heilmittel werden eingesetzt, damit eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Krankheit abgemildert wird, eine Krankheit ausheilt oder ordneten der SPD) der Krankheitsfortschritt aufgehalten wird . Deswegen ist das so wichtig . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Circa 330 000 Menschen arbeiten in diesen vier Heil- Als nächste Rednerin hat Birgit Wöllert für die Frakti- mittelberufen, und zwar – da schließe ich mich den Vor- on Die Linke das Wort . rednern an – mit großer Kompetenz . Sie leisten eine her- vorragende Arbeit . Das spiegelt sich überhaupt nicht in (Beifall bei der LINKEN) ihrem Verdienst wider . Das muss nun endlich geändert werden . Dafür ist es allerhöchste Zeit . Birgit Wöllert (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ legen! Liebe Gäste! Das Gesetz zur Stärkung der Heil- DIE GRÜNEN und des Abg . Erich Irlstorfer und Hilfsmittelversorgung ist entstanden, obwohl es [CDU/CSU]) nicht im Koalitionsvertrag steht . Warum gibt es dieses Gesetz? Weil es dringend überfällig und notwendig war! Das muss nicht nur deshalb geändert werden, weil die Menschen das verdienen, sondern auch, um den in Zu- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- kunft dringend notwendigen Nachwuchs zu sichern . So ordneten der CDU/CSU, der SPD und des wird in diesen Berufen nämlich keiner mehr tätig sein BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria wollen . Deshalb ist der Wegfall der Grundlohnsummen- Michalk [CDU/CSU]: Dann können Sie heute bindung, erst einmal befristet auf drei Jahre, ein kleiner ja auch zustimmen!) Schritt . Er reicht aber lange nicht aus . Mutiger wäre es gewesen, diese Regelung ohne Befristung festzuschrei- Die Praxis hat regelrecht danach geschrien, hier etwas zu ben oder in den Verhandlungen darauf zu drängen, die verändern . Ausgangsbasis zu erhöhen . Auch das kann ja der Gesetz- geber . Durch die Ausschreibungspraxis sind Menschen mit Hilfsmitteln versorgt worden, die sie oftmals – ich den- Die Kompetenzen müssen weiter ausgebaut werden . ke an die Inkontinenzmittel; zu Deutsch: Windeln – gar Es gab bereits Modellversuche, etwa den, eine Thera- nicht gebrauchen konnten; sie mussten dann selber pas- pie nach der Diagnose mit einer ärztlichen Blankover- 21822 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Birgit Wöllert (A) ordnung durchzuführen . Dafür bräuchte es keine neuen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) Modellversuche . Neue Modellversuche brauchen wir da- Als nächster Redner hat Karl Lauterbach für die hin gehend, dass die Fachleute selber über die Therapie SPD-Fraktion das Wort . entscheiden können, ohne die Patienten vorher zum Arzt zu schicken . Das wäre ein moderner und innovativer Mo- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Roy dellversuch . Kühne [CDU/CSU])

Ich werde nicht weiter ausführen, was wir bei den Dr. Karl Lauterbach (SPD): Heilmitteln noch brauchen, da ich auf meine Redezeit Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- achten muss . Ich komme jetzt zu den Hilfsmitteln . Da ist leginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich auf es überfällig, dafür zu sorgen, dass die Einzelfallgeneh- Folgendes hinweisen: Ich erinnere mich nicht daran, dass migung der Krankenkassen wegfällt . Sie wird so restrik- wir für ein Gesetz trotz der Einschränkungen am Ende tiv gehandhabt, dass die Grundbedürfnisse der Menschen der Rede – so möchte ich es formulieren – so viel Lob oft gar nicht geachtet werden . von Ihnen, von der Partei der Linken, bekommen haben . Lassen Sie mich die Antwort einer großen Kranken- (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das war schon kasse auf den Widerspruch gegen die Ablehnung zur zu viel!) Übernahme der Kosten für eine Brems- und Schiebehilfe für einen Rollstuhl vorlesen, die zeigt, wie dringend not- Ich möchte es nicht versäumen, mich dafür ausdrücklich wendig Veränderungen sind: Das allgemeine Grundbe- zu bedanken . Ich nehme an, dass ich diesen Dank auch dürfnis, selbstständig zu gehen, kann nicht darin verstan- im Namen der Unionskolleginnen und -kollegen ausspre- den werden, dass die Krankenkasse einen behinderten che . Menschen durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in (Maria Michalk [CDU/CSU]: Bis auf den die Lage versetzen muss, Wegstrecken jeder Art zurück- Schluss! Der war nichts!) zulegen, die ein nichtbehinderter Mensch bei normalem Gehen zu Fuß bewältigen kann .– Das ist doch hanebü- Vielen Dank für die Anerkennung unserer Arbeit . chen . Das hat doch mit Teilhabe nichts zu tun . Diese Re- Es geht heute um ein wichtiges Gesetz – das ist tat- gelung gehört dringend abgeschafft. sächlich so –, weil sich bei den Hilfs- und Heilmitteln (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eine Fehlentwicklung breitgemacht hatte, die der Kolle- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ge Kühne bereits dargestellt hat . Wir haben mittlerweile in der Krebsbehandlung Medikamente, die zum Teil pro Ein Grundübel ist die unerträgliche Ausschreibungs- Jahr 100 000 Euro kosten . Sie werden zum Teil erstat- (B) praxis, die die Ursache aller Missstände ist . Diese muss tet – zu Recht –, auch wenn sie die Lebensqualität noch (D) abgeschafft werden. nicht so gut beeinflussen können, wie wir das wünschen. Dagegen wird bei Menschen, die bettlägerig sind und (Beifall bei der LINKEN) gepflegt werden müssen oder die andere Hilfsmittel wie etwa Windeln benötigen, zum Teil um Centbeträge ge- Da meine Redezeit tatsächlich fortgeschritten ist, rungen . Das ist nicht würdig, und das ist eine Ungleich- möchte ich ganz schnell eine Bemerkung zu der Beitrags- behandlung, die wir jetzt stoppen wollen . Daher ist der befreiung von Notärzten und Notärztinnen machen . Die Ansatz sehr richtig . Er kommt in der Zeit und beseitigt Befreiung damit zu begründen, dass ihre Tätigkeit dem eine Ungleichbehandlung, die wir viel zu lange hinge- Allgemeinwohl diene, ist wirklich hanebüchen . Dann nommen haben . müssten wir ja ganz viele Bereiche aus dem beitrags- pflichtigen Versicherungssystem herausnehmen. Was (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- machen wir denn mit den Feuerwehrleuten? Was machen ten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink wir denn mit den Notfallsanitäterinnen und Notfallsani- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überfällig!) tätern? Auch sie sitzen in den Rettungswagen und dienen Das ist auch eine Selbstkritik; das ist ganz klar . Wir dem Allgemeinwohl . Das geht doch gar nicht . Das ist ein haben das aber jetzt geändert, und dieser Gesetzentwurf Armutszeugnis für Politik . Das Sozialversicherungssys- kommt keine Minute zu früh . tem ist doch nicht dazu da, um einen Mangel innerhalb der Versorgung in irgendeiner Weise zu beheben . Des Weiteren möchte ich auf den Risikostrukturaus- gleich eingehen . Unser deutsches Gesundheitssystem ist Wir werden uns bei der Abstimmung zu diesem Ge- weder eine Einheitskasse, setzentwurf enthalten; denn das Gesetz schafft, wie ge- sagt, eine Basis, auf der man weiterarbeiten kann . Es ist (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr!) gut, dass Sie dieses Gesetz am Ende der Legislatur ein- noch ist es ein System der Prämien, in dem jeder das be- gebracht haben . Vielleicht kann daraus in der nächsten zahlt, was seinem Risiko entspricht, in dem also Alte und Wahlperiode etwas Richtiges und Vernünftiges werden . Kranke mehr bezahlen . Das ist nur deshalb so, weil wir einen Finanzausgleich zwischen den Kassen haben, der (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . die Morbidität der Versicherten berücksichtigt . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei Abgeordneten Dieser Risikostrukturausgleich ist das Kernstück un- der SPD – Maria Michalk [CDU/CSU]: Also, seres gesetzlichen Wettbewerbs . Das ist der dritte Weg . nein!) Der Wettbewerb um Qualität und um gute Verträge funk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21823

Dr. Karl Lauterbach (A) tioniert nämlich nur dann, wenn die Krankenkassen nicht niken eine gemeinsame Untersuchung von Fachärzten (C) bestraft werden, weil sie Ältere und Kranke versichert in spezialärztlicher Hinsicht bekommen können . Somit haben . Daher ist der Risikostrukturausgleich das Kern- wird ein Unterschied zur privaten Krankenversicherung stück unseres Wettbewerbs . beseitigt . Zum Zweiten stellen wir auch klar, indem ent- sprechende Rahmenverträge bis zum 1 . Juli 2017 abge- Dieser Risikostrukturausgleich ist in den letzten schlossen werden müssen, dass die Hochschulen, die dies Monaten in Verruf gekommen – zu Recht –, weil die machen, damit keine Verluste machen . Das ist eine we- Krankenkassen etwas gemacht haben, was nicht geht . sentliche Lücke, die wir zwischen beiden Versicherungs- Sie haben Ärzte dafür bezahlt, dass für die Versicher- systemen schließen . Das kann natürlich nur ein allerers- ten ihrer Kasse Diagnosen aufgeschrieben wurden, die ter kleiner Schritt in Richtung Bürgerversicherung sein, den Patienten eine höhere Krankheitslast zuwiesen, als für die wir natürlich stehen . Das will ich aber hier nicht es tatsächlich der Fall war . Das ist in zweierlei Hinsicht ausführen . unfair . Zum einen ist das ein Betrug zwischen den Kran- kenkassen, und zum Zweiten ist das auch noch brandge- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Nein! Reden fährlich für die Versicherten . Denn der Versicherte, der Sie uns das nicht kaputt! – Tino Sorge [CDU/ aus Abrechnungsgründen eine Krankheit diagnostiziert CSU]: Das ist falsch interpretiert!) bekommt, die er gar nicht hat, trägt diese Diagnose als Es handelt sich insgesamt um ein Gesetz mit Augen- Patient mit und wird möglicherweise schon vom nächs- maß . Ich darf mich bei all jenen, die uns auf diesem lan- ten Arzt falsch behandelt . gen Weg unterstützt haben, ganz herzlich bedanken . So kommt es zu einer Inflation der Erkrankungen, zu Vielen Dank . Betrug zwischen den Krankenkassen, zur Diskreditie- rung des Risikostrukturausgleichs und gleichzeitig zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einer Gefährdung der Patienten . Das beseitigen wir, in- der CDU/CSU) dem wir diese Verträge, die das möglich machen, strikt verbieten . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Als nächste Rednerin hat Maria Klein-Schmeink für Guckt eigentlich jemand auf die Redezeit von die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Herrn Lauterbach?) Wir verbieten auch die Beratung der Krankenkassen Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in dieser Art und Weise, sodass nicht nur das gesamte NEN): (B) System des Risikostrukturausgleichs gerettet wird, son- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (D) dern damit auch die Krankheitsberücksichtigung beim legen! In der Tat, Politik beginnt mit der Betrachtung der Finanz­ausgleich der Kassen innerhalb des Risikostruk- Wirklichkeit . Das ist ein guter Ansatz . turausgleichs weiterhin möglich bleibt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Wir als SPD wer- Diesen Ansatz haben wir mit vier Anträgen zu unterstüt- den den weiteren Ausbau des Risikostrukturausgleiches zen versucht . Beginnen wir mit dem Antrag zur besseren betreiben; denn es gibt nach wie vor Benachteiligungen Versorgung der Menschen mit Behinderungen aus dem von Krankenkassen, die besonders viele Alte und Kranke Jahr 2014 . Zentraler Baustein darin: die Verbesserung versichern . Das wollen wir nicht hinnehmen . Daher stel- der Heil- und Hilfsmittelversorgung . len wir auch langfristig die Beschränkungen der Krank- heiten, die in diesem Ausgleich überhaupt berücksichtigt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, strittig . Dafür muss das System aber sauber sein sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE]) und darf nicht missbraucht werden . So viel zum kompli- Herr Sorge als Hauptredner hat damals infrage gestellt, zierten Bereich Risikostrukturausgleich . dass es überhaupt Handlungsbedarf gibt . Nur noch wenige Sätze – meine Redezeit läuft ab – (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben Sie völ- zu einem Punkt, den ich persönlich für sehr bedeutsam lig falsch verstanden! Ich habe genau das Ge- halte . Wir schließen hier eine Lücke zwischen gesetzlich genteil gesagt, Frau Klein-Schmeink! Ich sage und privat Versicherten, die sich in Form einer Zweiklas- Ihnen nachher noch einmal, was ich beim letz- senmedizin aufgetan hat . Wenn ein Privatversicherter ten Mal gesagt habe!) eine sehr komplizierte Erkrankung hat, dann kann er sich ambulant in der Uniklinik behandeln lassen, weil dies Ein weiterer Antrag zielte darauf, eine Untersuchung von der privaten Krankenversicherung erstattet wird . durchzuführen, wie die Situation der Heilmittelversorger Für den gesetzlich Versicherten gab es für diese ambu- insgesamt ist, und zwar sowohl bezüglich ihres Versor- lante Versorgung auf Überweisung bisher nur sehr einge- gungsanteils als auch der ökonomischen Situation und schränkte Möglichkeiten, überhaupt von Spezialisten in der Ausbildungssituation . Augenschein genommen zu werden . Wenn dies gemacht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wurde, dann war es auch noch ein großes Verlustgeschäft für die Unikliniken, die das gemacht haben . Dieser Antrag wird hier heute abgelehnt . Wir machen zweierlei: Zum einen stellen wir sicher, (Maria Michalk [CDU/CSU]: Inhaltlich ist dass gesetzlich Versicherte mit Überweisung in Unikli- das lange erledigt!) 21824 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Maria Klein-Schmeink (A) Weiterer Punkt: Wir haben Ihnen einen Vorschlag sächlich teilhabeorientiert gewährt werden; denn das ist (C) unterbreitet, wie man die Situation in der Heilmittelver- ja ein weiterer wichtiger Punkt . sorgung tatsächlich verbessern könnte, und zwar, indem man nämlich nicht nur einen beschränkten Zugang zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Blankoverordnung schafft, sondern das regelhaft ins Ge- Die Umsetzung einer ganz zentralen Forderung zur setzbuch übernimmt . Das werden Sie gleich ablehnen, Qualitätssicherung wäre gewesen, im Gesetz festzuhal- obwohl gut belegt ist, dass das der richtige Ansatz ist . ten, dass regelmäßig Patientenbefragungen, Verbrau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cherbefragungen durchgeführt werden, die zeigen, ob die Qualität der Ausschreibung stimmt oder nicht . Was Sie haben es sogar genau so bestätigt . haben Sie gemacht? Sie schaffen eine Regelung, nach der das erst einmal ins Benehmen des G-BA gestellt Des Weiteren erwähne ich, dass wir mit der Direktver- wird . Wir werden sehen, was an dieser Stelle passiert . ordnung weiter vorankommen müssen . Auch da haben Wir haben also auch für diesen Bereich keine Sofortlö- Sie sich nur zu einer kleinen, modellhaften Geschichte sung . durchringen können . Ich sage es noch einmal: Bei der Betrachtung der Schließlich haben Sie die Aufhebung der Grund- Wirklichkeit haben wir noch ganz viel Potenzial nach lohnsummenbindung, also die Ursache der sehr schlech- oben . ten Einkommenssituation in diesen Bereichen, nur be- fristet verändert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE]) All das zeigt doch: Bei der Betrachtung der Wirklich- keit haben wir noch viel Potenzial nach oben . Dann kommen wir zum Bereich des Risikostruktur- ausgleichs . Auch dazu haben wir Ihnen einen Antrag vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gelegt, der Ihnen auf die Sprünge helfen sollte . Aber auch Wenn Sie immer so betonen, dass genau dieser Be- da trauen Sie sich nicht, tatsächlich den entscheidenden reich für die Versorgung von vielen Patienten mit chroni- Punkt anzugehen, nämlich zuzusehen, dass wir ein Gut- scher Erkrankung und Behinderung tatsächlich von ganz achten bekommen, das nicht nur die schon vorhandenen großer Bedeutung ist – wir reden von insgesamt 17 Milli- Kriterien, die wir im Risikostrukturausgleich haben, ver- onen Menschen, die mit Beeinträchtigungen zu kämpfen bessern und bewerten hilft, sondern auch äußere, neue haben –, dann müssen wir mit der Heilmittelversorgung Faktoren einbezieht wie soziodemografische Faktoren – sehr viel mutiger umgehen, als wir es heute tun . Genau also: wie ist eigentlich die Lebenslage in einer Region? – und ein Regionalkennzeichen, das frühzeitig vorliegt, (B) das wird in der nächsten Wahlperiode ein großes Thema (D) sein . damit wir Erkenntnisse haben und sofort entsprechende Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode umsetzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können . Auch das haben Sie mit diesem Gesetz nicht er- sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE]) möglicht . Kommen wir zur Hilfsmittelversorgung – auch ein Wir können zwar sagen: Es sind Schritte in die rich- sehr entscheidender Bereich für die Lebensqualität der tige Richtung . Aber der Mut für entscheidende Schritte betroffenen Patientinnen und Patienten –: Welche Situ- hat an dieser Stelle gefehlt . Deshalb werden wir uns nur ation haben wir denn dort vorgefunden? Vor zehn Jah- enthalten können . ren haben Sie – vereint als erste Große Koalition – mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen geschaffen. Damit ha- Zusätzlich muss man sagen: Sie haben mit der Aus- ben Sie die Grundlage dafür gelegt, dass bei der Versor- nahmeregelung hinsichtlich der Sozialversicherungs- gung mit Hilfsmitteln hauptsächlich bzw . ausschließlich pflicht von Notärzten einen entscheidenden und system- wirksamen Fehler gemacht, der uns wahrscheinlich in der (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Der Preis!) nächsten Legislaturperiode massiv beschäftigen wird . der Preis und nicht mehr die Lebensqualität der betroffe- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Eine mutige nen Menschen eine Rolle spielt . Maßnahme zur Daseinsvorsorge!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Wöllert hat es deutlich gemacht: Es kann doch nicht NEN]: Fataler Fehler!) sein, dass wir für Notärzte eine Extraregelung schaffen, während Rettungsassistenten, Feuerwehrleute und alle Das heilen Sie heute ein klein wenig, indem nämlich ge- anderen nicht einbezogen werden . Hier wird der falsche sagt wird, dass das Kriterium Qualität zu 50 Prozent bei Weg gewählt . Das muss man ganz deutlich sagen . der Ausschreibung eine Rolle spielt . Meinen Sie, dass das der Quantensprung ist, den wir da brauchen? Wir ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben da unsere Zweifel . sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Das wird ein Thema sein, dass uns wahrscheinlich in der nächsten Legislaturperiode massiv beschäftigen wird . Wir werden jedenfalls nachprüfen, ob Hilfsmittel tat- sächlich so zur Verfügung gestellt werden, dass sie ers- In diesem Sinne: Wir haben noch viel Potenzial, die tens die nötige Qualität bringen und zweitens auch tat- Wirklichkeit unter dem Aspekt zu betrachten, wie eine Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21825

Maria Klein-Schmeink (A) patientengerechte und -orientierte Versorgung ermög- gebettet sind, aufgrund mangelnder Qualität zum Kauf (C) licht werden kann . vorgeblich besserer Produkte nahezu genötigt wurden . Danke schön . Diese Zustände waren nicht mehr hinnehmbar . Des- halb ist diese gesetzliche Neuregelung überfällig . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Selbst die Kostenträger, die natürlich immer auch ein Als nächster Redner spricht Erich Irlstorfer für die Auge auf die Preisgestaltung werfen müssen, haben hier CDU/CSU-Fraktion . Zustimmung signalisiert . Wir werden also zukünftig dem Aspekt der Qualität gegenüber dem Preis eine hö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) here Bedeutung zumessen . Eines aber ist in diesem Zu- sammenhang klar: Der Gesetzgeber – hier sind wir uns Erich Irlstorfer (CDU/CSU): wohl fraktionsübergreifend einig – wird scharf prüfen, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- ob diese gesetzlichen Regelungen auch in der Praxis so legen! Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, umgesetzt werden, wie wir das in diesem Gesetz heute ist zusammen mit den zahlreichen Änderungsanträgen beschließen . sehr umfangreich . Es bezieht neben der Heil- und Hilfs- (Beifall bei der CDU/CSU) mittelversorgung zahlreiche andere Teilbereiche ein und löst Probleme . Der Gesetzentwurf verdient nach meiner Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus den Än- Auffassung die Zustimmung des ganzen Hauses. derungsanträgen möchte ich an dieser Stelle die Regelun- gen zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!) Krankenversicherung der Rentner herausgreifen, weil Wie wir bemerkt haben, mussten auch die Rednerinnen dieses Thema der CSU schon seit vielen Jahren ein wich- und Redner von der Opposition Kritikpunkte mit der tiges Anliegen ist und wir wirklich sehr froh sind, dieses Lupe suchen . in dem heute zu verabschiedenden Gesetz eingebracht zu haben . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – [DIE LINKE]: Na ja! – Wir haben in Deutschland ein weitreichendes Ge- Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Dafür brauchte rechtigkeitsproblem bei der finanziellen Ausstattung von ich keine Lupe! Das stimmt nicht!) Müttern im Rentenalter . Es ist für uns als Union nicht (B) akzeptabel, wenn Mütter am Ende eines sehr arbeits- (D) Die jetzt gefundenen Regelungen sind ein erster Fin- reichen Lebens für Kinder und Familie mit einer Rente gerzeig für den Weg, den wir künftig gemeinsam mit den auskommen müssen, die zum Leben nicht reicht . Unsere Heilmittelerbringern gehen wollen: mehr Verantwortung Pläne zur Anrechnung der Kindererziehung auf die Ren- und mehr Kompetenzen . te, unabhängig vom Geburtsdatum des Kindes, kennen Sie ja . Besonders gravierend wird dieses Problem aber Die Einführung einer Blankoverordnung, auf deren bei den Müttern, die beim privat versicherten Ehepartner Basis die Ergotherapeutin oder der Physiotherapeut künf- mitversichert waren, tig selbst bestimmen können, welche Therapie sie oder er wie häufig anwendet, war eine wichtige Forderung der (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Heilmittelerbringer . Sie wird nun in jedem Bundesland GRÜNEN]: Daran sieht man, was das für ein erprobt . schlechtes System ist!) Einen Schwerpunkt des Koalitionsvertrages bildet während sie sich der Erziehung von Rentenbeitragszah- die Verbesserung der Qualität . Zum Thema „Qualität lern, im Volksmund auch Kinder genannt, gewidmet der Hilfsmittel“ möchte ich sagen, dass wir von den be- haben, etwa die Ehefrau eines Polizisten, die vielleicht troffenen Patientinnen und Patienten in den vergangenen 700 Euro Rente bekommt, davon als sogenannte freiwil- Jahren von extrem vielen Ungereimtheiten gehört haben, lig Versicherte aber 250 Euro an die Krankenkasse abzu- die sich im Laufe der Zeit immer weiter verschärft ha- geben hat . ben . Man könnte geradezu von einem Abwärtswettlauf bei den Ausschreibungen sprechen; auch das gehört an Wir sind als Gesellschaft den Müttern zu Dank ver- einem solchen Tag wie diesem gesagt . pflichtet, und das darf sich nicht nur im Reden erschöp- fen . Deshalb haben wir in dem heute zu verabschieden- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE den Gesetz geregelt, dass nunmehr drei Jahre für jedes GRÜNEN]: Ja, das haben Sie von der CDU/ Kind auf die Vorversicherungszeit der Krankenversiche- CSU ganz lange ignoriert!) rung der Rentner angerechnet werden . Wir geben damit ein Signal der Wertschätzung, das auch bei heutigen und Die unsägliche Qualität von Hilfsmitteln kenne ich auch zukünftigen Eltern ankommt . aus persönlicher Erfahrung mit meinen Eltern . Was hier den Menschen teilweise zugemutet wurde – als Para- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin mir debeispiel wurden die Inkontinenzwindeln bereits er- sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein wichtiger wähnt –, war für mich wirklich unsäglich . Hinzu kam, und ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist, um dass Menschen, die finanziell ohnehin nicht auf Rosen eine qualitativ bessere Versorgung zu erreichen . Deshalb 21826 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Erich Irlstorfer (A) würde ich Sie bitten, sich nicht zu enthalten, sondern zu- eine knapp bemessene Menge einfachster Produkte als (C) zustimmen . Sachleistung ihrer Krankenkasse angeboten bekommen hätten . Die gewohnte Qualität und Menge sollten sie Herzlichen Dank . künftig nur noch gegen eine private Aufzahlung erhalten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- können . ordneten der SPD) Wegen solcher inakzeptablen Vorkommnisse haben wir das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz auf den Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Weg gebracht . Als nächste Rednerin spricht Martina Stamm-Fibich für die SPD-Fraktion . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Das Gesetz regelt nun wichtige Maßnahmen zur Qua- litätsverbesserung der Hilfsmittelversorgung, und wir Martina Stamm-Fibich (SPD): schaffen Transparenz über die Aufzahlungen für die Pa- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen tientinnen und Patienten; das ist richtig und wichtig so . und Kollegen! Verehrte Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Seit knapp drei Jahren beschäftige ich mich Besonders hervorzuheben ist, dass individuell angefer- mit dem Thema Hilfsmittel . In diesem Zeitraum habe ich tigte Hilfsmittel sowie Hilfsmittel mit einem sehr hohen einen Berg von Petitionen bearbeitet, viele Einzelschick- Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr von den Kran- sale begleitet, unzählige Gespräche und Verhandlungen kenkassen ausgeschrieben werden dürfen . Menschen mit geführt . Mit jedem Tag wurde mir klarer, dass hier drin- einem künstlichen Darmausgang und andere Patienten, gender Handlungsbedarf besteht . Deshalb haben wir als die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil be- AG Gesundheit der SPD bereits im Juni 2015 ein Posi- nötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig tionspapier zur Verbesserung der Hilfsmittelversorgung wechselnden Produkten oder Leistungserbringern kon- veröffentlicht. Wir haben darin sieben konkrete Forde- frontiert werden. Betroffene brauchen in hochsensiblen rungen formuliert, die sich in dem vorliegenden Gesetz- Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe . entwurf wiederfinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir stellen mit dem Gesetz die Weichen für eine pa- der CDU/CSU) tientengerechte, aber auch finanzierbare Versorgung mit Durch eine Ausschreibung der Stomaversorgung so- Hilfsmitteln. Mit dem Gesetz schaffen wir die Vorausset- wie eine Ausschreibung zur ableitenden Inkontinenzver- zungen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus (B) sorgung waren die betroffenen Patientinnen und Patien- (D) Wirtschaftlichkeit, Qualität und Service gelingen kann . ten sowie die Selbsthilfeverbände stark beunruhigt . Wir Bisher war der gesetzlich geregelte Qualitätsaspekt der haben die Sorgen und Ängste ernst genommen und konn- Ausschreibungen eindeutig zu flexibel und zu weich ge- ten erreichen, dass Ausschreibungen dieser Art künftig staltet . nicht mehr zulässig sind . Ich freue mich sehr, dass es sich beim Heil- und Hilfs- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE mittelversorgungsgesetz um eine Initiative aus dem Par- GRÜNEN]: Das ist richtig so!) lament handelt . Und dass wir dieses Gesetz außerhalb des Koalitionsvertrags heute beschließen, ist nur dank Ausschreibungen für individuelle Hilfsmittel und Hilfs- der guten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen mittel mit hohem Dienstleistungsanteil werden mit dem den Fraktionen und mit dem Patientenbeauftragten der HHVG für unzweckmäßig erklärt, und die Formulierung Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, möglich . „in der Regel“ in § 127 SGB V wird gestrichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Für mich ist klar, dass die Situation der Betroffenen wie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜND- besser werden muss . Wirtschaftlichkeit darf nicht der NIS 90/DIE GRÜNEN]) einzige Maßstab sein . Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für Ausschlaggebend war eine Petition beim Deutschen die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Pati- Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung . Diese enten . Petition wies auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin . (Beifall bei der SPD) Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Ver- Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er sorgung mit Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pau- bei seiner Krankenkasse ordentlich versorgt wird . Kran- schalen . Diese Pauschalen reichen bei weitem nicht aus, kenkassen dürfen nicht auf Kosten derjenigen sparen, die um Versicherte mit vernünftigen Produkten zu versorgen . sich aus Scham nicht wehren können . Deshalb ist das Das bestätigt auch eine Analyse des Bundesrechnungsho- Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz ein Meilenstein fes . So kalkulieren die Rechnungsprüfer in einem Bericht in der Hilfsmittelversorgung . an den Haushaltsausschuss des Bundestages mit monat- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichen Preisen von 31,50 Euro und 52,50 Euro . Das sind der CDU/CSU) Beträge, liebe Kolleginnen und Kollegen, die durch die Pauschalen der Krankenkassen zum Teil drastisch unter- Ich möchte kurz noch auf eine weitere Neuerung hin- schritten werden . Patienten berichten davon, dass sie nur weisen; der Kollege Irlstorfer hat es auch schon getan . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21827

Martina Stamm-Fibich (A) Ursprung dafür, lieber Kollege Irlstorfer, war aber auch die entscheidend dazu beitragen, dass die Versorgung (C) der Inhalt einer Petition, die uns auf die Regelungen zur qualitativ hochwertig erfolgt . KVdR hingewiesen haben . Ich bin da bei Ihnen: Wir dür- (Beifall bei der CDU/CSU) fen den Menschen – in der Regel sind es Frauen – nicht den Weg in die KVdR verwehren . Deswegen halte ich Von einigen wird hier so getan, als sei mit Blick auf es für so wichtig, darauf hinzuweisen: Die sogenannte das Gesetz überhaupt nichts passiert . Mir ist vorgewor- 9/10-Regelung ist zwar in der Öffentlichkeit kaum be- fen worden, ich hätte gesagt, es gebe überhaupt keinen kannt, hat aber für die Betroffenen schwerwiegende Fol- Handlungsbedarf . Ich habe genau das Gegenteil gesagt, gen, und zwar dann, wenn Vorversicherungszeiten fehlen und ich werde Ihnen auch ein ganz konkretes Beispiel und sie als Rentnerinnen und Rentner nicht Mitglied der nennen, Frau Kollegin – Stichwort: Beiträge Selbststän- KVdR werden können . diger zur gesetzlichen Krankenversicherung . Bereits in der letzten Debatte im September 2016 haben wir darü- Ich finde, es ist richtig, was wir da tun. Wir erfüllen ber gesprochen, dass es durchaus Probleme hinsichtlich damit auch einen wirklich lang gehegten Wunsch dieser der Frage Beitragsbemessung gibt . Das haben wir als Frauen . Wir erkennen an, dass sie vor der Erziehungszeit Koalition jetzt geändert . berufstätig waren und auch danach und dass sie sich in ihrer Erziehungszeit nicht anders versichern konnten . Ich (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE denke, das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung . GRÜNEN]: Im Gegenteil, Sie schaffen keine Deshalb bitte ich Sie, liebe Opposition, zuzustimmen – so Lösungen, sondern ein neues Problem!) wie gestern im Ausschuss angekündigt . Wir haben ja vie- Wir haben eine neue Beitragsbemessung für Selbst- le Gemeinsamkeiten . Ich glaube, dieser Gesetzentwurf ständige in der gesetzlichen Krankenversicherung und verdient es, dass wir ihm einvernehmlich zustimmen . schauen genau darauf, wie hoch die tatsächlichen Ein- Herzlichen Dank . künfte im Kalenderjahr und bezüglich der Mindestbe- messungsgrenzen sind . Diese praxisnahe Lösung für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Selbstständige ist eine bürokratiearme Möglichkeit und der CDU/CSU) ein klares Signal für die Stärkung von Gründermentali- tät, ein klares Signal für die vielen selbstständigen Leis- tungsträger in unserer Gesellschaft . Deshalb ist es ein Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: gutes Gesetz . Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion . Nächster Punkt: Qualitätssicherung bei Gesundheits- handwerkern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir spre- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chen immer über den Mittelstand . Wir wissen, er ist das (D) Rückgrat der Gesellschaft . Dazu gehören die vielen Ge- Tino Sorge (CDU/CSU): sundheitshandwerker und der Gesundheitswirtschafts- bereich . Wir sprechen über 25 000 Augenoptiker, über Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Sehr geehrte Da- Hörgeräteakustiker, Orthopädieschuhtechniker, Zahn- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie techniker . Das sind Innovationstreiber . unterschiedlich Lob ausfallen kann, haben wir heute in der Debatte wieder gesehen . Einerseits hat mich heute (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Frau Wöllert – das muss ich ehrlich sagen – ein biss- GRÜNEN]: Die haben Sie jetzt acht Jahre chen überrascht: Enthaltung ist ja, wie ich mal gelernt lang im Regen stehen lassen!) habe, die höchste Form des Lobes der Opposition . Was Es gibt mittlerweile 180 000 Mitarbeiter in diesem Be- ich nicht verstanden habe, liebe Frau Kollegin Klein- reich, die einen enormen Beitrag zu einer modernen, ver- Schmeink, ist, warum Sie, wenn Sie schon sagen, dass lässlichen Versorgung leisten . Deshalb haben wir auch das ein Schritt in die richtige Richtung ist, andererseits die bisherige Ausschreibungspraxis aufgehoben . Wir hier den Eindruck erweckt haben, als sei das ganze Ge- haben sie abgeschafft, weil wir der Meinung sind, dass setz schlecht . individuelle handwerkliche Leistungen nichts mit einer (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE pauschalen Ausschreibung zu tun haben . GRÜNEN]: Habe ich nicht! Ganz im Gegen- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE teil!) GRÜNEN]: Die haben Sie nicht abgeschafft, Genau dieser Eindruck ist hier angekommen, und das fin- sondern abgemildert!) de ich schade . Dadurch haben wir gerade im Bereich von orthopädi- schen Schuheinlagen einen ruinösen Preiswettbewerb Ich glaube, es hätte sich gerade im Rahmen der Bera- verhindert, und wir stärken damit auch die Attraktivität tung dieses Gesetzentwurfs gelohnt, auch einmal dieje- dieser Berufe . nigen, die aus Bereichen kommen, die sonst nicht so im Vordergrund stehen – der Heil- und Hilfsmittelbereich, Das Beispiel Modellprojekte ist bereits angesprochen das Gesundheitshandwerk, die Gesundheitsfachberufe –, worden . Mein Kollege Roy Kühne hat darauf hingewie- auch einmal zu würdigen; denn das sind diejenigen, die sen, dass wir viele Berufsgruppen in diese Modellprojek- neben den Krankenhäusern, die immer präsent sind, und te einbeziehen . Das ist zum Beispiel für Podologen sehr den Krankenkassen jeden Tag am Patienten eine Leistung wichtig, die sich dafür erst einmal nicht angeboten oder erbringen, die jeden Tag Gutes für die Patienten tun und aufgedrängt haben; aber wir sprechen hier über Volks- 21828 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Tino Sorge (A) krankheiten, zum Beispiel über Diabetes . Wir haben Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) mittlerweile 9 Millionen Erkrankte in diesem Bereich; Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die die Dunkelziffer liegt bei zusätzlichen 2 Millionen. Des- Aussprache . halb ist es wichtig, dass wir, wenn wir diesen Diabe- tes-Tsunami in den nächsten Jahren verhindern wollen, Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- genau schauen, welche sinnvollen Kooperationen es da- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung bei gibt . Daher ist dies auch eine sinnvolle Maßnahme der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Der Ausschuss für und Mittelverwendung im Gesundheitswesen . Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/11205, den Gesetzent- Sehr geehrte Damen und Herren, die Stärkung der wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10186 in Hochschulambulanzen ist ein weiteres Thema, das wir der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, im Rahmen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgeset- die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- zes angehen . Der Kollege Lauterbach hat bereits darauf men wollen, um ihr Handzeichen . – Wer stimmt dage- hingewiesen, dass es um eine bessere Versorgung geht . gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf Es geht um eine bessere Einbindung der Patienten sowie in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei um innovative Behandlungs- und Versorgungsansätze Enthaltung der Opposition angenommen worden . und einen direkteren Zugang zu interdisziplinären Ansät- zen . Das werden wir mit diesem Gesetz erreichen . Wir Wir kommen zur sprechen immer über sektorübergreifende Ansätze . Dies dritten Beratung ist ein konkretes Beispiel, und insofern kann man sagen, dass es ein guter Ansatz ist . und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem (Maria Michalk [CDU/CSU]: Mutterschutz!) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Letzter Punkt: Kodier-Beeinflussung. Dieses Thema Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit den Stimmen ist durch die Presse gegangen, und insofern ist es nur fol- der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenom- gerichtig, dass wir dem hier einen Riegel vorschieben . men worden . Das ist letztlich auch verständlich; denn stellen Sie sich vor, jede Krankenkasse würde dies tun . Das kann man Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- mit folgender Situation vergleichen: Im Kino stehen auf schließungsanträge der Fraktion Die Linke . einmal die Leute in der ersten Reihe auf, und Sie sehen Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11207 . Wer nichts mehr . Was tun Sie? Sie stehen auch auf .– Nichts stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt anderes haben die Kassen getan . Das heißt, eine Kasse dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall . (B) hat damit angefangen, anders kodieren zu lassen . Die Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der (D) nächste Kasse musste es mitmachen, damit sie im Wett- Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt bewerb keine Nachteile erleidet . Insofern ist dies ein kla- worden . res Signal nach außen, dass wir sagen: Wer dieses Sys- tem missbraucht, erfährt eine konsequente Reaktion des Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11208 . Wer Gesetzgebers . Dabei gibt es keine Tolerierung mehr . Das stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt haben wir umgesetzt . dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Ent- schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Maria Michalk [CDU/CSU]: Mutterschutz!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden . Mit Blick auf die Uhr – ich könnte noch stundenlang Tagesordnungspunkt 6 b . Wir setzen die Abstimmung über dieses sehr gute Gesetz referieren – nur noch ein über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ge- Punkt: Mutterschutz . Wir haben gerade in diesem Be- sundheit auf Drucksache 18/11205 fort . reich Unwuchten aus der Vergangenheit beseitigt, indem wir beim Mutterschutz selbstständig tätigen Müttern die Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Möglichkeit geben, mit gesetzlich versicherten Müttern schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- gleichziehen zu können . tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8399 mit dem Titel „Versorgung durch Heilmittelerbringer Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen von den stärken – Valide Datengrundlage zur Versorgung und Koalitionsfraktionen und den anderen Kolleginnen und Einkommenssituation von Heilmittelerbringern schaf- Kollegen hier im Hause . Ich betrachte ihre Enthaltung als fen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer eine Form des Lobes . stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Vielleicht stim- se Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen men sie ja noch zu!) worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- men der Opposition . Insofern ist das heute ein guter Tag, und vielleicht sind Sie angesichts der Realität mit unserem Vorschlag ein- Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die- Ab verstanden und stimmen dem Gesetzentwurf zu . lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 18/10247 mit dem Titel „Versorgung Herzlichen Dank . verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – ordneten der SPD) Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21829

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) auch diese Beschlussempfehlung angenommen worden Schäuble, indem er mit einem internationalen Maßnah- (C) mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der menpaket von zehn Punkten auf seine G‑20-Kollegen Opposition . zugegangen ist, um gemeinsam mit anderen Ländern ge- gen Steuerumgehung vorzugehen . Gleichfalls haben wir Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d mit den Bundesländern ein nationales Maßnahmenpaket seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags diskutiert und in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe be- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- sprochen, was heute mit dem Steuerumgehungsbekämp- che 18/10252 mit dem Titel „Fairen Wettbewerb in der fungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht solidarischen Krankenversicherung ermöglichen – Wei- wird . terentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostruk- turausgleiches vorantreiben“. Wer stimmt für diese Worum geht es? Es geht darum, dass der eine oder Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer andere Steuerpflichtige mithilfe sogenannter Briefkas- enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung tenfirmen versucht hat, steuerliche Tatbestände zu- ver ebenfalls angenommen worden mit den Stimmen der Ko- heimlichen . Das heißt, es wurden Firmen gegründet, die alition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen eigentlich keine wirtschaftlichen Aktivitäten hatten, im bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Regelfall außerhalb des EU- bzw . EWR-Raumes . Die- Tagesordnungspunkt 6 c. Hier empfiehlt der -Aus se Konstruktion war so verschachtelt, dass man keinen schuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung Blick darauf hatte, wer der wirtschaftlich Berechtigte die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/ hinter diesen Gesellschaften ist . Die Grünen auf Drucksache 18/3155 mit dem Titel „Die Es gab den einen oder anderen Vorschlag, solche Ge- gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinde- sellschaften einfach zu verbieten . Dies ist aber nicht ganz rung menschenrechtskonform gestalten“. Wer stimmt für so trivial, weil es durchaus sein kann, dass man auch im diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Drittland Gesellschaften gründet, die in irgendeiner Form Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfeh- wirtschaftlich durchaus aktiv sein können . Deshalb rich- lung ebenfalls angenommen mit den Stimmen der Koali- tet sich der Ansatz dieses Gesetzes nicht auf ein Verbot tion gegen die Stimmen der Opposition . solcher Gesellschaften, sondern darauf, wie man mehr Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abge- Transparenz im Kontext dieser Gesellschaften schafft. schlossen . In Zukunft wird erstens, wenn dieses Gesetz in Kraft Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: getreten ist, jeder Steuerpflichtige, der an einer solchen Gesellschaft beteiligt ist, diese Beteiligung der Fiskal- Erste Beratung des von der Bundesregierung behörde aktiv anzeigen müssen, wenn er einen beherr- (B) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schenden oder bestimmenden Einfluss hat. Sollte er sich (D) Bekämpfung der Steuerumgehung und zur dieser Anzeige eines solchen bestimmenden Einflusses Änderung weiterer steuerlicher Vorschrif- entziehen – es muss kein formaler Einfluss sein; es reicht, ten (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – wenn er sich ihn nicht zwingend formal auf anderem StUmgBG) Wege angeeignet hat –, dann kann er mit einem Bußgeld Drucksachen 18/11132, 18/11184 von bis zu 25 000 Euro belegt werden . Überweisungsvorschlag: Zweitens legen wir den Kreditinstituten auf, dass sie, Finanzausschuss (f) wenn sie Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Steuerpflichtigen und solchen Domizilgesellschaften in Haushaltsausschuss Drittländern vermittelt haben, dies auch der hiesigen Fis- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für kalbehörde anzeigen müssen . Unterlassen sie das, sind die Aussprache dieses Tagesordnungspunktes 38 Minu- sie haftbar für mögliche Steuerausfälle, die an dieser ten vorgesehen .– Ich höre dazu keinen Widerspruch . Stelle entstehen . Neben den Steuerausfällen können auch Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Ausspra- sie mit einem Bußgeld belegt werden, ebenfalls in Höhe che eröffnen. von 25 000 Euro . Der Ausgleich für den Steuerschaden überschreitet die Höhe des Bußgeldes im Regelfall um Als erster Redner hat für die Bundesregierung der ein Vielfaches . Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort . Wir sind dann drittens an den § 30a der Abgaben- ordnung herangegangen, das sogenannte steuerliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bankgeheimnis . An dieser Stelle geht es um die Frage: ordneten der SPD) Inwieweit gibt es ein Auskunftsverweigerungsrecht von Finanzinstituten, wenn die Finanzbehörde nachfragt? Es Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- ist nach unserer Einschätzung bisher so, dass es ein Aus- desminister der Finanzen: kunftsverweigerungsrecht nicht gibt . Wir sind allerdings Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Meinung, dass klargestellt werden muss, dass es so Am 3 .April vergangenen Jahres gegen 20 Uhr wurden ist und dass ein Finanzinstitut keineswegs einem Rechts- die sogenannten Panama Papers veröffentlicht. Das war anwalt, einem Steuerberater, einem Wirtschaftsprüfer, der Ausgangspunkt für die Diskussion, die wir ab heu- einem Arzt, einem Geistlichen oder einem Bundestags- te hier im Deutschen Bundestag führen . Es gab eine so- abgeordneten gleichgestellt ist, sondern eher einem ande- fortige Reaktion des Bundesfinanzministers Wolfgang ren Unternehmen . In dem Kontext wird es auch so sein: 21830 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister (A) Wenn in Zukunft bei Betriebsprüfungen – etwa bei einer 2,6 Terabyte Daten –, aus denen hervorgeht, dass Zah- (C) Bank – steuerliche Sachverhalte zu einem Dritten auffäl- lungsströme und entsprechende wirtschaftliche Aktivitä- lig werden, können diese verwendet werden . ten fast ungehindert verschleiert werden konnten . Dass sich da schnellstens etwas ändern muss, sollte eigentlich Wir werden viertens sogenannte Sammelauskunftser- suchen möglich machen . Allerdings werden wir klarstel- klar sein. Insofern finde ich es bedauerlich, dass die Bun- len, dass diese Möglichkeit nicht anlasslos, sondern nur desregierung fast ein Jahr verstreichen ließ, bis sie hier anlassbezogen von den Fiskalbehörden genutzt werden aktiv wurde und jetzt erstmalig einen Gesetzentwurf in kann . Ich glaube, auch hier sind wir mit Maß und mit den Bundestag einbringt, und das nur – das muss man an Blick auf das Ziel vorgegangen . dieser Stelle auch betonen –, weil der öffentliche Druck enorm zunahm und so groß wurde . Wir werden das Kontenabrufverfahren für Besteu- erungszwecke erweitern und damit die Möglichkeit Wenn man nun vorhat, zukünftig dunkle Geschäfte schaffen, zu erfahren, wer eigentlich der wirtschaftlich ans Licht zu bringen, dann gibt es eigentlich ein einziges Berechtigte hinter einem Konto oder Depot ist, insbeson- Zauberwort – es heißt „Transparenz“. Ich verstehe nicht, dere dann, wenn dieses Konto oder Depot in einem Dritt- warum in Ihrem Gesetzentwurf nichts über die Einfüh- land liegt . Und wir haben Hinterziehungen von Steuern rung eines öffentlichen Transparenzregisters zu wirt- unter Nutzung von Drittstaat-Gesellschaften als beson- schaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw . Trusts zu ders schwere Fälle der Steuerhinterziehung qualifiziert, lesen ist . Denn wir haben ja gelernt: Durch illegale Fi- was bedeutet, dass die Verjährungsfristen in diesen Fällen nanzflüsse gehen gerade den Entwicklungsländern jähr- auf zehn Jahre angelegt sind . Wir werden auch die Zah- lich hohe dreistellige Milliardenbeträge in Euro verloren . lungsverjährungsfristen von fünf auf zehn Jahre erhöhen Hier könnte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und damit dafür sorgen, dass auf der einen Seite durch und solch ein Transparenzregister einführen . die Transparenz, die wir schaffen, das Entdeckungsrisiko steigt und auf der anderen Seite dann, wenn die Entde- (Beifall bei der LINKEN) ckung stattgefunden hat, durch längere Verjährungsfris- ten auch die Möglichkeit besteht, den Steuerschaden zu Denn das Problem ist ja vor allen Dingen, dass die Strip- beheben und entsprechende Strafen zu verhängen . penzieher und Profiteure dieser Schattengeschäfte wei- terhin im Geheimen bleiben und sich der strafrechtlichen Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Gesetzentwurf mit Wohlwollen beraten Verfolgung entziehen können . Genau das wollen wir könnten. Wir haben versucht, die einzelnen Begrifflich- nicht . Hier ist es unserer Meinung nach notwendig, dass keiten maßvoll und zielgerichtet auszugestalten, und man ein öffentliches Transparenzregister einführt. glauben, dass der Gesetzentwurf ein Beitrag dazu ist, (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) die Steuerehrlichkeit und damit auch die Akzeptanz von Steuerzahlungen in diesem Land zu heben . Was ich mich ebenfalls frage, ist, warum in Ihrem Ge- Vielen Dank . setzentwurf keine generelle gesetzliche Anzeigepflicht für sämtliche Steuergestaltungen zu finden ist. Wenn Ih- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nen Prävention tatsächlich so wichtig ist, warum nutzen Sie dann nicht hier die Gelegenheit, eine solche Anzeige- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: pflicht ins Gesetz aufzunehmen? Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort . Wir bewerten positiv – das möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht unterschlagen –, dass die Aufhebung des (Beifall bei der LINKEN) steuerlichen Bankgeheimnisses und die Verlängerung der Zahlungsverjährungsfrist vorgesehen sind . Es ist positiv Susanna Karawanskij (DIE LINKE): zu bewerten, dass hier der erste Stein gelegt wird . Auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und die Anhebung des Bußgeldrahmens für Steuerpflichtige Kollegen! Wenn wir im Kleinen unsere Steuererklärung ist grundsätzlich richtig . Aber mal ganz ehrlich, meine nicht machen oder Steuern hinterziehen, spricht man ge- Damen und Herren: 25 000 Euro bzw . 50 000 Euro bei meinhin von „Trickserei“ oder „Beschiss“. Bei den Gro- Finanzinstituten, meinen Sie wirklich, dass diese Sum- ßen heißt es dann elegant „Steuerumgehung“. men Milliardäre oder hyperreiche Finanzfirmen, die Mil- Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz, das wir liardenbeträge verschleiern bzw . verschwinden lassen heute beraten, ist absolut notwendig . Sogenannte Brief- wollen, erzittern lassen? Das Ding ist doch: Die beschei- kastenfirmen und Briefkastengesellschaften klingen vom ßen uns, die gesamte Gemeinschaft, um ihren Anteil an Namen her erst mal romantisch, aber sie haben vor allen der Finanzierung öffentlichen Gutes, von dem auch sie Dingen eine Funktion: Zahlungsströme und wirtschaftli- profitieren. Das ist doch der Skandal an der Geschichte: che Aktivitäten zu verschleiern und damit vor allen Din- Sie kommen davon, und der kleine Mann muss ganz nor- gen die Steuer zu umgehen . mal seine Steuern zahlen . Das wurde der Allgemeinheit erst im Frühjahr 2016 (Beifall bei der LINKEN) so richtig bewusst, als die sogenannten Panama Papers veröffentlicht wurden – ich will einfach mal die Di- Ich muss ganz ehrlich sagen: Die Beteiligung an der mension aufzeigen: es sind 11,5 Millionen Dokumente, Gemeinschaft drückt sich darin aus, Steuern zu zahlen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21831

Susanna Karawanskij (A) Wenn Sie verhindern wollen, dass hier betrogen bzw . be- Weil die Idee so gut ist, wollen wir das auch machen . Wir (C) schissen wird – wir als Linke sagen das ganz klar –, wollen das nur nicht heute und hier machen, sondern im Rahmen der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie . Das (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist ist klug; denn der panamaische, namentlich nicht bekann- kein parlamentarischer Ausdruck!) te wirtschaftlich Berechtigte würde in einem deutschen wenn Sie präventive Maßnahmen ergreifen wollen, dann Transparenzregister gar nicht auftauchen . Das würde uns müssen Sie Bußgelder in einer ganz anderen Größenord- hier also nicht helfen . Es ist zwar ein super Schwert, aber nung ansetzen . man muss es da einsetzen, wo man kämpfen kann . (Beifall bei der LINKEN) (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Man kann anfangen!) Besonders ärgert mich, dass ein Großteil der Infor- mationspflichten, die Sie gerade dargestellt haben, Herr Heute geht es um die innerstaatlichen Maßnahmen . Die Meister, nur in Bezug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied internationalen Maßnahmen ergreifen wir mit anderen der EU bzw . der EFTA, der Europäischen Freihandelszo- Gesetzen . Mit BEPS haben wir begonnen, verschiedene ne, sind, also sogenannte Drittstaaten . Die Schweiz und andere folgen . Liechtenstein bleiben für die deutschen Finanzverwal- tungen weiterhin im Dunkeln . Diese Staaten fehlen aber Das Ziel des Gesetzes ist klar: Mitwirkungspflichten in keiner Aufzählung der Schattenfinanzplätze. Wir als und Anzeigepflichten erweitern, Ermittlungsbefugnisse Linke lehnen es ab, dass damit europäische Steueroasen für unsere Behörden verbessern . Das sind die drei wich- aus dem Schneider sind und ihnen auf diese Art und Wei- tigsten Dinge, die wir tun wollen . Diese Maßnahmen se quasi noch ein Wettbewerbsvorteil gewährt wird . sind innerstaatlich natürlich wichtig . Ich glaube, das ist ein sehr großer Schritt, damit die Finanzbehörden besser Der Bundesfinanzminister will sich mit diesem Ge- zugreifen können und bessere Informationen haben . setzentwurf hier als großer Aufklärer und Kämpfer gegen Steuerumgehung gerieren . Der Ehrlichkeit halber muss Natürlich wird das nicht für jeden angenehm sein . man an dieser Stelle aber sagen: Gerade unter seiner Wenn wir die Mitwirkungspflichten erweitern, ergibt sich Ägide sind mit sogenannten Cum/Cum-Geschäften rich- daraus für Banken, Steuerberater und viele andere, die tig viele Milliarden Euro – 5 bis 6 Milliarden Euro pro sich auch um Briefkastenfirmen kümmern, die Pflicht, Jahr – verloren gegangen . etwas mehr bekannt zu geben als heute . Das könnte auch unangenehm sein, weil das, was ab jetzt bekannt gegeben (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist werden muss, bisher aus offensichtlichen Gründen nicht Blödsinn!) bekannt gegeben wurde . Insofern ist das eine neue Welt . (B) Jetzt wollen Sie mit dem Investmentsteuerreformgesetz Panama hört sich ja ziemlich weit weg an . Wir haben (D) dem Ganzen Einhalt gebieten . Das wird sich aber erst aber gerade in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass noch bewähren müssen . aus der Kanzlei Mossack Fonseca zwei verhaftet wurden, Ich möchte sagen: Bevor auf andere Länder gezeigt nämlich Jürgen Mossack – ein Deutscher übrigens; wir wird, sollten wir vor unserer eigenen Haustür kehren . denken ja immer, Panama ist wirklich weit weg – und Die Wirtschaftswoche tituliert Deutschland als dreisteste Ramón Fonseca . Sie wurden verhaftet, weil sie in dem Steueroase . Lava-Jato-Skandal die Verschleierung von Schmiergeld und Korruptionsgeld organisiert haben . (Zuruf des Abg . Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]) Da sieht man, zu was solche Briefkastenfirmen alles dienen können und wie klug es ist, dass wir uns darum Von der international eingeforderten Steuertransparenz kümmern . Wir sehen auch, wie kurz der Weg ist . Denn sind wir an einigen Stellen selber meilenweit entfernt . es ist ja erlaubt, dass ich mein Geld nach Panama bringe . Wir müssen noch den ganzen Weg gehen und nicht nur Aber der Weg von der Geldanlage dort und der legalen zwei Schritte, ehe wirklich Steuergerechtigkeit herge- Steuervermeidung über die illegale Steuergestaltung bis stellt ist und die Steueroasen ausgetrocknet sind . hin zur Kriminalität scheint sehr kurz zu sein . Meine These dazu ist: Weil das alles unter dem Schleier des Vielen Dank . Unbekannten liegt, ist der Weg so kurz . Denn wenn das (Beifall bei der LINKEN) eine nicht entdeckt wurde, dann geht man vielleicht ei- nen Schritt weiter und noch einen Schritt und noch einen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Schritt, und im Nu ist man im Strudel der Kriminalität gefangen . Deshalb ist es gut, was jetzt in Panama pas- Als nächster Redner spricht Lothar Binding für die siert, nachdem Freundschaften mit der Regierung offen- SPD-Fraktion . sichtlich nicht mehr ganz so gut funktionieren wie bisher . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will noch einmal kurz erläutern, was eine Brief- der CDU/CSU) kastenfirma ist und woran wir sie erkennen. Es gibt ja keine wirtschaftliche Aktivität . Es ist also ein Unterneh- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): men ohne Geschäftszweck . Es ist nichts weiter als eine Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! angemeldete Rechtsform . Uns ärgert besonders, dass es Liebe Kolleginnen und Kollegen! Susanna Karawanskij keine Arbeitnehmer gibt . Also den Zweck eines Unter- hat eine richtig gute Idee gehabt: ein Transparenzregister . nehmens, dass man Leute beschäftigt und – das ist klar – 21832 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Gewinne macht, gibt es nicht . Es gibt eine Art Pro-for- Situation besser im Griff, zumindest fiskalisch. Wir kön- (C) ma-Geschäftsführer . Er hat nur eine einzige Aufgabe im nen dann zumindest unser Steuersubstrat sichern . Das ist Jahr: Er muss die Registergebühren überweisen . Dann eines der wichtigsten Dinge, die wir heute tun wollen . hat er sozusagen seine Geschäftstätigkeit für ein Jahr er- ledigt . Jetzt steht hier „minus 19“. Deshalb sage ich schönen Dank und alles Gute. Ich hoffe, dass wir mit dem Gesetz Jetzt das Wichtigste: Der wirtschaftlich Berechtig- durchkommen; denn es ist ein richtig gutes Gesetz . te ist nicht bekannt . Über wie viele Unternehmen re- den wir? Durch die Panama Leaks, also sozusagen das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Loch im Datensack, haben wir jetzt Informationen über der CDU/CSU) 215 000 unterschiedliche Unternehmen . Um die Dimen- sion zu verdeutlichen: In Deutschland haben wir etwa Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: 3,5 oder 3,6 Millionen Unternehmen . Die 215 000 sind Wenn es eine gute Erklärung ist, immer gerne .– Als aber nicht nur deutsche Unternehmen; nicht, dass das nächste Rednerin hat Lisa Paus für die Fraktion Bünd- jetzt einer missversteht . Das zeigt aber die Dimension, nis 90/Die Grünen das Wort . wie viele dieser Firmen es gibt .

Wie funktioniert das? Eine Privatperson oder ein Un- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ternehmen, meist mit Vermögen, wendet sich an eine Bank . Die Bank beauftragt einen Vermittler . Der Vermitt- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigent- ler gründet eine fiktive Firma. Diese fiktive Firma hat lich wäre das Wort „Briefkastenfirma“ auch ein guter dann die Aufgabe, den Namen des Auftraggebers zu ver- Vorschlag für das Unwort des Jahres 2016 gewesen . schleiern . Das hat bisher sehr gut funktioniert . Wie kom- (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das me ich an mein Geld, wenn ich das so gemacht habe? stimmt!) Ganz einfach: Über eine Kreditkarte kann ich auf das Geld, das auf solchen Konten liegt, zugreifen . Denn „Briefkastenfirma“ ist eigentlich ein zutiefst heuch- lerischer Begriff. Ein Briefkasten auf Guernsey oder in Was machen wir heute? Wir wollen die Wahrschein- Panama, das klingt so harmlos. Aber über Briefkastenfir- lichkeit für die Entdeckung der Gründer von solchen men werden – meine Vorredner haben es auch schon in Briefkastenfirmen, die wir auch Domizilgesellschaften der einen oder anderen Weise angesprochen – Milliarden nennen, erhöhen . Denn wir sagen: Wenn die Entde- verschoben, mit Briefkastenfirmen werden Steuern hin- ckungswahrscheinlichkeit steigt, dann könnte die Wahr- terzogen, mit Briefkastenfirmen waschen die Mafia und scheinlichkeit, dass jemand nicht kriminell wird, auch das organisierte Verbrechen ihre Gelder, mit Briefkas- (B) (D) steigen . Das ist unser großer Wunsch . Das heißt, wir tenfirmen verstecken Terrororganisationen und korrupte wollen eine hohe Präventionswirkung entfalten . Diktatoren ihre illegal erworbenen Vermögen . Dazu gehört als Erstes das wichtige Wort „Transpa- Die Panama Papers haben uns eindrucksvoll das dra- renz“, und zwar, wie gesagt, im doppelten Sinn, einmal matische Ausmaß dieser Aktivitäten vor Augen geführt: international und einmal national . Wir wollen auch, dass Eigentümer von Briefkastenfirmen in Panama leben auf die inländischen Steuerpflichtigen, die solche Firmen allen Kontinenten . Es waren über 130 000 Personen – beherrschen oder damit Geschäftsbeziehungen haben, darunter Despoten, Spitzensportler, Unternehmer, Pro- dies vermehrt anzeigen und der Steuerverwaltung einen minente, Waffenhändler, Oligarchen, Finanzjongleure –, Hinweis geben, dass da etwas sein könnte . Dadurch soll und das aus 170 Ländern . Und es waren auch Regierungs- genauer hingeschaut werden . Das ist der erste wichtige chefs darunter, auch aus Europa: Regierungschefs wie Schritt . David Cameron sowie die ehemalige EU-Kommissarin (Beifall bei der SPD) Neelie Kroes sind dabei . Und das ist absolut verheerend für das Ansehen von Politik und Demokratie hier bei uns Dass die Umsetzung dieser Anzeigepflicht nicht ganz in Europa . Deswegen müssen wir etwas dagegen tun . leicht ist, ist klar . Denn wir sprechen auch von Beteili- gungen: Wenn ich mich zum Beispiel an einem Fonds (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beteilige, der sich seinerseits an einer Briefkastenfirma und bei der LINKEN) beteiligt, die sich ihrerseits hinter einer GmbH in Andor- ra verbirgt, dann wird die Sache relativ schnell sehr kom- Es spricht für Schäubles Mediengespür, dass er prompt pliziert . Wir merken also, dass wir da sehr tief reinschau- einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt hat . Herr Meister hat en müssen . Deshalb ist es so wichtig, dass die Exekutive, es wiederholt . dass unsere Beamten die Möglichkeit haben, da sehr viel (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist mehr zu tun . doch gut, oder?) Last, but not least müssen die Finanzinstitute sehr viel – Das ist gut . In dem Gesetzentwurf, der unter anderem mehr Informationen über Drittland-Gesellschaften ge- daraus inzwischen geworden ist und der uns heute vor- ben . Das Wichtigste ist vielleicht: Sie sollen auch für die liegt, sind auch tatsächlich eine Reihe von Punkten dabei, Steuerausfälle haften, die entlang ihrer Gestaltungen ent- die wir gut finden und die wir auch mittragen werden. stehen . Das halte ich für eine ganz interessante Variante . Wenn wir das durchsetzen und gescheit operationalisie- (Zuruf des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] ren, dann, glaube ich, haben wir eine ganz schön sperrige [SPD]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21833

Lisa Paus (A) Aber, meine Damen und Herren, es bleibt ein mehr sind . Was für ein aberwitziger Zustand, meine Damen (C) als schaler Beigeschmack bei diesem Gesetz . Denn – ers- und Herren! Der muss dringend geändert werden . tens – dem Finanzministerium waren Panama und das Briefkastenfirmenwesen lange vor den Enthüllungen be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – kannt; Zuruf von der CDU/CSU)) Auch die deutsche Steueroase lebt trotz dieses Ge- (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: So ist setzes munter weiter . Wir haben es erfahren während es!) des Arabischen Frühlings . Da stellte sich heraus, dass vielleicht nicht die ganzen Ausmaße, aber es war ihm be- geflohene Diktatoren die gestohlenen Milliarden auf kannt . Also, wenn das so schnell ging, warum passierte deutschen Konten gesichert hatten und auch dafür keine dann nicht früher etwas? Es hat ja offenbar etwas in der Steuern gezahlt haben, weil übrigens alle Steuerauslän- Schublade gelegen . Wir haben entsprechende Anträge der in der Regel auf ihr Bankkonto in Deutschland keine seit langem gestellt . Sie hätten früher tätig werden sollen . Steuern zahlen – keine im Sinne von wirklich null Euro! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das könnten wir ändern . Warum erheben wir nicht bei sowie bei Abgeordneten der LINKEN) uns eine Quellensteuer für Kontoinhaber aus den Län- dern, die nicht am automatischen Informationsaustausch Zweitens . Deutschland wusste auch seit langem, dass über Finanzkonten in Steuerfragen teilnehmen, von de- es sich bei Panama um eine Steueroase handelt . Warum nen wir also nicht wissen, ob sie schon einmal Steuern hat Deutschland, und zwar bis heute, Panama nicht auf gezahlt haben? die schwarze oder graue Liste der unkooperativen Staa- Das alles müssten wir tun . Daran misst sich unsere ten gesetzt? Warum hat Deutschland bisher – anders als Glaubwürdigkeit im tatsächlichen Kampf gegen interna- beispielsweise Frankreich – kein einziges Land auf diese tionale Steuerhinterziehung . Es gibt weitere Punkte, die Liste gesetzt? Verstehen wir nicht . ich ausführen könnte . Meine Zeit ist aber zu Ende . Des- Es gibt weitere wichtige Aspekte, die fehlen . Zu- wegen erwähne ich sie jetzt nicht . vorderst: Warum gibt es immer noch keine Initiative Wir sagen an dieser Stelle: Das Gesetz ist ein Schritt der Bundesregierung für einen effektiven Whistleblo- in die richtige Richtung . Aber zum großen Schlag ge- wer-Schutz? Denn ohne Whistleblower hätten wir von gen die Steuerhinterziehung fehlt es am Kehren vor der Panama Papers keine Ahnung, LuxLeaks gäbe es nicht, eigenen Haustüre, es fehlt an öffentlicher Transparenz, SwissLeaks gäbe es nicht, wir wüssten auch immer noch und es fehlt an effektiven Strukturen und Personal zur nichts über die tatsächlichen Ausmaße der systemati- (B) Umsetzung . Aber nur wenn wir das tun, ist Deutschland (D) schen Steuerbetrugsnetzwerkstrukturen . Dass wir das glaubwürdig, und nur dann können wir in der EU und jetzt wissen, ist sehr wichtig, und das sind ohne Zweifel international im Kampf gegen Steuerbetrug und Geldwä- für die Allgemeinheit sehr, sehr wichtige Informationen . sche wirklich vorankommen . Und davon brauchen wir eher mehr und nicht weniger . Deswegen brauchen wir einen Schutz der Whistleblower, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die uns diese Informationen zur Verfügung stellen, meine sowie der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Damen und Herren . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: und bei der LINKEN) hat als nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . Außerdem: Deutschland selbst ist eben auch kein Un- schuldslamm . Das passiert nicht alles nur in Panama, und (Beifall bei der CDU/CSU) es nicht nur so, dass Deutsche oder Menschen aus an- deren Ländern Geld nach Panama verschieben, sondern Uwe Feiler (CDU/CSU): Deutschland ist international bekannt als Geldwäschepa- radies, und Deutschland ist auch ein attraktiver Standort Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen für ausländische Steuerhinterzieher . Aber wo sind die und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! Auch Initiativen dieser Bundesregierung, die wirklich etwas heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der sich mit der am Geldwäsche-Eldorado ändern würden? Wir finden Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung nichts . Fehlanzeige . beschäftigt . Er fügt sich nahtlos in das Konzept unseres Bundesfinanzministers zur Stärkung der Steuergerechtig- Dabei gibt es Schätzungen aus dem Haus von Herrn keit ein . Nach der Reform der strafbefreienden Selbstan- Schäuble selbst, wonach in Deutschland jährlich zeige, der Einführung des internationalen Informations- 100 Milliarden Euro an schmutzigem Geld vor allem im austauschs in Steuersachen, dem Gesetz zur Umsetzung Nichtfinanzsektor gewaschen werden, und davon wird der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und dem Ge- nur ein Bruchteil aufgedeckt . Das sind nicht unsere Zah- setz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grund- len, sondern das sind die Zahlen der Bundesregierung . aufzeichnungen werden wir mit diesem Gesetz den kre- ativen Steuergestaltungsmöglichkeiten im Ausland einen Das liegt übrigens unter anderem auch daran, dass für Riegel vorschieben . Dabei setzen wir zuallererst auf das die Kontrolle der Geldwäsche die Gewerbeaufsichtsäm- Mittel der Transparenz; das haben wir in den Vorreden ter, mancherorts sogar die Standesbeamten zuständig schon mehrmals gehört . 21834 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Uwe Feiler (A) Genauso wie wir bei der strafbefreienden Selbstanzei- erforderlich ist, ist zumindest mir gegenüber noch be- (C) ge und durch den internationalen Informationsaustausch gründungswürdig . das Entdeckungsrisiko dermaßen erhöht haben, dass sich jeder dreimal überlegen sollte, ob er sich mit dem deut- Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele Bürgerinnen schen Fiskus auf diese Art und Weise anlegen will, brin- und Bürger werden sich fragen, ob sie selbst als Inhaber gen wir mit diesem Gesetz Licht ins Dunkel sogenannter eines Girokontos oder eines kleinen Depots überhaupt Domizilgesellschaften, wie Briefkastenfirmen höflich von all diesen Vorschriften, die wir jetzt auf den Weg umschrieben werden . bringen, betroffen sein werden. Das können wir sicher ruhigen Gewissens in vielen Fällen verneinen . Wir als Union stehen zur Berufs-, Dienstleistungs- und Eigentumsfreiheit . Selbstverständlich dürfen und können Für uns ist es jedoch wichtig, dass gerade diese Men- sich deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger an aus- schen wissen, dass diejenigen, die versuchen, sich auf ländischen Gesellschaften beteiligen, diese übernehmen Kosten der Steuerzahlergemeinschaft gesetzeswidrig ei- oder auch internationale Geschäftsbeziehungen pflegen. nen Vorteil zu verschaffen, verfolgt und bestraft werden. Dieser Unternehmergeist gehört zu den Stärken der deut- Es ist deshalb auch vollkommen folgerichtig, die Zah- schen Volkswirtschaft, von der wir alle profitieren. Liebe lungsverjährungsfrist bei Steuerhinterziehung auf zehn Kolleginnen und Kollegen, der Geschäftssinn endet aber Jahre zu verlängern und in besonders schweren Fällen dort, wo die Energie vornehmlich darauf gerichtet ist, einer Steuerhinterziehung die Verjährungsfrist für die dem deutschen Staat durch ein geschicktes und möglichst Strafverfolgung ebenfalls auf zehn Jahre auszuweiten . kompliziertes Netzwerk an Auslandsgesellschaften seine Unser Finanzminister hat in Deutschland und in der Steuern vorzuenthalten . Welt zu Recht den Ruf erworben, für Steuergerechtigkeit In den Gesetzentwurf sind die viel beachteten und in- und Transparenz zu stehen . Er hat zeitnah einen guten ternational auf Zustimmung gestoßenen zehn Punkte von Gesetzentwurf vorgelegt, und ich freue mich auf die an- Wolfgang Schäuble eingeflossen. Über deren Ausgestal- stehenden Beratungen zu diesem Gesetz . tung werden wir im jetzt beginnenden parlamentarischen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Verfahren sicherlich zum Teil zu sprechen haben . Grund- lage ist ein mehrstufiges Modell, das nicht ohne Grund (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- an die erste Stelle die Ausweitung der Mitwirkungs- und ordneten der SPD) Anzeigepflichten über den Erwerb von direkten und in- direkten Beteiligungen an ausländischen Gesellschaf- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ten setzt. Schlupflöcher durch Schachtelkonstruktionen Als nächster Redner spricht Dr . Jens Zimmermann für werden so geschlossen, da auch Geschäftsbeziehungen die SPD-Fraktion . (B) zu Drittstaat-Gesellschaften offenzulegen sind. Anderen- (D) falls setzt die Anlaufhemmung der Verjährung ein, und es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird ein Bußgeld in Höhe von bis zu 25 000 Euro fällig . der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, neben den Eigentümern solcher Firmen nehmen wir aber auch die Finanzinstitute Dr. Jens Zimmermann (SPD): in die Verantwortung, Finanzinstitute, die ihre Kunden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be- nicht selten bei derartigen Geschäftsmodellen beraten raten heute in der ersten Lesung den Entwurf des Steuer- haben . Auch für sie gilt eine Mitwirkungs- und Anzei- umgehungsbekämpfungsgesetzes . Das gäbe viele Punkte gepflicht, wenn sie für in Deutschland Steuerpflichtige beim Scrabble, gleichzeitig wird mit dem Titel ziemlich Geschäftsbeziehungen mit Drittstaat-Gesellschaften her- klar, um was es eigentlich geht, nämlich um die Be- stellen oder vermitteln . Neben dem Bußgeld sollen sie kämpfung von sogenannter Steuerumgehung . Ich würde auch für die durch eine Pflichtverletzung entstandenen vielleicht auch von Steuerhinterziehung reden . Das ist Steuerausfälle haften; das halte ich, wie mein Vorredner sowieso eine Sache, die mir aufgefallen ist: Häufig sind Lothar Binding schon angemerkt hat, für äußerst wichtig . wir, so glaube ich, was Sprache angeht, an diesen Punk- ten ein bisschen zu nachsichtig; denn eigentlich wissen In genau diesen Zusammenhang ist auch die Ab- wir alle, worum es geht . schaffung des steuerlichen Bankengeheimnisses -einzu ordnen, das in der Praxis aufgrund der Rechtsprechung Ich will auch klar sagen, dass Briefkastenfirmen für des Bundesverfassungsgerichts ohnehin zwar ein Ermitt- mich nichts Romantisches haben . lungshindernis darzustellen vermochte, aber keine Ver- (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Briefe schwiegenheitspflicht der Finanzinstitute nach sich zog. sind aber etwas Romantisches!) Gleichwohl darf ich an dieser Stelle auch festhalten, dass wir den Instituten durchaus eine Menge neuer Aufgaben Wenn Sie auf die Wiese vor dem Reichstag gehen und aufbürden, über die wir mit der Finanzwirtschaft natür- die Besucherinnen und Besucher fragen würden, was lich auch diskutieren müssen . In der Gesamtabwägung sie eigentlich mit einer Briefkastenfirma assoziieren, lassen sich die Pflichten aus meiner Sicht aber vertreten, dann würden die Ihnen bestimmt nicht sagen: Ja, es gibt beispielsweise bei der Ausweitung des automatisierten besondere steuerliche Konstellationen, für die Sie eine Kontenabrufverfahrens oder der Verlängerung der Auf- Vorratsgesellschaft brauchen, und um das und das zu bewahrungsfrist von Daten bei Auflösung von Konten machen, brauchen Sie eine Briefkastenfirma. Deswegen auf zehn Jahre . Ob auch für den kleinen Ratenkredit stets ist das etwas, was unserer Wirtschaft unglaublich nutzt .– die Erfassung des steuerlichen Identifikationsmerkmals Nein, das würde Ihnen draußen auf der Wiese vor dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21835

Dr. Jens Zimmermann (A) Reichstag niemand sagen, sondern die Leute würden sa- Wir müssen daneben auch Instrumente zur Verfü- (C) gen: Ja, Briefkastenfirma, so etwas hätte ich auch gern; gung haben, durch die Repressionen im Raum stehen . Es denn wenn ich eine Briefkastenfirma habe, dann habe sollen auch diejenigen, die Steuerhinterziehern helfen, ich hoffentlich viel Geld, das ich außer Landes schaffen ihr Geld im Ausland unversteuert zu lassen, mit in die muss, damit ich darauf möglichst keine Steuern zahlen Verantwortung genommen werden. Ich finde es deshalb muss . – Das ist doch das Problem, um das es geht und mehr als richtig, dass wir sagen: Wenn ein Kreditinstitut über das wir schon seit geraumer Zeit diskutieren . dabei unterstützt, dann kann es am Ende auch zur Beglei- chung der Steuerausfälle herangezogen werden . Das ist Ich begrüße ausdrücklich, was wir jetzt hier im Ge- doch nicht mehr als recht und billig . setzentwurf vorgelegt haben, nämlich dass wir dieser relativ einfachen Konstellation, die, glaube ich, die Bür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gerinnen und Bürger da draußen sehr genau verstehen, einen stärkeren Riegel vorschieben können . Wenn wir uns anschauen, was in den letzten Jahren passiert ist, dann stellen wir fest: Deutsche Großbanken (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind vor allem im Ausland mit sehr hohen Beträgen zur der CDU/CSU) Rechenschaft gezogen worden . Wenn ich in Frankfurt Es drängt sich eine ganz einfache Frage auf: Warum unterwegs bin, dann habe ich schon den Eindruck, dass verbieten wir das denn nicht einfach? Das ist doch die das Reaktionen nach sich gezogen hat, dass man dort Frage, die sich bei diesem Thema jeder stellt . Mir ist aber jetzt wesentlich sensibler ist und nicht mehr einfach jedes klar: Wir können Panama nicht bitten, einfach zu verbie- Geschäft macht, das irgendwie geht, sondern dass man ten, dass deutsche oder europäische Staatsbürger dort ein sich schon sehr genau überlegt, ob das, was man macht, Unternehmen anmelden können . Da müssen wir realis- eigentlich zulässig, rechtskonform und vielleicht auch tisch sein . Dafür sitzen wir hier: dass wir Maßnahmen moralisch richtig ist, wobei ich mir bei dem letzten Punkt und Instrumente entwickeln, um die negativen Effekte zu immer noch nicht ganz sicher bin . verhindern, die diese Briefkastenfirmen häufig mit sich Insofern haben wir mit diesem Gesetzentwurf ein bringen . Ich glaube, durch den Gesetzentwurf haben wir wirksames Instrument, und ich hoffe, dass wir in den gute Instrumente vorliegen . jetzt anstehenden Beratungen an den ein, zwei Stellen, Wenn ich mir die Reden der Kolleginnen von der an denen wir vielleicht noch Beratungsbedarf haben, zu Opposition anhöre, dann stelle ich fest: Ein Hauptkritik- einem guten Ergebnis kommen und dass wir auch an den punkt war, dass es nicht schnell genug ging . Schneller anderen Baustellen, die es zweifelsohne gibt, in dieser geht immer – das ist akzeptiert . Der andere Punkt war, Legislaturperiode noch Ergebnisse erzielen werden . wir könnten bei der Geldwäschebekämpfung noch mehr Vielen Dank . (B) machen . Auch da bin ich bei Ihnen . Aber Geldwäsche- (D) bekämpfung steht heute nicht zur Debatte, sondern wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wollen die Briefkastenfirmen besser regulieren. der CDU/CSU) (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quellensteuer!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Aussprache hat Dr . Hans Zum Thema Geldwäsche will ich dennoch zumindest Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . einen Satz sagen . Ich glaube, ich bin einer derjenigen, der am stärksten darauf drängt, dass die Regelungen zur (Beifall bei der CDU/CSU) Umsetzung der Vierten und Fünften EU-Geldwäsche- richtlinie endlich durch das Kabinett kommen, damit wir Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): die hier beschließen können . Aber eines muss man sagen: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Man darf es auch nicht so darstellen, als würden die gan- gen! In der Vergangenheit sorgte die Steuerumgehung in zen Beamtinnen und Beamten in Deutschland, die gegen Steueroasen wie Luxemburg, Liechtenstein, der Schweiz die Geldwäsche arbeiten, den ganzen Tag nur schlafen . und Panama, um nur einige aufzuzählen, für großes Auf- Ich glaube, das haben Sie auch nicht gemeint, Frau Kol- sehen . Daher haben wir eine Vielzahl an nationalen Maß- legin . nahmen gegen Steuerhinterziehung und Gewinnverkür- (Beifall bei der SPD – Lisa Paus [BÜND- zungen auf den Weg gebracht; das ist eine Tatsache . Ich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Standesbeamte nenne zum Beispiel die Entscheidung für den automati- tun eine sehr gute Arbeit!) schen Informationsaustausch . Das ist ein großer Erfolg, der die Steueroasen Schweiz und Liechtenstein letzten Aber wenn wir uns jetzt anschauen, was wir zur Be- Endes trockengelegt hat . Das ist unser Erfolg . kämpfung der Briefkastenfirmen und der Steuerhinter- ziehung durch Briefkastenfirmen machen, dann stellen (Beifall bei der CDU/CSU) wir fest: Wir haben jetzt den richtigen Ansatz gewählt, Wir waren und sind also tätig, und mit unserem heuti- nämlich mehr Transparenz . gen Gesetzentwurf werden wir eine weitere Möglichkeit (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: inländischer Steuerpflichtiger zur Steuerumgehung mit- Mehr öffentliche Transparenz!) tels Briefkastenfirmen in Steueroasen beseitigen. Das kommt im Übrigen mit der Umsetzung der Vierten (Zuruf der Abg . Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ und Fünften EU-Geldwäscherichtlinie . DIE GRÜNEN]) 21836 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) Es gelten in Zukunft erweiterte Mitwirkungspflichten len handeln; darum geht es . Wir wollen rechtswidrigem (C) der Steuerpflichtigen, neue Anzeigepflichten der Ban- Tun generell einen Riegel vorschieben, ohne dem freien ken und zusätzliche Ermittlungsbefugnisse der Finanz- Kapitalverkehr zu schaden . Man muss deutlich sagen: verwaltung. Steuerschlupflöchern, Briefkastenfirmen, Die deutsche Wirtschaft, Deutschland als großer Export- Steueroasen und Steuerdelikten wird damit der Kampf standort braucht natürlich den internationalen Kapital- angesagt – nichts anderes! Der Bundesfinanzminister hat verkehr . Deswegen kann man den Kapitalverkehr nicht geliefert; die CDU/CSU-Fraktion unterstützt diese Regu- pauschal verurteilen, sondern man muss differenzieren. lierungen . Wir müssen dann einschreiten, wenn die Kapitalanlage im Ausland hier zu keiner Wertschöpfung führt . Da gibt Es geht uns nicht um Klassenkampf oder um eine Dif- es klare Unterschiede zwischen uns . Wir wollen diese famierung von Kapitalanlagen im Ausland, es geht uns Dinge ganz differenziert und genau angehen. um die Beteiligung an einer Firma im Ausland zum rei- nen Zwecke der Steuerverkürzung und der Geldwäsche . (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es: Wir wollen die Steueroasen trockenle- Ja, ja!) gen und Missbrauch bekämpfen . Es darf natürlich nicht Das werden wir auch tun . sein, dass die Arbeitnehmer und der Mittelstand hier im Land ordentlich ihre Steuern bezahlen, während andere In diesem Sinne darf ich Sie bitten, das Gesetz zu be- mit Briefkastenfirmen jonglieren, um sich ihrer Steuer- raten und dann mit Blick auf das Trockenlegen von Steu- pflicht zu entziehen oder Geld aus illegalen Geschäften eroasen eine gute Entscheidung zu treffen. zu waschen . Herzlichen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ordneten der SPD) Wir haben in den vergangenen Jahren bereits die eine oder andere Stellschraube richtig justiert, um jenen das Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Handwerk zu legen, die sich ihrer Steuerpflicht hier zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich entziehen versuchen und vor allem – das ist besonders die Aussprache . schädlich – Wettbewerbsvorteile genießen wollen . Es schadet einer ganzen Wirtschaftsstruktur, wenn sich eini- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- ge nur Vorteile herausnehmen . Das schadet dem Gemein- wurfs auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 an wohl insgesamt und unserer Volkswirtschaft . die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Damit ist (D) ordneten der SPD) dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen . Es gibt hierfür Beispiele renommierter Konzerne, und Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8: die muss man auch nennen dürfen: Starbucks, Amazon, Apple, Ikea, Fiat und viele andere . Der Kampf gegen Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene diese großen Konzerne ist natürlich keine leichte Auf- Mihalic, Monika Lazar, Volker Beck (Köln), gabe . Aufklärung scheint vor allem dann nicht leicht zu weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sein, wenn dies in Europa passiert, zum Beispiel in den NIS 90/DIE GRÜNEN Niederlanden oder in Luxemburg . Dann ist der Aufklä- Eine bundesweite Präventionsstrategie gegen rungswille in Luxemburg oder auch in Brüssel offenbar den gewaltbereiten Islamismus nicht unbegrenzt, vor allem wenn es offensichtlich um das eigene Interesse geht . Dabei hilft es auch nicht, im Drucksache 18/10477 eigenen Land laut den Verteidiger des kleinen Mannes Überweisungsvorschlag: zu spielen, wenn man vorher in Brüssel nicht durch Auf- Innenausschuss (f) klärungswillen, sondern durch das genaue Gegenteil auf- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gefallen ist. Hier war man offensichtlich mehr Verklärer Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Aufklärer . Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (Beifall bei der CDU/CSU) schätzung Frau Paus, ich will Ihnen sagen: Deutschland ist kein Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Steuerhinterziehungsparadies . die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: beschlossen . Ich habe gesagt: Steueroase!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem jetzt alle Das ist für mich ein unverschämter Angriff auf unsere Platz genommen haben, eröffne ich die Aussprache. Als gute Steuerverwaltung, meine Damen und Herren . Ihnen erste Rednerin hat Irene Mihalic von der Fraktion Bünd- von Links-Grün liegt anscheinend etwas daran, unser nis 90/Die Grünen das Wort . Land in ein schlechtes Licht zu rücken, es schlechtzu- reden und bei den Menschen Populismus zu verbreiten . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir dagegen, meine Damen und Herren, wollen nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! reden und die wirklichen Steueroasen decken . Wir wol- Liebe Kollegen! Auch wenn die Aufklärung des Falls Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21837

Irene Mihalic (A) Amri, also des größten islamistisch motivierten Terroran- kämpfen kann . Das beginnt im Bereich von Schulen und (C) schlags in Deutschland, seitens der Bundesregierung im- Familien und erstreckt sich bis hin in die unmittelbare mer noch verschleppt und verzögert wird, lässt sich eines Nähe von Anschlagsplanungen . Ja, auch dann kann man bereits deutlich absehen: Unsere Sicherheitsarchitektur Menschen noch erreichen und versuchen, sie von ihren ist zur Bekämpfung der Gefahren von Radikalisierung Plänen abzubringen . und Terrorismus nicht optimal aufgestellt . Doch anstatt den tatsächlichen Mängeln irgendwie zu begegnen, daran Es gibt aber auch sehr, sehr viele weiße Flecken in zu arbeiten, sie abzustellen, werden Pflaster und Placebos der Präventionslandschaft . Aber die Bundesregierung gereicht, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Fußfessel, unternimmt keine Anstrengungen, all diese losen Fä- Präventivhaft und eine sinnlose Einstufung von Staaten den irgendwie zusammenzuführen, aufzunehmen und als sichere Herkunftsländer sind dafür traurige Beispiele, gemeinsam mit den Ländern und der Zivilgesellschaft liebe Kolleginnen und Kollegen . auf Bundesebene zu bündeln, gemeinsame Standards zu entwickeln, die Forschung voranzutreiben, die Arbeit zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vernetzen und voneinander zu lernen . sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Michael Frieser [CDU/CSU]: „Sinnlose Ein- Radikalisierung und Terrorismus – wir mussten es oft stufung“?) schmerzhaft erleben – machen an Ländergrenzen nicht halt . Deshalb brauchen wir endlich eine bundesweite Sie versuchen damit, die vielen sicherheitspolitischen Präventionsstrategie, liebe Kolleginnen und Kollegen . Leerstellen dieser Bundesregierung zu kaschieren, mehr aber auch nicht . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Eine dieser Leerstellen ist der Komplex Prävention Union, scheint dieses Problembewusstsein auch bei Ih- und Deradikalisierung . Genau dazu schreibt Ihnen der rem Bundesfachausschusses Innenpolitik angekommen renommierte Terrorismusforscher Peter Neumann ins zu sein . Denn in einem Beschluss aus 2016 heißt es – Stammbuch, der gegenüber der Presse sagt – ich zitie- zwar etwas wolkig, aber immerhin –: re –: Wir halten vielfältige Strategien für notwendig, um Wir haben in die Prävention und Deradikalisierung denjenigen zu helfen, die abzugleiten drohen oder noch immer viel zu wenig investiert . Das wird sich Unterstützung beim Ausstieg suchen . Die Ansät- möglicherweise rächen . Es ist ein wichtiges Instru- ze hierfür müssen möglichst früh erfolgen und im ment, das auch die Sicherheitsbehörden entlastet . Querschnitt des persönlichen Umfelds verankert (B) (D) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, Peter Neu- sein . So spielen insbesondere Schulen und Vereine, mann hat recht . Das ist ein ziemliches Problem, vor allen also Orte, an denen sich junge Menschen außerhalb Dingen, wenn er auch recht behält . Schon vor fast zwei ihres familiären Umfelds aufhalten, das Internet und Jahren hat er im Deutschlandfunk gesagt, es sei überra- soziale Netzwerke sowie Moscheegemeinden und schend und verstörend, dass es in Deutschland immer Islamverbände bei der Prävention eine bedeutende noch keine nationale Präventionsstrategie gebe . Rolle . Auch müssen Radikalisierungen in Justiz- vollzugsanstalten durch eine geeignete Präventi- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Natürlich!) onsarbeit verhindert werden . Hierbei wollen wir die Länder und Kommunen stärker unterstützen . Alles sei im Prinzip immer noch Kraut und Rüben . Der Bund soll also die Länder und Kommunen unter- Wie gesagt, dieser Befund ist inzwischen fast zwei stützen . Das ist absolut richtig . Aber dann beantworten Jahre alt, und bis heute hat die Bundesregierung nichts Sie mir doch einmal die Frage: Warum haben Sie dann unternommen, um daran irgendetwas zu verändern . unseren Haushaltsantrag im letzten Jahr, mit dem wir das (Marian Wendt [CDU/CSU]: Erkennbar und voranbringen wollten, abgelehnt? Wir müssen doch end- nachweisbar falsch!) lich etwas tun . – Ja, ich kann mir vorstellen, welcher Einwand gleich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt: Wir haben Bundesprogramme wie zum Beispiel Wir Grünen schlagen deshalb die Einrichtung eines das Programm „Demokratie leben!“ finanziell aufge- Bundespräventionszentrums vor, in dem Bund, Länder, stockt; zum Teil auf unsere Initiative hin .– Aber Geld Kommunen und Zivilgesellschaft dauerhaft und vor allen alleine reicht nicht aus, wenn die Strategie drum herum Dingen systematisch an Früherkennung und Bekämpfung vollkommen fehlt . von Radikalisierung arbeiten . Es gibt schon das Natio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nale Zentrum für Kriminalprävention . Es wäre durchaus sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) vorstellbar, das dort anzudocken . Dass von der Bundes- regierung keine Initiative in diese Richtung kommt, ist Es gibt – das möchte ich ganz ausdrücklich betonen – angesichts der Sicherheitslage grob fahrlässig . sehr, sehr viele gut funktionierende regionale und lokale Ansätze und Initiativen aus der Zivilgesellschaft – viele Wir wollen zu diesem Antrag auch eine Expertenan- Gesellschaften und Vereine –, die sich im Bereich der hörung durchführen, um darüber zu diskutieren, wie man Radikalisierungsprävention engagieren und auch wissen, das besser ausgestalten kann . Denn – in dieser Frage sind wie man Radikalisierung rechtzeitig erkennen und be- wir uns hoffentlich einig – Prävention ist nun einmal ein 21838 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Irene Mihalic (A) unerlässlicher sicherheitspolitischer Baustein, wenn wir Dieser Aspekt fehlt in Ihrem Antrag leider komplett . (C) Terrorismus erfolgreich und nachhaltig bekämpfen wol- len . Aber ich darf auf den Gedanken, den Sie hier vorbrin- gen, eingehen . Es geht neben den repressiven Maßnah- Herzlichen Dank . men, die nötig sind, natürlich auch um Prävention . Hier verkennen Sie, Frau Mihalic, dass es bereits eine Präven- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionsstrategie der Bundesregierung im Bereich Extremis- mus gibt . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank .– Als nächster Redner spricht Marian NEN]: Oh, jetzt bin ich mal gespannt!) Wendt für die CDU/CSU-Fraktion . Dieser Bereich befasst sich vorwiegend mit dem Rechts- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und dem religiösen Extremismus; das begrüße ich nicht voll und ganz, Sie kennen meine Position zum Bereich Marian Wendt (CDU/CSU): Linksextremismus . Aber das ist vielleicht ein Thema für Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eine Debatte an einem anderen Tag . Meine Damen und Herren! Vorbeugen ist besser, als das ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachsehen zu haben . Schön, dass auch der Opposition Wir wollen, dass die Strategie funktioniert!) dieser Grundsatz der inneren Sicherheit mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist . Die Koalitionsfraktionen haben seit Sommer 2016 die einheitliche Extremismusstrategie mit den Programmen Wichtig ist bei der Vorbeugung vor allem der präven- der Länder, der Kommunen und des Bundes gebündelt . tive Gedanke – das ist richtig –, aber auch ein repressiver Denn es ist uns wichtig, dass wir die Ressourcen effizient Ansatz, einsetzen – da sind wir ja bei Ihnen – und verhindern, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass sich weitere gewaltbereite Extremisten entwickeln, NEN]: Das hätten Sie gerne!) sich aus der Mitte unserer Gesellschaft etablieren . Des- halb begrüße ich auch ausdrücklich die Beschlüsse von der eine abschreckende Wirkung hat . CDU/CSU und SPD vom 6 .Februar 2017 über ein nati- onales Präventionsprogramm gegen islamistischen Ext- Ich möchte deswegen noch auf ein paar Punkte im remismus . Ich empfehle diese Lektüre sehr herzlich; ich Bereich Repression eingehen, die wir, glaube ich, im Be- kann sie Ihnen nachher gern geben . reich innere Sicherheit ausbauen müssen, um uns noch (B) besser vor gewaltbereiten Islamisten zu schützen . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Lesen Sie erst einmal unseren Antrag!) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was haben Sie denn die letzten drei Darin haben wir vier Bereiche bzw. Orte definiert, die Jahre gemacht?) im Kampf gegen den Islamismus für uns von Bedeutung sind und wo wir ansetzen müssen . Das sind zum einen Dabei ist vor allem wichtig, zu prüfen: Wer kommt nach Kommunen und dort ansässige Bildungseinrichtungen, Europa? Wer reist in Deutschland ein? Wir müssen klar Vereine, Verbände sowie muslimische Gemeinden . Das feststellen, dass die Hälfte – ungefähr jeder zweite Isla- sind zum Zweiten das Internet und die vielfältigen Platt- mist, der in Deutschland lebt – einen ausländischen Pass formen, auf denen Radikalisierung stattfindet. Ein dritter hat . Deswegen sind folgende Punkte für mich wichtig, Aspekt sind der Strafvollzug und die Bewährungshilfe . die auch dazu beitragen, uns vor gewaltbereiten Islamis- Ein vierter Aspekt ist die Integration durch Beruf und ten zu schützen: Arbeit . Dieses Programm wird unter Federführung des Es geht um ein zentrales Ein- und Ausreisemanage- Innenministeriums und des Familienministeriums ge- ment in der Europäischen Union und im Schengen-Raum . steuert, und das macht Ihren Antrag überflüssig wie ei- Es geht um eine bundeseinheitliche Definition des Be- nen Kropf . griffs „islamistischer Gefährder“. Und wir müssen vor (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- allen Dingen die Nachrichtendienste weiter stärken und NEN]: Nein, ganz sicher nicht!) besser ausstatten, damit sie die islamistischen Strukturen im Inland, aber vor allen Dingen auch in Kooperation mit Leider musste ich beim Lesen des Antrags feststellen, unseren Partnern im Ausland entsprechend aufklären und dass es immer wieder in die gleiche Richtung geht: uns warnen können . (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir beraten morgen in erster Lesung über die Einfüh- NEN]: Ja, in Richtung Prävention!) rung der Fußfessel für islamistische Gefährder; auch das Immer mehr Stellen im Sozialbereich, immer wieder ist ein wichtiger Schritt, um den gewaltbereiten Islam zu mehr Geld! bekämpfen . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es geht nicht nur um Geld!) NEN]: Über die Fußfessel und den Islam re- den wir noch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, am Geld liegt es nicht . DIE GRÜNEN]: Wider besseres Wissen argu- Wir geben als unionsgeführte Bundesregierung bereits mentieren Sie!) 400 Millionen Euro pro Jahr für die allgemeine Extre- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21839

Marian Wendt (A) mismusprävention aus . Von Geldmangel kann also über- Dass Sie die Präventionsarbeit vor Ort, auf deren Funk- (C) haupt keine Rede sein . tionieren wir in essenziellem Maße angewiesen sind, als Stuhlkreisarbeit abtun, ist unterirdisch für jemanden, der (Beifall bei der CDU/CSU) die Sicherheit dieses Landes als Ziel hat . Geld auf Probleme zu schmeißen, ist ohnehin nicht alles . Gute Rahmenbedingungen sind meiner Meinung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nach der effektivere Weg. Das fängt mit einer guten Um- bei der SPD und der LINKEN) gebung für die Integration an . Mit dem neuen Integrati- Offensichtlich wissen Sie nicht, wovon Sie sprechen. onsgesetz sollen bessere Bedingungen für die Integration Sonst würden Sie nicht so reden . Meine Frage an Sie lau- in unsere Gesellschaft geschaffen werden. tet: An wie vielen Orten waren Sie schon, an denen diese Die Menschen, die zu uns gekommen sind und hier Arbeit geleistet wird, und warum diskreditieren Sie diese leben wollen, dürfen wir nicht von einem Alibiprogramm Arbeit so? ins nächste schieben; wer ein Bleiberecht hat, muss hier auch konsequent integriert werden . Der schnellste Weg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Integration ist nun einmal der durch Arbeit und nicht durch Stuhlkreise mit einem Sozialpädagogen . Marian Wendt (CDU/CSU): (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich antworte auf Ihre Frage ganz konkret: Ja, ich NEN]: Sie haben keine Ahnung, wovon Sie selber habe solche Orte besucht . In meinem Wahlkreis reden! Sozialarbeit ist kein Stuhlkreis!) gibt es das Programm „Demokratie leben!“, für das Deswegen ist der Punkt Integration bei der Bekämp- 100 000 Euro im Landkreis zur Verfügung gestellt wer- fung des islamistischen Extremismus der wichtigste; den. Ich finde den angesprochenen Aspekt auch wichtig. denn Integration ist die beste Prävention gegen den isla- Aber in Ihrem Antrag fordern Sie lediglich, den entspre- mistischen Extremismus . Die bereits integrierten Musli- chenden Mittelansatz zu erhöhen . Wir möchten neben me müssen meiner Meinung nach ganz deutlich Zeichen der Sozialarbeit einen weiteren Weg gehen . Wir wollen gegen Islamisten setzen . Sie müssen sich sichtbar und vor allen Dingen Integration durch Arbeit, um so den hörbar von Gewalt und Extremismus distanzieren, damit Weg der Radikalisierung zu verschließen . sie nicht in Verruf kommen, den Terrorismus zu unter- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stützen . Das ist wichtig für die Einheit unserer Gesell- NEN]: Lesen Sie erst einmal unseren Antrag! schaft . Er ist im Übrigen in Deutsch geschrieben und (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht auf Arabisch!) (B) (D) NEN]: Wie einfach strukturiert sind Sie denn!) Das Wichtige ist, dass wir die Menschen, die hier leben Weiße Salbe wie Ihren Antrag müssen wir nicht be- und vielleicht in der Gefahr sind, in extremistische Strö- schließen . Das Programm der Bundesregierung, gebün- mungen abzudriften, delt mit Maßnahmen der Länder und Kommunen und in Verbindung mit dem in Vorbereitung befindlichen Papier, (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ganz ist der nächste richtige Schritt, um den gewaltbereiten Is- dünnes Eis!) lamismus in Deutschland zu bekämpfen . in der normalen Alltagsumgebung auffangen und ken- Vielen herzlichen Dank . nenlernen . Wir sollten nicht versuchen, parallele gesell- (Beifall bei der CDU/CSU) schaftliche Strukturen zu schaffen. Aus meiner Sicht sind die beste Umgebung für die Integration insbesondere im ländlichen Raum der Arbeitsplatz, Sportvereine und ört- Vizepräsident : liche Feuerwehren . Wie die Erfahrungen in den Berei- Herr Kollege Wendt, gestatten Sie zum Abschluss chen Links- und Rechtsextremismus zeigen, kann man Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin dann den Problemen am besten Herr werden . Brantner? (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu Marian Wendt (CDU/CSU): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Gerne . den Antrag leider nicht gelesen!) (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die Rede war doch schon zu Ende!) Vizepräsident Johannes Singhammer: – Es waren noch zehn Sekunden . Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Frak- tion Die Linke . Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN): Danke, dass Sie die Frage zulassen .– Ich möchte die Art und Weise, wie Sie gerade über die Präventionsar- Ulla Jelpke (DIE LINKE): beit vor Ort gesprochen haben, gerne zurückweisen . Sie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege haben Sozialarbeit mit einem Stuhlkreis gleichgesetzt . Wendt, Ihr Beitrag hat mir gezeigt, wie wichtig der An- 21840 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Ulla Jelpke (A) trag der Grünen ist und wie wichtig es auch ist, dass wir – Doch, das stimmt .– Leider geschieht das mancherorts, (C) wieder einmal über Prävention sprechen . und über die Projekte können wir gerne im Ausschuss diskutieren, wenn wir den Antrag dort beraten . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Michael Frieser [CDU/CSU]: Jedes einzel- ne! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Gern! Je- Ich habe selten erlebt, dass jemand überhaupt nicht derzeit!) zwischen der Prävention, die verhindern soll, dass ein Mensch Straftaten begeht, und der Strafverschärfung Ich denke, darüber hinaus sollte eine Lehre sein – das bzw . Repression – diese wird erneut zum Thema ge- kennen wir auch von den Aussteigerprojekten in der Na- macht – unterscheiden kann . Das sind zwei ganz ver- ziszene –, dass Sicherheitsbehörden, insbesondere der schiedene Bereiche . Dabei sollten wir bleiben . Wir wer- Verfassungsschutz, auch hier außen vor bleiben sollten; den über die Gesetzentwürfe, die Sie in den nächsten denn wir haben oft genug erlebt, dass gerade diese Be- Wochen einbringen werden, noch diskutieren . Ich bin der hörden versuchen, in dieser Szene V-Leute zu rekrutie- Meinung, dass eine Präventionsstrategie ausgesprochen ren, anstatt wirklich Vertrauen aufzubauen und zu helfen . wichtig für unser Land ist . Aber es gibt keine Präven- Ich denke, Angehörige und Freunde müssen die Gewiss- tionsstrategie. Diese haben Sie sträflich vernachlässigt. heit haben, dass ihre Informationen nicht beim Geheim- Deswegen leisten die Grünen mit ihrem Antrag einen dienst landen . Sie müssen das Vertrauen haben, dass sie wichtigen Beitrag . zu solchen Beratungsstellen gehen können .

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Außerdem möchte ich noch ansprechen, dass es NIS 90/DIE GRÜNEN) sehr wichtig in der Präventionsarbeit ist, die Verbän- de der Muslime einzubeziehen . Es darf auf keinen Fall Hunderte vor allem junge Männer in Deutschland sind der Eindruck entstehen, der notwendigen Bekämpfung in den vermeintlich Heiligen Krieg zum Beispiel nach des gewaltbereiten Islamismus liege eine islamfeindli- Syrien gezogen . Dort begehen sie in der Tat schwerste che Haltung zugrunde . Doch auch hier müssen wir ge- Verbrechen, vergewaltigen und morden . Einige verloren nau hinschauen, keine Frage . Wir haben gerade gestern ihr Leben als Kanonenfutter für den sogenannten „Isla- Hausdurchsuchungen bei dem Islamverband DITIB er- mischen Staat“. Andere kommen verroht und traumati- lebt . Auch hier sollten wir genau hinschauen . Diejenigen siert nach Deutschland zurück . Ich bin mir ziemlich si- Imame, die dort im Auftrag von Erdogan spionieren – cher im Unterschied zum Kollegen Wendt: Viele dieser (B) teilweise geschieht das –, können keine Partner für den (D) jungen Menschen wären, hätte man sie rechtzeitig in Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus sein . Präventionsprogramme integriert bzw . ihnen Hilfe ange- boten, einen anderen Weg gegangen . Deswegen erheben wir als Linke ganz klar die For- derung nach Staatsferne der Beratungsstellen . Wir sagen Ich glaube, Herr Kollege Wendt, auch durch Fußfes- eindeutig: Das gilt nicht nur für die Verfassungsschutz- seln und Gefährderhaft wird man das nicht wesentlich behörden, sondern auch für ausländische Regierungen . ändern . Deswegen ist es wichtig, dass Präventionsarbeit Deswegen möchte ich einen kritischen Punkt im Antrag die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrung ernst nimmt und auf die Beseitigung sozialer Barrieren hin- der Grünen ansprechen . Sie haben in dem Antrag die For- wirkt . derung, einen bekenntnisorientierten islamischen Religi- onsunterricht einzuführen . Das halte ich für kontrapro- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- duktiv . Religionsunterricht sollte unserer Meinung nach NIS 90/DIE GRÜNEN) generell nicht an staatlichen Institutionen erfolgen . Das gilt auch für den christlichen Religionsunterricht . Wir Wir als Linke haben uns seit langer Zeit für unabhän- wollen einen übergreifenden Religionsunterricht . Die gige Beratungsstellen zur Prävention eingesetzt . Einige Konfessionen sollen nicht getrennt werden . Wir wollen, Projekte – das ist hier schon von der Kollegin Mihalic dass es eine Toleranz gegenüber allen Glaubensbekennt- gesagt worden – haben sehr vorbildliche Arbeit geleis- nissen gibt . tet. Deren Arbeit muss aber durch dauerhafte finanzielle Förderung ausgeweitet und verstetigt werden . Was aber (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wenn Sie alle nicht angehen kann – das machen Sie zum Beispiel von abschaffen wollen, wie wollen Sie dann tole- der Union jetzt –, ist, dass Projekte, in denen zuvor gegen rant sein?) Rechtsextremismus gekämpft wurde bzw . in denen prä- ventiv gegen Rechtsextremismus gearbeitet wurde, jetzt Deswegen haben wir zum Beispiel das Brandenbur- kurzerhand für den Kampf gegen den gewaltbereiten Is- ger Modell „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“ lamismus umgewidmet werden . favorisiert .

(Marian Wendt [CDU/CSU]: So was von re- Vizepräsident Johannes Singhammer: alitätsfern! – Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21841

(A) Ulla Jelpke (DIE LINKE): das will ich ganz und gar nicht leugnen . Für uns ist „De- (C) Ja, ich komme sofort zum Schluss . – Wir sind uns mokratie leben!“ ein zentrales Handlungsfeld. Ja, natür- sicher alle einig: Prävention beruht zweifellos auch auf lich ist es wichtig, „Demokratie leben!“ zu haben. Reden einer guten Sozialpolitik . Sie doch einmal mit all denjenigen, die Präventionsarbeit in diesem Bereich machen. „Demokratie leben!“ ist das (Marian Wendt [CDU/CSU]: Integration, ja!) zentrale Programm, aus dem die Projekte finanziert wer- Vor allen Dingen darf es nicht zur Ausgrenzung kommen, den . wenn Menschen einen ausländischen Namen haben . Auch das ist in unserer Gesellschaft immer noch sehr (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Irene präsent . Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn was dagegen gesagt?) Ich danke Ihnen . Im BAMF gibt es die Beratungsstelle Radikalisierung, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- an die sich Angehörige niedrigschwellig telefonisch wen- NIS 90/DIE GRÜNEN) den können . Wir haben eine sehr aktive Bundeszentrale für politische Bildung, die die von uns forcierte Mitteler- Vizepräsident Johannes Singhammer: höhung optimal und zielgerichtet für ihre Bildungsarbeit Für die SPD spricht jetzt der Kollege Uli Grötsch . einsetzt . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Michael Von zentraler Bedeutung ist es für mich, zu sagen: Im Frieser [CDU/CSU]) November letzten Jahres ist nach einjähriger Vorberei- tung das Präventionsnetzwerk gegen religiös begründe- Uli Grötsch (SPD): ten Extremismus nach dem Vorbild der Bundesarbeitsge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! meinschaft gegen Rechtsextremismus gestartet worden . Eine bundesweite Präventionsstrategie – wer könnte et- Hier werden sich künftig die bundesweit tätigen Träger was dagegen haben, gerade nach dem schrecklichen Ter- und NGOs austauschen, vernetzen, und hier werden sie roranschlag in Berlin? Auch wenn ich Ihren Antrag heute Qualitätsstandards für die Prävention entwickeln . Das ablehnen werde, ist genau das, Kollegin Mihalic, was Sie eben gefordert haben . Das haben wir schon . Das ist Ihnen vielleicht ent- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gangen . Sie sind eingeladen, sich darüber zu informieren NEN]: Heute schon? Wir haben doch noch gar und mitzuhelfen, diese Stelle künftig mit noch mehr Le- keine Abstimmung!) ben zu erfüllen und zu stärken . (B) habe ich eine gute Nachricht für Sie, liebe Kolleginnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (D) und Kollegen von den Grünen: Auf unsere Initiative hin ten der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜND- gibt es nämlich bereits seit dem 6 .Februar dieses Jahres NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wozu haben Sie einen Beschluss der Parteivorsitzenden für ein nationales es denn in der Partei beschlossen, wenn es das Präventionsprogramm, den wir schnell und konkret mit angeblich schon gibt?) Leben füllen werden . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Diese Bundesarbeitsgemeinschaft wird beraten und Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: begleitet von einem Beirat, in dem genau all die Player Wir sind hier im Bundestag und nicht in der vertreten sind, in dem die muslimischen Verbände ver- Parteizentrale!) treten sind; denn natürlich ist eine zentrale Frage in die- sem Bereich, welche Rolle die muslimischen Verbände Ich sage Ihnen auch: Ich bin wirklich froh darüber, spielen und wie wir sie in die Deradikalisierungsarbeit dass das Thema Prävention jetzt endlich die öffentliche, einbinden können . aber auch die politische Aufmerksamkeit hat, die es sich schon lange verdient hat. Ich hoffe sehr, dass es diese Ich bin durchaus froh, dass es in diesem Haus weitge- Aufmerksamkeit auch dann noch haben wird, wenn in hende Einigkeit gibt, dass die Prävention ein wichtiger Deutschland nicht mehr beinahe jeden Tag Razzien ge- Aspekt unseres politischen Handelns ist . Zur Wahrheit gen Islamisten stattfinden, wenn die Terrorgefahr nicht gehört aber auch, dass der Großteil aller Gefährder einen mehr so hoch ist wie heute . Ich zähle darauf, dass Sie deutschen Pass hat oder dass die Attentäter, die die Atten- auch dann noch einen Sinn dafür haben, wie wichtig die tate in Deutschland begangen haben, sich hier radikali- Präventionsarbeit in unserem Land ist . siert hatten . Auch der Attentäter vom 19 . Dezember 2016 ist nicht als Terrorist nach Deutschland eingereist, son- Mir ist auch wichtig, zu sagen, dass wir dabei nun dern aus Tunesien als Kleinkrimineller ausgereist . Das wirklich nicht bei null anfangen . Die Bundesregierung gehört zur Wahrheit dazu . hat bereits im Sommer 2016, also unabhängig von den Anschlägen der letzten Monate, noch deutlich vor dem Ich sage ganz deutlich: Über das Wie, also darüber, Berliner Terroranschlag, ihre Strategie zur Extremis- wie ein nationales Präventionsprogramm aussehen sollte, musprävention und Demokratieförderung vorgestellt . Im darf und muss geredet werden . Es geht meiner Meinung Ministerium von Manuela Schwesig wurde das sehr gut nach dabei etwa um Fragen wie: Welche Rolle spielen laufende Bundesprogramm „Demokratie leben!“ entwi- die muslimischen Verbände? Wie gewährleisten wir, dass ckelt, dessen Mittel wir auf über 100 Millionen Euro ver- alle Beteiligten das Programm auf Augenhöhe erarbeiten doppelt haben, und wir brauchen durchaus noch mehr; usw .? Hierzu sind wir zu einem konstruktiven Austausch 21842 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Uli Grötsch (A) gerne bereit . Jeder, der sich mit Präventionsarbeit be- Das Entscheidende ist: Vor zwei Jahren hätten wir ei- (C) schäftigt, weiß, dass das ein sehr sensibler Bereich ist . nen solchen Antrag von den Grünen nicht gesehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines möchte ich (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch noch sagen: Wir brauchen endlich ein Demokratie- NEN]: Doch! Das haben wir vor zwei Jahren förderungsgesetz, weil wir von kurzfristigen Projektför- schon gefordert, Herr Frieser! Stimmen Sie derungen wegkommen müssen – hin zu planbarer, lang- doch zu!) fristiger Präventionsarbeit . Insofern könnte man einmal empathisch sagen: Wunder- (Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜND- bar, auf geht’s! Wir freuen uns, auch wenn es die ent- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!) scheidenden Programme – natürlich ohne die Zustim- Wenn es uns mit der Präventionsarbeit ernst ist, las- mung auf der linken Seite des Hauses – schon gibt . Aber sen Sie es uns unter Beweis stellen! Unterstützen Sie das wir freuen uns über die Bereitschaft zur Beteiligung . Demokratieförderungsgesetz, weil es der Garant und die bundesgesetzliche Grundlage dafür ist, dass die Men- Wir haben es gehört und folgen dem pädagogischen schen, die in der Präventionsarbeit tätig sind, in Zukunft Prinzip der Wiederholung . Insofern ist auch dieser An- auch längerfristig planen können . Präventionsarbeit ist trag ganz gut, weil man alles, also nicht nur die Präven- doch nichts, was innerhalb einiger Wochen oder in Form tionsstrategie, die die Bundesregierung bereits hat, son- eines Gesprächs geschieht . Präventionsarbeit ist etwas, dern auch die Programme noch einmal nennen kann . Der was lange dauert und dann umso intensiver und nachhal- entscheidende Ansatzpunkt bei den Themen „Zusam- tiger wirkt . menhalt durch Teilhabe“, „Demokratie leben!“ usw. – ob es die Bundeszentrale für politische Bildung ist oder ob Ich komme zum Ende mit einem letzten Aspekt . Bei es die Programme des Innenministeriums sind – ist im- allem berechtigten Fokus auf den radikalen Salafismus – mer der, dass man die vorhandenen Strukturen aufgreift das stelle ich überhaupt nicht infrage – in dieser Zeit: und nicht glaubt, man müsse die Welt neu erfinden. Demokratiefeinde gibt es auch von rechts, liebe Kolle- ginnen und Kollegen . Ich würde mir wünschen, dass ein Selbstverständlich lesen wir dabei einen Satz, der lau- nationales Präventionsprogramm einen ganzheitlichen tet: Dabei muss man sich auf den unterschiedlichen Ebe- Ansatz verfolgt und all jene in den Blick nimmt, die den nen – Bund, Länder und Kommunen – auf Augenhöhe Boden des Grundgesetzes verlassen haben . begegnen . Aber wie abschätzig ist es, angesichts dessen, was die Länder geleistet haben, von einem Flickentep- Vielen Dank . pich zu sprechen? Kollege Wendt sagte es: Der Umfang (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der Zusammenarbeit erstreckt sich auf über 400 Millio- (D) nen Euro . Sie beginnt in der Frage der Deradikalisierung Vizepräsident Johannes Singhammer: ganz oben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlin- ge und reicht bis hinunter in die einzelnen Kommunen . Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Die Koordination gibt es schon längst . Michael Frieser . (Beifall bei der CDU/CSU) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Reden Sie doch mal mit den Betroffe- nen! Da lernen Sie etwas!) Michael Frieser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Jetzt haben die Grünen auch gemerkt: Hopsala, jetzt ren! Nur für das Archiv und ohne den Kollegen Grötsch müssen wir aber tatsächlich einmal etwas tun, anders in irgendeiner Art und Weise berichtigen zu wollen: Es funktioniert es nicht mehr, sonst macht man uns irgend- gibt auch Demokratiefeinde von links, die sollte man wann auch im Wahlkampf einmal den Vorwurf, wir hät- ten da etwas versäumt . (Zuruf von der LINKEN: Ergänzend!) – ergänzend – nicht ganz vergessen . (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fordern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das seit Jahren! Blödsinn!) Eigentlich bin ich mit dem Antrag der Grünen hier- Hier macht auch der Tonfall die Musik . Nur mit Arro- hergekommen und dachte mir: Man sollte mit einem Lob ganz kommt man an dieser Stelle nicht besonders weit . anfangen . Es hat zwar lange gedauert, und man merkt richtig, dass sich die Grünen über Monate und Jahre ge- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- quält haben, bis sie etwas zum Thema Präventionsstrate- NEN]: Schauen Sie mal in den Spiegel!) gie vorlegen . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Klar muss auch sein: Prävention hat ohne Repressi- NEN]: Das sagen wir immer schon, das ist on überhaupt keinen Zweck . Dieser Rechtsstaat muss nichts Neues!) deutlich machen, was er vom politisch ideologisierten, gewaltbereiten Islamismus hält . Der Rechtsstaat muss – Hören Sie halt einmal ein wenig zu, vielleicht ist dann in den Fällen, in denen es mit der Beratung eben nicht ein gewisser Erkenntnisgewinn am Ende überraschen- mehr funktioniert, eine klare Grenze setzen und deut- derweise auch noch gegeben . lich machen: Bis hierher und nicht weiter . Nur dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21843

Michael Frieser (A) macht Prävention auch tatsächlich am Ende des Tages Ulrike Bahr (SPD): (C) einen Sinn . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Was treibt Menschen dazu, islamistisch (Beifall bei der CDU/CSU) motivierte Terroranschläge zu planen und zu begehen, Ich darf einmal daran erinnern, dass die Länder durch- und was können wir dagegen tun? Diese Fragen trei- aus mit dem Bund zusammenarbeiten . Aus eigener An- ben auch uns hier in Deutschland spätestens seit 9/11 schauung kann ich sagen, dass das bayerische Netzwerk um; denn einige der Täter – Mohammed Atta mit seinen gegen Salafismus ein solches Beispiel ist, wo wir tat- Hamburger Freunden – hatten einen Deutschlandbezug sächlich über alle Ressorts hinweg versuchen, das, was und hatten sich hier weitgehend unbemerkt radikalisiert . bereits an Strategien vorhanden ist, zusammenzuführen . Keiner hatte hingeschaut . Die jetzige Bundesregierung Diesbezüglich kann man sagen: Da müssen sich die De- hat angesichts der weiter gestiegenen Gefahr von Ter- mokraten einig sein . Das an dieser Stelle zu beschimp- roranschlägen nicht nur Polizei und Geheimdienste zur fen, halte ich für einen schlechten Weg . Gefahrenabwehr gestärkt und besser ausgestattet, son- dern auch einen Schwerpunkt auf wirkungsvolle Präven- Was ist notwendig? Notwendig ist, dass wir gerade tions- und Deradikalisierungsarbeit gelegt . Im Rahmen bei der Frage der Ideologisierung, der Radikalisierung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Fami- die Möglichkeit haben, zum Beispiel Menschen zu fin- lienministeriums, das schon öfter erwähnt wurde, haben den, die über das Internet auf Augenhöhe eine neue Ge- wir die Mittel für Projekte und Träger, die sich mit is- schichte erzählen, neue Narrative entwickeln, die diese lamistisch begründetem Fundamentalismus befassen, in Demokratie darstellen, gerade auch, wenn sie muslimi- den letzten Jahren vervielfacht . schen Glaubens sind . Es ist schwierig, auf einer Auf- klärungsseite, auf der die schwarz-rot-goldene Flagge (Beifall bei der SPD) prangt, zu sagen: An dieser Stelle bitten wir darum, sich Unsere zivilgesellschaftlichen Partner leisten vor Ort nicht zu radikalisieren . hervorragende Arbeit, etwa das Violence Prevention Net- Diese unterschiedlichsten Ansätze brauchen wir, work in der Arbeit mit bereits straffällig gewordenen jun- damit wir Erfolg haben bei der Deradikalisierung, da- gen Menschen oder HAYAT in der Angehörigenberatung . mit wir Erfolg haben bei der Verhinderung von Straf- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- taten und damit wir Orientierung geben können . Es NEN]: So ist es!) sind zugegebenermaßen meistens männliche Jugend- liche zwischen 13, 14, 15 und 16 Jahren, die auf die- Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen haben sen Weg schlittern . Hier müssen wir ansetzen und auch ja auch selbst in ihrer Antragsbegründung diese Arbeit (B) das Engagement der Bürger aufnehmen, um deutlich zu gelobt, ebenso die breit gefächerten generalpräventiven (D) machen: Hier sind Menschen, die wissen, wovon sie re- Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung . Wir den, die nicht als „der Staat“ kommen, sondern die auf brauchen in unserer vielfältigen Gesellschaft kulturelle Plattformen eine andere Geschichte erzählen, um dem, Brückenbauer, die in Schulen, Sportvereinen und Ju- was im Netz passiert, was im Netz an Radikalisierung gendorganisationen unsere demokratischen Werte ver- stattfindet, etwas entgegenzustellen. Das sind die wah- mitteln . ren Ansätze, die dieses Land und diese Regierung auch (Beifall bei der SPD) schon längst verfolgt . Auch zielgruppenspezifische Präventionsangebote Vor diesem Hintergrund sage ich: Im Ergebnis bleibt sind wichtige und unverzichtbare Bausteine in der Arbeit es bei dem, was ich genannt habe, nämlich Forschung zur Stärkung unserer Demokratie . Mit dem vorliegenden und Vernetzung gegen den Terror, gegen diese Propagan- Antrag wecken Sie aber die meiner Meinung nach trüge- da, gegen diese Radikalisierung, gegen die Hassreden, rische Hoffnung, eine zentrale Behörde, ein bundeswei- gegen Radikalisierung in Strafanstalten – auch dort ist tes Präventionszentrum könne das Problem des islamis- ein unglaubliches Potenzial vorhanden, dem man entge- tisch motivierten Terrorismus lösen . gentreten muss –, und gemeinsame Förderung unserer Werte . Das alles sind Bausteine, die wir schon haben . Bislang hat sich dieses Phänomen allen einfachen Wir wären sehr dankbar, wenn sich auch die Opposition Erklärungsversuchen widersetzt . Die Radikalisierungs- zu diesen Bausteinen bekennen würde . Ihres Antrages geschichten einzelner Täter sind sehr individuell . Es dazu bedarf es nicht . gibt den traumatisierten afghanischen Flüchtling, wie in Würzburg, den biodeutschen Konvertiten ohne klassisch Vielen Dank . muslimischen Hintergrund . Zwei von drei Mitgliedern der Sauerlandgruppe waren zum Beispiel Konvertiten, (Beifall bei der CDU/CSU) aber auch etliche Dschihad-Freiwillige, die 2014 und 2015 nach Syrien gereist sind . Sie alle haben jeweils in- Vizepräsident Johannes Singhammer: dividuelle Frustrationserfahrungen, die sich nicht einfach Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die Bildungswegen oder Milieus zuordnen lassen . Oft ähneln SPD . sie den Radikalisierungsgeschichten von Rechtsextre- misten . Darum ist es meiner Meinung nach auch nicht (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- gut, den Blick zu stark auf mangelnde Integration und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zurück zur Ausgrenzung zu verengen . Das spielt sicherlich eine Rol- Sachlichkeit!) le, aber islamistisch motivierter Terrorismus ist ein welt- 21844 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Ulrike Bahr (A) weites Problem und besonders auch ein Problem vieler gesichts dieser so schwer fassbaren Angst und der noch (C) Staaten in der islamischen Welt . schwerer fassbaren konkreten Bedrohung, die uns über- all erreichen kann – plötzlich, jeden von uns –, sollten Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir wir die Kräfte, die wir haben, bündeln – meine Vorredner es uns nicht zu einfach machen . Ich halte es für sehr sinn- haben das schon gesagt – und die unterschiedlichen As- voll, die Erfahrungen der Praktiker und Praktikerinnen pekte beachten, die wir bei diesem außerordentlich ho- in der Arbeit gegen Rechtsextremismus unbedingt auch hen Anspruch auf Prävention gegen Extremismus, gegen bei der Auseinandersetzung mit islamistisch motiviertem Terror, gegen Töten, gegen Bomben brauchen . Wir brau- Extremismus einzubeziehen . Die Muster sind oft sehr chen alle Kräfte dazu . Wir merken schon bei unserer Dis- ähnlich. Im Programm „Demokratie leben!“ geschieht kussion hier, wie schwer es ist, die eigenen Sichten und das schon mit regelmäßigen Netzwerktreffen und über Ansprüche an Darstellung und Originalität zurückzustel- die wissenschaftliche Begleitung der Projekte . Ich plä- len und die Dinge stattdessen zusammenzutragen und zu diere darum dafür, kein neues bürokratisches Monster bündeln . Bei dem, was ich heute gehört habe, habe ich zu schaffen, das mit verkopften Konzepten automatisch doch so viele richtige und wichtige Aspekte entdeckt, bei natürlich auch Vorgaben macht, sondern dafür, einen pra- denen ich dachte: Könnten wir doch darüber miteinander xisnahen Ansatz mit unseren bewährten Partnern aus der ein Gespräch führen, anstatt immer nur neue Konzepte zu Zivilgesellschaft zu wählen . fordern und vorzulegen, neue Institutionen zu schaffen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und mehr Geld zu geben! Wenn wir glauben, dass wir das Problem mit Geld allein bewältigen können, dann gehen Jugendarbeit funktioniert nun mal nicht von oben wir in die Irre; davon bin ich fest überzeugt . nach unten . Erfolgversprechender ist es, Initiativen und Engagement von unten zu ermöglichen . Wir haben in Als Familienpolitiker nehme ich mir jetzt mal die den beiden letzten Jahren die finanzielle Ausstattung der Freiheit und sage, dass die Prävention, die wir betreiben, Präventionsarbeit stärken können: über das Familienmi- noch lange nicht zu Ende gedacht ist, wenn wir meinen: nisterium genauso wie über das Innenministerium . Jetzt Wir erreichen junge Menschen, die für Radikalisierungs- sollte es unser Hauptanliegen sein, die finanzielle Aus- tendenzen anfällig sind, die verführt werden können, die stattung der Träger zu verstetigen, um unseren zivilge- eine bestimmte Vita mitbringen, die sie dafür anfällig sellschaftlichen Partnern Sicherheit und Perspektive für macht .– Prävention sollte aus meiner Sicht sehr viel frü- ihre Arbeit zu geben . her ansetzen . Denn was sind denn eigentlich die Verfüh- Warum ist das so wichtig? In meinem Wahlkreis rungen, die junge Menschen in eine solche Entwicklung Augsburg hat die Bayerische Staatsregierung 2015 ein bringen? Leuchtturmprojekt zur Prävention von religiös begründe- (B) Ich habe mir die Biografien von jungen Leuten, die als (D) ter Radikalisierung mit dem Verein Ufuq gestartet . Aber Salafisten in die Kriegsgebiete gegangen sind, von sol- schon vor dem offiziellen Start kamen dem Projekt die chen, die sich hier zum Islam bekehrten, konvertierten – qualifizierten Mitarbeiter wieder abhanden, weil sie sich wie es gesagt wurde –, ein bisschen näher angeschaut . angesichts sehr kurzfristiger Arbeitsverträge lieber Ar- In meinem Wahlkreis ist die Ausstellung eines Künstlers beitsplätze mit mehr Sicherheit und Perspektive gesucht entstanden . Sie heißt – manche von Ihnen haben es viel- haben . Das sind keine guten Bedingungen für nachhalti- leicht medial oder direkt mitbekommen –: „Die Wölfe ge Jugendarbeit, auch wenn die Konzepte stimmen . sind zurück?“ Sie wurde in Dresden, in Berlin gezeigt; Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür, dass wir mit jetzt ist sie gerade in der ständigen Vertretung des Landes einem Demokratiefördergesetz Bildungs- und Jugend- Brandenburg hier in Berlin ausgestellt . Der Künstler hat arbeit gegen alle Arten von Extremismus gesetzlich bei der Eröffnung seine politische Intention erläutert. Und verankern . Derzeit hängen alle Programme an zeitlich ich habe ihm gesagt: Die Wölfe waren ja alle mal keine begrenzten Fördergeldern . Mit einer gesetzlichen Grund- Wölfe . Diese sogenannten Wölfe sind von Menschen wie lage erhält diese wichtige Arbeit die Planungssicherheit uns ins Leben gerufen worden, von einem Mann gezeugt, und auch die Wertschätzung, die unsere zivilgesellschaft- von einer Frau geboren worden . Sie gingen durch unsere lichen Partner für qualitativ gutes Arbeiten brauchen . Kindertagesstätten, sie gingen durch unsere Schulen, sie wurden begleitet von Sozialpädagogen, von Familien- Ich danke Ihnen . angehörigen, von Freundeskreisen . Wie kommt es denn (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) eigentlich, dass die Wölfe Wölfe wurden? Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf genau diese Pro- Vizepräsident Johannes Singhammer: blematik lenken und fragen: Wie kommt es denn eigent- Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege lich, dass Menschen eine Affinität zu Gewalt haben, zu Martin Patzelt für die CDU/CSU das Wort . gewaltsamen Auseinandersetzungen, zu Konflikten, dass sie bereit sind, andere Menschen sogar zu töten, in den (Beifall bei der CDU/CSU) Tod zu schicken – Menschen, mit denen sie überhaupt keine Berührung hatten? Wie kommt es dazu, dass sie Martin Patzelt (CDU/CSU): so intolerant sind, dass sie die Meinung eines anderen Danke schön .– Herr Präsident! Liebe Kolleginnen kaum ertragen können? Jetzt bin ich schon wieder ganz und Kollegen! Die Angst geht in Europa um, und die in unserer Nähe: Wir haben es zu üben, tolerant zu sein . Angst geht in unserem Lande um . Die Angst kriecht in Unsere Gene stammen aus einer Situation, in der wir im die Wohnzimmer . Die Angst packt unsere Kinder . An- Kampf gegeneinander gestanden haben, im Kampf ums Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21845

Martin Patzelt (A) Überleben; wir hatten Feinde, und wir hatten Stammes- Martin Patzelt (CDU/CSU): (C) genossen, die uns zu Hilfe kamen, damit wir überleben Was? Das kann nicht sein .– Darf ich noch zwei Ge- konnten . Und wir sind den schweren Weg der Emanzipa- danken anbringen? tion des Individuums gegangen, das sich in Freiheit mit den anderen verbündet, auch denen, die anders denken und anders fühlen . Vizepräsident Johannes Singhammer: Leider nicht mehr . Ich möchte das anhand dreier Gruppen beispielhaft darstellen . Das soll gar nicht heißen, dass es nicht noch (Michael Frieser [CDU/CSU]: Beim nächsten viele andere Gründe gibt, und es richtet sich auch gar Mal!) nicht gegen die Vorschläge, die meine Vorredner hier ge- macht haben . Wir müssen eine repressive Prävention be- Martin Patzelt (CDU/CSU): treiben, wir müssen Bildungsarbeit bei jungen Menschen Ich mache das jetzt einmal so: Ich schicke Ihnen mei- betreiben, und das, was ich hier sage, soll ergänzend sein . ne Rede . Es gibt, wie gesagt, drei Gruppen . Was die eine Grup- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU pe anbelangt, möchte ich zitieren, was uns Bildungsfor- sowie bei Abgeordneten der SPD und des scher und Individualforscher gesagt haben: Langzeitun- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tersuchungen aus 1944, 1960, 1969, 1973 haben belegt, wie eine andauernd fehlende oder versagende emotionale Ich halte sie für wertvoll . So können Sie die beiden an- Zuwendung durch eine unverwechselbare Bezugsperson deren Gedanken wenigstens nachlesen . Ich habe mich gegenüber einem Kind zu schweren, irreversiblen psy- verkalkuliert . chischen und physischen Folgeschäden führt, zu man- Den Grünen habe ich die Strategie der Bundesregie- gelnder Sozialfähigkeit und zu Verlust von Empathie . rung zur Extremismusprävention mitgebracht . Ich lade Spätestens beim Wort „Empathie“ müsste es bei uns Sie ein, mit uns zusammen Ihre Gedanken zu vervoll- klingeln . Wie kann ein Mensch ohne Empathie über- ständigen . haupt verstehen, was sein Gegenüber will? Wie kann er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – in seinem eigenen Inneren zu der Idee der Religionsfrei- Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU] überreicht heit stehen? Wie kann er zu unserer Verfassung stehen, Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE wenn er keine Möglichkeit hat, sich in andere Menschen, GRÜNEN] ein Schriftstück – Özcan Mutlu Gruppen und Gesellschaften überhaupt einzufühlen? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Papier ist (B) geduldig, kann ich nur sagen! – Gegenruf des (D) Die genannten Forschungsergebnisse wurden in un- Abg . Michael Frieser [CDU/CSU]: Erst lesen, serer Zeit im Rahmen von Längsschnittstudien erneut dann reden!) belegt . Darin wird hervorgehoben, dass jene Kinder, die Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, un- angenehmes elterliches Verhalten aufgrund mütterlicher Vizepräsident Johannes Singhammer: Depression, Hilflosigkeit oder Abwesenheit erfahren ha- Vielen Dank, Herr Kollege Patzelt . Damit sind die ben, immer eine besonders große Bindungsunsicherheit wichtigen Gedanken ausgetauscht . haben, dass ihre Sozialfähigkeit erheblich eingeschränkt ist . Die Forscher folgern daraus, dass jene Kinder keine Ich schließe die Aussprache . Fähigkeit zur emotionalen Regulation entwickeln kön- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der nen . – Das alles ist forschungsmäßig belegt . Wer sich Drucksache 18/10477 an die in der Tagesordnung aufge- dafür näher interessiert, dem kann ich die Quellen dazu führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- nennen; das ist hier nicht der Ort dafür . verstanden? – Widerspruch gibt es keinen . Dann ist die Ich will bloß Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass Überweisung so beschlossen . wir tatsächlich die Orte und die Gegebenheiten der Pri- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: märsozialisation in unserem Lande in den Blick nehmen müssen und auch dafür Verantwortung tragen . Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen NEN]: Familiennachzug! – Dr .Franziska der CDU/CSU und SPD Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fa- milienzusammenführung!) Regionale Wirtschaftspolitik – Ein integrier- tes Fördersystem für strukturschwache Regi- Die zweite Gruppe . onen in ganz Deutschland schaffen Drucksachen 18/10636, 18/11202

Vizepräsident Johannes Singhammer: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Herr Kollege Patzelt, Sie haben noch zwei wichtige diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch Gedanken angekündigt . Allerdings ist Ihre Redezeit be- erhebt sich auch dagegen nicht . Dann ist das so beschlos- reits abgelaufen . sen . 21846 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- technologie mehr Raum für Forschung und Entwicklung (C) nerin das Wort der Kollegin Sabine Poschmann für die bietet . Die Sogwirkung ist enorm . Es ist kein Zufall, dass SPD . nun auch ein Netzbetreiber seine Unternehmenszentra- le auf Phoenix-West hochzieht und ein weltweit tätiger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Pumpenhersteller nebenan einen Digitalcampus baut . Je- der CDU/CSU) der öffentlich investierte Euro setzt private Investitionen frei und erhält oder schafft neue Arbeitsplätze. Wir müs- Sabine Poschmann (SPD): sen daher an unserem Ziel festhalten: Gleichwertige Le- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bensverhältnisse trotz ungleicher Ausgangssituationen . Kollegen! Die konjunkturelle Lage ist erfreulich . Die Wirtschaft befindet sich seit Jahren auf einem soliden Herzlichen Dank . und stetigen Wachstumspfad . Das darf uns aber nicht da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rüber hinwegtäuschen, dass wir nach wie vor bundesweit der CDU/CSU) gravierende Unterschiede haben . Die Trennlinie verläuft dabei weniger zwischen Ost und West, sondern zwischen Vizepräsident Johannes Singhammer: wirtschaftlich starken und wirtschaftlich schwachen Re- gionen in ganz Deutschland . Das Gefälle ist teilweise er- Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Frak- heblich . In den bundesweit zehn stärksten Arbeitsmark- tion Die Linke . tregionen liegt der Bruttojahreslohn je Beschäftigten um (Beifall bei der LINKEN) 80 Prozent höher als in den zehn schwächsten Arbeits- marktregionen . Die Arbeitslosenquote variierte 2016 (DIE LINKE): bundesweit zwischen 1,4 Prozent und 15,4 Prozent . Thomas Lutze Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ein Gefälle zeichnet sich sogar innerhalb einzelner Kollegen! Nach eingehender wie auch kritischer Be- Bundesländer ab: Der massive Strukturwandel in mei- trachtung der Vorlage begrüßt die Linke den von den nem Heimatland Nordrhein-Westfalen beispielsweise Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag zur regionalen führte dazu, dass die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet im Wirtschaftspolitik . Januar bei 10,8 Prozent lag und im direkt angrenzenden Münsterland bei 4,8 Prozent . ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt: Aber …!) Meine Damen und Herren, wir müssen auch in Zu- kunft, also in der Förderperiode ab 2020, strukturschwa- Wir werden ihm zustimmen . che Räume stärken; denn Einkommen, Beschäftigung (B) (Beifall der Abg . Jan Metzler [CDU/CSU] (D) und Wirtschaftskraft dürfen angesichts der Globalisie- und Bernhard Daldrup [SPD]) rung und der demografischen Entwicklung nicht weiter auseinanderdriften . An dem sich im Deutschen Bundestag eingebürgerten parlamentarischen Unbrauch, die Zustimmung oder Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lehnung einer Vorlage vom Antragsteller und nicht vom der CDU/CSU) Inhalt abhängig zu machen, beteiligen wir uns nicht . Die Bundesregierung hat hierzu erste Vorschläge erarbei- (Beifall bei der LINKEN) tet . Es wäre für unsere gemeinsame parlamentarische Arbeit Mit unserem heutigen Antrag unterstützen wir ein ge- und für deren Wahrnehmung bei den Wählerinnen und samtdeutsches Fördersystem, das wirtschaftlich schwa- Wählern sehr hilfreich, wenn Anträge der Opposition zu- che Regionen in Ost und West gleichermaßen berücksich- künftig nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie von der tigt . Wir brauchen ein integriertes System, das alle Kräfte Opposition stammen . sammelt und konzentriert, die geeignet sind, Wachstum und Beschäftigung in strukturschwachen Räumen zu un- (Bernhard Daldrup [SPD]: Haben wir noch terstützen . Bestehende Programme müssen dafür klug nie gemacht!) miteinander verzahnt und künftig noch zielgerichteter Besonders an Ihrem Antrag begrüßen wir, dass die Ko- eingesetzt werden . Wir benötigen auch mehr Flexibilität, alitionsfraktionen nach Jahren voller Erfolgsmeldungen um passgenau auf die Anforderungen in den jeweiligen aus dem Wirtschaftswachstumswunderland mit schwar- Regionen reagieren zu können . Der Anker des Fördersys- zer Null zur Kenntnis nehmen, dass die wirtschaftliche tems ist und bleibt die GRW . Sie ist eines der wertvolls- Entwicklung im Land höchst ungleich verläuft, und hier ten Instrumente, die wir haben . Dieses wollen wir nun sogar Handlungsbedarf sehen . Regionale Wirtschaftsför- noch schärfer und zielgenauer auf die Innovationsförde- derung mit dem Ziel des Abbaus wirtschaftlicher Unter- rung in kleinen und mittleren Unternehmen ausrichten . schiede findet unsere Unterstützung, sogar noch mehr, Glauben Sie mir, es funktioniert . Meine Heimatstadt wenn dafür die entsprechenden Mittel im Bundeshaus- Dortmund bietet bestes Anschauungsmaterial dafür . In- halt zur Verfügung gestellt werden . nerhalb weniger Jahre ist es gelungen, eine 160 Fußball- (Beifall bei der LINKEN) felder große Stahlwerksbrache in einen Wissens- und Zu- kunftsstandort zu transferieren . Wir haben mithilfe der Gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land GRW eine Infrastruktur aufgebaut, die vor allem jungen sind nicht nur Verfassungsauftrag, sie sind auch eine ele- Unternehmen aus der Mikro-, Nano- und Produktions- mentare Frage der Gerechtigkeit . Es ist schon schlimm Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21847

Thomas Lutze (A) genug, dass der Lebensweg eines Kindes in Deutschland nen etwas zum Thema regionale Wirtschaftsförderung (C) meist dadurch entschieden wird, in welches Elternhaus erzählen, wissen die oft nicht, ob sie weinen oder lachen es hineingeboren wird . Mindestens ebenso ungerecht ist sollen . es, wenn es vom Wohnort abhängt, ob das Dach einer Deshalb noch zwei Punkte, über die wir nachdenken Schule droht zusammenzubrechen oder die Schultoilet- sollten . ten nicht funktionieren . Erstens: Müssen Förderprogramme fast immer über Weil wir das Anliegen der Regierung teilen, möchten die Länderebene laufen und können nicht den direkten wir einige Verbesserungsvorschläge machen, die viel- Weg finden? leicht noch Berücksichtigung finden. Zweitens: Warum werden Mittel häufig einfach nicht Eine regionale Wirtschaftspolitik muss von einer abgerufen? Wenn eine Kommune, die de facto zahlungs- grundsätzlichen sozialen und ökologischen Ausrichtung unfähig ist, bei einem Förderprogramm 20, 30 oder der Wirtschaftspolitik begleitet werden . Das bedeutet un- 50 Prozent Eigenanteil leisten muss, dann hat sich diese ter anderem eine deutliche Steigerung der Binnennach- Frage für die Kommune leider Gottes oft von selbst erle- frage und das Zurückdrängen der Exportabhängigkeit digt . Dann ist Schicht im Schacht . Das ist ein unhaltbarer zugunsten regionaler Wirtschaftskreisläufe . Zustand . (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank . Glück auf! Von zentraler Bedeutung bei der Förderung der regio- nalen Wirtschaft ist für die Linke die Stärkung der Kom- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . munen . Wenn wir den Kommunen in strukturschwachen Bernhard Daldrup [SPD]) Regionen ihren finanziellen und wirtschaftlichen Hand- lungsspielraum zurückgeben, profitiert davon auch die Vizepräsident Johannes Singhammer: regionale Wirtschaft . Dazu machen wir Ihnen einige Vor- Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege schläge: Jan Metzler . Erstens . Die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu (Beifall bei der CDU/CSU) einer Gemeindewirtschaftsteuer, von der alle Einkom- men erfasst werden . Diesen Vorschlag haben Sie zwar im Jan Metzler (CDU/CSU): Jahr 2015 abgelehnt, aber, wie gesagt, zukünftig sollte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der man nicht mehr alles ablehnen, was von der Oppositi- vorliegende Antrag der Koalition ist in der gestrigen Sit- on vorgeschlagen wird . Wäre das in der Vergangenheit zung des Wirtschaftsausschusses einstimmig beschlossen schon so gehandhabt worden, wären wir vielleicht heute (B) worden . Das zeigt, dass eine solide und gute Vorarbeit (D) woanders . Zumindest ist die Idee keine ganz schlechte geleistet worden ist . Ich möchte ausdrücklich meiner Be- gewesen . richterstatterkollegin, liebe Frau Wicklein, Danke sagen Zweitens . Ändern Sie das Gesetz gegen Wettbewerbs- für diese Vorarbeit, gleichzeitig aber auch für das gute, beschränkungen, und erleichtern Sie den Kommunen die konstruktive Miteinander im Unterausschuss insgesamt wirtschaftliche Betätigung im Bereich der öffentlichen über alle Parteigrenzen hinweg . Daseinsvorsorge . Der Antrag ist eine gute Gelegenheit für uns Parla- (Beifall bei der LINKEN) mentarier, uns gemeinsam für die regionale Wirtschafts- politik als Hebel zur Herstellung gleichwertiger Le- Das sichert Arbeitsplätze vor Ort . Das erwirtschaftete bensverhältnisse starkzumachen. Deshalb finden Sie in Geld kann vor Ort wieder investiert werden, anstatt dass diesem Antrag auch ein klares Bekenntnis zur Bund-Län- es in Konzernzentralen verschwindet. Davon profitiert der-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen übrigens auch die private Wirtschaft vor Ort, da kommu- Wirtschaftsstruktur“, dem, wie ich finde, wichtigsten na- nale Unternehmen Aufträge naturgemäß eher an Unter- tionalen Instrument zur regionalen Wirtschaftsförderung . nehmen in der Region vergeben . Gemeinschaftsaufgabe heißt, dass man es eben gemein- Last, but not least: Berücksichtigen Sie auch die Stand- sam und nicht isoliert angeht . ortfaktoren stärker, die auf den ersten Blick erst einmal Schon mehrfach haben wir hier über die Errungen- nicht unbedingt etwas mit Wirtschaftsförderung zu tun schaften, die wir der GRW seit ihrer Einführung 1969 haben. Stichworte: Öffentlicher Nahverkehr oder Ärz- verdanken, debattiert, und wir sind uns einig, dass sie te- und Apothekenmangel im ländlichen Raum . Dass es ein echtes Erfolgsmodell ist . Das hat sich auch kürz- im Jahr 2017 immer noch riesige weiße Flecken bei der lich wieder bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsbe- Bereitstellung von schnellem Internet gibt, ist ein derarti- richts 2016 gezeigt, in dem wir auf einige sehr positive ger wirtschaftlicher Standortnachteil, den Sie mit keiner Aspekte hinweisen konnten . Wirtschaftsförderung der Welt ausgleichen können . Dass die regionale Wirtschaftspolitik einen entschei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele unter Ihnen denden Beitrag dazu leistet, ist unbestritten, aber vielen sind oder waren aktive Kommunalpolitiker . Die Tatsa- gar nicht bewusst . che, dass immer mehr Kommunen nahezu handlungsun- fähig sind, ist ein trauriger Fakt in unserem Land . Wenn Was tut also die GRW? Gezielt fördert sie Unter- Sie sich dann mit Bürgermeistern, Dezernenten, Stadt- nehmen und die wirtschaftsnahe Infrastruktur in struk- räten oder wem auch immer vor Ort unterhalten und de- turschwachen Regionen . Dadurch werden sozialversi- 21848 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Jan Metzler (A) cherungspflichtige Arbeitsplätze erhalten oder eben neu Ein Gesamtkonzept kann mit Programmen der Städte- (C) geschaffen, Einkommen generiert, indirekt mehr Kon- bauförderung und der Stärkung der Daseinsvorsorge ge- sum geweckt und so die Regionen aktiviert und wettbe- rade im genannten ländlichen Raum abgerundet werden, werbsfähig gemacht . beispielsweise durch Investitionen in das Wohnumfeld sozial benachteiligter Stadtteile oder auch in die Nahver- Dazu steht der GRW jährlich ein Gesamtvolumen von sorgung von Ortsgemeinden auf dem Land . Denn neben 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung . Das ist enorm, wie dem Arbeitsplatzangebot sind ansprechende Lebensräu- ich finde. me ausschlaggebend für die Attraktivität einzelner Regi- onen . Unser Ziel muss insgesamt sein, nachhaltig Inves- Dass der regionalen Wirtschaftspolitik dabei in den titionen und Wachstum in den Regionen Deutschlands zu kommenden Jahren eine noch zentralere Rolle zukom- schaffen, die den Strukturwandel nicht aus eigener Kraft men wird, ist genauso unbestritten, liebe Kolleginnen bewältigen können . und Kollegen, wie die bisherigen Erfolge . Aber auch das ist in vielerlei Aspekten noch nicht ausreichend im Fo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kus . der SPD)

Darum haben wir genau das in den Mittelpunkt die- Um dieses Konzept, das ab 2020 in Kraft treten soll, ses Antrags gerückt: Wir brauchen eben genau dieses auf solide Füße zu stellen, braucht es eine intensive Ab- integrierte Fördersystem für strukturschwache Regionen stimmung . Das ist eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern in Ge- den Bundesländern das bisherige Fördersystem zu prüfen samtdeutschland . In den letzten 25 Jahren lag der Fokus und es an der einen oder anderen Stelle zu verbessern . der GRW auf dem wirtschaftlichen Aufholprozess der Ein zentrales Thema ist dabei sicherlich der teilweise ostdeutschen Länder . Heute ist der – entgegen mancher schleppende Mittelabruf . Dafür brauchen wir eine Lö- Behauptung – noch nicht abgeschlossen . Sehen Sie sich sung; denn das schönste Fördermodell hilft nichts, wenn dazu die entsprechenden Fakten an! Die sprechen für es vor Ort nicht ankommt . Deswegen schlagen wir in un- sich . Zusätzlich fordert ein tiefgreifender Strukturwan- serem Antrag vor, die Informationen zur Mittelförderung del auch die altindustriellen und ländlichen Regionen in je Bundesland zu bündeln und einen zentralen Ansprech- Gesamtdeutschland heraus . Das geschieht also deutsch- partner vor Ort bereitzuhalten . landweit . Denn oft haben genau diese Landkreise und Unter dem Strich steht und fällt unsere künftige Regi- Regionen strukturelle Nachteile gegenüber wettbewerbs- onalpolitik aber mit dem beihilferechtlichen Spielraum, fähigen Ballungsräumen und Metropolregionen . Feh- den die Europäische Kommission jedem einzelnen Mit- lende Arbeitsplätze infolge von Abwanderung und eine gliedsland einräumt . Das heißt, Deutschland darf nicht (B) angespannte Fachkräftesituation – das ist das, was man endlos strukturschwache Regionen fördern . Zur Wahr- (D) vor Ort entsprechend merkt . Das ist auch das, was dann heit gehört nämlich, dass wir im Vergleich zu anderen an jeden Einzelnen von uns in der Sprechstunde in Form europäischen Mitgliedstaaten volkswirtschaftlich gut von ganz konkreten Fragen und Forderungen an die Poli- dastehen, also auch diejenigen Regionen, die im Bundes- tik herangetragen wird . vergleich als strukturschwach gelten, im gesamteuropä- ischen Vergleich verhältnismäßig gut abschneiden . Der Zusätzlich wird diese Entwicklung durch den demo- Brexit könnte das sogar noch verstärken – auch das ist in grafischen Wandel und die zunehmende Globalisierung diesem Zusammenhang zu benennen –, weil er zu einer getrieben . Dann wird die Globalisierung, obwohl sie glo- Verringerung des durchschnittlichen Bruttoinlandspro- bal ablaufen mag, mit ihren Problemen sehr, sehr lokal . dukts der EU führt und Deutschland damit im Vergleich Dafür braucht es Lösungen . Eine kann ein integriertes weiter aufwertet . Das künftige nationale Förderkonzept Fördersystem für strukturschwache Regionen in ganz muss also in eine gesamteuropäische Strategie und Be- Deutschland sein . trachtung eingebunden sein . Wie stellen wir uns das nun vor? Die GRW soll in ih- Der Auftrag an die Bundesregierung ist von unserer rer bisherigen Form erhalten bleiben, aber als Ausgangs- Seite aus somit klar formuliert . Wir fordern: punkt für ein gesamtdeutsches integriertes Fördermodell dienen . Dabei sollen Synergien mit bestehenden Förder- Erstens . Die Fördervoraussetzungen für die deutschen instrumenten, beispielsweise aus Wirtschafts- und For- Regionen müssen mit der EU ausverhandelt werden . schungsministerium, geschaffen und inhaltliche -Über Zweitens . Dem Deutschen Bundestag ist ein mit den schneidungen vermieden werden . Der Förderfokus muss Bundesländern abgestimmtes Konzept für ein integrier- zum einen noch mehr auf kleine und mittelständische tes System zur Förderung strukturschwacher Regionen Unternehmen, deren Innovationen und die dazugehöri- vorzulegen . ge Forschungsinfrastruktur gelegt werden . Zum anderen muss auch die Gründungsförderung gestärkt werden . Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte erlauben Sie sollte kein Naturgesetz sein, dass für ein Unternehmen, abschließend eine Bemerkung . Die Grundidee der eu- das in einer vermeintlich strukturschwachen Region ge- ropäischen und der deutschen Regionalpolitik ist doch, gründet wird, in der es wunderbar und schön ist, erst ein keinen Mitgliedstaat und keine Region zurückzulassen . Umzug nach Hamburg und Berlin notwendig ist, um es Ich finde, wir können stolz sein, dass unsere Gemein- zum Erfolg zu führen . Ich glaube, auch in unseren wun- schaft von den Grundideen des Zusammenhalts und der derbaren ländlichen Regionen, die viele hier repräsentie- Zusammenarbeit geprägt ist . Bei allen Herausforderun- ren, sind jede Menge Potenziale zu heben . gen wissen wir, wozu Abschottung, Egoismen, aber auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21849

Jan Metzler (A) nationale Alleingänge führen . Dazu gibt es in unserer Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu . Wenn der (C) europäischen Geschichte leider zu viele schmerzliche Bundestag frühestens Anfang 2018 wieder über die Beispiele. Deshalb finde ich es bemerkenswert, wie die Förderpolitik diskutiert, steht die neue Förderperiode Netzgemeinde gegenwärtig mit Ironie auf die eine oder unmittelbar vor der Tür. Unserer Auffassung nach wäre andere Tendenz reagiert, beispielsweise in einem nie- etwas mehr Nachdruck gefragt, liebe Kolleginnen und derländischen Video. An dieser Stelle sollte das „zuerst“ Kollegen, nicht nur im Parlament, sondern auch bei der durch „gemeinsam“ ersetzt werden. Umsetzung nachher . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das gilt für EU-Mitgliedstaaten genauso wie für unsere Wir alle wissen – die Kollegen haben das angespro- Regionen in Deutschland . Genau dafür muss die Politik chen –: Die Herausforderungen sind immens . Drei Me- den richtigen Rahmen setzen . Mit einem zukunftsfähigen gatrends beeinflussen die Entwicklung regionaler Wirt- Fördersystem strukturschwacher Regionen können wir schaft und damit die Attraktivität ganzer Regionen . Da dazu einen entscheidenden Beitrag leisten . ist zuallererst der demografische Wandel zu nennen. Er Ich danke abschließend erneut für die gute und kon- verändert unsere Gesellschaft, aber besonders stark im struktive Zusammenarbeit und für Ihre Aufmerksamkeit . ländlichen Raum . Das heißt, wir brauchen sozial nach- haltige Ansätze in der Regionalentwicklung . Zweitens (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gibt es einen großen Bedarf an Innovationen in unserer Wissensgesellschaft . Wir brauchen mehr Forschung und Vizepräsident Johannes Singhammer: Entwicklung . Drittens besteht die Notwendigkeit, Res- Als Nächster spricht der Kollege Markus Tressel, sourcen endlich effizient zu nutzen. Wir brauchen eine Bündnis 90/Die Grünen . ökologischere Wirtschaftsweise . Diese Herausforderun- gen muss künftige Förderpolitik berücksichtigen . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Unterschiede zwischen Die GRW soll dazu dienen, gleichwertige Lebens- den Regionen in Deutschland nehmen nicht ab, sondern verhältnisse in allen Landesteilen herzustellen . Für uns weiter zu . Wenn wir uns die wirtschaftliche Produktivität heißt das: gleiche Startchancen für alle, auch unabhängig oder die Arbeitslosenquote anschauen, dann stellen wir von der Herkunftsregion . Wie ein Lebensweg verläuft, fest: Viele ländliche Räume, aber auch altindustrielle darf doch nicht der geografische Zufall entscheiden; das Regionen sind gegenüber Ballungsräumen benachteiligt; hat der Kollege Lutze schon gesagt . Daher brauchen wir (B) das hat der Kollege Metzler schon ausgeführt . Eine wir- Chancengleichheit und Teilhabe an der Arbeitswelt, an (D) kungsvolle Regionalpolitik ist deshalb wichtiger denn Bildung, an Gesellschaft, an Politik und nicht zuletzt je . Das ist kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale an der Digitalisierung . Dafür müssen wir gerade in den Frage für die Zukunft des Landes . Es geht um neue Per- ländlichen Räumen Jobs erhalten, aber genauso regionale spektiven für die Menschen in Regionen, die manche als Infrastruktur stärken . Wir brauchen dafür – auch das ist abgehängt bezeichnen . Für sie braucht es gemeinsames mehrfach angesprochen worden – einen integrierten Po- Engagement von EU-, Bundes- und auch von Ländersei- litikansatz . Genau hier muss die GRW weiterentwickelt te . Deshalb ist die entscheidende Frage, wie die Regio- werden, um nach 2020 zukunftsfähig zu sein . nalpolitik in Zukunft aussehen könnte . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir führen derzeit sehr gute Gespräche darüber, auch sowie des Abg . Thomas Lutze [DIE LINKE]) im Unterausschuss; aber bisher hat die Bundesregierung Ich glaube, wir sind uns im Kern einig: Das Ziel der kein durchgängiges Konzept für die Zeit nach 2020 vor- Förderung muss der Mittelstand sein . Das muss sich auch gelegt, wenn die ostspezifische Förderung ausläuft. Das im Mittelabfluss widerspiegeln. Im Moment ist das noch Eckpunktepapier, das vorliegt, reicht unseres Erachtens ein bisschen anders: Der Mittelstand wirkt für die Re- nicht aus . Wir können deshalb Ihrem vorliegenden An- gion; er setzt auf regionale Belieferungs- und Vermark- trag zustimmen. Wir verstehen ihn als Aufforderung der tungsstrukturen . Wir wollen nachhaltige Strukturen för- Koalitionäre an die eigene Bundesregierung, endlich ein dern und in Köpfe und Netzwerke investieren . Es gilt, die Konzept für die zukünftige Förderpolitik vorzulegen . Potenziale der ländlichen Räume zu erschließen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sagen: Die Energiewende muss durch eine Wirt- Das fordern auch wir . Das muss endlich geschehen . schaftsförderung flankiert werden, weil zum Beispiel Wenn der Antrag dabei hilft, ist das sehr gut . die Lausitz Arbeitsplätze für die Zeit nach der Kohle braucht . Die Wirtschaftsförderung muss aktiven Klima- Viele Regionen treten trotz Fördermillionen auf der schutz durch kurze Wege unterstützen und schließlich Stelle . Der Förderdschungel ist in den letzten Jahren durch eine bessere Verzahnung mit der GAK auch die nicht überschaubarer geworden . Das überfordert insbe- Agrarwende hin zur bäuerlich-ökologischen Landwirt- sondere kleine und mittelständische Unternehmen seit schaft begleiten . Hier kann die GRW einen großen Bei- langem . Die Forderungen in Ihrem Antrag sind nicht trag leisten . neu . Ich verstehe ja, dass so ein komplexes Vorhaben wie die Weiterentwicklung der Förderpolitik Zeit und Ihr Ansatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist rich- Sorgfalt braucht; aber die Zeit läuft uns davon . Diese tig: Die Antworten auf diese globalen Fragen liegen in 21850 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Markus Tressel (A) regionalen Lösungen . Hier liegt noch ein weiter Weg vor lich auf der Ministerpräsidentenkonferenz begrüßt . Ich (C) uns . gehe davon aus, dass wir damit die Weichen dafür stellen können, dass wir nach 2020 ein umfassendes, integriertes Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . und eben innovationsorientiertes gesamtdeutsches För- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dersystem in diesem Land haben werden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Johannes Singhammer: der CDU/CSU) Für die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentari- „Gesamtdeutsch“ – das ist hier angesprochen wor- sche Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort . den – heißt ganz einfach, dass wir alle Regionen in Ost (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und West nach gemeinsamen Regeln fördern . Wir prakti- der CDU/CSU) zieren das auch schon zum großen Teil seit Sommer 2014 und haben damit gute Erfahrungen gemacht . Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesmi- (Beifall des Abg . Bernhard Daldrup [SPD]) nisterin für Wirtschaft und Energie: „Innovationsorientiert“ heißt, dass wir die Programme Vielen Dank .– Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der GRW durch Innovationsmaßnahmen ergänzen müs- Kollegen! Auch diese Debatte macht eindrucksvoll deut- sen . Auch das ist ganz zentral . Frau Poschmann hat das lich: Unser Ziel ist und bleibt die Schaffung gleichwer- angesprochen und anhand ihres Beispiels deutlich ge- tiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland . Es gilt, macht, wie wichtig es ist, für strukturschwache Regionen den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sichern und zu moderne, innovative Lösungen zu finden. festigen . Deshalb unterstützt der Bund die Länder beim Strukturwandel . „Integriert“ bedeutet, dass wir nicht mehr in Säulen und Silos denken, sondern die Programme miteinander Ja, es gibt eine ganze Reihe von besonderen Heraus- verzahnen . forderungen, vor denen wir stehen . Natürlich gehören die demografische Entwicklung, das Auslaufen des So- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lidarpakts II und der zunehmende weltweite Wettbewerb der CDU/CSU) dazu . Vor diesem Hintergrund haben wir in dieser Le- Ich will mich bei allen beteiligten Ressorts bedanken . gislaturperiode die Weichen für eine Strukturpolitik der Als wir diese Eckpunkte entwickelt haben, haben alle Zukunft gestellt . Ressorts ihre Programme daraufhin überprüft, ob sie zu Als Erstes hat der Bund – das ist sehr wichtig – die einem solch integrierten System beitragen können, etwa (B) Kommunen um 26 Milliarden Euro entlastet . Das ist ge- aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (D) rade in strukturschwachen Regionen entscheidend, damit oder aus dem Bereich Agrarstruktur und Küstenschutz . die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können . Ich glaube, das ist ganz wichtig . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, ja, es gibt nach wie vor der CDU/CSU) strukturelle Unterschiede, auch zwischen Ost und West; wir debattieren das ab und zu . Aber man muss auch se- Hinzu kommt natürlich die Weiterentwicklung unserer hen – das zeigt der Regionalpolitische Bericht 2016 der Bundesprogramme, allen voran der Gemeinschaftsauf- GRW eben auch auf –, dass die wirtschaftliche Ent- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. wicklung immer differenzierter verläuft, bei uns in Ost- In der Tat: Die Veränderungen der beihilferechtlichen deutschland genauso wie in Westdeutschland . Die struk- Regelungen, die wir umsetzen mussten, haben dazu ge- turschwachen Regionen in Ost und West brauchen kein führt, dass wir im letzten Jahr beim Mittelabfluss nicht Gegeneinander . so gute Zahlen hatten; Herr Metzler hat das bereits ange- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprochen . Wir waren in den Vorjahren erfolgsverwöhnt; der CDU/CSU) damals hatten wir hohe Abrufzahlen . Deshalb haben wir mit den Ländern ausgehandelt, wie wir hier neue Ich bin vielmehr fest davon überzeugt, dass wir ein fes- Schwerpunkte setzen können, hin zu noch mehr Infra- tes Bündnis der strukturschwachen Regionen in Ost- und struktur-, Innovations- und Mittelstandsförderung . Das Westdeutschland brauchen, damit die Menschen in allen ist mit Blick auf die strukturschwachen Regionen auch Regionen gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden ganz besonders wichtig . und gleiche Chancen haben . Genau darum geht es . Herr Tressel, ich sehe das ein bisschen anders als Sie . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Die Bundesregierung hat im Mai 2015 die Eckpunk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten te vorgelegt . Es handelt sich aber um eine Bund-Län- der CDU/CSU) der-Gemeinschaftsaufgabe, sodass wir erst einmal den großen Brocken der Bund-Länder-Finanzen miteinander Vizepräsident Johannes Singhammer: bewältigen mussten und jetzt in die Verhandlungen ge- Für die CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Astrid hen . Sie alle werden sicherlich vor Ort mithelfen, dass Grotelüschen das Wort . sich die Bundesländer konstruktiv an diesen Verhand- lungen beteiligen . Wir haben hierfür gute Hinweise; die (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ministerpräsidenten in Ostdeutschland haben das näm- Sabine Poschmann [SPD]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21851

(A) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Wahlkreis genannt; die Arbeitslosenquote ist derzeit ein (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und stark zu gewichtender Faktor –, kombiniert zum Bei- Kollegen! Liebe Zuhörer! Nachdem wir im letzten Jahr spiel mit der Lebenssituation im ländlichen Raum, in einen Antrag zur GRW gestellt hatten, den wir nicht öf- dem auch ich zu Hause bin, wird sehr schnell deutlich, fentlich, zumindest nicht hier im Plenum, debattieren dass wir in Zukunft zusätzliche Kennziffern oder mögli- konnten, freue ich mich darüber, dass wir heute die Ge- cherweise auch andere Gewichtungen oder gar beides in legenheit haben, uns zu diesem wichtigen Thema auszu- Kombination benötigen werden . tauschen . Möglicherweise können wir diesen Antrag der Ich sehe mit Sorge, dass gerade Kommunen im länd- Regierungskoalition, obwohl Herr Tressel die Punkte ein lichen Raum wegen Abwanderung schrumpfen, sich teil- bisschen konträr angerissen hat, einstimmig verabschie- weise mit Leerstand von Gebäuden und Ladenlokalen den . oder auch mit dem Abbau von Infrastrukturen – ich nen- Regionale Wirtschaftsförderung ist wie das ERP-Ver- ne nur das Stichwort „Hausarztversorgung“ – auseinan- mögen bzw . die KfW regelmäßig Thema bei uns im dersetzen müssen . Dieser Prozess ist in einigen Regionen Unterausschuss . Auch ich darf mich herzlich dafür be- bereits in vollem Gange, und den müssen wir stoppen . danken, bei Ihnen, Frau Staatssekretärin, aber auch bei Wir brauchen also ein deutlich verbessertes Förder- meinen Kollegen und Kolleginnen, system . Die GRW kann das nicht alleine leisten . Das ist, (Beifall des Abg . Bernhard Daldrup [SPD]) glaube ich, unbestritten . Das heißt, wir brauchen erstens eine Anpassung der Gelder für die Wirtschaftsförderung dass wir in diesem Ausschuss sehr gut zusammenarbeiten an diese neuen Herausforderungen, damit sie letztendlich und die Themen, die wir hier diskutieren, gut vorberei- vor Ort ankommen und dort zielgenau helfen können . ten . Einerseits geht es um den Weg der Neuausrichtung der GRW, andererseits aber auch um das ERP-Vermögen Zweitens muss ein verstärktes Augenmerk auf dem und die positiven Veränderungen bei der KfW im Bereich verbesserten Mittelabfluss in den Ländern liegen; auch Wagniskapital und Risikobeteiligung . Das ist und bleibt dieser Punkt ist bereits angesprochen worden . Es ist sehr spannend . Ich bin froh, dass wir diese wichtigen Aufga- wichtig, dass alle Bundesländer rechtzeitig in die Gän- ben begleiten können . ge kommen, damit die Gelder abgerufen werden können und nicht wie in der jetzigen Förderperiode verspätet zur Regionale Wirtschaftspolitik ist mit Blick auf die um- Verfügung stehen . fangreiche Mitberatung ein ganz facettenreiches Thema . Es betrifft die Bereiche Finanzen, Kommunales, Ange- Drittens – ich werde nicht müde, dieses Thema an- legenheiten der Europäischen Union, Verkehr, Digitales, zusprechen – geht es auch um eine einfache und unbü- rokratische Antragstellung . Die Geschäftsführer meiner (B) Haushalt, Umwelt, Ernährung, Landwirtschaft, all das, (D) was von den Kollegen bereits angeschnitten worden ist . drei Wirtschaftsfördergesellschaften, die seit Jahren die Es handelt sich um einen integrierten Ansatz . Wir müs- GRW-Mittel begleiten, stöhnen jedes Jahr – wie ich fin- sen diesen Ansatz noch verstärken, wenn es um die regi- de, berechtigterweise; ich habe mir die Anträge auch an- onale Wirtschaftsförderung geht . geschaut – ob der Kompliziertheit und auch der Anzahl der Formulare . In unserem Koalitionsantrag geht es um den Weg, den wir einschlagen wollen . Oberstes Ziel der GRW ist es, Die Höhe der Kofinanzierung und auch die Koordina- bestehende Unterschiede zwischen den einzelnen Regi- tion – das sind beides Länderaufgaben – stehen ebenso in onen nicht mehr – das wissen wir längst – nach Bundes- der Kritik . Hier gibt es im Sinne der kleinen und mittle- ländern, nach Ost und West zu unterteilen . Wir suchen ren Unternehmen sicherlich noch viel zu verbessern . Aus vielmehr einen Weg, gleichwertige Lebensverhältnisse meiner Sicht sind da die Wirtschaftsfördergesellschaften zu erreichen . Ein Aspekt muss dabei immer im Fokus und vielleicht auch andere zentrale Ansprechpartner oder bleiben, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen oder neu an- auch die sogenannten Single Points of Contact, die auch zusiedeln . Diesbezüglich ist übrigens die Wirksamkeit in unseren Antrag Eingang gefunden haben, eine wichti- der Unternehmensförderung, die über die GRW bereits ge Unterstützung . So können Anfragen am besten gebün- geleistet worden ist, in Zahlen belegbar: In der Regel delt und Informationsunterschiede zwischen den Kom- ist die Zahl der Arbeitsplätze nach einer Förderung um munen, Landkreisen oder größeren Einheiten verringert 3,3 Prozent gewachsen . und damit das Förderspektrum bedürfnisgerecht und un- bürokratisch an die kleinen und mittleren Unternehmen Gleichzeitig wird mit unserem Antrag klar, dass es angepasst werden . im Zuge sich wandelnder Strukturen darum geht, dieses Ziel auch in Zukunft zu erreichen . Das geht natürlich nur, Zusammenfassend möchte ich sagen: Dreh- und An- wenn wir Antworten auf die sich verändernden Rahmen- gelpunkt bleibt nach wie vor – das macht der Antrag sehr bedingungen finden und rechtzeitig vor einer neuen För- deutlich – das klare Bekenntnis zur Gemeinschaftsauf- derperiode die richtigen Impulse setzen . Insofern kann gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. ich Herrn Tressels Argumentation nur zustimmen . Sie ist seit 1969 das zentrale Instrument . Allein von 1995 bis 2014 wurden Fördermittel in Höhe von fast 41 Mil- Ich betone: Wir brauchen unbedingt zeitgemäße Lö- liarden Euro bewilligt . Aus meiner Sicht ist die GRW sungen und angepasste Parameter zur Identifizierung schlicht und ergreifend das einzige wirtschaftspolitische von möglichen Förderregionen . Mit Blick zum Beispiel Instrument, mit dem Bund und Länder gemeinsam den auf stark unterschiedliche durchschnittliche Arbeitslo- Abbau der regionalen Disparitäten gezielt fördern kön- senquoten – Frau Poschmann hat ein Beispiel aus ihrem nen . Deshalb sollte dieser strategische Ansatz der GRW 21852 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Astrid Grotelüschen (A) auch in einer neuen Förderperiode ausdrücklich beibe- kommunalen Spitzenverbände sehr aufgeschlossen und (C) halten werden . positiv zu diesem Antrag geäußert haben . Ein paar ihrer Anregungen will ich zur Sprache bringen . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Notwendigkeit der Schaffung gleichwertiger Le- bensbedingungen ist unbestritten, und zwar – das ist so Meine Damen und Herren, die Disparitäten – das wur- gesagt worden – dort, wo es nötig ist, das heißt also nach de schon angesprochen – sind nach wie vor sichtbar oder Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtungen . Diese entwickeln sich auch neu . Deshalb war es auch in der Debatte kennen wir alle, haben sie im Grunde genommen Vergangenheit ein wichtiger Schritt, dass wir die unge- hinter uns . Die Konsequenz daraus ist ein gesamtstaat- fähr 600 Millionen Euro an Fördergeldern seit drei Jah- liches Fördersystem, weil es um Chancengleichheit in ren konkret für die regionale Strukturförderung nutzen . anderen Teilregionen des Landes, von Städten und länd- Aus meinem Flächenwahlkreis mit einer Nord-Süd-Aus- lichen Regionen, geht . Das ist also vernünftig . dehnung von fast 200 Kilometern weiß ich, dass die GRW-Förderung ganz klar ein Schlüsselinstrument zum Zweiter Punkt . Ebenfalls positiv hervorgehoben wur- Abbau ebendieser Unterschiede und zur Stärkung der de, dass auf neue Herausforderungen reagiert worden ist . Wettbewerbsfähigkeit ist . Ich kann es mir ersparen, das im Einzelnen darzulegen; Demografie, Digitalisierung, Globalisierung, Stadt-Um- Bei einer Weiterentwicklung der GRW geht es da- land-Wanderungen – all das ist angesprochen worden . In her um direkte Investitionen, um eine wirtschaftsnahe Zukunft wird es jedenfalls kein sektorales, sondern ein Infrastruktur und um Maßnahmen zur Steigerung der integriertes Fördersystem geben; Frau Gleicke hat darauf Wettbewerbsfähigkeit, und zwar nicht nur auf neue Ar- hingewiesen . Auch das ist ein großer Fortschritt . beitsplätze bezogen, sondern insbesondere auch auf die Stabilisierung bereits bestehender Arbeitsplätze . Das Im Antrag werden auch die positiven Wirkungen der heißt natürlich, dass wir noch mehr Raum für Innovatio- Gemeinschaftsaufgaben, insbesondere der GRW, thema- nen brauchen und gezielt eine verstärkte Mittelstandsför- tisiert . Das ist gut und richtig so . Unternehmensorientier- derung angehen müssen . Gerade im ländlichen Raum ist te, wachstums- und innovationsorientierte Regionalför- die GRW damit auch aktive Demografiepolitik, wie ich derung bleibt richtig . Trotzdem ist, meine ich, mit den es einmal nennen will . Prognosen gehen davon aus – das Ländern über die Frage zu diskutieren, wie möglicher- wissen wir alle –, dass unsere Bevölkerung ab 2020 wei- weise eine selbsttragende, eine endogene Entwicklung ter stark schrumpfen wird . Deshalb ist neben dem Thema unterstützt, wie regionale Beteiligung daran organisiert Arbeitsplatzbeschaffung und deren Erhalt auch das wich- werden kann und wie man möglicherweise bis hin zu tige Thema der Digitalisierung bei weiteren Fördermaß- Regionalbudgets auch die Kräfte in der Region so mobi- (B) nahmen in den Vordergrund zu stellen . lisieren kann, dass sie im Übrigen auch Bürokratie ein- (D) sparen und Potenziale in einer Weise zur Geltung brin- Ich komme zum Schluss . Es geht insgesamt darum, gen, wie das in der Vergangenheit vielleicht noch nicht übergeordnete gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen gelungen ist . und wichtige Wachstumsimpulse zu setzen . An den ge- nannten Beispielen wird klar: Regionale Disparitäten (Beifall bei der SPD) führen nicht nur wirtschaftspolitisch zu Ungleichgewich- ten, sondern stehen der gesellschaftlichen Stabilität ent- Ich will an dieser Stelle sagen: Der Erfolg integrier- gegen . Dies gilt es aus Sicht der Union zu verhindern . ter Förderpolitik setzt eine auskömmliche finanzielle Wir haben ein Instrument dazu in den Händen und wer- Grundausstattung der Kommunen voraus – gerade von den unseren Beitrag zur Weiterentwicklung der GRW in finanzschwachen Kommunen, ungeachtet der Frage, ob den kommenden Jahren leisten . sie Komplementärmittel bereitstellen müssen oder nicht . Wir haben da Richtiges gemacht: erstens bei der Entlas- Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit tung von Sozialausgaben, zweitens bei der Stärkung von bedanken . Investitionen . Aber wir haben noch zu wenig getan – da- rüber müssen wir weiter diskutieren –, wenn es darum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- geht, wie es zu einer besseren strukturellen Beteiligung ordneten der SPD) an der Steuerverteilung in der Bundesrepublik Deutsch- land kommen kann . Damit meine ich nicht unbedingt Vizepräsident Johannes Singhammer: „mehr“, sondern die Frage, ob beispielsweise die kom- Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat der Kolle- munale Umsatzsteuer nur wirtschaftskraftbezogen sein ge Bernhard Daldrup für die SPD das Wort . kann oder möglicherweise auch auf der Grundlage von Sozialindikatoren wie Arbeitslosigkeit oder Langzeitar- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der beitslosigkeit. Das würde manchen Konflikt auf der kom- CDU/CSU) munalen Ebene entschärfen – davon bin ich fest über- zeugt – und eine gerechtere Verteilungswirkung unter Bernhard Daldrup (SPD): dem Gesichtspunkt der Ausgleichsziele haben . Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) legen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen zunächst mitteilen zu dürfen, dass alle Fraktionen im Un- Dazu gehört auch, dass wir die grundlegenden Finanzie- terausschuss Kommunalpolitik dem Antrag zugestimmt rungsquellen nicht infrage stellen, weder die Gewerbe- haben – das ist das erste Erfreuliche –, aber sich auch alle steuer noch die Grundsteuer . Ich appelliere dringend an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21853

Bernhard Daldrup (A) die Kolleginnen und Kollegen der CSU, das nicht zu tun, sehr gründliche Neuausrichtung der deutschen Außen- (C) weil das ein Spiel mit dem Feuer wäre . politik brauchen . Wie immer, wenn es personelle Verän- derungen gegeben hat, kann man inhaltlich einmal da- Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik kann nur rüber nachdenken, ob alles beim Alten bleiben soll . Ein erfolgreich sein, wenn sie von einer nachhaltigen Finanz- Weiter-so in der deutschen Außenpolitik ist für uns völ- politik auf der kommunalen Ebene begleitet wird . Es ist lig inakzeptabel und führt in die Irre . Im Zentrum einer erforderlich, die Ursachen struktureller Unterfinanzie- Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik muss auch rung zu beseitigen und die Potenziale zu heben . Deswe- eine neue Politik gegenüber Russland stehen; das kann gen unterstützen wir diesen Antrag . gar nicht oft genug gesagt werden . Man muss sich hier Danke schön . entscheiden, ob Russland für unser Land ein strategi- scher Partner ist oder ob Russland mittlerweile zu einem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gegner oder Feind gemacht werden darf . Letzteres halte der CDU/CSU) ich für eine Katastrophe . Wir wollen, dass Russland für Deutschland ein strategischer Partner ist und ein strate- Vizepräsident Johannes Singhammer: gischer Partner bleibt . Das ist die Grundaussage unseres Damit schließe ich die Aussprache . Antrags . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- (Beifall bei der LINKEN) ses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktio- nen von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Regionale Wir wollen, dass man sich darauf einigt, dass alle Wirtschaftspolitik – Ein integriertes Fördersystem für bestehenden Differenzen – darüber kann man nicht hin- strukturschwache Regionen in ganz Deutschland schaf- wegschauen – auf friedliche Art und Weise miteinander fen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- gelöst werden . fehlung auf Drucksache 18/11202, den Antrag der Frakti- (Dr . [CDU/CSU]: Meinen onen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10636 Sie die Friedlichkeit in der Ukraine, oder wel- anzunehmen . Wer für diese Beschlussempfehlung che Friedlichkeit meinen Sie?) stimmt, den bitte ich um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich fest, dass Der friedliche Umgang auch und gerade bei Differenzen diese Beschlussempfehlung – mit der größtmöglichen war die Grundlage der sozialdemokratischen Entspan- Zustimmungsfähigkeit – von allen Fraktionen angenom- nungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr . Wir ha- men worden ist . ben uns erlaubt, den Titel unseres Antrags bei der SPD auszuleihen . Nun ist das Problem, dass wir deutsche (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ostpolitik betreiben, während die Sozialdemokraten das (D) der SPD) mittlerweile immer weniger tun . Ich bin dafür, dass wir Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: uns hier einigen – obwohl ich nicht daran glaube, dass das eintreten wird –: Alle Differenzen innerhalb und au- Beratung des Antrags der Abgeordneten ßerhalb Europas müssen auf friedliche Art und Weise ge- Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr .Alexander löst werden . Das Getöse, wie wir es auf dem NATO-Gip- S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion fel erlebt haben, soll endlich aufhören . DIE LINKE (Beifall bei der LINKEN) Für eine neue Ostpolitik Deutschlands Das Geld für Rüstung hinauszuschmeißen, ist doch keine Drucksache 18/11167 sinnvolle Zukunftspolitik, sondern das Gegenteil . Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) (Dr .Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Die Ausschuss für Wirtschaft und Energie Krim-Annexion ist keine Differenz!) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe – Ich verstehe schon . Ich habe doch ein schönes Angebot Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemacht . Sie hätten auch Ja sagen können . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ich bin dafür, darüber nachzudenken, wie der gemein- diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch same Raum von Wladiwostok bis Lissabon – das wird erhebt sich dagegen keiner . Dann stelle ich fest, dass das auch oft von sozialdemokratischen Kollegen angeführt – somit beschlossen ist . inhaltlich gefüllt werden kann . Was soll denn in diesem Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- gemeinsamen Raum passieren? Was ist die Grundlage ner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion dafür? In einem solchen gemeinsamen Raum müssen die Die Linke das Wort . Grundlagen Abrüstung – wenn es sein muss, auch ein- seitige Abrüstung –, Handel statt Krieg gegeneinander, (Beifall bei der LINKEN) Gleichberechtigung und Sicherheit sein . (Beifall bei der LINKEN) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schönen Dank .– Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Wenn man ernsthaft über die Zukunft nachdenkt, dann und Kollegen! Die Fraktion Die Linke und auch ich sel- könnte ich mir vorstellen, dass die im Aufbau befindliche ber sind grundsätzlich davon überzeugt, dass wir eine eurasische Union und die Europäische Union in diesem 21854 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Wolfgang Gehrcke (A) gemeinsamen Raum nicht gegeneinander, sondern mitei- Wir müssen zu einem vernünftigen Verhältnis mit (C) nander arbeiten . Russland kommen, sodass man auch über solche Proble- me reden kann . Es ist doch Irrsinn, dass man heute noch immer von einem Blockdenken ausgeht und sich manche Staaten (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wer ist denn als Bollwerk gegenüber Russland und nicht als Brücke in die Krim einmarschiert?) zu Russland verstehen . Wir wollen diesen gemeinsamen – Jetzt seid ihr plötzlich sehr begeistert von Trump . Raum, politisch, sozial, wirtschaftlich, und wir möchten, Trump und Krim .– Die Krim-Frage wird man lösen kön- dass dieser gemeinsame Raum inhaltlich gefüllt wird . nen . Wenn man das will und insofern zur Entspannungspo- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn sich litik zurückkehrt, dann muss man die Sanktionen been- die Russen zurückziehen!) den . Das Ende der Sanktionen ist die zentrale Maßnah- me, um das Verhältnis zu Russland zu verbessern . Könnt ihr euch noch an eure eigene Politik erinnern? Es gab immer eine unterschiedliche Auffassung, wie man (Beifall bei der LINKEN) mit der DDR umgeht . Aber trotzdem hat man miteinan- der verhandelt und keine Vorbedingungen gestellt . Wer Ohne ein Ende der Sanktionen wird das nicht eintreten, glaubt, dass sich Russland erst einmal von der Krim zu- es wird nicht möglich sein . Ich denke, wenn man über rückziehen muss, der versteht nichts von Realpolitik . Das diesen gemeinsamen Raum der Politik nachdenkt, soll- ist schlichtweg Unsinn, der bewegt sich im Wolkenku- te man auch darüber nachdenken, dass man die NATO-­ ckucksheim . Osterweiterung zurücknimmt und in einem ersten Schritt mindestens zu dem Zustand zurückkehrt, den man bei der (Beifall bei der LINKEN) Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags gehabt hat . Ohne eine Rücknahme der NATO-Osterweiterung wird So verhandelt man nicht . Das kann man von Willy Brandt keine konstruktive Zusammenarbeit möglich sein . und Egon Bahr lernen . Schönen Dank, der Präsident leuchtet hier . Der Präsi- Ich bin dafür, dass man darüber nachdenkt – hier ha- dent leuchtet immer . ben wir natürlich Differenzen, und es ist wichtig, diese auszutragen –, die Truppenstationierung an der russi- (Heiterkeit) schen Westgrenze zu beenden und die Truppen endlich zurückzunehmen . Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der LINKEN – Dr .Johann In diesem Fall ist es die Anzeige für Ihre Redezeit . (B) (D) Wadephul [CDU/CSU]: Die russischen Trup- (Heiterkeit) pen müssen aus der Ukraine zurückgenom- men werden!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Der Trick mit dem rotierenden System hat doch keinen Mittels der Anzeige leuchtet der Präsident . Ich komme Bestand . Ich möchte gerne, dass man in dem Kontext der dann zum Schluss . Rücknahme der Sanktionen auch überlegt, wie man mit- einander solche Probleme wie in der Ukraine vernünftig Mir geht es darum, dass wir in den Ausschüssen sehr löst . Es ist sehr gut, dass man sagt: Wir bleiben bei Minsk gründlich über eine Neuausrichtung der deutschen Au- II .– Das wiederhole ich hier . Wir haben Minsk II immer ßenpolitik reden . Die ist dringend notwendig . Dazu verteidigt . Das tun nicht alle hier im Hause . haben wir Ihnen Vorschläge unterbreitet . Vielleicht er- kennen sozialdemokratische Kollegen das eine oder das (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Putin andere aus ihrer eigenen Geschichte wieder . muss mal liefern!) Herzlichen Dank . Dann muss man einen Weg finden, wie man die unter- (Beifall bei der LINKEN) schiedlichen Auffassungen, die sich hier entgegenstehen, miteinander aussöhnen kann . Ich bin dafür, dass man nicht nur stereotyp wiederholt: „Minsk II muss greifen“, Vizepräsident Johannes Singhammer: sondern eine zeitliche Abfolge der einzelnen Punkte zu- Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Dr .Christoph stande bringt . Bergner das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wissen Sie, zu behaupten, die Russen seien an allem (CDU/CSU): schuld, ist nun wirklich dummes Zeug . Uns wurde im Dr. Christoph Bergner Auswärtigen Ausschuss eine Vorführung des Präsidenten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr des BND und des Präsidenten des Verfassungsschutzes Gehrcke, ich muss Sie um Verständnis bitten: Meine Re- geboten . Diese hatte den Tenor: Nichts Genaues weiß dezeit reicht nicht aus, um die absurden Behauptungen, man nicht, aber an allem sind die Russen schuld . – Dieser grotesken Schlussfolgerungen und anachronistischen Unsinn muss doch endlich aufhören . Narrative, die Ihren Antrag durchziehen, im Einzelnen zu widerlegen . Ich will mich deshalb auf eine Diskussion (Beifall bei der LINKEN) Ihres Anliegens beschränken . Warum Sie diesem Anlie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21855

Dr. Christoph Bergner (A) gen das Schlagwort „neue Ostpolitik“ geben, ist mir nicht Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Eu- (C) ganz klar geworden; denn es geht um das Verhältnis zu ropas ist zu Ende gegangen . Russland . Ihr Anliegen ist, darauf hinzuweisen, dass das (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Eben!) Verhältnis zu Russland bedauerlich schlecht ist .– Das ist wahr . Sie möchten, dass sich das bessert . Darüber würde Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig ich gern mit Ihnen ins Gespräch kommen . auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden . Sie haben keine Erklärung dafür geliefert, warum Ich will zunächst einmal dem Eindruck entgegenwir- Russland sich auf diese Charta, an diese Maxime und ken, den Sie ein bisschen subtil verbreiten . Sie tun so, an dieses Leitbild nicht mehr gebunden fühlt, Herrn als ob es hier im Deutschen Bundestag oder in der Bun- Gehrcke . desregierung irgendjemand Konfliktsüchtiges gäbe, der den Konflikt mit Russland wünscht. Wir alle bedauern, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ dass es diesen Konflikt gibt. Ich kenne kein Mitglied des DIE GRÜNEN]: Das ist ihm egal! – Wolfgang Deutschen Bundestages, das nicht eigentlich enge und Gehrcke [DIE LINKE]: Schwarz-Grün!) partnerschaftliche Beziehungen Deutschlands zu Russ- – Es scheint Ihnen egal zu sein, oder aber die Schlussfol- land für besser hält, und ich kenne auch kein Mitglied gerungen gefallen Ihnen nicht . der Bundesregierung, das das nicht für besser hält . Also bauen wir doch jetzt keine falschen Konflikte auf. Wir Herr Gehrcke, Sie haben in Ihren Ausführungen zu können glücklicherweise auch davon ausgehen, dass die Recht darauf verwiesen, dass wir bei unserem europäi- menschlichen Beziehungen und die zivilgesellschaftli- schen Projekt geschichtliche Traumata aufarbeiten müs- chen Beziehungen, so wir sie denn ausleben dürfen von sen . Sie haben den Zweiten Weltkrieg genannt; das ist russischer Seite her, gut sind, dass sie jedenfalls kaum richtig . Sie haben aber nichts über die Zeit der Block- konfrontation, nichts über die Zeit der unterdrückten von Aversionen und schon gar nicht von Hass bestimmt Souveränität mittel- und osteuropäischer Staaten gesagt, sind . und Sie haben das Phänomen des Totalitarismus völlig Ich denke, in diese Aufzählung gehört auch, dass es an ausgelassen . gutem Willen vonseiten Deutschlands, der EU und auch (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Auf dem der NATO nicht gefehlt hat, partnerschaftliche Beziehun- Auge ist er blind!) gen zu Russland aufzubauen . Die EU hat in den letzten Das heißt, wenn wir unser europäisches Projekt als ein zweieinhalb Jahrzehnten Partnerschafts- und Koopera- geschichtliches Aufarbeitungsprojekt betrachten, dann tionsabkommen geschlossen . Wir haben gemeinsame kann das Thema der Aufarbeitung des Totalitarismus (B) Regierungskonsultationen mit Russland durchgeführt . nicht ausgeklammert werden, sondern es muss eine zen- (D) Es gab gemeinsame Gipfel . Es gab die NATO-Russ- trale Rolle einnehmen . So heißt es ja auch in der Charta land-Grundakte . Es hat von westlicher Seite wahrlich von Paris aus dem Jahre 1990 – ich darf zitieren –: nicht an der grundsätzlichen Bereitschaft und dem gu- ten Willen gefehlt, ein partnerschaftliches Verhältnis zu Wir verpflichten uns, die Demokratie als die einzige Russland aufzubauen . Aber spätestens mit der völker- Regierungsform unserer Nationen aufzubauen, zu rechtswidrigen Annexion der Krim und der hybriden festigen und zu stärken . Kriegsführung in der Ostukraine sind alle diese politi- Vergleichen Sie dieses Leitbild mit der heutigen Situ- schen Partnerschaftsbemühungen der EU und Deutsch- ation in Russland . Damit ist doch der eigentliche Kon- lands konterkariert worden . Das ist doch die Ausgangsla- fliktstoff beschrieben, der zu den auch aus meiner Sicht ge, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen . bedauerlichen Konflikten führt, in denen wir uns befin- den . (Beifall bei der CDU/CSU) Nun kann man ja sagen, Russland solle machen, was Wer so manche verächtliche Äußerung russischer es will . Aber damit ist es ja nicht erschöpft . Wenn ein an- Führer über das europäische Gemeinschaftsprojekt hört, derer postsowjetischer Staat, wie die Ukraine, nachdem der muss einfach zur Kenntnis nehmen: Es gibt gegen- er ebenfalls eine totalitäre Phase durchlebt hat, nun den wärtig bedauerlicherweise keine Anzeichen dafür, dass ernsthaften Versuch macht, das Leitbild der Charta von von russischer Seite die Idee des europäischen Hauses Paris zu realisieren und den europäischen Weg zu gehen, mit einer freiheitlichen Grundordnung weiter verfolgt dann betrachtet Russland diese Entscheidung als eine Be- wird . Die russische Führung baut eine eurasische Kaser- drohung seines totalitären Gesellschaftsmodells, weil es ne, in der auf möglichst allen Fluren der Befehlston des die Beispielwirkung einer erfolgreichen Ukraine fürch- Kremls zu hören sein soll . Dies ist die Realität, von der tet . Dies war die Grundlage für Annexion und hybride wir auszugehen haben . Kriegsführung gegen die Ukraine . Herr Gehrcke, wenn wir von dieser Analyse ausge- Meine Damen und Herren, was ich an Ihrer Rede kri- hen, dann ist die Situation nicht ganz so einfach, wie tisieren muss, Herr Gehrcke, ist vor allem: Wer einen Sie sie darzustellen versuchen, so ungefähr: Wir sollten Konflikt ausräumen will, der muss seine Ursachen ken- doch möglichst alle lieb miteinander sein .– Nein, wir nen . Das ist das, was mich eigentlich umtreibt: Wo ist der haben festzustellen, dass hier Werte auf dem Spiel ste- Geist der Charta von Paris, der am Anfang der ganzen hen, die für uns überlebenswichtig sind, und wir haben Entwicklung gestanden hat? In dieser Charta heißt es: zur Kenntnis zu nehmen, dass sich souveräne Völker, 21856 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Christoph Bergner (A) die früher einmal Teil der Sowjetunion waren, für Werte schaft zum Wandel im Westen Spielräume für friedens- (C) entschieden haben und wir ihnen die Möglichkeit geben stiftende Aktivitäten im Osten . müssen, sie in Freiheit zu realisieren . (Zuruf von der LINKEN: Im Westen auch!) Dieser Prozess führte letztlich zu den Vereinbarungen, Vizepräsident Johannes Singhammer: die wir heute als europäische Friedensordnung bezeich- Herr Kollege Bergner, der Kollege Gehrcke hat vorhin nen . Dies allerdings ist mit der Annexion der Krim und in seiner Rede bemerkt, dass das Display blinkt . Darf ich dem Krieg im Donbass von der Führung der Russischen Sie darauf aufmerksam machen, dass das bei Ihnen eben- Föderation infrage gestellt worden . Können Sie mir er- so der Fall ist? klären, Herr Gehrcke, was für einen Wandel Sie jetzt auf westlicher Seite vorschlagen? Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Weg von Ja, okay, gut .– Sie haben zu Recht auf die Debatte im der NATO! Zu Verantwortung!) Ausschuss verwiesen . Ich möchte nur sagen: Der Antrag Sollen wir über den Kopf der Ukraine hinweg die Ab- bringt uns bedauerlicherweise in der Suche nach einem trennung der Krim und die faktische Abtrennung des Dialog mit Russland überhaupt nicht weiter . Er zeichnet Donbass anerkennen ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit und ist insofern eine schlechte Grundlage für das, was wir möglicherweise (Zuruf von der CDU/CSU: Offenkundig!) alle gemeinsam wollen . und damit einen hinterhältigen Vertrag zulasten Dritter (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Liefern abschließen? Der schändliche Hitler-Stalin-Pakt ist bei Sie eine bessere!) uns fast in Vergessenheit geraten, aber bei unseren öst- lichen Nachbarn ist die Erinnerung an ihn noch sehr le- Danke schön . bendig . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es steht uns in Deutschland nie und nimmer zu, zwi- ordneten der SPD) schen Berlin und Moskau wieder einmal eine Einigung auf Kosten der Zwischenländer zu treffen. Ich empfehle der Linkspartei, die für Deutschland beschämenden his- Vizepräsident Johannes Singhammer: torischen Schriften von Timothy Snyder zu lesen, zum Nächste Rednerin ist die Kollegin Marieluise Beck, Beispiel Bloodlands. Während die Revolutionen von Bündnis 90/Die Grünen . 1989 Freiheit brachten, drängt die russische Führung die (B) errungenen Freiheiten etwa seit der Jahrtausendwende (D) im Innern immer stärker zurück . Außenpolitisch verbün- (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE Marieluise Beck det sich Russland inzwischen mit den Nationalisten von GRÜNEN): UKIP, Le Pen, der AfD, Jobbik und anderen rechtspopu- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und listischen und rechtsextremen Kräften innerhalb der Eu- Kollegen! Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal ropäischen Union . Der unberechenbare Trump – in mei- das Erbe von Willy Brandt und Egon Bahr gegen den nem Manuskript steht „gilt“; vielleicht muss man jetzt, illegitimen Erbanspruch der Linken würde verteidigen nach dem Schicksal von Herrn Flynn, so sagen – galt in müssen . Moskau als Hoffnungsträger. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Wolfgang Die Entspannungspolitiker der ersten Stunde wussten, Gehrcke [DIE LINKE]: Geben Sie sich wer ihre Partner waren . Sie unternahmen keinen Versuch, Mühe!) diese schönzureden . Hans Koschnick zum Beispiel er- klärte dem polnischen Parteichef Gierek unumwunden, Die Ostpolitik von Brandt und Bahr mit dem Leit- dass er in dessen Weltbild ein Menschewik sei . Er wis- satz „Wandel durch Annäherung“ fiel in eine Zeit, als se, welches Schicksal seine Genossen unter kommunis- die Oder-Neiße-Grenze von der Bundesrepublik noch tischer Herrschaft erlitten hätten . Auch wir sollten uns nicht anerkannt war . Sie ging davon aus, dass, wenn sich von Illusionen über die russische Politik verabschieden Deutschland wandle und die Oder-Neiße-Grenze aner- und uns darüber klar werden: Putins Russland hat den kenne, auch im sowjetischen Osten und im Warschauer Weg des Wandels, der Demokratisierung und der Moder- Pakt Freiheitsräume entstehen könnten – Freiheitsräu- nisierung verlassen . Russland hat das Grundprinzip der me für Menschen, deren Länder in Jalta zum Vorhof der Entspannungspolitik, den Verzicht auf militärische Ge- Sowjetunion erklärt worden waren, und zwar im Sinne walt, verletzt und unsere Sicherheitsordnung gebrochen . einer unerhörten kolonialen Aufteilungspolitik zwischen ­Breschnew wollte die Grenzen in Europa vertraglich si- ­Stalin, Roosevelt und Churchill . chern . Putin hat sie mit Gewalt verschoben . Das ist ein zentraler Unterschied . Niemand würde bestreiten, dass Zu Zeiten von Willy Brandt ging es darum, Wege von der Dialog mit Russland unabdingbar ist . Das bezieht der Unfreiheit in die Freiheit zu ebnen . Die westlichen selbstverständlich Kompromisse ein . Aber die dürfen Verfechter der Entspannungspolitik bestanden gegen den niemals zulasten Dritter eingegangen werden . Widerstand der UdSSR darauf, dass die Verpflichtung der Menschenrechte in die Schlussakte von Helsinki auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genommen wurde, und tatsächlich öffnete diese Bereit- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21857

Marieluise Beck (Bremen) (A) Das verbietet unsere historische Verantwortung ge- Zahlreiche mittel- und osteuropäische Staaten, darunter (C) genüber den Ländern zwischen Deutschland und Russ- die baltischen Länder, sind inzwischen Mitglied der EU land; denn diese historische Verantwortung gilt genauso und der NATO geworden, haben von ihrem Selbstbe- wie unsere Verantwortung gegenüber Russland . Auch stimmungsrecht Gebrauch gemacht . Für diese Länder ist Willy Brandts Ostpolitik galt allen Nachbarn; aber sie dieser Schritt untrennbar mit dem Streben nach Freiheit, war nicht teilbar . nach Demokratie, nach Wohlstand und nach Sicherheit verbunden . Schönen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Aus der Sowjetunion wurde das heutige Russland . Es bei der CDU/CSU und der SPD) hat mit der Pariser Charta von 1990 die in der Grundakte von Helsinki enthaltenen Prinzipien übernommen, denkt aber weiterhin in Einflusssphären. Die seit den 90er-Jah- Vizepräsident Johannes Singhammer: ren bestehende europäische Friedensordnung wurde Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für die 2012 durch die von Russland vorgenommene Annexion SPD . der Krim sowie durch sein Vorgehen in der Ostukraine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bewusst verletzt . der CDU/CSU) Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Lage und der aktuell noch nicht ganz klar erkennbaren Positionie- Franz Thönnes (SPD): rung Washingtons nach der Präsidentschaftswahl bedeu- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das tet der Satz im Lübecker Holstentor auch heute nichts Wort „Ostpolitik“ ist untrennbar mit dem Namen von anderes als: Wer draußen Frieden sichern will, der muss Willy Brandt verbunden . Aber nicht jeder Versuch, eine im Innern dafür sorgen und muss sich darum kümmern, Kopie anzufertigen, gelingt . Eine der lateinischen In- dass EU und NATO zusammenstehen, dass Union und schriften auf dem weltbekannten Lübecker Holstentor, in Bündnis innere Eintracht zeigen, der Geburtsstadt Willy Brandts, lautet: „Concordia domi, foris pax“ – „Eintracht drinnen, draußen Friede“. Dies (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem und seine politischen Maximen des Gewaltverzichts, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Dialogs, des Kompromisses sowie eine Politik ein- gebettet in die NATO-Philosophie aus dem Bericht des dass alle dabei sind, wenn es darum geht, europäische einstigen belgischen Außenministers Harmel, wonach Außen- und Sicherheitspolitik zu praktizieren, und dass Sicherheit als die Summe von Verteidigung und Entspan- auch heute den neuen Mitgliedsländern die gleiche Si- cherheit gegeben werden muss, wie sie uns über 40 Jahre (B) nung begriffen wurde, leiteten ihn und Egon Bahr bei der (D) Entwicklung ihrer Ostpolitik . Letzterer stärkte diese mit widerfahren ist . dem Satz: Amerika ist unverzichtbar, Russland ist unver- Ebenso gilt dabei, dass wir nicht der Versuchung un- rückbar . Damit war klar: Zusammenarbeit mit den USA terliegen dürfen, uns in einem neuen Kalten Krieg ein- und nachhaltige Sicherheit für Europa gibt es nicht ohne zurichten, in dem zwar die Fronten geklärt werden, der und schon gar nicht gegen Russland . politische Dialog jedoch durch die Logik des Militäri- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) schen überlagert wird . Eine allein auf den Nationalstaat reduzierte Außenpolitik schwächt die Eigeninteressen Die Ostpolitik nach diesen Leitlinien hat über die und wird nicht zur gemeinsamen Sicherheit führen . Zeit- Kanzlerschaften von Helmut Schmidt und Helmut Kohl gemäße Ostpolitik heißt, heute für uns eine europäische letzten Endes zur deutschen Einheit beigetragen . Da die- Ostpolitik zu entwickeln; denn nur sie kann wirklich zu se Prinzipien auch heute noch richtig sind, gilt es nicht, einer europäischen Friedenspolitik führen . eine neue Ostpolitik zu entwickeln und damit so zu tun, als sei die bisherige alt, sondern es gilt, auf diesen Prinzi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ pien eine für die heutigen Bedingungen zeitgemäße Ost- DIE GRÜNEN sowie der Abg . Elisabeth politik zu formulieren . Motschmann [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Für Deutschland bedeutet dies, sich orientiert an sei- DIE GRÜNEN) nen Interessen in den Bündnissen für deren Stärkung und Die ehemalige Geopolitik besteht nicht mehr . Damals eine kluge Politik einzusetzen . Die bewährten Instrumen- standen sich zwei Systeme gegenüber . Zwei Großmächte te deutscher Außen- und Sicherheitspolitik haben damit standen sich gegenüber . Bipolarität ist mittlerweile zur weiter ihre grundlegende Bedeutung: Fähigkeit zu Kom- Multipolarität geworden . Die Systemkonkurrenz hat promiss und Konsens, Kooperation statt Konfrontation, sich aufgelöst . Wir leben nicht mehr in einer Welt mit Dialog und eine auf Werten basierte Politik, die auch die zwei Blöcken . Sie ist komplexer geworden . Die heutigen Interessen anderer Staaten berücksichtigt . Konkurrenzen bestehen vielmehr zwischen Staaten mit Kluge Ostpolitik heißt ebenso, Russland wieder dazu demokratischen, autokratischen und totalitären Systemen zu gewinnen, zu einem kooperativen Politikansatz zu- sowie zwischen internationaler Kooperation und nationa- rückzukommen . Wichtig wären gerade jetzt wahrnehm- listischer Abschottung . bare Töne aus Russland, die deutlich machen, dass man Deutschland und Europa waren damals geteilt . Diese auf ein Europa des Miteinanders und nicht auf ein Euro- Spaltung konnte glücklicherweise überwunden werden . pa des Gegeneinanders setzt . 21858 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Franz Thönnes (A) Im europäischen Haus gilt es, orientiert an den Haus­ Aber nach Ihrer Rede muss man ja davon ausgehen, dass (C) ordnungen aus Helsinki und Paris, wieder den Haus- das ernst gemeint ist . frieden herzustellen . Zuallererst geht es darum, Minsk (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Na, so umzusetzen . Damit würde der Weg zu einer friedlichen was!) europäischen Hausgemeinschaft geebnet, in der an- erkannt wird, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken Herr Gehrcke, Sie sind doch sonst ganz vernünftig . inzwischen selbstständige Subjekte des Völkerrechts sind . Hierzu ist ein gemeinsamer Sicherheitsdialog mit (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ah, Russland und seinen Nachbarn notwendig . Es sind auch nein!) unsere Nachbarn . Es geht darum, eine gemeinsame Si- Wie konnte denn passieren, dass Sie so einen Antrag for- cherheitsarchitektur zu entwickeln, zu der Egon Bahr im mulieren? Das müssen Sie uns mal erklären . Das geht Januar 2015 sagte: so nicht . Er liest sich wie ein Besinnungsaufsatz der Ge- sellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft . Das ist Da darf kein Staat durch den Rost fallen . Jeder Staat DKP-Lyrik aus der Mottenkiste – unterste Schublade . Ich muss die gleiche Sicherheit haben . weiß, Sie waren mal stellvertretender Bundesvorsitzen- Nur so kann – vielleicht unter dem Dach der OSZE – der der DKP . Aber diese frühkindliche Prägung müssen ein Mechanismus gefunden werden, der sowohl Bedro- Sie mal irgendwann überwinden . Das geht nicht . Wir hungs- wie Aggressionsbefürchtungen vermindert . Dazu sind 30 Jahre weiter, wir sind im 21 .Jahrhundert, Herr gehört auch die Einhaltung bestehender Abrüstungszusa- Kollege . gen . Dazu gehört auch die Diskussion über neue Abrüs- Der Antrag ist wirklich voll von verrutschten Bildern tung, Transparenz und Kontrolle . und falschen historischen Ansagen . Sie sprechen von der Der Grundtenor des Antrages der Linken ist leider Konferenz von Helsinki 1973, von den Vorbedingungen sehr national ausgerichtet . Er fordert einen Alleingang einer „friedlichen Koexistenz in Europa, deren Ergebnis- durch den Austritt aus der NATO . Er wird eher zu Un- se noch heute spürbar sind“. Das wüssten wir. Es war sicherheit führen: in Europa und für uns . Er wird keine die Sowjetunion, die in Helsinki zur Bedingung gemacht neue Sicherheit bringen. Er kann nur Ablehnung finden. hat, dass Grenzen unverletzlich sind . Breschnew hätte ohne die Bedingung unverletzlicher Grenzen nie unter- So passt am Ende ein Satz Willy Brandts, den er im schrieben . Und Russland hat dieses Prinzip jetzt verletzt, September 1968 in einem Interview mit dem Spiegel niemand anders . kurz nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei sagte: Das Nächste ist – das muss man wirklich zweimal le- (B) sen –: (D) Es kommt nicht darauf an, möglichst starke Worte zu gebrauchen . Und es kommt nicht darauf an, he- Der Grundkonsens deutscher Politik, dass von deut- rauszufordern . Es kommt nicht darauf an, Gemüts- schem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, ist bewegungen zu befriedigen . Es kommt darauf an, seitdem vielfach gebrochen worden . eigene Interessen zu wahren und das, was man will, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, stimmt einzubetten in Interessen, die möglichst viele andere doch!) auch haben . Das heißt also aus Ihrer Sicht: Von deutschem Boden ist (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Macht das vielfach Krieg ausgegangen . doch!) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Also: Ostpolitik europäisch denken, wertebasiert, re- Das ist doch völlig irre . In welcher Realität leben Sie alistisch und multipolar, Bündnisse zusammenhalten, so denn? Aber wir kennen das ja schon von Ihnen, von viel Sicherheit wie notwendig und so viel Kooperation Frau Dağdelen und anderen. Das ist so eine Art Zwangs- und Dialog wie möglich . vorstellung von einem militaristischen Deutschland, in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem dem eine Art Waffen-SS schon wieder die Panzermo- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang toren warmlaufen lässt . Das ist russische Propaganda, Gehrcke [DIE LINKE]: So viel habt ihr lange ­Kisseljow – auch wirklich unterste Schublade . nicht mehr über Ostpolitik geredet!) Und dann sagen Sie: Nach der Auflösung des Warschauer Paktes erwar-

Vizepräsident Johannes Singhammer: teten viele Menschen in allen Teilen Europas einen Der Kollege Karl-Georg Wellmann spricht jetzt für Abbau der Strukturen der NATO … die CDU/CSU . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das Erste, was die Länder wollten, die unter kommu- nistischer Zwangsherrschaft gestanden hatten und die Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Freiheit erhielten, war, Mitglied der NATO zu werden – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als mir bevor sie in die EU kamen –, um Sicherheit vor Russland Christoph Bergner gestern erstmalig den Text des An- zu bekommen . Das Gegenteil von dem, was Sie hier sa- trags zeigte, dachte ich erst an einen Karnevalsscherz . gen, ist also richtig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21859

Karl-Georg Wellmann (A) Sie schreiben auch: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten … (C) Von beiden Seiten in Europa … ist eine Rückkehr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und zum Völkerrecht … dringend geboten . der SPD – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LIN- Sie scheinen also offenbar die Vorstellung zu haben, KEN) dass der Westen militärisch über die Ukraine hergefallen ist . Auch da leben Sie in einer völlig falschen Realität . Martin Schulz hat mehrfach davon gesprochen, Ihr Herr Parteivorsitzender heute in der FAZ: Mehrheit jen- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie seits der Union .– Schauen Sie mal genau in den Antrag . der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- Sie können es schwarz auf weiß lesen: Auflösung der NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der LIN- NATO, Rückzug Deutschlands aus den militärischen KEN: Ist ja auch so!) Strukturen der NATO . – In diesem Zusammenhang muss ich mich jetzt mal an (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) die Freunde von der SPD wenden . Ich habe nämlich ei- nen gewissen Verdacht . Ihr habt ja im letzten Jahr eine Das steht hier drin . sehr merkwürdige Sitzung mit der Linkspartei gehabt, so (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, rich- eine Art spiritistische Sitzung mit Geisterbeschwörung . tig! – Franz Thönnes [SPD]: Hast du gerade (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – zugehört? Warum hörst du eigentlich nicht zu, Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Erwischt wenn ich rede?) worden!) – Herr Kollege, einer Partei, die derart lebensgefährli- chen Unsinn verzapft, darf man nicht zur Macht verhel- Ein paar Grüne, die dabei waren, sind auch erwischt wor- fen . Das ist klar . den . ( [SPD]: Das musst du vor deiner (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fraktion halten, nicht im Bundestag!) „Erwischt worden“?) Wenn Sie das nicht ganz schnell klarstellen, werden Sie – Der Toni ist gesehen worden . für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr wählbar sein . (Niels Annen [SPD]: Ich war nicht da!) Machen Sie lieber Folgendes: Loben Sie die großartigen Leistungen dieser Großen Koalition, und bekommen Sie Man weiß ja, dass bestimmte Kräfte der Linkspartei Ihre Lust am Untergang möglichst schnell in den Griff. gegen eine Beteiligung an einer Regierung mit der SPD (B) sind . Frau Wagenknecht will das, oder, genauer gesagt, Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . (D) das Ehepaar aus dem Saargebiet . Ich habe den Eindruck, (Beifall bei der CDU/CSU – Niels Annen dass Sie mit Ihrem Antrag eine rot-rot-grüne Koalition [SPD]: Das ist der Schulz-Effekt! – Franz sabotieren wollen . Thönnes [SPD]: Das ist blanke Panik! Die (Niels Annen [SPD]: Hast du Angst? – fürchten, dass die gesamte Bundes-CDU Alexander Ulrich [DIE LINKE]: „Saargebiet“ auf Berliner Niveau kommt! Mann, Mann, gibt es nicht mehr!) Mann! – Heiterkeit bei der SPD – Gegenruf des Abg . Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Herr Gehrcke, das ist gefährliches Terrain . Die alten Wie meinst du das?) SED-Kader in Ihrer Partei wollen endlich an die Macht . Also passen Sie auf, dass Sie in Ihrer Partei nicht in die Vizepräsident Johannes Singhammer: Minderheit geraten . Der Kollege Dr .Fritz Felgentreu spricht jetzt für die (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ SPD . DIE GRÜNEN]: Die Westeliten sind ganz (Beifall bei Abgeordneten der SPD) standhaft! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es geht nur um die Regierung!) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Sie landen am Ende noch vor der Arbeiter- und Bauernin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem spektion Ihrer Partei . Da müssen Sie aufpassen . die Emotionen jetzt so hochgekocht sind, vielleicht mal Liebe Sozialdemokraten, irgendwann kommt dieser wieder zurück zum Thema . Antrag ans Licht . Wir sind ja weitgehend unter uns; aber (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das war ja irgendwann liest das ein Journalist . Und Sie haben immer beim Thema! – Dr . Johann Wadephul [CDU/ noch die wahnhafte Vorstellung, Sie könnten Mehrheiten CSU]: Das ist unangenehm, das Thema! Ja, jenseits der CDU/CSU bilden . ja!) (Franz Thönnes [SPD]: Jetzt hört es aber auf! Das Verhältnis Deutschlands und der EU zu Russland ist Wer hat die denn?) kompliziert, aber die Beratung darüber ist heute eigent- lich ganz einfach . Also: Mit der AfD werden Sie nicht zusammengehen wollen . Mit der FDP ist es ganz schwierig . Es erinnert Lieber Kollege Gehrcke, wir brauchen keine neue mich immer an Goethes Faust: Ostpolitik . Die alte tut es auch, zeitgemäß formuliert, 21860 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Fritz Felgentreu (A) wie Franz Thönnes es eben getan hat . Wir haben mit die- riums als Niederlage auffassen, deren Folgen revidiert (C) ser alten Ostpolitik niemals aufgehört . Dass beide Seiten werden müssen . Es wäre ganz falsch, aus dieser Tatsache heute trotzdem wieder streiten, hat mit ein paar Grund- die These abzuleiten, dass die Ostpolitik auf dem Fun- satzentscheidungen zu tun, die in Moskau getroffen wor- dament der Westbindung gescheitert sei und durch eine den sind . nebulöse neue Ostpolitik unter Auflösung des Westens ersetzt werden müsse . Den Krieg in der Ukraine müssen (Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU]: Rich- wir auch vor dem Hintergrund dieser auf russischer Seite tig!) weitverbreiteten Mentalität verstehen. Aber „verstehen“ Aber bevor ich das erläutere, darf ich vielleicht noch heißt eben nicht „Akzeptanz“. einmal ins Gedächtnis rufen, worum es bei der Ostpoli- tik eigentlich geht, seitdem Willy Brandt, Egon Bahr und An Grundsätzen wie dem Selbstbestimmungsrecht auch Walter Scheel vor jetzt bald 50 Jahren damit ange- der Staaten und der Hoheit des Völkerrechts und inter- fangen haben . Die Ostpolitik hat aus meiner Sicht zwei nationalen Verträgen müssen wir mit Zähnen und Klauen Pfeiler: Der eine ist der Wandel durch Annäherung . Seine festhalten, wenn wir überhaupt eine Chance darauf haben Instrumente sind der Dialog, das Abstecken von Feldern, wollen, dass es mit dem Wandel durch Annäherung auch auf denen gemeinsame Lösungen möglich sind, Vertrau- in Russland selbst weitergehen kann . Die Sanktionen, ensbildung, der Abschluss von Verträgen und das größt- die die Linke kritisiert, sind ein angemessener Ausdruck mögliche Ausmaß an Handel und Wandel, um wirtschaft- dieser Haltung . Sie antworten konsequent auf die politi- liche, wissenschaftliche und menschliche Beziehungen schen und auf die ganz konkreten Grenzüberschreitun- zur Grundlage des Miteinanders zu machen . Daneben gen, die wir erleben mussten . Aber sie machen zugleich tritt ein zweiter Pfeiler, der genauso unverzichtbar ist, deutlich, dass wir den Streit mit Moskau nicht als einen um das Dach der Ostpolitik zu tragen . Das ist die West- Normalzustand betrachten und dass wir Russland wie- bindung Deutschlands, also die felsenfeste und nicht hin- dergewinnen wollen . Wir wollen Russland dafür wieder- terfragbare Verankerung in der Gemeinschaft der Länder gewinnen, dass es als verlässlicher Partner zur Sicherheit und Bündnisse, die sich durch die organische Verbindung Europas und der ganzen Welt beiträgt . von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszeichnen . Ähnliches gilt für die dauerhafte Präsenz dreier Meine Damen und Herren, es ist, glaube ich, kein Zu- ­NATO-Bataillone­ im Baltikum . Sie untermauern und de- fall, dass dieser zweite Pfeiler der Ostpolitik in dem An- monstrieren die Bündnissolidarität in einer für die betrof- trag der Linken mit keinem Wort auftaucht . Die Linke ist fenen Länder bedrohlichen Lage . Gleichzeitig sind sie, in großen Teilen nach wie vor eine politische Kraft, die wie wir alle wissen, überhaupt nicht in der Lage, Russ- sich mit der Westbindung nicht identifiziert. land zu bedrohen . Damit dienen sie einer Ostpolitik auf dem Fundament der Westbindung, wie Deutschland sie (B) (D) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) seit Jahrzehnten beharrlich verfolgt . Es gibt überhaupt Eine andere, am anderen Ende des politischen Spek­ keinen Grund, davon abzurücken . trums, schickt sich an, nach den Wahlen im September Eine neue Ostpolitik, wie die Linke sie sich vorstellt, rechts von der Union ihren Keil in dieses Haus zu treiben . kann zur Sicherheit Deutschlands und Europas nichts Für uns ist die Akzeptanz der Westbindung die Kompass- Gutes beitragen . Über einzelne gute Ideen, die der An- nadel, nach der sich die politischen Kräfte ausrichten, die trag der Linken gleichwohl enthält – ich denke zum Bei- aus dem Zweiten Weltkrieg den Schluss gezogen haben, spiel an Ihre Vorschläge zum Schüler- und Studenten- nie wieder strategisch einen deutschen Sonderweg einzu- austausch –, werden wir in den Ausschüssen konstruktiv schlagen, der uns in Opposition zu den USA, zu Großbri- diskutieren . tannien und zu Frankreich bringen muss . (Franz Thönnes [SPD]: Das ist ja nicht neu! – (Zuruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE Gegenruf des Abg . Dr .Christoph Bergner LINKE]) [CDU/CSU]: Das läuft, ja!) Lieber Herr Gehrcke, was ist das von Ihnen propagier- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . te kollektive Sicherheitssystem überhaupt? Letztlich ist dieses kollektive Sicherheitssystem nichts anderes als ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schönes Wort für einen solchen Sonderweg . Er führt un- der CDU/CSU) ser Land erst in die Irre und dann in Gefahr . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin : Vielen Dank .– Nächster Redner ist der Kollege Die deutsche Ostpolitik hat unglaubliche Erfolge ge- Dr . Bernd Fabritius, CDU/CSU-Fraktion . zeitigt . Sie war nicht die einzige, aber eine ganz wich- tige Voraussetzung dafür, dass wir am Ende des Kalten (Beifall bei der CDU/CSU) Krieges die Wiedervereinigung Europas in Frieden und Freiheit erleben durften . Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Wenn wir heute, mehr als 25 Jahre nach diesem histo- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die rischen Durchbruch, dennoch wieder Streit mit Russland deutsche Außenpolitik dieser Legislaturperiode legt haben, dann liegt das unter anderem daran, dass es unter einen Schwerpunkt auf die Länder in der näheren und den Eliten des russischen Staates immer einflussreiche weiteren östlichen Nachbarschaft Deutschlands . Gründe Netzwerke gegeben hat, die das Ende des Sowjetimpe- dieser Fokussierung sind die traditionell guten Beziehun- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21861

Dr. Bernd Fabritius (A) gen Deutschlands zu diesen Ländern, aber auch eine lei- schenrechte . Im Interesse der Stabilität Europas müssen (C) der notwendige Krisendiplomatie . Die Beziehungen zu wir deshalb entschieden jeder Verletzung gemeinsamer und Gespräche mit Russland stellten entsprechend einen Werte entgegentreten . Russland, Herr Gehrcke, kultiviert weiteren Schwerpunkt dar . Inhaltlich ging es zumeist um das Recht des Stärkeren . Wir müssen diesem die Stärke Sanktionspolitik oder Konflikte, an denen Russland in des Rechts entgegensetzen . verschiedenen Formen beteiligt ist . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ach, das Wir stehen in unseren Beziehungen zu den vielen wäre schön, wenn ihr das machen würdet!) unterschiedlichen Ländern Osteuropas und zu Russland Weltweit erleben wir derzeit Versuche, Rechtsstaat- vor ganz unterschiedlichen Herausforderungen . Wenn lichkeit und Gewaltenteilung durch Verfassungsänderun- eine neue Ostpolitik formuliert werden soll, dann müs- gen, Dekrete oder Gesetze auf eine Weise zu schwächen, sen Vielfalt und Unterschiede vorhandener Potenziale in welcher die Demokratie in den jeweiligen Ländern dieser riesigen Region, um die es geht, darin Nieder- ernsthaft in Gefahr gebracht wird . Dieses Phänomen be- schlag finden. Diese Vielfalt, Herr Gehrcke, vermisse schränkt sich nicht auf Osteuropa; doch kommt dieser ich im vorliegenden Antrag der Linken vollständig . Ge- Region eine Schlüsselrolle für die Stabilität Europas und schrieben steht „Ostpolitik“, gemeint ist einzig und al- damit Deutschlands zu . lein „Russlandpolitik“. Das gipfelt in dem Satz: „Eine große Mehrheit . . in unserem Land wünscht eine Politik In der Ukraine geht die Korruptionsbekämpfung nur der friedlichen Koexistenz und guten Nachbarschaft mit quälend langsam voran . Antikorruptionsgesetze, die teil- Russland.“ Es scheint, als würden unsere direkten und weise seit Jahren umgesetzt werden sollten, werden ver- mittelbaren Nachbarn, etwa Polen oder das Baltikum, schleppt . und deren Sorgen und Nöte in Ihren Vorstellungen über- In Rumänien konnte nur durch den beherzten und haupt nicht existieren . friedlichen Protest der Bevölkerung gegen die eigene Diese Mentalität, Herr Gehrcke, ist es, die in vielen Regierung eine Regelung vorerst verhindert werden, die osteuropäischen Staaten Misstrauen gegen eine Ostpo- es wegen Korruption verurteilten Politikern der eigenen litik Ihrer Vorstellung schürt . Zu oft wurde bereits über Partei ermöglicht hätte, hohe Regierungsämter zu über- die betreffenden Länder hinweg und deren Schicksal ent- nehmen . Das Problem ist noch nicht gebannt . schieden; der Hitler-Stalin-Pakt ist angesprochen wor- In Polen hat die faktische Lähmung des Verfassungs- den . gerichts die Venedig-Kommission des Europarats zu der Zentrale Elemente maßgeschneiderter Ostpolitiken – alarmierenden Stellungnahme veranlasst, es werde der- das ist das, was wir eigentlich brauchen; Herr Kollege zeit offenbar sichergestellt, dass das Verfassungsgericht (B) Thönnes, Sie haben Multipolarität zu Recht angespro- im Einklang mit der derzeitigen politischen Mehrheit (D) chen – müssten freier Handel und wirtschaftliche Zu- agiere . sammenarbeit, eine mit der NATO und den europäischen Meine Damen und Herren, dass die Bundeskanzlerin Partnern abgestimmte Sicherheits- und Verteidigungs- dies bei ihrem Besuch in Warschau vergangene Woche so politik sowie die Förderung politischer Stabilität durch deutlich kritisiert hat, war genau richtig . Es war die erfor- Rechtsstaatlichkeit und Stärkung der Demokratie sein . derliche Unterstützung der Polen in ihrem Kampf für de- Die wirtschaftliche Komponente, meine Damen und mokratische Werte, den diese seit Jahrhunderten führen . Herren, decken wir unter anderem über die EU durch Bereits 1791 verabschiedete der Sejm die erste freiheit- vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen im liche Verfassung Europas . In den 80er-Jahren stritt die Rahmen geschlossener Assoziierungsabkommen ab . Für Solidarnosc für mehr Beteiligungsrechte und erkämpfte Länder ohne solche Abkommen müssen ähnliche Forma- freie Wahlen . Die Bundeskanzlerin hat die Polen daran te noch entwickelt werden . erinnert, was Polen und was Europa stark gemacht hat: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine freie Zivilge- Die ersten wichtigen Schritte im Rahmen einer den sellschaft . veränderten Bedingungen angepassten Sicherheits- und Verteidigungspolitik stellen mit Sicherheit die Trup- In Grundzügen wurde diese Vorstellung nach der poli- penverlegungen im Rahmen der jüngsten NATO-Mis- tischen Wende sogar in Russland geteilt . Perestroika und sion dar . Diese Maßnahmen sind nach der Intervention Glasnost beruhten darauf . Dass es dort zu einem erneuten Russlands in der Ostukraine und der Annexion der Krim Wertewandel zum Negativen hin gekommen ist, der auf schlicht notwendig . Dass Sie, Herr Gehrcke, in Ihrem Abgrenzung statt auf Zusammenarbeit basiert, macht ge- Antrag fordern – Zitat –, „dem Narrativ einer russischen rade eine neue, entschiedene Ostpolitik notwendig . Aggression ... entgegenzutreten“, ist, mit Verlaub, post- In einem einzigen Punkt würde ich Ihrem Antrag zu- faktisch und deswegen abzulehnen . stimmen . Herr Gehrcke, ich habe lange gesucht, bis ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und etwas gefunden habe, dem man zustimmen kann . der SPD) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber gespannt!) Besondere Schwerpunkte einer durchdachten Ostpoli- tik müssen der Schutz von Grundrechten und die Förde- Sie fordern – das wurde bereits erwähnt; Sie fordern es rung der Rechtsstaatlichkeit sein . Der KSZE-Schlussakte leider halblaut und nur im letzten Satz; ich zitiere – eine von Helsinki ist klar zu entnehmen: Keine Menschenrech- Verstärkung der Studienförderung und des Studierenden- te ohne Sicherheit, aber auch keine Sicherheit ohne Men- austausches . Damit, allein damit haben Sie recht . Solche 21862 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Bernd Fabritius (A) Projekte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die (C) dienen der Völkerverständigung und sollten darum in Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die eine ausgewogene Ostpolitik nachhaltig einfließen. Parlamentarische Staatssekretärin Dr . Maria Flachsbarth . Bitte schön . Danke . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Maria Flachsbarth, Parl . Staatssekretärin beim Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Sitzungswochen hat der Deutsche Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla- Bundestag häufig zentrale Themen aus dem Bereich der ge auf Drucksache 18/11167 an die in der Tagesordnung Landwirtschaft, der Ernährung und der ländlichen Räu- aufgeführten Ausschüsse zu überweisen .– Ich sehe, dass me debattiert . Mich freut, dass damit diese für unser Sie damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung Land und unsere Gesellschaft so wichtigen Themen in so beschlossen . die Mitte der parlamentarischen Aufmerksamkeit gerückt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: wurden . Denn genau dahin, in die Mitte, gehört auch die Landwirtschaft selbst – in die Mitte der Gesellschaft . a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Wir verdanken der deutschen Landwirtschaft viel . Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes Noch nie in unserer Geschichte hatten wir so gesunde, so und anderer Vorschriften sichere und so vielfältige Lebensmittel wie heute . Drucksache 18/7557 (Beifall bei der CDU/CSU) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Das leisten in erster Linie unsere Bäuerinnen und Bau- ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - ern . Unsere Bauernfamilien haben deshalb unsere Unter- schuss) stützung und unsere Wertschätzung verdient . Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Drucksache 18/11171 wir: Die deutsche Landwirtschaft kann nur dann erfolg- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- reich arbeiten, wenn sie von einer breiten gesellschaft- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- lichen Akzeptanz getragen ist . Zu einer gesellschaftlich wirtschaft (10 .Ausschuss) akzeptierten landwirtschaftlichen Nutztierhaltung leistet (B) die Einigung beim Düngepaket, über das wir heute spre- (D) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr .Kirsten chen, einen wesentlichen Beitrag . Tackmann, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE LINKE GRÜNEN]: Dass Sie da noch mal hinkom- men!) Wasserqualität für die Zukunft sichern – Düngerecht novellieren Wir müssen unser Grundwasser vor übermäßigen Nitrateinträgen schützen und die Ammoniakemissionen – zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich aus der Landwirtschaft reduzieren . Aber wir müssen Ostendorff, Peter Meiwald, Harald Ebner, unseren Landwirten auch die Möglichkeit geben, ihre weiterer Abgeordneter und der Fraktion Pflanzen bedarfsgerecht mit Nährstoffen zu versorgen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Neues Düngerecht endlich beschließen Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE Drucksachen 18/1332, 18/9044, 18/11171 GRÜNEN]: Das ist aber ein bisschen viel!) Jetzt sind die Umweltpolitikerinnen und -politiker ge- Ich freue mich deshalb, dass uns mit der neuen Dün- fordert . geverordnung ein ausgewogener Ausgleich zwischen den (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE Umweltinteressen, Frau Höhn, GRÜNEN]: Die Landwirtschaftspolitiker, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Ganz wichtig! Das ist ein NEN]: Genau!) Unterschied!) und einer praxistauglichen Lösung für unsere Bauern ge- – Die Landwirtschaftspolitiker . lungen ist . Das Düngegesetz, das wir heute beraten, bildet Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein die gesetzliche Grundlage für die Düngeverordnung und Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- damit auch für die Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie in nen vor . Deutschland . Damit ist ein Paket geschnürt, das der bäu- erlichen Landwirtschaft ein ökonomisch tragfähiges und Interfraktionell wurde vereinbart, dass die Aussprache zugleich ressourcenschonendes Wirtschaften ermöglicht . 38 Minuten dauern soll .– Ich sehe, Sie sind damit einver- Gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium und den standen . Dann ist so beschlossen . Ländern haben wir uns darauf verständigt, die Steuerung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21863

Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth (A) und Überwachung von Nährstoffströmen deutlich zu ver- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) bessern. Hier schafft der Bund die gesetzlichen Vorga- Vielen Dank . – Als Nächstes hat Dr . Kirsten Tackmann, ben; bei der Kontrolle sind aber die Länder gefordert . Fraktion Die Linke, das Wort . Mit der Düngegesetzgebung haben wir eine stärkere (Beifall bei der LINKEN) Regionalisierung und damit standortangepasste Differen- zierung des Düngerechts vereinbart . Es sieht beispiels- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): weise zusätzliche Vorgaben für Gebiete mit kritischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nitratwerten vor, aber eben auch Entlastungen für un- Liebe Gäste! Zu viel Dünger auf den Feldern und zu viel problematische Gebiete . In der Novelle der Düngever- Nitrate in den Gewässern und im Grundwasser – das hat ordnung vorgesehene Maßnahmen sind unter anderem unterdessen wohl jeder schon mal gehört . Das beunruhigt die bundeseinheitliche Regelung der Düngebedarfser- oder alarmiert immer mehr Menschen. Ich finde, das pas- mittlung für Stickstoff auf Acker- und Grünland, die siert zu Recht und nicht nur in den besonders betroffenen Verlängerung der Zeiträume, in denen keine Düngemittel Regionen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens . ausgebracht werden dürfen, sowie die Ausweitung der Um dieses Problem der Überdüngung zu lösen, muss Abstände für die Stickstoff- und Phosphatdüngung in der das Düngerecht endlich novelliert und geändert werden . Nähe von Gewässern . Aber weil Deutschland seine Hausaufgaben eben nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle der gemacht hat, sitzt uns mittlerweile auch die EU mit Kla- Düngeverordnung zielt darauf ab, den Stickstoff effizien- gen und einem Vertragsverletzungsverfahren im Nacken . ter zu verwerten und die Emissionen von Ammoniak bei Angesichts dieses Handlungsdrucks finde ich, dass diese der Düngung zu reduzieren . Zudem wird das Verfahren jahrelangen, endlosen Debatten in der Koalition unver- zur Ermittlung des Stickstoffdüngebedarfs der Pflanzen antwortlich sind . weiterentwickelt, konkretisiert und bundesweit verein- (Beifall bei der LINKEN) heitlicht . Der ermittelte Düngebedarf darf in der Regel nicht überschritten werden . Damit die landwirtschaftli- Mindestens zweimal wurde dieses Gesetz zu Weih- chen Betriebe die notwendigen Vorgaben aber leichter nachten versprochen; die Bescherung blieb aus . Mehr- umsetzen können, werden wir neue Techniken fördern, fach wurden endgültige Einigungen öffentlich verkündet zum Beispiel die bodennahe Ausbringung von Gülle . Ich und wieder zurückgezogen . Mehrfach stand das Gesetz denke, das ist ausgesprochen sinnvoll . auf der Tagesordnung des Bundestages, wurde dann aber wieder abgesetzt . Unterdessen ist vielen in der Land- Mit der Einigung beim Düngepaket setzen wir auch wirtschaft eigentlich nur noch wichtig, dass entschieden (B) das Bekenntnis aus dem Koalitionsvertrag um, eine flä- wird, und nicht mehr, was .– Wenn das Ihr großer Plan (D) chengebundene landwirtschaftliche Nutztierhaltung in war, ist zumindest der aufgegangen . Wenn die Strate- Deutschland anzustreben . gie verfolgt wurde: „Wer nicht überzeugen kann, sollte wenigstens Verwirrung stiften!“, waren Sie auch damit Sehr herzlich danke ich allen beteiligten Kolleginnen zeitweise erfolgreich . Aber vertrauensbildende Politik ist und Kollegen, insbesondere aus den Koalitionsfraktionen das leider nicht . und aus den Ländern, für wirklich konstruktive Beiträge . Es hat lange gedauert, aber jetzt ist es endlich gut . Ich bin (Beifall bei der LINKEN) zuversichtlich, dass wir die Beratungen im Bundesrat vo- Dabei geht es hier um ein ganz wichtiges Spannungs- raussichtlich im März dieses Jahres abschließen können . feld . Bisher steht nämlich auf der einen Seite der Schutz des öffentlichen Guts Wasser und der Naturressource Lieber Kollege Priesmeier, es waren tatsächlich nicht Boden vor zu hohen Nährstoffeinträgen. Auf der anderen immer ganz einfache Verhandlungen . Seite steht die Ertragssicherung als Grundlage der Le- (Dr .W ilhelm Priesmeier [SPD]: Oh nein!) bensmittelversorgung, zu der Düngung gebraucht wird . Dabei geht es auch um landwirtschaftliche Einkommen; Aber es hat sich gezeigt, dass nur im konstruktiven Mit- es ist also auch eine soziale Frage . einander und in einem fairen Dialog sinnvolle Lösungen (Beifall bei der LINKEN) erreicht werden können . Daran sollten wir für den Rest der Legislaturperiode gemeinsam festhalten . Wir drü- Eine vernünftige Lösung muss endlich dieses Gegenei- cken uns nicht vor schwierigen Themen, liebe Kollegin- nander von Schützen und Nutzen beenden . Beides muss nen und Kollegen, sondern wir steuern mit Augenmaß eng miteinander verknüpft werden . Dieses neue Denken nach und gehen die Akzeptanzprobleme der landwirt- wird dringend gebraucht, ist aber leider nur partiell er- schaftlichen Nutztierhaltung damit wirkungsvoll an . Die kennbar . Menschen erwarten von uns, dass wir liefern, und mit dem Düngepaket haben wir geliefert . Ich bitte Sie daher, Deshalb ist aus Sicht der Linken mit der heutigen Be- dem von Bundesminister Christian Schmidt vorgelegten schlussfassung die Kuh eben noch nicht vom Eis . Ich bin Düngegesetz zuzustimmen . mir nicht sicher, ob die Kompromisse von Union und SPD in Brüssel und vor der Realität standhalten, zum Herzlichen Dank . einen, weil zum Beispiel schwammige und vage Formu- lierungen im Gesetz zu viel Platz für Ausweichmanöver (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . in der Umsetzung lassen . Viele Betriebe müssen zum Dr .W ilhelm Priesmeier [SPD]) Beispiel erst 2023 überhaupt etwas ändern . Zum anderen 21864 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Kirsten Tackmann (A) müssen das Düngegesetz und die Düngeverordnung ge- Behörden nun koordinierter handeln können, halten wir (C) meinsam betrachtet werden . Die Verordnung wurde aber für vollkommen richtig und wichtig . erst gestern im Bundeskabinett beschlossen . Dem Aus- schuss liegt sie nicht vor, Aber zwei dringende strukturelle Ursachen des Pro- blems werden bisher überhaupt noch nicht angegangen, (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE zum einen die hohen oder zu hohen regionalen Tierdich- GRÜNEN]: Wir haben sie da noch nicht ge- ten und zum anderen die Megaställe, die es leider in eini- sehen!) gen Regionen schon gibt . Als Linke wollen wir, dass die und selbst auf der Homepage des Ministeriums war sie Tierbestände fest an regional verfügbare Flächen gebun- heute Vormittag noch nicht zu finden. den und angepasst werden . (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) GRÜNEN]: Wir kennen sie!) Nur dann geht es nämlich um Düngung mit und nicht um Vielleicht wissen die Umweltverbände ein bisschen Entsorgung von Gülle, und daran werden wir festhalten . mehr . Jedenfalls sehen sie wie wir das Gesetz als ers- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ten Schritt in die richtige Richtung . Aber auch sie be- zweifeln, dass die Vorgaben der EU erfüllt werden, und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- befürchten nach wie vor Strafzahlungen in Milliarden- NIS 90/DIE GRÜNEN) höhe wegen weiter zu hoher Nitratbelastung besonders im Grundwasser . Wenn Brüssel diese Kompromisse der Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Koalition wieder kassiert, dann wäre es ein Desaster, und Vielen Dank . – Für die SPD spricht jetzt Dr .W ilhelm zwar nicht nur für die Koalition, sondern leider und vor Priesmeier . allem für die Landwirtschaft; denn die braucht endlich Planungssicherheit . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen NIS 90/DIE GRÜNEN) und Kollegen! Ich beginne meine Rede heute natürlich Trotz dieser Zweifel wird die Linke heute dieses Dün- nicht mit einer Bauernregel, sondern mit der Feststel- gegesetz nicht ablehnen . Ich sage Ihnen auch, warum: lung, dass heute ein guter Tag für die Umwelt ist und vor allem, weil immerhin ein Paradigmenwechsel gelun- wir im Hinblick auf die Landwirtschaft mit dem ganzen gen ist und auch im Gesetz verankert wurde, wie es Pro- Paket, das in den letzten Wochen und Monaten immer fessor Taube von der Uni Kiel in der Ausschussanhörung zur Diskussion stand – von der Düngeverordnung über (B) formulierte . Ziel dieses Gesetzes ist nämlich nicht mehr das Düngegesetz bis zu der Anlagenverordnung –, einen (D) nur der maximale Ernteertrag, entscheidenden Schritt auch in Richtung Nachhaltigkeit gehen . (Dr .W ilhelm Priesmeier [SPD]: Genau!) Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben schon im De- sondern die Sicherung der Ernteerträge ist jetzt mit dem zember 2012 in einem Antrag eine ganze Reihe von For- Schutz der Gewässer und des Grundwassers eng ver- derungen gestellt . Diese Forderungen setzen wir mit dem knüpft . Das ist richtig und überfällig . heutigen Tage um . Das heißt, wir versprechen nicht nur, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sondern die SPD liefert auch . Das dient übrigens auch der Sicherung der Ernten in der Auf dem Weg dahin hatten wir natürlich eine ganze Zukunft; denn gesunde Gewässer und Böden sind doch Reihe von Widerständen zu überwinden . Die Einsicht bei die besten Verbündeten der Landwirtschaft . vielen politischen Akteuren und auch bei den Betroffenen des Berufsstandes war nicht immer in dem Maße ausge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) prägt, wie ich das erwartet habe . Ich erinnere mich an Im letzten Moment wurde sogar der Zweck des Ge- eine Pressekonferenz aus dem Januar 2015 . Da wurden setzes noch verstärkt. Nun sollen Nährstoffverluste in die noch Dinge wie „längere Sperrfristen“, „strengere Vor- Umwelt nicht nur verringert werden, wie es ursprünglich gaben für Phosphatdüngung“ und „Hoftorbilanz“ seitens im Entwurf der Bundesregierung zu lesen war, sondern des Bauernverbandes als inakzeptabel oder nicht not- vermieden werden . wendig abgelehnt . Auch bei der Hoftorbilanz hat sich Gott sei Dank die Mittlerweile ist ein Sinneswandel eingetreten – ich SPD durchgesetzt . Bei richtiger Ausgestaltung ist das befürworte das –, sodass wir heute, glaube ich, auch im durchaus ein wichtiges Instrument für die Betriebe, um Sinne der Zukunft unserer Betriebe – auch unserer Ver- Überdüngung zu vermeiden . Dass das jetzt im Gesetz edelungsbetriebe – zur Verabschiedung eines Gesetzes nach dem Willen der Union „Stoffstrombilanz“ heißen kommen, das sich nachhaltig auf die deutsche Landwirt- muss, schaft auswirken wird . (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Genau!) Der Handlungsdruck war enorm, auch vor dem Hin- tergrund der Verletzung der Nitratrichtlinie und der im ändert hoffentlich an dieser Tatsache nichts. Oktober eingegangenen Klage . Das macht deutlich, dass Längst überfällig ist auch, dass die Gärreste in die man letztendlich auch vor diesem Hintergrund angefan- Düngemittelbilanz einbezogen werden . Auch dass die gen hat, sich aufeinander zuzubewegen . Ich war dazu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21865

Dr. Wilhelm Priesmeier (A) immer bereit . Manchmal ist der Weg zum Ziel aber eben menden Betriebe risikoorientiert kontrollieren können –, (C) ein bisschen schwierig und mühselig . Ich habe darum ge- eine neue Möglichkeit der Umsetzung bekommen, so- kämpft, und im Endeffekt ist es auch gelungen, glaube dass wir letztendlich auch da auf der sicheren Seite sind . ich, wesentliche Bestandteile zur Verbesserung umzuset- Damit gewährleisten wir für die Länder den Vollzug und zen . ermöglichen es ihnen auch, den Vollzug darzustellen . Das zentrale Problem ist hier eben schon angespro- Wir orientieren uns – das ist schon erwähnt worden – chen worden, nämlich natürlich die Entkoppelung der nicht mehr unbedingt an dem maximal möglichen Flä- Veredelungswirtschaft von der Fläche . Das kann man chenertrag, sondern es muss zwischen Ertrag auf der ei- nicht dauerhaft hinnehmen . 2,4 Großvieheinheiten sind nen Seite und freiwerdenden Emissionen auf der anderen etwa die Größe, bis zu der das noch funktioniert . Ab da Seite abgewogen werden . Beides muss in etwa gleich- funktioniert es eben nicht mehr, und es entstehen zusätz- berechtigt berücksichtigt werden . Das ist ein qualitativer liche Kosten für die Betriebe und für den Sektor . Fortschritt und an sich alternativlos . (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir schließen das Schlupfloch mit den Biogasanlagen NEN]: 2,4 ist zu viel!) in bestimmten Veredlungsregionen . Das wird nachhaltige Folgen haben; denn das war häufig die Ursache dafür, Wenn man das, was nicht mehr auf die Fläche passt, dass es zu qualitativen Verschlechterungen gekommen trotzdem auf der Fläche entsorgt, dann entstehen zusätz- ist . liche Kosten für die Allgemeinheit und unter Umständen auch Belastungen für zukünftige Generationen durch eine Die Länder werden verpflichtet, in den zusätzlich be- Verunreinigung von Trinkwasser . Ich glaube, mit den jet- lasteten Gebieten besondere Maßnahmen zu ergreifen . zigen Vorgaben machen wir dem ein Ende und sorgen Das können sie nicht nur tun, sondern sie werden dazu dafür, dass nachhaltig eine entsprechende Verbesserung verpflichtet. Darauf sollte man hinweisen. der Gewässergüte der Grundwasserkörper erreicht wird . Ich glaube – das ist auch eine ganz wesentliche Er- Unser politisches Ziel als SPD ist es, die Tierhaltung kenntnis, die ich in dem gesamten Verhandlungsprozess wieder an die Fläche zu binden . Das haben wir auch in gewonnen habe –, hinterher finden sich doch alle zusam- den Koalitionsvertrag geschrieben . men . Aus diesem Grund darf ich allen recht herzlich dan- ken, vor allen Dingen dem Kollegen Holzenkamp, den (Beifall der Abg . Christina Jantz-Herrmann beiden beteiligten Ministerien, und zwar dem Umwelt- [SPD]) ministerium und dem Landwirtschaftsministerium . Auch Das ist umweltverträglich und letztendlich auch nachhal- dem grünen Agrarminister aus Niedersachsen möchte ich (B) tig und wirtschaftlich . Daran wird auch kein Weg vor- danken, (D) beiführen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In der Vergangenheit gab es die Schwierigkeit, dass sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich man die wissenschaftlichen Grundlagen zum Dünge- Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: recht, die seitens der uns beratenden Wissenschaft vor- Guter Mann!) getragen worden sind, nicht immer entsprechend regis- der durch seine intensiven Verhandlungen mit der Bay- trieren wollte . Ich glaube, dass wir jetzt auch mit der erischen Staatskanzlei bzw . dem Bayerischen Staatsmi- Umstellung des Systems auf ein Bruttobilanzierungs- nister dazu beigetragen hat, schlussendlich einen Kom- system jeden dazu bringen, dass er sich ehrlich macht, promiss zu finden. sodass sich keiner mehr einen schlanken Fuß macht und mit Faustzahlen rechnet . (Beifall des Abg . [SPD]) Es ist noch nicht alles umgesetzt, was wir zu gegen- Manche Vereinbarungen in dem Kompromiss erschlie- wärtigen haben . Kernelement dessen, was wir verhandelt ßen sich mir allerdings nicht so ganz . haben, ist die sogenannte Stoffstrombilanz oder Hoftor- bilanz – wie immer man das auch bezeichnen mag . Mir Ich nenne hier zum einen die Möglichkeit von Futter- ist es an sich egal, wie man das bezeichnet; Hauptsache, baubetrieben, 25 Prozent ihres Grundfutters als Verluste das System sowie die Bilanzierung funktionieren, und im Nährstoffvergleich pauschal abzuziehen. Hauptsache, wir haben ein System, das hinterher auch Ein anderer Punkt ist die Tatsache, dass es in Bayern vollzugsfähig ist! und auch in anderen Bundesländern noch möglich ist, die (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Nicht bü- Gülle bis spätestens vier Stunden nach der Ausbringung rokratisch!) einzuarbeiten . Wer Ammoniak einsparen will, der muss das zügig tun . Der größte Teil des Ammoniaks wird nach Das bisherige Düngerecht ist zwar ganz nett, aber in gar ein oder zwei Stunden, manchmal auch nach drei oder keiner Weise vollzugsfähig . Bußgeldbescheide enden vier Stunden nach dem Ausbringen freigesetzt . Das hängt häufig vor den Verwaltungsgerichten und haben keinen von den Wetterbedingungen ab . Da ist vielleicht noch ei- Rechtsbestand, weil die Beweislage nicht eindeutig ist . niges nachzubessern . Ich nehme an, dass wir mit der jetzt vorgesehenen Re- Auch im Bereich der Phosphatbegrenzung hätte man gelung, auf vorhandene Daten zuzugreifen – das war ein ambitionierter vorgehen können . Im Hinblick auf die hartes Stück Arbeit in den Verhandlungen, die Regelung Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist damit sicher- umzusetzen, dass die Kontrollbehörden die infragekom- lich noch nicht das Ende erreicht . 21866 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Wilhelm Priesmeier (A) Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass die statt das Steuergeld wegen politischer Untätigkeit aus (C) Düngegesetzgebung die Kolleginnen und Kollegen des dem Fenster zu werfen, wie Sie es tun . Deutschen Bundestages auch in der nächsten Legisla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tur – mich nicht mehr, ich werde dann dem Bundestag nicht mehr angehören – beschäftigen wird . Das wären sinnvolle Investitionen . (Rainer Spiering [SPD]: Sicher!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den Umbau der Tierhaltung werden Bäuerinnen und Bauern und Ge- Nicht vergessen werden darf natürlich der Dank an sellschaft endlich wieder zusammengeführt . Nehmen Sie den Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern, Till Back- von der CDU/CSU doch endlich wahr, dass Politik heute haus, der in den Verhandlungen immer verlässlich war, verbindende Impulse geben muss, statt die Spaltung der was Informationen und Hintergründe betrifft. Ihn darf ich Gesellschaft weiter voranzutreiben! als großen sozialdemokratischen Agrarminister auf der Länderebene natürlich nicht vergessen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Max (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Groß Straubinger [CDU/CSU]: Wer spaltet denn? ist er nicht!) Die Grünen!) Vielen Dank fürs Zuhören . – Hören Sie zu! – Das zeigt doch auch – und das lernen wir jetzt gerade – die unsägliche Bauernregel-Plakatak- (Beifall bei der SPD) tion von Ministerin Hendricks: Dialogorientierte statt spaltende Politik ist heute angesagt . Das ist zeitgemäß .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Klage der EU ist berechtigt, liebe Kolleginnen Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen spricht und Kollegen . Es muss sich in Deutschland endlich et- jetzt Friedrich Ostendorff. was ändern . Die EU wies immer wieder darauf hin, dass Deutschland die Verseuchung des Grundwassers mit Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viel zu hohen Nitratmengen beenden muss . Sie und Ihr NEN): Minister haben aber sechs Jahre untätig ins Land gehen lassen, um jetzt endlich doch noch im März eine mit den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Ländern abgestimmte Düngeverordnung vorzulegen . Herren! Wer hätte das gedacht? Wir Grünen jedenfalls nicht . Sie legen uns heute doch noch ein neues Dünge- Das Gesamtpaket aus Düngegesetz und -verordnung gesetz vor . ist aber aus grüner Sicht trotzdem kein goldener Wurf . (B) (D) (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Doch! Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben wir doch angekündigt!) Warum? An zu knapp bemessener Zeit kann es doch Zwar von der EU gemahnt, aber seit 2011 von Ihnen nur wohl nicht gelegen haben . Nein, es liegt daran, dass Sie zähes Taktieren, Verschieben, Nichtstun, sich wieder einmal in den Fallstricken der agrarindustri- ellen Tierhaltung total verheddert haben . ( [CDU/CSU]: Alte Leier!) Übrigens kam von Ihnen auch noch auf den Tisch – statt endlich die Güllefluten von unserem Grundwasser dabei kann niemand begreifen, dass das überhaupt ein fernzuhalten . Das Abblocken aller vernunftbasierten Ar- Diskussionspunkt ist –, dass die gesellschaftlich ge- gumente, stattdessen das kategorische Nein aus Bayern wünschte Weidehaltung, aber auch die Strohhaltung und das vom Bauernverband Geforderte umsetzen – von Tieren, sprich Festmistwirtschaft, die sowieso viel aufwendiger und überhaupt kein Problem ist, zu Verur- (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wir denken sachern gemacht werden sollte . Wenigstens das ist ver- eben auch an die kleinen Betriebe!) hindert worden . das ist leider die Politik von Herrn Minister Schmidt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Marlene Mortler . Es begreift aber auch niemand in dieser Gesellschaft, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – warum das Verschmutzen des Gemeingutes Wasser und Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr wolltet die Boden mit Nitrat und Phosphat durch Güllefluten nicht kleinen Betriebe plattmachen!) endlich beendet wird . Es ist unfassbar, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die notwendigen Verschärfungen so lange verzögert wur- Den heute vorliegenden, unzureichenden Kompro- den, bis endlich die EU tätig wurde und die Klage auf missvorschlag haben wir allein Landwirtschaftsminister den Weg brachte . Übrigens: Mit den möglichen Straf- Meyer aus Niedersachsen und vielen anderen Landesag- zahlungen von 830 000 Euro Steuergeld pro Tag – sie rarministern, aber vor allen Dingen auch dem Kollegen sind ja nicht undenkbar; denn wir wissen nicht, was die Dr .W ilhelm Priesmeier zu verdanken . EU jetzt macht – ließen sich täglich 70 Betriebe mit 2 000 Schweinen mit Abgasreinigungsanlagen ausrüsten . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es ließen sich auch – das fänden wir Grüne noch besser – ordneten der SPD und der Abg . Dr . Kirsten täglich zwei Außenklimaställe für 500 Schweine bauen, Tackmann [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21867

Friedrich Ostendorff (A) Dafür müssen wir heute einfach einmal Dank sagen . Bis Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) zuletzt wurde immer wieder versucht, den mühselig aus- Vielen Dank .– Für die CDU/CSU hat jetzt der Kolle- gehandelten Kompromiss mit Kanonenbootpolitik Ihrer- ge Waldemar Westermayer das Wort . seits kaputtzumachen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: „Kanonenbootpolitik“! Schäm Waldemar Westermayer (CDU/CSU): dich doch!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute die No- Es ging Ihnen von CDU/CSU ausschließlich um Ver- vellierung des Düngegesetzes, und ich kann sagen: Wie- ursacherschutz . Es ging Ihnen nicht um Wasserschutz . der einmal schlecht gebrüllt, Herr Friedrich Ostendorff! Wasserschutz war mit Ihnen nicht zu machen . Das ist die Zuerst redet man von politischen Verbindungen, und bittere Realität . dann spaltet man wieder die ganze Diskussion . Wir Grünen lehnen diesen unzureichenden Kompro- Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass Wirt- miss ab. Eine Stoffstrombilanz erst über 2,5 Großvie- schaftsdünger kein Abfall ist, sondern eine wertvolle heinheiten pro Hektar bis 2023 – jetzt wird es leider Nährstoffquelle für die Pflanzen darstellt. sehr fachlich; das sind zweieinhalb Kühe – betrifft nur (Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn 6,7 Prozent der tierhaltenden Betriebe . Das reicht nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn aus, um die Nitratbelastung im Grundwasser ausreichend es zu viel ist, dann ist es Abfall!) zu minimieren . Zielvorgabe für die Neuregelung des Düngerechts in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland war aus meiner Sicht deshalb, dass sowohl sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die bedarfsgerechte Pflanzenernährung als auch der Schutz der Gewässer gewährleistet werden . Der vorlie- Wir brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stoff- gende Gesetzentwurf wird dieser Zielvorgabe gerecht . strombilanz für alle Betriebe über der Bagatellgrenze von Durch eine noch bessere, gezieltere Nutzung von Wirt- 50 GV – also umgerechnet 50 Kühe – und 20 Hektar Flä- schaftsdünger können wir höhere Erträge bei verringer- che . tem Verbrauch von Mineraldünger erreichen . Für die Ernährung einer immer größer werdenden Weltbevölke- Ob dieser unzureichende Kompromiss vor dem kriti- rung sind diese Effizienzsteigerungen besonders wichtig. schen Auge Europas Bestand haben wird, ist sehr zwei- Aber auch der Schutz von Boden, Gewässern und Kli- (B) felhaft . Eines ist aber allemal klar: Es gibt überhaupt kei- (D) ne Akzeptanz mehr dafür, dass die Steuerzahler weiter ma liegt im originären Interesse von uns allen . Deshalb für die Reparatur des Wassers und der Böden bezahlen haben wir in Deutschland im Wasser- und Bodenrecht be- müssen . reits ein hohes Regelungs- und Schutzniveau . Trotzdem ist für uns klar, dass wir den vorhandenen Überschreitun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen der Nitratgrenzwerte bei einem Teil der Messstellen entgegenwirken müssen . Um diese Einträge ins Grund- Die viel zu hohen Phosphateinträge, die Wasserrahmen- wasser zu vermeiden, müssen wir die Vorschriften über richtlinie und die NEC-Richtlinie – dafür gibt es nach wie die Düngung anpassen . Gerade in Gebieten mit belaste- vor keine Lösung . Wir sind in der Nitratfrage ganz am ten Wasserkörpern hat die Reduzierung des Eintrags von Anfang . Wir haben noch lange nicht das Ende erreicht . Nitrat eine hohe Priorität . Dieser Problematik stellen wir Hier gilt es nach wie vor, den Druck aufrechtzuerhalten uns und stiften keine Verwirrung, Frau Dr .T ackmann; und nachzuarbeiten . denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Anforderungen an die Düngung in Deutschland erheb- lich verschärft . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die neuen Regeln für die Ausbringung von Wirt- Herr Kollege Ostendorff. schaftsdünger, die verkürzten Ausbringungszeiten und damit verbundene Anforderungen an mehr Lagerraum Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und die verringerten Ausbringungsmengen verlangen NEN): von unseren Betrieben ein hohes Maß an Anpassungs- fähigkeit. Durch Dokumentationspflichten, Verlängerung Ich bin sofort fertig .– Minister Schmidt wird uns allen der Sperrfristen und weitere Auflagen in Problemgebie- als Ankündigungsminister in Erinnerung bleiben . Doch ten erhöhen wir darüber hinaus die regulatorischen Be- ganz abgesehen davon: Alleine für das Versagen bei der lastungen für Landwirte . Düngegesetzgebung gehört er abgewählt . Es ist aber auch sicher – auch das gilt es klar auszu- (Widerspruch bei der CDU/CSU) sprechen –, dass die weiter gehenden Anforderungen im Düngerecht auch die Produktionskosten in der deutschen Der ländliche Raum darf nicht weiter vor die Hunde ge- Landwirtschaft und damit letztlich die Kosten unserer hen, meine Damen und Herren! Lebensmittel erhöhen werden . Außerdem wird sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft weiter verschär- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen; denn die neuen Vorgaben bei der Ausbringungs- 21868 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Waldemar Westermayer (A) technik stellen insbesondere die kleinen Betriebe vor bericht wird beschrieben, dass sich das Grundwasser im (C) große Herausforderungen . Vor diesem Hintergrund ist Landkreis Osnabrück aufgrund erhöhter Nitratbelastun- es wichtig, dass wir dadurch, dass die unterschiedlichen gen zu 50 bis 60 Prozent in einem chemisch schlechten Bodenbeschaffenheiten, Topografien und Klimata in den Zustand befindet. Das würde ich als keine sonderlich Regionen berücksichtigt werden, eine hinreichend flexi- gute Nachricht bezeichnen . Aber nun kommen die Be- ble Anwendung in der Praxis ermöglichen . hördenbemerkungen dazu . Die Landwirtschaftskammer sagt: Stickstoffbedarf vorhanden. – Das Landesamt für Zusammengefasst haben wir mit dem nun vorliegen- Bergbau sagt: Stickstoffüberschuss. – Die Wasserschutz- den Paket aus Düngegesetz, Düngeverordnung und An- behörde sagt: deutlicher Stickstoffüberschuss. – Wie lagenverordnung praktikable Lösungen, die es ermögli- kann es sein, dass drei Landesbehörden zu unterschiedli- chen, die Fruchtbarkeit unserer Böden zu erhalten, und chen Bewertungen kommen? Ich halte das im Grundsatz es gleichzeitig erlauben, eine ausreichende Nährstoffver- für falsch . Hier sollten wir versuchen, mit einer Stimme sorgung für unsere Pflanzen mit Wirtschaftsdünger zu zu sprechen . gewährleisten . Die Forderung meines kommunalen Verbandes – in Wir entwickeln die gute fachliche Praxis, die wir ha- Absprache mit kommunalen Spitzenverbänden – lautet: ben, weiter und erfüllen die europäischen Anforderungen Einführung einer umfassenden Nährstoffbilanz – wir nen- aus der Nitratrichtlinie . Mit der Novellierung gewährleis- nen das jetzt vernünftigerweise eine Stoffstrombilanz –, ten wir darüber hinaus die Wirksamkeit des nationalen Absenkung der Stickstoffbedarfswerte und Streichung Aktionsprogramms im Bereich Düngerecht . Aus mei- von Ausnahmeregelungen, Einführung von Vorgaben ner Sicht haben wir einen gut austarierten Kompromiss zu Lagerkapazitäten für Wirtschaftsdünger, Präzisierung erarbeitet, der für die Düngung in Deutschland künftig von Ausbringungsbeschränkungen, Einfügung von Vor- ein solides Fundament garantiert und das Grundwasser gaben zu Sanktionsmöglichkeiten . – Das schreibt ein schützt . Landkreis, der zu den größten tierhaltenden Landkrei- Ich möchte abschließend noch deutlich machen, dass sen der Republik gehört und sehr genau weiß, wovon er wir bei allen berechtigten Diskussionen in der Sache spricht . Vielleicht hätten wir vorher darauf hören sollen . nicht den Fehler machen sollten, die Landwirtschaft pri- Ich glaube, dass wir heute den richtigen Weg mit der mär als Problemverursacher zu sehen . Stoffstrombilanz gehen. Aber mein Landkreis sagt auch: (Beifall bei der CDU/CSU) Es wäre gut, wenn wir eine Rechtsgrundlage für den Da- tenzugriff schaffen würden. Es dürfte Sie nicht sonderlich Richtig ist vielmehr, dass uns die rund 375 000 landwirt- überraschen, dass ich auch das gut finde. Sehr gut finde schaftlichen Betriebe im Land mit hochwertigen Lebens- (B) ich in dem vorliegenden Papier die magische Zahl 2023 . (D) mitteln versorgen und zum Erhalt der Kulturlandschaft Das ist das, was mich zu großem Optimismus anregt . beitragen . Diese 375 000 Betriebe versorgen 82 Millio- nen Menschen in Deutschland . Vor diesem Hintergrund (Beifall bei der SPD – Bärbel Höhn [BÜND- bin ich der festen Überzeugung, dass unsere Bauern in NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist aber noch lange Deutschland nicht Teil des Problems, sondern Teil der hin!) Lösung sind . – Na ja, eine gute Sache braucht gelegentlich viel Zeit Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen . und eine gute Vorbereitung; darauf komme ich noch zu sprechen . Herzlichen Dank . (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . In der Zwischenzeit geht das ganze Nitrat ins Dr .W ilhelm Priesmeier [SPD]) Wasser! – Gegenruf von der CDU/CSU: Bil- lig!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Nächster Redner ist Rainer Spiering, Mir hat unlängst jemand in einer Diskussion gesagt – SPD-Fraktion . das ist vielleicht auch die Antwort darauf, warum wir tä- tig werden –: Man muss es vom Ende her denken .– Das (Beifall bei der SPD) gilt für uns alle, insbesondere für diejenigen, die bäuerli- che Betriebe haben . Das Ende ist der Konsument . Entwe- Rainer Spiering (SPD): der hat der Konsument Vertrauen, oder der Konsument hat kein Vertrauen . Zurzeit beten wir gelegentlich das Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Aus be- Vertrauen gesund, aber es ist nicht da . Deswegen sollten sonderem Anlass freue ich mich, dass Lara, Anna und wir uns ehrlich machen . Der zukünftige Präsident dieses Christoph hier sind . Landes hat gesagt: Wir sollten Mut haben, zur Sache et- Ich möchte erst einmal zu dem Begriff „Stoffstrombi- was zu sagen . lanz“ gratulieren. Das ist ein wertfreier Begriff, ein neu- traler Begriff und ist ein vernünftiger Begriff, weil wir Wahr sind unsere Grundwasserbeschreibungen . Wahr damit auch aus der teilweise emotional sehr aufgelade- ist auch, dass unsere Datenlage zu gering ist . Wahr ist nen Diskussion herauskommen . auch, dass wir die Möglichkeit haben, die entsprechen- den Daten zu erfassen . Wir haben mit der Verabschie- Lassen Sie mich über den Umweltbericht des Land- dung des letzten Haushalts 10 Millionen Euro für eine kreises Osnabrück 2016 sprechen . In diesem Umwelt- neue IT-Plattform bereitgestellt . Ihr Aufbau gestaltet sich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21869

Rainer Spiering (A) sehr gut . Aber das wird nur funktionieren, wenn alle wil- Landwirtschaft in Deutschland befindet sich in einem (C) lens sind, ehrlich ihre Daten dort einzugeben . Veränderungsprozess . Ich erhebe stellvertretend für uns als Union den Anspruch, dass wir uns mit an die Spitze Wenn wir ehrliche und souveräne Daten haben, dann des Veränderungsprozesses stellen .– Sie können dazu können wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern sa- sagen, was Sie wollen, aber verdeutlichen Sie bitte auch gen, was in den Ställen Sache ist, was bei unseren Böden Ihre Rolle dabei . Ich habe nämlich den Eindruck – darin Sache ist und was bei unseren Nährstoffbilanzen Sache besteht der Unterschied zwischen uns –, dass wir als Uni- ist . Wir haben aufgrund dieser Daten sowie dank einer on die Einzigen sind, die das mit den Landwirten machen hervorragenden deutschen Landmaschinentechnologie wollen – leider, meine Damen und Herren . und einer sich prächtig entwickelnden deutschen IT in diesem Bereich die Möglichkeit, präziser auf den Äckern (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch zu werden, besser auf den Äckern zu werden, tiergerech- bei der SPD und der LINKEN – Dr . Kirsten ter zu werden Tackmann [DIE LINKE]: Wenn einen keiner (Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Genau!) lobt, muss man es selbst tun!) und den Landwirt bei der Arbeit – hin zum Tier, weg von Wir reden aber über das Düngepaket; und dieses den organisatorischen Fragen – zu entlasten . Wenn wir Düngepaket hat das Ziel, auch für uns, Belastungen für das gut machen und allen Betroffenen helfen, können wir Wasser und Umwelt zu minimieren und zu reduzieren, uns einen Mordspapierwust ersparen und alles über IT sich gleichzeitig aber auch mit der Frage zu beschäfti- machen, in großem Vertrauen darauf, dass wir in diesem gen, wie Pflanzen ausreichend ernährt werden können. In Rahmen vernünftige Datenschutzregelungen erarbeiten . Dänemark gab es zum Beispiel vor Jahren keinen Qua- litätsweizen mehr; den musste man importieren . Solche Wir haben zudem die Möglichkeit – das möchte ich Fehler dürfen wir in Deutschland nicht machen . Deshalb abschließend sagen –, alle geobasierten Daten einzubrin- ist es schon gut, meine Damen und Herren, wenn man in gen, alle wissenschaftlich basierten Daten einzubringen, der Sache streitet . alle Nährstoffdaten einzubringen und alle Katasterda- ten – wichtig für alle Spieler – einzubringen . So kann der Dieses Gesetzespaket ist ein sehr komplexes Geset- Schlepper problemlos über den ihm zugehörigen Acker zespaket . Dieses Paket hat Auswirkungen auf die Struk- fahren . tur in der Landwirtschaft: Behälterbau, Investitionen, Ausbringungstechnik . Dadurch wird der Strukturwandel All das geht nur in der Verbindung von Staat und Wirt- weiter forciert – und das in der Regel bei kleineren Be- schaft, und zwar im gegenseitigen Vertrauen . Mit Wirt- trieben . Es gehört zum Ehrlichmachen und zur Wahrheit schaft sind nicht die Landmaschinenhersteller gemeint, dazu, zu sagen, was dabei nicht unser Ziel ist . Deshalb (B) sondern die bäuerliche Landwirtschaft . Wenn sich die haben wir uns in diese Diskussion immer wieder fachlich (D) bäuerliche Landwirtschaft entscheidet, allen Betroffenen eingebracht . die Hand zu geben und sich im besten Sinne des Wortes ehrlich zu machen, dann hat die konventionelle Land- (Beifall bei der CDU/CSU) wirtschaft in Deutschland – da bin ich mir sicher – eine gute Zukunft . Ich glaube, wir haben eine gute Paketlösung mit dem Düngegesetz und der Düngeverordnung hinbekommen . Herzlichen Dank . Wir haben das Gesamtpaket in allen Einzelheiten über einen langen Zeitraum diskutiert und beraten, und wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben, Wilhelm Priesmeier, manchmal auch gestritten . der CDU/CSU) Aber wir haben es zu einem Ergebnis gebracht . Es hätte schneller sein können – das kann es immer sein –, aber Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wir haben das Ergebnis . Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Franz-Josef Holzenkamp die Gelegenheit, das Thema abzuschließen . Das Düngegesetz stärkt zukünftig den Vollzug durch die Kontrollbehörden . Das ist in meinen Augen ein ganz (Beifall bei der CDU/CSU) zentraler Punkt, weil wir hier wirklich Nachholbedarf ha- ben, beispielsweise bei den Möglichkeiten zum Abgleich Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): mit Daten aus anderen Rechtsbereichen . Auch das ist Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Lie- unter Datenschutzgesichtspunkten alles andere als eine be Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Selbstverständlichkeit. Ich denke an den Zugriff auf Da- Einige Äußerungen in dieser Debatte verleiten mich zu tenbanken, die Tierhaltung in Verbindung mit Flächen folgender Einstiegsbemerkung: Man muss die Bauern in erfassen, womit eine sehr schnelle Plausibilitätskontrol- Deutschland nicht mögen . Man kann sie auch kritisieren, le durchgeführt und ganz gezielt vor Ort geprüft werden man kann mit ihnen streiten. Aber ich finde, sie haben kann . Anstand und Respekt für das verdient, was sie 365 Tage Sie, Frau Höhn, fragten, was eigentlich bis 2023 pas- im Jahr für unsere Gesellschaft tun . siere . Das passiert ab sofort . Die Biogasgärreste sind so- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . fort dabei . Die waren vorher leider draußen . Hier gab es Willi Brase [SPD]) Nachholbedarf . Auch da sind wir uns einig . Das ist das eine . Dann möchte ich eine zweite Be- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- merkung machen: Ja – da sind wir uns alle einig –, die NEN]: Aber viel zu wenig Betriebe!) 21870 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Franz-Josef Holzenkamp (A) Zu dieser sogenannten Stoffstrombilanz, also der neu- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) en Bilanzierungsmethode, die alle Emissionen erfassen Herr Kollege, Sie hatten „abschließend“ gesagt. soll: Wie die genau aussieht, wissen wir alle noch nicht . Jeder redet darüber, aber keiner weiß, wie das im Detail wirklich gehandelt wird . Wilhelm Priesmeier, der pau- Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): schal sagte, 2,5 Großvieheinheiten seien als Maßstab zu Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . viel, entgegne ich: Wir waren letzten Sommer auf einem Ich sehe: Wir haben eine große Verpflichtung gegen- Betrieb mitten in einem Wasserschutzgebiet . Es war ein über der Landwirtschaft in Deutschland, wenn wir sie Futterbau- und Milchviehbetrieb . Bei etwa 2,5 GV konn- flächendeckend erhalten wollen. Wir haben etwas Gutes, te der nur mit Raufutter seine Tiere vernünftig ernähren . etwas Tragbares auf den Weg gebracht . Ich bitte Sie alle Auch das muss man wissen . Wenn Sie willkürlich mit um Zustimmung . Zahlen agieren, dann müssen diese Zahlen belastbar sein; und das sind sie bei Ihrer Argumentation nicht . Vielen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Das Düngegesetz ist, wie wir wissen, Grundlage für die Verordnung . Hier kommt eine ganze Reihe von Ver- schärfungen auf die Landwirte zu . Es wurde darauf hin- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gewiesen, dass es darüber hinaus die Ermächtigung für Vielen Dank .– Das war auch die letzte Rede zu die- die Bundesländer gibt, da, wo wirklich rote Gebiete sind, sem Tagesordnungspunkt . wo Grundwasserkörper mit Nitrat oder Phosphat belastet sind, zusätzliche Maßnahmen auf den Weg zu bringen . Wir kommen damit zur Abstimmung über den von Wir haben uns bemüht, nicht nur die Interessen einer Kli- der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur entel zu sehen, sondern das Ganze: Wasser als Lebens- Änderung des Düngegesetzes und anderer Vorschriften . gut . Aber genauso gilt es, die Interessen der Landwirte Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft emp- zu berücksichtigen . fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11171, den Gesetzentwurf der Bundes- Wir halten den Kompromiss für tragbar . Dass Hand- regierung auf Drucksache 18/7557 in der Ausschussfas- lungsbedarf bestand, darüber herrscht absolut Einigkeit . sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Wir haben bei Kleinstbetrieben Ausnahmen gemacht . entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Wir haben für etwas Flexibilität bei den Sperrfristen in das Handzeichen . – Das ist die Koalition . Wer ist dage- besonderen Regionen gesorgt, wo die Befahrbarkeit letzt- gen? – Bündnis 90/Die Grünen . Wer enthält sich? – Das (B) endlich schwierig ist . Wir haben für Übergangsfristen bei ist die Fraktion Die Linke . Der Gesetzentwurf ist damit (D) der Ausbringungstechnik gesorgt, damit die Bauern die mit den Stimmen der Koalition angenommen . Chance haben, den Veränderungsprozess zu gestalten, und wir als Politiker Maßnahmen der Unterstützung auf Wir kommen jetzt zum gymnastischen Teil, nämlich den Weg bringen können . zur Wenn wir Phosphatdünger von heute auf morgen ver- dritten Beratung ändern wollten – der Phosphateintrag ist ja mehrfach und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem kritisiert worden –, dann müssten wir der Hälfte der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Betriebe sagen: Ihr müsst aufhören .– Wollen wir nicht Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der gemeinsam vernünftige Zukunftslösungen erarbeiten? Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie Insofern lautet mein Appell an uns alle, dass wir die zuvor angenommen . Stoffstrombilanz, die wir noch angehen müssen und des- halb noch nicht kennen, vernünftig, praktikabel und auch Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- fachgerecht umsetzen . Hier kommt wirklich eine große ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Verantwortung auf uns zu, dies vernünftig zu machen Drucksache 18/11206 . Wer stimmt für diesen Entschlie- und diese Bilanz nicht für Struktur- oder gar Klientelpo- ßungsantrag? – Das sind die Grünen . Wer stimmt da- litik zu missbrauchen . gegen? – Das ist die Koalition . Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke . Damit ist der Entschließungsantrag Abschließend noch ein Gedanke. Friedrich Ostendorff, abgelehnt . du hast vorhin gesagt: Wir wollen verbinden .– Das ist genau die richtige Ansage . Dafür bin ich dankbar . Verbin- Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- den, das sollten wir wirklich miteinander tun . Du hast die lung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft Themen „Festmist“, „Kompost“ und „Erleichterungen auf Drucksache 18/11171 fort. Der Ausschuss empfiehlt für Weidehaltungen“ angesprochen. Wir haben die damit unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab- verbundene Politik mitgetragen – aus Überzeugung, weil lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- wir dies wollten . Das war ein Entgegenkommen insbe- sache 18/1332 mit dem Titel „Wasserqualität für die Zu- sondere gegenüber den Ökobetrieben . Ich bitte einfach kunft sichern – Düngerecht novellieren“. Wer stimmt für die Politiker, deren Augenmerk insbesondere dieser Kli- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – entel gilt, zukünftig bitte auch das Ganze in den Blick zu Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den nehmen; denn das sind wir letztendlich unseren Bauern Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen schuldig . der Opposition angenommen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21871

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- Koalition? Sie tun nichts . Sie warten ab . Unverantwort- (C) be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des lich finde ich das. Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sache 18/9044 mit dem Titel „Neues Düngerecht endlich Zurufe von der CDU/CSU: Ach!) beschließen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Gestern wollte die Regierung eigentlich das Gebäude- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ energiegesetz im Kabinett beschließen . Wohlgemerkt: CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Darüber reden wir seit dem Beginn der Legislaturperiode . Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen . Doch die Kollegen Fuchs und Pfeiffer von der Union, die sich heute noch nicht einmal trauen, hier zu erscheinen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zu- sondern Frau Gundelach, die andere Unterzeichnerin die- satzpunkt 5 auf: ses Briefes, hier allein sitzen lassen, tun gemeinsam mit ihren Gefolgsleuten alles, um selbst diese minimale Be- 12 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr .Julia wegung im Gebäudebereich noch zu stoppen . In einem Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Bärbel hanebüchenen Brief an das Kanzleramt haben sie die ei- Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion gene Regierung aufgefordert, die Vorgaben aus Brüssel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für einen Niedrigstenergiegebäudestandard komplett zu Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozi- unterlaufen . Das ist fortschrittsfeindlich, und es ist ein- al gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire fach nur peinlich . Wärme starten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/10979 sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Was Sie hier treiben, liebe Kolleginnen und Kollegen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz von der Union, das ist nicht nur das Gegenteil von Kli- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor­ maschutz, sondern es ist auch das Gegenteil von Verbrau- sicherheit cherschutz; ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ordneten Dr .Julia Verlinden, Christian Kühn denn ohne Energieeinsparungen und ohne erneuerbare (Tübingen), Annalena Baerbock, weiteren Ab- Energien stehen den Mieterinnen und Mietern spätes- geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tens beim nächsten Ölpreisanstieg saftige Heizkosten- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- (B) rechnungen ins Haus . Das sollten Sie den Menschen da (D) zes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung draußen ehrlicherweise sagen, wenn Sie hinter den Ku- Erneuerbarer Energien im Wärmebereich lissen versuchen, jeden Fortschritt im Wärmebereich zu (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EE- verhindern . WärmeG) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 18/6885 Diese Regierung und diese Große Koalition sind nicht Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- in der Lage, noch irgendetwas Zukunftsweisendes für ses für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) den Wärmemarkt auf den Weg zu bringen . Wir Grünen zeigen, wie es geht . Mit unserem Aktionsplan Faire Wär- Drucksache 18/8438 me senken wir den Wärmebedarf deutlich, und wir stel- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für len auf erneuerbare Energien um . Wir zeigen auch, wie die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, dass das sozialverträglich und bezahlbar funktioniert . Sie damit einverstanden sind . Dann ist so beschlossen .– Der Umbau der Wärmeversorgung kann nur vor Ort Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . gelingen, gemeinsam mit den Kommunen, gemeinsam mit den Menschen . Deshalb wollen wir insbesondere Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Julia Städte und Gemeinden dabei unterstützen . Mit einem ei- Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen . genen Bundesprogramm in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich wollen wir die Sanierung ganzer Viertel fördern . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit ermöglichen wir die warmmietenneutrale Sanie- rung für Menschen mit wenig Einkommen . Außerdem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten wollen wir gezielt die kommunale Wärmeplanung unter- Damen und Herren! Über die Hälfte des Energiever- stützen . Damit stärken wir die Kommunen und machen brauchs in Deutschland entfällt auf die Wärmeversor- sie zum zentralen Akteur bei der Energiewende . gung . Das heißt, Klimaschutz kann ohne den Umbau unserer Energieversorgung im Wärmesektor nicht funk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionieren . Aber es passiert viel zu wenig, und ich glaube, Ich nenne Ihnen exemplarisch zwei weitere Kern- wir sind uns in der Analyse einig: Die Modernisierung punkte aus unserem Maßnahmenkatalog: von Gebäuden kommt nur schleppend voran . Der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmesektor stagniert seit Erstens . Wir wollen die faire Wärmeversorgung . Da- Jahren auf niedrigem Niveau . Und was tun Sie als Große für stellen wir nicht nur das genannte Sanierungspro- 21872 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Julia Verlinden (A) gramm für Quartiere auf, sondern wir schützen die Mie- denn ohne eine Wärmewende gibt es auch keine Energie- (C) terinnen und Mieter auch besser als die Große Koalition; wende . Ich denke, da sind wir uns auch einig . Und hier denn im Gegensatz zu Ihnen haben wir eine echte Miet- steckt wirklich Musik drin – oder anders ausgedrückt: preisbremse und ein Klimawohngeld für Haushalte mit großes Potenzial . kleinem Einkommen im Programm . Außerdem verhelfen wir Mieterstrom zum Durchbruch und fördern genossen- Ich setze mich schon seit vielen Jahren für eine nach- schaftlich betriebene Wärmenetze . haltige Wohnungs-, Bau- und Stadtentwicklungspoli- tik ein, die gleichermaßen soziale, wirtschaftliche und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ökologische Aspekte betrachtet . Dazu muss man das gesamte Quartier betrachten . Man muss alle Potenziale, Zweitens . Wir bauen konsequent die erneuerbare Wär- wie zum Beispiel diejenigen der KWK, bestmöglich aus- me aus . Dafür wollen wir anteilig die Erneuerbaren im nutzen, und man muss auch über die einzelnen Sektoren Gebäudebestand verbindlich machen, wenn die Heizung hinausdenken . Wenn wir zum Beispiel Stadtviertel ganz sowieso ausgetauscht wird . Wir stimmen ja gleich auch gezielt aufwerten, kann eine räumliche Annäherung von über unseren grünen Gesetzentwurf dazu ab . Wir werden Leben und Arbeit, was wir gerade streckenweise in Ham- die Wärmenetze für erneuerbare Energien öffnen, ebenso burg versuchen, gefördert werden, wodurch wiederum für die Einspeisung von Abwärme . Subventionen für Öl- CO2-Emissionen im Verkehrsbereich reduziert werden . und Gasheizungen werden wir sofort stoppen . Es ist doch Deswegen ist die Wärmewende eine Aufgabe, die viele absurd, dass diese Bundesregierung auch nach dem Pa- Bereiche unseres Miteinanders betrifft. riser Klimaschutzabkommen noch neue Öl- und Gashei- zungen mit Millionenbeträgen staatlich subventioniert . (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur erfolgreich sind Sie offenbar Ja, der Umbau unserer Wärmeversorgung ist an- nicht!) spruchsvoll, aber er lohnt sich gleich mehrfach; denn In- vestitionen in eine moderne Wärmeversorgung sind gut Ich denke daher, dass wir in Bezug auf die Wärme- fürs Klima . Sie machen uns unabhängiger von Öl- und wende Wohnungs- und Wohnkonzepte im Allgemeinen Gasimporten, und sie wirken als Konjunkturprogramm diskutieren sollten . Sie greifen da in Ihrem Antrag auch für die Wirtschaft, vor allem für das Handwerk . Doch die einiges auf, zu dem ich gleich noch Stellung nehmen Große Koalition will lieber weiter abwarten und hoffen, werde . dass sie die Klimaschutzziele im Gebäudebereich ein- fach so wie von Zauberhand erreicht . Das ist mutlos . Wir Mehrgenerationenprojekte sind meines Erachtens von Grüne jedoch wollen es endlich anpacken . größter Bedeutung für unsere alternde Gesellschaft . Ich bin Schirmherrin eines solchen Projekts in Hamburg, und (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es macht mir immer wieder Freude . Ich befürworte au- (D) ßerdem mehr und bezahlbaren Wohnungsbau für Allein- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: stehende, Studenten und Menschen, die geringfügig zu Vielen Dank . – Als Nächste hat jetzt Frau Dr . Herlind viel verdienen, um eine Sozialwohnung zu bekommen . Gundelach die Gelegenheit, für die CDU/CSU-Fraktion Das ist gerade in Großstädten ein Riesenpotenzial; denn zu antworten diese Menschen geraten bei der Wohnungssuche leider viel zu häufig ins Abseits. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich denke auch, dass wir die selbst nutzenden Eigen- und die Männer zu vertreten . tümer von Wohnraum unterstützen sollten und dass wir zum Beispiel in diesem Kontext über verminderte Grun- Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): derwerbsteuern für Familien nachdenken sollten, auch wenn das zugegebenermaßen Ländersache ist; aber man Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kann ja mal Anregungen geben . Wohnraum für alle – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Verlinden, und damit meine ich in der Tat alle Einkommensschich- Sie haben recht: In der Zielsetzung sind wir uns absolut ten – muss wirklich erschwinglich sein . Das steht aber einig . Aber ich glaube, was den Weg angeht, sind wir uns bekanntermaßen in einem äußerst schwierigen Span- überhaupt nicht einig . Da haben wir einfach andere Vor- nungsverhältnis – da kommen wir zu Ihrem Problem – stellungen als die, zu zahlreichen Vorgaben und Regelungen in unserer Kli- (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE ma- und Baupolitik . Denn immer höhere Anforderungen, GRÜNEN]: Da bin ich ja mal gespannt auf zum Beispiel an die Effizienz, treiben die Baukosten im Ihre Vorstellungen!) Neubau sowie bei Sanierungen im Gebäudebestand deut- lich in die Höhe . die Sie in der Regel vertreten und die ja auch in Ihrem Antrag ganz klar zum Ausdruck kommen . (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die Klimaziele errei- Wir brauchen wirklich eine schnellere, eine nachhal- chen oder nicht?) tige und vor allen Dingen auch eine sozial gerechte Wär- mewende; Bevor diesbezüglich Missverständnisse aufkommen: Selbstverständlich steigen die Baukosten immer, (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum machen Sie es denn nicht?) (Johann Saathoff [SPD]: Gewaltig!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21873

Dr. Herlind Gundelach (A) auch ohne unsere verschärften Anforderungen . Nun zurück zu Ihrem Antrag . In ihm fordern Sie bei- (C) spielsweise, dass wir die Mittel für die energetische Sa- (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE nierung von 3,5 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro GRÜNEN]: Genau!) verdoppeln . Fakt ist aber, dass die Gelder, die aktuell zur Aber alleine die Verschärfungen der EnEV hatten 2016 Verfügung stehen, gar nicht vollständig abgerufen wer- eine Preissteigerung von 9 Prozent zur Folge, und die den . Was soll dann mehr Geld bringen? Viel hilft nicht Preissteigerungen, die den letzten Jahren sozusagen immer viel . durch die energetisch bedingten Lasten entstanden sind, (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE summieren sich auf immerhin 18 Prozent . Das ist also ein GRÜNEN]: Das kann ich Ihnen erklären!) nicht unerheblicher Faktor . Es ist eine inhaltsleere Forderung, außer Sie möchten das Ich beschäftige mich, wie gesagt, schon lange mit Geld zukünftig verschenken . Wohnungsbau und klimapolitischen Aspekten unseres gesellschaftlichen Lebens, sei es hier im Bundestag oder Wirklich problematisch finde ich manche Unterpunkte früher auf Landesebene . Eines habe ich dabei gelernt: zur sozial gerechten Modernisierung . So wollen Sie, dass Ein Mehr an Klimaschutz sozialverträglich auszugestal- wir Vermieter von Wohnungen dazu bringen, dass sie ten, ist eine sehr knifflige Angelegenheit. Hier gibt es ihre Wohnungen energetisch sanieren . Das kann ich noch eben keine Patentlösungen . Entscheidungen im Wohn- unterstützen . Sie fordern aber, dass die Kosten nur noch und Baubereich haben eine immense Tragweite . Man bedingt auf den Mieter umgelegt werden dürfen . Das bedenke nur, dass Gebäude meist fast 100 Jahre Bestand mag in den Ohren eines Mieters erst einmal gut klingen . haben, manche sogar darüber hinaus . Daher können Feh- Aber warum sollte ein Vermieter diese Sanierung durch- lentscheidungen auch noch sehr lange verhängnisvolle führen? Wie soll er sich diese leisten können? Nachwirkungen mit sich bringen . Was Sie bei Ihrem Antrag vermutlich bewusst ver- Genau deswegen habe ich mit Ihrem Antrag ein Pro- schweigen: Die anteilig größte Gruppe am Wohnungs- blem . An vielen Stellen ist er zu einfach gestrickt und markt sind private Vermieter und nicht irgendwelche realitätsfern . Immobilienhaie . Die gibt es zwar auch bei uns, vor allen Dingen in Großstädten, aber das ist nicht die Regel in (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Deutschland . Wie sollen die privaten Vermieter, die zu GRÜNEN]: Wo ist denn Ihr Konzept? Wo ist über 40 Prozent Rentner sind – das darf man auch nicht es denn?) außer Acht lassen –, eine solche Sanierung stemmen, – Wir diskutieren heute Ihren Antrag . ohne die Kosten dafür anteilig auf die Mieter umlegen (B) zu können? Sie spielen bei Ihren Forderungen mit den (D) (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bildern von Immobilienspekulanten, die ihre Mieter auf NEN]: Ja, aber wir sind am Ende der Legis- die Straße setzen, damit sie Luxussanierungen durchfüh- laturperiode!) ren können . Das ist aber nicht die Realität, und deswegen In Deutschland haben wir zu drei Vierteln Heizungsanla- ist es unfair . gen, die auf Öl oder Gas basieren . Ich stimme Ihnen zu, Ebenso führen Sie aus, dass Menschen in Grundsiche- dass wir diesen Anteil reduzieren müssen . Aber das muss rung einen Steuerbonus für die energetische Sanierung sozialverträglich geschehen . Sie sagen, Sie wollen das . ihrer Eigentumswohnung bekommen sollen . Das ist doch Aber das kann ich beim besten Willen in Ihrem Antrag an der Realität schlicht vorbei . Erstens gibt es bei diesen nicht erkennen . Menschen in der Regel kein Eigentum, zweitens zahlen (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE sie kaum Steuern, und drittens bekommen sie aufgrund GRÜNEN]: Dann lesen Sie ihn vernünftig!) ihrer Einkommenssituation in der Regel gar keine Kre- dite . Das heißt, dieses Instrument kann überhaupt nicht Sie kommen immer wieder mit Verboten und Zwang, mit greifen . übersteigerten Anforderungen an die Bürgerinnen und Bürger und mit unrealistischen Annahmen . (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie gegen den Steuerbonus, (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE oder was?) GRÜNEN]: Lesen Sie ihn doch einmal!) Zu guter Letzt werfen Sie der Industrie und dem Ge- Zwang ist übrigens auch das Leitmotiv für Ihren Ge- werbe vor, dass diese die Energieeffizienzpotenziale, die setzentwurf zur Förderung Erneuerbarer Energien im sich ihnen bieten, nicht ausreichend nutzen . Auch das ist Wärmebereich . schlichtweg so nicht richtig . Ein Unternehmen reduziert (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ schon aus Eigennutz seine Kosten . Außerdem können DIE GRÜNEN]: Den die CDU in Ba- Unternehmen Ausgaben für besseren Klimaschutz und den-Württemberg eingeführt hat!) mehr Energieeffizienz sogar noch steuerlich geltend -ma chen . Sie haben also eine doppelte Rendite . Schauen Sie – Das war aber trotzdem eine Fehlentscheidung, auch sich in diesem Kontext einmal unsere Supermärkte an . wenn es eine CDU-Ministerin gemacht hat . Das habe ich Die investieren in regelmäßigen Abständen in effiziente immer gesagt .– Diesen Gesetzentwurf debattieren wir Kühltheken, eine bessere Dämmung oder andere Maß- heute als Zusatzpunkt in zweiter und dritter Lesung . Die- nahmen . Damit sparen sie Kosten . Allerdings sollten wir sen werden wir ablehnen . dann als Verbraucher die Kühlregale auch wieder zügig 21874 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Herlind Gundelach (A) schließen und sie nicht offen stehen lassen, sonst funkti- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (C) oniert das Ganze nämlich nicht . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie werden wohl in 10 oder 20 Jahren die Häuser, in Wenn wir die Wärmewende sinnvoll und sozial ge- denen wir wohnen, beheizt werden? Viele Leute bezie- recht angehen wollen, dann müssen wir nachhaltig agie- hen ja heute schon 100 Prozent Ökostrom, und das ist ren, das heißt, soziale, wirtschaftliche und ökologische gut. Aber beim Heizen befinden wir uns noch tief im Aspekte gleichermaßen in den Blick nehmen . Außerdem fossilen Zeitalter . Der Staat fördert sogar Ölheizungen haben die bisherigen Ergebnisse gezeigt, dass wir ei- und zementiert damit weitere 30 Jahre fossile Technik . nen breiten Mix an Ideen, Instrumenten, Vorgaben und Das ist untragbar . Ganz anders in Dänemark: Dort ist der Förderprogrammen brauchen sowie eine noch verbes- Einbau von Öl- und Gasheizungen seit 2016 verboten . serungsfähige Abstimmung von Wohn-, Verkehrs- und Das bräuchten wir eigentlich auch . Eine aktuelle Studie Energiepolitik . sagt uns: Wir brauchen 5 bis 6 Millionen Wärmepumpen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bis zum Jahr 2030; vermutlich werden wir aber nur eine Sie hatten dreieinhalb Jahre Zeit, etwas vorzu- Zahl von 2 Millionen erreichen . Hier müssen die Wei- legen! Warum haben Sie nichts gemacht?) chen eben heute gestellt werden . – Wir haben in dem Bereich eine ganze Menge gemacht . (Beifall bei der LINKEN) Ein Riesenproblem ist, dass Mieterinnen und Mieter (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE die energetische Sanierung fürchten, weil sie in Städten GRÜNEN]: Wo denn? Das hat doch keinen oft genug missbraucht wird, um Altmieter zu vertreiben . Erfolg gezeigt!) Wir müssen daher unbedingt die soziale Gerechtigkeit im – Das stimmt so natürlich nicht . Bei der Sanierung im Blick behalten . Gebäudebestand wäre es mir aber auch lieber, wenn wir (Beifall bei der LINKEN) weiter wären . Deshalb begrüße ich den Antrag der Grünen, einen Ak- (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE tionsplan Faire Wärme zu beschließen und sich über kli- GRÜNEN]: Ja! Welche Maßnahmen wollen mafreundliche Lösungen und deren soziale Umsetzung Sie denn nutzen, um das zu erreichen?) gleichermaßen Gedanken zu machen . Aber ich kann die Menschen nicht dazu zwingen . Ich bie- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- te Fördermaßnahmen und viele Hilfestellungen an . Die NIS 90/DIE GRÜNEN) müssen aber auch abgerufen werden . (B) Der Pariser Klimavertrag und die dramatische Kli- (D) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) masituation erfordern rasches Handeln . Wenn wir heute nicht mehr tun, wird es irgendwann zu spät sein . Dann erreichen wir unumkehrbare Kipppunkte . Das müssen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: auch die Kollegen Fuchs, Pfeiffer und Bareiß begreifen, Jetzt hat Frau Dr .Gundelach das Wort . die so gern Briefe ans Bundeskanzleramt schreiben, um sich über die Energiewende zu beschweren . Ihnen geht es eben nicht um bezahlbares Wohnen; sie wollen Kli- Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): mapolitik ausbremsen und fügen damit den Menschen Wir müssen – das ist für mich ganz wichtig – die einen folgenschweren Schaden zu, und das halte ich für Bürgerinnen und Bürger sinnvoll miteinbeziehen . Wir verantwortungslos . müssen es ihnen leichter machen, Teil der Wärme- und Energiewende zu werden . Wie der Antrag der Grünen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- richtig herausstellt, stehen unsere Bürgerinnen und Bür- NIS 90/DIE GRÜNEN) ger, wenn sie energetisch sanieren wollen, noch zu oft Richtig ist hingegen, dass wir für den ökologischen vor einem Förderdschungel . Er ist zwar in den letzten Umbau unserer Energieversorgung eine soziale Abfede- Jahren schon ein bisschen durchlässiger geworden, ei- rung brauchen – aber nicht, indem wir die Energiewende nige Antragsarten wurden vereinfacht, aber hier ist aus auf später verschieben, wie von der Union gewollt . Alles, meiner Sicht noch viel Musik drin . Darüber sind wir auch was im Antrag der Grünen an Einzelmaßnahmen genannt mit der KfW und anderen Einrichtungen im permanenten wird, ist richtig: warmmietenneutrales Sanieren, Klima- Gespräch, um zu einer besseren Inanspruchnahme der wohngeld, niedrigschwellige Energieberatung und bes- Angebote zu kommen, die der Staat macht . sere Ausbildung, gebäudeindividuelle Sanierungsfahr- Herzlichen Dank . pläne, Quartierslösungen . Das alles ist richtig und wurde so ähnlich von uns, der linken Fraktion, bei den letzten (Beifall bei der CDU/CSU) Haushaltsberatungen schon einmal vorgeschlagen . Ich möchte aber noch weitergehen: Mitten in einer Vizepräsidentin Ulla Schmidt: riesigen Umbauaufgabe, die eine ganze Industrie und Vielen Dank .– Jetzt hat für die Linke Eva Bulling- jeden einzelnen Bürger betrifft, müssen wir viel stärker Schröter das Wort . die öffentliche Hand in die Pflicht nehmen. Denn: Wer wird sich noch an Herrn Schäubles lächerliche schwarze (Beifall bei der LINKEN) Null erinnern, wenn die Klimakatastrophe immer mehr Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21875

Eva Bulling-Schröter (A) Extremwetterereignisse und immer größere Schäden und ein Bündel von Maßnahmen, die sinnvoll zusammenge- (C) Fluchtbewegungen auslöst? Wenn wir nichts unterneh- führt werden müssen, damit sie greifen . men, wird es so sein . Frau Verlinden, Sie haben in Ihrer Rede eingangs be- Daher sage ich: Wir müssen den gemeinnützigen tont, dass wir nichts getan hätten . Das möchte ich ent- Wohnungsbau vorantreiben, schieden zurückweisen . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Zuruf der Abg . Dr . Julia Verlinden [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) egal ob in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand, Es ist eine Vielzahl von Programmen aufgelegt worden . und zwar ein gemeinnütziges, klimaschonendes Bauen 2014 haben wir begonnen mit dem NAPE, dem Nationa- und Wohnen. Bei öffentlichen Gebäuden im Bestand len Aktionsplan Energieeffizienz, und dem Aktionspro- muss schneller mehr passieren; da ist ja fast noch gar gramm Klimaschutz. In 2015 folgte die Energieeffizienz- nichts passiert . Den Kommunen muss viel stärker unter strategie . die Arme gegriffen werden. Und: Warum erhält genos- (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE senschaftliches Wohnen, das nicht profitorientiert ist, GRÜNEN]: Eine Strategie ist doch noch kein nicht zusätzliche Förderung für energetische Sanierung? Gesetz!) Das wäre es doch! Mit dem Marktanreizprogramm ist in der Tat sehr viel (Beifall bei der LINKEN) Anreizwirkung geschaffen worden. Man sieht aber auch, Warum sind weitere ordnungsrechtliche Vorgaben im dass Mittel teilweise nicht abgerufen werden . Wärmebereich so verpönt – wir haben es ja wieder ge- Wir hatten uns erhofft, über die steuerliche Absetzbar- hört –, obwohl sie doch in anderen Ländern erfolgreich keit etwas hinzubekommen; sind? (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich sage Ihnen, Frau Gundelach: „Sozial gerecht“ NEN]: Das will die CDU plötzlich nicht mehr! heißt dann „sozial und ökologisch“, und das wollen wir Frau Gundelach ist jetzt plötzlich dagegen!) für alle Menschen erreichen . Ich sehe, Sie wollen das nicht . Natürlich muss man älteren Vermietern, die we- aber nur das Diskutieren darüber hat natürlich nicht ge- niger Geld haben, entsprechende Unterstützung bieten . holfen . Ich hätte es begrüßt, wenn das ein Baustein ge- Geld ist da – man müsste es nur anders ausgeben . Das worden wäre . Aber ich hatte immer die Befürchtung, dass wäre sinnvoll, auch mit Blick auf viele Arbeitsplätze das eintritt, was letztlich auch eingetreten ist: Man konn- (B) usw . Ich brauche da nicht weiter zu argumentieren . Es te sich nicht einigen, die Entscheidung blieb aus, obwohl (D) wäre viel sinnvoller als andere Dinge . alle darauf gewartet hatten, und man hat ein kostbares Jahr verspielt. Ich finde, das darf nicht wieder passieren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Deswegen wage ich nicht mehr, die steuerliche Absetz- NIS 90/DIE GRÜNEN) barkeit als ein Element hier in den Raum zu stellen . Man muss aber auch schauen, was noch in der Pipe- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: line steckt . Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes Vielen Dank . – Jetzt hat für die SPD-Fraktion Dr .Nina ist angesprochen worden . Er stand in dieser Woche in Scheer das Wort . der Tat auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung . Es ist dann heruntergenommen worden . Aber daraus zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schließen, dass dieses Projekt nicht kommt, finde ich der CDU/CSU) nicht so ganz fair . Es ist noch Zeit, den Gesetzentwurf zu verabschieden . Wenn man weiß, wie weit der Prozess Dr. Nina Scheer (SPD): fortgeschritten ist, kann man die Hoffnung haben, dass Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen die Maßnahmen noch umgesetzt werden . Wir haben ein und Kollegen! Das letzte Stichwort meiner Vorrednerin parlamentarisches Verfahren vor uns, in dem wir das er- lautete: Es ist viel Geld da; wir können sehr viel Geld reichen können . ausgeben .– Ja, das ist in der Tat richtig . Aber man muss Im Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes sind einige erkennen, dass man mit dem verfügbaren Geld bisher Dinge enthalten, die sich mit Ihrem Antrag decken . nicht die richtigen Lenkungswirkungen erzielt hat . In- sofern müssen wir immer berücksichtigen – das wurde (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE schon angesprochen –, dass verschiedene Hebel in Be- GRÜNEN]: Leider kein CO2-Faktor! Scha- wegung gesetzt werden müssen, um die Wärmewende de!) voranzubringen . Insofern wünsche ich mir, dass wir bald in das parla- In der Tat handelt es sich um einen Riesenbereich; die mentarische Verfahren eintreten . Wie bei allen Gesetz- Zahlen wurden genannt . Um die Energiewende hinzube- entwürfen können wir auch bei diesem Gesetzentwurf kommen, müssen wir – das schwankt – mindestens ein im parlamentarischen Verfahren noch Veränderungen Drittel, wenn nicht gar die Hälfte aller Bemühungen im vornehmen . Ich könnte mir vorstellen, dass man ein paar Gebäudesektor erbringen . Wenn man vom Gebäudesek- Veränderungen noch hinbekommt, die mit Blick auf die tor spricht, dann klingt das recht einfach; es geht aber um Wärmewende eine größere Anreizwirkung entfalten . 21876 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Fraktion einbringen –, bevor es in den parlamentarischen (C) Frau Kollegin Scheer, wenn Sie jetzt einmal eine Pau- Prozess eingespeist wird . Wie schätzen Sie die Chance se machen und Luft holen würden, könnte ich Sie fra- ein, dass in der nächsten Woche oder im nächsten Mo- gen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kühn von nat der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes im Kabinett Bündnis 90/Die Grünen zulassen . beraten wird? Haben Sie einen Zeitplan? Wann, glauben Sie, wird der Entwurf definitiv im Kabinett beraten und dann hier im Bundestag eingebracht? Dr. Nina Scheer (SPD): Okay . Dr. Nina Scheer (SPD): Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es tut mir leid; das alles sind so Glaskugelfragen, die Bitte schön, Herr Kollege Kühn . hier gestellt werden . (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verhandeln ja!) GRÜNEN): Danke, Frau Kollegin Scheer, dass Sie die Zwischen- – Ja, was heißt verhandeln? – Ein parlamentarisches Ver- frage zulassen . Ich begebe mich sogar auf die Seite der fahren folgt einem Kabinettsbeschluss . Es ist noch Zeit SPD-Fraktion, weil bei uns kein Mikro ist . für das Kabinett; auch ich habe es durchgerechnet, weil ich Interesse daran habe, dass wir das Gesetz durchbe- Ihnen ist bekannt – das wurde vorhin erwähnt –, dass kommen . Wenn das Kabinett nicht dazu kommen sollte, Frau Gundelach und einige weitere Kollegen einen Brief dann muss man nach einem Plan B suchen . Aber ich weiß an das Kanzleramt geschrieben haben, in dem sie sich nicht, warum ich mir jetzt einen Plan B überlegen soll, heftig gegen das Gebäudeenergiegesetz gewendet haben, was wiederum Skepsis zum Ausdruck brächte . Dazu be- das in struktureller Hinsicht ein zentraler Baustein der steht so lange kein Anlass, solange es noch eine andere Wärmewende in Deutschland ist . Der Brief ist weithin Möglichkeit gibt . Klärungsbedarfe gab es auch schon bei bekannt . Ich frage Sie: Wie bewerten Sie den Inhalt die- anderen Gesetzesvorhaben bzw . im Vorfeld von Geset- ses Briefes, und wie wollen Sie und Ihre Fraktion damit zesvorhaben . Insofern bin ich optimistisch, dass wir das umgehen, dass Mitglieder der anderen Koalitionsfraktion hinbekommen . einen Brief an das Kanzleramt schreiben in der Absicht, das Gebäudeenergiegesetz in dieser Legislaturperiode zu (Beifall bei der SPD) versenken? Ein Punkt, auf den ich noch gerne eingehen wollte, ist (B) die Synergie zwischen dem Stromsektor und dem Wär- (D) Dr. Nina Scheer (SPD): me- und dem Mobilitätssektor, weil ich denke, dass in Ich möchte zu bestimmten Briefen keine Stellung dem Bereich sehr viel Musik drin ist . Genau darin liegt nehmen . Ich erwarte von unserem Koalitionspartner, auch die Komplexität für den Gebäudesektor . Wir müs- dass er verantwortlich mit unseren gemeinsam gesetz- sen uns zunehmend darauf gefasst machen und darauf ten Zielen umgeht . Im parlamentarischen Verfahren wird vorbereiten, dass diese Sektoren sinnvoll miteinander sich zeigen, ob das so ist . Das werden wir vonseiten der zu verknüpfen sind . Insofern müssen wir uns auch klar- SPD-Fraktion auf jeden Fall einfordern . Ich erwarte, dass machen, dass im Bereich der Wärmewende ein sehr viel wir da konstruktiv zusammenarbeiten . Ein Schriftver- größeres Maß an erneuerbaren Energien erforderlich sein kehr im Vorfeld ist für mich nicht Gegenstand dessen, wird, als wir es bisher veranschlagt haben . Auch da wird, was wir hier zu leisten haben . denke ich, eine große Aufgabe liegen . Wir müssen den Anteil der erneuerbaren Energien steigern . (Beifall bei der SPD) Ich möchte, weil meine Redezeit davonrennt, nur Vizepräsidentin Ulla Schmidt: noch auf zwei Bereiche eingehen, mit denen man das Gestatten Sie auch noch eine Frage der Kollegin voranbringen kann . Über den Ausbau der erneuerbaren Verlinden? Energien im Bereich des Mieterstroms wird bei uns viel diskutiert . Wir haben an und für sich die Grundlage da- für, dass jetzt auch von ministerieller Seite etwas dazu Dr. Nina Scheer (SPD): vorgelegt wird . Falls das nicht geschieht, dann haben Ja . wir als Gesetzgeber die Möglichkeit, hier etwas zu tun . Durch die Experimentierklausel kann man im Kontext Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der Sektorenkopplung eine Möglichkeit schaffen, über Bitte schön, Frau Kollegin . den Ausbau der erneuerbaren Energien etwas für den Ge- bäudeenergiebereich abzuzweigen und die Energiewen- de als Wärmewende fortzusetzen . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Scheer, dass Sie die Frage zulas- Die Zusammenführung – das ist die letzte Bemerkung sen . – Sie haben gesagt, es sei in dieser Legislaturperiode meinerseits – dieser Sektoren wird, denke ich, unsere noch Zeit, das Gebäudeenergiegesetz zu verabschieden . größte Aufgabe sein . Man muss die verschiedenen Vor- Zuerst muss aber das Kabinett über den Entwurf befin- haben, die schon angegangen wurden, kombiniert mit de- den – Sie könnten den Gesetzentwurf natürlich auch als nen, die noch kommen werden, wahrscheinlich über die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21877

Dr. Nina Scheer (A) Legislaturperiode hinaus zusammendenken . So können und das Grünbuch zur Energieeffizienz vorgelegt. Das (C) wir die Ziele erreichen, die wir uns gesteckt haben . alles liegt schon auf dem Tisch .

Vielen Dank . (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Pläne! Pläne! Pläne!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Jan Metzler [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, jetzt hat sich die Frau Kollegin Verlinden Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gemeldet und fragt Sie, ob sie eine Zwischenfrage stellen darf . Vielen Dank . – Jetzt hat als letzter Redner in dieser Debatte der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion, das (SPD): Wort . Johann Saathoff Mit dem größten Vergnügen, Frau Präsidentin . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön . Johann Saathoff (SPD): Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich durchaus zuge- Vielen Dank, Herr Saathoff. Sie haben jetzt mehrere ben, dass ich mich gefreut habe, den Antrag zu lesen . Ich hübsche Broschüren genannt, die die Bundesregierung finde, dass er viel Richtiges enthält und vieles, worüber vorgelegt hat . Aber damit ist noch keine einzige Tonne man sicherlich auch diskutieren muss . Aber er enthält CO2 eingespart, damit ist keine einzige Kilowattstunde einen ganz zentralen richtigen Satz . Dort steht nämlich, eingespart, damit ist keine einzige Kilowattstunde durch dass „der Umbau der Stromversorgung bereits ein gutes erneuerbare Energie produziert worden im Vergleich zu Stück vorangekommen ist“. Wir haben in einem anderen den Heizungen mit fossilen Brennstoffen. Zusammenhang öfter einmal darüber gestritten. Ich fin- Wenn Sie sich einmal die Zahlen des Monitoringbe- de, diesen lobenswerten Satz darf man an dieser Stelle richts und die Analyse der Expertenkommission anschau- ruhig einmal erwähnen . en, dann müssen Sie doch feststellen – ich denke einmal, das sagen die Zahlen ganz eindeutig; da müssen Sie mir Es ist schön, dass wir uns heute, mitten in der Heizpe- beipflichten –, dass Sie noch sehr weit davon entfernt (B) riode, darüber unterhalten, wie Deutschland seine Klima- sind, das Ziel, den Wärmebedarf in Gebäuden bis zum (D) ziele im Wärmebereich erreichen kann . Wir alle wissen, Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, zu erreichen . Sie dass die Energiewende im Wärmebereich – ich glaube, werden dieses Ziel nicht schaffen, auch wenn Sie noch das kann ich auch für die SPD-Fraktion sagen – viel zu fünf hübsche Broschüren produzieren und drucken las- langsam voranschreitet, viel langsamer jedenfalls als in sen . Es geht ja darum, was die Bundesregierung und hier der Stromerzeugung, wo wir schon heute mindestens ein das Parlament konkret an Maßnahmen beschließen, die Drittel des Stroms – die Zahlen variieren je nachdem, dann auch wirken, und nicht darum, dass man nur tolle wer rechnet – aus erneuerbaren Energien erzeugen . Ziele benennt und die dann schön formuliert . Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben Sie ein sehr umfangreiches Pro- Johann Saathoff (SPD): gramm vorgelegt . Ich glaube, dass es gut ist, am Ende Ja, liebe Kollegin Verlinden, es geht gar nicht da- dieser ersten Beratung und auch darüber hinaus mitei- rum, Broschüren zu drucken . Aber wenn Sie ein Haus nander darüber zu diskutieren, die Vorschläge genauer zu bauen wollen, brauchen Sie ein vernünftiges Fundament . betrachten und zu schauen, was davon wirklich umzuset- Es geht nicht darum, dass es Broschüren gibt, sondern zen ist . Keine Frage: Wir stehen vor Herausforderungen die Frage ist, wie sie erarbeitet worden sind und was so- bei der Sektorenkopplung, also den Strommarkt mit dem zusagen das Fundament für die weitere Gesetzgebung Wärmemarkt und dem Mobilitätsmarkt zu verbinden . ausmacht . Die Herausforderung, jetzt die Sektoren mit- Wir stehen auch vor Herausforderungen beim Netzaus- einander zu verbinden, ist so groß, dass es keinen Sinn bau . Ich sage an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich: macht, sofort ein Gesetz auf den Markt zu schmeißen, Auch beim Nichtnetzausbau stehen wir vor Herausfor- das dann anschließend vielleicht noch einmal infrage ge- derungen, nämlich bei der Suche nach Netzausbaualter- stellt werden muss, weil es die falschen Anreize schafft. nativen . (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht nur um die In Ihrem Papier werden viele Maßnahmen vorgeschla- Verbindung der Sektoren!) gen . Diese sind aus meiner Sicht auch nicht undurch- dacht . Aber in Ostfriesland würde man sagen: Mallör Ich halte es für absolut richtig, dass wir unsere Ar- sitt up een lütjen Stee. Ich finde es nicht richtig, dass Sie beit vernünftig machen . Dafür muss man sich auch Zeit sagen, dass die Bundesregierung gar nichts gemacht hat . nehmen . Aber ich glaube auch, dass Sie bei Ihrer Ein- Denn speziell das BMWi und BMUB haben zum Bei- schätzung, dass wir unsere Ziele bis 2020 nicht erreichen spiel den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, die werden, von einer Fehlannahme ausgehen . Ich bin noch Energieeffizienzstrategie Gebäude, den Klimaschutzplan fest davon überzeugt, dass wir diese Ziele erreichen . Ich 21878 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Johann Saathoff (A) will jedenfalls mit all meiner Kraft dazu beitragen, dass Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (C) das auch klappt . Drucksache 18/10979 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit (Beifall bei der SPD) einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so Sie wollen als Opposition natürlich eine Schippe beschlossen . drauflegen. Das kann ich wohl verstehen. Sie schlagen Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Förderungen vor, die mehrere Milliarden Euro betra- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung gen – nach dem Motto „Viel hilft viel“. des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Es gibt ein paar Dinge, die gut sind . KWK mit erneu- Wärmebereich . Der Ausschuss für Wirtschaft und Ener- erbarer Energie zu verbinden, darüber können wir reden . gie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Aber Sie schlagen zum Beispiel lokale Wärmenetze vor . sache 18/8438, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- Aber bei neuen Gebäuden stellt sich schon die Frage, ob nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6885 abzulehnen . sich lokale Wärmenetze dann noch lohnen, wenn die Ge- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bäude tatsächlich einen so geringen Wärmebedarf haben . NEN]: Das kann doch nicht sein! – Dr .André Ich glaube, auch über die Frage Wärmespeicher kann Hahn [DIE LINKE]: Schade!) man diskutieren, darüber, wo sie sich lohnen und in wel- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen chem Maßstab sie sich lohnen . Das ist etwas, was wir wollen, um das Handzeichen .– Das sind die Grünen und sicherlich auch noch miteinander diskutieren werden . die Fraktion Die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen . Enthaltungen? – Damit ist der Ich will an dieser Stelle auch noch einmal sagen, dass Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach un- der Quartiersansatz nicht von Ihnen erfunden worden ist, serer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung . sondern wir haben ihn bei der KWK-Förderung schon umgesetzt. Ich hoffe, dass es uns gelingt, den Quartier- Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: sansatz im Smart-Meter-Strombereich auch tatsächlich hinzubekommen . Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun- DIE GRÜNEN]: Auch wir hoffen das!) deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Keine Frage: Bei der Frage der steuerlichen Förde- rung der Gebäudesanierung sind wir nicht vorangekom- Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 (B) men . Das ist nicht schön . Das ist ein Makel . Damit wären Nr. 1.16 (D) wir heute sicherlich schon einen Schritt weiter . Wir ha- Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- ben nur das Marktanreizprogramm . Ich hätte mich auch haltsausschusses (8 .Ausschuss) im Sinne der Handwerkerinnen und Handwerker gefreut, wenn es eine steuerliche Förderung gegeben hätte . Drucksache 18/11170 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Bündnis 90/Die Grünen vor . CSU und der LINKEN – Max Straubinger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für [CDU/CSU]: Das ist ja auch an der SPD ge- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- scheitert!) nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Aber darüber können wir ja bei Gelegenheit noch einmal Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Volkmar miteinander diskutieren . Klein für die CDU/CSU-Fraktion . Das Gebäudeenergiegesetz ist sozusagen unter dem (Beifall bei der CDU/CSU) Vorwand der Unwirtschaftlichkeit zunächst einmal aus dem parlamentarischen Verfahren genommen worden, aber ich glaube, dass wir als Parlament Manns und Frau Volkmar Klein (CDU/CSU): genug sind, dafür zu sorgen, dass das in dieser Legislatur- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und periode nicht endgültig beendet ist . Kollegin Dr .Scheer Herren! Oft hilft zur Einordnung der aktuellen Situa- hat darauf hingewiesen . tion ja ein Blick zurück . Vor gut drei Jahren, im Früh- jahr 2014, hat das ganze Land über eine Zahl diskutiert: Ich finde, dieser Antrag hat gute Ansätze. Daher freue 23 Milliarden Euro . Im Koalitionsvertrag war vereinbart, ich mich auf gute Beratungen im Ausschuss und bedanke zusätzliche Ausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro mich für Ihre Aufmerksamkeit . über die gesamte Legislaturperiode tragen zu können . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Jan Die Opposition, gestärkt durch viele angeblich sehr gut Metzler [CDU/CSU]) informierte Kommentatoren, hatte schon das Ende der Stabilitätspolitik vorausgesagt und prophezeit, dass es viele Nachtragshaushalte geben werde, und zwar nach Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dem alten Verständnis . In der Vergangenheit bedeutete Vielen Dank . Dazu bekommen Sie auch Gelegenheit . ein Nachtragshaushalt nämlich meistens Problembewäl- Ich schließe die Aussprache . tigung und Krisenaufarbeitung . Aber genau das ist jetzt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21879

Volkmar Klein (A) nicht der Fall . Tatsächlich geht es bei unserem jetzigen Unsere Aufgabe als Deutscher Bundestag muss (C) Nachtragshaushaltsplan um die Frage, wie mit größeren aber doch vor allen Dingen sein, dafür zu sorgen, dass Spielräumen umzugehen ist . Deutschland stark bleibt, dass Deutschland auch in Zu- kunft seine Verantwortung nicht nur für die eigenen Bür- Seit 2014 haben wir einen ausgeglichenen Haushalt, ger, sondern darüber hinaus weltweit wahrnehmen kann . und das, ohne den Betrag von 23 Milliarden Euro gekürzt Das, was wir heute als Nachtragshaushalt beschließen, ist zu haben . Ganz im Gegenteil: In der Zwischenzeit gab es ein ganz, ganz wichtiger, positiver Beitrag dazu . Deswe- sogar sehr viel mehr zusätzliche Ausgaben, beispielswei- gen bitte ich das ganze Haus um Zustimmung . se für die Entwicklungszusammenarbeit – dabei geht es um Chancen für Menschen; auch das ist ein Teil unserer Vielen Dank . internationalen Verantwortung – oder für die Entlastung von Kommunen . Ich nenne als Stichworte die Kosten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Unterkunft, die Flüchtlingskosten und die Grundsi- ordneten der SPD) cherung im Alter . Insofern können die Menschen noch viel mehr von der wirklich guten Wirtschaftsentwick-

lung profitieren. Das betrifft im Übrigen auch die kom- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: munalen Einnahmen . Das heißt, die guten wirtschafts- Vielen Dank .– Nächster Redner für die Fraktion Die politischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Linke ist Roland Claus . Deutschland kommen inzwischen allen zugute . (Beifall bei der LINKEN) Unser Nachtragshaushalt von heute hat mit Krisenbe- wältigung überhaupt nichts zu tun . Roland Claus (DIE LINKE): (Roland Claus [DIE LINKE]: Koalitionskri- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Kern sen!) geht es mit diesem Nachtragshaushaltsgesetz um Schul- Bereits im ursprünglichen Haushalt war ein Betrag von sanierungen . Da sind wir gern dabei und stimmen zu . 31,5 Milliarden Euro für Investitionen vorgesehen . Die Botschaft, die von dem heute anstehenden Beschluss (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ausgeht, lautet: Wir stärken die Investitionen weiter, und Dennoch entbehrt der Vorgang nicht einer gewissen das im doppelten Sinne . Peinlichkeit, Erstens – das ist vielleicht etwas technisch bzw . an den Zahlen erkennbar; aber auch das ist wichtig – wer- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was?) (B) (D) den 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Kommuna- weil wir zum dritten Mal im Plenum die Debatte über linvestitionsförderungsfonds, also für die kommunale einen Nachtragshaushalt zum Haushalt des Jahres 2016 Bildungsinfrastruktur, bereitgestellt, wodurch finanz- führen müssen, der bekanntlich längst abgeschlossen ist . schwache Kommunen gestärkt werden sollen . Dabei ist Ich empfehle Ihnen einen Blick in die Drucksache . Der wichtig: Dies ist eine Notwendigkeit, um die sich zwar Artikel 3 des heutigen Gesetzentwurfes enthält den rich- der Bund kümmert, die aber eigentlich nicht in der Zu- tungsweisenden Satz: „Dieses Gesetz tritt mit Wirkung ständigkeit des Bundes liegt . Ich glaube, das muss immer vom 1. Januar 2016 in Kraft.“ wieder betont werden . (Zuruf von der CDU/CSU: Na und?) Vor allen Dingen aber ist klar: Der Bund hilft, ent- scheidet aber nicht darüber, welche Kommunen finanz- Zum dritten Mal müssen wir deshalb beraten, weil schwach sind . Das bleibt weiterhin Sache der einzelnen Union und SPD sich nicht einigen konnten, was sie mit Länder . Insofern würde ich vorschlagen – man hört ja den Haushaltsüberschüssen nun machen wollten . Die auch in der eigenen Region die Beschwerde, noch mehr Bundeskasse von Bundesfinanzminister Schäuble war Geld wäre noch besser –, sich, wenn es bei der Zuteilung sozusagen zeitweilig wegen Überfüllung geschlossen . Probleme gibt, bitte an die jeweiligen Länder zu wenden . Das erinnert ein bisschen an die Geschichte von Buri- Aber über diese technische Frage – 3,5 Milliarden dans Esel . Ich denke, Sie kennen die Geschichte . Buri- Euro an zusätzlichen Investitionen – hinaus ist, so glaube dans Esel stand zwischen zwei großen Haufen aus safti- ich, ein Signal, welches von unserem Nachtragshaushalt gem Heu und ist schließlich dennoch verhungert, weil er ausgeht, ein noch viel wichtigeres: Solide Finanzen sind sich nicht entscheiden konnte, welchen er zuerst fressen mehr als eine Zahl . Solide Finanzen sind ein Signal für sollte . Zukunftsvertrauen und die Grundlage dafür, dass auch (Beifall bei der LINKEN) in Zukunft Investitionen auch im privaten Bereich ge- tätigt werden; ohne Vertrauen keine Investitionen . Wir So ähnlich hat sich die Koalition verhalten . Die SPD sichern mit diesem Nachtragshaushalt die weitere gute wollte mehr Investitionen, die Union wollte Schulden- wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes; denn die tilgung . Die Einigung ist nun: Sie machen gar nichts, es müssen wir erhalten, wenn wir stark bleiben wollen . Die geht in die Rücklage . müssen wir sichern . Deswegen ist es auch richtig, dass zusätzliche Überschüsse erst einmal in die Rücklage flie- Trotzdem muss man dabei einen gewissen Verhand- ßen . Man weiß nicht, wie die weitere Entwicklung sein lungserfolg der SPD anerkennen, der nämlich darin be- wird . Dazu wird gleich Alois Karl noch einiges sagen . steht: Von der SPD wissen wir bekanntlich alle, dass sie 21880 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Roland Claus (A) sich bis zur Wahl immer nicht wirklich entscheidet, mit Das ist jetzt aber vorbei . Wir haben wieder einen (C) wem sie denn regieren möchte . Nachtragshaushalt, der nicht das Stopfen von Löchern mit neuen Schulden vorsieht, sondern zusätzliche Inves- (Dr . [SPD]: Hallo? Das war titionen aus Überschüssen . Das ist wirklich eine starke ein Kompromiss!) Leistung dieser Koalition . Da sind natürlich knapp 20 Milliarden Euro in einer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rücklage beim Bund ganz gut gebucht . Ich sage Ihnen: der CDU/CSU) Falls Sie uns im Blick haben, ist diese Vorsorge auch wirklich angebracht, meine Damen und Herren . Wir haben heute Morgen ja bereits über das große Paket der Gesetzentwürfe zu den Bund-Länder-Finanz- (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei der beziehungen diskutiert . Bei allen Kontroversen zu den SPD – Alois Rainer [CDU/CSU]: Weil ihr das verschiedenen Punkten hat auch die Opposition richti- Geld herausschmeißt!) gerweise festgestellt: Es ist richtig, zusätzliche Mittel für Wir haben bereits mehrfach betont: Die Mittel für Bildungsinvestitionen in finanzschwachen Kommunen Schulsanierungen sind gut angelegtes Geld . Deshalb bereitzustellen . bleibt es auch bei der Zustimmung . Wir sagen ganz klar: (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Wir sind ja besser die Mittel für Bildung als für Aufrüstung ausge- auch konstruktiv!) ben! Deshalb ist es eine gute Entscheidung . Ich bin auf dem Feld der Bildung besonders stark (Beifall bei der LINKEN) engagiert seit ich im Deutschen Bundestag bin, und ich Nun weiß auch ich, dass für den schlechten Zustand war schon immer ein Kritiker des Kooperationsverbotes vieler Schulen nicht allein der Bund und vielleicht nicht von Bund und Ländern . Darum freue ich mich wirklich einmal zuerst der Bund verantwortlich ist . Aber eines sehr, dass das wenigstens ein Stück weit gelockert wird muss ich an die Adresse der Union auch sagen: Unschul- und damit mehr Engagement des Bundes für die Bildung dig an der Situation vieler klammer, finanzschwacher möglich ist . Kommunen ist der Bund aber auch nicht . (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Bildung – darin sind wir uns doch sicherlich alle Deshalb sollte sich die Koalition auch nicht wie ein Gön- einig – ist sehr wichtig für die Menschen, für die Ge- ner aufspielen, wenn diese Mittel jetzt investiert werden . sellschaft und für unsere Zukunft . Wir müssen hier alle Der Investitionsbedarf ist bekanntlich zehnmal höher als Kräfte zusammennehmen und an einem Strang ziehen . (B) die Mittel, die wir heute beschließen werden . Das wird jetzt leichter . (D) Ich will Sie noch einmal daran erinnern: Die Linke hat Dazu gehört dann aber auch – das sage ich ebenso getrennte Abstimmung über die Artikel dieses Gesetzes klar –, dass wir hier keine Blankoschecks verteilen . Die beantragt . Wir werden dem Artikel 1, in dem es um die Länder können mit dem Geld nicht machen, was sie wol- Schulsanierung geht, gern zustimmen, werden aber nicht len . Dieses Geld des Bundes muss dann auch wirklich für mit der Zustimmung zu den Artikeln 2 und 3 nachträg- die Bildung ausgegeben werden, und wir müssen darauf lich einem schlechten Haushalt insgesamt unseren Segen achten, dass das korrekt läuft . erteilen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank . der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Wir Sozialdemokraten sagen freimütig, dass wir uns bei aller Freude über das Erreichte durchaus hätten mehr vorstellen können. Das betrifft zum einen das Koopera- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tionsverbot, das wir auch ganz abschaffen würden, zum Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion hat jetzt Swen anderen betrifft das auch das Geld; denn es gibt ja einen Schulz das Wort . zusätzlichen Haushaltsüberschuss in Höhe von 6,2 Mil- liarden Euro . Wir haben vorgeschlagen, dieses Geld für (Beifall bei der SPD) weitere Investitionen zu nutzen .

Swen Schulz (Spandau) (SPD): Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und die CDU/CSU wollten das jedoch nicht . Sie wollten mit dem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geld lieber Schulden tilgen . Wir konnten uns auch nach Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribü- langen Diskussionen nicht einigen, nen! (Dr . Karamba Diaby [SPD]: Schade!) (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und an den Rundfunkgeräten!) sodass das Geld nach geltender Rechtslage in die Rück- lage für Flüchtlinge fließt. Der Kollege Volkmar Klein hat es angedeutet, und mir ging es auch so: Wenn ich früher das Wort „Nachtrags- So weit, so schade; denn das Geld wird an den Schu- haushalt“ gehört habe, dann habe ich an eine Krise und len dringend gebraucht . Die baulichen Investitionen sind an Schulden gedacht . So war das in früheren Zeiten ja in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen . 34 Milli- auch immer . arden Euro fehlen . Ich zitiere die KfW: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21881

Swen Schulz (Spandau) (A) Den Trend steigender Investitionsrückstände zu men deutlich . Das hilft der Demokratie, und das hilft den (C) brechen ist notwendig, um das Bildungssystem zu- Bürgern bei der Wahlentscheidung . kunftsfit zu machen und das Bildungsniveau lang- fristig zu steigern . . (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist ein Luxusproblem, das wir haben!) Anders formuliert: Jeder weiß, dass in einer Schule ohne funktionierende Heizung, ohne ordentliche Sporthalle Jetzt wird argumentiert, dass der Bund schon sehr und ohne moderne Ausstattung nicht gut gelernt werden viel macht und die Mittel gar nicht recht abfließen. Ich kann . habe da einen Vorschlag . Die Bundesbildungsministerin Wanka hat unlängst einen Digitalpakt für Schulen ins Es gäbe auch jede Menge anderer Investitionsziele, Spiel gebracht . Der Bund will in den nächsten Jahren etwa bezahlbare Wohnungen, moderne kommunale In- massiv in die digitale Ausstattung an Schulen investieren . frastruktur, schnelles Internet usw . Ökonomen wie der Jährlich 1 Milliarde Euro an Bundesmitteln soll fließen. DIW-Chef Fratzscher beklagen den öffentlichen Inves- Darüber gab es eine breite Berichterstattung . Allein: Frau titionsstau der letzten Jahre, der dringend aufgeholt wer- Wanka hat dafür keinen einzigen Euro . Sie verschiebt die den muss . Auch die OECD fordert uns zu stärkeren In- Finanzierungsfrage auf die Zeit nach der nächsten Bun- vestitionen gerade im Bildungsbereich auf . destagswahl . Die Bertelsmann-Stiftung hat jüngst in einer Studie (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Das macht dargelegt, dass die öffentliche Hand in Deutschland zu man doch nicht! – Bernhard Daldrup [SPD]: wenig investiert. Mehr öffentliche Investitionen -wür Sie hätte ja einmal mit Schäuble reden kön- den sich demnach rechnen und auszahlen . Die Stiftung nen!) schreibt: Das ist – mit Verlaub – eher fragwürdig . Durch die geringe öffentliche Investitionstätigkeit Wir könnten aber sofort mit einer ganz schnellen und bleibt Deutschland hinter seinen wirtschaftlichen einfachen Entscheidung die Mittel für den Digitalpakt Möglichkeiten zurück und setzt den Wohlstand aus dem Überschuss zur Verfügung stellen . Das wäre kommender Generationen aufs Spiel . doch einmal eine kraftvolle Entscheidung vor der Bun- Deutlicher geht es doch nicht! destagswahl . Die Union orientiert sich aber am Leitbild der vielzi- (Beifall bei der SPD) tierten schwäbischen Hausfrau . Aber die Union lässt sich nicht überzeugen . So bleiben (B) die Mittel zweckgebunden in der Reserve für Flüchtlin- (D) (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE ge . Dort bleiben sie dann auch, bis der nächste Deutsche GRÜNEN]: Was ist mit dem Hausmann?) Bundestag und die nächste Bundesregierung nach den – Nur mit der Ruhe! – Nichts gegen die schwäbische Wahlen anders entscheiden und das Geld sinnvoll einset- Hausfrau an sich, aber der Staat ist eben kein Familien- zen werden . Ich bin sicher, dass Bundeskanzler Martin haushalt . Schulz das ordentlich regeln wird . (Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist so!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir als gebürtigem Hamburger sei gestattet, zu sagen: Herzlichen Dank . Was wir mehr brauchen, ist der Geist des hanseatischen (Beifall bei der SPD – Klaus-Dieter Gröhler Kaufmannes, der vorausschauend investiert und auf [CDU/CSU]: Ich kenne nur Swen Schulz!) Wachstumskurs fährt .

(Beifall bei der SPD – Dr . Karamba Diaby Vizepräsidentin Ulla Schmidt: [SPD]: Das müssen die noch lernen! – Klaus- Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Dieter Gröhler [CDU/CSU]: Aber er macht Dr . das Wort . auch keine Schulden auf Teufel komm raus!)

Wir haben im Grundsatz gar nichts gegen das Zurück- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zahlen von Schulden . Aber das können wir doch erst ma- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen, wenn die Schulen in Ordnung und wenn genügend Herr Schulz, ich will mich nicht zu dem äußern, wovon Wohnungen vorhanden sind, wenn also die Infrastruk- Sie nachts träumen . tur stimmt . Dafür interessieren sich doch die Menschen, nicht dafür, ob der Schuldenstand 0,4 Prozent höher oder (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie träumen niedriger ist . von Schwarz-Grün! Das ist mir klar!) Dass wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, Aber wenn Sie über schwäbische Hausmänner und Ham- diese Differenzen in der Koalition offen aussprechen und burger Kauffrauen sprechen, dann will ich dazu folgendes hier debattieren, finde ich übrigens gut; denn so werden Zitat bemühen: Was lange währt, wird endlich gut . – Lei- bei allen gemeinsamen Erfolgen in der Koalition auch der gilt das für das vorliegende Nachtragshaushaltsgesetz die Unterschiede in der Herangehensweise an die The- keineswegs . Hier muss man eher sagen: Was zu lange 21882 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Tobias Lindner (A) währt, das bleibt am Ende mutlos, liebe Kolleginnen und stimmt hat, in den wir die Mittel überjährig und zweck- (C) Kollegen .– So ist es auch mit diesem Nachtragshaushalt . gebunden eingestellt hätten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben in der letzten Sitzungswoche ein in der Ge- schichte unseres Landes beispielloses Schauspiel aufge- Sie hätten zustimmen sollen . Dann könnten Sie jetzt Ihre führt . Als dieser Haushalt nach der Geschäftsordnung Träume verwirklichen, zumindest den von Ihrem Bil- beraten werden musste, haben Sie gezeigt, dass Sie sich dungsprogramm . über die Verwendung des Überschusses in Höhe von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 6,2 Milliarden Euro, den es im Haushalt glücklicherwei- se gibt, nicht einigen können . Sie haben diesen Nach- Ich will einen letzten Punkt nennen . Wir haben auch tragshaushalt in Geiselhaft genommen, weil Sie über die deswegen den Überschuss im Haushalt, weil es unserem Frage gestritten haben: Wofür geben wir das Geld jetzt Land wirtschaftlich, was die Wachstumszahlen betrifft, aus? Die einen wollten Schulden tilgen . Andere wollten ganz gut geht . investieren . Dazu muss ich sagen: Da rennen Sie bei den (Alois Karl [CDU/CSU]: Freilich! Sehr gut!) Grünen offene Türen ein. Wieder andere – da gucke ich die CSU an – wollten mit einem Einmaleffekt die Steuern Deshalb sollten wir dafür Sorge tragen, dass dem auch senken . Sie haben diesen Überschuss quasi schon drei- weiterhin so ist . Aber dann dürfen wir doch nicht unse- mal ausgegeben . re öffentliche Infrastruktur verfallen lassen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sondern dann müssen wir Jetzt könnte man auf die Idee kommen: Nach dem dafür Sorge tragen, dass wir durch Investitionen das öf- Nachdenken kommt etwas besonders Kreatives . Aber fentliche Vermögen erhalten und modernisieren . nein, Fehlanzeige! Dieses Nachtragshaushaltsgesetz bleibt, wie es ist . Das alles tun Sie mit dem Überschuss nicht . Sie sind an dieser Stelle mutlos geblieben . Mit unserem Vorschlag Auch wir freuen uns darüber, dass 3,5 Milliarden Euro hätten Sie eine Menge tun können . Deshalb können wir für kommunale Investitionen bereitgestellt werden; das diesem Nachtragshaushalt heute nicht unsere Zustim- ist richtig . mung geben . (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wenn das Herzlichen Dank . Grundgesetz geändert wird!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) – Erst müssen wir das Grundgesetz ändern . Herr Kollege (D) Kalb, da bin ich bei Ihnen . Aber das löst ein anderes Pro- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: blem nicht . Wir müssen uns einmal anschauen, wie die- Vielen Dank .– Jetzt hat Alois Karl für die CDU/ ser Überschuss von 6,2 Milliarden Euro entstanden ist . CSU-Fraktion das Wort . So kommen 1,8 Milliarden Euro aus Investitionsmitteln, die im letzten Jahr bereitstanden, aber nicht abgeflossen (Beifall bei der CDU/CSU) sind . Wir von Bündnis 90/Die Grünen sagen ganz deutlich: Alois Karl (CDU/CSU): Was für Investitionen bereitstand, das muss man in der Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Zukunft wieder für Investitionen verwenden . Wer das Kollegen des Deutschen Bundestages! Wenn wir uns nicht tut, der versündigt sich an der Zukunft, meine sehr jetzt abschließend mit dem Entwurf des Gesetzes über geehrten Damen und Herren . die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushalts- plan 2016 befassen, freue ich mich, dass ich zum Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deshaushalt 2016 offensichtlich der letzte Redner bin. Deshalb haben wir Grüne einen Vorschlag gemacht; (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE denn wir wissen, dass es mit dem Mittelabfluss manch- GRÜNEN]: Einer ist immer der Letzte!) mal schwierig ist . Nicht jede Kommune hat bis zum Mor- gen des übernächsten Tages den Bauplan für eine Schul- Nach meiner Rede wird darüber abgestimmt, und es ist sanierung in der Schublade liegen . Man sollte vielleicht sehr wichtig, dass man das jetzt in eine gute Bahn bringt . auch manchmal überlegen, was prioritär ist . Können wir Es ist eigentlich ein gewöhnliches Thema . Wir sparen die Mittel im Bereich Bildung gebrauchen? Wie sieht es bei den Zinsausgaben 3,5 Milliarden Euro . Mit diesen bei der Breitbandversorgung aus? Wie können wir die 3,5 Milliarden Euro, die wir weniger ausgeben, fördern Mittel vernünftig anlegen? Wie können wir das Dezem- wir die kommunalen Investitionen . Das wird von allen berfieber verhindern? begrüßt; das können wir fast abhaken . Deswegen wundert es mich, ehrlich gesagt, Herr Kol- Aber das Thema ist doch nicht ganz so gewöhnlich; lege Schulz, warum die SPD, wenn Sie Vorschläge ma- es ist angesichts der Überschüsse beim Haushaltsab- chen, für was alles man diese Mittel verwenden könn- schluss 2016 eher ungewöhnlich . Es ist schon angespro- te – ich bin durchaus bereit, mit Ihnen über die Ideen von chen worden: 6,2 Milliarden Euro; das ist nicht wenig . Frau Wanka zu diskutieren –, im Haushaltsausschuss ge- Das ist ein tolles, erfreuliches und ungewöhnliches Er- gen unseren grünen Antrag für einen Zukunftsfonds ge- gebnis . Eigentlich müsste man mehr jubeln . Aber die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21883

Alois Karl (A) Freude ist Ihnen nicht ins Gesicht geschrieben gewesen, Steinbrück gerade einen Haushalt mit 86 Milliarden Euro (C) Herr Claus, und anderen auch nicht . neuen Schulden für das Jahr 2010 vorgelegt . Ich möchte mich ausdrücklich und mit großem Res- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie wissen, pekt, lieber Herr Staatssekretär, an den Bundesminister warum!) Schäuble wenden, der in einer geradezu grandiosen Art Schäuble hat diese Summe nicht aufnehmen müssen, er und Weise das Geld bei uns zusammenhält . Bitte richten hat in den nächsten Jahren konsolidiert und den Haushalt Sie ihm das aus! Das ist in den letzten beiden Jahren ein saniert: bis zum Jahr 2014 0 Euro neue Schulden, 2015 ganz großer Akt gewesen . Ich bedanke mich persönlich 0 Euro neue Schulden, 2016 0 Euro neue Schulden und und auch im Namen meiner Fraktion für diese hervorra- 2017 ebenfalls keine . gende Arbeit . Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Leis- (Beifall bei der CDU/CSU) tungen werden wir natürlich zu gegebener Zeit unter die Meine Damen und Herren, die heutige Situation ist Leute bringen können . Es ist mir durchaus bewusst, dass in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ge- wir für die Solidität und Stabilität unserer Finanz- und radezu einmalig . Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu Haushaltspolitik stehen . Dafür haben wir, glaube ich, gestern, dass wir eine Rücklage von 19 Milliarden Euro eine hervorragende Arbeit gemacht . Meine Damen und schaffen, über die die nächste Bundesregierung befinden Herren, wir haben in diesen Jahren unserer jungen Ge- kann . neration – den Kindern und Enkeln – keine neuen Hypo- theken aufgebürdet . Wir haben sie nicht mit Belastungen Wenn ich Sie reden höre, Herr Claus, dann muss ich für die nächsten Jahre ausgestattet . Wir führen fast eine sagen: Ich bete fast jeden Tag darum, dass Sie niemals Luxusdebatte – der Ausdruck ist vorhin gefallen . Und die Gelegenheit bekommen, über dieses Geld zu verfü- wir meinen, dass es – nachdem Franz Josef Strauß 1969 gen und Zugriff auf diese Rücklagen zu nehmen, die wir das letzte Mal einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen geschaffen haben. konnte, wir aber seit 1970 bis einschließlich 2013, also (Beifall bei der CDU/CSU) 43 Jahre lang, jedes Jahr neue Schulden aufgetürmt ha- ben – an der Zeit ist, dem Volk zu zeigen, dass man mit Wir hatten in den 50er-Jahren schon einmal eine ähn- den Schulden auch anders umgehen kann, als sie bloß liche Situation. Fritz Schäffer hieß damals der Bundes- anzuhäufen . Wir setzen das Signal, dass man sie auch ab- finanzminister – er kam von der CSU –, der in den Jah- bauen kann . Wann, wenn nicht jetzt, wo wir Überschüsse ren 1953 bis 1957 Rücklagen geschaffen hat, aber damals in den Haushalten haben, sollten wir denn Schulden ab- wegen des Aufbaus der Bundeswehr . Es waren 8 Milliar- bauen? Jetzt ist die Zeit gekommen . Leider ist das mit (B) den D-Mark . Das entspricht nach heutigem Geldwert in Ihnen, Herr Schulz, und der SPD-Fraktion nicht möglich (D) etwa den 19 Milliarden Euro, die wir jetzt als Rücklagen gewesen . im letzten und diesem Jahr eingestellt haben . (Zuruf des Abg . Dr . Karamba Diaby [SPD]) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Juli- usturm!) Das ist kein Ruhmesblatt für die deutschen Sozialdemo- kraten und ihre Finanz- und Haushaltswirtschaft . – Der Juliusturm ist manchen noch bekannt . Wir sind (Beifall bei der CDU/CSU) weit davon entfernt, aber wir sind auf gutem Wege zu einer konsolidierten und soliden Haushaltswirtschaft . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir könnten sagen: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein .– Das ist Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Mi- angesichts der großen Bundesschuld wohl durchaus rich- nister Schäuble angesprochen . Wir wären nicht in dieser tig, aber es muss ein Signal geben, dass wir Schulden ab- glücklichen Situation, lieber Herr Schulz, wenn wir in bauen wollen, wenn wir entsprechend ausgestattet sind . den Haushaltsberatungen diesen ausgabewütigen Plänen der Grünen und der Linken nachgegeben hätten . Ich möchte nicht Kassandra-Rufe ausstoßen . (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Hört! Hört! Alles gegenfinanziert! Das Vizepräsidentin Ulla Schmidt: müssen Sie auch erwähnen!) Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Karl . Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, Herr Lindner, wären (CDU/CSU): es 53 Milliarden statt 17 Milliarden Euro Mehrausgaben Alois Karl gewesen: alles nicht gedeckt und unsolide . Aber es ist in der Tat so, Frau Präsidentin, dass wir in den nächsten Jahren auch mit höheren Zinsbelastungen Die Haushalte sind bei uns in den besten Händen und rechnen müssen . Dann wird ein Schuldenabbau ganz, so, meine ich, sollten wir das auch halten . Schulz und ganz schwierig sein . Schulz bzw . Doppel-Schulz sollten wir nicht auf unsere Fahnen schreiben . Wir werden unserer Tugend der Sparsamkeit auch weiterhin Rechnung tragen . Wir stimmen dem Antrag zu, (Beifall bei der CDU/CSU) in die Rücklagen zu gehen . Meine Damen und Herren, so wie die Situation heute Wir stimmen auch dem Antrag zu, die Kommunen ist, war sie natürlich nicht immer . 2009, als Schäuble das weiterhin mit einem Fonds von 3,5 Milliarden Euro aus- Finanzministerium übernahm, hatte Ihr Finanzminister zustatten . Wir wünschen den Kommunen mit diesem 21884 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Alois Karl (A) Geld alles Gute, wünschen, dass sie auch wirklich in – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia (C) die Bildung investieren . Ich bin sicher, dass wir in der Roth (Augsburg), Omid Nouripour, Luise nächsten Legislaturperiode – hoffentlich auch dann mit Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Wolfgang Schäuble – mit dem Geld vernünftig umgehen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden . Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämp- Vielen herzlichen Dank . fen (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksachen 18/7039, 18/7046, 18/7446

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei- Wir kommen zur Abstimmung über den von der nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Ute Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion . für das Haushaltsjahr 2016 . Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- (Beifall bei der SPD) che 18/11170, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10500 und 18/10807 anzuneh- men . Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Wie der Kollege Claus in seiner Rede angekündigt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hat, hat die Fraktion Die Linke beantragt, über den Ge- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! setzentwurf getrennt abzustimmen, und zwar zum einen Es ist immer spannend, über Anträge, die vor über einem über den Artikel 1 und zum anderen über den Gesetzent- Jahr gestellt wurden, hier im Plenum auf Basis der Be- wurf im Übrigen . schlussempfehlung zu diskutieren,

Ich rufe zunächst Artikel 1 auf . Ich bitte diejenigen, (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Er ist noch die Artikel 1 des Gesetzentwurfs zustimmen wollen, um immer aktuell!) das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 ist einstimmig angenommen . weil sich einerseits manches als nach wie vor aktuell er- Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs weist – da haben Sie recht – und weil sich andererseits (B) auf . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das bestimmte Dinge verändert haben und der Fokus auf an- (D) Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält deren Dingen liegt als noch vor über einem Jahr . Als Bei- sich? – Alle übrigen Teile des Gesetzentwurfs sind damit spiel dafür, was nach wie vor aktuell ist, dienen in beiden in zweiter Beratung bei Zustimmung der Fraktionen von Anträgen, über die wir heute diskutieren, die globalen CDU/CSU und SPD, Ablehnung der Linken und Enthal- Aspekte von Flucht, Vertreibung und Migration . Daran tung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . wird sich so schnell auch nichts verändern, weil hier langfristige Entwicklungen – wie es im Erläuterungsteil Dritte Beratung der beiden Anträge dargestellt wird; darüber sind wir uns und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem alle im Großen und Ganzen einig – eine entscheidende Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Rolle spielen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist angenommen mit den Stimmen der Koaliti- Da, wo es um kurzfristige Entwicklungen ging, zum onsfraktionen bei Enthaltung der Opposition . Beispiel um die Frage, wie viel wir für humanitäre Hilfe ausgeben müssen, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge, Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- die sich auf den Weg nach Europa machen, dramatisch schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhöht, hat sich im Vergleich zu der Situation vor über auf Drucksache 18/11008 . Wer stimmt für diesen Ent- einem Jahr einiges verändert . Einige Herausforderun- schließungsantrag? – Das ist die Fraktion der Grünen . – gen, auf die in den Anträgen hingewiesen wird, haben Wer ist dagegen? – Das sind CDU/CSU und SPD . Wer wir inzwischen bewältigt . Dabei bestand manchmal die enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist Notwendigkeit, die CDU/CSU-Kollegen zu überzeugen; der Entschließungsantrag abgelehnt . das ist uns gelungen . Wir haben die Mittel für humanitäre Hilfe drastisch aufgestockt, und zwar über den Betrag hi- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: naus, der in den beiden Anträgen gefordert wird, nämlich Beratung der Beschlussempfehlung und des auf 1,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr . Es ist uns Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3 .Aus - zudem dank der Zuarbeit der Haushälter gelungen, die- schuss) sen hohen Betrag für humanitäre Hilfe in diesem Jahr zu verstetigen . Dementsprechend haben wir die Zusammen- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim arbeit mit den internationalen Organisationen, die Men- Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat, schen, die direkt von Krieg und Bürgerkrieg betroffen weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE sind, in Nachbarländer geflohen sind und in Flüchtlings- LINKE lagern leben, humanitäre Hilfe leisten, deutlich verstärkt . Fluchtursachen bekämpfen UNHCR und World Food Programme bekommen nun Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21885

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) deutlich mehr Geld aus dem Bundeshaushalt als noch Debatte darüber begonnen wird, was eigentlich die Wün- (C) vor zwei Jahren . sche, die Erwartungen und die Hoffnungen der -Men schen sind, die sich auf direkter Flucht vor Krieg und (Beifall bei der SPD – Dr .André Hahn [DIE politischer Verfolgung oder auf der Suche nach besseren LINKE]: Das war dringend notwendig!) Lebensperspektiven befinden. Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung Danke schön . noch nicht sichtbar waren, gab es im Bereich der interna- tionalen Diskussion über humanitäre Hilfe und Flüchtlin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ge . Im letzten Jahr haben zwei Gipfel stattgefunden, an der CDU/CSU) denen sich Deutschland intensiv beteiligt hat . Der eine war der World Humanitarian Summit in Istanbul . Der an- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dere war ein Gipfel zur Flüchtlingshilfe in New York im Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist Heike Hänsel, Herbst letzten Jahres . Man kann, glaube ich, mit gutem Fraktion Die Linke . Gewissen sagen, dass sich die deutsche Bundesregierung und ganz besonders das Auswärtige Amt als federführen- (Beifall bei der LINKEN) des Ministerium intensiv beteiligt haben . In Istanbul war die Kanzlerin eine der wenigen Regierungschefs, die dort Heike Hänsel (DIE LINKE): teilgenommen haben. Auch das finde ich gut und richtig. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Das ist eine Konsequenz aus den Diskussionen, die wir Kollegen! Angesichts der großen Anzahl von Kriegen hier im Plenum immer wieder geführt haben . weltweit, angesichts von Krisen, Millionen von Kriegs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten flüchtlingen, Terroranschlägen und erstarkten rechten der CDU/CSU) Bewegungen weltweit fangen viele Reden hier im Bun- destag mit dem Satz an: Die Welt ist aus den Fugen ge- Es stellt sich die Frage, wie wir mit den längerfristigen raten . Entwicklungen umgehen . Einige der großen Entwicklun- gen sind in Ihren Anträgen genannt, die auch und gerade Aber dies hört sich, finde ich, sehr schicksalhaft an. Afrika betreffen, obwohl ein Großteil der Flüchtlinge, die Dabei gibt es doch für Kriege und Krisen und für Terror- in den letzten Jahren Europa erreicht haben, gar nicht aus gefahr konkrete Verantwortliche . So kritisiert das Frie- Afrika kommt, auch wenn die Bilder von den Seelenver- densgutachten 2016 – ich zitiere –: käufern, die in Afrika starten, und die Zahlen über die Wer über Fluchtursachen redet, darf über das De- ertrunkenen Flüchtlinge uns allen zu schaffen machen. bakel der westlichen Militärinterventionen nicht (B) Ein Großteil der Flüchtlinge kam aus den Bürger- schweigen . (D) kriegsregionen des Nahen Ostens, und ein Teil kam vom (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Uwe Balkan . Das heißt, da ist humanitäre Hilfe in den Nach- Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) barländern Syriens und des Irak gefragt . Inzwischen ist die Frage viel aktueller, wie wir die Flüchtlinge, die jetzt Genau diese Politik des Westens im Irak, in Libyen, in für mehrere Jahre hier bleiben werden, vielleicht sogar Syrien und in Afghanistan hat Millionen Kriegsflüchtlin- auf Dauer, in unsere Gesellschaft integrieren, wie wir sie ge produziert . Genau deshalb muss diese Kriegspolitik, unterstützen, wie sie Ausbildungsplätze bekommen, wie an der sich die Bundesregierung beteiligt, beendet wer- ihre Ausbildung, wenn sie schon ausgebildet sind, aner- den . kannt wird, wie diejenigen, die ihre Schule noch im Hei- (Beifall bei der LINKEN) matland abgeschlossen haben, hier in die Universitäten kommen usw . Das heißt, wir diskutieren inzwischen über Durch Ihre Rüstungsexportpolitik – bisher war da- andere Themen . für SPD-Minister Gabriel federführend – wurde na- türlich noch zusätzlich Öl ins Feuer gegossen . Überall Aber in Bezug auf Afrika diskutieren wir immer noch auf der Welt wird mit deutschen Waffen gemordet und dasselbe . Ich möchte einen Punkt ansprechen, der auch werden Menschen zur Flucht gezwungen . Auch deshalb aufgrund der Debatte, die wir seit zwei Jahren über kann man diesen Satz nicht oft genug wiederholen: Wer Flucht und Migration führen, jetzt von Wissenschaftle- Fluchtursachen bekämpfen will, muss die Rüstungsex- rinnen und Wissenschaftlern erwähnt wird, nämlich die porte stoppen . Frage, wie eigentlich innerhalb Afrikas nicht nur mit der Afrikanischen Union und den Regierungen diskutiert (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . wird, sondern auch mit denen, die gezwungenermaßen Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE oder weil sie keine Lebensperspektive in ihrem eigenen GRÜNEN]) Land sehen, ihr Heimatland verlassen . Am Samstag findet die jährliche Münchner Sicher- Das ist einer der Punkte, den ich Ihnen und euch noch heitskonferenz statt . Auch dort geht es nur um militäri- mitgeben möchte . Wir müssen in der Diskussion darauf sche Strategien, um Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung dringen, dass nicht nur über Flüchtlinge und Migranten und auch um Drohszenarien gegen Russland . Frau von geredet wird, nicht nur von außen Vorschläge gemacht der Leyen will jetzt militärische Großverbände in Europa werden, wie mit ihnen umgegangen werden kann oder aufstellen . Ja, was denn noch? Hier wird mit dem Feu- soll, sondern auch gemeinsam mit der Europäischen er gespielt, und hier werden Milliarden Steuergelder für Union und gemeinsam mit der Afrikanischen Union eine die Rüstungsindustrie verbraten . Genau dieses Geld fehlt 21886 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Heike Hänsel (A) natürlich im Kampf gegen Armut, für humanitäre Hilfe Ich kann nur sagen: Freihandel, CETA, TTIP, TiSA usw . (C) in den Flüchtlingslagern und für eine gute Sozialpolitik bleiben schädlich – Trump hin oder her . Wir müssen end- auch hier in Deutschland . lich eine gerechte Handelspolitik entwickeln . (Beifall bei der LINKEN) Danke . Deshalb setzen wir uns für ein Ende dieses unsäglichen (Beifall bei der LINKEN) Kriegsgeheuls ein . Kein Geld für Hochrüstung und deut- sche Großmachtpolitik! Wir fordern alle dazu auf: Kom- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: men Sie zu der Demonstration am Samstag in München . Vielen Dank . – Jetzt hat Jürgen Klimke für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Seit wir die großen Fluchtbewegungen erleben, spre- chen alle immer von der Bekämpfung von Fluchtursa- chen . Aber wenn man sich genau anschaut, was passiert, Jürgen Klimke (CDU/CSU): stellt man fest: Es werden nur Fluchtrouten und Flucht- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! möglichkeiten bekämpft . Flüchtlinge werden interniert . Meine Damen und Herren! Wenn man gerade gehört hat, Grenzen und Zäune werden hochgezogen. Deshalb finde was Heike Hänsel hier vorgetragen hat, dann sagt man ich es verlogen, immer auf Trump und die USA zu zei- sich: Meine Güte, gen; die EU ist hier keinen Deut besser . (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Wir sehen auch, dass über Rücknahmeabkommen, CDU/CSU und der SPD – Beifall bei Abge- etwa mit der Türkei, Afghanistan und Libyen, eine men- ordneten der LINKEN) schenverachtende Flüchtlingspolitik betrieben wird . Die der Antrag ist anderthalb Jahre alt, und gelernt haben die Ursachen bleiben aber dieselben . Genau deshalb bringen Linken immer noch nichts .– Wenn man sich den Antrag wir hier einen Antrag ein, mit dem wir fordern, endlich der Linken oder auch den der Grünen anschaut, dann ge- an die strukturellen Ursachen von Flucht heranzugehen . winnt man den Eindruck: Deutschland ist ein Land, das gemeinsam mit den USA die Hauptverantwortung für (Beifall bei der LINKEN) weltweite Fluchtbewegungen trägt . Die Kriegspolitik habe ich angesprochen . Ein ande- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ rer großer Bereich ist die Handelspolitik . Sie ist unsäg- DIE GRÜNEN]: Das stimmt für unseren An- lich . Auch hier fehlt von Entwicklungsminister Müller trag so nicht, wohlgemerkt!) (B) die Ankündigung, endlich einmal an die existierenden (D) Freihandelsstrukturen heranzugehen. Die EU finanziert Was ist das für ein Unsinn? Es wird so getan, als seien auf der einen Seite mit Steuergeldern zum Beispiel Mol- sowohl der islamistische Terrorismus als auch der Zerfall kereien in afrikanischen Ländern . Auf der anderen Seite Syriens Effekte des Handelns des Westens. Dies betont gibt es überhaupt nicht genügend heimische Milch vor vor allem auch der Antrag der Linken . Diese Fraktion Ort, weil das Milchpulver aus der EU hochsubventioniert kritisiert die deutsche Außenpolitik als eine Politik – ich nach Afrika exportiert wird . So wird den Kleinbauern das zitiere –, „die auf völkerrechtswidrige Regime-Chan- Leben schwergemacht . Hier werden Steuergelder verbra- ges ...“, also auf den Sturz von Regierungen, „setzt“. ten, und gleichzeitig wird mit einer Freihandelspolitik die (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Existenz von Millionen Menschen zerstört . Genau des- wegen drängen wir darauf, dass die Wirtschaftspartner- Meine Güte, liebe Heike Hänsel, seit Angela Merkel schaftsabkommen mit den afrikanischen Ländern endlich Bundeskanzlerin ist, hat sich Deutschland weder im Irak gestoppt werden, dass es hier ein Moratorium gibt . Sonst noch in Libyen noch in der Ukraine noch in Syrien oder kann man sich alle möglichen Entwicklungspläne für in anderen Konfliktregionen für den Sturz von Regierun- die afrikanischen Länder sparen . Hier wird das, was auf gen eingesetzt, wohl aber für das Ende von Kriegen, und der einen Seite über Entwicklungsgelder finanziert wird, zwar mit humanitärer Hilfe und erheblichen Mitteln – durch die Freihandelspolitik wieder eingerissen . Hunderten von Millionen Euro – der Entwicklungszu- sammenarbeit . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wo, Herr Klimke, leben Sie denn? – Claudia Roth Mein letzter Gedanke, Frau Präsidentin . Der Freihan- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: del wird jetzt von einigen plötzlich wieder als eine tolle Deshalb liefern Sie Waffen nach Saudi-Ara- Sache gesehen, weil Trump gegen Freihandel ist . Das ist bien!) natürlich totaler Blödsinn . Das müssen wir doch festhalten . (Beifall bei der LINKEN) Deutschland müht sich mit großem Einsatz, multila- Auch Cem Özdemir findet CETA jetzt plötzlich positiv, terale Organisationen, wie zum Beispiel die Vereinten weil Trump gegen Freihandel ist . Nationen oder die OECD, zu unterstützen, zu stärken und handlungsfähiger zu machen . Deutschland kämpft (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ weiterhin für das Zustandekommen internationaler Ab- DIE GRÜNEN]: Auch das ist Blödsinn!) kommen, auch zur Verminderung des CO2-Ausstoßes . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21887

Jürgen Klimke (A) Deutschland ist Vorreiter beim Klimaschutz und bei den Menschen dort zu versorgen; das müssen wir ebenfalls (C) erneuerbaren Energien . festhalten . (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber unsere Entwicklungszusammenarbeit will nicht NEN]: Und wie! – Zurufe von der LINKEN) nur Not lindern, sondern auch den Menschen vor Ort Warum ist im Antrag der Grünen nur die Rede von eine Perspektive geben . Dies geschieht unter anderem Deutschlands Verantwortung für den Klimawandel? durch das Programm „Cash for Work“ des BMZ. Bis Ende 2016 konnten allein durch dieses Programm fast (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ 60 000 Jobs geschaffen werden. Etwa 270 000 Menschen DIE GRÜNEN]: Die SDGs fangen bei uns haben damit durch ihre Familien eine gesicherte Perspek- an!) tive . Wir sind dabei, die Mittel für dieses Programm 2017 von 200 Millionen auf 300 Millionen Euro aufzustocken . Das ist die gleiche Frage wie die zum Antrag der Lin- In diesem Zusammenhang darf ich dem BMZ ein sehr ken . Mich stört dieses verzerrte Deutschlandbild, dieses herzliches Dankeschön für diese Initiative sagen . Getue, als ob hier eine widersinnige, unverantwortliche Politik betrieben würde . Deutschland wird seiner Verantwortung gerecht; das (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ wird dadurch deutlich . Wir setzen uns für die Bekämp- DIE GRÜNEN]: Nein, eine falsche Politik!) fung von Fluchtursachen ein . Allein der Titel des Antrages der Grünen, liebe (Beifall bei der CDU/CSU) Claudia Roth, „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämp- fen“, verdreht die Tatsachen In diesem Zusammenhang sind wir auch der Überzeu- gung, dass Freihandel allen Beteiligten nützen kann . Die (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Linke fordert in ihrem Antrag eine Abkehr von diesem richtig!) Weg . Freihandel ist für sie neoliberal; auch TTIP wird in angesichts fast 1 Million Menschen, die hier in Deutsch- diesem Zusammenhang erwähnt . Na ja! land in kurzer Zeit aufgenommen worden sind . Das muss (Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE doch auch gesehen werden . LINKE]) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Die Linke agiert hierbei also auf der gleichen Ebene wie Herr Trump, das nennt man Ironie der Geschichte . Ist es eine Bekämpfung von Flüchtlingen, wenn wir (B) 1 Million aufnehmen? Wenn ich dann bei den Grünen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (D) lese, dass wir legale Fluchtwege Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schlimmer geht’s nimmer!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Über 5 000 Tote im Mittelmeer!) Erlauben Sie mir, noch einmal deutlich zu machen: Wir brauchen in Zukunft eine gute Entwicklungszusammen- und Migrationsmöglichkeiten schaffen und das System arbeit, eine Stärkung der internationalen Institutionen der Arbeitsmigration neu gestalten sollen, dann wird mir und der Konfliktprävention, aber beispielsweise auch die bange; denn die Grünen gestalten dieses System ja schon Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und nicht zu- lange mit . Sie gestalten es mit, indem sie in den Ländern, letzt die Stärkung der guten Regierungsführungen in den in denen sie mitregieren, durchsetzen, dass Wirtschafts- Entwicklungsländern . Das spielt leider in den Anträgen migranten nicht abgeschoben werden und sichere Her- von den Linken und den Grünen überhaupt keine Rolle . kunftsländer als nicht sicher benannt werden . (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, wichtig ist: Das, was ich DIE GRÜNEN]: Weil sie nicht sicher sind!) hier vorgetragen habe, versteht der Bürger . Das, was Sie wollen, versteht der Bürger nicht . Die Grünen sorgen leider mit ihrer Politik dafür, dass die Bereitschaft der Menschen in unserem Land, Flüchtlin- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen eine Zuflucht zu gewähren, eher abnimmt. Das ist NEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der ver- doch die Konsequenz . steht, dass Sie Geld zum Fenster rauschmei- ßen für Rüstung!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Das ist das Entscheidende, und darüber wird er auch ent- GRÜNEN]: Das ist aber eine abenteuerliche sprechend entscheiden . Behauptung!) Danke sehr . Gestatten Sie mir noch einige Sätze als Entwicklungs- politiker; denn gerade das Entwicklungsministerium (Beifall bei der CDU/CSU) macht sich mit erheblichen Mitteln bei der Bekämpfung der Fluchtursachen stark . So werden die Nachbarländer Syriens, zum Beispiel der Libanon, durch das BMZ und Vizepräsidentin Ulla Schmidt: das Auswärtige Amt unterstützt . Mehr als 500 Millio- Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun nen Euro fließen zum Beispiel in den Libanon, um die die Kollegin Claudia Roth das Wort . 21888 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben in unserem Antrag versucht, zu zeigen, wie (C) NEN): es gehen könnte, etwa mit einer reformierten EU-Land- Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte, liebe Kolle- wirtschaftspolitik, die nicht zuerst auf Export setzt und ginnen und Kollegen! „Ich habe einen Plan“, das sagte so nicht die Nahrungsmittelmärkte in den armen Ländern Angela Merkel im Oktober 2015, als immer mehr Men- kaputt macht, oder mit dem Ende der Überfischung der schen in Not sich auf den Weg nach Europa machten und Meere vor den Küsten Westafrikas durch EU-Fangflotten bei uns in Deutschland aufgenommen wurden . Angela oder mit einer fairen EU-Handelspolitik, die anders als Merkels Plan sollte das beenden: mit einem deutlichen bei den EPAs auch die Ausbildung einer eigenständigen, Ausbau des Grenzschutzes, vor allem in Richtung Tür- einer afrikanischen Industrie, einer regionalen Landwirt- kei, und mit der Bekämpfung der Fluchtursachen . Angela schaft fördert, Merkels Politik sollte also auf zwei Beinen stehen, einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) repressiven, das die Grenzen für Geflüchtete immer un- überwindbarer machen sollte, und einem vernünftigen, und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, natürlich um zu verhindern, dass immer mehr Menschen gezwun- und ganz besonders auch mit dem Stopp von Rüstungs- gen sind, überhaupt ihre Heimat zu verlassen . Heute, fast exporten in Krisengebiete oder an Regime wie Sau- eineinhalb Jahre später, stellen wir jedoch fest: In der Re- di-Arabien, mit denen wir die Kriege und gewaltsamen alität hinkt dieser Plan ganz gewaltig . Konflikte anfüttern, anstatt sie zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die repressiven Maßnahmen wirken . Die Grenzen auf Diese Maßnahmen wären vernünftig . Sie wären ein der Balkanroute sind inzwischen schier unüberwindbar, wirklich ernstgemeinter und echter Plan für weniger und auch mit dem Türkei-Deal werden Flüchtlinge da- Flucht auf dieser Welt, ein Plan, der sich tatsächlich von abgehalten, die Europäische Union zu erreichen . Es um die Fluchtursachen kümmerte, statt Flüchtlinge ab- ist doch Realität, dass so die Menschen in Serbien oder zuwehren, ein Plan, der sich um eine Welt bemühte, die in Griechenland stranden, wo sie fast ungeschützt dem lebenswert ist für alle . Winter ausgesetzt sind, wo sie frieren und erfrieren . Gleichzeitig werden Auffanglager in Nordafrika geplant, Danke schön . wird die Entwicklungszusammenarbeit mit Abschottung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Rückübernahme konditioniert in Staaten wie dem sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Niger, die zu den Ärmsten der Armen gehören, wo laut UN 1,2 Millionen Kinder unterernährt sind . So wird (B) immer weiter an einer Mauer um Europa gebaut, einer Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (D) Mauer, die für die Geflüchteten real und brutal ist, die Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/ wir in Europa aber nicht sehen oder nicht sehen wollen CSU-Fraktion ist der Kollege Tobias Zech . und nicht sehen müssen . Ich sage Ihnen, liebe Kollegin- (Beifall bei der CDU/CSU) nen und Kollegen: Mit diesen Maßnahmen, mit den nach ­Orwell-Sprech klingenden Migrationspartnerschaften oder mit einer militärischen Ertüchtigung von Grenz- Tobias Zech (CDU/CSU): schutzeinheiten, durch Deals mit Despoten oder mit der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt bin militärischen Schlepperbekämpfung im Mittelmeer, wird ich etwas verwundert und frage mich, ob ich im falschen es doch keinen einzigen Flüchtling weniger geben auf Land lebe oder meine Vorredner . dieser Welt . Aber darum geht es doch bei der Bekämp- fung von Fluchtursachen . (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vorrednerinnen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich glaube, wir alle in diesem Hause, die wir hier sitzen – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch die Regierung –, müssen uns nicht verstecken, wenn Damit werden die Symptome bekämpft, aber eben es darum geht, was wir die letzten Monate auf die Beine nicht die Ursachen selbst . Natürlich, liebe Ute Finckh- gestellt haben im Bereich „Bekämpfung von Fluchtursa- Krämer, ist es gut und richtig – dafür sind wir doch chen“ – überhaupt nicht. auch –, dass die humanitäre Hilfe stark erhöht wurde und (Beifall bei der CDU/CSU) erhöht wird, um das schlimmste Leid vor Ort zu mindern . Aber bei der tatsächlichen Bekämpfung von Fluchtursa- Wir können auch einmal Danke sagen für die Geschwin- chen verschließt die Bundesregierung ihre Augen vor digkeit des Bundeskanzleramtes, – Staatsminister Roth der eigenen Verantwortung . Gegen die strukturellen Ur- ist anwesend – für die Geschwindigkeit des Auswärtigen sachen, dass Menschen durch Armut, durch Krieg und Amtes und – Staatssekretär Fuchtel ist anwesend – für Terror, durch Umweltkatastrophen, zunehmend durch die Geschwindigkeit des BMZ, aber vor allem auch den die Klimakrise, durch politische Verfolgung dazu ge- Beamten dieser Ministerien und den Botschaften vor Ort, zwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, wird viel zu die ohne bürokratische Hemmnisse miteinander für die wenig getan . Menschen arbeiten, um die es in dieser Debatte geht, die- jenigen nämlich, die aus Syrien geflohen sind und jetzt in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jordanien, in der Türkei oder im Libanon versuchen, ihr sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Leben zu verbessern . Denen kann man Danke sagen . Auf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21889

Tobias Zech (A) diese Ergebnisse – Frau Roth, Sie haben es ja mehrfach werden . Ich sage: Natürlich arbeiten wir mit Sicherheits- (C) vor Ort gesehen – können wir stolz sein . politik . Natürlich hat es etwas mit der Bekämpfung von Fluchtursachen zu tun, einem Volk auch die Möglichkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zu geben, sich zu verteidigen . Somit zu sagen, wir hätten in dieser Regierung nichts hinbekommen, hat mit der Realität nichts zu tun . (Beifall bei der CDU/CSU) (Abg . Niema Movassat [DIE LINKE] meldet Insoweit sind wir tatsächlich auf einem anderen Weg . sich zu einer Zwischenfrage) Aber ich war bei einem anderen Punkt . Gerade habe – Herr Movassat möchte etwas sagen . ich die Regierung gelobt . Aber wir sind nicht nur mit der Regierung vor Ort, sondern auch mit Organisati- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der onen: Die großen NGOs sind vor Ort: das Rote Kreuz, LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE der Rote Halbmond, aber auch kleine Organisationen . GRÜNEN) Wir haben in Bayern eine ganz kleine NGO – die heißt Orienthelfer –, die seit Jahren im Libanon, in der Türkei, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: in Jordanien hervorragend arbeitet . Sie erhält auch Un- Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie eine Zwischen- terstützung durch das Bundesverteidigungsministerium . frage zulassen . Der Staatssekretär hat mit ausgemusterten Feldküchen, mit denen man für 1 000 Menschen pro Tag kochen kann, Tobias Zech (CDU/CSU): geholfen . Es ist ein kleiner Verein, und was er tut, das Ja . verdient unseren Respekt . (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Haben Sie sie bestellt? – Bitte schön, Herr Movassat . In der letzten Woche haben wir in Barelias in der Be- kaa-Ebene ein Handwerkerhaus eingeweiht, das direkt an der Grenze zu Syrien jungen Flüchtlingen Handwerks­ Niema Movassat (DIE LINKE): ausbildungen ermöglicht, finanziert vom Bildungswerk Herr Kollege Zech, danke, dass Sie die Frage zulas- der bayerischen Wirtschaft und von der Bayerischen sen .– Ihr engagiertes Plädoyer, dass die Bundesregie- Staatskanzlei . Das funktioniert alles vor Ort . Wir stel- rung so viel gegen Fluchtursachen tun würde, ruft mich len allein vom BMZ 2017 3,5 Milliarden Euro für die auf den Plan . Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die drei großen Maßnahmen bereit: Minderung von Flucht- (B) relativ wenig mit der Bekämpfung von Fluchtursachen ursachen in den Herkunftsländern, Unterstützung von (D) zu tun haben . Das sind Abkommen mit Ländern wie Flüchtlingen im Aufnahmeland und Unterstützung von dem Sudan, Äthiopien, Eritrea etc ,. wo es um sogenann- Aufnahmegemeinden . Die Hauptaufgabe – egal ob die tes Migrationsmanagement geht . Aber im Wesentlichen Flüchtlinge in der Türkei sind, in Gaziantep, in Nizip geht es bei diesen Maßnahmen darum – hier ist vor allem oder Kilis, ob sie im Libanon sind, in Tripoli, oder ob sie die EU am Ball –, Polizisten auszubilden, auszurüsten . in Jordanien sind – übernehmen die Kommunen . Auch Solche Maßnahmen finden statt. Mit Ägypten, einer Mi- diese unterstützen wir . Somit ist Deutschland mittlerwei- litärdiktatur, ist ebenfalls ein solches Abkommen in der le der zweitgrößte bilaterale Geber für diese Regionen . Pipeline . Mich würde interessieren: Was haben solche Auch darauf können wir stolz sein . Auch das hat die Maßnahmen, bei denen die Bundesregierung mit Dikta- Bundesregierung hinbekommen . Somit werden wir un- turen zusammenarbeitet, um Migranten und Flüchtlinge serer Verantwortung nicht nur gerecht, sondern wir wer- zu stoppen, mit der Bekämpfung von Fluchtursachen zu den dieser Verantwortung mehr als gerecht . Wir dienen tun? auch als Vorbild, wenn ich mir einmal die Regierung in (Beifall bei der LINKEN) Frankreich ansehe, die 63 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, oder die in Italien mit 43 Millionen Euro – im Gegensatz zu unseren 1,2 Milliarden Euro . Tobias Zech (CDU/CSU): Herr Movassat, vielen Dank für diese Frage .– Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . beantworte sie mit einem anderen Beispiel . Ich beziehe Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]) mich auf die Waffenlieferungen an die Peschmerga-Kur- den, gegen die Sie auch gestimmt haben . Wir leisten also finanzielle Unterstützung vor Ort. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Jetzt gehen sie Kollegin Roth hat es vorhin angesprochen, Sie auch, aber ganz woanders hin!) Frau Hänsel: Was machen wir denn? Wir verteilen das Geld ja nicht mit der Gießkanne, sondern machen Projek- – Doch, doch .– Bei der Frage „Was hat Sicherheit, was te, die eine Perspektive schaffen. „Cash for Work“ hat der hat die Ausbildung vor Ort mit Flucht zu tun?“, bei der Kollege Klimke schon angesprochen . Wir versuchen, die Frage „Unterstütze ich ein Volk wie die Kurden im Nord- Infrastruktur auszubauen, aber nicht für jemanden, son- irak, um sich gegen einen Feind, die Islamisten des IS, dern mit jemandem, auch mit der heimischen Wirtschaft . zu verteidigen?“ sage ich: Ja, natürlich unterstützen wir Auch Freihandel ist, wenn er fair ist, ein richtiges Instru- die . Wenn Sie sagen, denen dürfen wir nur Lebensmittel, ment, und auch dafür kämpfen wir . Medikamente und Sanitärausrüstung liefern: Dann sind sie satt, sauber und gesund, bevor sie vom IS erschossen (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) 21890 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Tobias Zech (A) Natürlich müssen wir auch die Fluchtursachen be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (C) kämpfen, hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Bündnis 90/Die Grünen, und die Linke hat sich enthalten . die sich durch Kriege in einer Region ergeben, in der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 d auf: wir Frieden brauchen, die sich durch Erschütterungen in der Sicherheitslandschaft ergeben, aber auch durch a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Menschenhandel, durch verbrecherische Organisationen, gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufas- die es geschafft haben, dass im Jahr 2016 auf dieser Welt sung des Gesetzes zur Regelung von Sekundie- mehr Geld mit Menschenhandel als mit Drogenhandel rungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen verdient worden ist . Wir haben es also auch mit orga- Krisenprävention nisierter Kriminalität zu tun . Schleppern – auch das ge- hört zur Bekämpfung von Fluchtursachen – muss man Drucksache 18/11134 das Handwerk legen . Insofern ist die Unterstützung für Überweisungsvorschlag: Frontex, die Unterstützung der Grenzsicherung ein wich- Auswärtiger Ausschuss (f) tiger Schritt, damit Schlepper kein Geld damit verdienen, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss dass sie das Leben von Menschen gefährden, die sie aufs Meer hinausschicken . b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- (Beifall bei der CDU/CSU) rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für mich ist wichtig: Wir können uns nicht hinsetzen und zufrieden sein – es gibt in all diesen Regionen noch Für eine aktive zivile Friedenspolitik viel zu tun . Ich glaube aber, wir sind mit dem, was wir Drucksache 18/11166 bis jetzt gemacht haben, auf einem richtigen Weg . Noch Überweisungsvorschlag: einmal danke an alle, die beteiligt waren! Ich hoffe, dass Auswärtiger Ausschuss (f) wir diese Debatte nicht mehr allzu oft führen müssen, Innenausschuss sondern sich die Situation vor Ort zum Besseren wendet . Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Herzlichen Dank . Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (Beifall bei der CDU/CSU) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeord- (D) Vielen Dank, Tobias Zech .– Schönen Abend von mir! neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe einen kleinen Rollenwechsel vorgenommen . NEN (Tobias Zech [CDU/CSU]: Ah, Entschuldi- Zivile Krisenprävention und Friedensförde- gung!) rung stärken – Neue Lösungsansätze erarbei- – Haben Sie das gar nicht mitbekommen? ten und umsetzen (Tobias Zech [CDU/CSU]: Nein!) Drucksache 18/11174 – Schade! Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) (Tobias Zech [CDU/CSU]: Ich habe Sie da Innenausschuss vorne gesucht!) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe – Ich höre Ihnen doch zu – immer . Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Damit schließe ich die Aussprache . d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Dr .Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frakti- che 18/7446. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7039 mit dem „Group of Friends“ für Konfliktprävention Titel „Fluchtursachen bekämpfen“. Wer stimmt für die- im Rahmen der Vereinten Nationen se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Drucksache 18/11175 enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bünd- Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) nis 90/Die Grünen, Gegenstimmen kommen von den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Linken . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- die Aussprache üppige 25 Minuten vorgesehen . nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7046 mit dem Titel „Fluchtursachen (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- statt Flüchtlinge bekämpfen“. Wer stimmt für diese Be- NEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21891

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so Auswärtige Amt quasi aus dem Nichts geeignete Exper- (C) beschlossen . tinnen und Experten rekrutieren . Zu dieser Zeit gab es schlicht keine zentrale Anlaufstelle, wie wir sie heute mit Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort jetzt – dem ZIF hier in Berlin haben . Die Gründung des ZIF im er steht schon bereit – Staatsminister Michael Roth . Jahr 2002 unter der rot-grünen Bundesregierung war der (Beifall bei der SPD) Startschuss für die Professionalisierung der deutschen Personalpolitik für internationale Friedenseinsätze . Mit seinem integrierten Ansatz der Rekrutierung, Ausbildung Staatsminister im Auswärtigen Amt: Michael Roth, und Betreuung von Zivilpersonal unter einem Dach dient Guten Abend, Frau Präsidentin! Wir hatten ja eben das ZIF inzwischen weltweit als Vorbild . eine engagierte Debatte, und ich darf jetzt Sie alle einla- den, sich einem Gesetzentwurf zu widmen, der mir ganz Jedes Jahr rekrutiert das ZIF mehr als 160 Expertin- besonders am Herzen liegt . Wenn es nach mir ginge, Frau nen und Experten für internationale Friedensmissionen Präsidentin – aber ich bin ja nur Diener des Parlaments –, und mehr als 300 Wahlbeobachter . Ihre Arbeit, liebe Kol- würde ich sehr lange und intensiv mit Ihnen über die- leginnen und Kollegen, ist ein Schatz . Sie helfen dabei, ses Thema sprechen wollen . Denn in diesen Zeiten der Krisen zu entschärfen oder, noch besser, Konflikte gar Krisen und Konflikte ist unser Land außen- und sicher- nicht erst entstehen zu lassen. Sie überwachen Waffen- heitspolitisch so sehr gefordert wie nie zuvor. Das betrifft stillstände und Wahlen. Sie schaffen tragfähige Struk- eben nicht nur Parlamentarierinnen und Parlamentarier, turen bei Justiz und Sicherheit . Um es ganz konkret zu nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern vor allem machen: Unsere zivilen Expertinnen und Experten helfen auch viele zivile Expertinnen und Experten . Sie helfen beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit im Kosovo, bei der Tag für Tag dabei, neue Konflikte zu verhindern, Krisen Demobilisierung der FARC-Guerilla in Kolumbien, und zu entschärfen und die Folgen von Krieg und Hass zu sie stärken die Sicherheitskräfte in Mali, die gegen Terro- lindern . rismus und organisierte Kriminalität kämpfen . Ohne sie wäre es nicht möglich, ausgehandelte Friedensabkom- Um genau diese Menschen geht es in der heutigen men umzusetzen, wie beispielsweise im Kongo oder der Debatte . Mit dem sogenannten Sekundierungsgesetz – Ukraine . ich gebe zu: ein ziemlich technisch klingender Name – schaffen wir die gesetzliche Grundlage dafür, dass unsere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zivilen Expertinnen und Experten ihre Aufgaben künftig der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ noch besser erfüllen können . DIE GRÜNEN) Der vorliegende Gesetzesentwurf mag komplex sein Sie unterstützen aber auch die Verwaltung der Missionen (B) und recht nüchtern daherkommen . Wir wollen mit ihm oder arbeiten im Sekretariat der OSZE in Wien oder bei (D) jedoch Menschen ganz konkret ihren Arbeitsalltag er- der EU in Brüssel . leichtern . Genau darum geht es . Gerade in Krisengebieten wie in der Ostukraine oder (Beifall bei der SPD) in Afghanistan arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen unter schwierigsten Bedingungen . Oft können sie sich Liebe Kolleginnen und Kollegen, die globalen Bedin- wegen der angespannten Sicherheitslage nicht frei be- gungen für unser Handeln haben es in sich: Die Welt wird wegen, oder sie wohnen in geschützten Gemeinschafts- instabiler . Die internationale Ordnung ist im Umbruch . unterkünften oder gar Militärstützpunkten, und sie sind Darauf müssen wir reagieren und international mehr häufig für lange Zeit von ihren Familien und Freunden Verantwortung übernehmen . Wie gut, dass sich in den getrennt . Auch deshalb wissen wir, was wir an den vielen vergangenen Jahren in weiten Teilen von Politik und Ge- Expertinnen und Experten haben, die für uns und mit uns sellschaft ein breiter Konsens entwickelt hat, diese neue weltweit im Einsatz sind . Ihre herausragende Arbeit ist Rolle entschlossen anzunehmen . Der Wille ist da, jetzt zu einem Markenzeichen deutscher Außenpolitik gewor- braucht es aber auch Gestaltungskraft . Dazu müssen wir den – und darauf bin ich auch ein bisschen stolz, liebe aus unseren Erfahrungen lernen und noch besser werden . Kolleginnen und Kollegen . Aktuell werden unter Federführung meines Hauses (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die neuen Leitlinien der Bundesregierung für Krisen- prävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung Wir wollen unsere Anerkennung aber nicht nur mit erarbeitet . Diese Leitlinien wollen wir im Frühjahr im freundlichen Worten ausdrücken . Wir wollen unsere zi- Kabinett verabschieden . Sie haben das Ziel, das Krisen­ vilen Expertinnen und Experten auch in der Praxis noch engagement in einer gemeinsamen Strategie zusammen- besser unterstützen und schützen . Wir wollen sie für ihre zuführen; denn Krisen und Konflikte überwindet man Arbeit angemessen bezahlen und sicherstellen, dass sie nicht im Alleingang . Unser Krisenengagement muss im- rechtlich und sozial ordentlich abgesichert sind . Dafür mer Teil einer Politik sein, die in multilaterale Bemühun- soll die Neufassung des Sekundierungsgesetzes sorgen . gen um Frieden und Sicherheit eingebettet ist . Es ist ein Meilenstein in der rechtlichen und sozialen Absicherung des Zivilpersonals . Es wird uns erlauben, Unser Zentrum für Internationale Friedenseinsätze den Expertinnen und Experten für ihre wichtige Tätig- spielt dabei eine zentrale Rolle . Ich weiß nicht, ob sich je- keit erstmals nicht nur Aufwandsentschädigungen, son- mand von Ihnen daran erinnert: Als Ende der 1990er-Jah- dern wirkliche Gehälter auf der Grundlage von regulären re hochqualifiziertes Zivilpersonal für eine Friedensmis- Arbeitsverträgen zu zahlen . Sie werden auch belastbare sion der OSZE im Kosovo gesucht wurde, musste das Kranken- und Sozialversicherungen haben . Wir sorgen 21892 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Staatsminister Michael Roth (A) auch dafür, dass unsere Sekundierten in ihren schwieri- Sekundierungsgesetzes . Das war unserer Ansicht nach (C) gen und oftmals sehr gefährlichen Missionen bestmög- wirklich überfällig . lich abgesichert sind . Aber – ich wäre keine Oppositionsrednerin, wenn jetzt In Zukunft soll das ZIF mit seiner hervorragenden nicht noch ein Aber käme – Expertise Arbeitgeber und zentraler Ansprechpartner für (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und Sekundierungen sein . So stellen wir eine bestmögliche des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bei- Vorbereitung und Betreuung unseres Zivilpersonals in fall der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜND- allen Phasen der Entsendung sicher . Mit der Erfahrung NIS 90/DIE GRÜNEN]) des ZIF in der internationalen Personalpolitik stellen wir auch sicher, dass wir zielgenau die Personen ansprechen ein großer Schritt hin zu einer wirklich zivilen, friedli- können, die am besten für jede einzelne Aufgabe geeig- chen und dem Friedensauftrag des Grundgesetzes ver- net sind . Denn wir brauchen die besten Frauen und Män- pflichteten Außenpolitik ist das tatsächlich nicht. Deswe- ner . Gerade weil wir die internationale Ordnung mitge- gen haben wir hier heute einen Antrag vorgelegt, in dem stalten wollen, brauchen wir Menschen, die Expertinnen wir die Bundesregierung zu einer aktiven zivilen Frie- und Experten auf ihrem Gebiet sind, die jeweilige Region denspolitik auffordern. kennen und bereit sind, auch Führungspositionen in den Seit Mitte des letzten Jahres – Herr Staatsminister, Sie Missionen zu übernehmen . Dafür bietet das neue Sekun- haben es angesprochen – arbeitet die Bundesregierung dierungsgesetz eine ganz hervorragende Grundlage . nun an Leitlinien für ihr Krisenhandeln . Das, was sich da Erfahrene Kolleginnen und Kollegen von Ihnen wis- bisher abzeichnet, lässt bei mir und meiner Fraktion die sen: Das Auswärtige Amt bringt selten Gesetze auf den Alarmglocken schrillen . So hat sich etwa Verteidigungs- Weg . Dieses ist ein besonders wichtiges und liegt mir als ministerin von der Leyen auf der Diskussionsplattform Aufsichtsratsvorsitzender des Zentrums für Internationa- PeaceLab ganz eindeutig geäußert – ich zitiere –: le Friedenseinsätze ganz besonders am Herzen . Ich bitte Umfassende Vernetzung Sie um gute Beratungen und um Ihre Unterstützung . – so schreibt sie da – Vielen Dank . im Sinne des Weißbuchs erlaubt keinen Antagonis- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mus mehr von „zivil“ und „militärisch“. Was meint die Ministerin denn damit? Sie tut so, als wä- Vizepräsidentin Claudia Roth: ren Schießen und Verhandeln eigentlich dasselbe, nur Vielen Dank, Michael Roth .– Nächste Rednerin: zwei Seiten einer Medaille . Damit können wir wirklich (B) Kathrin Vogler für die Linke . nicht einverstanden sein . (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch! Das ist Ihre Interpreta- tion!) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Auch wenn das jetzt nach Plagiat klingt, Frau Präsi- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Linke dentin: Mich erinnert das tatsächlich an das Neusprech begrüßt den Einsatz von qualifizierten Fachkräften im aus Orwells Roman 1984. Rahmen der zivilen Krisenprävention und Konfliktbe- (Zuruf von der CDU/CSU: Da kennen Sie arbeitung ausdrücklich . Gerade weil wir Militäreinsätze sich ja aus!) ablehnen, setzen wir auf friedliche Mittel bei der Vorbeu- gung und Überwindung von Gewalt . Diese Mittel sind Zivil und militärisch sind nun einmal Gegensätze . Wenn schonender, sie sind wirksamer, sie sind nachhaltiger, dem widersprochen wird, zeigt das doch nur, welche und sie kosten außerdem noch sehr viel weniger Geld . Umwertung der Werte hier vorgenommen werden soll . Damit sind wir nicht einverstanden . Zivile Fachkräfte wie Juristen, Psychologen, Techni- kerinnen und Techniker oder Verwaltungsspezialistin- (Beifall bei der LINKEN) nen und Verwaltungsspezialisten helfen zum Beispiel Entsprechend achtet das Verteidigungsministerium der OSZE, Waffenstillstände zu überwachen. Sie helfen nun in der Debatte um die Leitlinien ganz sorgsam da- bei Wahlbeobachtungen, oder sie bauen im Auftrag der rauf, dass das Adjektiv „zivil“ möglichst gar nicht mehr Vereinten Nationen in einem vom Krieg zerstörten Land vorkommt . Denn der konsequente Ausbau ziviler, also wie Sierra Leone ein gerechtes Gerichtswesen und eine nichtmilitärischer, Instrumente der Friedensförderung transparente Verwaltung auf . Dafür verdienen sie unser und der Konfliktbearbeitung muss ja kollidieren mit dem aller Respekt und Dank . Plan, den die Bundesregierung gleichzeitig betreibt, näm- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lich bis 2030 130 Milliarden Euro mehr für Rüstung und neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Militär auszugeben und für den zivilen Friedensdienst GRÜNEN) keinen einzigen Cent mehr; so war es im letzten Haus- halt . Die Gesamtausgaben für die zivile Krisenpräventi- Bisher gab es bei der Entsendung solcher Fachkräf- on sind sogar verringert worden – und das, obwohl Herr te immer Probleme mit der sozialen Absicherung . Diese Steinmeier als Außenminister immer betont hat, deutsche Probleme löst die Bundesregierung mit der Reform des Außenpolitik sei und bleibe Friedenspolitik . Das waren Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21893

Kathrin Vogler (A) ja seine Worte . In der Praxis sieht es aber ganz anders sein wird, insbesondere mit dem Austritt des Vereinigten (C) aus: Milliarden für Militäreinsätze, Milliarden für die Königreichs aus der gemeinsamen Union . Aufrüstung und für Friedensprojekte ein paar Peanuts . Das sind die Rahmenbedingungen, die, glaube ich, Jetzt hätte Steinmeiers Nachfolger, der Herr Gabriel, schon Anlass geben, eine Bestandsaufnahme zu machen die Chance, da etwas anders zu machen . Er hat sich ja und auch zu überlegen, wie wir Krisenpräventionspolitik nun in den letzten Jahren eher einen echten Namen als in der Zukunft vernünftig weiterentwickeln können . Aus Förderer des internationalen Waffenhandels gemacht, meiner Sicht sind drei Grundpfeiler ohne Frage gegeben: aber als Außenminister ist er jetzt in einer anderen Rol- erstens der Vorrang des Zivilen; zweitens: Niemals al- le . Wir fordern ihn ganz gezielt auf, dass er diese andere lein, immer multilateral . Rolle auch ausfüllt . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber der Vor- Wir haben die Situation, dass Deutschland fast in die rang muss sich doch auch ausdrücken! Er ganze Welt Waffen liefert und an jeden Kriegsschauplatz: muss auch materiell werden!) in die Türkei, nach Saudi-Arabien, nach Indien und nach Und zum Dritten, liebe Frau Vogler – das will ich Ihnen Pakistan. Das ganz Perfide ist: In fast allen diesen Län- an der Stelle gern sagen –, brauchen wir auch den gesam- dern gleichzeitig werden Projekte der zivilen Konfliktbe- ten Instrumentenkasten der Außenpolitik . Das bedeutet arbeitung betrieben . Diplomatie, das bedeutet Entwicklungszusammenarbeit, Was machen Sie da? Sie verhöhnen die Opfer und das bedeutet Krisenprävention, das bedeutet aber dort, diejenigen, die sich darum bemühen, dass eben Frieden wo es notwendig ist, auch den Einsatz militärischer Mit- wird, dass Feinde wieder zu Nachbarn werden und dass tel im Sinne eines umfassenden Sicherheits- und Vertei- Konflikte ohne Gewalt ausgetragen werden. Deswegen digungsansatzes . wollen wir eine breite gesellschaftliche Debatte um ein (Beifall bei der CDU/CSU) Leitbild „Frieden“ und um eine aktive Friedenspolitik, die ausschließlich auf ziviles und gewaltfreies Handeln Das ist es – so glaube ich –, was uns an dieser Stelle setzt . Da hätten Sie jetzt die Möglichkeit, es besser zu unterscheidet . machen, etwas zu verändern . Ich rufe Ihnen zu: Nutzen Sie die Chance! Schmieden Sie Schwerter zu Pflugscha- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: ren! Das stimmt!) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben in Ihrer Rede, liebe Frau Vogler, ein echtes Zerrbild der Wirklichkeit gezeichnet .

(B) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das werfen (D) Vielen Dank, Kathrin Vogler .– Nächster Redner: Sie uns immer vor!) Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion . Wir haben am 12 . Mai 2004 den Aktionsplan „Zivile Kri- (Beifall bei der CDU/CSU) senprävention“ durch die Bundesregierung implemen- tiert bekommen . Was ist in den vergangenen 13 Jahren passiert? Wir haben eine mehr als Verzehnfachung der Thorsten Frei (CDU/CSU): Mittel für zivile Krisenprävention erlebt; wir haben heute Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Abteilung Krisenprävention im Auswärtigen Amt, die Natürlich muss sich Außenpolitik weiterentwickeln, na- über ein Budget von 1,7 Milliarden Euro verfügt . türlich muss sich Krisenprävention weiterentwickeln – allein schon deshalb, weil sich die Ausprägungen der Was heißt denn das? Das heißt doch nichts anderes, Krisen verändern . Wenn wir uns die vergangenen Mona- als dass die zivile Krisenprävention in der deutschen Au- te und Jahre anschauen, dann sehen wir, dass wir es mit ßenpolitik in den vergangenen 13 Jahren unheimlich an einer Gleichzeitigkeit von Krisen und mit überlappenden Bedeutung gewonnen hat . Wir sehen, dass wir einen um- Krisen zu tun haben und dass Krisen in aller Welt sich fassenden Ansatz brauchen, wenn wir die richtigen Ant- auch in der Innenpolitik in Deutschland manifestieren – worten auf die Krisen in der Welt geben möchten; nichts ob das Migrationsbewegungen sind, ob das Terrorexport anderes bedeutet das . Das stellen Sie mit Ihrem Antrag ist oder was auch immer . in Abrede . Wenn ich mir die Rahmenbedingungen anschaue, In den letzten 13 Jahren ist noch mehr passiert . Auch dann muss ich sagen: Sie werden nicht einfacher . Bei- institutionell ist die zivile Krisenprävention auf ganz spielsweise ziehen sich die USA stärker auf sich zurück, neue Füße gestellt worden, ob durch das Zentrum für möchten als Ordnungsfaktor in relevanten Regionen der Internationale Friedenseinsätze, durch die Bundesakade- Erde keine Rolle mehr spielen, und sie weisen darauf hin, mie für Sicherheitspolitik oder auch durch andere Ein- dass wir Europäer zukünftig mehr eigene Sicherheitsver- richtungen . Jetzt geht es darum, langfristige Leitlinien zu antwortung werden tragen müssen . definieren, um Krisenprävention für die Zukunft richtig aufzustellen . Dabei wird es sicherlich darauf ankommen, Wir sehen ferner Russland, für das es offensichtlich Ressorteigeninteressen besser zu überwinden als in der keine Rolle mehr spielt, die Vereinbarungen der Char- Vergangenheit . Es muss uns gelingen, besser zu evalu- ta von Paris auch tatsächlich wirksam werden zu lassen . ieren, wie die eingesetzten Mittel tatsächlich wirken . Es Schließlich haben wir eine Europäische Union, die in den kommt auch darauf an, dass wir nicht nur ein Topgeber nächsten zwei Jahren mehr mit sich selbst beschäftigt bei der UN und anderen internationalen Organisationen 21894 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Thorsten Frei (A) sind, wenn es ums Geld geht, sondern dass wir auch, hatten häufig keine wirklich guten sozialversicherungs- (C) wenn es um Polizeikräfte und zivile Experten geht, mit rechtlichen Absicherungen. Es gab das geflügelte Wort, Man- und Womanpower an der Front tätig werden . dass sie im Endeffekt Scheinselbstständige im Auftrag Deutschlands sind . De facto waren sie es; denn sie waren Ich glaube, dass wir mit der Novellierung des Geset- für Deutschland unterwegs, hatten aber keinen Arbeits- zes, das wir heute beraten, einen gewaltigen Schritt in vertrag . die Zukunft tun, weil es uns damit gelingen wird, mehr als nur 160 zivile Krisenexperten in den Einsatz zu ent- Das wird jetzt endlich geändert . Zwei Jahre hat man senden . Das ist ein echter Beitrag zur Krisenprävention, dafür gebraucht . Das ist etwas lange, aber gut: Immerhin, zur Fluchtursachenbekämpfung und dazu, den Menschen jetzt kommt es . Aber, Herr Roth, das macht zivile Krisen- in ihren Herkunftsländern ganz persönliche Lebenspers- prävention noch nicht zu einem Markenzeichen . pektiven zu geben . Ich glaube, es ist richtig, diejenigen, die wir entsenden, zu unterstützen und sie mit sozialver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sicherungsrechtlicher Absicherung auszustatten, was die und bei der LINKEN) Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung Das reicht nicht, um den Herausforderungen, denen wir angeht . Wir sollten auch profane Dinge wie Reisekosten heute in unserer Nachbarschaft und weltweit begegnen, vernünftig regeln, damit wir diejenigen, die für uns im gerecht zu werden . Auslandseinsatz sind, tatsächlich unterstützen können . Wir von Grünen und Linken hatten mit Spannung auf Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen . Ich den Antrag von CDU/CSU und SPD gewartet, um zu hö- bin davon überzeugt, dass wir mehr Verantwortung in ren, wie Sie zu diesem Markenzeichen kommen wollen . der Welt übernehmen müssen . Das bedeutet auch, dass Leider warten wir immer noch vergeblich. Wir finden es wir unsere Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten wirklich bedauerlich, dass wir nicht darüber diskutieren innerhalb der NATO in Richtung des 2-Prozent-Ziels können und das Parlament keinen Input in diesem Leitli- ausbauen müssen. Ich möchte aber ergänzen: Ich finde, nienprozess gibt . der Vorschlag, den der Vorsitzende der Münchner Sicher- heitskonferenz, Ischinger, Ende letzten Jahres gemacht (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch! Den hat, ein 3-Prozent-Ziel ins Auge zu fassen, das neben Si- geben wir doch!) cherheit und Verteidigung auch Krisenprävention, Diplo- – Wir geben ihn . Genau! matie und Entwicklungszusammenarbeit entsprechend abbildet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie mixen (B) hier alles zusammen!) Die Linken und wir haben trotzdem gesagt: Wir geben (D) unsere Anregungen mit auf den Weg . Ich möchte gerne ist der richtige Ansatz, um der Probleme in der Welt Herr ein paar davon nennen . zu werden . Wir fordern die Bundesregierung auf, sich klare Ziel- Vielen Dank . vorgaben zu setzen, also nicht in Allgemeinplätzen bei (Beifall bei der CDU/CSU) dem Leitlinienprozess zu verharren, sondern sich zum Beispiel vorzunehmen, bis 2025 mindestens viermal so viele Polizisten wie aktuell in Einsätze der Vereinten

Vizepräsidentin Claudia Roth: Nationen zu entsenden . Heute sind wir mit jeweils cir- Vielen Dank, Thorsten Frei .– Nächste Rednerin: ca 30 deutschen Polizistinnen und Polizisten von rund Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen . 13 000 bis 14 000 bei einer blamabel niedrigen Zahl . Sich konkrete Zielvorgaben zu setzen und in den Be- Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reichen Mediation, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheitssek- NEN): torreform sowie Versöhnungs- und Aufarbeitungsarbeit Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Schwerpunkte zu setzen und zu sagen, wo man konkret Herren! Der Anlass dieser Debatte zur zivilen Krisenprä- hinkommen möchte – das ist unsere Erwartung an die vention ist das Sekundierungsgesetz . Der Anlass ist ein Leitlinien, die von Ihnen kommen . guter . Umso bedauerlicher ist, dass dieses Thema jetzt in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „üppigen“ 25 Minuten und zu so später Zeit abgehandelt wird . Für uns ist ganz klar, dass das alles nur zu erreichen ist, wenn die Zivilgesellschaften – nicht nur unsere, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch diejenigen, die man als Englischsprachiger oft nicht und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten gleich wahrnimmt – kooperieren . der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es geht um Friedensmacher und deren Arbeitsbedin- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gungen . Es geht um Rechtsanwälte, Ingenieure, Experten für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, um Manchmal traut man sich fast nicht mehr, es zu sagen, die Manpower und Womanpower, wie Herr Frei gerade aber wir wissen, dass die unterschiedlichen Ministerien gesagt hat. Sie sind häufig in schwierigen Situationen besser koordiniert werden müssen und dass es endlich zu und leisten Enormes . Bis jetzt waren sie im Hinblick auf einer wirklichen Friedenspolitik kommen muss, bei der Krankheiten und Unfälle nicht gut abgesichert, und sie alle Ministerien auf den Auftrag unseres Grundgesetzes, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21895

Dr. Franziska Brantner (A) dem Frieden der Welt zu dienen, ausgerichtet sind und Michael Vietz (CDU/CSU): (C) das auch umsetzen . Wir Grüne machen einen Vorschlag Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! für einen nationalen Friedens- und Nachhaltigkeitsrat, Sehr geehrte Damen und Herren! Es klingt mittlerwei- der genau die Aufgabe hat, zu überprüfen, ob alle Minis- le viel zu vertraut, wenn wir feststellen, dass die Welt terien ihren Beitrag dazu leisten . Das wäre ein Vorschlag, immer mehr und immer schneller aus den Fugen gerät, den wir gern in Ihren Leitlinien wiederfinden würden. dass wir mit den wachsenden und sich verändernden He- Wir hoffen, dass wir es endlich schaffen, diesem Auftrag rausforderungen mithalten müssen, dass Gewissheiten des Grundgesetzes gerecht zu werden . der internationalen Ordnung weniger gewiss werden . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Notwendigkeit, dass wir uns vielfältig engagieren, nimmt zu – vor, während und im Nachgang von Krisen Ich möchte einen ganz konkreten Punkt erwähnen, und Konflikten. Wenn wir nicht bei der Bewältigung vor weil wir alle dieser Tage immer wieder sagen, in Zei- Ort helfen, stehen sie irgendwann vor unserer Haustür . ten von Trump und Co . würden die Vereinten Nationen Zivile Krisenprävention ist ein wichtiger Teil unserer so viel schwächer und hätten vielleicht keine Bedeutung Politik, auch wenn diese nicht so im Blick der Öffentlich- mehr: Warum richtet Deutschland nicht endlich im Rah- keit und offenkundig auch nicht im Blick der Planer der men der Vereinten Nationen eine Freundesgruppe Zivile Plenartagesordnung steht wie andere außenpolitische In- Krisenprävention ein, eine Friends-of-Group? strumente, die dann notwendig werden, wenn Prävention (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) scheitert, wenn Krisen nicht eingedämmt werden, wenn die Bewältigung teurer und aufwendiger wird – mit allem Es gibt so viele Gruppen in diesem Bereich, aber keine Risiko für Leib und Leben derer, die dann zum Einsatz zu einer der primären Aufgaben der Vereinten Nationen . kommen . Liebe Bundesregierung, gehen Sie voran! Setzen Sie ein Zeichen gegen Trump! Sagen Sie: Wir machen jetzt bei Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ von 2004 den Vereinten Nationen die Gruppe auf, die auf Multi- wird nun als Grundlagendokument neu überarbeitet . Die lateralismus, auf Friedensmacher und auf zivile Krisen- darauf aufbauenden Leitlinien zum Krisenengagement prävention setzt! Das könnten Sie machen . Der neue Au- befinden sich in der Bundesregierung zur Abstimmung. ßenminister könnte damit einen Meilenstein setzen . Das Gemeinsam mit dem Weißbuch ist dies ein wichtiger Be- wäre doch ein echtes Zeichen gegen Trump statt nur zu standteil unserer auswärtigen Politik . reden . Unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist vorausschau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) end, werteorientiert, interessengeleitet und umfassend, (B) da sie auch die Entwicklungshilfe und andere Bereiche (D) mit umfasst . Wir stärken unser Engagement für Präventi- Vizepräsidentin Claudia Roth: on sowie für die Bewältigung und Nachsorge von Krisen Denken Sie an Ihre Redezeit? und Konflikten, um langfristig Stabilität und Frieden zu fördern. Konkret schaffen wir das nur mit Menschen, die sich vor Ort mit hohem Einsatz einbringen, Experten auf Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unterschiedlichen Fachgebieten, die gemeinsam mit den NEN): Konfliktparteien nach Lösungen suchen. Die hierfür not- Ja, ich komme zum Schluss. – Häufig hören wir vor wendigen Kenntnisse sind so vielschichtig wie die Kon- Ort: Ihr könnt doch weltweit ohnehin nichts ausrichten; flikte und Krisen selbst. das ist viel zu schwierig . – Heute Abend können wir belegen: Doch, es gibt sie, die Friedensmacher, die für Das heute in die Beratung eingebrachte Sekundie- Deutschland unterwegs sind . Wir müssen sie stärken und rungsgesetz ist hier ein wichtiger Baustein . Wir gehen darauf hinwirken, dass es mehr werden . In Zukunft sind auf die neuen Notwendigkeiten ein; wir berücksichtigen sie wenigstens sozialversichert . Das ist eindeutig gut . Ich bisherige Erfahrungen und rüsten uns für die Zukunft . hoffe, dass wir uns hier versprechen können, noch in die- Zurzeit steht die soziale Absicherung unserer sekun- ser Legislaturperiode eine längere Debatte zur Kernzeit dierten Experten in keinem Verhältnis zu den Ansprü- zu diesem wichtigen Thema zu führen . Die Bürgerinnen chen, die wir und die internationale Gemeinschaft an und Bürger würden sich freuen, zu hören, was wir alles deren professionellen Einsatz stellen . So wurde an vielen tun und noch vorhaben . Stellen bislang lediglich eine Aufwandsentschädigung Ich danke Ihnen . gezahlt, während in anderen Bereichen längst den Reali- täten mit regulären Arbeitsverträgen Rechnung getragen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird . Wenn wir einen professionellen, umfassenden und sowie bei Abgeordneten der SPD) zielgerichteten Einsatz von Fachkräften wollen und noch mehr Fachkräfte für diesen Einsatz gewinnen wollen, müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingun- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen liefern . Vielen Dank, Franziska Brantner . – Der letzte Redner in dieser Debatte: Michael Vietz für die CDU/CSU-Frak- Erbrachte Leistungen müssen bezahlt und abgesichert tion . werden . Vor allem wird Rechtssicherheit für alle Ver- tragspartner geschaffen. Für die möglichen Vertragstypen (Beifall bei der CDU/CSU) gelten künftig die gleichen Vorschriften in Bezug auf die 21896 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Michael Vietz (A) Risikoabsicherung bei Krankheit oder Pflegebedürftig- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) keit, bei sonstigen Haftungsrisiken sowie der Altersvor- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre viel, sorge . Diese Anpassung ist überfällig . aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ebenso wichtig ist die Aufwertung des Zentrums für Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen Internationale Friedenseinsätze – kurz: ZIF – unter Steu- Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das Wort . erung des Auswärtigen Amts . Hier werden geeignete Ex- perten für die komplexen Aufgabenbereiche ausgewählt, (Beifall des Abg . [CDU/ vorbereitet und für die entsprechenden Missionen dem CSU]) Auswärtigen Amt vorgeschlagen . Arbeitgeber und steu- ernde Kraft bleibt am Ende das ZIF . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsere zivilen Experten leisten im Rahmen unseres Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vernetzten Ansatzes einen substanziellen Beitrag im Kri- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haben Sie wie senmanagement, sei es beim Aufbau und bei der Aus- ich am vergangenen Samstag den Spiegel gelesen? Da bildung der Polizei in Mali, bei der Überwachung des stand – Zitat –: Minsk-Abkommens in der Ukraine, durch die Begleitung der Justizreform im Kosovo durch Rechtsexperten und Die Studentenzahlen steigen, doch der Anteil der durch die Unterstützung der Demobilisierung der Kriegs- BAföG-Empfänger sinkt … parteien in Kolumbien – um nur einige wenige Beispiele zu nennen . Das ist eine alarmierende Meldung . Das BAföG ist das Finanzierungsinstrument für Bildungsaufstieg . Das müs- Weltweit sind unsere Fachkräfte in unterschiedlichen sen wir hegen und pflegen. Krisengebieten im Einsatz . Sie tragen dazu bei, ziviles Krisenmanagement als wichtiges Element deutscher Au- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ßenpolitik umzusetzen . Ich danke daher ausdrücklich al- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) len, die für unser Land weltweit ihren Beitrag für Frieden und Stabilität leisten . Wir Grüne beantragen im Bundestag daher hier und heu- te, das BAföG noch in dieser Wahlperiode, also noch Diesem Dank und dieser Anerkennung müssen Ta- vor der Bundestagswahl, zu erhöhen und zu verbessern . ten folgen. Mit der Neufassung des Gesetzes schaffen Studierende sollen sich ihrem Studium widmen können, wir eine bessere rechtliche Absicherung, mit den neuen anstatt ständig zwischen Hörsaal und Nebenjobs zu pen- Leitlinien zum Krisenmanagement einen ergänzenden deln . Das BAföG muss zum Leben reichen . (B) strategischen Rahmen . Lassen Sie uns beides zügig zum (D) Abschluss bringen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Vielen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Rednerinnen und Redner der Koalition werden ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ gleich natürlich sagen: Wir haben das BAföG doch erst DIE GRÜNEN) im letzten Jahr erhöht .– Ja, das war nach sechs Nullrun- den auch bitter nötig . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Michael Vietz .– Damit schließe ich die Aussprache . Das Problem ist: Ihre Erhöhung hält nicht mit der Preis- und Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Deutschland Schritt . den Drucksachen 18/11134, 18/11166, 18/11174 und 18/11175 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig! – Zu- schüsse vorgeschlagen .– Sie sind einverstanden . Dann ruf von der CDU/CSU: Quatsch!) sind die Überweisungen so beschlossen . Daher ist das BAföG 2017 weniger wert als 2010 . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Wir wollen die schleichende Schrumpfkur und den At- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- traktivitätsverlust beim BAföG endlich stoppen . NIS 90/DIE GRÜNEN Eigentlich hätten wir in diesen Tagen den BAföG-Be- Attraktivitätsverlust stoppen – BAföG noch richt der Bundesregierung diskutiert . Drei Jahre sind seit 2017 erhöhen der Vorlage des letzten Berichtes vergangen . In der gest- Drucksache 18/11178 rigen Fragestunde erfuhr ich vom BMBF: Vor September wird das nichts mehr mit der Veröffentlichung. Vielleicht Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ wird es noch irgendwann etwas in diesem Jahr . abschätzung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Haushaltsausschuss NEN]: Die haben Schiss!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21897

Kai Gehring (A) Diese Verzögerungstaktik ist ein schlechtes Omen für Wahrscheinlich ist das bei den Geflüchteten genauso; (C) eine transparente BAföG-Politik, erst recht für zügige sie sollen aus unserer Sicht nämlich schneller BAföG be- Reformen . So geht das nicht, liebe Koalitionäre! kommen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) und bei der LINKEN) Wir wollen für ausgewählte Gruppen die Teilzeitförde- Zum Glück sind Gewerkschaften und Jugendverbände rung ermöglichen . Außerdem soll das BAföG mit einer in die Bresche gesprungen und haben einen Alternativen bundesweit einheitlichen und funktionstüchtigen Soft- BAföG-Bericht vorgelegt . Für diese Arbeit herzlichen ware endlich problemlos online beantragt werden kön- Dank! nen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Alternativbericht offenbart schonungslos die schlechte Lage und Lücken beim BAföG . Bedarfssätze Unser BAföG-Maßnahmenbündel wäre ein echter Ge- und Freibeträge sind zu niedrig . Die Wohnkostenpau- winn für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende, schale reicht hinten und vorne nicht . Es dauert zu lan- die sich dann voll auf ihre Bildung konzentrieren könn- ge, bis das BAföG auf geänderte Lebensrealitäten von ten . Es wäre auch ein Gewinn für unser Land; denn unser Studierenden reagiert . Aus diesen Befunden wollen wir Wohlstand beruht auf Bildung und Qualifizierung. schnell die notwendigen Konsequenzen ziehen . Das BAföG hat in seiner 45-jährigen Geschichte vie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len jungen Menschen aus einkommensarmen Elternhäu- sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE]) sern das Studium ermöglicht . Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss das BAföG regelmäßig und automatisch Was wollen wir konkret? Die Fördersätze müssen erhöht werden . um 6 Prozent steigen . Dann können Studierende bis zu 780 Euro erhalten . Die Einkommensfreibeträge wollen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir um mindestens 3 Euro – Entschuldigung! –, um und bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜND- 3 Prozent erhöhen . NIS 90/DIE GRÜNEN]: SPD, hört mal zu!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt, wo wir als Bund zu 100 Prozent für das BAföG zuständig sind, lässt sich ein solcher automatischer An- – Nein, wir machen es nicht so, wie Sie es mit Ihrer ko- passungsmechanismus noch einfacher im Gesetzesblatt (B) mischen Kindergelderhöhung gemacht haben . Mit den verankern und damit willkürliches Regierungshandeln (D) paar Euro mehr haben Sie sich so was von blamiert . beim BAföG beenden . Das BAföG muss erhöht werden, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwar regelmäßig . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt sind Sie von der Union und der SPD an der Reihe . Die Einkommensfreibeträge müssen um 3 Prozent er- Sie müssen Farbe bekennen, ob Sie für mehr Bildungsge- höht werden, damit der Kreis derjenigen, die überhaupt rechtigkeit sind und sich gleich als BAföG-Parteien fei- BAföG-berechtigt sind, erweitert wird . ern oder ob Sie durch Nichtstun in den nächsten Monaten dafür sorgen, dass das Schrumpfen beim BAföG schon Angesichts explodierender Mieten in den Universi- zum nächsten Semester wieder losgeht . tätsstädten und studentischer Wohnungsnot wollen wir, dass die tatsächlichen Wohnkosten erstattet werden, und (Beifall des Abg . Özcan Mutlu [BÜND- zwar regional gestaffelt; denn Wohnen ist in Chemnitz NIS 90/DIE GRÜNEN]) oder Köln unterschiedlich teuer . Unser Forderungskatalog ist klar: Wir wollen mehr Bil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dungsgerechtigkeit . Dr . [CDU/CSU]: Dann kommt nach Chemnitz! Dort ist es schön! – Özcan (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein- und bei der LINKEN) fach ignorieren!) – Ja, es ist wirklich schwer . – Wir freuen uns über jeden Vizepräsidentin Claudia Roth: Studierenden an jedem Studierendenort in dieser Repu- Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . – Nächster Red- blik . ner: Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion . (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Auch in (Beifall bei der CDU/CSU) Chemnitz!)

Aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, wie sich die Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Mietpreise entwickelt haben . Dass Sie sozial so blind sind, spricht ganz klar gegen die Union . Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz herzli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von und bei der LINKEN) den Grünen, zu dieser gelungenen, ja beinahe schon per- 21898 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Dr. Stefan Kaufmann (A) fekten Kopie des Antrags der Linken zum gleichen The- Meine Damen und Herren, was fällt uns zu dem vor- (C) ma . liegenden Antrag ein? Die Antragsteller haben es ver- mieden, in ihrer Forderung direkt auf den zufälligerweise (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Tage veröffentlichten Alternativen BAföG-Bericht NEN]: Wo ist denn Ihr Antrag? Was tun Sie einzugehen . Aber die Parallelen zwischen den beiden denn?) Werken sind verblüffend. Es ist auch beachtlich ehrlich, Doch während die Linken vor vier Monaten noch eine wenn die Verfasser des Alternativen BAföG-Berichtes aus ihrer Sicht notwendige Anpassung an die Lebens- ihrerseits in ihrem Vorwort schreiben, dass dieser zu wirklichkeit forderten, wollen die Grünen nun den an- einer Debatte über Stand und Perspektiven der Ausbil- geblichen Attraktivitätsverlust des BAföG stoppen . Mit dungsförderung im Jahr der Bundestagswahl beitragen Ihren Anträgen liefern Sie, die Grünen und die Linken, möchte . In jedem Fall darf man wohl sagen, dass uns hier den Beweis dafür, dass auch Sie offensichtlich im post- ein Gemeinschaftswerk der GEW-Jugend und einiger faktischen Zeitalter angekommen sind; denn mit der Re- Oppositionspolitiker vorliegt, die mittels diverser Ab- alität hat das überhaupt nichts zu tun, lieber Kollege Kai geordnetenanfragen zum Gelingen dieses Alternativen Gehring . BAföG-Berichtes beigetragen haben . (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Das ist von der Gewerkschaft! – Özcan Mutlu guter Witz gewesen! Also sind die Mietkosten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie nicht gestiegen? Sind die Lebenshaltungskos- den Bericht! Dann können Sie was lernen!) ten nicht gestiegen? – Özcan Mutlu [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Alternative Fakten!) Mehr Lobenswertes, Kollege Gehring, kann ich aller- dings zu dem vorliegenden Antrag und auch zu diesem Wir lassen uns die BAföG-Reform nicht von Ihnen klein- GEW-Bericht nicht sagen . reden . Während man den Linken noch zugutehalten (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kann, dass Sie es damals nicht besser wussten und die NEN]: Lesen Sie den erstmal! – Kai Gehring BAföG-Reform wahrscheinlich an Ihnen vorbeigegan- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht gen ist, liebe Kollegin Gohlke, können Sie sich nach gegen Sie!) unserer lebhaften Debatte am 20 .Oktober nun wirklich nicht auf Unkenntnis berufen. Sie waren offensichtlich Das Fatale, liebe Kollegen von den Grünen, ist: Dieser Antrag – das haben Sie gerade noch einmal gesagt – be- (B) körperlich anwesend – auch du, lieber Kai; aber zugehört (D) hast du nicht, als wir damals diskutiert haben . Jetzt legen rücksichtigt die aktuelle Reform überhaupt nicht . Sie einen Antrag vor, der überhaupt nichts Neues enthält, sondern nur von allem ein wenig mehr . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Doch!) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Von nichts kommt ja nichts!) Im Gegenteil: Sie bezeichnen die Reform, die wir gerade gemeinsam gestemmt haben, als Schrumpfkur und bewe- Anscheinend wollen Sie den Linken in nichts nachste- gen sich – den Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen – hen . Sie lassen jegliches Maß vermissen . ganz offensichtlich in einer Parallelwelt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu NEN]: Was sind denn Ihre Konzepte? Kom- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wo le- men Sie mal zu Ihren eigenen Konzepten!) ben Sie? In welcher Parallelwelt?) Das ist ein Überbietungswettbewerb sondergleichen . So geht es nicht, Kollege Mutlu . Was Sie nicht verstanden haben oder jedenfalls aus- blenden – das ist schon erstaunlich –: Wenn erst zum (Beifall bei der CDU/CSU) Wintersemester 2016/2017 die Freibeträge und Bedarfs- sätze gestiegen sind, dann kann man nicht – das müs- An dieser Stelle ein kleiner Hinweis, was das Gan- sen Sie uns erklären – mit statistischen Daten aus dem ze haushalterisch bedeuten würde: Allein die von Ih- Jahr 2015 beweisen, dass diese Erhöhung keine ausrei- nen geforderte Erhöhung der BAföG-Sätze um weitere chenden positiven Wirkungen entfaltet hat . 6 Prozent und der Freibeträge um 3 Prozent würde im Bundeshaushalt zu jährlichen Mehrausgaben von etwa (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . 435 Millionen Euro führen . Sagen Sie mir bitte, wo Sie Dr . [SPD] – Abg . Kai im Einzelplan 30 die Mittel kürzen wollen, um einen sol- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- chen Auswuchs zu finanzieren! det sich zu einer Zwischenfrage) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon, dass wir Milliarden Über- Vizepräsidentin Claudia Roth: schüsse haben? Wo soll denn da gekürzt wer- den bei einem Rechtsanspruch? Das ist doch Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Quatsch!) -bemerkung? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21899

(A) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Noch ein Wort zu Ihrer Behauptung, das BAföG sei (C) Nein . unattraktiv, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber Sie haben doch um Erläuterung gebeten! NEN]: Ich sage nur: Getroffene Hunde bel- Jetzt wollen Sie doch keine!) len!) – Nein, Kollege Gehring . – Der gleiche Denkfehler liegt und deshalb würden junge Menschen nicht studieren . dem Alternativen BAföG-Bericht zugrunde . Um es in die Angesichts wirklich hoher Studierendenquoten, Studie- Sprache der Gewerkschaften zu übersetzen: Sie können rendenzahlen in Rekordhöhe behaupte ich hier einfach nicht eine Tariferhöhung zum 1 . Juni eines Jahres ab- das Gegenteil, und das werden Sie nicht widerlegen schließen und dann bereits am 1 . März in den Geldbeutel können . Was wir mit dem BAföG alles gemacht haben, schauen und feststellen, dass die Erhöhung noch gar kei- möchte ich jetzt gar nicht aufzählen . ne Wirkung hatte . Das müssen Sie mir einmal erklären . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Das können Sie auch nicht mehr aufzählen; denn Sie sind schon über der Zeit . Es ist – das möchte ich ganz deutlich sagen – vielleicht jahreszeitgemäß, aber unredlich, mit einer solchen Argu- (CDU/CSU): mentation in die Öffentlichkeit zu gehen und die Men- Dr. Stefan Kaufmann schen zum Narren halten zu wollen, meine Damen und Darüber sind wir uns hier ja, glaube ich, einig . Herren . Also: Warten wir den BAföG-Bericht ab – er wird (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu im Sommer veröffentlicht werden –, und dann schauen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie!) wir, was drinsteht . Dann nehmen wir gegebenenfalls eine Neubewertung vor und schauen, wo man eventuell an- Über einen weiteren Punkt bin ich wirklich ärgerlich, passen muss . Aber ich bin mir sehr sicher, dass dieser lieber Kai Gehring . Sie loben im Begrüßungsteil Ihres BAföG-Bericht sehr erfreulich sein wird . Antrags, dass die durch die Übernahme der BAföG-Aus- gaben durch den Bund bei den Ländern freigewordenen (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Legen Sie ihn Mittel – immerhin 1,17 Milliarden Euro jährlich – für erst mal vor!) Bildung und Wissenschaft ausgegeben werden . Sie ver- (B) schweigen jedoch, dass es leider einige Länder gibt, die Deshalb: Wir lassen uns nicht von Gefühlen, sondern von (D) diese Mittel eben nicht zusätzlich in diesem Bereich in- Fakten leiten, und das würde ich auch Ihnen raten, liebe vestiert haben, sondern zur Kofinanzierung des Hoch- Kolleginnen und Kollegen . schulpaktes verwenden . Danke sehr . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- NEN]: Oh Mann, wann hört dieses Gejamme- neten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ re auf? – [Altötting] [CDU/ DIE GRÜNEN]: Viel geredet, nix gesagt! Wie CSU]: Skandalös! Unmöglich ist das!) gewohnt!) Ich sage nur: Nordrhein-Westfalen . Dort werden im- merhin jährlich 200 Millionen Euro dafür verwendet; zu Vizepräsidentin Claudia Roth: lesen in der taz vom 17 .Oktober 2016 . Dass Sie diese Vielen Dank, Dr .Kaufmann .– Das Wort zu einer Zweckentfremdung der freigewordenen Mittel in Ihrem Kurzintervention hat der Kollege Gehring . Antrag nicht kritisieren, sondern ausblenden, spricht Bände . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt genau zuhören! Da könnt ihr was (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu lernen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gar keine Zweckentfremdung!) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es zeigt sich gerade in Nordrhein-Westfalen, wie viel Es ist ja schön, dass Sie für sich eine Parallelwelt und Rot-Grün Bildung wert ist . irgendwie Narrenfreiheit in Anspruch nehmen . Aber Sie (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: haben ja dazu aufgefordert, weitere Fakten zu bringen . Das heißt, Sie widersprechen Ihrem Finanzmi- Ich möchte Sie, Herr Kaufmann, noch einmal da- nister!) rauf hinweisen, dass es durchaus eine Vereinbarung sei- Damit werden Ihre Reden hier im Haus, lieber Kai tens des Bundes mit den Ländern gegeben hat, dass die Gehring, zu hohlen Phrasen; das muss man auch einmal BAföG-Entlastungsmittel für Schulen und Hochschulen ganz deutlich sagen . und für den Bildungsbereich allgemein zur Verfügung gestellt werden sollen. Das ist richtig; wir finden es auch (Beifall bei der CDU/CSU) sinnvoll . Jetzt haben Sie gerade zum x-ten Mal den Län- 21900 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Kai Gehring (A) dern – und einzelnen besonders – vorgeworfen, dies nicht Ihren Wahlkampf schreiben –, sich an der Preis- und Ein- (C) getan zu haben . kommensentwicklung zu orientieren . Ihre Reform war so schwach und schlecht, dass Sie jetzt die nächste hin- (Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Zu terherschieben müssen, damit es keinen Verlust bei den Recht!) aktuellen Studierendengenerationen gibt . Machen Sie es – Aber dann müssen Sie jetzt einmal zur Kenntnis doch einfach! Das ist faktisch; Sie sind postfaktisch . nehmen, dass Ihre eigene Bundesregierung in regie- rungsamtlichen Dokumenten des Bundesfinanzminis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teriums schreibt – das ist übrigens Bundestagsdrucksa- che 18/8973 –: Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Auswertung der vorliegenden Daten stützt die Dr . Kaufmann, Sie haben das Wort . Annahme, dass die frei gewordenen Mittel den Bil- dungs- und Wissenschaftshaushalten der Länder zu- Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): gutekommen . Herr Kollege Gehring, es wird kritisiert, dass im An- (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: „Zu- trag Ihrer Fraktion auf Zahlen Bezug genommen wird, gutekommen“ heißt nicht, dass sie zu 100 Pro- die Sie noch gar nicht kennen können, weil die Auswir- zent dafür ausgegeben werden können! Es kungen der letzten BAföG-Reform noch unbekannt sind . könnten auch 2 Prozent sein!) Sie argumentieren mit alten Zahlen; dagegen richtet sich die Kritik . Im Übrigen haben wir die Fördersätze und Das sagt das Bundesfinanzministerium. Das heißt, die Freibeträge um jeweils 7 Prozent erhöht . Sie wissen Herr Schäuble hat das geprüft und ist der Überzeugung, genau, was wir noch alles gemacht haben . Warten wir dass die Länder die Mittel verantwortlich eingesetzt ha- erst einmal die Auswirkungen ab, und dann können Sie ben . Deshalb frage ich Sie: Ist das jetzt ein Riesenpo- schauen, ob Ihre Kritik zutrifft. Wir sind der Auffassung, panz, den die Koalition oder die Union hier einmal mehr dass der Bericht sehr gut ausfallen wird, auch im Sinne aufbaut, der Studierenden . Das ist der erste Punkt . (Widerspruch bei der CDU/CSU) Der zweite Punkt ist: Sie haben das Bundesfinanz- oder lügt die Bundesregierung? Eine Seite von beiden ministerium und den Bundesfinanzminister zitiert. Ich muss ja hier Unrecht haben . möchte gar nicht weiter kommentieren, was „zugutekom- men“ bedeutet. Fakt ist jedenfalls, dass wir alle Länder Der zweite Punkt . abgefragt haben . Wir können Ihnen gerne die Briefe und (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das noch eine die Antworten der Länder zur Verfügung stellen . Dort (D) Kurzintervention?) und in allen Stellungnahmen des Haushaltsausschusses wird deutlich, dass die Mittel in einigen Ländern nicht im Sinne der Vereinbarung verwendet wurden . Vizepräsidentin Claudia Roth: Das ist eine Kurzintervention, und die dauert drei Mi- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nuten . Der Kollege Kaufmann hat selbstverständlich die NEN]: Das heißt, der Finanzminister lügt?) Möglichkeit, drei Minuten zu antworten . Schauen Sie bitte in die Geschäftsordnung . – Bitte, Herr Gehring . Ich habe gerade einen Artikel aus der taz zitiert, in dem das Verhalten der nordrhein-westfälischen Landesregie- rung explizit untersucht wurde . Dabei wurde klar, dass Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Finanzierung des Hochschulpaktes mit 200 Millio- Herzlichen Dank und danke, dass Sie die Zeit gestoppt nen Euro nicht der Vereinbarung entspricht . Das zählt für haben . uns . Das werden wir weiterhin kritisieren . Sie können be- haupten, was Sie wollen, aber davon gehen wir nicht ab . Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke . Es sind immer die Gleichen, die glauben, dass ich das zulassen würde . (Beifall bei der CDU/CSU) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Dr .Kaufmann .– Nächste Rednerin: Ich möchte noch einmal sehr deutlich machen, dass Nicole Gohlke für die Linke . durch sechs Nullrunden und dadurch, dass seit 2010 (Beifall bei der LINKEN) bis zum Wintersemester 2016/2017 das BAföG nicht erhöht worden ist, über 130 000 junge Menschen aus dem BAföG-Bezug rausgeflogen oder nicht reingekom- Nicole Gohlke (DIE LINKE): men sind . Ihre BAföG-Reform vom letzten Jahr hat das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! knapp kompensiert . Zum nächsten Semester wird sich Offenbar scheinen es Union und SPD wirklich nicht für das durch die gestiegene Preisentwicklung wieder verän- nötig zu halten, sich noch einmal aus eigenem Antrieb dern . Insofern wäre es jetzt, in dieser Legislatur, höchste mit dem BAföG zu beschäftigen . Da braucht es in der Eisenbahn – wie Sie schon selber in neuen Papieren für Tat erst Anträge der Linken und nun der Grünen, damit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21901

Nicole Gohlke (A) sich der Bundestag überhaupt noch einmal mit diesem Diese ganzen Punkte sind seit Jahren in der Diskussi- (C) Thema befasst . on . Sie wurden jetzt durch den Alternativen BAföG-Be- richt erneut bestätigt. Mir ist unbegreiflich, warum es so (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- schwierig ist, dies anzugehen . NIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das alles Dass die Regierung dann auch noch darauf verzichtet, nicht zu sehen oder nicht zu verändern, ist, ehrlich ge- den BAföG-Bericht rechtzeitig zu erstellen, wahrschein- sagt, nicht sehr sozialdemokratisch . Ich sage Ihnen eines: lich um zu vermeiden, dass es für sie unangenehm wird, Wenn Sie wirklich etwas für die Bildungsgerechtigkeit in ist wirklich der Gipfel . Deswegen ein großes Danke- diesem Land tun wollen – das will Ihr Kanzlerkandidat, schön an die DGB-Jugend, die dafür gesorgt hat, dass es und das besagt auch das gerade von Ihnen veröffentlichte den Alternativen BAföG-Bericht gibt; mit diesem kön- Wissenschaftspapier –, dann entdecken Sie das BAföG nen wir hier wenigstens arbeiten . Vielen Dank! bitte nicht nur wieder im Wahlkampf . Das ist einfach un- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- glaubwürdig . NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Die Probleme liegen auf der Hand . Das BAföG wird Dr .Karamba Diaby [SPD]: Wir reden nicht seinem ursprünglichen Anspruch, ein verlässliches In­ nur! Wir tun was!) strument in der Studienfinanzierung zu sein und vor al- Seit 1998 – das sind fast 19 Jahre – regiert die SPD mit lem für sozialen Ausgleich zu sorgen, nicht mehr gerecht . Ausnahme einer Unterbrechung von vier Jahren . Dann Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass diese Bun- möchte man doch erwarten können, dass die Bildungsge- desregierung – genauso wie schon ihre Vorgängerinnen – rechtigkeit nicht nur postuliert, sondern irgendwann auch das BAföG hat einfach verkümmern lassen . Das ist nicht umgesetzt wird . nur traurig im Hinblick auf die große politische Idee, die hinter dem BAföG steht . Vielmehr bedroht das auch die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Perspektiven vieler junger Menschen . Deswegen gehört neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dieser Zustand schnellstens beendet . Wenn Sie das mit Ihrem aktuellen Koalitionspartner (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- nicht hinbekommen – das glaube ich gerne –, dann nut- NIS 90/DIE GRÜNEN) zen Sie die bestehenden Mehrheiten mit Linken und Grü- nen und stimmen Sie den Anträgen der Opposition zu . Wir haben einen Zustand, in dem das BAföG viele junge Menschen gar nicht mehr erreicht . Im letzten Jahr (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (B) wurden gerade noch 15 Prozent der Studierenden mit NIS 90/DIE GRÜNEN) (D) dem BAföG gefördert . Wir haben einen Zustand, in dem Mit uns kommen mehr Menschen aus finanziell das BAföG nicht ausreicht, um Studierenden ihr Studi- schwachen Familien an die Hochschulen, mit uns gibt es um und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Wir haben ein BAföG, von dem man leben und studieren kann . Ich einen Zustand, in dem die Wohnkostenpauschale nicht finde, das sollte es Ihnen wert sein. Lassen Sie uns eine annähernd die Kosten für ein WG-Zimmer deckt . Das ist 26 . BAföG-Novelle jetzt gemeinsam angehen . die Situation . Diese muss sich dringend verändern . Vielen Dank . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr .Stefan Kaufmann Verändern müssen sich vor allem die strukturellen [CDU/CSU]: Das ist einfach unredlich!) Probleme, die das BAföG mit sich herumschleppt, weil es seit Jahren nicht anständig reformiert wird . Warum ist es zum Beispiel nicht möglich, das BAföG mit einer au- Vizepräsidentin Claudia Roth: tomatischen Anpassung an die Preisentwicklung zu ver- Vielen Dank, Nicole Gohlke . – Nächster Redner: sehen, um den Studierenden jahrelange Hängepartien um Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion . BAföG-Erhöhungen zu ersparen? Oder warum werden nicht endlich die Altersgrenzen abgeschafft, die schon (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lange nichts mehr mit heutigen Bildungsbiografien zu tun der CDU/CSU) haben und einfach nur als ein weiterer Ausschluss von studierwilligen Menschen wirken? Oliver Kaczmarek (SPD): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das so eilig und Ihnen so ernst ist, dann muss ich aber auch die Frage stellen, warum die Linke und die Grü- Warum müssen junge, studierfähige Geflüchtete 15 Mo- nen hier nur allgemeine Anträge und keinen Gesetzent- nate warten, bis sie BAföG beziehen können, anstatt ih- wurf vorlegen . So kompliziert wäre es nicht, hier eine nen schnell und unbürokratisch einen Start ins neue Le- BAföG-Erhöhung zu beantragen . ben zu ermöglichen? (Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜND- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Haushaltsbe- NIS 90/DIE GRÜNEN) ratung! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE 21902 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Oliver Kaczmarek (A) GRÜNEN]: Was machen Sie? Sie machen gar Ich will nur kurz einige Punkte nennen . Ich glaube, (C) nichts!) dass es wichtig ist, dass wir uns beim nächsten Mal vor- nehmen, mehr Menschen in das BAföG einzubeziehen . Ich will es Ihnen sagen: weil Sie wissen, dass das in 2017 Die Freibetragserhöhungen sind angesprochen worden . nicht realistisch ist, und weil die letzte Erhöhung noch Sie sind eine Möglichkeit, auch mittlere Einkommen zu nicht einmal ein halbes Jahr zurückliegt . erreichen . Wir wollen, dass das BAföG stärker für Schü- Ich will Ihnen auch sagen: Die 25 .Novelle war ein lerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen und großer Erfolg . Das schlägt sich bei denen nieder, die in den nicht dualen Ausbildungsgängen geöffnet wird. BAföG bekommen, und das schlägt sich im Bundeshaus- Ich glaube, dass das notwendig und wichtig ist . halt nieder, in dem wir 2 Milliarden Euro jährlich inklu- sive der Übernahme des Länderanteils dafür aufwenden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist nicht wenig, das ist viel, und das ist ein großer der LINKEN) Schwerpunkt dieser Regierungsarbeit in den letzten vier Angesprochen worden ist auch, dass wir das BAföG Jahren . strukturell weiterentwickeln und wir veränderte Bil- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai dungsbiografien berücksichtigen wollen. Teilzeitstudium Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das und Studium mit Familie ist einer dieser Punkte . Aber sagt nichts über die Bezieher aus!) ich glaube, wir müssen auch ernsthaft über die Alters- grenzen in einer Zeit nachdenken, in der es um das le- Herr Gehring, ich möchte Ihnen ausdrücklich in der bensbegleitende Lernen und um die Kultur der zweiten Frage der Übernahme des Länderanteils und der Frage, Chance geht . wie die Länder damit umgehen, beipflichten. Ich meine, wir können doch nicht die Mitteilungen ignorieren, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) uns die Bundesregierung macht . Das ist bei den Ländern angekommen . Da würden wir uns als SPD vorstellen, die Altersgrenzen anzuheben oder abzuschaffen. ( [CDU/CSU]: Das kommt nicht zu 100 Prozent an, sondern nur zum (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Teil!) Sie regieren doch! Worauf warten Sie denn?) Ich will Ihnen, Herr Kaufmann, das am Beispiel von Dritter Punkt . Ich glaube, Wohnen für Studierende Nordrhein-Westfalen erläutern . wirksam zu unterstützen, ist richtig . Der Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen an der (B) BAföG-Entlastung beträgt zwischen 280 Millionen und (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) 290 Millionen Euro . Das ist viel, und es ist gut, dass wir Worauf warten Sie? Da sind wir uns doch auch das gemacht haben . Die Landesregierung ist dafür auch einig!) dankbar . Die Mietkostenpauschale ist vielleicht einer dieser An- (Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜND- satzpunkte . Ich glaube aber, es ist dringend notwendig, NIS 90/DIE GRÜNEN]) dass wir gerade für Studierende mit BAföG Wohnraum in öffentlich geförderten Wohnheimen bereitstellen. Das Ich will Ihnen aber auch sagen: Seit 2010, seit wir von ist ein wichtiger Punkt . der schwarz-gelben Regierung die Regierungsverantwor- tung in Nordrhein-Westfalen wieder übernommen haben, (Beifall bei der SPD) (René Röspel [SPD]: Gott sei Dank!) Die Vorschläge dazu seitens des DSW und der SPD lie- ist der Wissenschaftsetat um über 40 Prozent, um 3 Milli- gen auf dem Tisch . Wir wollen gerne 600 Millionen Euro arden Euro, angehoben worden . Das sind die realen Grö- dafür mobilisieren . Das wird sicherlich Gegenstand der ßenverhältnisse . Diskussion in nächster Zeit sein . (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen . Ich DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜND- glaube, wichtig ist auch, dass wir die Zusammenhänge NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Rot-Grün!) sehen. Die Förderung durch BAföG und die Studienfi- nanzierung gehören aus meiner Sicht zusammen . Ich Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir diese höre alarmierende Signale . Wenn der Vorsitzende der Phantomdebatte beenden . Aber wahrscheinlich werden CDU in Nordrhein-Westfalen, Herr Laschet, in der Rhei- wir das hier noch das eine oder andere Mal hören . nischen Post am 5 .Dezember 2016 laut darüber nach- Ich glaube, die 26 .Novelle wird kommen . Zentrale denkt, neue Formen von Studiengebühren einzuführen, Herausforderungen werden sich abzeichnen . Ich bin si- nachgelagerte Studiengebühren – der ist verdächtig; er cher, dass der nächste BAföG-Bericht das zum Ausdruck hat schon einmal welche eingeführt –, bringen wird . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Und die in Sachsen von Frau Stange!) Wann kommt der denn? – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und wenn wir in Baden-Württemberg die Einführung Nach den Wahlen!) von Studiengebühren für internationale Studierende se- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21903

Oliver Kaczmarek (A) hen, dann müssen wir die Sirenen, dann müssen wir die rechtigkeitsgesetz Nummer eins, und darauf können wir (C) Warnsignale hören . alle gemeinsam stolz sein . (Zuruf von der CDU/CSU: Völker, hört die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Signale!) der SPD) Wir müssen den unbeholfenen und vielleicht manchmal Was allerdings nicht so gut gewählt ist, das ist der Ti- etwas verklemmten Versuchen, das Thema Studienge- tel des Antrags . Da steht nämlich: „Attraktivitätsverlust bühren wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen, stoppen“. Ganz ehrlich, wenn man sich den Antrag an- konsequent entgegentreten . schaut und wenn man sich im Gegenzug anschaut, was im BAföG steckt, dann muss man schon sagen: Für die (Beifall bei der SPD) jungen Menschen, wahrscheinlich auch für die, die heute hier sind, ist das BAföG ein hochattraktives Instrument Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss . – Da ist für und eine hochattraktive Möglichkeit, ein Studium aufzu- mich klare Haltung angesagt . Da bin ich auf die nächs- nehmen . ten Anträge gespannt . Wir sagen Ja zum BAföG, Ja zur Chancengleichheit durch BAföG, aber auch konsequent (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Nein zu Studiengebühren . der SPD) Vielen Dank . Von daher ist dieser Titel bewusst irreführend und auch typisch grün-pessimistisch . (Beifall bei der SPD) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir sind geborene Optimisten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: In der 25 . BAföG-Novelle der Bundesregierung, die Vielen Dank, Oliver Kaczmarek .– Nächste Rednerin: wir in dieser Legislaturperiode gemeinsam beschlossen Katrin Albsteiger für die CDU/CSU-Fraktion . haben, ist einiges an Verbesserungen, die heute auch an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gesprochen worden sind, durchaus durchgeführt worden: ordneten der SPD) Die Freibeträge wurden erhöht . Die Bedarfssätze wurden erhöht . Der BAföG-Höchstsatz von jemandem, der nicht zu Hause wohnt, beträgt 735 Euro monatlich . Wenn das Katrin Albsteiger (CDU/CSU): nichts ist, dann weiß ich es auch nicht . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört: Be- (B) der SPD) (D) reits im letzten Jahr wurde ein Antrag von den Linken vorgelegt . Darin wurde mehr oder weniger genau das Selbst die Verfasser des Antrags von der Grünen- Gleiche gefordert, was die Grünen jetzt fordern . fraktion müssen in ihrem Antrag zugeben, dass die 25 . BAföG-Novelle durchaus Verbesserungen im Bil- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Der ist auch dungsbereich gebracht hat . Ich muss sagen, dieses Lob sehr gut! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE nehmen wir gern zur Kenntnis . Es ist an dieser Stelle sehr GRÜNEN]: Das zeigt, wie dringend das ist!) begrüßenswert, dass die Opposition die Leistungen der Wir haben diesen Antrag vor kurzem abgelehnt . Ich Regierung und der Regierungsfraktionen anerkennt . fürchte, dem von den Grünen droht das Gleiche . (Zuruf von der SPD: Das geht ja auch gar nicht anders!) (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Das war damals falsch und ist es heute auch!) – So ist es . Warum? Schon seit 45 Jahren ist das BAföG eine Er- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- folgsgeschichte . NEN]: Da können Sie etwas lernen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es geht immer darum, mehr und mehr und mehr zu der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE fordern; das kennen wir schon, wenn es um diese The- GRÜNEN]: Deswegen lehnen Sie Anträge men geht . ab!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das BAföG ist ein systemrelevanter Teil unserer Bil- NEN]: Nein: besser, höher, schneller, weiter!) dungsgesellschaft und eine tragende Säule unseres Bil- Jetzt kommt hinzu, dass wir mit der BAföG-Novelle dungssystems und darüber hinaus auch ein sozialpo- nicht nur die Beiträge erhöht haben, sondern auch einen litisches Instrument, das Millionen von Menschen die ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass Möglichkeit gegeben hat, ein Studium aufzunehmen . die Länder entlastet werden . Auch das haben wir schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gehört . Diese Länderentlastung beträgt über 1 Milliarde der SPD) Euro . (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Pro Jahr!) Genau deswegen – es stimmt so, wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben – ist das BAföG auch das Bildungsge- – Pro Jahr . – Das ist ein ganz gehöriger Batzen Geld . 21904 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Katrin Albsteiger (A) Wenn die Grünen auch die Freibeträge und alles Mög- Katrin Albsteiger (CDU/CSU): (C) liche erhöhen wollen, dann müssen wir an dieser Stelle Ich glaube, dass jeder ein Bildungsaufsteiger ist, der doch konstatieren: Natürlich wollen auch wir die Freibe- es schafft, in unserer Gesellschaft seinen Bildungsweg zu träge erhöhen, wenn das Geld dafür da ist . gehen, den Bildungsweg zu gehen, der zu ihm passt . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Aber das alles muss unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen; es muss letzten Endes finanzierbar sein. Wenn wir mit dem BAföG und dem Meister-BAföG un- seren Teil dazu beitragen können, dann tun wir das sehr (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gerne . Wir haben Milliardenüberschüsse! Da ist doch Geld da! Also bitte!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Schauen wir uns einmal an, was wir allein beim Bil- Frau Albsteiger, erlauben Sie – – dungshaushalt gemacht haben: Er ist 2017 um 7 Prozent gestiegen, doppelt so stark wie der Gesamthaushalt . Wenn man nur betrachtet, um wie viel wir die Mittel für Katrin Albsteiger (CDU/CSU): das BAföG erhöht haben, dann sieht man: Im Vergleich Er kann gerne eine Kurzintervention machen . zum Jahr 2014, also bevor wir die Sätze übernommen ha- Herzlichen Dank . ben, die die Länder zahlen mussten, haben wir insgesamt 1,5 Milliarden Euro für das BAföG ausgegeben . (Beifall bei der CDU/CSU) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das haben doch die Studierenden nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: gemerkt!) Nein, kann er nicht . Das muss er erst einmal beantra- gen . Wir haben heute dem Bildungshaushalt 2017 zwei Drittel dieses Geldes hinzugefügt . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank, Frau Albsteiger . – Als letzter Redner in die- Was der Bund dem Land zahlt, ist dem Studie- ser Debatte hat Martin Rabanus für die SPD das Wort . renden wurscht!) (Beifall bei der SPD) Wenn ein Haushaltsposten innerhalb einer Legislatur- (B) periode um zwei Drittel steigt, dann ist das ein enormer Martin Rabanus (SPD): (D) Batzen . Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich ordneten der SPD) bin sehr dankbar für diesen Antrag . Er ist zwar reichlich unambitioniert und auch ein Copy-and-Paste-Produkt, Ein Haushalt muss eine solche Erhöhung an dieser Stelle aber er hat hier noch einmal zu einer ambitionierten erst einmal vertragen können . Diskussion geführt sowie zu der Gelegenheit, an dieser Stelle zu rekapitulieren: Was hat die Koalition eigentlich Zu guter Letzt . In ihrem Antrag bemängeln die Grü- gemacht? nen: „ . . .nur 23 von 100 Kindern, deren Eltern nicht stu- diert haben“, schaffen es an die Hochschulen. Das ist sehr deutlich geworden, was den Bereich Stu- dierenden- und Schüler-BAföG betrifft. Was nicht deut- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lich geworden ist und von dem Antrag nicht angespro- Im Verhältnis zu 77 Akademikerkindern!) chen wird – was ich sehr schade finde –, ist der Teil der Darüber müssen wir ernsthaft reden . Das entlarvt an beruflichen Bildung, um den wir uns ebenfalls geküm- dieser Stelle nämlich wieder einmal eine typisch linke mert haben, um das Meister-BAföG . Denke . Wer sagt denn eigentlich, dass das Studieren im- (Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜND- mer besser ist als eine berufliche Ausbildung? NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können gern (Beifall bei der CDU/CSU) noch einen Antrag dazu kriegen!) Wir nämlich nicht . Man trichtert wieder einmal bei jeder Ich finde es schade, vielleicht auch bezeichnend, dass es Gelegenheit, auch in diesem Antrag, Kindern, Jugendli- im Antrag der Grünen keine Rolle spielt . Aber gerade chen und Eltern ein, dass nur diejenigen Bildungsaufstei- wenn wir wissen, dass wir neben den Studierenden den ger sind, die es tatsächlich an die Universität schaffen. großen Bereich der beruflichen Bildung stärken wollen, Ich glaube, das ist gesellschaftspolitisch wirklich unklug dann ist das etwas, was ebenfalls in diese Debatte gehört . und sogar moralisch verwerflich. Wir haben dazu eine Novelle vorgelegt, die sich, denke (Beifall bei der CDU/CSU) ich, sehen lassen kann . 2015 haben wir einen Zuschuss- betrag von 181,5 Millionen Euro für das Meister-BAföG vorgesehen, der tatsächlich auch abgeflossen ist, und für Vizepräsidentin Claudia Roth: 2017 ist im Soll ein Betrag von 264,5 Millionen Euro Frau Albsteiger . etatisiert . Das ist eine Steigerung um 80 Millionen Euro . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21905

Martin Rabanus (A) Das ist sehr, sehr viel und eine tolle Leistung dieser Ko- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Oder (C) alition . wollen Sie sprechen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) der CDU/CSU) – Gut . Ich sehe, Sie sind damit einverstanden, sie zu Pro- Wir haben in breiter Front die Leistungen aus dem tokoll zu geben 1). Meister-BAföG, das jetzt ein Aufstiegs-BAföG ist, er- Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Aus- höht und verbessert . Wir lesen im Bildungsbericht 2016, schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in dass damit nun mit gleichwertigen Förderbedingungen seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11199, für berufliche Aufsteigerinnen und Aufsteiger, wie dies den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- das BAföG für Studierende bietet, zu rechnen sei . che 18/7054 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich Das muss ich leider ein wenig relativieren; denn wir bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- haben in diesem Bereich zwar viel hinbekommen, aber schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- noch nicht alles, was wünschenswert ist, und richtig chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der gleichwertig mit dem BAföG für Studierende ist es noch Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- nicht . Dies allerdings muss das Ziel einer echten Gleich- men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ wertigkeit der akademischen und der beruflichen Bil- Die Grünen, enthalten hat sich die Linke . dung bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren . Dritte Beratung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Schlussabstimmung . Sie wissen, was kommt: Ich der CDU/CSU) bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Das bedeutet dann auch, dass wir, wenn wir von kos- len, sich jetzt zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer tenfreier Bildung sprechen, auch das Ziel nicht aus den enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zu- Augen verlieren dürfen, die Meisterkurse kostenfrei zu gestimmt haben CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grü- bekommen oder sie mit einem hundertprozentigen Zu- nen, enthalten hat sich die Linke . schussanteil zu versehen, so wie wir bei den Lebenshal- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: tungskosten – wie bei den Studierenden – auf 50 Prozent Zuschussanteil gekommen sind . Das ist etwas, was wir Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- uns zweifellos auch für die kommende Wahlperiode vor- richts des Ausschusses für Kultur und Medien nehmen können . (22 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Wir haben im Bereich BAföG für Studierende sowie (B) Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der (D) Schülerinnen und Schüler und auch im beruflichen Be- Fraktion DIE LINKE reich viel erreicht; aber weitere Novellen werden kom- men, da wir eines ganz sicher fortsetzen: das BAföG Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zu- ausbauen und die zentrale Säule der Berufsausbildungs- gänglichkeit des deutschen Filmerbes gewähr- förderung weiter stärken . leisten Vielen Dank . Drucksachen 18/8888, 18/11115 (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Scha- Vizepräsidentin Claudia Roth: de, während der Berlinale hätten wir darüber auch mal 2) Vielen Dank, Martin Rabanus . – Damit schließe ich reden können . die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp- Drucksache 18/11178 an die in der Tagesordnung aufge- fehlung auf Drucksache 18/11115, den Antrag der Frak- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Da Sie damit ein- tion Die Linke auf Drucksache 18/8888 abzulehnen . Wer verstanden sind, ist die Überweisung so beschlossen . stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: lung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, dagegen war die Linke, enthalten hat sich Bünd- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- nis 90/Die Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- angenommen . setzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: und nach dem Anfechtungsgesetz Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 18/7054 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Europäischen Union zur Arbeitsmigration ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - schuss) 1) Anlage 2 Drucksache 18/11199 2) Anlage 3 21906 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksachen 18/11136, 18/11182 Drucksache 18/10901 (C) Überweisungsvorschlag: Die Reden sollen wieder zu Protokoll gegeben wer- Innenausschuss (f) 3) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz den . – Sie sind einverstanden . Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ Dann kommen wir gleich zur Abstimmung . Der Aus- abschätzung schuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10901, Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- werden 1). sache 18/10606 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der wurfs auf Drucksachen 18/11136 und 18/11182 an die in Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, gen .– Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . die Überweisung so beschlossen . Dritte Beratung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- und Schlussabstimmung . Sie wissen, was jetzt kommt: regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen zes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstel- wollen, sich jetzt zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – lung der Ernährung in einer Versorgungskrise Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, ent- Drucksachen 18/10943, 18/11141 halten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - schuss) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- Drucksache 18/11203 ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Ich und Lebenspartnern in Angelegenheiten der 2) sehe, Sie sind einverstanden . Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegen- Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für heiten (B) Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be- (D) Drucksache 18/10485 schlussempfehlung auf Drucksache 18/11203, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Überweisungsvorschlag: chen 18/10943 und 18/11141 anzunehmen . Ich bitte die- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend um ihr Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ausschuss für Gesundheit hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben tung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, werden .– Sie sind damit einverstanden, sonst würden Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke . Sie sich melden 4). Dritte Beratung Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die zu- wurfes auf Drucksache 18/10485 an die in der Tagesord- stimmen wollen, sich jetzt zu erheben .– Wer stimmt nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Keine dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so be- angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, schlossen . Bündnis 90/Die Grünen, enthalten hat sich die Linke . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: ordnung . Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten tages auf morgen, Freitag, den 17 .Februar 2017, 9 Uhr, Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzte- ein . ordnung Drucksache 18/10606 Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch einen schönen, guten, besinnlichen Restabend . Gute Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Nacht! ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - schuss) (Schluss: 20 .50 Uhr)

1) Anlage 4 3) Anlage 6 2) Anlage 5 4) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21907

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 Werner, Katrin DIE LINKE 16 .02 .2017 DIE GRÜNEN Ziegler, Dagmar SPD 16 .02 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 DIE GRÜNEN Zollner, Gudrun CDU/CSU 16 .02 .2017

Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes DIE GRÜNEN

Gabriel, Sigmar SPD 16 .02 .2017 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden Groth, Annette DIE LINKE 16 .02 .2017 zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Heil (Peine), Hubertus SPD 16 .02 .2017 brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach Künast, Renate BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungs- DIE GRÜNEN gesetz (Zusatztagesordnungspunkt 7)

Lanzinger, Barbara CDU/CSU 16 .02 .2017 Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): 1 . Mit dem heute – endlich – zum Ende kommenden Gesetzgebungsverfah- Leutert, Michael DIE LINKE 16 .02 .2017 ren werden wir entsprechend unserer Koalitionsverein- (B) barung das Insolvenzanfechtungsrecht im Interesse der (D) Lotze, Hiltrud SPD 16 .02 .2017 Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs sowie des Ver- trauens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in aus- Noll, Michaela CDU/CSU 16 .02 .2017 gezahlte Löhne reformieren. Gleichzeitig wird die Effizi- enz von Insolvenzverfahren gesteigert, und es wird eine Obermeier, Julia CDU/CSU 16 .02 .2017 frühere Insolvenzantragstellung gefördert . Dabei besteht zwischen uns Rechtspolitikern auch Einigkeit, dass öf- Oppermann, Thomas SPD 16 .02 .2017 fentliche Gläubiger grundsätzlich in gleichem Maße von der Reform profitieren wie private Gläubiger und für die- Ripsam, Iris CDU/CSU 16 .02 .2017 se keine Schlechterstellung gegenüber dem Status quo vorgenommen wird . Rüthrich, Susann * SPD 16 .02 .2017 2. Eine Besserstellung öffentlicher Gläubiger über das Maß hinaus, in welchem diese bereits wie alle anderen Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 Gläubiger von der vorgeschlagenen Neuregelung profi- DIE GRÜNEN tieren, haben wir dabei aber andererseits als nicht gebo- ten angesehen. Unzutreffend erscheint es dabei vor- al Schlecht, Michael DIE LINKE 16 .02 .2017 len Dingen, einen besonderen Schaden des Fiskus allein mit den an diesen aufgrund von Insolvenzanfechtungen Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ 16 .02 .2017 abfließenden Beträgen zu begründen. Denn dabei wird DIE GRÜNEN nicht berücksichtigt, dass diese der Masse zufließenden Beträge die Befriedigungschancen aller Insolvenzgläubi- Sitte, Dr . Petra DIE LINKE 16 .02 .2017 ger – und zunächst der Massegläubiger – erhöhen . Da der Fiskus aber in der Regel mit Umsatzsteuerforderungen Strenz, Karin CDU/CSU 16 .02 .2017 in erheblichem Umfang auch Massegläubiger ist, würde eine Reduktion von Anfechtungsmöglichkeiten zu seinen Thissen, Dr . Karin SPD 16 .02 .2017 Lasten gleichzeitig seine Befriedigungschancen als Mas- segläubiger verringern. Dieser Effekt wäre daher auch in Vogt, Ute SPD 16 .02 .2017 den entsprechenden Berechnungen zu berücksichtigen . Zudem führt die infolge von Insolvenzanfechtungen Wawzyniak, Halina DIE LINKE 16 .02 .2017 steigende Quote zu entsprechenden Mehreinnahmen der 21908 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Insolvenzgläubiger und damit bei diesen zu – in aller Re- rungsträger ist daher noch deutlicher abzulehnen . Die (C) gel steuerpflichtigen – Gewinnen bzw. zu einer entspre- Möglichkeit, Titel selbst zu erstellen, ohne vorher ein Ge- chenden Verringerung früherer Verluste (infolge von Ab- richtsverfahren zu durchlaufen, würde diesen gegenüber schreibungen). Auch dieser Effekt ist in einer allein auf privaten Gläubigern einen nicht unerheblichen Zeitvor- den einmaligen Zahlungseffekt abstellenden Betrachtung sprung verschaffen. Durch den faktisch früheren Zugriff nicht berücksichtigt . auf die Masse würde diese Gläubigergruppe gegenüber privaten Gläubigern daher signifikant bevorzugt. Schließlich führt eine Erhöhung der Insolvenzmasse auch zu einer Erhöhung der Vergütung des Insolvenz- In diesem Zusammenhang geht auch der Verweis auf verwalters, die wiederum ebenfalls zu entsprechenden die Möglichkeit privater Gläubiger, relativ schnell einen Mehreinnahmen bei Ertrags- und Umsatzsteuer führt . Mahnbescheid zu erlangen, fehl . Denn die Vollstreckbar- Auch dies müsste bei einer allein auf einen Mittelab- keit aus einem Mahn- bzw . Vollstreckungsbescheid kann fluss an den Insolvenzverwalter abstellenden Betrach- durch schlichten, nicht einmal begründeten und ohne Be- tung berücksichtigt werden . Dabei kann man durchaus teiligung eines Rechtsanwalts möglichen Widerspruch zu Recht Vorbehalte gegen die erheblichen Kosten eines blockiert werden (§ 694 ZPO) . Bei einem Steuer- oder Insolvenz­verfahrens haben, weil die aktuelle insolvenz- Abgabenbescheid ist angesichts der fehlenden aufschie- rechtliche Vergütungspraxis Fehlanreize in Bezug auf benden Wirkung eines Einspruchs die Vollstreckbarkeit die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen setzt . demgegenüber nur mit einem gerichtlichen Verfahren zu Denn es besteht ein Missverhältnis in Bezug auf die an- verhindern. Damit ist der „zeitliche Vorteil“ von Fiskus gefochtenen Zahlungen zwischen den aus Anfechtung und Sozialversicherungsträgern auch nicht etwa nur auf stammenden Einnahmen und der daraus resultierenden einige Monate beschränkt . Erhöhung der Quote für die Gläubiger . Auch ein mehrfach in der Literatur diskutierter Ver- Der (bloßen) Gleich(und nicht: Besser‑)behandlung weis des Verwalters auf eine Anfechtung ebendieser Zah- des Fiskus im Bereich der Insolvenzanfechtung kann lungen nach § 130 InsO geht fehl: denn es würde sich auch nicht entgegengehalten werden, dass es letztlich nur die Rückzahlung der Beträge – selbst bei Kenntnis des in einer geringen Zahl von Insolvenzverfahren zu einer Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit – aufgrund der Betriebsfortführung kommt (Eröffnet im Jahr 2009, be- erhöhten Beweisanforderungen deutlich verzögern und endet bis 31 .Dezember 2013: 1058 von 13 600, Quelle: so einem Insolvenzverfahren die gerade zu Beginn benö- Destatis) . Vielmehr muss darauf abgestellt werden, dass tigte Liquidität entziehen . es bei 628 dieser 1058 Betriebsfortführungen zu einer erfolgreichen Sanierung kam . Darüber hinaus ist zu be- 5 .Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Reform rücksichtigen, dass eine asymmetrische Bevorzugung des § 133 Absatz 2 InsO ist grundsätzlich positiv zu se- (B) des Fiskus sogar zu einer überproportionalen Verkleine- hen, weil sie in erheblichem Maße die Rechtssicherheit (D) rung der Zahl dieser (erfolgreichen) Betriebsfortführun- für Gläubiger in Bezug auf Insolvenzanfechtungen ver- gen führen würde . bessert. Bereits durch die Anknüpfung an den Begriff der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bei der Anfechtung Im Einzelnen: von kongruenten Deckungen – statt wie bisher schon 3 .Die jetzt vorgeschlagene Änderung des § 14 InsO an eine bloß drohende Zahlungsunfähigkeit – wird der stellt sicher, dass sich ein Schuldner nicht durch die ge- Kreis der Anfechtungsgegner deutlich reduziert . Auch zielte Bedienung von bestimmten Forderungen einem durch diese deutlich höhere Beweisanforderung wird die geordneten Insolvenzverfahren entziehen kann . Das ist Zahl der Anfechtungsversuche von Insolvenzverwaltern, nachdrücklich zu begrüßen . welche heute häufig in außergerichtlichen Vergleichen enden, stark zurückgehen . 4 .Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Re- gelung des § 131 Absatz 1 InsO haben wir jedoch als Insbesondere die vorgesehene Regelung, nach der verfehlt angesehen und deshalb gestrichen . Eine Quali- Zahlungsvereinbarungen oder sonstige Zahlungser- fikation von Handlungen, bei denen die Sicherung oder leichterungen für sich genommen nicht als Indiz für Befriedigung durch Zwangsvollstreckung oder zu deren die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gewertet werden Abwendung bewirkt wurde, als kongruent ist schon be- dürfen, wird dazu führen, dass heute übliche Zahlungs- zogen auf rein gerichtlich erworbene Titel, wie es noch erleichterungen insolvenzfest sein werden . Insbesonde- im Referentenentwurf vorgesehen war, nicht angezeigt . re übliche Stundungsvereinbarungen von Finanzämtern Insbesondere würde dies zu früheren und schnelleren oder Inkassounternehmen werden ohne das Hinzutreten Einzelzwangsvollstreckungen führen und so gerade den weiterer Umstände in Zukunft nicht mehr dazu führen, Wettlauf der Gläubiger erneut befeuern . Dadurch würden dass Rückzahlungsansprüche gegenüber Insolvenzver- gerade besonders gut informierte Gläubiger davon abge- waltern bestehen . halten, möglichst früh einen Insolvenzantrag zu stellen . Die vorgenommene Fristverkürzung für kongruen- Zudem wäre die Masse bei einem letztendlich gestellten te Deckungen auf vier Jahre ist sachgerecht und sollte Insolvenzantrag so weit ausgehöhlt, dass die Finanzie- auch nicht weiter reduziert werden . Insbesondere wurden rung des Verfahrens, jedenfalls aber die Finanzierung ei- die von verschiedenen Industrie- und Handelskammern ner soliden Restrukturierung, sehr fraglich wäre . vorgetragenen Vergleiche mit entsprechenden auslän- Eine Erweiterung dieses Privilegs – wie dann im Re- dischen Regelungen nach ausführlicher Diskussion als gierungsentwurf vorgeschlagen – auf sämtliche Titel nicht durchgreifend bewertet . Die vorgetragenen aus- einschließlich derer des Fiskus und der Sozialversiche- ländischen Anfechtungsregelungen sind nur schwer mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21909

(A) den deutschen vergleichbar und entstammen zudem völ- Unternehmen Arbeitnehmer beschäftigte, und es würde (C) lig anderen Systemen, die auch bei anderen Regelungen zugleich auch die gerade in diesem Fall im Interesse ei- andere Wertentscheidungen getroffen haben; gerade An- nes Erhalts von Arbeitsplätzen besonders erforderliche fechtungsfristen müssen jedoch im Kontext des gesam- Massesicherung überproportional einschränken . Das ist ten Systems gesehen werden und sollten nicht isoliert meines Erachtens weder sozialpolitisch akzeptabel noch betrachtet werden . verfassungsrechtlich zulässig . 6 .W ir konnten uns auch nicht die Forderung des Bun- Dass andererseits den Fiskus auf der Basis der ver- desrates zu eigen machen, im Rahmen der Änderung einnahmten, später aber aufgrund einer Anfechtung zu- von § 142 InsO statt wie bislang auf den an den Arbeit- rückzuzahlenden Beträge Pflichten treffen, entspricht nehmer ausgezahlten Nettolohn auf den Bruttolohn ab- den Risiken, die auch andere Anfechtungsschuldner tref- zustellen – und damit die bislang mögliche Anfechtung fen . Damit steht der Fiskus insbesondere auch hier nicht von Lohnsteuerzahlungen und Sozialabgaben seitens des schlechter als ein privater Gläubiger; denn eine Rück- Arbeitgebers an das Finanzamt bzw . die Einzugsstelle zahlung an den Steuerbürger hätte in jedem Fall erfolgen auszuschließen bzw . zu begrenzen . Dabei ist zunächst müssen . Der Fiskus hat also in diesem Fall nur einmal hervorzuheben, dass die Stellung des Fiskus und der aufgrund der Insolvenz eine Rückzahlung erbringen Sozialversicherungsträger insoweit nicht mit der der Ar- müssen . Bei einem Lohnsteuererstattungsanspruch von beitnehmer vergleichbar ist . Entscheidend ist zunächst, 0 Prozent fällt außerhalb der Insolvenz eine Zahlung von dass ihre Leistungen nicht in einem Gegenseitigkeits- 0 an und in der Insolvenz aufgrund einer Anfechtung eine verhältnis zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers stehen . Zahlung von 100 Prozent; bei einem Rückerstattungsan- Deshalb sind sie zwar „Zwangsgläubiger“, aber es gibt spruch des Steuerbürgers außerhalb der Insolvenz fällt andererseits auch keinen im Gegenseitigkeitsverhältnis eine Zahlung von 100 Prozent an, innerhalb der Insol- stehenden „Anspruch“ der gesetzlichen Gläubiger da- venz nach einer Anfechtung von zusätzlichen 100 Pro- rauf, dass überhaupt Arbeitsplätze geschaffen werden. zent, mithin in diesem Fall von 200 Prozent . Der Unter- Schließlich dient die Insolvenzanfechtung der Einbezie- schied zwischen Zahlungsfluss außerhalb und innerhalb hung von Zahlungen, die zu einem Zeitpunkt geleistet beträgt jedoch in jedem Fall 100 Prozent – wie auch bei wurden, in dem der Schuldner bereits materiell insolvent einem privaten Gläubiger, der 100 Prozent der empfan- war, in das formelle Insolvenzverfahren . Und das bedeu- genen Leistung zurückerstatten muss . tet, dass die gesetzlichen Gläubiger im hypothetischen Im Bereich des § 142 InsO haben wir andererseits Fall, dass rechtzeitig und früher ein Insolvenzantrag aber klargestellt, dass auch „Drittzahlungen“ zumindest gestellt worden wäre, ebenfalls und erst recht keine An- in Bezug auf Arbeitnehmer anfechtungsfest sein können . sprüche hätten . Ob die hier jetzt vorgesehene Regelung noch weiter zu (B) (D) Auch das Argument, dass der Fiskus bei einer gegen verallgemeinern (und dann unter Umständen in § 129 ihn gerichteten Anfechtung einer Lohnsteuerzahlung InsO zu verschieben) ist, wird später zu prüfen sein . die entsprechende Steuer unter Umständen „zweimal“ 7 .Auch die in § 143 InsO vorgesehene veränderte Re- erstatten müsste, nämlich einmal an den Insolvenzver- gelung zum Fristbeginn bei Zinsansprüchen wird zu einer walter und ein zweites Mal im Rahmen der Berücksich- massiven und zugleich kassenwirksamen Entlastung von tigung im Lohnsteuerjahresausgleich, ist falsch . Denn Gläubigern führen; insbesondere ist für diese nun auch hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer korrekt einbehalten, nachvollziehbar geregelt, dass ein Zinsanspruch erst be- so hat dieser den Lohnsteueranspruch des Fiskus gegen steht, sobald der Anspruch ernsthaft eingefordert wurde . den Arbeitnehmer erfüllt . Die Lohnsteuer-Schuld des Dadurch werden Situationen vermieden, in denen bisher Arbeitnehmers erlischt nach § 47 AO (BFH I R 102/99 ein Insolvenzverwalter einen grundsätzlich berechtigten v . 29 11. 2000,. BStBl .II 2001, 195; VI R 57/04 v . Anspruch bewusst erst kurz vor Ablauf der Verjährungs- 13 12. 2007,. BStBl .II 2008, 434) . Die Rechtslage ist so, frist geltend gemacht hat, um in der aktuellen Niedrig- wie sie wäre, wenn der Arbeitnehmer an den Arbeitge- zinsphase einen entsprechend großen zusätzlichen Zins­ ber zum Zwecke der Erfüllung geleistet hätte . Die einbe- ertrag für die Masse zu generieren . haltene Lohnsteuer ist damit i .S .v . § 36 Absatz 2 Num- mer 2 EStG „erhoben“ (BFH VI R 67/90 v. 18.6.1993, Besonders freut mich, dass wir die Übergangsrege- BStBl . II 1993, 182; so für die KapSt BFH VIII R 30/93 lung zum Gesetz so ausgestalten konnten, dass die Neu- v . 23 4. 1996,. DB 1996, 2061) und muss deshalb auf die regelung bezüglich des Zinslaufs auch schon für laufen- Einkommensteuer angerechnet werden, und zwar unab- de Insolvenzverfahren gilt . Der typische mittelständische hängig davon, ob sie an das Finanzamt abgeführt wur- Anfechtungsgegner, aber ebenso Arbeitnehmer wie Fis- de (Wagner in: Blümich, Kommentar zum EStG § 42d kus und Sozialversicherungsträger als Anfechtungsgeg- Rn .88) . Würde man – was durchaus erwogen werden ner erhalten damit eine unmittelbar mit Inkrafttreten des könnte – diese Regelung für den Insolvenzfall ändern, Gesetzes wirkende Entlastung . hätte dies zur Folge, dass der Arbeitnehmer selbst für die 8 .Die Mühe hat sich gelohnt: Wir haben ein gutes Ge- Zahlung seiner Lohnsteuer haften würde . Das ist aber ein setz, und ich freue mich, dass auch Teile der Opposition sozialpolitisch untragbares Ergebnis . ihre Zustimmung angekündigt haben . Auf der Grundlage der Vorstellung des Bundesrates Dass es Fragen gibt, die wir jetzt nicht lösen konn- würde es sich – auch hier – um ein Fiskusprivileg durch ten, versteht sich von selbst . Dazu gehört etwa die Be- die Hintertür handeln, das den Fiskus nur dann, dann handlung von Honoraren aus Beraterverträgen, die des- aber besonders privilegieren würde, wenn das insolvente halb besondere Schwierigkeiten macht, weil ein Berater 21910 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) zwangsläufig Kenntnis von der gesamten wirtschaftli- interessen wurde dort von anfechtungsausschließenden (C) chen Situation des zu beratenden Unternehmens hat . Ent- Bargeschäften ausgegangen, wenn zwischen Arbeitser- scheidend dürfte hier sein, dass die Leistung (dokumen- bringung und Zahlung des Entgelts nicht mehr als drei tierbar) einen ernsthaften Sanierungsversuch betraf . Monate lagen . Darüber hinaus gab es weitere Bemühun- gen des Bundesarbeitsgerichts, die Interessen der Arbeit- Gleiches gilt für die eigentlich notwendige Einpassung nehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen . Dem ist al- von § 64 (früher Absatz 1) GmbHG und § 93 Absatz 3 lerdings spätestens mit der Rechtsprechung des BGH aus Nummer 6 AktG (der Sache nach anfechtungsrechtliche dem Jahr 2014 ein Riegel vorgeschoben . Der zuständige Normen) in das System des Insolvenzanfechtungsrechts . Senat sah damals die Grenzen der richterlichen Rechts- fortbildung überschritten . Deshalb ist es wichtig, dass Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wenn ein Pri- wir auch in diesem Bereich heute für Klarheit sorgen . vatmann oder eine Firma in Insolvenz gerät, dann stehen Nun kann innerhalb von drei Monaten nach Leistungs- viele widerstreitende Interessen im Raum: Da sind die erbringung ausgezahltes Arbeitsentgelt durch den Insol- Interessen der Gläubiger bezüglich ihrer Forderungen, venzverwalter nur dann zurückgefordert werden, wenn daneben aber auch zum Beispiel Interessen von Lieferan- der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin wusste, dass ten, die Ware geliefert haben, sich nun aber der Anfech- der Arbeitgeber mit der Auszahlung unlauter handelte . tung der erhaltenen Bezahlung durch den Insolvenzver- walter gegenübersehen . Aber denken wir zum Beispiel Abschließend möchte ich Ihr Augenmerk noch auf auch an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen die einen letzten Aspekt lenken: Zukünftig wird es Zinsen Anfechtung ausgezahlten Arbeitsentgelts droht . All diese für Rückgewähransprüche nach der Anfechtung nur noch Interessen gilt es zu einem gerechten Ausgleich zu brin- nach dem Eintritt des Verzugs geben . Denn man muss gen, und ich bin sehr froh, dass wir heute konstatieren feststellen, dass die bisherige Rechtslage in der Praxis können, dass dies mit dem vorliegenden Entwurf gelingt . Fehlanreize schaffte. Nicht selten wurde der Rückforde- rungsanspruch möglichst spät geltend gemacht, um die Vor drei Jahren besuchte mich ein Baustoffhändler Zinsforderung nach oben zu treiben . Das ist aber mit in meiner Bürgersprechstunde . Er berichtete über einen dem Grundgedanken des Insolvenzrechts unvereinbar; Kunden aus jahrelanger Geschäftsbeziehung . Den belie- denn hier soll nur das zurückfließen, was den Gläubi- ferte er mit Waren im Wert von mehreren Hunderttausend gern tatsächlich entzogen wurde . Und der Verzug setzt Euro – das auch regelmäßig unter Gewährung von Zah- ohnehin voraus, dass dem Anfechtungsgegner der Rück- lungserleichterungen, was er als durchaus branchenüb- forderungsanspruch bekannt ist . Das bedeutet, auch aus lich bezeichnete . Zudem seien in der Baubranche in der dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit besteht hier kein Übergangszeit viele Unternehmen „knapper bei Kasse“, schutzwürdiges Interesse mehr . (B) da die Saison erst richtig mit dem Frühjahr beginnt . Der (D) Bauunternehmer musste Insolvenz anmelden, und der Sie sehen: Das ist ein Gesetzentwurf, der den ausge- Insolvenzverwalter fordere jetzt vom Baustofflieferanten wogenen Interessenausgleich in der Praxis erheblich ver- über 400 000 Euro zurück . Er begründet dies damit, dass bessert . Deshalb bitte ich um Zustimmung . dem Baustoffhändler die Zahlungsunfähigkeit faktisch bekannt war, allein durch die Zahlungsaufschübe . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Hätte mir jemand zu Beginn dieser Legislatur gesagt, dass die Beratungen Bereits beim Zuhören merken wir, dass nach dem über wenige Paragraphen der Insolvenzordnung fast vier Bauchgefühl da etwas nicht stimmen kann . Eine uner- Jahren dauern würden, hätte ich gesagt, dass der oder die trägliche Situation der Rechtsunsicherheit für Lieferan- spinnt . Die Realität hat aber gezeigt, dass man aus dem ten! Das war allerdings Ergebnis einer Rechtsprechung, eigentlich rein technischen Thema große Politik machen die in den letzten Jahren sogar noch ausgeweitet wurde, kann, vor allem, wenn man alles mit allem verknüpfen zumal die Vorsatzanfechtung in diesen Fällen bis zu zehn will – ob es passt oder nicht . Aber das nennt man dann Jahre zurück möglich ist . Daher ist es der einzig richtige wohl Politik . Weg, dass wir diese Schieflage der Interessen heute kor- rigieren . Um was gehtʼs? Ein kleiner oder mittelständischer Nach der Neuregelung, die wir nun beschließen, soll Betrieb hat einen langjährigen Kunden . Er beliefert ihn die Anfechtung in solchen Fällen nur vier Jahre zurück seit Jahren, bekommt sein Geld mal pünktlich und mal ab Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mög- mit Verzug . Gleiches gilt für Arbeitnehmer . Gut so, könn- lich sein . Zudem haben wir im Gesetz nun ausdrücklich te man sagen . Ist nicht besonders schön, aber Hauptsache klargestellt, dass bei Gewährung von Zahlungserleich- bezahlt . Nun aber wird dieser Kunde oder Arbeitgeber terungen zunächst einmal vermutet wird, dass die Zah- insolvent . Nicht schön, aber es passiert . Was jedoch dann lungsunfähigkeit nicht bekannt war . Das ist auch das Ein- passiert, versteht kein Arbeitnehmer, kein Handwerker, zige, was sachgerecht sein kann . Jemand, der von einer nur noch der Jurist . Denn plötzlich kommt ein dicker Zahlungsunfähigkeit weiß, wird wohl kaum für mehrere Schriftsatz eines Insolvenzverwalters, in dem behauptet Hunderttausend Euro Ware liefern . wird, dass er ja von den Zahlungsschwierigkeiten des Kunden gewusst haben müsse, zumindest nach den An- Ein zu hohes Maß an Rechtsunsicherheit gab es je- gaben, die er aus den ihm übergegebenen Unterlagen und doch auch aufseiten der Arbeitnehmerinnen und Ar- Aussagen des Schuldners erschließen kann, und deshalb beitnehmer . Uns allen aus dem Rechtsausschuss ist die müsse er jetzt alles das zurückfordern, was bis jetzt be- konkretisierende Rechtsprechung des BAG zu diesem zahlt wurde, und zwar bis zu zehn Jahre zurück; denn er Themenfeld bekannt . Zum Schutze der Arbeitnehmer­ hätte ja wissen müssen, dass Insolvenz droht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21911

(A) Da wir die Problematik erkannten, haben wir im Ko- Dr. Johannes Fechner (SPD): Zugegeben: Die Re- (C) alitionsvertrag vereinbart, im Interesse der Planungs- form des Anfechtungsrechtes in der Insolvenzordnung sicherheit des Geschäftsverkehrs sowie des Vertrauens haben wir sehr intensiv und lange diskutiert in der Koali- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ausgezahlte tion. Aber ich finde, es hat sich gelohnt, wir haben wirk- Löhne dies neu zu regeln. Denn immer häufiger bedienen lich viele Verbesserungen für Unternehmen, vor allem sich findige Verwalter und erhöhen die Insolvenzmasse, und gerade auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- indem sie bezahlte Rechnungen, ja sogar gezahlte Gehäl- mer in diesem Gesetz erreicht . ter zurückfordern, auch das, was mühevoll über gerichtli- ches Mahnverfahren oder Urteil im Wege der Teilzahlung Wir beseitigen erhebliche Rechtsunsicherheiten, die in durch den Gerichtsvollzieher erstritten wurde . Mehrere den letzten Jahren sowohl für die Unternehmen als auch Monate begleiten wir Insolvenzverläufe, erleben, wie für die Arbeitnehmer entstanden sind . Menschen und Existenzen an den Auswirkungen dieser So verkürzen wir die Anfechtungsfrist von zehn auf Regelung zerbrechen . vier Jahre, das heißt, Unternehmen und Arbeitnehmer Mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetz müssen nicht mehr fürchten, rückwirkend die erhaltenen kann man leben, wenngleich es hinter dem durch den Leistungen infolge einer Anfechtung zurückgewähren zu Bundesjustizminister erarbeiteten Referentenentwurf müssen, schlimmstenfalls, nachdem sie selber ihre Leis- weit zurückbleibt . Trotzdem haben sich die langen und tungen schon erbracht haben und die Geschäfte schon mühsamen Verhandlungen, die zahlreichen Gesprächs- viele Jahre zurückliegen . runden mit unserem Koalitionspartner gelohnt, um letzt- Auch werden wir die Anfechtung von zurückliegen- lich dieses Ergebnis zu erzielen . den Geschäften erschweren, indem wir zukünftig vom Durch unsere Korrekturen wird die Praxis der Vorsatz­ Insolvenzverwalter fordern, dass er beweisen muss, dass anfechtung endlich wieder kalkulierbarer . Wir verkürzen wiederum der Gläubiger des angefochtenen Geschäfts die Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre . Unterneh- die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte . Bisher men und Arbeitnehmer müssen nicht mehr fürchten, musste der Insolvenzverwalter nur nachweisen, dass rückwirkend Leistungen zurückzahlen zu müssen, die der Gläubiger von einer drohenden Zahlungsunfähig- sie vor zehn Jahren erhalten haben . Auch werden An- keit wusste, was viel einfacher nachzuweisen ist . Durch fechtungen zurückliegender Geschäfte dadurch wesent- die jetzige Klarstellung schaffen wir ein hohes Maß an lich erschwert, dass der Insolvenzverwalter zukünftig Rechtssicherheit gerade für kleine und mittlere Unter- nachweisen muss, dass der Gläubiger wusste, dass der nehmen . Schuldner zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses zah- lungsunfähig war . Und wir stellen klar, dass die bloße Erleichterung von (B) Zahlungserleichterungen alleine keine Anfechtung ge- (D) Der bessere Schutz von Arbeitnehmerinnen und Ar- rechtfertigt . Auch das ist eine wichtige Neuregelung zur beitnehmern ist mir als Sozialdemokrat dabei ein beson- Schaffung von mehr Rechtssicherheit gerade für kleine deres Anliegen . Mit den Änderungen schützen wir sie und mittlere Unternehmen . davor, den verdienten Arbeitslohn wieder an den Insol- venzverwalter zurückzahlen zu müssen . Lohnzahlungen Und durch eine weitere Neuregelung schützen wir können künftig nicht mehr angefochten werden, wenn sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, den verdienten spätestens drei Monate nach der Arbeitsleistung erfolgen . Arbeitslohn nicht wieder an den Insolvenzverwalter zu- rückzahlen zu müssen . Lohnzahlungen können künftig Durch eine neue Zinsregelung beseitigen wir beste- nicht mehr angefochten werden, wenn sie spätestens drei hende Fehlanreize zu einer schleppenden Durchsetzung Monate nach der Arbeitsleistung an den Arbeitnehmer von Anfechtungsansprüchen und schützen Gläubiger ausbezahlt wurden – und das insbesondere auch dann, besser vor einer übermäßigen Zinsbelastung . Auch das wenn die Lohnzahlung durch einen Dritten erbracht wird, Prinzip der Gleichbehandlung aller Gläubiger konnte er- etwa wenn Beschäftigte in einem Konzern angestellt sind halten bleiben . und die Lohnzahlung durch ein anderes Unternehmen als So weit, so gut . Eine Gläubigergruppe bleibt jedoch das Unternehmen aus dem Arbeitsvertrag erbracht wird . auf der Strecke: die, die sich einen gerichtlichen Titel Lange beraten haben wir auch die Einführung des so- erstritten hatten, die hierfür auch nicht wenig Geld aus- genannten Fiskusprivilegs, wobei für uns als SPD klar geben mussten . Ihnen einen besonderen Schutz zu ge- war, dass wir kein Fiskusprivileg einführen wollen . Die währen, gelang uns leider nicht, da der Fiskus, der nicht Diskussion hierüber war der Grund, warum sich die De- den Umweg über Gerichte gehen muss, das gleiche Recht batte so lange hingezogen hat . Wir meinen, dass auch im einforderte . Nachvollziehen kann ich dieses Interesse; Insolvenzverfahren gleiches Recht für alle gelten muss richtig und gerecht finde ich es nicht. Deshalb haben wir und deshalb die Sozialkassen oder auch die Finanzämter es hier schweren Herzens bei der „Altregelung“ belassen, eben nicht den frühen Zugriff durch eigen geschaffene um der Hintertür einen Riegel vorzuschieben . Titel und auch dann noch in voller Höhe haben sollen Zum Schluss bedanke ich mich bei meinen Mitbericht- zulasten der Insolvenzmasse . Wenn wir dieses Fiskuspri- erstattern für die Zusammenarbeit und erwarte – dies an vileg, wie etwa vom Finanzministerium gewünscht, unseren Koalitionspartner gerichtet –, dass, wie verein- eingeführt hätten, dann hätte dies viele Arbeitsplätze ge- bart, nächste Sitzungswoche die CSR-Richtlinie sowie fährdet, weil dann viele Insolvenzverfahren gar nicht erst das Gesetz zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen eröffnet worden wären, mit der Folge, dass Unterneh- vereinbarungsgemäß beraten und entschieden werden . men, die eine Zukunftsperspektive gehabt hätten, nicht 21912 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) hätten saniert werden können, mit der Folge, dass dort Ende 2015 sind die Sorgen und Nöte der Arbeit- (C) die Jobs verloren gehen . nehmerinnen und Arbeitnehmer endlich auch bei der Bundesregierung angekommen . Mit dem vorliegenden Insofern ist das heute ein guter Tag für Arbeitneh- Gesetz hat man sich entschlossen, dem Bundesarbeits- merinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen wie für die gericht zu folgen. Ein langer Zeitraum der Hilflosigkeit, Unternehmen . Es wird für Insolvenzverwalter einfacher wenn man bedenkt, dass 9 von 10 Unternehmensinsol- werden, Unternehmen zu sanieren, mit der Folge, dass venzen Klein- und Kleinstbetriebe betreffen, in denen die es bessere Chancen gibt, die Arbeitsplätze in insolventen Wertschöpfung fast ausschließlich aus der Arbeitskraft Unternehmen zu erhalten . Darüber hinaus erhalten Ar- von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern folgt . beitnehmer wie Unternehmer Rechtssicherheit dadurch, dass erhaltende Leistungen bei weitem nicht mehr so ein- Dass es auch schneller gehen kann, hat die große Ko- fach angefochten werden können, wie dies in der Vergan- alition erst kürzlich bei der Änderung der Insolvenzord- genheit der Fall war . nung zum Schutz der Finanzindustrie beim sogenannten Liquidationsnetting gezeigt: Es dauerte nicht einmal ein Auch wenn wir lange diskutiert haben, dies ist ein gu- halbes Jahr vom Problem zum verabschiedeten Gesetz . tes Gesetz, stimmen Sie deshalb diesem Gesetz zu, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen . Wir begrüßen, dass das vorliegende Gesetz den Ar- beitslohn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu- Richard Pitterle (DIE LINKE): Im Jahr 2014 eska- künftig endlich besser schützt als bisher . Dennoch müs- lierte ein seit der Einführung der Insolvenzordnung im sen wir uns enthalten . Ihr Gesetz reicht eben nicht aus, Jahr 1999 schon lange schwelender Streit unter Rechts- den Arbeitslohn dem Zugriff des Insolvenzverwalters gelehrten zwischen dem Bundesarbeitsgericht und dem zu entziehen . Auch zukünftig gibt es Mittel und Wege, Bundesgerichtshof in Zivilsachen . Beide Gerichte hatten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Lohn zu unabhängig darüber zu befinden, unter welchen Voraus- bringen . setzungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Für die Linke ist das nicht akzeptabel . Arbeitslohn Arbeitslohn im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers darf niemals zur Disposition von Gläubigern und In- behalten dürfen . solvenzverwaltern stehen . Ohne das Engagement der Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie haben rich- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gäbe es schlicht tig gehört . Leider dürfen Sie sich nicht darauf verlassen, keine Unternehmen . Schützen Sie den Arbeitslohn und dass Sie für Ihre Arbeit auch entlohnt werden, wenn Arbeitnehmerinnen wie Arbeitnehmer bedingungslos vor erstmal der Kuckuck am Schreibtisch Ihres Chefs klebt . Gläubigern, und Sie können auf unsere Unterstützung Wenn die Insolvenz eintritt, spielt es keine Rolle mehr, zählen . (B) ob Sie sich für Ihren Chef und das Unternehmen Monate (D) vorher von früh bis spät bis zum Burn-out abgerackert Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was lange haben, um den Rubel am Rollen zu halten . Dann heißt währt, wird endlich gut – oder zumindest deutlich besser . es Pech gehabt – Geld zurück, hinten anstellen und mit Nachdem ich es zwischenzeitlich schon nicht mehr für Banken und anderen Geschäftspartnern um die wenigen möglich gehalten habe, haben Sie diesem Gesetz durch guten Linsen im Töpfchen streiten . Ihren im Ausschuss eingebrachten Änderungsantrag jetzt doch noch die entscheidende Wendung verpasst . Sie ha- So profan formuliert es das Gesetz natürlich nicht . ben die vom Finanzressort gewünschte Fiskusprivilegie- Salbungsvoll ist von Insolvenzanfechtung, kongruenter rung wieder gestrichen . Herzlichen Glückwunsch! Deckung oder Bargeschäftsprivileg die Rede – ein Ge- setz, das für betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Das war offenbar ein schwerer Kraftakt, bei dem sich nehmer in etwa so verständlich ist wie die Einstein’sche die Rechtspolitik gegenüber dem Finanzressort durchset- Relativitätstheorie . Und über allem schwebt der Grund- zen musste . Im Referentenentwurf war ja ursprünglich satz der Gläubigergleichbehandlung vom Elfenbeinturm vorgesehen, dass die Zwangsvollstreckung aus gericht- herunter . Ein Prinzip, das nicht zwischen den Starken lichen Titeln nur noch beschränkt anfechtbar sein sollte . und Schwachen differenziert, sondern einfach alle über Das war eigentlich ein guter Vorschlag . Gläubiger, die den gleichen Kamm schert und daher wenig mit dem nach langwierigen Prozessen endlich erfolgreich aus ei- verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und nem Urteil vollstreckt haben, wären anschließend vor der dem Sozialstaatsprinzip gemein hat . Insolvenzanfechtung geschützt gewesen . Das Bundesarbeitsgericht kennt die Sorgen und Nöte Was dann aber im Regierungsentwurf drinstand, ging der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Praxis . weit darüber hinaus: Nun sollten alle Arten von Zwangs- Es entscheidet im Gegensatz zum Bundesgerichtshof mit vollstreckungen im Rahmen der Anfechtung privilegiert Unterstützung von ehrenamtlichen Richtern aus den Rei- werden: auch die der Finanzverwaltung und der Sozial- hen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber . Und das Bundes- versicherungsträger . Der Haken an dieser Privilegierung: arbeitsgericht hat sich 2012 – gegen die überwältigende Diese Behörden können ihre vollstreckbaren Titel selbst Mehrheit der Stimmen in der juristischen Welt – dafür erstellen und sind gar nicht auf ein Gerichtsverfahren an- stark gemacht, Arbeitslohn im Falle der Insolvenz bes- gewiesen . So hätten Finanz- und Sozialversicherungsbe- ser als bisher zu schützen . Der Bundesgerichtshof hat die hörden quasi direkten Zugriff auf das noch vorhandene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit techno- Vermögen des Schuldners gehabt, was die Insolvenz- kratischer Kälte in der Luft zerrissen und damit große masse erheblich geschmälert hätte und letztlich zulasten Rechtsunsicherheit bei allen hinterlassen . aller anderen Gläubiger gegangen wäre . Der Gläubiger- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21913

(A) gleichbehandlungsgrundsatz im Insolvenzrecht wäre da- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: (C) mit faktisch erledigt gewesen . Nach einhelliger Kritik in Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugäng- der öffentlichen Anhörung haben Sie das also mühsam lichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten wieder abräumen können . (Tagesordnungspunkt 18) Allerdings haben Sie mit dem Änderungsantrag das Privileg jetzt wieder für alle Zwangsvollstreckungen ge- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wir alle hier strichen – also auch die aus gerichtlichen Titeln . Schade sind uns bewusst, dass die Bewahrung des Filmerbes eine eigentlich! Aber wenn es denn nicht anders möglich war, riesige organisatorische und finanzielle Herausforderung bleibt eben alles, wie es immer war – auf jeden Fall bes- für die drei Hauptakteure – Bund, Länder und Film- ser als die Privilegierung des Fiskus . branche – ist . Wir alle sind uns eigentlich auch bewusst, dass der Bund die Aufgabe deshalb nicht alleine gestal- Andere Regelungen hatten wir schon in der ersten Le- ten kann . Da können wir noch so viele Anträge hier be- sung begrüßt: schließen – wenn die anderen Akteure nicht mitmachen, Da ist zunächst einmal die Verkürzung der Anfech- wird das nichts . Die Linkspartei könnte ja beispielswei- tungsfrist von zehn auf vier Jahre ab Insolvenzantragstel- se schon einmal dafür sorgen, dass das Land Thüringen lung, wenn der Schuldner Sicherung oder Befriedigung sich einem gemeinsamen Konzept der Digitalisierung gewährt hat . Das sorgt für Rechtssicherheit . des Filmerbes nicht verschließt . Denn an einem solchen wird momentan gearbeitet . Das würde mehr helfen, als Auch die Konkretisierung von Bargeschäften ist sinn- hier Absichtserklärungen abzugeben – unrealistische Ab- voll . sichtserklärungen . Gerade in Bezug auf den Lohn von Arbeitnehmern ist die Neuregelung hilfreich . Der Lohn für die Arbeitsleis- Denn neben den grundsätzlichen Feststellungen im tungen der letzten drei Monate soll vor der Anfechtung Antrag, denen zuzustimmen ist, entlarvt sich die Links- sicher sein . Das ist damit auch im Gesetz klargestellt . partei als filmpolitischer Messie. Sie will schlicht alle Filme ab 1895 sammeln und archivieren . Nur unter Nicht gelungen bleibt aber die Ausnahmeregelung . ferner liefen wird eine weitgefasste Priorisierung er- Danach soll der Schutz vor Anfechtung nicht gelten, wähnt . Mit Blick auf die riesigen Filmbestände und die wenn der Arbeitnehmer wusste, dass der Arbeitgeber Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel und „unlauter“ handelte. Was genau das sein soll, erschließt Kapazitäten ist eine enge Priorisierung jedoch schlicht- sich mir nach wie vor nicht . Hier wird die Rechtssicher- weg eine absolute Notwendigkeit . Man wird entscheiden heit, die das Gesetz eigentlich bringt, gleich wieder kon- müssen, welche Filme archivwürdig sind – und welche terkariert . eben nicht. Um eine solche Entscheidung zu treffen, sind (B) (D) neben dem filmwirtschaftlichen Auswertungsinteresse Was mir wiederum zu weit geht, ist die gesetzliche auch der kuratorische Bedarf aus filmhistorischer Sicht Vermutung, dass jemand die Zahlungsunfähigkeit des und die Notwendigkeit der konservatorischen Sicherung Schuldners nicht kennt, wenn Ratenzahlung vereinbart zu beachten . Natürlich wird nicht jeder mit einer solchen wird . Bislang galt das Gegenteil: Bei jeder Ratenzahlung Entscheidung zufrieden sein . Das liegt in der Natur der wurde unterstellt, dass der Gläubiger die Zahlungsun- Sache . fähigkeit kennt . Das ist sicherlich nicht zwingend . Das Gesetz geht aber nun den umgekehrten Weg, indem ge- Aber auch an anderen Stellen wird der Antrag der rade bei Vereinbarung von Zahlungserleichterungen die Linkspartei unrealistisch . Zwar beruft man sich auf das Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit vermutet wird . Das PwC-Gutachten und die darin enthaltenen Zahlen und ist auch nicht wirklich plausibel . Fakten . Auf der anderen Seite bezieht man jedoch so Es hätte gereicht, wenn Sie sich hier an den vom Bun- viele weitere Wünsche mit in den Antrag ein, dass die desgerichtshof entwickelten Grundsätzen orientiert hät- Berechnungen schlicht ihre Grundlage verlieren . Dies ist ten, nach denen eine Zahlungsvereinbarung allein nicht beispielsweise der Fall, wenn ganz am Rande gefordert die Kenntnis des Gläubigers begründet, sondern dass wird, dass neben der Digitalisierung und Zugänglichma- weitere Indikatoren dazukommen müssen – wie die Er- chung des Filmerbes auch noch die Originale erhalten klärung des Schuldners, seine fälligen Verbindlichkeiten werden sollen . Hätte die Studie dies mit in ihre Ergebnis- nicht begleichen zu können oder Ähnliches . se einbezogen, wäre sie noch auf ganz andere Ergebnisse gekommen . Trotz dieser Kritikpunkte sehen wir ein berechtigtes Bedürfnis für diese Reform des Anfechtungsrechts und Ebenso wirklichkeitsfern ist die Idee, die öffent- stimmen dem Gesetz in der nun vorliegenden Form zu . lich-rechtlichen Rundfunkanbieter über eine Selbstver- pflichtung dazu zu bringen, regelmäßig Archivfilme in ihre Programme aufzunehmen . Anlage 3 Einig bin ich dann wieder mit der Linkspartei bei der Feststellung, dass wir erst am Anfang einer dauerhaften Zu Protokoll gegebene Reden Aufgabe stehen . Zu Beginn sind große Aufwendungen zur Beratung der Beschlussempfehlung und des nötig, weil wir in den vergangenen 120 Jahren ja schon Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien einiges angesammelt haben . Nach und nach sollte die zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold Sicherung unseres Filmerbes dann jedoch zur Routine (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weite- werden . 21914 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Dem Antrag kann man deshalb trotzdem nicht zustim- in klimatisierten sowie feuer- und explosionsgeschützten (C) men . Er weist in die richtige Richtung, stellt aber illuso- Räumlichkeiten aufbewahrt werden . rische Forderungen auf . Ich bin zuversichtlich, dass wir Grundsätzlich sind wir überfraktionell einig, das deut- auch so in Kürze zu einer gemeinsamen Lösung mit Län- sche Filmerbe zu bewahren und öffentlich verfügbar zu dern und Filmwirtschaft kommen . machen. Jedoch sind Unterschiede im Detail offenbar, wie der Antrag der Linksfraktion zeigt . Darüber hinaus Johannes Selle (CDU/CSU): Seit nunmehr über gibt es eine Reihe von Punkten in dem Antrag, die wir hundert Jahren haben wir das bewegte Bild – den Film . nicht unterstützen können . Den französischen Brüdern Lumière, Filmpionieren Zum Ersten: der ersten Stunde, ist es zu verdanken, dass sie mit ihrer Sie behaupten, die Bundesregierung habe keine Stra- Erfindung des Kinematographen nicht nur die Filmtech- tegie . Das ist schlichtweg falsch! Die Grundlage für die nik revolutionierten, sondern dem Kino zu seinem Na- Digitalisierungsstrategie ist das PwC-Gutachten . Im men verhalfen . Zeitraum von zehn Jahren sollen jeweils 10 Millionen Euro von Bund, Ländern und Filmwirtschaft zur Verfü- Bereits vor der ersten Filmvorführung der Brüder gung gestellt werden . Lumière am 28 .Dezember 1895, in Paris, zeigten die deutschen Brüder Skladanowsky im Wintergartenpalais Es gibt Kriterien, die festlegen, was digitalisiert wer- zu Berlin am 1 . November 1895 kurze Filme auf einem den soll . Gegenstand der Digitalisierungsstrategie sind Überblendprojektor mit einer sogenannten Handkurbel- grundsätzlich gattungs- und formübergreifende deut- kamera . Diese Technik konnte sich in der Praxis nicht sche Kinofilme, die auf analogem Material vorliegen. durchsetzen, da die Abfolge auf 24 Bilder in Folge be- Die Kriterien für die Digitalisierung beruhen auf einem schränkt war . Zweifelsohne zählen sie zu den Pionieren Dreisäulenmodell, bestehend aus: erstens dem filmwirt- der weltweiten Filmgeschichte . schaftlichen Auswertungsinteresse, zweitens dem kura- torischen Bedarf (aus filmhistorischer Sicht), drittens der Seiter erleben wir eine rasante Entwicklung der Film- notwenigen konservatorischen Sicherung (wegen Mate- technik bis hin zur heutigen Digitalisierung . Mit der rialgefährdung) . Fortentwicklung der Technik haben sich auch die Film- gattungen gewandelt: von Stummfilmen zu animierten Alle priorisierten und digitalisierten Filme sollen der Filmen bis zu den 3D-Filmen . Öffentlichkeit zugänglich sein. Daher sollen sie in einer Auflösung digitalisiert werden, die sämtliche -Auswer Filme sind Wirtschafts- und Kulturgut . Sie geben – tungsarten ermöglicht . seit es sie gibt – am eindrücklichsten die Entwicklung (B) Nur noch wenige Kinos sind in der Lage, analoge Fil- (D) der Gesellschaft in ihren Facetten wieder . Mit dem Film me aus den Archiven vorzuführen . Staatlich zu subven- lassen sich Menschen am leichtesten ansprechen . Filme tionieren, dass Kinos veraltete Vorführtechnik pflegen, sind Zeitzeugen unserer Geschichte, und sie tragen zu ergibt keinen Sinn . unserer kulturellen Identität bei . Sie sind bis heute Mas- senmedium im wahrsten Sinne des Wortes . All das sind Zum Zweiten: Gründe, unser filmisches Erbe zu bewahren und zugäng- Wir bezweifeln die Aussage, dass die Linksfraktion lich zu machen . in den letzten beiden Wahlperioden als einzige Fraktion Wir stellen uns der großen Verantwortung, der Jahr- konkrete Finanzierungsvorschläge für die Sicherung des hundertaufgabe, so wie sie zu Recht von Staatsministerin Filmerbes gemacht hat . Monika Grütters bewertet wird . Insgesamt rund 4,3 Mil- Im Gegengenteil: Sie fordern die Bundesregierung lionen Minuten, das sind circa 170 000 Titel von Lang- auf, 30 Millionen Euro jährlich zu fördern, ohne hierzu und Kurzfilmen, umfasst der deutsche Bestand des filmi- belastbare Vorschläge zu machen, wie die Summe zu fi- schen Erbes . Leider, und dass muss man auch in diesem nanzieren wäre . Tatschälich ist es schwer genug, 10 Mil- Zusammenhang sagen, sind uns bereits schon zu viele lionen Euro jährlich zusammenzubringen, die Bund, Filme verloren gegangen . Vor allem aus der Epoche des Länder und Filmwirtschaft gemeinsam schultern . Stummfilms sind es rund 85 Prozent. An den Zahlen wird nicht nur erkennbar, was für eine gewaltige Aufgabe vor Wir befinden uns in einem Spannungsverhältnis zwi- uns liegt, sondern welche Bedeutung der Film als Medi- schen filmaffinen und nicht filmaffinen Ländern. Zu unse- um bereits im späten 19 . und überwiegend im 20 .Jahr - rem Bedauern wurden die Länder bisher nicht einig und hundert einnahm . damit ihrer Verantwortung für die Kultur nicht gerecht . Die Bundesregierung und wir als Koalitionsparteien Einher geht dies mit der Frage nach der Archivierung sind weiterhin in intensiven Gesprächen und guter Din- des Trägermaterials . Das analoge Material zu sichern, ist ge, dass wir noch in dieser Legislaturperiode einen Wurf mit großen technischen Herausforderungen verbunden . mit den Ländern schaffen werden. Denn das deutsche Der Zerfall der Materialen kann nicht aufgehalten, son- Filmerbe endet nicht an den jeweiligen Landesgrenzen, dern nur hinausgezögert werden . Davon hat der Leiter sondern betrifft die gesamte Bundesrepublik sowie die des Bundesarchivs, Michael Hollmann, uns in der Anhö- deutsche Filmwirtschaft . rung zum Filmerbe berichtet . Vor allem Filme, deren Trä- germaterial aus Nitrozellulose besteht, sind sehr aufwen- Der Bund hat im Kulturetat wie auch die Filmförde- dig und kostenintensiv zu lagern . Die Filmrollen müssen rungsanstalt seit 2012 jährlich 1 Million Euro in die Digi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21915

(A) talisierung investiert . In diesem Jahr steigt der BKM-An- technische Know-how, und auf der anderen Seite müssen (C) teil um eine weitere Million Euro . Des Weiteren haben wir das Bundesarchiv und die Deutsche Kinemathek per- wir Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von je 3 Mil- sonell stärken . Diesen Institutionen wird bei der Digita- lionen Euro für die Jahre 2018 und 2019 hinterlegt . Im lisierung des Filmerbes eine wichtige Rolle zugewiesen . gleichen Zug hat auch die FFA ihren Anteil auf 2 Mil- lionen Euro angehoben . Es liegt nun bei den Ländern, Uns muss klar sein, dass die Zugänglichkeit des deut- nachzuziehen . Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich schen filmischen Erbes nur digital erfolgen kann. dafür werben . Jedoch sind wir noch in der Diskussion, ob und wie Darüber hinaus hat die Unionsfraktion bereits 2008 wir in der Zukunft die Originalfilmträger weiter erhal- und 2010 Anträge zur Sicherung des Filmerbes in den ten können . Auch in der Anhörung zum Filmerbe haben Bundestag eingebracht . uns die Fachleute auf diese Problematik aufmerksam ge- macht . Hierzu werden weitere Gespräche geführt . Unserer Fraktion geht es darum, das Kulturgut Film dauerhaft zu sichern und zugänglich zu machen . Ihr An- Aus den bereits genannten Gründen, werden wir dem trag, so verstehe ich das, möchte alles archivieren, was je vorliegenden Antrag nicht zu stimmen . auf Film gebannt wurde . Wenn Sie das umsetzen wollen, kann ich Ihnen sagen, dass auch die 30 Millionen Euro Burkhard Blienert (SPD): In diesen Tagen können jährlich nicht ausreichen werden . wir wieder erleben, wie die Berlinale mit ihren zahlrei- chen Filmreihen das filmische Fenster in die Welt öffnet. Und Drittens: Eine großartige Gelegenheit, in die unermessliche Viel- Sie fordern die Subventionierung für die noch exis- falt des Filmschaffens ganz unterschiedlichen kulturellen tierenden Filmkopierwerke . Dann gehört konsequen- Ursprungs einzutauchen . terweise die Forderung dazu, die Filmmaterialhersteller Eine besondere Reihe, die „Retrospektive“ – maß- mit Steuergeld zu erhalten und entsprechendes Personal geblich unterstützt von der Deutschen Kinemathek –, auszubilden . Das ist leider so nicht möglich, und diese gewährt darüber hinaus einen spannenden Einblick in Tatsachen erkennen sie nicht an . Filmwerke, die zum filmischen Erbe ausgewählter Län- Und Zuletzt: der gehören . In diesem Jahr geht es um das spannende Thema „Science-Fiction“. Sie machen in Ihrem Antrag eine Vielzahl von Forde- rungen auf, die die Bundesregierung bereits umgesetzt Zusammen mit den „Berlinale Classics“ führt uns die hat . „Retrospektive“ die kulturelle Bedeutung des alten Film- (B) bestands plastisch vor Augen . Indem das Zeitgenössische (D) Der Aufbau des Bestandskatalogs wurde von der Bun- in einen filmhistorischen Zusammenhang gestellt wird, desregierung in Höhe von 400 000 Euro gefördert . Die wird Filmgeschichte überhaupt erst erfahrbar . Bestände der Deutschen Kinemathek und des Deutschen Filminstituts wurden erfolgreich zusammengeführt . Die Das filmische Erbe ist nicht nur Teil einer lebendigen Ergebnisse sind im Filmportal eingestellt und bereits öf- Filmkultur, es ist zugleich Ausdruck kulturellen Reich- fentlich unter filmportal.de . Als Nächstes werden die Be- tums und kultureller Vielfalt . Über die künstlerische Be- stände des Bundesarchivs folgen . Die Zusammenführung deutung hinaus bieten Filme mit der Lebendigkeit ihrer dieser beiden großen Filmbestände ist nun in der finalen bewegten Bilder ganz eigene Zugänge zu Zeitgeschichte Phase . Rainer Rother vom Kinematheksverbund sowie und Kultur . Sie veranschaulichen Zeitumstände, histori- Michael Hollmann vom Bundesarchiv haben dies auch sche Situationen und gesellschaftliche Vorstellungen der in der Anhörung im Ausschuss bestätigt . verschiedenen Epochen . Damit sind sie Zeitzeugen und lebendiges Gedächtnis zugleich . Als solche sind sie un- Im neuen Filmfördergesetz, das seit 1 . Januar 2017 in verzichtbarer Bestandteil unseres kulturellen Erbes über- Kraft ist, haben wir im § 49 für die Filmwirtschaft einen haupt . rechtlichen Rahmen geschaffen. Hersteller und Verlei- her sind verpflichtet, einen nach dem FFG geförderten Hieraus leitet sich unsere Verantwortung für den Er- Film, eine technisch einwandfreie analoge oder unkom- halt und die Verbreitung des überlieferten Filmbestands primierte digtale Kopie des Films in einem archivfähi- ab . gen Format unentgeltlich dem Bundesarchiv zu überge- Die dringlichsten Herausforderungen bestehen darin, ben. Darüber hinaus sind die Hersteller verpflichtet, eine Filme vor dem chemischen Verfall zu retten, und darin, Registrierung beim Bundesarchiv vorzunehmen . Diese die analogen Filmrollen zu digitalisieren, um sie in Zei- Pflichtregistrierung haben wir bereits im Zuge der No- ten digitalisierter Kinos und allgegenwärtiger Internet- vellierung des Bundesarchivgesetzes 2013 ins Gesetz nutzung überhaupt sichtbar machen zu können . geschrieben . Dadurch haben wir einen Überblick über den Gesamtumfang der jährlichen Filmproduktion in Ich freue mich, dass sich darin alle Fraktionen einig Deutschland gewonnen . Der ist vorher nicht vollständig sind . Insofern begrüße ich auch den vorliegenden Antrag bekannt gewesen . der Linkenfraktion . Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wir zügig mit Die Experten haben uns in der Ausschussanhörung der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie des Film- bestätigt, dass es zusätzlichen Handlungsdruck gibt: erbes vorankommen . Hierzu müssen weitere Strukturen Ohne Digitalisierungsoffensive drohen die erforderlichen geschaffen werden. Wir brauchen auf der einen Seite das Kompetenzen für analoge und digitale Filmbearbeitung 21916 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) und die entsprechende Infrastruktur bei uns verloren zu sind, beantworten, darüber bin ich mir im Klaren . Noch (C) gehen. Denn ohne Nachfrage können die filmtechnischen zu klären sind so wichtige Fragen wie die Langzeitsiche- Betriebe und Dienstleister die entsprechenden personel- rung der Digitalisate und des analogen Ausgangsmateri- len und technischen Kapazitäten nicht vorhalten . Mit der als, aber auch der originär digitalen Produktionen, wie Folge, dass die Digitalisierung an Unternehmen im Aus- sie seit etwa 2010 die Regel sind. Offen sind vor allem land vergeben werden müsste . die Punkte Haltbarkeit und Lagerkapazitäten . Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir nach Natürlich steht auch hierbei über allem die Frage der einem langen Vorlauf jetzt endlich die letzten Hinder- Finanzierbarkeit . Es wird darauf hinauslaufen, dass wir nisse, die einer Digitalisierungsoffensive bisher im Weg auch hier zunächst selektiv und nach Prioritäten vorge- gestanden haben, wegräumen können . Ich bin sehr zuver- hen müssen . sichtlich, dass das noch vor Abschluss der Wahlperiode gelingt . Entscheidend ist es nun aber, dass wir mit der Digi- talisierungsoffensive den ersten großen Schritt machen. Im Koalitionsvertrag hatten wir verabredet, eine Digi- talisierungsförderung von Bund, Ländern und Filmwirt- Lassen Sie mich an dieser Stelle auch einen nach- schaft auf der Grundlage eines gemeinsamen Konzepts drücklichen Appell an die öffentlich-rechtlichen Sender auf die Beine zu stellen . richten . Auch sie tragen als Produzenten, Rechteinha- ber und Verwerter eine Verantwortung für das filmische Gemeinsame Verantwortung erfordert gemeinsame Erbe . Ich möchte daran erinnern, dass auch der Rund- Umsetzung und gemeinsame Finanzierung . funkstaatsvertrag darauf Bezug nimmt . Der Bund, die Branche, aber auch einzelne Länder wie Diese Verantwortung konkretisiert sich in der Vermitt- Berlin sind hier bereits vorangegangen . Für das laufende lung unseres Filmerbes im Rahmen des Bildungs- und Jahr hat der Bundestag die Mittel für die Digitalisierung Kulturauftrags der Rundfunkveranstalter . Deshalb sollte des Filmerbes auf 2 Millionen Euro verdoppelt . Darüber die Aufnahme von Werken aus unserem Filmerbe – über hinaus haben wir Verpflichtungsermächtigungen für die angekaufte Lizenzen – wieder zum festen Bestandteil der Folgejahre in Höhe von jeweils 3 Millionen Euro be- Programmgestaltung gehören . schlossen . Ich komme zum Schluss . Der vorliegende Antrag ist Auch die Filmwirtschaft zeigt Verantwortung . Über in seinem Grundanliegen unstrittig . Allerdings schießt er den Haushalt der Filmförderungsanstalt stellt sie seit die- insbesondere bei seinen finanziellen Forderungen weit sem Jahr ebenfalls 2 Millionen Euro bereit und will wei- über das Machbare hinaus . In anderen Punkten hat er ter aufstocken, wenn sich auch die Länder entsprechend sich inzwischen erledigt . Deshalb kann meine Fraktion (B) (D) einbringen . nur ablehnen . Der Bund hat sich mit den beteiligten Ländervertre- tern inzwischen über das Digitalisierungskonzept ver- Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Berlina- ständigt . Wir haben geklärt, was wir digitalisieren, wie le-Zeit ist jedes Jahr nicht nur die Zeit des berühmten wir es digitalisieren, und wir haben Eckpunkte für die Roten Teppichs, der Stars und der Sternchen . Sie ist auch Förderung formuliert . Grundsätzlich einig ist man sich die Zeit der Verteilung nachträglicher oder vorgezoge- auch, dass Bund, Länder und Branche zu gleichen Teilen ner „Weihnachtsgeschenke“ durch die Politik – so hat finanzieren. sich Frau Kulturstaatsministerin Grütters für zusätzliche Jetzt warten wir nur noch darauf, dass sich die Länder 25 Millionen Euro Filmförderung feiern lassen; Geld, untereinander verabreden, wie sie ihren Finanzierungs- das durch die Bundesregierung am Haushaltsgesetzgeber anteil aufbringen . Auch hier vernehme ich ermutigende vorbei beschlossen wurde; Geld, das „einen zusätzlichen Signale . Anreiz für internationale Aufträge an deutsche Produk- tionsdienstleister schaffen und die deutschen Standorte Bei der Erarbeitung der Digitalisierungsstrategie sind wettbewerbsfähig halten“ soll, so heißt es in der entspre- wir strikt danach verfahren, was machbar und was am chenden Erklärung der Kulturstaatsministerin – also nicht dringlichsten ist . Und wir haben uns an den Empfehlun- etwa Geld für faire Entlohnung der Filmschaffenden, für gen der PwC-Studie zur „Ermittlung des Finanzbedarfs mehr Filme von Frauen oder mehr Genrevielfalt – die zum Erhalt des filmischen Erbes“ orientiert: Wir wollen (angeblichen) Schwerpunkte des erst kürzlich beschlos- gemeinsam 10 Millionen Euro aufbringen und das zu- senen neuen Filmförderungsgesetzes . Und schon gar nächst zehn Jahre lang . nicht Geld zur dringend notwendigen Bewahrung, Siche- rung und Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes . Demgegenüber formuliert der Antrag der Linkenfrak- tion Forderungen, die alle Beteiligten finanziell überfor- Aber ich will nicht den Eindruck erwecken, immer dern, sodass am Ende wieder gar nichts passieren würde . nur zu meckern und zu kritisieren . Der Fairness halber Die Sache möglichst schnell und pragmatisch anzuge- sei hiermit festgestellt, dass der Filmförderungs-Fonds hen, das war auch der einhellige Appell der Sachverstän- DFFF erstmals 75 Millionen Euro enthalten und damit digen in der Anhörung im Ausschuss – und daran wollen um 5 Millionen Euro höher sein wird als die von der wir uns halten . Linken seit Jahren geforderten mindestens 70 Millionen Euro . Damit haben Sie uns, Frau Grütters, erstmals in der Dass wir mit dem Digitalisierungskonzept nicht alle Höhe der Ausstattung des Filmförderungsfonds in dieser Herausforderungen, die mit unserem Filmerbe verbunden Wahlperiode übertroffen. Herzlichen Glückwunsch. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21917

(A) Trotzdem kann ich Ihnen leider den Rest meiner Rede, werden sowie durch die Vorabverpfändung erhoffter Ver- (C) der viel Kritik enthalten wird, nicht ersparen . Denn: Ber- wertungs-Einnahmen . linale-Zeit ist auch jedes Jahr Zeit, um Filme zu präsen- Politik, die so mit dem Filmerbe umgeht, versündigt tieren, die zum Filmerbe und damit zum cineastischen, sich an ihm . kulturellen und künstlerischen Gedächtnis unseres Lan- des gehören . Ein beispielloser Schatz künstlerischen und Deshalb ist der aktuelle Umgang dieser Bundesregie- kreativen Schaffens. Ein integraler Bestandteil unseres rung mit dem Filmerbe dieses Landes nicht zu akzeptie- Kulturkanons . Und so wurde im Rahmen der „Berlina- ren . le Special“ eine restaurierte Fassung der fünfteiligen, Und deshalb begeht die Große Koalition einen schwe- 1972 vom WDR produzierten Familienserie „Acht Stun- ren kulturpolitischen Frevel und politischen Fehler, unse- den sind kein Tag“ von Rainer Werner Fassbinder welt­ ren Antrag heute hier einfach nur abzulehnen, noch dazu, uraufgeführt . Erstmals war seinerzeit eine alternative ohne die Spur eines eigenen Vorschlags für die Zukunft Produktion zum „Heile-Welt-Fernsehen“ entstanden, die vorzulegen . im Arbeitermilieu angesiedelt war, sozialpolitische und ökonomische Aufklärung mit Alltagsgeschichten voll Nun höre ich natürlich als aktiver Berlinale-Besucher, Spannung und Unterhaltungswert verband – wie es im dass angeblich Durchbrüche zwischen der Kulturstaats- Presseheft des Films heißt . „Fassbinder rückte Diskus- ministerin, den Ländern und der Filmwirtschaft erreicht sionen über Mitbestimmung und Solidarität am Arbeits- worden wären, was die Sicherung des Filmerbes und sei- platz, hohe Mieten, antiautoritäre Erziehung und vieles ne Zugänglichmachung betrifft. Und, wie gesagt, Berli- mehr in den Mittelpunkt.“ Ein Film also über und für die nale-Zeit ist ja jedes Jahr auch die Zeit der Versprechen „kleinen Leute“, die Beitragszahlerinnen und -zahler des und nachträglichen oder vorgezogenen Weihnachtsge- öffentlich-rechtlichen Fernsehens im besten Sinne. Ein- schenke der Politik . Und die klingen in diesem Fall so: schaltquoten von circa 60 Prozent je Folge – „allein bei Vielleicht könnten ab 2018 jährlich wenigstens 10 Mil- der ersten Folge gab es fünfundzwanzig Millionen Zu- lionen Euro für die Sicherung und Zugänglichmachung schauer, Ostdeutsche nicht mit eingerechnet“ – dürften des Filmerbes zur Verfügung stehen . Vielleicht könnte es heutigen Produzenten wie ein Märchen traumhaft vor- endlich eine Digitalisierungsstrategie für das Filmerbe kommen . geben . Vielleicht könnten endlich Schwerpunkte gesetzt werden – die damit befassten Experten und Akteure ste- Die erhalten gebliebenen 16-mm-Umkehrpositiv-Ori- hen ja seit Jahren in den Startlöchern . ginale mussten – um den Film überhaupt wieder auffüh- ren zu können – werkgetreu in 2K-Auflösung digitalisiert Allein: Es sind bisher nur Gerüchte . Zu viele „Viel- und restauriert werden, denn die Farben des Original-Ma- leichts“. Verbindliche Zusagen: bisher Fehlanzeige. (B) terials waren trotz vorbildlicher Lagerung im WDR-Ar- Deshalb bleibt Die Linke bei ihrer Forderung: Wir for- (D) chiv inzwischen an einigen Stellen ausgeblichen . Ebenso dern Bund, Länder und Filmwirtschaft dazu auf, in den musste der Ton, der auf 16-mm-Original-Mischtonbän- nächsten 10 Jahre jährlich 30 Millionen Euro für die Be- dern vorlag, aber auch an einigen Stellen beschädigt wahrung, Sicherung/Digitalisierung und Zugänglichma- war, restauriert und von einer früheren Überspielung auf chung des Filmerbes bereitzustellen . Dies soll im Sinne DA88 ersetzt werden . „Deutliche Knackser und Störge- einer Doppelstrategie erfolgen: Analoges Material sollte räusche, die durch die Lagerung entstanden, wurden re- mit Hilfe der Verwendung neuester Restaurationsver- duziert und die Originalmischung szenenweise behutsam fahren so gut es geht erhalten werden, bei gleichzeitiger in der Klangfarbe und Dynamik an die heutigen Hörge- schrittweiser Digitalisierung des Gesamtbestandes zur wohnheiten angepasst.“ vollen Zugänglichmachung . Dazu müssen natürlich die 478 Minuten Film entstanden so de facto neu . Zu- analogen Kopierwerke erhalten bleiben . Es kann nach sätzlich zu den dadurch entstehenden Kosten mussten Stand der Technik gegenwärtig davon ausgegangen wer- für jeden einzelnen Bestandteil des Films, der ja für den, dass bei einer analogen Bewahrung vorhandenen das Fernsehen produziert worden war und nun auch für Filmmaterials dieses Material für weitere circa 500 Jahre Kinoaufführungen zur Verfügung stehen soll, die Urhe- erhalten werden kann . berrechte neu geklärt und einzeln erworben werden . Ich Und ein zweiter Vorteil, wenn Sie den Vorschlägen der schildere das deshalb so ausführlich, weil viele Menschen Linken folgen würden: Möglicherweise brauchen wir als glauben, Digitalisierung bedeute einfach: Filmrolle ein- öffentliche Hand dabei auch nicht auf 10 Jahre den Bä- legen, Kopier-Taste drücken, fertig! Aber so einfach ist renanteil tragen, wenn der Fonds so angelegt wird, dass die Bewahrung, Sicherung, Digitalisierung und Zugäng- er sich langfristig in einen revolvierenden Fonds verwan- lichmachung des Filmerbes nicht einmal ansatzweise . delt, indem aus künftigen Verwertungen auch Fördermit- tel zurückerstattet werden können . Wir fordern ein Kon- Insgesamt entstand für „Acht Stunden sind kein Tag“ zept zur Sicherung und Digitalisierung des Filmerbes . ein Finanzbedarf im oberen sechsstelligen Euro-Bereich . Und wir fordern eine pro-aktive Verwertungsoffensive Förderung durch die Filmförderungsanstalt – also öf- für das Filmerbe – von den Öffentlich-Rechtlichen über fentliche Förderung – hat die Rainer-Werner-Fassbin- die Kinos, über Festivals, über Spezialveranstaltungsrei- der-Foundation lediglich in Höhe von 15 000 Euro pro hen bis hin zur Medienbildung usw . usf . Filmfolge erhalten – also insgesamt 75 000 Euro . Gerade einmal circa 10 Prozent des Gesamtbudgets . Der Rest der Es ist gut und richtig, wenn die BKM, wenn Monika benötigten Finanzmittel musste über weitere Stiftungen, Grütters den Kinofilm als „ein unersetzliches Gedächtnis private Geldgeber und das MoMA New York besorgt aller Facetten unserer Kultur und Geschichte“ bezeich- 21918 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) net . Aber Sonntagsreden nützen dem Filmerbe nichts . Ta- bes steckt . Während Sie das Thema vor sich herschie- (C) ten sind endlich gefragt! Die Linke steht für Taten bereit . ben, zerfällt jeden Augenblick Filmmaterial und damit Und sie dankt all denjenigen, die sich in den vergangenen ein Teil der deutschen Kulturgeschichte . Die 2 Millionen Jahren für die Bewahrung, Sicherung und Zugänglich- Euro, die Sie dieses Jahr für die Digitalisierung des Film- machung des Filmerbes eingesetzt haben . erbes vorgesehen haben, sind angesichts dieser dramati- schen Situation wirklich einfach nur beschämend! Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was Würden Sie dem Thema nur ein klein wenig mehr Be- das Filmerbe betrifft, erreichen uns seit geraumer Zeit deutung beimessen, könnten im Kopierwerk in Hoppe- Hilferufe der Fachleute . Und auch bei der Anhörung im garten die Personalstellen erhalten werden, die für den Ausschuss konnten wir es wieder hören: An jedem Tag, Erhalt analogen Filmmaterials zuständig sind . Wir könn- an dem wir nichts unternehmen, um Filmmaterial zu di- ten Filme digitalisieren und der Öffentlichkeit wieder zu- gitalisieren oder auch in analoger Form zu bewahren, gänglich machen . geht uns deutsches Filmerbe aufgrund der fortschreiten- den chemischen Zersetzungsprozesse unwiederbringlich Frau Grütters, beim DFFF haben Sie gezeigt, dass Sie verloren . für Überraschungen gut sind . Jetzt überraschen Sie uns doch bitte mal damit, dass Sie die Hilferufe in Sachen Aber das Filmerbe-Thema scheint der Koalition nicht Filmerbe erhören und hier endlich den dringend benötig- mehr als nur ein paar warme Worte wert zu sein . Was es ten finanziellen Rettungsring auswerfen. hier braucht, ist ernstgemeintes Engagement, und zwar in finanzieller Form. Dass das prinzipiell geht, hat Frau Grütters ja vergangene Woche schön beim Deutschen Filmförderfonds gezeigt: Wenn ihr etwas wichtig ist, Anlage 4 dann findet sich auch Geld dafür. Pünktlich im Wahljahr Zu Protokoll gegebene Reden hat sie für den DFFF 25 Millionen Euro hervorgezaubert . Bei den Haushaltsverhandlungen wurden für die Digi- zur Beratung des von der Bundesregierung ein- talisierung des Filmerbes aber gerade mal 2 Millionen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- Euro eingestellt . Und das reicht absolut nicht aus . setzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration (Tages- Jetzt könnte man sagen: Ach hätten wir nur eine un- ordnungspunkt 13) abhängige Untersuchung, die uns sagt, wie viel Geld für die Digitalisierung des Filmerbes nötig wäre! – Da habe ich gute Neuigkeiten für Sie: Die FFA hat hierfür bereits Andrea Lindholz (CDU/CSU): Mit dem vorlie- (B) 2015 PricewaterhouseCoopers mit einer Studie beauf- genden Gesetzentwurf erfüllt die Bundesregierung (D) tragt . Und diese kommt zu dem Schluss, dass eine Sum- ihre europarechtliche Pflicht, drei EU-Richtlinien zur me von 10 Millionen Euro pro Jahr über einen Zeitraum Arbeitsmigration umzusetzen . Konkret sollen die Sai- von zehn Jahren sachgerecht wäre . Hierbei ist bereits ein- sonarbeitnehmerrichtlinie, die ICT-Richtlinie und die gerechnet, dass man aus dem Gesamtbestand auswählen REST-Richtlinie im deutschen Aufenthaltsrecht umge- und priorisieren muss: Was will man unbedingt behalten, setzt werden . was nicht? Ich finde es schade, dass Frau Grütters die Zentrales Ziel der drei Richtlinien ist es, dass Men- Ergebnisse dieser Studie nicht nutzt, um stärker bei den schen, die keine EU-Bürger sind, unbürokratischer in der Ländern für eine finanzielle Einigung zu werben. EU arbeiten, forschen und studieren können . Insbeson- dere soll mit der Aufenthaltserlaubnis für einen EU-Staat Dabei sind Klassiker der Filmgeschichte nicht nur et- auch ein Arbeits- oder Forschungsaufenthalt in einem was für Fachnerds . In der diesjährigen Berlinale-Sektion anderen EU-Staat erlaubt werden . werden restaurierte Science-Fiction-Filme neu aufge- führt, die vielleicht so mancher von Ihnen noch im Kino Die Saisonarbeitnehmerrichtlinie ermöglicht es Un- gesehen hat . Viele Filme wie Die Feuerzangenbowle ternehmen, kurzfristigen Arbeitskräftebedarf auch mit oder die DEFA-Märchenfilme sind noch heute zeitlose Nicht-EU-Bürgern zu decken . Vor allem in der Landwirt- Klassiker, die Groß und Klein begeistern . Deutschland schaft, der Gastronomie und der Bauindustrie werden seit ist ein Land mit einer international bedeutsamen Filmge- Jahren zusätzliche saisonale Arbeitskräfte gebraucht . Die schichte . Gerade wir sollten dieses Erbe bewahren! Neuregelung ermöglicht Drittstaatlern Kurzaufenthalte bis zu 90 Tage oder längere Aufenthalte bis zu 6 Mona- Aus diesem Grund finden wir auch zahlreiche der For- te, um in Deutschland vorübergehend zu arbeiten . Dafür derungen aus dem Antrag der Linke sinnvoll . Allerdings müssen die Saisonarbeiter einen gültigen Arbeitsvertrag plädieren wir dafür, bei den finanziellen Forderungen ein und eine bezahlbare Unterkunft nachweisen . Um Aus- bisschen auf dem Teppich zu bleiben . Wenn wir uns an beutung zu verhindern, wurden die Schutzstandards und den Zahlen der Studie von PwC orientieren würden, wäre die Rechte der Saisonarbeitnehmer verbessert . der Sache aus unserer Sicht schon sehr geholfen . Aber wir sehen auch die Bundesregierung in der Pflicht, end- Die ICT-Richtlinie regelt unternehmensinterne Trans- lich ihr Versprechen einer Digitalisierungsstrategie ein- fers von Drittstaatlern innerhalb der EU . Bereits nach zulösen und sich bei den finanziellen Fragen nicht weiter geltendem deutschem Recht haben Ausländer die Mög- hinter der Behauptung zu verstecken, man habe sich noch lichkeit, im Rahmen eines Personalaustauschs innerhalb nicht mit den Ländern und der Filmwirtschaft darüber eines internationalen Unternehmens nach Deutschland einigen können, wer wie viel in den Erhalt des Filmer- einzureisen und hier zu arbeiten . Das Gleiche gilt für aus- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21919

(A) ländische Führungskräfte, für leitende Angestellte und Gesetzgeber . Die Umsetzung dieser drei Richtlinien wird (C) für Spezialisten . Mit dem Gesetzentwurf werden die ver- das deutsche Aufenthaltsgesetz noch unübersichtlicher schiedenen Möglichkeiten vereinheitlicht . Zudem wird machen . die Möglichkeit geschaffen, auf der Basis eines Aufent- haltstitels eines EU-Staates unternehmensintern in ei- Wer also ein neues Einwanderungsgesetz und einfache nen anderen EU-Staat zu wechseln, um zum Beispiel in Regeln fordert, der sollte sich die komplexen EU-Vorga- Deutschland zu arbeiten . Das stärkt die Attraktivität der ben ansehen, die Deutschland zwingend umsetzen muss . EU für Unternehmen und somit auch den Wirtschafts- Eine substanzielle Vereinfachung der Einwanderungsre- standort Deutschland . geln ist nur machbar, wenn sie gleichzeitig auf EU-Ebene diskutiert und umgesetzt wird . Die REST-Richtlinie regelt die Einreise und den Auf- Im Wesentlichen gibt es drei große Migrationskanä- enthalt von Forschern, Studenten und Praktikanten aus le nach Deutschland: erstens die EU-Binnenmigration, Drittländern . Künftig soll ein indischer Forscher, der ein zweitens die Asylmigration und drittens die Migration Forschungsvisum nur für Frankreich hat, unkompliziert aus Drittstaaten, um hier zu arbeiten, zu studieren oder als auch in Deutschland forschen dürfen . Ein chilenischer Familiennachzug . Anstatt für relativ kleine Gruppen wie Student mit Visum für Spanien soll die Möglichkeit be- Saisonarbeiter, Forscher, Studenten und Firmenmitarbei- kommen, auch ein Semester in Deutschland zu absol- ter eigene Richtlinien umzusetzen, wäre es sinnvoller, vieren und umgekehrt . Gerade in Wissenschaft und For- die EU-Vorgaben zu Aufenthaltstiteln für Nicht-EU-Bür- schung ist ein unkomplizierter internationaler Austausch ger stärker zu bündeln . Die Reform der EU-Blue-Card eine wichtige Triebfeder für den Fortschritt . und das neue Einreise-Ausreise-Register schaffen dafür Die Bundesregierung verzichtet zu Recht darauf, die wesentliche Grundlagen . Europa muss das verlorene Ver- optionalen Vorschriften für Schüler, Au Pairs und Teil- trauen in die EU-Freizügigkeit und den Schengen-Raum nehmer an nationalen Freiwilligendiensten umzusetzen . wiederherstellen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine kon- Hierzu besteht weder materieller Rechtsänderungsbedarf struktive Beratung des insgesamt guten Gesetzentwurfes . noch sollten wir das Aufenthaltsgesetz, die Aufenthalts- verordnung und die Beschäftigungsverordnung noch Sebastian Hartmann (SPD): Ohne Einwanderung weiter aufblähen . wäre Deutschland wirtschaftlich und kulturell ärmer . Die drei EU-Richtlinien sind in der Sache sinnvoll, Unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Staat wer- insbesondere im Hinblick auf den Brexit . Britische den im nächsten Jahrzehnt massiv vom demografischen EU-Bürger werden durch den Austritt aller Voraussicht Wandel betroffen sein. Sinkende Geburtenraten und eine nach zu Drittstaatsangehörigen . Angesichts der tiefen alternde Bevölkerung stellen die deutsche Wirtschaft, (B) Verflechtung der britischen mit der kontinentaleuro- die Sozial-, die Gesundheits- und die Rentensysteme vor (D) päischen Wirtschaft wird uns der aufenthaltsrechtli- enorme Herausforderungen . Einwanderung allein aus der che Status britischer Staatsbürger in der EU noch eini- Europäischen Union wird in vielen Branchen und Man- ge Zeit beschäftigen . Jede Regelung aufseiten der EU, gelberufen nicht ausreichen . In den nächsten zehn Jahren die es Drittstaatsangehörigen erleichtert, zwischen den verliert Deutschland über 6 Millionen Erwerbstätige . EU-Staaten zu wechseln, ist aus Sicht von Bildung, For- Deutschland ist ein Einwanderungsland . Arbeitskräf- schung und Wirtschaft in Europa zu begrüßen . te, die in den nächsten Jahren zuwandern, werden unse- ren Wohlstand sichern und tragen unser wirtschaftliches Die EU-Freizügigkeit ist zweifellos eine gute Ant- Wachstum . Arbeitsmigration ist ein Gewinn für den deut- wort auf die Herausforderungen der Globalisierung . schen Arbeitsmarkt, denn wir profitieren vom sozialen Menschen, Universitäten und Unternehmen können in Kapital ebenso wie von Erfahrungen und Qualifikationen der EU grenzüberschreitend lernen, lehren, forschen und von Drittstaatsangehörigen . Um diese Entwicklung zu arbeiten . Allerdings muss die Freizügigkeit in Europa befördern, müssen wir die Grundvoraussetzungen schaf- vernünftig geregelt werden. Negative Nebeneffekte der fen . Der vorliegende Gesetzentwurf hilft dabei, dass der Freizügigkeit, wie grenzüberschreitende Kriminalität, Zugang zum und die Arbeitsbedingungen auf dem deut- Armutsmigration oder unkontrollierte Asylmigration, schen Arbeitsmarkt transparent und fair gestaltet werden . müssen wirksam unterbunden werden . Dafür braucht es mehr Zusammenarbeit und verbindliche Regeln in Drei EU-Richtlinien zur Arbeitsmigration setzen wir Europa, aber auch mehr Handlungsspielraum für die in deutsches Recht um: Erstens regeln wir den Aufenthalt Nationalstaaten . Ein Beispiel ist die jahrelange Debatte von Nicht-EU-Ausländern in Deutschland als Saisonar- über das Kindergeld für EU-Bürger, deren Kinder nicht beitnehmer . Zweitens werden die Bedingungen für aus- in Deutschland leben . Die EU ist keine Sozialunion . Die ländische Studenten, Wissenschaftler, die in Deutschland Mitgliedstaaten haben ein Recht, ihre Sozialkassen zu forschen oder Studien absolvieren möchten, Praktikan- schützen . ten und Au-pair-Kräfte definiert. Und drittens wird die Richtlinie für ausländische Arbeitnehmer umgesetzt, die Migration in Europa muss nicht nur effektiv kontrol- innerhalb ihres internationalen Unternehmens zeitweise liert und gesteuert, sondern auch verständlich geregelt in Deutschland arbeiten möchten . werden, um den grenzfreien Schengen-Raum dauerhaft zu erhalten . In Deutschland wird oft beklagt, unser Zu- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Auf- wanderungsrecht sei zu unübersichtlich . Das mag sein . enthaltsregelungen vereinfacht und Möglichkeiten des Diese Unübersichtlichkeit ist aber auch den komplexen Aufenthaltswechsels innerhalb der EU deutlich verbes- EU-Vorgaben geschuldet und weniger dem deutschen sert . So war es beispielsweise für Forschende aus Dritt- 21920 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) staaten bisher so, dass die Aufenthaltserlaubnis zum For- aus Drittstaaten bedarfsorientiert und flexibel nach ei- (C) schen an einer europäischen Uni nicht für Deutschland nem transparenten Punktesystem gesteuert werden . Wir galt und sie auch für kurze Forschungsaufenthalte einen setzen uns als SPD aus Überzeugung für ein Einwande- eigenen deutschen Aufenthaltstitel beantragen mussten . rungsgesetz ein . Für eine zeitgemäße Migrationspolitik Zukünftig wird der internationale Austausch von Wissen- brauchen wir ein solches Einwanderungsgesetz . Die schaftlern oder Studenten deutlich einfacher, es muss bei Notwendigkeit liegt auf der Hand: Wenn in einem Ein- der zuständigen Behörde lediglich eine Mitteilung über wanderungsland verständliche Regeln fehlen, führt das den geplanten Aufenthalt erfolgen . Dies entlastet sowohl zu ungeregelter Einwanderung . Wir müssen auch deshalb die deutsche Verwaltung als auch die einzelnen Perso- endlich Klarheit schaffen, wer aus wirtschaftlichen Grün- nen. Damit schaffen wir die benötigte Transparenz, mehr den nach Deutschland einwandern kann und wer nicht . Rechtssicherheit und eine bessere Nachvollziehbarkeit für ausländische Personen, die bei uns studieren, for- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Europäische schen oder arbeiten möchten . Union ist in keiner guten Verfassung. Seit Jahren befindet Zu erinnern ist an die jüngst am 16 .Dezember 2016 sie sich im Krisenmodus, und statt weniger, werden es im Deutschen Bundestag beschlossene Umsetzung der immer mehr Krisen, die sich zudem vertiefen . Deutsch- EU-Richtlinie zur qualifizierten Migration in die EU, land ist im Vergleich zu den Ländern im Süden Europas, besser bekannt als Blue Card . Die Zulassung von be- in denen die Sozial-, Renten- und Tarifsysteme nicht ein- ruflich qualifizierten Fachkräften in den Mitgliedstaaten fach nur zusammengebrochen, sondern vielmehr gezielt war Gegenstand dieser europaweiten Regelung – und in zerstört worden sind, bislang vergleichsweise glimpflich der Debatte dazu war bereits erkennbar, dass bezogen davongekommen . auf den voraussichtlichen Bedarf an beruflich qualifizier- Verantwortlich dafür ist auch und vor allem eine ri- ten Fachkräften in bestimmten Wirtschaftszweigen die gide Austeritätspolitik, die maßgeblich durch die Bun- Zuwanderung gar nicht ausreicht . Um gegen die beste- desregierung durchgesetzt wurde . Es ist nicht zuletzt henden und künftigen Arbeitskräfte- und Qualifikations- die Bundesregierung, die die Wirtschaftskrise zulasten defizite in der EU vorzugehen, müssen wir also weitere einer massiven Sozialkrise beheben will. So klafft die Anreize schaffen. Auch dazu trägt der vorliegende Ge- Schere zwischen Arm und Reich nicht nur erheblich zwi- setzentwurf bei . schen den EU-Mitgliedstaaten seit dem Krisenausbruch im September 2008 immer weiter auseinander, sondern Die Arbeitsmigration nach Deutschland ist für unsere auch innerhalb diesen . Regionale Unterschiede werden Gesellschaft eine Erfolgsgeschichte . Ohne erstmaliges nicht ausgeglichen, sondern weiter ausgeweitet . Die Fol- Gastarbeiterabkommen mit Italien 1955 und türkische gen sind vor allem die steigende Jugendarbeitslosigkeit Arbeitsmigration in den 60er-Jahren stünde Deutschland (B) in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, etc . Diese (D) nicht dort, wo wir jetzt sind . Internationale Arbeitskräfte, wiederum treiben die unfreiwillige Migration auch in- etwa aus dem angelsächsischen oder asiatischen Raum, nerhalb der EU weiter voran . Vielen bleibt gar nichts tragen maßgeblich zur deutschen Wirtschaft bei – weil anderes übrig, als in reicheren EU-Staaten ihr Glück zu wir das wissen, beunruhigen uns Entwicklungen wie der versuchen .So ist es kein Wunder, dass das Vertrauen der Einreisestopp in die USA und der unklare Status briti- Bürger in das vielbeschworene vermeintliche Integrati- scher Staatsangehöriger nach dem Brexit umso mehr . onsprojekt EU und ihre Institutionen und ihr uneingelös- Die Wirtschaft sieht das genauso . Zu Donald Trumps tes Wohlstandsversprechen unablässig schwindet . Doch Einreisestopp für Bürger bestimmter Staaten haben sich nicht nur der Integrationsfähigkeit der EU wird zuneh- 127 Unternehmen, darunter Flaggschiffe der amerikani- mend misstraut . Zugleich erodiert die Solidarität zwi- schen Wirtschaft wie Microsoft, Google, Apple, mah- schen den EU-Mitgliedstaaten, und der Zusammenhalt nend geäußert: „Unsere Möglichkeiten zum Wachstum innerhalb der Gesellschaften bröckelt immer weiter und und zur Schaffung neuer Jobs fußen auf den Beiträgen befeuert den aufflammenden Nationalismus, Rassismus von Migranten unterschiedlichster Herkunft.“ Das gilt in und Neonazismus . Deutschland ebenso . Neue Ideen, Innovation und schließ- lich Wachstum entstehen gemeinsam und im Austausch Erst heute Mittag sprachen wir im Bundestag im Zu- zwischen Deutschen und Ausländern . Verschiedene kul- sammenhang mit dem Antrag der Linksfraktion „Eine turelle Hintergründe, international besetzte Forschungs- erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Of- teams regen zur Zusammenarbeit und gemeinsamer Ver- fensive für alle“, Drucksache 18/9190, dass statt sicherer änderung an . Arbeitsplätze, guter Löhne und damit natürlich auch gu- ter Renten, 1-Euro-Jobs, Leiharbeit, Dauerbefristungen Schon heute haben wir 1 Million offene Stellen. Uns und auch Werkverträge zunehmen . Das Ergebnis sind fehlen Altenpfleger genauso wie IT-Expertinnen. Der Hunderttausende, die von ihrer Arbeit nicht leben und Mangel an Fachkräften führt bereits dazu, dass Un- ihre Familien schlicht nicht ernähren können . ternehmen nicht expandieren und das wirtschaftliche Wachstum kleiner ausfällt, als es möglich ist . Wenn ab Auch die drei Richtlinien, die die Bundesregierung 2020 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird mit ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen sich diese Entwicklung weiter zuspitzen . Dann fehlen in- will, setzen an einem integrationspolitisch und arbeits- nerhalb weniger Jahre bis zu 6 Millionen Fachkräfte . Die marktpolitisch verfehlten Konzept an . Dabei geht es um können wir nicht allein aus den eigenen Reihen ersetzen . die Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Weil aber der Bedarf davon abhängig ist, wie viele Ein- Europäischen Union zu Saisonarbeitnehmern, unterneh- wanderer aus der EU kommen, muss die Einwanderung mensintern Transferierten sowie Forschern, Studenten, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21921

(A) Praktikanten und europäischen Freiwilligen . Den Vor- und das Bundesministerium der Finanzen hatten sich (C) schlag für die Richtlinie hatte die Europäische Kommis- aber während des Gesetzgebungsverfahrens zur Einfüh- sion im Jahr 2010 vorgelegt . Der aktuelle Text wurde im rung eines Mindestlohngesetzes darauf verständigt, dass Februar 2014 vom Europäischen Parlament verabschie- im Bereich der Saisonarbeit die Möglichkeit bestehen det, diese Fassung wurde vom Rat nun ohne Diskussion soll, Kost und Logis auf den gesetzlichen Mindestlohn angenommen . nach dem Mindestlohngesetz anzurechnen . Die Richtlinien machen deutlich, dass der Ansatz eine Laut Bundesregierung ist diese Ausnahme nicht bran- Fortsetzung des Konzeptes der „zirkulären Migration“ chenbezogen, sondern knüpft an die Beschäftigung von ist. Mit diesem soll flexibel auf die europäischen- Ar Saisonarbeitnehmern an . Saisonarbeitnehmer sind nach beitsmarktbedürfnisse der Unternehmen reagiert werden . dem Verständnis der Bundesregierung Arbeitnehmer, die Das Prinzip der „zirkulären Migration“ soll durch die befristet bei einem im Inland ansässigen Arbeitgeber an- Richtlinien gefördert werden . So können die Mitglied- gestellt sind und Tätigkeiten ausüben, die aufgrund ei- staaten vereinfachte oder beschleunigte Zulassungsver- nes immer wiederkehrenden saisonbedingten Ereignisses fahren für Personen einführen, die jedes Jahr beispiels- oder einer immer wiederkehrenden Abfolge saisonbe- weise zur Saisonarbeit einreisen . Statt ein vermeintliches dingter Ereignisse an eine Jahreszeit gebunden sind, wäh- oder tatsächlich bestehendes Defizit an bestimmten Ar- rend derer der Bedarf an Arbeitskräften den für gewöhn- beitskräften über eine Qualifizierungsoffensive bei der lich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf in vorhandenen erwerbsfähigen Bevölkerung anzugehen, erheblichem Maße übersteigt. Das trifft insbesondere in sollen gezielt ausgewählte Migrantinnen und Migranten den Bereichen der Land- und Forstwirtschaft sowie im als Arbeitsmarktpuffer missbraucht werden. Gartenbau insbesondere auf Erntehelfer zu, zudem auf bestimmte Beschäftigte im Tourismus, insbesondere in Die Strategie, Arbeitsmarktengpässe kurzfristig Gaststätten und Hotels und in Betrieben, die ihrer Na- und flexibel zu überwinden, erinnert dabei stark an das tur nach nicht ganzjährig geöffnet sind oder die während „Gastarbeiterkonzept“, das ebenfalls mit der Rückkehr bestimmter befristeter Zeiträume einen erhöhten Arbeits- der Arbeitskräfte kalkulierte, ohne deren sozialen Be- kräftebedarf abdecken müssen . Der DGB fordert eine dürfnisse im Land ausreichend zu berücksichtigen und klare Begrenzung der Beschäftigungssektoren, in denen Integrationsangebote zu machen . Die Versäumnisse des die Saisonarbeit im Sinne der Richtlinie zugelassen wer- „Gastarbeitermodells“ müssen in erster Linie die Betrof- den soll . Sichergestellt werden soll, dass Branchen wie fenen und zum Teil ihre Nachfahren bis heute „ausba- die Bauwirtschaft und das Gebäudereinigerhandwerk den“. von der Saisonarbeit ausgeschlossen bleiben, da sie keine Auch die umzusetzenden Richtlinien gehen von einer saisonabhängigen Tätigkeiten umfassen . (B) temporären und kurzfristigen Migration aus, die Integra- Die Regelungen zum Versagen oder Entzug der Ar- (D) tionsmaßnahmen unnötig machen sollen . Doch in vielen beitserlaubnis bzw . der Zustimmung dürfen nicht die Fällen werden die Personen in dem jeweiligen Mitglied- betroffenen Saisonarbeitskräfte, sondern müssen den staat bleiben und weiterhin dort leben . Es stellen sich da- Arbeitgeber treffen. Bei Missbrauch muss es für diesen her weitere Fragen, wie mit dieser Situation umgegangen härtere Sanktionen bis hin zum Entzug der Gewerbeer- werden soll . Damit verbunden ist natürlich die Frage des laubnis sowie bessere Kontrollen der Arbeitsbedingun- Familiennachzugs, die umso relevanter wird, wenn aus gen und Beratungsmöglichkeiten für Beschäftigte geben . der geplanten temporären Migration dauerhafte Einwan- derung werden sollte . Dass es letztlich bei der EU vordergründig um einen Standortwettbewerb geht, zeigt der Umstand, dass die Fragwürdig war und ist beispielsweise bei der Sai- Parlamente aus elf Mitgliedstaaten Subsidiaritätsrügen sonarbeiterrichtlinie, worin eigentlich der Bedarf an nach Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon diesbezüglichen Arbeitserlaubnissen oder Zulassungen bezüglich der Revision der Entsenderichtlinie erhoben bestehen soll, angesichts der Tatsache, dass der derzei- und damit das Verfahren der sogenannten „gelben Karte“ tige Bedarf durch Saisonarbeitskräfte aus EU-Mitglied- ausgelöst hatten . Dabei dürfte es den überwiegend ost- staaten gedeckt und die Möglichkeit der Anwerbung von europäischen EU-Ländern in erster Linie darum gehen, Saisonarbeitskräften aus Drittstaaten zumindest derzeit ihre heimische Wirtschaft zu schützen . Durch die niedri- nicht genutzt wird . gen Löhne, die sie ihren entsendeten Mitarbeitern zahlen, waren ihre Unternehmen besonders „wettbewerbsfähig“. Eine Besonderheit gilt aber auch bezüglich des Min- Denn erst nach zwei Jahren sollen entsandte Arbeits- destlohngesetzes für den Fall der Saisonarbeit . Mit dem kräfte einheimischen Arbeitskräften vollständig gleich- Mindestlohngesetz ist ein gesetzlicher Anspruch auf gestellt werden . Kettenentsendungen muss ein Riegel Zahlung eines Bruttomindestentgelts je Stunde einge- vorgeschoben werden, um sicherzustellen, dass Arbeit- führt worden . Nach seinem Wortlaut wird der gesetzliche nehmerentsendungen einen befristeten Charakter behal- Mindestlohn als Geldbetrag geschuldet . Auch wenn vom ten und gerade nicht als Instrument ausschließlich zur Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Verpflegung und Senkung der Lohnkosten genutzt werden . Doch werden Unterkunft einen in Geld bezifferbaren Wert haben, sind die Löhne nach zwei Jahren angeglichen, schwindet der sie keine Geld-, sondern Sachleistungen und als solche Wettbewerbsvorteil . grundsätzlich nicht unmittelbar im Sinne einer Anrech- nung auf den Mindestlohnanspruch berücksichtigungsfä- Wenn auch die Europäische Kommission im Rahmen hig . Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das der verpflichtenden Prüfung der Subsidiaritätsbedenken Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an ihrem Vorschlag festhält; das Prinzip des gleichen 21922 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsplatz wird unter anderem Verbesserungen beim Zugang zum Studi- (C) nicht gewährleistet . Entsandte Beschäftigte bleiben mas- um vorsieht sowie das Aufenthaltsrecht von Forschenden siv gefährdet von Lohndumping, Sozialversicherungsbe- neu regelt . Allerdings – und insofern stimmen wir mit trug, Entsendungen über Briefkastenfirmen oder miss- dem Bundesrat überein – sollten Personen, die in einem bräuchliche Praktiken hinsichtlich der Zahlung der ihnen anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz im Sinne zustehenden Löhne und Gehälter . Es muss sichergestellt der Richtlinie 2011/95/EU genießen, von der Möglich- sein, dass die Arbeitsbedingungen inklusive Entlohnung keit des studien- oder forschungsbezogenen nationalen mindestens jenen in Tarifverträgen oder ortsüblichen Ge- Aufenthaltsrechts nicht ausgeschlossen werden . Das ist pflogenheiten entsprechen. Auch die Anwendung nicht integrationspolitisch, aber auch arbeitsmarkt- und for- allgemeinverbindlicher, repräsentativer Tarifverträge für schungspolitisch das falsche Signal . Hier müssen wir Branchen, Regionen oder einzelne Unternehmen müssen mehr wagen . Die sogenannte REST-Richtlinie sieht im von der Bundesagentur für Arbeit zwingend zur Bewer- Erwägungsgrund 29 die Möglichkeit der Erteilung nati- tung der Zulassungsvoraussetzungen herangezogen wer- onaler Aufenthaltstitel zu Studien- und Forschungszwe- den . Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass die cken ausdrücklich vor . Von dieser Möglichkeit hat die Beschäftigten auch in Bezug auf ihren Sozialversiche- Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf nur unzurei- rungsschutz den Beschäftigten in Deutschland gleichge- chend Gebrauch gemacht . Es ist – wie der Bundesrat es stellt werden . Das fordert der DGB . Und die Linksfrakti- formuliert – nicht nachvollziehbar, warum Studieninte- on schließt sich dieser Forderung an . ressierte oder Forschende, die gerade erst internationa- len Schutz erhalten haben, im Vergleich zu Personen mit Ein ernsthafter Versuch, mit den Richtlinien Sozi- der gleichen Staatsangehörigkeit, die sich aber noch im aldumping zu begrenzen, ist nicht bzw . nur nachrangig Herkunftsland befinden, schlechtergestellt werden sol- erkennbar . Im Unterschied zur neoliberalen Strategie len . Angesichts der hohen Anforderungen an die Titel­ der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Arbeitsmigration im erteilung – Stichwort: Sicherung des Lebensunterhalts Sinne des Standortwettbewerbs und der Konkurrenz von bei Studierenden, Kostenübernahme der Forschungsein- Arbeitsmärkten, wird die Linksfraktion die Richtlinien richtung bis zu sechs Monaten nach der Aufnahmever- bezüglich ihrer Wirkung auf gleiche Rechte für Migran- einbarung bei Forschenden – ist ein Missbrauch nicht zu tinnen und Migranten sowie Einheimische und der Stär- befürchten . kung des sozialen Zusammenhalts bewerten . Uns geht es dabei darum, wie allgemeingültige tarifliche und soziale Ich wünsche mir, dass die Koalition im weiteren Ge- Standards für alle – also für einheimische Erwerbslose setzgebungsverfahren die Vorschläge des Bundesrates und sozial Ausgegrenzte, Migrantinnen und Migranten, aufgreift . Damit wäre schon viel gewonnen . Obwohl die sprich für alle – verankert werden (können) . Davon sind Gestaltung unserer Einwanderungsgesellschaft damit si- (B) die Richtlinien weit entfernt . cherlich auch in gesetzgeberischer Hinsicht nicht abge- (D) schlossen sein wird: Wir brauchen endlich – ich wieder- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hole es – den Mut zu einem neuen Einwanderungsgesetz, Es wäre schön, wenn die Bundesregierung bei der Um- das die Regelungen der Arbeitsmigration liberalisiert, setzung der Aufnahmerichtlinie, der Qualifikationsricht- systematisiert, entbürokratisiert und durch die Möglich- linie und der Verfahrensrichtlinie ebenso emsig wäre wie keit der angebotsorientierten, das heißt vom Nachweis bei der Umsetzung der Richtlinien zur Arbeitsmigration . eines Arbeitsangebots unabhängigen Einwanderung er- Auf die Umsetzung des Beratungsanspruchs für Asylsu- gänzt . Nur so können wir den Herausforderungen des de- chende im Verfahren, auf die Einhaltung der Vorgaben mografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten und auf so zunehmenden internationalen Mobilität von Fachkräften, manch andere Verbesserung der Situation für Schutzsu- Studierenden, Forscherinnen und Forschern und ihrer Fa- chende in Deutschland warten wir jedoch seit geraumer milien gerecht werden . In diesem Sinne wünsche ich uns Zeit vergebens . gute Beratungen . Dennoch begrüßt meine Fraktion, dass die Bundesre- gierung bemüht ist, im Bereich der Arbeitsmigration die Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vorgaben des europäischen Rechts umzusetzen – auch desminister des Innern: Das Ziel der Bundesregierung wenn wir es bedauern, dass die Gelegenheit nicht genutzt ist die wirksame Steuerung der Zuwanderung nach wurde, um das Recht der Arbeitsmigration endlich deut- Deutschland . In den letzten Monaten haben wir uns vor lich zu liberalisieren, zu systematisieren und zu entbü- allem mit der Eindämmung der illegalen Migration und rokratisieren. Das wäre angesichts des demografischen der Einschränkung der humanitären Zuwanderung nach Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels in Deutschland befasst . vielen Sektoren und Regionen notwendig . Die SPD hat das ja auch erkannt . Aber liebe Genossen: Wann bringen Mit diesem Gesetzespaket, das wir heute beraten, leis- Sie denn Ihren Entwurf eines Einwanderungsgesetzes ten wir nun einen Beitrag zur europaweiten Steuerung endlich in den Bundestag ein, damit wir ihn sinnvoll be- der Zuwanderung von Arbeitskräften aus Staaten außer- raten können? Und wo bleibt Ihr Vorschlag zur Umset- halb Europas nach Deutschland . zung des Shanghaier Kugelfischabkommens? Sie trauen sich wohl einfach nicht! Das deutsche Zuwanderungsrecht stellt schon jetzt weltweit eine der offensten und effizientesten Regelun- Doch wenden wir uns dem vorliegenden Gesetzent- gen für Fachkräfte aus Drittstaaten dar . Deutschland wurf zu . Meine Fraktion begrüßt, dass der Gesetzentwurf gehört laut OECD zu den Ländern mit den geringsten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21923

(A) Hürden für die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeits- So schaffen wir für Unternehmen und Arbeitnehmer (C) kräfte . die nötige Flexibilität, ohne dabei unsere Steuerungs- möglichkeiten aufzugeben . Mit diesem Gesetz geht es vor allem darum, den Fach- kräften, die zu uns kommen, auch die Möglichkeiten des Verbesserte Zugangsmöglichkeiten gibt es künftig Binnenmarktes zu eröffnen und zudem einen einheitli- auch im Bereich von Studium und Forschung . chen EU-Rechtsrahmen zum Beispiel für Saisonarbeits- Ausländer, die zum Studium zu uns kommen möchten, kräfte und Au-pairs zu schaffen. Das Ganze fußt auf drei haben künftig einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, EU-Richtlinien, die in innerdeutsches Recht umgesetzt wenn ihre Hochschule sie zum Studium zugelassen hat . werden . Studenten haben – vergleichbar den unternehmensin- Konkret werden die Möglichkeiten des Zugangs zum tern transferierten Arbeitnehmern – in Zukunft verbes- europäischen Markt verbessert für: serte Möglichkeiten der Mobilität innerhalb der EU . 1. Internationale Unternehmen, die hochqualifizierte Sie können mit dem Aufenthaltstitel eines anderen Mitarbeiter von außerhalb der EU in eine Niederlassung EU-Mitgliedstaats für einen begrenzten Zeitraum in innerhalb der EU versetzen möchten . (Das ist in der so- Deutschland studieren, ohne einen eigenen deutschen genannten ICT-Richtlinie festgelegt .) Aufenthaltstitel beantragen zu müssen . 2 . Forscher und Studenten, die (mit der Umsetzung Für ausländische Forscher gilt künftig nur noch eine der sogenannten REST-Richtlinie) verbesserte Möglich- gesetzliche Regelung – das Verfahren wird wesentlich keiten erhalten, den Forschungs- und Wissenschaftssek- übersichtlicher . tor in Deutschland zu stärken. Ergänzend hierzu öffnen Für Forscher, die bereits in einem anderen EU-Mit- wir uns auch für Praktikanten und Teilnehmer am Euro- gliedstaat forschen, gibt es erleichterte Regeln, wenn sie päischen Freiwilligendienst . einen Teil ihres Forschungsvorhabens in Deutschland 3 . Saisonarbeitskräfte, die für ein paar Monate im Jahr durchführen möchten . nach Deutschland kommen möchten, um in der Land- Außerdem passen wir die Regelungen für Praktikan- wirtschaft oder der Tourismusbranche zu arbeiten . Dies ten und Teilnehmer am europäischen Freiwilligendienst ist geregelt in der Saisonarbeitnehmerrichtlinie . an . Der Einsatz internationalen Personals spielt für unsere Daneben legen wir die Voraussetzungen fest, unter exportorientierte Wirtschaft eine sehr wichtige Rolle . denen Ausländer als Saisonarbeitnehmer in Deutschland (B) beschäftigt werden können . In diesem Bereich, der unter (D) Allein im ersten Halbjahr 2016 wurden gut anderem für die Landwirtschaft und den Tourismus in 45 000 Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken erteilt . Für unserem Land eine große Rolle spielt, schaffen wir Klar- die Wirtschaft in unserem Land leisten all die Personen, heit und transparente Regeln . die hinter diesen Aufenthaltstiteln stecken, einen wesent- lichen Beitrag . Dieses Gesetzespaket bedeutet keinen Paradigmen- wechsel für unser Zuwanderungsrecht, sondern eine Unternehmen bekommen nun die Möglichkeit, ihr Anpassung und Vereinheitlichung innerhalb Europas Personal an unterschiedlichen Standorten einzusetzen . aufgrund von EU-Richtlinien. Am Ende profitiert auch Deutschland als größte Volkswirtschaft davon . Wir schaffen einen neuen Aufenthaltstitel für- Ar beitnehmer, die innerhalb ihres Unternehmens vorüber- Ich bitte Sie daher, den Gesetzesentwurf zu unterstüt- gehend nach Deutschland abgeordnet werden . Damit zen, und freue mich auf die Beratungen . werden derartige Abordnungen gegenüber der bisher gel- tenden Möglichkeit deutlich erleichtert . Die Regelungen gelten für Führungskräfte, Spezialisten und Trainees – Anlage 5 also für genau die Arbeitnehmer, die gebraucht werden, damit wir leistungs- und wettbewerbsfähig bleiben . Zu Protokoll gegebene Reden Dazu schaffen wir Möglichkeiten der innereuropäi- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- schen Mobilität . Es soll unkompliziert möglich sein, dass brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Arbeitnehmer an mehreren Standorten ihres Unterneh- des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in mens innerhalb Europas arbeiten . Für kurzfristige Auf- einer Versorgungskrise (Tagesordnungspunkt 17) enthalte reicht es deshalb aus, wenn der Arbeitnehmer ei- nen Aufenthaltstitel aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Katharina Landgraf (CDU/CSU): Dieser Gesetz- hat – wenn er nur für bis zu drei Monate in Deutschland entwurf ist Teil des von der Bundesregierung initiierten bleiben will, braucht er dann keinen deutschen Aufent- Zivilschutzkonzeptes, welches sich mit dem Selbstschutz haltstitel . der Bürger in Krisensituationen beschäftigt . Auch bei längeren Aufenthalten von mehr als drei Im Rahmen dessen war die Bevölkerung im Au- Monaten wird das Verfahren deutlich vereinfacht, wenn gust 2016 dazu aufgerufen worden, Vorräte an Lebens- die Person bereits einen Aufenthaltstitel aus einem ande- mitteln und Trinkwasser anzulegen . Wir erinnern uns alle ren Mitgliedstaat hat . sicherlich an die teils heftigen Reaktionen, die von gro- 21924 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) ßen Hamsterkäufen bis zur völligen Ignoranz und Spott von Lebensmitteln oder aber den direkten Zugriff auf Be- (C) reichten . Dabei ist das Thema durchaus wichtig, denn triebe der Agrar- und Ernährungswirtschaft . wenn es doch einmal zum Eintritt einer Versorgungskrise kommen sollte, wäre man besser vorbereitet . Wirksamstes Mittel zur Vorsorge für eine Versor- gungskrise ist aber die Vorratshaltung durch die Pri- Genau das ist das Ziel des nun von der Bundesregie- vathaushalte . Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die rung vorgelegten Gesetzentwurfes: die Neuregelung zur Bürger aufgeklärt und informiert werden: darüber, wel- Grundversorgung der Bevölkerung im Falle einer Versor- che Lebensmittel sich gut zur Lagerung eignen, wie man gungskrise – so unwahrscheinlich diese auch sein mag . bestimmte Lebensmittel haltbar macht, wo diese gelagert werden müssen und so weiter . Dafür ist es bestimmt auch Der Bundesrechnungshof hatte in seinem Bericht hilfreich, mit den Eltern oder Großeltern zu sprechen . vom 15 . September 2011 an das Bundesministerium Diese werden sicherlich aus eigener Erfahrung noch für Ernährung (BMEL) in den Regelungen des Ernäh- gute Ratschläge beisteuern können . Es geht ja auch nicht rungssicherstellungsgesetzes (ESG) und des Ernäh- darum, in kleinen Stadtwohnungen Lebensmittel und rungsvorsorgegesetzes (EVG) „grundlegende Schwach- Trinkwasser für mehrere Monate zu lagern . Das ist nicht stellen“ festgestellt und empfohlen, die derzeit gültigen praktikabel und auch nicht nötig . Es reicht, wenn man Konzepte zu überdenken . Es sei notwendig, zeitgemäße Vorräte für 14 Tage im Haus hat . Eine Liste mit Vorschlä- Krisenszenarien herauszuarbeiten, ein Gesamtkonzept zu gen findet sich zum Beispiel auf der Internetseite www . entwickeln und einheitliche Regelungen für militärische ernaehrungsvorsorge .de des Bundesministeriums für wie zivile Krisenfälle zu erlassen . Darauf sollte dann die Ernährung und Landwirtschaft . Dazu gibt es dort auch Versorgungsplanung und Bevorratung durch den Staat praktische Tipps zum Haltbarmachen von Lebensmitteln abgestimmt werden . und zur richtigen Lagerung . Im Grunde ist es ganz ein- fach: Jeder sollte das bevorraten, was er selbst in nächster Dies ist mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf Zeit konsumieren möchte . Wenn möglich, sollten auch nun geschehen . Lebensmittel dabei sein, die man ohne Kochen verzehren Aber was ist eigentlich eine Versorgungskrise? kann, denn die Wahrscheinlichkeit eines Stromausfalls ist bei dem Szenario, von dem wir hier sprechen, recht Eine Versorgungskrise – sei es im Verteidigungsfall hoch . oder durch zivile Katastrophen verursacht – ist ein Sze- nario, in dem erhebliche Teile der in Deutschland leben- Zusammenfassend kann ich nur sagen: Dieses Gesetz den Menschen über den freien Markt keinen Zugang zu soll keine Panik verursachen . Ganz im Gegenteil! Es Lebensmitteln mehr haben und hoheitlich versorgt wer- trifft einfach nur eine Regelung zur Vorsorge. Völlig ver- altete Regelungen werden neu gefasst und zusammenge- (B) den müssen. Hierzu dürfte in der Regel die Betroffenheit (D) von mindestens zwei Bundesländern erforderlich sein . führt, und Bürokratie wird abgebaut . Daher bitte ich um Der lebensnotwendige Bedarf an Lebensmitteln bezeich- Zustimmung . net die Menge, die erforderlich ist, um den minimalen Energie- und Nährstoffbedarf der Menschen und damit Carola Stauche (CDU/CSU): Im August des vergan- das physische Überleben der Bevölkerung zu sichern . genen Jahres wurde plötzlich in der Presse heiß disku- Typischerweise wird dieser durch Grundnahrungsmittel tiert, dass die Bundesregierung zu Hamsterkäufen auf- wie Brot, Kartoffeln, Milch, Fleisch, Fett und Zucker rufe, um sich gegen einen eventuellen Katastrophenfall sowie Obst und Gemüse als Vitaminträger gedeckt . In zu wappnen . Sollte damit etwa die Bevölkerung auf eine dem Gesetzentwurf heißt es weiter, dass der Eintritt einer drohende kriegerische Auseinandersetzung und damit solchen Versorgungskrise derzeit als unwahrscheinlich einhergehende Lebensmittelknappheit vorbereitet wer- anzusehen sei . Die meisten denkbaren Schadensereig- den? Mitnichten . Es war wohl eher ein typisches Ereignis nisse im Hinblick auf „Extremwetterlagen“, „technische im medialen Sommerloch . Störungen“, „andere Naturkatastrophen“ und „Freiset- zungen von Gefahrstoffen“ dürften eigentlich nicht zu ei- Denn die Bundesregierung beriet lediglich ihr neues ner Versorgungskrise führen . Weil aber der Eintritt einer Zivilschutzkonzept, und das war notwendig: Denn das Versorgungskrise nicht vollständig ausgeschlossen wer- vorherige Konzept stammte noch aus den Sechzigerjah- den kann, wurde die staatliche Bevorratung einer grund- ren des 20 . Jahrhunderts . Zum Vorhaben und zur Begrün- legenden Überprüfung unterzogen . Als Ergebnis dieser dung zitiere ich aus dem Gesetzentwurf der Bundesre- Prüfung werden deshalb nun das ESG sowie das EVG gierung: „Durch das Ernährungssicherstellungsgesetz zu einem einheitlichen Ernährungssicherstellungs- und (ESG) und das Ernährungsvorsorgegesetz (EVG) soll -vorsorgegesetz (ESVG) zusammengefasst . im Verteidigungs- und Spannungsfall sowie im Falle einer nicht militärisch bedingten Versorgungskrise eine Ziel des ESVG ist es, die verfügbaren Lebensmittel Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln trotz Ausfalls weiterer Infrastrukturen schnell an die ermöglicht werden . Der Bundesrechnungshof hat in sei- Bevölkerung zu verteilen . Mit dem Gesetzentwurf soll nem Bericht an das Bundesministerium für Ernährung, sichergestellt werden, dass der Staat dies in solchen Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 15 . Sep- Ausnahmesituationen organisieren kann . Dafür sind im tember 2011 in beiden Rechtsbereichen grundlegende Gesetzentwurf Verordnungsermächtigungen vorgesehen, Schwachstellen festgestellt und empfohlen, die Grund- die eine öffentliche Bewirtschaftung von Lebensmitteln lagen der Ernährungsnotfallvorsorge und -sicherstellung ermöglichen, beispielsweise durch den Erlass von Rege- zu überdenken . Hierzu sei es notwendig, aktuelle Kri- lungen über die Produktion, den Bezug , die Zuteilung senszenarien herauszuarbeiten, ein Gesamtkonzept zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21925

(A) entwickeln, ggf . einheitliche Regelungen für militärische Ein Punkt ist mir allerdings noch sehr wichtig: Wo- (C) wie nicht militärische Krisenfälle zu erlassen sowie die her kommen denn die Lebensmittel, mit denen wir uns Versorgungsplanung und Bevorratung von Lebensmitteln bevorraten, mit denen der Staat bevorratet? Sie kommen darauf abzustimmen.“ Weiter unten heißt es: „Staatliche zum ganz großen Teil aus unserer heimischen Landwirt- Maßnahmen auf dem Gebiet der Ernährungsnotfallvor- schaft, die ganz überwiegend eine hervorragende Arbeit sorge müssen einerseits zur Bewältigung einer Versor- leistet, uns täglich mit sicheren, preiswerten und vielfäl- gungskrise oder zur Vorsorge für eine Versorgungskrise tigen Lebensmitteln versorgt . Dafür sollten wir unseren geeignet sein . Andererseits müssen sie in den regelmäßig Landwirtinnen und Landwirten dankbar sein und ihnen nicht durch Krisen betroffenen Zeiten mit einem Auf- den nötigen Respekt zollen . wand umsetzbar sein, der zu der sehr geringen Eintritts- wahrscheinlichkeit der relevanten Szenarien in einem Der vorliegende Gesetzesentwurf ist wichtig, notwen- angemessenen Verhältnis steht . Die derzeit bestehenden dig und angemessen, und deshalb möchte ich um Zustim- Regelungen werden diesen beiden Anforderungen teil- mung dafür werben . weise nicht gerecht . Der vorliegende Gesetzentwurf zielt daher auf eine vollständige Neuregelung der staatlichen Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Es gibt Situationen, Ernährungsnotfallvorsorge ab . Darüber hinaus wird die deren Eintreten man sich trotz der momentan nicht eben Bundesregierung die staatliche Bevorratung von Lebens- rosigen weltpolitischen Lage kaum noch vorstellen kann: mitteln einer grundlegenden Überprüfung unterziehen eine echte Versorgungskrise, Lebensmittelengpässe, den und konzeptionelle Modelle zur Neuordnung und Fort- Ausfall großer Teile unserer Infrastruktur zum Beispiel . setzung der Bevorratung entwickeln.“ Zum Glück, muss man sagen . Zum Glück ist die Wahr- scheinlichkeit, dass es so weit kommt, derzeit äußerst ge- Es handelt sich also lediglich um eine Modernisie- ring . Dennoch oder vielleicht gerade deswegen gab es im rung und Vereinfachung bestehender Vorschriften, die August letzten Jahres kaum eine Zeitung, die nicht unter angebracht ist, weil sich Rahmenbedingungen verändert der Überschrift „Bevölkerung soll Vorräte für den Katas- haben . trophenfall anlegen“ über das erstmals seit dem Ende des Schon der Umstand, dass wir dieses Thema nicht in Kalten Krieges wieder aufgelegte Zivilschutzkonzept des der Debattenkernzeit unter Beteiligung des Ministers Bundesinnenministeriums berichtete . beraten, sondern die Redebeiträge zu Protokoll gegeben Die realen Erfahrungen des 20 . Jahrhunderts spielen werden, weist doch darauf hin, dass es hier nicht um Pa- wahrscheinlich ebenso eine Rolle wie die zahlreichen nikmacherei oder unmittelbar bevorstehende Krisen geht . Katastrophenszenarien aus Film, Fernsehen und Lite- Denn sonst hätte die geschätzte Opposition die Gelegen- ratur – aber fest steht, dass dem Thema Ernährungssi- (B) heit sicher gern genutzt, die Regierung vorzuführen . cherung im Krisenfall viel öffentliche Aufmerksamkeit (D) Dennoch will ich betonen: Die Kommunikation des zuteilwird . Das ist auch nachvollziehbar, und zu Recht Gesetzesvorhabens hätte besser laufen können, sodass es erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir gar nicht erst zur eingangs angesprochenen Verunsiche- für den Notfall gerüstet sind . rung gekommen wäre . Der Bundesrechnungshof hat uns 2015 bescheinigt, Insbesondere der Punkt der privaten Notfallvorsorge dass die Versorgungsplanung Schwachstellen aufwies, wurde in der medialen Darstellung stark übertrieben . die Konzepte für Krisenfälle unzureichend waren und au- Hierzu heißt es im Entwurf lediglich: „Wirksamstes Mit- ßerdem sehr viel Geld und Personal für die Erhebung von tel zur Vorsorge für eine Versorgungskrise ist die Vor- Daten verwendet wurde, mit denen eigentlich niemand ratshaltung durch die Privathaushalte (Selbstschutz) . Die etwas anfangen konnte . Das ändert sich nun . Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung des Selbst- Der vorliegende Entwurf stellt die Vorbereitung auf schutzes durch die Bevölkerung sollte daher zur gesetzli- eine Ernährungskrise auf eine neue gesetzliche Grund- chen Aufgabe von Bund und Ländern gemacht werden.“ lage und macht die Verwaltung effizienter. Wir begrüßen Von einem Aufruf zu Hamsterkäufen kann also keine das sehr . Besonderes Augenmerk legt das Gesetz ebenso Rede sein . Eine Anmerkung sei mir noch gestattet: Ge- wie erwähntes Zivilschutzkonzept auf die private Bevor- gen die Empfehlung zur privaten Vorsorge wurde einge- ratung . Diese zu fördern, soll eine gemeinsame Aufgabe wendet, dass viele Menschen weder Geld noch Lagerka- von Bund und Ländern werden . Ich glaube, dabei ist eine pazitäten für ausreichende private Vorratshaltung haben . gute Portion Realismus und Fingerspitzengefühl in der Dazu möchte ich anmerken: Die private Vorratshaltung Kommunikation gefragt . für den Katastrophenfall wäre im Falle eines Falles zwar sehr wirksam, ist aber keinesfalls verpflichtend, und ist Ich bin auf die jetzt schon vorhandene Webseite außerdem als zusätzlicher Baustein gedacht . Natürlich ist „Ernährungsvorsorge­ .de“ des Bundesministeriums für es Verantwortung und Aufgabe des Staates, für Versor- Ernährung und Landwirtschaft gegangen . gung zu sorgen . Das macht er, und darum debattieren wir heute hier diesen Gesetzentwurf . Dort wird einer vierköpfigen Familie zum Beispiel empfohlen, 224 Liter Mineralwasser, 7,2 Kilogramm Ich will die darin enthaltenen Regelungen und die Erbsen und Möhren in Dosen, 5,6 Kilogramm Hartkäse Überlegungen zu Wahrscheinlichkeiten, dass ein Katas- und 2,9 Kilogramm Dauerwurst für 28 Tage einzulagern . trophenfall eintritt, nicht im Einzelnen wiederholen, das Mit solchen Empfehlungen sichert man sich wahrschein- haben meine Vor- und Mitredner sicher schon zur Genü- lich vor allem den Auftritt in einer Satiresendung . Ge- ge getan beziehungsweise werden dies noch tun . fragt sind hier sinnvolle, praktikable Konzepte, die für 21926 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) die Bevölkerung nachvollziehbar sind und weder Lacher die fehlende Vorratskammer oder der nicht vorhandene (C) noch Panik auslösen . Ich bin zuversichtlich, dass das ge- Keller für entsprechende Probleme sorgen . lingen wird . Aber viel schlimmer noch: Haushalte mit kleinem Einkommen leben schon jetzt von ihrer Substanz und Karin Binder (DIE LINKE): Mit diesem erst im Ja- sind häufig sogar verschuldet. Hartz‑IV-Haushalte haben nuar im Bundestag eingebrachten Gesetz soll die Versor- sowieso viel zu niedrige Regelsätze, um sich ausgewo- gung der Bevölkerung im Krisenfall neu geregelt wer- gen ernähren zu können, also erst recht kein Finanzpols- den . Die bisher geltenden Regelungen stammen noch ter, um sich Vorratslager anlegen zu können . Bekommen aus Zeiten des Kalten Krieges und sind auf jeden Fall diese Menschen vom BMEL zusätzliches Geld für ihren überholungsbedürftig . Heutige Krisenszenarien bestehen „Selbstschutz“? Natürlich nicht! in erster Linie aus Naturkatastrophen, Freisetzung von Schadstoffen oder „technischen Störungen“, zum Bei- Bereits 2011 untersuchte das Büro für Technikfolgen- spiel durch Hackerangriffe. abschätzung (TAB) das Szenario eines großräumigen Stromausfalls, der nach Einschätzung der Experten gar Die aufwendige Vorhaltung von Lebensmittelmarken nicht so unwahrscheinlich ist, wie es der Gesetzentwurf soll entfallen . Stattdessen sollen Bund und Länder das darstellt . Der Bericht zeigt, wie anfällig unsere Gesell- Recht erhalten, auf die Betriebe in der Lebensmittelwirt- schaft ist, wenn aufgrund eines Hackerangriffs, Terrorak- schaft und den Handel zuzugreifen, um die Versorgung tes oder eines Unfalls auch nur für 24 Stunden der Strom der Bevölkerung mit Lebensmitteln abzusichern . ausfällt . Bisher lagert der Bund wichtige Grundnahrungsmittel Unsere hoch technisierte Lebensmittelkette würde in- in einer zivilen Notfallreserve und in der Bundesreser- nerhalb kürzester Zeit zusammenbrechen . Nicht nur, dass ve Getreide . An 150 Standorten werden insgesamt rund alle Tiefkühlprodukte auftauen würden und schnellstens 800 000 Tonnen Lebensmittel im Wert von etwa 200 Mil- verbraucht werden müssten . Angefangen vom Kuhstall, lionen Euro vorgehalten . Die laufenden Kosten hierfür in dem die Melkroboter ausfallen, über die vollautoma- betragen im Haushaltsjahr 2017 rund 19 Millionen Euro tische Futtervergabe in riesigen Hühner- oder Schwei- und sollen künftig auf jeden Fall reduziert werden . Der nefarmen würde Chaos in der Urproduktion entstehen, Gesetzentwurf fordert die Bundesregierung auf, die zumal Futterlieferungen aus dem Ausland und der Ab- staatliche Bevorratung von Lebensmitteln einer grundle- transport der tierischen Produkte nicht mehr gewährleis- genden Überprüfung zu unterziehen und die Bevorratung tet wären . neu zu ordnen . Als schwächstes Glied in der Kette macht der TAB-Be- richt den Lebensmitteleinzelhandel aus . Tatsache ist: Die (B) Was aus der bisherigen staatlichen Vorratshaltung (D) wird, wird nicht beantwortet . Auch sonst wirft der Ge- meisten Menschen werden nicht über geeignete Vorräte setzentwurf noch viele Fragen auf, die wir als Linke verfügen, und es wird zu Hamsterkäufen kommen, egal gerne in Ruhe und mit Sorgfalt beraten hätten . Aber ob sie vorher per Gesetz dazu angehalten waren, Wasser stattdessen soll es heute schnell und ohne große Debatte und Essen vorsorglich zu horten . Wenn dann gleichzeitig beschlossen werden . auch noch die staatlichen Reserven eingespart wurden, wird das Leerräumen von Supermärkten wenig gesittet Neu an dem Gesetz ist auf alle Fälle der sogenannte und ruhig ablaufen . Selbstschutz . „Wirksamstes Mittel zur Vorsorge für eine Versorgungskrise ist die Vorratshaltung durch die Privat- Von einer sicheren Versorgung der Bevölkerung mit haushalte (Selbstschutz)“, sagt das Vorblatt zum Gesetz- Lebensmitteln hängen aber nach Einschätzung der Ex- entwurf . Bund und Länder sollen Maßnahmen zur Stär- perten das Überleben vieler Menschen und die Aufrecht- kung des Selbstschutzes der Bevölkerung treffen, indem erhaltung der öffentlichen Ordnung ab. sie die Menschen über Vorsorgemaßnahmen informieren . Es wäre also in jedem Fall hilfreich, wenn die Bundes- Es läuft also darauf hinaus, einen beträchtlichen Kri- regierung sicherstellt, dass die bisherige zivile Notfall- senvorrat von Lebensmitteln auf die Privathaushalte zu reserve und die Bundesreserve Getreide aufrechterhalten verlagern . Das Bundesministerium für Ernährung und werden . Landwirtschaft gibt ihnen dafür mit einer Vorratstabel- Ich frage die Bundesregierung: Wie zuverlässig funk- le Tipps für ihren persönlichen „Selbstschutz“. Nimmt tioniert denn unsere Agrar- und Ernährungswirtschaft man die Hinweise der Bundesregierung zur privaten mit Blick auf den massenhaften Import von Viehfutter, Vorratshaltung ernst, soll ein Vierpersonenhaushalt Dünger, Pflanzenschutzmitteln und anderen Rohproduk- 82 Kilogramm Lebensmittel und 112 Liter Getränke ten? Wie zuverlässig funktionieren hochindustrialisierte zur Überbrückung eines 14-tägigen Versorgungsausfalls Tierställe und Kühlketten in einer Krise, wenn beispiels- vorhalten . Diese Vorräte kosten rund 300 bis 400 Euro, weise der Strom ausfällt? Wie will die Bundesregierung nehmen den Platz eines großen Kleiderschranks ein und die Zuverlässigkeit der Lebensmittelkette für den Krisen- müssen natürlich regelmäßig überprüft und ausgetauscht fall sicherstellen und wie will sie die Verteilung der Le- werden . bensmittel regeln? Darauf gibt das Gesetz keine Antwort . Hauptsache die Lebensmittelmarken sind abgeschafft Es ist kaum anzunehmen, dass alle Privathaushalte und verursachen keinen bürokratischen Aufwand mehr . diesen Vorschlägen der Bundesregierung folgen werden, auch wenn das neue Gesetz die staatlichen Stellen dazu Die Sicherstellung der Grundversorgung soll im verpflichtet, dafür Werbung zu machen. Da dürften schon Notfall ohne weitere Mitwirkung des Parlaments über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . 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(A) Rechtsverordnungen geregelt werden, zu denen die Re- Neu in dem Gesetzentwurf ist, dass staatliche Maß- (C) gierung und das Ministerium für Ernährung und Land- nahmen durch Empfehlungen zur privaten Vorratshaltung wirtschaft mit diesem Gesetz ermächtigt werden . ergänzt werden . Die Gesetzesbegründung für den § 14 „Selbstschutz“ erläutert, dass die Ergebnisse des For- Das birgt nach meinem Dafürhalten mindestens ge- schungsprojekts NeuENV, gefördert durch das Bundes- nauso viele rechtliche Unsicherheiten wie die Versor- ministerium für Bildung und Forschung, unter anderem gung an sich . bestätigt haben, dass das wirksamste Mittel zur Vorsorge Auch die Einschränkung, dass die Regierung nur ein- für eine Versorgungskrise die dezentrale Vorratshaltung greifen darf, wenn die Gefährdung anders „nicht recht- durch die einzelnen Privathaushalte ist . Informations- zeitig“ oder „nur mit unverhältnismäßigen Mitteln“ zu und Aufklärungsmaßnahmen sollen zur Verbesserung bewältigen sei, gibt der Regierung sehr viel Spielraum . des Selbstschutzes der Bevölkerung zur gesetzlichen Das muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das Aufgabe der zuständigen Behörden des Bundes und Eingriffsrecht in die Privatwirtschaft und damit auch in der Länder gemacht werden . Diesen Punkt müssen wir das Leben vieler Menschen sehr weitgehend ist . So kann in den nächsten Jahren im Auge behalten . Wir müssen auf die gesamte Lebensmittelkette, auf alle Betriebsstät- realistisch abschätzen, ob diese Informationen die Bür- ten, auf Maschinen, Treibstoffe, Geräte zur Notstromver- gerinnen und Bürger flächendeckend erreichen und in sorgung und sonstige Betriebsmittel zugegriffen werden. welchem Ausmaß private Vorsorge wirklich getroffen werden kann . Ein solches Instrument möglicherweise in den fal- schen Händen bereitet mir große Sorge . Dabei darf nicht vergessen werden, dass schon heute viele Haushalte regelmäßig Probleme haben, sich über Als Linke halte ich es für zwingend, dass in einem solchen Gesetz auch definiert wird, wie im Falle einer den ganzen Monat auskömmlich mit Lebensmitteln zu tatsächlich kurzfristig notwendigen Verordnung zur Kri- versorgen, und auf Essensspenden etwa der Tafeln an- senbewältigung der Bundestag eingebunden wird . Die gewiesen sind . Ein Vorrat an Lebensmitteln ist im Bud- demokratischen Rechte des Parlaments müssen auch in get vieler armer Menschen schlicht nicht drin . Auch aus einem Krisenfall wahrgenommen werden können und Platzgründen wird es nicht jedem Haushalt möglich sein, diesbezügliche Verordnungen des Bundes gegebenenfalls Wasserkästen und Ähnliches in ausreichendem Maße auch geändert oder wieder aufgehoben werden können . einzulagern . Diese Überlegungen sind leider der zügigen Behand- Es ist gut, dass wir unsere Notfallsysteme überprüfen lung des Themas geopfert worden, obwohl der Eintritt und an die neue Zeit anpassen . (B) einer solchen Versorgungskrise laut Vorblatt zum Geset- (D) zestext „heute als unwahrscheinlich anzusehen“ ist. Und wenn man sich das Versagen von Bundes- und Landesbehörden bei vergangenen Lebensmittelskanda- Das ist sehr bedauerlich . Deshalb können wir dem Ge- len anschaut, gibt es gerade in der Zusammenarbeit im setz nicht zustimmen . Krisenfall noch viel zu verbessern . Jedoch sollten wir uns immer vor Augen halten, dass die Fälle, die das Gesetz Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich regelt, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht eintre- begrüße die längst überfällige Novellierung der Ernäh- ten werden . Deshalb darf diese aktuelle Debatte um die rungsnotfallgesetzgebung, die noch aus Zeiten des Kal- Notfallversorgung in Deutschland nicht instrumentali­ ten Krieges stammt . siert werden, um Ängste und Panik in der Bevölkerung zu schüren . Mit dieser Neuregelung wird auch der Kritik des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2012 Rechnung Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas Grund- getragen, der die bisherigen Regelungen zur Ernährungs- sätzliches sagen: Wir wollen eine Ernährungswirtschaft, notfallvorsorge zu Recht als veraltet und ineffizient be- die – dort, wo es möglich ist – auf Produkte aus der Re- zeichnet . gion und kurze Wertschöpfungsketten setzt. Das schafft Transparenz und Sicherheit, entlastet unsere Straßen und Es ist sinnvoll, dass die separaten Gesetze, die zum Meere von unnötigem Verkehr, schont das Klima, bringt einen den Verteidigungsfall und zum anderen Katastro- Wertschöpfung in die ländlichen Räume und gibt den phen nichtmilitärischen Ursprungs regeln, zusammenge- fasst werden und dass klargestellt wird, was als nationale Menschen dort eine Perspektive . Wir setzen auf Vielfalt Krise gilt, wer den Krisenfall feststellt, und dass dieser statt auf wenige den Markt beherrschende Player und nach Ende der Krise umgehend wieder aufzuheben ist . eine zunehmende Uniformität des Lebensmittelangebots . Des Weiteren begrüßen wir, dass die separaten Melde- Solch ein System der regional organisierten Lebens- pflichten der Unternehmen im Rahmen der Ernährungs- mittelversorgung steht auf vielen und deshalb sicheren notfallvorsorge durch Nutzung von Daten der Landwirt- Beinen und ist im Krisen- oder Katastrophenfall resili- schaftsverwaltung und der Lebensmittelüberwachung enter als zentralistische, große Strukturen . Der Wegfall bzw . Veterinärverwaltung ersetzt werden . Dies trägt der eines großen Akteurs der Lebensmittelwirtschaft trifft die heutigen Digitalisierung Rechnung, die durch geeignete Lebensmittelversorgung viel stärker . Die Ausweichmög- Schnittstellen eine Nutzung bereits vorhandener Daten lichkeiten bei vielen kleineren Anbietern liegen auf der ermöglicht und somit unnötige Bürokratie verhindert . Hand . 21928 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Anlage 6 ein bedeutendes Instrument zur Verwirklichung des eu- (C) ropäischen Binnenmarktes und hat einen großen Stellen- Zu Protokoll gegebene Reden wert für die Freizügigkeit am Arbeitsmarkt . Die Umset- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- zung der Richtlinie in nationales Recht stellt somit einen brachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- wichtigen Schritt dar, mit dem wir die Anerkennung von derung der Bundes-Tierärzteordnung (Tagesord- Berufsabschlüssen und folglich das Arbeiten in ande- nungspunkt 19) ren EU-Mitgliedstaaten erleichtern werden . Zu diesem Zweck ist es nötig, Verfahrensvorschriften zu ändern und neu einzuführen. Das betrifft sowohl die Zusammenarbeit Hermann Färber (CDU/CSU): Wir beschließen heu- der europäischen Behörden als auch Erleichterungen für te mit dem Dritten Gesetz zur Änderung der Bundes-Tier- Antragsteller im Anerkennungsverfahren . Kurz gesagt: ärzteordnung die notwendigen nationalen Änderungen Wir aktualisieren damit die Bundestierärzte-Ordnung, zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien . Wie also eine sinnvolle und notwendige Maßnahme zugleich . viele andere Berufsgruppen sind auch Tierärzte zuneh- mend grenzüberschreitend tätig . Deshalb ist es sinnvoll, Selbstkritisch müssen wir allerdings anmerken, dass hier gemeinsame Mindeststandards und Verfahrenswei- wir bei der Umsetzung der Richtlinie das Tempo hätten sen innerhalb der EU zu beschließen . Ebenso muss bei noch steigern können, da bereits ein Vertragsverletzungs- grenzüberschreitender Tätigkeit von Tierärzten auch eine verfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet wurde . grenzüberschreitende Kontrolle möglich sein . Der Ge- setzentwurf enthält die dafür notwendigen technischen Wie wichtig ein Tierarzt sein kann, wissen nicht nur Änderungen . die Haustierbesitzer unter uns . Auch jeder Landwirt kann hier seine eigene Geschichte erzählen . Die Union stimmt diesem Gesetzentwurf zu . Meine Fraktion steht voll und ganz zum Europäischen Binnen- Als tierschutzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion markt . Dieser Binnenmarkt, der größte der Welt, hat für bin ich dankbar, in Deutschland auf gut ausgebildete und unser Land zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen geführt . auf hohem fachlichen Niveau arbeitende Tierärzte treffen Oft nehmen wir diese Vorteile als selbstverständlich zu können . Nicht umsonst sind Berufsbezeichnung und hin . Dieser Gesetzentwurf macht aber deutlich, wie viel Berufsausübung staatlich geschützt und bedürfen einer Regulierungsnotwendigkeit oft hinter der scheinbaren besonderen Qualifikation und Erlaubnis. Gerade im Hin- Selbstverständlichkeit steht . Der EU wird oft zu viel Bü- blick auf den Tierschutz sind Tierärzte in den landwirt- rokratie vorgeworfen . Gerade im Bereich Landwirtschaft schaftlichen Betrieben ein Garant für eine gute Betreu- auch wirklich nicht zu Unrecht, das weiß ich aus eigener ung der Tierbestände . Allerdings sind sie es nicht allein . Erfahrung . Hier ließe sich sicherlich einiges vereinfa- (B) chen . Man muss aber auch sehen, dass die populistischen Neben den Tierärzten tragen auch die Landwirte (D) Vorstellungen mancher Kritiker eben auch unrealistisch und die in der Landwirtschaft beschäftigten Mitarbei- sind: Sie meinen, man brauche die gesamte EU gar nicht, ter in den Betrieben eine große Verantwortung für eine es würde völlig ausreichen, wenn sich die Regierungen gut funktionierende Tierhaltung in unserem Land . Eine zusammensetzen und sich politisch einigen . Wir sehen Verantwortung – und das muss man immer wieder beto- aber, dass schon allein so ein kleiner Punkt wie die Ver- nen –, die sie tagtäglich immer wieder aufs Neue wahr- einheitlichung der tierärztlichen Tätigkeit in der EU ei- nehmen . Und meiner Erfahrung und meinem Eindruck nen erheblichen Abstimmungsbedarf erforderlich macht . nach werden sie dieser Verantwortung auch meist sehr Die Union sagt dazu: Diesen Preis ist es uns wert . Denn vorbildlich gerecht, weil sie selbst einen hohen Anspruch letztlich führt diese Vereinheitlichung zu einer besseren an sich haben . EU-weiten Versorgung der Tiere . Sie garantieren uns qualitativ hochwertige Lebensmit- Am meisten wird für das Tierwohl erreicht, wenn tel zu bezahlbaren Preisen, und das trotz der häufig ne- Tierarzt und Tierhalter vertrauensvoll Hand in Hand ar- gativen Begleitmusik in der Medienberichterstattung, die beiten . Das gilt sowohl für die Haltung im Stall wie auch nur selten Verständnis und Achtung für landwirtschaftli- für Tiertransporte . Tierärzte sind unverzichtbar für das che Tierhalter aufbringt . Tierwohl . Deshalb ist es gut, wenn es für diesen Beruf gemeinsame Standards in Europa gibt . Diese Standards So stellt sich für mich persönlich nicht die Frage, ob müssen wir dann natürlich auch national bei uns umset- wir unseren Landwirten denn eigentlich zu danken ha- zen, das ist völlig selbstverständlich . ben, das halte ich für selbstverständlich, sondern für mich stellt sich die Frage, wie wir dies tun und welchen Deshalb stimmt die Union diesem Gesetzentwurf zu . Ton wir dabei treffen. Da es hier anscheinend zunehmend Orientierungsschwierigkeiten in unserer Gesellschaft Dieter Stier (CDU/CSU): Wir beraten heute abschlie- gibt, möchte ich hier auch noch einmal betonen: Tierärz- ßend über den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- te, Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und ländlicher rung der Bundestierärzte-Ordnung . Nun stellt sich zuerst Raum gehören zusammen . die Frage: Warum diese Gesetzesänderung? Die Antwort ist einfach . Wir setzen europäisches Recht um, hier spe- Gestatten Sie mir, deshalb hier heute auch die Ge- ziell eine Änderung der Berufsqualifikationsrichtlinie. legenheit zu nutzen und den Bogen zu einem anderen Sachverhalt, der uns kürzlich bewegt hat, zu spannen . Ich Sie regelt die gegenseitige Anerkennung von Ausbil- bitte um Verständnis, dass ich das heute auch unserem dungen innerhalb der Europäischen Union . Damit ist sie Koalitionspartner nicht ersparen kann . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21929

(A) Ich möchte eingehen auf das aktuelle Thema, welches Ich bin froh, dass ich mit meiner Einschätzung auch (C) uns das Bundesumweltministerium in der vorigen Wo- einige Sozialdemokraten, wie zum Beispiel Landesmi- che beschert hat, und möchte zum Umgang mit unseren nister Backhaus und andere fachkundige Agrarpolitiker, Landwirten und Bauernfamilien einige grundsätzliche auch viele der Opposition, an meiner Seite weiß . Dinge sagen . Es liegt jetzt bei uns, die richtigen Schlüsse zu ziehen . Anstatt die Chance zu nutzen und den Landwirten ein- mal die oftmals vorenthaltene Anerkennung auszuspre- Unser Ziel muss es sein, die ideologische Betrachtung chen, mussten wir in den vergangenen Wochen genau der Landwirtschaft endlich zu überwinden . Die Land- das Gegenteil erleben: Die Bundesministerin für Umwelt wirtschaft der Schuldzuweisungen muss ein Ende haben . und Naturschutz startete eine bundesweite Plakatkampa- Wir müssen endlich sachliche Argumente zulassen gne gegen die Landwirtschaft, mit vermeintlich fröhli- und dürfen keine neuen Barrieren errichten . Wir müssen chen Bauenregeln . die moderne Landwirtschaft akzeptieren und uns endlich von Verklärungen lösen . Als Bauernregeln deklarierte Drei- und Vierzeiler sollten im naiven Gewand Front machen gegen die hei- In diesem Sinne lade ich Sie ein, am Dialog zur Land- mischen Landwirte. Eine traurige Offensive, noch dazu wirtschaft unvoreingenommen mitzuwirken . Und da bin von Steuergeldern finanziert, gerichtet gegen die gesamte ich mit meinem letzten Satz auch wieder beim heutigen Agrarbranche und viele Menschen im ländlichen Raum . Gesetzentwurf: Auch unsere Tierärzte haben eine Verant- Gerichtet gegen die Gruppe von arbeitenden Menschen, wortung in diesem Dialog, denn wenn die Tierhaltung die dafür sorgen, dass unser Hunger nach Lebensmitteln gänzlich abgeschafft ist, ist auch deren Berufsstand in in großer Vielfalt gestillt wird, und die diese Mittel für Gefahr . Das gilt es zu verhindern . solche Werbekampagnen als Steuerzahler auch noch mit erwirtschaften . Das ist zweifellos bemerkenswert ein- (SPD): In einer Dritten Änderung zigartig für ein Mitglied der Bundesregierung und ein Dr. Karin Thissen der Bundes-Tierärzteordnung behandeln wir am heutigen beschämender Vorgang von bisher nicht dagewesener Abend die Umsetzung von europäischem Recht in deut- Machart . sches Recht . Im Detail geht es um die Anerkennung von Die Bundesregierung hat sich geschlossen die Förde- Berufsqualifikationen, die ich als Tierärztin und Europä- rung der ländlichen Räume auf die Fahnen geschrieben . erin mit Blick auf die enge Verzahnung der EU und ihrer Von daher ist es nicht hinnehmbar, dass sich Frau Mi- Bürgerinnen und Bürger ausdrücklich befürworte . Denn nisterin Hendricks berufen fühlt, die Reputation unserer im freien Miteinander ist auch die Anerkennung tierärzt- Landwirtschaft öffentlich gezielt zu untergraben und da- licher Abschlüsse für die Berufsausübung in anderen (B) mit auch dem ländlichen Räumen einen Bärendienst zu Mitgliedstaaten unabdingbar . Sie ist Bestandteil der eu- (D) erweisen . Hier ist die Prioritätensetzung im Bundesum- ropäischen Grundfreiheiten, der Dienstleistungsfreiheit, weltministerium wohl gänzlich aus der Bahn geraten . die ein Pfeiler unseres gemeinsamen Binnenmarktes ist . Wer eine Diffamierungskampagne auf die Schienen setzt, So sollen mit dem von der Bundesregierung eingebrach- muss sich hinterher nicht wundern, wenn der öffentliche ten Gesetz in Verwaltungsvorschriften die tierärztliche Aufschrei groß ist . Mindestausbildung und für den veterinärmedizinischen Beruf im Wesentlichen relevante Bereiche, etwa die Glücklicherweise hat Frau Hendricks ihren Irrweg verpflichtende Nutzung des Binnenmarkt-Informations- noch rechtzeitig erkannt und mit ihrer Entschuldigung ihr systems, IMI, für den Informationsaustausch innerhalb Fehlerprojekt eingestanden . Das war gut und richtig, aber der Europäischen Union geändert werden . Das Gesetz der angerichtete Schaden bleibt, und wenn man sieht, setzt dabei das europäische Recht eins zu eins um und dass die Kampagne mittlerweile von Dritten ungeniert lässt keinen weiteren Umsetzungsspielraum . Es kurz zu mit Duldung des Hauses fortgesetzt wird, meine ich, dass erwähnen, halte ich dennoch für angebracht . Darüber diese Entschuldigung und auch die Erklärungsversuche hinausgehend werden aber einige Abänderungen des im Netz, auch die ihres Staatssekretärs, nur halbherzig geltenden Rechts vorgenommen, die nicht mit der Um- waren und nicht von wirklicher Erkenntnis zeugen . Das setzung von EU-Recht in Verbindung stehen . macht mich betroffen. Wie gesagt, sollen mit dem Gesetz EU-Regelungen Mit Schaden meine ich die dadurch vorangetriebene für den tierärztlichen Bereich über die Änderung von Be- weitere Spaltung der Gesellschaft, welche wir nun gera- rufsqualifikationen und über die Verwaltungszusammen- de in aktuellen Zeiten überhaupt nicht brauchen können . arbeit mithilfe des Binnenmarkt-Informationssystems Das Forcieren von Abneigungstendenzen gegen die mo- umgesetzt werden . Das begrüßen wir . derne Landwirtschaft, die Verunsicherung bei landwirt- schaftsfernen Verbraucherinnen und Verbrauchern, deren Die europarechtlich bedingten Änderungen betreffen Bild von Tierhaltern nur noch negative Züge trägt . Ein Verfahrensvorschriften grenzüberschreitender Veterinär- Schaden, der nicht einfach mal nebenbei zu beheben ist . tätigkeit innerhalb der EU . Das bisher nur auf freiwilli- ger Basis genutzte IMI-System wird den Informations- Was bleibt nun von dieser Kampagne nach Entschul- austausch in Zukunft verpflichtend vorschreiben. Das digung und Fehlerbekenntnis? Es bleibt der Fakt, den System ist ein technikgestütztes Netz zwischen öffent- Graben erneut vertieft zu haben . Das ist leider der fatale lichen Institutionen im EU-Wirtschaftsraum, das dem Verdienst der Bundesumweltministerin und der beteilig- Austausch von Informationen dient . Es soll und wird die ten Urheber und Unterstützer . Kooperation der Verwaltung erleichtern und beschleu- 21930 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) nigen . Somit wird der Verwaltung auf allen staatlichen zinische Sachkenntnis . Deshalb fordert Die Linke schon (C) Ebenen ermöglicht, Kontakte und Ansprechpartner in lange eine integrierte veterinärmedizinische Betreuung anderen EU-Ländern zu finden und Informationen ohne zur Unterstützung der Tierhalterinnen und Tierhalter . Die Sprachwechsel auszutauschen . Darüber hinaus wird ein Tierärzteschaft soll mehr beraten, damit weniger behan- EU-weiter Frühwarn-Mechanismus über Verbote oder delt werden muss . Landwirtschaftliche Betriebe können Beschränkungen tierärztlicher Berufstätigkeiten imple- davon profitieren, wenn die betreuende Tierärztin stärker mentiert . Neuerungen und Anpassungen, derer es bedarf in das Bestandsmanagement eingebunden wird, statt erst und die eine weitere engere Verzahnung im Veterinärbe- dann zum Hörer gegriffen wird, wenn es im Stall schon reich befördern werden . brennt . Melde- und Antragsunterlagen, die für die Approba- Natürlich müssen diese präventiven Maßnahmen als tion erforderlich sind, werden ab Geltung regelmäßig tierärztliche Leistungen bezahlt werden . Genau da liegt elektronisch übermittelt . Möglichkeiten für die Einfüh- das Problem . Die Linke betont immer wieder, dass der rung eines elektronischen Berufsausweises sind ebenfalls Ruf nach mehr Tierschutz im Stall allein nicht ausreicht . gegeben . Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz in Denn solange möglichst niedrige Kosten das Maß des der Umsetzung von EU-Recht wird auch die Fallkonstel- Erfolgs sind, ist es doppelzüngig, einzelne Landwirtin- lation eingeführt, Tierärzten aus anderen Mitgliedstaaten nen und Landwirte allein moralisch für mangelnde Be- im Inland einen teilweisen Zugang zur veterinärmedi- treuung verantwortlich zu machen . Stattdessen muss zinischen Berufsausübung zu ermöglichen . Das begrü- der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so verändern, ßen wir ebenfalls, weil es die fachliche Kooperation, dass angemessene Erzeugerpreise faire Bedingungen für Wissensaustausch und Verflechtung von Fachwissen im Mensch und Tier im Stall, aber eben auch eine sinnvolle Lichte des europäischen Gedankens weiter fortschreibt . tierärztliche Beratung gewährleisten . Nur so wird mehr Tierwohl erreichbar sein . Das Gesetz passt die Bundes-Tierärzteordnung an diese Änderungen an . Von diesem abgesondert werden Doch leider hat sich die Bundesregierung in dem vor- in der Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen liegenden Gesetzentwurf zur Änderung der Bundestier- und Tierärzten Änderungen des Inhaltes der tierärztli- ärzteordnung nur auf das Zwingende beschränkt . Nach chen Mindestausbildung eintreten . Die nötigen Anglei- EU-Recht müssen tierärztliche Ausbildungen EU-weit chungen der Gesetzeswortlaute an die Liberalisierung anerkannt werden . Die Gesetzesänderungen regeln den der Bundes-Tierärzteordnung im Jahre 2011 führen zur Nachweis zu einer Eignungsprüfung, die Gleichwertig- Klarstellung der Kriterien der Kenntnisstand- und Eig- keit eingereichter Ausbildungsnachweise und eröffnen nungsprüfung im Verfahren zur Anerkennung, ebenso die Möglichkeit für einen europäischen Berufsausweis . zur besseren Überwachung samt Sanktionsmöglichkeit Das war die Pflicht, doch wo bleibt die Kür? Von einer (B) (D) bei gelegentlicher und vorübergehender Dienstleistungs- Überarbeitung des tierärztlichen Berufsbildes, so wie es erbringung . die Bundestierärztekammer gefordert hat, fehlt im Ge- setzentwurf leider jede Spur . Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, begrüßen die Um- setzung des EU-Rechts und stimmen dem Gesetz zu . Doch genau die hätte es im Sinne einer positiven Bot- schaft auch an den Berufsstand gebraucht, der sich diesen Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Viel wird der- neuen Herausforderungen stellen muss . Übrigens auch zeit über Tierschutz und Tierwohl diskutiert . Für uns Lin- oft entgegen weit verbreiteter Vorurteile schlecht bezahlt . ke ist das auch eine Frage von Strukturen, deshalb wollen Mal abgesehen von dem völlig ungelösten Problem, dass wir zum Beispiel Bestandsgrößen am Standort begren- die wachsende Armut in unserem Land auch dazu führt, zen, um Megaställe zu verhindern . Und wir wollen die dass Rechnungen beim Tierarzt selbst für zwingende Tierdichte in Region begrenzen, auch um die Folge von Behandlungen nicht bezahlt werden können . Stattdes- Seuchenausbrüchen zu reduzieren . sen entschied das Bundessozialgericht kürzlich, dass Hartz-IV-Betroffene selbst bei der Hundehalterhaftpflicht Aber für uns ist Tiergesundheit auch eine Frage von keine Unterstützung erhalten, da diese nicht in direktem ausreichendem, gut bezahltem und gut qualifiziertem Zusammenhang zur Existenzsicherung oder mit der Auf- Personal . Deshalb wollen wir unter anderem einen ange- nahme einer Erwerbstätigkeit stehe . Das gilt übrigens messenen Betreuungsschlüssel . Denn es gehört zur guten selbst für Menschen, die wegen niedriger Bezahlung mit landwirtschaftlichen Praxis, den Tierbestand regelmäßig Hartz IV aufstocken müssen . Kurzum: Wenn du arm – in Augenschein zu nehmen . Viele Landwirtschaftsbetrie- gemacht – wirst, musst du auch noch deinen Gefährten be halten sich daran . Und das sollten wir auch einmal ins Tierheim abschieben oder noch mehr bei dir selbst anerkennen . Oft schlecht bezahlt, wollen sie trotzdem si- sparen . Das ist unmenschlich und mehr als fragwürdig in chergehen, dass es den Tieren im Stall und auf der Weide einem Staat mit Tierschutz im Verfassungsrang . gut geht . Damit die Gesundheit der Tiere gesichert ist, braucht Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es auch den Sachverstand der Tierärztinnen und -ärzte . NEN): Im Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Und hier lautet für mich das Zauberwort nicht Behand- Novellierung der Bundes-Tierärzteordnung, den das lung und schon gar nicht Medikamentenverkauf, sondern Bundeskabinett am 5 . Oktober beschlossen hat, steht die Prävention . Denn Krankheiten sollten vermieden wer- erleichterte gegenseitige Anerkennung von tierärztlichen den, und dazu gehören nicht nur gut ausgebildete Tier- Ausbildungsnachweisen innerhalb der Europäischen halterinnen und Tierhalter, sondern auch veterinärmedi- Union . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21931

(A) Mit dem Entwurf setzt die Bundesregierung eine An- Wohlbefinden und artgerechtem Verhalten. Tierärzte sol- (C) fang 2014 in Kraft getretene Änderung der EU-Richtli- len ganz selbstverständlich für ihre Sachkenntnis entlohnt nie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in werden und nicht für das Verkaufen von Medikamenten . nationales Recht um . Positiv ist, dass mit der Neurege- Eine solche Formulierung hätte belegt, dass die Bun- lung die rechtlichen Voraussetzungen für eine künftige desregierung in ihren Bekundungen für mehr Tierwohl Einführung des Europäischen Berufsausweises für den mehr sieht als eine Beruhigungspille für gesellschaftliche tierärztlichen Beruf geschaffen werden. Forderungen. Doch diese Hoffnung wurde einmal mehr enttäuscht . Deshalb stimmen wir dem Entwurf nicht zu . Dabei werden neben der Umsetzung von EU-Recht auch weitere Anpassungen in der Bundes-Tierärzteord- nung vorgenommen . Unter anderem soll klargestellt werden, nach welchem Verfahren Eignungs- oder Kennt- Anlage 7 nisstandsprüfungen im Rahmen der Anerkennung einer Zu Protokoll gegebene Reden außerhalb Deutschlands erworbenen tierärztlichen Be- rufsqualifikation durchzuführen sind. Auch das ist eine zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten transparenzschaffende Initiative. Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Le- Schließlich reagiert die Bundesregierung auf die zu- benspartnern in Angelegenheiten der Gesundheits- nehmende grenzüberschreitende Tätigkeit von Veterinä- sorge und in Fürsorgeangelegenheiten (Tagesord- ren . Außerdem überwiegen in dem vorliegenden Entwurf nungspunkt 20) neben dem Inhalt der tierärztlichen Mindestausbildung überwiegend Verfahrensvorschriften . Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Wir beraten heute So weit, so unstrittig . Doch leider hat die Bundesre- über ein Thema, das uns alle angeht, über das aber keiner gierung diese gute Möglichkeit, weitere sinnvolle und gerne spricht: Es geht um „Betreuung“, also darum, was notwendige Anpassungen in der Bundes-Tierärzteord- geschieht, wenn wir in die Lage kommen, unser Leben nung vorzunehmen, verstreichen lassen . Dazu zählt vor nicht mehr selbstständig organisieren zu können . Natür- allem die Definition des tierärztlichen Berufsbildes, das lich ist das für uns kein angenehmer Gedanke, aber es in § 1 der Bundes-Tierärzteordnung gefasst ist . In der kann nun mal jeden von uns treffen – durch einen Un- noch gültigen Fassung lautet § 1 (1): fall, durch eine Krankheit oder auch weil uns im Alter Der Tierarzt ist berufen, Leiden und Krankheiten schlicht die Kräfte ausgehen . der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Damit in solchen Situationen nicht irgendjemand (B) Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Entscheidungen für uns trifft, sollte rechtzeitig Vorsorge (D) Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Ge- getroffen werden, und zwar in Form einer Vorsorgevoll- fahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten so- macht oder zumindest einer Betreuungsverfügung . Ich wie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer kann also nur raten: Klären Sie frühzeitig ab, wer für Sie Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der in den wichtigen Fragen der Vermögens- oder Gesund- Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzu- heitssorge entscheiden soll . wirken . Wenn Sie jetzt denken: „Das brauche ich alles nicht, Nun bestehen die aktuellen Herausforderungen an ich bin doch verheiratet, das kann dann meine Frau oder eine Tierärztin/einen Tierarzt nicht nur in der fachlichen mein Mann für mich regeln“, dann irren Sie sich. Nach Komplexität, sondern vor allem im Nutztierbereich im aktuellem Recht können die nächsten Angehörigen näm- Praktizieren in einem Spannungsfeld zwischen Tier- lich einem medizinischen Eingriff beispielsweise nicht schutz und Tierproduktion . automatisch zustimmen . Tatsächlich besitzen Ehegatten, sofern keine Vorsorge getroffen wurde, zunächst so gut Ich unterstelle einem Menschen, der sich für den Be- wie keine Entscheidungsrechte . Vielmehr muss grund- ruf des Veterinärs entscheidet, eine grundsätzliche Zuge- sätzlich ein Gericht klären, ob der Partner die Befugnisse wandtheit zu den Mitgeschöpfen . Dennoch ist die Praxis erhält oder ob eine dritte Person als gerichtlich bestellter in der intensiven Tierhaltung in nicht geringem Maße von Betreuer fortan die Entscheidungen treffen soll. ökonomischen Erwägungen und nicht nur von Tierliebe geprägt . Beispiele hierfür ist das Ausstellen von Ausnah- Erleidet zum Beispiel ein vierzigjähriger Ehemann megenehmigungen für Eingriffe am Tier, Kontrolle von einen Motorradunfall und kann in die notwendigen me- Schlachtprozessen und Tiertransporten . Hier sind Abhän- dizinischen Behandlungen im Krankenhaus nicht selbst gigkeiten und Drucksituationen leider keine Seltenheit . einwilligen, so muss die Ehefrau grundsätzlich, wenn sie will, dass die Maßnahmen durchgeführt werden, erst Aus diesem Grund hätte ich mir eine Neufassung des einmal gerichtlich dafür sorgen, dass sie als Betreuerin § 1 gewünscht, die nicht nur die Erhaltung und Entwick- bestellt wird . lung eines leistungsfähigen Tierbestandes betont, son- dern einen Paragrafen, der auch die Verantwortung des Besonders schwierig wird es auch dann, wenn im ho- Tierarztes/der Tierärztin als Stimme der Mitgeschöpfe hen Alter das Lebensende abzusehen ist und dann auch für eine Erreichung einer artgerechten Tierhaltung dar- noch extra für die medizinische Behandlung ein gericht- stellt, einen Paragrafen, der nicht nur das Verhüten von liches Betreuungsverfahren erforderlich wird . Es kann Leiden und Krankheit als Aufgabe definiert, sondern vor also durchaus sein, dass in einer Situation, in der man allem auch die Schaffung und Erhaltung von Gesundheit, Angst und Sorge um den Partner hat und eh schon alles 21932 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) schwer genug ist, man sich auch noch mit dem Betreu- große Verantwortung, nicht selten geht es um Leben und (C) ungsgericht auseinanderzusetzen hat . Tod . Das sollte so nicht sein und wollen wir daher nun Es ist der Union daher ein wichtiges Anliegen, dass ändern . Künftig soll das, wovon die Bürger mit guten wir auch ein Auge auf die Berufsbetreuer haben und für Gründen ausgehen, nämlich dass der Mensch, der uns sie bessere Rahmenbedingungen schaffen. Insbesonde- am nächsten steht, also der Ehegatte oder Lebenspartner, re wollen wir die Vergütungssätze der Berufs- und Ver- für uns sorgen und entscheiden soll, Gesetz sein . Das einsbetreuer erhöhen . Nur so können wir auch für die Anliegen des Bundesrats, dessen Gesetzentwurf uns hier Zukunft gewährleisten, dass wir gute Berufsbetreuer ha- vorliegt, wird von der Union daher grundsätzlich mit- ben . Die aktuell geltenden Stundensätze wurden seit der getragen . Diskussionsbedarf besteht zwar noch bei der Einführung der Pauschalvergütung im Jahre 2005 nicht Reichweite der angenommenen Vollmacht, jedoch haben mehr erhöht . Allein die Umsatzsteuer ist entfallen . Die wir im weiteren parlamentarischen Verfahren noch aus- damit verbundene Einkommenssteigerung ist nicht an- reichend Zeit, um darüber zu beraten . Insbesondere wird satzweise vergleichbar mit der bei tarifgebundenen So- die öffentliche Anhörung dazu ausreichend Gelegenheit zialpädagogen . geben . Mir ist durchaus bewusst, dass mit diesem Wunsch Was uns aber außerdem bei diesem Thema noch um- eine große finanzielle Belastung für die Justizhaushalte treibt und bei dem vorliegenden Gesetzentwurf keine Be- der Länder verbunden ist. Ich hoffe daher, dass wir im rücksichtigung fand, ist die Frage nach der Betreuungs- weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens zu ei- vergütung . Leider gibt es nämlich auch Fälle, in denen nem guten Ergebnis kommen werden . es keinen Ehepartner gibt oder ein sonstiges Familien- Schließlich will ich noch mal darauf hinweisen, dass mitglied, das sich bereit erklärt, die Sorge zu überneh- Betreuung ein Thema ist, das uns alle angeht . Wir sollten men . Dann muss vom Gericht eine dritte Person bestellt also nicht leichtfertig damit umgehen . werden . In letzter Zeit habe ich mich viel mit sogenann- ten Berufsbetreuern unterhalten . Eine Betreuerin hat mir dabei eine Geschichte erzählt, die mir besonders in Er- Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Heute innerung geblieben ist: Sie erzählte von einem Obdach- befassen wir uns in erster Lesung mit einer Thematik, losen, der bereits mehrfach polizeilich aufgefallen war die vielen von uns bekannt sein dürfte . Wir debattieren und eines Tages von einem Auto angefahren worden ist . einen Gesetzentwurf des Bundesrates, der den Beistand Er lag im Koma in einem Krankenhaus und die Ärzte unter Ehegatten und Lebenspartnern verbessern soll und hatten festgestellt, dass er schwer alkoholkrank war . Die der in umfangreicher Form unter dem Begriff „Angehöri- Berufsbetreuerin wurde schließlich mit dem Fall betraut . genvertretungsrecht“ bereits Beratungsgegenstand in der (B) 15 . Legislaturperiode war . (D) Der von mir geschilderte Fall ist keine Ausnahme . Tatsächlich sind in Deutschland etwa 1,3 Millionen Bevor ich auf den Inhalt dieser Bundesratsinitiative zu Menschen auf Unterstützung angewiesen, weil sie krank, sprechen komme, möchte ich vorausschicken, dass wir geistig oder körperlich behindert sind oder unter psy- uns in der Grundausrichtung dieses Vorhabens mit den chischen Störungen leiden . Um sie kümmern sich rund Ländern einig sind . Wir wollen die Rechte der Ehegatten 12 000 Berufsbetreuer und Berufsbetreuerinnen . Und wie und Lebenspartner, die betreut werden müssen, stärken . es aussieht, wird die Zahl der rechtlichen Betreuungen Kann eine volljährige Person, sei es durch Unfall oder vermutlich weiter steigen . Davon ist angesichts der de- Krankheit, nicht in medizinische Maßnahmen einwilli- mografischen Entwicklung in Deutschland auszugehen. gen, so kennt das geltende Recht bekanntlich bisher zwei Rechtsinstrumente, um Betroffene zu unterstützen und Um auf mein Beispiel zurückzukommen: Die Berufs- zu schützen: die Vorsorgevollmacht und die Bestellung betreuerin berichtete mir, dass mit diesem Fall, aber auch eines rechtlichen Betreuers durch das Betreuungsgericht . mit vielen anderen ein großer Arbeitsaufwand verbunden war . Und als ehemalige Betreuungsrichterin kann ich Dabei halte ich die Vorsorgevollmacht für ein entschei- auch bestätigen, wie wichtig und schwierig es ist, wirk- dendes Instrument, das dem Grundsatz der Selbstbestim- lich geeignete Personen für diesen Beruf zu finden. Der mung des Einzelnen Geltung verschaffen kann. In erster Berufsbetreuer muss in Notsituationen immer erreichbar Linie will jeder Mensch selbst entscheiden; und wenn sein, er muss zumeist regelmäßig Rechenschaft über die das nicht mehr möglich ist, dann entspricht es ebenfalls Finanzen des Betreuten beim Betreuungsgericht ablegen, dem menschlichen Willen, selbst zu bestimmen, wer für Behördengänge erledigen, den Kontakt mit dem Betreu- einen handelt und entscheidet . An dieser Stelle sollten ten halten und auch schon mal eine Lösung finden, wenn wir als Gesetzgeber nicht die Gelegenheit versäumen, dem Betreuten die Wohnung gekündigt wurde . auf die Tragweite einer privatautonomen Vorsorgevoll- macht nochmals hinzuweisen und für sie zu werben . Für diese Aufgaben stehen dem Berufsbetreuer nur eine pauschale Stundenanzahl zur Verfügung, wobei Gleichwohl dürfen wir uns aber auch nicht der Rea- der Stundenlohn je nach Berufsabschluss zwischen 27 lität verschließen . Die Vorsorgevollmacht ist noch nicht und 44 Euro pro Stunde variiert . Davon muss er sich als so weit verbreitet, wie wir uns das wünschen würden . Selbstständiger nicht nur sein Büro einrichten, sondern Bis ins hochbetagte Alter werden Gedanken und Fragen auch seinen Bürobedarf, sein Porto, seine Fahrtkosten wie folgende verdrängt: Wer soll für mich im Falle einer und seine Haftpflichtversicherung bezahlen. Letztere ist schweren Krankheit entscheiden? Welche medizinischen unverzichtbar, schließlich tragen die Berufsbetreuer eine Maßnahmen möchte ich zulassen? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21933

(A) Viele Menschen gehen indes davon aus, dass sie im stützt . Dass die Schere zwischen tatsächlich geleistetem (C) Krankheitsfall von ihren Ehe- oder eingetragenen Le- und vergütetem Aufwand auseinandergegangen ist, wird benspartnern ohne weitere Formalitäten vertreten wer- auch durch den kürzlich veröffentlichen Zweiten Zwi- den können . Nach geltender Rechtslage ist dies jedoch schenbericht des Forschungsvorhabens zur Qualität in nicht möglich . Aber genau an diese Erwartung der Bür- der rechtlichen Betreuung bestätigt, das durch das Bun- ger knüpft der Gesetzentwurf des Bundesrates an . Er will desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in eine Vollmachtsvermutung „für den Bereich der Gesund- Auftrag gegeben wurde . heitssorge und in der Fürsorge dienenden Angelegen- heiten“ einführen. Hinter diesen Begriffen verbirgt sich Wir können und wollen der Schließung von Betreu- neben der Möglichkeit zur Einwilligung in Notfallopera- ungsvereinen nicht weiter tatenlos zusehen . Über Jah- tionen auch das Recht, grundlegende Entscheidungen zur re gewachsene Betreuungsstruktur darf nicht verloren Pflege und Rehabilitation für den zu betreuenden- Ehe gehen . Es ist ja auch nicht so, dass es der Staat besser, gatten zu treffen. Der vertretende Ehegatte soll ebenso geschweige denn günstiger hinbekommen würde . Des- berechtigt werden, eine gerichtliche Genehmigung ein- wegen setzen wir uns mit dieser Verbindung zum Gesetz- zuholen und zu entscheiden, ob der vertretene Ehegatte entwurf des Bundesrates zur Verbesserung der Beistands- im Bett fixiert oder ob er gezielt durch Schlafmittel oder möglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern auch andere Medikamente am Verlassen des Krankenhauses dafür ein, dass wir hier zu einem zügigen Abschluss der gehindert werden darf . Änderungen im Vormünder- und Betreuervergütungsge- setz kommen . Denn was einmal verloren ist, muss erst Den Regelungsinhalt des Gesetzentwurfs empfinden wieder kostenintensiv aufgebaut werden . wir – und mein Tonfall lässt es schon vermuten – als zu weitgehend . Zwar wollen wir ein gesetzliches Vertre- Wir sind uns darüber bewusst, dass wir hier einen Ver- tungsrecht im Bereich der Gesundheitssorge mittragen . trag zulasten Dritter aufsetzen . Wir müssen die Länder Dieses soll aber insbesondere auf Einwilligungen in ins Boot holen . Ich bin mir natürlich auch darüber im Untersuchungen des Gesundheitszustandes, in Heilbe- Klaren, dass die Situation im Betreuungswesen nicht in handlungen oder ärztliche Eingriffe beschränkt werden. jedem Bundesland gleich ist . In meinem Heimatbundes- Damit wird das Ziel, für Notsituationen ein gesetzliches land Schleswig-Holstein läuft die Förderung der Betreu- Vertretungsrecht zwischen Ehegatten und Lebenspart- ungsvereine sehr gut; aber auch hier braucht es eine zu- nern zu schaffen, auf einfachere Weise erreicht. Der ent- kunftsfeste Struktur . Mit der jetzt geplanten moderaten sprechende Änderungsantrag müsste den Kolleginnen Vergütungserhöhung tragen wir dazu bei . und Kollegen bereits zugegangen sein . Wir wollen überdies die inhaltliche Nähe des Ge- (B) Dr. Matthias Bartke (SPD): Ein Schlaganfall, ein (D) setzentwurf des Bundesrates dazu nutzen, ein weiteres schwerer Autounfall, eine plötzliche Krankheit – das al- wichtiges Vorhaben im Betreuungsrecht auf den Weg zu les sind Schicksalsschläge, mit denen wir uns in unserem bringen: eine moderate Erhöhung der Vergütungssätze Alltag lieber nicht beschäftigen . Und doch passieren sie für Vereins- und selbständige Berufsbetreuer . Die vor immer wieder und viel zu oft . Solche Einschnitte sind rund zwölf Jahren mit Inkrafttreten des Zweiten Betreu- eine schwere Last für die Ehepartner . Sie haben Angst ungsrechtsänderungsgesetzes eingeführten und seitdem um ihre Liebsten, sorgen sich, wie es weitergehen wird, unveränderten Stundensätze des § 4 des Vormünder- und und müssen oft auf die Schnelle vieles neu organisieren . Betreuervergütungsgesetzes sollen um 15 Prozent ange- Das ist noch um ein Vielfaches mehr belastend, wenn die hoben werden . Das hätte zur Folge, dass die nach aka- Erkrankten nicht mehr selber entscheiden können . Es ist demischer und beruflicher Ausbildung gestaffelten Stun- genau dieser Zeitpunkt, wenn über viele die Erkenntnis densätze von derzeit 44 Euro in der höchsten Stufe auf hereinbricht, dass die Entscheidungsbefugnis ihres Ehe- 50,60 Euro, in der mittleren Stufe von 33,50 Euro auf partners nicht automatisch auf sie übergeht . 38,50 Euro und in der niedrigsten Stufe von 27 Euro auf rund 31 Euro ansteigen würden . Ein Sorgerecht mit allen Vollmachten – etwa auch in Bezug auf gesundheitliche Angelegenheiten – haben Wir sind der Meinung, dass eine solche Anhebung nur Eltern für ihre minderjährigen Kinder . Das ist längst geboten und angemessen ist . Qualitativ hochwertige nicht allen bekannt . Das Meinungsforschungsinstitut for- Betreuung ist eben auch eine Frage der Vergütung, und sa hat dazu eine Umfrage durchgeführt . Das Ergebnis: eine angemessene Vergütung ist eine unverzichtbare Vo- Etwa zwei Drittel der Befragten gehen davon aus, dass raussetzung für ein leistungsfähiges und zukunftsfestes bei schweren Erkrankungen oder Unfällen automatisch Betreuungswesen . Gerade mit Blick auf die allgemeine die nächsten Angehörigen für die betroffene Person ent- Preissteigerung und die Einkommensentwicklung ver- scheiden können . Andere Umfrageergebnisse machen gleichbarer Berufsgruppen seit Einführung des pauscha- außerdem deutlich, dass sich die große Mehrheit von Be- lierten Vergütungssystems sehen wir es an der Zeit, die fragten wünscht, dass bei krankheitsbedingter Unfähig- Vergütungssätze für Vereins- und selbständige Berufsbe- keit die Partner füreinander entscheiden können . Wenn treuer – und hier auch trotz des Wegfalls der Umsatzsteu- sich Erkrankte aber nicht rechtzeitig um eine entspre- erpflicht vor wenigen Jahren – zu erhöhen. chende Vorsorgevollmacht gekümmert haben, sind dem Wir schneiden uns die Zahlen ja nicht aus den Rippen gesunden Ehepartner die Hände gebunden . Er hat dann oder argumentieren ins Blaue hinein . Wie auch schon bei keine Entscheidungsrechte . Stattdessen muss zunächst Einführung des Vergütungssystems im Jahr 2005 gibt es ein Gericht klären, ob der Ehemann oder die Ehefrau die empirisches Datenmaterial, das unsere Argumentation rechtliche Betreuung übernehmen kann . Für die Angehö- 21934 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) rigen bedeutet das Behördengänge, Gerichtstermine und In der Summe schaffen wir mit unseren Änderungen (C) zusätzliche Kosten . ein anwenderfreundliches Vertretungsrecht zwischen Ehegatten und Lebenspartnern für Notsituationen . Wir Das will der Bundesrat mit seinem Gesetzentwurf zur werden den Betroffenen damit zumindest eine Last in Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten nun ändern . einer schweren Zeit nehmen können . Die enge zeitliche Es soll eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung Begrenzung wie auch die Beschränkung auf die Gesund- zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern heitssorge beugen zugleich Missbrauch vor . geschaffen werden. Sie soll für den Bereich der Gesund- heitssorge und der Fürsorge greifen . Ich denke, meine Die Vorsorgevollmacht wird dennoch nicht an Be- Einführung hat deutlich gemacht, dass auch wir diesem deutung verlieren . Das ist für uns von höchster Priori- Anliegen sehr wohlwollend gegenüberstehen . Den Be- tät . Denn nur die Vorsorgevollmacht vermeidet dauer- troffenen werden Formalitäten erspart, und kurzfristige haft Betreuungen und kann das Selbstbestimmungsrecht Betreuerbestellungen können vermieden werden . der Betroffenen in vollem Umfang gewährleisten. Wer als Bevollmächtigter eingesetzt wird, kann jeder selbst Trotzdem werden wir den Gesetzentwurf nicht unver- entscheiden . Das ist eine Frage des Vertrauens und im ändert übernehmen . Das im Entwurf vorgesehene Vertre- besten Fall eben nicht des Gerichts . Es können auch für tungsrecht wollen wir allein auf den Bereich der Gesund- verschiedene Aufgaben unterschiedliche Personen ein- heitssorge beschränken . Damit wird das Vertretungsrecht getragen werden . Jemand, der ganz in der Nähe wohnt, in vermögensrechtlichen Angelegenheiten entfallen . kann beispielsweise für Gesundheitsfragen bevollmäch- Ebenso lehnen wir die Vollmacht für freiheitsentziehen- tigt werden und jemand weiter weg für die Vermögens- de Maßnahmen ab . Da der Anwendungsbereich auf diese fragen . Weise beschränkt sein wird, können wir außerdem die verfassungsrechtlich bedenkliche Befugnis zum Öffnen Während wir mit der Vorsorgevollmacht also bereits der Post vermeiden . ein sehr wirksames Instrument zur Verfügung haben, be- schäftigt uns eine andere Baustelle im Betreuungsrecht Besonders kritisch sehen wir die im Bundesratsent- noch sehr . Und zwar ist das die Vergütung der Berufs- wurf vorgesehenen Erklärungen . Der Ehegatte müsste betreuer . Die Pauschalvergütung der Berufsbetreuer ist für den Abschluss von Verträgen und für freiheitsentzie- seit 2005 unverändert . Die Kosten sind in den vergange- hende Maßnahmen unter anderem ein ärztliches Zeugnis nen elf Jahren aber gestiegen und auch die Einkommen vorlegen . Dieses Zeugnis dürfte maximal sechs Monate vergleichbarer Berufsgruppen sind das ebenfalls . Eine alt sein und müsste die Unfähigkeit des anderen Ehegat- Anpassung der Stundensätze halten wir deshalb für un- ten zur Besorgung der Angelegenheiten bestätigen . Ein bedingt notwendig . (B) sechs Monate altes Zeugnis gibt im Zweifelsfall aber we- (D) nig Auskunft über die aktuelle Situation . Hier herrscht Die demografische Entwicklung, aber auch die zu- also Missbrauchsgefahr . Das müssen wir unbedingt ver- nehmende Verrechtlichung vieler Lebensbereiche führen hindern . dazu, dass die Zahl der rechtlich Betreuten immer weiter Die von uns bevorzugte Beschränkung auf die Ge- zunimmt . Im hohen Alter können immer mehr Menschen sundheitssorge hat hingegen einen klaren Vorteil: Die nicht mehr eigenständige Entscheidungen treffen. Neben Vertretung in diesen Belangen ist auf einen unstrittigen vielen Ehrenamtlern unterstützen die Berufsbetreuer die Bereich und einen kurzen Zeitraum beschränkt . Das mi- Betreuten in ihrer Entscheidungsfindung und kümmern nimiert das Missbrauchspotenzial . Der behandelnde Arzt sich um ihre Angelegenheiten – sei es der Vertrag mit kann aus eigener Anschauung beurteilen, dass der Pati- dem Pflegeheim, die Erledigung der Post oder das Ver- ent seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann . Da walten des Vermögens . Die Aufgaben sind zahlreich und nur der Gesundheitsbereich erfasst ist, brauchen Dritte verlangen von den Betreuern einen erheblichen Zeitein- keine Informationen über den Zustand des Betroffenen. satz . Ihren Beitrag für die Gesellschaft können wir daher Ein bis zu sechs Monate altes ärztliches Zeugnis ist damit gar nicht genug wertschätzen . Das ist vor allem dann der überflüssig. Fall, wenn die Betreuung sich konsequent am Selbst- bestimmungsrecht der Betroffenen orientiert. Wenn die Eine unkompliziertere Anwendung wird dazu führen, Betreuer aber gezwungen sind, wegen der unveränderten dass Ehegatten in der Praxis vom Vertretungsrecht tat- Stundensätze die Fallzahlen zu erhöhen, dann läuft es sächlich Gebrauch machen . Nur dann können wir kurz- gewaltig falsch . Denn erhöhte Fallzahlen bleiben nicht fristige Betreuerbestellungen auch wirklich vermeiden, ohne Folge: Der Betreuer muss die persönliche Betreu- so wie es der Gesetzentwurf beabsichtigt . ung vernachlässigen, was zu deutlichen Qualitätseinbu- ßen führt . Je nach Schwere der Erkrankung kann der betroffene Ehegatte nach einer gewissen Zeit eine Vollmacht ertei- Den vorliegenden Gesetzentwurf werden wir deswe- len . Ist die Beeinträchtigung stärker und länger andau- gen auch dahin gehend ändern, dass wir eine Vergütungs- ernd, so wird ohnehin eine Betreuerbestellung notwen- erhöhung für die Berufsbetreuer um 15 Prozent vorsehen . dig . Das wäre im Übrigen auch der Fall, wenn, wie im Die dringende Notwendigkeit einer Vergütungserhöhung Bundesratsentwurf auch, vermögensrechtliche Angele- hat nicht zuletzt das Zwischengutachten des Forschungs- genheiten erfasst wären . Eine Beschränkung auf die Ge- vorhabens „Qualität der rechtlichen Betreuung“ des Jus- sundheitssorge bringt also nur Vorteile, vermeidet aber tizministeriums bewiesen . Darauf bauen wir auf und set- gravierende Nachteile . zen auf die Unterstützung aller Beteiligten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017 21935

(A) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Wir müssen uns Auch hinsichtlich der Frage, ob Ehegatten und Le- (C) folgende Situation vorstellen: Ein Ehepaar sitzt zuhause benspartner immer ihrer Aufgabe als Betreuer gewach- auf der Couch, sie schauen eine Fußballübertragung im sen sind oder dass eine Ehe/Lebenspartnerschaft nur Fernsehen an und die Ehefrau regt sich derart über den noch auf dem Papier bestehen könnte, ist die vorgesehe- Schiedsrichter auf, dass sie einen Herzinfarkt bekommt, ne Regelung einer automatischen gerichtlichen Betreu- zusammenbricht, ins Koma fällt und mittels Rettungswa- ung vorzuziehen. Zum einen findet diese Vollmachts- gen ins Krankenhaus gebracht werden muss . vermutung keine Anwendung, wenn die Partner nach § 1567 Absatz 1 BGB getrennt leben . Und um etwaigem Nun wird bei ihr eine Erkrankung festgestellt, die der Missbrauch weiter vorzubeugen, kann nach wie vor jeder Behandlung bedarf, sie selbst ist aber nicht mehr in der seine Angelegenheiten auch nach der neuen Gesetzesla- Lage, darüber zu entscheiden. Der Ehemann steht hilflos ge in Form einer eigenen Vorsorgevollmacht oder einer daneben . Denn nach geltender Rechtslage können Ehegat- sonstigen anderslautenden Willensäußerung abweichend ten und ebenso Partner einer eingetragenen Lebenspart- regeln . nerschaft weder Entscheidungen über medizinische Be- handlungen für ihren nicht mehr selbst handlungsfähigen Die möglicherweise erforderlichen Änderungen oder Partner treffen noch diesen im Rechtsverkehr vertreten, Ergänzungen werden sich im Laufe der weiteren Bera- solange sie nicht als rechtliche Betreuer ihres Partners tungen ergeben . Ich freue mich darauf . bestellt werden oder von ihm im Rahmen einer Vorsorge- vollmacht hierzu wirksam bevollmächtigt worden sind . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir de- Doch oftmals wird der Gedanke an die Erteilung einer battieren heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates, der Vorsorgevollmacht – gerade bei jüngeren Menschen – in einem höchstpersönlichen Bereich, bei dem es um Le- verdrängt und auf „später“ verschoben. „Das müssen wir ben und Tod gehen kann, künftig eine gesetzliche Fiktion auch noch mal regeln“, höre ich immer wieder. einführt . Wenn jemand keine Vorsorgevollmacht erstellt hat, soll im Falle der Geschäftsunfähigkeit automatisch Nach einem Unfall oder einer unerwarteten schweren der Ehegatte als bevollmächtigt gelten . Krankheit bedarf es dann erst eines gerichtlichen Ver- fahrens auf Betreuerbestellung, um dem Ehegatten oder Damit sollen angeblich Dinge vereinfacht werden, Lebenspartner auch in rechtlicher Hinsicht beistehen zu weil dann kein Betreuer bestellt werden muss . Ich habe können . Untersuchungen zeigen, dass die meisten Bürger allerdings erhebliche Zweifel, ob das wirklich eine so sich eine Besorgung ihrer Angelegenheiten und Vertre- große Vereinfachung ist und ob dadurch nicht ganz ande- tung durch ihren Partner bei eigenem Unvermögen wün- re Probleme und Risiken erst entstehen . schen und dass die meisten Menschen – leider irrig – zu- Kann jemand seine Angelegenheiten nicht mehr selbst (B) dem davon ausgehen, dass ihr Partner sie in diesem Fall (D) erledigen, prüft bislang das Amtsgericht auf Antrag, ob auch qua Gesetz vertreten darf . und wer in diesem Fall als Betreuer einzusetzen ist . Da- Der Gesetzentwurf schafft zur Lösung dieses Pro- bei ist der Betroffene anzuhören, und er oder sie kann blems, für den Bereich der Gesundheitssorge und in der selber Vorschläge machen, die zu berücksichtigen sind . Fürsorge dienenden Angelegenheiten, eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung zwischen Ehegatten und § 1897 Absatz 5 BGB lautet wie folgt: eingetragenen Lebenspartnern für den Fall, dass der ver- Schlägt der Volljährige niemanden vor … so ist bei tretene Ehegatte oder Lebenspartner weder im Rahmen der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaft- einer ausdrücklichen Vorsorgevollmacht etwas anderes lichen und sonstigen persönlichen Bindungen des bestimmt noch einen entgegenstehenden Willen geäußert Volljährigen, insbesondere auf die Bindungen zu hat . Der Ehegatte oder Lebenspartner soll hierbei den- Eltern, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Le- selben Bindungen unterliegen wie ein – ausdrücklich – benspartner, sowie auf die Gefahr von Interessen- Vorsorgebevollmächtigter . Ein der Vertretung durch den konflikten Rücksicht zu nehmen. Partner entgegenstehender Wille soll als Widerspruch in das Zentrale Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer Ehrlich gesagt: Besser und angemessener kann man es eingetragen werden können . doch gar nicht formulieren! Die Vorsorgevollmacht ist und bleibt ein wichtiges Warum sollen wir ausgerechnet in diesem wichtigen Instrument, um selbstbestimmt darüber entscheiden zu Bereich auf die richterliche Entscheidung und damit auch können, wer im Falle des Verlustes der eigenen Hand- auf die Anhörung des Betroffenen verzichten? Und- er lungsfähigkeit handeln und entscheiden soll; hier wird setzt das bloße Vorliegen einer Heiratsurkunde wirklich nur für den Fall des Nichtvorliegens die Person, die dem die Prüfung eines Interessenkonfliktes? In den allermeis- Betroffenen am nächsten steht, als Bevollmächtigter ver- ten Fällen wird sich nach der richterlichen Anhörung tat- mutet . sächlich ergeben, dass der Ehegatte die geeignete Person ist . Manchmal kann es aber auch genauso gut – oder auch Der Gesetzentwurf ist grundsätzlich zu unterstützen . besser – das eigene Kind sein . Ob die seitens der Bundesregierung bestehenden Be- denken hinsichtlich etwaiger Konflikte zu Artikel 12 Warum will das Gesetz hier einen Vorrang schaffen, der UN-Behindertenkonvention berechtigt sind, wird im der am Ende dazu führt, dass Familienmitglieder proak- parlamentarischen Verfahren und der bereits terminierten tiv gegen die gesetzliche Fiktion tätig werden und wo- Anhörung zu dem Gesetzentwurf zu klären sein . möglich verborgene Konflikte aufdecken müssen? 21936 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 218 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 16 . Februar 2017

(A) Das Risiko, dass die Fiktion gerade nicht dem Willen an die gesetzliche Berechtigung des Ehegatten zur Ent- (C) des Betroffenen entspricht, ist selbst nach der Gesetzes- scheidung über die Heilbehandlung gebunden und müss- begründung nicht unerheblich . In der Begründung steht, te im Zweifelsfall selbst gegen den Willen desselben das dass 80 Prozent der Befragten ihren Ehegatten als Be- Betreuungsgericht einschalten . Eine solche zusätzliche treuer einsetzen würden . Was bedeutet das denn für die Hürde zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Be- anderen 20 Prozent? troffenen macht es nicht einfacher. Und ob die Ehegatten getrennt leben, ist für den behandelnden Arzt schon gar Die Gründe dafür, jemand anderen als den eigenen nicht nachprüfbar . An dieser Stelle würde auch der Ände- Ehegatten zum Betreuer bestellen zu wollen, können so rungsantrag keine Abhilfe schaffen. vielfältig sein wie das Leben selbst . Vielleicht möchte jemand seine Partnerin oder seinen Partner damit nicht Wir lassen uns im weiteren Beratungsverfahren gerne belasten, oder die Ehe ist möglicherweise seit Jahren viel noch einmal die praktischen Gründe erläutern, warum zerrütteter, als es irgendjemand geahnt hat . Als Fachan- hier überhaupt eine Gesetzesänderung notwendig sein wältin für Familienrecht kann ich Ihnen versichern: Es soll . gibt im Bereich familiärer Konflikte nichts, was es nicht In der vom Bundesrat beschlossenen Form wäre der gibt! Die gesetzliche Fiktion einer intakten Ehe halte ich Gesetzentwurf auf jeden Fall abzulehnen . für sehr gewagt, um nicht zu sagen unverantwortbar . Was soll so schlimm daran sein, sich vom Gericht be- stellen zu lassen? Ein entsprechender Betreuerausweis ist Anlage 8 doch ohnehin hilfreich bei der Besorgung der Rechtsan- gelegenheiten . Wie soll das ohne einen solchen Ausweis Neudruck: Antwort denn überhaupt gehen? der Staatsministerin Dr . Maria Böhmer auf die Frage des In dem geplanten § 1358 Absatz 3 BGB ist vorgese- Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE) (Drucksa- hen, dass man gegenüber Behörden und Ärzten erklären che 18/11120, Frage 20): muss, mit dem Betroffen verheiratet zu sein, nicht- ge Mit welchen Maßnahmen unterfüttert nach Kenntnis der trennt zu leben, keine Kenntnis von einem entgegenste- Bundesregierung die Europäische Union in Belarus „eine ge- henden Willen zu haben – und dazu noch ein ärztliches wisse Vereinbarung bezüglich der Migration“, wie der dortige Zeugnis über die eingeschränkte Geschäftsfähigkeit des Präsident eine Kooperation umschrieb, die unter anderem Gel- der für den Bau von Zentren für „illegale“ Migranten sowie Betroffenen vorlegen, dass nicht älter als sechs Monate für deren Abschiebung vorsieht (dw .com vom 24 . Januar 2017, ist . „Streit um Migrantenzentren in Weißrussland“), und welchen Stand haben nach Kenntnis der Bundesregierung die seit 2011 (B) Und das soll einfacher sein als eine Betreuerbestel- autorisierten Verhandlungen der Europäischen Kommission (D) lung? Wissen Sie eigentlich, wie schwierig es sein kann, über ein Abschiebeabkommen der Europäischen Union mit festzustellen, ob Eheleute getrennt leben? Das allein kann Belarus (Bundestagsdrucksache 18/1423, Antwort zu Fra- Gegenstand umfangreicher Streitverfahren sein . Nein – ge 9)? ich würde mal unterstellen, der Gesetzentwurf war gut Ein umfassendes europäisches Unterstützungspro- gemeint, aber vereinfacht wird dadurch gar nichts . gramm im Bereich Migration soll Belarus bei der Bewäl- Im Betreuungsrecht steht das Selbstbestimmungsrecht tigung einer steigenden Zahl irregulärer Migrantinnen ganz im Fokus, und da brauchen wir auch keine Verkür- und Migranten im Land helfen . zungen und Fiktionen . Belassen Sie es bei der Betreu- Das Unterstützungsprogramm umfasst 7 Millionen ungsbestellung durch das Gericht . Euro aus dem Europäischen Nachbarschaftsinstrument und unterstützt die belarussische Regierung bei der Ent- Das ist im Übrigen auch die Empfehlung der Deut- wicklung und Umsetzung von Strategien zum Migrati- schen Stiftung Patientenschutz . Und auch das Bundes- onsmanagement im Einklang mit internationalem Recht ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat und internationalen Standards . Auch Bau und/oder Reno- ja Bedenken geäußert und den Fraktionen einen Ände- vierung von mehreren Unterkünften für Migranten sind rungsantrag empfohlen, mit dem die gesetzliche Fiktion vorgesehen . Die Internationale Organisation für Migra- gestrichen und stattdessen eine Beschränkung auf die tion (IOM) ist an der Umsetzung beteiligt . Eine ausführ- Gesundheitssorge vorgenommen werden soll . Sollten liche Beschreibung ist auf der Internetseite der Europäi- Sie diesen Änderungsantrag einbringen, wäre das sicher- schen Kommission frei zugänglich . lich eine deutliche Verbesserung . Von der Notwendigkeit der Gesetzesänderung bin ich allerdings auch dann noch Verhandlungen über ein Visaerleichterungs- und nicht überzeugt . Rückübernahmeabkommen haben im Jahr 2014 begon- nen und sind noch nicht abgeschlossen . Gerade bei akuten Notsituationen kann sich ein Miss- brauch besonders gravierend auswirken . Der Arzt wäre (217 . Sitzung, Anlage 9)

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