Palilia 14

Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter

Papststiftungen im Spiegel des »Liber Pontificalis« von Gregor dem Dritten bis zu Leo dem Dritten

Bearbeitet von Franz Alto Bauer

1. Auflage 2005. Taschenbuch. 256 S. Paperback ISBN 978 3 89500 437 7 Format (B x L): 22 x 29 cm Gewicht: 1143 g

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. Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen

Versetzen wir uns in einen frühmittelalterlichen Mönch, Wie keine zweite Stadt kann Rom auf einen reichen Schatz dem in einer Bibliothek nördlich der Alpen ein Manuskript an literarischen Beschreibungen verweisen, in denen die des Liber Pontificalis in die Hände fällt. Interessiert liest verschiedensten Aspekte thematisiert werden, das Aus- er in der Sammlung der Papstbiographien und überzeugt sehen der Stadt, ihre Topographie, Bauten und Ausstat- sich, daß die Tradition des Papsttums bis auf Petrus zu- tung, und das Leben in der Stadt.1 Doch wo sind die Gren- rückreicht. In den Einträgen über die frühen Päpste findet zen von ‹Stadtbeschreibungen›? Haben wir nur solche Tex- er nur wenige Informationen, die über Namen, Herkunft, te als Stadtbeschreibungen anzusehen, die sich explizit als Dauer des Pontifikats, Anzahl der Ordinationen und den solche zu erkennen geben? Fallen nur solche Schriftstücke Bestattungsort hinausgehen. Um so mehr faszinieren ihn unter diese Rubrik, die uns etwas über das Erscheinungs- die Biographien der spätantiken Päpste, in denen nicht bild der Stadt mitteilen? Oder sollten wir nicht von einer nur ausführlich von den historischen Ereignissen berich- erweiterten Definition ausgehen und neben den Intentio- tet wird, sondern auch von den zahlreichen Stiftungen der nen des Autors auch den Leser, seine Fähigkeit zur Ver- Päpste in der Stadt Rom. Unser Mönch erfährt von präch- gegenwärtigung eines Stadtbilds hinterfragen? Das fiktive tigen Bauten, die auf Initiative eines Papstes errichtet wur- Beispiel des Mönchs mag die Antwort schnell nahelegen. den, von reichen Schätzen, die diesen Kirchen als Ausstat- Er bezog aus einer Schrift, deren vordergründiger Zweck tung geschenkt wurden. Er liest von der Peterskirche, der nicht der einer Rombeschreibung war, eine Fülle von In- Lateransbasilika und den anderen berühmten Papstbasi- formationen, die sich zu einem gedanklichen Bild von der liken, er versucht, sich die Pracht im Innern dieser Kir- Stadt verdichteten. chen vorzustellen. Immer ausführlicher werden im Fort- gang des Textes die Biographien, übergehen nichts mehr von dem, was die frühmittelalterlichen Päpste den Kirchen . Spätantike Stadtbeschreibungen der Stadt Rom geschenkt haben. Sie berichten aber auch von der Sorge der Päpste um die praktischen Einrichtungen Eine vergleichbare Wirkung ist für eine Reihe weiterer Do- städtischen Lebens; der Mönch erfährt von Aquädukten, kumente zu vermuten, die uns aus spätantiker und früh- Mauern und Palästen, daneben findet er aber immer wie- mittelalterlicher Zeit überliefert sind. Diese Texte haben der Beschreibungen von Bildern und Ausstattungsstücken die verschiedensten Intentionen und Entstehungsumstän- in den Kirchen. Schließlich entnimmt er den Biographien de; und doch konnten sie dem jeweiligen Leser eine Vor- der Päpste Hadrian I. und Leo III., daß diese die Stadt Rom stellung von der Stadt Rom vermitteln. erfolgreich gegen innere und äußere Feinde verteidigt ha- ben, ja daß sogar Karl der Große vom Papst in Rom emp- a. Notitia Urbis Romae und Curiosum Urbis Romae. An fangen und gekrönt worden ist. Über viele Seiten ziehen den Anfang dieses Überblicks seien die Notitia Urbis Ro- sich die Einträge über Stiftungen, Neubauten, Instandset- mae und das Curiosum Urbis Romae gestellt, zwei Texte, zungen, Mosaiken und liturgisches Gerät hin. Die Biogra- die Redaktionen einer gemeinsamen Vorlage sind und sich phie Leos will gar nicht mehr enden, unserem Mönch er- nur in wenigen Angaben unterscheiden.2 Beide Texte li- scheint sie wie ein Inventar der Stadt Rom. sten Region für Region die wichtigsten Baulichkeiten und Als er das Manuskript beiseite legt, steht das große Rom Lokalitäten auf, gefolgt von einem Überblick über die An- vor seinem geistigen Auge. Seine Vorstellung ist zwar nicht zahl bestimmter öffentlicher Bautypen, aber auch Ämter topographischer Natur, denn dem Manuskript ist kein Plan (Vicomagistri beziehungsweise Curatores). Wir erfahren beigegeben, und auch Angaben zur Lokalisierung der Bau- hier, wie viele Vici sich in der Region befanden, wie viele ten fehlen. Das Bild, das der Mönch jetzt von Rom hat, ist Aediculae, Insulae und Domus, wie viele Horrea, Balnea, vielmehr ideeller Natur und gründet sich auf ein Reper- Lacus und Pistrina). Der Überblick endet jeweils mit der toire von Bauten, deren glanzvoller Ausstattung und histo- Formulierung «continet pedes» (mit Zahlenangabe). Beide rischer Verknüpfung mit den Namen der Päpste. Verzeichnisse haben einen Anhang (horum breviarium):

 Quellen gesammelt bei W. Gernentz, Laudes Romae  Text ediert bei H. Jordan, Topographie der Stadt Rom (); B. Kytzler, Roma Aeterna. Romdichtung von der Anti- im Alterthum II () –; A. Nordh, Libellus de regio- ke bis in die Gegenwart (); C. J. Classen, Die Stadt im Spie- nibus urbis Romae, Acta Inst. Rom. Reg. Sueciae III  () gel der Descriptiones und Laudes Urbium (). –; Valentini – Zucchetti I –.  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

stantinischen Bauten, etwa die Basilica Nova, die er- mae Constantinianae, die Porticus Constantini und ein Arcus Constantini genannt werden, können die Listen in der vorliegenden Form erst in konstantinischer Zeit ent- standen sein. Da andererseits keine Kirchenbauten er- wähnt werden und auch Institutionen genannt werden, die unter Konstantin aufgelöst wurden, etwa die Präto- rianer, ist es durchaus möglich, daß das Verzeichnis auf der Grundlage eines älteren, vorkonstantinischen Doku- ments entstand und erst unter Konstantin um einige Bau- ten dieses Kaisers ergänzt wurde. Mehrfach wurde vermu- tet, daß dieses anzunehmende Original aus diokletiani- scher Zeit stamme.4 Doch hat Gustav Hermansen darauf hingewiesen, wie gefährlich es ist, aus der Nichtnennung von Monumenten die Datierung eines Texts abzuleiten, der in der Intention nicht auf Vollständigkeit angelegt war.5 Ob man deshalb den weiten Datierungsrahmen vom vier- ten bis zum sechsten Jahrhundert annehmen muß, sei da- hingestellt. Die Breviaria zu den Texten wurden auf je- den Fall nachträglich verfaßt. Das Breviarium der Notitia nennt das  eingeweihte Reiterstandbild Konstantins, aber nicht den  unter Konstantius II. errichteten Obe- lisken im Circus Maximus; das Breviarium des Curiosum hingegen nennt diesen Obelisken, es muß also noch spä- ter entstanden sein. Sinn und Zweck der Verzeichnisse wurden kontrovers Abb.  Severischer Marmorplan der Stadt Rom, beurteilt. Die ältere Forschung sieht in ihnen Dokumente, Marcellustheater und Porticus Octaviae die einen administrativen Zweck erfüllten. Man hat ver- mutet, daß mit den Monumentangaben die Grenzen der Hier findet man eine Auflistung der wichtigsten Bauten vierzehn Regionen definiert wurden.6 Da aber auch Monu- und Bautypen und ihre namentliche Nennung. So erfährt mente im Inneren der Regionen genannt werden, rief die- man etwa die Anzahl der Spiralreliefsäulen und deren Na- se eorie alsbald Kritik hervor. Arvast Nordh behalf sich men, die Anzahl der eaterbauten sowie die Namen al- damit, in den Monumentennamen die Bezeichnungen von ler Stadttore, um nur einige Kategorien zu nennen. Dar- ‹subregiones› zu sehen.7 Ihm zufolge handle es sich um ei- auf folgt – vergleichbar mit den Angaben zu den einzel- nen Text, der die Restrukturierung Roms in der Spätanti- nen Regionen – ein Verzeichnis verschiedener öffentlicher ke dokumentiert.8 Roberto Valentini und Giuseppe Zuc- Bauten und ihrer Gesamtzahl für ganz Rom. chetti gingen davon aus, daß es sich um statistische Auf- Die Datierung der Verzeichnisse von Notitia und Cu- listungen aus dem Büro des Stadtpräfekten handelte, die riosum basiert auf der Nennung beziehungsweise Nicht- die Annona regelten.9 Claude Nicolet sieht in dem Doku- nennung bestimmter Bauten.3 Da eine Reihe von kon- ment einen Reflex von Katasterverzeichnissen der frühen

 Zur Datierung vgl. Jordan a. O. –; Valentini – Zuc-  Nordh a. O. –; ders., Libellus de regionibus ur- chetti I  ff.; A. Chastagnol, Les régionnaires de Rome, Entre- bis Romae, Acta Inst. Rom. Reg. Sueciae III  () –. tiens sur l’antiquité classique , , –, hier  f.  Valentini – Zucchetti I  ff.  A. Nordh, Prolegomena till den romerska Regionskata-  C. Nicolet, L’inventaire du monde ()  f.; ders., La logen () –; Valentini – Zucchetti I . Table d’Héraclée et les origines du cadastre romain, in: L’Urbs:  G. Hermansen, e Population of Imperial Rome: e espace urbain et histoire () –, hier . Regionaries, Historia , , –, hier –.  Chastagnol a. O.  f.  Jordan a. O. – (mit Diskussion der älteren Litera-  A. Piganiol, La propagande paienne à Rome sous le tur); R. Lanciani, Ricerche sulle XIV Regioni urbane, Bullet- Bas-Empire, Journal des Savants , –, hier . tino della Commissione archeologica comunale di Roma ,  G. Hermansen, e Population of Imperial Rome: e , –, hier  ff. Regionaries, Historia , ,  ff.  Nordh a. O. –.  Ebenda .  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

und hohen Kaiserzeit,10 und auch André Chastagnol konn- delt, um Angaben zu einzelnen Monumenten ergänzt und te sich den Zweck des Dokuments nur im administrativen so eine ‹Beschreibung› verfaßt, die geeignet war, den Le- Bereich erklären:11 Auch er suchte den Ursprung im Büro ser zu beeindrucken.19 Es sollte der Bauten- und Statuen- des Stadtpräfekten, der so die Nahrungsmittelverteilung reichtum der Stadt verdeutlicht werden, sollte auf die Be- und die Brandbekämpfung koordinieren konnte. völkerungsdichte verwiesen werden, kurzum, es sollte al- Andere sprachen den Dokumenten neben ihrem prak- lein durch die Fülle an Namen, Bauten, Bautypen und tischen Wert auch einen propagandistischen, ideologi- Ziffern ein staunenswertes Bild der Großstadt Rom ent- schen und panegyrischen Wert zu. André Piganiol ver- worfen werden. mutete, daß die Listen außerdem auch der heidnischen Der spätantike Leser dürfte die Zahlenangaben kaum Senatspartei Roms als Propagandatext gedient haben überprüft haben, wahrscheinlich weil sich ihm die Frage, könnten.12 Hermansen sieht in den stadtrömischen Re- ob dieses Dokument der Realität entspricht, nicht gestellt gionenverzeichnissen wie in der vergleichbaren Notitia Urbis Constantinopolitanae Schriften, die die Pracht der beschriebenen Stadt verherrlichen.13 Auch eine Funktion als ‹Führer› für Besucher und Pilger in der Stadt hält er nicht für ausgeschlossen.14 Wiederum andere verneinen jeden praktischen Wert. In jüngster Zeit hat Javier Arce die Ansicht vertreten, daß die Texte rein panegyrischer Natur seien.15 Er spricht den Zahlen jeden Realitätsgehalt ab, sieht sie als fiktiv an und ihre einzige Funktion darin, auf pseudoobjektive Art und Weise den Bautenreichtum Roms zu rühmen.16 Wer hat recht? Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Die Zahlen besitzen einen hohen Wahrscheinlich- keitsgehalt, die Fußangaben am Ende der Auflistung der Monumente und Lokalitäten entsprechen sehr genau dem anzunehmenden Umfang der Regionen, und auch die An- gaben zu den Domus und Insulae sind keinesfalls aus der Luft gegriffen, sondern spiegeln eine soziale Diversifizie- Abb.  Severischer Marmorplan der Stadt Rom, nicht rung wider, die sich auch auf der Basis anderer Befunde identifizierte Wohnbauten feststellen läßt.17 Andererseits trifft es durchaus zu, daß zahlreiche Angaben keinen Sinn für ein statistisches Do- hat. Vor seinem geistigen Auge wird allein schon aus der kument ergeben oder daß manche Angaben, etwa die zu Fülle an Namen und Zahlen das Bild einer bautenreichen, den Sitzplätzen in den öffentlichen Vergnügungsbauten, mit Statuen dicht besetzten Stadt aufgezogen sein, die den übertrieben sind.18 Auch die Angaben zu den Stufen in den Bewohnern alle Annehmlichkeiten einer Großstadt bot. Reliefsäulen sind nur unter dem Aspekt eines Lobpreises zu verstehen und ohne konkreten statistischen Wert. b. Zum Vergleich: Die Forma Urbis Romae. Ganz ande- Offenbar hatte man ein älteres Dokument, das durch- rer Art, wenn auch in seiner Intention nicht unähnlich ist aus einem administrativen Zweck gedient haben moch- der severische Marmorplan der Stadt Rom.20 Dieser ur- te, nachträglich in die uns vorliegende Liste umgewan- sprünglich etwa , x , m große Marmorplan scheint

 J. Arce, El inventario de Roma: Curiosum y Notitia, in: der reichen Wohnform Domus und der einfachen Wohnform W. V. Harris (Hrsg.), e Transformation of Urbs Roma in Late Insula bestätigt das gängige Bild einer in den Außenregionen Antiquity () –. ansässigen reicheren Bevölkerungsschicht.  Arce a. O.  f.: «Resulta evidente que la enumeración  C. Hülsen, Il posto degli Arvali nel Colosseo e la ca- de los edificios que contiene cada región es completamente pacità dei teatri di Roma antica, Bullettino della Commissio- arbitraria.» Ebenda : «Estas cifras son ... arbitrarias y fantá- ne archeologica comunale di Roma , , –. sticas.»  Vgl. auch G. Hermansen, e Population of Imperial  Tatsächlich bestätigen die Angaben der Insulae der Rome: e Regionaries, Historia , , . Regionen, aus denen sich Aufschlüsse über die jeweilige Be-  Grundlegend: G. Carettoni – A. M. Colini – L. Cozza – völkerungsdichte gewinnen lassen, unser Bild einer im Zen- G. Gatti (Hrsg.), La pianta marmorea di Roma (); E. Rod- trum stark bevölkerten, in den Randgebieten und dem Mars- riguez Almeida, Forma Urbis Marmorea. Aggiornamento ge- feld schwächer besiedelten Stadt. Auch das Verhältnis zwischen nerale  ().  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen  auf den ersten Blick einen getreuen Abriß des kaiserzeitli- Gerade bei den Großbauten findet sich auch die größte chen Rom darzustellen. Die erhaltenen Fragmente zeigen, Präzision des Plans. Auf sie kam es offenbar besonders an. daß die Grundrisse der einzelnen Gebäude in zum Teil be- An ihnen konnte der Betrachter des Plans den großstäd- achtlicher Detailtreue wiedergegeben sind, daß diese Teile tischen Charakter der Urbs ermessen. eines kohärenten Ganzen sind, das präzise die Bebauung Der Plan weist starke Verzerrungen auf.21 Die Abwei- Roms spiegelt (Abb. . ). Und doch darf diese Detailtreue chung in der Ausrichtung der einzelnen Gebäude ist be- nicht zur Annahme verleiten, daß der Plan auch in dieser trächtlich. Zudem schwankt auch der Maßstab erheblich, Detailliertheit konsultiert wurde. Gegen diese Vorstel- und zwar von : bis :, was allein schon zeigt, daß es nicht um einen getreuen Plan der Stadt ging, als man die Marmortafeln ausarbeitete. Auch nennen die Inschrif- ten nur bedeutende Baulichkeiten, Vollständigkeit im Sin- ne einer Totalerfassung der Bausubstanz war nicht ange- strebt. Hinweise auf Regionengrenzen oder Besitzverhält- nisse fehlen völlig. Somit kann die Forma Urbis kaum als Katasterplan oder Register für die kaiserliche Verwaltung gedient haben.22 Die Suche nach einem konkreten Zweck dieses Plans, die die ältere Forschung beschäftigte, geht in die Irre. Es ging von vornherein um etwas ganz ande- res, nämlich um eine Zurschaustellung des Bautenreich- tums der Stadt.23 Der Plan ist ein «bildliches Äquivalent zur panegyrischen Beschreibung Roms», also ein Äquiva- lent zu Texten, in denen «aufgezählt wird, was die Stadt an Besonderheiten zu bieten hat und wie sie alle anderen Städte des Römischen Reiches übertrifft».24 Abb.  Severischer Marmorplan der Stadt Rom, Rekonstruktion Bildliche Darstellungen und beschreibender Text sind – nach Henner v. Hesberg das sollte dieser Vergleich zwischen den spätantiken Regio- nenverzeichnissen und dem severischen Marmorplan zei- lung spricht bereits der Anbringungsort. Der Plan war an gen – offenbar austauschbar. Beide Medien hatten für den der Rückwand eines Seitensaals des Friedensforums an- Betrachter beziehungsweise Leser vergleichbare Funktio- gebracht, wie aus dem Fundort der Fragmente sowie den nen. Sie führen die zivilisatorische Einzigartigkeit Roms vor noch heute erhaltenen Befestigungslöchern an eben die- Augen, und zwar beide in Abbreviaturen: Der Plan ersetzt ser Wand hervorgeht. Der Betrachter mochte zwar auf das Bild durch Zeichen, der Text die Beschreibung durch den unteren Partien des Plans Einzelheiten erkannt haben, Aufzählung. Beide sollten im Rezipienten eine bestimm- die oberen Partien aber verschwammen zu einem verwir- te Vorstellung evozieren. Dabei kam es auf eine akribische renden Gesamtbild von Grundrissen und Straßenzügen, Betrachtung oder Lektüre nicht an. Plan und Text bringen das nur mehr sehr oberflächlich rezipiert werden konnte zwar zuverlässige Detailinformationen, doch bestand darin (Abb. ). Es waren nicht die Detailinformationen, es war nicht der eigentliche Zweck der Stadtdarstellungen. Hin- die Fülle an Details, welche die Wirkung dieses Plans aus- ter der Fülle von zeichenhaft angegebenen beziehungswei- machte. Viele Bauten besaß Rom, prächtige Bauten besaß se aufgezählten Bauten verbirgt sich ein Lob auf die Stadt, Rom, zur Gänze überzogen mit Bauten, in denen sich die deren Schönheit und Bedeutung beide Medien vor allem überlegene Zivilisation ausdrückte, war die Stadt Rom. durch die Qualität der Fülle vermitteln wollen.

 K. Brodersen, Terra Cognita. Studien zur römischen te der Stadt in der Antike ()  f.; Brodersen a. O. ; Raumerfassung () . Chr. Hänger, Die Welt im Kopf. Raumbilder und Strategie im  So etwa O. A. W. Dilke, Roman large-scale mapping in Römischen Kaiserreich ()  f. the Early Empire, in: J. B. Harley – D. Woodward (Hrsg.), e  H. v. Hesberg, Römische Grundrißpläne auf Marmor, History of Cartography I. Cartography in prehistoric, ancient in: Bauplanung und Bautheorie in der Antike, Diskussionen zur and medieval Europe and the Mediterranean () –, archäologischen Bauforschung  () –. Zitat: eben- hier ; G. Gatti, Data, scopo e precedenti della pianta, in: Ca- da . Brodersen a. O. . rettoni – Colini – Cozza – Gatti a. O. –, hier  ff.  R. Lanciani, Ricerche sulle XIV Regioni urbane, Bul-  Vgl. L. Taub, e Historical Function of the Forma Ur- lettino della Commissione archeologica comunale di Roma , bis, Imago Mundi , , –; F. Kolb, Rom. Die Geschich- , –, hier  ff.; A. Chastagnol, Les régionnaires de  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Bezeichnenderweise hat man in der älteren Forschung legung der Pracht, die sich in der Fülle der Bauten und auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß die ge- Monumente äußert. nannten Regionenverzeichnisse einst durch einen Stadt- Das zeigt sich auch in denjenigen Dokumenten, die in plan Roms ergänzt wurden.25 Wechselseitig sollten sich sehr reduzierter Form Bauten und Örtlichkeiten Roms Plan und Regionenverzeichnis zu einer getreuen Bestands- nennen. Eine solche Liste ist der sogenannte Laterculus aufnahme Roms ergänzen. Doch geht diese Vorstellung des Polemius Silvius, ein Verzeichnis aus der Mitte des zu sehr von einer konkreten Zweckgebundenheit aus, die fünften Jahrhunderts, das eine «enumeratio fabricarum man dem Plan beziehungsweise den Regionenkatalogen urbis Romae» enthält.28 Diese knappe Auflistung von Hü- nicht absprechen wollte, wie ja überhaupt diese Vorstel- geln, Örtlichkeiten, Bauten, Wohnanlagen und Aquäduk- lung in einer Zeit aufkam, in der die ersten Baedeker pu- ten dürfte auf der Grundlage eines den Regionenverzeich- bliziert wurden. Zudem müßte man dann eine Erklärung nissen verwandten Dokuments erstellt worden sein.29 Mit finden, warum die Texte in allen mittelalterlichen Abschrif- dem Laterculus besitzen wir eine weitere Vereinfachungs- ten eben ohne jenen fiktiven Plan kopiert wurden. Plan stufe der spätantiken Regionenverzeichnisse, was bereits und Liste hatten keinen offiziellen Dokumentcharakter, zeigt, daß ihr Sinn eben nicht in der Vollständigkeit der beide dienten wie auch die literarischen Beschreibungen Angaben liegt. Abermals geht es um eine Darlegung der Roms dem Städtepreis. Bedeutung Roms am Beispiel der wichtigsten Großbau- ten, in denen der städtische Charakter und die Einzigar- c. Weitere spätantike Rombeschreibungen. Eine der Noti- tigkeit Roms zum Ausdruck kommen. Ergänzend treten tia und dem Curiosum nicht unähnliche, wenn auch um- Verzeichnisse von Toponymen hinzu, die lehrbucharti- fangreichere Liste muß einem uns unbekannten Mönch gen Charakter haben. vorgelegen haben, der eine ‹Beschreibung Roms› verfaß- Neben diesen listenartigen Aufzählungen existiert eine te.26 Dieser Text wurde früher dem Bischof von Mytile- Reihe von literarischen Beschreibungen Roms. Zu ihnen ne, Zacharias, zugeschrieben, hat sich aber als anonymes gehört die Schilderung des Rombesuchs Konstantius’ II. Werk des späten sechsten Jahrhunderts erwiesen. Der Au- im Jahre  durch Ammianus Marcellinus.30 Der Kaiser tor macht in der Einleitung zu seiner Liste keinen Hehl stattete den wichtigsten Bauten und Monumenten seinen daraus, daß diese der Vergegenwärtigung der Schönheit, Besuch ab. Geblendet vom Glanz des Forums richtete er des Wohlstands und der Annehmlichkeiten dient, die die in der Kurie eine Rede an die Senatsversammlung, dann Stadt Rom zu bieten hat:27 «Die Erzählung über die Zier- von den Rostra an das versammelte Volk. Zu dem Besich- de der Stadt lautet wie folgt: nämlich der Reichtum der tigungsprogramm des Kaisers zählten der Tempel des Ju- Römer, ihr großes und außerordentliches Glück, ihr Lu- piter Tarpeius, die ermen «so groß wie Provinzen», xus und großes und vortreffliches Vergnügen, wie es einer das Kolosseum, «zu dessen höchstem Punkt kaum je der großen und wundersamen Stadt eignet. Die Einzigartig- menschliche Blick hinreicht», das Pantheon – «wie eine keit der Zierde der Stadt ist nämlich wie folgt, ohne daß abgerundete Stadtgegend» –, die Reliefsäulen «mit ihren die Schönheit im Inneren der Häuser und die Pracht der im Inneren nach oben führenden Wendeltreppen», das Säulen in ihren Atrien und Peristylen, ihrer Treppen und Templum Urbis Romae, das Friedensforum, das Pompe- außerordentlichen Höhe eingerechnet sind, wie es sich ge- justheater, das Odeon und das Stadion des Domitian auf hört für eine Stadt von wundersamer Größe.» dem Marsfeld. Wir sehen, wie selbst diese aus der fikti- Es ging also auch Pseudo-Zacharias bei der Kompila- ven Perspektive des Kaisers geschriebene Stadtbeschrei- tion seiner Liste nicht um eine Erfassung der Stadt unter bung zu einer Liste von bedeutenden Großbauten gerät, in administrativen Gesichtspunkten, sondern um eine Dar- der diese mit Superlativen der verschiedensten Art belegt

Rome, Entretiens sur l’antiquité classique , , –, voluptatibus magnis et splendidis, ut in urbe magna mirae am- hier . plitudinis. Est vero praestantia ornatus eius ita, praeter pulcri-  Ediert bei Zacharias Rhetor, Hist. Eccl. (= CSCO Script. tudinem quae intra domos est, et aedificationem amplam co- Syri ), ed. E. W. Brooks () –; Valentini – Zucchetti lumnarum atriorum eorum et villarum eorum, et scalarum I –; I. Guidi, Il testo siriaco della descrizione di Roma eorum et altitudinem eorum sublimem‚ ut in urbe illa mirae nella storia attribuita a Zaccaria Retore, Bullettino della Com- amplitudinis.» missione archeologica comunale di Roma , , –.  Ediert bei . Mommsen, Chronica Minora I, MGH  Zacharias Rhetor, Hist. Eccl.  ₂₆– ₅, ed. Brooks AA IX () –; Valentini – Zucchetti I –. = Valentini – Zucchetti I : «Narratio autem ornamentorum  Valentini – Zucchetti I . urbis sermone succincto data ita se habet, de opulentia eorum  Ammianus Marcellinus , , –. et de felicitate eorum multa ac praestante, ex luxibus eorum et  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen  werden. Besonderen Eindruck muß das Forum Trajans auf Stadtvierteln gleichgesetzt, bestaunen sogar die Götter re- den Kaiser gemacht haben: Selbst die Götter – so Ammi- spektvoll die Prachtbauten. an – zollten dem Bauwerk Respekt. Wie eng Listen und literarische Beschreibungen beiein- Einen ähnlichen Anlaß hatte die Beschreibung Roms in anderliegen, zeigt sich im Detail. Ammian läßt nicht un- dem Panegyricus auf das sechste Konsulat des Honorius, erwähnt, daß Wendeltreppen im Inneren der Reliefsäu- den Claudius Claudianus im Jahre  verfaßte. Im Rah- len den Besucher auf die Spitze derselben führen – einen men dieser Festrede liefert Claudian eine überschwengli- identischen Hinweis, ergänzt um die Zahl der Stufen und che Beschreibung der Stadt Rom, die der Kaiser aus An- der Fenster, finden wir in den spätantiken Regionenver- laß des Konsulatsantritts besuchte. Claudian läßt den Blick zeichnissen.34 Olympiodor, der vor allem die Häuser und über das Stadtzentrum schweifen, wo sich ja auch die Ze- ermen lobt, nennt am Ende den Umfang der Stadtmau- remonie des Amtsantritts ereignete.31 Er beschreibt Pala- er – mit derselben Angabe eines Stadtumfangs endet die tin und Kapitol, verweist auf die Vielzahl der Tempel, Bild- Liste des Pseudo-Zacharias.35 Es sind immer Monumen- werke und Bögen, wobei für ihn vor allem der Metallglanz te beziehungsweise Monumentgattungen, die das Staunen entscheidend ist: In ihm manifestiert sich der Reichtum hervorrufen sollen: Foren, Tempel, ermen, Wasserlei- der Stadt. Nicht unähnlich verfährt Rutilius Namatianus in tungen, eater, das Kolosseum, die Reliefsäulen, Statuen, seiner  verfaßten Beschreibung Roms. Auch ihm geht aber auch Wohnhäuser. es nicht um das Funktionieren der Stadt, um das Leben in Freilich sind in den Beschreibungen auch Topoi zu dieser Stadt, sondern allein um deren Erscheinungsbild.32 fassen, gerade wenn auf die unendliche Pracht einzelner Fasziniert vom Bautenreichtum der Stadt, von den gewal- Bauten oder aber auf deren schwindelerregende Größe tigen Wasserleitungen, welche die Stadt durchziehen, von verwiesen wird. Doch entwerten diese Topoi die Stadt- den ermen und Brunnen, den Parkanlagen und den Säu- beschreibungen nicht, im Gegenteil: Gerade diese stets lenhallen konstatiert Rutilius, daß in dieser Stadt ewiger wiederholten Verweise auf die Größe und Pracht zeigen, Frühling herrsche. Selbst die nur in Exzerpten des Patri- wie tief die Vorstellung, daß sich Pracht, Luxus und Reich- archen Photios bekannte kurze Beschreibung Roms des tum, eben die Bedeutung einer Stadt in deren Bautenfülle Olympiodor rekurriert auf die gängigen Kriterien.33 Sie manifestiert, im Unbewußten verankert war. Dies war das preist die Größe und Pracht der römischen Aristokraten- Bild, das sich beim Leser einstellte, der diese Texte las, dies häuser, nennt die ermenanlagen, um dann den Umfang war die Vorstellung, die die Autoren leitete, als sie zur Fe- der Stadtmauer anzugeben. der griffen. Das Bild der Stadt Rom war in der Spätantike Man mag gegen diesen Überblick über die spätantiken nicht mehr Folge einer objektiven Anschauung, sondern Rombeschreibungen einwenden, daß hier Texte in Form ein Idealbild, das man während seines Aufenthalts in der von Listen neben literarischen Zeugnissen angeführt wer- Stadt bestätigt zu sehen wünschte.36 den. Doch zeigte sich, daß die Aufzählung in der Art der In den eben erörterten Stadtbeschreibungen lag die Be- Regionenverzeichnisse und die literarischen Beschreibun- tonung stets auf den antiken Prachtbauten, heidnischen gen im Sinne eines Claudian ähnlich verfahren, indem sie wie profanen Ursprungs, artikulierte sich gerade in die- die Pracht der Stadt Rom durch die Vielzahl bedeutender sen der großstädtische Charakter Roms. Erstmals tauchen Bauten definieren. Die Beschreibungen sind daher keine christliche Kultbauten in der Liste des Pseudo-Zacharias Beschreibungen im eigentlichen Sinne, deren Ziel es ist, auf. Er beginnt seine Stadterfassung mit der Nennung von dem Objekt der Anschauung so nah wie möglich zu kom- vierundzwanzig Kirchen, geht dann aber zu einer Beschrei- men. Ihr Ziel ist es, beim Leser eine Idealvorstellung der bung über, die nur die bereits bekannten Monumenten- Stadt Rom zu evozieren. Daher wird mit Superlativen nicht gattungen kennt. Und doch zeigt die Nennung der christ- gegeizt, werden etwa die ermen und das Pantheon mit lichen Kultbauten an erster Stelle, daß sich die Definition

 Claudian, de IV. cons. Honorii, v. –. ne Bausubstanz, vor allem aber die öffentlichen Prachtbauten  Rutilius Namatianus, de reditu , –. der Stadt zu konservieren, zum anderen eine selektive Rezep-  Olympiodor, fr. , ed. C. Müller, Fragmenta histori- tion des urbanen Umfelds, die Bewohner wie Besucher Roms corum graecorum IV () ; Valentini – Zucchetti I . ausschließlich diejenigen Aspekte der Stadt wahrnehmen ließ, J. Matthews, Western Aristocracies and Imperial Court, A. D. die diesem Idealbild entsprachen. Vgl. hierzu F. A. Bauer, Beati- – ()  ff. tudo Temporum. Die Gegenwart der Vergangenheit im Stadt-  Curiosum, ed. Valentini – Zucchetti I  und ; No- bild des spätantiken Rom, in: F. A. Bauer – N. Zimmermann titia, ed. Valentini – Zucchetti I  und . (Hrsg.), Epochenwandel? Kunst und Kultur zwischen Antike  Zacharias Rhetor, Hist. Eccl. , ed. E. W. Brooks. und Mittelalter () –.  Vor diesem Hintergrund sind zwei Phänomene von Be-  G. Schneider, Gli autori e il criterio di compilazione de- deutung, zum einen der intensive Versuch, die überkomme- gli antichi itinerari delle catacombe romane, Nuovo Bullettino  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

von ‹Stadt› allmählich auf die Kirchen zu verlagern begann, erreicht man die , über eine weitere Quer- die innerhalb und außerhalb der Mauern das Stadtbild do- straße dann die , über die man wieder in die minierten, als Herbergen bedeutender Reliquien religiöse Stadt gelangt. Eine längere Route wird auch zwischen der Verehrungszentren bildeten und zahlreiche Besucher an- zogen. Zu diesen Besuchern zählten Scharen von Pilgern, die seit der Spätantike in großer Zahl und zum Teil von weit her nach Rom kamen.

. Frühmittelalterliche Itinerare

Die Interessenverlagerung auf die vorstädtischen Märty- rerheiligtümer im Frühmittelalter ist Ursache für die Ent- stehung einer Gattung von Quellen, die oft als Itinerare, ja gar als Pilgerführer bezeichnet wurden und werden.37 Tatsächlich haben diese Itinerare, wie sich zeigen wird, nur selten einen praktischen Zweck; in der Regel handelt es sich um Verzeichnisse, die kaum topographische Infor- mationen für einen Romunkundigen beinhalten.

a. Notitia Ecclesiarum Urbis Romae. Ein solches Verzeich- nis sind die Notitia Ecclesiarum Urbis Romae (Abb. ), die wohl gegen Ende des Pontifikats Honorius’ I. abgefaßt wur- den, wie die auffallende Betonung der Bautätigkeit dieses Papstes nahelegt.38 Der Name ist mißverständlich, da mit Ausnahme der Kirche Ss. Giovanni e Paolo nur extraurbane Heiligtümer aufgelistet sind. Offensichtlich ging es haupt- sächlich darum, Grabstätten der Märtyrer zu benennen und sie mit Hilfe von Wegbeschreibungen topographisch zu ver- ankern. Das zeigt sich darin, daß der Text den Leser in der zweiten Person anspricht («vadis», «pervenies», «intrabis» etc.). Dabei ging der Verfasser so vor, daß er nicht sche- matisch Ausfallstraße für Ausfallstraße die hier gelegenen Martyria auflistete, sondern es werden auch Querverbin- dungen zwischen den Ausfallstraßen genannt, die es dem Abb.  Notitia Ecclesiarum Urbis Romae; Wien, Pilger ermöglichen, auf dem Hin- und Rückweg jeweils ver- Nationalbibliothek. Cod. Vienn. , fol. r schiedene Ziele anzusteuern.39 So wird ein Weg beschrie- ben, der, von der Porta Flaminia ausgehend, zu S. Valenti- und der beschrieben: Man verläßt no und dann über eine Verbindungsstraße zur die Stadt durch die Porta Latina, besucht die Heiligtümer vetus führt. Von hier erreicht man die Via Salaria nova und an der Via Latina, zweigt aber dann von hier nach Süden folgt dieser stadtauswärts. Über eine andere Querstraße ab, um S. Sebastiano an der Via Appia zu erreichen. Nach

di Archeologia Cristiana , , –; H. Leclercq, DACL man, More veterum  ff. (Geertman vermutet eine Datierung VII  () – s. v. Itinéraires; Bauer, Anonymus Ein- des Texts nach dem Pontifikat eodors I. [–], was m. E. sidlensis –; R. Santangeli Valenzani, Le più antiche gui- wenig plausibel ist). de romane e l’Itinerario di Einsiedeln, in: M. d’Onofrio (Hrsg.),  Die Rekonstruktion der Wege auf der Grundlage der Romei e Giubilei. Il pellegrinaggio medievale a San Pietro, – Notitia Ecclesiarum bei Bauer, Anonymus Einsidlensis  f.,  () –. und V. Fiocchi Nicolai, Sacra Martyrum loca circuire: percor-  De Rossi, RSC I –; Leclercq a. O.  f.; F. A. si di visita di pellegrini nei santuari martiriali del suburbio Ro- Bauer in: Carlo Magno  f. Nr. . Ediert bei Valentini – Zuc- mano, in: L. Pani Ermini (Hrsg.), Christiana Loca. Lo spazio chetti II –; Itineraria et alia geographica (= Corpus Chri- cristiano nella Roma del primo millenio () –, hier stianorum ), F. Glorie (Hrsg.), () –. Zur Datierung –. vgl. Leclercq a. O.  f.; Valentini – Zucchetti II  f.; Geert-  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen  dem Besuch der hier gelegenen Heiligtümer biegt man in braucht, die an eine Nutzung als Itinerar denken lassen, die Via Ardeatina ein und folgt von hier einer Querstraße, etwa im Falle der Via Salaria: «Auf dieser Straße kommt die nach St. Paul vor den Mauern führt. Die einzelnen Na- man zur Kirche des Heiligen Michael am siebten Meilen- men werden nicht bloß genannt, vielmehr wird durch ent- stein vor der Stadt» (per eandem quoque venitur viam ad sprechende Präpositionen die Reihenfolge der Lokalitäten ecclesiam Sancti Michaelis, VII miliario ab urbe). Bereits verdeutlicht. Richtungsangaben («ad australem», «ad ori- entem» etc.) helfen dem Pilger bei der Orientierung. Zu- gleich werden erklärende Angaben zu den Baulichkeiten, deren Geschichte sowie zur Beschaffenheit und Lage der Gräber gegeben. Im späteren achten Jahrhundert wurde dieses Itinerar um eine präzise Beschreibung der Peterskir- che erweitert.40 Dabei beschreibt der Verfasser auch einen Weg durch die Kirche, der den Besucher zu den verschie- denen Kapellen und Papstgräbern führt. b. De locis sanctis martyrum quae sunt foris civitatis Ro- mae. Mit diesem Titel ist ein in Listenform abgefaßtes Iti- nerar versehen.41 Es muß wohl etwas später als die Notitia Ecclesiarum entstanden sein, jedoch noch vor der Transla- tion der Gebeine der Heiligen Primus und Felicianus nach S. Stefano Rotondo im Jahre .42 Das Itinerar nennt ge- gen den Uhrzeigersinn Ausfallstraße für Ausfallstraße die dort gelegenen Heiligtümer, beginnend mit der an der gelegenen Peterskirche, die in der Notitia Eccle- siarum den Abschluß bildet. Aufgezählt werden die Loca sancta und ihre Märtyrer, selten werden geographische Angaben gemacht, die das Auffinden erleichterten, etwa die Angabe der Entfernung in Meilen von Rom. Außer- dem bezieht dieses Itinerar weiter entfernte Pilgerziele mit ein, so etwa die am dreizehnten Meilenstein der Via Cor- nelia gelegenen Gräber der Heiligen Maria, Marius, Aba- Abb.  Verzeichnis römischer Coemeterien; BAV, Cod. Vat. cuc und Audifax oder die sieben Meilen entfernte Gene- Chig. A. V. , fol. r rosakatakombe an der . Auch die bei Al- bano gelegene Grabstätte des Heiligen Senator ist in die Giovanni Battista De Rossi vermutete, daß es sich um die ‹Beschreibung› der an der Via Appia gelegenen Kultstät- Epitome aus einer umfangreicheren Beschreibung han- ten aufgenommen. delt.43 Auf dieses Verzeichnis folgt eine Liste innerstäd- Querverbindungen zwischen den Straßen werden nicht tischer Kirchen unter dem Titel «diese Kirchen befinden angegeben, die Heiligengräber werden Straße für Straße sich in Rom» (istae vero ecclesiae intus Romae habentur). aufgeführt, und zwar ohne die für die Notitia Ecclesiarum Fraglos stammt dieser Appendix aus einer anderen Quel- so charakteristische ‹Du-Form›, die den Pilger führen soll, le. Dafür spricht auch die unsystematische – und bei wei- sondern in der dritten Person («ibi est», «ibi pausat», «re- tem nicht komplette – Nennung der Kirchen. quiescit» etc.). Nur selten werden Formulierungen ge-

 Valentini – Zucchetti II, –. Zu diesem ‹Rundgang›  Leclercq a. O. . Ediert bei: Valentini – Zucchetti durch St. Peter siehe De Rossi, ICUR II , und Kap. VII . II –; Itineraria et alia geographica a. O. –; R. A. B.  De Rossi, RSC I – und –; Leclercq a. O. Mynors, William of Malmesbury, Gesta Regum Anglorum I  f. Ediert bei: Valentini – Zucchetti II –; Itineraria () –. et alia geographica a. O. –; Geertman, More veterum  De Rossi, RSC I ; H. Leclercq, DACL VII  ()  ff. ; Valentini – Zucchetti II  f.  Leclercq a. O. ; Valentini – Zucchetti II  f.  P. Guidi, L’antico documento cimiteriale cristiano noto  De Rossi, RSC I –, ebenso Leclercq a. O. . sotto il nome di ‹catalogo dei cimiteri di Roma›, Rendiconti del- la Pontificia Accademia Romana di Archeologia , , –  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

c. Weitere Listen von römischen Heiligengräbern. Ähnlich mitgebrachten Ölreliquien. So endet der Text auch mit strukturiert ist ein frühmittelalterliches Itinerar, das sich den Worten: «Diese heiligen Öle brachte zur Zeit unseres in den im zwölften Jahrhundert kompilierten ‹Gesta re- Herrn, des Papstes Gregor, der unwürdige Sünder Johan- gum Anglorum› des Wilhelm von Malmesbury findet.44 Es nes der Königin eodelinde aus Rom» (Quas [sic] olea listet alle vierzehn Stadttore auf und nennt die an den ent- sprechenden Ausfallstraßen gelegenen Heiligengräber. Da die Heiligen Primus und Felicianus zur Abfassungszeit ihr Grab bereits in S. Stefano Rotondo hatten, muß der Text nach  abgefaßt worden sein. Andererseits werden nur wenige innerstädtische Heiligengräber genannt, so daß er vor der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts entstan- den sein muß, in der man in großem Maßstab Heiligen- gebeine in die Stadt schaffte.45 Ebenfalls eine bloße Auflistung aller ‹Cymiteria› an den Ausfallstraßen stellt ein Verzeichnis dar, das sich heute im Vatikan befindet und wohl nicht nach dem siebten Jahr- hundert entstanden ist (Abb. ).46 Es beginnt ebenfalls mit der Via Salaria, endet mit der Via Portuensis und ordnet somit die Pilgerwege im Uhrzeigersinn an, wenn auch Ver- tauschungen vorkommen. Eine weitere Abstraktionsstufe stellt das ‹Itinerar› des Priesters Johannes dar, der unter Papst Gregor I. auf ei- nem Papyrus eine Liste der ‹Cymiteria totius urbis Ro- mae› anfertigte, die sich bis heute erhalten hat (Abb. ).47 Hintergrund war ein Auftrag der langobardischen Köni- gin eodelinde (–), Johannes möge Reliquien von Rom nach Monza bringen, für die dort von der Königin gestiftete Johanneskirche. Anstatt der Reliquien brachte der Priester Ampullen mit dem Öl der vor den Märtyrer- gräbern brennenden Lampen mit.48 Der Priester versah sein Verzeichnis mit dem Titel «Verzeichnis der Öle der Abb.  Verzeichnis römischer Ölreliquien; Papyrus im heiligen Märtyrer, deren Leiber in Rom ruhen» (Notula Domschatz von Monza de olea sanctorum martyrum qui Romae in corpore re- quiescunt id est) und führte nach Ausfallstraßen geordnet sancta temporibus domni Gregorii papae adduxit Johan- die Namen der Heiligen auf, deren Lampen er Öl entneh- nes indignus et peccator dominae eodolindae reginae de men konnte. Allerdings blieben dabei einige Heiligengrä- Roma). Dennoch konnte auch dieser Text eine Vorstellung ber unberücksichtigt, so etwa die an der Via Portuensis, von Rom evozieren, indem er auf die Vielzahl der Heili- , Via Latina und . gengräber und damit auf die Präsenz zahlreicher Heiligen Wenn so auch eine itinerarähnliche Auflistung entstand, vor den Mauern Roms verwies. Auch Dokumente, deren so ist doch der Zweck dieses Dokuments zunächst ein an- vornehmlicher Zweck nicht der einer Stadtbeschreibung derer, nämlich der schriftliche Nachweis der Echtheit der war, konnten ein ‹Bild› der Stadt vermitteln.

. Zur Datierung vgl. Valentini – Zucchetti II  f. Ediert bei pulcri, I Papiri della Basilica di Monza e le reliquie inviate da Valentini – Zucchetti II –; Itineraria et alia geographica Roma, Archivio storico lombardo , , –; H. Lec- a. O. –; F. A. Bauer in: Carlo Magno  f. Nr. . lercq, DACL XI  () – s. v. Monza; B. Kötting, Pe-  Ediert bei: Valentini – Zucchetti II –; Itineraria et regrinatio Religiosa ()  f.; A. Lipinsky, Der eodelin- alia geographica a. O. –. Leclercq a. O. –. deschatz im Dom zu Monza, Das Münster , , –,  O. Marucchi, Il valore topografico della silloge di Ver- hier  f.; F. A. Bauer in: Carlo Magno  f. Nr. . Abgefüllt dun e del papiro di Monza, Nuovo Bullettino di Archeologia wurde das Öl in kleine, inschriftlich gekennzeichnete Pilger- Cristiana , , –, hier –; G. Bonavena, La sil- ampullen, die sich bis heute im Domschatz von Monza erhal- loge di Verdun e il papiro di Monza () bes. –; A. Se- ten haben: Lipinsky a. O. –.  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Abb.  Anonymus Einsidlensis, Sylloge; Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. Einsidlensis , fol. v–r

d. Das Itinerar des Anonymus Einsidlensis. Kein Schrift- und reihte sich damit in den Strom der unzähligen Pilger stück berührt die Frage der Interrelation von Text und Bild ein, die in frühmittelalterlicher Zeit nach Rom kamen.52 so sehr wie der nach seinem heutigen Aufbewahrungsort Besondere Aufmerksamkeit hat stets das Itinerar, eine so genannte Anonymus Einsidlensis.49 Die Handschrift, Sammlung von elf ‹Wegbeschreibungen› hervorgerufen, die kurz vor oder um  in Fulda entstand,50 besteht aus da diese von unschätzbaren Wert für die Topographie des drei Teilen: einer Inschriftensammlung, einem Itinerar und frühmittelalterlichen Roms sind (Abb. ). Doch sind die einer Beschreibung der Stadtmauern Roms.51 Bezeichnungen ‹Wegbeschreibung› oder gar ‹Pilgerfüh- Die Sylloge ist eine der ältesten erhaltenen Sammlun- rer›, wie sie für dieses Itinerar gelegentlich in Anspruch gen stadtrömischer Inschriften (Abb. ). In roter Majuskel genommen werden, nicht korrekt und unterstellen dem wird der Ort beziehungsweise das Monument angegeben, Schriftstück einen Zweck, den es in seiner vorliegenden darauf folgt in schwarzer Minuskel der Text der Inschrift. Form nicht gehabt haben kann.53 Denn die ‹Wegbeschrei- Der Abschreiber kopierte mehrheitlich Bauinschriften, bungen› geben mit einer Ausnahme nur innerstädtische aber auch die Texte von Inschriftenbasen und Grabstei- Wege wieder, obwohl die für die Pilger interessanten Zie- nen. Er differenzierte nicht zwischen den Inschriften an- le außerhalb der Stadtmauern gelegen waren – selbst die tiker Profanbauten und frühmittelalterlicher Kirchen. Aus Peterskirche fehlt in diesem Itinerar (Abb. ). den Fund- beziehungsweise Anbringungsorten dieser In- Ausgangs- und Zielpunkt des jeweiligen Wegs sind in schriften geht hervor, daß sich der Abschreiber nicht nur roter Majuskelschrift über die gesamte Breite der Dop- innerhalb der Mauern Roms bewegte und hier die wich- pelseite geschrieben. Auf der linken Seite folgen nun die- tigsten Monumente des Altertums, etwa ermen, ea- jenigen Monumente, die sich links des Weges befanden, ter, das Forum Romanum oder die zahlreichen Bögen und auf der rechten Seite diejenigen, die man rechts des We- Brücken besichtigte. Vielmehr suchte er auch die zahlrei- ges sah. Die Namen der Monumente, durch die der Weg chen Märtyrergräber vor den Mauern der Stadt Rom auf hindurchführte, etwa Bögen oder das Forum Romanum,

 Einsiedeln, Bibliothek des Benediktinerstifts, Codex führer durch Rom (); Bauer, Anonymus Einsidlensis passim; Einsidlensis , fol. a–a. De Rossi, ICUR II –; R. Lan- ders. in: Kunst und Kultur der Karolingerzeit II  ff.; ders. in: ciani, L’itinerario di Einsiedeln e l’ordine di Benedetto canoni- Carlo Magno  f. Nr. ; R. Santangeli Valenzani, Le più anti- co, Monumenti antichi , , –; C. Hülsen, La pianta che guide romane e l’Itinerario di Einsiedeln, in: M. d’Onofrio di Roma dell’Anonimo Einsidlense, Dissertazioni della Ponti- (Hrsg.), Romei e Giubilei. Il pellegrinaggio medievale a San ficia Accademia Romana di Archeologia, ser. , , , – Pietro, – () –; ders., L’Itinerario di Einsie- ; H. Leclercq, DACL VII  () – s. v. Itinéraires; deln, in: Roma. Dall’antichità al medioevo. Archeologia e sto- G. Walser, Die Einsiedler Inschriftensammlung und der Pilger- ria () –; D. Bellardini – P. Delogu, Liber Pontificalis  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Abb.  Anonymus Einsidlensis, Sylloge; Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. Einsidlensis , fol. v–r

wurden über beide Spalten geschrieben. Gelegentlich wur- ein wenig abstrakte und oft auch Ungenauigkeiten hervor- den die Namen der Märtyrergräber an den Ausfallstra- rufende ‹Links-rechts-Schema› gezwungen wurden. Man ßen an die einzelnen Wege angehängt. Eine Route jedoch gewinnt fast den Eindruck, daß ein unkundiger Schreiber ist ganz anderer Art: Sie findet sich merkwürdigerwei- versuchte, die Unterlagen eines Rombesuchers zu ord- se in der Sylloge und beschreibt eine Strecke von der En- nen.54 Dafür spricht auch, daß der Kompilator sein Ma- gelsburg über das Marsfeld und den Aventin bis nach St. nuskript mit einer Beschreibung der Stadtmauer Roms be- Paul vor den Mauern. Von hier geht es weiter zu den Co- schloß. Hier wird jeweils für die Abschnitte zwischen den emeterialkirchen an der Via Appia und wieder zurück ins einzelnen Toren die Anzahl der Türme, Zinnen, Schlupf- Stadtgebiet, wo der Weg am Circus Maximus endet. Die- pforten, Latrinen und Schießscharten angegeben. Vorla- se Wegbeschreibung verzichtet auf eine zweispaltige An- ge dafür war wohl ein älteres Dokument, das mit den Ab- ordnung und hängt die einzelnen Lokalitäten mit der Kon- schriften der Inschriften und den – ausführlichen – Weg- junktion «inde ad» aneinander. Interessanterweise bildet beschreibungen nach Fulda gelangte, bevor es in die uns dieser Weg nun die Vorlage für den zehnten Weg des ei- vorliegende Handschrift übertragen wurde.55 gentlichen Itinerars, der nur den Abschnitt von der Porta Als Pilgerführer – wie so oft vermutet – konnte das Kon- Appia bis zum Circus Maximus beschreibt und in der ty- volut aus Inschriftensammlung, Itinerar und Stadtmauer- pischen zweispaltigen Anordnung abgefaßt ist. Das Ma- beschreibung in der uns vorliegenden Form kaum gedient nuskript gibt also zwei verschiedene Bearbeitungsstufen haben. Das Itinerar ist für einen Ortsunkundigen wertlos, wieder. Man darf vermuten, daß die schematischen Weg- da es voraussetzt, daß man die Monumente kennt. Und beschreibungen auf der Basis ausführlicherer Itinerare er- wer die Monumente kannte, dem bot das Itinerar keine stellt und erst in einem zweiten Redaktionsvorgang in das weiteren Informationen.56

e altre fonti: la topografia di Roma nell’VIII secolo, Mededelin- ken Monumente vorzustellen und die Wege, die zu ihnen füh- gen van het Nederlands Instituut te Rome /, /, ren.» –. Itinerar ediert bei: Valentini – Zucchetti II –;  So bereits . Mommsen, Epigraphische Analekten Itineraria et alia geographica a. O. –. –, in: Berichte der sächsischen Gesellschaft der Wissen-  Zu Entstehungszeit und -ort siehe Walser a. O. . schaften, Phil.-hist. Kl. , , –, hier  = ders., Ge-  Stadtrömischen Inschriften: fol. a–a; Itinerar: fol. sammelte Schriften  () –, hier , und Bauer, An- b–a; Stadtmauer: fol. a–a. onymus Einsidlensis  f.  Bauer, Anonymus Einsidlensis  f. und .  Zur Datierung dieses ‹Protoitinerars› in das Pontifikat  So etwa zuletzt Walser a. O. : «Die Absicht ist, den Pauls I. (–) siehe Bellardini – Delogu, a. O. –. fremden Pilgern die wichtigsten christlichen Kirchen und anti-  Bauer, Anonymus Einsidlensis  f.  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Abb.  «Itinerar» des Anonymus Einsidlensis, Rekonstruktion Verf.  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Die wenig benutzerfreundliche Auflistung von Topony- bei Rom um eine Stadt handeln muß, die eine Unzahl von men, die zum Teil weit von dem angegebenen Weg entfernt historischen Monumenten sowohl aus der Antike als auch lagen, führte dazu, daß man eine Romkarte als Grundla- aus der christlichen Epoche beherbergt.61 ge für die Erstellung der Weglisten vermutete. Diese Rom- Die Beschreibung der Stadtmauer Roms, die den Ein- karte habe nicht nur das Stadtgebiet stark verzerrt wieder- siedler Codex beschließt, hatte nicht den Sinn, dem Leser gegeben, wodurch sich die Verschiebungen erklären ließen, die Befestigungsanlagen Roms zu erklären, sondern ziel- auch habe sie sich auf den Bereich innerhalb der Stadt- te mit ihren vielen Detailinformationen eher darauf ab, mauern beschränkt, wodurch man das Fehlen extraurba- die Größe der Anlagen durch die Zahl der Türme, Tore ner Ziele erklären konnte.57 Auch die scheinbar abstrak- und Zinnen anschaulich zu machen und der Vorstellungs- te, wenig schlüssige Erschließung des Stadtgebiets mittels kraft des Lesers das Bild eines weiten und starken Mauer- sich bisweilen überschneidender Wege erkläre sich am be- rings zu liefern, der das in den ersten beiden Codexteilen sten durch eine graphische Vorlage, anhand derer man die imaginierte Bild einer fast unendlich großen und reichen Wegbeschreibungen erstellte. Christian Hülsen, der rich- Stadt umfing. tig erkannte, daß das erhaltene Itinerar nur die reduzier- Es ist wohl kein Zufall, daß diese fehlerhafte Kompila- te Fassung präziser Wegbeschreibungen ist, trennte sich tion älterer Dokumente fern von Rom entstand. Gerade zwar von der Vorstellung, daß eine Karte dem Verfasser weil sich der Text an einen fern der Tiberstadt weilenden als Vorlage diente, hielt es aber für wahrscheinlich, daß Leser richtete, sollte er ein Bild der Stadt Rom entwerfen, eine solche Bestandteil des Itinerars war, da die gekürzten, das jenseits von praktischen Hinweisen dem Romunkun- rein innerstädtischen Wegbeschreibungen nur in Verbin- digen eine lebhafte Vorstellung von ihrer Größe und ih- dung mit einem solchen Romplan verständlich seien.58 Er rem Reichtum geben sollte, dem Reichtum an alten und unternahm den Versuch einer Rekonstruktion dieser ver- neuen, heidnischen und christlichen Bauten. Inschriften- muteten Vorlage: eine kreisrunde Romkarte, in der Monu- sammlung, Itinerar und Mauerbeschreibung ergeben zu- mente mit Beischriften eingetragen sind.59 sammen ein Bild der Stadt, das – gerade weil es nördlich Doch ist auch diese eorie nicht beweisbar und vor der Alpen erstellt wurde – keine eigentlich praktische Be- allem nicht notwendig, um das Dokument zu erklären. deutung hatte. Befreit man sich von der Vorstellung, der Text müsse ei- nen praktischen Zweck im Sinne eines Reiseführers oder eines Pilgerführers haben, dann eröffnen sich neue Weg . Frühmittelalterliche Inschriftensammlungen der Interpretation. Was nennt das Einsiedler Itinerar? Es nennt die Prachtbauten der Kaiserzeit, die das Stadtbild Der Anonymus Einsidlensis eröffnet ein weiteres Pro- nach wie vor dominierten. Und ohne grundlegende Unter- blem in der Frage nach einer sinnvollen Definition von schiede zu machen, stellt der Verfasser diesen Zeugen der ‹Stadtbeschreibungen›, nämlich inwiefern auch Inschrif- großen Vergangenheit die christlichen Kirchen zur Seite. tensammlungen im weitesten Sinne zu diesen zu zählen Dem Leser gestaltet sich das Bild einer Stadt, die aus einer sind.62 Syllogen lassen sich, was die Stadt Rom betrifft, seit Fülle von Bauten und Monumenten der heidnischen An- der Spätantike nachweisen. Seit dem sechsten Jahrhundert tike wie der christlichen Gegenwart bestand.60 begann man mehr oder weniger systematisch die erhal- Auf nichts anderes zielt der Inschriftenteil ab, der den tenen Inschriften abzuschreiben und zu verbreiten.63 Ei- ersten Teil des Einsiedler Codex bildet: Er listet sowohl nige dieser frühen Inschriftensammlungen flossen später die Inschriften der vorchristlichen Epoche auf als auch die in karolingische Syllogen ein, die in der Mehrzahl kom- Inschriften aus den Kirchen und Märtyrerheiligtümern, pilierte Syllogen darstellen, also nicht vor Ort entstanden und zwar innerhalb der Stadtmauern und vor den Mau- sind, sondern aus der Abschrift bereits bestehender Syllo- ern. Abermals wird der Leser davon überzeugt, daß es sich gen. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Inschriften, die

 De Rossi, RSC I  f.; ders., Piante icnographice e pro- eologie , , –, bes. –; ders. Analecta Ro- spettiche di Roma anteriore al secolo XVI ()  f.; H. Jordan, mana –; H. Leclercq, DACL VII  () – s. v. In- Topographie der Stadt Rom im Alterthum II ()  f.; Lan- scriptions (histoire des recueils d’); A. Silvagni, Studi critici in- ciani a. O. ; Valentini – Zucchetti II ; Walser a. O. . torno alle più antiche raccolte di iscrizioni classiche e cristiane  Hülsen a. O. passim. I, Il nuovo ordinamento delle sillogi epigrafiche di Roma ante-  Hülsen a. O. Taf. . riori al sec. XI, Dissertazioni della Pontificia Accademia Ro-  Bauer, Anonymus Einsidlensis –. mana di Archeologia, ser. , , , –; ders., ICUR NS  Bauer, Anonymus Einsidlensis  ff. I xviii–lix; P. Testini, Archeologia cristiana () –.  Literatur: De Rossi, ICUR II v–lxix; H. Grisar, Die  De Rossi, ICUR II lxiv–lxv. christlichen Inschriften in Rom, Zeitschrift für katholische  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Abb.  Vierte Lorscher Sylloge; BAV, Cod. Vat. Pal. , fol. v–r

Bau- beziehungsweise Ausstattungsmaßnahmen komme- lende Titel, willkürliche Zusammenfassung von verschie- morieren, was zeigt, daß das Selektionskriterium die An- denen Epigrammen – stark verunklärt ist.66 Auch sie be- schauung eines bedeutenden Baus und seine Attraktion auf ginnt mit der Peterskirche, wechselt dann nach St. Paul, Besucher waren. Nicht selten lassen sich thematische Kri- um im Anschluß verschiedene Inschriften, meist von Mär- terien beobachten, werden also nur ‹christliche› Inschrif- tyrergräbern an den Ausfallstraßen im Norden und Osten ten von Kirchen oder Heiligengräbern zusammengefaßt Roms aufzulisten. Dabei galt das besondere Augenmerk oder aber nur die Inschriften eines Baus, etwa der Peters- längeren, metrisch abgefaßten Inschriften. kirche.64 Und schließlich ist auch aufschlußreich, daß zahl- Die Lorscher Sylloge (Sylloge Laureshamensis) ist das reiche Inschriften aus dem norditalienischen Raum stam- Resultat einer Zusammenfassung mehrerer älterer In- men, genauer: aus Orten, die der Rombesucher passierte. schriftensammlungen.67 Ihr vierter Teil stellt eine eige- So werden diese Syllogen zu Zeugnissen eines regen Be- ne Sylloge dar, die im siebten Jahrhundert abgefaßt wur- sucher- und Pilgerstroms, der sich aus dem Norden Eu- de (Abb. ).68 Ihr fehlt jedes topographische Ordnungs- ropas in Richtung Rom bewegte. schema. Der Schwerpunkt liegt auf langen, metrischen Inschriften, die aus römischen Märtyrerheiligtümern be- a. Überblick.Eine topographische Ordnung liegt der Syl- ziehungsweise Kirchen stammen. Der erste Teil der Sylloge loge von Tours zugrunde. Wohl im siebten Jahrhundert von Verdun aus dem achten Jahrhundert umfaßt verschie- abgefaßt, reproduziert sie im wesentlichen Inschriften dene Inschriften Roms, sowohl des innerstädtischen Be- vorstädtischer Märtyrerheiligtümer, wobei eine ‹Bewe- reichs wie des Bereichs vor den Mauern; auf ihn folgt eine gungsrichtung› von St. Peter aus im Uhrzeigersinn um Sammlung päpstlicher Epitaphinschriften der Petersbasili- Rom erkennbar ist.65 In dieser Anordnung entspricht die ka, was auf eine Kombination zweier älterer Sammlungen Sylloge von Tours den frühmittelalterlichen Itineraren, al- hinweist.69 Inschriften der wichtigsten römischen Kirchen len voran der Notitia Ecclesiarum Urbis Romae. In An- finden sich in der ersten Lorscher Sylloge vereint, die im sätzen ist eine solche Ordnung auch bei der Sylloge von neunten Jahrhundert entstand (Abb. ).70 Allerdings ist St. Riquier erkennbar, die infolge unsystematischer Ab- hier das thematische Spektrum breiter, werden auch we- schrift von mindestens zwei älteren Sammlungen – feh- niger bedeutende Widmungsinschriften von Privatleuten

 Silvagni a. O.  ff. und  f., vermutete gar, alle früh-  De Rossi, ICUR II  f. mittelalterlichen Syllogen hingen letztlich nur von drei gro-  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. . ßen spätantik-frühmittelalterlichen Sammlungen ab, einer  De Rossi, ICUR II –; O. Marucchi, Il valore to- spätantiken Sammlung klassischer Inschriften aus dem spä- pografico della silloge di Verdun e del papiro di Monza, Nuo- ten . Jahrhundert, einer um  verfaßten Sammlung christ- vo Bullettino di Archeologia Cristiana , , –, hier licher Inschriften der Kirchen in und vor der Stadt sowie einer –; G. Bonavena, La silloge di Verdun e il papiro di Mon- Inschriftensammlung zu St. Peter aus dem . Jahrhundert. za () bes. –; Leclercq a. O. –; Silvagni a. O. –  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. . .  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. –.  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. .  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

Abb.  Erste Lorscher Sylloge; BAV, Cod. Vat. Pal. , fol. v–r

beziehungsweise Würdenträgern referiert. Ebenfalls ohne b. Sinn und Aussage. Welchen Zweck verfolgten diese Syl- topographische Ordnung ist die kleine Sylloge von Würz- logen? In der Epigraphik des neunzehnten Jahrhunderts burg aus dem neunten Jahrhundert, die neun Inschriften galten die frühmittelalterlichen Abschreiber als Prototy- aus römischen Kirchen aufweist.71 pen der Zunft; ihr Ziel sei eine Dokumentation gewesen, Eine Gruppe von Syllogen bringt ausschließlich Inschrif- um die Inschriften zu konservieren. Doch ist eine syste- ten der Peterskirche. Eine topographische Sylloge aus dem matische Erfassung nur in sehr wenigen Fällen bemerkbar. siebten Jahrhundert nennt die Inschriften der in der Vor- Auch ein im modernen Sinne philologisch-historisches In- halle befindlichen Papstgräber sowie die Inschriften über teresse der Kopisten läßt sich nicht feststellen.78 Die Aus- den Portalen der Peterskirche, dann aber auch Inschriften wahl der Inschriften dürfte sehr stark vom Aufenthalts- am Grab Petri.72 Eine weitere Handschrift aus der Zeit um ort der Abschreiber bestimmt sein, die nicht flächendek-  faßt ebenfalls verschiedene Inschriften aus der Peters- kend Stadt und Umland nach inschriftlichen Zeugnissen kirche zusammen und greift hier auf eine uns unbekannte, absuchten, sondern das kopierten, was ihnen unter die ältere Sylloge zurück.73 Die zweite Lorscher Sylloge, ab- Augen kam und sich als lohnend erwies. Zudem ist ein gefaßt gegen Ende des siebten Jahrhunderts, konzentriert deutlicher Schwerpunkt auf Inschriften in Kirchen bezie- sich nur auf die Epitaphien in der Petersbasilika.74 hungsweise Heiligengräbern bemerkbar; sie wurden wohl Die bekannteste dieser Inschriftensammlungen ist die von den Rombesuchern des frühen Mittelalters am häu- des Codex Einsidlensis (Abb. ). De Rossi ging noch davon figsten aufgesucht. Das zeigt auch der Umstand, daß die aus, daß es sich bei ihr um ein aus mehreren Inschriften- meisten der Syllogen in frühmittelalterlichen Handschrif- sammlungen kompiliertes Kompendium handelt.75 Eine ten zusammen mit Itineraren auftreten. Ihre Aussage ist habe ausschließlich die großen heidnischen Bauinschrif- also in der Verbindung mit diesen topographischen Ver- ten kompiliert, eine weitere christliche Grabinschriften der zeichnissen zu suchen. Gerade die Einsiedler Handschrift extraurbanen Coemeterien.76 Sollte dies stimmen, dann illustriert, wie sehr die Verbindung von Inschriftensamm- wäre dies der Beleg für thematische Inschriftensammlun- lung und Itinerar unter dem Aspekt einer ‹Stadtbeschrei- gen, die vor der Kompilation des Einsiedler Codex ent- bung› zu sehen ist. Die Inschriften bilden gleichsam eine standen wären77. Erläuterung zu den Itineraren, belegen und kommentieren

 De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O.  f. derum vermutete, das Ordnungskriterium sei ein ‹gattungs-  De Rossi, ICUR II –. spezifisches›, vom Monumenttyp ausgehendes: Silvagni a. O.  De Rossi, ICUR II  und  f.  f. und .  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. –.  Vgl. Leclercq a. O. : «Les collecteurs de sylloges étai-  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. –. ent plutôt des curieux que des érudits, c’est-à-dire qu’ils pré-  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O. . Vgl. auch féraient recueillir les inscriptions qui s’offraient à leurs yeux Silvagni a. O.  ff. que de les emprunter à des recueils plus anciens, sauf à utili-  Wie schwer es ist, die Urform der dem Kopisten vor- ser ceux-ci pour y puiser quelque inscription de belle mine.» liegenden Syllogen herauszufinden, zeigt, daß A. Silvagni wie-  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen  die Existenz der besuchten Bauten.79 Man kopierte die In- Art war das Bild, das der Leser in seinen Gedanken beim schriften der Stadt, um sie gleichsam als Souvenir nach Lesen der Tituli beziehungsweise Inschriftentexte vor sich Hause zu nehmen.80 Wie die Reliquien, die man der an sehen sollte – unabhängig davon, ob dieser Bau real exi- Heiligengräbern so reichen Stadt entnahm, so waren auch stierte, oder eine literarische Fiktion war?85 diese Inschriften ein Medium, durch das man Teilhabe an der Stadt Rom gewann. Sicherlich war es nicht die Absicht jeder Sylloge, eine . Itinerare und Inschriftensammlungen im Kontext ‹Stadtbeschreibung› zu liefern. Dafür sprechen allein schon die Inschriftensammlungen, die nur vereinzelte In- Die behandelten Quellen mögen in ihren Entstehungs- schriften mehrerer Städte zusammenfassen, etwa die Syl- umständen, ihrer Überlieferung und ihrer unmittelbaren loge des Anonymus Scaliger, die zwischen dem sechsten Zweckabsicht durchaus verschiedenartig sein. Und doch und neunten Jahrhundert entstanden ist und Inschriften verbindet sie die gemeinschaftliche Eigenschaft, daß sie et- aus Rom, Ravenna, Rimini und Trier miteinander kombi- was über die Stadt Rom im weitesten Sinne aussagen. Die niert.81 Und doch versuchen sie, auch im Anschaulichen zu Notitia Ecclesiarum Urbis Romae stellten ein echtes Iti- reproduzieren. Nicht selten ist das Bemühen spürbar, den nerar dar, das Routen erläutert, zeigt, wie man mit mög- monumentalen Vorlagen in der Schriftform nahe zu kom- lichst wenig Streckenaufwand möglichst viele Märtyrer- men.82 Zudem werden in der Regel Inschriften kopiert, die stätten besuchen konnte, und spricht den Pilger in der auch etwas über den Eindruck, dem der Betrachter ausge- zweiten Person an. Das «de locis sanctis martyrum quae setzt war, mitteilen oder aber Informationen über den Bau- sunt foris civitatis Romae» genannte und das bei Wilhelm herrn beziehungsweise Stifter bringen. Damit dienten sie von Malmesbury überlieferte Itinerar hingegen bilden ab- einer Vergegenwärtigung des Umfelds und mochten dazu straktere Auflistungen der verschiedenen Heiligtümer an beigetragen haben, Eindrücke, die mit dem Inschriftenträ- den sternförmig von Rom wegführenden Wegen. Völlig ger verbunden waren, später wieder ins Gedächtnis zu ru- ohne praktischen Wert sind die Listen von Heiligengrä- fen. Sie waren verbreitbar, wurden gesammelt und in den bern, die kommentarlos die Loca sancta an den Ausfall- meisten Fällen topographisch geordnet. Diese wachsen- straßen nennen. Und doch beinhalten all diese Schriften de Abschreibepraxis im frühen Mittelalter blieb wiederum unabhängig von ihrem praktischen Zweck die Grundin- nicht ohne Auswirkungen auf die Inschriften selbst. Nun, formation, daß die Stadt Rom reich an Märtyrern ist, de- da die Verfasser der Epigramme mit der Abschrift rechne- ren Gräber zahllos entlang der Hauptausfallstraßen zu ten, wurden die Inschriften ausführlicher, metrisch abge- finden waren. Wie aus einem ausführlichen Itinerar eine faßt, beschrieben nicht selten, was man ohnehin sah und wenig benutzerfreundliche Liste von Toponymen werden versuchten neben den üblichen Angaben zu Stiftern gera- kann, läßt sich am Beispiel des Anonymus Einsidlensis zei- dezu poetisch-bildhaft den Eindruck zu nennen, den der gen. Wäre es dem ortsunkundigen Kompilator auf topo- Betrachter haben sollte.83 Damit gewannen die Inschrif- graphisch genaue Routenbeschreibungen angekommen, ten ein Eigenleben und konnten auch ohne ihren Träger hätte er wohl kaum die ihm vorliegenden Itinerare derart Sinn ergeben. So groß wurde das Eigenleben der Inschrif- verstümmelt. Aber darum ging es eben nicht. Es ging dar- ten, daß sich eine eigene literarische Gattung ergab: die um, anhand der Bauten- und Monumentenfülle ein Bild Tituli. Dabei handelt es sich um echte Bildbeischriften, der Stadt Rom zu entwerfen. Eine ähnliche Information die kopiert wurden, aber auch um literarische Konstruk- bergen die Inschriftensammlungen, die in der Regel den te, die das Bild eines fiktiven Baus evozieren wollten.83a Ort der Inschrift beziehungsweise das Monument nen- Daher ist auch die so oft in der Forschung gestellte Frage, nen, wenn dieser nicht ohnehin aus der Inschrift hervor- wie denn der Bau oder der Bilderzyklus, der hinter einer geht. Sich über die Auswahlprinzipien der Abschreiber Titulussammlung stand, ausgesehen haben könnte, nicht Gedanken zu machen, dürfte deshalb keinen Sinn haben, richtig gestellt.84 Vielmehr muß die Frage lauten: Welcher da die Abschriften eher zufällig erfolgt sein dürften, wohl

 Vgl. Silvagni a. O. : «Fino al secolo XV non si ha  De Rossi, ICUR II lxv. un esempio di silloge isolata; il medioevo dunque ha avuto un  Vgl. De Rossi, ICUR II vi–vii. Zur Illustration ein nicht- concetto dell’epigrafia che direi pratico, ha raccolto le iscrizio- römisches Beispiel: Paulinus’ von Nola . Brief, der an sei- ni a scopo di devozione, d’esercizio letterario, di controversia, nen Freund Sulpicius Severus gerichtet ist, dient in erster Li- di esaltazione storica, sempre però come complemento di de- nie dazu, diesem Verse zukommen zu lassen, die Severus als scrizioni e di itinerari, di cui vengono a costituire quasi il com- Dekoration für die von ihm errichtete Kirche samt Baptiste- mento storico e letterario.» rium in Primuliacum verwenden konnte. Ganz offensichtlich  Vgl. De Rossi, ICUR II vi–xi. lag eine entsprechende Anfrage vor, auf die Paulinus antwor-  De Rossi, ICUR II –; Leclercq a. O.  f. tete. In dieser Anfrage hatte Severus den Bau und die Bilder  Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter . Spätantike und frühmittelalterliche Rombeschreibungen 

kaum Resultat eines ‹Inschriftenjägers› waren. Und doch Von diesem Spannungsfeld zwischen der Realität, wie erfüllten diese Sammlungen ihren Sinn, indem sie schlag- sie Archäologen und Kunsthistoriker in der Auseinander- lichtartig Verweise auf verschiedene Monumente und Bau- setzung mit dem ‹monumentalen Befund› definieren, und ten lieferten, in denen sich die Größe Roms manifestier- der Realität, wie sie sich in den Gedanken des frühmittel- te. Diese Größe beruhte auf den zahlreichen Zeugnissen alterlichen Rombewohners beziehungsweise -besuchers des Christentums und einer steingewordenen vorchrist- abgespielt haben mag, handelt dieses Buch. Sein Ziel ist es lichen Vergangenheit. nicht, einen Beitrag zu unserem Verständnis der spätan- tik-frühmittelalterlichen Stadt im Sinne einer Bestandsauf- nahme zu leisten. Seine Aufgabe ist es vielmehr, die Ge- . Zusammenfassung danken, Empfindungen und Vorstellungen derjenigen zu rekonstruieren, die sich in dieser Stadt vor so langer Zeit Die Inschriftensammlungen, die in ihrer Aussageabsicht aufhielten. Das bedeutet natürlich nicht, daß der Aspekt den Tituli des Frühmittelalters nicht unähnlich sind, zei- der Gestaltung der Stadt, ihre bauliche Transformation, gen, wie eng Text und Bild im Frühmittelalter miteinan- ihr Wandel in der Ausstattung unberücksichtigt bleibt. der korrespondierten. Die Wahrnehmung wurde nicht aus Aber die Beantwortung dieser Frage ist nicht das Ziel die- der primären Anschauung gewonnen, sondern in einer ses Buchs, sondern ein Etappenschritt auf dem Weg, uns in Vorstellung, die Betrachter wie Leser konstruieren. Der die Gedankenwelt des Frühmittelalters einzuleben. Denn Grund dafür mag darin zu suchen sein, daß der Sinn der mehr als das Wi e soll uns das Wa r u m interessieren: In- geschriebenen wie bildlichen Stadtdarstellungen nicht in wiefern beeinflußten diese Transformationen die Wahr- der Wiedergabe einer wie auch immer gearteten Realität nehmung der Stadt beziehungsweise sind diese Folge ei- bestand, sondern in der Vermittlung einer Idee, die sich ner geänderten Erwartungshaltung an die Stadt? Inwiefern in der Vorstellungswelt des Rezipienten entfaltete. Beide bestätigte das, was der Rombewohner und Rombesucher Formen evozieren überhaupt erst beim Leser beziehungs- sah, letztlich das, was er sehen wollte? weise Betrachter ein Bild der Stadt, konstruieren in seiner Die Protagonisten dieser Geschichte sind die Päpste des Vorstellung eine Realität, die jenseits eines Textes bezie- frühmittelalterlichen Roms. Ihnen gelang es, die Bedeu- hungsweise einer Darstellung liegt. Vor seinem geistigen tung Roms, die in politischer Hinsicht seit der Spätantike Auge entstand erst infolge der Lektüre eines entsprechen- am Absterben war, durch eine Neuorientierung auf die hier den Textes beziehungsweise infolge des Betrachtens eines so zahlreich versammelten Heiligen wiederzubeleben. In- wie auch immer gearteten Objekts eine Vorstellung von dem sie deren Rolle im Stadtbild aufwerteten und Petrus dem Objekt, ja letztlich der Idee, die sich hinter diesen konsequent als legitimierendes Element des Papsttums in- Objekten verbarg. In ihrer Fülle ergeben diese verschie- szenierten, bewahrten sie die Bedeutung der Stadt Rom, denen Vorstellungen das Bild einer Stadt, nicht auf visu- die nicht mehr in der politischen Machtausübung zu fin- ellen Befunden beruhend, sondern ein Bild, das aus einer den war, sondern in der unmittelbar erfahrbaren Präsenz bestimmten Erwartungshaltung und infolgedessen selekti- der Heiligen. Wir entnehmen dies nicht nur den Monu- ven Wahrnehmung resultiert. Anschauung und Beschrei- menten selbst, die noch heute im Stadtbild Roms zu fin- bung stehen dabei in einem engen Wechselverhältnis: In- den sind oder aber sich aufgrund schriftlicher Beschrei- dem die Textquellen eine Vorstellung vermitteln, erzeu- bungen und Zeichnungen aus allen Zeiten rekonstruieren gen sie beim Betrachter eine Erwartungshaltung, die sich lassen. Wir entnehmen dies vor allem einem Schriftstück, auch prompt beim Augenschein bestätigt. das diese Bau- und Ausstattungsmaßnahmen als Kommen- tar begleitet und damit gleichsam zum Drehbuch dieses Stücks wird: dem Liber Pontificalis.

beschrieben, auf die der Nolaner Bischof seine Gedichte ver-  Als Vertreter dieses traditionellen Frageansatzes seien fassen sollte; der Kurier Victor, der die Briefe überbrachte, mag R. Pillinger, Die Tituli Historiarum oder das sogenannte Ditto- zusätzliche Informationen geboten haben. Neben verschiede- chaeum des Prudentius, Denkschriften der Wiener Akademie nen Vorschlägen für mögliche Tituli überliefert Paulinus auch der Wissenschaften, phil.-hist. Kl.  (), und A. Arnulf, diejenigen Tituli, die er selbst in der von ihm errichteten Basi- Versus ad picturas. Studien zur Titulusdichtung als Quellen- lica Nova in Cimitile sowie in der Basilika von Fundi anbrin- gattung der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Hoch- gen hat lassen: auch aus diesen könne Severus auswählen. mittelalter (), genannt. a Vgl. zu dieser Frage auch L. Pietri, Pagina in pariete  Vgl. hierzu J. Elsner, Art and the Roman Viewer () reserata: épigraphie et architecture religieuse, in: A. Donati –, zu den Eikones des Philostrat. (Hg.), La terza età dell’epigrafia (), -.