Plenarprotokoll 768

BUNDESRAT Stenografischer Bericht 768. Sitzung

Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten des Staatsrates Peter Müller (Saarland) zum dritten der Republik Slowenien, Tone H r ovat, stellvertretenden Vorsitzenden . . . 524 A und einer Delegation ...... 521 C Mitteilung: Die Wahl der zweiten stell- vertetenden Vorsitzenden ist für die Sit- Begrüßung einer Delegation der deutsch- zung des Bundesrates am 9. November russischen Freundschaftsgruppe des Födera- 2001 vorgesehen ...... 524 A tionsrates der Russischen Föderation . . . 528 C 3. Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse Dank an Senator Dr. Willfried Maier (Ham- – gemäß § 12 Abs. 1 GO BR – (Drucksa- burg) ...... 521 B che 732/01) ...... 524 A Beschluss: Die Vorsitzenden der Aus- Amtliche Mitteilungen ...... 521 A schüsse werden gemäß dem Antrag des Präsidiums in Drucksache 732/01 ge- Zur Tagesordnung ...... 521 B wählt ...... 524 A

Rückblick des Präsidenten ...... 522 A 4. Wahl der Schriftführer – gemäß § 10 Abs. 1 GO BR – ...... 524 B 1. Wahl des Präsidiums – gemäß Artikel 52 Beschluss: Staatsminister Dr. Manfred Abs. 1 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 GO BR – . . 523 B Weiß (Bayern) und Ministerin Karin Beschluss: Der Regierende Bürgermeister Schubert (Sachsen-Anhalt) werden des Landes , Klaus W owereit, wieder gewählt ...... 524 B wird zum Präsidenten des Bundesrates gewählt. 5. Gesetz zu dem Abkommen vom 11. Okto- ber 1999 über Handel, Entwicklung und Der Ministerpräsident des Landes Rhein- Zusammenarbeit zwischen der Europäi- land-Pfalz, Kurt Beck, der Präsident schen Gemeinschaft und ihren Mitglied- des Senats der Freien Hansestadt staaten einerseits und der Republik Süd- , Bürgermeister Dr. Henning afrika andererseits (Drucksache 759/01) 545 A Scherf, und der Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, wer- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 84 den zu Vizepräsidenten gewählt . . 523 C, D Abs. 1 GG ...... 569*D

2. Wahl des Vorsitzenden und der stellver- 6. Gesetz zu den Änderungen von 1995 und tretenden Vorsitzenden der Europakam- 1998 des Basler Übereinkommens vom mer – gemäß § 45 c GO BR – . . . . . 523 D 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung ge- Beschluss: Es werden gewählt: Regieren- fährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung der Bürgermeister Klaus W owereit (Gesetz zu Änderungen des Basler Über- (Berlin) zum Vorsitzenden, Staatsmi- einkommens) (Drucksache 758/01) . . . 545 A nister Gernot Mittler (Rheinland- Pfalz) zum ersten stellvertretenden Beschluss: Kein Antrag gemäß Art. 77 Vorsitzenden und Ministerpräsident Abs. 2 GG ...... 570*A

Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7999 II Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

7. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Würt- des Richterwahlgesetzes – gemäß Arti- temberg) ...... 551 D kel 76 Abs. 1 GG – Antrag des Landes Mitteilung: Überweisung an die zustän- Baden-Württemberg gemäß § 23 Abs. 3 digen Ausschüsse . . . . . 552 D, 553 A i.V.m. § 15 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 616/01) ...... 545 A 12. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Würt- und Verwendung eines Kennzeichens für temberg) ...... 545 B Erzeugnisse des ökologischen Landbaus (Öko-Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG –) Mitteilung: Überweisung an die zustän- (Drucksache 698/01) ...... 553 A digen Ausschüsse ...... 546 C Rudolf Köberle (Baden-Württem- 8. Entwurf eines ... Strafrechtsänderungs- berg) ...... 573*A gesetzes – Graffiti-Bekämpfungsgesetz Erika Görlitz (Bayern) ...... 553 A (... StrÄndG) – gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag des Landes Baden-Würt- Matthias Berninger, Parl. Staatsse- temberg gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. kretär bei der Bundesministerin für § 15 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – Verbraucherschutz, Ernährung und (Drucksache 765/01) ...... 546 D Landwirtschaft ...... 553 C Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Würt- Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 temberg) ...... 546 D, 549 D Abs. 2 GG ...... 554 B Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) . 547 D 13. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär des Schuldbuchrechts des Bundes und im Bundesministerium der der Rechtsgrundlagen der Bundesschul- Justiz ...... 548 C, 549 D denverwaltung (Bundeswertpapierver- waltungsgesetz – BWpVerwG) – gemäß Wolfgang Clement (Nordrhein-West- Artikel 76 Abs. 2 Satz 4 GG – (Drucksa- falen) ...... 549 B che 700/01) ...... 545 A Prof. Dr. Kurt Schelter (Brandenburg) 571*C Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Mitteilung: Überweisung an die zustän- Abs. 2 GG ...... 570*A digen Ausschüsse ...... 550 B 14. Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung 9. Entwurf einer Verordnung zur Änderung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des der Verordnung über den Ausgleich bundesstaatlichen Finanzausgleichs und gemeinwirtschaftlicher Leistungen im zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Straßenpersonenverkehr (PBefAusglV) Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – – Antrag des Landes Brandenburg – SFG) (Drucksache 734/01) ...... 554 C (Drucksache 669/01) ...... 550 B Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg- Beschluss: Die Vorlage wird in der fest- Vorpommern) ...... 554 C gelegten Fassung gemäß Art. 80 Abs. 3 Wolfgang Gerhards (Sachsen-An- GG der Bundesregierung zugeleitet . 550 C halt) ...... 555 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staats- 10. Entschließung des Bundesrates zur Re- sekretärin beim Bundesminister form der Arbeitsförderung – Antrag der der Finanzen ...... 556 D Länder Thüringen, Bayern und Baden- Württemberg, Hessen, Saarland, Sachsen – Rudolf Köberle (Baden-Württem- (Drucksache 658/01) ...... 550 C berg) ...... 573*D

Franz Schuster (Thüringen) . . . 550 C Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 557 C Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 571*D

Beschluss: Die Entschließung wird nicht 15. Entscheidung über Fristverlängerung gefasst ...... 551 C gemäß Artikel 76 Abs. 2 Satz 3 GG Entwurf eines Gesetzes zur Einführung 11. Entschließung des Bundesrates zur Um- des diagnose-orientierten Fallpauscha- wandlung der Gesetze zur Förderung lensystems für Krankenhäuser (Fallpau- eines Freiwilligen Sozialen Jahres und schalengesetz – FPG) – gemäß Artikel 76 eines Freiwilligen Ökologischen Jahres Abs. 2 GG – (Drucksache 701/01) . . . 557 C in ein allgemeines Freiwilligengesetz – Antrag des Landes Baden-Württemberg Beschluss: Zustimmung zu dem Vorschlag gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 und des Ständigen Beirates in Drucksache § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 772/01) 551 C 701/1/01 ...... 557 C Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 III

16. Entwurf eines Gesetzes zur Neurege- 22. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung lung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) des Gesetzes vom 20. Mai 1997 zur Revi- (Drucksache 596/01) ...... 557 C sion des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die Annahme einheitlicher Franz Schuster (Thüringen). . . . 574*A Bedingungen für die Genehmigung der Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Ausrüstungsgegenstände und Teile von Abs. 2 GG ...... 558 B Kraftfahrzeugen und über die gegen- seitige Anerkennung der Genehmigung 17. Entwurf eines Versorgungsänderungs- (Drucksache 706/01) ...... 545 A gesetzes 2001 – gemäß Artikel 76 Abs. 2 Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Satz 4 GG – (Drucksache 735/01) . . . 558 B Art. 76 Abs. 2 GG ...... 570*B Rudolf Köberle (Baden-Württem- berg) ...... 558 B 23. Entwurf eines Gesetzes über die Aufhe- Jürgen Gnauck (Thüringen) 559 A, 561 A bung des Gesetzes zur Förderung der Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatsse- Rationalisierung im Steinkohlenbergbau kretär beim Bundesminister des (Drucksache 707/01) ...... 545 A Innern ...... 560 A Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Jochen Riebel (Hessen) . . . . . 574*C Art. 76 Abs. 2 GG ...... 570*B Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 561 D 24. Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 12. Juli 2001 zwischen der Bun- 18. Entwurf eines ... Gesetzes zur Ände- desrepublik Deutschland und der Volks- rung der Strafprozessordnung – gemäß republik China über Sozialversicherung Artikel 76 Abs. 2 Satz 4 GG – (Drucksache (Drucksache 699/01) ...... 545 A 702/01) ...... 561 D Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Art. 76 Abs. 2 GG ...... 570*B Abs. 2 GG ...... 562 A 25. Mitteilung der Kommission der Europäi- 19. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung schen Gemeinschaften an den Rat und der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen das Europäische Parlament: Vollendung Parlaments und des Rates vom 16. Fe- des Energiebinnenmarktes bruar 1998 über das Inverkehrbrin- gen von Biozid-Produkten (Biozidgesetz) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- – gemäß Artikel 76 Abs. 2 Satz 4 GG – schen Parlaments und des Rates zur Än- (Drucksache 703/01) ...... 562 A derung der Richtlinien 96/92/EG und Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) 575*D 98/30/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 den Erdgasbinnenmarkt Abs. 2 GG ...... 562 C Vorschlag einer Verordnung des Europäi- 20. Entwurf eines Siebten Gesetzes zur schen Parlaments und des Rates über die Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes Netzzugangsbedingungen für den grenz- (Drucksache 704/01) ...... 562 C überschreitenden Stromhandel – gemäß Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 358/01) 563 A Abs. 2 GG ...... 562 D Beschluss: Stellungnahme ...... 563 B

21. Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung 26. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- zur gewerblichen Erzeugung von Elek- schen Parlaments und des Rates zur An- trizität (Drucksache 705/01) . . . . . 562 D gleichung der Rechts- und Verwaltungs- vorschriften der Mitgliedstaaten über Wolfgang Jüttner (Niedersachsen) . 576*D Werbung und Sponsoring zugunsten von Wilhelm Dietzel (Hessen) . . . . 577*D Tabakerzeugnissen – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 555/01) . . . . 563 B Claus Möller (Schleswig-Holstein) . 579*C Matthias Berninger, Parl. Staatsse- Jürgen Trittin, Bundesminister für kretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Verbraucherschutz, Ernährung und sicherheit ...... 580*C Landwirtschaft ...... 582*B Beschluss: Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG ...... 563 A Beschluss: Stellungnahme ...... 563 C IV Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

27. Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- Willi Stächele (Baden-Württemberg) 544 A päischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finan- Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg- ziellen Interessen der Gemeinschaft Vorpommern) ...... 568*D – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksa- Wolfgang Senff (Niedersachsen) . . 569*A che 657/01) ...... 545 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Beschluss: Stellungnahme ...... 570*C Abs. 2 GG nach Maßgabe der ange- nommenen Änderungen – Annahme 28. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- von Entschließungen . . . . 544 D, 545 A schen Parlaments und des Rates zur Än- derung der Richtlinie 83/477/EWG des 34. Einunddreißigste Verordnung zur Ände- Rates über den Schutz der Arbeitnehmer rung der Kosmetik-Verordnung (Druck- gegen Gefährdung durch Asbest am Ar- sache 656/01) ...... 545 A beitsplatz – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 659/01) ...... 545 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG ...... 571*A Beschluss: Stellungnahme ...... 570*C

29. Vorschlag für eine Verordnung des Eu- 35. Verordnung zur Änderung der Sachbe- ropäischen Parlaments und des Rates zugsverordnung (Drucksache 708/01) . . 545 A über den Arbeitskostenindex – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 660/01) 545 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG ...... 571*A Beschluss: Stellungnahme ...... 570*C 36. Verordnung über die Anlage des gebun- 30. Grünbuch der Kommission der Euro- denen Vermögens von Versicherungsun- päischen Gemeinschaften: „Europäische ternehmen (Anlageverordnung – AnlV) Rahmenbedingungen für die soziale Ver- (Drucksache 709/01) ...... 545 A antwortung der Unternehmen“ – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 674/ Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 01) ...... 545 A Abs. 2 GG ...... 571*A Beschluss: Stellungnahme ...... 570*C 37. Verordnung nach § 104 g Abs. 2 des Ver- 31. Mitteilung der Kommission der Europäi- sicherungsaufsichtsgesetzes über die Be- schen Gemeinschaften an den Rat, das rechnung der bereinigten Solvabilität Europäische Parlament und den Wirt- von Erstversicherungsunternehmen, die schafts- und Sozialausschuss: Unterstüt- gemäß § 104 a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des zung nationaler Strategien für zukunfts- Versicherungsaufsichtsgesetzes einer zu- sichere Renten durch eine integrierte sätzlichen Beaufsichtigung unterliegen Vorgehensweise – gemäß §§ 3 und 5 (Solvabilitätsbereinigungs-Verordnung – EUZBLG – (Drucksache 600/01) . . . . 563 C SolBerV) (Drucksache 712/01) . . . . 545 A Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 582*C Abs. 2 GG ...... 571*A Beschluss: Stellungnahme ...... 563 D 38. Verordnung über Ausnahmen zum Ver- 32. Vorschlag für eine Verordnung des Rates bringungs- und Einfuhrverbot von ge- zur Einführung befristeter Schutzmaß- fährlichen Hunden in das Inland (Hunde- nahmen für den Schiffbau – gemäß §§ 3 verbringungs- und -einfuhrverordnung – und 5 EUZBLG – (Drucksache 676/01) . 545 A HundVerbrEinfVO) (Drucksache 444/01) 545 A

Beschluss: Stellungnahme ...... 570*C Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- 33. Erste Verordnung zur Änderung der senen Änderungen – Annahme einer Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung Entschließung ...... 570*C (Drucksache 429/01) ...... 539 B 39. Vierunddreißigste Verordnung zur Än- Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) 539 C derung straßenverkehrsrechtlicher Vor- Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) . . 540 B schriften – 34. StVRÄndV (Drucksache 570/01, zu Drucksache 570/01) . . . . 564 A Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 541 A Beschluss: Renate Künast, Bundesministerin für Zustimmung gemäß Art. 80 Verbraucherschutz, Ernährung und Abs. 2 GG nach Maßgabe der ange- Landwirtschaft ...... 542 A nommenen Änderungen ...... 564 C Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 V

40. a) Verordnung über die Erteilung einer 46. Entschließung des Bundesrates zu einer Verwarnung, Regelsätze für Geld- Ergänzung der Allgemeinen Verwal- bußen und die Anordnung eines Fahr- tungsvorschrift zum Staatsangehörig- verbots wegen Ordnungswidrigkei- keitsrecht (StAR-VwV) vom 13. Dezem- ten im Straßenverkehr (Bußgeldkata- ber 2000 – Antrag des Freistaates Bayern log-Verordnung – BKatV) (Drucksache gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 571/01) 806/01)

b) Allgemeine Verwaltungsvorschrift über 47. Entschließung des Bundesrates zur wirk- die Aufhebung der Allgemeinen Ver- sameren Bekämpfung des internationa- waltungsvorschrift für die Erteilung len Terrorismus und Extremismus – An- einer Verwarnung bei Straßenver- trag der Länder Baden-Württemberg, kehrsordnungswidrigkeiten (Verwarn- Bayern, Hessen und Saarland, Sachsen, VwV) (Drucksache 629/01) . . . . . 545 A Thüringen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 807/01) Beschluss zu a): Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG nach Maßgabe der 48. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung beschlossenen Änderungen – Annahme von Vorschriften des Sozialdatenschutzes einer Entschließung ...... 570*C zur Verstärkung des Schutzes der Bevöl- kerung (Sozialdatenschutzänderungsge- Beschluss zu b): Zustimmung gemäß setz) – gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG – An- Art. 84 Abs. 2 GG nach Maßgabe der trag des Freistaates Bayern gemäß § 36 beschlossenen Änderung . . . . . 570*C Abs. 2 GO BR – (Drucksache 826/01)

41. Sechzehnte Verordnung zur Änderung und der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (Drucksache 681/01) 545 A 49. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 des Ausländergesetzes – gemäß Artikel 76 Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- Abs. 1 GG – Antrag der Länder Bayern, senen Änderungen ...... 570*C Niedersachsen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 841/01) ...... 524 B

42. Zweite Verordnung zur Änderung der Erwin Teufel (Baden-Württem- Pfandleiherverordnung (Drucksache 680/ berg) ...... 526 D, 533 B 01) ...... 545 A Wolfgang Clement (Nordrhein-West- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 falen) ...... 528 D Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- Heiner Bartling (Niedersachsen) . . 528 D senen Änderung ...... 570*C Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) . 530 B 43. Abkommen zwischen der Regierung der Prof. Dr. Kurt Schelter (Brandenburg) 532 A Bundesrepublik Deutschland und der Re- Erwin Sellering (Mecklenburg-Vor- gierung des Königreichs Belgien über pommern) ...... 533 A die Zusammenarbeit der Polizeibehör- den und Zollverwaltungen in den Grenz- Otto Schily, Bundesminister des In- gebieten (Drucksache 714/01) . . . . 545 A nern ...... 533 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 59 Reinhold Bocklet (Bayern) . . . . 567*A Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 84 Abs. 2 GG . 571*A Walter Zuber (Rheinland-Pfalz) . . 568*A Claus Möller (Schleswig-Holstein) . 568*A 44. Verfahren vor dem Bundesverfassungs- gericht (Drucksache 757/01) . . . . . 545 A Mitteilung zu 45 und 47 bis 49: Überwei- sung an die zuständigen Ausschüsse 539 A, B Beschluss: Von einer Äußerung und einem Beitritt wird abgesehen . . . 571*B Mitteilung zu 46: Überweisung an den zuständigen Ausschuss für Innere An- gelegenheiten ...... 539 A 45. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes – gemäß Artikel 76 Abs. 1 und 3 Satz 4 GG – An- Nächste Sitzung ...... 564 C trag des Landes Schleswig-Holstein gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ge- 781/01) mäß § 35 GO BR ...... 564 A/C, 565 A/C in Verbindung mit Feststellung gemäß § 34 GO BR . . . . 565 A/C VI Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

Verzeichnis der Anwesenden

Vorsitz: Berlin:

Präsident K urt Beck, Ministerpräsident des Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister Landes Rheinland-Pfalz Klaus Böger, Bürgermeister und Senator für Amtierender Präsident D r. Henning Scherf, Schule, Jugend und Sport Präsident des Senats, Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen – zeitweise – Wolfgang Wieland, Bürgermeister und Senator für Justiz

Christiane Krajewski, Senatorin für Finanzen Schriftführerin:

Karin Schubert (Sachsen-Anhalt) Brandenburg:

Dr. h.c. Manfred Stolpe, Ministerpräsident Schriftführer: Prof. Dr. Kurt Schelter, Minister der Justiz und für Dr. Manfred Weiß (Bayern) Europaangelegenheiten

Baden-Württemberg: Bremen:

Erwin Teufel, Ministerpräsident Dr. Henning Scherf, Präsident des Senats, Bürger- meister, Senator für kirchliche Angelegenheiten und Senator für Justiz und Verfassung Dr. Thomas Schäuble, Innenminister

Prof. Dr. Ulrich Goll, Justizminister Reinhard Metz, Staatsrat beim Senator für Finan- zen Rudolf Köberle, Minister und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund

Willi Stächele, Minister für Ernährung und Länd- : lichen Raum Dr. Willfried Maier, Senator, Präses der Stadtent- Dr. Friedhelm Repnik, Sozialminister wicklungsbehörde und Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund

Bayern: Hessen:

Reinhold Bocklet, Staatsminister für Bundes- und Roland Koch, Ministerpräsident Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei, Bevollmächtigter des Freistaates Bayern beim Bund Jochen Riebel, Minister für Bundes- und Euro- paangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei Dr. Manfred Weiß, Staatsminister der Justiz Dr. Christean Wagner, Minister der Justiz Erika Görlitz, Staatssekretärin im Staatsminis- terium für Gesundheit, Ernährung und Ver- Wilhelm Dietzel, Minister für Umwelt, Landwirt- braucherschutz schaft und Forsten Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 VII

Mecklenburg-Vorpommern: Sachsen-Anhalt:

Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident Karin Schubert, Ministerin der Justiz

Erwin Sellering, Justizminister Wolfgang Gerhards, Minister der Finanzen

Niedersachsen: Schleswig-Holstein:

Heiner Bartling, Innenminister Claus Möller, Minister für Finanzen und Energie

Wolfgang Senff, Minister für Bundes- und Euro- paangelegenheiten in der Staatskanzlei Thüringen: Wolfgang Jüttner, Umweltminister Jürgen Gnauck, Minister für Bundes- und Euro- paangelegenheiten in der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen: Franz Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit Wolfgang Clement, Ministerpräsident und Infrastruktur

Hannelore Kraft, Ministerin für Bundes- und Eu- Dr. Andreas Birkmann, Justizminister ropaangelegenheiten im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten und Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund

Bärbel Höhn, Ministerin für Umwelt und Natur- Von der Bundesregierung: schutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Birgit Fischer, Ministerin für Frauen, Jugend, Fa- Otto Schily, Bundesminister des Innern milie und Gesundheit Renate Künast, Bundesministerin für Verbrau- cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Rheinland-Pfalz:

Gernot Mittler, Minister der Finanzen Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit Walter Zuber, Minister des Innern und für Sport Hans Martin Bury, Staatsminister beim Bundes- Margit Conrad, Ministerin für Umwelt und kanzler Forsten

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Saarland: desminister des Innern

Peter Müller, Ministerpräsident Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Peter Jacoby, Minister für Finanzen und Bundes- beim Bundesminister der Finanzen angelegenheiten

Monika Beck, Staatssekretärin, Bevollmächtigte Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der des Saarlandes beim Bund Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

Sachsen: Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Arbeit und Sozialordnung Stanislaw Tillich, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten in der Sächsischen Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundes- Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Frei- ministerium der Justiz staates Sachsen beim Bund

Georg Brüggen, Staatsminister und Chef der Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministe- Staatskanzlei rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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768. Sitzung

Berlin, den 19. Oktober 2001

Beginn: 9.33 Uhr Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf nun Ihre Aufmerksamkeit auf die Ehrentribüne len- Präsident Kurt Beck: Guten Morgen, meine sehr ken. Dort hat der Präsident des Staatsrates der Repu- geehrten Damen und Herren, ich eröffne die 768. Sit- blik Slowenien, Herr Tone H r ovat, in Begleitung zung des Bundesrates. einer Delegation des Staatsrates Platz genommen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Exzellenz! Nachdem einige von uns – ich darf mich gemäß § 23 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung Verän- dazuzählen – bereits in den vergangenen Tagen Gele- derungen in der Mitgliedschaft bekannt zu geben: genheit zu einem Meinungsaustausch mit Ihnen hat- ten, darf ich Sie hier im Plenarsaal des Bundesrates Die Regierung des Saarlandes hat am 25. Septem- sehr herzlich willkommen heißen. ber 2001 den Chef der Staatskanzlei, Herrn Staatsse- kretär Karl Rauber, und die Bevollmächtigte des Ihr Besuch setzt die politischen Kontakte zwischen Saarlandes beim Bund, Frau Staatssekretärin Monika dem Slowenischen Staatsrat und dem Bundesrat fort, (B) Beck, zu weiteren stellvertretenden Mitgliedern des die mit einem Besuch des früheren Präsidenten des (D) Bundesrates bestellt. Den neuen Mitgliedern des Staatsrates, Herrn Professor Kristan, im Jahre 1993 Hauses wünsche ich mit uns allen eine gute und ver- begonnen hatten. Vor kurzem noch ist der Vorsitzende trauensvolle Zusammenarbeit. Frau Kollegin Beck ist der Europakammer des Bundesrates, Herr Staatsmini- dem Hause seit längerem als Bevollmächtigte ihres ster Mittler, in Ihrem Hause empfangen worden. Landes verbunden. Ich darf an dieser Stelle auch Frau Staatsrätin Gut zehn Jahre nach der Unabhängigkeit Ihres Dr. Kerstin Kießler als neue Bevollmächtigte der Landes kann Slowenien beachtliche Erfolge in politi- Freien Hansestadt Bremen herzlich willkommen scher und wirtschaftlicher Hinsicht vorweisen. Slowe- heißen. nien gehört deshalb zu den Beitrittskandidaten für die Erweiterung der Europäischen Union. Hier hat sich Lassen Sie mich im Übrigen darauf hinweisen, dass die Beitrittsperspektive weiter konkretisiert. Auch die Herr Senator Dr. Willfried Maier heute zum letzten Annäherung an die westlichen Bündnisstrukturen Mal an einer Plenarsitzung des Bundesrates teilnimmt. macht den Weg deutlich, den Ihr Land in einem Jahr- Er hat sich als Mitglied dieses Hauses und Bevollmäch- zehnt erfolgreicher Arbeit beschritten hat. tigter der Freien Hansestadt Hamburg durch seine en- gagierte Arbeit in den Organen des Bundesrates sowie Die Bundesrepublik betrachtet die Entwicklung in im Vermittlungsausschuss hohe Anerkennung erwor- Slowenien mit großer Sympathie und strebt eine wei- ben. Wertschätzung hat auch seine stellvertretende Sit- tere Verstärkung der Zusammenarbeit an. So ist uns zungsleitung hier im Plenum – wofür ich mich persön- Ihr Besuch, Herr Präsident, auch ein Zeichen freund- lich herzlich bedanke – gefunden. Ich danke Ihnen, schaftlicher Verbundenheit unserer beiden Ländern. verehrter Herr Kollege Maier, im Namen des Hauses und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Sie haben in zahlreichen Gesprächen in Mainz, Potsdam und Berlin einen Eindruck von der Entwick- (Beifall) lung des vereinten Deutschland gewinnen können. Ich wende mich nun der Tagesordnung zu. Sie liegt Wir werden später noch Gelegenheit zu einem weite- Ihnen in vorläufiger Form mit 49 Punkten vor. Die Ta- ren, ausführlichen Meinungsaustausch haben, bevor gesordnungspunkte 45 bis 49 werden verbunden und sich Ihr Besuch seinem Ende zuneigt. nach Punkt 4 behandelt. Im Anschluss daran wird Ta- gesordnungspunkt 33 aufgerufen. Im Übrigen bleibt es Verehrter Herr Präsident, ich wünsche Ihnen noch bei der ausgedruckten Reihenfolge der Tagesordnung. einen angenehmen Aufenthalt und später eine gute Heimkehr. Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Dies ist nicht der Fall. Dann ist sie so festgestellt. (Beifall) 522 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Präsident Kurt Beck (A) Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor wir in sichere Zukunft gewährleisten können. Unsere Auf- (C) die Tagesordnung eintreten, ist, der Gepflogenheit fol- gabe ist es, das Notwendige und Menschenmögliche gend, ein Rückblick auf das nun ablaufende Jahr mei- dazu zu tun. ner Präsidentschaft zu geben. Bei einer solchen Gele- Ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit der genheit wird deutlich, wie rasch ein Jahr vorbeigeht. Arbeit dieses Hohen Hauses ist die Rentenreform. Ich möchte zunächst Ihnen allen danken und sagen, Man neigt dazu, große und schwierige Debatten rasch dass der Bundesrat in dem ablaufenden Geschäftsjahr aus dem Gedächtnis zu verlieren, wenn sie erledigt recht fleißig gewesen ist. Wir haben uns mit 797 Ta- sind. Ich meine, diesbezüglich sind Weichen gestellt gesordnungspunkten befasst. Der Bundesrat hat worden, die weit über den Tag hinausreichen. Weite- 149 Gesetzentwürfe der Bundesregierung im ersten re Beispiele sind die Reform des Betriebsverfassungs- Durchgang behandelt. Er hat darüber hinaus 24 Ge- rechts und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher setzentwürfe des Bundesrates der Bundesregierung Partnerschaften. zugeleitet. Wir haben 15 Vorlagen aus dem Vermitt- Ein Thema wird seine Bedeutung sicherlich behal- lungsausschuss beraten. 108 Verordnungen und ten – es ist für uns Länder herausragend –: die Rege- 160 EU-Vorlagen sind über Ihren Tisch gegangen. lung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und die Dies zeigt zum einen, wie sehr die Bedeutung der Fortführung des Solidarpaktes im vereinigten europäischen Ebene in unserer Arbeit zugenommen Deutschland. Der Föderalismus hat bei dieser Gele- hat. Die Zahl der miteinander auf den Weg gebrach- genheit seine Handlungs- und Funktionsfähigkeit ten Initiativen und der Vermittlungsverfahren macht unter Beweis gestellt. Unser Haus hat belegt, dass Be- zum anderen deutlich, wie breit im ablaufenden Ge- kenntnisse zu Solidarität und zum Miteinander im schäftsjahr die Übereinstimmung in diesem Hause wiedervereinigten Deutschland nicht nur in Festre- war und – ich bin zuversichtlich – auch in der Zukunft den zum Ausdruck kommen, sondern auch dann ma- sein wird. nifest werden, wenn es um handfeste finanzielle In- teressen geht. Wenn man sich einige inhaltliche Schwerpunkte in Erinnerung ruft, so fallen in besonderer Weise die Re- Dass dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, sondern gierungskonferenz von Nizza sowie die Bitten und bewusst weitergeführt wird – hin zur Modernisierung Wünsche ins Auge, die dieses Hohe Haus der Bundes- der bundesstaatlichen Ordnung –, will ich an dieser regierung dazu mit auf den Weg gegeben hat. Es ist Stelle hervorheben. Er wird uns sicherlich noch man- erfreulich, festhalten zu dürfen, dass durch die ent- ches abverlangen. Wir waren uns in diesem Hohen sprechenden Entscheidungen der so genannte Nach- Hause jedoch immer darüber einig, dass es darauf an- Nizza-Prozess eingeleitet worden ist. Diesem haben kommt, die Länder auf die Zukunft vorzubereiten und (B) wir uns ebenso zugewendet wie den Ergebnissen der ihre Rolle im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik (D) Regierungskonferenz. Deutschland so zu festigen, dass sie dem Geist des Grundgesetzes entspricht. Wir haben versucht, den Nach-Nizza-Prozess aktiv zu begleiten. Es hat eine breit angelegte Konferenz Ich habe in meiner Antrittsrede erklärt, in der Zeit unter Beteiligung von Vertretern der Bundesregie- meiner Präsidentschaft zwei Themen besonders zu rung und vieler Regierungen von EU-Mitgliedstaaten beachten und zu befördern. sowie von Beitrittskandidatenländern stattgefunden, Das erste betrifft die Rolle der Länder im europäi- auf der wir uns insbesondere mit der Rolle der Länder, schen Geschehen. Wir haben sie auf der soeben er- der Rolle des Föderalismus in einem zusammenwach- wähnten Fachkonferenz, in vielen Begegnungen mit senden Europa befasst haben. der Kommission, dem Europäischen Parlament und Ich erinnere an die intensive und sehr verantwor- dem Ausschuss der Regionen immer wieder deutlich tungsvolle Debatte zum NPD-Verbotsantrag, der hier zu machen versucht. Der Besuch des Präsidenten des mehrheitlich beschlossen worden ist und dem Bun- AdR, Jos Chabert, im vergangenen Monat bei uns desverfassungsgericht zwischenzeitlich zur Entschei- ist Ausdruck dieses Bemühens und der Erkenntnis, dung vorliegt. dass es notwendig ist, sich entsprechend zu positionie- ren. Ich hoffe, dass das, was wir diesbezüglich immer Das Thema der inneren Sicherheit hat immer eine wieder angemahnt haben, seine Wirkung nicht verfehlt große Rolle gespielt. Dass es nach dem 11. September und tief ins Bewusstsein derjenigen dringt, die am Pro- dieses Jahres eine besondere Dimension erhalten hat zess des Zusammenwachsens Europas beteiligt sind. und unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren und zu entscheiden ist, muss ich nicht erwähnen. Wir wer- Das zweite Thema ist die Beteiligung der Bürgerin- den uns auch am heutigen Tag mit einer breiten Pa- nen und Bürger am demokratischen Willensbil- lette von Tagesordnungspunkten zu diesem Themen- dungs- und Entscheidungsprozess. In diesem Hohen komplex befassen. Haus, das allein auf Grund seines Äußeren sehr viele gute Möglichkeiten bietet, sind im ablaufenden Ge- Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal schäftsjahr zahlreiche Gruppierungen von Bürgerin- unsere Solidarität und unser Mitgefühl mit den von nen und Bürgern, die sich in besonderer Weise enga- den Terroranschlägen betroffenen Menschen in den gieren, empfangen worden. Wir haben mit ihnen die Vereinigten Staaten auszudrücken und unsere Hoff- Diskussion gesucht und Meinungen ausgetauscht. nung zu bekräftigen, dass man des Terrors auf der Welt Herr wird, dass Vernunft einkehrt und wir den Erstmals in Berlin ist ein Tag der offenen Tür durch- Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eine geführt worden. Er hat eine Resonanz gefunden, die Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 523 Präsident Kurt Beck (A) wir alle nicht erwartet haben. Dies sollte Anstoß sein Karin Schubert (Sachsen-Anhalt), Schriftführerin: (C) – ich darf diese Anregung in aller Kollegialität und Baden-Württemberg Ja Freundschaft an meinen Nachfolger weitergeben –, unser Haus zumindest einmal im Jahr für die Bürge- Bayern Ja rinnen und Bürger sowie die Besucherinnen und Be- Berlin Ja sucher dieser Stadt zu öffnen. Brandenburg Ja Die Bemühungen, das Ehrenamt, das bürgerschaft- liche Engagement in den Mittelpunkt des Bewusst- Bremen Ja seins unserer Bevölkerung zu rücken und unsere An- Hamburg Ja erkennung dafür auszusprechen, haben sich in einem erstmals gesetzten Schwerpunktthema zum Tag der Hessen Ja Deutschen Einheit am 3. Oktober niedergeschlagen. Mecklenburg-Vorpommern Ja Ich bin allen Ländern dankbar, die sich daran beteiligt und diese Schwerpunktbildung durch ihre Präsenta- Niedersachsen Ja tionen und durch die Entsendung von Bürgerdelega- Nordrhein-Westfalen Ja tionen unterstrichen haben. Das ist wichtig für die Verankerung des demokratischen Bewusstseins und Rheinland-Pfalz Ja der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger mitzu- Saarland Ja wirken. Es ist sicherlich auch ein bedeutender Beitrag zum Jahr des Ehrenamtes, zum „Internationalen Jahr Sachsen Ja der Freiwilligen“, das die Vereinten Nationen ausge- Sachsen-Anhalt Ja rufen haben. Schleswig-Holstein Ja Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist an Thüringen Ja mir, danke schön zu sagen: Ihnen, den Mitgliedern dieses Hohen Hauses, dass Sie mir die Arbeit im ab- laufenden Jahr meiner Präsidentschaft relativ leicht Präsident Kurt Beck: Demnach kann ich fest- gemacht haben, und allen, die darüber hinaus mitge- stellen, dass Herr Regierender Bürgermeister Klaus wirkt haben, in erster Linie Ihnen, Herr Direktor Wowereit für das Geschäftsjahr 2001/2002 ein- Oschatz, sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitar- stimmig zum Präsidenten des Bundesrates gewählt beitern, den Bevollmächtigten, den Mitarbeiterinnen ist. und Mitarbeitern der Landesvertretungen in Berlin, Herr Regierender Bürgermeister, ich frage Sie: Neh- (B) (D) aber auch der Bundesregierung für die gute, faire und men Sie die Wahl an? offene Zusammenarbeit. Es bleibt mir noch, uns für unsere gemeinsame Ar- Klaus Wowereit (Berlin): Ja, ich nehme die Wahl an. beit alles Gute zu wünschen, meinem Nachfolger die besten Wünsche mit auf den Weg zu geben und, da man nach der Präsidentschaft die Vizepräsidentschaft Präsident Kurt Beck: Dann spreche ich Ihnen im übernimmt, kollegiale Zusammenarbeit im Präsidium Namen des Hauses Glückwünsche aus. Alles Gute für anzubieten. Ihre Aufgabe!

In diesem Sinne erhoffe ich mir weiterhin Entschei- (Beifall – Gratulation im Halbrund) dungen, die unserem Volk, unserem Land dienen und Wir kommen nun zur Wahl der Vizepräsidenten. uns im Reigen der europäischen Staaten, im Reigen Nach dem üblichen Turnus schlage ich Ihnen zur der demokratischen und freiheitlichen Staaten nach Wahl vor: zum Ersten Vizepräsidenten den Präsiden- vorne bringen. Ich verbinde damit den tief empfunde- ten des laufenden Geschäftsjahres, zum Zweiten Vi- nen Wunsch, dass wir in Frieden und geschützt vor zepräsidenten den Präsidenten des Senats und Bür- Terror in die Zukunft gehen können. – Ich danke germeister der Freien Hansestadt Bremen, Herrn Ihnen. Dr. Henning Scherf, zum Dritten Vizepräsidenten den Ministerpräsidenten des Saarlandes, Herrn Peter (Beifall) Müller. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Mit Ihrem Einverständnis lasse ich über diese Vorschläge gemeinsam abstimmen. Wer zustimmen Wahl des Präsidiums möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Nach dem beim Bundesrat üblichen Turnus schlage Es ist einstimmig so beschlossen. ich Ihnen für das am 1. November 2001 beginnende neue Geschäftsjahr vor, den Regierenden Bürger- Ich kann wohl davon ausgehen, dass die genannten meister des Landes Berlin, Herrn Klaus Wowereit, Kollegen diese Wahl ebenso wie ich selbst annehmen, zum Präsidenten des Bundesrates zu wählen. und spreche auch ihnen meinen Glückwunsch aus. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 2: Über die Wahl des Präsidenten wird nach unserer Praxis durch Aufruf der Länder abgestimmt. Ich bitte, Wahl des Vorsitzenden und der stellvertreten- die Länder aufzurufen. den Vorsitzenden der Europakammer 524 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Präsident Kurt Beck (A) Die Länder, deren Regierungschefs das Präsidium mus und Extremismus – Antrag der Länder (C) des Bundesrates bilden, stellen in gleicher Reihen- Baden-Württemberg, Bayern, Hessen gemäß folge den Vorsitzenden der Europakammer und seine § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 807/01) drei Stellvertreter. 48. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vor- Die Wahl der zweiten stellvertretenden Vorsitzen- schriften des Sozialdatenschutzes zur Verstär- den ist für die Sitzung des Bundesrates am 9. Novem- kung des Schutzes der Bevölkerung (Sozial- ber 2001 vorgesehen. datenschutzänderungsgesetz) – Antrag des Freistaates Bayern gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – Dementsprechend schlage ich Ihnen vor, Herrn Re- (Drucksache 826/01) gierenden Bürgermeister Klaus W owereit (Berlin) zum Vorsitzenden, Herrn Staatsminister Gernot und Mittler (Rheinland-Pfalz) zum ersten stellvertre- 49. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des tenden Vorsitzenden und Herrn Ministerpräsidenten Ausländergesetzes – Antrag der Länder Peter Müller (Saarland) zum dritten stellvertre- Bayern, Niedersachsen gemäß § 36 Abs. 2 GO tenden Vorsitzenden der Europakammer für das Ge- BR – (Drucksache 841/01) schäftsjahr 2001/2002 zu wählen. Dem Antrag der Länder Baden-Württemberg, Wer diesem Vorschlag zustimmen möchte, den bitte Bayern, Hessen unter Tagesordnungspunkt 47 sind die ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Stimment- Länder Saarland, Sachsen und Thüringen beigetreten. haltungen? – Das ist einstimmig. Es liegt mir eine Reihe von Wortmeldungen vor. Als Damit sind der Vorsitzende der Europakammer Erster hat Herr Ministerpräsident Teufel (Baden- sowie der erste und der dritte Stellvertreter einstim- Württemberg) das Wort. Ihm folgt Herr Kollege mig gewählt. Clement (Nordrhein-Westfalen). – Bitte schön, Herr Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 3 auf: Kollege Teufel. Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse Erwin Teufel (Baden-Württemberg): Herr Präsident! Für diese Wahl liegt Ihnen in Drucksache 732/01 Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer noch ein Antrag des Präsidiums vor. vor wenigen Tagen oder Wochen gehofft hatte, dass Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den sich verschiedene Bedrohungsszenarien nicht erfül- bitte ich um das Handzeichen. len, sieht sich jetzt mit einer anderen, bitteren Realität konfrontiert. Die Realität hat die Befürchtungen noch Das ist einstimmig so beschlossen. übertroffen. (B) (D) Tagesordnungspunkt 4: Die Anschläge mit biologischen Waffen in den USA, Wahl der Schriftführer die Androhung weiterer terroristischer Anschläge durch Bin Laden sowie eine überall greifbare Beunru- Ich schlage gemäß § 10 Abs. 1 der Geschäftsord- higung und Nervosität in der Bevölkerung zeigen, nung vor, für das Geschäftsjahr 2001/2002 Herrn dass wir erst am Beginn eines langen Weges im Staatsminister Dr. Manfred W eiß (Bayern) und Frau Kampf gegen den Terrorismus stehen. Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt) als Schriftführer wieder zu wählen. Die neue Dimension terroristischer Herausforde- rung zwingt uns zu einer neuen Sichtweise und zu Wer dem Vorschlag zustimmen möchte, den bitte veränderten Schwerpunkten bei den Aufgaben des ich um das Handzeichen. Staates. Unser Gemeinwesen wird mehr Einsatz für Beide Schriftführer sind einstimmig wieder ge- die innere und äußere Sicherheit aufbringen müssen, wählt. – Qualitativ gute Arbeit setzt sich durch, meine als uns dies bisher notwendig erschien. Dabei geht es Damen und Herren! nicht nur um Gesetzesänderungen, aber es geht auch um Gesetzesänderungen. Es geht nicht nur um den Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Tagesord- Einsatz sächlicher und finanzieller Mittel, sondern vor nungspunkte 45 bis 49 auf: allem um eine entschlossene politische Rücken- 45. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Feu- deckung für die Menschen und die Einrichtungen, erschutzsteuergesetzes – Antrag des Landes denen wir unsere äußere und innere Sicherheit an- Schleswig-Holstein gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – vertrauen. (Drucksache 781/01) Freiheit ist ohne Sicherheit nicht denkbar. Es ist in Verbindung mit daher eine der ersten Aufgaben des Staates, die Si- cherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewähr- 46. Entschließung des Bundesrates zu einer Ergän- leisten, damit sie in Frieden und Freiheit ihr Leben zung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gestalten können. Sicherheit und Freiheit gehören zu- zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV) sammen. Wer Sicherheit und Freiheit gegeneinander vom 13. Dezember 2000 – Antrag des Freistaa- ausspielt, wird am Ende beides verlieren. tes Bayern gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Druck- In der Stunde der Bedrohung stehen wir zusammen. sache 806/01) Wir werden konsequent und entschlossen alle not- 47. Entschließung des Bundesrates zur wirksame- wendigen Maßnahmen ergreifen, um den Terrorismus ren Bekämpfung des internationalen Terroris- erfolgreich zu bekämpfen. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 525 Erwin Teufel (Baden-Württemberg) (A) Die Landesregierung von Baden-Württemberg steht teilung von Visa rückgängig zu machen. Selbst der (C) zu den außenpolitischen und innenpolitischen Be- aktuelle Entwurf des Zuwanderungsgesetzes senkt schlüssen der Bundesregierung und des Bundestages die Sicherheitsanforderungen an Visa eher ab, als zur Terrorismusbekämpfung. Unsere Initiative richtet dass er sie erhöht. sich nicht gegen den Bund, sie ist aber breiter und Drittens: aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Wir weiter führend. brauchen die rechtlichen Instrumente, um Ausländer, Die Landesregierungen von Baden-Württemberg, die eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Bayern und Hessen – weitere Landesregierungen sind Deutschland darstellen, schneller abschieben zu kön- beigetreten – bringen heute einen Entschließungs- nen. Wir müssen solche Personen abschieben können, antrag zur wirksameren Bekämpfung des internatio- bevor eine Straftat begangen wird, für die eine lange nalen Terrorismus und Extremismus in den Bundesrat Gefängnisstrafe verhängt wird. Es ist doch nieman- ein. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit die dem in Deutschland vermittelbar, dass sich Gruppie- richtigen Weichenstellungen im Kampf gegen den rungen wie der „Kalifatsstaat“, die unsere freiheit- Terrorismus vornehmen. lich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen, ungestört entfalten können. Es ist noch weniger ver- Wir anerkennen und unterstützen die Maßnahmen, mittelbar, dass sich Personen, die offensichtlich zum die der Bundesinnenminister bislang auf den Weg ge- Umfeld des Attentäters Atta gehören und bei denen bracht hat, aber auch diejenigen, die ihm nach heuti- Hinweise auf Unterstützungshandlungen vorliegen, gen Presseberichten derzeit noch verweigert werden. nach wie vor frei und unbehelligt in Deutschland be- Wir sehen es mit Sorge, dass weitere sinnvolle Vor- wegen können. schläge, bei denen wir nicht länger zuwarten dürfen, innerhalb der Regierungskoalition zerredet oder ab- Ich fordere die Bundesregierung deshalb nach- gelehnt werden. drücklich auf, gerade auf dem Gebiet der aufenthalts- beendenden Maßnahmen die Forderungen unserer Unsere Bundesratsinitiative beinhaltet daher Maß- Initiative aufzugreifen und umzusetzen. Insbesondere nahmen zur wirksameren Strafverfolgung, zur stär- muss bei einer zwingenden Ausweisung nach dem keren Berücksichtigung unserer vitalen Sicherheits- Ausländergesetz die aufschiebende Wirkung von Wi- interessen im Ausländer- und Asylrecht, zur Weiter- derspruch und Klage entfallen; Ausländer, die men- entwicklung der Europäischen Union zu einem Si- schenverachtende Terroranschläge öffentlich be- cherheitsraum. Wir wollen eine Verbesserung der grüßen, die militant und gewaltbereit sind, müssen Integration erreichen. Wir brauchen eine Anpassung ausgewiesen werden. Wer Terroranschläge beklatscht des Instrumentariums der Verfassungsschutzbehör- und bejubelt, zeigt, dass er Gewalt bejaht und unsere den, Verbesserungen beim Bundesgrenzschutz und Art zu leben zerstören will. Solche Personen haben in bei den Bereitschaftspolizeien der Länder, aber auch einer offenen Gesellschaft, die wir auch weiterhin (B) Maßnahmen zur besseren Bekämpfung bioterroris- (D) bleiben wollen, nichts verloren. tischer Anschläge. Wir wollen einen besseren Schutz von wichtigen Versorgungseinrichtungen und Be- Abschiebungshindernisse müssen beseitigt wer- triebsbereichen mit besonders hohem Gefahrenpo- den. Auch hier ist die Bundesregierung aufgefordert, tenzial sowie eine Anpassung der Ernährungssicher- ihren bisherigen Standpunkt aufzugeben. Dazu stellung an die aktuellen Erfordernisse. gehören für uns die Einführung einer Beugehaft bei der Verweigerung der Mitwirkung an der Beschaf- Unsere Initiative basiert auf einer Gesamtschau der fung von Heimreisedokumenten, die erleichterte terroristischen Bedrohung. Sie ist ein in sich schlüssi- Möglichkeit der Durchsuchung und eine Änderung ges Gesamtkonzept. des Asylverfahrensgesetzes, damit eine Aufenthalts- Konkret zu einzelnen Punkten: beendigung nicht durch missbräuchliche Stellung von Asylfolgeanträgen verhindert werden kann. Erstens zur Kronzeugenregelung. Alle Experten sind sich in der Bewertung einig: Wir brauchen mehr In Deutschland ist kein Platz für Terroristen. Des- Erkenntnisse und Informationen über die terroris- halb muss die innere Sicherheit ein wesentlicher Ge- tischen Gruppen. Eine geeignete Maßnahme hierzu sichtspunkt im gesamten Ausländer- und Asylrecht ist die Kronzeugenregelung. Gerade im Bereich von werden. Das nationale Interesse an Schutz vor Krimi- abgeschotteten Kriminellen erleichtert es die Kron- nalität und Terrorismus muss im Vordergrund stehen. zeugenregelung, Erkenntnisse zu gewinnen. Es han- Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutsch- delt sich um eine Forderung, auf die wir nochmals land darstellt und schwerste Straftaten begeht, darf eindringlich hinweisen, die aber in der Regierungs- nicht durch deutsches Asylrecht geschützt sein. koalition bislang keine Mehrheit gefunden hat. Viertens: Integration stärken. Ich stelle klar und Zweitens: restriktivere Handhabung bei der Visa- eindeutig fest: Die überwältigende Mehrheit der in erteilung. Darüber reden wir seit Wochen, ohne dass Deutschland lebenden Muslime verurteilt die terroris- sich bislang eine Änderung ergeben hat. Bei der Visa- tischen Gewalttaten genauso wie ihre deutschen erteilung darf nicht weiter so großzügig verfahren Landsleute. Alle hier lebenden Menschen müssen es werden wie bisher. Wir dürfen es nicht zulassen, dass unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem trotz Zweifel an der Identität ein Visum erteilt wird. religiösen Bekenntnis als eine selbstverständliche Wir haben ein Recht darauf zu wissen, wer zu uns Pflicht begreifen, gegenüber unserem Staat und unse- kommt. rer Gesellschaft loyal zu sein. Das Auswärtige Amt hat bisher leider keine An- Die Integration der rechtmäßig hier lebenden aus- strengungen unternommen, die mehr als liberale Er- ländischen Mitbürger ist eine unserer wichtigsten 526 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Erwin Teufel (Baden-Württemberg) (A) Aufgaben. Integration ist allerdings keine Einbahn- hochsensible Daten muss erschwert werden. Luft- (C) straße. Wer sich nicht an Integrationsangeboten betei- sperrgebiete über kerntechnischen Anlagen müssen ligt, darf nicht mit einer Einbürgerung rechnen. ausreichend dimensioniert werden. Eine bundes- einheitliche Sicherheitsfunkfrequenz muss die Kom- Fünfter Schwerpunkt: den Verfassungsschutz stär- munikation der Sicherheitsbehörden mit dem Luft- ken. Eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Ter- fahrzeugführer ermöglichen. rorismus kommt den Verfassungsschutzbehörden zu. Ich begrüße es ausdrücklich, wenn jetzt auch bei den Lassen Sie mich ein offenes Wort zu den Trittbrett- Grünen die Erkenntnis wächst, dass man den Verfas- fahrern sagen: Die Vortäuschung von Taten und die sungsschutz nicht auflösen, sondern stärken muss. Auslösung falscher Alarme sind kriminelle Delikte, Der Verfassungsschutz gehört zu unserer wehrhaften und als solche müssen sie auch bestraft werden. Es ist Demokratie. Er ist ihr Frühwarnsystem. Wir dürfen menschenverachtend, wie hier mit der Angst der ihn nicht blind machen. Er muss dort, wo Gefahren Menschen gespielt wird, wie Betriebe, Einrichtungen drohen und Anschläge ausgeheckt werden, auch hin- unseres täglichen Lebens und die Sicherheitsbehör- schauen können. Nur wenn wir weit im Vorfeld von den behindert, ja teilweise lahmgelegt werden. Tritt- möglichen Straftaten genügend Informationen und brettfahrer müssen rasch und unnachsichtig zur Ver- Wissen über terroristische Gruppierungen erhalten, antwortung gezogen werden. werden wir in der Lage sein, vorbeugend Gefahren- Publicity ermuntert Nachahmetäter. Die Taten der abwehr zu betreiben. Trittbrettfahrer verdienen keine öffentliche Aufmerk- Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden müs- samkeit. Ich bitte deshalb auch die Medien, dies bei sen deshalb an dieser neuen Lage und Bedrohung aus- der Art ihrer Berichterstattung zu bedenken. gerichtet werden. Das heißt für uns: Der verdeckte Ein- Meine Damen und Herren, keine der Maßnahmen satz technischer Mittel in Wohnungen muss erleichtert wird für sich allein oder in kurzer Zeit Lösungen brin- werden, selbstverständlich unter parlamentarischer gen. Die Probleme, mit denen wir uns jetzt auseinan- und gerichtlicher Kontrolle. Postdienstunternehmen der setzen, sind über Jahre hinweg entstanden. Wir müssen gegenüber den Verfassungsschutzbehörden brauchen deshalb zur Bekämpfung einen langen Auskunft geben über Postfachinhaber oder Nach- Atem, einen klaren politischen Willen und die dafür sendeauftraggeber, und Telekommunikationsunter- notwendigen Mittel. In der Summe und aufbauend nehmen müssen Verbindungsdaten an die Verfas- auf den bereits eingeleiteten Maßnahmen führt die sungsschutzbehörden übermitteln dürfen. Es darf Annahme unserer Bundesratsentschließung zu einer nicht sein, dass Terroristen modernste Technologie nut- weiteren wesentlichen Verbesserung der Terroris- zen und unsere Verfassungsschutzbehörden abgekop- musbekämpfung und der inneren Sicherheit. pelt werden. (B) Ich bitte Sie deshalb: Unterstützen Sie unsere Initia- (D) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum tive! Machen wir sie zu einer gemeinsamen Initiative Schluss noch zwei Bereiche nennen, die in diesen der Länder! Tagen eine besondere Bedeutung haben: den Einsatz der Polizei im Bereich des Objektschutzes und die Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegenüber biolo- Präsident Kurt Beck: Danke schön, Herr Kollege gischen und chemischen Waffen. Teufel! Ohne die stehenden Einheiten der Bereitschafts- Das Wort hat Herr Ministerpräsident Clement polizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes (Nordrhein-Westfalen). – Ihm folgt Herr Minister wären wir bereits heute nicht mehr in der Lage, wir- Bartling (Niedersachsen). kungsvollen Objektschutz durchzuführen. Da wir von einer länger anhaltenden Bedrohungslage ausgehen Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen): Herr müssen, fordern wir die Bundesregierung nachdrück- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! lich auf, die Reduzierung der stehenden Einheiten in- Seit dem 11. September wissen wir alle, dass die nerhalb des Bundesgrenzschutzes zu revidieren und Globalisierung den Terror einschließt, dass die Inter- die Bundesmittel für die Ausstattung der Bereit- nationale des Terrors buchstäblich vor nichts zurück- schaftspolizeien der Länder von derzeit 20 Millionen schreckt und dass die Verbrechensskala der Terro- DM wieder auf den früher vorhandenen Betrag von risten gewissermaßen nach oben offen ist. Mit der 58 Millionen DM zu erhöhen. riesigen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unse- Welche Auswirkungen biologische und chemische res Landes sind wir uns darin einig, dass wir den Ter- ror mit aller Konsequenz bekämpfen müssen, und Waffen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zwar polizeilich wie militärisch, ökonomisch, politisch haben, wird uns bereits an den unsäglichen Taten so und geistig, hier bei uns genauso wie außerhalb unse- genannter Trittbrettfahrer deutlich. Umso mehr gilt res Landes. dies für eine tatsächliche Bedrohungslage. Wir halten deshalb die Einrichtung einer Task-Force „Bioterro- Dabei gilt aus meiner Sicht unzweideutig: Wer hier rismus“ auf Bundesebene, eines bundesweiten Kri- zu Lande oder anderswo Hass oder Gewalt gegen senkommunikationsnetzes und die Vorhaltung aus- Fremde oder Fremdes predigt, ist kein Freiheitskämp- reichender Laborkapazität für dringend erforderlich. fer, sondern ein Fanatiker, der in unserem Land kei- nen Freiraum haben sollte. Ebenso müssen wir Maßnahmen zum Schutz von wichtigen Versorgungseinrichtungen und Betriebs- Wir in Deutschland schreien nicht Hurra, wenn es bereichen ergreifen. Einige Beispiele: Die Einsicht in um militärische Aktionen geht. Bei uns rührt kaum Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 527 Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) (A) noch jemand die nationalistische Trommel, und es ist förmlich mit Händen zu greifen –, vor anderen Län- (C) gut, dass diese Zeiten vorbei sind. Aber Deutschland dern und vor der Bundesregierung bei neuen Geset- ist Teil einer internationalen Allianz gegen den Ter- zen zur inneren Sicherheit die Ersten zu sein. Wenn ror. Wir stellen uns der internationalen Verantwor- das so ist – ich unterstelle das –, dann ist dies aus mei- tung und sind bereit, unseren Teil zu übernehmen: im ner Sicht falscher Ehrgeiz. Das hat ein wenig mit dem Außenpolitischen bei der Wiederherstellung und Si- Hase-und-Igel-Spiel zu tun. Es gibt keine neuen Ant- cherung des Friedens überall dort, wo er in Gefahr ist, worten auf die Fragen, vor denen wir in diesen Tagen im Innenpolitischen bei der Verstärkung unserer An- bei der inneren Sicherheit stehen. Man muss sich er- strengungen für ein Höchstmaß an innerer Sicherheit, innern: Der Igel hat den Wettlauf gegen den Hasen auf das unsere Bürgerinnen und Bürger Anspruch gewonnen, nicht weil er schneller war, sondern weil haben, im Humanitären bei der Unterstützung und er klüger war als der Hase. Versorgung von Flüchtlingen sowie bei der Bekämp- fung der Ursachen von Flucht und Vertreibung, aber Deshalb, meine ich, muss es uns gemeinsam um die eben auch im Militärischen. Niemand sollte sich über besten und wirkungsvollsten Lösungen gehen. Darum die Dimension dieses Teils der Verantwortung täu- geht es uns in Wahrheit auch. Wir sollten angesichts schen, in der wir Deutsche als freiheitliche Demokra- der neuen Bedrohungen gerade auf dem Feld der in- ten, als Mitglieder der Nato und als Partner der USA neren Sicherheit auf parteiliche Gewohnheiten und stehen. Rituale verzichten. Das heißt konkret: Wir sind dafür, über alle Vorschläge zu beraten, die auf dem Tisch Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus liegen – über diejenigen, die Sie, Herr Kollege Teufel, gibt es nichts zu erobern. Es gilt nur etwas zu vertei- gerade erläutert haben, ebenso wie über diejenigen, digen, nämlich die geistigen und moralischen Funda- die der Bundesinnenminister vorgelegt hat oder die mente einer freien, friedlichen und prosperierenden aus anderen Ländern beigetragen werden –, und zwar Welt, die Achtung vor dem Leben und der Würde des ohne schuldhaftes Zögern, ohne Verzögerungen im Einzelnen und der Einzelnen, die Anerkennung von Gesamtzusammenhang, aber natürlich in der gebote- Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es ist fast nen Sorgfalt. Wir wissen, dass bei Gesetzen wie die- schon eine Phrase, aber eine wichtige Bemerkung: Li- sen Sorgfalt geboten ist. Wir wollen über Ihre Vorstel- berale Demokratie ist keine Schönwetterveranstal- lungen wie über die Vorschläge anderer in den tung. Die zivile Gesellschaft braucht Wehrhaftigkeit, Ausschüssen beraten, sobald das zweite Gesetzes- um zivil bleiben zu können. Sie braucht Sicherheit paket der Bundesregierung auf dem Tisch liegt. nach innen und nach außen. (Erwin Teufel [Baden-Württemberg]: Sie haben Die Bundesregierung und die Länder haben nach schon stärker argumentiert!) dem 11. September, wie ich finde, schnell reagiert. (B) Wir haben gemeinsam eine Reihe von Maßnahmen – Ich argumentiere gleich noch stärker, Herr Kollege. (D) und Initiativen eingeleitet und ergriffen, um die Si- Für die fast beispiellose und außerordentlich wich- cherheit und den inneren Frieden in unserem Land tige Geschlossenheit, die wir seit dem 11. September angesichts neuer Bedrohungen zu gewährleisten. bei der Bekämpfung des Terrorismus unter Beweis Dabei sollte uns allen klar sein, dass wir natürlich die gestellt haben, stehen Sozialdemokratinnen und Sozi- Balance halten müssen einerseits zwischen Libera- aldemokraten genauso wie Grüne, CDU und FDP. Ge- lität und Weltoffenheit unseres Staates und anderer- schlossenheit ist in einer so außerordentlich schwieri- seits der Sicherheit, auf die unsere Bürgerinnen und gen Lage wie der heutigen für die Bürgerinnen und Bürger Anspruch haben. Bürger ein wichtiges Signal, dass es uns ernst ist mit Wir müssen dabei allerdings auch fähig sein, uns der wehrhaften Demokratie und dass die konstrukti- von einigen Gewohnheiten zu trennen – das hat ve und entschlossene Zusammenarbeit in der Sache nichts mit der Aufgabe von Liberalität zu tun –, bei- für uns absoluten Vorrang vor parteipolitischem Kal- spielsweise von der Gewohnheit, dass das Passbild im kül und kleinlichen Streitereien hat. Das schafft aus Personalausweis bereits ausreicht, um die Identität zu meiner Sicht Vertrauen in die Handlungsfähigkeit belegen. Es ist eine wunderbare Gewohnheit, mit von Regierungen und in die Vernunft der demokrati- dem alten Führerschein und dem entsprechenden schen Parteien. Passbild zu wedeln. Diese Zeit kann vorbei sein, Herr Kollege Teufel, ich habe sehr aufmerksam zu- wenn man an neue technologische Möglichkeiten gehört, als Sie Ihre Vorschläge vortrugen. Mir liegt denkt, die wir in Zeiten wie diesen auch einsetzen eine Aufstellung über die Vorstellungen vor, die sollten. zurzeit erörtert werden. Es sind zwischen 40 und 50 Maßnahmen; ich habe nicht nachgezählt. Einige Baden-Württemberg, Bayern und Hessen – Herr davon haben Sie erwähnt. Wir stimmen in fast allen Kollege Teufel hat dies gerade deutlich gemacht – Maßnahmen grundsätzlich überein; aber jede bedarf haben einen Entschließungsantrag zur wirksameren natürlich einer dezidierten Erörterung. Auch der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Druck auf Grund der Situation, mit der wir es zu tun Extremismus vorgelegt. Herr Kollege Teufel, um es haben, darf uns nicht davon abhalten, im Einzelnen in offen zu sagen: Dies geschieht parallel und, wie ich die Erörterung von Regelungen einzusteigen, wie ge- finde, in unübersehbarer Konkurrenz zu dem, was sagt, ohne jede Verzögerung. Herr Bundesinnenminister Schily in enger Abstim- mung mit den Ländern erarbeitet hat und noch erar- Ich sage ausdrücklich – Sie haben diese Beispiele beitet. Es scheint der besondere Ehrgeiz der Antrag- erwähnt –: Wir sind für eine differenzierte Kronzeu- steller zu sein – erlauben Sie mir, das zu sagen; es ist genregelung, selbstverständlich auch für die von 528 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) (A) Ihnen geforderte bessere Kontrolle bei der Visa- Bevor wir in unseren Beratungen fortfahren, darf (C) erteilung. Die Erfahrung, dass sich Täter bei uns auf- ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf die Ehren- gehalten haben, ehe sie in den USA aktiv geworden tribüne lenken. Dort hat eine Delegation der deutsch- sind, zwingt uns dazu, auf diesem Gebiet Konsequen- russischen Freundschaftsgruppe des Föderations- zen zu ziehen. rates der Russischen Föderation unter Leitung von Herrn Agalow Platz genommen. Wir freuen uns Dies bezieht sich beispielsweise auf die Regelan- frage beim Verfassungsschutz vor einer Einbürge- über Ihren Besuch. Ich begrüße Sie im Plenarsaal des rung. Ich gehöre zu denjenigen, die in aller Klarheit Bundesrates sehr herzlich. sagen: Wir dürfen nicht blind sein gegenüber Men- (Beifall) schen, die mit verbrecherischen Absichten in unser Land kommen. Wir müssen die vorhandenen Kennt- Die Freundschaftsgruppen des Bundesrates und des nisse selbstverständlich nutzen, offensichtlich mehr Russischen Föderationsrates haben sich vor zwei Jah- als bisher. ren konstituiert. Nachdem im Frühjahr dieses Jahres ein erstes Treffen beider Gruppen in Moskau stattge- Es gilt ausdrücklich auch für Asylverfahren. Auch funden hat, freuen wir uns, Sie zum zweiten Zu- in Bezug auf Asylverfahren müssen wir einen Weg sammentreffen hier in Berlin willkommen heißen zu finden. Wir haben dort noch Sonderprobleme: Wir dürfen. Auch bei diesem Treffen stehen die Wirt- haben es manchmal mit Menschen zu tun, die zwar schaftsbeziehungen beider Länder im Vordergrund. ausgewiesen werden könnten, in ihren Herkunftslän- dern jedoch von der Todesstrafe bedroht sind. Wir Ich darf darauf aufmerksam machen, dass der Bun- brauchen Antworten für den Umgang mit solchen Fäl- desrat außer zum Russischen Föderationsrat nur noch len. zum Französischen Senat eine Freundschaftsgruppe unterhält. Allein daran lässt sich der außerordentlich Dasselbe gilt selbstverständlich für die Erweiterung hohe Stellenwert ablesen, den wir den Beziehungen des Aufgabenkatalogs der Verfassungsschutzbe- zu Russland beimessen. Dem entspricht, dass der hörden. Wir in Nordrhein-Westfalen haben bereits Bundesrat mit Russland einen besonders intensiven entsprechende Maßnahmen vorgesehen. Probleme Besuchsaustausch pflegt. und Diskussionsbedarf gibt es bei der von Ihnen an- gesprochenen Frage der Herabsetzung der Schwelle Meine Damen und Herren, Sie haben insbesondere für den verdeckten Einsatz technischer Mittel in die regionalen Wirtschaftskontakte mit unserer Wohnungen. Dabei kommen wir in die Nähe einer Freundschaftsgruppe unter Vorsitz von Herrn Kolle- Grundgesetzänderung und haben die Frage zu beant- gen Dr. Stolpe eingehend erörtert. Ich hoffe, dass diese worten: Reichen die vorhandenen rechtlichen Mög- Gespräche zu einer weiteren Vertiefung der Kontakte lichkeiten unterhalb der Schwelle einer Grundge- beitragen, und wünsche Ihnen einen angenehmen (B) setzänderung nicht aus? Aufenthalt hier in Berlin und anschließend eine gute (D) Heimreise. Noch einmal herzlich willkommen! Dass wir jedoch eine Auskunftspflicht der Postdienst- unternehmen gegenüber den Verfassungsschutz- (Beifall) behörden brauchen, dass es eine Pflicht der Telekom- munikationsunternehmen zur Übermittlung von Das Wort hat Herr Minister Bartling (Niedersach- Verbindungsdaten geben sollte, all dies ist zwischen sen). – Ihm folgt Herr Minister Dr. Birkmann (Thürin- uns unstreitig. Aus meiner Sicht kann ebenfalls nicht gen). streitig sein, dass wir Regelausweisungstatbestände haben müssen, die an die Zugehörigkeit zu bestimm- Heiner Bartling (Niedersachsen): Herr Präsident! ten Organisationen oder deren Unterstützung an- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den knüpfen. Das ist Gegenstand eines Antrages, der von Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinig- Niedersachsen und Bayern vorgelegt worden ist. ten Staaten von Amerika, denen über 5 000 unschul- Ich jedenfalls stimme in diesen Punkten zu. Ich dige Menschen zum Opfer gefallen sind, hat die terro- werde in meiner Regierung mit aller Konsequenz ristische Bedrohung weltweit eine neue Dimension dafür eintreten. Dies werde ich auch in den vor uns erreicht. Vorbereitung und Ausführung der Anschlä- liegenden Diskussionen tun. Ich wende mich aus- ge sind gekennzeichnet durch Brutalität, Menschen- schließlich dagegen, dass wir den Anschein eines verachtung und Fanatismus. Leider ist auch unser Wettlaufs untereinander zulassen, der überflüssig ist. Land eingebunden in das staatenübergreifende Netz Richtig ist es vielmehr, das beizubehalten, was nach logistischer Verknüpfungen und operativer Struktu- dem 11. September auf diesem Feld in der Bundesre- ren der Terroristen. Drei der Selbstmordattentäter publik Deutschland aus meiner Sicht beispielhaft ge- haben in Deutschland studiert; nach weiteren vermut- lungen ist, nämlich gemeinsam zu handeln, nach lichen Mittätern, die sich ebenfalls zuvor als Studen- außen wie nach innen. Daran sollten wir festhalten ten in Deutschland aufgehalten haben, wird weltweit und auf den Feldern, die Sie angesprochen haben, gefahndet. sowie auf den Feldern, die ich genannt habe, zu Ent- Es gibt einen breiten politischen und gesellschaftli- scheidungen kommen, und zwar ohne schuldhaftes chen Konsens darüber, dass es Aufgabe aller staatli- Zögern nach gründlicher, rascher Beratung in den chen Kräfte sein muss, dieser terroristischen Drohung, Ausschüssen. – Schönen Dank. die jedes zuvor für möglich gehaltene Maß übersteigt, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten. Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Herr Kollege Der vorliegende Entschließungsantrag ist aus meiner Clement! Sicht eine brauchbare Grundlage für Bund und Län- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 529 Heiner Bartling (Niedersachsen) (A) der, gemeinsam die zur Bekämpfung des Terrorismus parteipolitischer Interessen gemeinsam reagiert wer- (C) und zum Schutze der Bevölkerung notwendigen Maß- den muss. Die Zustimmung aller Länder zu der Geset- nahmen zu treffen. zesinitiative würde der Bundesregierung zeigen, dass sie auf ihrem Weg der entschlossenen Bekämpfung Ich will jetzt nicht auf alle Einzelheiten eingehen. des Terrorismus die Unterstützung der Länder hat. Lassen Sie mich nur folgende Komplexe erwähnen: Die für die öffentliche Sicherheit zuständigen Ich weiß, dass eine gesetzliche Grundlage für die Behörden sind in zunehmendem Maße auf die Nut- Ausweisung extremistischer Ausländer nur die halbe zung moderner Informations- und Verwaltungssys- Miete ist. Die Ausweisung allein bedeutet noch nicht, teme angewiesen, die weit überwiegend nur für den dass die Betroffenen auch tatsächlich das Land verlas- eigenen Bereich gestaltet und umfassend nutzbar sen. Die hinreichend bekannten tatsächlichen und sind. Für eine wirksame Sicherheitspolitik ist jedoch rechtlichen Gründe lassen eine Abschiebung häufig die Nutzung moderner Informations- und Kommuni- nicht zu. Eine entscheidende Verbesserung wäre es, kationstechnologien im Verbund der Sicherheits- wenn Abschiebungen nicht nur in das jeweilige Her- behörden unverzichtbar. Dazu gehören der Zugriff kunftsland erfolgten, sondern auch in ein anderes der Sicherheitsbehörden auf ausländerrechtliche und Land, das bereit ist, die Menschen aufzunehmen, und andere Daten, aber auch die umfassende Möglichkeit in dem sie vor Verfolgung sicher sind. Angesichts der der Überwachung der Telekommunikation. Wir brau- immer größer werdenden Schwierigkeiten bei der chen daher dringend rechtliche Änderungen, die die Durchsetzung der Ausreisepflicht wäre es hilfreich, jetzigen Übermittlungs- und Nutzungshindernisse be- wenn sich das Auswärtige Amt nicht dagegen sträub- seitigen. te, dass ein entsprechender Vertrag, gegebenenfalls von der Europäischen Union, mit dem betreffenden Dennoch werden wir immer noch – es ist mir wich- Land abgeschlossen wird. tig, das zu betonen, meine Damen und Herren – einen außerordentlich hohen Standard datenschutzrecht- Bedenkt man, dass nach der Rechtsprechung des licher Vorschriften behalten. Niemand muss befürch- Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ten, dass er Opfer eines informationssüchtigen Staates selbst Herr Kaplan oder Herr Bin Laden nicht abge- wird. Ich glaube, die Menschen in unserem Land schoben werden dürften, kann man nur hoffen, dass sehen weniger eine solche Gefahr des Missbrauchs die Richter dieses Gerichtshofes den 11. September staatlicher Macht. Sie wünschen vielmehr, dass der des Jahres 2001 bei weiteren Urteilen im Gedächtnis Staat die Mittel erhält, die er benötigt, um sie wirk- behalten. sam vor dem Verbrechen zu schützen. Lassen Sie mich noch etwas zum Bundesgrenz- (B) Wir wollen – Herr Clement hat es soeben zum Aus- schutz, zur Ausstattung der Bereitschaftspolizeien (D) druck gebracht –, dass Deutschland ein weltoffenes und zum Einsatz der Bundeswehr sagen. Der Bundes- und gastfreundliches Land bleibt. Gerade deswegen grenzschutz muss nach meiner Auffassung stärker in müssen wir uns entschieden gegen extremistische, die Lage versetzt werden, uneingeschränkt seinen religiös-fanatische und verfassungsfeindliche Bestre- Aufgaben als Verbandspolizei des Bundes nach- bungen schützen. Ich bin daher sehr damit einver- zukommen. Gerade die aktuelle Sicherheitslage standen, dass schon bei der Einreise von Personen macht den hohen Stellenwert geschlossener Einhei- aus Problemstaaten eine Beteiligung der Sicherheits- ten der Bereitschaftspolizeien deutlich, z. B. beim Ob- und Ausländerbehörden erfolgt, Fingerabdrücke ab- jektschutz, bei Großdemonstrationen oder gewalttäti- genommen sowie Lichtbilder angefertigt und die gen Ausschreitungen. Visaunterlagen abrufbar aufbewahrt werden. Der Bedarf der Länder an Ersatzbeschaffungen bei Ich habe bereits angeordnet, dass in Niedersachsen ihren Bereitschaftspolizeien beläuft sich auf jährlich vor jeder Zustimmung der Ausländerbehörde zu 39 Millionen DM. Der Bund hat diesen Betrag in den einem längerfristigen Aufenthalt von Personen aus vergangenen Jahren leider nicht zur Verfügung ge- diesen Staaten der Verfassungsschutz und der polizei- stellt. Dadurch ist ein entsprechender Nachholbedarf liche Staatsschutz ihr Plazet geben müssen. Auch vor entstanden. Um diesen abzubauen und für die folgen- der Einbürgerung werden diese Dienststellen betei- den Jahre den neu anfallenden Bedarf decken zu ligt. können, sind deutlich höhere Beträge als die genann- Meine Damen und Herren, trotz all dieser Vorkeh- ten 39 Millionen DM erforderlich. rungen werden wir es nicht verhindern können, dass Das Grundgesetz sieht den Einsatz der Bundeswehr sich bei uns gewaltbereite Extremisten aufhalten. Un- im Innern nur unter erheblich eingeschränkten Vo- sere Gesetze müssen es ermöglichen, sie zu entdecken raussetzungen vor, nämlich im Spannungs- und Ver- und sie auch wieder aus dem Land zu entfernen. teidigungsfall sowie bei Naturkatastrophen bzw. im Niedersachsen hat – es ist soeben erwähnt worden – Fall des inneren Notstandes. Auch wenn die Polizeien gemeinsam mit Bayern die Ihnen vorliegenden Ände- von Bund und Ländern in der augenblicklichen Situa- rungen des Ausländergesetzes vorgeschlagen, um tion personell erheblich gefordert sind, ist dies noch Ausländer, die islamistisch-extremistischen Organisa- kein Anlass, diese bewusste und gewollte hohe Hürde tionen angehören oder diese unterstützen, schnell der Verfassung herabzusetzen und den Einsatz der ausweisen zu können. Mit der gemeinsamen Initiative Bundeswehr in der gegenwärtigen Situation auch im soll auch signalisiert werden, dass auf die Herausfor- Innern zuzulassen. Innere Sicherheit ist Aufgabe der derungen des internationalen Terrorismus jenseits Polizei und muss es auch bleiben. Die Möglichkeiten 530 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Heiner Bartling (Niedersachsen) (A) der Amtshilfe durch die Bundeswehr zu nutzen, meine diese Hoffnung trügerisch war. Die Androhung weite- (C) Damen und Herren, halte ich für richtiger, als den Ver- rer Anschläge und die aktuellen Attacken mit Milz- such zu unternehmen, der Bundeswehr durch eine branderregern erhellen, wie ernst die Situation ist Grundgesetzänderung weitere Aufgaben zuzuweisen. und dass der Kampf gegen den Terrorismus ein langer und schwieriger Weg sein wird. Dem muss sich die Die Forderung nach Aufstockung der Mittel für den freie Welt stellen. Auch wir in Deutschland und in Zivilschutz und nach einer Vereinfachung des Finan- jedem einzelnen Bundesland müssen den daraus er- zierungssystems wird von mir vorbehaltlos unter- wachsenden Herausforderungen begegnen. stützt. Ich würde es begrüßen, wenn die Länder eine ge- Erinnern wir uns: Mindestens einer der Attentäter meinsame Haltung zu den administrativen, operati- vom 11. September hat unauffällig fast zehn Jahre ven und gesetzlichen Maßnahmen zur Bekämpfung unter uns gelebt und die Verbrechen hier vorbereitet des Terrorismus finden könnten. Dafür sind der vorlie- und geplant, bevor er sie in die Tat umsetzte. Unsere gende Entschließungsantrag und die gemeinsame Ini- freiheitliche Grundordnung gab ihm die entsprechen- tiative von Bayern und Niedersachsen eine tragfähige den Spielräume, ohne dass die Sicherheitsbehörden Grundlage. die Möglichkeit zum Handeln hatten. Dies muss uns eine Lehre sein. Die Sicherheit unserer Bürgerinnen Ich will aber auch nicht verschweigen, dass der Ent- und Bürger ist schließlich eines der obersten Gebote schließungsantrag neben vielen guten Anregungen, der Politik, gerade der Justizpolitik. von denen ich einige erwähnt habe, Vorschläge ent- hält, die ich noch für diskussionswürdig halte oder Die von der Bundesregierung jetzt auf den Weg ge- die ich lieber nicht aufgreifen würde, z. B. die Ein- brachten Maßnahmen zu einer Verbesserung der Ter- führung einer Beugehaft bei der Verweigerung der rorismusbekämpfung sind zwar zu begrüßen, aber Mitwirkung eines Ausländers an der Passbeschaf- noch nicht ausreichend. Weitere Verbesserungen fung. Hier würden teure Haftplätze für eine Maßnah- müssen dringend folgen. Lassen Sie mich hierzu eini- me blockiert, die letztlich ungeeignet sein dürfte, zu ge Punkte aus der Sicht der Justiz ansprechen: dem erstrebten Ziel zu kommen. Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung Trotz der berechtigten Erwartungen unserer Bevöl- wird von den CDU-geführten Ländern, so auch von kerung in Bezug auf eine rasche Verbesserung der Thüringen, schon seit langem gefordert. Aber die Sicherheit unseres Landes sollten wir uns die Zeit Bundesregierung – das zeigen auch die Ausführun- nehmen – hierbei schließe ich mich Herrn Minister- gen der Bundesjustizministerin zur Kronzeugenrege- präsident Clement an –, die Dinge sorgfältig zu disku- lung vor dem Deutschen in der vergange- tieren. Ein solides Konzept der Länder würde sicher- nen Woche – nimmt die Vorschläge, die auch vom (B) (D) lich auch der Bundesregierung helfen, sich auf der Bundesrat hierzu bereits formuliert wurden, nicht Basis eines Gesetzentwurfs des Herrn Bundesinnen- ernst. Ja – das muss an dieser Stelle moniert werden –, ministers zu verständigen, wobei ich davon überzeugt die Diskussion über weitere Maßnahmen zur Terroris- bin, dass er die Vorschläge der Länder berücksichtigt. musbekämpfung ist seitens der Justiz bisher ohne Es liegt in unser aller Interesse, dass es zu einer brei- hinreichende Beteiligung der Länder geführt worden. ten Verständigung zwischen Bund und Ländern in Deswegen haben gestern auch die Justizminister der den Fragen der Verbesserung der inneren Sicherheit unionsgeführten Länder die Bundesjustizministerin kommt. eindringlich gebeten, alsbald zu einer Sonder-Justiz- Aus diesem Grunde halte ich eine sofortige Sach- ministerkonferenz über Maßnahmen zur Terroris- entscheidung nicht für möglich und nicht für erforder- musbekämpfung einzuladen. lich. Ich schlage vor, die Vorlagen an die Ausschüsse In den Sicherheitspaketen der Bundesregierung zu verweisen. – Vielen Dank. vermisse ich Vorschläge für eine erleichterte Ge- winnabschöpfung zur Sicherstellung von Verbre- Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Herr Minister! chensgewinnen. Das rechtliche Abschöpfungsinstru- mentarium muss effizienter gestaltet werden, um dem Das Wort hat Herr Minister Dr. Birkmann (Thürin- Terrorismus wie auch der organisierten Kriminalität gen). – Ihm folgt Herr Minister Professor Dr. Schelter die finanziellen Ressourcen zu entziehen und sie (Brandenburg). damit im Lebensnerv zu treffen.

In diesem Zusammenhang begrüße ich die am Dr. Andreas Birkmann (Thüringen): Herr Präsident! Dienstag vom Rat angenommene und von der Delega- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ereig- tion des Europäischen Parlaments inzwischen gebil- nisse des 11. September haben uns eindringlich vor ligte 2. EU-Geldwäscherichtlinie. Geldwäsche ist in Augen geführt: Die westliche Welt und ihre auf dem den letzten Jahren mehr und mehr zur Geschäfts- Prinzip der Freiheit des Einzelnen beruhende Werte- grundlage sowohl der organisierten Kriminalität als ordnung sind in einem Maße vom internationalen Ter- auch des internationalen Terrorismus geworden. Die rorismus bedroht, das bis vor kurzem niemand für Erweiterung der Identifizierungs- und Meldepflichten möglich gehalten hätte. auf Buchprüfer, Grundstücksmakler, Juweliere, Casi- Sollte jemand gehofft haben, es könnte sich um ein nos und unter bestimmten Voraussetzungen auch auf einmaliges Ereignis gehandelt haben, so zeigt die Rechtsanwälte und Notare sind dringend gebotene Entwicklung in den letzten Wochen und Tagen, dass Maßnahmen, um in diesem Bereich zu einer wirksa- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 531 Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) (A) men Strafverfolgung zu gelangen und terroristische derung des Versammlungsrechts. Seit November (C) Geldquellen auszutrocknen. Ich warne allerdings letzten Jahres besteht der Auftrag der Innenminister- davor, bei der Umsetzung der Richtlinie hinter den konferenz an den Bundesinnenminister, einen Ge- darin eröffneten Möglichkeiten zurückzubleiben. setzentwurf zur Änderung des Versammlungsrechts vorzulegen, der den Gefahren extremistischer De- Bislang läuft in der überwiegenden Anzahl von monstrationen begegnen soll. Der Gesetzentwurf liegt Geldwäscheverdachtsfällen das Gewinnabschöp- ein knappes Jahr danach immer noch nicht vor. Sie fungsrecht leer, weil der konkrete Nachweis der Vor- haben stets darauf verwiesen, Herr Bundesinnenminis- tat Schwierigkeiten bereitet. Auch hier sind dringend ter, dass das von Ihnen in Auftrag gegebene Verfas- Beweiserleichterungen geboten. Zu denken ist an sungsgutachten noch ausstehe. Es liegt nunmehr vor eine Umkehr der Beweislast, wie sie das amerikani- sche Recht kennt. und lässt Abänderungen zu. Ich frage Sie: Werden Sie nun, und zwar bald, handeln? Ansprechen möchte ich auch die Vorschrift des § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen, die die Aus- Zur Terrorismusbekämpfung sind auch verbesserte künfte über so genannte Verbindungsdaten regelt. rechtliche Möglichkeiten der Wohnraumüberwa- Diese tritt mit Ablauf des 31. Dezember dieses Jahres chung dringend erforderlich. Die hohen rechtlichen außer Kraft. Zwar sieht der Gesetzentwurf der Bun- Hürden, die bislang einer akustischen Überwachung desregierung eine Nachfolgeregelung vor, allerdings oft im Wege standen, sind abzubauen. Verfahrensre- wird darin die Schwelle der Anordnungsvorausset- gelungen – das weiß jeder Praktiker – können eine zungen angehoben, was eine Verschlechterung der Rechtsposition zur Makulatur werden lassen, wenn bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten zur Folge sie nur entsprechend aufwändig und kompliziert sind. hätte. Ich hoffe daher sehr, dass die Empfehlungen Zu den Maßnahmen auf europäischer Ebene möch- der Ausschüsse des Bundesrates die notwendigen te ich kurz Folgendes bemerken: Verbesserungen herbeiführen. Ein europäischer Haftbefehl auf dem Gebiet des Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch der Neuent- Terrorismus ist zu begrüßen. wurf einer Telekommunikationsüberwachungs-Ver- ordnung des Bundeswirtschaftsministers. Diese Ver- Die Forderung der Europäischen Kommission nach ordnung, sollte sie beschlossen werden, würde für einer gemeinsamen Definition terroristischer Akte erhebliche Defizite bei der Überwachung der Tele- und nach Mindesthöchststrafen ist ebenso uneinge- kommunikation sorgen und damit nachteilige Aus- schränkt unterstützungswürdig wie die Forderung wirkungen auf die Strafverfolgungspraxis der Länder des Bundesrates nach unverzüglicher Ratifikation des haben. Entgegen der höchstrichterlichen Rechtspre- EU-Rechtshilfeübereinkommens, der Fortentwick- (B) chung wäre es bei Mobiltelefonen nicht mehr mög- lung des Schengener Durchführungsübereinkom- (D) lich, eine gerätenummerbezogene Überwachung mens, der Verbesserung des behördenübergreifenden durchzuführen. Datenaustauschs und der EU-weiten Rasterfahndung. Meine Damen und Herren, die Versäumnisse der Wenn der Herr Bundesinnenminister in den neues- Vergangenheit holen die Bundesregierung ein. Noch ten zusätzlichen Maßnahmen eine beschleunigte Ab- im Juli dieses Jahres haben Thüringen und Bayern schiebung von Ausländern bei Terrorismusverdacht die Bundesregierung in diesem Haus aufgefordert, ankündigt, muss aber erst recht eingefordert werden, die Erkenntnismöglichkeiten der DNA-Analyse wei- dass die Bundesministerin der Justiz endlich ter gehend in der Strafverfolgung einzusetzen. Be- – worum sie bereits wiederholt von der Justizminister- dauerlicherweise war nur ein Entschließungsantrag konferenz gebeten wurde – die Ratifizierung des mehrheitsfähig, in dem die Bundesregierung aufge- Zusatzprotokolls zum Überstellungsabkommen durch fordert wird, bis zum Frühjahr des nächsten Jahres Vorlage eines bundesweit konsensfähigen Aus- solche Möglichkeiten zu prüfen. Leider sind die Er- führungsgesetz-Entwurfs vorantreibt, damit Auslän- eignisse über dieses zögerliche Handeln hinwegge- der beschleunigt zur Haftverbüßung in ihr Heimat- gangen. land überführt werden können. Weiter noch: Die Bundesregierung sieht vor, dass Meine Damen und Herren, bei allen Vorschlägen die Untersuchung einer DNA-Spur mit noch unbe- und Initiativen zur Verbesserung der rechtlichen Vo- kanntem Täter unter einen Richtervorbehalt gestellt raussetzungen müssen wir uns darüber im Klaren wird. Dies ist unnötiger Formalismus und hinderlich sein, dass diese Maßnahmen nur greifen können, für eine schnelle Strafverfolgung. Es bedarf keiner wenn sie mit einer personellen und technischen Ver- richterlichen Anordnung. Vielmehr ist – gerade bei stärkung der Strafverfolgungsbehörden, d. h. von Jus- der Aufklärung terroristischer Straftaten – die Anord- tiz und Polizei, einhergehen. Thüringen wird, wie be- nungsbefugnis für DNA-Analysen bei Spurenmaterial reits angekündigt, im Rahmen eines Sofortprogramms unbekannter Herkunft der Staatsanwaltschaft bzw. zusätzliche Mittel hierfür bereitstellen. der Polizei zu übertragen. Abschließend möchte ich betonen, dass die Be- Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, was die kämpfung des Terrorismus eine Aufgabe ist, die mit zögerliche Haltung der Bundesregierung betrifft, rechtsstaatlichen Mitteln zu lösen ist und gelöst wird. noch einen anderen Punkt ansprechen, der im Nicht „Sicherheit oder Freiheit“, wie einige Kritiker Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus meinen, sondern „Freiheit in Sicherheit“ ist das ebenfalls von Bedeutung ist, nämlich die damit Motto. Sicherheit für unsere Bürger als unabdingbare einhergehenden Demonstrationen. Ich meine die Än- Voraussetzung für die Bewahrung der Freiheit – das 532 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) (A) ist das Gebot der Stunde. Dies zu erreichen und hier- Terroristen brauchen Geld und logistische Unter- (C) für einen Weg aufzuzeigen dient der vorliegende Ent- stützung. Wir müssen die Quellen dafür austrocknen. schließungsantrag, dem Thüringen als Mitantragstel- Dabei bewegen wir uns im Grenzbereich zum organi- ler beigetreten ist und um dessen Unterstützung ich sierten Verbrechen, z. B. zum Drogenhandel. Deshalb bitte. sind Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche auch für den Kampf gegen den Terrorismus so wich- tig. Für Brandenburg habe ich deshalb eine Schwer- Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Herr Minister! punkt-Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der orga- Das Wort hat Herr Minister Professor Dr. Schelter nisierten Kriminalität eingerichtet. Eine ihrer (Brandenburg). – Ihm folgt Herr Bundesminister des Abteilungen wird sich in Zukunft am Sitz des Landes- Innern. kriminalamtes besonders mit der Verfolgung der Geldwäsche befassen. Prof. Dr. Kurt Schelter (Brandenburg): Herr Präsi- Für den Justizbereich gilt dasselbe wie für die poli- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der zeiliche Seite: Alle Maßnahmen werden nur greifen, Terror ist nur so stark, wie wir es durch Unentschlos- wenn sie nicht nur national, sondern europaweit, ja senheit zulassen. Deshalb ist entschlossenes Handeln global ansetzen. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen auf allen politischen Ebenen angesagt. Daran fehlt es und Herren, auch in den Blick zu nehmen, was der nicht. Und es ist gut, dass der Bundesrat eine Debatte Europäische Rat schon im Oktober 1999 in Tampere über den Terrorismus führt, während sich die Staats- völlig zu Recht angemahnt hat, nämlich die Geldwä- und Regierungschefs der EU in Gent mit dieser Be- scherichtlinie vollständig umzusetzen. Ich meine, dass drohung auf einem Sondertreffen befassen. Es wäre das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens in Brüssel, noch besser, meine Damen und Herren, wenn wir das gestern erzielt worden ist, ein wichtiger Schritt in dazu heute auch einen Beschluss fassen könnten. die richtige Richtung ist. Aber auch dieses verschärfte Mit dem Entschließungsantrag, der uns vorliegt, Recht zur Bekämpfung der Geldwäsche wird wir- wird ein Bündel von Maßnahmen zur besseren kungslos bleiben, wenn vor allem in einigen „Off- Bekämpfung des internationalen Terrorismus gefor- shore-Gebieten“ die Geldwäsche weiterhin fast unge- dert. Brandenburg unterstützt das Anliegen, alle stört funktioniert. Wir müssen alle „safe havens“ rechtsstaatlich möglichen Maßnahmen zu ergreifen, schließen. damit wir gegen den Terrorismus in die Offensive Auch das vom Europäischen Rat in Tampere auf den kommen. Weg gebrachte Projekt EUROJUST kann die gemein- Wir brauchen dazu einen integralen Ansatz: Alle same Terrorismusbekämpfung auf der Ebene der Eu- (B) politischen Ebenen müssen ihren Beitrag dazu leisten. ropäischen Union wesentlich fördern. Es ist gut, dass (D) Alle Politikbereiche müssen einbezogen werden, weit der Übergang von „Pro-EUROJUST“ zu EUROJUST über die innere Sicherheit und über die Justiz hinaus. auf den Beginn des Jahres 2002 vorgezogen werden Und wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass nicht soll. nur der Staat gefordert ist. Unser gesamtes Gemein- Der außerordentliche Rat für Justiz und Inneres am wesen, Staat und Gesellschaft, müssen sich dieser 20. September 2001 hat ein wichtiges Maßnahmen- großen Bedrohung bewusst sein und sich dagegen bündel zur Verbesserung der Instrumentarien der wehren. Terrorbekämpfung beschlossen, das nachdrücklich zu Im Land Brandenburg wird deshalb auf Initiative begrüßen ist und auch für die Justiz wichtige Punkte des Ministerpräsidenten ein Paket von Maßnahmen enthält. Dazu gehört vor allem der europäische Haft- auf den Weg gebracht, das alle Politikbereiche befehl. berücksichtigt und der besonderen Lage gerecht Der uns vorliegende Entschließungsantrag greift wird, in der sich der Raum Brandenburg-Berlin vor viele wichtige und richtige Maßnahmen auf, z. B. die dem Hintergrund der Bedrohung durch Terror befin- Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung für die det. Bereiche organisiertes Verbrechen und Terrorismus. Wir müssen die offenkundigen Defizite in der tech- Ich habe – das gestehe ich offen – in den vergange- nischen Kommunikation der Sicherheitsbehörden nen Wochen bei der Debatte über den justiziellen Teil und -organisationen beseitigen. Deshalb bitte ich Sie, – ich betone das – der Antiterrorpakete der Bundesre- auch den Plenarantrag des Landes Brandenburg zu gierung den unbedingt notwendigen Dialog zwi- Maßnahmen zur Verbesserung der mobilen Kommu- schen dem Bund und den Ländern vermisst. Ich hätte nikation der Behörden und Organisationen mit Si- es jetzt gern in aller Freundschaft Herrn Geiger ge- cherheitsaufgaben zu unterstützen. sagt: Ich erinnere mich mit Wehmut an die gemeinsa- In Deutschland sind die Rahmenbedingungen für me Zeit im Bereich innere Sicherheit. eine effektive Bekämpfung des Terrorismus durch Es fehlt bis heute eine Unterrichtung aus erster eine Vielzahl gesetzlicher Maßnahmen bereits in den Hand über die beabsichtigten und geplanten Maßnah- 70er-Jahren weitgehend geschaffen worden. men auf der Ebene der Vereinten Nationen, auf eu- Dennoch ist es auch aus der Sicht Brandenburgs ropäischer und auch auf nationaler Ebene. Das muss richtig, das gesetzliche Instrumentarium insgesamt, rasch und intensiv nachgeholt werden. Denn auch im auch im justiziellen Bereich, zu überprüfen und zu Bereich der Justiz sind bei der Umsetzung dieser Maß- verbessern. Einige Beispiele: nahmen in erster Linie die Länder gefordert. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 533 Prof. Dr. Kurt Schelter (Brandenburg) (A) Die Anschläge vom 11. September sind vor allem Gewinnabschöpfung und die Bekämpfung der Geld- (C) eine große Herausforderung für die innere Sicherheit – wäsche voranzubringen und die dazu notwendigen für Polizei und Nachrichtendienste. Aber wir müssen Maßnahmen auch auf der europäischen Ebene zu er- die Sache zu Ende denken. Haben Polizei und Nach- greifen. Ich kann mir folgende Anmerkungen nicht richtendienste ihre Arbeit erfolgreich getan, müssen verkneifen: die Täter angeklagt und verurteilt werden. Die Bedro- Die europäische Ebene – die Kommission und die hung durch den Terrorismus fordert deshalb auch im Mitgliedstaaten – stünde auf diesem Feld besser da, justiziellen Bereich angemessene Antworten. Auch wenn sie rechtzeitig zu Vereinbarungen, beispielswei- Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen in ihren se über die gemeinsame Besteuerung von Kapital- personellen und sächlichen Ressourcen darauf vor- erträgen, bereit gewesen wäre. Das ist bisher immer bereitet werden. Hier ist noch manches nachzuholen. wieder daran gescheitert, dass es Staaten innerhalb Die dafür erforderlichen Maßnahmen können der der Europäischen Union gibt, die Steuerschlupflöcher Bund und die Länder – und das erwarten unsere Bür- öffnen. ger zu Recht – nur gemeinsam auf den Weg bringen. Dafür möchten wir werben, auch in Brandenburg. – Ich würde es begrüßen, wenn wir bei dieser Gele- Vielen Dank. genheit Folgendes erörterten: Ich finde es bemer- kenswert, dass man in der Bundesrepublik bereit ist, etwas gegen die Geldwäsche zu unternehmen, sich Präsident Kurt Beck: Ich danke Ihnen, Herr Minis- aber scheut – manche sagen das sogar ausdrücklich –, ter. gleichzeitig Maßnahmen zur Verfolgung der Steuer- Es liegt eine Wortmeldung des Kollegen Sellering hinterziehung vorzusehen. Wir sollten uns vor einer (Mecklenburg-Vorpommern) vor. Bevor ich Ihnen, gewissen Doppelzüngigkeit hüten. Vielleicht gehört Herr Bundesminister, das Wort erteile, würde ich, das zu den Konsequenzen, die wir nach den Ereignis- wenn Sie einverstanden sind, Herrn Sellering aufru- sen, die wir erleben mussten, ziehen müssen. fen. – Bitte schön, Herr Minister. Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit, über die Einhal- tung von Recht und Gesetz reden – das tun wir in vol- Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern): Herr lem Bewusstsein gerade auf den Feldern, über die wir Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte nur beraten haben –, dann gilt dies natürlich auch für sol- eine kurze Bemerkung zu dem Beitrag des Kollegen che Tatbestände. Mir liegt daran, dass wir uns das vor Birkmann machen. Dabei will ich an die Ausführun- Augen führen und möglicherweise sogar zu Maßnah- gen von Ministerpräsident Clement zum Hase-und- men kommen. Wir sollten nicht davor zurück- Igel-Spiel anknüpfen, die ich nachdrücklich unter- schrecken, gleichzeitig Regelungen vorzusehen, um (B) stütze; das sollten wir nicht tun. Dies sollte auch für die Steuerhinterziehung, die bei uns doch einen ziem- (D) die Justizminister gelten. lich hohen Umfang erreicht hat, jedenfalls etwas ein- zudämmen. Es wäre ein erheblicher Fortschritt, wenn Ich habe mich sehr gewundert, Herr Kollege Birk- uns dies gelänge. mann, dass Sie die Forderung nach einer Sonder-Jus- tizministerkonferenz – für mich völlig überraschend – Auf der europäischen Ebene sollten wir in ebensol- erhoben haben. Ich meine, dass durchaus Gelegen- cher Klarheit wie Sie, Herr Kollege, nicht nur über die heit besteht, untereinander zu kommunizieren. Die Bekämpfung der Geldwäsche, sondern auch darüber Bundesjustizministerin hat schon vor Tagen mit dem reden, dass wir innerhalb der Europäischen Union auf Vorsitzenden der Justizministerkonferenz, Herrn ein paar gemeinsame Regeln angewiesen sind. Dazu Mertin, telefoniert. Mit ihm ist abgesprochen worden, gehört die gemeinsame Besteuerung von Kapitaler- welchen Bedarf wir haben. Es wurde verabredet, dass trägen, die in den zurückliegenden Jahren immer am Montag zunächst eine Telefonkonferenz stattfin- wieder gescheitert ist. Der Mut, den wir aufbringen, den soll. Wie gesagt, ich denke, wir sollten insoweit sollte nicht begrenzt sein. Wir sollten zu solchen Maß- nahmen fähig sein. – Schönen Dank. nicht in einen Wettlauf eintreten. In der Sache stünde es den Justizministern gut an, den rechtsstaatlichen Teil aller Maßnahmen, die wir Präsident Kurt Beck: Schönen Dank, Herr Kollege ergreifen wollen, sehr sorgfältig im Auge zu behalten. Clement! Deshalb ist es etwas verwunderlich, wenn von einem Jetzt hat der Bundesminister des Innern, Herr Schily, Kollegen hier vorgetragen wird, ein Richtervorbehalt das Wort. sei unnötiger Formalismus. Das wird von mir nicht ge- tragen. Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- dent, meine Damen und Herren! In der Bundesrepu- Präsident Kurt Beck: Vielen Dank! blik Deutschland hat sich das Prinzip bewährt, dass Herr Ministerpräsident Clement. die innere Sicherheit von Bund und Ländern garan- tiert wird. Das Zusammenwirken gerade des Bundes- ministeriums des Innern und der Länderinnenminister Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen): Herr kann als eine Erfolgsbilanz verstanden werden. Ich Präsident! Auch mir liegt daran, eine Bemerkung verstehe auch die heutigen Erörterungen im Bundes- nachzutragen. Ich habe voller Respekt die „tapferen“ rat so, dass wir daran arbeiten, diese bewährte Zu- Ausführungen verfolgt, in denen es darum ging, die sammenarbeit fortzusetzen. 534 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily (A) In diesem Sinne betrachte ich die heute vorgelegten von Einsatzbereitschaft zum Einzeldienst im Bund (C) Anträge als Unterstützung meiner Bemühungen, ein und in den Ländern darstellt. Der bereitschaftspoli- so genanntes Sicherheitspaket II zu schnüren. Ich zeiliche Anteil im Bundesgrenzschutz liegt bei deut- sage Ihnen zu, dass ich die Überlegungen, die in die- lich mehr als 20 %. Wenn wir die 16 Bundesländer be- sen Anträgen enthalten sind, sorgfältig prüfen werde. trachten und den Bundesgrenzschutz, wenn Sie so Dies geschieht natürlich gleichermaßen hinsichtlich wollen, als 17. Einheit hinzuzählten, dann lägen wir, der einzelnen Vorschläge, die von meinem Hause er- alles zusammengerechnet, sogar bei einem Anteil von arbeitet worden sind. Ich glaube, einer solchen kriti- rund 26 %. Das ist wahrlich beachtlich. schen und sorgfältigen Prüfung darf sich niemand verweigern. So war vor kurzem beispielsweise der Nun halte ich Ihnen einmal vor, wie dies in den Län- Bundesdatenschutzbeauftragte bei mir zu Gast, mit dern aussieht, damit niemand Zweifel daran hat, wie dem ich einen sehr freimütigen Dialog darüber ge- unterschiedlich die Anteile sind. Baden-Württemberg führt habe, was möglich und notwendig ist. hat einen Bereitschaftspolizeianteil von 7,37 %; in Bayern liegt er bei 5,66 %. Lieber Kollege Bartling, da Herr Ministerpräsident Teufel – für andere Diskussi- sich Niedersachsen veranlasst gesehen hat, dieses onsteilnehmer gilt das Gleiche –, ich hätte es aller- Thema hier zu erwähnen, muss ich auch Niedersach- dings begrüßt, wenn Sie in die Begründung Ihrer An- sen ansprechen: Der Anteil liegt dort bei 5,42 %. Das träge nicht eine Reihe von Behauptungen eingestreut alles ist nicht sehr eindrucksvoll. Deshalb meine ich, hätten, die mit der Wahrheit kaum zu vereinbaren dass ich keine Vorhaltungen, sondern Lob verdient sind. habe. Das nächste Mal, wenn ich in den Bundesrat Ich will ein Beispiel nennen. Herr Ministerpräsident komme, möchte ich dieses Lob erhalten. Teufel, Sie haben die Behauptung aufgestellt, wir hät- (Heiterkeit) ten den Bundesgrenzschutz reduziert. Das mag noch auf die Erinnerung an die alte Bundesregierung Die schrecklichen terroristischen Anschläge, die zurückzuführen sein. Jedenfalls für meine Regie- uns die Dimension der terroristischen Bedrohung in rungszeit gilt, dass der Bundesgrenzschutz auf glei- aller Deutlichkeit vor Augen geführt haben, hängen chem Niveau gehalten wurde. Im Gegensatz zu Ihren besonders mit der Luftsicherheit zusammen. Ich darf Ausführungen haben wir den Mitteleinsatz beim darauf hinweisen, dass der Bund seit 1998 für die Ga- Bundesgrenzschutz erheblich verstärkt. Ich will da- rantie der Luftsicherheit Mittel in einer Größenord- rauf hinweisen, dass wir beispielsweise die Mittel für nung von 1,2 Milliarden DM eingesetzt hat. Das ist das Hebungsprogramm, das für die Motivation der wahrlich kein geringer Betrag. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesgrenz- schutz wichtig ist, gegenüber dem Ansatz der alten Herr Ministerpräsident Teufel, Sie haben eine For- (D) (B) Bundesregierung in diesem Bereich verdoppelt derung angesprochen – das verstehe ich gut –, mit der haben. In den letzten drei Jahren haben wir im ich in der Innenministerkonferenz wiederholt kon- Bundesgrenzschutz 3 772 Hebungen vollzogen und frontiert worden bin. Sie zu erfüllen war für mich 11 870 Beförderungen realisiert. Das ist ein Sachver- nicht ganz problemlos – das will ich ohne weiteres halt, den man zur Kenntnis nehmen muss. einräumen –, weil natürlich auch ich einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten muss. Wir müssen Nun haben Sie die heutige Beratung zum Anlass die zerrütteten Staatsfinanzen, die wir übernommen genommen – leider hat dies gestern auch der Kollege haben, wieder in Ordnung bringen. Das ist keine Beckstein im Bundestag getan; es ist hier bedauerli- leichte Aufgabe. Ich habe jedoch schon früher gesagt cherweise auch von anderer Seite zur Sprache ge- – insofern kommt Ihre Forderung zu spät –, dass ich bracht worden –, dem Bund Vorhaltungen zu machen, im Rahmen des Sicherheitspakets – dafür stehen uns dass er eine Reform des Bundesgrenzschutzes zu durchaus Mittel zur Verfügung – auch den Ansatz für Ende gebracht hat, die von der alten Bundesregie- die Bereitschaftspolizeien der Länder wieder hochzo- rung entworfen worden ist und die durchaus vernünf- nen werde. tig war. Unter uns ist ein Minister – er war früher Staatssekretär im Bundesinnenministerium –, der Auch insoweit kann ich Ihnen eines nicht ersparen, diese Reform kennt und sie, wie ich hoffe, seinerzeit Herr Ministerpräsident Teufel: Von 1990 bis 1997, also unterstützt hat. Ich glaube, sie war richtig, weil wir unter der alten Bundesregierung, sind bereitgestellte damit eine höhere Effizienz des Bundesgrenzschutzes Haushaltsmittel in der Größenordnung von insgesamt hergestellt haben. Ich habe sie bei Regierungsantritt 120 Millionen DM nicht für Beschaffungsmaßnahmen sehr kritisch überprüft, mich dann davon überzeugt, der Bereitschaftspolizeien der Länder verwendet dass ihr Ansatz richtig ist, und sie zu Ende geführt. worden. Dadurch entstand in diesen Jahren ein Aus- Das hat auch die Einsatzbereitschaft des Bundes- stattungsdefizit in der Größenordnung von 160 Milli- grenzschutzes nicht geschwächt. Herr Ministerpräsi- onen DM. Das ist die Situation, die wir vorgefunden dent Teufel, wir haben zwar die Einsatzbereitschaften haben. Seit 1998, also seit Beginn unserer Regie- beseitigt, die früher entlang der Zonengrenze bestan- rungszeit, haben wir für Beschaffungsmaßnahmen den. Aber dort hat sich die Sachlage bekanntlich ver- mehr als 124 Millionen DM aufgewendet. Diese Mit- ändert. Darauf muss man reagieren. Wir können dann tel kamen zu 100 % den Bereitschaftspolizeien der nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Länder zugute. Im Übrigen, Herr Ministerpräsident Teufel, will ich Es gibt andere Fragen in diesem Bereich, über die Sie doch darauf hinweisen, wie sich das Verhältnis man diskutieren könnte. Aber ich will darauf verzich- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 535 Bundesminister Otto Schily (A) ten, auf sie einzugehen. Das, was ich gesagt habe, Das Gleiche gilt für den Bereich des Bundesgrenz- (C) sollte ausreichen, um deutlich zu machen, dass wir in schutzes. Auch dort sind einige Maßnahmen notwen- der inneren Sicherheit eine sehr gute Bilanz ziehen dig. Ich will eine davon erwähnen, die möglicherwei- können. Stattdessen will ich darauf eingehen, was se mit einer Gesetzesänderung verbunden ist und nun an zusätzlichen Maßnahmen erforderlich ist. deren Zielsetzung, glaube ich, verständlich ist. Sie kennen das Problem der Begleitung in Flugzeugen. Dabei werden wir vor die Frage gestellt: Was kön- Wir werden eine besondere Einheit so genannter Sky nen wir auf der Bundesebene tun, und was muss auf Marshals aufbauen. Ich halte das unter den gegen- der Landesebene getan werden? Es wäre schön, wenn wärtigen Bedingungen für notwendig. wir hören könnten, was die einzelnen Länder in ihrem Bereich zu tun bereit sind. Es sei mir gestattet, obwohl Wir werden Änderungen im Hinblick auf den Tätig- ich die Länderzuständigkeiten nicht wahrnehmen keitsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz kann und will, vornehmen. Dazu ist auch in Ihren Entwürfen einiges enthalten. Das trifft sich möglicherweise. Allerdings ist (Wolfgang Clement [Nordrhein-Westfalen]: Wa- mir eine sehr deutliche Unterscheidung aufgefallen: rum nicht?) Finanzströme zur Finanzierung des Terrorismus, die eine Empfehlung zu geben, der Sie vielleicht doch fol- auch das Bundesamt für Verfassungsschutz interessie- gen, nämlich dass die Länder untereinander abstim- ren könnten, kommen bei Ihnen offenbar nicht vor. men, was sie tun wollen oder tun können. Ich habe Das scheint Sie in Bezug auf die Abwehr des Terroris- wahrgenommen, dass im Freistaat Bayern bestimmte mus also nicht besonders zu interessieren. Ich meine Maßnahmen eingeleitet worden sind. Es ist mir auch aber, dass wir auch an dieser Stelle vorankommen nicht entgangen, dass das Land Hessen einige Kritik müssen, ohne die Dinge zu überziehen und zu Rege- an diesem Sicherheitspaket geübt hat, weil man lungen zu kommen, die mit unserem freiheitlichen meinte, man sollte sich vielleicht erst einmal unterein- rechtsstaatlichen Verständnis nicht vereinbar sind. ander darüber verständigen, Herr Bocklet, wie man Dazu gehören eine Änderung im Sicherheitsüber- damit umgehen soll, damit es nicht zu einem Überbie- prüfungsgesetz sowie Änderungen im Passgesetz. tungswettbewerb unter den Ländern kommt. Eine Wir werden es möglich machen müssen, dass bei Aus- Abstimmung unter den Ländern wäre meiner Ansicht weisdokumenten die modernen Methoden der Identi- nach sehr hilfreich. fizierung verwendet werden. Ich bin Ihnen sehr dank- bar, Herr Ministerpräsident Clement, dass Sie das in Meine Damen und Herren, ich will Ihre Zeit nicht einem positiven Sinne angesprochen haben. allzu sehr in Anspruch nehmen. Aber ich glaube, es ist hilfreich, wenn ich Ihnen stichwortartig vortrage, Zu glauben, dass ein Lichtbild in einem Ausweisdo- (B) was ich im Rahmen des so genannten Sicherheitspa- kument nicht die Menschenwürde verletze, während (D) kets II zu tun beabsichtige. andere Merkmale die Menschenwürde sehr wohl be- einträchtigten, halte ich für falsch. Ich habe das schon Es ist für mich etwas seltsam – das habe ich gestern mehrfach erklärt; ich will es in diesem Hohen Hause bei Herrn Beckstein erleben müssen; ich habe es in wiederholen. In den Vereinigten Staaten von Amerika etwas abgewandelter Form auch heute in einigen Dis- werden seit jeher Resident Alien Cards verwendet. kussionsbeiträgen gehört –, dass auf der einen Seite Darauf befindet sich ein Foto, aber auch ein Finger- behauptet wird, man wisse nicht, was ich tun wolle, abdruck. Niemand hat sich dadurch bisher in seiner während auf der anderen Seite kritisiert wird, was ich Menschenwürde beeinträchtigt gefühlt. Es hat auch tun will. Das ist ein merkwürdiger Widerspruch. Des- dem Zuzug von qualifizierten Fachleuten nicht ge- halb meine ich, dass wir uns darüber verständigen schadet. müssen, wohin die Reise gehen soll. Wir brauchen Änderungen im Vereinsgesetz. Die Ich habe der Innenministerkonferenz, mit der ich Verbotsgründe müssen erweitert werden. Wir dürfen mich in mehreren Schaltkonferenzen habe bespre- es nicht dulden, dass sich Verfassungsfeindlichkeit in chen können, zugesagt, dass zu gegebener Zeit über diesem Bereich organisiert. Ich glaube, dass wir auch die Vorschläge, die ich machen werde, zu reden ist. dort schärfere Maßnahmen vorsehen müssen. Ich wäre schlecht beraten, wenn ich nicht die sach- kundigen Meinungen meiner Innenministerkollegen Wir werden Veränderungen im ausländerrecht- hinzuzöge, damit wir zu einem guten Ergebnis kom- lichen Bereich, im Asylbereich vornehmen. Ich will men. sie nicht im Einzelnen aufzählen. Ich darf Sie, Herr Ministerpräsident Teufel, nur darauf hinweisen, dass Ich meine, dass wir Änderungen im Bereich des in dem ursprünglichen Entwurf des Zuwanderungs- Bundeskriminalamtes brauchen. Wir werden Ände- gesetzes, den ich Ihnen gerne noch einmal zuschicke, rungen zum Bundeskriminalamtgesetz vorschlagen, Vorschläge enthalten sind, die gerade der Verbesse- damit das Bundeskriminalamt seine Aufgaben noch rung der Sicherheit dienen. Das, was Sie hier behaup- effizienter wahrnehmen kann, als es heute der Fall ist. tet haben, nämlich der Rechtszustand in der Frage der Dabei gibt es einen Punkt, der durchaus umstritten Sicherheit werde durch das Zuwanderungsgesetz ver- ist, der von Herrn Beckstein und anderen in Frage ge- schlechtert, ist schlicht falsch. stellt wird. Die Ressortabstimmung ist insofern noch (Erwin Teufel [Baden-Württemberg]: Ich habe nicht abgeschlossen. Ich glaube, dass wir einiges tun von Visaerteilung gesprochen!) müssen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes ihren Aufgaben in der – Nein. Ich glaube, das müssen Sie schon richtig nach- wirksamsten Form nachgehen können. lesen. Wir haben bei der Reform des Staatsange- 536 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily (A) hörigkeitsrechts, die Sie auch nicht gerade gefördert Vorschläge enthalten –, dass die Dateien so gestaltet (C) haben, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft werden, dass wir sie nicht nur für ausländerrechtliche erschwert oder jedenfalls so gestaltet, dass er Verfas- Zwecke verwenden können, sondern dass sie in dem sungsfeinden oder Menschen, die es mit unseren Ge- gebotenen Maße auch den polizeilichen Institutionen setzen und mit unserer Gesellschaftsordnung nicht zur Verfügung stehen. gut meinen, nicht gestattet wird. Insofern gibt es einen Zusammenhang zwischen Wir haben erfreulicherweise Übereinstimmung er- identitätssichernden Maßnahmen und den Dateien. reicht, dass in allen Ländern eine Regelanfrage statt- Wenn es so ist – und es ist so –, dass einer der Haupt- findet. Einige Länder haben da gesetzlich Nachholbe- täter dieser schrecklichen Attentate in New York und darf. Der Freistaat Sachsen muss erst noch seine in Washington mit drei verschiedenen Identitäten im Gesetze ändern. Das wird er wohl auch tun. Ausländerzentralregister verzeichnet war, was nicht bemerkt wurde, dann ist dieser Zustand nicht hin- Wir haben dabei Fälle von Menschen vor Augen nehmbar, und es muss dafür gesorgt werden, dass es – das will ich doch nicht verschweigen –, die sich hier damit ein Ende hat. Dafür werde ich mich einsetzen. aufgehalten haben und bei denen sich herausgestellt hat, dass sie in terroristische Netzwerke verstrickt Wir werden Visadateien schaffen, sowohl in unse- sind; sie hatten zum Teil sogar Zugang zur deutschen rem Land – ich komme gleich auf Europa zurück; Herr Staatsbürgerschaft. Das alles sind jedoch Fälle unter Schelter hat das, wie ich finde, sehr gut dargestellt – altem Recht, unter altem Ausländerrecht, unter altem als auch in Europa insgesamt. Selbstverständlich Staatsangehörigkeitsrecht, Herr Ministerpräsident brauchen wir auch eine Datei über abgelehnte Visa- Teufel. Deshalb verstehe ich nicht, dass Sie einer der- anträge und Ähnliches. Ich will Ihnen nicht jedes De- jenigen sind, die sich am stärksten gegen das Zuwan- tail vortragen. derungsgesetz sperren. Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, der in Das verstehe ich umso weniger, als Sie hier das einigen Beiträgen angesprochen worden ist. Er gehört Thema „Integration“ angesprochen haben. Ich bin nicht unbedingt zu meinem Zuständigkeitsbereich. Ihnen dankbar dafür, dass Sie das getan haben. Wir Ich muss sehr sorgfältig darauf achten, dass ich meine stimmen darin überein, dass die Integrationsmaßnah- Kompetenz nicht überschreite – Herr Staatssekretär men verstärkt werden müssen. Aber wenn wir Vor- Geiger ist ohnehin anwesend –, aber ich glaube, ich schläge dazu vorlegen, lehnen Sie sie von vornherein darf erwähnen, dass im Bundesjustizministerium sehr ab. Es gibt Leute, die sagen – wie ein Abgeordneter vernünftige Überlegungen angestellt werden, wie des Deutschen Bundestages, der früher für Gesund- man künftig die Frage des Kronzeugen regeln soll. heitspolitik zuständig war und sich neuerdings in der (B) Die alte Kronzeugenregelung war auch nach meiner (D) Innenpolitik tummelt –, wir könnten in unseren Ent- Überzeugung keine ideale Lösung. Es darf beim wurf hineinschreiben, was wir wollten, es werde Kronzeugen nicht darum gehen, einen Handel zwi- immer abgelehnt. So ungefähr hat er sich ausge- schen Aussageverhalten und Straferleichterung zu er- drückt. möglichen. Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen wird Wenn wir verantwortliche Politik machen wollen, naturgemäß Zweifeln ausgesetzt, wenn man sagt: Du dann müssen wir auch an dieser Stelle etwas verän- hast die Aussage nur gemacht, damit du die Strafer- dern, und zwar in zweierlei Hinsicht: Wir müssen die leichterung bekommst. – Das muss Zweifel wecken. Sicherheitsstrukturen erheblich straffen. Wir müssen Aber es ist für die Strafverfolgungsbehörden durch- dafür sorgen, dass sich nicht unter dem Deckmantel aus hilfreich – das erweist auch die Praxis, etwa wenn eines angeblichen Verfolgungsschicksals oder eines Sie an die Pentiti bei der Bekämpfung der Mafia in Flüchtlingsschicksals Menschen in Deutschland ein- schleichen und womöglich Aufenthaltstitel bekom- Italien oder an bestimmte Vorfälle denken –, wenn ein men. Jedenfalls was meine Seite angeht, so bin ich in ein strafbares Verhalten verwickelter Täter die Po- fest dazu entschlossen. lizei zu einem Sprengstoffversteck oder zu einer kon- spirativen Wohnung führt oder zur Entdeckung des Auf der anderen Seite darf es nicht passieren, Herr Aufenthaltsortes eines Hauptverdächtigen bzw. eines Ministerpräsident Teufel, dass wir Deutschland vor anderen Verdächtigen beiträgt. Diesem Täter dann der Welt abschotten, indem wir die Visaerteilung so Strafmilderung anzubieten ist vernünftig, finde ich; handhaben, dass niemand mehr zu uns kommt – das wird auch umgesetzt werden. keine Geschäftsleute, keine Wissenschaftler, keine Studenten, auch keine Besucher. Das wäre töricht. Lassen Sie mich noch einige Worte auf die Zusam- Dann hätten wir schon verloren. Wenn wir Deutsch- menarbeit von Bund und Ländern im Zivil- und Kata- land in dieser Weise unter Quarantäne stellten, hätte strophenschutz verwenden. Dieses Thema ist nur der Terrorismus gewonnen. Das darf nicht der Sinn stichwortartig angesprochen worden. Ich würde es der Politik sein. Im Gegenteil, wir müssen dafür sor- Ihnen gerne einmal in aller Ausführlichkeit vortragen, gen, dass Deutschland ein weltoffenes und modernes möchte es aber heute nicht unerwähnt lassen. Auch Land bleibt. Dies ist der Inhalt unserer Gesellschafts- hier bedanke ich mich für die wirklich vertrauensvolle ordnung. Dafür setze ich mich ein. und gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Län- dern. Wir haben schon längst vor dem 11. September Selbstverständlich müssen wir auch daran arbeiten begonnen, diesen Bereich umzuorganisieren, und – dazu sind in meinem Sicherheitspaket zahlreiche damit durchaus Erfolge erzielt. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 537 Bundesminister Otto Schily (A) Die Tatsache, dass wir den Ländern im Verlaufe der rung und Umsetzung der UN-Übereinkommen zur (C) nächsten Monate 650 hochmoderne leistungsfähige Verhütung und Bekämpfung der Finanzierung des Fahrzeuge zur Verfügung stellen können – ABC-Er- Terrorismus, die Verbesserung und Verstärkung der kunder, Dekontaminationsfahrzeuge und Kranken- Zusammenarbeit an den Außengrenzen und Überwa- fahrzeuge –, beruht natürlich auf der Vorbereitung chungsmaßnahmen an den Binnengrenzen, die dieser Maßnahme. Wir haben den Stau bei der Fahr- verstärkte Kontrolle und Zusammenarbeit bei der zeugbeschaffung auflösen können. In Berlin und Ausstellung von Identitätsdokumenten und Aufent- Brandenburg haben wir gestern sechs Fahrzeuge haltstiteln sowie die Durchführung von systemati- übergeben. Herr Bocklet, ich kann Ihnen die freudige schen Kontrollen bei Identitätsdokumenten und Mitteilung machen, dass ich morgen dem Kollegen Ähnliches bei der Visaerteilung. Sie, Herr Minister- Beckstein ebenfalls sechs Fahrzeuge übergeben präsident Teufel, haben insofern durchaus zu Recht werde. Er hat schon angemahnt, dass er nicht zu kurz auf die Probleme bei der Visaerteilung, was die Si- kommt. Er ist immer schnell dabei; das ist gut. Bayern cherheitsaspekte angeht, hingewiesen. müssen zusammenhalten. Zum Abschluss möchte ich sagen, dass wir zusätzli- (Heiterkeit) che Maßnahmen vorgeschlagen haben. Ich bin der Gleiches wird in den übrigen Ländern in den nächs- belgischen Präsidentschaft dankbar, dass sie diese in ten Monaten geschehen. Die ABC-Erkunder werden die so genannte „Roadmap“ aufnehmen will. Dazu Sie alle bis Januar nächsten Jahres erhalten, und bis gehört die Öffnung der EURODAC-Datenbank, die Mitte des nächsten Jahres folgen dann die übrigen leider noch nicht zu Stande gekommen ist; das macht Fahrzeuge. es ziemlich mühsam, diese Maßnahme in Europa zu realisieren. Wenn ich Ihnen sagte, woran es Es hat sich ausgezahlt, dass wir ein Konzept für den noch hakt, würden Sie sich vielleicht etwas wundern; Ausbau der Akademie für Notfallplanung und Zivil- aber das will ich jetzt nicht tun. Jedenfalls muss die schutz auf den Weg gebracht haben. Es hat sich eben- EURODAC-Datenbank auch für polizeiliche Zwecke falls ausgezahlt, dass wir das Bundesamt für Zivil- geöffnet werden und darf sich nicht auf ausländer- schutz in das Bundesverwaltungsamt eingegliedert rechtliche Maßnahmen beschränken. haben, weil dadurch Synergieeffekte erzielt und Overhead-Kosten vermieden werden konnten. Es ist notwendig, dass die Sicherheitsbehörden die Ausdruck dieser guten Arbeit sind der Aufbau eines Erkenntnisse aus Visa-Konsultationsverfahren ver- deutschen Notfallvorsorge-Informationssystems und wenden können. Wir brauchen gemeinsame Visada- die Inbetriebnahme der ersten Stufe eines satelliten- teien nicht nur im nationalen Maßstab, weil man sonst gestützten Kommunikationssystems zur Übertragung auf dem Umweg über einen anderen Mitgliedstaat (B) von Warnungen. Sie wissen, dass unter der alten Re- doch nach Deutschland einreisen kann. (D) Warnsystem gierung das abgebaut, aber nichts an Wir brauchen ein europäisches Zentralregister für dessen Stelle gesetzt wurde. Damit meine ich die alte alle Drittstaatsangehörigen, die sich im Unionsgebiet Bundesregierung, natürlich nicht die Landesregierun- aufhalten, wenn Sie so wollen, ein europäisches Aus- gen. Die Länder sind nicht betroffen; sie waren davon länderzentralregister, wobei allerdings sichergestellt völlig frei. Ich mache hier nur Komplimente an die sein muss – in einigen Ländern gibt es so etwas noch Länder, wie es sich im Bundesrat gehört. nicht –, dass auch im nationalen Maßstab Ausländer- Ich möchte etwas zur europäischen Ebene sagen. zentralregister eingerichtet werden. Wir brauchen Ich wiederhole: Ich bin Herrn Professor Schelter Melderegister – es gibt nicht in allen Mitgliedstaaten dankbar dafür, dass er dieses Thema ebenfalls ange- der Europäischen Union Melderegister; auch das ist sprochen hat. Er hat völlig Recht, wenn er sagt – ich ein Problem – und schließlich die Einführung neuer mache mir das zu Eigen; das erkläre ich ständig –, Methoden zur Identitätssicherung unter anderem in dass die Herstellung von Sicherheit, vor allen Dingen Visaanträgen und bei Aufenthaltstiteln, die beantragt die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und werden. internationalem Terrorismus, nur gelingen kann, wenn sie international angelegt ist. Das führt weit Gestatten Sie mir einen kleinen Hinweis, damit über die europäische Ebene hinaus. Herr Professor man nicht denkt, das alles sei neu und verwegen: In Schelter hat auf die Sitzung des Rates für Justiz und Spanien – das habe ich mir von meinem spanischen Inneres am 20. September hingewiesen und deren Er- Innenministerkollegen bei dem jüngsten Treffen in gebnisse begrüßt. Ich will in aller Bescheidenheit da- Quedlinburg, bei den deutsch-spanischen Konsulta- rauf hinweisen, dass diese Sitzung auf deutsche Ini- tionen, berichten lassen – wird bei längerfristigen tiative zu Stande gekommen ist. Aufenthaltstiteln grundsätzlich ein Fingerabdruck verlangt. Was in Spanien möglich ist, sollte in anderen Auch ich finde, dass sich die Ergebnisse sehen las- Staaten ebenfalls möglich sein. sen können. Dazu gehören: der europäische Haftbe- fehl, die Koordinierung der laufenden Ermittlungen Ich glaube also, dass wir auf einem guten Wege durch Bildung eines gemeinsamen Ermittlungsteams sind, und ich hoffe, dass wir im Geiste guter Zusam- unter Einbeziehung von Polizei, Staatsanwaltschaft, menarbeit und nach kritischer Überprüfung dessen, Europol und Pro-EUROJUST, die Task-Force bei was von Einzelnen vorgeschlagen wird, auch zu Europol, in die Terrorismusexperten aus allen Län- einem guten Gesetzgebungsvorhaben kommen. Ich dern entsandt werden, die verbesserte Information freue mich darauf, demnächst wieder im Bundesrat zu unter den Mitgliedstaaten, die umgehende Ratifizie- sein und meine Vorschläge auf den Tisch legen zu 538 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Bundesminister Otto Schily (A) können. Ich hoffe, dass wir dann auch Übereinstim- Sie stellten fest, dass in unserem Antrag nichts über (C) mung erzielen können. – Vielen Dank. die Finanzströme enthalten sei. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass wir keinen einzigen der Punkte wie- der aufgegriffen haben, die in Ihrem Sicherheitspaket I Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Herr Bundesmi- oder etwa in den Initiativen des Bundesfinanzminis- nister! ters enthalten sind. Wir wollen keine Wiederholun- gen, sondern unser Antrag ist weiter führend und Herr Kollege Teufel hat sich zu Wort gemeldet. Ich geht mit 40 oder 50 Punkten über das hinaus, was von bin mir nicht sicher, ob er jetzt das Lob aussprechen Ihnen in dem Sicherheitspaket I und vom Bundesfi- wird, das sich der Herr Bundesminister gewünscht nanzminister längst initiiert wurde und was – übri- hat. Aber er sollte getröstet sein; denn nicht getadelt gens mit unserer Zustimmung – in den letzten Wo- zu werden ist häufig schon Lob genug. chen beschlossen worden ist. (Heiterkeit) Aber man muss darüber hinaus etwas tun. Das haben Sie mit einem Sicherheitspaket II auch vor. Ich Erwin Teufel (Baden-Württemberg): Herr Präsident, habe Ihnen heute Morgen signalisiert, wir würden meine Damen und Herren! Ich möchte wenige Sätze einem Sicherheitspaket II zustimmen. Ich glaube zu dem anmerken, was der Herr Bundesinnenminister aber, Sie haben damit eher Probleme in Ihrer heuti- gesagt hat. Ich halte fest, dass er auf keinen einzigen gen und mit Ihrer früheren Partei. Wenn Sie schon von Lob und Tadel reden, dann sollten Sie Lob und Vorschlag, den wir in unserem Antrag gemacht Tadel an der jeweils richtigen Stelle anbringen – viel- haben, ablehnend reagiert, sondern eine umfassende leicht Lob bei denjenigen, die Sie unterstützen, und Prüfung zugesagt hat. Das könnte Sie, meine Damen Tadel bei denen, die Ihnen im Augenblick noch und Herren Kollegen, veranlassen, unserem Antrag Schwierigkeiten machen. zuzustimmen, zumal auch Herr Kollege Clement im zweiten Teil seiner Ausführungen, in dem er konkret Zur Visaerteilung habe ich das Notwendige gesagt. geworden ist, Zustimmung zu allen wesentlichen Es wäre ein Leichtes – es bedarf keines Gesetzes, es Punkten, die wir vorgeschlagen haben, signalisiert bedarf keiner Verordnung, und immerhin sind seit hat. Es wäre schade, wenn es in dieser zentralen dem 11. September fünf Wochen ins Land gezogen –, Frage nicht zu einem Einvernehmen käme. wenn der Bundesaußenminister Erlasse – die ich, was die Vergangenheit betrifft, jetzt nicht kritisieren will –, Zum Zweiten: Sie haben darauf hingewiesen, dass die er an die deutschen Auslandsvertretungen ausge- Maß- es sich bei unserem Antrag ausschließlich um geben hat und in denen er zu Großzügigkeit bei der nahmen handelt, die auf Bundesebene zu treffen sind, (B) Visaerteilung aufgefordert hat, änderte oder striche. (D) und Sie haben gefragt: Was tun denn eigentlich die Die neue Sicherheitslage erfordert eben ein anderes Länder? Herr Bundesinnenminister, der Bundesrat ist Verhalten. keine Länderkammer, sondern ein Bundesorgan; des- wegen befassen wir uns hier mit den Maßnahmen, die Sie haben dann gesagt, erfreulicherweise hätten auf Bundesebene zu treffen sind. In den Landtagen sich alle Länder darauf verständigt, bei Einbürgerun- der 16 Länder geht es dann sehr konkret um die Maß- gen eine Regelanfrage einzuführen. „Erfreulicher- nahmen, die wir auf Landesebene treffen müssen. Wir weise“ kann sich nicht auf die antragstellenden Län- beschäftigen uns – schon vor dem 11. September und der beziehen; denn diese führen die Regelanfrage auch danach – selbstverständlich mit sehr konkreten schon seit Jahren durch. Darauf möchte ich hinwei- Maßnahmen auf Landesebene und stimmen sie unter- sen. einander ab; das habe ich ausdrücklich lobend er- wähnt. Beim Thema „einreisebegrenzende Maßnahmen“ haben Sie ein Phantom aufgebaut. Sie haben gesagt, Sie haben sodann an die Adresse der früheren Bun- wir sollten uns nicht abschotten und keinem Ge- desregierung – ich fühle mich davon nicht betroffen – schäftsmann und keinem Touristen die Einreise in gesagt, in den 90er-Jahren seien Mittel für den Bun- unser Land verweigern. Wer will das denn tun? Wir desgrenzschutz abgebaut worden. wollen durch eine restriktivere Praxis bei der Visaer- teilung potenzielle Terroristen, potenzielle Straftäter Erstens weise ich darauf hin, dass die Steuerschät- davon abhalten, in unser Land zu kommen. zungen exakt seit Februar 1991 von Halbjahr zu Halbjahr um Milliardenbeträge zurückgegangen sind Zu Ihrer Aufforderung, Ihrem Zuwanderungsgesetz und dass dies Auswirkungen auf die öffentlichen zuzustimmen, will ich Ihnen sagen: Sie werden jeder- Haushalte hatte, während in den letzten zwei, drei zeit Zustimmung erhalten, wenn es sich de facto, in Jahren wieder wesentliche Steuermehreinnahmen der Praxis, bei den konkreten Maßnahmen um ein bei Bund, Ländern und Gemeinden zu verzeichnen Gesetz zur Zuwanderungsbegrenzung handelt, nicht waren. nur um ein Gesetz, das weitere Zuwanderung in unser Land ermöglicht. Zum Zweiten mache ich darauf aufmerksam, dass So viel in Kürze zu Ihren Ausführungen. die Situation des Bundesgrenzschutzes – Sie haben die ehemalige Zonengrenze und die Aufgaben dort angesprochen – in den 90er-Jahren eine andere ge- Präsident Kurt Beck: Schönen Dank, Herr Kollege wesen ist als in früheren Jahrzehnten. Teufel! Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 539 Präsident Kurt Beck (A) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Je eine Hierzu liegt eine Reihe von Wortmeldungen vor. Ich (C) Erklärung zu Protokoll*) geben ab: Herr Staatsminis- erteile Frau Ministerin Höhn (Nordrhein-Westfalen) ter Bocklet (Bayern), Herr Staatsminister Zuber das Wort. – Ihr folgt Frau Staatsministerin Conrad (Rheinland-Pfalz) und Herr Minister Möller (Schles- (Rheinland-Pfalz). wig-Holstein). Zu Punkt 45 weise ich darauf hin, dass Schleswig- Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Meine Damen Holstein den Antrag auf sofortige Sachentscheidung und Herren! Unter dem zweiten Tagesordnungspunkt zurückgezogen hat. einer Bundesratssitzung wird immer über ein wichti- Zur weiteren Beratung weise ich den Gesetzent- ges Thema diskutiert. Wir beraten heute unter dem wurf zur Änderung des Feuerschutzsteuergesetzes zweiten Tagesordnungspunkt über die Legehennen dem Finanzausschuss – federführend – und dem Aus- in diesem Land. schuss für Innere Angelegenheiten – mitberatend – zu. Sie haben es in der Hand: Sie fällen heute eine wichtige Entscheidung für die Legehennen in diesem Wir kommen zu Punkt 46: Entschließung zur Ergän- Land. Die Frage ist: Wird es ein guter Tag für die Le- zung der Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörig- gehennen in Deutschland? Wir können es erreichen. keitsrecht. Die Grundlage für die heutige Entscheidung ist vor Ausschussberatungen haben noch nicht stattgefun- gut zwei Jahren gelegt worden. Das Land Nordrhein- den. Bayern hat jedoch beantragt, bereits heute in der Westfalen hat beim Bundesverfassungsgericht Klage Sache zu entscheiden. Wer für sofortige Sachentschei- gegen die geltende Hennenhaltungsverordnung ein- dung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist gereicht mit dem Argument, sie verstoße gegen den eine Minderheit. Tierschutz und sei daher rechtswidrig. Das Bundes- Dann weise ich die Vorlage dem Ausschuss für In- verfassungsgericht hat die Klage des Landes Nord- nere Angelegenheiten zu. rhein-Westfalen positiv beschieden. Worum geht es in dem Urteil? Wir fahren fort mit Punkt 47: Entschließung zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Das Bundesverfassungsgericht hat den Legehennen Ausschussberatungen haben auch hierzu noch in diesem Land Rechte zugebilligt: das Recht, gleich- nicht stattgefunden. Baden-Württemberg hat jedoch zeitig zu fressen, das Recht, gleichzeitig zu schlafen, die sofortige Sachentscheidung beantragt. Wer dafür das Recht, Eier in ein Nest zu legen, das Recht, im ist, bereits heute in der Sache zu entscheiden, den Sand zu baden, und das Recht hochzuflattern. Wir (B) bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minder- wollen und müssen die Rechte, die das Bundesverfas- (D) heit. sungsgericht den Legehennen in diesem Land gege- ben hat, umsetzen. Dann weise ich die Vorlage dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten – federführend – sowie dem Ein wesentlicher Punkt der Hennenhaltungsverord- Agrarausschuss, dem Ausschuss für Arbeit und nung ist der Platz. Einer Henne in Deutschland wird Sozialpolitik, dem Ausschuss für Fragen der Eu- darin weniger als ein DIN-A4-Blatt Platz zugestan- ropäischen Union, dem Finanzausschuss, dem den. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Die Hennen Rechtsausschuss, dem Umweltausschuss und dem in diesem Land brauchen mehr Platz. Wirtschaftsausschuss – mitberatend – zu. Ursache für das Urteil und die Wende in der Tier- Wir kommen zu Punkt 48: Gesetzentwurf zur Ände- haltung in Deutschland war sicherlich die praktizierte rung des Sozialdatenschutzes. Batteriekäfighaltung, eine Entwicklung, die allein auf Ich weise die Vorlage folgenden Ausschüssen zu: den Preis und wenig auf den Tierschutz abstellt. dem Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik – feder- In den 50er-Jahren bekam ein Industriearbeiter für führend – sowie dem Gesundheitsausschuss und dem seinen Bruttostundenlohn statistisch 5,8 Eier. 1997 er- Ausschuss für Innere Angelegenheiten – mitbera- hielt er dafür 136 Eier. Man kann sich vorstellen, dass tend. sich in der Legehennenhaltung in diesem Land etwas Diesen Komplex abschließend, komme ich zu Punkt geändert hat. Dass man 136 Eier nicht essen sollte 49: Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländergeset- – zumindest nicht auf einmal –, ist eine andere Frage. zes. Aber angesichts von 5,8 Eiern in den 50er-Jahren und 136 Eiern in den 90er-Jahren müssen sich hier die Zur weiteren Beratung weise ich die Vorlage dem Verhältnisse geändert haben. Ausschuss für Innere Angelegenheiten – feder- führend – und dem Rechtsausschuss – mitberatend – zu. Unter „Agrarfabriken“ stellen sich die meisten ver- mutlich Batteriekäfighaltung vor und haben Exzesse Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: in Erinnerung, z. B. den Industriellen Pohlmann, der Erste Verordnung zur Änderung der Tier- seine Hennen mit Nikotin besprühte, um in den Batte- schutz-Nutztierhaltungsverordnung (Druck- riekäfigen hygienische Zustände herzustellen. Die sache 429/01) Haltung und die Exzesse waren die Ursache dafür, eine Wende herbeizuführen, die Hennenhaltungsver- ordnung zu ändern und für mehr Tierschutz auch in *) Anlagen 1 bis 3 der Nutztierhaltung zu sorgen. 540 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) (A) Meine Damen und Herren, mit der von der Bundes- Rheinland-Pfalz gehört zu den Bundesländern, die (C) regierung vorgelegten Hennenhaltungsverordnung den Tierschutz als Staatsziel in der Landesverfassung können wir das erreichen. Ich plädiere dafür, ihr zu- verankert haben. zustimmen und den Hennen mehr Rechte einzuräu- Auf Initiative unseres Landes hat der Bundesrat be- men. reits 1997 eine Verbesserung des Tierschutzes bei der Die Verbraucher in unserem Land stehen auf unse- Haltung von Legehennen in der Europäischen Union rer Seite. 90 % wollen eine neue Hennenhaltungsver- gefordert. Heute haben wir durch unser Abstim- ordnung. Sie sind für die Regelungen der Bundesre- mungsverhalten die Chance, damit Ernst zu machen, gierung. Nun wird eingewandt, dass mit anderen indem wir nicht nur eine mittlerweile vorliegende EU- Haltungsformen ein höherer Preis verbunden sei. Ich Richtlinie in nationales Recht umsetzen, sondern über sage Ihnen: Das hat auch mit der Kennzeichnung zu die EU-Vorgaben hinaus eigene nationale Maßstäbe tun. Haben Sie auf den Verpackungen der Eier, die in setzen, die künftig Standards in Europa definieren den Geschäften verkauft werden, jemals einen Hin- müssen. Dies zu erreichen wird ein gemeinsames weis auf Batteriekäfighaltung gesehen? Eigentlich Stück Arbeit sein, geradezu sein müssen. müssten auf 90 % der Eierverpackungen Hennen in einem Batteriekäfig abgebildet sein. Dann wüssten Ich verstehe es gut, dass die Hennenhaltungsver- die Verbraucher, wie die Eier produziert werden. Tat- ordnung zurzeit das wichtigste Thema der Tierschüt- sache ist: 90 % der Eier werden von Hennen, die in zerinnen und Tierschützer in unserem Lande ist. Die Batteriekäfigen gehalten werden, produziert, aber Verordnung ist aber mehr. Sie verbindet ein hohes 90 % der Bevölkerung wollen solche Eier nicht. Das Maß an Gesundheitsschutz für Verbraucher und Ver- heißt: Die Kennzeichnung ist entscheidend. Die Ver- braucherinnen mit einem möglichst weit gehenden braucherinnen und Verbraucher werden die neue Schutz für Nutztiere und dem verständlicherweise Qualität anerkennen, indem sie einen höheren Preis ökonomischen Interesse der Halter. Bei der Verord- für die Eier zahlen. nung geht es um die Integration dieser Fragen. Ich meine, es wäre nicht angemessen und nicht akzepta- Meine Damen und Herren, Sie haben es heute in bel gewesen, den Tierschutz in diesem Falle z. B. über der Hand. Sie können 90 % der Verbraucherinnen den Verbraucherschutz zu stellen. und Verbraucher und den Legehennen in diesem Land einen guten Dienst erweisen, wenn Sie der Die Übergangsfrist von fünf Jahren – das betrifft Nutztierhaltungsverordnung der Bundesregierung die ökonomischen Interessen, die berechtigterweise zustimmen. geäußert werden – lässt für die Umstellung in den Be- trieben unseres Erachtens ausreichend Zeit. Frau Sie finden die Unterstützung nicht nur der Verbrau- Höhn hat mit Recht auf das Urteil des Bundesverfas- cher, sondern auch der bekannten Musikgruppe „De (B) sungsgerichts hingewiesen. Es darf nicht sein, dass (D) Höhner“ aus Köln. Diese haben anlässlich der heuti- man längere Abschreibungsfristen braucht, weil man gen Sitzung die CD „Johanna, das Huhn“ verteilt. Ihr noch nach dem Urteil in traditionelle Käfighaltung in- Motto will ich Ihnen allen ans Herz legen: „Freie vestiert hat. Hühner braucht das Land.“ – Vielen Dank fürs Zu- hören. Mögliche Wettbewerbsverzerrungen im europäi- schen Maßstab nehme ich dennoch ernst. Ich bitte die Bundesregierung, zusammen mit den Ländern die Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Frau Ministerin! Vermarktung der in jeder Hinsicht besseren Produkte Das Wort hat Frau Staatsministerin Conrad. – Ihr zu fördern und damit auch die Erzeuger zu unterstüt- folgt Herr Staatsminister Bocklet (Bayern). zen. Tierschutz – dieses Thema ist von meiner Kollegin Margit Conrad (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident! ebenfalls angesprochen worden – braucht das Bünd- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur nis mit den Verbrauchern und Verbraucherinnen. freie Hühner braucht das Land, liebe Kollegin Höhn, Wie Natur- und Artenschutz in der Landwirtschaft hat glückliche Hühner braucht das Land ebenfalls. Ich er seinen Preis. Manche wohl auf Abwehrmotiven be- meine, wenn wir die Verordnung heute verabschie- ruhende Szenarien für Eierpreise halte ich für absolut den, gibt es freie und glückliche Hühner. überzogen. Ich habe gelesen, die Eierpreise stiegen auf 50 bis 60 Pfennig. Das halte ich für unrealistisch. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz begrüßt Ich kaufe regelmäßig Eier aus Boden- oder Freiland- und unterstützt den Verordnungsentwurf der Bundes- haltung auf einem Direktvermarkter-Markt für 35 regierung in allen wesentlichen den Tierschutz be- bzw. 40 Pfennig. treffenden Aspekten. Insbesondere wollen wir errei- chen, dass mit der herkömmlichen Käfighaltung Das Bündnis mit den Verbraucherinnen und Ver- möglichst bald – 2006 – Schluss ist. Die Käfighaltung brauchern funktioniert nur, wenn wir Transparenz ist anstößig für alle, die sich der artgerechten Haltung bieten – für die Käufer und Käuferinnen über eine von Nutztieren verbunden fühlen. Ich habe den Ein- Kennzeichnungspflicht, aus der die Haltungsart der druck, die bisherigen Beratungen haben gezeigt, dass Hennen eindeutig hervorgeht. wir in dieser Frage im Grundsatz nicht weit auseinan- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men- der liegen. schen in unserem Lande wünschen – das spürt man – Für die Rheinland-Pfälzische Landesregierung ist eine Neuausrichtung in der Agrarwirtschaft. Sie be- der Tierschutz unverzichtbar und ein Wert an sich. ruht im Wesentlichen auf vier Säulen: verbessertem Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 541 Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) (A) Verbraucherschutz, einem Mehr an Natur- und Arten- Das Ausstiegsdatum 2009 erlaubt eine endgültige (C) schutz in der Landwirtschaft, der Stärkung regionaler Entscheidung auf fundierten Grundlagen: Erst dann, Märkte und einem verbesserten Tierschutz. Die Hen- wenn die Pilotversuche in Deutschland abgeschlossen nenhaltungsverordnung ist Teil der Neuausrichtung. sind, erst wenn nach Vorlage des Kommissions- In diesem Sinne wünsche ich mir – nach der Abstim- berichts eine fachliche Neubewertung aller Haltungs- mung – freie und glückliche Hühner. – Vielen Dank. systeme stattgefunden hat, haben die Landwirte eine fundierte Entscheidungsgrundlage, auf welche Hal- tungssysteme sie in der Zukunft setzen können. Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Frau Kollegin Conrad! Wir wollen eben nicht, dass die Hennenhaltung in Drittländer mit niedrigem Tierschutzniveau abwan- Das Wort hat Herr Staatsminister Bocklet (Bayern). dert. Es ist doch blauäugig, hier die Anforderungen zu verschärfen, um anschließend, weil die eigene Pro- Reinhold Bocklet (Bayern): Herr Präsident! Verehr- duktion kaputtgegangen ist, Eier aus Ländern ein- te Kolleginnen und Kollegen! Bayern setzt sich dafür führen zu müssen, in denen sehr viel niedrigere Tier- ein, die herkömmliche Käfighaltung ab dem 31. De- schutzstandards gelten. zember 2009 zu verbieten. Das ist früher, als die Eu- Wir in Bayern lassen die bäuerlichen Betriebe, die ropäische Union mit dem Jahr 2012 in ihrer Richtlinie vor der Umrüstung auf Boden- oder Volierenhaltung vorschreibt, und später, als von der Bundesregierung stehen, nicht allein. In unserer Verbraucherschutz- mit 2006 vorgeschlagen. initiative stehen 150 Millionen DM allein für die Damit setzen wir einerseits ein Zeichen für den Tier- Förderung artgerechterer Tierhaltungssysteme zur schutz, erkennen andererseits gleichzeitig die berech- Verfügung. Daran können und werden auch die Le- tigten Interessen der Landwirtschaft an, die in gehennenhalter teilhaben. Deutschland durchaus unterschiedlich, aber gerade in den neuen Bundesländern von besonderer Bedeutung Mit der von Ihnen, Frau Künast, vorgelegten Ver- sind. Wir überfordern die Landwirtschaft nicht, ma- ordnung ist es in keinem Falle getan. Wir brauchen chen Investitionen nicht unwirksam und schaffen weitere Maßnahmen auf europäischer Ebene, soll der keine enteignungsgleichen Tatbestände. deutsche Vorstoß für mehr Tierschutz nicht unter- laufen werden. Wir fordern die Bundesregierung des- Auch Bayern hält das Aus der Käfighaltung für rich- halb auf, EU-weit darauf hinzuwirken, dass die übri- tig. Wir wissen nicht erst seit dem Urteil des Bundes- gen Mitgliedstaaten die Richtlinie in gleicher Weise verfassungsgerichts, dass die Unterbringung von Le- wie Deutschland umsetzen, also den Vollzug vorzie- gehennen in Käfigen ohne Infrastruktur, auf einer hen. Das ist eine lohnende Aufgabe, der Sie sich auf (B) Dreiviertel-DIN-A4-Seite je Tier, auf keinen Fall mit der Brüsseler Ebene widmen können. So werden (D) Tierschutz vereinbar ist. nicht nur einseitige Wettbewerbsnachteile für die Bayern setzt sich deshalb schon seit Jahren für deutsche Geflügelwirtschaft vermieden, so wird auch einen EU-weiten Ausstieg aus der Käfighaltung ein. der Tierschutz in Europa insgesamt verbessert – und Wir haben es auch nicht bei vagen Forderungen be- darum muss es gehen. lassen, sondern im eigenen Land gehandelt: Seit 1997 ist in den bayerischen Staatsbetrieben die Käfig- Mehr Tierschutz gibt es aber nicht zum Nulltarif. haltung restlos abgeschafft. Ich selbst habe das da- Alle Umfragen belegen, dass die große Mehrheit der mals als zuständiger Ressortchef auf der Grundlage Bürgerinnen und Bürger dieses Landes die Käfighal- eines Kabinettbeschlusses verfügt. tung von Legehennen ablehnt. Wer dem Rechnung tragen will, muss seinen Teil dazu beitragen, dass Aber wir dürfen den Tierschutz nicht einseitig auf tiergerechtere Haltungsformen in Deutschland auch dem Rücken der Bauern umsetzen, egal was im eu- unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Chance ropäischen Binnenmarkt gilt. Und wir wollen nicht haben. Es genügt nicht, Frau Höhn, Bilder von Käfi- einseitig die deutsche Landwirtschaft dafür büßen gen auf die Eierschachteln zu kleben. Das lässt im lassen, wenn Sie, Frau Künast, in Brüssel einen frühe- Ernstfall viele Verbraucher kalt, wenn es ein paar ren Termin nicht durchsetzen können. Um es klar- Pfennig billiger ist. Entscheidend ist, dass wir die zustellen: Ihren Verordnungsentwurf lehnen wir ab. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Rah- Bayern lehnt es auch ab, die so genannten ausge- menbedingungen für den Tierschutz in ganz Europa stalteten Käfige allgemein zuzulassen. Diese Systeme gleich gestalten. Dann kann nicht das passieren, was haben noch nicht bewiesen, dass sie tatsächlich einen wir alle befürchten müssen, wenn wir einen nationa- Fortschritt bringen, dass sie es den Tieren ermögli- len Alleingang vornehmen. chen, ihre Grundbedürfnisse so auszuleben, wie es das Tierschutzgesetz verlangt. Ich appelliere an die Verbraucher: Unterstützen Sie durch Ihr bewusstes Kaufverhalten die Landwirte, die Die heutige Entscheidung für den Ausstieg aus der bereits jetzt auf Käfige verzichten! Sie beweisen Käfighaltung betrachten wir nicht als Kampfansage damit, dass Tierschutz in Deutschland kein Lippenbe- an die Landwirtschaft. Im Gegenteil, wir wollen, dass kenntnis, sondern eine allseits akzeptierte ethische die bäuerlichen Betriebe weiterhin Hennen halten Verpflichtung ist. und Eier produzieren können. Wir wollen, dass unsere Landwirte auch in Zukunft einen Markt in Deutsch- land haben. Wer dies will, muss den Ausstieg aus der Präsident Kurt Beck: Danke schön, Herr Minister Käfighaltung in vernünftige Bahnen lenken. Bocklet! 542 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Präsident Kurt Beck (A) Das Wort hat Frau Künast, Bundesministerin für kurze Übergangsfrist zur Abschaffung der herkömm- (C) Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. lichen Käfige und sogar die Option gefordert, mit Blick auf die EG-Richtlinie einen nationalen Allein- gang zu unternehmen. Mit der EG-Richtlinie zur Hen- Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- nenhaltung ist im ersten Halbjahr 1999 – während der schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter deutschen Präsidentschaft – ein wichtiger Schritt nach Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- vorn gelungen: Herkömmliche Käfigbatterien sind ab ren! Der Auftrag der Verbraucherinnen und Verbrau- 1. Januar 2012 verboten. cher war und ist eindeutig: Die Landwirtschaft in Deutschland soll mit Tier- und Umweltschutz Hand in Mit dem heute vorliegenden Verordnungsentwurf Hand gehen. wird die Richtlinie der EG nicht nur in nationales Recht unter Beachtung der Vorgaben des Bundesver- Die Käfighaltung von Legehennen ist hier seit jeher fassungsgerichts und der zu Recht bestehenden Er- ein besonderes Sinnbild einer industrialisierten wartungen der Menschen umgesetzt. Wir nehmen Agrarproduktion. Ihr Ziel heißt: Steigerung der Pro- darüber hinaus eine Vorreiterrolle im Tierschutz in duktion, Steigerung der Produktivität ohne Rücksicht Europa ein; denn nach unserem Entwurf soll die Kä- auf Tiere und Umwelt. figbatteriehaltung in Deutschland nur noch über- Was hat sich ereignet? In den letzten Jahrzehnten gangsweise zulässig sein. Damit geht die Verordnung haben sich Forschung und Zucht systematisch klar über die Mindestanforderungen der EG-Hennen- bemüht, die Käfighaltung zu „optimieren“. Wie wir haltungsrichtlinie hinaus. Neue Haltungseinrichtun- wissen, ist das in schrecklicher Weise auf Kosten der gen für Hennen müssen so ausgestaltet sein, dass die Hennen erfolgt. Das Ergebnis sind wahre Wunder- Tiere artgerecht fressen, trinken, ruhen, staubbaden tiere, die im Durchschnitt 280 Eier im Jahr legen, in und sich – so lustig es sich anhört, aber das tun Hüh- Dänemark sogar 370, die aber für andere Haltungs- ner nun einmal – zur Eiablage ins Nest begeben kön- formen als im Käfig nicht mehr zu gebrauchen sind, nen. Die Hennen sollen genug Platz haben, um sich weil sie infolge einseitiger Selektion verhaltens- frei bewegen zu können. gestört sind. Wenn sie sich unter normalen Hennen Meine Damen und Herren, das „gemeine Haus- bewegen, werden sie zu „Kannibalen“, weil sie huhn“ – unter Fachleuten: „Gallus gallus“ – gehört zu aggressiv gezüchtet wurden. Durchrationalisierte den Hühnervögeln. Sie erkennen an dem Wortteil Käfiganlagen werden vielen Interessen gerecht, nur „Vogel“, worauf der Schwerpunkt liegt. Entspre- nicht denen der Hühner. Aber trotz aller Züchtung ist chend sind Hühnervögel auch mit einem spezifischen eines noch nicht gelungen, nämlich „käfiggerechte Verhaltensrepertoire ausgestattet. Dazu gehören ins- eierlegende Maschinen“ zu züchten. besondere das Flügelschlagen, was sie auf dem weni- (D) (B) Die Käfighaltung, wie sie heute praktiziert wird, ger als ein DIN-A4-Blatt kleinen Platz nicht tun kön- entspricht nicht den ethischen Vorstellungen von nen, das Flattern und das Staubbaden. Wenn diese Tierschutz. Sie entspricht auch nicht der Verantwor- ihnen natürlich innewohnenden Verhaltensweisen tung des Menschen für seine Mitgeschöpfe, die Tiere. unterdrückt werden müssen, dann leiden sie. Genau Die Regelungen, die die Bundesregierung vorgelegt das ist in den herkömmlichen wie in den so genann- hat, beenden sie. Sie dokumentieren, dass der Tier- ten ausgestalteten Käfigen der Fall. schutz in der neuen Agrarpolitik den Stellenwert er- Wir schaffen mit der Umsetzung der Verordnung hält, den er verdient. auch im Sinne des Bundesverfassungsgerichts einen Meine Damen und Herren, quer durch alle Bundes- fairen Ausgleich zwischen ethisch begründetem Tier- länder gilt – wir haben dazu eine Umfrage gemacht –: schutz und den Interessen der Tierhalter. Für bereits Neun von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern bestehende Betriebe gibt es ausreichende rechtliche lehnen die Käfigbatteriehaltung ab. Genauso viele Übergangsfristen. Sie sind aus Vertrauensschutzgrün- sind bereit, mehr für Eier aus Boden- und Freiland- den erforderlich. Ich habe mich darüber gefreut, dass haltung zu bezahlen. Tausende von Bürgern haben die von uns vorgeschlagene Übergangsfrist bis 2006 sich gerade in den letzten Monaten mit Demonstra- auch vom Rechtsausschuss des Bundesrates für aus- tionen, Aktionen und Briefen für die Abschaffung der reichend und verfassungsgemäß gehalten wird. Sie Käfige eingesetzt. Mit einem „Weiter so!“ würden wir entspricht im Übrigen dem Beschluss des Bundesrates den gesellschaftlichen Konsens in der Bundesrepu- von 1998. blik Deutschland bewusst missachten. Manche, meine Damen und Herren, haben sich in den letzten Wochen darum bemüht, den Eindruck Wie hat alles angefangen? Im Jahr 1987 hat das entstehen zu lassen, die Verordnung wäre das Ende Land Nordrhein-Westfalen, unterstützt z. B. von Nie- der Hennenhaltung in Deutschland. In einer Studie dersachsen und Hessen, Klage gegen die Hennenhal- der Geflügelwirtschaft in Niedersachsen wird fest- tungsverordnung von 1987 beim Bundesverfassungs- gestellt, dass sich der Selbstversorgungsgrad in gericht eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht Deutschland, wenn die Hennenhaltungsverordnung hat mit seinem Urteil vom Juli 1999 die alte Verord- durchgesetzt wird, wie sie vorgelegt wurde, im Ver- nung für verfassungswidrig erklärt. hältnis zur EG-Richtlinie lediglich um 5 % reduziert. Auch der Bundesrat hat immer wieder die Abschaf- Sie sehen also: Der Unterschied zur EG-Richtlinie ist, fung der Käfighaltung gefordert, letztmals 1998 in sei- was die Abschaffung der ausgestalteten Käfige an- nem Beschluss zur europäischen Hennenhaltungs- geht, zwar groß, aber der Selbstversorgungsgrad re- richtlinie. In diesem Beschluss wurden eine möglichst duziert sich nur um 5 %. Ich halte dies aus wirtschaft- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 543 Bundesministerin Renate Künast (A) licher Sicht für nicht sehr gravierend und merke an, nigen Jahren die Weiterentwicklung der europäi- (C) dass die Studie nicht berücksichtigt, welche flankie- schen Hennenhaltungsrichtlinie zu betreiben. Die renden Maßnahmen die Bundesregierung umsetzen Versuche laufen bis zum Jahre 2003. Das Resultat der will, um den Konsum von Eiern von „glücklichen“ Auswertung wird dann in Brüssel eingebracht. Hühnern zu steigern. Noch nicht abgeschlossene Forschung kann den po- Im Übrigen wurde festgestellt: Der Investitionsbe- litischen Handlungsbedarf aber nicht aufheben. darf in moderne – die ausgestalteten – Käfige ist ex- Genau deshalb legen wir diese Verordnung vor. trem hoch. Deshalb sagt die Geflügelwirtschaft selber, Gleichwohl werden wir die Forschung intensivieren. das lohne sich nicht; dann profitiere sie von den aus- Ergänzend zu den laufenden Untersuchungen wird es gestalteten Käfigen relativ wenig. Der Kompromiss ein ähnliches Programm für die Volieren- und Frei- „ausgestaltete Käfige“ wäre somit nur eine kostspie- landhaltung geben. lige Zwischenlösung. Wir geben den Hennenhaltern Ich bin, wie die Kommission, der Auffassung, dass jetzt Planungs- und Investitionssicherheit und die diese Probleme lösbar sind. Die Defizite im Käfig sind Chance, Qualität aus Deutschland neu zu definieren. Lassen Sie uns mit den Eiern der Legehennen „Made hingegen systemimmanent und somit im Sinne des in “ neu definieren! Früher hat man darunter Tierschutzes nicht lösbar. immer technische Erzeugnisse verstanden; warum Wir werden die Verordnung flankierende Maßnah- sollte man in Zukunft bei einem boomenden interna- men – z. B. der Absatzförderung – ergreifen, die auch tionalen Lebensmittelmarkt darunter nicht auch Eier die Landwirte, die Produzenten, unterstützen. Ab aus Boden- und Freilandhaltung verstehen? Wir un- 1. Januar 2004 muss EU-weit jedes Ei eindeutig mit terstützen die neuen Investitionen, wir werden die Haltungsform und Herkunft gekennzeichnet werden. Umstellung auf artgerechte Tierhaltungssysteme, die Sie werden also feststellen können, aus welchem Aufstockung dieser Art, die Tiere zu halten, finanzie- Land und aus welcher Haltungsform Ihr Frühstücksei ren. stammt. Wir in Deutschland wollen die Kennzeich- Zum Thema „Beschäftigungsabbau“ möchte und nung von Haltungsform und Herkunft auf freiwilliger muss ich anmerken, dass die alternativen Haltungs- Basis schon früher einführen. Wir wollen Qualität als formen wesentlich arbeitsintensiver sind. Sie erfor- positiven Standortfaktor betonen und mit „Made in dern einen höheren Betreuungsaufwand als die kom- Germany“ Werbung machen. Wir werden in Auf- plett automatisierten Käfige und schaffen insofern klärungskampagnen die Öffentlichkeit über die tier- auch den einen oder anderen Arbeitsplatz. schutzrechtlichen Unterschiede bei der Eierprodukti- on informieren, so dass Wertschöpfung auch hier Ich weiß, dass Regionen mit hoher Viehdichte durch stattfinden kann. (B) die Verordnung stärker betroffen sind als andere. Das (D) gilt insbesondere für Betriebe, in denen weit mehr als Wir haben für das nächste Jahr mehr Investitions- 50 000 Tiere in Käfigen gehalten werden. Hier wer- fördermittel für artgerechte Tierhaltungssysteme den Betriebserweiterungen, also eine Erhöhung der eingestellt. Ab 2002 gibt es neben Umstellungsförde- Anzahl der Tiere, kaum möglich sein. Dafür eröffnen rungen Aufstockungsinvestitionen, wenn Volieren-, wir aber neue Chancen für kleinere Betriebe, die im Boden- oder Freilandhaltung betrieben wird. Dies Übrigen, wenn ich bedenke, wie schnell sich bei An- wird die Bauern unterstützen. Wir finanzieren über trägen auf Neuanlagen Bürgerbewegungen gründen, die Landwirtschaftliche Rentenbank schon Program- am Markt wahrscheinlich mehr Möglichkeiten haben. me, um Zinsverbilligungen für artgerechte Tierhal- Auch dies ist ein Beitrag zur Schaffung des einen oder tung zu ermöglichen. anderen Arbeitsplatzes. Wir entwickeln ein Prüf- und Zulassungsverfahren Viele haben versucht, einen Gegensatz zwischen für serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen. Der Tier- und Umweltschutz zu konstruieren. Ich meine, erste Schritt soll bei der Hennenhaltung getan wer- dies ist ein lösbares Problem. Wir wissen, dass die Kä- den. Eine Studie ist in Auftrag gegeben, um Kriterien fighaltung, bezogen auf den einzelnen Tierplatz, ge- für die Tiergerechtheit von Haltungseinrichtungen für ringere Emissionen verursacht als offene Haltungsfor- Legehennen zu entwickeln. men. Deshalb soll es aber kein Zurück zum Käfig Meine Damen und Herren, in der Verordnung liegt geben, sondern es müssen neue Strategien entwickelt eine große Chance. Sicherlich wird die Umstellung werden, die Tierschutz und Umweltschutz miteinan- auch Schwierigkeiten bereiten. Ich glaube aber, dass der vereinbaren. Auf Initiative des Bundesministeri- wir mit der Verordnung den Weg frei machen für eine ums für Verbraucherschutz ist diesbezüglich der Dis- entscheidende Etappe hin zu mehr Verantwortung kussionsprozess mit externen Expertinnen und und Respekt im Umgang mit Nutztieren, die unsere Experten bereits in vollem Gange. Ich weiß, dass viele Mitgeschöpfe sind, und zu einer Landwirtschaft, die Umweltminister der Länder dabei gerne mitmachen. wieder mehr Vertrauen und Rückhalt bei den Ver- Es gab das Argument, die Ergebnisse der Pilotver- brauchern findet. fahren zu den ausgestalteten Käfigen abzuwarten. Dazu ist Folgendes zu sagen: Die Pilotverfahren und Präsident Kurt Beck: Vielen Dank, Frau Bundesmi- ihre wissenschaftliche Begleitung sind wichtig, weil nisterin! die ausgestalteten Käfige in der Praxis bisher nicht hinreichend erprobt sind. Wir werden sie weiter fi- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Pardon! nanzieren und die Ergebnisse dazu verwenden, in ei- Herr Minister Stächele. 544 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) Willi Stächele (Baden-Württemberg): Herr Präsi- zu gehören. Was wir beschließen, muss von der gesam- (C) dent, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ei- ten Runde verantwortet werden können. nige wenige Anmerkungen zu den Ausführungen der Unser Vorschlag lautet 2009. Wir verbinden ihn mit Frau Bundesministerin. dem Auftrag, Frau Bundesministerin, in Brüssel Rück- Gott sei Dank haben wir alle uns auf den Ausstieg grat zu beweisen und zu kämpfen für die Harmonisie- aus der Legehennenbatteriehaltung verständigt. Die rung, aber gegen die Unehrlichkeit, dass Batterieeier „guten“ Menschen, die es mit dem Tierschutz halten aus dem Ausland eingeführt werden. Außerdem: Wir und die Tausende von Briefen – vielleicht – veranlasst wollen den Modellversuchen eine faire Chance haben, und die „bösen“, die Ewiggestrigen, die nichts geben. mit Tierschutz anfangen können, die Tierquäler sind, Ich bitte Sie, in diesem Sinne abzustimmen. stehen nicht mehr gegeneinander. Mich wundert es, dass in der Debatte nicht mehr auf Präsident Kurt Beck: Jetzt sehe ich keine Wortmel- das eingegangen worden ist, was vor wenigen Stunden dung mehr. noch „Sache“ war, nämlich einen vernünftigen, einen verantwortbaren Kompromiss zu erzielen. Sätzen wie Herr Ministerpräsident Dr. Ringstorff (Mecklen- „Fröhliche und freie Hühner braucht das Land“ kön- burg-Vorpommern) und Herr Minister Senff (Nieder- nen wir alle zustimmen; je fröhlicher, je freier, desto sachsen) haben je eine Erklärung zu Protokoll*) ab- besser. Mit dieser Haltungsform sind halt auch Pro- gegeben. bleme verbunden – Probleme der Hygiene, des Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen „Kannibalismus“, der Bodenbelastung, der Flächenbe- der Ausschüsse in Drucksache 429/1/01 und ein An- anspruchung. Diese kann ich kaschieren, wenn ich trag Hessens in Drucksache 429/2/01 vor. Überschriften wähle, denen in jeder Versammlung, in jeder Veranstaltung alle Beifall geben. Wir beginnen mit den Änderungsempfehlungen zur Verordnung, zu denen Einzelabstimmung gewünscht Ich möchte erreichen, dass der Weg, über den man wurde. Ich rufe auf: diskutiert hat und der zu einem erfolgreichen Ab- schluss führen könnte – ich befürchte mittlerweile das Ziffer 5! Handzeichen bitte! – Mehrheit. Gegenteil –, vor der Abstimmung noch einmal be- Ziffer 7! – Mehrheit. dacht wird. Ziffer 8! – Minderheit. Verehrte Frau Bundesministerin, Sie kündigen Mo- dellversuche und Forschung an, Sie proben hier und Ziffer 11! – Mehrheit. testen da. Genau das müsste uns dazu veranlassen, Ziffer 13! – Minderheit. (D) (B) die Zeitgrenze zu versetzen. Mit der Frist bis zum Jahr 2006 schaffen Sie aber Fakten. Sie machen damit Jetzt die Ziffern 1 bis 4, 6, 9, 10, 12, 14 und 15 ge- zunichte, was wir im gemeinsamen Interesse anstre- meinsam! Handzeichen bitte! – Mehrheit. ben, nämlich den verantwortbaren Ausstieg aus der Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Ver- Legehennenbatteriehaltung. Wir sind aus zwei guten ordnung nach Maßgabe der vorangegangenen Ab- Gründen für das Jahr 2009: Zum einen geben wir stimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Ihnen die Chance, im Interesse unserer Geflügelwirt- Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. schaft und vieler Landwirte für eine europaweite Har- monisierung zu sorgen. Zum anderen – das erscheint Damit hat der Bundesrat der Verordnung zuge- mir noch wichtiger – können Modelle, die z. B. in stimmt. Niedersachsen erprobt werden, evaluiert, bewertet Wir haben nun noch über die vom Agrarausschuss werden. Auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse und vom Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re- können dann Investitionsentscheidungen getroffen aktorsicherheit empfohlenen Entschließungen zu be- werden. finden. Ich beginne mit: Kurzum: 2009 ist keine auf Grund von Telefonaten Ziffer 18! Handzeichen bitte! – Minderheit. erzielte Willkürzahl, sondern sie ist bewusst im Inte- resse eines ehrlichen Tierschutzes gewählt worden. Jetzt Ziffern 24 und 25 gemeinsam! Handzeichen Was nützt die Gesinnung? Man kennzeichnet die Eier, bitte! – Mehrheit. und die Gesinnung ist befriedigt, der Bauch auch. Damit entfällt der Antrag Hessens in Drucksache Nein, ich halte das Jahr 2009 für einen ausgesprochen 429/2/01. guten Kompromiss, den man im Interesse eines ehrli- chen Tierschutzes auch vertreten kann. Wir fahren fort mit den Ausschussempfehlungen, zu denen Einzelabstimmung gewünscht wurde. Ich rufe Ich hätte gedacht, dass die Geflügelwirtschaft in auf: Niedersachsen diesen Weg mitgehen könnte. Ich bin gespannt auf die Abstimmung. Ich hoffe nach wie vor, Ziffer 30! – Mehrheit. dass wir die niedersächsischen Landwirte nicht vor Ziffer 31! – Mehrheit. ihrer eigenen Landesregierung schützen müssen. Ziffer 32! – Mehrheit. Ich kann nur an Sie appellieren: Es gibt Gesinnungs- ethiker, und es gibt Verantwortungsethiker. Für uns Politiker ist es besser, zu den Verantwortungsethikern *) Anlagen 4 und 5 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 545 Präsident Kurt Beck (A) Wir kommen zu Ziffer 33. Bitte Ihr Handzeichen! – gerichtshofs im Rahmen seiner Stellungnahme vor der (C) Minderheit. Wahl mit der schlechtesten von sechs denkbaren No- tenstufen beurteilt worden waren, nämlich als „fach- Nun bitte das Handzeichen zu: lich nicht geeignet“. Andere, weit besser benotete Ziffer 34! – Mehrheit. Kandidatinnen und Kandidaten blieben dagegen bei der Wahl unberücksichtigt. Ziffer 35! – Mehrheit. Einer der nicht berücksichtigten Richter ging auf Ziffer 40! – Mehrheit. dem Rechtsweg gegen die Entscheidung des Richter- Abschließend die Ziffern 17, 19 bis 23, 26 bis 29 und wahlausschusses vor und bekam Recht. In einem am 36 bis 39 gemeinsam! Bitte Ihr Handzeichen! – Mehr- Montag dieser Woche veröffentlichten Beschluss stell- heit. te das schleswig-holsteinische Oberverwaltungsge- richt fest, dass der Richterwahlausschuss mit seiner Damit hat der Bundesrat entsprechend Entschlie- Entscheidung gegen die Verfassung verstoßen hat. ßungen gefasst. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Abs. 2 Kollegen, ich meine, nach dieser Entscheidung des der Geschäftsordnung rufe ich die in dem Umdruck OVG Schleswig-Holstein wird niemand mehr den Nr. 9/01*) zusammengefassten Beratungsgegenstän- Deckel über der Angelegenheit „Bundesrichterwahl“ de auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte: schließen können. Die erste Entscheidung des Ver- 5, 6, 13, 22 bis 24, 27 bis 30, 32, 34 bis 38 und waltungsgerichts Schleswig-Holstein wurde in unge- 40 bis 44. wöhnlicher Weise von den Abgeordneten Stiegler und Professor Scholz, den Obleuten ihrer Partei im Wer den Empfehlungen der Ausschüsse folgen Richterwahlausschuss, kritisiert. Sie haben unter an- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist derem sinngemäß gesagt, erwachsene Richter könn- die Mehrheit. ten so nicht urteilen. Ich bin fast geneigt, es umzu- Dann ist so beschlossen. drehen und heute zu sagen: Jedes Kind begreift, dass das Verfahren, das wir praktizieren, nicht in Ordnung Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: ist. Wir müssen daher einige Schritte in Richtung auf Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transparenz und Sicherung der Bestenauslese tun. Richterwahlgesetzes – Antrag des Landes Ich erinnere an frühere Vorstöße einer Reihe von Baden-Württemberg gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. Ländern: 1986 hat man versucht, eine Zweidrittel- § 15 Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksa- mehrheit im Richterwahlausschuss zu etablieren. che 616/01) (B) Dem lag der Gedanke zu Grunde, dass – ich zitiere (D) Hierzu liegt eine Wortmeldung von Minister aus der Entwurfsbegründung – „das Vertrauen des Professor Dr. Goll (Baden-Württemberg) vor. Bürgers in eine von sachfremden Einflüssen freie Rechtsprechung und damit in die persönliche, poli- tische und sachliche Unabhängigkeit und Unpartei- Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Württemberg): Herr lichkeit des Richters“ die mit dem Gesetzesantrag Präsident, meine Damen und Herren! Das Land beabsichtigte Änderung des Richterwahlgesetzes Baden-Württemberg schlägt Ihnen heute vor, die „geboten erscheinen“ lasse. Wahl von Richterinnen und Richtern an den obersten Bundesgerichten – am Bundesgerichtshof, am Bun- Im Wesentlichen von den gleichen Erwägungen desverwaltungsgericht, am Bundesarbeitsgericht, am lässt sich die Ihnen vorliegende neue Bundesrats- Bundessozialgericht und am Bundesfinanzhof – ein initiative leiten. Mit dem Gesetzesantrag soll insge- Stück weit neu zu regeln. samt die hohe Qualität der Rechtsprechung der obers- ten Gerichtshöfe des Bundes auch in Zukunft Drei Ziele verfolgen wir mit unserer Initiative: ers- gesichert werden. tens die Stärkung des Prinzips der Bestenauslese, zweitens die Zurückdrängung zu starker parteipoli- (Vorsitz: Amtierender Präsident tischer Einflüsse und drittens eine größere Transpa- Dr. Henning Scherf) renz der Wahl – Ziele, meine Damen und Herren, die Um dieses Ziel zu erreichen, beschreitet der Ent- es wert sind, für den Gesetzesantrag zu werben. wurf Baden-Württembergs allerdings einen etwas an- Die Diskussion über die Reform des Richterwahl- deren Weg als der Länderantrag aus dem Jahr 1986. rechts, wie wir sie Ihnen vorschlagen, ist nicht neu. Unter strikter Beachtung der Vorgaben des Grundge- Sie hat aber im Gefolge der allseits bekannten und in setzes, insbesondere unter Wahrung der Befugnisse der Öffentlichkeit zum Teil heftig kritisierten Vorgän- des demokratisch legitimierten Richterwahlausschus- ge um die Wahl der Bundesrichter vom 15. Februar ses, sieht der Entwurf Regelungen vor, mit denen dem dieses Jahres wieder an Aktualität gewonnen. auch für die Richterwahl geltenden Leistungsprinzip des Grundgesetzes noch wirksamer als in der Vergan- Was war geschehen? Der Richterwahlausschuss genheit Rechnung getragen werden soll. wählte damals zwei Richter zu Richtern am Bundes- gerichtshof, obwohl sie vom Präsidialrat des Bundes- Ändern, meine Damen und Herren, sollten wir schon etwas. Ich darf Ihnen eine Charakterisierung des heutigen Zustands geben, die nicht von mir *) Anlage 6 stammt. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: 546 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Württemberg) (A) Es gehört schon allerlei Naivität oder Chuzpe der Präsidialrat in den Fällen Gebrauch machen kön- (C) dazu, dieses undurchsichtige und wenig demokra- nen, in denen er den Gewählten in seiner Stellun- tische Verfahren als die von der Verfassung gebo- gnahme als „nicht geeignet“ beurteilt hat. Die Erörte- tene Rechtslage zu bezeichnen. rung der Angelegenheit mit dem zuständigen Bundesminister oder der Bundesministerin vor dem Gesagt hat dies jemand, dem man, so meine ich, Man- weiteren Ernennungsverfahren soll Gelegenheit gel an Sachkenntnis nicht vorwerfen kann, dem man geben, die jeweiligen Positionen darzulegen, zu über- unterstellen darf, dass er mitreden kann, nämlich der denken und gegebenenfalls zu modifizieren. Auch sehr bekannte und renommierte Konstanzer Ordina- wenn der Bundesminister ebenso wie der Richter- rius Bernd Rüthers. Sie können in der nächsten wahlausschuss nach der Konzeption des Entwurfs Zeit einige Vorträge von ihm hören, z. B. in Bielefeld, nicht an die vom Präsidialrat vorgetragene Auffas- in Frankfurt und in Berlin. Da wird er Fragen stellen, sung gebunden sein soll, was im Übrigen von Verfas- die auch ich hier stellen möchte: sungs wegen nicht möglich ist, macht eine solche Re- Wollten die Verfassungsgeber den Richterwahl- gelung doch die gebührende Rücksicht auf das ausschuss von den Anforderungsmerkmalen der Prinzip der Bestenauslese deutlich. Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung freistellen? Haben dessen Mitglieder und der zu- Meine Damen und Herren, die vorgeschlagenen ständige Bundesminister die Befugnis, sich über Regelungen können wirkungsvoll dazu beitragen, das die gesetzlich vorgesehene und fachlich begrün- Wahlverfahren bei Bundesrichtern so zu gestalten, dete Stellungnahme des Präsidialrates eines obers- dass am Ende im Interesse der rechtsuchenden Bevöl- ten Bundesgerichts nach freiem Belieben und kerung und mit Rücksicht auf das Ansehen und die ohne jede Begründung, notfalls auch missbräuch- Bedeutung der obersten Gerichtshöfe des Bundes die lich, hinwegzusetzen? besten Richterpersönlichkeiten zum Zuge kommen. Ich darf Sie deshalb um Unterstützung unseres Geset- Dies ist ebenfalls ein Zitat aus dem hoch interessan- zesantrages bitten. – Herzlichen Dank für Ihre Auf- ten Vortrag, aus dem ich mit Genehmigung des Au- merksamkeit. tors schon zitieren durfte. Ich darf Ihnen auch diese Meinungsäußerung, die Gewicht hat, ans Herz legen. Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Ich Meine Damen und Herren, wir müssen alles daran- habe keine weiteren Wortmeldungen. setzen, dass der fachlichen Eignung trotz der poli- tischen Wahl im Richterwahlausschuss eindeutig der Ich weise die Vorlage dem Rechtsausschuss – feder- Vorrang eingeräumt wird. Baden-Württemberg führend – sowie dem Ausschuss für Arbeit und Sozi- schlägt Ihnen deshalb heute drei bedeutsame Ände- alpolitik – mitberatend – zu. (D) (B) rungen vor: Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8: Erstens sollen im Unterschied zum geltenden Recht, Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes – wonach nur ein Vorschlag möglich ist, Bewerber um Graffiti-Bekämpfungsgesetz (... StrÄndG) freie Richterstellen auf Grund einer öffentlichen Aus- – Antrag des Landes Baden-Württemberg ge- schreibung ermittelt werden. Die öffentliche Aus- mäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 und § 36 schreibung macht deutlich: Das Verfahren steht je- Abs. 2 GO BR – (Drucksache 765/01) dermann offen, es wird nicht im Vorfeld gesteuert, dass nur bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten Herr Goll, ich erteile Ihnen wieder das Wort. zum Zug kommen. Den beliebten Einwand, dann komme eine Flut von Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Württemberg): Herr Bewerbungen, halte ich für neben der Sache liegend. Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Praxis der Landesjustizverwaltungen und Ich habe noch einmal die Ehre, vor Ihnen zu spre- ihre Bewerbungsverfahren kennt, weiß, dass sich chen, und zwar zu der Bundesratsinitiative betreffend nicht jeder, der meint, berufen zu sein, gleich auf Farbschmierereien, die ich für Baden-Württemberg diese Ämter bewerben wird, sondern dass vernünfti- einbringe. ge Bewerberfelder zu Stande kommen. Das lehrt die Es sind nicht nur die großen Verbrechen, vor denen Erfahrung in den Ländern. die Menschen Angst haben. Sie haben auch Angst Zweitens schlagen wir ein verbindliches Anforde- davor, dass im Alltag ihre Rechtsgüter nichts mehr rungsprofil vor. Wie bei jeder anderen Stellenanzeige zählen, dass sie vor Übergriffen anderer nicht ge- soll zu Papier gebracht werden, was man von den schützt werden. Richterinnen und Richtern erwartet. Für Bundesrich- In den fast allgegenwärtigen Farbschmierereien in ter gibt es ein Anforderungsprofil, anhand dessen Städten und öffentlichen Verkehrsmitteln sehen viele man wesentlich deutlicher sagen könnte, wer geeig- ein Symbol für den Zerfall der Ordnung, einen Vor- net ist und wer nicht geeignet ist, interessanterweise läufer weiterer Zerstörungen und letztlich eine Ge- nicht. fährdung ihrer persönlichen Sicherheit. Das ist nicht Als dritte Maßnahme sieht der Entwurf ein An- nur nachvollziehbar, sondern es erklärt auch Wahl- hörungsrecht des Präsidialrats des jeweiligen Bun- ergebnisse wie dasjenige in Hamburg. Viele – nicht desgerichts vor, bei dem der vom Richterwahlaus- nur in Hamburg – haben es schlicht und einfach satt. schuss zu wählende Richter oder die Richterin Sie fühlen sich in Bereichen, in denen die Ordnung eingesetzt werden soll. Von dem Anhörungsrecht soll augenscheinlich nicht mehr durchgesetzt wird, un- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 547 Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Württemberg) (A) wohl. Sie suchen solche Bereiche zu meiden und ansonsten vergleichbarer Rechtslage die Österreicher (C) sehen sich letztlich gezwungen, ein Stück ihrer Frei- damit seit Jahrzehnten keine Schwierigkeiten haben. heit aufzugeben. Was den dortigen Juristen möglich ist, sollte auch den unseren gelingen. Im Übrigen ist Österreich kein Un- Neben dem Sicherheitsaspekt geht es um einen rechtsstaat, der junge Menschen durch die „Krimina- wirksamen Schutz des Eigentums. Jährlich müssen lisierung ihrer Kultur“ in unziemlicher Weise in ihrer von Eigentümern mehrstellige Millionenbeträge für Entwicklung und in der Herausbildung einer eigenen die Beseitigung der Schäden aufgewendet werden. Persönlichkeit beschneidet. Ersatzansprüche stehen ihnen zwar zu, sie tatsächlich durchzusetzen ist aber kaum mehr als eine Illusion. Ein weiterer Grund, weshalb ich die Initiative hoff- nungsfroh wieder einbringe, ist, dass sich in den letz- Wenn die Eigentümer zum Schutz ihrer Sachen ten Wochen und Monaten – nicht erst seit dem trauri- Maßnahmen ergreifen, die die Beseitigung der Schä- gen 11. September – Bundespolitiker aller Richtungen den erleichtern, spielen sie den Tätern auch noch in zu Fragen der inneren Sicherheit sehr entschieden – so die Hände. So hat ein Gericht festgestellt, dass eine klang es zumindest – geäußert haben. Unser Antrag Sachbeschädigung nicht vorliegt, wenn eine Sache bietet Gelegenheit, die Ernsthaftigkeit solcher Äuße- mit einem Schutzanstrich versehen wurde, der ein rungen unter Beweis zu stellen. Auch deswegen hoffe Ablösen der Farbe ermöglicht, ohne den Untergrund ich auf Ihre Zustimmung zu diesem an sich völlig kla- zu verletzen. Davon, dass das auch Geld kostet, redet ren Anliegen. niemand. Machen Sie diese Logik des Rechts einmal Nachdem der Bundesrat den Gesetzentwurf im dem Bürger draußen klar! März 1999 mit einer erfreulich breiten Mehrheit beim Für die Sachbeschädigung braucht es eine so ge- Bundestag eingebracht hat, nachdem die maßgebli- nannte Substanzverletzung. Kann die Schmiererei chen Fragen schon damals in den Ausschüssen aus- ohne Eingriff in den Haftgrund beseitigt werden führlich diskutiert wurden, nachdem sich die Proble- – und sei der Aufwand noch so groß –, ist der Tat- me nicht wesentlich verändert haben und nachdem bestand des § 303 Strafgesetzbuch nicht erfüllt. ich mir kaum eine klarere Sache vorstellen kann als diese, bedarf es nach unserer Ansicht keiner weiteren Dieser Missstand lässt sich sehr einfach und schnell Beratung in den Ausschüssen. Der Bundesrat kann, beseitigen, und zwar durch die Einfügung des Merk- wenn er will, bereits heute in der Sache entscheiden. mals „Verunstalten“ als weitere Tatalternative der Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zur sofortigen Sachbeschädigung in §§ 303 und 304 des Strafgesetz- Sachentscheidung und zur Einbringung des Gesetz- buchs. Das sieht der Ihnen vorliegende Gesetzent- entwurfs beim Deutschen Bundestag. – Vielen Dank. wurf vor. (B) (D) Bereits am 19. März 1999 hat der Bundesrat mit Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: breiter Mehrheit beschlossen, einen Gesetzentwurf in Nächs- genau dieser Fassung beim Bundestag einzubringen. ter Redner ist Herr Dr. Birkmann (Thüringen). Dort wurde er allerdings ein Jahr später mehrheitlich abgelehnt. Meine Damen und Herren, ich halte die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs im Rechtsaus- Dr. Andreas Birkmann (Thüringen): Herr Präsident, schuss des Deutschen Bundestages schon deshalb meine Damen und Herren! Herr Kollege Professor nicht für dauerhaft hinnehmbar, weil die dortige Dis- Goll, im Unterschied zum vorigen Tagesordnungs- kussion in wesentlichen Punkten am Problem vorbei- punkt – Novellierung des Richterwahlgesetzes –, bei gegangen ist. Es wurde über Graffiti teilweise in einer dem ich Ihnen in wesentlichen Punkten nicht zustim- Weise gesprochen, die sich schon fast nach einer Glo- men konnte, kann ich Ihnen bei diesem Tagesord- rifizierung des Rechtsbruchs anhört. Im Rahmen einer nungspunkt Zustimmung signalisieren. Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Farbschmierereien an Häuserwänden, an Bussen Bundestages führte eine Sachverständige – ich möch- und Bahnen sind mehr als ein Ärgernis. Das Eigentum te die Bezeichnung in diesem Fall mit Anführungsstri- anderer wird nicht mehr respektiert, wenn zur Sprüh- chen versehen – aus: dose gegriffen wird, um anderen etwas aufzuzwin- Graffiti ist ... eine Jugendkunst mit hohem ästheti- gen, was der Täter selbst als schön empfinden mag, schen Wert, mit eigener Szene und zugleich Spie- von den davon betroffenen Eigentümern jedoch als gelbild der Gesellschaft. Tauchen Sie ein in diese Beschädigung ihrer Sache und von den Bürgerinnen Welt – Sie werden keinen Schaden nehmen, Sie und Bürgern als hässlich und als Verschmutzung an- fühlen sich gut und bleiben jung! gesehen wird. Öffentliche und private Baulichkeiten sind davon in gleicher Weise betroffen. Erstens glaube ich, dass wir dies auch anders schaf- Über solchen Vandalismus an öffentlichen Gebäu- fen, zweitens geht es um die Beschädigung fremder den seiner Stadt hat kürzlich in einem Schreiben an Sachen. Hier liegt das Problem, nicht beim Kunstbe- mich der Bürgermeister einer Thüringer Kleinstadt griff. geklagt. Sage und schreibe 40 Anzeigen sind in Wenn, was den vorgeschlagenen Tatbestand an- einem Monat wegen Farbschmierereien in der Innen- geht, in Zweifel gezogen wird, dass die Rechtsanwen- stadt – wohlgemerkt einer Kleinstadt! – erstattet wor- der bei uns mit dem Begriff des Verunstaltens zu- den. Ich denke, ich muss nicht näher ausführen, dass rechtkommen, möchte ich darauf hinweisen, dass bei die Reaktion der Geschädigten hierauf Empörung ist. 548 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Dr. Andreas Birkmann (Thüringen) (A) Hier kommt aber auch eine Erschütterung des in der Rechtsanwendung und eine uneinheitliche (C) Rechtsbewusstseins zum Ausdruck. Rechtsprechung wären erneut die Folge. Gerade dies sollte aber mit einer entsprechenden Gesetzesände- Die Kosten, um die Schmierereien an Bussen und rung verhindert werden. Bahnen zu beseitigen, die insbesondere von öffentli- chen Verkehrsunternehmen aufgewandt werden Es könnte sich deshalb anbieten, in den Tatbestand müssen, gehen Jahr für Jahr in die Millionen. Die der Sachbeschädigung nicht den Begriff „Verunstal- Zeche dafür müssen die Fahrgäste zahlen; denn im ten“ aufzunehmen, sondern eine Neuformulierung, in Ergebnis werden diese Kosten in den Fahrpreis ein- der sehr deutlich zum Ausdruck kommt, was wir wol- gerechnet. len: Nicht erst die Beschädigung oder Zerstörung fremder Sachen reicht zur Strafbarkeit aus, sondern Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche helfen bereits die nicht unerhebliche Veränderung der Er- den Geschädigten nicht weiter. Vielmehr ist das Straf- scheinung einer Sache, wenn dies der Eigentümer recht aufgerufen, einen Beitrag zur Beseitigung sol- oder sonst Berechtigte nicht will. Damit bliebe uns die cher Missstände zu leisten. wohl unvermeidliche Diskussion, ob diese Schmiere- Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich durch das reien Kunst sind oder nicht, von vornherein erspart. Schmierereiunwesen stärker betroffen, als es vielen Thüringen wird diesen gedanklichen Ansatz im wei- Politikern bewusst ist. Deutlich wurde dies zuletzt bei teren Gesetzgebungsverfahren zur Diskussion stellen. der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft. Auch bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus wird dieses Thema eine nicht unerhebliche Rolle spielen. So liegt Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Nächs- mir ein Schreiben der Bürgerinitiative zur Rettung ter Redner ist der Staatssekretär im Bundesjustizminis- des Berliner Stadtbildes vom 14. Oktober 2001 an den terium, Herr Geiger. Thüringer Ministerpräsidenten vor, in dem der Scha- den, der durch Graffiti-Vandalismus jährlich entsteht, auf ca. 1 Milliarde DM, davon allein in Berlin 100 Mil- Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundesminis- lionen DM, geschätzt wird. Solche Äußerungen müs- terium der Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! sen ernst genommen werden. Ich bin mir sicher, dass Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzes- viele von uns heute Morgen auf dem Weg zu diesem antrag entspricht im Wesentlichen dem zum selben Hohen Haus an Hauswänden vorbeigefahren oder Thema im März 1999 beim Bundestag eingebrachten vorbeigelaufen sind, die verschmiert sind. und dort diskutierten Entwurf. Er greift ein Problem Die bisherige – strafrechtliche – Rechtslage ist nicht auf, das viele von uns beschäftigt. Viele Mitbürger är- gern sich über die Farbschmierereien, über das Graf- ausreichend, um das Graffiti-Unwesen zuverlässig als (D) (B) das zu charakterisieren, was es ist, nämlich als Sach- fiti-Unwesen. beschädigung im Sinne der §§ 303 und 304 Strafge- Auch ich meine, dass hier Handlungsbedarf be- setzbuch. Lassen sich, so die Rechtsprechung, die steht. Aber ist der Ansatz im Strafrecht der richtige Farbschmierereien ohne Rückstände wieder beseiti- Weg, die richtige Antwort? Ich meine nein. gen – Kollege Goll hat das bereits anschaulich dar- gelegt –, so liegt trotz des damit verbundenen Auf- Erstens. In dem Antrag wird dargelegt, den jungen wandes keine Sachbeschädigung im Sinne des Leuten sei normenklar deutlich zu machen, was straf- Strafgesetzbuches vor. Eine Verurteilung, so die bar ist. Darum geht es doch nicht. Die überwiegende Rechtsprechung weiter, setzt aber dementsprechende Zahl der meist jugendlichen Täter weiß sehr wohl, Feststellungen voraus, die erforderlichenfalls durch dass sie Unrecht tun. Davon geht ja gerade der Kitzel Sachverständigengutachten zu untermauern sind. aus. Das heißt, wenn wir den Straftatbestand verän- dern, indem wir das Wort „Verunstalten“ in die Als Rechtspolitiker dürfen wir unsere Gerichte und §§ 303 und 304 einfügen, ändert sich diesbezüglich damit auch unsere Bürgerinnen und Bürger in dieser nichts. Frage nicht allein lassen. Eine klare und eindeutige Regelung muss her! Zweiter Punkt. Es wird argumentiert, der Begriff müsse normenklar, das Strafrecht müsse einfacher Das Problem lässt sich auf verschiedene Weise in- sein. Der Begriff „Verunstalten“ soll hinzugefügt wer- nerhalb der Tatbestände der §§ 303 und 304 Strafge- den. Die Anhörung, die der Bundestag im Sommer setzbuch lösen, etwa durch die bloße Einfügung des 1999 zu dem sehr ähnlich lautenden Antrag durchge- Tatbestandsmerkmals „Verunstalten“, wie dies im führt hat, hat ergeben, dass die ästhetische Kompo- Gesetzesantrag von Baden-Württemberg vorgeschla- nente bei der Bewertung der Strafbarkeit nicht außer gen wird. Thüringen wird diesen Gesetzesvorschlag Betracht gelassen werden kann. Mein Vorredner Herr – ich betone dies – mittragen. Minister Birkmann hat es bereits angesprochen: Auf eines möchte ich gleichwohl hinweisen: Der Be- Wenn wir schon eine Präzisierung, mehr Klarheit er- griff des „Verunstaltens“ birgt die Gefahr, in seiner reichen wollen, wäre es nicht sehr sinnvoll, eine For- relativen Unklarheit und Unbestimmtheit wiederum mulierung zu wählen, die erneut Anlass zu Diskussio- auslegungsbedürftig zu sein. Damit aber könnte die nen geben wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist dies Diskussion von vorne beginnen. Persönliche Wertun- also abzulehnen, wie es der Bundestag nach Sachver- gen und subjektive Ansichten des Rechtsanwenders ständigenanhörung – es war nicht nur die Sachver- könnten dazu führen, die Schmierereien als Kunst ständige anwesend, die Sie zitiert haben, Herr Minis- oder gar als Verschönerung zu werten. Unsicherheit ter Goll – zu Recht getan hat. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 549 Staatssekretär Dr. Hansjörg Geiger (A) Es besteht Handlungsbedarf – aber nicht im Straf- graut vor der Vorstellung, dass es uns ähnlich ergeht, (C) recht. In erster Linie ist auf Prävention zu setzen. Ich wenn es uns nicht gelingt, diesem Unwesen Einhalt nenne drei Punkte. zu gebieten. Erster Punkt: Es ist sehr wohl ein Problem, dass Unsere Aufgabe ist es auch, ein bisschen Orientie- hohe Schäden entstehen können. Herr Minister Birk- rung zu geben. Orientierung geben heißt zu zeigen: mann, wenn den Jugendlichen in der Schule und im Das wollen wir hier nicht, und das lassen wir bei uns Elternhaus vor Augen geführt wird, welche Scha- nicht zu. Wenn unsere bisherigen Mittel nicht ausrei- densersatzansprüche auf sie zukommen, hat dies chen, müssen wir sie erweitern. möglicherweise eine viel höhere Abschreckungswir- Wir in Nordrhein-Westfalen haben das bisher an- kung. Das ist vielen vorher nicht klar. ders bewertet. Wir stützen uns auf ein Urteil des Zweiter Punkt: Bei Verurteilungen – viele Täter Oberlandesgerichts Düsseldorf, das in Fällen von werden nicht ertappt; das ist ein besonderes Phäno- Graffiti-Schmierereien Sachbeschädigung angenom- men in diesem Bereich – könnte der Täter-Opfer-Aus- men hat. Aber das reicht offensichtlich nicht aus. Die gleich eine weitere abschreckende Wirkung haben, Experten brauchen dort noch eine Runde der Erörte- wenn nämlich publiziert wird, dass jugendliche rung. Straftäter – oder wer auch immer – eigenhändig die Schmierereien beseitigen müssen. Mein Anliegen ist es – das möchte ich in aller Deut- lichkeit sagen –, dass wir hier zu klaren Entscheidun- Dritter Punkt – auch wenn es altmodisch klingt –: Es gen kommen. Herr Staatssekretär, die Menschen auf ist auch eine Frage der Erziehung. Wir haben gehört, das Zivilrecht und vor allen Dingen auf Schadenser- Graffiti sind Teil einer Jugendkultur. Es ist schick, satzklagen zu verweisen, ist nicht sehr überzeugend. „tags“ anzubringen. Im Elternhaus wie in der Schule Man wird keinen Bürger mit dem Argument überzeu- ist deutlich zu machen, dass das eben keine schicke gen, dass er eine Rechtsschutzversicherung ab- Entwicklung ist. Wir sehen hier einen Unterschied. schließen muss, um sein Eigentum schützen zu kön- In Amerika und in manchen anderen Ländern ist es nen; sonst wird sich doch niemand in ein solches zum großen Teil gelungen, das „Tag“-Unwesen zu Verfahren stürzen. beseitigen. Dort hat man nicht das Strafrecht ver- Unter allen Aspekten meine ich, hier lohnt eine schärft. Auch unser Weg sollte Prävention heißen. – weitere ernsthafte Erörterung. Die Diskussion darü- Vielen Dank. ber, ob solche Schmierereien Kunst sind, gibt es seit Jahr und Tag. Wer sich die heutigen Ergebnisse an- Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Nächs- schaut, kann nicht mehr von Kunst sprechen, sie sind Sachbeschädigung. Wir müssen doch noch ausspre- (B) ter Redner ist Herr Kollege Clement. (D) chen können, was es ist. Wenn es Sachbeschädigung ist, haben wir dafür zu sorgen, dass sie rechtlich ge- Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen): Herr ahndet werden kann. – Schönen Dank. Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um keinen Irrtum aufkommen zu lassen. Wenn das Land Nordrhein-Westfalen dafür Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr eintritt, dass der Antrag an die Ausschüsse überwie- Goll hat sich noch einmal gemeldet. Bitte sehr. sen wird, heißt das nicht, dass wir das Anliegen, das von Herrn Kollegen Goll und von Herrn Kollegen Birkmann vorgetragen worden ist, ablehnen. Die Dis- Prof. Dr. Ulrich Goll (Baden-Württemberg): Herr kussion hat jedoch gezeigt, dass wir noch Erörte- Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mit rungsbedarf haben. ungläubigem Staunen gehört, es sei kein Problem des Strafrechts. Lieber Herr Staatssekretär Geiger, sind Meine juristische Vergangenheit liegt ziemlich weit Sie dafür, dass es ein Straftatbestand ist, wenn je- zurück. Sie wird mir immer lebendig, wenn ich Dis- mand fremdes Eigentum mit Farbe verziert, was in kussionen wie diese erlebe, die auch ein bisschen der Regel von den betroffenen Eigentümern als Be- unsere Unfähigkeit zeigen, etwas auf den Punkt zu schmieren empfunden wird? Es geht nicht darum, ob bringen. Ich stimme Ihnen, Herr Staatssekretär, aus- das schön ist oder nicht. Ich frage noch einmal: Soll drücklich nicht zu, sondern möchte sehr deutlich das Anmalen fremder Häuser gegen den Willen der sagen, dass ich die strafrechtliche Ahndung dieser Schmierereien für absolut geboten halte. Es lohnt Eigentümer ein Straftatbestand sein oder nicht? wirklich, einmal offenen Auges durch unsere Städte zu gehen und wahrzunehmen, was an öffentlichen Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr und privaten Gebäuden angerichtet wird. Das hat mit Geiger, bitte. Jugendkultur nichts zu tun, sondern sehr viel mit Re- spekt davor, was sich andere, ganz normale Men- schen mit ganz normalen Einkünften, mit größter Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundesminis- Mühe geschaffen haben. terium der Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sie Was einen einzig noch trösten könnte – aber das haben mich bewusst missverstanden, Herr Minister verstehen Sie bitte als Zynismus –: Ich habe kürzlich Goll. Ich habe gefragt: Können wir durch eine Verän- bei einem Besuch in Rom sehen müssen, wie histo- derung des Strafrechts das Problem lösen? Selbstver- risch einmalige Gebäude verunstaltet wurden. Mir ständlich sind Sachbeschädigungen strafbar. In vielen 550 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Staatssekretär Dr. Hansjörg Geiger (A) Fällen handelt es sich um Sachbeschädigung. Dann Zurück zu den Ausschussempfehlungen: (C) werden die Täter in aller Regel bestraft. Das ist klar. Wer stimmt für Ziffer 2, bei deren Annahme die Zif- Ich habe erklärt, dass ich im Strafrecht nicht den fer 4 entfällt? Handzeichen bitte! – Mehrheit. Hauptweg zur Lösung des Problems sehe. Wir haben Damit entfällt Ziffer 4. die §§ 303 und 304; sie müssen hier angewandt wer- den. Aber wenn wir unsere Bürger wirklich schützen Ich rufe Ziffer 3 auf. Handzeichen bitte! – Das ist die wollen, dann dürfen wir nicht allein am Strafrecht Mehrheit. etwas verändern. Das ist nicht die Lösung. Stimmen wir nun darüber ab, ob der Verordnungs- Ich habe gesagt, dass ich die Ausführungen von entwurf in der soeben festgelegten Fassung der Bun- Herrn Birkmann interessant finde, dass wir durch die desregierung zugeleitet werden soll! Handzeichen Einfügung des Wortes „Verunstalten“ eine weitere bitte! – Das ist die Mehrheit. Diskussion, aber keine Klarheit bekommen. Somit hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage Wir müssen wirklich etwas tun. Dabei ist Präven- entsprechend zuzuleiten. tion entscheidend. Ministerpräsident Clement hat Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10: dargelegt, dass der Zustand bei uns unerträglich ist, dass wir der Entwicklung leider noch nicht Einhalt Entschließung des Bundesrates zur Reform der bieten konnten. Aber lassen Sie uns gemeinsam nach Arbeitsförderung – Antrag der Freistaaten Lösungen suchen und nicht meinen, wir hätten sie Thüringen, Bayern – (Drucksache 658/01) schon. – Danke schön. Die Länder Baden-Württemberg, Hessen, Saarland und Sachsen sind dem Entschließungsantrag beige- Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr treten. Minister Schelter (Brandenburg) hat seine Erklärung Es hat sich Herr Minister Schuster (Thüringen) ge- zu Protokoll*) gegeben. Damit haben wir keine weite- meldet. Bitte, Sie haben das Wort. ren Wortmeldungen.

Baden-Württemberg hat beantragt, bereits heute in Franz Schuster (Thüringen): Herr Präsident! Sehr der Sache zu entscheiden. Wer für die sofortige geehrte Damen und Herren! Seit August nimmt die Sachentscheidung ist, den bitte ich um das Handzei- Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr wie- chen. – Das ist eine Minderheit. der zu, aber positive Impulse auf Bundesebene für Dann weise ich den Gesetzentwurf dem Rechtsaus- eine deutliche und nachhaltige Reduzierung der Ar- schuss – federführend –, dem Ausschuss für Frauen beitslosigkeit sind nicht erkennbar. (B) (D) und Jugend, dem Ausschuss für Innere Angelegenhei- Die arbeitsmarktpolitischen Ziele der Bundesregie- ten und dem Verkehrsausschuss – mitberatend – zu. rung rücken in immer weitere Ferne. Niemand rech- net damit, dass sich die wirtschaftliche Lage in Kürze Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9: ändert. Auch das Job-AQTIV-Gesetz ist insbesondere Entwurf einer Verordnung zur Änderung der unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung Verordnung über den Ausgleich gemeinwirt- keine ausreichende Antwort auf den Abbau der Ar- schaftlicher Leistungen im Straßenpersonen- beitslosigkeit. Der Staat ist gefordert, weitergehende verkehr (PBefAusglV) – Antrag des Landes wirksame Rahmenbedingungen für mehr Beschäf- Brandenburg – (Drucksache 669/01) tigung zu schaffen. Notwendig sind das Vorziehen der Steuerreform und Erleichterungen im Arbeits- Keine Wortmeldungen. recht, die die Kosten der Unternehmen reduzieren Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- und zusätzliche Arbeitsplätze induzieren. fehlungen in Drucksache 669/1/01 und zwei Anträge Einen wesentlichen Beitrag zum Abbau der Arbeits- Bayerns in den Drucksachen 669/2 und 3/01 vor. losigkeit hat auch die dringend notwendige Reform Wir beginnen mit dem Landesantrag in Druck- des SGB III zu leisten, indem das Arbeitsförderungs- sache 669/2/01, bei dessen Annahme die Ziffern 1, 2 recht von Grund auf überarbeitet und stärker auf den und 4 der Ausschussempfehlungen entfallen. Wer ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet wird. Der Gesetz- stimmt für diesen Antrag? Handzeichen bitte! – Das ist entwurf der Koalitionsfraktionen enthält zum Teil eine Minderheit. durchaus positive Ansätze und Maßnahmen. Er greift aber insgesamt zu kurz. Es fehlen Ansätze für eine tief Wir fahren fort mit Ziffer 1 der Ausschussempfeh- greifende strukturelle Reform. lungen. Wer stimmt zu? Handzeichen bitte! – Das ist die Mehrheit. Thüringen hat deshalb gemeinsam mit Bayern einen Entschließungsantrag zur Reform der Arbeits- Wir kommen zum Landesantrag in Druck- förderung in den Bundesrat eingebracht, der den zu- sache 669/3/01, bei dessen Annahme die Ziffern 3 sätzlichen strukturellen Reformbedarf aufzeigt. und 4 der Ausschussempfehlungen erledigt sind. Wer ist für diesen Landesantrag? Handzeichen bitte! – Das Gefordert werden grundlegende Neuerungen im ist eine Minderheit. Hinblick auf den ersten Arbeitsmarkt, z. B. Kombi- Einkommensmodelle im Niedriglohnbereich. Es geht darum, Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfe- *) Anlage 7 empfängern die Entscheidung zu erleichtern, auch Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 551 Franz Schuster (Thüringen) (A) eine geringer bezahlte Tätigkeit aufzunehmen. Die Nur so kann die Finanzierung der Arbeitsförderung in (C) Einkommensmodelle sollen nicht zu einer Auswei- den neuen Ländern auf Dauer gewährleistet werden. tung des Niedriglohnbereichs führen. Die Bundesre- Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserer Ent- gierung kann es sich aber bei der gegenwärtigen schließung. Sie eröffnet die Möglichkeit, dass der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht leisten, auf solche Bundesrat ein qualifiziertes Votum zum Thema „Re- Potenziale zu verzichten. form der Arbeitsförderung“ abgibt. – Vielen Dank für In den neuen Ländern tragen die vielfältigen Zu- Ihre Aufmerksamkeit! schüsse für die Unternehmen zur Integration Arbeits- loser bei. Dies kann auch durch die Unterstützung des Einkommens bisher Arbeitsloser bei der Annah- Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr me geringer bezahlter Stellen geschehen. Staatsminister Bocklet (Bayern) hat eine Erklärung ) Zweitens. Notwendig ist eine Angleichung von Ar- zu Protokoll* gegeben. beitslosen- und Sozialhilfe. Beide Leistungssysteme Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen sind steuerfinanziert und setzen Bedürftigkeit voraus. der Ausschüsse in Drucksache 658/1/01 vor. Der Wirt- Anspruchsvoraussetzungen und Leistungen sollten schaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, die Ent- deshalb angeglichen werden. Dies muss schrittweise schließung zu fassen. Die übrigen beteiligten Aus- erfolgen. Ergebnis dieses Prozesses kann letztlich nur schüsse empfehlen dem Bundesrat, die Entschließung die inhaltliche und organisatorische Zusammen- nicht zu fassen. führung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zu einem einheitlichen Instrument sein. Nur so kann Gemäß unserer Geschäftsordnung ist die Abstim- das Hin und Her der Betroffenen zwischen der So- mungsfrage positiv zu stellen. Wer also entspre- zial- und der Arbeitsverwaltung vermieden werden. chend Ziffer 1 der Ausschussempfehlungen die Wichtig ist jedoch, dass eine finanzielle Zusatzbela- Entschließung fassen möchte, den bitte ich um das stung der Kommunen als Sozialhilfeträger vermieden Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. wird. Damit hat der Bundesrat beschlossen, die Ent- Drittens wird eine angemessene Teilung der Finan- schließung nicht zu fassen. zierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 11: zwischen dem Bund und der Bundesanstalt für Arbeit gefordert. Es ist wichtig, ein finanzierbares Leistungs- Entschließung des Bundesrates zur Umwand- system zu haben, das die Beitragszahler nicht über- lung der Gesetze zur Förderung eines Freiwil- fordert. Die Durchschnittsquote der Lohnnebenkos- ligen Sozialen Jahres und eines Freiwilligen Ökologischen Jahres in ein allgemeines Frei- (B) ten in Deutschland liegt heute bei über 40 %. Die (D) Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gehören dazu. willigengesetz – Antrag des Landes Baden- Bemühungen zur Senkung der Lohnnebenkosten sind Württemberg gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. § 15 im Reformvorhaben nicht erkennbar. Abs. 1 und § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 772/01) Ich weise darauf hin, dass die Finanzierbarkeit des Job-AQTIV-Gesetzes bislang nicht geklärt ist. Die be- Herr Dr. Repnik (Baden-Württemberg) hat sich dazu absichtigten Maßnahmen sind mit zusätzlichen Aus- gemeldet. gaben verbunden. Wir haben ab Januar nächsten Jahres mit einer dreifachen Zusatzbelastung des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit zu rechnen; Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Württemberg): Herr denn zu den derzeitigen konjunkturbedingten Mehr- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! belastungen kommen Mehrausgaben für das Job- Angesichts der anstehenden sozialen und demografi- AQTIV-Gesetz und die Kompensation der stark schen Herausforderungen ist unsere Gesellschaft gekürzten Bundeszuschüsse. ohne den aktiven Einsatz ihrer Bürgerinnen und Bür- ger für das Gemeinwohl nicht zukunftsfähig. Damit Zusätzliches Geld für das Job-AQTIV-Gesetz geht müssen wir von der Vorstellung Abschied nehmen, ins Leere, wenn nichts zur Bekämpfung der Ursachen der Staat könne alles allein richten. Das Engagement und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage un- und die Einmischung eines jeden Einzelnen sind ternommen wird. Ich erinnere daran, dass noch im heute wie auch in Zukunft gefragt. Wir müssen hohes Frühjahr auch von der Bundesregierung über eine Interesse daran haben, dass junge Menschen an Ei- Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung genverantwortung, Bürgerengagement und soziale nachgedacht wurde. Dieses Ziel darf nicht einfach Kompetenz herangeführt werden. Wir müssen sie mo- aufgegeben werden. Die Verbesserung der wirt- tivieren, unsere Gesellschaft aktiv mitzugestalten. schaftlichen Rahmenbedingungen ist nun einmal Vo- Dazu müssen aber auch Mitwirkungsmöglichkeiten raussetzung für eine konjunkturelle Belebung. geboten und geeignete Rahmenbedingungen ge- Der Entschließungsantrag berücksichtigt, dass eini- schaffen werden. ge Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik mitt- Das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige lerweile sozialpolitischen Charakter haben. Es muss Ökologische Jahr haben sich in Baden-Württemberg darüber diskutiert werden, ob ihre Finanzierung nicht und in anderen Ländern parallel zum Zivildienst be- zumindest teilweise dem Bund obliegt. Die Bundesan- stalt für Arbeit und die Beitragszahler müssen jeden- falls von zusätzlichen Ausgaben entlastet werden. *) Anlage 8 552 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Dr. Friedhelm Repnik (Baden-Württemberg) (A) währt. Im vergangenen Jahr haben allein in Baden- Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem (C) Württemberg 2 270 junge Menschen am Freiwilligen Freiwilligendienst soll der persönliche Nutzen weiter Sozialen Jahr teilgenommen. Diese hohe Zahl zeigt erhöht werden. Sich für die Allgemeinheit zu enga- deutlich, dass auch bei der heutigen Jugend soziales gieren bringt Lebenserfahrung und soziale Kompe- Engagement selbstverständlich ist. tenz. Aber auch das fachliche Wissen wird in vielen Bereichen erweitert. Das rechtfertigt meiner Ansicht Das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige nach eine breitere Anerkennung, z. B. in Form eines Ökologische Jahr geben jungen Menschen die Chan- Bonussystems für den Berufszugang. ce, die Lebenswirklichkeit hautnah zu erleben. Sie machen wichtige Erfahrungen, die prägenden Ein- Wer sich für einen Freiwilligendienst sozial en- fluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben. gagiert, soll keine sozialversicherungsrechtlichen, Außerdem ermöglicht es soziales Handeln in der steuerlichen und kindergeldrechtlichen Nachteile Praxis, es stärkt die soziale Kompetenz und vermittelt erleiden. Bezüglich der Kosten sollten auch privatver- Schlüsselqualifikationen, z. B. Teamgeist. Dadurch sicherungsrechtliche Lösungen geprüft werden. werden auch die beruflichen Zukunftsperspektiven verbessert. Die Bedeutung des Freiwilligendienstes soll durch die Ernennung eines Bundesbeauftragten für den Dennoch bleiben das Freiwillige Soziale Jahr und Freiwilligendienst, der jährlich im Parlament Bericht das Freiwillige Ökologische Jahr in ihrer derzeitigen erstattet, unterstrichen werden. Ausgestaltung inhaltlich und strukturell begrenzt; sie bedürfen zusätzlicher Impulse. Ich möchte einen weiteren wichtigen Punkt anspre- Die von der Baden-Württembergischen Landes- chen. Die Bundesregierung hat den Zivildienst aus regierung eingebrachte Initiative zielt darauf ab, die Einsparungsgründen, aber auch wegen der Wehr- rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, mög- dienstverkürzung sehr ausgehöhlt. Das hat dem so- lichst viele junge Menschen für das Freiwillige So- zialen Engagement der jungen Menschen einen her- ziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr zu ben Rückschlag versetzt. Deshalb plädiere ich dafür, gewinnen. Durch den Ausbau der Gesetze zur Förde- dass die Teilnahme an einem Freiwilligendienst auf rung des Freiwilligen Sozialen Jahres und des Frei- die gleiche Stufe wie der Zivildienst gestellt wird und willigen Ökologischen Jahres sollen Rechtsgrund- als Wehrersatzdienst angerechnet werden kann. Auf lagen für einen allgemeinen Freiwilligendienst welche Weise die Anerkennung im Rahmen des Zivil- junger Menschen in Deutschland geschaffen werden. dienstgesetzes erfolgt, ist eigentlich zweitrangig. Dafür sind eine möglichst weit gehende Flexibilisie- Wichtig ist eine Regelung, durch die die Teilnahme rung, Entbürokratisierung und ein breites Spektrum am Freiwilligen Sozialen Jahr und am Freiwilligen Ökologischen Jahr auch dann dem Zivildienst gleich- (B) der Einsatzbereiche erforderlich. (D) gestellt wird, wenn der Teilnehmer bereits vor dem Der Bundesrat hat bereits im vergangenen Jahr auf 18. Lebensjahr seinen Dienst geleistet hat und somit unsere Initiative hin beschlossen, einen Gesetzent- noch nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurf in den Deutschen Bundestag einzubringen, vor werden konnte. allem mit dem Ziel, das Mindestalter für die Teilnah- Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, ange- me herabzusetzen. Diese Forderung wird in unserer sichts der verheerenden Auswirkungen der Verkür- Entschließung bekräftigt. Mit Genugtuung habe ich zung der Zivildienstdauer auf die vielen Träger im zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung sozialen Bereich zusätzlich die Einführung eines all- bereit ist, diesen Punkt in dem geplanten Entwurf gemein verpflichtenden Gesellschaftsjahres anzure- eines FSJ-Förderungsänderungsgesetzes umzuset- gen. Nach meinen Vorstellungen sollte ein allgemein zen. Damit wird endlich den Haupt- und Realschülern verpflichtendes Gesellschaftsjahr neben dem Wehr- nach Ableistung der Vollzeitschule die Teilnahme am dienst eine breite Palette von Einsatzmöglichkeiten Freiwilligen Sozialen Jahr und am Freiwilligen Öko- im sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen logischen Jahr ermöglicht. Bereich eröffnen. Jungen Menschen sollte die Mög- Ich möchte beispielhaft einige weitere wichtige lichkeit gegeben werden, sich eine für sie geeignete Punkte unserer Initiative herausgreifen. Aufgabe auszusuchen, die sie eine Zeit lang ver- pflichtend ausüben. Wenn man mehr junge Menschen erreichen will, so müssen flexible Einsatzzeiten ermöglicht werden. Wir stehen am Anfang der Diskussion. Mir ist klar, Deshalb soll der bisher starre und ohne Unterbre- dass ich nur einen Anstoß geben kann. Zur Debatte chung vorgesehene bis zu zwölfmonatige Dienst steht heute die bessere und attraktivere Ausgestal- künftig auch in Zeitblöcken oder in Teilzeit abgeleis- tung der Freiwilligendienste. Dafür werbe ich. Ich tet werden können. Durch die Flexibilisierung kann hoffe, dass der Bundesrat dieses Anliegen in den Aus- man sich studien- oder berufsbegleitend engagieren schüssen weiterhin positiv begleitet. – Ich bedanke oder auch die Zeit bis zum Beginn des Studiums oder mich. der Ausbildung überbrücken. Durch die Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Mir lie- auf allen Feldern der gemeinnützigen Arbeit sollen gen keine weiteren Wortmeldungen vor. über den bisherigen Bereich des Freiwilligen Sozialen Jahres und des Freiwilligen Ökologischen Jahres hi- Dann weise ich die Vorlage dem Ausschuss für naus niedrigschwellige Angebote geschaffen werden. Frauen und Jugend – federführend – sowie dem Aus- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 553 Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf (A) schuss für Arbeit und Sozialpolitik und dem Aus- von tier- und fischmehlhaltigen Tierfuttermitteln für (C) schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- alle Tierarten. Dem wird das Künast-Siegel in keiner heit – mitberatend – zu. Weise gerecht. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 12: Bayern wird bei seiner Förderung der Ökobetriebe weiterhin an den bekannten hohen Standards festhal- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung und ten. Auch wir sind der Meinung, dass wir Gütesiegel Verwendung eines Kennzeichens für Erzeug- brauchen, allerdings auf einem höheren Niveau, als nisse des ökologischen Landbaus (Öko-Kenn- dies die Bundesministerin möchte. Das von Frau zeichengesetz – ÖkoKennzG –) (Drucksache Künast vorgeschlagene Ökozeichen lehnen wir daher 698/01) ab. – Ich bedanke mich. Mir liegt zunächst eine Wortmeldung von Herrn Minister Stächele (Baden-Württemberg) vor. Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Als (Zuruf) Nächster hat Herr Parlamentarischer Staatssekre- – Minister Köberle (Baden-Württemberg) gibt für Mi- tär Berninger (Bundesministerium für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft) das Wort. nister Stächele eine Erklärung zu Protokoll*). Frau Staatssekretärin Görlitz aus Bayern hat das Wort. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung Erika Görlitz (Bayern): Herr Präsident! Meine sehr und Landwirtschaft: Herr Präsident, meine Damen geehrten Damen und Herren! Die Gelegenheit zu und Herren! Die Diskussion über ein einheitliches einem kurzen Wort vor diesem Hohen Haus ist mir Ökosiegel ist schon älter als die EU-Öko-Verordnung. willkommen. Weniger willkommen ist mir der Anlass: Es gab in den vergangenen Jahren sehr viele Initia- Der Bundesrat stimmt heute über das Öko-Kennzei- tiven; eine Reihe davon war erfolglos. chengesetz ab. Das hat die Verbraucher sehr frustriert. Zwar muss überall dort, wo „Bio“ oder „Öko“ draufsteht, auch Bayern wird dem Ökosiegel von Frau Bundesminis- Bio oder Öko drin sein. Aber die Verunsicherung der terin Künast nicht zustimmen, weil sie damit Verbraucher ist nach wie vor recht groß; denn es gibt Etikettenschwindel betreibt. Sie will uns etwas als eine Vielzahl von Zeichen. neues Siegel verkaufen, dessen Grundlagen es be- reits seit zehn Jahren gibt – seit 1991 ist die EU-Öko- Es war daher Ziel der Bundesregierung, gemeinsam Verordnung in Kraft. mit den Wirtschaftsbeteiligten eine Lösung zu finden. (B) Das ist uns mit dem Biozeichen gelungen. Ich kann (D) Diese spiegelt den Minimalkonsens innerhalb der die Vorhaltungen des Landes Bayern an dieser Stelle Europäischen Gemeinschaft in Sachen Ökolandbau nicht teilen und will das kurz begründen. wider. Das bloße Festhalten an diesem sehr niedrigen Standard bringt den Verbrauchern in Deutschland Die Entwicklung am Biomarkt wird nicht allein von keinen zusätzlichen Nutzen. Im Gegenteil: Es schadet diesem Zeichen abhängen, sondern von einem Mix mehr, als es nützt. vieler Maßnahmen zur Förderung des ökologischen Landbaus. Wir meinen, ein einheitliches Zeichen er- In der Praxis wird es unsere Ökostandards verrin- möglicht es künftig, dass diese Produkte in den Läden gern. Das Ökodumping dieses Billigsiegels ist eine erkannt und dann von den Verbrauchern nachgefragt Gefahr für unsere Biobauern und ihr hohes Produkt- werden. niveau, das ihnen die deutschen Ökolandbauverbän- Natürlich muss eine Reihe weiterer Maßnahmen de seit eh und je vorschreiben. Dazu hat bisher in folgen, z. B. die Bereitschaft des Lebensmittelein- Deutschland die Totalumstellung des Betriebes auf zelhandels, solche Produkte auch in die Regale zu ökologischen Landbau gehört. Nun sollen Teilflächen stellen. Denn dass der Anteil der ökologischen Pro- genügen. Damit wird das Prinzip der ökologischen duktion in Deutschland so niedrig ist, hängt auch Kreislaufwirtschaft ad absurdum geführt. damit zusammen, dass sich bestimmte Wirtschaftsbe- So mag jemand verfahren, der im Handstreich den reiche, z. B. der Lebensmitteleinzelhandel, in den ver- Anteil der Bioprodukte auf 20 % steigern will. Wir gangenen Jahren zurückgehalten haben. werden bei diesem durchsichtigen Trick nicht mitma- Nun kauft der Lebensmitteleinzelhandel europa- chen. Wer heute das Vertrauen der Verbraucher in ein weit ein. Es wäre niemandem klarzumachen gewe- gesetzliches Ökosiegel gewinnen will, muss Anforde- sen, warum ein Bioprodukt aus Frankreich nach der rungen stellen, welche die der EU-Öko-Verordnung EU-Öko-Verordnung als solches vermarktet werden deutlich übertreffen. kann, in Deutschland jedoch kein Siegel erhält. Des- halb haben wir uns dafür entschieden, ein europaweit strengeren Krite- Ganz sicher gehören zu solchen einheitliches Siegel zu schaffen. rien die Umstellung des Gesamtbetriebes auf den Ökolandbau, die Versorgung der Tiere mit überwie- Die Frau Staatssekretärin hat auf die höheren deut- gend selbst erzeugtem Futter sowie der Ausschluss schen Standards hingewiesen. Die Bundesregierung ist mit allen Beteiligten übereingekommen, auf eu- ropäischer Ebene Veränderungen herbeizuführen. *) Anlage 9 Das wird sehr rasch durch ein Memorandum und eine 554 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Parl. Staatssekretär Matthias Berninger (A) Diskussion in Brüssel geschehen. Unser Ziel besteht Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 14: (C) darin, hohe Ökostandards nicht nur in Deutschland, Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung des sondern auf der gesamten europäischen Ebene zu Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundes- haben. Da haben Sie sensible Punkte genannt, etwa staatlichen Finanzausgleichs und zur Abwick- die Frage, woher das Futter kommt. lung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidar- Dass die bayerischen Betriebe unter dem Biosiegel paktfortführungsgesetz – SFG) (Drucksache nicht leiden, sondern davon profitieren, kann man 734/01) schon erkennen. Ein einfaches Beispiel: Heute wird Herr Kollege Ringstorff aus Mecklenburg-Vorpom- sehr viel Biomilch produziert, aber als konventionelle mern hat sich zu Wort gemeldet. Milch vermarktet, weil es sich bislang nicht gelohnt hat, diese Milch getrennt einzusammeln. Davon, dass die Supermarktketten nun bereit sind, solche Milch mit Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern): dem Biozeichen in ihren Regalen anzubieten, profitie- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren gerade die kleinen bäuerlichen Betriebe in Bayern ren! Vor der Sommerpause ist es uns gelungen, eine – ich habe mir eine Reihe von ihnen angesehen –; gute Lösung zur Neuordnung der Bund-Länder-Fi- denn sie erhalten, ohne etwas ändern zu müssen, nanzbeziehungen auszuhandeln, eine Lösung, der 10 Pfennig pro Liter Milch mehr. Das sind am Ende des alle Länder und der Bund zustimmen konnten. Das Jahres 10 000 DM mehr. Daran können Sie erkennen, war und ist eine große Leistung. Es ist auch ein klarer dass unsere Strategie, den Absatz insgesamt zu för- Beweis für die Handlungs- und Einigungsfähigkeit dern, nicht zu Lasten der deutschen Ökolandwirte von Bund und Ländern sowie ein sichtbares Zeichen geht, sondern im Gegenteil dazu führt, dass sie ihre dafür, dass die gemeinsame Finanzverantwortung von Produkte vermarkten können und dass Perspektiven Ost und West fortgeschrieben wird. für Landwirte entstehen, die umstellen wollen. Heute gilt es, mit dem Solidarpaktfortführungs- Ich kann ja verstehen, dass die Bayerische Staatsre- gesetz das, was wir damals gemeinsam an Eckpunk- gierung unserem Siegel ein kleinstaatliches Siegel ten zum Finanzausgleich und zum Solidarpakt II entgegensetzen möchte. Ich empfehle aber einen festgelegt haben, gesetzlich umzusetzen. Es gilt, die Rundgang auf der ANUGA, der größten Nahrungs- erzielten Übereinkünfte auch tatsächlich ins Ziel mittelmesse der Welt, die ich diese Woche besucht zu bringen. Wir wollen, dass das Solidarpaktfortfüh- habe. Dort ist zu besichtigen, wie die Lebensmittel- rungsgesetz rechtzeitig zum 1. Januar 2002 in Kraft wirtschaft und auch andere Beteiligte reagieren: Sie treten kann. können dieses Zeichen dort finden. Soll dieser Zeitplan eingehalten werden, so kann es (B) Ich bin mir sicher, es wird am Ende hohe Akzeptanz jetzt nicht darum gehen, zwischen Bund und Ländern (D) bei den Verbrauchern finden und unseren Zielen, für noch bestehende Meinungsunterschiede über die An- mehr Verbraucherschutz und eine bessere Umwelt- wendung des Deckungsquotenverfahrens und zur wirkung landwirtschaftlicher Produktion zu sorgen, Frage getrennter Regelkreise beim Familienleis- Rechnung tragen. tungsausgleich gleich mit zu lösen. Das soll in einem nächsten Schritt geschehen. So haben wir es in den Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Weitere Entschließungen des Bundestages und des Bundesra- Wortmeldungen liegen mir nicht vor. tes verabredet. Und was man verabredet, sollte auch gelten. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache 698/1/01 sowie ein ge- Diesen Verabredungen zwischen Bund und Län- meinsamer Antrag Bayerns und Baden-Württembergs dern wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Drucksache 698/2/01 vor. Rechnung getragen. So wird zur vertikalen Umsatz- steuerverteilung einseitig an der Position des Bundes Wir beginnen mit dem 2-Länder-Antrag, bei dessen zur Methodik der Deckungsquotenberechnung fest- Annahme die Ausschussempfehlungen entfallen. gehalten und der grundgesetzlich verankerte zweite Bitte Handzeichen für den Antrag in Drucksache Regelkreis beim Familienleistungsausgleich negiert. 698/2/01! – Minderheit. Diese Problematik ist sehr komplex und beinhaltet Wir fahren mit den Ausschussempfehlungen in wegen ihres Streitwertes von ca. 20 Milliarden DM Drucksache 698/1/01 fort. Ich rufe auf: ein hohes Konfliktpotenzial zwischen Bund und Län- dern. Allein für Mecklenburg-Vorpommern ergibt Ziffern 1, 5 und 6 gemeinsam! – Mehrheit. sich daraus ein Einnahmerisiko von 440 Millionen Aus den Ausschussempfehlungen rufe ich zur Ein- DM. Das sind Dimensionen, meine Damen und Her- zelabstimmung auf: ren, die angesichts der angespannten Haushaltssitua- tion der Länder nicht zu bewältigen sind. Ziffer 2! – Mehrheit. Ebenso wenig wird das verabredete Verfahren zur Ziffer 3! – Mehrheit. innerstaatlichen Umsetzung der Fiskalkriterien des Ziffer 4! – Mehrheit. EG-Vertrages berücksichtigt. Hier hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, ihren strikten Konsoli- Ziffer 7! – Mehrheit. dierungskurs fortzusetzen. Nun sind aber in dem Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- vorliegenden Gesetzentwurf Formulierungen zur Ein- sprechend Stellung genommen. haltung der Haushaltsdisziplin im Rahmen der Eu- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 555 Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern) (A) ropäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu fin- Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt): Herr Präsi- (C) den, die weit über das Erforderliche hinausgehen und dent, meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf der die verfassungsrechtlich garantierte Haushaltsauto- Bundesregierung für ein Solidarpaktfortführungsge- nomie der Länder einschränken. setz wird nach der Verabschiedung des Maßstäbege- Damit können sich die Länder naturgemäß nicht setzes nun die zweite Stufe im parlamentarischen einverstanden erklären, würde uns doch auf diese Verfahren genommen, über das Jahr 2004 hinaus für Weise notwendiger Handlungsspielraum genommen. die ostdeutschen Länder Planungssicherheit für die Das heißt nicht, dass die Länder die Notwendigkeit Fortführung des Aufbaus Ost zu schaffen. Der Ge- der Haushaltskonsolidierung bestreiten. Die Haus- setzentwurf geht dabei von den gleichlautenden Ent- haltskonsolidierung ist ein gemeinsames politisches schließungen von Bundestag und Bundesrat zum Ziel, das Bund, Länder und Gemeinden jeweils in au- Maßstäbegesetz aus, die die Verabredungen der Re- tonomer Verantwortung seit Jahren erfolgreich verfol- gierungschefs von Bund und Ländern insbesondere gen. Dies werden wir auch in Zukunft fortsetzen. Der zum Solidarpakt II und zum bundesstaatlichen Finanz- Vorschlag der Länder zur Ergänzung des Haushalts- ausgleich wiedergeben. grundsätzegesetzes bringt dies klar zum Ausdruck, Ich danke der Bundesregierung ausdrücklich dafür, vermeidet aber eine unzulässige Einschränkung der dass sie den vorgesehenen Zeitplan eingehalten und Haushaltsautonomie der Länder und Gemeinden. sofort nach der Sommerpause den zweiten Teil dieses Also: Haushaltskonsolidierung ja, Eingriff in die ei- Gesetzgebungspakets vorgelegt hat. Die inzwischen genverantwortliche Haushaltsführung der Länder erfolgte Einbringung wortgleicher Fraktionsentwürfe nein! im Bundestag ist sicherlich auch hilfreich, um die not- Meine Damen und Herren, wenn die genannten Re- wendige Neuregelung bis zum Jahresende zu verab- gelungen so bleiben, wie vom Bund vorgelegt, ist im schieden. Verlauf der parlamentarischen Beratungen mit einem Vermittlungsverfahren zum Solidarpaktfortführungs- Ein wesentlicher Bestandteil des Solidarpakts II ist gesetz zu rechnen. Damit besteht die Gefahr, dass das die fortgesetzte Gewährung von Sonderbedarfs-Bun- Solidarpaktfortführungsgesetz nicht rechtzeitig zum desergänzungszuweisungen – wir haben das den 1. Januar 2002 in Kraft treten kann, und die zum Ab- „Korb I“ genannt –, die der Gesetzentwurf für jedes schluss der Verhandlungen zum bundesstaatlichen ostdeutsche Land in den Jahren 2005 bis 2019 fest- Finanzausgleich zum Solidarpakt II bekundete Einig- legt. keit von Bund und Ländern sowie die damit verbun- Auch die Überführung der Mittel nach dem Investi- dene Glaubwürdigkeit der Handelnden würden in tionsförderungsgesetz Aufbau Ost in Sonderbedarfs- Frage gestellt. Daran kann uns nicht gelegen sein. Bundesergänzungszuweisungen bereits ab dem Jahre (B) Darüber hinaus würde ein verzögertes Inkrafttre- 2002 wird durch den Gesetzentwurf präzise umge- (D) ten des Solidarpaktfortführungsgesetzes insbesonde- setzt. Damit wird in den ostdeutschen Ländern künf- re für die ostdeutschen Länder neue, nicht kalkulier- tig das detaillierte und für alle Beteiligten – Bund, bare Schwierigkeiten mit sich bringen. Ich beziehe Länder und Kommunen – mit hohem Verwaltungsauf- mich auf die im Gesetzentwurf geregelte Umwid- wand verbundene Abrechnungsverfahren im Zusam- mung der Mittel des Investitionsförderungsgesetzes menhang mit den Investitionshilfen entfallen können. in die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisun- Um diese Zielsetzung der politischen Verabredungen gen für teilungsbedingte Sonderlasten ab 1. Januar der Regierungschefs vom Juni möglichst noch früher 2002, die in den Entwürfen der Haushalte für 2002 be- erreichen zu können, hat mein Land auch einen An- reits Berücksichtigung gefunden hat. Dafür müssen trag eingebracht, nach dem bereits ab dem Berichts- jetzt die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen jahr 2001 ein vereinfachtes Abrechnungsverfahren werden. angewendet werden soll. Ich bitte daher die Bundesregierung und den Bun- Mit dem Solidarpaktfortführungsgesetz nicht zu ko- destag nachdrücklich, Bezug nehmend auf die ein- difizieren sind die Vereinbarungen zum Korb II, also stimmig ergangenen Empfehlungen des Finanzaus- zu den überproportionalen Leistungen des Bundes für schusses, die Lösung der genannten Konfliktpunkte die ostdeutschen Länder bei den weiteren Mischfi- nicht an den vorliegenden Gesetzentwurf zu koppeln. nanzierungen, bei der Behandlung der EU-Struktur- Meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, fonds sowie bei der aufbaupolitischen Zielsetzung der ist ein faires und zügiges Gesetzgebungsverfahren, Investitionszulage mit einem Volumen von derzeit das in einem ersten Schritt die Umsetzung der unstrit- über 5 Milliarden Euro jährlich. Wir gehen hierbei tigen Punkte des bundesstaatlichen Finanzausgleichs davon aus, dass dies durch den Bund genauso zielge- und das Inkrafttreten dieser Regelungen zum 1. Janu- richtet umgesetzt wird, wie der Gesetzentwurf den ar 2002 sicherstellt. Wenn das gelänge, könnten wir Korb I behandelt. – wie verabredet – in einem zweiten Schritt bis zum Auch bei der horizontalen Umsatzsteuerverteilung Ende der laufenden Legislaturperiode die übrigen und im Länderfinanzausgleich wird der unter den wichtigen Fragestellungen klären. Das sollte unser Ländern gefundene Kompromiss durch den Gesetz- Ziel sein. entwurf ordentlich wiedergegeben. Die Stufen von bundesstaatlicher Steuerverteilung und Finanzaus- Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Nächste gleich gegenüber dem jetzigen System werden ver- Wortmeldung: Herr Minister Gerhards (Sachsen-An- einfacht, transparenter gemacht und im Hinblick auf halt). Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst. 556 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Wolfgang Gerhards (Sachsen-Anhalt) (A) Frau Kollegin Hendricks, ich habe jetzt das getan, sens über die Gestaltung eines innerstaatlichen (C) was Herr Kollege Schily heute Morgen eingefor- Verfahrens im Einzelnen. Auch wenn sich eine dert hat: Ich habe die Bundesregierung wirklich aus- Annäherung abzeichnet, bleibt doch hier und heute führlich gelobt. Aber dieses Lob findet ein Ende – der die entscheidende Frage, ob eine Regelung im Soli- Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpom- darpaktfortführungsgesetz unabdingbare Vorausset- mern hat dies bereits angedeutet – bei der von der zung für die grundlegende Zielsetzung des Gesetzes, Bundesregierung beabsichtigten Regelung zur verti- nämlich die Fortführung des Aufbaus Ost und die kalen Umsatzsteuerverteilung, dem Bereich des Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzaus- Deckungsquotenverfahrens und des Familienleis- gleichs, ist. Sollten wir im weiteren Verfahren nicht zu tungsausgleichs. einer beiderseits tragfähigen Lösung kommen, wäre es als zweitbeste Lösung sicherlich sinnvoller, an die- Entgegen den Verabredungen der Regierungschefs ser Stelle auf eine Regelung zu verzichten, ohne sie von Bund und Ländern ist in Artikel 5, dem neuen Fi- allerdings aus den Augen zu verlieren. Es läge dann nanzausgleichsgesetz, unter § 1 vollständig die Positi- im Sinne der Absprachen vom Juni, wenn die in das on des Bundesfinanzministeriums formuliert worden. Haushaltsgrundsätzegesetz aufzunehmenden Verfah- Bund und Ländern war schon vor ihren Gesprächen rensregelungen zur Einhaltung der Haushaltsdiszi- im Juni beiderseitig klar, dass in der vertikalen Um- plin im Rahmen der Europäischen Wirtschafts- und satzsteuerverteilung sowohl bei der Methodik des Währungsunion zeitlich nicht mit den bis zum Jahres- Deckungsquotenverfahrens als auch bei der Frage ende notwendigerweise umzusetzenden Inhalten un- zweier getrennter Regelkreise Dissens besteht. Die- abdingbar verknüpft würden. ser Dissens besteht bereits seit einigen Jahrzehnten. Es entspräche dem Geist der Verhandlungen vom Am Ende dreier Tage und Nächte stand deshalb Juni, die beiden genannten offenen Punkte ohne for- zwischen Bund und Ländern das Verständnis, dass mal streitiges Verfahren – etwa im Vermittlungsaus- gegenwärtig die unproblematischen Punkte abgear- schuss – im Konsens zu regeln. Mich stimmt optimis- beitet werden sollen, während die bestehenden Mei- tisch, dass der Bundesfinanzminister inzwischen zu nungsunterschiede zu einem späteren Zeitpunkt in einem Gespräch speziell über diese beiden Punkte der laufenden Wahlperiode des Bundestages einer eingeladen hat. Das macht mich zuversichtlich, dass gesetzlichen Regelung zuzuführen sind. Dies geschah bei allen Beteiligten der feste Wille vorhanden ist, die auch vor dem Hintergrund, dass wesentliche Rege- offenen Fragen im guten Einvernehmen so zu beant- worten, dass im Bundestag und im Bundesrat noch in lungen für die ostdeutschen Länder beim Investiti- diesem Jahr deutliche Mehrheiten erreicht werden. – onsförderungsgesetz Aufbau Ost und bei den Sonder- Schönen Dank. bedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, aber auch (B) für die westdeutschen Länder und Berlin beim Fonds (D) „Deutsche Einheit“ bereits zum 1. Januar 2002 in Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Kraft treten sollen und deshalb keine Verzögerung Nächste dulden. Erst dieses Verständnis ermöglichte den Kom- Wortmeldung: Frau Parlamentarische Staatssekre- tärin Dr. Hendricks (Bundesfinanzministerium). promiss und den Erfolg. Ich erinnere auch an die deutlichen Ausführungen und Grundgesetzzitate des Kollegen Professor Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Faltlhauser zu den zwei Regelkreisen anlässlich des Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, meine ersten Durchgangs zum Maßstäbegesetz in diesem Damen und Herren! In der Tat – wir haben es gemein- Hause. sam als Sternstunde des Föderalismus betrachtet, als es uns im Sommer dieses Jahres gelungen ist, Pla- Meine Bitte an den Bund lautet, das, was von uns nungssicherheit insbesondere für die neuen Bundes- allen im Sommer als Sternstunde des Föderalismus länder für die Dauer von zwei Jahrzehnten herzustel- gefeiert wurde, nicht mit einem Problem zu befrach- len. Es war uns klar, dass wir in der Umsetzung des ten, das in diesem Gesetz unter den bestehenden zeit- Maßstäbegesetzes mit dem vorliegenden Entwurf lichen Vorgaben nicht zu lösen ist. Die Länder haben eines Solidarpaktfortführungsgesetzes noch nicht alle deshalb einen Vorschlag zu § 1 formuliert, der vom Fragen abschließend behandelt haben. Status quo ausgeht und die Interessen beider Seiten wahrt. Für die Stimmungslage in den ostdeutschen Richtig ist – Herr Ministerpräsident Ringstorff hat es Ländern wäre fast nichts ungünstiger als der Ein- gesagt –: Es handelt sich um schwierige Rechtsgegen- druck, dass sie für die Position des Bundes in Haftung stände. Gleichwohl sind diese schwierigen Rechtsge- genommen werden könnten. Wir sollten uns deshalb genstände nicht nur hinreichend, sondern vollständig gegenwärtig auf das beschränken, was zwischen durchdrungen, und zwar sowohl seitens der Länder Bund und Ländern im Juni einvernehmlich verabre- als auch des Bundes. Es geht jetzt um die politische det worden ist. Einigung. Es gibt eine unterschiedliche Interessenla- ge. Wir brauchen uns gegenseitig nichts vorzuma- Ein weiterer kritischer Punkt – auch darauf hat Herr chen: Die Länder haben eine andere Interessenlage Ministerpräsident Ringstorff hingewiesen – ist die als der Bund. Frage einer gesetzlichen Regelung zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin im Rahmen der Europäischen Jetzt kommt es darauf an, die Interessenlagen auf Wirtschafts- und Währungsunion. Hier stehen Bund einen Kompromiss zuzuführen. Aus der Sicht des und Länder – bei grundsätzlicher Anerkennung des Bundes kann ich nicht verstehen, warum das in den Europäischen Stabilitätspaktes – seit Jahren im Dis- ersten Monaten des nächsten Jahres eher möglich Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 557 Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) sein soll als in den letzten Monaten dieses Jahres. Nun das Handzeichen für alle übrigen Ziffern! – (C) Wenn der Einigungswille im letzten Quartal des Jah- Das ist einstimmig. res 2001 nicht vorhanden ist, dann ist er auch im ers- Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- ten oder zweiten Quartal des Jahres 2002 nicht vor- men. handen, und alles, was danach geschähe, fiele ohnehin der Diskontinuität der Gesetzgebung des Tagesordnungspunkt 15: Deutschen Bundestages anheim. Entscheidung über Fristverlängerung gemäß In diesem Wissen sollten wir wie erwachsene Men- Artikel 76 Abs. 2 Satz 3 GG schen miteinander umgehen. Es geht im Wesentli- chen um zwei Punkte; sie sind von meinen Vorred- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des nern identifiziert worden. Der eine Punkt ist der diagnose-orientierten Fallpauschalensystems eigene Regelkreis für den Familienleistungsaus- für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz – gleich im Rahmen der Deckungsquotenberechnung, FPG) (Drucksache 701/01) der andere Punkt – das bitte ich in Richtung auf die Der Ständige Beirat schlägt vor, zu diesem Gesetz- Länder sagen zu dürfen – betrifft die europarechtli- entwurf der Bundesregierung eine Verlängerung der che Umsetzung des Stabilitätspaktes in den Ländern. Frist zur Stellungnahme gemäß Artikel 76 Abs. 2 Satz Das heißt nicht, dass wir etwa in die Haushaltsho- 3 des Grundgesetzes zu verlangen. Zur Begründung heit der Länder eingreifen wollen. Das gibt der Ent- verweise ich auf die Ihnen vorliegende Drucksache wurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, nun 701/1/01. wirklich nicht her. Vielmehr wollen sich – ich fasse es Wer dem Vorschlag des Ständigen Beirates folgen etwas untechnisch zusammen – die Länder verpflich- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Es ist so ten, jeweils für sich zu erklären, zu welchem Zeit- beschlossen. punkt sie erstmals einen ausgeglichenen Haushalt Tagesordnungspunkt 16: vorlegen wollen. Darüber wollen sie im Finanzpla- nungsrat berichten. Sanktionen gibt es nicht. Wo also Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des wird in die Haushaltshoheit der Länder eingegriffen, Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Drucksache wenn diese selber bestimmen können, wann sie einen 596/01) ausgeglichenen Haushalt vorlegen? Sie berichten Wortmeldungen liegen nicht vor. – Eine Erklärung darüber im Finanzplanungsrat, in dem ohnehin über zu Protokoll*) gibt Herr Minister Schuster (Thürin- die Entwicklung der Haushalte diskutiert wird. Sie gen). legen gleichsam einen Fortschrittsbericht vor. Da es verfassungsrechtlich keine Sanktionen gibt, sind Die Ausschussempfehlungen ersehen Sie aus (B) auch keine angedacht. Drucksache 596/2/01. Zusätzlich liegen ein Antrag (D) Thüringens in Drucksache 596/3/01 und acht Anträge Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Es ist kein der bayerischen Landesregierung in den Drucksa- Eingriff in die Haushaltshoheit der Länder geplant, chen 596/4 bis 11/01 vor. sondern es geht um eine Selbstbindung. Diese Mini- malanforderung müssen wir vor dem Hintergrund Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: des europäischen Rechts stellen. Dahinter kann der Ziffer 6! – Mehrheit. Bund allerdings nicht wesentlich zurückgehen. Jetzt bitte das Handzeichen zu dem bayerischen Gleichwohl: Kompromiss bedeutet immer ein Auf- Antrag in Drucksache 596/4/01! – Minderheit. einander-Zugehen von beiden Seiten. Die Bundesre- gierung ist dazu bereit. Wir erwarten aber von den Der bayerische Antrag in Drucksache 596/5/01! – Ländern, dass die Einigung mit uns und dem Deut- Minderheit. schen Bundestag noch in diesem Jahr zu Stande Aus den Ausschussempfehlungen: kommt. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, warum das im nächsten Jahr einfacher oder eher möglich Ziffer 19! – Minderheit. sein soll. Allein der politische Wille mag in diesem Zum bayerischen Antrag in Drucksache 596/6/01! – Jahr vielleicht noch nicht hinreichend vorhanden Minderheit. sein. – Danke schön. Zurück zu den Ausschussempfehlungen: Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr Ziffer 23! – Mehrheit. Minister Köberle (Baden-Württemberg) hat eine Er- Ziffer 24! – Mehrheit. klärung zu Protokoll*) gegeben. – Weitere Wortmel- dungen liegen nicht vor. Zu den im Sachzusammenhang stehenden Ziffern 27, 47 und 121 sowie den mit der letztgenannten Zif- Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegen Ihnen fer in Konkurrenz stehenden Landesanträgen in die Ausschussempfehlungen in den Drucksachen Drucksachen 596/3 und 11/01! Ich rufe auf: 734/1/01 und zu 734/1/01 vor. Ziffer 27! – Mehrheit. Aus der Ausschussdrucksache 734/1/01 rufe ich zunächst die Ziffer 3 auf. Wer ist hierfür? – Mehrheit. Ziffer 47! – Mehrheit.

*) Anlage 10 *) Anlage 11 558 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf (A) Nun zum Antrag in Drucksache 596/11/01, bei des- druck zu vermitteln, es sei aus Gründen der sozialen (C) sen Annahme der Antrag Thüringens und die Ziffer Gerechtigkeit notwendig, diesen weit reichenden 121 entfallen. Wer stimmt dem Antrag zu? – Minder- Schritt zu tun. heit. Der Gesetzentwurf ist aber alles andere als sozial Bitte das Handzeichen zum Antrag Thüringens, der gerecht und ausgewogen. Für den Fall der Umset- Ziffer 121 entfallen lässt! – Minderheit. zung werden die Beamten in gravierender Weise zur Kasse gebeten, ohne dass die rechtlichen und tatsäch- Das Handzeichen zu Ziffer 121 der Ausschussemp- lichen Rahmenbedingungen berücksichtigt würden. fehlungen! – Mehrheit. Die Pläne der Bundesregierung laufen deshalb auf weitere massive, sachlich nicht zu rechtfertigende Ziffer 31! – Minderheit. Einschnitte zu Lasten der Beamtenschaft hinaus. Ziffer 32! – Mehrheit. Der Gesetzentwurf führt zum einen zu einem völli- Ziffer 33! – Minderheit. gen Systembruch. Es ist unbestritten, dass es sich beim Rentenrecht und der Beamtenversorgung um zwei un- Ziffer 34! – Mehrheit. terschiedliche Versorgungssysteme handelt, die nicht Ziffer 36! – Mehrheit. systemwidrig gleich behandelt werden dürfen. Nun zum Antrag in Drucksache 596/7/01! Wer Die Beamtenversorgung ist eine Vollversorgung stimmt zu? – Minderheit. und damit mehr als eine gesetzliche Rente. Die Beam- ten erhalten beispielsweise seit jeher niedrigere Brut- Wir kommen zum bayerischen Antrag in Drucksa- tobezüge mit der Begründung, sie müssten schließlich che 596/8/01, bei dessen Annahme Ziffer 41 erledigt keine Beiträge für ihre Versorgung aufbringen, weil ist. Wer ist für den bayerischen Antrag? – Minderheit. der Staat die Versorgung gewährleiste. Wenn der Bitte das Handzeichen zu Ziffer 41! – Mehrheit. Bund also die Rentenreform schematisch – in der Sprache des Gesetzes: „systemgerecht“ – auf die Be- Zum bayerischen Antrag in Drucksache 596/9/01! amtenversorgung überträgt, vergleicht er Dinge, die Wer ist dafür? – Minderheit. nicht miteinander verglichen werden können. Aus den Ausschussempfehlungen: Wegen des grundsätzlich unterschiedlichen Cha- Ziffer 48! – Mehrheit. rakters der Versorgungssysteme verbietet sich mithin jegliche Übertragung von rentenrechtlichen Maßnah- Ziffer 52! – 35 Stimmen; Mehrheit. men in das Beamtenrecht. Ziffer 53 entfällt. (B) Geht man gleichwohl diesen Weg, sind Konflikte (D) Zum bayerischen Antrag in Drucksache 596/10/01! – mit der Verfassung – den hergebrachten Grundsätzen Minderheit. des Berufsbeamtentums – unausweichlich. Weiter mit den Ausschussempfehlungen: Das Beamtenrecht ist geprägt durch den Grundsatz der uneingeschränkten Alimentationsverpflichtung Ziffer 57! – Mehrheit. des Dienstherrn und dem daraus resultierenden Ziffer 60! – Mehrheit. geschützten Vertrauen des Beamten auf eine an- gemessene Versorgung. Es ist deshalb nicht mit Arti- Ziffer 66! – Minderheit. kel 33 Abs. 5 Grundgesetz vereinbar, Beamte ergän- Bitte das Handzeichen zu Ziffer 67! – Mehrheit. zend zum Ausgleich von Alimentationsdefiziten auf den Aufbau einer eigenen Altersversorgung zu ver- Ziffer 76! – Mehrheit. weisen. Ziffer 119! – Mehrheit. Hinzu kommt, dass Sparmaßnahmen des Gesetzge- Nun bitte das Handzeichen zu allen noch nicht erle- bers gerecht und sozial ausgewogen sein müssen, also digten Ziffern! – Mehrheit. nicht im Übermaß zu Lasten einer bestimmten Perso- nengruppe vorgenommen werden dürfen. Auch in die- Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- sem Bereich sind die Pläne der Bundesregierung nicht men. nachvollziehbar. Sie lassen völlig außer Acht, dass die Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: Beamten und Versorgungsempfänger erhebliche Vor- leistungen in der Vergangenheit erbracht haben. Entwurf eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001 (Drucksache 735/01) Es ist unbestritten, dass die Beamten im Besol- dungs- und Versorgungsbereich massive Einschnitte Herr Minister Köberle (Baden-Württemberg), bitte. hinnehmen mussten. Allein durch die erst drei Jahre zurückliegende Dienstrechts- und Versorgungsre- form wurden Kürzungen in Milliardenhöhe verur- Rudolf Köberle (Baden-Württemberg): Verehrter sacht. Hierzu gehören Änderungen in der Besol- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! dungsstruktur, Bezügeanpassungen unterhalb der Der Entwurf eines Versorgungsänderungsgesetzes Tarifabschlüsse, Einfrieren der jährlichen Sonderzu- 2001 zielt im Kern darauf ab, die Rentenreform wir- wendungen und vor allem die Bildung der Versor- kungsgleich auf die Beamtenversorgung zu übertra- gungsrücklage, die zu einem deutlichen Absinken gen. Dabei versucht die Bundesregierung den Ein- des Einkommensniveaus geführt hat. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 559 Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) (A) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ignoriert, oder Bürgermeistern die Voraussetzungen des § 66 (C) dass der Bund in der Vergangenheit mit dem Dienst- des Beamtenversorgungsgesetzes für eine verbesser- rechtsreformgesetz und dem Versorgungsreformge- te Versorgung der Wahlbeamten nicht erfüllen. Für setz einschneidende Maßnahmen ergriffen hat, um die kommunalen Wahlbeamten der „ersten Stunde“ den Pensionslasten wirksam zu begegnen. Anstatt war es nun wirklich nicht vordringlich, sich um die abzuwarten und anhand der Zahlen des 2. Versor- gesetzlichen Feinheiten und Fristenregelungen des gungsberichts genau zu analysieren, ob und, wenn ja, Beamtenversorgungsrechts und die Sicherung ihrer welche weiteren Reformschritte geboten sind, wird Altersbezüge zu kümmern. ohne Rücksicht auf Verluste die Brechstange einge- Hinzu kommt, dass die entsprechenden bundes- setzt. Kurz vor dem Wahljahr 2002 wird versucht, in rechtlichen Regelungen zum Zeitpunkt der ersten aller Eile ein Gesetzgebungsvorhaben durchzupeit- freien Kommunalwahlen – ich erinnere daran: Mai schen, das an den Grundlagen des Berufsbeamten- 1990, also vor der Wiedervereinigung – noch nicht tums rüttelt. galten und die notwendigen landesrechtlichen Be- Der Gesetzentwurf lässt klar darauf schließen, wie stimmungen vor der Wiedergründung der jungen die Bundesregierung zum Berufsbeamtentum steht, Länder nicht existieren konnten. Jetzt, nach zwei auf- und es ist zu vermuten, dass weitere Schritte zur suk- reibenden Legislaturperioden und nachdem sie eine zessiven Demontage des Beamtentums folgen. immense Aufbauleistung erbracht haben, gehen viele kommunale Wahlbeamte in den jungen Ländern Mit Baden-Württemberg wird es keine Abschaffung durch das eher zufällige Zusammentreffen verschie- des Berufsbeamtentums geben. Baden-Württemberg dener Vorschriften quasi leer aus, wenn wir nicht ge- kann dem Gesetzentwurf, soweit er die Übertragung gensteuern. der Rentenreform auf die Beamtenversorgung betrifft, aus den genannten Gründen nicht zustimmen. Ich Nach umfangreichen Vorarbeiten hat der Bundesrat bitte Sie um Unterstützung unseres Antrags. dankenswerterweise im Juni dieses Jahres einen Ver- ordnungsentwurf zur Ergänzung der Beamtenversor- gungs-Übergangsverordnung beschlossen und der Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Nächste Bundesregierung zugeleitet. Für mich unverständ- Wortmeldung: Kollege Gnauck (Thüringen). lich, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung diesen Entwurf jedoch nur in verkürzter Form in den Jürgen Gnauck (Thüringen): Herr Präsident! Meine vorliegenden Gesetzentwurf übernommen. Durch sehr verehrten Damen und Herren! Die Deutschen den Wegfall eines einzigen, aber maßgeblichen Sat- werden weniger, aber dafür älter. Den Bürgerinnen zes werden die Landräte und Bürgermeister, die nach und Bürgern unseres Landes ist, so denke ich, inzwi- zwei Legislaturperioden ausgeschieden oder bei der (B) (D) schen bewusst geworden, dass die Entwicklung der letzten Kommunalwahl in Thüringen nicht wiederge- Altersstruktur zu erheblichen, teilweise schmerzli- wählt worden sind, um die verbesserte Altersversor- chen Veränderungen führen wird, und zwar bei allen gung des § 66 Beamtenversorgungsgesetz gebracht – Altersversorgungssystemen. und das, Herr Staatssekretär, obwohl es den Bund keine Mark, nicht einmal einen halben Euro kostet. Zustimmung werden jedoch nur solche Verände- rungen finden, die notwendige Belastungen gleich- Dies ist gegenüber den Menschen, die sich um den mäßig verteilen. Keine Gruppe darf benachteiligt Aufbau Thüringens und der übrigen jungen Länder in oder bevorzugt werden. erheblichem Maße verdient gemacht haben, nicht fair. Mit einem solchen Verhalten wird die Lebensleis- Mit dem vorliegenden Gesetz werden aber Beamte tung dieser Beamten und die Leistung, die sie für unverhältnismäßig belastet. Der Gesetzentwurf igno- unser Gemeinwesen erbracht haben, nicht gebührend riert Vorleistungen, die die Beamten und Versor- gewürdigt. gungsempfänger in der Vergangenheit erbracht haben, und er enttäuscht das Vertrauen der Pensionä- Die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, hat die Benachteiligung der re in die erworbenen Ansprüche auf Altersversorgung, Bitte, die versorgungsrechtliche kommunalen Wahlbeamten in den jungen Ländern ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, die Kürzungen abzustellen, lange ignoriert. Immer wieder hat sie durch private Vorsorgemaßnahmen aufzufangen, was darauf hingewiesen, dass sie ohne abgestimmte Hal- – das hat mein Vorredner schon betont – auch unter tung aller jungen Länder nicht tätig werden könne. dem Gesichtspunkt des Alimentationsgrundsatzes in Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes verfassungsrecht- Nachdem die ostdeutschen Ministerpräsidenten das lich bedenklich ist. gemeinsame Anliegen formuliert hatten, entstand eine gemeinsame Bundesratsinitiative Mecklenburg- Zu den Änderungsanträgen des Innen- und des Fi- Vorpommerns, Sachsen-Anhalts, Sachsens und nanzausschusses wurde schon Stellung genommen. Thüringens. Der Bundesrat hat sie am 27. Juni dieses Ich möchte mich auf Ziffer 13 der Empfehlungsdruck- Jahres beschlossen. Aber auch das reicht der Bundes- sache konzentrieren. Es handelt sich dabei um eine regierung anscheinend nicht; denn sie hat die Ent- Thüringer Initiative, um eine Regelung, die verhin- schließung des Bundesrates in entscheidenden Punk- dern soll, dass es in der Beamtenversorgungs-Über- ten nicht berücksichtigt. Sei es auf fachlicher oder auf gangsverordnung zu zeitweiligen Ungleichbehand- politischer Ebene – die Frage, warum die Streichung lungen kommt. erfolgte, wurde vom Bund stereotyp mit dem lapida- Unter den historischen Umständen des Vereini- ren Hinweis beantwortet, der Bundesrat könne ja gungsprozesses konnten eine Reihe von Landräten einen neuen Antrag einbringen. 560 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Jürgen Gnauck (Thüringen) (A) Herr Staatssekretär, wie sollen wir dieses Verhalten onsklausel eingefügt. Wir wissen, dass die Beamtin- (C) bewerten? Ich finde, so kann man mit den Ländern nen und Beamten von 1999 bis 2002 bereits Vorleis- nicht umspringen. Deswegen unternehmen wir heute tungen von insgesamt 0,6 % erbracht haben; dies einen neuen Anlauf, um dieses leidige Thema endlich wird berücksichtigt. Ich denke, das ist gerecht und abzuschließen. korrekt. Im Übrigen bleibt die so genannte Mindest- versorgung unberührt. Es mag um eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Betroffenen gehen; aber es sind Menschen, die es Der Einbeziehung von Ruhestandsbeamten in den nicht verdient haben, dass wir sie im Regen stehen geplanten geringeren Anstieg der Versorgungsbezü- lassen. Es sind Menschen, die Entscheidendes zum ge steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes schon Aufbau der jungen Länder beigetragen haben. Ich deswegen nicht entgegen, weil er sich nicht auf den würde mich sehr freuen, Herr Staatssekretär, wenn zukünftigen Anstieg der Bezüge bezieht. Angesichts nun auch die Bundesregierung reagierte. – Vielen der Tatsache, dass selbst die Mindestversorgung der Dank. Beamtinnen und Beamten noch über dem Betrag der Durchschnittsrente liegt, halte ich es für angemessen und auch für einen Akt der Gerechtigkeit, die Pen- Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Nächste sionäre in gleichem Umfang zu belasten, wie dies bei Wortmeldung: Parlamentarischer Staatssekretär Kör- den Rentnerinnen und Rentnern geschieht. per (Bundesinnenministerium). Als Vorsorge für die absehbaren künftigen Belas- tungen durch die erhöhten Versorgungskosten wird Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- die Hälfte der Ersparnisse aus der ersten Übertra- desminister des Innern: Herr Präsident, meine Damen gungsstufe den Versorgungsrücklagen von Bund und und Herren! Der 2. Versorgungsbericht wurde schon Ländern zugeführt. Um Doppelbelastungen zu ver- angesprochen. Er müsste übrigens dem Bundesrat meiden, werden die Leistungen zur Versorgungsrück- – zumindest der Geschäftsstelle – vorliegen. Er eignet lage in Höhe von 0,2 % der Besoldungs- und Versor- sich sehr gut, sich einmal darüber zu informieren, gungsanpassungen für die Zeit von 2003 bis 2010 welche Versorgungsleistungen und -lasten wir zu er- ausgesetzt. Ab 2011 wird der Aufbau der Versor- warten haben. gungsrücklage wieder aufgenommen und bis ins Jahr Herr Kollege Köberle, die Bundesregierung hat sich 2017 fortgesetzt. bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sehr wohl an Von der Revisionsklausel habe ich schon gespro- dem Versorgungsbericht orientiert. Ich will es Ihnen chen. Es ist wichtig hinzuzufügen, dass die Beam- belegen: Die Versorgungsleistungen werden bis zum tinnen und Beamten zukünftig die Möglichkeit haben, Jahr 2040 von rund 43 Milliarden auf 164 Milliarden freiwillig privat vorzusorgen. Das ist ein klares und (D) (B) DM ansteigen. eindeutiges Angebot. Die Beamtinnen und Beamten Ich sage als Vertreter der Bundesregierung nur in können wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Klammern: Die Frage der Versorgung und der Versor- mer von der steuerlichen Förderung profitieren. gungsleistungen ist für den Bund ein viel geringeres Rentengleiche Maßnahmen erfassen auch den Be- Problem als für die Länder oder die kommunalen Ge- reich der Hinterbliebenenversorgung. Die Höhe des bietskörperschaften. bisherigen Witwengeldes bleibt für bestehende Ehen Wenn man sich mit diesem Thema auseinander grundsätzlich erhalten. Für die lebensjüngeren Ehe- setzt, muss man die Problemlage richtig beschreiben. leute und für Paare, deren Eheschließung ab dem Es geht bei dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht 1. Januar 2002 erfolgt, wird das Witwen- und Witwer- darum, Systeme miteinander zu verquicken, sondern, geld auf 55 % abgesenkt. Das Witwengeld für diesen wie bei der Rente, darum, heute Vorsorge zu treffen, Personenkreis erhöht sich, wenn Kinder aus der Ehe damit das Versorgungssystem auch noch für diejeni- hervorgegangen sind. Genau wie bei der Renten- gen Bestand hat, die Jahrzehnte später davon profitie- reform gibt es zwei Entgeltpunkte für das erste und ren wollen und profitieren sollen. Das ist der entschei- jeweils einen Entgeltpunkt für jedes weitere Kind. dende Punkt. Über die Kinderkomponente beim Witwengeld hi- Herr Köberle, Sie sollten den Versorgungsbericht naus sieht der Gesetzentwurf weitere kinderbezo- einmal sorgfältig studieren. Wir können auch ein Pri- gene Verbesserungen vor. Mit einem gesonderten Zu- vatissimum halten. Sie werden dann erkennen, dass schlag werden die Belastungen durch die Erziehung Handlungsbedarf besteht. Ich bin mir auch sicher, von Kindern auch über die bereits jetzt finanziell dass diejenigen, die heute die Reform kritisieren, uns honorierten ersten drei Lebensjahre hinaus bis zum später kritisieren würden, wenn wir nichts täten. 10. Lebensjahr, bei pflegebedürftigen Kindern bis Schauen Sie sich den Bericht bitte genau an! zum 18. Lebensjahr berücksichtigt. Wir haben die wirkungsgleiche Übertragung der Meine Damen und Herren, das Versorgungsände- Rentenreform auf die Beamtenversorgung mit der rungsgesetz wird auch einen Beitrag zur Konsolidie- gleichen Begrifflichkeit angegangen. Unser Gesetz- rung der Haushalte von Bund und – in stärkerem entwurf macht deutlich, dass keine Pension gekürzt Maße – Ländern sowie Gemeinden leisten. Bereits in wird – das ist wichtig für die öffentliche Diskussion –; der ersten Übertragungsstufe wird eine Senkung der vielmehr soll es bis zum Jahre 2011 zu einem gerin- Versorgungskosten bei Bund, Ländern und Gemein- geren Anstieg kommen, nämlich in der Größenord- den von ca. 12 Milliarden DM erwartet. Allerdings nung von 8-mal 0,5 %. Wir haben auch eine Revisi- muss man die zu erwartenden Steuerminderein- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 561 Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) nahmen durch die steuerliche Förderung der privaten Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr (C) Vorsorge in einer Größenordnung von 9,3 Milli- Staatsminister Riebel (Hessen) hat eine Erklärung zu arden DM dagegenrechnen. Protokoll*) gegeben. Ich möchte noch auf den Antrag des Landes Damit kommen wir zur Abstimmung. Die Ausschuss- Thüringen in der Sache eingehen. Wir halten es für empfehlungen ersehen Sie aus Drucksache 735/1/01. sehr problematisch, wenn im Wege der Fiktion Daneben liegen Landesanträge in den Drucksachen Dienstzeiten vor dem 3. Oktober 1990 als ruhegehalt- 735/2 bis 5/01 vor. fähig anerkannt werden sollen. Dies würde den Rege- lungen des Einigungsvertrages widersprechen, der Wir beginnen mit dem baden-württembergischen eine Berücksichtigung dieser Zeiten in der gesetz- Antrag in Drucksache 735/5/01, bei dessen Annahme lichen Rentenversicherung vorsieht. Eine Änderung alle übrigen Landesanträge sowie Ziffer 16 der Aus- in dem gewünschten Sinne würde darüber hinaus die schussempfehlungen entfallen. Wer stimmt dem Beamtinnen und Beamten benachteiligen, die in ver- baden-württembergischen Antrag zu? – Minderheit. gleichbarer Situation in den neuen Ländern Dienst Dann bitte das Handzeichen zum Antrag Bayerns geleistet haben und von der Berücksichtigung jetzt und Hessens in Drucksache 735/4/01! – Minderheit. nicht profitieren könnten, weil sie keine Wahlbeam- tinnen oder Wahlbeamten auf Zeit waren. Das Handzeichen für den Antrag von Schleswig- Holstein in Drucksache 735/3/01! – Minderheit. Ich denke, dies sind gewichtige Argumente in der Sache, die ich Ihnen, Herr Gnauck, noch entgegen- Wir kommen zu dem Antrag Schleswig-Holsteins in halten wollte. Das hat nichts mit dem Verhalten ge- Drucksache 735/2/01. Wer stimmt zu? – Minderheit. genüber den Ländern zu tun. Ich denke, die Argu- Wir stimmen über Ziffer 16 der Ausschussempfeh- mente sind nicht von der Hand zu weisen. – In diesem lungen ab. Hierzu ist getrennte Abstimmung ge- Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. wünscht worden. Bitte das Handzeichen zu den Absätzen 1 und 2! – Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf: Herr Minderheit. Gnauck möchte antworten. Bitte das Handzeichen zu den übrigen Absätzen! – Minderheit. Jürgen Gnauck (Thüringen): Herr Präsident, ich habe dank bayerischer Mitwirkung gelernt, dass der Wir fahren fort mit den Ausschussempfehlungen: Föderalismus im Bundesrat nicht am Freitagmittag Ziffer 1! – 34 Stimmen zählen wir; Minderheit. um 13 Uhr zu Ende ist. Deswegen will ich auf einige (B) Dinge eingehen, die Sie, Herr Staatssekretär Körper, Dann bitte Ziffer 3, bei deren Annahme Ziffer 4 ent- (D) angesprochen haben. fällt! – Mehrheit. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Mich stört an Ziffer 4 ist erledigt. der Vorgehensweise der Bundesregierung massiv, dass man versucht hat, dieses Problem abzubügeln. Jetzt Ziffer 6! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Der Weg ist von Ihrer Parlamentarischen Staatsse- Ziffer 7! Bitte Handzeichen! – 36 Stimmen; Mehr- kretärin gewiesen worden: Es ist darum gebeten wor- heit. den, im Hinblick auf dieses Sonderproblem Ost zunächst zu einer gemeinsamen Auffassung in den Bitte das Handzeichen zu allen noch nicht erledig- neuen Ländern und danach im Bundesrat zu kom- ten Ziffern! – Mehrheit. men. Jetzt haben wir die Voraussetzungen erfüllt – es Damit hat der Bundesrat die soeben festgelegte mag sein, dass die Bundesregierung nicht damit ge- Stellungnahme beschlossen. rechnet hat, dass das gelingt –, wir haben den gewie- senen Weg eingeschlagen, und Sie erklären heute das Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 18: erste Mal, nachdem der Bundesinnenminister es nicht Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der nötig hatte, mein Schreiben zu beantworten, es be- Strafprozessordnung (Drucksache 702/01) stünden rechtliche Bedenken. Wortmeldungen liegen nicht vor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie hier mit Interessen der Beamten in den neuen Ländern um- Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- gegangen wird, ist völlig unhaltbar. Ich erinnere fehlungen in Drucksache 702/1/01 sowie zwei Anträ- daran, dass zur DDR-Zeit gewählt worden ist. Glauben ge von Rheinland-Pfalz in den Drucksachen 702/2 Sie denn, Herr Staatssekretär, ein Beamter hätte sich und 3/01 vor. damals Gedanken darüber gemacht, dass er rechtlich Wir beginnen mit den Ausschussempfehlungen. ein „kommunaler Wahlbeamter“ ist, nachdem noch nicht einmal die Länder, geschweige denn landes- Daraus rufe ich zur Einzelabstimmung auf: rechtliche Bestimmungen zum Bundesbeamtengesetz Ziffer 1! Bitte Handzeichen! – Minderheit. existierten? Und jetzt kommen Sie mit einem solchen hanebüchenen Vergleich! Ich erwarte, dass die Zusa- Bitte das Handzeichen für: gen, die im Vorfeld gegeben worden sind, eingehalten Ziffer 5! – Mehrheit. werden. Ich erwarte auch, dass das umgesetzt wird, was der Bundesrat schon einmal beschlossen hat. Es ist schlicht unsauber vom Verfahren her. *) Anlage 12 562 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf (A) Damit entfällt der Landesantrag in Drucksache Ziffer 27! Bitte Handzeichen! – Minderheit. (C) 702/2/01. Ziffer 28! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Zurück zu den Ausschussempfehlungen! Bitte das Handzeichen für: Nun bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- digten Ziffern! – Angenommen. Ziffer 7! – Mehrheit. Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- Ziffer 9! – Mehrheit. men. Damit entfällt der Landesantrag in Drucksache 702/3/01. Tagesordnungspunkt 20: Jetzt bitte das Handzeichen für alle übrigen Ziffern Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. des Wasserhaushaltsgesetzes (Drucksache 704/01) Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- sprechend Stellung genommen. Keine Wortmeldungen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19: Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- fehlungen in Drucksache 704/1/01 vor. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parla- Wir beginnen mit Ziffer 2. – Mehrheit. ments und des Rates vom 16. Februar 1998 Ziffer 8! – Mehrheit. über das Inverkehrbringen von Biozid-Produk- ten (Biozidgesetz) (Drucksache 703/01) Ziffer 12! Wer stimmt zu? – Mehrheit. Eine Erklärung zu Protokoll*) gibt Frau Ministerin Damit entfällt Ziffer 13. Höhn (Nordrhein-Westfalen). Sonst liegen keine Ziffer 15! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Wortmeldungen vor. Damit entfällt Ziffer 16. Zur Abstimmung liegen die Ausschussempfehlun- gen in Drucksache 703/1/01 vor. Ziffer 18! Bitte Handzeichen! – Minderheit. Wer ist für Ziffer 1? Handzeichen bitte! – Mehrheit. Ziffer 21! Bitte Handzeichen! – 36 Stimmen; Mehr- heit. (Wolfgang Wieland [Berlin]: Ich bitte um erneute Auszählung!) Ziffer 26! Bitte Handzeichen! – Minderheit. Ziffer 31! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. (B) – Bitte noch einmal das Handzeichen zu Ziffer 1! – Sie (D) haben Recht. Es sind 32 Stimmen; Minderheit. Damit entfällt Ziffer 32. Ziffer 2! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Wir kommen zu allen noch nicht erledigten Ziffern. Wer stimmt zu? – Mehrheit. Ziffer 3! Bitte Handzeichen! – 31 Stimmen; Minder- heit. Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung ge- nommen. Ziffer 4! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 21: Ziffer 6! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Been- Ziffer 7! Bitte Handzeichen! – Minderheit. digung der Kernenergienutzung zur gewerbli- Ziffer 8! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. chen Erzeugung von Elektrizität (Drucksache 705/01) Ziffer 10! Bitte Handzeichen! – Minderheit. ) Ziffer 11! Bitte Handzeichen! – Minderheit. Je eine Erklärung zu Protokoll* geben: Minister Jüttner (Niedersachsen), Staatsminister Dietzel (Hes- Ziffer 13! Bitte Handzeichen! – 35 Stimmen; Mehr- sen), Minister Möller (Schleswig-Holstein) und Bun- heit. desminister Trittin (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit). Danke sehr! Nun ziehen wir Ziffer 19 vor. Wer stimmt zu? – Mehrheit. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache 705/1/01 sowie ein An- Zurück zu Ziffer 14! Wer stimmt zu? – Minderheit. trag Schleswig-Holsteins in Drucksache 705/2/01 vor. Ziffer 22! Bitte Handzeichen! – Minderheit. Ich beginne mit Ziffer 1 der Ausschussempfehlun- Ziffer 23! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. gen, die darauf abzielt, den Gesetzentwurf abzuleh- nen. Wer ist für Ziffer 1? – Minderheit. Ziffer 24! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Damit kommen wir zum schleswig-holsteinischen Ziffer 25! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. Antrag in Drucksache 705/2/01. Wer ist für den Ziffer 26! Bitte Handzeichen! – Minderheit. schleswig-holsteinischen Antrag? – Minderheit.

*) Anlage 13 *) Anlagen 14 bis 17 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 563 Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf (A) Zurück zu den Ausschussempfehlungen! Bitte Zur gemeinsamen Abstimmung rufe ich Ziffern 1 (C) Handzeichen für: und 2 auf. Bitte das Handzeichen! – Mehrheit. Ziffer 2! – Minderheit. Damit entfällt Ziffer 29. Ziffer 3! – Mehrheit. Ziffer 3! – Mehrheit. Ziffer 4! – Mehrheit. Ziffer 4! –Mehrheit. Ziffer 5! – Mehrheit. Ziffer 10! – Mehrheit. Ziffer 6! – Mehrheit. Ziffer 11! – Mehrheit. Ziffer 7! – Mehrheit. Ziffer 13! –Mehrheit. Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ent- sprechend Stellung genommen. Ziffer 14! –Mehrheit. Tagesordnungspunkt 25: Ziffer 22! –Mehrheit. Mitteilung der Kommission der Europäischen Ziffer 24! – Mehrheit. Gemeinschaften an den Rat und das Europäi- sche Parlament: Vollendung des Energiebin- Ziffer 28! – Minderheit. nenmarktes Jetzt bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen digten Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Parlaments und des Rates zur Änderung der Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- Richtlinien 96/92/EG und 98/30/EG über ge- men. meinsame Vorschriften für den Elektrizitäts- binnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt Wir kommen zu Punkt 31: Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Mitteilung der Kommission der Europäischen Parlaments und des Rates über die Netz- Gemeinschaften an den Rat, das Europäische zugangsbedingungen für den grenzüberschrei- Parlament und den Wirtschafts- und Sozialaus- tenden Stromhandel (Drucksache 358/01) schuss: Unterstützung nationaler Strategien für zukunftssichere Renten durch eine inte- Keine Wortmeldungen. grierte Vorgehensweise (Drucksache 600/01) Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Es gibt eine Wortmeldung von Herrn Bocklet. (B) Drucksache 358/1/01. Zur Einzelabstimmung rufe ich (D) auf: (Reinhold Bocklet [Bayern]: Zu Protokoll!) Ziffer 7! Bitte Handzeichen! – Mehrheit. – Sie sind ein Schatz! Herr Staatsminister Bocklet (Bayern) gibt seine Erklärung zu Protokoll*). – Keine Damit entfällt Ziffer 10. weiteren Wortmeldungen. Ziffer 8! – Mehrheit. Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Damit entfällt Ziffer 11. Drucksache 600/1/01. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: Ziffer 9! – Mehrheit. Ziffer 6! – Mehrheit. Jetzt bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- digten Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Ziffer 8! – Mehrheit. Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- Ziffer 10! – Mehrheit. men. Ziffer 11! – Mehrheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26: Ziffer 12! – Mehrheit. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Ziffer 13! – Minderheit. Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit- Ziffer 14! – Mehrheit. gliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (Drucksa- Ziffer 15! – Mehrheit. che 555/01) Ziffer 19! – Mehrheit. Eine Erklärung zu Protokoll*) gibt Herr Parlamen- tarischer Staatssekretär Berninger (Bundesministeri- Ziffer 20! – Mehrheit. um für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- Jetzt bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- schaft). digten Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- Drucksache 555/1/01 vor. men.

*) Anlage 18 *) Anlage 19 564 Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 Amtierender Präsident Dr. Henning Scherf (A) Tagesordnungspunkt 39: Wir fahren fort mit dem Landesantrag in Drucksa- (C) che 570/3/01. Wer stimmt zu? – 36 Stimmen; Mehr- Vierunddreißigste Verordnung zur Ände- heit. rung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften – 34. StVRÄndV – (Drucksache 570/01, zu Kommen wir nun zu den Ausschussempfehlungen: Drucksache 570/01) Wer stimmt Ziffer 7 zu? Handzeichen bitte! – Mehr- Keine Wortmeldungen. heit. Nun das Handzeichen für alle übrigen Ziffern! Wer Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- stimmt zu? – Mehrheit. fehlungen in Drucksache 570/1/01 und drei Landes- anträge in den Drucksachen 570/2 bis 4/01 vor. Der Bundesrat hat der Verordnung nach Maßgabe der vorangegangenen Abstimmung zugestimmt. Wir beginnen mit dem Landesantrag Bayerns in Wir sind am Ende der Tagesordnung. Ich danke Drucksache 570/4/01. Wer dafür ist, den bitte ich um Ihnen sehr für Ihre Geduld. Besonders danke ich das Handzeichen. – Minderheit. denen, die ihre Beiträge zu Protokoll gegeben haben. Als Nächstes stimmen wir über den Landesantrag Die nächste Sitzung des Bundesrates berufe ich ein Hessens in Drucksache 570/2/01 ab, bei dessen An- auf Freitag, den 9. November 2001, 9.30 Uhr. nahme der Antrag in Drucksache 570/3/01 erledigt Die Sitzung ist geschlossen. ist. Wer ist für den Antrag in Drucksache 570/2/01? – Minderheit. (Schluss: 14.16 Uhr)

Beschlüsse im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialaus- (B) (D) schuss über Steuerpolitik in der Europäischen Union – Prioritäten für die nächsten Jahre

(Drucksache 449/01)

Ausschusszuweisung: EU – Fz – Vk – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über be- stimmte Modalitäten der Debatte über die Zukunft der Europäischen Union

(Drucksache 357/01)

Ausschusszuweisung: EU

Beschluss: Die Vorlage wird für erledigt erklärt

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Gewährleistung einer effekti- ven Besteuerung von Zinserträgen innerhalb der Gemeinschaft

(Drucksache 675/01)

Ausschusszuweisung: EU – Fz – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/524/EWG des Rates über Zusatzstoffe in der Tierernährung hinsicht- lich des Widerrufs der Zulassung bestimmter Zusatzstoffe

(Drucksache 677/01)

Ausschusszuweisung: EU – A – G

Beschluss: Kenntnisnahme Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 565

(A) (C)

Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Eu- ropäische Parlament und den Rat über die zur Verhütung und Bekämp- fung von Zoonosen in Kraft zu setzenden Maßnahmen

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern und zur Änderung der Entscheidung 90/424/EWG des Rates sowie zur Aufhe- bung der Richtlinie 92/117/EWG des Rates

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Salmonellen und anderen durch Lebensmit- tel übertragbare Zoonoseerregern und zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG, 72/462/EWG und 90/539/EWG des Rates

(Drucksache 678/01)

Ausschusszuweisung: EU – A – G

Beschluss: Kenntnisnahme

Feststellung gemäß § 34 GO BR Einspruch gegen den Bericht über die 767. Sitzung ist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht gemäß § 34 GO BR als genehmigt.

(B) (D)

Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 567*

(A) Anlage 1 zwar schnell. Bei allem Verständnis für Datenschutz (C) und allgemeines Persönlichkeitsrecht kann es nicht so Erklärung bleiben, dass die in der Vergangenheit immer mehr verfeinerten Regelungen des Sozialdatenschutzes die von Staatsminister Reinhold Bocklet Arbeit der Sicherheitsorgane erheblich behindern. (Bayern) Bayern hat deshalb eine Bundesratsinitiative einge- zu Punkt 48 der Tagesordnung bracht, mit der die Sicherheitsbedürfnisse der Bevöl- kerung und die Belange des Sozialdatenschutzes in Die jüngsten Terroranschläge in den USA stellen den ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden sollen. Rechtsstaat heute vor völlig neue Herausforderungen. Ziel des Gesetzesantrags ist es, die Übermittlung Die bisherigen Erkenntnisse aus den internationalen von Sozialdaten zum Zwecke der Rasterfahndung, der Ermittlungen nach den Anschlägen islamistischer Verhütung und Verfolgung von Straftaten und zum Selbstmordattentäter bringen auf erschreckende Weise Zwecke der Gefahrenabwehr im Bereich der äußeren eine weltweite Vernetzung des islamistisch motivierten und inneren Sicherheit auf eine klare gesetzliche Terrorismus zu Tage, die eine Bedrohung in einer Grundlage zu stellen. bislang nicht bekannten Dimension darstellt. Das bedeutet im Einzelnen: Deutschland ist davon leider nicht ausgenommen. Zur Bewältigung dieser neuen Herausforderung ist es Erstens soll die Zulässigkeit der Datenübermittlung erforderlich, alle Kräfte des Staates zum Schutz der erst dann ausgeschlossen sein, wenn schutzwürdige inneren und äußeren Sicherheit so effektiv wie mög- Interessen des Betroffenen offensichtlich überwiegen. lich einzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Arbeit Zweitens. Bislang hat neben der um Auskunft ersu- von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungs- chenden Stelle auch die übermittelnde Stelle zu prü- schutzbehörden. fen, ob die Übermittlung dem für sie geltenden Recht Es ist alles daranzusetzen, Terroristen, die sich un- entspricht. Künftig soll allein die ersuchende Stelle erkannt in der Bundesrepublik aufhalten und konspi- die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Über- rativ Anschläge vorbereiten, aufzuspüren, um weitere mittlung tragen. Die übermittelnde Stelle hätte inso- schwerste Straftaten, die weltweit ausgeübt werden weit nur zu prüfen, ob z. B. eine Rasterfahndung angeordnet wurde. Die Überprüfung der Rechtmäßig- können, zu verhindern. keit der Rasterfahndung fiele in die alleinige Verant- Hierbei zeigt sich, dass das bestehende rechtliche wortung der Sicherheitsbehörde. Instrumentarium teilweise unzureichend ist. Im Hin- Drittens. Die Datenübermittlung für den Schutz der blick auf die Vorgehensweise der Terroristen, ihre inneren und äußeren Sicherheit ist nach § 72 SGB X Hintermänner und ihre Unterstützer sind insbesonde- (B) auf Einzelfälle beschränkt. Diese Beschränkung soll (D) re alle Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung nun aufgehoben werden. und zum Informationsaustausch auszubauen. Es ist unverantwortlich, wenn die Sicherheitsorgane vor- Viertens. Nach geltendem Recht können Daten handene Informationsquellen nicht oder nur unter er- zwar an das Bundeskriminalamt und an die Lan- schwerten, die Effizienz ihrer Arbeit beeinträchtigen- desämter für Verfassungsschutz, nicht aber an die den Voraussetzungen nutzen dürfen. Der Staat darf Landeskriminalämter übermittelt werden. Auch das sich nicht künstlich dumm stellen. muss geändert werden, da die Landeskriminalämter beispielsweise im Bereich des Schutzes der inneren Den Sicherheitsorganen muss eine deutlich erwei- Sicherheit ähnliche Aufgaben erfüllen wie das Bun- terte Zugriffsmöglichkeit auf vorhandene Informatio- deskriminalamt. nen eingeräumt werden, um einen recht genauen Überblick über Extremisten und ihr Gewaltpotenzial Die Regelungen des Sozialdatenschutzes dienen zu gewinnen, um Personenzusammenhänge, Organi- dem Schutz des Einzelnen vor Offenlegung seiner So- sationsstrukturen und Finanzwege aufzuhellen. Die zialdaten gegenüber Dritten. Hieran sind grundsätz- sehr strikten Regelungen des Sozialdatenschutzes lich auch die Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften stehen dem teilweise entgegen. Sie müssen deshalb und Verfassungsschutzbehörden gebunden. Daran angepasst werden. soll grundsätzlich auch durch unsere Bundesrats- initiative nichts geändert werden. Konkrete Probleme haben sich z. B. bei den von den Staatsschutzbehörden jetzt angeordneten Rasterfahn- Dieser Schutz kann und darf aber nicht so weit dungen ergeben. Zu diesem Zweck sollten Name und gehen, dass dadurch die Arbeit der Sicherheitsorgane Geburtsdatum der Sozialhilfeempfänger an die Si- und damit der Schutz von Leben und Gesundheit aller cherheitsbehörden übermittelt werden. Sozialhilfe- unvertretbar behindert werden. empfänger entsprechen nicht dem Täterprofil und Datenschutz darf kein Täterschutz sein. Es wäre ein könnten deshalb bei der Rasterfahndung ausgegrenzt gefährlicher Fehler, die Sicherheitsbehörden künst- werden. Hierbei kam es zu rechtlichen Schwierigkei- lich blind zu halten. Ich bin mir sicher, dass die über- ten. Die Zulässigkeit dieses Datenabgleichs war nicht wältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger un- eindeutig geregelt. seres Landes dies nicht anders sieht und auch nicht anders will. Ich meine, dass die bei den Sozialleistungsträgern gespeicherten Daten im Bedarfsfall den Sicherheits- Die Terroranschläge haben gezeigt, wie verletzbar behörden z. B. für die rechtlich zulässige Rasterfahn- unsere freiheitliche Gesellschaft ist. Gerade weil wir dung zur Verfügung gestellt werden müssen, und unsere Freiheit nicht wegbomben lassen wollen, müs- 568* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) sen wir uns mit aller Entschlossenheit wehren und nenbetrag schätzt. Die zusätzlichen Mittel müssten (C) alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um der Ge- daher auch in vollem Umfang dort verwendet werden. fahr weiterer Anschläge entgegenzuwirken. In Anbetracht der begrenzten Finanzmittel der Län- der können zusätzliche Mittel zur Stärkung des Feu- erwehrwesens und damit zur Stärkung der inneren Sicherheit aus allgemeinen Deckungsmitteln kaum Anlage 2 zur Verfügung gestellt werden. Erklärung Die Bundesregierung will zur Finanzierung ihres Maßnahmenpaketes die Versicherung- und Tabak- von Staatsminister Walter Zuber steuer maßvoll erhöhen. Insofern ist es folgerichtig, (Rheinland-Pfalz) dass die Länder die erforderlichen zusätzlichen Mittel zu Punkt 45 der Tagesordnung zur Stärkung unserer Feuerwehren unter anderem durch eine maßvolle Anhebung der Feuerschutzsteu- Rheinland-Pfalz stimmt dem von Schleswig-Hol- er entsprechend der vorgesehenen Erhöhung der Ver- stein vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu. Gleichwohl sicherungsteuer aufbringen. ist das Land Rheinland-Pfalz der Auffassung, dass Eine Anhebung des Feuerschutzsteuersatzes von Feuerwehr und Katastrophenschutz für unsere Ge- 8 v. H. um einen Prozentpunkt auf 9 v. H. brächte meinschaft von besonderer Bedeutung sind. Die Bun- Mehreinnahmen von ca. 68,75 Millionen DM; das ent- desregierung wird gebeten zu prüfen, aus welchen spricht ca. 35,15 Millionen Euro. Gründen das Aufkommen aus der Feuerschutzsteuer – im Gegensatz zur Versicherungsteuer – seit mehre- Die Entwicklung der Versicherungsteuer zeigt sehr ren Jahren rückläufig ist und wie dies behoben wer- anschaulich, dass der Bund seine Einnahmemöglich- den kann, damit die Finanzausstattung im Feuer- keiten sukzessive erhöht hat, wenn es ihm geboten wehrbereich verbessert werden kann. schien; die Einnahmemöglichkeiten der Länder wur- den jedoch nicht angepasst. So hat die vorherige Bundesregierung den Versiche- rungsteuersatz in den letzten Jahren in mehreren Anlage 3 Schritten von 7 auf heute 15 % angehoben und damit mehr als verdoppelt. Auch die Sondersteuersätze blie- Erklärung ben nicht verschont. Um die finanziellen Belastungen aus dem Golfkrieg aufzufangen, wurde allein 1991 die von Minister Claus Möller Versicherungsteuer um 3 Prozentpunkte angehoben. (Schleswig-Holstein) (B) Dagegen wurde seit 1979 der Feuerschutzsteuer- (D) zu Punkt 45 der Tagesordnung satz, der wie die Versicherungsteuer auf die zu zah- lende Nettoversicherungsprämie erhoben wird, nur Die Terroranschläge haben weit reichende Folgen. einmal geändert. Sie treffen den persönlichen und den politischen Be- reich. Wir leben seit dem 11. September in einer Welt, Der Steuersatz von 12 % für öffentlich-rechtliche die in einer Anti-Terror-Koalition dichter zusammen- Versicherer und von 5 % für alle übrigen Versicherer rückt, in einem Staat, der mit vereinten Kräften ver- wurde auf Grund des Wegfalls des Versicherungsmo- sucht, dem Terror zu begegnen und neue Anschläge nopols und der Öffnung des Marktes 1994 auf einheit- zu verhindern. lich 8 v. H. geändert. Die Bundesregierung will die innere und äußere Si- Als Folge ist das Aufkommen des Bundes aus der cherheit der Bundesrepublik Deutschland stärken. Sie Versicherungsteuer in den letzten Jahren relativ stabil plant, hierfür vor allem der Bundeswehr, dem Bundes- geblieben. Die Länder dagegen mussten bei den Ein- grenzschutz, dem Bundeskriminalamt, der Flughafen- nahmen aus der Feuerschutzsteuer erhebliche Ein- sicherung und dem Katastrophenschutz zusätzliche brüche hinnehmen. Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir alle wollen den gestiegenen Sicherheitsbedürf- Auch wir in den Ländern versuchen das Unsere zu nissen entgegenkommen. Lassen Sie uns dazu eine leisten, um solche Verbrechen zu verhindern, wissen Steuer nutzen, deren Anhebung folgerichtig und aber: Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. maßvoll ist! Daher müssen wir die Kräfte verstärken, die im Not- fall den betroffenen Menschen helfen. Dazu gehört auch das Brandschutzwesen. Dessen Aufgabe ist die Hilfe bei Not- und Unglücksfällen sowie die Mitwir- Anlage 4 kung am Katastrophenschutz. Erklärung Das Brandschutzwesen wird zu einem erheblichen Anteil aus dem Feuerschutzsteueraufkommen finan- von Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff ziert, das in den letzten Jahren deutlich rückläufig ist. (Mecklenburg-Vorpommern) Seit 1995 ist es um mehr als 25 % zurückgegangen. zu Punkt 33 der Tagesordnung Das hat zu einem erheblichen Investitionsstau bei den Feuerwehren geführt, den der Deutsche Städte- Das Land Mecklenburg-Vorpommern begrüßt und Gemeindebund auf einen dreistelligen Millio- grundsätzlich die Regelungen der Tierschutz-Nutz- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 569*

(A) tierhaltungsverordnung hinsichtlich der zugelassenen „Begleitmaßnahmen“ bedarf, um dem eingangs ge- (C) Haltungssysteme. Mecklenburg-Vorpommern stellt al- nannten Ziel näher zu kommen, sein Erreichen jedoch lerdings fest, dass über keine der derzeit praktizierten noch nicht sicherstellt. Haltungsformen gesicherte wissenschaftliche Er- Einige Schwachstellen der Verordnung konnten kenntnisse hinsichtlich ihrer tierschutzrechtlichen, durch die Maßgaben des Bundesrates beseitigt wer- tiergesundheitlichen und lebensmittelhygienischen den. Allerdings hätte die dringend erforderliche Um- Bewertung insgesamt vorliegen. Insofern erscheint es nicht gerechtfertigt, die Kleingruppenhaltung in aus- orientierung in Richtung auf durchgreifende Verbes- gestalteten Käfigen als einzige Haltungsform von serungen des Tierschutzes bedingt, sich nicht einer Zulassung auszuschließen und damit über die vornehmlich auf ein Festlegen von Abmessungen zu europäische Rechtsnorm hinauszugehen. beschränken, sondern das Ausüben-Können der Grundbedürfnisse in dem jeweiligen Haltungssystem Mecklenburg-Vorpommern erachtet die Zulassung in den Vordergrund zu stellen. In einem Prüfverfahren dieser Haltungsform bereits jetzt für vertretbar. Eine hätte in Bezug auf Haltungseinrichtungen unabhän- wissenschaftliche Begleitung ist gleichwohl erforder- gig von ihrer Bezeichnung – Boden- oder Volierenhal- lich. Dies muss jedoch auch für die Bodenhaltung, die tung oder ausgestalteter Käfig – dann nachgewiesen Volierenhaltung sowie andere Haltungsformen hin- werden müssen, ob sie den Anforderungen tatsäch- sichtlich deren Haltungsbedingungen, des Hygiene- lich genügen. Bedauerlicherweise war dieser Vor- status, der ökologischen und ökonomischen Parame- schlag noch nicht mehrheitsfähig, obwohl diejenigen ter erfolgen. Länder, in denen fast 28 der insgesamt 40 Milli- Vor diesem Hintergrund enthält sich Mecklenburg- onen Legehennen gehalten werden, ihm zustimmten. Vorpommern zu Ziffer 18 der Ausschussempfehlun- Zur Klarstellung sei nochmals darauf hingewiesen, gen in der Drucksache 429/1/01. dass die Vorschläge Niedersachsens schon immer den Ausstieg aus der Käfighaltung zum Ziel hatten und künftig nur noch solche Haltungssysteme zum Einsatz kommen sollten, für die in einem Prüfverfahren der Nachweis erbracht worden ist, dass den Tieren keine Anlage 5 vermeidbaren Schäden zugefügt werden, ein Aus- üben der Grundbedürfnisse tatsächlich möglich ist Erklärung und eine ordnungsgemäße Tierbetreuung und Ge- sundheitsvorsorge sichergestellt werden kann. von Minister Wolfgang Senff (Niedersachsen) Niedersachsen kann der Verordnung nur nach (B) zu Punkt 33 der Tagesordnung Maßgabe der Entschließungsanträge zustimmen und (D) bittet die Bundesregierung, den darin enthaltenen Ein von Niedersachsen seit langem verfolgtes Ziel Forderungen nachzukommen. Wir werden gerne be- ist es, die Haltungsbedingungen für die landwirt- reit sein, die entsprechenden Erhebungen durchzu- schaftlichen Nutztiere, insbesondere für das Geflügel, führen, um bei Bedarf die Rahmenbedingungen und nachhaltig zu verbessern. Dieses Ziel kann nur er- gegebenenfalls die Verordnung so zu ändern, dass reicht werden, wenn gemeinsam mit Tierhaltern, Ver- Verbesserungen für möglichst alle derzeit in Deutsch- brauchern, Tierschützern, Herstellern von Haltungs- land gehaltenen Legehennen auch tatsächlich er- einrichtungen und dem Handel tragfähige Konzepte reicht werden. entwickelt werden. Nur ein gut durchdachtes und ab- gestimmtes Konzept kann gewährleisten, dass die Tierhaltung weiterhin im Geltungsbereich der Ver- ordnung und nicht in anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern stattfindet. Auch kann man beim Anlage 6 Tierschutz nicht zwischen dem Frühstücksei und dem zu verarbeitenden Ei unterscheiden. Umdruck Nr. 9/01 Wenn ausweislich der ZMP-Bilanzen die Anzahl der Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der Legehennenplätze in Deutschland von 1994 bis 1999 768. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus- um noch nicht einmal 300 000 – unter 1 % – zurückge- schüsse dem Bundesrat: gangen, aber gleichzeitig die Legeleistung gestiegen ist und 2000 bereits wiederum ein Anstieg zu verzeich- nen war, ist die Aussage, eine Abwanderung „gen Osten“ sei seit langem zu beobachten, schwer nachzu- vollziehen. Keinesfalls darf daraus geschlossen wer- I. den, eine Abwanderung der Legehennenhalter finde ohnehin statt, so dass der Erhalt der Wettbewerbs- Dem Gesetz zuzustimmen: fähigkeit für eine Neuregelung der Legehennenhal- tung unerheblich sei. Punkt 5 Die heute zur Entscheidung anstehende Neurege- Gesetz zu dem Abkommen vom 11. Oktober 1999 lung der Hennenhaltung ist zweifellos ein Schritt über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit in die richtige Richtung, der allerdings noch vieler zwischen der Europäischen Gemeinschaft und 570* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik V. (C) Südafrika andererseits (Drucksache 759/01) Zu den Vorlagen die Stellungnahme abzugeben oder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu- stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs- drucksache wiedergegeben sind: II.

Zu dem Gesetz einen Antrag auf Anrufung des Ver- Punkt 27 mittlungsausschusses nicht zu stellen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtli- chen Schutz der finanziellen Interessen der Ge- Punkt 6 meinschaft (Drucksache 657/01, Drucksache Gesetz zu den Änderungen von 1995 und 1998 des 657/1/01) Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Ver- bringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsor- Punkt 28 gung (Gesetz zu Änderungen des Basler Überein- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen kommens) (Drucksache 758/01) Parlaments und des Rates zur Änderung der Richt- linie 83/477/EWG des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Drucksache 659/01, Drucksache 659/1/01) III.

Zu dem Gesetzentwurf die in der zitierten Empfeh- Punkt 29 lungsdrucksache wiedergegebene Stellungnahme Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen abzugeben: Parlaments und des Rates über den Arbeitskosten- index (Drucksache 660/01, Drucksache 660/1/01)

Punkt 13 Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Punkt 30 Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrund- Grünbuch der Kommission der Europäischen Ge- (B) lagen der Bundesschuldenverwaltung (Bundes- meinschaften: „Europäische Rahmenbedingun- (D) wertpapierverwaltungsgesetz – BWpVerwG) gen für die soziale Verantwortung der Unterneh- (Drucksache 700/01, Drucksache 700/1/01) men“ (Drucksache 674/01, Drucksache 674/1/01)

Punkt 32 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur IV. Einführung befristeter Schutzmaßnahmen für den Schiffbau (Drucksache 676/01, Drucksache Gegen die Gesetzentwürfe keine Einwendungen 676/1/01) zu erheben: Punkt 38 Punkt 22 Verordnung über Ausnahmen zum Verbringungs- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Geset- und Einfuhrverbot von gefährlichen Hunden in das zes vom 20. Mai 1997 zur Revision des Überein- Inland (Hundeverbringungs- und -einfuhrverord- kommens vom 20. März 1958 über die Annahme nung – HundVerbrEinfVO) (Drucksache 444/01, einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung Drucksache 444/1/01) der Ausrüstungsgegenstände und Teile von Kraft- fahrzeugen und über die gegenseitige Anerken- nung der Genehmigung (Drucksache 706/01) Punkt 40 a) Verordnung über die Erteilung einer Verwar- nung, Regelsätze für Geldbußen und die Punkt 23 Anordnung eines Fahrverbots wegen Ord- Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung des nungswidrigkeiten im Straßenverkehr (Buß- Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im geldkatalog-Verordnung – BKatV) (Drucksa- Steinkohlenbergbau (Drucksache 707/01) che 571/01, Drucksache 571/1/01) b) Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Punkt 24 Aufhebung der Allgemeinen Verwaltungsvor- Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom schrift für die Erteilung einer Verwarnung bei 12. Juli 2001 zwischen der Bundesrepublik Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten (Ver- Deutschland und der Volksrepublik China über warnVwV) (Drucksache 629/01, Drucksache Sozialversicherung (Drucksache 699/01) 629/1/01) Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 571*

(A) Punkt 41 Anlage 7 (C) Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Ge- bührenordnung für Maßnahmen im Straßenver- Erklärung kehr (Drucksache 681/01, Drucksache 681/1/01) von Minister Prof. Dr. Kurt Schelter (Brandenburg) Punkt 42 zu Punkt 8 der Tagesordnung Zweite Verordnung zur Änderung der Pfandlei- herverordnung (Drucksache 680/01, Drucksache Das Thema „Graffitibekämpfung“ steht nicht zum 680/1/01) ersten Mal auf der Tagesordnung. Eine zufrieden stel- lende Lösung der Problematik ist bis heute nicht ge- lungen. Die Bevölkerung, vor allem aber die Geschä- digten, haben dafür kein Verständnis.

VI. Ich bin mit dem antragstellenden Land der Auffas- sung, dass die vorhandene Strafbarkeitslücke rasch Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen: geschlossen werden muss. Der Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg greift eine Initiative auf, die durch Beschluss des Bundesrates bereits im Jahr Punkt 34 1999 in den Bundestag eingebracht worden ist. Da- Einunddreißigste Verordnung zur Änderung der nach soll der Tatbestand der Sachbeschädigung durch Kosmetik-Verordnung (Drucksache 656/01) das Tatbestandsmerkmal des „Verunstaltens“ ergänzt werden. Der Bundestag hat diesen Vorschlag abge- lehnt. Die dafür angeführten Gründe überzeugen Punkt 35 nicht. Verordnung zur Änderung der Sachbezugsver- ordnung (Drucksache 708/01) Im Bundesrat anhängig – aber derzeit nicht weiter- verfolgt – ist auch ein Gesetzesantrag des Landes Ber- lin, der das Problem der Graffitibekämpfung auf an- Punkt 36 dere Weise zu lösen versucht. Der entscheidende Verordnung über die Anlage des gebundenen Unterschied scheint mir darin zu liegen, dass dort Vermögens von Versicherungsunternehmen (An- nicht mehr die Sache und deren Substanz selbst, son- lageverordnung – AnlV) (Drucksache 709/01) dern der freie Gestaltungswille des Berechtigten das (B) Schutzobjekt darstellt. (D) Punkt 37 Ich finde beide Lösungswege gangbar. Welchen Verordnung nach § 104 g Abs. 2 des Versiche- Ansatz wir für die Lösung des Problems wählen, soll- rungsaufsichtsgesetzes über die Berechnung der ten wir bei den anstehenden Beratungen in den Aus- bereinigten Solvabilität von Erstversicherungsun- schüssen auch danach entscheiden, ob damit die Zu- ternehmen, die gemäß § 104 a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 stimmung des Bundestages erreicht werden kann. des Versicherungsaufsichtsgesetzes einer zusätzli- Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir endlich han- chen Beaufsichtigung unterliegen (Solvabilitäts- deln. An dogmatischen Diskursen sind sie nicht inte- bereinigungs-Verordnung – SolBerV) (Drucksa- ressiert. Wir dürfen sie nicht enttäuschen. che 712/01)

Punkt 43 Abkommen zwischen der Regierung der Bundes- Anlage 8 republik Deutschland und der Regierung des Kö- nigreichs Belgien über die Zusammenarbeit der Erklärung Polizeibehörden und Zollverwaltungen in den Grenzgebieten (Drucksache 714/01) von Staatsminister Reinhold Bocklet (Bayern) zu Punkt 10 der Tagesordnung

3,743 Millionen Arbeitslose im September – das VII. sind 58 232 mehr als im September 2000! Diese alar- mierend hohe Zahl ist weit entfernt von den Verspre- Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksache chungen der Bundesregierung und kann nicht alleine bezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Bei- auf die derzeitige Konjunkturschwäche geschoben tritt abzusehen: werden. Sie ist auch Folge einer unzureichenden und mangelhaften Beschäftigungspolitik. Punkt 44 Im September hat die Europäische Kommission ihr Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Beschäftigungspaket für das Jahr 2002 verabschiedet. (Drucksache 757/01) In ihrer Defizitanalyse zur Umsetzung der Beschäfti- 572* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) gungspolitik wird der Bundesrepublik ein besonders Auch Arbeitslosenhilfeempfänger sollen bei Ar- (C) schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die sehr hohe Lang- beitsaufnahme einen Zuschuss der Bundesanstalt er- zeitarbeitslosigkeit – so heißt es in der Empfehlung – halten können, der ein Nettoeinkommen ermöglicht, gehe zu langsam zurück, und die Abgabenbelastung das deutlich über der bezogenen Arbeitslosenhilfe in Deutschland sei eine der höchsten in der EU. liegt. Wir wollen, dass Arbeit finanziert wird, aber nicht, dass Arbeitslosigkeit verwaltet wird. Denn das Renommierte Wissenschaftler jeglicher Couleur, zu- ist die teuerste und nutzloseste Variante, öffentliche letzt die Benchmarking-Gruppe des Bündnisses für Gelder auszugeben. Arbeit, haben festgestellt, dass in kaum einem ande- ren Land so viel Geld für Arbeitslosenhilfe, Qualifizie- Ein Bereich, der angegangen wurde, bei dem die rung und Beschäftigungsprogramme ausgegeben Bundesregierung aber zu kurz sprang, ist die Arbeit- wird wie in Deutschland, und das mit so wenig Erfolg. nehmerüberlassung. Die Höchstverleihdauer bei der Arbeitnehmerüberlassung wird zwar erweitert; warum Die Arbeitslosenzahlen vor allem der letzten Mona- aber sollen ab dem 13. Monat der Überlassung die Ar- te sollten die Bundesregierung nachdenklich stim- beitsbedingungen des Entleihers gelten? Das ent- men. Die Kritik der Kommission sollte beherzigt, Gut- spricht nicht den Bedürfnissen des Marktes, sondern achten wie das der Benchmarking-Gruppe, das der dem unstillbaren Regulierungsbedürfnis der Bundesre- Bundeskanzler selbst in Auftrag gegeben hat, sollten gierung. Die Schaffung wertvoller neuer Arbeitsplätze nicht schlichtweg totgeschwiegen werden. auf diesem Sektor wird behindert, nicht gefördert. Eine Verbesserung der hausgemachten Misere Warum wird das Synchronisationsverbot nicht auf- kann nur eine vorausschauende Beschäftigungspoli- gegeben? Auch weiterhin muss also der Vertrag mit tik bringen. Dabei ist Beschäftigungspolitik mehr als der Verleihfirma eine längere Laufzeit haben als der nur Arbeitsmarktpolitik. Im Bereich der Steuer- und Überlassungsvertrag an den Entleiher. Ist es nicht Wirtschaftspolitik muss hier ebenso angesetzt wer- möglich, einen zweiten Zeitarbeitsplatz für den Leih- den, wie es dringend einer umfassenden, tief greifen- arbeitnehmer zu finden, so muss auch ein eventuell den und mutigen Reform des SGB III bedarf. vorhandener erster Arbeitsplatz ungenutzt verfallen. Betrachtet man den Entwurf eines Job-AQTIV-Ge- Das ist weit überzogener Arbeitsschutz zu Lasten der setzes, so kann schon jetzt festgestellt werden, dass Arbeitslosen. diese so genannte Reform nicht den Erfolg bringen Die EU-Kommission schlägt vor, die Beschäfti- kann und bringen wird, den der Arbeitsmarkt in un- gungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer deutlich zu ver- serem Land so dringend nötig hat. Wichtige Bereiche, bessern. Warum setzt die Bundesregierung nicht alles die sich geradezu aufdrängen, werden nicht ange- daran, das Beschäftigungspotenzial älterer Arbeit- gangen, in vielen Bereichen ist der Entwurf schlicht- nehmer über 55 voll auszuschöpfen? Ich rede von (B) weg indiskutabel. (D) Beschäftigungspotenzial, nicht von Beschäftigungs- Ein elementarer Bereich, zu dem unverständlicher- therapie: Es genügt nicht, Strukturanpassungsmaß- weise keinerlei Lösungsvorschläge im Gesetzentwurf nahmen für Ältere auszubauen. Wir können es uns enthalten sind, ist der so genannte Niedriglohnbe- nicht leisten, auf die Erfahrung und das Wissen der reich. Wir können es uns nicht leisten, bestehende Ar- Älteren zu verzichten. Wir müssen es nur auf den ak- beitsplatzpotenziale nicht auszunutzen. Auch Arbeits- tuellen Stand bringen. Deshalb fordern wir ihre ver- plätze im Niedriglohnbereich müssen besetzt werden. stärkte Berücksichtigung bei Maßnahmen der berufli- chen Bildung, nämlich entsprechend ihrem Anteil an „Arbeit statt Leistungsbezug“, dafür sind verstärkte allen Arbeitslosen. Anreize zur Arbeitsaufnahme notwendig. Wir fordern im Entschließungsantrag deshalb die Einführung Strikt abzulehnen ist die Einführung so genannter eines Kombi-Einkommensmodells für Arbeitslose: Beschäftigung schaffender Infrastrukturmaßnahmen. Damit diese Maßnahme von den Trägern, also vor Für Bezieher von Arbeitslosengeld soll die Aufnah- allem den Kommunen, angenommen wird, werden me von Tätigkeiten erleichtert werden, bei denen das hohe Zuschüsse der Bundesanstalt erforderlich sein. Nettoeinkommen unterhalb des Arbeitslosengeldes Konsequenz wird ein unverhältnismäßig hoher Mittel- liegt. Um ihre Bereitschaft hierzu zu stärken, soll aus einsatz sein, lediglich um weitere ABM-Plätze zu Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit der Nettolohn schaffen. In Verruf geratene ABM sollen unter einer aus dem neuen Arbeitsverhältnis bis zur Höhe des Ar- gut klingenden neuen Bezeichnung verkauft werden. beitslosengeldes aufgestockt werden. Anstatt einer solchen Ausweitung des zweiten Ar- Zusätzlich soll als weiterer Anreiz ein Zuschlag von beitsmarktes muss die konsequente Vermittlung in 5 bis 10 % gewährt werden. Wer arbeitet, muss mehr den ersten Arbeitsmarkt gestärkt und ausgebaut wer- in der Tasche haben als derjenige, der nicht arbeitet. den. Nur dies garantiert den Weg zurück in eine dau- Darüber hinaus muss selbstverständlich für den Fall erhafte Beschäftigung und die Senkung der Kosten erneuter Arbeitslosigkeit gewährleistet werden, dass der Arbeitslosigkeit. der Kombi-Einkommensempfänger mindestens Lohn- ersatzleistungen in der Höhe erhält, die er zum Zeit- Es ist unverantwortlich, der Bundesanstalt und damit punkt seiner erneuten Arbeitslosigkeit ohne Aufnah- den Beitragszahlern weitere Kosten aufzubürden. Hier me der geringer bezahlten Tätigkeit bekommen findet eine verkappte Finanzierung von öffentlichen hätte. Wer Kombi-Einkommen erhält, soll schließlich Regelaufgaben durch die Bundesanstalt statt. Es geht nicht in eine Abwärtsspirale geraten, sondern besser um ein Sonderproblem der neuen Länder; dies hat der dastehen als bloße Hilfeempfänger. Bund aus Steuermitteln zu finanzieren. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 573*

(A) Die Bundesregierung würde gut daran tun, die Kri- Landbaus in seiner umweltschonenden Erzeugung (C) tik der Kommission, unabhängiger Experten und der liegt, was aber nicht viel nützt, wenn der Anbau im Länder sehr ernst zu nehmen. Nur so kann erreicht Ausland stattfindet. werden, dass die schlechte Lage auf dem Arbeits- Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunder- markt im Interesse aller – der Arbeitslosen, der Bei- lich, dass eine ausreichende Zahl von Zeichennutzern tragszahler und auch der Steuerzahler – langfristig und nachhaltig verbessert wird. weder feststeht noch in Aussicht steht. Damit halte ich den dafür vorgesehenen Aufwand in keiner Weise für vertretbar. Die Erwartungen, Frau Bundesministerin, die Sie geweckt haben, erfüllen Sie auch nicht annähernd. Anlage 9 Mit diesem Zeichen erreichen Sie keine „Flaggschiff- funktion“ im Geleitzug der Ökoproduktvermarktung. Erklärung Was erreichen Sie tatsächlich? Sie erreichen

von Minister Rudolf Köberle – die Nivellierung des Qualitätsniveaus nach unten, (Baden-Württemberg) – die Begünstigung des Marktzugangs für Öko-Pro- zu Punkt 12 der Tagesordnung dukte aus dem Ausland, Für Herrn Minister Willi Stächele gebe ich folgende – völlige Unverbindlichkeit in Bezug auf die Her- Erklärung zu Protokoll: kunft der Produkte und daraus folgend Baden-Württemberg lehnt das Gesetz zur Ein- – eine allenfalls mäßige Akzeptanz. führung und Verwendung eines Kennzeichens für Er- zeugnisse des ökologischen Landbaus – Öko-Kenn- Mit der Vorlage des Entwurfs einer Verordnung zur zeichengesetz – in dieser Form ab. So nützt es weder Gestaltung und Verwendung des Öko-Bundeszei- dem ökologischen Landbau noch dem Verbraucher. chens kommt für mich ein weiterer Ablehnungsgrund hinzu, weil dabei keine sinnvollen Nutzungsbedin- Die Wiege des ökologischen Landbaus in Deutsch- gungen und regionalen Kombinationsmöglichkeiten land stand in Baden-Württemberg. Von unserem Land vorgesehen werden. Damit ist für die Länder keine sind wesentliche Entwicklungen ausgegangen. Ich ausreichende Möglichkeit für die Kennzeichnung von sehe mich deshalb in einer besonderen Verantwor- regionalen Ökoprodukten in Verbindung mit dem tung, das erreichte hohe Niveau nicht aufs Spiel zu Öko-Bundeszeichen sichergestellt. Schließlich geht es setzen. Dies gilt umso mehr, als wir in Baden-Würt- (B) uns in erster Linie um die Stärkung der Erzeuger und (D) temberg bei der Weiterentwicklung des ökologischen Vermarkter von Ökolebensmitteln aus den jeweiligen Landbaus eine Spitzenstellung einnehmen. Wir Regionen und eben nicht nur um eine Ausweitung haben den höchsten Anteil an landwirtschaftlichen des Angebots von Ökoprodukten ohne Berücksichti- Betrieben mit ökologischem Landbau. gung ihrer Herkunft. Frau Bundesministerin, wenn Sie jetzt ein gesetzli- ches Öko-Siegel auf dem niedrigen Niveau der EU- Öko-Verordnung einführen wollen, gefährden Sie nicht nur die marktwirtschaftliche Position der einge- führten Öko-Betriebe, sondern letztlich das hohe Ni- Anlage 10 veau der Produkte und Angebotskonzepte. Erklärung Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist das geplante Bio-Zeichen weder ein Öko-Gütesiegel noch von Minister Rudolf Köberle ein klares Herkunftszeichen oder ein besonderes (Baden-Württemberg) Kontrollzeichen. Das Zeichen hilft den Verbrauche- zu Punkt 14 der Tagesordnung rinnen und Verbrauchern nicht, sondern führt ledig- lich zu Irritation und zur Erhöhung der Zeichenflut. Für die Länder Baden-Württemberg und Hessen Solange nur die minimalen Qualitätsanforderungen gebe ich folgende Erklärung zu Protokoll: an Ökoprodukte nach der EU-Öko-Verordnung vo- In der Gesetzesbegründung zur Einbeziehung der rausgesetzt werden, ist das Bundeszeichen kein Öko- Gemeindefinanzkraft wird lediglich auf einen pau- Gütesiegel. schalen Abschlag verwiesen, der dem durch Indikato- Das Öko-Bundeszeichen ist kein Kontrollzeichen, ren nicht berücksichtigten Finanzbedarf der Kommu- weil es keine zusätzliche Absicherung – insbesondere nen Rechnung tragen soll. Diese Begründung greift im Endangebot von Ökoprodukten in den Regalen zu kurz. und Theken – vorsieht. Bekanntlich kommt es in die- Außer Acht gelassen wird, dass das Bundesverfas- sem Bereich immer wieder zu „Verwechslungen“. sungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. Novem- Das Öko-Bundeszeichen ist auch kein Herkunfts- ber 1999 dem Gesetzgeber aufgegeben hat, im Rah- zeichen, weil keinerlei Angaben zur geografischen men von Artikel 107 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz Herkunft der Produkte enthalten sind. Das ist ein ent- Grundgesetz zu berücksichtigen, dass das Grundge- scheidendes Manko, weil ein Vorteil des ökologischen setz die finanzielle Eigenverantwortung der Kommu- 574* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) nen nunmehr ausdrücklich anerkennt – Artikel 28 fahr weiter gesenkt werden. Der öffentlichen Sicher- (C) Abs. 2 Satz 3 Grundgesetz – und den Gemeinden heit wäre Genüge getan. einen eigenen Anteil an dem Aufkommen der Ein- Die von der Bundesregierung vorgesehene Ände- kommensteuer – Artikel 106 Abs. 5 Grundgesetz – und rung hingegen erscheint unverhältnismäßig. Der Erbe der Umsatzsteuer – Artikel 106 Abs. 5 a Grundgesetz – müsste sich in kürzester Zeit nach dem Erbfall einen garantiert. Die gestärkte finanzwirtschaftliche Unab- Überblick über den Markt verschaffen, um die Waffen hängigkeit und Verselbstständigung der Kommunen an einen Berechtigten abgeben zu können. Durch die modifiziert – so das Bundesverfassungsgericht – die waffenrechtlichen Erlaubnisse würde dem Erwerber bisherige Zweistufigkeit der Finanzverfassung. klar, dass es sich hier faktisch um einen Notverkauf Die gestärkte kommunale Finanzposition ist durch handelt, was die Position des Erben schwächt und einen Autonomieabschlag auf die gemeindliche Fi- damit den zu realisierenden Preis drückt. Die Befris- nanzkraft zu berücksichtigen. Die herausgehobene tung des Erbenprivilegs hätte eine nicht beabsich- Stellung der Gemeinden auf der Einnahmeseite der tigte das Eigentum betreffende Wirkung, die nicht Finanzverfassung und die damit verbundene Ver- erforderlich ist, um die öffentliche Sicherheit zu ge- selbstständigung der Gemeinden verbieten die Voll- währleisten. anrechnung der gemeindlichen Finanzkraft auf die Hinzu kämen Auswirkungen insbesondere auf Finanzkraft der Länder. Hersteller hochwertiger Waffen und das Büchsen- macherhandwerk. Hier stehen Thüringer Betriebe in der Region Suhl in einer langen Tradition. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sollten bei der Neure- gelung des Waffenrechts insbesondere mit Blick auf Anlage 11 diese Traditionsbetriebe im laufenden Gesetzge- bungsverfahren zur Abwägung kommen. Erklärung

von Minister Franz Schuster (Thüringen) zu Punkt 16 der Tagesordnung Anlage 12 Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Geset- Erklärung zes zur Neuregelung des Waffenrechts vorgelegt. Das neue Waffenrecht soll primär der öffentlichen Sicher- von Staatsminister Jochen Riebel heit dienen und den missbräuchlichen Umgang mit (B) (Hessen) (D) Waffen stärker einschränken. zu Punkt 17 der Tagesordnung Nicht alle Maßnahmen, die das umfangreiche Ge- setzeswerk vorsieht, sind erforderlich, um dieses Ziel In den kommenden Jahren ist mit einem starken zu erreichen. Anstieg der Versorgungsausgaben für die Beamtin- nen und Beamten bei Bund, Ländern und den kom- Die öffentliche Sicherheit ist ein äußerst wichtiges munalen Gebietskörperschaften zu rechnen. Schutzgut. Nichtsdestoweniger kann sie mit anderen wichtigen Interessen kollidieren, und es muss ein Der im Oktober 1996 vorgelegte Versorgungsbe- sachgerechter Ausgleich, hier mit dem Grundrecht richt der früheren Bundesregierung wie auch der von auf Eigentum und Erbe, gefunden werden. der Bundesregierung nunmehr vorgelegte Entwurf des 2. Versorgungsberichts belegen dies deutlich. Die Der Vorschlag der Bundesregierung sieht unter Zahl der Versorgungsempfänger bei Bund, Ländern anderem vor, dass die zurzeit geltende Bestimmung und Gemeinden wird nach der Prognose des 2. Ver- über das Erbrecht an Waffen auf fünf Jahre befristet sorgungsberichtes von 900 000 im Jahr 2000 auf werden soll, wenn nicht in dieser Zeit ein System 1,4 Millionen um das Jahr 2030 steigen und danach entwickelt wird, durch das Waffen für den Laien wieder sinken. unbrauchbar gemacht werden können, die Blockier- einrichtung jedoch vom Fachmann ohne Beschädi- Der Zuwachs betrifft in erster Linie die Länder. Dort gung der Waffe wieder entfernt werden kann. wird sich die Zahl der Versorgungsempfänger bis 2030 fast verdoppeln: von 525 000 im Jahr 2000 auf Diese geplante Einschränkung des Erbenprivilegs 1 019 000 im Jahr 2030. ist unverhältnismäßig. Auch Waffen unterliegen dem Erbrecht und stellen Vermögenswerte dar. Entsprechend werden die Versorgungsausgaben stark ansteigen. Ich erwähne nur die für die Länder Der Besitz von Waffen kann nicht isoliert ohne die prognostizierten Zahlen: von 28,3 Milliarden DM im übrigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs gesehen Jahr 2000 auf 114,8 Milliarden DM im Jahr 2030 und werden. Der Gesetzentwurf enthält detaillierte und weiter auf 132,5 Milliarden DM im Jahr 2040. grundsätzlich begrüßenswerte Bestimmungen zur Aufbewahrung von Waffen. Durch diese Bestimmun- Diese Zahlen belegen deutlich, dass Handlungsbe- gen werden der Zugriff Dritter auf die Waffen und das darf besteht. Bereits seit der Rentenreform 1992 hiermit einhergehende Gefährdungspotenzial ge- besteht breiter Konsens darüber, dass die Alterssiche- senkt. Wird der Erbe zusätzlich verpflichtet, ererbte rungssysteme im Gleichklang weiterentwickelt wer- Munition abzugeben, so könnte die Missbrauchsge- den sollen – Belastungsveränderungen in der Renten- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 575*

(A) versicherung ist auch in den anderen ganz oder teil- Das Gebot der Ehrlichkeit erfordert es aber auch, (C) weise aus Steuermitteln finanzierten Alterssiche- deutlich darauf hinzuweisen, dass mit der vorgesehe- rungssystemen unter Beachtung der jeweiligen Be- nen Absenkung des Versorgungsniveaus die Rentenre- sonderheiten sinngemäß Rechnung zu tragen –, die form gerade nicht „wirkungsgleich“ übertragen wird. Eigenständigkeit der verschiedenen historisch ge- In dieser Auffassung fühlen wir uns durch eine Stel- wachsenen Alterssicherungssysteme dabei jedoch er- lungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und halten bleiben muss (vgl. Beschluss des Deutschen Sozialordnung vom 1. Oktober 2001 bestätigt. Dort Bundestages vom 7. März 1989, BT-Drs. 11/4125). heißt es zur Wirkungsgleichheit der zweiten Stufe der Diesen gemeinsam beschlossenen Grundsätzen Übertragung: „Dies bedeutet, dass die ab 2011 in der über die Fortentwicklung der Rentenversicherung Rentenversicherung wirksame Maßnahme vom Volu- und der Beamtenversorgung wird der vorliegende men her wirkungsgleich übertragen wird. Unterschie- Gesetzentwurf jedenfalls in seinen Schwerpunkten de ergeben sich jedoch hinsichtlich des Zeitpunktes nicht gerecht. Die Bundesregierung weist zwar in der der Wirksamkeit. Beamtenpensionäre müssen bereits Begründung darauf hin, dass es nach Abschluss der im Jahr 2017 eine Belastung hinnehmen, die die Rent- Gesetzgebung zur Reform der gesetzlichen Renten- ner erst im Jahr 2030 erreichen werden.“ Daher muss versicherung und zur Förderung eines kapitalgedeck- die Absenkung des Versorgungsniveaus entspre- ten Altersvorsorgevermögens nunmehr gilt, „die chend begrenzt werden. Konkret werden – auch im Maßnahmen der Rentenreform auf systemgerechte Interesse einer konsensfähigen Regelung – folgende Art wirkungsgleich auf die Beamtenversorgung zu Maßnahmen als versorgungspolitisch noch vertretbar übertragen“. Die als Kernstück der Versorgungsre- vorgeschlagen: form vorgesehene Absenkung des Versorgungsni- In der ersten Stufe der Reform wird das Versorgungs- veaus in zwei Stufen genügt diesen Anforderungen niveau ab 2003 in acht Schritten von jeweils jährlich allerdings nicht. 0,5 vom Hundert bis 2010 um insgesamt 4 % abge- Die schrittweise Absenkung des Versorgungsni- senkt; der Regierungsentwurf sieht 4,33 % vor. Die veaus bis zum Jahr 2017 um insgesamt ca. 6,3 % ist schrittweise Absenkung wird, wie auch im Gesetzent- nicht „wirkungsgleich“ ausgestaltet, weil sie im Ver- wurf vorgesehen, über einen Anpassungsfaktor umge- gleich zu den Rentnern aus zwei Gründen zu einer setzt. Der erreichbare Höchstsatz des Ruhegehalts wird überproportional hohen finanziellen Belastung und von 75 nur auf 72,0 statt auf 71,75 % abgesenkt. damit zu einem Sonderopfer der Versorgungsempfän- Die zweite Stufe der Reform wird durch den ab 2011 ger führen würde: wieder einsetzenden Aufbau der Versorgungsrück- Erstens. Die Altersversorgung der Beamten kombi- lage bis zum Jahr 2013 umgesetzt, statt bis zum Jahr 2017 im Regierungsentwurf. Mit der im Gesetzent- (B) niert als Vollversorgungssystem die allgemeine Re- (D) gelsicherung mit einer Zusatzsicherung, wie sie im öf- wurf vorgesehenen Revisionsklausel – § 14 Abs. 5 fentlichen Dienst in Form von Zusatzrenten und in der BBesG – ist sichergestellt, dass auf Grund der allge- Wirtschaft von Betriebsrenten anzutreffen ist. Ihr Si- meinen Entwicklung der Alterssicherungssysteme cherungsziel geht daher deutlich über das der gesetz- sowie der Entwicklung der Versorgungsrücklagen bei lichen Rentenversicherung als allgemeine Regelsi- Bund und Ländern zeitnah weitere Schritte geprüft cherung hinaus. Das bedeutet, dass die in der und gegebenenfalls erforderliche Änderungen be- Rentenreform enthaltene Absenkung des Rentenni- schlossen werden können. veaus grundsätzlich nur auf den der Grundrente ent- Mit dem Änderungsantrag schlagen wir eine Ni- sprechenden Teil der Beamtenversorgung übertragen veauabflachung der vollen Versorgungsbezüge, also und demzufolge auch die gesamte Pension nicht in der Regel- und der Zusatzsicherung, um 5,2 % vor. vergleichbarer Höhe abgesenkt werden darf. Die vor- Der Gesetzentwurf sieht – gegenüber einer Absen- gesehene inhaltsgleiche Übernahme des Umfangs der kung der Grundrente um gut 6 % – 6,3 % vor. Unter Absenkung der Renten wäre also nicht „wirkungs- Berücksichtigung der Gesamtbelastung der Betroffe- gleich“, sondern hätte eine Überkompensation zur nen liegt diese Niveauabflachung zwar an der oberen Folge. Grenze des Zumutbaren, sie ist aber im Hinblick auf die gebotene soziale Symmetrie sowie wegen der Be- Zweitens. Die Beamten und Versorgungsempfänger sonderheiten der beiden Alterssicherungssysteme haben in den letzten Jahren eine Reihe von Vor- letztlich noch vertretbar. leistungen erbracht, die im Hinblick auf eine „wir- kungsgleiche“ Belastung bei der Höhe der Absenkung des Versorgungsniveaus ebenfalls berücksichtigt wer- den müssen. Die wichtigsten sind in der Begründung des Antrags der Länder Bayern und Hessen aufgeführt. Anlage 13 Auch die Antragsteller sind in Anbetracht der zu er- wartenden Versorgungsausgaben bereit, kritisch zu Erklärung prüfen, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, diese Kosten zu reduzieren. Wenn wir zu der Meinung ge- von Ministerin Bärbel Höhn langen, dass die Beamtenversorgung im Hinblick auf (Nordrhein-Westfalen) die Ausgabenentwicklung und die Haushaltslage zu Punkt 19 der Tagesordnung grundsätzlich weiter eingeschränkt werden soll, müs- sen wir den Beamten und Versorgungsempfängern Sie kennen dies sicherlich aus der Werbung: Mit dies auch offen und ehrlich sagen. einem kurzen Druck auf die Sprühflasche verschwin- 576* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) det lästiges „Ungeziefer“ wie Mücken oder Fliegen. Deshalb fordert die Landesregierung Nordrhein- (C) Die Küche glänzt, weil sie soeben desinfiziert wurde. Westfalen, ein Biozid-Produkte-Register aufzustellen. Das Kleinkind spielt auf dem keimfreien Fußboden; Die Zulassungsstelle, bei der ohnehin alle Informatio- das Muttergewissen ist beruhigt. Und sollte ein Rest nen zusammenlaufen, könnte dies ohne großen Auf- von Unsicherheit da sein, so beruhigt die Werbung: wand bewerkstelligen. Verbraucher und Verbrau- „natürliches Insektizid“, „geruchlos und sicher“, „mit cherinnen sind dann in der Lage, sich über die natürlichem Wirkstoff“ usw. Dieser Eindruck wird da- verschiedenen Biozid-Produkte umfassend zu infor- durch verstärkt, dass einigen der Produkte Duftstoffe mieren. Ihre Kaufentscheidung hängt nicht nur von zugesetzt wurden. Offensichtlich soll der Eindruck Preis und geschickter Werbung ab. Sie haben stattdes- einer „natürlichen“ Wirkung nicht durch den Geruch sen die Möglichkeit, das Mittel auszusuchen, das für nach Chemikalien zerstört werden. ihr Schädlingsproblem am besten passt und gleichzei- Während auf der einen Seite also mit Natürlichkeit tig Umwelt und Gesundheit möglichst wenig belastet. geworben wird, nimmt auf der anderen Seite der Ge- Aber ich meine, eine solche vergleichende Über- brauch bestimmter – nicht unbedingt natürlicher – sicht reicht noch nicht aus. In vielen Fällen sind näm- Mittel zu. Nicht nur Küchen und Badezimmer werden lich gar keine Biozide nötig. Warum soll man z. B. desinfiziert. Auch bestimmte Bedarfsgegenstände, Ameisen mit gefährlichen Stoffen bekämpfen, wenn z. B. Schneidebretter, werden in zunehmendem Maße Backpulver die gleiche Wirkung hat? Oder warum antimikrobiell ausgerüstet. muss es ein Insektenspray sein, wenn man eine Fliege Ärzte und Ärztinnen warnen inzwischen, dass der genauso gut mit einer Fliegenklatsche oder auch nur verstärkte Gebrauch von Desinfektionsmitteln zu durch Lüften loswird? Einige dieser ungefährlichen einer Schädigung des Immunsystems von Kindern Alternativen sind altbekannte Hausmittel, andere führen kann. Auch einzelne Inhaltsstoffe der oft unbe- sind weniger bekannt. Wir fordern, das vorhandene denklich eingesetzten Mittel sind in die Diskussion Wissen über Alternativen zum Biozid-Einsatz zu bün- geraten. Als ein Beispiel nenne ich die Pyrethroide. Es deln und den Verbrauchern und Verbraucherinnen gibt aber mit Sicherheit Stoffe, die ähnlich kritisch be- zur Verfügung zu stellen. Diese Liste kann laufend urteilt werden müssen. vervollständigt werden. Auch dies sollte eine Aufgabe Insgesamt gehören zu den Biozid-Produkten, die der Zulassungsstelle sein. durch den vorliegenden Gesetzentwurf neu geregelt Gleichzeitig sollen alle diejenigen, die für Biozid- werden sollen, viele gefährliche Stoffe. Diese Produk- Produkte werben, verpflichtet werden, auf diese In- te sollen gerade Schädlinge vertreiben oder töten; formationsmöglichkeit hinzuweisen. So wie es bei der eine toxische Wirkung ist also häufig beabsichtigt. Werbung für Medikamente heißt: „... und fragen Sie (B) Vor diesem Hintergrund ist es ausgesprochen er- Ihren Arzt oder Apotheker“, sollte es dann bei Bio- (D) freulich, dass die EU den Bereich der Biozide durch ziden z. B. heißen: „... zu Alternativen fragen Sie die eine Richtlinie umfassend – und, wie ich finde, sehr Zulassungsstelle“. fortschrittlich – geregelt hat. Insofern ist auch der Ge- Diese zusätzlichen Regelungen können sicherlich setzentwurf der Bundesregierung, der diese Richtlinie dazu beitragen, den Einsatz von Bioziden zurückzu- in deutsches Recht umsetzt, ausdrücklich zu be- drängen. grüßen. Durch die Umsetzung der Richtlinie sind er- hebliche Fortschritte bei der Regulierung von Bioziden Insgesamt erhoffe ich mir durch die Verabschie- zu erwarten. In Zukunft dürfen Biozid-Produkte nur dung des Gesetzes – mit den von uns geforderten Ver- dann noch verkauft werden, wenn sie vorher ein Zu- besserungen – erhebliche Fortschritte im Sinne des lassungsverfahren durchlaufen haben. Lediglich für Umwelt- und Verbraucherschutzes. Ich hoffe auf eine eher ungefährliche Produkte ist ein Registrierungsver- rasche Umsetzung. fahren vorgesehen. Die einzelnen Wirkstoffe werden im Vorfeld nicht nur auf ihre Wirksamkeit, sondern auch auf ihre schädliche Wirkung hin untersucht. Die Richtlinie sieht außerdem die Umsetzung des Substitutionsprinzips vor: Bevor ein bestimmter Stoff Anlage 14 in eine Liste erlaubter Wirkstoffe aufgenommen wird, muss geprüft werden, ob nicht bereits ein Stoff mit Erklärung ähnlicher Wirkung, aber geringerem Gefährdungspo- tenzial für Mensch und Umwelt in der Liste vorhan- von Minister Wolfgang Jüttner den ist. In diesem Fall kann die Aufnahme des neuen (Niedersachsen) Stoffes in die Liste verweigert werden. Dies gilt auch zu Punkt 21 der Tagesordnung bei der Verlängerung einer Zulassung. Ich habe die Hoffnung, dass dadurch gefährliche Biozide zumin- Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novel- dest langfristig vom Markt verschwinden. lierung des Atomgesetzes stellt eine historische Wei- chenstellung dar. „Beendigung der Kernenergienut- Aber: So sehr ich den Gesetzentwurf auch begrüße, zung“ war der Wählerauftrag. Dieser wird jetzt durch als Verbraucherschutzministerin sehe ich doch Nach- konkrete Schritte umgesetzt. besserungsbedarf. So ist es das erklärte Ziel der Richt- linie, den Einsatz von Bioziden auf ein Minimum zu Ausgangspunkt der Novelle ist der Schutz des Le- begrenzen. Dazu sollten unbedingt weitere Schritte bens und der Umwelt vor den Risiken der Kernener- unternommen werden. gienutzung. Die Niedersächsische Landesregierung Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 577*

(A) teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass das der Wiederaufarbeitung stellt das Land damit vor be- (C) bislang hingenommene Restrisiko bei einem mögli- sondere personelle und finanzielle Probleme. chen Unfall nur noch für einen begrenzten Zeitraum Der Name Gorleben steht zugleich für den einzigen akzeptiert werden darf. Nicht zu unterschätzen sind Standort in der Bundesrepublik, wo umfangreiche Er- auch die weiteren Risiken, die bei der Entsorgung kundungsarbeiten für ein mögliches Endlager durch- oder auch bei dem Missbrauch von Kernbrennstoffen geführt worden sind. Die von der früheren Bundesre- entstehen können. Eine Auseinandersetzung mit Art gierung geschaffene Rechtsgrundlage für eine und Umfang dieser Risiken ist angesichts der jüngs- Veränderungssperre an diesem Standort – als „Lex ten Ereignisse aktueller denn je. Bernstorff“ vom Land abgelehnt – soll nach dem In- Die geordnete Beendigung der Kernenergienut- halt der Konsensvereinbarung erhalten bleiben und zung schafft Raum für eine Energiewende mit bedeu- demnächst auch zur Anwendung gelangen. Nieder- tenden energiewirtschaftlichen, ökologischen und sachsen bedauert es ausdrücklich, dass die Erkun- technologischen Möglichkeiten. Dazu haben Bundes- dung lediglich unterbrochen wurde und keine end- tag und Bundesregierung mit dem Erneuerbare-Ener- gültige Aufgabe dieses aus der Sicht des Landes für gien-Gesetz, dem 100 000 Dächer-Programm und der ein Endlager ungeeigneten Salzstocks erfolgt ist. Energie-Einspar-Verordnung eine Entwicklung in In Gorleben steht ferner die Pilot-Konditionierungs- Gang gesetzt, die wohl weltweit beispiellos ist. anlage, deren Inbetriebnahme kürzlich vom Land ge- Niedersachsen leistet dazu seinen Beitrag: Bei der nehmigt wurde. Wenn dabei auch eine Beschränkung Nutzung der Windenergie mit einer installierten Leis- auf Reparaturzwecke erfolgt ist, kommt der Anlage tung von aktuell 2 147 Megawatt halten wir die Spit- gleichwohl eine bundesweite Funktion und Bedeu- zenposition in Deutschland. Weitere Zuwächse sind tung zu. durch die Entwicklung von Offshore-Windparks auf In Niedersachsen ist mit der Schachtanlage Konrad dem Meer programmiert. Mit einer Solaroffensive ein weiterer Standort als Endlager für mittel- und haben wir in Niedersachsen einen zweiten Schwer- schwachradioaktive Abfälle Gegenstand eines lau- punkt zur Förderung der erneuerbaren Energien ge- fenden Planfeststellungsverfahrens. Angesichts bun- setzt. Auch die neue Biomasse-Verordnung des Bun- desaufsichtlicher Vorfestlegungen rechne ich mit ei- des wird von uns konstruktiv aufgegriffen. nem Planfeststellungsbeschluss in wenigen Monaten. Wenn eine Verwirklichung dieses Vorhabens auch Der vorliegende Gesetzentwurf gewährleistet einen nicht vor einer rechtskräftigen gerichtlichen Entschei- angemessenen Interessenausgleich. Durch seine Ab- dung erwogen wird, steht nach Auffassung des Lan- sage an Maximalforderungen, die Kernkraftwerke des immer noch eine überzeugende Antwort auf die kurzfristig abzuschalten und aus der Wiederaufarbei- Frage aus, ob nicht ein Endlager für alle Arten radio- (B) tung sofort auszusteigen, vermeidet er wirtschaftliche aktiver Abfälle in der Bundesrepublik ausreicht. (D) Friktionen und den Rückzug auf juristische Positionen Dafür kommt Konrad allerdings nicht in Betracht. mit der Folge langwieriger Auseinandersetzungen vor den Gerichten. Mit der Novelle ist es gelungen, zu Die Niedersächsische Landesregierung ist bereit, einer Lösung im Konsens und zu einem pragmati- einen angemessenen Anteil an den Entsorgungslas- schen Kompromiss zu kommen. ten zu tragen. Wir müssen in Deutschland zu gemein- samen sicheren Lösungen kommen. Hierzu gehören Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt insbesondere die Unterstützung des Konzepts der de- die AtG-Novelle. Diese zeigt auch schon erste Wir- zentralen Zwischenlagerung abgebrannter Brenn- kungen. So werden die Gesellschafter des Kernkraft- elemente durch die Bundesländer und die jeweiligen werks Stade die Anlage in der zweiten Jahreshälfte Standortgemeinden sowie die zügige bundesweite 2003 – und damit vor dem Auslaufen der vereinbarten und wirklich unvoreingenommene Suche nach einem Reststrommenge – endgültig abschalten. Der Atom- geeigneten, allen Sicherheitskriterien genügenden konsens eröffnet hier also den Weg, ein älteres Kern- Endlagerstandort. Das Ergebnis dieser Suche muss kraftwerk früher als geplant vom Netz zu nehmen. dann in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt wer- Daher und angesichts der neuen Sicherheitslage soll- den. Denn schließlich erfordern die jüngsten Ter- ten Bundesregierung und Energieunternehmen ihre rorangriffe in den USA und der Umgang mit seinen Gespräche wieder aufnehmen. Ziel sollte sein, die je- Auswirkungen die nationale Verantwortung von weiligen Strommengen von den älteren auf neuere Bund und Ländern, auch und besonders bezogen auf und risikoärmere Anlagen zu übertragen. Bei der unsere kerntechnischen Einrichtungen. nüchternen Auseinandersetzung mit den Auswirkun- gen der terroristischen Anschläge in den USA ist der Bund mit seinen Einrichtungen – insbesondere der Reaktorsicherheitskommission – in zentraler Verant- wortung. Für die Länder kann und darf es hierbei Anlage 15 keine Alleingänge geben. Erklärung Die AtG-Novelle trifft auch verschiedene Regelun- gen im Entsorgungsbereich. Hier trägt Niedersachsen von Staatsminister Wilhelm Dietzel eine Reihe von Sonderlasten. Dies gilt zunächst für (Hessen) das Transportbehälterlager in Gorleben, das als einzi- zu Punkt 21 der Tagesordnung ges Zwischenlager in der Bundesrepublik über eine Aufbewahrungsgenehmigung für HAW-Glaskokillen Lassen Sie mich zunächst auf das von der Bundesre- verfügt. Der Sicherungsaufwand für Transporte aus gierung gewählte Gesetzgebungsverfahren eingehen! 578* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) Die Bundesregierung hat sowohl den Text als auch Die Kernenergie ist neben der heimischen Kohle (C) die Begründung dieses Gesetzentwurfs außerhalb des diejenige Energieform, bei der eine hohe Versor- parlamentarischen Raumes in langwierigen Geheim- gungssicherung gewährleistet ist. Der geplante verhandlungen über alle Einzelheiten ausgehandelt. Ausstieg aus der Kernenergienutzung stellt ein ele- Sie hat den Entwurf vor kurzem mit der öffentlich mentares Risiko für die Sicherung der Versorgung mit geäußerten Erwartung in das Gesetzgebungsverfah- Strom dar. Dieses Risiko wird auch nicht durch die ren eingebracht, dass er ohne Änderungen angenom- bloße Hoffnung auf erhebliche Energieeinsparpoten- men wird. ziale und den Ausbau regenerativer Energien gemin- dert. Das entspricht nicht demokratischen Gepflogenhei- ten. Die Bundesländer waren an den geheimen Ver- Ein Verbot der Errichtung neuer Kernkraftwerke ist handlungen zwischen der Bundesregierung und den überflüssig. Ob und wann sich die Frage der Errich- Energieversorgungsunternehmen in keiner Weise be- tung neuer Kernkraftwerke für die Elektrizitätswirt- teiligt worden, obwohl der geplante Atomausstieg auf schaft stellt, sollte dem Markt überlassen bleiben. Ein Bundesländer wie Hessen, Bayern oder Baden-Würt- staatliches Verbot der zukünftigen Kernenergie- temberg mit über 50 % Kernenergieanteil an der nutzung, das weder sicherheitstechnisch noch um- Stromversorgung massive energie- und wirtschafts- weltpolitisch erforderlich ist, behindert die für die politische Auswirkungen haben wird. Die Ergebnisse Entwicklung unserer Wirtschaft lebensnotwendige dieser Verhandlungen liegen nun als Gesetzentwurf Versorgung mit preiswerter Energie. vor. Die Stromerzeugung in Deutschland beruht zu Bisher hat es seitens der Bundesregierung nicht ein- einem Drittel auf den laufenden Kernkraftwerken. mal den Versuch gegeben, legitime Länderinteressen Dieser Strom ist im Vergleich zu anderen Energieträ- zu berücksichtigen. Stattdessen hat die Bundesregie- gern sehr preiswert. Er kann nach den vereinbarten rung bei der laufenden Umsetzung der mit den Ener- Restlaufzeiten der Kernkraftwerke nicht durch Ein- gieversorgern vereinbarten Detailregelungen zu ein- sparungen und Strom aus erneuerbaren Energien zelnen Anlagen derart massiv in verfassungsmäßige ersetzt werden; das ist eine Utopie. Dieser Strom Zuständigkeiten und Rechte der Länder eingegriffen, wird aus fossilen Kraftwerken kommen oder durch dass z. B. das Land Hessen das Bundesverfassungsge- Stromimporte unter anderem aus ausländischen richt anrufen musste, um seine verfassungsmäßigen Kernkraftwerken abgedeckt werden müssen. Dies Rechte dem Bund gegenüber zu wahren. wird zu einer Anhebung des Strompreisniveaus und zu einem Export von Produktion und Arbeitsplätzen Ein solches Vorgehen des Bundes in einem Gesetz- in der Stromversorgung und in der Kraftwerksindus- (B) gebungsverfahren ist neu. Es zeichnet sich durch eine trie führen. Höhere Strompreise wiederum beein- (D) bisher einmalige Missachtung der legitimen Interes- trächtigen die Wettbewerbsfähigkeit stromintensiver sen und Rechte der Bundesländer und einen nicht ak- Industriezweige. Insgesamt wird der Standort zeptablen parlamentarischen Stil seitens der Bundes- Deutschland in der internationalen Konkurrenz ge- regierung aus. schwächt.

Zum Gesetzentwurf selbst: So werden dringend notwendige Arbeitsplätze in unserem Land vernichtet. Wir streben das Gegenteil Ich halte den beabsichtigten Ausstieg aus der fried- an, nämlich Arbeitsplätze in unserer heimischen Ener- lichen Kernenergienutzung für einen schwer wiegen- giewirtschaft zu sichern! den politischen Fehler. Ein Ausstieg ist volkswirt- schaftlich schädlich, sicherheitstechnisch nicht Der Gesetzentwurf stellt selbst fest, dass die deut- begründet und gefährdet die Erreichung der Klima- schen Kernkraftwerke einen international hohen Si- schutzziele der Bundesrepublik. cherheitsstandard haben. Seit Beginn der Nutzung der Kernenergie seien erhebliche Fortschritte ge- Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie wird eine macht worden. Zur Begründung für die Beendigung Technik mit großem Potenzial zur CO2-freien Strom- der Kernenergienutzung wird auf eine Neubewertung erzeugung aufgegeben. Die Erreichbarkeit der Klima- ihrer Risiken – offenbar durch die Bundesregierung – schutzziele ohne Kernenergienutzung wird im Ge- verwiesen. Maßstäbe und Kriterien dieser Neubewer- setzentwurf ohne weitere Begründung unterstellt, da tung werden jedoch nicht genannt und sind auch ein Nachweis offensichtlich nicht führbar ist. sonst nicht ersichtlich.

Dem vorgesehenen Ausstieg aus der Kernenergie- Die Bundesregierung weicht damit von der Bewer- nutzung in Deutschland liegt keinerlei tragfähiges tung des Risikos der Kernenergienutzung in anderen energiepolitisches Gesamtkonzept der Bundesregie- Ländern, wie USA, Frankreich oder Japan, welche die rung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu gleiche Verantwortung für den Schutz ihres Volkes Grunde. Dies wird zu einer Ersatzstrombeschaffung haben, ohne weitere Begründung grundsätzlich ab. im Rahmen großer Verbundsysteme führen, mit der Hierzu ist klar festzustellen, dass keinerlei Anhalts- Folge, dass auch für den deutschen Markt Strom aus punkte vorliegen, die Zweifel an der Betriebssicher- Kernkraftwerken aus Nicht-EU-Staaten eingeführt heit der deutschen Kernkraftwerke begründen könn- wird – Staaten mit Kernkraftwerken, bei denen die ten. Der Betrieb der deutschen Kernkraftwerke ist Einhaltung unserer Sicherheitsstandards nicht ge- auch nach Meinung international renommierter Ex- währleistet ist. perten in vollem Umfang verantwortbar. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 579*

(A) Ein langjähriges Moratorium für die Erkundung des land im Energiesektor, einem zentralen Bereich für (C) Salzstocks Gorleben macht dieses Konzept jedoch die Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung ohne sachlichen Grund hinfällig. Faktisch wird er- einer großen Industrienation. Deshalb lehnen wir den zwungen, dass die abgebrannten Brennelemente in Gesetzentwurf ab. den nächsten 40 Jahren von den nach dem Gesetzent- wurf bei den Kernkraftwerken einzurichtenden Zwi- schenlagern aufgenommen werden. Die Bundesregie- rung geht damit zugleich das Risiko ein, dass infolge der bewussten und gewollten Verschleppung der Anlage 16 Endlagerfrage auch dann noch kein Endlager vorhan- den ist, wenn die Genehmigung der Zwischenlager Erklärung nach 40 Jahren ausläuft. von Minister Claus Möller Zusammenfassend stelle ich zu dem vorliegenden (Schleswig-Holstein) Gesetzentwurf fest: zu Punkt 21 der Tagesordnung Erstens. Der Ausstieg aus der Nutzung der Kern- Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung zur energie ist derzeit nicht geboten. Er ist wirtschafts- Änderung des Atomgesetzes ist nach Auffassung der und umweltpolitisch das völlig falsche Signal. Schleswig-Holsteinischen Landesregierung ein Mei- Zweitens. Die Bundesregierung hat keinerlei Sicher- lenstein auf dem Weg zum dringend notwendigen heitsbedenken, den Energieversorgern weiterhin die Ausstieg aus der Atomenergie. Erzeugung von Reststrommengen zu garantieren. Sie Ich hätte mir als für die Reaktorsicherheit verant- bestätigt damit den international anerkannten hohen wortlicher Landesminister eine raschere Beendigung Sicherheitsstandard deutscher Kernkraftwerke. der Kernenergienutzung und insbesondere kürzere Restlaufzeiten gewünscht. Doch ist die Vereinbarung Der vorliegende Gesetzentwurf trägt in keiner zwischen Bundesregierung und Energieversorgungs- Weise zur Beschleunigung der Verfahren für die Er- richtung des Endlagers Gorleben bei. Im Gegenteil: unternehmen vom Juni des vergangenen Jahres ein Die bestehenden Regelungen zur Beschleunigung notwendiger Kompromiss, der den unterschiedlichen des Verfahrens für das Endlager Gorleben sollen wie- Interessenlagen und energiepolitischen Standpunk- der aufgehoben werden. Für Gorleben besteht damit ten Rechnung trägt. Die eingebrachte AtG-Novelle ein zwischen der Bundesregierung und der Elektrizi- sorgt für die gesetzliche Verankerung der genannten tätswirtschaft abgesprochenes Erkundungsmoratori- Vereinbarung und schafft für alle Seiten die notwen- (B) um. Hierzu stelle ich fest: Die Bundesregierung ist dige Rechtssicherheit. (D) nicht ermächtigt, einseitig ein solches Moratorium zu Ich fordere hier und heute insbesondere die in den verhängen – schon gar nicht ohne Beteiligung und Ländern für CDU, CSU und FDP Verantwortung gegen den erklärten Willen der betroffenen Bundes- Tragenden auf, den nach langjährigem Ringen gefun- länder. denen Atomkonsens und die entsprechende rechtli- che Umsetzung nun auch mitzutragen. Sie sollten Mit dem Erkundungsmoratorium für Gorleben wird akzeptieren, dass die Vereinbarung nicht nur von die internationale Rolle Deutschlands bei der Lösung der Energiewirtschaft unterstützt wird, sondern dass der Endlagerfrage in unverantwortlicher Weise auf- der vorgezeichnete Kernenergieausstieg in ganz gegeben. Deutschland war mit der Erkundung eines Deutschland breite Zustimmung gefunden hat. Darü- Endlagers im Salzstock Gorleben für die Aufnahme ber hinaus hat er weltweit Beachtung gefunden und insbesondere hochradioaktiver Abfälle sehr weit. ist ein deutlicher Schritt hin zu einer sicheren und Eine Inbetriebnahme bis zum Jahre 2015 schien realis- nachhaltigen Energieversorgung. tisch. Die nahezu leer stehenden Zwischenlager in Ahaus und Gorleben hätten in den kommenden Ich glaube, mit aller Zurückhaltung für Schleswig- 15 Jahren alle hochradioaktiven wärmeentwickeln- Holstein in Anspruch nehmen zu können, dass aus dem den Abfälle aus der Wiederaufarbeitung sowie die nördlichsten Bundesland schon vor vielen Jahren der beim Betrieb der Kernkraftwerke anfallenden abge- jetzt vorgegebene Weg zum Umstieg auf eine ressour- brannten Brennelemente aufnehmen können. censchonende sozialverträgliche Energiepolitik einge- fordert worden ist. Insofern erfüllt mich die vorliegende Drittens. Das von der Bundesregierung mit den Bundesrats-Drucksache mit einem gewissen Stolz, ist Energieversorgern ausgehandelte Moratorium in der sie doch ein Ergebnis auch unserer Bemühungen. Endlagerfrage ist unnötig, unbegründet und wider- spricht den Sicherheitsinteressen unserer Bürger Wir können am heutigen Tage nicht über das sowie vitalen Interessen der deutschen Bundesländer, Thema „Atomkraft“ diskutieren, ohne auf aktuelle die radioaktive Abfälle für den Bund zwischenlagern Entwicklungen einzugehen. Die Terroranschläge vom müssen. Der Bund kündigt damit einseitig und ohne 11. September haben weltweit zu einer neuen Sensi- Not den bisherigen Konsens in der Entsorgungsfrage bilität in Sicherheitsfragen geführt. Dies betrifft auch auf; er verzögert unnötig die Endlagerung auf unbe- die Sicherheit von Atomanlagen bei bisher nicht für stimmte Zeit. möglich gehaltenen Flugzeugabstürzen. Es war kon- sequent, dass Bundesumweltminister Trittin nur weni- Alles in allem: Der Ausstieg aus der Kernenergie ge Tage nach dem 11. September die Reaktorsicher- ohne Alternativen isoliert die Bundesrepublik Deutsch- heitskommission um eine Bewertung gebeten hat, 580* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) damit rasch entschieden werden kann, wie die Reak- Anlage 17 (C) toraufsicht zu reagieren hat. Erklärung Einzelne Landesregierungen, darunter die Schles- wig-Holsteinische, haben unmittelbar Kontakt zu Be- von Bundesminister Jürgen Trittin treibergesellschaften und den Sicherheitsexperten bei den Gutachterorganisationen aufgenommen und ei- (BMU) gene Prüfungen eingeleitet. Es gilt, jede einzelne zu Punkt 21 der Tagesordnung Atomanlage auf den Prüfstand zu stellen. Vorschnelle Bewertungen nach dem Motto: „Die deutschen Kern- Sie alle haben die Diskussionen und Medienberich- kraftwerke sind absturzsicher“ sind genauso fragwür- te des vergangenen Monats verfolgt. Seit dem dig wie die These, es sei – unabhängig von Kraftwerks- 11. September wird nie wieder jemand den Absturz typ und Baujahr – überhaupt kein Schutz gegeben. eines Flugzeugs auf ein Atomkraftwerk als ein zu ver- nachlässigendes Restrisiko bezeichnen können. Der vom Bundesverfassungsgericht zu Richtschnur gemachte „Maßstab praktischer Vernunft“ hat dazu Wir dürfen das Thema „Sicherheit“ nicht auf „slee- geführt, dass zumindest die neueren Atomanlagen pers“, auf Geldwäscher, auf mögliche Akteure des gegen eine ganze Reihe von möglichen Einwirkun- Terrors und ihre Netzwerke reduzieren. Genauso gen ausgelegt worden sind. Die Vorstellungskraft hat wichtig ist, dass wir unsere Verwundbarkeit reduzie- aber nicht ausgereicht, Anschläge wie jene vom ren. Das betrifft nicht nur den Flugverkehr. Es geht 11. September einzukalkulieren. Wie aus der gerade nicht nur um abgeschlossene Cockpits und um Si- veröffentlichten Stellungnahme der Reaktorsicher- cherheitskontrollen an Flughäfen. Wir schaffen Si- heitskommission hervorgeht, reichen die vorliegen- cherheit vor allem durch den Ausstieg aus der Atom- den Untersuchungen nicht aus, um die Folgen solcher kraft und durch die Überprüfung der Anlagen Attacken auf Reaktoren sicher abzuschätzen. Die RSK angesichts der neuen Situation. schließt „im Einzelfall auch massive Freisetzungen ra- Derzeit stellen wir den Stand der aktuellen Siche- dioaktiver Stoffe“ nicht aus. Wirksamster Schutz sei rungs- und Sicherheitsvorkehrungen gegen Terroran- nach Ansicht der RSK die Minimierung der Eintritts- wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen. Ich meine, schläge dieser Dimension fest. der wirksamste Schutz ist der zügige geordnete Aus- Darüber hinaus geht es im Falle einer verschärften stieg aus der Kernenergie. Diesen wollen wir heute konkreten Gefahrenlage um Maßnahmen, die mehr mit der AtG-Novelle beschließen. Sicherheit bieten. Das kann auch heißen, dass wir von Da der Schutzzustand der deutschen Kernkraftwerke den Betreibern verlangen, die alten Anlagen nach- gegenüber terroristischen Angriffen gegenwärtig nicht zurüsten – oder aber abzuschalten und die verblei- (B) geklärt ist, sollten die Länder gemeinsam die Bundes- benden Strommengen auf jüngere Kraftwerke zu (D) regierung, die für die Reaktoraufsicht in Deutschland übertragen. Das AtG ist ein hervorragendes Instru- oberste Verantwortung trägt, zu einer umfassenden ment, einen solchen Prozess der Risikominimierung und kurzfristigen Risikoanalyse auffordern. Hierzu hat ohne Verzögerungen zu realisieren. Deshalb müssen Schleswig-Holstein heute einen Entschließungsantrag wir die Novelle umgehend in Kraft setzen und dann vorgelegt. Wir müssen der Öffentlichkeit deutlich auf der Basis von Empfehlungen der RSK Vereinba- machen, dass die Politik ihre allerwichtigste Aufgabe, rungen treffen und umsetzen. Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, ernst Wenn die Innenbehörden einen terroristischen An- nimmt. Bund wie Länder haben für das Kraftwerks- schlag für möglich halten, werden die Landesumwelt- personal und für die Bürgerinnen und Bürger die größt- minister und der BMU zu entscheiden haben, ob ein- mögliche Sicherheit zu gewährleisten. zelne oder sogar alle deutschen Atomkraftwerke Wir begegnen zugleich der Angst, die vielfach vor- abgeschaltet werden müssen. Ich schließe in diesem handen ist. Angst ist kein guter Berater und greift Zusammenhang ausdrücklich nichts aus. vor allem dort um sich, wo Unsicherheit herrscht. Wir sollten besonnen handeln und zu mutigen Entschei- Die Möglichkeit von Terroranschlägen, von Sabota- dungen bereit sein. Ich appelliere gleichzeitig an die ge, aber auch von technischem oder menschlichem Energiewirtschaft. Versagen schafft unkalkulierbare Risiken, solange Atomkraftwerke laufen. Beispiele der vergangenen Wenn es sich bestätigen sollte, dass einzelne ältere Monate waren Krümmel und Philippsburg. Reaktoren den aktuellen Anforderungen nicht ausrei- chend entsprechen, dann kann von einem Instrumen- Ich habe mir schon oft die Frage gestellt, ob ein Mit- tarium Gebrauch gemacht werden, das der Atomkon- arbeiter eines AKW die Gefahr, mit der er acht Stun- sens vorgezeichnet hat und das in der AtG-Novelle den täglich umgeht, verdrängen muss, weil er die verankert ist: So können einzelne Anlagen vorzeitig Verantwortung, die Gefahr eines GAU möglicherwei- vom Netz genommen und deren Strommengenkontin- se gar nicht ertragen kann, wenn er sie ständig vor gente auf modernere Kraftwerke übertragen werden. Augen hat, ob das ein Überlebensmechanismus ist, Prüfen wir, inwieweit dies notwendig sein könnte! Die den man einkalkulieren müsste. Tolerieren kann und Bevölkerung wartet darauf, sie sollte nicht zu lange darf man ihn als Aufsichtsbehörde nicht, auch nicht warten. als Betreiber. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung zu Die Fälle, über die wir derzeit reden, sind aber noch dem genannten Entschließungsantrag des Landes sehr viel brisanter. Festzustellen ist ein teilweise ekla- Schleswig-Holstein. tanter Mangel an Gefahrenbewusstsein, an Sicher- Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 581*

(A) heitskultur. Wenn es richtig ist, dass die Sicherheit der schmelze kommen – und ein Wind- oder Solarfeld ist (C) Anlage von einer funktionierenden Schnellabschal- auch kein Angriffsziel für Terroristen. tung abhängt, wenn es dazu funktionierender Kühl- Die Energiewende schafft außerdem neue Arbeit. systeme bedarf – wie konnte dann ein verantwort- Auf dem Sektor erneuerbare Energien sind heute liches Sicherheitsmanagement in Kenntnis des schon mehr Menschen beschäftigt als in der Atom- Umstandes, dass drei der vier Flutbehälter nicht aus- wirtschaft. Allein 30 000 Jobs entstanden im vergan- legungsgerecht bereitstanden, entscheiden, eine sol- genen Jahrzehnt in der Windbranche. Klimaschutz che Anlage weiter zu betreiben? Ein solcher Mangel und Energiewende zusammen werden bis 2020 netto an Gefahrensinn macht die Abschaltung zwingend. 200 000 neue, zusätzliche Jobs entstehen lassen. Ich bin froh, dass der Betreiber selbst schließlich auch zu dieser Einschätzung gekommen ist. Das neue Atomgesetz verbietet es, auch nur ein neues Atomkraftwerk zu errichten. Wir verkürzen die Philippsburg führt uns jedoch zu zwei allgemeinen bisher unbefristeten Betriebserlaubnisse auf 32 Jahre Fragen: Sind wir allzu menschlich, um eine Technolo- nach Inbetriebnahme. Im Jahr 2010 wird etwa die gie mit einem derartigen Zerstörungspotenzial sicher Hälfte der AKW abgeschaltet sein. Die durchschnittli- zu managen? Wollen wir eine Technologie, die uns che Restlaufzeit beträgt knapp zwölf Jahre. 2020 ist zwingt, jedem zu misstrauen, in jedem einen potenzi- voraussichtlich für alle Schluss. Kein Land der Welt ellen Terroristen zu sehen, der auch nur in die Nähe mit einem derart ausgeweiteten Atomprogramm eines AKW kommt? Der Gedanke, jede LTU automa- steigt so schnell aus wie wir. tisch abzuschießen, die sich im 40-km-Radius einem AKW nähert, ist absurd und menschenverachtend. Atomstrom ist ein Auslaufmodell. Dem haben auch Anders aber würde man den Kurs des Flugzeugs nicht die Betreiber zugestimmt. Wir haben klare Perspekti- verändern können. ven für alle Beteiligten geschaffen: Für die Atomener- giegegner ist klar, wie lange die Atomkraftwerke in Eine so gefährliche Technologie widerspricht jeder der Bundesrepublik noch laufen können. Bei Ab- Vernunft. Aber mit dieser Einsicht ist es nicht getan. schluss der Vereinbarung waren es im Durchschnitt Denn der Einstieg in die Atomenergie war ein Sün- noch 13 Jahre pro Anlage, jetzt schon sind es nur noch denfall, der die Rückkehr in den Garten Eden auf alle knapp 12. Auch die Energieversorger haben klare Zeiten versperrt. Wir müssen die Kernkraftwerke ab- Rahmenbedingungen. bauen. Wir werden noch Jahrzehnte Atomtransporte Das ist für die Betreiber wichtiger als eine Pro-Kern- haben. Wir müssen Endlager für den noch Tausende energie-Politik, die dann doch durch politische Wechsel von Jahren hoch gefährlichen Atommüll bauen und und durch gesellschaftlichen Unfrieden unberechenbar bewachen. Noch Generationen nach uns werden bliebe. Ich frage mich, wessen Eigentumsrechte Bay- lebensgefährliche Sicherheitsrisiken und hohe Kosten (B) ern, Baden-Württemberg und Hessen vor dem Verfas- (D) haben. sungsgericht verteidigen wollen. Gegen die Eigentü- Der Einstieg in die Atomenergie hat damit auch das mer, die den Konsens am 11. Juni 2001 unterzeichnet Grundprinzip der Demokratie verletzt. Denn sie folgt haben? dem Gedanken, dass die Menschen, die in einem be- Zweifellos wäre es schön gewesen, das AtG ge- stimmten Gebiet leben, gemeinsam über eine Maß- meinsam mit allen Verbänden in gleicher Intensität nahme entscheiden, die ihren Lebenszeitraum und ihr vorzubereiten. Nur: Machen wir uns doch nichts vor! Gebiet betrifft. Die Mehrheit der Bevölkerung ist Wären wir so verfahren, hätten wir heute kein Aus- nicht bereit, das Risiko durch Atomkraftwerke hin- stiegsgesetz. Wir wären nicht so weit gekommen, wie zunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat die es der Regierung am 11. Juni 2001 in ihrer Vereinba- Verantwortung für die Entscheidung über den geord- rung mit den Betreibern gelungen ist. Was ist uns nun neten Ausstieg dem Gesetzgeber zugewiesen. wichtiger: der Weg oder das Ziel? Mir ist, vor allem Wir handeln entsprechend dieser Verantwortung, bei der Kernenergie, das Ziel wichtiger. Denn seit wir indem wir den Zweck des Atomgesetzes in sein Ge- AKW haben, leben wir mit der Situation, dass es genteil verkehren. Das alte Atomgesetz diente der Si- immer wieder neue, bisher nicht vorausgesehene Ri- cherstellung des unbefristeten Betriebs. Das neue siken gibt. Der 11. September ist nicht das erste dient der geordneten Beendigung der Atomenergie. Datum, das uns das Fürchten lehrt. Der 26. April 1986 Ich gehe davon aus, dass die Entscheidung über den steckt uns allen nach wie vor in den Knochen. Des- Gesetzentwurf im Bundestag bis zum Jahresende ab- halb: Lieber auf diesem Weg ans Ziel kommen als gar geschlossen wird. Das Gesetz bedarf nicht der Zu- nicht ankommen! stimmung des Bundesrates. Ich bin mir sicher, dass Während des relativ langen Zeitraums zwischen Pa- diese Rechtsauffassung auch in Karlsruhe Bestand raphierung im Juni 2000 und Unterzeichnung der hat, sollte es zu einem Verfahren beim Bundesverfas- Vereinbarung im Juni 2001 ist es uns gelungen, einen sungsgericht kommen. weiteren großen Energieversorger, nämlich die Ham- burgischen Electricitäts-Werke, mit ins Boot zu neh- Unser übergeordnetes politisches Ziel ist es, die men und zentrale, in der Vereinbarung noch relativ Energieversorgung auf sichere Füße zu stellen. Des- offen formulierte Fragen gemeinsam zu klären, dar- halb flankieren wir den Atomausstieg mit erheblichen unter die Erhöhung der Deckungsvorsorge und den Anstrengungen in den Bereichen Energieeinsparung Entsorgungsvorsorge- bzw. Verwertungsnachweis. und Energieeffizienz und mit dem forcierten Einstieg in erneuerbare Energien. Um es einmal ins Bild zu Unsere Entschlossenheit und unsere Erfolge bei der bringen: Bei einem Windfeld kann es nicht zur Kern- Energiewende sind für andere Länder eine Heraus- 582* Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001

(A) forderung. Wir wollen und werden zeigen, dass eine Somit sind im Schwerpunkt nicht die Gesetzgebungs- (C) große Industrienation auch ohne Atomstrom prospe- befugnisse der Länder betroffen. Die Voraussetzun- rieren kann. gen für eine maßgebliche Berücksichtigung liegen nicht vor. Gerade weil wir selbst so unbeirrt diesen Weg gehen, konnten wir es bei der Weltklimakonferenz in Bonn durchsetzen, dass die Atomkraft von den „fle- xiblen Mechanismen“ bei der Gutschrift von Treib- hausgasemissionen ausgenommen wird. Damit wächst Anlage 19 die Chance, dass Atomkraft auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zum Auslaufmodell wird. Erklärung In der Europäischen Union gibt es bereits eine von Staatsminister Reinhold Bocklet Mehrheit gegen die Atomenergienutzung: Fünf (Bayern) Mitgliedstaaten – Griechenland, Irland, Dänemark, Punkt 31 Portugal, Luxemburg – sind nie eingestiegen. Zwei zu der Tagesordnung – Österreich und Italien – sind bereits ausgestiegen. Neben uns haben vier Länder – Schweden, Belgien, Die Methode der offenen Koordinierung ist auf dem die Niederlande und Spanien – Ausstiegs- oder Mora- Vormarsch und dehnt sich auf weitere Politikbereiche toriumsbeschlüsse gefasst. Nur die Regierungen von aus. Nunmehr hat sie auch die Alterssicherungssyste- Großbritannien, Finnland und Frankreich halten rela- me der Mitgliedstaaten erreicht. Die Mitteilung der tiv unbeirrt an der Atomenergienutzung fest. Kommission vom 3. Juli 2001 zur Durchführung der offenen Koordinierung im Rentenbereich macht deut- Präsident Bush plant leider neue AKW. Er will auch lich, welcher Weg hier eingeschlagen werden soll. die Laufzeiten der AKW von 40 auf 60 Jahre verlän- Angestrebt wird ein offensichtlich an dem Vorbild der gern. Es fällt mir in Zeiten der Hochtechnologie aller- europäischen Beschäftigungspolitik orientierter Koor- dings schwer, mir ein 60 Jahre altes Atomkraftwerk dinierungsprozess. Hierfür sollen europäische Ren- vorzustellen. So etwas gehört ins Museum und nicht tenziele festgelegt, in nationale Politiken umgesetzt ans Netz! Auch die Entwicklung neuer, angeblich si- und sodann anhand europäischer Indikatoren regel- cherer Reaktorlinien ist aus meiner Sicht ein Irrweg. mäßig überwacht werden.

Atomenergie birgt zu viele Risiken. Sie ist der Zivil- Arbeitslosigkeit und demografischer Wandel, aber gesellschaft heute noch weniger auf Dauer zumutbar auch eine sich ändernde Arbeitswelt sowie neue Fa- als vor vier Wochen. Man muss kein Wahrsager sein, milienstrukturen setzen Leistungsfähigkeit und Fi- (B) um vorauszusagen, dass auch die amerikanische Be- nanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme unter (D) völkerung in naher Zukunft zu der Einsicht kommen Druck. Die Modernisierung der Systeme des sozialen wird, die Johannes Rau einmal auf den Punkt brachte: Schutzes stellt daher eine Herausforderung für alle „Es gibt auch Arbeitsplätze, die kann man nicht er- Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar. Vor halten, weil die, die Kapital investiert haben, damit diesem Hintergrund ist ein Informations- und Er- Altlasten produziert haben.“ fahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sinnvoll und hilfreich, um voneinander lernen zu kön- Die Terroranschläge sollten für uns Anlass sein, die nen. Energiewende noch engagierter als bisher zu betrei- Leider müssen wir feststellen, dass sich der Koordi- ben. Denn wenn wir unsere Verwundbarkeit reduzie- nierungsprozess nicht auf das gegenseitige Vonein- ren, macht uns das sicherer, als es Hundertschaften ander-Lernen beschränken wird, sondern dass nach von Polizisten und Grenzschützern je könnten. dem Vorbild der europäischen Beschäftigungspolitik ein Koordinierungsprozess mit Zielvorgaben einge- leitet wird, für den eine entsprechende Kompetenz im Bereich des sozialen Schutzes auf EG-Ebene nicht vorhanden ist. Wir lehnen daher den von der Kommis- Anlage 18 sion vorgesehenen Koordinierungsprozess mit Zielen und deren Überwachung anhand von Indikatoren be- Erklärung reits auf Grund der fehlenden Gemeinschaftskompe- tenz ab. Darüber hinaus stehen wir der absehbaren von Parl. Staatssekretär Matthias Berninger Entwicklung vor allem unter folgenden Aspekten (BMVEL) äußerst kritisch gegenüber: zu Punkt 26 der Tagesordnung Eine Koordinierung mit Zielvorgaben bringt die Ge- Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, fahr einer schleichenden Harmonisierung mit sich, dass die Stellungnahme des Bundesrates zu dem die den unterschiedlichen Ausgangslagen, Notwen- Richtlinienvorschlag gemäß § 5 Abs. 2 EUZBLG maß- digkeiten und Möglichkeiten in den Mitgliedstaaten geblich zu berücksichtigen ist. nicht gerecht wird. Bei dem Richtlinienvorschlag liegt das Recht zur Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ge- Gesetzgebung beim Bund. Die Bundeskompetenz er- staltung und Finanzierung ihrer Sozialschutzsysteme gibt sich aus Artikel 73 Nr. 7, Artikel 74 Abs. 1 Nrn. 11 darf nicht durch einen Koordinierungsprozess mit und 20 sowie aus Artikel 75 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz. Zielvorgaben, Indikatoren etc. ausgehöhlt werden. Bundesrat – 768. Sitzung – 19. Oktober 2001 583*

(A) Die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für nen Koordinierung auch im Bereich der Zuwande- (C) ihre Sozialschutzsysteme steht nur noch auf dem Pa- rungspolitik angekündigt. pier, wenn Mitgliedstaaten bestimmte Reformen vor- Man kann darüber streiten, wie die Auswirkungen gegeben werden und die Fortschritte mittels Indikato- der offenen Koordinierung im Einzelnen aussehen wer- ren überwacht werden. den. Kein Zweifel kann jedoch daran bestehen, dass Es besteht die Gefahr von Kompetenzüberschrei- damit alle Bemühungen um eine klare Abgrenzung der tungen durch einen breit angelegten Ansatz, der auch EU-Kompetenzen konterkariert werden. Es ist das in andere Politikbereiche, z. B. die Lebenssituation äl- gemeinsame Ziel aller Länder, im Rahmen des Post- terer Menschen im Allgemeinen, ausgreift. Nizza-Prozesses präzise Zuständigkeitsregelungen zu formulieren, die der EU nach dem Subsidiaritäts- Die faktische Einschränkung der nationalen Hand- prinzip nur die Aufgaben zuweisen, die notwendiger- lungsspielräume durch Zielvorgaben schränkt den weise auf europäischer Ebene wahrgenommen werden politischen Wettbewerb ein, der am besten geeignet müssen. Die Länder waren die treibende Kraft, die be- ist, innovative Lösungsansätze hervorzubringen. wirkt hat, dass nunmehr die Kompetenzabgrenzung Im Übrigen werden gemeinschaftsweite Zielvorga- auf der Tagesordnung ist. Dieses Projekt wird gefähr- ben der Vielfalt in der Gestaltung der Sozialschutzsys- det, wenn Zuständigkeitsgrenzen durch immer aus- teme nicht gerecht. greifendere Koordinierungen außerhalb der Verträge verwischt werden. Die offene Koordinierung im Rentenbereich ist nur ein Beispiel dafür, dass die Bundesregierung der stän- Schließlich steht diese Entwicklung in diametralem digen Ausdehnung der offenen Koordinierung durch Gegensatz zum Ziel der Demokratisierung bzw. Parla- die Europäischen Räte nicht entschlossen entgegen- mentarisierung Europas. Die offene Koordinierung tritt, obwohl der Bundesrat in zahlreichen Beschlüs- findet außerhalb der vertraglich fixierten Rechtsset- sen eine kritische Haltung zur offenen Koordinierung zungs- und Entscheidungsmechanismen statt. Damit eingenommen hat. Jüngst – Mitteilung vom 11. Juli werden nicht zuletzt die Mitwirkungsrechte der Par- 2001 – hat die Kommission die Anwendung der offe- lamente ausgehebelt.

(B) (D)