Brandenburgisches Landeshauptarchiv Landesverband

24 2007 Brandenburgische Archive Berichte und Mitteilungen aus den Archiven des Landes Brandenburg

Lieselott Enders zum 13. Februar 2007

Friedrich Beck zum 20. Juni 2007

Herausgegeben vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv und dem Landesverband Brandenburg im VDA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. ewig authentisch vertraulich Die Erwartungen an ein Archiv sind hoch. scopeArchiv ist der beste Weg, Daten zu bewahren und zu verzeichnen.

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Zum Geleit ...... 3 Von Dr. Klaus Neitmann

Ein ungewöhnlicher Dachbodenfund – Das Wappenprivileg König Ferdinands I. für Vetschau von 1548 ...... 5 Von Werner Heegewaldt

„Stolpersteine“ – Archivalien und Gedenkkultur ...... 13 Von Monika Nakath

Übernahme von Unterlagen aus der Sammlung „NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit“ in das Brandenburgische Landeshauptarchiv ...... 19 Von Frank Schmidt

Arbeitsbericht zur Edition der „Protokolle der SED-Landesleitung Brandenburg von 1946 bis 1952“ ...... 27 Von Susanna Wurche

Bewertung von Unterlagen der volkseigenen Wirtschaft ...... 31 Von Katrin Verch

Probleme der Bewertung von Massenakten an Beispielen aus der Landesverwaltung Brandenburg ...... 37 Von Rosemarie Posselt

15 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz – 15 Jahre Akteneinsicht in der Behörde BStU, Außenstelle ...... 45 Von Gisela Rüdiger, Annett Wernitz

Stadtarchiv und Stadtjubiläum ...... 49 Von Rolf Rehberg

Das „Archiv verschwundener Orte“ in Forst-Horno – multimediale Erinnerung an die abgebaggerten Dörfer des Lausitzer Tagebaureviers ...... 53 Von Jan Klußmann

Landesgeschichte(n)

Das „Schaufenster“ des Brandenburgischen Landeshauptarchivs im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte – eine Kooperation von Kultureinrichtungen zur Präsentation von Archivalien aus der brandenburgischen Landesgeschichte ...... 57 Von Klaus Neitmann

1 Brandenburgische Archive · 24/2007 Quellen zur brandenburgischen Landesgeschichte: Um Einheit oder Zerfall der Mark Brandenburg im 14. Jahrhundert: Die denkwürdige Geschichte vom raschen Aufstieg und tiefen Fall des „falschen“ Woldemar ...... 61 Von Klaus Neitmann

Wandel zum digitalen Dienstleister – die Fotowerkstatt im Brandenburgischen Landeshauptarchiv ...... 65 Von Helga Bagemihl, Klaus Etzenberger

Vollendung der Beständeübersicht des Brandenburgischen Landeshauptarchivs:

Veröffentlichung des Teilbandes III/2 „Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990“ ...... 67

Grußwort ...... 67 Von Johanna Wanka

Vom Nutzen des Archivs für die Historie und das Leben – Der Beitrag des Brandenburgischen Landeshauptarchivs zur brandenburgischen Zeitgeschichtsforschung...... 68 Von Klaus Neitmann

Die Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs aus der Zeit 1952 – 1990 – Bemerkungen zum Inhalt und zum Zweck des Werkes ...... 74 Von Katrin Verch

Mitteilungen

Neuerscheinungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 2006 ...... 77

Zweiter Kurs der berufsbegleitenden Ausbildung zur/zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv:

Resümee ...... 82 Von Uwe Schaper

Bemerkungen eines Dozenten ...... 84 Von Michael Scholz

Erfahrungsbericht der Kursteilnehmer/innen...... 86 Von Heike Thun und Thomas Mietk

Impressum ...... 88

2 Brandenburgische Archive · 24/2007 Zum Geleit gefundenen Antworten und Lösungen vorstellen. Es versteht sich geradezu von selbst, dass dabei auch Mit dem vorliegenden Heft wird die regelmäßige Her- Ereignisse und Vorgänge der brandenburgischen ausgabe von Heften der Zeitschrift „Brandenburgische Landesgeschichte zur Sprache kommen, haben sie Archive“ fortgesetzt, nach einer spürbaren zeitlichen doch in den behandelten Unterlagen ihren Nieder- Unterbrechung, die manchen Leser, wie die Redakti- schlag gefunden. Die brandenburgischen Archive sind on feststellen konnte, danach fragen ließ, ob das ge- das Gedächtnis des Landes Brandenburg – diese meinsame Publikationsorgan des Landesverbandes vielzitierte Formel gewinnt ihre innere Berechtigung Brandenburg des Vereins deutscher Archivarinnen daraus, dass nur auf der Grundlage ihrer Bestände und Archivare e.V. und des Brandenburgischen Lan- die vielhundertjährige Vergangenheit in deshauptarchivs eingestellt worden sei. Tatsächlich ihrer ganzen Breite und Vielfalt, von den Haupt- und hat es innerhalb des Vorstandes des Landesver- Staatsaktionen der Landesherren bis hin zu den Le- bandes und innerhalb des Brandenburgischen Lan- bensverhältnissen der einfachen Leute, erforscht und deshauptarchivs längere Diskussionen über Art und dargestellt werden kann. Der Historiker-Archivar wird Umfang der Veröffentlichungen gegeben, vor dem entgegen manchem gegenwärtigen Zweifl er solange Hintergrund, dass sich mittlerweile mit dem Internet das verpfl ichtende berufsständische Vorbild bleiben, ein neues Kommunikations- und Publikationsmedium so lange man davon überzeugt ist, dass der Archivar fest etabliert hat und dass der traditionelle Druck unter zur angemessenen archivwissenschaftlichen Behand- erschwerten Bedingungen ökonomisch geschultert lung seiner Archivalien mit den in ihnen beschriebenen werden muss. Am Ende der Debatte waren sich alle historischen Verhältnissen geschichtswissenschaftlich Beteiligten darin einig, dass die „Brandenburgischen vertraut sein muss. Archive“ fortgeführt werden sollten – freilich in einer etwas veränderten äußeren und inneren Gestaltung, Die Hervorhebung der archivfachlichen, archivwissen- mit der die in den Erörterungen gegebenen Anre- schaftlichen und landesgeschichtlichen Themen deu- gungen aufgegriffen wurden. tet dem Leser dieser Zeitschrift ein breites Spektrum an Inhalten an. Ihm soll insbesondere die Möglichkeit Die „Brandenburgischen Archive“ dienen den Ar- geboten werden, sich mit den brandenburgischen chiven des Landes Brandenburg, den Archiven aller Archiven und ihren Beständen näher vertraut zu ma- im Lande vertretenen Archivsparten zur Darstellung chen und eingehender über ihre Gegebenheiten un- ihrer archivarischen Arbeit und zur Behandlung ihrer terrichtet zu werden. Einzelne Archive werden sich mit archivarischen Fachprobleme. Im Mittelpunkt ste- ihren besonderen Verhältnissen vorstellen, Bestände hen Berichte und Untersuchungen zu archivalischen werden in ihren historischen Entstehungsumständen, Überlieferungen, zu den klassischen Aufgaben der mit ihren Bearbeitungsproblemen, in ihrer historischen Archive, die mit den Stichworten Übernahme, Be- Aussagekraft analysiert werden, einzelne Quellen wertung, Erschließung und Auswertung von Archiv- werden mit ihren äußeren und inneren Merkmalen in- gut überschrieben werden. Diese Kernaufgaben, terpretiert und in größere historische Zusammenhän- die im Brandenburgischen Archivgesetz vom 7. ge gestellt werden, Lösungsansätze für den Umgang April 1994 für die öffentlichen Archive des Landes mit dem modernen Massenschriftgut werden skizziert Brandenburg ihre rechtsverbindliche Formulierung werden – das sind nur ein paar beispielhafte Felder, gefunden haben, lassen sich nur mit einer archiv- die unter dem neu eingeführten Untertitel der Zeit- wissenschaftlichen Methodik bewältigen, die in einer schrift „Berichte und Mitteilungen aus den Archiven langen Forschungsgeschichte seit dem 19. Jahrhun- des Landes Brandenburg“ zu erwarten sind. Die For- dert entwickelt worden ist und die sich in jeder Ge- mulierung soll andeuten, dass die die archivarische neration vor neuen Herausforderungen gestellt sieht. Arbeit analysierenden und refl ektierenden Berichte er- Gerade zur archivwissenschaftlichen Debatte wollen wünscht sind und sie durch kürzere Mitteilungen von die „Brandenburgischen Archive“ mit Studien, die aus allgemeiner Bedeutung ergänzt werden. Auf aktuelle der Beschäftigung mit den in den brandenburgischen Meldungen wird verzichtet, da sich dafür inzwischen Archiven verwahrten Beständen erwachsen sind, das Internet als viel geeigneteres Mittel erwiesen beitragen sowie die Fragen und Probleme, die sich hat: Mit ihm können Nachrichten und Informationen in der archivarischen Bearbeitung brandenburgischer sehr rasch an große Interessentenkreise vermittelt Überlieferungen gestellt haben, beschreiben und die werden. Der archivische Newsletter, den das Bran-

3 Brandenburgische Archive · 24/2007 denburgische Landeshauptarchiv seit zwei Jahren chenen Einsatz für die brandenburgischen Archivalien mehrfach im Jahr herausgibt, erfüllt diese Funktionen, ist es zuzuschreiben, dass sie nach ihrem offi ziellen und er entlastet und ergänzt zugleich die „Branden- Ausscheiden aus dem Archivdienst sich weiterhin mit burgischen Archive“. Die Zeitschrift wird weiterhin in allem Nachdruck der Erschließung und Auswertung bewährter Weise vom Brandenburgischen Landes- von Beständen verschrieben haben. Im Jahr ihres 80. hauptarchiv und dem VdA-Landesverband Branden- Geburtstages krönen sie ihre bisherige Lebensarbeit burg gemeinsam herausgegeben und von Kärstin mit dem Abschluss zweier Werke, mit denen sie die Weirauch (Brandenburgisches Landeshauptarchiv) Summe langjähriger oder gar jahrzehntelanger Be- redaktionell betreut werden. Sie wird künftig einmal im schäftigung ziehen. Lieselott Enders beendet die Ar- Jahr, nicht mehr wie bislang zweimal, erscheinen, in beit an der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen einem Umfang, der, wenn so viele Autorinnen und Au- Geschichte der Altmark, mit der sie nach zuvor behan- toren wie an diesem Heft mitwirken und Aufsätze über delten zwei anderen kurmärkischen Landschaften, ihre Arbeitsergebnisse verfassen, deutlich die Seiten- der Uckermark und der Prignitz, gewissermaßen den zahl der zwei Hefte früherer Jahrgänge überschreitet. „Ursprung“ der Mark Brandenburg in weitem Zugriff Es liegt an allen Archiven und ihren Mitarbeiterinnen darstellt, und Friedrich Beck vollendet mit dem Regis- und Mitarbeitern im Lande Brandenburg, dazu beizu- terband sein Urkundeninventar zu den kurmärkischen tragen, dass dieses Niveau gehalten oder gar noch Urkundenbeständen im Brandenburgischen Landes- angehoben wird, und sie sind daher alle herzlich zur hauptarchiv, die durch seine Bemühungen völlig neu Mitarbeit an dieser Zeitschrift, die ihrer alltäglichen formiert worden sind. Die Nachfolgenden können sich Tätigkeit gewidmet ist, aufgefordert. glücklich schätzen, dass sie auf die Lebensleistungen der beiden, mit denen diese das Erkenntnisvermögen Die Herausgeber der „Brandenburgischen Archive“ von Historiker-Archivaren nachdrücklich unter Beweis widmen den Jahrgang 2007, den ersten der neuge- gestellt und eine glänzende Rechtfertigung des Typus stalteten Zeitschrift, zwei Kollegen, die wohl wie kaum geliefert haben, aufzubauen vermögen. Die Heraus- andere das brandenburgische Archivwesen in dem geber überreichen Lieselott Enders und Friedrich zurückliegenden halben Jahrhundert geprägt haben. Beck dieses Heft der Zeitschrift „Brandenburgische Dr. Lieselott Enders und Prof. Dr. Friedrich Beck be- Archive“ in dankbarer Anerkennung ihrer archiv- und gehen beide in diesem Jahr ihren 80. Geburtstag. geschichtswissenschaftlichen Arbeiten und mit den Als Abteilungsleiterin und als Direktor des Bran- besten Wünschen für ihre weiteren Vorhaben – an denburgischen Landeshauptarchivs haben sie über denen es beiden sicherlich nicht mangeln wird. Jahrzehnte hinweg die Arbeit an brandenburgischen Archivbeständen zu ihrem eigentlichen Lebensinhalt Dr. Klaus Neitmann gemacht, haben mit ihren vielfältigen Bemühungen, Direktor mit ihrem Lebenswerk erreicht, dass aus einer archi- Brandenburgisches Landeshauptarchiv vischen Trümmerlandschaft, die der Zweite Weltkrieg gerade in und Brandenburg hinterlassen hatte, ein neuer Archivkörper erstand, mit dem Brandenburg zum ersten Mal in seiner Geschichte über eine eigene Einrichtung zur Bewahrung und Bearbeitung seiner archivalischen Überlieferung verfügte. Jeder Kenner weiß, dass gerade Lieselott Enders und Friedrich Beck aus den grundsätzlichen Möglichkeiten, die die Gründung eines eigenständigen „Landesarchivs Brandenburg“ im Jahre 1949 bot, mit ihrer bewun- dernswerten Tatkraft aus wahrlich bescheidenen An- fängen heraus ein beeindruckendes Ergebnis erzielt haben: ein in seinem inneren Aufbau nach archivwis- senschaftlichen Grundsätzen wohlgeformtes Archiv, das sie auf Grund ihrer fachlichen Leistungen gleich- berechtigt in die Reihe der deutschen Landesarchive eingefügt haben. Ihrem unverwüstlichen und ungebro-

4 Brandenburgische Archive · 24/2007 Ein ungewöhnlicher Dachbodenfund – stellte Urkunde wurde der Text des Privilegs von 1548 Das Wappenprivileg König Ferdinands I. für vollständig inseriert. Ein Vergleich beider Diplome Vetschau von 1548 zeigt, dass die Abschrift wort- aber nicht buchstaben- getreu erfolgte. Die spannende Frage, unter welchen Von Werner Heegewaldt Umständen die Urkunde an ihren Fundort gelangte, blieb jedoch ungeklärt. Die Besitzgeschichte ist nur Wiederentdeckung einer verschollenen Urkunde äußerst lückenhaft dokumentiert. Die letzten verläss- Im Juli 2005 machten die Bewohner eines alten Bür- lichen Nachrichten über den Aufbewahrungsort des gerhauses am Vetschauer Marktplatz eine spektaku- Privilegs stammen aus dem 18. Jahrhundert. läre Entdeckung, die über die Lokalpresse hinaus in den Medien für Aufsehen sorgte. Unter den Dielenbret- Zustand und Entstehungsgeschichte des Privilegs tern des Dachbodens fanden sie bei Renovierungs- Nicht nur die Umstände der Wiederentdeckung, auch arbeiten eine illuminierte Wappenurkunde. Während die Entstehungsgeschichte von Urkunde und Wap- Pergament und anhängendes Siegel starke Beschä- pen sind ungewöhnlich und verdienen eine nähere digungen aufwiesen, die eine Lesbarkeit erheblich Betrachtung. Das Privileg Ferdinands ist die einzige erschwerten, hatte sich die in der Mitte platzierte far- landesherrliche Wappenverleihung, die sich in der bige Wappenminiatur vergleichsweise gut erhalten. In Niederlausitz für eine Stadt nachweisen lässt, und bie- schönem Kolorit war in einer torbogenartigen Nische tet die seltene Möglichkeit, die konkreten Umstände ein Renaissanceschild mit dem Stadtwappen von Vet- einer städtischen Wappengestaltung nachzuvollzie- schau (Abb. 1 siehe 3. Umschlagseite) zu erkennen. hen. Zugleich liefert das wiederentdeckte Original die Die darüber befi ndliche Datierung in römischen Ziffern Grundlage dafür, Fehlinterpretationen der städtischen MDXLVIII verwies auf das Entstehungsjahr 1548. Geschichtsschreibung zu berichtigen. Die Vermutung, dass es sich bei dem Fundstück um das seit langem verschollene Wappenprivileg König Bevor die Urkunde näher untersucht wird, einige Worte Ferdinands I. für Vetschau handelte, lag nahe. Mit zum Zustand des Wappendiploms. Die querformatige der am 17. März 1548 in Augsburg ausgefertigten Pergamenturkunde (440 mm breit x 420 mm hoch + Urkunde hatte der deutsche König Rath und Gmaind 135 mm Umbug) zeigt das typische Erscheinungs- des Marckhts Vetzschow nicht nur ein Wappen und bild eines Wappenbriefes aus der Reichshofkanzlei.3 Siegel verliehen, sondern auch das Recht bewilligt, zu Innerhalb eines breiten Randes erscheint der block- Kirchweih einen Jahrmarkt abzuhalten. Der schlechte artige Text, in den in der Mitte die datierte Wappen- Erhaltungszustand und die Tatsache, dass das Stadt- miniatur eingeschaltet ist. Die Kanzleischrift weist nur wappen spiegelverkehrt dargestellt war, ließen jedoch wenige auf die Intitulatio beschränkte kalligrafi sche Zweifel an der Authentizität des Stückes aufkommen. Verzierungen auf. An die Plica, einen Umbug, der zur Erst die eingehende Prüfung durch das Brandenbur- Versteifung des Pergamentes dient, ist das königliche gische Landeshauptarchiv in Potsdam bestätigte sei- Siegel mit einer Schnur angehängt. Die starke Be- ne Echtheit.1 Von besonderer Bedeutung für die Un- schädigung und Verschmutzung des Privilegs gehen tersuchung war die abschriftliche Überlieferung des vermutlich auf die unsachgemäße Lagerung auf dem Privilegs, aus der sich der genaue Inhalt erschließen Dachboden zurück. Das Pergament hat sich durch ließ. Im Jahre 1652 hatten Rat und Bürgerschaft von Vetschau bei ihrem neuen Landesherrn Kurfürst Jo- hann Georg I. von Sachsen um eine Bestätigung der 37 Vetschau Nr. 318, Bl. 1-4) ist der Text frühzeitig im Wappenverleihung nachgesucht.2 In die neu ausge- Druck verbreitet worden: Relation eines Ungenannten von des Städtlein Vetschau aus sonderbaren kgl. Gnaden erhaltenen Wappens. In: Destinata Literaria et 1 Gutachten des Verfassers vom 27. Februar 2006. Fragmenta Lusatica 1(1738), S. 815-822. 2 1652 Februar 3, im Besitz der Stadt Vetschau. Die 3 Vgl. Jürgen Arndt: Die Entwicklung der Wappenbriefe Zitate folgen, wenn nicht anders erwähnt, der Abschrift von 1350 bis 1806 unter besonderer Berücksichtigung in der Urkunde von 1652, da sie den vollständigen der Palatinatswappenbriefe. In: Der Herold. Viertel- Wortlaut bietet. Wenn möglich, ist auf Grund der Ab- jahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte weichungen, z.B. Vetzschow (1652) statt Vetzschew Wissenschaften, Bd. 7 (1969-1971), S. 161ff. und (1548), für textkritische Untersuchungen das Original Michael Göbl: Die Wappenmaler an den Wiener Hof- heranzuziehen. - Neben weiteren Abschriften (Bran- kanzleien von 1700 bis zum Ende der Monarchie. In: denburgisches Landeshauptarchiv, künftig BLHA, Rep. Herold-Jahrbuch 9. 2004, S. 9-69.

5 Brandenburgische Archive · 24/2007 Feuchtigkeit und Wärme insbesondere an den Knick- einen Beamten der Reichshofkanzlei.5 Das an einer stellen verformt und zusammengezogen. Die Schrift Schnur befestigte Siegel ist zerbrochen und nur noch ist an einigen Stellen verblasst und unleserlich gewor- zu zwei Drittel erhalten. Es liegt in einer verrosteten Me- den. Außerdem lassen Löcher und Schmutzverkrus- tallkapsel, deren Deckel fehlt. Siegel und Pergament tungen Schädlingsbefall erkennen. Ein Teil der Urkun- sind jedoch fest miteinander verbunden und lassen de fehlt. Die symmetrische Faltung lässt den Schluss keine Manipulation erkennen. Die Siegelankündigung zu, dass das linke Drittel (ca. 180 mm) verloren ging, (mit unserm Kuniglichen anhangendem Insiegel), die jedoch dürfte der Textverlust durch den breiten unbe- Reste der Umschrift (+ FERDIN [...] G. ROMANORUM schriebenen Rand geringer sein. Wichtige Teile, die RE [...] ARCHID. AUST. INF. HISP. COM. TIROLI. [...]) aus den Abschriften hervorgehen, sind dadurch nicht und das Siegelbild lassen eine eindeutige Identifi zie- mehr original überliefert. Dazu gehören die Nennung rung als mittleres römisches Königssiegel zu.6 des Ausstellers König Ferdinand am Anfang der Ur- kunde, seine Unterschrift, die sich üblicherweise am Inhalt der Urkunde linken Rand unterhalb der Plica fi ndet, die Kontrasig- Wappenverleihungen an Personen, Familien und natur seines Vizekanzlers Dr. Jakob Jonas und der Gemeinden gehörten im Alten Reich zu den kaiser- Kanzleivermerk über den Befehl zur Ausfertigung der lichen Reservatrechten, d.h. sie durften nur durch das Urkunde. Die Urkunde weist aber nicht nur Schäden Reichsoberhaupt oder von ihm ernannte Vertreter aus jüngerer Zeit auf. Nach einem auf der Rückseite vorgenommen werden. Seit dem ausgehenden Mittel- angebrachten Vermerk des Vetschauer Bürgermeis- alter und vermehrt seit dem 16. und 17. Jahrhundert ters war es bereits 1715 notwendig, die Urkunde zu ist die Erteilung von Wappenbriefen – gewissermaßen „renovieren“. Die Restaurierung erfolgte in einer aus in konkurrierender Kompetenz – auch bei den deut- heutiger Sicht ungewöhnlichen Form. Das gesamte schen Reichsfürsten nachweisbar. Beispielsweise Pergament wurde auf der Rückseite auf gold-ge- sind in Bayern Wappenverleihungen für Städte, Märk- prägtes rotes Brokatpapier aufgezogen und in einer te und sogar Dörfer überliefert, die sowohl von den ca. 2 – 3 cm breiten Falz auf den Rändern der Vorder- Wittelsbacher Landesherren als auch den Bischöfen seite verklebt. Die rote Farbe ist inzwischen verblasst von Freising und Bamberg oder den hohenzollern- und ausgewaschen, aber deutlich erkennbar. Um die schen Burggrafen zu Nürnberg ergingen.7 Wappenpri- Siegelschnüre nicht zu verletzen, erfolgten Einschnitte vilegien für Kommunen waren jedoch kein Regelfall, in das Papier. Da die Unterklebung vor allem der Sta- sondern eher eine Ausnahme. Diese Tatsache muss bilisierung diente, lässt sich vermuten, dass sich die besonders erwähnt werden, da häufi g vermutet wird, Urkunde bereits 1715 durch Feuchtigkeit verzogen dass Städtewappen durchweg in einem besonderen hatte und so wieder geglättet werden sollte. Der vom Rechtsakt verliehen wurden. Im heutigen Branden- Vetschauer Bürgermeister Heinrich gefertigte Vermerk burg sind nur zwei landesherrliche Wappenbriefe für spiegelt die zeitgenössischen Herrschaftsverhältnisse Kommunen nachweisbar: das Vetschauer Privileg von wider: 1548 und ein Diplom König Friedrich I. in Preußen Renoviret. Zur Zeit unser gn[ädigen] Herschaft Ihrer für Prenzlau aus dem Jahre 1705.8 In den überwie- Excell. den Herren Hof-Marschall v. Timpling. Durch genden Fällen haben sich die kommunalen Hoheits- E[inen] E[hrwürdigen] Raht alhier. Johann George Heinrich, p[ro] t[empore] Burger Meister u. Stadt Rich- ter. Herrn Martin S[...], Herrn Elias Lehmann, Herrn 5 Die Lesung des Namens folgt der Aufl ösung in den Christopf Gotthardt [?], RathsVerwanten h[ierselbst]. Abschriften. In den Hofstaatsverzeichnissen König Fer- Vetschau, den 2t. Jannua[r] 1715. J.G. Hei[nrich]. 4 dinands lässt sich jedoch niemand mit diesem Namen nachweisen, vgl. Thomas Fellner: Die österreichische Ungewöhnlich ist auch eine vorn auf der Plica ange- Zentralverwaltung, Abt. 1, Bd. 2: Aktenstücke 1491- brachte Klappe im Brokatpapier, unter der sich die 1681, Wien 1907. 6 Otto Posse: Die Siegel der Deutschen Kaiser und Unterschrift JLaurer m[anu] p[ro]p[ria] (J. Laurer mit Könige von Maximilian I. bis Josef I. (= Die Siegel der eigener Hand) verbirgt. Vermutlich handelt es sich um Deutschen Kaiser und Könige von 751-1806, Bd. III), Dresden 1912, Tafel 22, Nr. 2. 7 Vgl. Arndt (wie Anm. 3) und Wappen in Bayern (= 4 Zitat nach der Ausfertigung. Der sachsen-merseburgi- Ausstellungskataloge der staatlichen Archive Bayerns, sche Hofmarschall Otto Wilhelm von Tümpling war von Nr. 8), Neustadt an der Aisch 1974, S. 62ff. 1712-1715 Besitzer der Herrschaft Vetschau. 8 BLHA, Rep. 8 Prenzlau U 561.

6 Brandenburgische Archive · 24/2007 zeichen aus unterschiedlichen Wurzeln, beispielswei- und nicht unwahrscheinlich ist auch, dass die Feuers- se aus Siegelbildern, in einem längeren historischen brunst als Begründung vorgeschoben wurde, um ein Prozess entwickelt. Dabei sind Veränderungen der höheres Alter und Prestige der Gemeinde vorzutäu- Wappenmotive keineswegs die Ausnahme. Die wech- schen und wegen der verlorenen Unterlagen keinen selnden Stadt- und Landesherren haben vielfach auf Beweis antreten zu müssen. Die Reichshofkanzlei die kommunalen Hoheitszeichen Einfl uss genommen. stellte die Wappenbriefe in der Regel auf Grund der Bis heute ist diese Entwicklung in Brandenburg sehr Angaben der Empfänger aus, ohne sie näher zu über- eindrucksvoll an den zahlreichen böhmischen und prüfen. Das Wappen ist in der Urkunde abgebildet und meißnischen Löwen, pommerschen Greifen oder im weitschweifi gen Stil der Zeit beschrieben: ainen märkischen Adlern in den städtischen Hoheitszeichen Schilt, in der mite nach lengs abgethailt, das hinten nachvollziehbar. 9 Roth oder Rosinfarb, darinnen erscheinnendt aines weißen Windspil Gestallt, von hindern undern bis Mit der Urkunde von 1548 verlieh Ferdinand I., als in das Oberegg aufrecht zum Sprung gestreckt, mit böhmischer König zugleich Landesherr der Nieder- krum geworffenen Schwanz, offenen Maul und roth lausitz, dem Rat und der Gemeinde des Marktes Vet- ausgeschlagener Zungen, habend umb sein Halß ain schau (Rath und Gmaind des Marckhts Vetzschow) gelb oder Goldfarb Wild Pandt und ein Ringh zurückh ein Wappen und Siegel. Die Privilegierung erfolgte auf kehrendt, und [das] vorderthail von Blaw und Waßer- Bitten des kurfürstlich brandenburgischen Geheimen farben schachsweise in zwainzig thail abgethailt. Die Rates Eustach von Schlieben, der Besitzer von wortreiche Beschreibung ist nicht nur umständlich, Herrschaft und Städtlein Vetschau war und für seine sondern auch teilweise ungenau und entspricht nicht Untertanen handelte. Als Begründung wird angeführt, der Wappenmalerei. So stellt sich die Frage, was mit dass Vetschau ain gwondlich Wappen und Pedtschier Wasserfarbe gemeint ist. Die Darstellung zeigt, dass besaß, diese aber sampt andern Ihrer Freiheiten inn der Begriff mit Silber oder Weiß gleichgesetzt werden ainer grossen Prunnst, einer Feuersbrunst, verloren muss, obwohl vom Verständnis her Blau nahe liegt. hatten. Da sie zur Bearbeitung der Gemeinde- und Eine schachförmige Teilung von Blau und Blau ist Marktangelegenheiten (allerlei Gemaines Marckhts mangels Kontrast aber nicht möglich. Fehler dieser Sachen) benötigt wurden, suchte Schlieben um die Art sind in Wappenbriefen der Frühen Neuzeit nicht Verleihung eines andern, eines neuen Wappen[s] selten und belegen, dass die Blütezeit der Heraldik nach. Mit Pedtschier ist die Petschaft oder der Sie- längst überschritten war und entsprechende Kennt- gelstempel gemeint, mit dem man Urkunden oder nisse immer weiter verloren gingen. Briefschaften siegelte und der für die Verwaltungsge- schäfte notwendig war. Dabei handelt es sich um ein Die Gestaltung des Vetschauer Wappens geht ohne Wappensiegel, also einen Stempel, der das Gemein- Zweifel auf Eustach von Schlieben zurück. In der dewappen mit einer erläuternden Umschrift zeigte. Tradition mittelalterlicher Stadtherren machte er Im Gegensatz zum Wappen war das Siegel jedoch sein Familienwappen zur Grundlage für das neue einfarbig und entstand, indem der Stempel plastisch kommunale Hoheitszeichen. Außergewöhnlich ist in heißem Wachs oder auch Siegellack abgeformt jedoch, dass der in zweiter Ehe mit Katharina von wurde. Welche Gestalt das durch den Brand verlorene Schapelow10 verheiratete kurfürstliche Rat dafür sein Wappensiegel besaß und wann es vernichtet wurde, Ehewappen wählte. Unter Ehe- oder Allianzwappen ist unbekannt. Die Urkunde ist die einzige Quelle, die versteht man die in einem Schild vereinigten Wappen darüber berichtet. Es kann also nur spekuliert werden, der Eheleute. Während das sächsische Geschlecht ob vorher ein anders gestaltetes Wappen existierte von Schlieben in Gold einen blau-silbern geschach- oder das in der Urkunde gezeigte gemeint ist. Denkbar ten Balken führte (Abb. 2, siehe 3. Umschlagseite), zeigte das Wappen der brandenburgischen Familie von Schapelow in Rot einen silbernen Hund mit 9 Grundlegend zur Kommunalheraldik: Karl E. Demandt: Aktuelle Fragen des kommunalen Wappenwesens. In: Archivalische Zeitschrift 52 (1956), S. 116-126. - Zur Entwicklung der Siegelbilder in Brandenburg vgl. Jo- 10 Gerhard Schulz: Bauern, Bürger und Edelleute hannes Schultze: Die brandenburgischen Städtesiegel. Schapelow, Neustadt an der Aisch 1981, S. 32; Götz In: Brandenburgische Siegel und Wappen. Festschrift von Houwald: Die Niederlausitzer Rittergüter und ihre des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg. Besitzer, Bd. IV.1: Kreis Kalau, Neustadt an der Aisch Hrsg. von Erich Kittel, Berlin 1937, S. 55-74. 1998, S. 297.

7 Brandenburgische Archive · 24/2007 goldenem Halsband (Abb. 3, siehe 3. Umschlag- Jahr zwischen der Verleihung und Fertigstellung des seite).11 Das Vetschauer Stadtwappen vereint diese Siegelstempels verging, ist nichts Außergewöhnliches. leicht veränderten Wappen in einem gespaltenen, Auffällig ist die Tatsache, dass die Wappendarstellung d.h. senkrecht geteilten, Schild. Vorn ist das blau- im Siegel spiegelverkehrt erscheint und dieser Fehler silberne Schach aus dem Schliebenschen Wappen über Jahrhunderte unerkannt blieb oder zumindest zu erkennen, während hinten in Rot der nunmehr nicht revidiert wurde.13 Eine plausible Erklärung dafür aufspringende Hund der Familie von Schapelow er- ist sicherlich ein Versehen des Stempel schneiders, scheint. Die Anordnung folgt dabei dem traditionellen der ohnehin kein Meister seines Faches war, wie die Schema eines Ehewappens. Auf der bevorrechtigten, Darstellung des Hundes (Kopf und Vorderläufe) zeigt. in der Draufsicht linken (= heraldisch rechten) Seite Das Wappen musste spiegelverkehrt oder negativ in erfolgt das Männer- und auf der rechten (= heral- die Petschaft eingraviert werden, um im Abdruck po- disch linken) Seite das Frauenwappen. Bei den Ab- sitiv zu erscheinen. Dabei scheint es zu einer Vertau- weichungen gegenüber dem Familienwappen dürf- schung der Seiten gekommen zu sein. Da das Siegel ten gestalte rische Überlegungen eine maßgebliche eines der wichtigsten Anwendungsgebiete von Kom- Rolle gespielt haben. Der besseren Erkennbarkeit munalwappen ist, wurde die veränderte Fassung wei- halber ist es in der Heraldik üblich, dass die Figuren tertradiert und blieb, wenn auch mit Unterbrechungen, die zur Verfügung stehende Schildfl äche möglichst bis heute im Wappen und Siegel in Gebrauch (Abb. 5, weiträumig ausfüllen. Es ist daher zweckmäßig und siehe 3. Umschlagseite). folgerichtig, die Anordnung zu verändern, wenn sich die Fläche beispielsweise durch Teilungen reduziert. Als weiteres Vorrecht bewilligte Ferdinand der Ge- Der auf allen vier Beinen laufende Hund im Familien- meinde einen Jahrmarkt, der an Kirchweih stattfi nden wappen von Schapelow wird daher im gespaltenen sollte. Der Markt wurde dabei unter den besonderen Stadtwappen zum aufspringenden Windspiel, weil er Schutz gestellt, den auch andere vom Reich privile- so besser in die Schildteilung passt. gierte Märkte besaßen. Die erlangten Rechte waren für Schlieben in zweierlei Hinsicht wertvoll. Zum einen Die aus Vetschau überlieferten Siegel (Abb. 4, siehe 3. bedeuteten sie einen Prestigegewinn. Er konnte das Umschlagseite) belegen, dass das verliehene Wappen Wappen gestalten und durch die Verwendung seiner geführt wurde und somit Rechtskraft erlangt hat. Die Herrschaftsinsignien für alle sichtbar machen, dass es im Bild links und rechts vom Schild erkennbare Jahres- sich bei Vetschau um seinen Besitz und Herrschafts- zahl 1549 verweist auf den Zeitpunkt der Anfertigung. bereich handelte. Zum andern bedeutete das Markt- Die Jahreszahl ist auch in später nachgeschnittene recht eine wirtschaftliche Förderung des Städtleins. Petschaften übernommen worden, so dass eine Da- Es war nur von bescheidener Größe, verfügte über tierung nur auf Grund stilistischer Merkmale erfolgen geringe wirtschaftliche Ressourcen und stand in Kon- kann. Der vorliegende Abdruck (30 mm Durchmesser) kurrenz zu den benachbarten älteren und potenteren mit der Umschrift SIGILLVM CIVITATIS VETZSCHEN- Städten Calau und Cottbus. Wann der Jahrmarkt erst- SIS dürfte, nach Schrift und Renaissanceschild zu ur- mals stattfand und ob er kontinuierlich Bestand hatte, teilen, aus dem 16. Jahr hundert stammen.12 Dass ein ist mangels Quellen nicht belegbar.

11 Vgl. George Adalbert von Mülverstedt: Abgestorbener Adel der Mark Brandenburg (= Siebmachers Wappen- angehörige treue Nachbildung des ersten Siegels, buch, Bd. 6, Abt. 5), Nürnberg 1880, S. 79f. u. Tafel 47 mit dem es Form, Größe und Umschrift teilt und sich (von Schapelow) und Otto Titan von Hefner u.a.: Der bei genauer Vergleichung nur dadurch unterscheidet, blühende Adel des Königreichs Preußen, Edelleute (= daß der Kopf des Windspieles auf dem älter[e]n Siegel Siebmachers Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2), Nürnberg mehr wa[a]gerecht, auf dem später[e]n mehr senkrecht 1878, S. 356 u. Tafel 408 (von Schlieben). gestellt ist. Hupp weist außerdem daraufhin, dass in 12 BLHA, Sammlung Siegel und Wappen (LA Lübben) Nr. neuerer Zeit auch ein Stadtsiegel mit (waagerecht) I/82. Weitere Siegelabdrücke in: Geheimes Staatsar- geteiltem Wappen verwendet wurde, das oben das chiv VIII. HA, I/9 Sammlung Hupp, Kasten 3. – Otto Windspiel laufend, unten das Schach zeigte. Wie lange Hupp lagen für sein Werk: Die Wappen und Siegel diese Fassung in Gebrauch war, ist unbekannt. der deutschen Städte, Flecken und Dörfer, Bd. 1, 13 Selbst Otto Hupp (wie Anm. 12) zitiert zwar in seinem Frankfurt (Main) 1896, S.70f. noch ein Siegelstempel Sammelwerk die Beschreibung aus der Urkunde, bildet und zwei Abdrücke des 16. Jahrhunderts vor: Es ist aber ohne weitere Kommentierung die spiegelverkehr- dies [der Stempel] eine, wohl noch dem 16. Jahrh. te Fassung ab.

8 Brandenburgische Archive · 24/2007 Vetschau ist vermutlich aus einer dörfl icher Siedlung Stadterhebung nachweisbar ist, so besteht doch kein bei einer Wasserburg erwachsen und wird 1527 erst- Zweifel daran, dass sich Vetschau seit dem 16. Jahr- mals als Städtlein erwähnt.14 Der Verfassung nach hundert als Stadt bezeichnet hat und auf Grund von war es eine Mediatstadt, unterstand also nicht direkt Verfassung, Siedlungsbild und Wirtschaftsweise auch dem Landesherrn, sondern nur mittelbar, und wurde als solche galt. Beleg dafür ist das Siegel von 1549, von einem Stadtherren beherrscht. Bürgermeister und das in deutscher Übersetzung die Umschrift „Siegel Rat lassen sich schon vor 1548 im Stadtbuch15 nach- der Stadt Vetschau“ trägt. Es liegt nahe, auch hier weisen, waren aber keine selbständig handelnden Schlieben als Urheber und Förderer zu sehen, der in Organe, sondern in ihren Entscheidungen vollstän- der Siegelbezeichnung einen Anspruch formulierte: dig vom Besitzer und seinen Vertretern abhängig. In Stadt ist, was sich Stadt nennt. der ortsgeschichtlichen Literatur wird der Vetschauer Wappenbrief häufi g als Stadtrechtsprivileg inter- Das Privileg im historischen Kontext pretiert.16 Wer den Text aufmerksam liest, stellt fest, Die Entstehungsgeschichte des Wappenbriefes führt dass es sich dabei um eine Fehldeutung handelt. Die uns mitten in die religiösen Auseinandersetzungen Urkunde spricht stets von Rat und Gemeinde des des Reformationszeitalters und zeigt, wie eng Stadt- Marktes Vetschau. Der Terminus Stadt wird weder geschichte und große Weltpolitik miteinander verbun- erwähnt, noch wird eine förmliche Stadtrechtsverlei- den sein können. Als die Urkunde ausgestellt wurde, hung ausgesprochen. Der Begriff Markt oder genauer fand in Augsburg der „Geharnischte Reichstag“ statt.18 Marktort ist in dieser Region ungewöhnlich und er- Achtzehn Jahre nachdem die Confessio Augustana läuterungsbedürftig. Er bezeichnet die Minderform als lutherische Bekenntnisformel in der Reichsstadt einer städtischen Siedlung, eine Zwischenform von verkündet worden war, versammelten sich unter Dorf und Stadt, die nur teilweise städtische Funkti- der Leitung Kaiser Karl V. und seines Bruders und onen erfüllte. In der Niederlausitz sind dafür eher Be- designierten Nachfolgers König Ferdinand erneut zeichnungen wie Städtlein und Städtchen, vereinzelt die Vertreter der Reichsstände, um eine Lösung für auch Flecken geläufi g. Der Markt als Siedlungsform den Glaubensstreit zu fi nden. Neben den Kurfürsten kommt häufi ger in Süddeutschland und in den habs- zählten dazu sämtliche reichsunmittelbaren Fürs- burgischen Erbländern vor. Da die Kombination von ten, sowohl weltlichen als auch geistlichen Standes, Wappen- und Marktprivile gierung eine Besonder heit die Reichsstifte, -klöster, -städte und schließlich die in diesen Territorien war, ist wahrscheinlich, dass die Reichsritterschaft. Die brandenburgische Delegation Beamten in der königlichen Kanzlei entsprechende wurde von Kurfürst Joachim II. angeführt, den u.a. Formulare benutzten und Begriffe aus anderen Teilen seine Berater Hofprediger Agricola von Eisleben und des Reiches übertrugen.17 Wenn auch keine förmliche der kurfürstliche Geheime Rat Eustach von Schlieben begleiteten. Zentraler Streitpunkt des Reichstages war der Gegensatz zwischen katholischem und pro- 14 Rudolf Lehmann: Historisches Ortslexikon für die Niederlausitz, Bd. 1, Marburg 1979, S. 390. testantischem Lager. Da die Parteien aber auch unter- 15 BLHA, Rep. 8, Vetschau Nr. 1. einander zerstritten waren, stimmten politische und 16 Vgl. W. Braunsdorff: Aus der Vergangenheit der Stadt konfessionelle Gegnerschaft keineswegs immer über- und Herrschaft Vetschau. In: Gebirgsfreund 18.1906, ein. Nach dem Sieg über die im Schmalkaldischen Nr. 1-2, S. 10. - Hugo Rachel, in: Deutsches Städ- Bund zusammengeschlossenen Protestanten in der tebuch, Bd. 1, Stuttgart, Berlin 1939, S. 667. Rudolf Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547) hatte die kai- Lehmann (wie Anm. 14), S. 390 mit dem Datum 1543 (!) und zuletzt Gertraud Eva Schrage, in: Städtebuch serliche Partei wieder an Macht gewonnen. Karl V. Brandenburg und Berlin. Hrsg. von Evamaria Engel nutzte sie, um im Mai 1548 das auf dem Reichstag u.a., Stuttgart u.a. 2000, S. 529. Meta Kohnke: Die Ver- hältnis der niederlausitzischen Mediatstadt Vetschau im 18. und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Röschitz (Niederösterreich). Vgl. exemplarisch Herbert Diplomarbeit. Typoskript 1957, S. 3f. deutet das Siegel Erich Baumert: Die Wappen der Städte und Märkte von 1549 als Beweis für eine Stadtrechtsverleihung. Oberösterreichs, Linz 1958. 17 Ähnliche Privilegien ergingen in der Regierungszeit 18 Zur brandenburgischen Beteiligung am Zustandekom- Ferdinands z.B. 1533 an Piesting (Niederösterreich), men des Augsburger Interims vgl. Johannes Schultze: 1535 Treskowitz/Troskotovice (Mähren), 1540 Die Mark Brandenburg, Bd. 4, Berlin 1964, S. 44ff. Proßmeritz/Prosimerice (Mähren), 1550 Fehring und Nikolaus Müller: Zur Geschichte des Interims. In: (Steiermark), 1553 Weißkirchen (Steiermark), 1552 Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 5 Gnas (Steiermark), 1560 Weiz (Steiermark) und 1560 (1908), S. 51-171.

9 Brandenburgische Archive · 24/2007 ausgehandelte Augsburger Interim zu verkünden. Die händler an. Die Vermittlungstätigkeit brachte nicht nur Erklärung, wie es der religion halber im heiligen reich für Schlieben Vorteile. Für Kurfürst Joachim und sei- bis zu austrag des gemeinen concilii gehalten werden nen Hofprediger werden ebenfalls Gegenleistungen, soll, hatte zum Ziel, die protestantische Bewegung jedoch in fi nanzieller Form vermutet. So soll der stets einzudämmen und ihre Anhänger zur Rückkehr in die in Geldnot befi ndliche Kurfürst auf Fürsprache des Kö- katholische Kirche zu bewegen. Das Interim machte nigs Kredite über 16.000 Gulden und sein Hofprediger daher Zugeständnisse an die Forderungen der Protes- Agricola Geldgeschenke von Karl V. und Ferdinand I. tanten, wie z.B. die Gewährung der Priesterehe oder erhalten haben.19 des Laienkelches. Die dekretierte Kompromissformel sollte zwar bis zur Entscheidung eines Konzils gültig Biografi e Eustach von Schliebens sein, war aber in der Praxis ein Fehlschlag. Trotz der Von Eustach von Schlieben sind leider nur ungenaue militärischen Übermacht des Kaisers lehnten führen- Lebensdaten bekannt.20 Ungeachtet seiner politischen de Vertreter des protestantischen Lagers das Interim Bedeutung gibt es bisher keine Biografi e von dem ab. Aber auch bei katholischen Reichsfürsten riefen brandenburgischen Diplomaten. Es fällt daher schwer, die Zugeständnisse Ablehnung hervor. Beim Zustan- sich ein genaues Bild von ihm zu machen. Schlieben dekommen des Interims hatten der brandenburgische wurde um 1490 geboren und ist 1568 an der Pest Kurfürst und seine Berater aktiv als Vermittler mitge- verstorben. Er stammte aus einem alten und weit wirkt. Kurfürst Joachim II. gehörte zwar zum protes- verbreiteten sächsischen Adelsgeschlecht, das auch tantischen Lager und hatte 1539 die Reformation in in der Oberlausitz begütert war. Seine akademische Brandenburg eingeführt, nahm aber aus politischem Ausbildung erhielt er an verschiedenen Universi- Kalkül in den Auseinan dersetzungen zwischen Kaiser täten. 1508 immatrikulierte er sich in Wittenberg und und schmalkaldischem Bund eine abwartende und 1510 an der brandenburgischen Landesuniversität in taktierende Rolle ein. Er brauchte die kaiserliche Un- Frankfurt (Oder). Besonders hervorzuheben ist sein terstützung für seinen Plan, das Erzstift Magdeburg mehrjähriger Aufenthalt in Italien. Von 1520 bis 1523 und das Hochstift Halberstadt näher an Brandenburg studierte er an der Rechtsschule in Bologna, die zu zu binden. Für diesen Preis musste Joachim sich zur dieser Zeit zu den bedeutendsten europäischen Aka- offenen Parteinahme für die katholischen Habsburger demien zählte. Im Jahre 1529 ist Schlieben bereits bekennen und sich zum Krieg gegen die Schmalkal- als Rat im Dienst der brandenburgischen Kurfürsten dener verpfl ichten. nachweisbar.21 Besondere Bedeutung erlangte er unter Joachim II., der 1535 die Regierung übernahm. Vor diesem historischen Hintergrund erhält der Der Historiker Leopold Ranke nannte Schlieben den Wappenbrief einen konkreten Bezug. Anlass für die ersten brandenburgischen Minister von durchgreifen- Ausstellung waren die Verdienste, die sich der Be- dem und fortwirkendem Verdienst.22 Er war einer der sitzer von Herrschaft und Städtlein Vetschau erwor- wichtigsten Berater Joachims und ist sowohl bei au- ben hatte. In der Urkunde werden die angenehmen ßenpolitischen Verhandlungen, insbesondere auf den und nuzlichen Dienste [...], so gedachter Eustachius Reichstagen, als auch bei den Auseinandersetzungen von Schliben Uns und dem Heiligen Reiche gethan mit den brandenburgischen Ständen in Erscheinung mehrfach erwähnt. Diese stereotyp in Privilegien vor- getreten. Besonders hervorgehoben wird in den kommende Formulierung gewinnt in diesem Zusam- menhang eine tiefere Bedeutung. Die von Schlieben nachgesuchten Vorrechte stellten eine Gegenleistung 19 Gustav Kawerau: Johann Agricolas Antheil an den König Ferdinands für seine diplomatische Mission dar. Wirren des Augsburger Interim. In: Zeitschrift für Ferdinand war zwar ein überzeugter Anhänger des preußische Geschichte und Landeskunde, 17 (1880), alten Glaubens, erkannte jedoch frühzeitig, dass es S. 414f. und Julius Heidemann: Die Reformation in der unmöglich war, die durch die Reformation bewirkte Mark Brandenburg, Berlin 1889, S. 288. 20 Zur Biografi e vgl. Vinzenz Czech, in: Brandenbur- Glaubensspaltung zu revidieren. Stärker als sein gisches Biographisches Lexikon, Potsdam 2002, S. Bruder trat er aus politischen Gründen für eine Dul- 349 und Götz von Houwald (wie Anm. 10), Bd. IV.2 dung der Protestanten ein und verfolgte eine Politik Kreis Kalau, Neustadt an der Aisch 1992, S. 409f. der Kompromisse. Die brandenburgischen Gesand- (Seese) und 525f. (Vetschau). ten boten sich dabei als Grenzgänger zwischen den 21 Codex diplomaticus Brandenburgensis, A XII, Berlin 1857, S. 63. politisch-konfessionellen Lagern besonders als Unter- 22 Zitiert nach Johannes Schultze (wie Anm. 18), S. 84.

10 Brandenburgische Archive · 24/2007 Quellen seine hervorragende Rednergabe und die politische Umsicht. Wann Schlieben mit dem Protes- tantismus in Berührung kam, ist unbekannt. Jedoch geht aus den Unterlagen über seine diplomatischen Missionen hervor, dass er ein Parteigänger Luthers war. Schlieben war darüber hinaus auch ein geschick- ter Geschäftsmann. Er war Geldgeber des Kurfürsten und verstand es, seine Stellung am Hofe zu nutzen, um den ererbten Besitz erheblich zu vergrößern. 1536 erhielt er von Joachim II. das umfangreiche Amt Zossen auf Lebenszeit verschrieben. Ein Jahr später machte er sich in der Niederlausitz ansässig. Er erwarb das Rittergut Seese und im Jahre 1540 die Herrschaft Vetschau. Das Schloss und gleichnamige Städtlein sowie die vier Dörfer Suschow, Lobendorf, Weißagk und Schönebeck blieben nahezu 150 Jahre im Besitz der Familie.

Ausblick Kehren wir zum Schluss zum Wappenprivileg zurück. Die Urkunde ist inzwischen in den Besitz der Stadt Vetschau übergegangen. Zurzeit läuft eine Spenden- sammlung, um die aufwändige Restaurierung fi nan- zieren zu können. Das Original soll künftig im Bran- denburgischen Landeshauptarchiv sicher verwahrt und wegen des Erhaltungszustandes nur kurzzeitig in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Um das wert- volle Dokument dennoch einem größeren Publikum bekannt zu machen, ist die Herstellung eines Faksi- miles geplant, das in einer Dauerstellung gezeigt und durch Begleitdokumente kommentiert werden soll.

11 Brandenburgische Archive · 24/2007 Ordnung ist das ganze Leben!

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„Stolpersteine“ als Form des Gedenkens an NS-Opfer werden seit Beginn der Aktion außerordentlich kontro- vers diskutiert. Befürworter und Gegner setzen sich in erster Linie mit der künstlerischen Form des Geden- „Stolpersteine“ in Berlin-Mitte, 2007. kens auseinander. Besonders emotional berührt sind Gegner durch die Tatsache, dass auf den Gedenkstei- Zum Gegenstand nen gelaufen werden kann. Wiederholt wurden Steine Bei den sogenannten „Stolpersteinen“ handelt es geschändet. Dies trifft insbesondere auf „Stolperstei- sich um kleine dezentrale Denkmale, die Opfern der ne“ für jüdische NS-Opfer zu. Pro und contra führten NS-Diktatur gewidmet sind. Die 10 x 10 cm großen zu öffentlich ausgetragenen Disputen. So äußerte z.B. Betonsteine werden vor deren ehemaligen Wohnhäu- sern in den Gehweg eingelassen. Auf der Messing- oberfl äche der Steine sind Angaben zum Schicksal 1 Vgl. Flyer/Koordinierungsstelle „Stolpersteine“ (Berlin der Ermordeten eingraviert: HIER WOHNTE, der 2006). Name der Person und die Lebensdaten. 2 Am treffendsten lässt sich meine Berufsbezeichnung Geehrt werden die verschiedensten Opfergruppen: mit Bildhauer umschreiben. Uta Franke im Interview mit Gunter Demnig. In: Neue Gesellschaft für Bildende Juden, Angehörige des politischen und christlichen Kunst (Hrsg.): Stolpersteine, Berlin 2002, S.14.

13 Brandenburgische Archive · 24/2007 Oberbürgermeister Christian Ude hinsichtlich der Situ- ation in München: „Die Israelitische Kultusgemeinde lehnt Stolpersteine dezidiert ab.“3 Vorbehalte äußerte vor allem Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israe- litischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie fi nde die Steine problematisch, weil auf ihnen mit den Füßen herumgetreten werde. Andere jüdische Organisationen, wie der Zentralrat der Juden, stehen dem Projekt hingegen positiv gegenüber. Salomon Korn, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frank- furt/Main und Vizepräsident des Zentralrates der Juden, begrüßt es ausdrücklich: „Man muss sich vor Originalkartei der Vermögensverwertungsstelle beim Ober- den Opfern verbeugen, die Erinnerung blank polieren fi nanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. durch das Drüberlaufen“.4 Seit dem Jahr 2000 ist das Projekt „Stolpersteine“ Im Bestand Rep. 36 A Oberfi nanzpräsident Berlin- in ganz Deutschland bekannt und fi ndet immer wei- Brandenburg werden ca. 42.000 personenbezogene tere Verbreitung. In der gesamten Bundesrepublik Einzelfallakten zu jüdischen Deportationsopfern aus Deutschland existieren ca. 300 Initiativen. Bisher wur- der Region Berlin/Brandenburg verwahrt. Die Akten den in mehr als 174 Städten über 8.500 Gedenksteine entstanden im unmittelbaren Umfeld der Deportationen verlegt. Der Initiator Gunter Demnig erhielt im Jahr jüdischer Bürger aus der Region Berlin/Brandenburg. 2006 das Bundesverdienstkreuz. Die sogenannte Vermögensverwertungsstelle wurde zum Jahreswechsel 1941/42 beim Oberfi nanzpräsi- Recherchearbeit im Brandenburgischen Landes- denten Berlin-Brandenburg als Sonderstrukturteil er- hauptarchiv richtet. Für die deportierten jüdischen Bürger entstand Seit Anfang der neunziger Jahre sind umfangreiche zu jeder Person bzw. unter dem Namen des Familien- Recherchen zum Lebensweg und Schicksal der NS- oberhauptes zu Familien ein Karteiblatt. Im BLHA steht Opfer Bestandteil der Erinnerungsarbeit. Die biogra- eine im Umfang von 150.000 Karten überlieferte Ori- fi schen Angaben auf den Stolpersteinen basieren in ginalkartei mit biografi schen Angaben zur Verfügung. der Regel auf Informationen aus Publikationen sowie Unmittelbar vor der Deportation hatten die Betroffenen Unterlagen in verschiedensten Einrichtungen. Hat- eine „Vermögenserklärung“ auszufüllen, die das zen- ten zunächst für Berlin die im 1995 veröffentlichten trale Dokument der Akten darstellt. Erfasst wurden fast „Gedenkbuch der jüdischen Opfer des Natio- ausschließlich Personen, deren sogenannter „letzter nalsozialismus“ zugänglichen Informationen genügt, inländischer Wohnsitz“ in Berlin bzw. in Brandenburg entstand sehr schnell der Wunsch, mehr über die zu lag. Es handelt sich dementsprechend sowohl um ehrenden Personen zu erfahren. Der Weg dieser Spu- jüdische NS-Opfer, die ihr gesamtes Leben in Berlin rensuche führte folgerichtig auch zur Hauptquelle für oder Brandenburg verbrachten, als auch Betroffene, die Angaben im Gedenkbuch und damit in das BLHA. die über Berlin deportiert wurden bzw. in Brandenburg Für Brandenburg existiert bisher keine derartige Pu- als Juden Zwangsarbeit leisten mussten. blikation, so dass der Weg in das Archiv häufi g am Hervorzuheben ist, dass es sich bei den in den Akten Ausgangspunkt der Recherchen steht. Gegenwärtig enthaltenen „Vermögenserklärungen“ um Selbstzeug- erfolgen in der Regel im Vorfeld einer Steinverlegung nisse der Betroffenen – in der Regel um ihr letztes wissenschaftlich fundierte Forschungen. Hierbei steht Lebenszeichen – handelt. Sowohl der Quellenwert als die Überlieferung des Oberfi nanzpräsidenten Berlin- auch die emotionale Wirkung werden nach Abschluss Brandenburg im Mittelpunkt. der Recherchen von Benutzern immer wieder hervor- gehoben.

Die im BLHA verwahrten Listen von 179 Transporten aus Berlin, die jedoch z.T. nur als Fragmente überlie- 3 Schreiben des Oberbürgermeisters von München an fert sind, tragen dazu bei, das Schicksal der Betrof- das Projekt Stolpersteine vom 6.10.2004. In: http:// fenen bis zu ihrer Deportation verfolgen zu können. www.stolpersteine-muenchen.de/Archiv/docu.htm. 4 „Zeitzeugen“, Ausgabe 31, April-Juni 2006, S.13.

14 Brandenburgische Archive · 24/2007 Betrachtet man die im Kontext mit Stolpersteinpro- Im Dezember 2006 existierten in Berlin 20 Initiativen. jekten Anfragenden, so zeigt sich ein ziemlich hete- Nicht eingeschlossen sind in diese Zahl, direkt in Ber- rogenes Bild. Es handelt sich sowohl um Initiativgrup- liner Schulen wirkende „Stolperstein“-Arbeitsgruppen, pen, Einzelpersonen, Schülerprojekte und in zuneh- da es diesbezüglich keine vollständige Übersicht gibt. mendem Maße Angehörige. Die Erwartungshaltung Es dürfte sich jedoch zusätzlich um weitere 15 bis 20 an die Vorrecherchen bzw. die Betreuung durch die Gruppen handeln.6 zuständigen FacharchivarInnen ist z.T. sehr hoch. Es erweist sich immer wieder als problematisch, dass die Seit 2003 entstand auch im Land Brandenburg eine Anfragenden in der Mehrzahl über wenig oder keiner- Vielzahl an regionalen Initiativen. Es kann hier nur auf lei Erfahrungen in der historischen Recherchearbeit einige Beispiele eingegangen werden. verfügen. Gewünscht wird daher häufi g eine umfang- Anfang 2003 fand sich in Neuruppin erstmals ein Vor- reiche methodische Beratung bis hin zur direkten bereitungskreis „Stolpersteine in Neuruppin“ zusam- Auswertung der Unterlagen durch die Angestellten men. Im Mai erfolgte die Gründung von Arbeitskreisen des BLHA. Dies ist im Rahmen des normalen Arbeits- zu verschiedenen Opfergruppen. Mit Unterstützung alltags in den wenigsten Fällen in der gewünschten der Stadtverordnetenversammlung, die hierzu einen Intensität zu leisten und führt verschiedentlich zu Irri- Beschluss fasste, wurden im Herbst 2003 die ersten tationen bei Benutzern. Stolpersteine zu jüdischen Opfern verlegt. Der Hei- matforscher Uwe Schürmann leistete grundlegende „Stolpersteine“ in Berlin und Brandenburg Vorarbeit. Nachum Presman würdigte als Rabbiner In Berlin erfolgte 1996 im Rahmen der Ausstellung die Aktion mit folgenden Worten: „Die auf der Grund- „Künstler forschen nach Auschwitz“ in der Oranien- lage regionalgeschichtlicher Forschungsarbeit von straße die erste „Stolperstein“-Verlegung. In den Herrn Schürmann ausgewählten Personen erzählen folgenden Jahren entstand eine Vielzahl unterschied- die Geschichte der einstigen jüdischen Nachbarn in lichster Projektgruppen. Für Berlin sind hier insbeson- der Stadt. ... Ich würde mich besonders freuen, wenn dere die Aktivitäten des Kreuzberg-Museums sowie Neuruppiner Schüler durch die Stolpersteine zur Be- die Bemühungen des Bürgervereins Luisenstadt e.V. schäftigung mit der Familiengeschichte von Neuruppi- zu nennen. Im Berliner Bezirk Mitte gab die dortige ner Juden angeregt würden. ...“7 Gedenktafelkommission der Bezirksverordnetenver- Im Herbst 2004 folgte die Verlegung erster Stolper- sammlung Unterstützung. Weitere Berliner Heimat- steine für Opfer der Euthanasie aus der Landesan- museen wurden in der Folgezeit zu Anlaufpunkten stalt Neuruppin. Bei den biografi schen Recherchen für Initiativen. Einen wichtigen Impuls verlieh das Er- unterstützten die Historiker der Universität Potsdam scheinen des Berliner Gedenkbuches im Jahr 1995. Kristina Hübener und Dietmar Schulze, die unab- Die dort dokumentierten ca. 55.000 aus Berlin depor- hängig von den regionalen Aktivitäten bereits mit der tierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger forderten Krankenpfl egeschule der Ruppiner Kliniken die Ver- zur konkreten Auseinandersetzung mit der NS-Dikta- legung von Gedenksteinen vorbereitet hatten, die Ar- tur heraus. Unterschiedliche Gruppen entstanden und beitsgruppe. Symbolisch wurden sechs Gedenksteine gingen daran, in ihrem direkten Wohnumfeld nach den für Menschen verlegt, die dem grauenvollen Test zum Spuren der Ermordeten zu suchen. In den folgenden Völkermord an den Juden zum Opfer fi elen. Eine Aus- Jahren bildete sich eine weit gefächerte Landschaft von stellung zum Thema „Euthanasie“ verdeutlichte mit Initiativen heraus, die u.a. bei kirchlichen Gemeinden, der Veröffentlichung der Namen von 5.088 Opfern in politischen Gruppierungen, Interessensverbänden Brandenburg die Gesamtdimension der Verbrechen.8 von NS-Opfern, Bildungseinrichtungen angesiedelt In Frankfurt (Oder) erfolgte am 8. Mai 2005 im Rah- waren und sind. Mit Hilfe des Senats von Berlin und der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ entstand im Juni 2005 zur Unterstützung der ehrenamtlichen E-Mail: [email protected] Internet: www.kreuzbergmuseum.de. Gruppen als „zentrale Auskunfts- und Beratungsstel- 6 Auskunft der Leiterin der Koordinierungsstelle, Frau le“ für Berlin die Koordinierungsstelle „Stolpersteine“.5 Edeltraut Frankenstein am 16.2.2007. 7 www.gruene-opr.de/stolperstein.htm. 8 Vgl. Juliane Wagner: Die Ruppiner Kliniken arbeiten 5 Dienstanschrift: Koordinierungsstelle „Stolpersteine“ das fi nstere Kapitel der Euthanasie mit einem Kunst- für Berlin, c/o Gedenkstätte Deutscher Widerstand, projekt und einer Schau auf. In: Märkische Allgemeine Stauffenbergstraße 13/14, 10785 Berlin. Zeitung (MAZ) vom 20.10.2004.

15 Brandenburgische Archive · 24/2007 men der Reihe „Erinnern für die Zukunft“ die Verle- ebenso Gedenktafeln, Mahnmale und Orte jü- gung von zunächst sieben „Stolpersteinen“. Hierbei dischen Lebens heute. wurde mehrerer jüdischer Familien aus der Oderstadt Die Projektleitung wählt aus dem „Gedenkbuch gedacht, darunter Rosa und Ludwig Fürst. Mitglieder Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozia- der örtlichen Projektgruppe „Stolpersteine“ hatten die lismus“ eine Person aus, die zum Zeitpunkt der Biografi en der zu ehrenden NS-Opfer im BLHA recher- Geschehnisse im Alter der Jugendlichen war und/ chiert und im Vorfeld der Gedenkveranstaltung mit der oder im unmittelbaren Wohnumfeld der Jugend- Europa Universität „Viadrina“ Kontakte hergestellt.9 lichen lebte und Opfer des NS-Regimes wurde... 3. Aktenstudium/eigene Recherchen der Schüle- Schwerpunkt Schülerprojekte rInnen.“11 Ein besonderes Anliegen stellt für viele „Stolperstein“- Initiativen die Einbeziehung von Jugendlichen dar. Im BLHA erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, So kooperierte der Bürgerverein Luisenstadt e.V. seit anhand von Archivalien zu forschen. Zunächst wird 2001 mit sieben Schulen des Bezirkes Berlin-Mitte: in einem einführenden Vortrag die Überlieferungsla- „Mit gemeinsamen, regelmäßigen Besuchen in dem ge aufgezeigt und in die Besonderheiten der Akten Landeshauptarchiv Potsdam konnten Schüler bei der aus dem Bestand des Oberfi nanzpräsidenten Ber- Erforschung und Erarbeitung der Opferbiografi en mit- lin-Brandenburg eingeführt. Den Schülerinnen und wirken und (diese) bei der Einweihung der Gedenk- Schülern werden – soweit vorhanden – die Akten zu steine ... vortragen.“10 den gesuchten Personen vorgelegt. In Gruppenarbeit beginnt im Archiv die Erarbeitung der Opferbiografi en. Die Biografi en werden später im Rahmen der einzel- nen Projekte und unter Betreuung durch die entspre- chenden Leitungen vervollständigt. Die Erfahrungen der ersten Recherchen durch Ju- gendliche zeigten, dass das Aktenstudium im Rah- men des normalen Lesesaalbetriebes ungünstig ist. Lese-Probleme, Fragen zu den historischen Abläufen sowie der Wunsch, sich in der Gruppe auszutau- schen, führten zu speziellen Benutzungsterminen für Projektarbeit im BLHA, 2003. Schülergruppen. Erste Erfahrungen bei der direkten Arbeit mit Schüler- gruppen wurden im Jahr 2002 mit Jugendlichen der Carl-von-Ossietzky-Oberschule aus Berlin-Kreuzberg gesammelt. Die Projektarbeit erfolgt dort in der Regel in folgenden Schritten: 1. Die Jugendlichen lernen im Unterricht die Ge- schichte bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 kennen. 2. Bei einem Rundgang durch Kreuzberg, Fried- richshain und Mitte werden die Jugendlichen an unterschiedliche Formen des Gedenkens her- angeführt; Stationen dieses Rundgangs können bereits verlegte Stolpersteine in Kreuzberg sein, Arbeitsergebnisse des „Stolperstein-Projektes“ von Schü- lerInnen der Carl-von-Ossietzky-Oberschule Kreuz berg in einer Ausstellung, 2006. 9 Vgl. Erste Stolpersteine werden heute gesetzt. Gedenkveranstaltungen für Nazi-Opfer. In: MAZ vom 8.5.2005. 10 Bürgerverein Luisenstadt e.V. Projekt-Stolpersteine 11 Monika Ebertowski: Hinweise zur pädagogischen Oktober 2002 – Oktober 2003. Erinnerungen an Opfer Begleitung. In: Stolpersteine für die von den Nazis des Nationalsozialismus im öffentlichen Raum von ermordeten ehemaligen Nachbarn aus Friedrichshain Berlin durch „Stolpersteine“. Ortsteile: Mitte, Tiergarten, und Kreuzberg. Dokumentation, Texte, Materialien. Wedding und andere Bezirke. O.O., o.J. Berlin 2003, S. 75.

16 Brandenburgische Archive · 24/2007 Die unmittelbare Konfrontation mit der schriftlichen truieren: „Sie war verwitwet und lebte mit ihrer Tochter Hinterlassenschaft der NS-Bürokratie führt zu einer alleine. Mehrere von ihr gestaltete Postkarten sind im direkten Auseinandersetzung mit dem Thema NS- Museum erhalten geblieben. Als letztes Zeichen exis- Diktatur. Für die meisten Jugendlichen ist dies sehr tiert ihre Vermögenserklärung vom April 1942, danach bewegend: „... Das Wort Deportation taucht in den verliert sich ihre Spur. Es ist nicht bekannt, wohin Akten nie auf. Es wurden immer alltägliche und ver- sie und wann sie deportiert wurde. Von ihrer Tochter harmlosende Begriffe wie evakuiert oder ausgewan- konnte dies genau ermittelt werden: Regina Waldau dert verwendet. Einerseits, um die Missetaten der NS wurde am 19.2.1943 nach Auschwitz deportiert und zu vertuschen und andererseits, um den Beamten, die dort ermordet.“16 die Formulare unterschrieben, kein schlechtes Gewis- Mit Unterstützung durch Minette von Krosigk vom sen zu bereiten. Hier wird der Begriff Schreibtischtäter Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt sowie überaus deutlich. ...“ 12 Zwei Schülerinnen schreiben: Uwe Seidler, dem Schulleiter des Friedlieb-Ferdin- „Die Aktenrecherche über Gertrud und Charlotte Arn- and-Runge-Gymnasiums, beteiligten sich Jugend- helm vertiefte unser Wissen reichlich in Bezug auf den liche der damaligen dreizehnten Jahrgangsstufe Holocaust und Antisemitismus. Hier waren wir For- der Schule im Kurs „Politische Bildung“ an einem scherinnen. ... Es lief uns kalt den Rücken runter, be- Projekt „Stolpersteine für Oranienburg“. Es wurden sonders als wir die Unterschrift von Gertrud unter ihre 21 Biografi en erforscht und bisher bei zwei Gedenk- Vermögenserklärung gesehen haben: eine unruhige, veranstaltungen 15 „Stolpersteine“ verlegt. Im März zittrige, ahnungsvolle Unterschrift. Es tut weh, daran 2007 folgten weitere sechs Steine für Mitglieder der zu denken, dass sie mit 45 Jahren sterben musste.“13 Familie Abraham und Mathias. In der Dokumentation Die von den Jugendlichen erarbeiteten Biografi en wer- zum Projekt heißt es: „21 Menschen, 21 Schicksale, den bei der Verlegung des „Stolpersteines“ verlesen die wieder in Erinnerung gebracht werden.“17 Die Ora- und später in unterschiedlicher Form veröffentlicht.14 nienburger Aktivitäten fanden unter anderem Unter- stützung durch die Stadt Oranienburg, den Landkreis Auch für das Land Brandenburg bildet die histo- Oberhavel, die Initiative gegen Rechtsextremismus risch-politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen den in den neuen Bundesländern sowie das Aktions- Schwerpunkt. In zunehmendem Maße wurde dabei in programm der Bundesregierung „Jugend für Tole- den Beständen des BLHA nach Spuren gesucht. So ranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, forschten in Fürstenwalde Schüler und Jugendliche Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ Civitas. über mehrere Jahre. Am 29. September 2006 fand Der Stafettenstab wurde inzwischen an den elften dort bereits die dritte Verlegung von Stolpersteinen Jahrgangskurs des Gymnasiums weitergereicht, der statt. Dies war für die „Arbeitsgruppe Stolpersteine/ die Forschungen fortsetzen wird. Plattform gegen Rechts, Fürstenwalde“ Anlass, eine Am 4. September 2006 übergaben Jugendliche Bilanz ihrer zweijährigen Tätigkeit zu ziehen. Es wur- während einer Gedenkfeier aus Anlass der 80 Jahre de festgestellt: „Ging es zunächst darum, überhaupt zurückliegenden Eröffnung der örtlichen Synagoge Namen jüdischer Fürstenwalder ausfi ndig zu machen, dem Rathenower Bürgermeister Ronald Seeger vier konzentrierten wir uns im weiteren darauf, viele die- „Stolpersteine“. Geehrt werden sollen Berta Kadden, ser Menschen zusammenzutragen.“15 So konnten die die 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, Emmi Projektmitarbeiter mit Hilfe der im BLHA überlieferten Sinasohn sowie Franziska und Alfred Kornblum, die OFP-Akte das Schicksal von Florentine Waldau, einer in das Warschauer Ghetto deportiert wurden. Die Ju- bekannten Buchhändlerin aus Fürstenwalde, rekons- gendlichen haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Schicksal von weiteren 31 Juden, die während der NS-Zeit in Rathenow lebten, zu erforschen.18 12 Flyer a.a.O. In Zehdenick beschäftigten sich zehn Schüler des 13 Carl-von-Ossietzky-Oberschule Berlin Kreuzberg/ Oberstufenzentrums „Georg Mendheim“ seit Anfang Grundkurs Politische Bildung in Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft Hornstraße. Projekt: Stolpersteine 2003/2004, o.O., o.J., o.S. 14 Entsprechende Belegexemplare sind im BLHA überlie- 16 Ebenda. fert. 17 geSTOLPERt–die etwas anderen STEINE für Oranien- 15 Schreiben der Arbeitsgruppe Stolpersteine, Plattform burg. Dokumentation, Oranienburg 2006, S. 3. gegen Rechts, Fürstenwalde vom 13.9.2006 an das 18 http://rathenow-blog.de/10.09.2006/stolpersteine-in- BLHA. rathenow.

17 Brandenburgische Archive · 24/2007 2006 im Rahmen des Projekts „Stolpersteine“ mit sowie einen nicht zu unterschätzenden Aufwand mit dem Schicksal ehemaliger Zehdenicker Juden. Sie er- sich bringen wird. Methodische Unterstützung der hielten gemeinsam mit ihrer Lehrerin Ulrike Neumann Anfragenden sowie archivpädagogische Aktivitäten im Rahmen des Wettbewerbs der Konrad-Adenauer- können seitens des Archivs jedoch nur in einem sehr Stiftung unter dem Motto „DenkT@g 2006“ einen Preis überschaubaren Umfang geleistet werden. Die infl atio- für ihr Engagement.19 näre Veröffentlichung verschiedenster „Datenbanken“ wird hieran nichts ändern, sondern erfahrungsgemäß Fazit weiteren Beratungsbedarf erzeugen. Die komplizierte In Berlin erinnern derzeit rund 1.300 „Stolpersteine“ räumliche Situation am Archiv-Standort in Potsdam- an unter der NS-Diktatur ermordete Menschen.20 Für Bornim bringt bei der Unterstützung von Schülerpro- das Land Brandenburg gibt es momentan keinen jekten weitere Probleme mit sich. Es bleibt die Frage derartigen Überblick. Im Vorfeld der Verlegung dieser nach einer effektiven sachlichen Zusammenarbeit der Gedenksteine erfolgten umfangreiche biografi sche verschiedensten beteiligten Einrichtungen in einer Forschungen, die nicht zuletzt im BLHA durchge- Zeit, die einerseits durch ständig geringer werdende führt und hier in unterschiedlichster Form unterstützt Ressourcen und andererseits durch eine immer grö- wurden. Betrachtet man die zunehmende Resonanz ßer werdende Erwartungshaltung bei den Benutzern der „Stolperstein“-Idee im In- und Ausland, steht au- geprägt ist. Seitens des BLHA kann und muss es ßer Zweifel, dass die archivarische Begleitung durch weiterhin vorrangig darum gehen, den Weg zur Quelle das BLHA auch in den folgenden Jahren gefragt sein aufzuzeigen und damit eine wissenschaftlich fundierte biografi sche Forschungsarbeit zu unterstützen.

19 Vgl. Preis für Stolperstein-Projekt. OSZ-Schüler wer- den ausgezeichnet. In: MAZ vom 16.1.2007. 20 Vgl. Schreiben von Edeltraut Frankenstein vom 7.12.2006.

18 Brandenburgische Archive · 24/2007 Übernahme von Unterlagen aus der 17. Juni 1953.2 Zum Vorgehen gegen ehemalige und Sammlung „NS-Archiv des Ministe- neue Nazis und Sympathisanten des NS-Systems, riums für Staatssicherheit“ in das die das DDR-Regime als Drahtzieher des Aufstandes Brandenburgische Landeshauptarchiv verantwortlich machte, sollten die in den Dienststel- len der Staatssicherheit vorhandenen Akten über Von Frank Schmidt Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen syste- matisch ausgewertet werden. Dafür ließ das MfS die Das Bundesarchiv hat in den vergangenen Jahren ihm zugänglichen Unterlagen in sein Zentralarchiv in in mehreren Teillieferungen insgesamt ca. 164 lfm1 der Freienwalder Straße in Berlin-Hohenschönhausen Unterlagen aus der Sammlung „NS-Archiv des Minis- zusammenführen. Dort begannen bereits im Januar teriums für Staatssicherheit der DDR (MfS)“ an das 1954 Mitarbeiter der Abteilung XII (Zentrale Auskunft/ Brandenburgische Landeshauptarchiv (BLHA) abge- Speicher) mit den Erschließungsarbeiten an den MfS- geben. Es handelt sich dabei vor allem um personen- intern in Anspielung auf die Signaturen auch als „Z- bezogene Unterlagen staatlicher und kommunaler Be- Akten“ bezeichneten Unterlagen. Die Staatssicherheit hörden sowie der NSDAP und ihrer Gliederungen aus konnte sich zunächst auf die Unterlagen stützen, die dem Bereich der Provinz Brandenburg sowie auch um sie 1950 von den K 5-Dezernaten bei den Krimina- solche von Behörden und Stellen aus der Nachkriegs- lämtern der Länder übernahm. Diese Dezernate be- zeit im Land Brandenburg (1945-1952). Die Abgaben schlagnahmten im Rahmen ihrer Fahndungstätigkeit stehen im Zusammenhang mit einem seit 2001 be- nach Nazi- und Kriegsverbrechern Unterlagen aus triebenen Erschließungsprojekt des Bundesarchivs dem NS-Partei- und Behördenapparat, das sie für zur Sammlung NS-Archiv des MfS, in dessen Folge ihre Zwecke nutzten und mit den Unterlagen aus ih- die darin ermittelten Fremdprovenienzen den jeweils rer Arbeit ergänzten. Ebenso gelangten Unterlagen zuständigen Staats- und Landesarchiven übergeben der Entnazifi zierungskommissionen in den Besitz des werden. Der verschiedenen Erwartungen erweckende MfS. Weitere Zugänge erhielt die Sammlung aus den Name der Sammlung verlangt nach näherer Aufklä- von der Besatzungsmacht beschlagnahmten Akten, rung über Inhalt und Form der Überlieferung, auch um die die Sowjetunion in den 1950er Jahren größtenteils deren mögliche Auswertungsmöglichkeiten realistisch an die DDR zurückgab. Auf diese Akten hatte das einschätzen zu können. Deshalb sollen ausgehend MfS als erster Zugriff, um sich die für seine „opera- von einem Überblick zur Bestandsgeschichte die tive“ Tätigkeit notwendigen Unterlagen zu sichern. In Bearbeitung des Bestandes im Bundesarchiv, die den Folgejahren ergänzte das MfS fortlaufend seine Übernahme der Unterlagen und der weitere Umgang Sammlung auf verschiedenen Wegen. Im Rahmen mit ihnen im BLHA im Mittelpunkt des nachfolgenden der Archivkooperation wurden unter Einbeziehung Beitrages stehen. des Dokumentationszentrums der Staatlichen Archiv- verwaltung beim Ministerium des Innern Kopien von Bestandsgeschichte des NS-Archivs des MfS im Ausland verwahrten deutschen Akten beschafft. In Der Name dieser Sammlung weist bereits auf den Be- den sozialistischen „Bruderländern“ arbeitete man da- standsbildner und auf den Inhalt der Unterlagen hin. bei mit den Partnersicherheitsorganen zusammen. Als Die Sammlung umfasst vor allem personenbezogene Unterlagen, aber auch Sachakten unterschiedlicher 2 Zur Bestandsgeschichte und zur Übernahme des Provenienzen aus allen Ebenen des Verwaltungs- und NS-Archivs in das Bundesarchiv siehe ausführlich Parteiapparates im NS-Staat, aber auch von Stellen in Michael Hollmann: Das „NS-Archiv“ des Ministeriums der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR, die für Staatssicherheit der DDR und seine archivische in den Besitz des MfS gelangten. Die Einrichtung des Bewältigung durch das Bundesarchiv. In: Mitteilungen NS-Archivs erfolgte als Reaktion auf den Aufstand des aus dem Bundesarchiv 9 (2001), H. 3, S. 53-62. Vgl. hierzu auch Sabine Dumschat: Aufarbeitung des „NS- Archivs“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Bundesarchiv (ergänztes Manuskript des Vortrages auf dem 75. Deutschen Archivtag in Stuttgart am 28.9. 1 Bestandsumfang nach der größtenteils vorgenom- 2005), veröffentlicht unter: http://www.bundesarchiv. menen Neukartonierung der Unterlagen. Ausgenom- de/aufgaben_organisation/abteilungen/reich/00381/ men von der Neukartonierung sind zur Zeit noch die index.html und Dagmar Unverhau: Das „NS-Archiv“ Unterlagen, die aus dem „unregistrierten“ Bestand des Ministeriums für Staatsicherheit. Stationen einer übergeben wurden. Entwicklung, Münster 1998.

19 Brandenburgische Archive · 24/2007 Geheimdienst bediente man sich auch konspirativer das Zerlegen von Karteien und Akteien in ihre Ein- Methoden, um in den Besitz einschlägiger Unterlagen zelteile waren dabei kein Tabu. Im Gegenteil, wenn zu gelangen. aus anderen Akten weitere Einzeldokumente zu einer Person vorlagen, wurden diese Einzelteile wiederum Bis 1990 wuchs der Umfang der Sammlung auf ge- zu Dossiers formiert, so dass sich die ursprünglichen schätzte 7-10.000 lfm an. Einzelnen Aktengruppen, Entstehungszusammenhänge der Unterlagen kaum die sich geschlossen einer Provenienz zuordnen mehr rekonstruieren lassen. Wenn die betreffende lassen, stehen darin in der Masse solche Unterlagen Person in das Blickfeld des MfS geriet, konnten die gegenüber, die aus Fragmenten von Personal- und Unterlagen aus der NS-Zeit um die selbst beim MfS Sachakten aus unterschiedlichsten Provenienzstellen entstandenen Unterlagen ergänzt werden. Eine sol- bestehen. Das bei weitem überwiegende personen- che Verschiebung von Provenienzen fand bereits in bezogene Schriftgut liegt darin in den verschiedenen der unmittelbaren Nachkriegszeit bei der Kriminalpoli- Formen von der mehrbändigen Personalakte über zei oder den Entnazifi zierungskommissionen statt, die Straf-, Prozess- oder Ermittlungsakten, Stellenakten, für ihre Zwecke die NS-Überlieferung neu formierten Mitglieds- und Personallisten bis hin zu Einzeldoku- und um eigenes Schriftgut ergänzten. Die Unterlagen menten, wie Ausweisen, Beurteilungen, Karteikarten im NS-Archiv waren so je nach Bedarf mehrmals um- oder Personalbögen mit kaum verwertbaren Angaben geordnet worden. über die jeweils interessierende Person selbst, vor. Für die Auswertung der Akten wurden Personen und Sachverhalte in Karteien erfasst. Die Personenkartei, auch als „Vorgangskartei“ bezeichnet, erlaubte ziel- gerichtete Recherchen nach Personennamen in allen Teilbeständen der Sammlung. Innerhalb der Samm- lung wurden die Unterlagen zunächst inhaltlich in vier Hauptgruppen unterteilt:

ZA Unterlagen von NSDAP, Gliederungen und Ver- bänden ZB Unterlagen von Gestapo, SD, SS, Abwehr- und Spionageorganisationen, Polizei ZC Unterlagen von Reichsjustizministerium, Volksge- richtshof ZD Unterlagen von verschiedenen NS-Institutionen und -Organisationen

Durch Umordnungen und nach Neuzugängen wur- den diese Hauptgruppen weiter untergliedert und neue Teilbestände gebildet. Insgesamt setzte sich die Sammlung zum Schluss aus über 60 Teilbeständen unterschiedlichen Umfangs zusammen.3 Für die meis- ten Teilbestände wurden zudem Registrierbücher an- Aktendeckblatt der Personalakte für „den Zuchthausgefan- gelegt, die die Akten nach Signaturen und Personen- genen Erwin Buttler“, 1934. amen rein akzessorisch nach der zeitlichen Reihen- folge der Registrierung verzeichnen. Eine Ergänzung Das MfS hatte diese Unterlagen zusammengetra- fanden diese Einträge mitunter durch Geburtsdaten, gen, um Informationen über Personen und deren Bearbeitungsvermerke, sachthematische Einträge NS-Belastung zu erhalten. Dieser Zweckbestimmung und Verbleibsnachweise (Kassationsvermerke, Si- folgend wurden die Unterlagen aufbereitet und nach gnaturwechsel). inhaltlichen Gesichtspunkten neu formiert, ohne dabei überhaupt auf archivische Bearbeitungsgrundsätze oder das Provenienzprinzip Rücksicht zu nehmen. 3 Eine Übersicht über die wichtigsten Teilbestände ist bei Michael Hollmann (wie Anmerkung 2), S. 58 Das Auseinandernehmen fadengehefteter Akten oder abgedruckt.

20 Brandenburgische Archive · 24/2007 lagen wurden darüber hinaus in die verschiedensten vom MfS vorgenommenen Personalüberprüfungen (u.a. Reisende, Besucher der Leipziger Messe, Per- sonal bei Polizei, Armee und anderen staatlichen Ins- titutionen) einbezogen.

Erschließung im Bundesarchiv und Abgaben an das BLHA Am 3. Oktober 1990 ging das NS-Archiv mit den Be- ständen des Zentralen Staatsarchivs in Potsdam, dem es nach der Aufl ösung der Staatssicherheit angegli- edert wurde, in die Zuständigkeit des Bundesarchivs über. 1992 verlegte das Bundesarchiv die Unterlagen von der Freienwalder Straße in sein Zwischenarchiv in Dahlwitz-Hoppegarten und machte sie dort nach den Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes zu- gänglich. Da die Erschließungskarteien, darunter die Personenkartei (Vorgangskartei), als Unterlagen des MfS entsprechend dem Stasi-Unterlagengesetz bei der Behörde der Beauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) Erfassung von Namen aus einer Sachakte, 1933. verblieben waren, musste das Bundesarchiv bei der Bewältigung des zunehmenden Interesses des Be- nutzer am NS-Archiv mit der BStU kooperieren. Als 1968 wurde das NS-Archiv der neu eingerichteten Findhilfsmittel standen dem Bundesarchiv nur die Hauptabteilung IX/11 überstellt. Diese Abteilung sollte o.g. Registrierbücher für die einzelnen Teilbestände die einheitliche und systematische Archivierung und zur Verfügung, in denen Personenamen rein zufällig Auswertung der im Bereich des MfS vorhandenen aufgelistet sind. und noch zu beschaffenden Unterlagen aus der Zeit In den Folgejahren ist mit verschiedenen Projekten vor 1945 mit dem Ziel fortsetzen, noch zielgerichteter versucht worden, den Erschließungszustand der NS-Belastete aufzudecken und sich dabei auch auf Sammlung zu verbessern. Einzelne Aktengruppen die Personen zu konzentrieren, die führende Positi- wurden dabei aus der Sammlung herausgelöst und onen in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik in die Provenienzbestände des Bundesarchivs einge- Deutschland einnahmen. Bereits 1965 erschien die 1. ordnet sowie kleinere Mengen von Unterlagen an die Aufl age des unter Beteiligung des MfS erarbeiteten zuständigen Staats- und Landesarchive abgegeben.4 „Braunbuches“, in dem Listen führender Persönlich- Schließlich wurden auch mehrere Teilbestände mit keiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Unterlagen, die erst beim MfS entstanden und damit veröffentlicht wurden. Weitere Versuche einer „ge- dem Stasi-Unterlagengesetz unterliegen, der BStU heimdienstlichen Öffentlichkeitsarbeit“ folgten mit den übergeben. Zu den Abgaben an die BStU gehören Enthüllungskampagnen gegen Kiesinger, Globke, auch die im Zuge der Erschließungsarbeiten festge- Oberländer oder andere Politiker der Bundesrepublik. stellten Personendossiers, die neben den Unterlagen Die Unterlagen aus dem NS-Archiv dienten hierbei in aus der NS-Zeit und über rein archivinterne Vermerke erster Linie dem politischen Ziel, die Bundesrepublik hinaus Vorgänge des MfS enthalten. als „aggressiven, imperialistischen Staat in der Tradi- tion des NS-Regimes“ zu entlarven. Abgesehen von der propagandistischen Nutzbarmachung der Unterla- gen spielte das „NS-Archiv“ eine zentrale Rolle bei der 4 Vgl. Michael Hollmann (wie Anmerkung 2), S. 59. Das Verfolgung von NS-Verbrechen. Hierbei und bei der BLHA erhielt bereits 1999 „unregistrierte“ Unterlagen Bearbeitung von Rechtshilfeersuchen arbeitete die aus dem NS-Archiv vom Bundesarchiv im Umfang von Hauptabteilung IX/11 mit dem Generalstaatsanwalt ca. 3 lfm. Diese bislang nicht verzeichneten Unterlagen sind den mit der Abgabe 2005 übernommenen „unre- der DDR zusammen. Die von ihr aufbereiteten Unter- gistrierten“ Unterlagen zugeordnet worden.

21 Brandenburgische Archive · 24/2007 Nachdem die Bundesregierung dem Bundesarchiv Sondermittel für die Aufarbeitung von Erschließungs- rückständen aus der NS-Zeit bereitgestellt hatte, nahm im September 2001 eine Projektgruppe bestehend aus 11 Archivaren die Erschließungsarbeiten an der noch ca. 1 Million Akten und Dossiers umfassenden Sammlung auf. Innerhalb des bis Herbst 2006 lau- fenden Projekts sollten Provenienzen der Unterlagen ermittelt und ihre Verzeichnung durchgeführt sowie die Sammlung mit dem Ziel aufgelöst werden, die Un- terlagen in die betreffenden Provenienzbestände des Bundesarchivs einzuordnen und Fremdprovenienzen den zuständigen Staats- und Landesarchiven zu über- geben. Ende 2004 konnte mit der Erschließung des NS-Archivs die erste Projektphase abgeschlossen Ausstellung einer Kennkarte für August Wilhelm Prinz von werden. Die Mitarbeiter verzeichneten in einer Access- Preußen, 1942. Datenbank ca. 4.550 lfm Akten und stellten darunter 5.300 verschiedene Provenienzen fest. Ausgehend Die Aktenabgaben begannen dann im Juni 2004 mit von den Verzeichnungseinheiten verbleibt über die den Unterlagen aus dem Teilbestand „Objekte“, den Hälfte des Gesamtbestandes (ca. 56 Prozent) im Bun- ehemaligen NS-Archiven der MfS-Bezirksverwal- desarchiv. Rund 42 Prozent der Unterlagen wurden an tungen. Diese „regionalen“ Archive bildeten nach ihrer die Staatsarchive der neuen Bundesländer und Berli- Verlegung in die Berliner Zentrale innerhalb des NS- ns abgegeben, wobei auf Brandenburg knapp 5 Pro- Archivs den Teilbestand „Objekte“, wobei den Archiven zent entfallen.5 Bereits im März 2004 informierte das der einzelnen MfS-Bezirksverwaltungen Nummern Bundesarchiv auf einer Arbeitsbesprechung Vertreter zugeordnet wurden (z.B. Objekt 4 = NS-Archiv der der staatlichen Archive aus den neuen Bundesländern MfS-Bezirksverwaltung Potsdam). Auf Grund des ter- über die bevorstehenden Abgaben und traf Vereinba- ritorial abgrenzbaren Zuschnitts verzichtete das Bun- rungen über deren Durchführung. Die Vertreter der desarchiv auf eine Bearbeitung dieser Teilbestände in Länder stimmten dem Vorschlag des Bundesarchivs der Weise, dass eine Feststellung von Provenienzen zu, Personalunterlagen der SA und SS im Bundesar- und eine Verzeichnung der Akten erfolgte. Entspre- chiv im Sinne einer benutzerfreundlichen Lösung zu chend den archivischen Zuständigkeiten für die DDR- belassen, da diese die dort schon umfangreich vor- Bezirke wurden dem BLHA die folgende Teilbestände liegenden SA- und SS-Akten in den Beständen des bergeben: ehemaligen Berlin Document Center ergänzen. „Objekt 4“ NS-Archiv der MfS-Bezirksverwaltung Potsdam (24,53 lfm) und „Objekt 5“ NS-Archiv der MfS-Bezirksverwaltungen Frankfurt (Oder) und Cottbus (23,56 lfm). Der Teilbestand „Objekt 4“ enthält Personalunterlagen 5 Vgl. Sabine Dumschat und Ulrike Möhlenbeck: von Stellen der NSDAP, vor allem der NSDAP-Kreis- Aufarbeitung des „NS-Archivs“ des Ministeriums leitung Osthavelland sowie verschiedener NSDAP- für Staatssicherheit der DDR: Abschluss der ersten Projektphase. In: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Ortsgruppen, daneben in noch größerem Umfang 12 (2004), H. 2 , S. 40. Die vom Umfang her größeren Unterlagen von Entnazifi zierungskommissionen und Abgaben gingen an den Freistaat Sachsen und an verschiedener Kriminalämter aus der Nachkriegszeit das Land Berlin. Kleinere Mengen erhalten neben vor allem mit Unterlagen über polizeiliche Ermittlungen Archiven in den neuen Ländern auch das Geheime in Durchführung des SMAD-Befehls 201 und der Kon- Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und verschie- dene Staatsarchive in den westlichen Bundesländern. trollratsdirektive 38 wegen Verbrechens gegen die Die Angaben zum Umfang der Abgaben in lfm in Menschlichkeit. In größerer Anzahl befi nden sich in den Veröffentlichungen des Bundesarchivs beruhen diesem Teilbestand außerdem Registrierungsunter- auf Hochrechnungen, die vor der Herauslösung der lagen von Volkspolizeidienststellen in Form von Per- Unterlagen aus dem Bestand angestellt wurden. Sie sonalbögen v.a. über ehemalige Wehrmachtsoffi ziere. weichen daher zum Teil erheblich vom tatsächlichen Der Bestand „Objekt 5“ umfasst Personalunterlagen Ist-Zustand ab (vgl. Anm. 1).

22 Brandenburgische Archive · 24/2007 der NSDAP, insbesondere aus den Kreisleitungen beim Internationalen Suchdienst für die Recherchen Frankfurt-Lebus und Sorau-Forst, sowie der NSKK- nach Nachweisen über Aufenthalts- und Beschäfti- und NSFK-Gruppen Berlin-Brandenburg und des gungszeiten bereits herangezogen werden können. Reichsarbeitsdienstes – Arbeitsgau Brandenburg-Ost. Ein Jahr später im April/Mai 2005 übergab das Bun- Für die Aufteilung der festgestellten Provenienzen desarchiv dem BLHA in zwei Etappen die von der Pro- auf die Staatsarchive der neuen Bundesländer wur- jektgruppe verzeichneten Unterlagen aus verschie- den die Sprengelgrenzen vor 1952 bzw. 1945 zu- denen Provenienzmischbeständen des NS-Archivs. grunde gelegt. Die dem BLHA übermittelte Liste der Die angegebenen Personen- und Sachgruppen bezie- Provenienzstellen führt allein 431 Positionen auf, hen sich auf die Schwerpunkte, unter denen das MfS angefangen von der Amtsanwaltschaft Falkensee und Unterlagen in diesen Teilbeständen zusammenfasste: verschiedenen Amtsbezirken bis hin zu den Zucht- häusern Brandenburg-Görden und Luckau. Unter FB Entnazifi zierung (0,22 lfm) den übergebenen Unterlagen überwiegen solche, die FW Wehrmacht (0,33 lfm) bei Stellen der NSDAP, bei Polizeidienststellen und VgM Verbrechen gegen die Menschlichkeit (0,99 bei Entnazifi zierungskommissionen entstanden sind. lfm) Aber auch Unterlagen der Kreisverwaltungen bzw. ZA I NSDAP und Gliederungen (9,78 lfm) Landratsämter, der beiden Regierungen Potsdam und ZA II NSDAP und Gliederungen (1,40 lfm) Frankfurt (Oder), der Landesregierung Brandenburg ZA III NSDAP und Gliederungen (0,44 lfm) und vor allem der Gerichte und Staatsanwaltschaften, ZA VI NSDAP und Gliederungen (5,03 lfm) um die nicht vollständige Aufzählung zu beenden, sind ZASt Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher und in der Abgabe des Bundesarchivs vertreten. Im Be- Denunzianten, Verbrechen gegen die Mensch- stand zerstreut befi nden sich ebenso Unterlagen von lichkeit (0,33 lfm) Städten und Gemeinden aus dem Bereich der Provinz ZB Polizei, KZ-Aufsichtspersonal, Waffen-SS Brandenburg. Dass angesichts des oben beschrie- (34,40 lfm) benen Charakters der Überlieferung eine Provenienz- ZB II Juristen, Wissenschaftler, NSDAP und Gliede- bestimmung nicht einfach ist, lässt sich leicht erahnen rungen, Gestapo SD u.a. (10,16 lfm) und dokumentiert sich in behelfsweise konstruierten ZC Verfahrensakten des Volksgerichtshofes und Auffangprovenienzen wie „NSDAP Brandenburg“, anderer Gerichte (3,30 lfm) „Polizeiverwaltung Brandenburg“ oder „Entnazifi zie- ZD NSDAP und Gliederungen, Waffen-SS (6,05 rung Brandenburg“. In diesen Fällen konnten Hinwei- lfm) se für eine Zuordnung auf das jeweilige Bundesland ZE Entnazifi zierung, Finanzverwaltung (29,92 lfm) nur aus inhaltlichen Angaben in den Schriftstücken ZJ Richter, Anwälte, Justizangestellte, Strafvoll- erschlossen werden. zug, Strafakten NS-Verbrecher (0,22 lfm) ZM SS, Waffen-SS, Polizei, Gendarmerie, Entnazi- Bestandsbildung und Benutzung fi zierung (1,76 lfm) Trotz der vom Bundesarchiv vorgenommenen Prove- ZO Reichsbahn, Zwangsarbeit (0,55 lfm) nienzbestimmung, die in Einzelfällen einer Überprü- ZR RSHA, Gestapo, SD, Polizei, SS, militärische fung bedarf, lassen sich für ein Teil der Unterlagen Abwehr (0,33 lfm) die Entstehungszusammenhänge nicht mehr ein- ZW Wissenschaftler, Forschungsinstitute, Wehr- deutig aufklären. Bei einer Aufl ösung der Sammlung macht, Entnazifi zierung (0,11 lfm) bliebe so ein Rest übrig, der sich den (Provenienz- )Beständen nicht zuordnen ließe. Abgesehen von Mit diesen Abgaben gelangten über die vorgenannten diesem inhaltlichen Einwand gegen eine Aufteilung Unterlagen hinaus ca. sieben lfm „unregistriertes“, d.h. der Unterlagen auf die verschiedenen Bestände wäre vom MfS nicht ausgewertetes und mit Archivsigna- diese Arbeitsaufgabe kaum mit einem vertretbaren turen gekennzeichnetes Schriftgut (v.a. Unterlagen Arbeitsaufwand zu leisten. Im BLHA, wie auch in den über Zwangsarbeiter) in das BLHA. Das Bundesarchiv anderen Archiven der neuen Bundesländer und Berli- bestimmte für diese Unterlagen nur die Provenienzen. ns, wurde daher entschieden, die vom Bundesarchiv In den 1990er Jahren verfi lmte der Internationale übernommenen Unterlagen zusammen zu belassen Suchdienst in Bad Arolsen diese Unterlagen unter und als Pertinenzbestand unter dem Namen „NS-Ar- Verwendung der MfS-Kartonnummer, so dass sie chiv des MfS“ aufzustellen. Der (Pertinenz-)Bestand

23 Brandenburgische Archive · 24/2007 setzt sich aus den o.g. Teilbeständen zusammen, nicht den Blick darauf verstellen, dass die im Einzelfall deren Kurzbezeichnung Bestandteil der Archivsigna- aufgefundene Quelle nicht sonderlich ergiebig für bio- turen sind. Das Bundesarchiv hat die vom MfS verge- grafi sche Fragestellungen sein kann, was im Übrigen benen Alt-Signaturen der Akten bei der Verzeichnung ebenso – wie oben bereits angedeutet – aus dem häu- des Bundesarchivs als Archivsignaturen beibehalten, fi g fragmentarischen Charakter der Unterlagen selbst um die Konkordanz zu den bei der BStU verwahrten herrühren kann. Die von der Projektgruppe erstellte Erschließungskarteien zu gewährleisten. Datenbank für die Sammlung NS-Archiv des MfS wird Zu den abgegebenen Akten übermittelte das Bundes- weiterhin im Bundesarchiv als Verbleibsnachweis und archiv zunächst für die „Objekt“-Teilbestände Excel- zur virtuellen Rekonstruktion des Gesamtbestandes Dateien, in denen die Angaben aus den Registrierbü- gepfl egt. chern des MfS erfasst waren. Nach Bestimmung eines Der (Pertinenz-)Bestand NS-Archiv des MfS umfasst Exportformats für die Migration der Erschließungsdaten biografi sche Quellen, die sich auf Personen und ihr aus der Datenbank des Bundesarchivs in die Daten- Wirken in der NS-Zeit beziehen und – mit der Kon- banken der anderen Archive wurden dem BLHA die zentration auf Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliede- Erschließungsdaten für die übrigen Teilbestände zur rungen und auf staatliche Funktionsträger – vor allem Verfügung gestellt. Es handelt sich hierbei um zwei txt. Unterlagen für Forschungen zur „Täterperspektive“ Dateien. Eine Datei enthält die Daten der archiv- und enthalten. Die Übernahmen stellen insoweit eine in- provenienzbezogenen Erschließung (Archivsignatur haltliche Ergänzung zu den Beständen des BLHA aus [=MfS-Altsignatur], Aktentitel, Enthält-Vermerk, Lauf- der NS-Zeit dar. Das betrifft insbesondere die durch zeit, Provenienz, Registraturzeichen, Bemerkungen), Kriegsverluste oder durch Aktenvernichtungen stark während die andere basierend auf der elektronischen dezimierten Unterlagen regionaler und lokaler Stellen Vorerfassung der MfS-Registrierbücher die dazuge- der NSDAP und ihrer Gliederungen, deren Überlie- hörigen namensbezogenen Angaben vorhält (Name, ferung – wenn überhaupt – nur sehr unvollständig Vorname, Titel, Geburtsname, -datum und ort, Bemer- im BLHA vorliegt.7 Für fast alle Verwaltungsebenen kung und Archivsignatur [=MfS-Altsignatur]). Diese und -bereiche runden die übernommenen Unterlagen Namensdatei, in der außerdem auch die Angaben für die schon vorhandene Überlieferung an Personal- die Akten aus den „Objekt“-Teilbeständen integriert akten und anderen personenbezogenen Unterlagen wurden, umfasst über 43.000 Datensätze und erlaubt ab und schließen bislang bestehende Lücken – wie zielgerichtete personenbezogene Recherchen im ge- beispielsweise bei Beamten der Polizei. Schließlich samten übernommenen Bestand. ergänzen die zahlreichen Einzelfallakten der Entna- Die Aufteilung der Erschließungsangaben auf zwei zifi zierungskommissionen und der Kriminaldienst- Dateien liegt in der komplexen Struktur der im Bun- stellen zur Durchführung der Entnazifi zierung und desarchiv erstellten Datenbank begründet. Darin wi- der Verfolgung von NS-Verbrechen die Bestände der derspiegelt sich der vom Bundesarchiv verfolgte „dop- Landesverwaltung nach 1945.8 In den polizeilichen pelte“ Verzeichnungsansatz, bei der man neben der Ermittlungsakten liegen neben den Unterlagen über provenienz- und sachbezogenen Erschließung eben- die jeweilige Person mitunter minutiöse Berichte falls die personenbezogenen Angaben aus den MfS- über Ereignisse (z.B. Vorgehen gegen die jüdische Registrierbüchern in die Verzeichnung übernommen Bevölkerung, Beschäftigung und Misshandlung von hat. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu be- Zwangsarbeitern) in der NS-Zeit vor, die sich anhand achten, dass die Personennamen vom MfS willkürlich und uneinheitlich aus den Unterlagen erhoben wurden und von der Projektgruppe nur dann nacherschlossen 7 Eine Analyse der Bestände Rep. 61 A NSDAP Gau wurden, wenn es für die fachgerechte Verzeichnung Mark Brandenburg und Rep. 61 C NSDAP und Gliede- der Unterlagen notwendig erschien. Mitunter zog das rungen bietet Ulrike Kohl: Quellen zur Geschichte der MfS auch nur Namen von Verwaltungsvertretern aus NSDAP und ihrer Gliederungen in Berlin-Brandenburg. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte Akten heraus, die darin lediglich mit einer Paraphe er- 50 (1999), S. 197-215. scheinen, oder erfasste Namen wahllos aus Namens- 8 Zur Überlieferung von Entnazifi zierungsakten im BLHA listen.6 Die umfangreiche Namensdatei darf daher siehe Susanna Wurche: Biografi sche Forschungen nach 1945 – Quellen im Brandenburgischen Landes- hauptarchiv. In: Brandenburgische Archive. Mittei- 6 Zum „doppelten“ Verzeichnungsansatz vgl. Sabine lungen aus dem Archivwesen des Landes Brandenburg Dumschat, Aufarbeitung (wie Anmerkung 2). 23 (2004), S. 11-15, hier S. 14.

24 Brandenburgische Archive · 24/2007 der erhaltenen Behördenüberlieferung in den anderen auf der Grundlage von Rechercheergebnissen in Beständen des BLHA kaum nachvollziehen lassen. Mit der Datenbank des Bundesarchivs. Die Unterlagen Akten von Gerichten und Zuchthäusern oder von Po- im NS-Archiv des MfS werden insbesondere für die lizeiverwaltungen, die Unterlagen über Verfolgte des Bearbeitung der Anfragen der Ämter bzw. des Lan- NS-Regimes (Kommunisten, Juden, Zwangsarbeiter) desamtes zur Regelung offener Vermögensfragen enthalten, bieten die übernommenen Unterlagen aus zur sogenannten „Würdigkeitsprüfung“ im Rahmen dem NS-Archiv des MfS damit auch eine Ergänzung des Entschädigungs- und Ausgleichsleitungsgesetzes zu den Quellen des BLHA über die Opfer des NS-Re- herangezogen. Dabei haben die Ämter zu prüfen, ob gimes.9 die nach 1945 auf besatzungshoheitlicher Grundlage Mit der Übernahme setzte zeitgleich die Benutzung von Enteignungsmaßnahmen betroffenen Personen, der Unterlagen im BLHA ein. Sie resultiert derzeit vor deren Rechtsnachfolger heute Entschädigungs- allem aus gezielten Verweisen des Bundesarchivs leistungen beantragen, sich Verbrechen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit zu Schulden haben kommen lassen oder in anderer Weise das NS-Re- 9 Monika Nakath: Opfer der NS-Verfolgungs- und gime unterstützt und von ihm profi tiert haben. Darüber Vernichtungspolitik im Spiegel archivalischer Quellen hinaus wird der Bestand für genealogische und wis- des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, in: Aus senschaftliche Benutzungen berücksichtigt. der brandenburgischen Archivalienkunde. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Hrsg. v. Klaus Neitmann, Berlin 2003, S. 415-443.

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[email protected] www.gewis-gmbh.de Arbeitsbericht zur Edition der Das Sekretariat des SED-Landesleitung „Protokolle der Sekretariats- In enger Verfl echtung mit der sowjetischen Besatzungs- sitzungen der SED-Landesleitung macht entwickelte sich die SED in der SBZ/DDR zum Brandenburg von 1946 bis 1952“ politisch-gesellschaftlichen Machtzentrum. Es erfolgt vorerst jedoch keine Übernahme des Sowjetsystems, Von Susanna Wurche vielmehr musste die seit April 1946 unter kommunis- tischem Diktat vereinigte Arbeiterpartei ihren anfangs Motivation nicht öffentlich postulierten Führungsanspruch gegen „... Zeitgeschichtliche Editionen dienen nicht nur der nicht geringe Widerstände verschiedener gesell- Lehre und Forschung oder erleichtern den Zugriff auf schaftlicher Kräfte durchsetzen. Wie sich dieser, im archivalische Überlieferungen, sondern vermitteln Sprachgebrauch der Staatspartei als „Klärung der einer breiten Öffentlichkeit historische Erkenntnisse Machtfrage“ bezeichnete Prozess vollzog, lässt sich ...“, so Heinz Boberach in seinem Beitrag „Zur Edition an den Sekretariatssitzungen der Brandenburger Par- zeitgeschichtlicher Quellen“1. Regionale Quellenpubli- teigliederung nachzeichnen. Werner Müller stellt in kationen sind gegenüber denen der zentralen Verwal- seinem Beitrag über die SED für das SBZ-Handbuch tungs-, Organisations- und Parteiüberlieferung immer fest, dass die Sekretariatssitzungen ein „... Element noch unterrepräsentiert. So hat Norbert Moczarski mit der praktischen Führungsarbeit ...“ waren, „... mit dem seiner 2002 erschienenen Edition der für den Zeitraum durch die Hinzuziehung von Verwaltungsfunktionären, vom Sommer 1952 bis zum 17. Juni 1953 überlieferten die der SED angehörten, aktuelle Angelegenheiten Sekretariatsprotokolle der SED-Bezirksleitung Suhl2 des Landes gesteuert wurden und um „... von ihnen eine Pionierarbeit geleistet. Die Frühzeit der SBZ/ Informationen oder Rechenschaftsberichte zu erhal- DDR steht nach wie vor im Fokus der zeithistorischen ten und Aufträge zu erteilen“4. Tatsächlich beziehen Forschung. Die bis zur politischen Wende in der DDR sich die behandelten Sitzungsthemen in der Mehrzahl nur einem privilegierten Personenkreis zugänglichen auf alle Bereiche der staatlichen Verwaltung und des Archivbestände der Parteien und Massenorganisati- gesellschaftlichen Lebens, während rein innerpartei- onen erfreuen sich seit ihrer Überführung in die staat- liche Angelegenheiten in den Tagesordnungen häufi g lichen Archive der neuen Bundesländer eines breiten die Minorität darstellen. Dass die vom Sekretariat Nutzerinteresses, wobei die zentrale Überlieferung gefassten Beschlüsse durch die Brandenburger Ver- weitaus häufi ger nachgefragt wird. Die Landes- und fassungs- und Verwaltungsorgane umgesetzt wurden, Bezirksüberlieferungen führen dieses Schattendasein kann an einigen Beispielen der in unserem Hause gegenüber den zentralen Archivbeständen durchaus überlieferten Beständen der staatlichen Verwaltung zu Unrecht, ist deren Informationsdichte gegenüber tatsächlich nachvollzogen werden. Die kaderpolitische den „oft gefi lterten“ zentralen Dokumenten3, wie Mo- Arbeit der Partei ist ebenfalls beredtes Indiz für ihren czarski schreibt, doch oft qualitätsvoller. So waren absoluten Führungsanspruch. So werden einerseits letztlich Bedeutung und Rolle der Landesparteiorgani- Entscheidungen über die Besetzung leitender Funk- sation für die Nachkriegsentwicklung der Provinz bzw. tionen in Organisationen, Behörden, volkseigenen des Landes Brandenburg sowie deren archivalische Betrieben, im Schul- und Hochschulbereich von der Hinterlassenschaft ausschlaggebendes Motiv für das SED diktiert, andererseits wird angestrebt, die eige- Editionsprojekt. nen Mitglieder in diesen Bereichen zu implementieren bzw. parteilose Funktionsträger zum Eintritt in die SED zu bewegen.

1 Heinz Boberach: Zur Edition zeitgeschichtlicher Quellen. In: Jahrbuch der historischen Forschung in 4 Werner Müller: Die Sozialistische Einheitspartei der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1985, Deutschlands (SED). In: SBZ-Handbuch. Staatliche S. 61ff. Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisa- 2 Norbert Moczarski: Die Protokolle des Sekretariats tionen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen der SED-Bezirksleitung Suhl. Von der Gründung des Besatzungszone Deutschlands 1945-1949. Hrsg. Bezirkes Suhl im Sommer 1952 bis zum 17. Juni 1953. v. Martin Broszat und Hermann Weber, München, Weimar 2002. S. 481ff. 3 Ebd., S. VIII.

27 Brandenburgische Archive · 24/2007 Aufbau des Sekretariats Mitglieder des Sekretariats Die Landesleitung bestand aus vierzig Mitgliedern und Es erwies sich als äußerst aufwändig festzustellen, sollte jährlich auf den Delegiertenkonferenzen, die bis wer in welchem Zeitraum gewähltes Sekretariatsmit- 1947 als Landesparteitage bezeichnet wurden, neu glied war. Üblicherweise sind hierfür die überlieferten gewählt werden. Ihr standen zwei zumindest formal Unterlagen der Landesparteitage und -delegierten- gleichberechtigte Vorsitzende vor. Mit dem Abschluss konferenzen zu Rate zu ziehen. Doch ergibt sich aus der stalinistischen Entwicklung zur Partei neuen Typus diesen Unterlagen bereits ein widersprüchliches Bild erfolgte mit der 2. Landesdelegiertenkonferenz Anfang zu den aus den Sekretariatsitzungen ermittelten Da- Dezember 1949 die Abkehr vom paritätischen Prinzip. ten. Zieht man die einschlägigen biografi schen- oder In der Folge gab es einen 1. und einen 2. Sekretär. Organisationshandbücher zu Rate, erhält man mitun- Geschäftsführendes Organ der Landesparteiorgani- ter ebenfalls kontradiktorische Angaben. Zweifelsfrei sation war das aus zehn bis zwölf Mitgliedern – darun- ist, dass der bis zum Jahresende 1949 bestehende ter drei Frauen – zusammengesetzte Sekretariat. Ihm paritätische Vorsitz von dem KPD-Funktionär Willi gehörten automatisch die paritätischen Vorsitzenden Sägebrecht und dem SPD-Provinzialvorstandsvorsit- bzw. der 1. und 2. Sekretär der Landesleitung an. zenden Friedrich Ebert, den im Dezember 1948 Paul Seine Wahl erfolgte indirekt durch und aus der Mitte Bismark ablöste, wahrgenommen wurde. Mit Abschaf- der Landesleitungsmitglieder. Entsprechend den zen- fung der paritätischen Besetzung wurde im Dezember tralen Vorgaben war es in die Sachgebiete Parteiorga- 1949 Charlotte Eppinger 2. Sekretär. Willi Sägebrecht nisation, Personalpolitik, Wirtschaft mit den Bereichen verblieb als 1. Sekretär im Amt. Unter den so schwer Arbeit und Sozialwesen, Landwirtschaft, Kommu- eindeutig auszumachenden gewählten Mitgliedern nalpolitik, Justiz, Kultur und Erziehung, Parteiinfor- gab es darüber hinaus eine Fluktuation, die einerseits mation, Frauen und Jugend, Agitation und Schulung im Zusammenhang mit den innerparteilichen Säube- strukturiert. Die genannten Aufgabenbereiche hatten rungen stand und andererseits durch die Berufung ihre Entsprechung in den Abteilungen des hauptamt- in zentrale Partei- und Staatsfunktionen bedingt war. lichen Parteiapparates, denen jeweils ein hauptamt- Die zunehmende Aushöhlung der innerparteilichen licher Abteilungsleiter vorstand. Das Sekretariat trat Demokratie und damit vor allem der tradierten sozi- meist einmal wöchentlich zu ordentlichen Sitzungen aldemokratischen Organisationsprinzipien ist auch zusammen. Ihm oblagen Anleitung und Kontrolle der daran ablesbar, dass Sekretariatsmitglieder durch staatlichen Leitungen auf der Landesebene. Darüber relativ willkürliche Nachbesetzungen ernannt oder hinaus waren die gewählten – auch als Sekretäre auch kooptiert wurden. In der Geschichte der Bran- bezeichneten – Sekretariatsmitglieder für eine oder denburger Landesparteiorganisationen wurden sechs mehrere Abteilungen des Parteiapparates verantwort- Sekretariate gewählt: 1946, 1947, 1948, 1949, 1950 lich, die den jeweiligen Sekretär wiederum zuverlässig und 1952. Zu den langjährigen Mitgliedern zählen Else mit Informationen ausstatteten. Dies führte zu einer Bauer, Paul Bismark, Bruno Brockhoff, Erwin Hinze, Monopolisierung der Machtbefugnisse, wie Thomas Franz Brüning, Rudi Jahn, Emil Krummel, Margarete Ammer in einem Beitrag über die Machthierarchie der Langner, Franz Ruschen, Willi Sägebrecht, Willi See- SED konstatiert. ger und Kurt Seibt. Die Kooptation von Otto Wagner, Walter Wernsdorf, Artur Wölk erfolgte 1948. Jeweils nur für kurze Zeit – mitunter nur wenige Monate – ge- hörten Helene Fredrich, Karl Gadow, Gerhard Grüne- berg, Max Homa, Josef Borst, Richard Küter, Bruno Lentzsch, Emmi Plinz, Kurt Roß, Marianne Sambtlebe, Georg Schlolaut, Georg Spiegel, und Gerda Sucker dem Sekretariat der Landesleitung an.

Die Überlieferung

Bestandsgeschichte Sekretariatsmitglieder im Gespräch. Bis 1963 wurde der Bestand der SED-Landesleitung Brandenburg im ehrenamtlich betreuten Archiv der Bezirksleitung Potsdam verwahrt. Nach Überführung

28 Brandenburgische Archive · 24/2007 des Archivgutes in das Bezirksparteiarchiv Potsdam Tagesordnung, der Aufzählung der Anwesenden und erfolgte von 1969 bis 1971 die Erschließung des Be- die Angabe von Sitzungsdatum, -zeit und -ort wurde standes. Nach der politischen Wende in der DDR war mitunter ebenfalls verzichtet. Mit dem Beginn des die Zukunft der nicht zum staatlichen Archivfond gehö- Jahres 1949 zeichnet sich ein deutlicher Wandel in renden Partei- und Organisationsarchive vakant. Dank der Überlieferung, aber nicht in der Protokollführung intensivster Bemühungen auf zentraler und regionaler ab. Seit diesem Zeitpunkt fi nden sich zunehmend die Ebene konnten im Januar 1992 auch die Bestän- bisher fehlenden Beschluss- bzw. Sekretariatsvorla- de der drei Bezirksparteiarchive Cottbus, Frankfurt gen, die mit bis zu 46 Blatt den Umfang der drei- bis (Oder) und Potsdam in das BLHA überführt werden. maximal 10-seitigen Protokolle um ein vielfaches Die Gesamtüberlieferung dieser unter Repositur 333 überschreiten. im BLHA geführten regionalen „Parteibehörde“ um- fasst 1228 Aktenbände oder 29,3 lfm und weist keine Editorische Grundsätze und Methoden offensichtlichen Lücken auf. Die einzelnen Bereiche Als Arbeitsgrundlage dienen die 1974 vom Arbeitskreis und Abteilungen sind – wenn auch in differierenden (außeruniversitärer) historischer Forschungseinrich- Quantitäten – dokumentiert. Der Bestand wurde 2004 tungen unter dem Titel „Zur Edition zeitgeschichtlicher sicherungsverfi lmt. Im vergangenen Jahr erfolgte die Quellen“ entwickelten und im darauffolgenden Jahr Retrokonversion der Findkartei in die Erschließungs- publizierten Grundsätze5 sowie die von Johannes datenbank „AUGIAS“, womit sowohl – wie bisher auch Schultze verfassten „Richtlinien für die Edition von – ein strukturierter Zugriff auf als auch eine Volltext- Quellen zur neueren deutschen Geschichte“6. suche im Bestand möglich sind. Form und Aufbau Der Umfang der zu edierenden Quellen legt eine Un- tergliederung in Bände nahe, wobei nicht rein quan- titative Berechnungen sondern vielmehr historischen Zäsuren ausschlaggebend sein sollen. Dies erfordert eine eingehende Beschäftigung mit Periodisierungs- fragen der SED- aber auch der DDR- sowie der Bran- denburger Geschichte. Es kann heute noch keine endgültige Aussage getroffen werden, ob eine zwei-, drei- oder sogar vierbändige Publikation entstehen wird. Eine zweibändige Ausgabe würde im ersten Band die bis zur Gründung der DDR entstandenen Protokolle Weithin sichtbar auf der Höhe des Brauhausberges in Potsdam die 1899/1902 von Franz Schwechten errichtete beinhalten und im zweiten Band die seitdem bis zur Kriegsschule (später Reichsarchiv, bis zur Wende Sitz der Aufl ösung der Landesparteiorganisation überlieferten SED-Bezirksleitung, heute Sitz des brandenburgischen Sitzungsniederschriften. Landtages). Am Turm: Emblem der SED. Die dreibändige Ausgabe kann gegliedert werden in 1. Sitzungen vom April 1946 bis zur 1. Parteikonfe- Protokolle der Sekretariatssitzungen renz der SED im Januar 1949, Die Niederschriften der im Zeitraum vom April 1946 bis zum Juli 1952 stattgefundenen 378 ordentlichen und außerordentlichen Sekretariatssitzungen sind in 40 Aktenbänden mit einem Gesamtumfang von 1,1 lfm bzw. 11.259 Blatt überliefert. Es ist zu konstatieren, 5 Arbeitskreis außeruniversitärer historischer For- dass generell nur Verlaufs- und keine Wortprotokolle schungseinrichtungen (Hrsg.): Zur Edition zeitge- schichtlicher Quellen. In: Jahrbuch der historischen – also stenografi sche Niederschriften – angefertigt Forschung, Berichtsjahr 1975, S. 137ff. wurden. Der Umfang variiert allerdings sehr. So sind 6 Johannes Schultze: Richtlinien für die Edition von bis Ende 1948 neben den zwei bis maximal acht Sei- Quellen zur neueren deutschen Geschichte. Neu ten umfassenden Sitzungsniederschriften in der Re- bearb. v. W. Heinemeyer. In: Richtlinien für die Edition gel Einladungen, Anwesenheitslisten und Beschluss- landesgeschichtlicher Quellen. Hrsg. v. Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. vorlagen nicht vorhanden. Auf eine Wiedergabe der Marburg, Hannover 2000, S. 31 ff.

29 Brandenburgische Archive · 24/2007 2. nachfolgende Sitzungen bis zum 3. Parteitag im Kommentierung und Textgestaltung Juli 1950 und Das zugrundegelegte Motto für die Kommentierungs- 3. Sitzungen bis zur Bildung der Bezirke im August intensität lautet: „Soviel wie nötig und so wenig wie 1952. möglich“. Dies erscheint auf den ersten Blick wenig Bei einer vierbändigen Edition könnte die Einteilung anspruchsvoll, ist jedoch in der Umsetzung schwie- folgendermaßen vorgenommen werden: rig. Die Quelle soll einerseits nicht von den Fußnoten 1. Niederschriften vom April 1946 bis zur Ende Juni „erschlagen“ werden, doch sind andererseits Erläute- 1948 in Werder (Havel) stattgefundenen zentralen rungen zwingend erforderlich. So werden die in den staatspolitischen Konferenz der SED, in deren Kon- Niederschriften genannten Personen, für die keine sequenz ein tiefer Einschnitt in die Kompetenzen Einzeldarstellung gefertigt wird, in einer Kurzbiografi e der Landesverwaltungen erfolgte, die zu nachge- vorgestellt. Diese bezieht sich im Wesentlichen auf die ordneten Behörden der Deutschen Zentralverwal- Parteizugehörigkeit und -funktionen und endet 1952. tung degradiert wurden – so Andreas Malycha in In den Niederschriften nicht näher erläuterte oder zu seiner Untersuchung „Die SED – Geschichte ihrer knapp gefasste Sachverhalte und Begriffe werden in Stalinisierung 1946 bis 1953“7, den Fußnoten erschlossen und durch Literaturhinwei- 2. die bis der Gründung der DDR überlieferten Nie- se ergänzt. Die Fußnoten werden fortlaufend numme- derschriften, riert, um Verweise auf vorhergehende Anmerkungen 3. alle Protokolle bis Ende des Jahres 1950 und zu ermöglichen. Die äußere Gestaltung der Originale 4. Niederschriften von der im Januar 1951 ihren Hö- wie Kopfbogenangaben oder gar eine zeilengetreue hepunkt erreichende und euphemistisch als „Par- Darstellung bleiben unberücksichtigt, da zur Veran- teiüberprüfung“ bezeichnete Säuberungsaktion in schaulichung jedem Band einige Abbildungen der den eigenen Reihen bis zur Bezirksbildung. Protokolle beigefügt werden sollen. Um die Lesbarkeit zu garantieren, erfolgt die Wiedergabe der Doku- In der Einleitung zum 1. Band werden die Gründe für mente buchstabengetreu unter Normalisierung der das Editionsvorhaben, die Überlieferung selbst und die Rechtschreibung einschließlich der Interpunktion. editorischen Grundsätze beschrieben. Die Reihung Im Original eindeutig verbesserte Stellen werden so der Dokumente innerhalb der einzelnen Bände richtet übernommen. Person- wie auch Ortsnamen werden sich nach der chronologischen Abfolge der Sitzungen, vereinheitlicht, wobei letztere der amtlichen Schreib- deren teilweise vorhandene Originalzählung nicht weise folgen. Das Kopfregest wird auf folgende An- wiedergegeben wird, sondern die vielmehr mit einer gaben beschränkt: fortlaufende Dokumentennummer, fortlaufenden Dokumentennummer versehen werden. die sich verändernde Bezeichnung des Bestands- Die Protokolle werden in ungekürzter Fassung – ohne bildners und das Sitzungsdatum. Es wird gleich den Anlagen – ediert. Alle pro Band veröffentlichten Do- Worten „Anwesende“ und „Tagesordnung“ sowie den kumente werden listenartig erfasst und unter Angabe in den Niederschriften wiederholten Tagesordnungs- der fortlaufenden Nummer und des Fundortes diesem punkten in Fettdruck gesetzt. Von den Bearbeitern im Anhang beigefügt. Jedem Band soll eine Liste der ermittelte Angaben werden durch eckige Klammern ungebräuchlichen Abkürzungen und der zitierten Li- gekennzeichnet. Ungebräuchliche Abkürzungen teratur beigegeben werden, auch wenn sich daraus werden aufgelöst. Hervorhebungen im Text – wie Un- Dopplungen ergeben können. Der besseren Hand- terstreichungen oder Sperrdruck – werden nur dann habbarkeit wegen, erfolgt die Indexierung von Perso- angemerkt, wenn dadurch Aussagen im Protokoll nennamen, geografi schen Bezeichnungen und auch besonders kenntlich gemacht wurden. Die Quelle und Schlagwörtern jeweils pro Band. Da kein sogenannter die nicht edierten Anlagen der Niederschriften werden Registerband vorgesehen ist, werden alle Mitglieder unter Angabe von Umfang und Titel als Schlussregest des Sekretariats im 1. Band mit Kurzbiografi e und Bild zusammengefasst. vorgestellt.

7 Andreas Malycha: Die SED-Geschichte ihrer Stalini- sierung 1946 bis 1953, Paderborn 2000.

30 Brandenburgische Archive · 24/2007 Bewertung von Unterlagen der volkseigenen Wirtschaft Fortsetzung der Übernahme von Archivgut Eine Übernahme des Archivgutes der – inzwischen Von Katrin Verch ehemals – abgabepfl ichtigen Betriebe gelang bei dem einen, der sein Schriftgut – und bei manch einem Seit der Umwandlung der volkseigenen Betriebe in Archivar das Lebenswerk – vor einer unsicheren Zu- Kapitalgesellschaften im Sommer 1990 sind über 16 kunft sichern wollte, beim andern nicht, der auch das Jahre vergangen. Es waren Jahre intensiver und ge- Schriftgut und die Geschichte als Pfand für die weitere gensätzlicher Diskussionen zu Archivwürdigkeit und Arbeit sah. Die Kontaktpfl ege, Besuche vor Ort und Verbleib des Schriftgutes, über Zuständigkeiten und die Bewertung von Archivlisten bildeten in dieser Zeit Bewertungsverfahren. Ich nehme die lange Zeitspan- den Arbeitsschwerpunkt. ne dieses Prozesses zum Anlass aufzuzeigen, wie wir Im Zusammenhang mit zunehmenden Diskussionen uns an die Lösung der anstehenden Fragen herange- zu Bewertungsfragen in der DDR entstand eine wei- tastet haben, und ein Zwischenresümee für Branden- tere Schwierigkeit: Sollen wir über den bisherigen burg und das Brandenburgische Landeshauptarchiv Rahmen hinaus das Schriftgut zusätzlicher Betriebe zu ziehen.1 übernehmen und – wenn ja – welcher? Es bot sich zumindest theoretisch die Möglichkeit, unzählige Be- Das Schriftgut der Betriebe, VVB und Kombinate aus triebsbestände auszuwählen. Wir waren uns bald einig, der Zeit von 1945 bis 1990 umfasst heute im Bran- dass die Zuordnung der Betriebe zur Wertkategorie I denburgischen Landeshauptarchiv knapp 3.000 lfm das Ergebnis langjähriger, umfassender Bewertungen und damit fast ¼ der Gesamtüberlieferung aus die- der damaligen Arbeitsgruppen im DDR-Maßstab war sem Zeitraum. Es fällt aber nicht nur mengenmäßig und wir uns auf diese Betriebe konzentrieren würden. ins Gewicht, sondern bildet in seiner Vielfalt mit 116 Zu überlegen war, ob Bestandsausfälle mit einem Beständen aus verschiedenen Industriezweigen einen anderen, ähnlichen Betrieb kompensiert werden gewichtigen Grundstock für die Forschung, sei es für könnten, beispielsweise statt der Kombinatsleitung die Geschichte des Betriebes, des Ortes, des Industrie- und des Stammbetriebes einen anderen dem Kombi- zweiges, der Technik oder des sozialen Zusammenle- nat angehörenden Betrieb zu übernehmen. Letztlich bens. Etwa die Hälfte des Schriftgutes war bis 1990 haben wir uns entschlossen, 15 zusätzliche Betriebe übernommen worden. Grundlage für die Übernahmen anzuschreiben, die ursprünglich in die Wertkategorie war die Archivverordnung von 1976 und damit unsere III eingeordnet waren. Das waren Betriebe, die für un- Zuständigkeit für die zentral- und bezirksgeleiteten Be- sere Region typisch und prägend waren und langjäh- triebe der Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cott- rige Traditionen besaßen, u.a. aus der Textil-, Ziegel-, bus, deren Gesamtzahl nochmals durch die Einordnung Holz- und Elektronikbranche. Doch lediglich von vier in die Wertkategorie I präzisiert wurde. Das waren ca. dieser Betriebe, bei denen die Liquidation bereits be- 55 Betriebe, deren Zahl durch Ein- und Ausstufungen gonnen hatte, konnten wir Archivgut übernehmen: von variierte. den Tuchfabriken in Finsterwalde, Forst und Guben sowie einem Elektronikbetrieb in Stahnsdorf. Mit den sich abzeichnenden Umgestaltungen im Jahre Gleichzeitig meldeten sich Betriebs- und Archivleiter, 1990 ergaben sich zwei Aufgaben. Es galt zum einen, deren Betriebe liquidiert werden sollten und die nicht die Übernahme des Archivgutes der abgabepfl ichtigen wussten, was sie mit dem Schriftgut machen sollten. Betriebe weiterhin zu realisieren, zum anderen, eine Hier waren wir wirklich in der Klemme. Selbst aktiv zu Verfahrensweise zum Umgang mit dem Schriftgut li- werden ist das eine, gefragt zu werden das andere. quidierter Betriebe zu entwickeln. Vor-Ort-Termine machten deutlich, dass meist nur das langfristig aufzubewahrende Schriftgut und Schriftgut der letzten 10 Jahre, besonders des Rechnungswe- 1 Vgl. Renate Schwärzel: Das Archiv- und Dokumen- sens, vorhanden waren. Dennoch übernahmen wir tationszentrum Berlin-Brandenburg DISOS GmbH in von fünf Betrieben ausgewählte Unterlagen: zwei Damsdorf. In: Brandenburgische Archive 17/18 (2001), Betrieben der Landtechnik, einem Organisations- und S. 28-30. Vgl. Katrin Verch: Bewertung des Schriftgutes Rechenzentrum, einem Baustoffkombinat und einer liquidierter Betriebe der DDR aus dem Informations- Kunstschmiede. Das waren Bereiche, die bisher mit und Dokumentationszentrum Brandenburg der DISOS Betriebsüberlieferungen nicht dokumentiert waren. GmbH. In: Ebd. S. 36-38.

31 Brandenburgische Archive · 24/2007 Sicherung des Schriftgutes der liquidierten Betriebe historisches Schriftgut stattfi nden würde. Keiner, auch nicht die Treuhandanstalt, wusste, wie Leider konnte der Umgang mit dem Schriftgut der zu viele Betriebe verkauft werden könnten und in wel- verkaufenden Betriebe nicht im Sinne der staatlichen chem Umfang es zu Liquidationen kommen würde. Archive geklärt werden. Diese hätten das Schriftgut, Völlig offen war, wer für das aufbewahrungspfl ichtige das in der DDR staatlichen Charakter trug, gern vom Schriftgut nach Handels- und Steuerrecht sowie für Verkauf ausgeschlossen. Die Treuhandanstalt sah die Lohn- und Gehaltsauskünfte zuständig wäre. Die darin eine Benachteiligung der Käufer, die nicht hin- Landesarchive sahen sich weder räumlich noch per- zunehmen sei. Uns blieb deshalb nur die Möglichkeit, sonell in der Lage, diese Aufgaben zusätzlich zu über- mit den neuen Eigentümern direkt zu verhandeln. nehmen. Sie konnten auch nur gemeinsam mit der Treuhandanstalt als dem Akteneigner über Möglich- Erarbeitung von Verfahrenshinweisen zur Bewertung keiten zur Sicherung und Bewertung der historischen Nachdem Aufbewahrungsorte zur Sicherung des Unterlagen verhandeln. Schriftgutes der liquidierten Betriebe geschaffen worden waren, bestand die nächste Aufgabe darin, Im Laufe des Jahres 1991 gelang es dem Bundes- sich über Bewertungsverfahren und -kriterien sowie archiv, den Landesarchiven und der Treuhandan- Zuständigkeitsregelungen zu verständigen. Die Treu- stalt, gemeinsame Positionen zur Aufbewahrung des handanstalt rechnete inzwischen für alle neuen Bun- Schriftgutes der liquidierten Betriebe zu erarbeiten. desländer mit 200.000 lfm und für Brandenburg mit Diskutiert wurden zwei Varianten: Aufbewahrung des 30.000 lfm Schriftgut. Als die Aufl ösung der Treuhand- Schriftgutes in den Landesarchiven (bei Bereitstellung anstalt zum 1. Januar 1995 absehbar war, kam es im von Räumlichkeiten und Mitteln durch die Treuhandan- September 1994 zu einem Treffen von Vertretern der stalt) oder Errichtung von Depots bei der Treuhandan- Treuhandanstalt, des Bundesarchivs, der Landes- stalt. Die Entscheidung fi el zugunsten der 2. Variante. archive, von Berliner Universitäten, der Vereinigung Ende 1991/Anfang 1992 begann die Treuhandanstalt, der Wirtschaftsarchivare e.V. und von Wirtschaftsar- die Depots in den einzelnen Ländern aufzubauen. Die chiven. Ziel der Zusammenkunft war, Weichen für die Arbeitsanweisung der Treuhandanstalt zur Archivie- neu zu bildende DISOS GmbH zu stellen, die dann im rung von Schriftgut liquidierter Unternehmen vom Mai Auftrag der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte 1992 beschränkte sich dann nicht nur auf das eben Sonderaufgaben (als Nachfolger der Treuhandan- genannte aufbewahrungspfl ichtige Schriftgut, sondern stalt) das Schriftgut verwalten sollte. Es wurde über enthielt ebenfalls eine Checkliste mit Schriftgutpositi- die Gültigkeit der Bewertungshilfsmittel der DDR-Zeit, onen, die historische Bedeutung haben und die wir über die Einbeziehung von Wissenschaftlern und von der Treuhandanstalt in Anlehnung an die in der DDR Wirtschaftsarchivaren der alten Bundesländer in den erarbeitete Liste der Archivgutpositionen zugearbeitet Bewertungsprozess, aber auch über mögliche End- hatten. Auf diese Weise konnte potenzielles Archivgut archive beraten. Die DDR-Zuständigkeitsregelungen schnell gesichert werden. Überdies ermächtigte die waren nicht von allen Seiten anerkannt. Insbesondere Arbeitsanweisung die Landesarchive, nicht archivie- wurde der Standpunkt vertreten, dass die Landes- rungspfl ichtiges Schriftgut sofort zu übernehmen. archive nicht Anspruch auf das Schriftgut aller zen- Diese Ergebnisse bedeuteten für uns einen Zeitauf- tral- und bezirksgeleiteten Betriebe hätten, sondern schub für die Bewertung. Wir brauchten nicht mehr ad nur Anspruch auf die Betriebe der Wertkategorie I. hoc auf Anfragen zu reagieren, sondern es eröffnete In Sachsen fühlte sich auch das Wirtschaftsarchiv in sich die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt Leipzig für die Betriebsbestände verantwortlich. mit einem Überblick über vorhandene Bestände die Beschlossen wurde, eine zentrale Bewertungskom- Bewertung vorzunehmen. Dagegen konnte nicht ar- mission und möglicherweise Bewertungskommissi- chivierungspfl ichtiges, aber archivwürdiges Schriftgut onen in den Ländern zu bilden, um all diese Fragen der liquidierten Betriebe ohne den Umweg über das in kleineren Gremien effektiver zu klären. Die zen- Depot übernommen werden, was für die Betriebe der trale Bewertungskommission, bestehend aus sieben Wertkategorie I von Bedeutung war. Ein Wermuts- Vertretern (Bundesarchiv, zwei Landesarchive, Kom- tropfen verblieb dennoch, weil wir praktisch bei der munalarchiv, regionales Wirtschaftsarchiv der alten großen Anzahl der in Liquidation befi ndlichen Betriebe Bundesländer, Wissenschaftler, Treuhandanstalt), trat keinen Einfl uss darauf nehmen konnten, inwieweit daraufhin zusammen und beriet über ihre Aufgaben. bereits vom abgebenden Betrieb eine Vorauswahl für Nach ersten Vorstellungen sollte sie allgemeine Emp-

32 Brandenburgische Archive · 24/2007 fehlungen über zu übernehmende Betriebsbestände, zweiges im Zusammenhang zu bewerten, konnte aus Aktenpositionen und Endarchive geben. Das wäre diesem Grunde nicht entsprochen werden. eine archivwissenschaftliche Aufgabe gewesen, die sich über viele Jahre erstreckt hätte. Sie empfahl In Brandenburg berief der Archivreferent eine Bewer- deshalb den zu bildenden regionalen Bewertungs- tungskommission, bestehend aus je zwei Archivaren kommissionen „nur“, über Aufbewahrung oder Kassa- des Landeshauptarchivs und der Kommunalarchive, tion in ihrem Sprengel selbst zu entscheiden. Bereits ein. Die Kommission legt Vorschläge über die Endar- vorhandene Bestandsaufbauten in staatlichen und chive vor, die dann durch den Archivreferenten bzw. kommunalen Archiven sollten ergänzt werden. Für das Ministerium bestätigt werden. Die Kommission das übrige Schriftgut, das den weitaus größten An- legt nicht fest, welche Bestände aufgehoben werden teil darstellte, sollten auch bestehende oder künftige sollen. Das ist Aufgabe der Endarchive. regionale Wirtschaftsarchive in Betracht kommen. Außerdem empfahl sie, möglichst schnell und nicht Bewertung in Brandenburg und im BLHA erst nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen mit der Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv haben Bewertung zu beginnen. Die Federführung sollte den wir im Vorhinein keine Listen über zu übernehmende Archivreferenten übertragen werden. Bestände erarbeitet. Da wir zu keinem Zeitpunkt eine Übersicht über die Betriebe hatten, die sich bereits in 1995 entstand so eine veränderte Situation. Die DISOS Liquidation befanden und natürlich nicht über jene, bei GmbH, die das aufbewahrungspfl ichtige Schriftgut denen sie noch eingeleitet werden könnte, nahmen wir zu verwahren und Auskünfte zu Lohn- und Gehalts- von dem Gedanken Abstand. Bei dem erforderlichen fragen zu erteilen hatte, war an einer schnellen Be- Aufwand schien uns der Nutzen ungewiss. wertung interessiert, damit die Akten nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen sofort kassiert oder archiviert Dennoch haben wir folgende Grundsätze für die Be- werden könnten. Gleichzeitig übernahmen die Archiv- wertung erarbeitet: referenten die Federführung im Bewertungsprozess. 1. Betriebe, von denen es bereits einen Bestand aus Ihnen oblag für ihre Sprengel die Festlegung der En- der Zeit vor oder nach 1945 gibt, sind in der Regel darchive, die auf den DDR-Zuständigkeiten beruhen zu übernehmen. Das trifft insbesondere auf die sollte, und sie vertraten die Auffassung, dass keine Betriebe der Wertkategorie I zu. Übernahmever- lange diskutierenden und gesonderten regionalen luste der Wertkategorie I sollten mit Ersatzüber- Bewertungskommissionen erforderlich sind, sondern lieferungen ausgeglichen werden. in den Endarchiven Fachkräfte tätig sind, die über das 2. Im BLHA sind vorwiegend Großbetriebe über- nötige Fachwissen und Erfahrungen verfügen. Die liefert. Es sollten auch kleinere bedeutsame Be- Endarchive sollten dann selbst über die Archivwürdig- triebe ergänzt werden, beispielsweise solche, die keit der ihnen zugeordneten Bestände bestimmen. bis 1972 in privater Hand waren. Bei Betrieben mit Unter der Leitung der Archivreferenten mündete der jahrzehntelanger Tradition, die bis vor 1900 rei- Prozess des Ringens um Klärung der Fragen um Auf- chen können und typische Industriezweige für die bewahrungspfl ichten, Bewahrung des historisch Wert- Region darstellen, die aber nicht abgabepfl ichtig vollen und Bewertung der in den Depots befi ndlichen waren, sollte eine Übernahme erfolgen. Bestände in der Unterzeichnung der „Verfahrenshin- 3. Es sind die einzelnen Registraturbildnertypen zu weise zur Zusammenarbeit der DISOS-Landesde- dokumentieren. Gibt es von einem Typ mehrere pots mit den Archivreferenten der Neuen Länder“ am Bestände, u.a. bedingt durch die drei Bezirke 13.11.1996. Ziel war eine zügige Bewertung des in Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus, so ist den Depots befi ndlichen Schriftgutes vor Ablauf der gegebenenfalls eine Auswahl zu treffen. gesetzlichen Aufbewahrungsfristen. Doch zu diesem 4. Von Industriezweigen, von denen es bisher kei- Zeitpunkt war in den Depots kein Bestand vollständig ne oder kaum eine Überlieferung gibt, sind eher eingelagert. Die DISOS GmbH war mit dem Vorschlag Unterlagen zu übernehmen, z.B. Handel oder einverstanden, zunächst die Listen derjenigen Be- Dienstleistungen. stände zur Verfügung zu stellen, bei denen das über- 5. Insbesondere bei den bezirksgeleiteten Betrieben wiegende Schriftgut bereits eingelagert war und nur ist zu überlegen, ob die Überlieferung des Rates noch Restakten beim Liquidator vorhanden waren. des Bezirkes zu diesem Betrieb ausreichend ist, Dem Wunsch, die Listen der Betriebe eines Industrie- denn die Entscheidung, bezirksgeleitete Betriebe

33 Brandenburgische Archive · 24/2007 kaum zu übernehmen, ist ehemals gerade deshalb festzustellen. Zur Effektivierung der Arbeit der Bewer- gefallen, weil jene Überlieferung als ausreichend tungskommission übernahmen die zwei Kolleginnen beurteilt wurde. im BLHA die Aufgabe, die jeweilige Unterstellung der 6. Es ist die Überlieferungslage des angebotenen Betriebe festzustellen. Bereits zu diesem Zeitpunkt Bestandes zu überprüfen. Handelt es sich um befassten wir uns mit den Aufgaben und der Be- eine breite Überlieferung über mehrere Jahr- deutung der zentral- und bezirksgeleiteten Betriebe, zehnte und über die verschiedensten Bereiche, begutachteten deren Listen und legten fest, welche wie Werkleiter, Kader, Forschung und Entwick- Bestände wir übernehmen wollen. Zu jedem Bestand lung, so ist die Übernahme eher zu bejahen. wird ein Bewertungsprotokoll angefertigt, aus dem u.a. Setzt die Überlieferung jedoch erst in den 1980er die Unterstellung, die Archivwürdigkeit der Aktenposi- Jahren ein und beinhaltet vorwiegend Bilanzen tionen und die Bewertungsentscheidung festgehalten und Jahresabschlüsse, so wird eher keine Über- werden. Die übrig gebliebenen Betriebe wurden gleich nahme erfolgen. Eine umfassende Überlieferung, dem Kreisarchiv, in dessen Sprengel sie lagen, zuge- die die Arbeit des Bestandsbildners in möglichst ordnet und das jeweilige Kreisarchiv als das mögliche vielen Bereichen dokumentiert, ist mehreren klei- Endarchiv ausgewiesen. nen Splitterbeständen vorzuziehen. Der Vorschlag wird in der Arbeitsgruppe beraten, dem Archivreferenten/dem Ministerium vorgelegt und Wir wussten, dass die wenigsten Bestände der danach werden die Listen den zuständigen Archiven Wertkategorie I zugeordnet und somit für die Über- zugeschickt. nahme vorgesehen waren. Andererseits bestätigte sich bereits mit den ersten zu bewertenden Listen Nach der Entscheidung für einen Bestand folgt als zwei- der Eindruck der Jahre 1991/92. Die Überlieferungen ter Schritt die Auswahl der konkreten Aktentitel. Welche der nicht abgabepfl ichtigen Betriebe begann zumeist Akten sind archivwürdig? Auch hierzu wurde kein neuer erst in den 1980er Jahren. Ältere Positionen waren Übernahmekatalog erarbeitet. Wir nahmen die zu DDR- Eigentumsnachweise, Bauunterlagen oder einzelne Zeiten erarbeiteten Positionen als Arbeitsgrundlage Akten, die sich „Betriebsgeschichte“ oder „Chronik“ (Verzeichnisse der Archivgutpositionen und der verein- nannten. Diese Bestände waren nach unseren Krite- fachten Kassation, Schriftgutbewertungsverzeichnisse rien eher nicht für die Übernahme vorzusehen. Das eines Industriezweiges, Aktenpläne). Es ist jedoch stets bedeutete letztlich, auf diese Weise viele Bestände zu prüfen, ob sie den heutigen Sichtweisen standhalten. der Kassation freizugeben. Es entstand der Gedanke, Besonders ist auf DDR-Typisches zu achten. die Listen dennoch den Kreisarchiven zur Bewertung Aus der Kenntnis der bereits im Magazin lagernden anzubieten, wohl wissend, dass hierzu unter Archi- Bestände wissen wir, dass häufi g der technische varen gegensätzliche Positionen existieren. Damit Bereich unterrepräsentiert ist, beginnend mit der Be- wollten wir den Kreisarchivaren nicht den „Schwarzen schreibung technischer Betriebsabläufe, der aufge- Peter“ zuschieben und unser Gewissen reinwaschen. stellten Maschinen sowie der Produkte mit ihren Be- Wir haben schon diskutiert, ob denn ein Bestand für dienungsanweisungen und Prospekten. Technische das Landeshauptarchiv kassabel sein könne, für das Neuheiten und Besonderheiten bei der Vielzahl der Kreisarchiv aber archivwürdig. Auf den ersten Blick Industriezweige zu erkennen, ist schwierig, zumal, mag das paradox scheinen. Wir ließen uns von den wenn kein Fachmann befragt werden kann. Überlegungen leiten, dass solche Bestände kaum Langfristig aufzubewahrendes Schriftgut, wie Eigen- für umfassende Forschungen geeignet sind, jedoch tumsnachweise, Grundbuchunterlagen, Kaufverträge durchaus einzelne wichtige Informationen zur Regi- über Grundstücke und Gebäude und Bauunterlagen, onalgeschichte enthalten könnten. Wohlgemerkt, es bewerteten wir grundsätzlich aus archivischer Sicht und handelt sich nicht um eine Nachbewertung von Be- ließen uns von der Überlegung leiten, dass diese Un- ständen, bei denen wir bereits archivwürdige Akten terlagen keinen praktischen Wert mehr besitzen. Diese herausgelöst haben. Unterlagen haben wir bei den Beständen, die wir als Damit hatten wir die grundsätzliche Strategie festge- archivwürdig eingestuft haben, mit „A“ bewertet, auch legt, welche Bestände wir übernehmen wollen. Bauunterlagen zur Lage der Gebäude und inneren Aufteilung von Werkhallen. Insbesondere bemühten Für die praktische Arbeit ergab sich ein erheblicher wir uns, Zeichnungen von historischen Gebäuden, die Zeitaufwand. Zunächst galt es, die Zuständigkeit vielleicht sogar unter Denkmalschutz stehen, zu erken-

34 Brandenburgische Archive · 24/2007 nen. Dagegen blieben Zeichnungen über die Lage der als archivwürdig. Keiner weiß, inwieweit die Aktentitel Elektroleitungen oder Wasseranschlüsse unbeachtet. den Inhalt der Akten tatsächlich wiedergeben. Uns Natürlich haben wir an dieser Stelle auch an die Be- wurde zwar von der DISOS GmbH die Möglichkeit zur nutzungsthemen der vergangenen Jahre gedacht. Einsichtnahme in die Akten vor Ort eingeräumt, doch Grob gesagt, gibt es zwei Arten von Benutzern. Zum bei diesen Mengen ist das ein illusorisches Unterfan- einen diejenigen, die sich mit der Geschichte eines gen. Von großem Vorteil sind hingegen die jahrelan- konkreten Betriebes oder mit der Ortsgeschichte be- gen Erfahrungen im Umgang mit Wirtschaftsschriftgut fassen und in diesem Zusammenhang den Betriebs- der bewertenden Kolleginnen. bestand umfassend durchforsten; zum anderen den Benutzer, der sich mit einem Sachthema, wie der Zwischenresümee Rolle des Sports, der Kulturarbeit oder der Zivilver- In Brandenburg waren bisher insgesamt 210.600 teidigung in Betrieben befasst und dem es egal ist, Akten zu bewerten. Eine genaue Statistik lässt sich welchen Bestand er nutzt, Hauptsache, er wird fündig. nicht vorlegen, weil zwei bis drei Archive bisher kaum Zumeist handelt es sich um allgemeine historische Bewertungsentscheidungen getroffen haben und Themen. Dadurch bleiben ganze Themenkomplexe manche Archive zahlreiche Akten mit „Durchsicht“ nahezu unbearbeitet, vor allem die Bereiche Tech- gekennzeichnet haben. Im Gesamtschnitt sind bisher nik und Betriebswirtschaft/Finanzen, die vermutlich knapp 9 % der Akten als archivwürdig gekennzeich- wegen der erforderlichen Fachkenntnisse eher durch net worden, wobei die Zahlen zwischen 0,2 und 40 % Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler bearbeitet schwanken. Vermutlich ist die Überlieferungslage werden. Ausklammern kann man sie deshalb nicht. sehr unterschiedlich oder spielen Platzfragen eine Ganz zu schweigen von Themen, die wir uns heute Rolle. Manch ein Archiv bewertet vielleicht zunächst nicht vorstellen können. großzügiger, um später nach Erhalt der Akten und Die Abschaffung des Volkseigentums im Jahre 1990 Einsichtnahme in Ruhe und mehr Sachkenntnis zu sollte keine zeitliche Grenze sein. Gerade der Prozess entscheiden. der Umwandlung des VEB in eine GmbH oder AG, die Verhandlungen um einen möglichen Käufer und Wie sieht nun das Bewertungsergebnis für das Bran- letztlich die Gründe für das Aus sollen nachvollziehbar denburgische Landeshauptarchiv aus? bleiben. Manchmal entstammen 50 % der Akten aus Seit 1990 wurden 15 Betriebsbestände mit 251 lfm dieser Zeit. Doppelüberlieferungen aus der Bewer- zusätzlich zu den in die Wertkategorie I oder bereits tung des Schriftgutes der Treuhandanstalt und Bun- im Archiv befi ndlichen Beständen übernommen. desanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben Im Rahmen der Bewertung der liquidierten Betriebe durch das Bundesarchiv sind eher nicht zu erwarten, wurden bei denjenigen Betrieben, die als archivwürdig da sich das Bundesarchiv vermutlich auf ausgewählte eingestuft wurden, etwa 10 % der Akten als archivwür- Betriebsbeispiele konzentrieren wird. dig gekennzeichnet. Wir rechnen derzeit mit maximal 850 lfm. Da bei zahlreichen Beständen keine Archiv- Bereits 1996 und erst recht im Laufe des Bewertungs- würdigkeit vorlag, liegt die Übernahmequote also unter prozesses stellten wir uns die Frage, ob wir uns eine 10 %. Zusätzlich zu bereits vorhandenen Bestands- Mengenbeschränkung auferlegen sollten. Jeder gute aufbauten haben wir 18 Betriebsbestände mit 106 lfm Archivar wird aufbegehren, wenn die Magazingröße als archivwürdig bewertet, von denen wiederum sechs über die Archivwürdigkeit entscheiden soll. Praktisch Betriebe auch zu den o.g. 15 nach 1990 übernommen aber sind sowohl Magazine und die Kapazitäten zum Beständen gehören. Die Übergabe aller als archiv- Neubau begrenzt als auch das Personalvolumen zur würdig bewerteten Bestände und Akten erfolgt jeweils fachlichen Bearbeitung. Es soll nicht verschweigen 10 Jahre nach Beendigung der Liquidation. An dieser werden, dass wir unsere Bewertungsergebnisse auch Stelle kann letztmalig entschieden werden, auf einen regelmäßig rechnerisch ausgewertet haben. Im Ver- Bestand doch noch zu verzichten. gleich zu den bereits vorhandenen knapp 3.000 lfm haben wir im Stillen mit 500 - 1.000 lfm gerechnet. Die In einem Beratungsgespräch vertraute mir einmal ein 1.000 m-Marke wird wahrscheinlich ohne rigide Be- Historiker an, er schimpfe zwar gern, wenn ein Be- wertungsenthaltung einzuhalten sein. Im Gegenteil, stand, den er sucht, nicht überliefert ist. Dennoch sei nach getroffener Entscheidung zur Übernahme eines er froh, die Entscheidungen über Aufbewahrung oder Bestandes kennzeichnen wir die Akten eher großzügig Kassation nicht treffen zu müssen.

35 Brandenburgische Archive · 24/2007 Qualität – Zuverlässigkeit – Kompetenz

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37 Brandenburgische Archive · 24/2007 Auswahl nach dem Zufälligkeitsprinzip: Auswahl, die nicht auf dem Zufälligkeitsprinzip be- - Grundgesamtheit nicht unterteilt – ungeschichtet, ruht: - Grundgesamtheit ist unterteilt – geschichtet. - Auswahl in einem Schritt – einstufi g, - Auswahl durch Kombination hinter einander vorzunehmender Auswahlverfahren - mehrstufi g Zufallsauswahl: Willkürliche Auswahl: Bewusste Auswahl:

-Lotterieverfahren -Auswahlverfahren nach -Typische Fälle Ermessen des Auswäh- lenden -Auswahlverfahren nach Zufallszahlen -Wesentliche oder große Fälle nach dem Konzentrationsprinzip -Hilfsverfahren: -Fälle aus sozialen Systematische Auswahl jedes n-ten Falls mit Netz-werken nach dem Zufallsstart, Buchstabenauswahl, Schnee-ballverfahren Schlussziffernverfahren, Geburtstagsverfahren. -Quotenauswahl Abb. Auswahlverfahren

und Auswahl, die nicht auf dem Zufälligkeitsprinzip Zufallszahlen erreicht werden kann.7 beruht, und berücksichtigt, dass die Repräsentativität In seiner Dissertation untersuchte Matthias Buchholz der Auswahl nur durch eine Zufallsstichprobe nach 2001 statistische Auswahlverfahren bei der Bewertung Zufallszahlen erreicht werden kann (Abb.). Für die von Sozialhilfeakten und kam dabei zu dem Ergebnis, Auswahl ist die Grundgesamtheit festzustellen bzw. dass die variantenreiche Auswahl aufgrund der dafür zu defi nieren und über das Verfahren zu entscheiden. erforderlichen Größe der Grundgesamtheit für kom- munale Archive eine weniger geeignete Methode ist Aus den Veröffentlichungen über die Auswahlmethoden und die Repräsentativität der Stichprobe eher durch und -verfahren bei der archivischen Bewertung sei an Zufallsauswahl nach Zufallszahlen erreicht wird.8 dieser Stelle auf nachfolgende Arbeiten hingewiesen: Irmtraud Eder Stein äußerte sich 1992 zu Grundzügen Massenakten der Landesverwaltung Brandenburg der Samplebildung durch repräsentative Querschnitte – Bewertung, Auswahlmethoden und -verfahren und die Auswahl wichtiger Einzelfälle am Beispiel der an Beispielen Justiz.6 Bei der Samplebildung nach realer Quote wird Das BLHA als das zuständige Archiv für alle Stellen die Repräsentativität durch das Verhältnis der Quote des Landes Brandenburg hatte in der ersten Hälfte zur Gesamtheit hergestellt, bei Samplebildung nach der 90er Jahre zunächst weniger Anforderungen hin- Stichprobe durch die Art der Stichprobenziehung. sichtlich der Bewertung von Unterlagen zu erfüllen. 1993 stellte Arndt Kluge in einem Artikel ein Konzept Es war vor allem in der Beratung der neu gebildeten der variantenreichen Auswahl vor und setzte sich mit der Repräsentativität von Stichproben auseinander, die nach seiner Auffassung durch die Kombination 7 Arndt Kluge: Stichprobenverfahren zur archivischen von Klumpenstichproben mit bewusster Auswahl und Auswahl massenhaft gleichförmiger Einzelfallakten. In: einfachen und geschichteten Zufallsstichproben nach Der Archivar 46 (1993), Sp. 542-556. 8 Vgl. Matthias Buchholz: Überlieferungsbildung bei massenhaft gleichförmigen Einzelfallakten im Spannungsfeld von Bewertungsdiskussion, Reprä- sentativität und Nutzungsperspektive. Eine Fallstudie 6 Vgl. Irmtraut Eder-Stein: Aktenstruktur und Samplebil- am Beispiel von Sozialhilfeakten der oberbergischen dung. Überlegungen zur Archivierung von massenhaft Gemeinde Lindlar (= Archivhefte, Landschaftsverband anfallenden Einzelfallakten am Beispiel der Justiz. In: Rheinland, Archivberatungsstelle Rheinland, Bd. 35), Der Archivar 45 (1992), Sp. 563-572. Köln 2001.

38 Brandenburgische Archive · 24/2007 Landesbehörden tätig. Fragestellungen und Anforde- und zu deren Aufhebung sowie historisch oder sons- rungen aus der Landesverwaltung betrafen Organisa- tig wertvolle Akten benannt. Für die Feststellung des tionslösungen zur Schriftgutverwaltung, Aktenpläne Wertes letztgenannter Unterlagen und Kennzeichnung und Aufbewahrungsfristen. Oberste Landesbehörden der Akten bei der Weglegung sind die Mitarbeiter der begannen mit der Ausarbeitung von Aufbewahrungs- Justiz zuständig. Gekennzeichnete Akten erhalten und Aussonderungsbestimmungen. Die Aufgaben des einen entsprechenden Vermerk im Register und sind BLHA und das Verfahren der Anbietung, Bewertung laufend in ein Verzeichnis aufzunehmen, welches und Übernahme der Unterlagen waren 1994 durch dem Archiv bei Beginn der Aussonderung zu übersen- das BbgArchivG geregelt worden, so dass der recht- den ist. Allerdings wird diese Verfahrensweise in der liche Rahmen für die in der zweiten Hälfte der 90er Praxis kaum befolgt, bisher boten lediglich zwei Fach- Jahre verstärkt einsetzenden Aktenaussonderungen gerichte als archivwürdig gekennzeichnete Akten an. zur Verfügung stand. Erste Anbietungen von Massen- Die Ursache dafür kann sowohl in der Art der bisher akten standen im Bereich der Justiz, der Sozial- und zur Aussonderung vorgesehenen Unterlagen als auch Finanzverwaltung an. Auf Probleme ihrer Bewertung in mangelnder Handhabbarkeit vorhandener Auswahl- soll nachfolgend eingegangen werden. kriterien vermutet werden. Den Archivmitarbeitern wird die letzte Entscheidung Die Einführung der Strukturen in der Justiz nach Bun- über die Archivwürdigkeit zugestanden und die Mög- desrecht wurde im Land Brandenburg zum 1.12.1993 lichkeit zur Auswahl von Archivgut eingeräumt. abgeschlossen und 25 Amtsgerichte, 4 Landgerichte und ein OLG sowie infolge der Ausgliederung der Die ARK-Arbeitsgruppe zur Bewertung und Archivie- Fachgerichtsbarkeiten aus der ordentlichen Gerichts- rung von Massenakten der Justiz hat grundlegende barkeit 4 Verwaltungsgerichte, 8 Arbeitsgerichte, 5 Fragen der Überlieferungsbildung bearbeitet.10 Im Sozialgerichte und ein Finanzgericht eingerichtet. Die Ergebnis liegt für jede Position der Aufbewahrungsbe- Generalstaatsanwaltschaft und 4 Staatsanwaltschaften stimmung eine Bewertungsempfehlung zur vollstän- hatten ihre Tätigkeit aufgenommen. Dem Justizressort digen Aufbewahrung, Kassation oder Aufbewahrung unterstanden 11 Justizvollzugsanstalten.9 einer Auswahl vor. Es werden Möglichkeiten der Aus- Für das Land Brandenburg wurden die bundesein- wahl besonderer Einzelfälle, der Samplebildung und heitliche Aufbewahrungsbestimmungen für die Unter- Alternativen aufgezeigt. lagen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsan- Aufgrund der Erfahrungen und Probleme bei der waltschaften und der Justizvollzugsbehörden mit der Anwendung von Auswahlkriterien orientierte die ARK- Allgemeinen Verfügung des Ministers der Justiz vom Arbeitsgruppe darauf, möglichst einfach handhabbare 2. Juni 1992 in Kraft gesetzt und die Ablieferung von Kriterien vorzugeben und bei der Autopsie auch auf Unterlagen an das Archiv mit einer weiteren Allge- äußere Merkmale, wie Umfang der Akten, sowie leicht meinen Verfügung vom 25. Juni 1992 geregelt. Von feststellbare innere Merkmalen, z.B. Vorhandensein der Aussonderung ausgenommen waren und sind von Gutachten, zu achten. Neben der Beachtung zunächst weiterhin Unterlagen der Justiz der DDR, dieses Ansatzes stand die Aufgabe, Hinweise zum Akten der nach dem 1. November 1989 eingeleiteten möglichen Inhalt auszuwählender besonderer Ein- Kassationsverfahren, Akten über Rehabilitierungsver- zelfälle aus Sachverhalten mit landesgeschichtlicher fahren sowie über Strafverfahren gegen Funktionsträ- Bedeutung, Besonderheiten bei Betroffenen und/oder ger der DDR-Justiz, des DDR-Strafvollzugs und des Beteiligten abzuleiten und rechtsgeschichtliche As- Staatsicherheitsdienstes. pekte einzubeziehen. Nach dem vorgegebenen Aussonderungsverfahren für die übrigen Unterlagen erhält das BLHA sechs Zur Bewertung von Unterlagen der Amtsgerichte Monate vor Beginn der Arbeiten eine Mitteilung mit wurde festgelegt, als archivwürdig gekennzeichnete allgemeiner Bezeichnung der betroffenen Unterlagen. Akten bzw. Einzelfallakten mit besonderer Bedeutung Als abzuliefernde Unterlagen werden dauernd auf- zubewahrende Akten, Verfahren zur Todeserklärung 10 Empfehlungen zur Archivierung von Massenakten der Rechtspfl ege. Abschlussbericht der Bund-Länder- 9 Vgl. Rainer Faupel: Stand der Neuorganisation der Arbeitsgruppe zu Fragen der Bewertung und Archi- Gerichtsbarkeiten im Land Brandenburg. In: Neue vierung von Massenakten der Justiz in Deutschland. Justiz 12/1992, S. 534-536. Düsseldorf 1999.

39 Brandenburgische Archive · 24/2007 aller Gerichte zu übernehmen. Darüber hinaus soll Erprobung der Auswahlkriterien der Aufbewahrungs- aus bestimmten Unterlagen der Amtsgerichte Cott- bestimmungen der Justiz, der Bewertungsempfeh- bus, Senftenberg, Frankfurt (Oder), Schwedt (Oder), lungen der ARK-Arbeitsgruppe sowie Hinweisen des Neuruppin, Perleberg, Potsdam und Luckenwalde ein BLHA auf zeit- und ortstypische Straftaten stellte sich Ausschnitt ausgewählt und übernommen werden. Die schnell heraus, dass ein gezielter Zugriff auf beson- Aussonderungen in den Amtsgerichten erfolgen nach dere oder vorher defi nierte bestimmte Einzelfälle über Jahrgängen und werden mit einer Liste der Positionen Registraturhilfsmittel nicht möglich war und Aufwand nach dem Schema der Aufbewahrungsbestimmungen und Ergebnis der Ermittlung durch Autopsie in keinem angekündigt. Der große Umfang der Aktenbestände und vertretbaren Verhältnis lagen. In Zusammenarbeit die Personalsituation in den Amtsgerichten erlaubt dar- mit den Staatsanwaltschaften wurde versucht, mit über hinaus keine über den in den Aussonderungsbe- handhabbaren und einfach umzusetzenden Vorgaben stimmungen vorgesehenden Beitrag hinausgehende die Auswahl von Unterlagen bei der Aussonderung Betätigung zur Feststellung der Archiv würdigkeit von zu realisieren. Bei der für das Land Brandenburg ab Unterlagen. Die Registraturorganisa tion der Amtsge- 1990 zu treffenden Auswahl sollten u.a. zeittypische richte ermöglicht zur Zeit auch nicht den Überblick über Strafverfahren der Wirtschafts- und Vereinigungskri- den Umfang der Grundgesamtheit und der Teilserien, minalität, der Jugendkriminalität, des Drogenbesitzes der bei der Festlegung zur Stichprobenauswahl zu und -handels, politisch motivierter Straftaten, Um- berücksichtigen wäre, so dass über Alternativen der weltdelikten, Strafverfahren im Zusammenhang mit Überlieferungsbildung nachzudenken ist. der organisierten Kriminalität und Straftaten im Amt berücksichtigt werden. Für Strafverfahrensakten zum Die allgemeinen Auswahlkriterien der Aufbewahrungs- SED-Unrecht ist die vollständige Übernahme vorgese- bestimmungen gelten auch für die Strafverfahrens- hen, aus den Ermittlungsakten wird unter Mitwirkung akten der Staatsanwaltschaften. Die Staatsanwalt- der Justizbehörden eine Auswahl zu treffen sein. schaften wurden bei den Bezirksgerichten Cottbus Dazu konnten Verfahren nach bestimmten Delikten mit Zweigstelle Finsterwalde, Frankfurt (Oder) mit und Akten und/oder Urteilssammlungen bestimmter Zweigstelle Eberswalde und Potsdam mit Zweigstel- Abteilungen benannt werden, daneben besondere len Brandenburg und Neuruppin gebildet und bis zum Strafverfahren, von denen das BLHA durch Veröffent- 1. Dezember 1993 an den bundeseinheitlichen Justiz- lichungen in den Medien oder anderweitig Kenntnis aufbau angepasst. erlangte, angefordert werden. Außerdem sollte die Sie ermitteln zu Straftaten und entscheiden über An- Auswahl einer Stichprobe aus den übrigen Strafver- klageerhebung oder Einstellung des Verfahrens nach fahren in Betracht gezogen werden Abschluss des Ermittlungsverfahrens. Neben der je- Die Überlieferung der Staatsanwaltschaften des weiligen territorialen Zuständigkeit wurden den Staats- Landes Brandenburg ab 1990 im BLHA entstand anwaltschaften landesweite Sonderzuständigkeiten durch die Auswahl besonderer Strafverfahren und bei- übertragen. Die Staatsanwaltschaft Potsdam verfolgt spielhafter 10 Strafverfahrensakten aus jeder Sonder- besonders schwerwiegende Straftaten im Bereich der abteilung sowie von einer Akte aus jeder Allgemeinen Wirtschaftskriminalität und seit 1997 in einem Sonder- Abteilung eines Aussonderungsjahrgangs. dezernat Abrechnungsbetrug gegenüber Krankenkas- sen. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin befasst sich Die Verwaltungsgerichte Cottbus, Frankfurt (Oder) mit der Bezirks- und Justizkriminalität der ehemaligen und Potsdam sind seit dem 1. Januar 1993 tätig.11 DDR und mit der Korruptionskriminalität. Die Staats- Von 1990 bis zu ihrer Einrichtung wurde die Rechts- anwaltschaft Frankfurt (Oder) bearbeitet Straftaten sprechung auf diesem Gebiet in den Senaten für Ver- der organisierten Kriminalität. Der Staatsanwaltschaft waltungsrechtssachen beim Bezirksgericht Potsdam Cottbus wurde die Sonderzuständigkeit für die Daten- und entsprechenden Kammern bei den Kreisgerichten netzkriminalität und Bekämpfung gewaltdarstellender Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam ausgeübt. Das pornographischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften übertragen. Auch wegen dieser Zuständig- keitsregelung fi el im BLHA die Entscheidung, archiv- 11 Vgl. Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsge- würdige Unterlagen aus allen Staatsanwaltschaften zu richtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsge- übernehmen und die Überlieferungsbildung nicht auf richtsordnung im Land Brandenburg (Brandenbur- gisches Verwaltungsgerichtsgesetz – BbgVwGG) vom eine einzelne Behörde zu begrenzen. Bei der ersten 10. Dezember 1992, GVBl. I S. 502.

40 Brandenburgische Archive · 24/2007 Oberverwaltungsgericht des Landes Brandenburg Durch Gesetz vom 21. Juni 199113 wurden die Ar- ging 2005 in das Gemeinsames Oberverwaltungsge- beitsgerichte , Cottbus, richt Berlin-Brandenburg ein. Eberswalde, Frankfurt (Oder), Neuruppin, Potsdam Durch hohe Verfahrenszahlen der Verwaltungsge- und Senftenberg sowie das Landesarbeitsgericht in richtsbarkeit entstanden jährliche Erledigungsreste Potsdam eingerichtet. Die erheblich höhere Anzahl der und die damit verbundene lange Anhängigkeit der Ver- Arbeitsrechtsverfahren des Jahres 1991 gegenüber fahren. Tätigkeitsschwerpunkte nach den Verfahrens- denen auf den Gebieten des Verwaltungs- und Sozi- gruppen der Geschäftsstatistik bildeten die Regelung alrechts mögen der Grund dafür gewesen sein, dass offener Vermögensfragen, Asylverfahren und Verfah- die Arbeitsgerichtsbarkeit als erste Fachgerichtsbarkeit ren im Zusammenhang mit der Abgabenordnung. in die Selbstständigkeit überführt wurde. Die meisten Aufbewahrungsfristen und Aussonderungsverfahren der Verfahren hatten Bestandsstreitigkeiten, zu denen Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Brandenburg Kündigungen gehören, sowie Arbeitsentgelte zum Ge- waren in speziellen Bestimmungen geregelt worden.12 genstand. Der mit der Privatisierung der volkseigenen Ausgehend von den Bewertungsempfehlungen der Wirtschaft und der Umstrukturierung der staatlichen ARK-Arbeitsgruppe Massenakten der Justiz und in Verwaltung verbundene Abbau von Arbeitsplätzen, die Abstimmung mit den Verwaltungsgerichten wurde ein Auswirkungen der wirtschaftlichen Lage von Unterneh- Auswahlmodell für die Unterlagen aus dem Zeitraum men auf die Beschäftigung und die Entlohnung sowie 1993 bis 2000 entwickelt. So sollen nach Vorgaben Probleme der Gestaltung und Wahrung des Tarifrechts des BLHA Rechtssachen mit bestimmten Klagege- in den neuen Bundesländern waren Gründe für die wei- genständen komplett übernommen werden, es han- terhin anfallenden hohen Verfahrenszahlen. delt sich dabei z.B. um Normenkontrollklagen, um Die ARK-Arbeitsgruppe Massenakten der Justiz emp- Klagen gegen Ergebnisse von Wahlen, die Klagen fahl den Archiven der neuen Bundesländer die Über- gegen die Eingemeindungen im Rahmen der Gemein- nahme der Akten aller Beschlussverfahren und einer degebietsreform sowie Disziplinarverfahren mit Be- über der Quote für die alten Bundesländer liegenden rufsverbot. Archivwürdigkeit kommt zu bewertenden Anzahl der übrigen Verfahrensakten. besonderen Rechtssachen im Zusammenhang mit Diesem Vorschlag folgend vereinbarte das BLHA mit Maßnahmen der Landesplanung und Raumordnung den Arbeitsgerichten die Anbietung und Übernahme sowie Bescheiden zum Versammlungsrecht zu. Unter aller Beschlussverfahren und ausgewählter übriger die Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren fallen Akten Verfahrensakten. In die Auswahl fl ießen die vom der Verfahren der Flurbereinigung und der Regelung Gericht bei der Weglegung als archivwürdig gekenn- offener Vermögensfragen, aus denen ebenfalls her- zeichneten Verfahrensakten sowie 5 % der Überliefe- ausragenden Einzelfälle auszuwählen und darüber rung eines Jahrgangs der den nach Streitgegenstand hinaus Beispiele nach einer noch festzulegenden gebildeten einzelnen Verfahrensgruppen ein. Quote zu übernehmen sind. Diese sollte nach den Bewertungsempfehlungen bei mindestens einem Massenakten der Sozialverwaltung entstehen in den Viertel der Verfahren liegen. Aus den übrigen Verfah- Ämtern für Soziales und Versorgung Cottbus, Frank- ren mit der Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren ist die furt (Oder) und Potsdam, die im Juni 2004 als Abtei- Auswahl eines Ausschnitts vorgesehen, mit dem unter lungen in das Landesamt für Soziales und Versorgung Berücksichtigung aller Kammern der Gerichte aus eingegliedert worden sind. Sie gewähren Leistungen jedem Jahrgang 10 Beispiele aus den Rechtssachen im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechts auf mit Abschluss durch Urteil und ein Beispiel aus den der Grundlage des Sozialgesetzbuches und spezi- Rechtssachen ohne Urteil in die Überlieferungsbildung eller Sozialgesetze. Für den Zeitraum bis 1999 liegen einbezogen werden sollen. Aus den Verfahrensakten Akten über die Bearbeitung von mehr als 400.000 über Zulassungen zum Studium werden nur Leitfälle Anträgen vor. In den Leistungsabteilungen befi nden nach Auswahl des Gerichts übernommen. sich umfangreichen Registraturen mit nach Rechts- vorschriften untergliederten Fallaktenserien. Dabei handelt es sich um die Fallgruppen nach dem 12 Bestimmungen über die Aufbewahrung, Aussonde- Bundesversorgungsgesetz, dem SGB IX, der Kriegs- rung, Ablieferung und Vernichtung des Schriftgutes der Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Brandenburg. Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz vom 11. März 1993, JMBl.Bbg S. 35. 13 GVBl. I. S. 186.

41 Brandenburgische Archive · 24/2007 opferfürsorge (KOV), des Häftlingshilfegesetzes ein Prozent der Akten übernommen werden. Die Be- (HHG), den Gesetzen über straf- und verwaltungs- schäftigten der Behörden bestimmen die Auswahl aus rechtliche Rehabilitierungs- und Entschädigungsmaß- den Teilaktenserien nach der festgelegten Quote und nahmen für Opfer im Beitrittsgebiet (StrRehaG, Vw- bieten diese Unterlagen zur Übernahme an. RehaG), des Opferentschädigungsgesetzes (OEG), Das Auswahl-, Anbietungs- und Übergabeverfahren die Gesetze zur Versorgung von Zivildienstleistenden wurde gemäß § 4 Abs. 6 BbgArchivG zwischen BLHA (ZGD) und Soldaten (SVG) sowie das Bundesseu- und MASGF vereinbart und befi ndet sich in der Erpro- chen- (BSeuchG), das Impfschutzgesetz (IfSG) und bungsphase. das Unterstützungsabschlussgesetz. Damit konnte ein großer Teil der Unterlagen der Versor- Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist ein über- gungsämter von der Anbietungspfl icht ausgenommen greifendes Gesetz und regelt u.a. Grundlegendes für und die Aussonderung erheblich vereinfacht werden. Ansprüche nach anderen Sozialgesetzen.14 Die größte Gruppe im Umfang von 75 % des Gesamtbestandes bil- Vor der Einrichtung der Finanzverwaltung des deten die Schwerbehindertenakten nach dem SGB IX. Landes Brandenburg erfolgte zum 1. Juli 1990 die Archivgut der Versorgungsämter wird als Quelle für Errichtung von Finanzämtern durch eine Anordnung die Sozialgeschichtsforschung genutzt. Im Jahr 2002 des Finanzministers der DDR.15 Damit endete die Zu- wurden die zur Aussonderung vorgesehenen Akten ständigkeit der Räte der Kreise für die Verwaltung von eines Versorgungsamtes bewertet. Es handelte sich Steuern. Im Gebiet des späteren Landes entstanden vor allem um Akten nach dem BVG. Aufgrund sich 21 Finanzämter, nach der Kreisgebietsreform 1993 wiederholender Anspruchsvoraussetzungen und stan- und Reorganisation der Finanzämter verblieben 17. dardisierter Verwaltungsabläufe und auch wegen des Die Aufgaben der 2004 aufgelösten Besitz- und Ver- großen Umfangs war die vollständige Aufbewahrung kehrssteuerabteilung der Oberfi nanzdirektion Cottbus auszuschließen. Dabei kam es darauf an, Kriterien als Finanzrechenzentrum übernahm ein Technisches für die Auswahl besonderer Einzelfälle zu formulieren, Finanzamt in Cottbus.16 um den Mitarbeitern der Versorgungsämter Hinweise Die Rahmenregelung für die Erhebung der Steuern für die Feststellung von archivwürdigen Akten zur stellt die Abgabenordnung dar, daneben bestehen Verfügung stellen zu können. Dabei wurden Gesichts- zahlreiche weitere Rechtsvorschriften. punkte, wie besondere oder typische Ereignisse, die Für die Schriftgutverwaltung in den Finanzämtern gel- zur Schädigung führten, das Ausmaß und die Beur- ten Aufbewahrungsbestimmungen der Bundesfi nanz- teilung der Schädigung, die Nachweisführung mit verwaltung17 und Verfügungen der Landesfi nanzver- Originaldokumenten, z. B. aus der Militärzeit und Ge- waltung mit detaillierten Regelungen zur Aktenführung fangenschaft, das Vorhandensein von Vorakten aus sowie ein bundeseinheitlicher Aktenplan. Er enthält der Bearbeitung von Einzelfällen vor 1990 sowie Be- für Steuerakten z. B. die Obergruppen S-Bundes- und sonderheiten in der Person der Betroffenen, geprüft. Landessteuern, G-Gemeindesteuern, FV-Finanzver- Aus der Masse der Versorgungsfälle fi elen nur wenige fassung, Finanzausgleich, FG-Finanzgerichtsbarkeit, Akten durch derartige Merkmale auf. EZ-Eigenheimzulage, sowie IHG-Investitionshilfe der In Gesprächen beim Landesamt für Soziales und Ver- gewerblichen Wirtschaft. Die Finanzämter führen sorgung wurden Informationen zum Inhalt der Überlie- entsprechende Sachakten nach dem Aktenplan und ferung ausgetauscht und über die Bewertung beraten. Einzelfallakten der Steuerpfl ichtigen, die mit Steuer- Im Ergebnis konnten Bewertungsentscheidungen für oder Ablagenummern gekennzeichnet werden. Die die einzelnen Fallaktenserien getroffen werden. Überlieferung besteht aus Teilserien nach der Her- Komplett archivwürdig und anzubieten sind die Akten kunft der Akten aus den Betriebsprüfungs- und Son- nach dem HHG, StrRehaG, VwRehaG, ZGD und SVG. Die Übernahme von Akten nach dem UntAbschlG und AntiDHG wird auf die Zahlfallakten begrenzt. Aus den 15 Anordnung über die Errichtung von Finanzämtern der DDR vom 20. Juli 1990. GBl. I S. 1000-1002. Teilserien nach dem KOV, OEG, BseuchG/IfSG und 16 Vgl. Verordnung zur Neustrukturierung der Steuerver- SGB IX sollen neben den besonderen Einzelfällen waltung und der Zentralen Bezügestelle des Landes Brandenburg vom 10. Mai 2004, GVBl. I S. 329-330. 17 Bestimmungen über Aufbewahren und Aussondern von 14 Z.B. erfolgt die Feststellung des Grades der Behinde- Unterlagen der Finanzverwaltung (AufbewBest-FV). rung für Bescheide nach dem SGD IX (vor 2001 nach In: Vorschriftensammlung Bundesfi nanzverwaltung. 9. dem Schwerbehindertengesetz) nach dem BVG. Lieferung 15. April 2003, Köln 2003.

42 Brandenburgische Archive · 24/2007 derprüfstellen, den Straf- und Bußgeldstellen und der werden die ersten fünf zur Aussonderung anstehen- Steuerfahndungsstelle sowie nach sachlicher Unter- den Steuerfälle der Jahre 1991-1995, dazu Akten der gliederung der Steuerbereiche. Die Aufbewahrungs- Fälle mit besonders hoch festgesetzter Steuer, in die fristen für Steuerunterlagen betragen 10 Jahre. Auswahl einbezogen, ferner zwei bis drei besondere Mit dem Projekt „Elster“, der elektronischen Steuerer- Steuerfälle der Grunderwerbssteuer nach Bedeutung klärung, besteht die Möglichkeit zur Übermittlung auf und Art des Grundstücks und der Bebauung. Außer- elektronischem Weg. Elster kann zur Zeit für die Ein- dem wird aus den Jahrgängen 1991, 1995 und 2000 kommenssteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und ein Ausschnitt im Umfang von ein Prozent der Ge- Lohnsteueranmeldung eingesetzt werden. Daneben samtheit der Steuerfälle angeboten. ist weiterhin die Übersendung komprimierter Steuer- erklärungen auf Papier obligatorisch, da elektronische Die vorgenannten Beispiele der Bewertung betreffen Signaturen für die Rechtverbindlichkeit elektronischer nur einen Teil der Massenakten der Landesverwaltung. Dokumente erforderlich sind, aber nicht in dem erfor- Darüber hinaus sind grundsätzliche Bewertungsent- derlichen Maß zur Verfügung stehen. scheidungen getroffen worden oder noch in Erarbei- tung, z. B. für Katasterunterlagen, Schulakten, Flur- Veröffentlichungen über die Bewertung von Steuerak- bereinigungsakten, Personalakten und für Akten der ten und die Teilnahme an einem Kolloquium des HSTA Verfahren zur Regelung offener Vermögensfragen. Düsseldorf ermöglichten einen ersten Einblick in die Bei der Überlieferungsbildung durch Auswahl beson- Problematik. Im Hinblick auf künftige Aussonderungen derer Fälle und eines Ausschnitts sind die Archivare wurde 1995 der Kontakt zur OFD hergestellt, um bei auf die Mitwirkung der Mitarbeiter in der Verwaltung der Erarbeitung von Auswahlkriterien und Regelung angewiesen. Auswahlverfahren und -methoden wer- des Auswahlverfahrens zusammenzuarbeiten. Im In- den maßgeblich von der Aktenbildung, Registraturor- teresse der OFD lagen dabei besonders die Reduzie- ganisation, den technischen Gegebenheiten bei der rung des Umfangs der anzubietenden Unterlagen und Aussonderung und nicht zuletzt von damit betrauten Vereinfachung der Aussonderung zur Entlastung der Mitarbeitern beeinfl usst. Finanzämter. Im Jahr 2002 konnten BLHA und MdF Hauptsächlich angewandte Verfahren sind die Auswahl eine Vereinbarung über anzubietende und abzuge- von Einzelfällen, die Besonderheiten aufweisen oder die bende Unterlagen der Finanzämter abschließen. als Beispiel dienen sollen, sowie die Bildung von Aus- Die Vereinbarung enthält ein Modell für die Auswahl schnitten nach unterschiedlichen Aspekten und Quoten. anzubietender Unterlagen differenzierten Festle- gungen für die einzelnen Teilserien. Von den Be- Die Überschaubarkeit der Überlieferung in den Behör- triebsprüfungsstellen und Sonderprüfstellen sollen den wird künftig durch die elektronische Nachweis- Betriebsprüfungen aller Aktiengesellschaften sowie führung der Registraturen erleichtert. Damit bestehen Kartenblätter der Betriebskartei und Betriebslisten bessere Voraussetzungen für den Überblick über vor- übernommen werden. Neben der jährlichen Anbie- handene Unterlagen und eine repräsentative Auswahl. tung von zwei bis drei Musterfällen aus den Steuer- Die Bewertung von Massenakten und Qualifi zierung der straf- und Bußgeldverfahren der Straf- und Bußgeld- Auswahlverfahren erübrigt sich nicht im Hinblick auf die sachenstellen sowie der Steuerfahndungsstelle, von Einführung elektronischer Vorgangsbearbeitungssyste- weiteren zwei bis drei Einzelfällen aus den Verfahren me und die künftige Archivierung digitaler Unterlagen, nach dem Steuerberatungsgesetz werden aus dem wie mit nachfolgendem Zitat aus dem Bericht der ARK- Bereich der Veranlagungssteuern ausgewählte Akten Arbeitsgruppe Archivierung großer Fallaktenserien der Steuerpfl ichtigen berücksichtigt. Die Akten aller belegt werden kann: „Gegen den gesamten derzeitigen Aktiengesellschaften werden komplett übernommen. Trend der Informationstechnologie besteht der Archivar Aus den Betrieben des jeweiligen Finanzamtsspren- darauf, dass Totalarchivierung keinen Erkenntnisge- gels werden Unterlagen drei gewerblicher Betriebe, winn bringt, der den Organisations- und Kostenaufwand drei landwirtschaftlicher Betriebe sowie von 10 sonsti- rechtfertigt, unabhängig davon welche Speichermedien gen territorial typischen Betriebe übernommen. Dazu und welche Speicher- und Suchmethoden noch enwi- gehören weiterhin die Lohnsteuerakten und Arbeit- ckelt werden.“ 18 nehmerakten von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Aus den zum Bereich der Einzelsteuern gehörenden Erbschafts- und Schenkungssteuern 18 Büttner: Der archivische Umgang (wie Anm. 2), S. 53.

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Hans Schröder GmbH, Ostendstraße 13, D-76689 Karlsdorf-Neuthard Tel.: 07251-34 88 00, Fax: 07251-34 88 07 [email protected] 15 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz – an das von der Volkskammer am 20. August 1990 ver- 15 Jahre Akteneinsicht in der Behörde BStU, abschiedete Nutzungsgesetz anlehnte, vor allem zur Außenstelle Potsdam Überprüfung von Mitgliedern von Parlamenten und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst. Weiter wurden die Von Gisela Rüdiger und Annett Wernitz Akten eingesehen, um Verbrechen der DDR-Regie- rungspartei und ihrer Institutionen zu erkennen und Die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasi- aufzuklären. Unterlagen verwahrt die Akten der Staatssicherheit der DDR, die 1989/1990 nach der vollständigen Aufl ö- sung des Geheimdienstes meist von Bürgerkomitees gesichert worden waren.

Die DDR und ihr Geheimdienst existierten nicht mehr und ein Nachfolgegeheimdienst wurde dank der Ak- teure vom Runden Tisch in Berlin nicht aufgebaut. Es handelt sich also um einen Bestand, der abgeschlos- sen ist.

Mit der Gründung der Bundesbeauftragten für die Un- terlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) wurde Blick in das Archiv, 2006. festgelegt, dass keine andere Stelle oder Privatperson Dokumente vom Registraturbildner Staatssicherheit besitzen darf. Nach dem Gesetz über die Unterlagen Mit dem 20. Dezember 1991 wurde das mit einigen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut- Änderungen noch heute gültige Stasi-Unterlagen-Ge- schen Demokratischen Republik – Stasi-Unterlagen- setz Grundlage für eine weitere Öffnung der Geheim- Gesetz (§§ 7-9) – besteht für jedermann die Verpfl ich- dienstakten. Ab Januar 1992 konnten erstmals Bürge- tung, aufgefundene Akten der BStU anzuzeigen und rinnen und Bürger Deutschlands, aber auch aus dem zu übergeben. Ausland Anträge zur Einsicht in ihre vom DDR-Staats- sicherheitsdienst angelegten Akten stellen. Eine Be- gründung muss nicht vorgelegt werden. Das Interesse an der Einsicht war sofort riesengroß. 30.000 Anträge gingen allein im Jahr 1992 in der Außenstelle Potsdam der BStU ein, insgesamt bis heute 85.000 Anträge. Mit 230 Anträgen monatlich ist seit zwei Jahren wieder ein leichter Anstieg der Antragszahlen zu verzeichnen. In der Behörde der BStU sind bisher insgesamt über zwei Millionen Anträge eingegangen.

Hauptsächliche Motive dafür, dass selbst heute noch viele Anträge auf persönliche Akteneinsicht gestellt Außenstelle Potsdam der Bundesbeauftragten für die Stasi- werden, sind: Unterlagen in der Großbeerenstraße 301 in Potsdam, 2006. • das Interesse an der Einsicht seit Öffnung der In der Außenstelle Potsdam der Bundesbeauftragten Akten, jedoch fehlte die Zeit, befi nden sich 4.700 lfm Akten der Bezirksverwaltung • die Furcht davor, Bekannte oder Verwandte als und der Kreisdienststellen für Staatssicherheit des Spitzel in den Akten zu fi nden, ehemaligen Bezirkes Potsdam. Nach Übernahme der • die Traumatisierung durch Haft, Zersetzung oder Akten und nach Gründung der Behörde am 3. Oktober Verfolgung oder 1990 wurden die Unterlagen sofort für verschiedenste • Hinweise zur Bearbeitung der eigenen Person Zwecke zur Verfügung gestellt. Grundlage dafür bil- durch die Staatssicherheit, die sich in den Akten dete damals die vorläufi ge Benutzerordnung, die sich von Bekannten und Verwandten fi nden.

45 Brandenburgische Archive · 24/2007 Um die Akteneinsicht überhaupt gewährleisten zu thoden, wie Postkontrollen, Telefonabhören oder Spit- können, waren umfangreiche Ordnungs- und Ver- zelberichte entstanden sind, ist eine vorherige Durch- zeichnungsarbeiten notwendig. Rund 2.600 lfm Pa- sicht durch Mitarbeiter der Behörde unumgänglich. Es pier wurden 1990/91 ungeordnet bzw. verunordnet muss der Schutz der Daten von Dritten gewährleistet und teilweise vorvernichtet in Säcken, Koffern und werden. Das stößt nicht immer auf Verständnis bei Bündeln durch die Außenstelle Potsdam der BStU den Einsichtnehmenden. übernommen. Die Mitarbeiter des Archivs mussten zunächst die Provenienz für Karteien, Akten und lose Der BStU fällt laut Stasi-Unterlagen-Gesetz auch die Blattmaterialien bestimmen. Intensiv wurde dann wichtige Aufgabe zu, über die Struktur und Arbeitswei- daran gearbeitet, den Zugriff auf die Personenakten se des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aufzu- in den einzelnen Diensteinheiten wieder herzustellen. klären und zu informieren. Dazu wurden zahlreiche Gleichzeitig wurde bereits 1992 damit begonnen, Veranstaltungen durchgeführt, wie Ausstellungen, sachbezogene Unterlagen zu erschließen, um die Tage der Archive, Vorträge und Filmvorführungen. Erforschung von Struktur, Aufgaben und Arbeitsweise der Bezirksverwaltung Potsdam voranzutreiben. In der Außenstelle Potsdam werden regelmäßig Archivführungen durchgeführt. Z. B. wurden für die Landesgruppe Brandenburg des Berufsverbandes Information/Bibliothek sowie für die Landesgeschicht- liche Vereinigung für die Mark Brandenburg e. V. spezielle Führungen angeboten. Dabei erhielten die Besucher auch Einblicke in die Arbeit der Archivmit- arbeiter der Außenstelle. Vorgestellt wurden ihnen die IT-Programme zur Erschließung der Sachakten. Dazu wurden Einzelbeispiele vorbereitet, anhand derer die Arbeitsabläufe und -inhalte anschaulich dargestellt werden konnten. Für Auszubildende zur Bürokraft für Unbearbeitete Stasi-Unterlagen verschiedener Prove- Medien- und Informationsdienste des Berufsbildungs- nienzen, 1990. werkes im Oberlinhaus wurden und werden ebenfalls spezielle Führungen vorbereitet und durchgeführt. Zur Gesamtüberlieferung der Bestände der Außen- stelle Potsdam gehört neben den bereits durch die Am bundesweiten 3. „Tag der Archive“ unter dem Motto Staatssicherheit archivierten Unterlagen das Material „Der Ball ist rund“ beteiligte sich die Außenstelle Pots- aus den 15 Kreisdienststellen für Staatssicherheit so- dam erfolgreich. Zu diesem Thema wurde unter Betei- wie aus 33 Abteilungen. ligung einer Praktikantin eine Dokumentensammlung Die Archivarinnen entschieden sich bewusst als ers- aus den Aktenbeständen der ehemaligen Bezirksver- tes Erschließungsprojekt für den umfangreich überlie- waltung für Staatssicherheit Potsdam erstellt. Diese ferten Bestand der Auswertungs- und Kontrollgruppe zeigt die Bearbeitung des Themas Fußball durch die (AKG). Diese Abteilung war u. a. für die Auswertung Staatssicherheit aus ganz verschiedenen Gesichts- aller Ereignisse im Bezirk zuständig sowie für die punkten. Aufbereitung dieser Informationen für den Leiter. Zu- dem führte sie Kontrollen in allen Diensteinheiten der Für die Präsentation im Internet wird die Struktur der Bezirksverwaltung durch. Durch die Erschließung der Potsdamer Bezirksverwaltung für Staatssicherheit mit AKG-Unterlagen waren die Mitarbeiter der Außenstel- ihren Abteilungen, Kreisdienststellen und Passkon troll- le Potsdam zu einem relativ frühen Zeitpunkt in der einheiten barrierefrei gestaltet. Die Bestandsinforma- Lage, Sachrecherchen zu vielfältigen Themen durch- tionen der Außenstelle sind bereits im Internet für die zuführen und detaillierte Auskünfte zu geben. Öffentlichkeit zugänglich http://www.bstu.bund.de. Die Einstellung einer Karteiübersicht aller MfS-Karteien Im Stasi-Unterlagen-Gesetz ist auch das Verfahren zur mit vielen Erläuterungen, die im Rahmen eines Prakti- Akteneinsicht für den Einzelnen geregelt. Da es sich kums entstanden ist, ist noch für dieses Jahr vorge- um Geheimdienstunterlagen handelt, also sehr viele sehen. Informationen durch menschenrechtsverletzende Me-

46 Brandenburgische Archive · 24/2007 Einen immer größeren Stellenwert nimmt die Arbeit mit Waldorfschule, die im Dezember 2006 als DVD un- Jugendlichen ein. Die Zusammenarbeit auf der Basis ter dem Titel „Einfach, weil man Mensch sein wollte“ der gemeinsamen Erklärung von Marianne Birthler vorgestellt werden konnte (für eine Spende von fünf und dem damaligen Brandenburgischen Minister für Euro zu beziehen über die Waldorfschule Potsdam, Bildung, Jugend und Sport (MBJS), Steffen Reiche, Erich-Weinert-Straße 5, 14478 Potsdam). Gefördert wurde vom neuen Bildungsminister Holger Rupprecht wurde das Projekt von der Stiftung zur Aufarbeitung fortgesetzt. So unterstützte das Bildungsministerium der SED-Diktatur Berlin und der Potsdamer Gedenk- die Außenstelle Potsdam bei der Erarbeitung einer stättenlehrerin (diese ist eingesetzt vom Bildungsmi- Mappe für Lehrer/innen, die mit Materialien und aus- nisterium Brandenburg zur Arbeit mit Schülern in der gewählten Quellen aus Stasi-Unterlagen ein konkretes Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“). Die DVD kann in Angebot für die Auseinandersetzung mit der Staats- die Gestaltung von Unterrichtsstunden in den Schu- sicherheit in der DDR und der SED-Diktatur enthält. len, Lehrerfortbildungsveranstaltungen und Projektta- Diese Handreichung für die Unterrichtsgestaltung in gen der BStU einbezogen werden. In der Außenstelle den Fächern Geschichte und Politische Bildung wurde Potsdam wurde das bei drei Projekttagen Ende des an alle weiterführenden Schulen im Land Brandenburg Jahres 2006 mit Schülern der 10. Klassenstufe bereits verteilt. Dieses Arbeitsmaterial wird vom Landesinsti- erfolgreich getestet. tut für Schule und Medien (LISUM) Brandenburg unter In Zusammenarbeit mit der Potsdamer Gedenkstät- dem Stichwort „Stasi-Arbeitsmappe“ 2007 auf ihrer tenlehrerin fi nden auch Lehrerfortbildungsveranstal- Internetseite präsentiert: http://www.bildung- tungen zum Thema Staatssicherheit in der Außen- brandenburg.de/stasi-arbeitsmappe.html. stelle Potsdam statt.

Das Interesse für Schülerprojekttage und Seminar- Die Außenstelle Potsdam bietet auch für Praktikanten veranstaltungen hat in der Außenstelle Potsdam interessante Betätigungsfelder. Z. B. absolvierten drei zugenommen. An Projekttagen arbeiten die Schüler Studenten/innen der FH Potsdam (Fachrichtung Doku- mit Aktenauszügen und Arbeitsbögen und stellen die mentation und Archivwesen) 2005/2006 ein Praktikum Ergebnisse in Präsentationen vor. in der Außenstelle, 2006 waren es zwei Studenten (Fachrichtung Geschichte) der Universitäten Münster und Potsdam. Außerdem werden archivspezifi sche Praktika für Auszubildende und Schüler durchgeführt.

Derzeit werden in der Außenstelle Potsdam die bereits 1994 grob gesichteten Unterlagen der Kreisdienststel- len Pritzwalk und Brandenburg sowie der Abteilung II (Spionageabwehr) fein erschlossen. Es ist geplant, bis Ende 2007 die Bestände der Kreisdienststellen zu erschließen. Für 2008 ist der Abschluss der Abteilung II und III (Funkaufklärung) geplant. Daneben wurde Schüler aus Oranienburg während einer Führung, 2006. bereits begonnen, Unterlagen, die personenbezogen sind, wie Inoffi zielle Mitarbeiter [IM], Operative Per- Die Außenstelle Potsdam unterstützte z. B. ein Film- sonenkontrolle [OPK] und Untersuchungsvorgänge Projekt der Waldorfschule Potsdam zum Thema [UV], auch sachlich zu erschließen. Dies wird in der „Widerständige Jugendliche in der DDR“. Vierzehn Zukunft den Schwerpunkt der Arbeit bilden. Schüler/innen der 10. bis 12. Klassenstufe haben sich Aus diesen Unterlagen können für die Forschung wich- über zwei Monate intensiv mit dem Thema DDR und tige und relevante Fakten zur Verfügung gestellt werden. Staatssicherheit beschäftigt, das ehemalige Potsda- mer Stasi-Untersuchungsgefängnis, die heutige Ge- Neben der Öffentlichkeitsarbeit, der Forschung und denkstätte für Opfer politischer Gewalt (Lindenstraße der persönlichen Akteneinsicht werden die Akten für 54, 14467 Potsdam) und das Archiv der Außenstelle Rehabilitierungsbegehren, Strafverfahren, Deckna- Potsdam besucht, Aktenauszüge studiert und mehrere menentschlüsselungen, Presseanfragen und Über- Zeitzeugen befragt. Das Ergebnis ist eine interessante prüfung von Spitzenfunktionen in Politik und Gesell- Dokumentation mit Zeitzeugen und Schülerinnen der schaft genutzt.

47 Brandenburgische Archive · 24/2007 Es besteht jeden Mittwoch das Angebot der Teilnah- me an einer öffentlichen Führung in der Zeit von 16.00 bis 18.00 Uhr. Um Anmeldung wird gebeten unter der Konservierung Telefonnummer (0331) 5056-1845.

Anträge auf persönliche Akteneinsicht können jeder- zeit in der Außenstelle Potsdam bei Vorlage eines gül- tigen Personalausweises gestellt werden. Auf Nach- frage unter der Telefonnummer (0331) 5056-0 werden auch Anträge zugeschickt. Der Antrag muss nicht persönlich in der Außenstelle Potsdam abgegeben werden, er kann auch auf dem Postweg zugesandt werden. Für die Bearbeitung wird dann eine amtlich beglaubigte Kopie eines gültigen Personaldokuments, die unter anderem von dem zuständigen Einwohner- meldeamt erstellt wird, benötigt.

Adresse: Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Konservierungsanlage C 900-2 Demokratischen Republik, Außenstelle Potsdam Großbeerenstraße 301 Das Bückeburger 14480 Potsdam-Babelsberg Konservierungsverfahren für E-Mail: [email protected] modernes Archivgut(BCP)

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48 Brandenburgische Archive · 24/2007 Stadtarchiv und Stadtjubiläum nicht gewillt oder in der Lage war, günstigere Bedin- gungen für das Stadtarchiv zu schaffen, war dies für Von Rolf Rehberg den Erhalt und die Erschließung des Pritzwalker Be- standes ein segensreicher Schritt. Für den Pritzwalker Im vergangenen Jahr beging die Stadt Pritzwalk ihr Archivar Martin Herzner bedeutete er dagegen einen 750-jähriges Jubiläum. In einer heute nur noch als Ab- herben kulturellen Verlust für die Kommune. Verbittert schrift erhaltenen Urkunde vom 23. Juli 1256 hatten und letztlich erfolglos hielt er im Juni 1970 dagegen: die Markgrafen Johann I. und Otto III. den Bürgern „Falls dieses Bestandsmaterial aus dem historischen der Stadt Pritzwalk auf deren Wunsch hin die gleichen Stadtarchiv herausgenommen wird, ist es kein Stadt- Rechte verliehen, wie sie die Bürger ihrer Stadt See- archiv mehr sondern allenfalls ein Archivfriedhof oder hausen besaßen. fachlich ausgedrückt: ein Verwaltungsarchiv. Dieses In die Vorbereitung und Gestaltung des Festjahres könnte dann als Archivtorso ins Kreisarchiv übernom- wurde auch das Stadtarchiv intensiv einbezogen. men werden ... Der Endzweck scheint mir zu sein, das Dass dies möglich wurde und das Archiv sich den Stadtarchiv und somit den Stadtarchivar loszuwerden. damit verbundenen Aufgaben gewachsen zeigte, ... Ich bin bereit, meinen Arbeitsplatz aufzugeben, war vor allem grundlegenden Veränderungen der sofern die Möglichkeit besteht, auf diese Weise der Rahmenbedingungen der Archivarbeit seit der Mitte Stadt Pritzwalk ihr historisches Archiv zu erhalten.“ der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Die räumliche Unterbringung der Archivbestände blieb geschuldet. auch danach unbefriedigend. Nach dem Ausscheiden des Archivars Herzner in den siebziger Jahren erfolgte vor Ort zudem keine fachliche Betreuung mehr.

Statuten der Gewandschneider und Wollweber zu Pritzwalk [Pritzwalk], 1351 September 21

Bis 1995 befanden sich die Bestände des Stadtarchivs zusammengedrängt und unklimatisiert in einigen klei- nen Räumen unter dem Dach des Rathauses. Es han- delte sich dabei im Wesentlichen um die Verwaltungs- akten der Kommune aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor 1970 hatte das Stadtarchiv auch die älteren Bestände verwahrt. Die Überlieferung reicht allerdings nur bis in das frühe 19. Jahrhundert zurück, da der Stadtbrand vom 1. November 1821 auch große Teile des Archivs vernichtet hatte. Glücklicherweise Bürgermeister und Rat der Stadt Pritzwalk willigen in die konnten jedoch einzelne wertvolle Stücke vor den Verpfändung von Abgaben der Stadt durch Kurfürst Joach- Flammen gerettet werden, darunter über 50 mittel- im I. an Kaspar Gans von Putlitz ein. alterliche und frühneuzeitliche Urkunden sowie das [Pritzwalk], 1525 Mai 8. Gerichtsbuch der Stadt Pritzwalk von 1603 bis 1770. Bereits 1962 übergab die Stadt den genannten Urkun- Ein erster Schritt zur Verbesserung der Situation wur- denbestand an das damalige Staatsarchiv Potsdam. de erst Mitte der neunziger Jahre unternommen. Das Im Jahr 1970 entschlossen sich Rat der Stadt und Archiv zog 1995 in ein Verwaltungsgebäude der Stadt Bürgermeister, auch die bis 1945 entstandenen Akten in der Pritzwalker Grünstraße. Hier konnten die Be- als Depositum nach Potsdam zu geben. Angesichts stände zumindest in einem separaten Magazinraum der Tatsache, dass die damalige Stadtverwaltung ordnungsgemäß gelagert werden.

49 Brandenburgische Archive · 24/2007 Für die Weiterentwicklung des Stadtarchivs eröffneten walk erklärt. Die von ihm geforderten archivfachlichen sich um das Jahr 2000 neue Chancen: Im Ergebnis Voraussetzungen bezüglich der Räume und des Per- der Modernisierung und des Umbaus der Pritzwalker sonals waren drei Jahre später gegeben. So konnten Brauerei stand auf dem Betriebsgelände ein nicht die 43 lfm Akten aus der Zeit von der Mitte des 18. mehr genutzter repräsentativer Industriebau – das Jahrhunderts bis 1944 Ende 2004 nach Pritzwalk ehemalige Lagerkellergebäude – zur Disposition. zurückkehren. Die mittelalterlichen und frühneuzeit- Durch die Stadt Pritzwalk wurde in Absprache mit dem lichen Urkunden wurden als Depositum in Potsdam damaligen Brauereieigentümer ein Nutzungskonzept belassen. Die „Wiedervereinigung“ der Bestände des entwickelt. In dem Gebäude fanden schließlich vier Stadtarchivs Pritzwalk konnte dann im Jahre 2006 Institutionen ihren Platz. Dazu gehören das Stadt- weitgehend vollendet werden. Die 953 Bauakten der und Brauereimuseum, die Stadtinformation, die Kreis- Stadt aus den Jahren 1807 bis 1952 wurden durch musikschule sowie eben das Stadtarchiv. Alle vier das Archiv des Landkreises Prignitz zurückgegeben. Einrichtungen werden von unterschiedlichen Trägern Eine weitere Ergänzung erhielten die Bestände mit betrieben. Mit der Gesellschaft für Heimatgeschichte der Übergabe von Archivalien aus dem Bestand des Pritzwalk und Umgebung sowie dem Fremdenver- Stadt- und Brauereimuseums. kehrsverein Pritzwalk und Umgebung zeichnen ein- getragenen Vereine für das Museum bzw. die Stadt- Damit sind wir bei den besonderen Beziehungen information verantwortlich. Beiden Vereinen stellt die zwischen Archiv und Museum in Pritzwalk. Beide be- Stadtverwaltung Pritzwalk hauptamtliches Personal fi nden sich nicht nur räumlich unter einem Dach. Als zur Verfügung. Sie übernimmt außerdem den über- Leiter des Stadt- und Brauereimuseums wurde mir vor wiegenden Teil der Miet- und Betriebskosten. In kom- einigen Jahren zusätzlich die Leitung des Stadtarchivs munaler Hand befi ndet sich im engeren Sinne allein übertragen. Hiervon blieb die institutionelle Selbstän- das Stadtarchiv. Die Musikschule ist dagegen eine digkeit beider Einrichtungen ebenso unberührt wie die Einrichtung des Landkreises Prignitz. Trägerschaftsfrage. Die „Personalunion“ von Museum und Archiv hat sich in der Arbeit der letzten Jahre Bereits die baulichen Planungen für das neue Domizil bewährt. Sie ist im Vergleich zu anderen Lösungen, des Stadtarchivs fanden in engem Kontakt mit dem wie Ausgliederungen und Eigenbetriebsgründungen, Brandenburgischen Landeshauptarchiv statt. So ent- unbürokratisch und unkompliziert. Die Mitarbeite- standen zwei Magazinräume sowie ein kombinierter rinnen beider Einrichtungen werden zur gegenseitigen Arbeits- und Benutzerraum, die den heutigen Anfor- fachlichen Vertretung und Unterstützung befähigt und derungen an ein modernes Kommunalarchiv in bau- eingesetzt. Damit kann auf Ausfallzeiten und Arbeits- licher, sicherheitstechnischer, konservatorischer und spitzen besser reagiert werden. Gleichzeitig wurde so bürotechnischer Hinsicht Rechnung tragen. eine Erweiterung der Öffnungszeiten möglich. Zu den Parallel zu den baulichen Maßnahmen bemühte sich entsprechenden Diensten wird neben der Archivarin die Stadtverwaltung um die Qualifi zierung einer Mitar- und den beiden Museumsmitarbeiterinnen auch die beiterin für die Betreuung des Archivs. Frau Böttcher- in der Stadtinformation eingesetzte Kollegin herange- Fried konnte ein entsprechendes Angebot der IHK zogen. Die Koordination und Festlegung der Arbeits- – Bildungszentrum Cottbus in Zusammenarbeit mit aufgaben und Arbeitsabläufe in Archiv und Museum der Landesfachstelle für Archive und öffentliche Bi- vereinfachen sich zudem. bliotheken im Brandenburgischen Landeshauptarchiv nutzen und erwarb im Jahr 2004 den Abschluss als Natürlich ergeben sich aus der genannten Konstellati- Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste on auch Risiken. So hängt der Erfolg der Arbeit grund- (Fachrichtung Archiv). legend vom Willen und der Fähigkeit der Partner – also der Stadt, der Gesellschaft für Heimatgeschichte und Die baulichen und personellen Maßnahmen waren des Fremdenverkehrsvereins – zur Zusammenarbeit von Anfang an auch mit dem erklärten Ziel durchge- ab. Es ist vor allem die Aufgabe des Museums- und führt worden, ausgelagerte Archivbestände der Stadt Archivleiters, auftretende Interessendivergenzen zurückzuholen. Dr. Klaus Neitmann hatte als Direktor auszugleichen. Zweitens gilt es, die latent gefährde- bereits 2001 die Bereitschaft des Brandenburgischen te Selbständigkeit und Identität beider Einrichtungen Landeshauptarchivs zur Rückführung des seit 1970 in zu sichern. Die intensive Kooperation darf nicht den Potsdam befi ndlichen Bestandes Rep. 8 Stadt Pritz- Blick für die Besonderheiten der Aufgaben von Archiv

50 Brandenburgische Archive · 24/2007 und Museum sowie der Qualifi kation und Einsatz- Die Eröffnung der Sonderausstellung am 27. Mai 2006 möglichkeiten ihrer jeweiligen Mitarbeiter verstellen. bildete den Auftakt für die erste Pritzwalker Museums- Und schließlich bedeutet die „Personalunion“ selbst nacht. In die Vorbereitung und Durchführung wurden relativ kleiner Einrichtungen – zumal wenn sie, wie Museum, Archiv, Bibliothek und Stadtinformation ein- hier geschehen, kürzlich noch um die Stadtbibliothek bezogen. An acht Orten in und um Pritzwalk konnten erweitert wurde – eine erhebliche Mehrbelastung für den Besuchern vielfältige museale, kulturelle und tou- den Leiter. Dieser muss sich bewusst sein, dass die ristische Angebote gemacht werden. Übernahme zusätzlicher Arbeitsaufgaben selten an- Den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum Stadtjubilä- gemessen gewürdigt und noch seltener bei der tarif- um bildete die Festwoche im Juni 2006. Rechtzeitig lichen Eingruppierung berücksichtigt wird. hierzu konnte die „Illustrierte Geschichte Pritzwalks“ erscheinen. Damit liegt erstmals eine geschlossene Nachdem also die Modernisierung und Umstrukturie- Übersichtsdarstellung der Entwicklung der Stadt von rung von Museum, Archiv und Stadtbibliothek im Jahre den Anfängen bis in die Gegenwart vor.3 2005 abgeschlossen waren, hatten sie sich vielfältigen Aufgaben bei der Gestaltung des Stadtjubiläums 2006 Die Kernpunkte der Kooperation der Stadt, des Mu- zu stellen. Dabei bauten wir auch weiterhin auf die seums und des Stadtarchivs mit dem Brandenbur- enge Zusammenarbeit mit dem Brandenburgischen gischen Landeshauptarchiv im Zusammenhang mit Landeshauptarchiv. Mit einer Reihe von Ausstellun- dem Stadtjubiläum waren bereits zu Beginn des Jah- gen, Veranstaltungen und Publikationen präsentierten res 2005 in einem persönlichen Gespräch erarbeitet sich das Museum, die Stadtbibliothek und das Stadt- und festgelegt worden. Hierzu hatte Dr. Klaus Neit- archiv einem interessierten Publikum. mann den Pritzwalker Bürgermeister, Herrn Wolfgang Die fi nanziellen Voraussetzungen schufen außeror- Brockmann, und mich nach Potsdam eingeladen. Es dentliche Zuschüsse der Stadt, die für einzelne Pro- wurden für das kommende Jahr drei Projekte verein- jekte bewilligt worden waren: bart – eine wissenschaftliche Tagung, eine Ausstellung sowie eine Quellenpublikation. Bereits im Dezember 2005 lag mit Heft 11 der „Pritz- walker Heimatblätter“ eine erste Publikation zum Am 9. September 2006 fand in Pritzwalk die Tagung Stadtjubiläum vor. Sie war in Zusammenarbeit der der Brandenburgischen Historischen Kommission Gesellschaft für Heimatgeschichte mit dem Pritzwal- e.V., des Brandenburgischen Landeshauptarchivs ker Museum entstanden und umfasste Beiträge zur und des Stadt- und Brauereimuseums Pritzwalk „750 Stadtgeschichte bis zum großen Brand von 1821.1 Jahre Stadt Pritzwalk – Stadtwerdung und Stadtent- Im Mai 2006 wurde im Stadt- und Brauereimuseum die wicklung in der Prignitz im Wandel der Jahrhunderte“ Ausstellung „Der Pritzwalker Silberfund“ eröffnet. Erst- statt. Die gehaltenen Beiträge werden im kommenden mals konnte einer der bedeutendsten mittelalterlichen Jahr als Band der Veröffentlichungen des Vereins für Silberschmuckfunde Europas in der Stadt gezeigt die Geschichte der Prignitz erscheinen. werden, in der er vor mehr als 130 Jahren aufgefun- Eine Ausstellung mit selten gezeigten Schätzen aus den worden war. Der Fund ist Teil der Sammlung des den Magazinen des Museums, des Stadtarchivs Berliner Kunstgewerbemuseums, und es war vor allem und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs dessen Stellvertretenden Direktor, Lothar Lambacher, beschloss museal das Festjahr. In ihrem Mittelpunkt zu danken, dass die außergewöhnlichen Stücke bis in standen bildliche Darstellungen und Karten der Stadt den Oktober als Leihgabe nach Pritzwalk kamen. Mit aus vier Jahrhunderten, bibliophile Kostbarkeiten so- Unterstützung der Stadt und des Museums wurde der wie mittelalterliche Urkunden Pritzwalks. über 400 Teile umfassende Fund durch den Archäo- Die Eröffnung der Exposition im Dezember 2006 war logen Stefan Krabath wissenschaftlich bearbeitet und gleichzeitig der Anlass für die Vorstellung einer wei- publiziert. Es entstand unter der Redaktion von Lothar teren Publikation zur Geschichte der Stadt an der Lambacher ein umfassender Katalogband, der auch Dömnitz . Es handelt sich um die von Prof. Friedrich historische Bezüge auf Pritzwalk herstellt.2

Silberfund. Schmuck des späten Mittelalters, Pritzwalk 1 Pritzwalker Heimatblätter, Heft 11, Pritzwalk 2005. 2006. 2 Stefan Krabath und Lothar Lambacher mit Beiträgen 3 Rolf Rehberg und Wolfgang Simon: Illustrierte Ge- von Bernd Kluge und Rolf Rehberg: Der Pritzwalker schichte Pritzwalks, Pritzwalk 2006.

51 Brandenburgische Archive · 24/2007 Beck bearbeiteten und von Dr. Klaus Neitmann her- ausgegebenen Urkunden der Stadt Pritzwalk in Re- gesten.4 Die Initiative zu diesem für die künftige Pritz- walker Stadtgeschichtsforschung so wertvollen Band ging vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv aus. Die Stadt und namentlich ihr Bürgermeister, Herr Wolfgang Brockmann, begrüßten und unterstützten das Vorhaben. Die kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltun- gen und Publikationen stellten in ihrer Vielfalt und Qualität zweifellos Höhepunkte des Pritzwalker Jubi- läumsjahres 2006 dar. Sie wurden maßgeblich durch Museum, Archiv und Bibliothek getragen. Die hier vorgestellten Informationen und Gedanken zur gemeinsamen Entwicklung dieser Einrichtungen refl ektieren eine von mehreren Möglichkeiten der Reaktion auf schwieriger werdende Rahmenbedin- gungen im Zeichen der fi nanziellen und personellen Ressourcenknappheit. Sie beschreiben eine Form der Nutzbarmachung von Synergieeffekten. Und sie deuten am Beispiel der Aktivitäten zum Stadtjubiläum 2006 die Effektivität dieser spezifi schen Kooperations- form an.

4 Urkunden der Stadt Pritzwalk in Regesten (1256-1703). Bearb. v. Friedrich Beck (= Quellen , Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptar- chivs. Bd. 20), Frankfurt am Main 2007.

52 Brandenburgische Archive · 24/2007 Das „Archiv verschwundener Orte“ in Forst-Horno – multimediale Erinnerung an die abgebaggerten Dörfer des Lausitzer Tagebaureviers

Von Jan Klußmann Ein Protestplakat aus dem alten Horno. O. D. Die Laubsdorfer waren erbost. Am 20. Juni 1985 waren sie in einer Gemeindeversammlung darüber informiert Die an höchster Stelle eingebrachte Beschwerde aus worden, dass ihr Heimatort 2010 devastiert werden Laubsdorf war denn auch kein Einzelfall. Nach der po- solle, d.h. zum Abbruch für den Braunkohlentagebau litischen Wende von 1989/90 hat das Thema Devas- vorgesehen war: „Die Bürger der Gemeinde Laubsdorf tierung zwar quantitativ an Bedeutung verloren. Die verlangen das sich die Regierung mal mit diesem Pro- neuen politischen Rahmenbedingungen und das seit blem beschäftigt, denn daß kann doch nicht so weiter den neunziger Jahren bei Umsiedlungen angewandte gehen hier muß doch eine andere Lösung gefunden Sozialverträglichkeitsprinzip führten zudem aus der werden mann kann doch nicht jedes Dorf durch den Perspektive der Bergbauumsiedler zweifellos zu einer Bergbau zerstören“1, so schrieben sie wenig später an Verbesserung ihrer Partizipationsmöglichkeiten bei den Staatsrat der DDR. Im Brief regiert ein zorniger der Planung einer Umsiedlung und zu einer Verbesse- Tonfall, das Aussterben der ländlichen Gemeinden rung der Entschädigungspraxis und der Umsiedlungs- wird beklagt, da die Leute – zumal die Angehörigen praxis selber. Die jahrelangen Auseinandersetzungen der jungen Generation – ohnehin zunehmend die Dör- um das Dorf Horno nach 1990 haben aber deutlich fer verließen und in die Städte zögen. gemacht, dass das Thema seine politisch-soziale Brisanz, gerade unter rechtsstaatlichen Bedingungen, Bergbau-Umsiedlung – keineswegs verloren hat, im Gegenteil: Die Aktualität ein immer noch aktuelles Thema des Themas zeigte sich gerade in den vergangenen Was den Laubsdorfern drohte, drohte in den achtzi- Monaten, als eine künftige Inanspruchnahme weiterer ger Jahren zahllosen Dörfern im Bezirk Cottbus, im Ortschaften und Kulturlandschaften im Raum der Ta- „Energiebezirk“ der ansonsten rohstoffarmen DDR, gebaue Nochten, Welzow-Süd und Cottbus-Nord in die aus dem Lausitzer Braunkohlenrevier über 80 % der Tagespresse diskutiert wurde.2 ihres Energiebedarfs bezog. Die überlieferten Pla- nungsunterlagen aus der damaligen Zeit zeigen, Der eingangs zitierte Fall ist nur ein Splitter aus der dass ein Großteil des Raumes zwischen Spreewald, reichhaltigen Überlieferung zum Thema Devastie- Guben, Weißwasser und Hoyerswerda bis in die erste rung – die in staatlichen ebenso wie in kommunalen Hälfte des 21. Jahrhunderts hinein zur bergbaulichen Archiven zu fi nden ist, in wissenschaftlichen Samm- Inanspruchnahme vorgesehen war. Zwar blieb Laubs- lungen ebenso wie in vielen Museen der Region und dorf wie anderen Dörfern dieses Schicksal durch die häufi g auch in privater Hand. Trotzdem hat das Thema politische Wende von 1989/90 erspart. Aber seit dem bislang kaum eine öffentliche Würdigung erfahren, und ersten vollständigen Ortsabbruch in der Lausitz 1924 auch seine museale Präsentation fällt – verglichen mit mussten der Braunkohle bis heute 136 Orte ganz oder dem Thema Bergbau – bescheiden aus. teilweise weichen – die Mehrzahl davon in der DDR- Aus diesem Anliegen heraus entstand im neuen Horno, Zeit –, über 25.000 Menschen wurden dabei offi ziell am Stadtrand von Forst (Lausitz), ein Archiv ganz be- als Umsiedler erfasst, viele weitere tausende zogen sonderer Art: das „Archiv verschwundener Orte“ (AVO bereits im Vorfeld der Abbaggerung weg. Horno). Es handelt sich dabei keineswegs nur um eine „Lagerstätte“ für Informationen zu abgebagger- ten Dörfern, sondern um ein Dokumentationszentrum, dessen Kernangebot die Präsentation des Themas in einer multimedialen Dauerausstellung bildet.

2 Vgl. entsprechende Artikel in der Lausitzer Rund- 1 BLHA, Rep. 803, Nr. 120 (Orthografi e und Zeichenset- schau vom 23.05.2006, 24.05.2006, 27.10.2006 und zung wie im Original). 01.02.2007.

53 Brandenburgische Archive · 24/2007 Europe Mining AG und der Stadt Forst (Lausitz), die die Trägerschaft übernahm und bei deren Stadtarchiv die Projektleitung lag,3 wurde das Vorhaben in zwei- einhalbjähriger Laufzeit realisiert und am 14. Oktober 2006 feierlich eröffnet.

Virtuelle Wanderung durch das Lausitzer Revier Die Ausstellung legt ihren Fokus auf zwei Aspekte: Auf die Darstellung der Perspektive der Betroffenen und auf die Darstellung der räumlich-quantitativen Di- Blick in den Ausstellungsraum des AVO Horno. mension des Abbaggerungsgeschehens samt einem digitalen „Archiv“ der abgebaggerten Ortschaften. Der Begriff „Archiv“ wird hier eher assoziativ verwen- Das Gestaltungskonzept, entwickelt und realisiert vom det, im Sinne eines Ortes des Sammelns und Bewah- Berliner Büro Peanutz Architekten, das 2005 nach rens. Entsprechend wurde für das Screendesign aller einem Ideenwettbewerb als Gestalter gewonnen wer- Multimediaanwendungen in der Ausstellung ein virtu- den konnte, setzt auf einen spielerisch-explorativen elles Karteikartenschema entwickelt, anhand dessen Ansatz: Der Ausstellungsraum ist als Wohnlandschaft der Besucher durch die verschiedenen Informations- gestaltet, mit einer Landkarte als Teppich, die das ge- angebote navigieren kann. samte Revier von der tschechischen Grenze bis zur Es geht in diesem Archiv um Pertinenzen, nicht um Höhe von Eisenhüttenstadt zeigt. Provenienzen. Das Archiv verschwundener Orte will die Erinnerung an diese Orte wach halten, lässt sie sozusagen virtuell noch einmal neu entstehen. Als digitales Archiv ist die Ausstellung bzw. sein Kern, eine Datenbank der verschwundenen Orte, ständig erweiterbar – die Ergebnisse weiterer eigener Recher- che- und Sammeltätigkeit können ebenso eingespeist werden wie neues Material, das interessierte Besu- cher mitbringen (wovon seit der Eröffnung auch schon häufi g Gebrauch gemacht werden konnte). Die Idee, ein solches Dokumentationszentrum zu errichten, ist gemeinsam von der Gemeinde Horno und der Domowina entwickelt worden, die das Dorf frühzeitig in seinem Kampf gegen die Überbagge- rung unterstützt hatte. Denn der massive Eingriff in die ländliche Siedlungsstruktur durch den Bergbau bedeutet nach wie vor eine zusätzliche Bedrohung für die sorbisch-wendische Identität und Kultur, die durch Assimilierungsprozesse und – v.a. in der Nie- derlausitz – durch eine mehrhundertjährige rigide, erst sächsisch-merseburgische, dann preußische Eindeut- schungspolitik bereits erhebliche Substanzverluste Eine Besucherin bedient den „Infosauger“. hinnehmen musste. Als die Umsiedlung von Horno Auf dem Teppich kann der Besucher mit dem digitalen- nach Ausschöpfung aller juristischen Mittel zu Beginn dieses Jahrzehnts unabwendbar wurde, ging die Er- richtung eines Dokumentationszentrums daher in den 3 An der am Stadtarchiv Forst (Lausitz) installierten Forderungskatalog der Hornoer für die bevorstehende Projektgruppe waren in zeitlich unterschiedlicher Umsiedlung ein. Die Initiatoren verfolgten hierin von Zusammensetzung beteiligt: Silke Jung (Forst), Ines Anfang das Ziel, eine Einrichtung zu erschaffen, die Neumann M.A. (Wiesengrund-Klinge), Sonja Noack die Bedeutung des Themas für die gesamte Region (Forst), Dipl.-Ing. Klaus Richter (Forst-Horno, †), Dörthe Stein (Forst-Horno), Jens Töpert M.A. (Leo- herausstellen sollte. Mit Unterstützung der Vattenfall poldshöhe).

54 Brandenburgische Archive · 24/2007 Ortsarchiv umhergehen, mit dem sogenannten „Info- Material, ist ebenso zu sehen wie Amateurvideos z.B. sauger“ nämlich, einer Kombination von Staubsauger zu Protestaktionen in und für Horno. Rund um die und Laptop, auf dessen Display er seine Wanderung Multimediastationen präsentieren in den Wandaufbau durch die Lausitz verfolgen kann. Verborgen unter eingelassene Vitrinen Objekte, die stellvertretend dem Teppich liegen die „Findmittel“ der verschwunde- für individuelle Umsiedlungserfahrungen stehen. An nen Orte, ein Netz von Drähten, die dem Infosauger Audiostationen (sog. „Storytellern“) sind Ausschnitte über Funk seine Position durchgeben. aus Zeitzeugeninterviews abrufbar, in denen der Be- sucher die Geschichten erfährt, die um diese Objekte kreisen. Wenn auf „Ehemaligentreffen“ für die Um- siedler aus devastierten Dörfern im Raum Senften- berg allerdings ausgerechnet Kohlebriketts – verziert mit eingravierten Widmungen – ausgegeben werden, macht dies die Ambivalenz der Thematik Bergbau und Umsiedlung deutlich: Einerseits war „die Kohle“ wich- tigster Arbeitgeber und wesentlicher Modernisierungs- faktor und wirkte so identitätsstiftend für die gesamte Region, andererseits zerstört der Bergbau Landschaft und Heimat – oft auch die eines „Kohlekumpels“ oder eines Kraftwerkarbeiters. Die Karteikarte als multimediales Navigationsprinzip. Potenziale des Hornoer „Archivs“ Sobald der Besucher über einem abgebaggerten Ort Das Thema Umsiedlung hat hohe Relevanz. Das steht, öffnet sich ihm nach Druck auf den Touchscreen betrifft nicht nur das Bedürfnis der Betroffenen, dass des Infosaugers das „Archiv“ des betreffenden Ortes, ihren Erfahrungen Gehör verschafft wird. Verbitterung eine multimediale Datenbank, in der er nach Belieben v.a. über die mangelhafte Entschädigungspraxis zu herumsurfen kann: Zu Informationen über den Ablauf DDR-Zeiten ist nicht selten bis heute spürbar. Wäh- der Umsiedlung und zum Verbleib der betroffenen rend der Recherchen und der Gespräche mit Betei- Bewohner, zu einer Bilderschau mit historischen Orts- ligten wurde aber auch deutlich, wie viele Personen ansichten und heutigen Umsiedlerstandorten, zu Luft- überhaupt direkt oder indirekt durch Umsiedlungen bildern und alten Messtischblättern, zur Chronik des betroffen waren. So konnte sich die Projektgruppe Ortes, zu Hinweisen zum sorbischen Sprachgebrauch auch auf die Arbeit vieler Einzelpersonen und, zumeist etwa im ehemaligen Groß-Partwitz oder zum aktuellen ehrenamtlich arbeitender, Heimatgruppen stützen, die Stand der Rekultivierung bei Pritzen oder aber auch zu die große Fülle des von ihnen zusammengetragenen Sagen, Anekdoten und Geschichten wie der von der Materials gern zur Bearbeitung zur Verfügung stell- legendären Notlandung eines Transatlantikfl iegers, ten. Dank solcher lokalen Initiativen ist das Thema der Pfi ngsten 1927 von den USA nach Berlin wollte, auch mehrfach in kleineren Ausstellungen präsen- aber in Klinge (devastiert 1981) zwischen Cottbus und tiert worden – etwa im Erlichthof in Rietschen4 oder Forst auf einer Wiese niederging. im Naturparkzentrum Wanninchen. Dass das Thema Umsiedlung bislang aber museal eher stiefmütterlich Dieser „intelligente Teppich“ bildet den Kern des Ar- behandelt wird, mag vielleicht nicht zuletzt in dessen chivs der verschwundenen Orte. Die Wandabwicklung, bereits angesprochener Ambivalenz seine Ursache durchgehend in den zu den Seiten hin hochgewölbten Kartenteppich gehüllt – die orangene Grundfarbe des Teppichs dominiert so den gesamten Ausstellungs- 4 Der Erlichthof ist ein Freilichtmuseum mit historischen raum –, birgt aber noch weitere Informationsbereiche. Gebäuden, die u.a. aus devastierten Ortschaften hierhin umgesetzt wurden, siehe www.erlichthofsied- An drei Multimediastationen können die Besucher lung.de. Eine Gehöftgruppe mit Originalobjekten aus Filmclips zu Geschichte und Gegenwart der Kohleum- devastierten Ortschaften ist auch im Kreismuseum siedlungen, zu sorbischer Kultur und Geschichte und des Landkreises Spree-Neiße in Spremberg wieder- zum 10-jährigen Kampf um Horno abrufen. Hier kom- errichtet worden. Dieses Museum verfügt zugleich men Zeitzeugen zu Wort, historisches Filmmaterial über eine große museale Sammlung von Objekten aus abgebaggerten Ortschaften, vgl. www.heidemuseum. aus verschiedenen Medienarchiven, etwa altes Defa- de/hofanl.html (Aufrufdatum: 1.2.2007).

55 Brandenburgische Archive · 24/2007 haben. Auch in den anderen beiden großen deutschen auch die Entwicklung der Umsiedlungspraxis und die Braunkohleabbaugebieten, dem mitteldeutschen Re- Haltung der verschiedenen beteiligten Gruppen in den vier und dem rheinischen Braunkohlenrevier, gibt es Blick nimmt, und erfahrungsgeschichtlich-kulturanthro- keine entsprechende Einrichtung.5 So stellt das Archiv pologisch Langzeitstudien darüber, wie Betroffene, verschwundener Orte gegenwärtig nicht nur gestal- ihre Herkunftsgemeinden und die Zuzugsgemeinden terisch, sondern auch thematisch bislang bundesweit eine Umsiedlung bewältigen. Damit würden wichtige ein Unikum dar. Beiträge zur brandenburger und sächsischer Zeitge- Forschungsseitig gibt es für das Rheinland eine schichte geleistet werden, die zugleich den Anti-De- Reihe von Pilotstudien aus volkskundlich-ethnolo- vastierungsprotesten von 1989/90 und der nach 1990 gischer, soziologischer und siedlungsgeographischer erfolgten umsiedlungspolitischen Neuorientierung Perspektive.6 Für die Lausitz sind insbesondere die ihren jeweiligen historischen Stellenwert zuweisen beiden Arbeiten von Frank Förster zu nennen, „Ver- könnten (wobei schon in den achtziger Jahren, offen- schwundene Dörfer“ (eine als historisches Ortslexikon bar auf den verstärkten Druck der Betroffenen hin, ein angelegte Übersichtsdarstellung über die abgebag- Umdenkungsprozess bei den zuständigen Behörden gerten Ortschaften) und „Bergbauumsiedler“, eine und Bergbaubetrieben einsetzte). Dokumentation von Interviews, die Förster in den neunziger Jahren mit Bergbauumsiedlern geführt hat.7 Das Archiv verschwundener Orte wird durch die Stif- Was fehlt, sind insbesondere eine breitere historische tung Horno mit Unterstützung der Stadt Forst (Lausitz) Untersuchung der Geschichte der Bergbauumsied- betrieben. Trotz knapper kommunaler Kassen konnte lungen, die sowohl die planungspolitischen Aspekte als die Finanzierung einer Vollzeitstelle für zunächst fünf Jahre realisiert werden, um Öffnungszeiten und Be- sucherbetreuung absichern zu können. Diese Stelle 5 Im mitteldeutschen Braunkohlenrevier existiert koordiniert zugleich die Zusammenarbeit mit zwei wei- allerdings seit 1998 eine Kulturstiftung, die sich der Förderung von Publikationen und Forschungen zur teren musealen Einrichtungen in Horno, dem Kirch- Industrie- und Kulturgeschichte dieser Region und ins- lichen Informationszentrum Horno (das sich in einer besondere zu den verschiedenen historisch-kulturellen Dauerausstellung in der Hornoer Kirche dem Schick- Facetten des Bergbaus und seiner Folgen widmet, vgl. sal der abgebaggerten Kirchgemeinden widmet) und www.kulturstiftung-hohenmoelsen.de (Aufrufdatum: der Hornoer Museumsscheune. Eine wissenschaft- 01.02.2007). liche Begleitung dieser Arbeiten kann gegenwärtig 6 Siehe z.B. Adelheid Schrutka-Rechtenstamm (Hg.): Was bleibt, ist die Erinnerung. Volkskundliche Untersu- nur projektbezogen realisiert werden. Potenziale für chungen zu Dorfumsiedlungen im Braunkohlenrevier, wissenschaftlich und museumsfachlich fundierte, dis- Erkelenz 1994; Sabine Metzger: Leben im neuen ziplinübergreifende Ausstellungs- und Forschungsvor- Dorf: eine volkskundliche Untersuchung zu Dorfum- haben sind, wie skizziert, aber zahlreich vorhanden. siedlungen im Rheinischen Braunkohlenrevier am Beispiel Neu-Etzweiler, Münster 2004; Peter Zlonicky u.a.: Gutachten zur Sozialverträglichkeit von Umsied- Das Dokumentationszentrum ist unter folgender lungen im Rheinischen Braunkohlenrevier, Dortmund Adresse erreichbar: 1990 (eine nachträgliche Evaluierung von 1999 ist im Internet abrufbar unter www.bund-nrw.de/documents/ Archiv verschwundener Orte Kurzgutachten_Evaluierung_Umsiedlung.pdf); Frank Horno/Rogow Dickmann: Umsiedlungsatlas des Rheinischen Braun- An der Dorfaue 9 kohlenreviers. Siedlungsform, Wohnen, Infrastruktur – Umsiedlungsmaßnahmen als Faktor kommunalen 03149 Forst (Lausitz) Strukturwandels, Köln 1996. Tel.: (03562) 69 48 36 7 Frank Förster: Verschwundene Dörfer, 2., überarbeitete Fax.: (03562) 69 74 85 Aufl . Bautzen 1996; ders: Bergbauumsiedler, Bautzen [email protected] 1998. Ethnologische Zugänge zum Themenkreis www.verschwundene-orte.de Bergbau-Alltagskultur/sorbische Kultur-Umsiedlung mit regionalem Bezug bieten außerdem: Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Öffnungszeiten: Berlin/Sorbisches Institut Bautzen (Hg.): Skizzen aus Dienstag – Donnerstag: 10.00 – 17.00 Uhr der Lausitz. Region und Lebenswelt im Umbruch, Köln/ Freitag – Sonntag: 14.00 – 17.00 Uhr Wien/Weimar 1997; Cordula Ratajczak: Mühlroser Ge- nerationen. Deutsch-sorbische Überlebensstrategien in einem Lausitzer Tagebaugebiet, Münster 2004.

56 Brandenburgische Archive · 24/2007 Landesgeschichte(n) ßischen Geschichte (HBPG) seit dessen Gründung im Jahre 2003 rasch eine engere Zusammenarbeit ent- Das „Schaufenster“ des Brandenburgischen Lan- wickelt hat, versteht sich letzteres doch als ein Forum, deshauptarchivs im Haus der Brandenburgisch- in dem von allen interessierten Seiten die tausendjäh- Preußischen Geschichte – eine Kooperation von rige Geschichte Brandenburgs und Preußens und ihre Kultureinrichtungen zur Präsentation von Archiva- vielfältigen, reichen kulturellen Leistungen dargestellt lien aus der brandenburgischen Landesgeschichte werden können. Mit ihrer im März 2006 abgeschlos- senen Kooperationsvereinbarung wollten beide Ein- Von Klaus Neitmann richtungen ihre bisherige Zusammenarbeit nicht nur formalisieren und damit organisatorisch erleichtern, Das Brandenburgische Landeshauptarchiv verwahrt sie wollten sie dadurch insbesondere für die Zukunft in seinen Magazinen die schriftliche Überlieferung verstärken und intensivieren. Beide Seiten bringen der Mark Brandenburg seit ihrer Entstehung im 12. zwar in ihre Ehe unterschiedliche Voraussetzungen Jahrhundert, der Provinz Brandenburg 1815-1945, mit, haben aber ein gemeinsames Ziel: Das Landes- des Landes Brandenburg 1945-1952, der branden- hauptarchiv verfügt über einen reichhaltigen archiva- burgischen Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und lischen Fundus, das HBPG mit dem Kutschstall am Cottbus 1952-1990 und des wiedererstandenen Potsdamer Neuen Markt über ein beeindruckendes Landes Brandenburg seit 1990, d.h. es verwahrt die Gehäuse zur öffentlichen Darbietung kultureller Zeug- Unterlagen, die in diesen Jahrhunderten die branden- nisse; nichts ist naheliegender, als dass die Geschich- burgischen Landesherren und ihre Verwaltungen aus te Brandenburgs und Preußens auch mit Objekten ihren alltäglichen Tätigkeiten hinterlassen haben und aus archivischen Schatztruhen veranschaulicht und in denen sich die großen Haupt- und Staatsaktionen vermittelt wird. der Herrscher ebenso wie die Lebensbedingungen der einfachen Untertanen und Bürger niedergeschla- In diesem Sinne wurde am 13. März 2006 das erste gen haben. Diese Quellen bilden die unentbehrliche „Schaufenster“ des Landeshauptarchivs im HBPG Grundlage für die Erforschung und Darstellung der eröffnet. Das Schaufenster – eine in ihrer Gestaltung brandenburgischen Landesgeschichte von den Anfän- der Umgebung angepasste Ausstellungsvitrine – ist in gen einer Markgrafschaft Brandenburg bis zum heu- die Dauerausstellung „Land und Leute“ des HBPG, tigen Land Brandenburg. Die vorrangige Aufgabe der die einen umfassenden Überblick über den Gang Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landeshauptar- der brandenburgischen Geschichte enthält, einge- chivs besteht darin, sein Archivgut im Umfang von ca. fügt, sie wird diese durch vierteljährlich wechselnde 40.000 lfm durch die detaillierte Erschließung seiner Präsentationen von Archivalien zu ausgewählten Inhalte so aufzubereiten, dass es von allen Personen landesgeschichtlichen Themen ergänzen. Gewünscht für die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen recht- ist, dass der Betrachter die ganz unterschiedlichen licher, genealogischer, wissenschaftlicher oder sonsti- Formen von Archivgut kennen lernt und dass er mit ger Natur benutzt werden kann. Das Landeshauptar- den Wegen des Archivars und Historikers zur Gewin- chiv ist selbst bestrebt, durch seine eigenen Arbeiten nung von geschichtlichen Erkenntnissen aus dem einzelne Themen der brandenburgischen Landes-, Archivgut vertraut gemacht wird. Die Auswahl von Orts- und Heimatgeschichte aufzugreifen und der Objekten wird sich an aktuellen kulturgeschichtlichen Öffentlichkeit nahezubringen, beispielsweise durch Diskussionsschwerpunkten orientieren, insbesondere Buchpublikationen oder durch Ausstellungen. Be- ist beabsichtigt, dass der von Kulturland Brandenburg sonders wertvolle Stücke aus seinen Beständen, die mit den jährlichen Kulturlandthemen gesetzte Rah- sogenannten Zimelien, wie auch äußerlich unschein- men berücksichtigt wird, ohne dass dadurch eigene bare, aber inhaltlich gewichtige Dokumente stellt es zusätzliche Initiativen ausgeschlossen sind. Der viel- anderen Einrichtung zu deren Ausstellungsvorhaben strapazierte Begriff „Vernetzung“ wird auf diese Weise zur Verfügung oder gestaltet selbst mit ihnen eigene mit wirklichem Inhalt gefüllt, geht es doch darum, die Ausstellungen. fachlichen Kompetenzen verschiedener Einrichtungen so miteinander zu verknüpfen, dass insgesamt ein Unter diesen Voraussetzungen war es nicht erstaun- Ergebnis erzielt wird, das jede Seite nur aus eigener lich, dass sich zwischen Brandenburgischem Landes- Kraft nicht hätte erreichen können. Einzelne Doku- hauptarchiv und dem Haus der Brandenburgisch-Preu- mente aus dem Schaufenster werden auf den Seiten

57 Brandenburgische Archive · 24/2007 dieser Zeitschrift abgebildet und eingehend historisch wie intensiv Schinkel, Persius oder Lenné in der ers- erläutert werden, also in ihrem Inhalt dargelegt und ten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Verschönerung in die größeren geschichtlichen Zusammenhänge, de- der preußischen Residenzstadt Potsdam gearbeitet nen sie ihre Entstehung verdanken, eingeordnet wer- haben. Sie alle haben ein kulturelles Erbe geschaffen, den. Damit wird immer wieder beispielhaft verdeutlicht dessen Bewahrung uns Heutigen aufgetragen ist. werden, wie aus der intensiven Beschäftigung mit Zum Verständnis der damaligen Schöpfungen tragen den Archivalien ein Bild der Vergangenheit geformt gerade die Archivalien bei, in denen die Menschen wird, wie aus ihnen Menschen der Vergangenheit mit einer vergangenen Zeit mit ihren Überlegungen und ihren Erfolgen oder Misserfolgen wieder zum Leben Plänen noch unmittelbar zu uns sprechen. gebracht werden.

Kulturland Brandenburg 2006 war der Architektur in Brandenburg gewidmet, und das HBPG behandelte in der zentralen Ausstellung dieses Kulturlandjahres Preußens bedeutendsten Architekten des 19. Jahr- hunderts, einen Mann europäischen Formates, Karl Friedrich Schinkel. Dementsprechend beschäftigte sich das erste Schaufenster des Landeshauptarchivs ebenfalls mit Schinkel, das Publikum sollte damit ge- wissermaßen auf die nachfolgende große Schau des HBPG eingestimmt werden. Wenn man Schinkel un- mittelbar in seiner Arbeit als Bauarchitekt beobachten will, muss man sich in die Vorgänge, in die Akten ver- tiefen, in denen er seine Anweisungen und Gutachten für das jeweilige aktuelle Bauvorhaben niedergelegt, mit Zeichnungen und Entwürfen die künstlerische Gestaltung des Projektes nach seinen Vorstellungen gelenkt, mit der Einsetzung fachkundigen Personals und der Bereitstellung der erforderlichen Mittel die Er- reichung des Zieles ermöglicht hat. Im Frühjahr 2006 glaubte in ganz anderem Zusammenhang ein Pres- seartikel davor warnen zu müssen, dass die Hand- Prof. Dr. Johanna Wanka, Ministerin für Wissenschaft, For- schriften eines Dichters der Weltliteratur, die Auto- schung und Kultur, im Gespräch mit Gert Streidt, HBPG- graphen Theodor Fontanes, unter „dröge preußische Geschäftsführer, und Dr. Klaus Neitmann (Mitte), Direktor Verwaltungsakten“ eingereiht werden könnten. Die des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, während der Einsichtnahme in Schinkelsche Schriftsätze hätte ihn Vorstellung des 2. „Schaufensters“ am 8. Februar 2007 im vor einem derartigen Fehlurteil bewahrt. In den ausge- HBPG (Foto: Andreas Klaer, Potsdamer Neueste Nachrich- legten eigenhändigen Dokumenten war zu sehen, wie ten v. 9.02.2007). Schinkel sich mit mehreren Kirchenbauten in Potsdam befasst, wie er hier eingreift, um die Bauvorhaben in Seit dem Februar 2007 zeigt das Brandenburgische Gang zu setzen und voranzutreiben, wie er befähigte Landeshauptarchiv in seinem Schaufenster im HBPG Köpfe in leitende Positionen bringt, damit der künstle- mehrere mittelalterliche Urkunden und Siegel, denn rische Sachverstand zur Geltung kommt. Man erlebte, das Land Brandenburg und die Brandenburger er- wie Schinkel sich um scheinbare Details kümmert, wie innern 2007 an 850 Jahre Mark Brandenburg. 1157 er Entwürfe vorlegt oder vorgelegte Entwürfe beurteilt. setzte sich der Markgraf der Nordmark Albrecht der Erst das Aktenstudium zeigt den genauen Anteil, den Bär aus dem hochadligen Geschlecht der Askanier er selbst an einem Projekt genommen hat, und ermög- endgültig in den Besitz der Brandenburg an der Havel, licht die Abgrenzung seiner Planungen und Entschei- eine Feste, die ihm bereits 1150 nach dem Tode ihres dungen von denen seiner Mitarbeiter. Wenn man sich damaligen Inhabers, des christlichen Slawenfürsen ein wenig in die Lektüre der Papiere und die Ansicht Pribislaw-Heinrich, kraft Erbverfügung hatte zufal- der Pläne vertieft, macht man sich schnell bewusst, len sollen, aber durch einen Konkurrenten zunächst

58 Brandenburgische Archive · 24/2007 vorenthalten geblieben war. Am 11. Juni 1157 zog Bär’ ... sandte Boten nach Utrecht, in die am Rhein Albrecht nach erfolgreicher Belagerung mit großem gelegenen Orte und zu den am Ozean Wohnenden, Gefolge in die Burg ein, fortan nannte er sich in seinen die unter Sturmfl uten litten, den Holländern, Seelän- Urkunden “Markgraf in bzw. von Brandenburg”. Ist es dern und Flamen nämlich. Von dort ließ er viel Volk aber im Jahre 2007 gerechtfertigt, an ein fernes Ereig- kommen und siedelte es in den slawischen Burgen nis des 12. Jahrhunderts, an eine erfolgreiche Burg- und Dörfern an. Durch die Einwanderer erstarkten belagerung und an eine geänderte Herrschertitulatur, auch die Bistümer Brandenburg und Havelberg, weil zu erinnern? mehr und mehr Kirchen entstanden und der Zehnt ungeheuer zunahm. Außerdem begannen die hollän- Vielleicht ist es günstig, die Antwort auf diese zwei- dischen Ankömmlinge die südlich der Elbe liegenden felnde Frage mit einem Blick auf die ausgestellte äl- Sumpf- und Feldgebiete von der Burg Salzwedel teste vom Landeshauptarchiv verwahrte Urkunde von über den Balsamgau und das Marschnerland mit 1160 einzuleiten. Darin verleiht Albrecht, Markgraf von vielen Städten und Flecken bis zum Erzgebirge zu Brandenburg, wegen seines, seiner Gemahlin, seiner besiedeln”. Helmold von Bosau beschreibt in seinen Kinder und Nachfolger Seelenheil dem Orden vom wenigen Sätzen die deutsche Ostsiedlung: Siedler Hospital des Hl. Johannes zu Jerusalem aus seinem von Gegenden am Niederrhein und an der Nordsee Erbe die Kirche zu Werben an der Elbe – in der heu- zogen in die Lande östlich der Elbe, brachten aus ihrer tigen Altmark, westlich von Havelberg gelegen – und Heimat die entwickeltere Technik der Kultivierung von dazu sechs Hufen holländischen Maßes in einem Sumpfl andschaften, von Wald- und Ödfl ächen mit, sie namentlich nicht genannten Dorf, damit die daraus legten Dörfer und Städte an, der christliche Glaube fl ießenden Einkünfte jährlich unter den Armen im Je- verbreitete sich dadurch, dass überall für die Gläu- rusalemer Hospital des Ordens verteilt werden. Der bigen Kirchen errichtet wurden. Wie wir aus vielerlei Johanniterorden war auf dem ersten Kreuzzug, nach urkundlichen Zeugnissen und archäologischen Fun- der Eroberung Jerusalems und der Heiligen Stätten den wissen, wirkten Deutsche und Slawen gemein- 1099, zur Pfl ege kranker und schwacher Pilger ge- sam am Landesausbau mit, und aus ihrer Lebens- gründet und wenige Jahrzehnte später in einen geistli- und Wirtschaftsgemeinschaft entstand schließlich im chen Ritterorden zur Verteidigung des Heiligen Landes Herrschaftsbereich der Markgrafen von Brandenburg gegenüber den umgebenden Muslimen umgewandelt der deutsche Neustamm der Brandenburger. worden. Albrecht unterstützte durch die Übergabe von Besitzungen und der dazugehörigen Einnahmen die Die Inbesitznahme des bedeutenden slawischen Herr- Hospitalarbeit des Ordens, damit dieser aus seinen schaftsmittelpunktes Brandenburg an der Havel nahm Einkünften in Europa seine krankenpfl egerischen und Albrecht zum politischen und verfassungsrechtlichen militärischen Aufgaben in Palästina wahrzunehmen Anlass, sich fortan “Markgraf von Brandenburg” zu vermochte. Die Urkunde zeigt den neuen brandenbur- nennen, und von der Havelburg aus wurde der Name gischen Markgrafen also in Verbindung mit einer der schließlich auf das ganze Territorium zwischen Elbe damals modernsten geistlichen Reformbewegungen, und Oder und östlich über die Oder hinaus übertra- dessen Kraft für die Erneuerung und Vertiefung christ- gen, das Albrecht und seine Söhne und Nachfolger licher Liebestätigkeit eingesetzt wurde. in der zweiten Hälfte des 12. und im 13. Jahrhundert gewannen, mit militärischen ebenso wie mit diploma- Die Urkunde zeigt zugleich, wenn auch eher indirekt, tischen Mitteln. Aber wenn die askanische Dynastie dass Albrecht noch in ganz anderer Weise die neuen ihre Herrschaft in Brandenburg in großem Ausmaß Initiativen seiner Zeit nutzte. Dass das verschenkte aufzubauen und dauerhaft zu behaupten wusste, lag Dorf gerade Hufen holländischen Maßes umfass- ihr Erfolg vornehmlich darin begründet, dass ihr Terri- te, deutet darauf hin, dass es seine Entstehung der torium mit den modernsten Methoden der damaligen Ansiedlung von Holländern im markgräfl ichen Herr- Zeit geschaffen wurde: durch die Besiedlungsvor- schaftsbereich verdankt haben wird. Helmold von gänge, die Anlage von bäuerlichen Dörfern und den Bosau, ein Zeitgenosse Albrechts, berichtet in seiner dazugehörigen bürgerlichen Städten als Wirtschafts- “Slawenchronik” über dessen – wenn man es modern und Handelszentren (Die slawische Feste Branden- ausdrücken will – Förder- und Ansiedlungspolitik und burg wurde zur deutschrechtlichen Alt- und Neustadt die damit verbundenen Investitionsmaßnahmen Fol- Brandenburg mit bürgerschaftlicher Selbstverwaltung, gendes: “Markgraf Adelbert mit dem Beinahmen ‘der die die ausgestellten Stadtsiegel veranschaulichen,

59 Brandenburgische Archive · 24/2007 umgestaltet), ebenso wie durch die untrennbar damit hunderte hinweg bis auf den heutigen Tag bestanden verbundene Einbeziehung des Landes und seiner hat und besteht – wenn auch in wechselnden Grenzen Bewohner in die Organisation der christlichen Kirche und in wechselnden Verfassungsformen, aber sogar mit der Errichtung von Pfarrkirchen, von Klöstern und über die tiefen politischen Brüche des 20. Jahrhun- Kommenden geistlicher Orden. Die auf den folgenden derts hinweg. Das 1990 wiedererstandene Land Bran- Seiten beschriebenen Urkunden aus der Geschichte denburg sollte sich seine Vergangenheit vor Augen zu des sogenannten falschen Woldemar zeugen ein- halten, liegt in dem jahrhundertelangen gemeinsamen drucksvoll davon, wie knapp zwei Jahrhunderte nach historischen Schicksal doch der Grund dafür, dass Albrecht dem Bären die Brandenburger bemüht waren, man 1989/90 daran wieder anknüpfte. Sich die his- in den politischen Wirren nach dem Aussterben seines torische Kontinuität Brandenburgs und damit zugleich Geschlechtes die Einheit „ihres“ Landes zu sichern. seiner Rolle in einem stets föderalistisch verfassten Deutschland bewusst zu machen, dazu wollen auch Gedenkwürdigkeit gewinnt das Datum 1157 erst da- die ausgestellten Dokumente aus dem Brandenbur- durch, dass von diesem Vorgang eine politische Ein- gischen Landeshauptarchiv anregen. heit namens Markgrafschaft bzw. Mark Brandenburg ihren Ausgang genommen hat, die über viele Jahr-

60 Brandenburgische Archive · 24/2007 Quellen zur brandenbur- beginnt in üblichen Formen insofern, als Woldemar bei gischen Landesgeschichte seinem „erneuten“ Regierungsantritt den Prenzlauer Bürgern alle bestehenden Rechte und Gewohnheiten Um Einheit oder Zerfall der Mark Brandenburg im ebenso wie alle ihnen vom deutschen König und 14. Jahrhundert: Die denkwürdige Geschichte vom früheren Markgrafen von Brandenburg, darunter auch raschen Aufstieg und tiefen Fall des „falschen“ von seinem gleichzeitigen „Nachfolger“ und „Vorgän- Woldemar ger“, dem Wittelsbacher Ludwig, erteilten Urkunden bestätigt. Aber dann stattet er die Stadt in acht Para- Von Klaus Neitmann graphen mit neuen, viel weitergehenden Rechten aus, die vor allem ihr Verhältnis zur Ritterschaft wie zum Nach dem kinderlosen Tode des Markgrafen Wolde- Landesherrn betreffen. Wenn ein adliger Schloss- mar, des letzten Angehörigen der von Albrecht dem oder Burgbesitzer einem anderen ein Unrecht zufügt Bären abstammenden Linie der Askanier, im Jahre und sich dem Rechtsspruch nicht beugt, dürfen ihn 1319 drohte die Mark Brandenburg zu zerfallen: alle brandenburgischen Städte mit Unterstützung des Nachbarn wie Magdeburg, Mecklenburg und Pom- Markgrafen in ihr Gefängnis werfen und festhalten, mern suchten einzelne Landesteile wie die Altmark, bis er seine Missetat wiedergutmacht. Bergfriede und die Prignitz und die Uckermark unter ihre Herrschaft Burgen dürften künftig in der Mark Brandenburg nur zu bringen, der Herzog von Sachsen-Wittenberg aus noch mit Rat, also nur noch mit Zustimmung der Städ- einer anderen askanischen Linie wollte mit zweifel- te errichtet werden; außerdem verspricht Woldemar, haften erbrechtlichen Begründungen die Nachfolge dass er alle in der Zeit seiner Abwesenheit seit 1319 in der Markgrafenwürde antreten. 1323 übertrug der errichteten Burgen und Schlösser abreißen lassen deutsche König (und spätere Kaiser) Ludwig IV. aus wird. Die beiden Bestimmungen wenden sich unaus- dem Hause der Wittelsbacher die Mark als Lehen des gesprochen gegen den Adel, der sich mit oder ohne Reiches seinem Sohn Ludwig, der freilich mit seinen landesherrliche Erlaubnis seine befestigten Herren- aus fi nanziellen Verlegenheiten erwachsenen hohen sitze geschaffen hatte, von ihnen aus seine Herrschaft Steuerforderungen unter den brandenburgischen über die dazugehörige Grundherrschaft ausübte und Städten auf heftigen Widerstand stieß. Schließlich zugleich von ihnen aus das städtische Leben und den wurde die Mark Brandenburg in den Konfl ikt der städtischen Handel bedrohte oder beeinträchtigte. beiden Großdynastien des Deutschen Reiches, der Das städtische Vetorecht gegen den adligen Burgen- Wittelsbacher in Bayern und der Luxemburger in Böh- bau würde den Adel in seinem Herrschaftsmittelpunkt, men, um den deutschen Königsthron verwickelt, als der Burg- oder Schlossanlage, vom städtischen Wohl- der böhmische Königssohn 1346 zum (Gegen)König wollen abhängig machen. Karl IV. erhoben wurde. In dieser politischen Lage be- hauptete im Sommer 1348 ein Besucher am Hof des Ferner sichert der Markgraf Prenzlau zu, dass die Bür- Magdeburger Erzbischofs, der askanische Markgraf ger nicht mehr Diener aus seinem Heer beherbergen Woldemar zu sein: Er sei 1319 gar nicht verstorben, müssen, als ihnen erträglich ist, und begrenzt damit sondern heimlich zu einer Bußfahrt ins Heilige Land die ihnen zugemuteten militärischen Verpfl ichtungen. entwichen. Seine markgräfl iche “Echtheit” war unter Er unterwirft seine Diener der städtischen Gerichts- den Zeitgenossen je nach ihrer politischen Haltung barkeit, sofern sie einen Rechtsbruch in der Stadt umstritten. Wahrscheinlich ist der “falsche” Woldemar begangen haben, verzichtet also darauf, sie selbst von den Askaniern in Sachsen-Wittenberg und in An- abzuurteilen. Darüber hinaus gestattet Woldemar halt aufgestellt worden, um die politische Bedrängnis den Bürgern, dass sie sich mit anderen Städten zum der Wittelsbacher in deren Kampf gegen Karl IV. zur gemeinsamen Widerstand gegen Unrecht verbünden eigenen Erwerbung Brandenburgs auszunutzen. dürfen. Wer das Unrecht begeht, wird hier nicht ge- sagt, ist aber im Hinblick auf die damaligen Verfas- Viele brandenburgische Städte fi elen dem falschen sungsverhältnisse offensichtlich. Man muss zuerst Woldemar zu, da er sich dadurch Anhang zu schaffen an den Adel denken, der die städtische Autonomie suchte, dass er ihnen weitgehende Rechte verlieh. und den Quell des städtischen Wohlstandes, ihren Abgebildet ist hier sein am 5. September 1348 für die Handel, gefährdete, darüber hinaus aber auch an uckermärkische „Hauptstadt” Prenzlau während sei- den Markgrafen selbst. Wenn er den Städten Unrecht nes dortigen Aufenthaltes ausgestelltes Privileg. Es zufügt oder seine urkundlichen Zusicherungen nicht

61 Brandenburgische Archive · 24/2007 einhält, dürfen sie sich einem anderen Herrn unter- Zusammenhalt des Landes auch unter einer anderen stellen, bis er einlenkt. Das städtische Bündnisrecht Dynastie befürwortete und verlangte. und das städtische Widerstandsrecht degradieren den Markgrafen geradezu zu einem willenlosen Werkzeug Karl IV. unterstützte den „falschen” Woldemar, dessen der städtischen Politiker: Gegen ihre Vorstellungen askanische Förderer und dessen Anhang nur so lange, vermag er sich überhaupt nicht mehr durchzusetzen, bis seine wittelsbachischen Widersacher im Reiche er begibt sich vollständig in deren Abhängigkeit. nach dem Tode Kaiser Ludwigs IV. 1347 und dem Tod des von ihnen erhobenen Gegenkönigs Günther Zu solchen weitreichenden Zugeständnissen verstand von Schwarzburg 1349 seine Königsherrschaft nicht sich ein Landesherr nur in äußerster Notlage – die für mehr in Frage stellten; im Gegenzug belehnte Karl Woldemar und seine Hintermänner insofern gegeben den wittelsbachischen Markgrafen Ludwig im Februar war, als sie sich zunächst einen Anhang in der Mark 1350 erneut mit der Mark Brandenburg und forderte Brandenburg verschaffen mussten, wenn sie den Wit- anschließend die brandenburgischen Städte auf, sich telsbacher Ludwig überwinden wollten. Sie setzten von Woldemar abzuwenden und wieder Ludwig zu auf die märkischen Städte und beugten sich deren unterstellen. programmatischen Wünschen, um sie auf ihre Seite zu ziehen. Der Wortlaut der für Prenzlau ausgestellten Einen königlichen Vermittlungsversuch zwischen den Urkunde deutet wiederholt darauf hin, dass hier nicht beiden brandenburgischen Parteien nutzte Prenzlau von speziellen Prenzlauer Rechten, sondern ganz im September 1351 dazu aus, sich vom Oberhaupt allgemein von städtischen Rechten in der gesamten des Reiches selbst Vergünstigungen gewähren zu Mark Brandenburg gehandelt wird. Seit Mitte August lassen. Ihr Bürger Hartwig Cremer erschien auf dem 1348, seit seinem ersten öffentlichen Auftreten, hatte Verhandlungstag im sächsischen Pirna vor dem König Woldemar bereits andere Städte in der Altmark, der und bat ihn um Verbriefung städtischer Wünsche, die Prignitz und der Mittelmark wie die Altstadt Branden- Karl in der Hoffnung auf den Parteiwechsel Prenzlaus burg, Tangermünde, Osterburg und Pritzwalk privile- zugunsten der Wittelsbacher gewährte. Standen in der giert, mit denselben Formulierungen, die in der Prenz- Urkunde Woldemars von 1348 allgemeine politische lauer Urkunde wieder auftauchen: Die Übereinstim- Verfassungsverhältnisse der Mark im Vordergrund, mung belegt, dass Woldemar und seine askanischen richtete sich das Privileg Karls von 1351 gänzlich Förderer mit einer Politik, die zentrale politische auf die besonderen rechtlichen, wirtschaftlichen und Forderungen der brandenburgischen Städte wie den fi nanziellen Gegebenheiten Prenzlaus. Die Stadt legte Ausbau der eigenen Gerichtsbarkeit, den Abbau der Wert darauf, dass ihre Anrechte an den Mühlen, an landesherrlichen Heereslasten, das uneingeschränkte Zoll und Münzen, an den Juden und damit ihre dar- Bündnisrecht und das Widerstandsrecht erfüllte, sie aus fl ießenden Einnahmen bekräftigt wurden, dass ihr zu gewinnen trachteten. Schließlich mussten sich die Handel durch Zollfreiheit in der näheren Umgebung Askanier noch zu einem weiteren Zugeständnis ver- gefördert und die Gerichtsbarkeit des eigenen städ- stehen: Woldemar versprach, die Mark Brandenburg tischen Schultheißen bestätigt wurde. nicht zu teilen, also nicht einzelne Landschaften oder Landesteile an benachbarte Fürsten abzutreten – was Trotz des königlichen Privilegs hielt Prenzlau noch in der kritischen Phase nach 1319 vielfach geschehen bis 1355 an Woldemar fest und kehrte sich erst von war, als die unklaren und unsicheren Herrschaftsver- ihm ab, als er alle politische Unterstützung in der hältnisse die Nachbarmächte dazu gereizt hatte, sich Mark selbst und unter deren Nachbarn verloren hatte. märkisches Land anzueignen. Die Städte bestanden Seine letzten Lebensjahre verbrachte er am Hof sei- hingegen auf der Unteilbarkeit der Mark, wollten die ner askanischen Gönner in Dessau und wurde nach ihnen gewährten Rechte gemeinsam unter einer seinem Tode 1357 in deren Hofkapelle bestattet. Karl einzigen Landesherrschaft genießen – und setzten IV. hingegen erreichte schließlich 1373 mit mancherlei sich damit dafür ein, dass die Mark, das Geschöpf diplomatischen Finessen sein langgehegtes Ziel, die der askanischen Dynastie, nicht durch die Wirren um Verdrängung der Wittelsbacher aus der Mark, als der die Nachfolgeregelung zerrissen wurde. Sie brachten letzte wittelsbachische Markgraf Otto (der Faule) zu damit indirekt zum Ausdruck, dass in den knapp zwei seinen Gunsten auf die Herrschaft in der Mark Bran- Jahrhunderten seit der Herrschaft Albrechts des Bä- denburg verzichtete. ren ein Landesbewusstsein gewachsen war, das den

62 Brandenburgische Archive · 24/2007 Edition

Markgraf Woldemar von Brandenburg bekennt, [1] den gegen Unrecht verbünden. [9] Bergfriede und Burgen Bürgern zu Prenzlau ihre altherhergebrachte Freiheit im Lande sollen nur mit Rat der Städte erbaute wer- und Gewohnheit zu halten, [2] die ihnen vom Reich, den, und die in der Abwesenheit des Markgrafen er- von alten Fürsten und Fürstinnen der Mark und von bauten sollen wieder abgebrochen werden. [10] Wenn Markgraf Ludwig gegebenen Urkunden zu halten, [3] der Markgraf den Bürgern Unrecht zufügt oder ihre die Lande nicht zu teilen, [4] ihnen dabei zu helfen, Urkunden nicht einhält, dürfen sie sich einem anderen daß rechtsbrecherische Schloß- und Burgbesitzer in Herrn als Schützer ihres Rechtes zuwenden, solange allen Städten verklagt und ins Gefängnis geworfen bis der Markgraf sie bei ihrem Recht beläßt. [11] Alle werden bis zur Wiedergutmachung ihres Unrechts. vom Aussteller und den Bürgern gegebenen Urkunden [5] Die Bürger sollen nicht mehr markgräfl iche Diener sollen die markgräfl ichen Nachfolger einhalten. in dessen Heer als ihnen erträglich beherbergen. [6] Den Rechtsbruch eines markgräfl ichen Dieners in der (BLHA, Rep. 8 Prenzlau U 65 – Ausf., Perg., zwei anh., an Stadt sollen sie nach Stadtrecht richten. [7] In der Stadt den Rändern beschädigte Siegel. – Druck: Codex diploma- ticus Brandenburgensis, hg. v. Adolf Friedrich Riedel, Bd. soll jedermann vor dem Gericht des Schulzen stehen, I/21, S. 163f. Nr. 100 (nach späterer abschriftlicher Über- ausgenommen die markgräfl ichen Diener. [8] Die Bür- lieferung). ger dürfen sich mit anderen Städten zum Widerstand

63 Brandenburgische Archive · 24/2007 Wy Woldemar, von der genaden Godes to Branden- an dessen brif gehanghen. To eyner betughinghe so borch, to Lusitz, to Landesberch markgreve unde hebbe wy greve Albrecht von Anehalt unse grote in- des heylighen Romeschen rikes overste kemerer, gesegele an dissen brif ghehanghen. Des sint ok tug- bekennen unde betughen openbar in dessen brive, he dy gewaldighen vorsten hertoghe Rudolf .. unde [1] dat wy scholen unde willen unsen liven getruwen hertoghe Otto van Sassen unde dy edele man greve borgeren in unser stat to Premzlaw, dy nu syn unde Albert von Barbey, dy desse dink gededinget hebben. tukomende syn, halden alle ore rechticheit, gnade Gegheven to Premzlaw nach Godes gebort dritteyn- unde vriheit unde ore gude gewonheit, dy sy von alder hunder jar in deme achtundevirteghesten jare in deme von den heren gehait hebben, unde scholen on dy negesten vrydaghe vor unser vruwen daghe, alse sy beteren und nicht ergern. [2] Ok wyl wy unde scho- geboren wart. len on halden, dat sy met briven bewisen moghen, oft sy on sint gegheven von deme ryke oder von alden vorsten oder alden vorstinen der marke oder von markgreve Ludewighe. [3] Ok en schole wy der lande nicht scheyden. [4] Ok were unser manne enych, dy enghe slot oder vesten hedden, dy schelinghe metey- nander hedden unde sich an rechte nicht genughen wolden laten, unde darboven or eyn deme anderen dat syne neme unde vorunrechtede, den schal man ervolghen met klaghe unde in dy vestinghe nemen in allen steden unde nicht spisen went an dy tyd, dat he dat unrecht wederduyt; dar schole wy on tu helpen. [5] Weret ok, dat uns unse dinere volgeden in eyme heer, so schal man dye borgere nicht mer beherbergen in der stat, wen sy is wol gewesen moghen. Aver wordes on tu vel unde sturden sy dat, daran scholen sy an uns nicht missedan hebben. [6] Ok weret, dat unser dyner enych eynen redeliken broke dede in der stat, den scholen sy richten nach der stat rechte. [7] Ok schal dar in der stat vor deme schulten eyn giwelik to rechte stan behalven unse dinere, dy uns dynstes plichtich syn. [8] Ok gunne wy on des, dat sy sich Das an der Urkunde hängende Siegel des „falschen“ Woldemar – vom Betrachter aus das linke – bildet, damit voreynen met anderen steden in desser wis, wolde sy die Behauptung der Personenidentität untermauert wird, ymant vorunrechten, dat sy deme eyndrechtichliken bewusst das Siegel des „echten“ Woldemar nach: Das Sie- wederstan moghen, dar schole wy on tu behulpen gelbild zeigt die stehende gerüstete Figur des Markgrafen, syn. [9] Vortmer wil wy, dat man geyne barchvreden die Linke auf den brandenburgischen Adlerschild gestützt, noch vesten in unseme lande buwen schole, dat en in der Rechten eine in fünf Wimpel ausgehende Fahne, wel- sy met der stede rade. Worden sy aver gebuwet unde che gleichfalls den Adler zeigt. dy synt gebuwet syn, seder dat wy ut deme lande syn geweset, dy schole wi breken. [10] Weret ok, dat wy sy in eynghen vorsproken stukken vorunrechteden unde dy brive on ok nicht enhylden, dy sy hebben, so scholen sy dy macht hebben, dat sy sich oder met anderen steden eyme heren nalen, dy on ores rechtis vordedinghe. Dat scholen sy dun met allen eren went an dy tyt, dat wy des mudes werden, dat wy sy by rechte laten; so scholen sy weder tu uns keren. [11] Alle desse dink, dy wy on bebrivet unde sy vorbrivet hebben, dy scholen unse nakomelinghe halden stede unde vast als wy. To eyner ewighen stedicheit desser vorsproken dinghe hebbe wy unse grote ingesegele

64 Brandenburgische Archive · 24/2007 Wandel zum digitalen Dienstleister – wünschen angepasst. Um den Anforderungen der die Fotowerkstatt im Brandenburgischen Landes- digitalen Zukunft gerecht zu werden, stehen inzwi- hauptarchiv schen zwei moderne Scanner-Arbeitsplätze mit einer Aufl ösung von bis 25,1 Mio. Pixel zur Verfügung. Mit Von Helga Bagemihl und Klaus Etzenberger ihnen werden unter Einhaltung eines standardisierten Farbmanagements und der dazugehörigen ICC-Pro- Moderne Techniken und Methoden geben der Dar- fi lierung Reproduktionen von hoher Qualität, Detail- stellung von Geschichte neue Perspektiven. Der di- schärfe und Farbgenauigkeit hergestellt. Aufwändige gitale Medienwandel hat auch das Arbeitsgebiet der Scannertische mit Buchwippen und Speziallicht sor- Fotowerkstatt im Brandenburgischen Landeshaupt- gen für einen schonenden Umgang mit den wertvollen archiv in den letzten Jahren grundlegend verändert. und unersetzlichen Vorlagen, bedeuten für die ein- Zwar stehen nach wie vor die Bearbeitung von Be- zelnen Aufnahmen aber auch einen deutlich höheren nutzungs- und Dienstaufträgen im Vordergrund, also Zeitaufwand. das Erstellen von Sachaufnahmen und vor allem die Reproduktion historischer Akten, Urkunden, Karten, Plänen, Zeichnungen und Fotografi en, die für wissen- schaftliche Zwecke, Publikationen und Ausstellungen benötigt werden. Doch immer seltener werden die jahrzehntelang bevorzugten analogen Film- und Fo- toarbeiten im herkömmlichen Sinne nachgefragt, also etwa die klassischen Archivreproduktionen und Sach- fotografi en als Schwarz-Weiß- und Color-Diapositive oder -Negative.

Arbeit an der Digitalkamera in der Fotowerkstatt des BLHA.

Die erweiterten Möglichkeiten von der Aufnahmequa- lität über verschiedene Datenformate bis hin zu den Speichermedien bringen für die Mitarbeiter der Fo- towerkstatt allerdings auch einen erhöhten Beratungs- bedarf mit sich. Ob im Lesesaal oder am Telefon – in der technischen Welt des digitalen Datenaustauschs gewinnt das persönliche Beratungsgespräch immer mehr an Bedeutung. Auch an die Qualifi zierung der Mitarbeiter stellt der technische Wandel hohe Ansprüche. Regelmäßige IT-Schulungen und Fortbildungen zur digitalen Bild- bearbeitung gehören inzwischen zum Arbeitsalltag, um auch für die neuen digitalen Reproverfahren einen hohen fotografi schen Qualitätsstandard und einen ko- ordinierten Arbeitsablauf zu gewährleisten.

Neben den digitalen Nutzungskopien nimmt die klas- Entwicklung der analogen und digitalen Aufnahmen im sische Schutzverfi lmung ausgewählter Bestände BLHA zwischen 2002 und 2006. und Unterlagen auf alterungsbeständigen Mikrofi lm allerdings weiterhin einen festen Platz in der Arbeit Die Fotowerkstatt hat sich den gewandelten Kunden- der Fotowerkstatt ein. Denn als Medium zur Langzeit-

65 Brandenburgische Archive · 24/2007 sicherung von Informationen ist der Schwarz-Weiß- Die mittels einer modernen Mikrofi lmkamera erstellten Mikrofi lm mit seiner Haltbarkeit von 500 Jahren allen Schutzfi lme im Format 35 mm werden in einem spe- fl üchtigen digitalen Medien noch immer weit überle- ziellen Filmarchiv des Landeshauptarchivs gelagert gen. Die Verfi lmung soll die wertvollen Originale vor und dem Benutzer als Kopie (Lesefi lm) vorgelegt. Im den Folgen häufi ger Nutzung schützen und für den Lesesaal des Archivs stehen allerdings nicht mehr nur hoffentlich nie eintretenden Fall ihres Verlusts wenigs- analoge Lesegeräte und Readerprinter zu Verfügung, tens eine Sicherung der Informationen gewährleisten. wie sie Archivbesucher seit Generationen kennen, Diesen Zwecken dient auch die im Landeshauptarchiv sondern inzwischen auch zwei digitale Mikrofi lmscan- im Auftrag des Bundes durchgeführte Sicherungsver- ner, die ein komfortables Benutzen, Ausdrucken und fi lmung von Archiv- und Bibliotheksgut für die Länder Speichern der Filminformationen in digitaler Form Brandenburg und Sachsen-Anhalt. erlauben. Die Grenzen zwischen dem klassischem Mikrofi lm und den digitalen Scans verschwimmen somit immer mehr. In den nächsten Jahren werden die bislang er- stellten Mikrofi lme nach und nach digitalisiert und den Nutzern des Archivs auch als Bilddateien zur Verfü- gung gestellt werden.

Lesen am Mikrofi lm-Scanner im Lesesaal.

Digital und analog. Innovativ. Leistungsstark. Robert-Bosch-Straße 2-4 Investitionssicher. Mit erstklassigem Service. D-61184 Karben Für höchste Ansprüche. Fon +49 (0)6039 4803-0 Qualität macht den Unterschied. Fax +49 (0)6039 4803-80 ProServ - erste Wahl für Archive, Bibliotheken, Mail [email protected] Museen, in GIS und Vermessung. www.proserv-special.de

66 Brandenburgische Archive · 24/2007 Vollendung der Beständeüber- Dieser Band 50 schließt die Beständeübersicht des sicht des Brandenburgischen Brandenburgischen Landeshauptarchivs ab. Erfasst Landeshauptarchivs: sind damit in vier Bänden sämtliche Bestände des Archivs, ausgehend von den ältesten schriftlichen Veröffentlichung des Teilbandes III/2 „Staatliche Zeugnissen des 12. Jahrhunderts über die preußische Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisa- Provinz Brandenburg, die Nachkriegszeit mit ihren tionen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen bis und Potsdam 1952-1990“ hin zur politischen Wende des Jahres 1989 und ihren Folgen. Der jüngste Band vervollständigt in Kombina- Am 14. Juni 2006 wurde in einer öffentlichen Veranstal- tion mit einem im Jahr 2001 publizierten ersten Teil tung der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam der im die Darstellung der Bestände aus der Zeit der Sowje- Berliner Wissenschafts-Verlag erschienene Teilband tischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der DDR bis zur III/2 der „Übersicht über die Bestände des Branden- Neugründung des Landes Brandenburg im Rahmen burgischen Landeshauptarchivs“, der die „Staatliche der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Be- Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen eindruckend – allein diese zwei Übersichtsbände zu in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Pots- den Beständen der Jahre 1945 bis 1990 füllen beacht- dam 1952-1990“ beinhaltet, vorgestellt. Mit diesem liche 1.200 Seiten. Ich nenne als Vergleich einmal den Teilband ist das Gesamtwerk vollendet, etwa vier Nachschlageklassiker „Der Brockhaus in einem Band“ Jahrzehnte, nachdem die erste Archivarsgeneration – mit 55.000 Stichwörtern umfasst er nur 1.024 Seiten. des Brandenburgischen Landeshauptarchivs mit einer fulminanten Leistung in zwei Bänden die Bestände von Worin liegt nun die Bedeutung dieses neuesten den Anfängen schriftlicher Überlieferung in Branden- Werkes und seiner drei Vorgänger? Zum einen stellt burg im 12. Jahrhundert bis zum Epochenjahr 1945 diese Übersicht ganz einfach das zentrale Hilfsmittel eingehend beschrieben hatte. Freilich steht gerade für für Nutzer des Landeshauptarchivs dar. Bereits vor diese ältere Zeit die Neuaufl age schon auf dem Ar- einem Besuch im Archiv können sie gezielt die für das beitsprogramm des Landeshauptarchivs, haben sich jeweilige Sachthema bedeutsamen Bestände oder doch auch dafür die Gegebenheiten durch Bestände- Bestandsteile ermitteln. Zum anderen ragt diese Be- übernahmen und -abgaben und durch Erschließungs- ständeübersicht heraus aus der Reihe vergleichbarer arbeiten seit 1967 erheblich verändert. Der Teilband Werke zur zeitgeschichtlichen Überlieferung in den III/2 der Beständeübersicht wurde zugleich als Band Archiven der anderen neuen Länder, und zwar wegen 50 der Schriftenreihe „Veröffentlichungen des Bran- ihrer Breite und ihrer detailreichen- und genauen Dar- denburgischen Landeshauptarchivs“ publiziert, der stellung. Sie dokumentiert in eindrucksvoller Weise ältesten, bereits 1958 gegründeten Schriftenreihe des den Prozess des stalinistischen Machtausbaus und Archivs, in der sich seine nachhaltigen Bemühungen der Machtbehauptung der SED im Land Brandenburg, um die archiv- und geschichtswissenschaftliche Erfor- beginnend mit seiner Aufl ösung und endend mit der schung Brandenburgs in besonderer Weise niederge- Wiederbegründung als Bundesland nach der Wie- schlagen haben. Die folgenden Seiten geben die am dervereinigung. Die Übersicht bietet damit nicht nur 14. Juni 2006 gehaltenen Ansprachen, z.T. in überar- Zeithistorikern, sondern auch vielen privaten Benut- beiteter Form, wieder. zern eine sowohl qualitativ wie auch quantitativ breite Quellengrundlage. Grußwort Und darin liegt der „Mehrwert“ der Beständeübersicht: Von Prof. Dr. Johanna Wanka Sie ist nicht nur Informationsmittel und Quellennach- Ministerin für Wissenschaft, Forschung weis. Sie stellt die Voraussetzung der landesge- und Kultur des Landes Brandenburg schichtliche Forschung des Landeshauptarchivs und aller anderen Forschungseinrichtungen und Forscher Die heutige Präsentation von Band 50 der Schrif- zu dieser Zeitperiode Brandenburgs dar. Mit dem 50. tenreihe Veröffentlichungen des Brandenburgischen Band setzt das Archiv somit seine Arbeit in der Tradi- Landeshauptarchivs ist mir willkommener Anlass, die tion des Historiker-Archivars fort. Seit dem 19. Jahr- wichtige und wertvolle Arbeit des Landeshauptarchivs hundert geht es dieser Tradition darum, archivarische einmal nicht nur vor Fachpublikum hervorzuheben. Tätigkeit mit historischer Forschung zu verbinden.

67 Brandenburgische Archive · 24/2007 Dabei kommt den öffentlichen Archiven die Aufgabe und Heimatgeschichtsforscher. Der „Tag der Orts- und zu, durch Auswertung ihrer Archivbestände und die Landesgeschichte“ soll in diesem Jahr, im Oktober, Erarbeitung von Hilfsmitteln, Quellenpublikationen seine Fortsetzung fi nden. Ich könnte mir vorstellen, und monographischen Untersuchungen die landes- dass sich langfristig ein intensives Netzwerk aller an und ortsgeschichtliche Forschung aufrechtzuerhalten der brandenburgischen Landesgeschichte Interessier- und weiterzuentwickeln. ten entwickelt und dieses langfristig zur Bereicherung von Ausstellungen und Publikationen beizutragen ver- Das Landeshauptarchiv nimmt in seiner nunmehr 40 mag – auch denen des Landeshauptarchivs. Jahre andauernden Publikationstätigkeit diese Aufgabe sehr ernst und führt sie hervorragend aus. Es ist kompe- Es ist nicht übertrieben festzustellen: Die branden- ten ter Forschungspartner der benachbarten Wissen- burgische Landesgeschichtsforschung hat in der schaftsinstitutionen, beispielsweise des Zentrums für Vergangenheit wie in der Gegenwart einen zentralen Zeithistorische Forschung Potsdam, für Zeitgeschichte Schwerpunkt im Landeshauptarchiv gehabt. In seiner eben so wie für Orts-, Regional- und Landesgeschichte. Schriftenreihe sind wesentliche Forschungsergebnisse veröffentlicht worden. Ich bedanke mich daher an dieser Verschiedenartige Quellen erfassen, sammeln und Stelle bei allen Archivaren für Ihren unermüdlichen Ein- dann zu einem Gesamtbild zusammenführen – diese satz bei der Erforschung unserer Landesgeschichte. Aufgabe kann nicht von wenigen Einzelnen geleis- tet werden, und auch nicht nur von Historikern und Vom Nutzen des Archivs für die Historie und das Forschungstreibenden in Universitäten und anderen Leben. Der Beitrag des Brandenburgischen Lan- wissenschaftlichen Einrichtungen Brandenburgs. deshauptarchivs zur brandenburgischen Zeitge- Vielmehr sind auch die hauptamtlichen Geschichts- schichtsforschung1 schreiber auf die ehrenamtlich tätigen Ortschronisten angewiesen. Sie erstellen in meist umfangreicher Re- Von Klaus Neitmann cherche die Geschichte ihres Ortes und ihrer Region und tragen so zum geschichtlichen Gesamtbild des Vom Nutzen des Archivs für die Historie und das Leben Landes bei. Nach der Wende blühten die während der handeln zu wollen, mag den Kenner der deutschen DDR-Zeit nur geduldeten und reglementierten heimat- und europäischen Geistesgeschichte zunächst ver- und ortsgeschichtlichen Vereine wieder auf und er- wundern, denn er bemerkt sofort, dass der assoziierte starkten. Wie groß das Interesse an der Erforschung Titel von Friedrich Nietzsches berühmter Schrift „Vom der Landesgeschichte ist, konnte ich im vergangenen Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ leicht November persönlich erleben – bei der Eröffnung des verfremdet worden ist und dabei die „Nachteile“ aus- ersten „Tages der brandenburgischen Orts- und Lan- geblendet worden sind – obwohl doch gerade die vom desgeschichte“. Die Resonanz auf diese Initiative des Philosophen so herausgestellten Nachteile die durch- Landeshauptarchivs war mit 280 Teilnehmern sehr aus kontroverse Debatte um den Wert und Unwert der groß. Sie konnten sich nicht nur untereinander und Geschichte und der Geschichtsschreibung nachhaltig mit den Mitarbeitern des Archivs austauschen. Das angeregt haben. An diese Grundsatzdiskussionen Landeshauptarchiv stellte ihnen auch, gemeinsam soll hier nicht angeknüpft werden, jedenfalls nicht mit mit seinen Veranstaltungspartnern, der Brandenbur- einer allgemeinen und abstrakten Betrachtung zur Be- gischen Historischen Kommission und dem Haus der deutung des Historikers – Archivars und seiner Leis- Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Angebote tung, und ebenso wenig soll hier mit berufsständische zur methodischen Qualifi zierung vor. Selbstbewusstsein zum Ausdruck gebracht werden, dass es einem überzeugten Landesarchivar und Lan- Das Landeshauptarchiv ist mit seinen Mitarbeitern in der Lage, an ausgewählten Beständen den Umgang mit den archivalischen Quellen einzuüben, mit der un- 1 Überarbeiteter und ergänzter Auszug aus der Anspra- entbehrlichen Grundlage der historischen Forschung che anlässlich der Präsentation der „Übersicht über also. Ebenso wie die heute vorgestellte Bestände- die Bestände des Brandenburgischen Landeshaupt- übersicht ist dazu auch das elfbändige „Historische archivs, Teil III/2: Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Ortslexikon für Brandenburg“ geeignet, ein wichtiges Parteien und Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990“ in der Stadt- Arbeitsinstrument für alle brandenburgischen Orts- und Landesbibliothek Potsdam am 14. Juni 2006.

68 Brandenburgische Archive · 24/2007 deshistoriker schwer fällt oder gar unmöglich erscheint, deshauptarchivs bis zum Jahre 1945 schilderten2, Nachteile des Archivs und der Historie zu er kennen und liegt jetzt mit den beiden genannten Teilbänden ab- zu beschreiben. Stattdessen soll in aller Nüchternheit geschlossen auf insgesamt fast 1.200 Seiten eine an Hand konkreter Beispiele danach gefragt werden, ausführliche und dichte Beschreibung aller Bestände wozu die Ergebnisse spezifi sch archivarischer Arbeit vor, die zwischen 1945 und 1990, in Zeiten der Sow- dienen und für welche Zwecke wissenschaftlicher und jetischen Besatzungszone und der Deutschen Demo- außerwissenschaftlicher, „lebens weltlicher“ Natur sie kratischen Republik, in Brandenburg auf der Ebene verwendet werden. Wir gehen auf der Suche nach der Provinzial- und Landesregierung bzw. der drei einer plausiblen Antwort von einem aktuellen Anlass Bezirksverwaltungen entstanden sind und in denen aus, von der Herausgabe des Teils III/2 der „Übersicht sich das Leben der Brandenburger in mannigfaltigster über die Bestände des Brandenburgischen Landes- Weise widerspiegelt. Durch den Informationsreichtum hauptarchivs“. der Darstellung unterscheidet sich unsere Bestände- übersicht von den aus anderen Archiven der neuen Das Brandenburgische Landeshauptarchiv verwahrt Länder über denselben Zeitraum in den letzten Jahren derzeit etwa 40.000 lfm Archivgut vom 12. Jahrhun- herausgebrachten vergleichbaren Werken3. Denn wir dert bis an die Schwelle unserer eigenen Gegenwart. haben bewusst Wert darauf gelegt, durch umfang- Wer sich in diesen Unmengen beschriebenen Perga- reiche Vorarbeiten die beiden zentralen Abschnitte ments, Papiers und sonstiger Zeugnisse zurechtfi n- der Artikel zu jedem Bestand im Benutzerinteresse den und die für sein Thema einschlägigen Dokumente breit anzulegen und uns in der Informationsdichte zielgerichtet ermitteln will, bedarf eines Schlüssels, vorbehaltlos an dem hohen Standard der ersten bei- der ihm die Wege zu den Fundstellen, zu den Quel- den Bände der Beständeübersicht zu orientieren. Die len der Erkenntnis öffnet. Für ein Archiv ist ein derar- Behördengeschichte beschreibt die Lebensdauer, die tiger Schlüssel eine Übersicht über seine Bestände, Zuständigkeiten, Aufgaben, Tätigkeitsschwerpunkte also eine Übersicht über Behörden, Institutionen und und organisatorische Stellung der jeweiligen Institu- Personen und ihre in ihrer Tätigkeit angefallenen tion, die Bestandsgliederung gibt die einzelnen Ak- schriftlichen und sonstigen Hinterlassenschaften, die tengruppen und ihre wesentlichen Inhalte wieder und entsprechend dem Herkunfts- oder Provenienzprin- führt damit dicht an die Gegenstände heran, die in den zip zu jeweils in sich geschlossenen Einheiten, zu Akten behandelt werden. „Beständen“, zusammengefasst sind. Die Bestän- deübersicht versetzt den Benutzer in die Lage, sich Die Bildung der Bestände auf der Grundlage des Pro- einen umfassenden und präzisen Überblick über die venienzprinzips und die entsprechende Darstellung in einem Archiv befi ndlichen verschiedenartigsten in der Beständeübersicht haben zur Folge, dass der Überlieferungen zu verschaffen und ihre Brauchbar- keit und Aussagekraft für die eigenen Fragestellungen zu beurteilen. 2 Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Teil I: Behörden und Der 2001 erschienene, von Torsten Hartisch, Ilka He- Institutionen in den Territorien Kurmark, Neumark, big, Rosemarie Posselt, Eva Rickmers, Katrin Verch Niederlausitz bis 1808/16. Bearb. v. Friedrich Beck, und Susanne Wurche bearbeitete Teilband III/1 der Lieselott Enders, Heinz Braun (=Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 4), „Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Weimar 1964; Teil II: Behörden und Institutionen in Landeshauptarchivs“ behandelt „Behörden und Insti- der Provinz Brandenburg 1808/15 bis 1945. Bearb. tutionen in der Provinz Mark Brandenburg / im Land v. Lieselott Enders, Gebhard Falk, Hartmut Harnisch, Brandenburg 1945-1952“, der 2006 veröffentlichte, Rudolf Knaack, Joachim Schölzel (=Veröffentlichungen von Rosemarie Posselt, Eva Rickmers, Katrin Verch des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 5), und Susanna Wurche bearbeitete Teilband III/2 betrifft Weimar 1967. 3 Vgl. beispielhaft die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die „Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und und zur ersten schnellen Orientierung verdienstvolle Organisationen in den Bezirken Cottbus, Frankfurt Publikation: Die Bestände der Stiftung Archiv der (Oder) und Potsdam 1952-1990“. Nachdem die vor Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bun- etwa vier Jahrzehnten erschienenen ersten beiden desarchiv. Kurzübersicht. Hrsg. v. d. Stiftung Archiv Teile des Gesamtwerkes die Bestände des Lan- der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv. Redaktion: Elrun Dolatowski, Anette Meiburg u. Sigrun Mühl-Benninghaus, Berlin 1996.

69 Brandenburgische Archive · 24/2007 Interessent immer die Zusammenhänge zu erkennen Die Beständeübersicht ist ein Hilfsmittel, sie ist das vermag, in denen Schreiben, Vorgänge und Akten zentrale Hilfsmittel zur Ermittlung und Zusammenstel- entstanden sind und aus denen heraus sie zu verste- lung der einschlägigen archivalischen Quellen für die hen und zu deuten sind. Die Beständeübersicht will eigenen Erkenntnisinteressen. Die sehr vielgestalti- dem Benutzer klar machen, dass es nicht ausreicht, gen konkreten Zwecke können, wenn man die Benut- die Nachweisstellen für ein vorgefasstes Stichwort zu zungspraxis der vergangenen 15 Jahre sich anschaut, ermitteln, so wie man im Internet mit Hilfe von Google zwei maßgeblichen Gesichtspunkten zugeordnet wer- seine Treffer einsammelt. Ebenso bleibt es unzuläng- den. Zum einen sind die Bestände ganz intensiv dazu lich, allein Findbuchregister auf das Vorhandensein herangezogen und ausgewertet worden, dass auf die von bestimmten Personen, Orten und Sachen zu deutsche Gesetzgebung begründete Rechtsansprü- überprüfen und die für sie ermittelten Belegstellen che gegenüber der Verwaltung und/oder der Justiz zusammenzustellen. Eine sachgemäße archivische geltend gemacht werden konnten. Der Einigungsver- Recherche verlangt immer danach, das jeweilige trag und die nachfolgende Gesetzgebung haben viele größere Umfeld zu betrachten, zu dem der speziell Regelungen der DDR abgeändert oder abgeschafft, interessierende Vorgang gehört. Die Kenntnis der Ver- die Sozialsysteme der alten Bundesrepublik eingeführt waltungsgeschichte, von Zuständigkeiten und Aufga- und begangenes DDR-Unrecht wiedergutzumachen benstellungen der Bestandsbildner ist unentbehrliche gesucht. Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Voraussetzung für eine erfolgreiche Quellensuche, Verwaltungsalltag verlangte von den Betroffenen, dass erst dadurch werden die Bereiche der Überlieferung sie ihre Ansprüche auf die Vorlage aussagekräftiger offenbart, in denen der spezielle Quellenstoff für den Dokumente stützen mussten, die sie im Laufe der Zeit zu erforschenden Gegenstand liegt. Und nur die Be- verloren oder nie besessen hatten. Man denke an die rücksichtigung der Entstehungszusammenhänge, bei- Personen, die ihr Eigentum durch eine der verschie- spielsweise die Art der Beteiligung des Bestandsbild- denen Enteignungswellen der DDR verloren hatten – ners an der Sache, wie sie etwa aus seiner Stellung man denke an die Personen, die unfreiwillig durch die innerhalb einer Behördenhierarchie abzuleiten ist, sog. Republikfl ucht die DDR verlassen hatten – man oder die Art der Entscheidungsfi ndung des Bestands- denke an die Personen, deren Renten auf Grund ihres bildners, wie sie etwa an den Geschäftsgangs- und Berufsweges und ihres empfangenen Gehaltes neu Bearbeitungsvermerken der Mitwirkenden ablesbar berechnet werden mussten – man denke an die Per- ist, gewährleistet die notwendige historische Quellen- sonen, die der Kriegsausgang 1945 von ihrer Heimat kritik, die die Aussagekraft eines Aktenvorganges zu in den Gebieten östlich von Oder und Neiße vertrieben bestimmen hilft4. hatte – man denke an die Zwangsarbeiter, die wäh- rend des II. Weltkrieges unfreiwillig in der deutschen Wirtschaft eingesetzt worden waren – usw. usw. usw. All diese und weitere Personenkreise sind im Archiv 4 Dass man die Verfahrensweisen und Verfahrensabläufe vorstellig geworden und haben nach Unterlagen über der Verwaltung kennen muss, um historische Vorgänge ihr Kriegs-, Nachkriegs- und DDR-Schicksal gesucht, überzeugend einordnen zu können, und zwar sowohl damit sie ihre rechtlich verbrieften Ansprüche auch für gegenwärtige Verwaltungsaufgaben als auch für tatsächlich in ihrem Einzelfall anmelden und belegen die zeitgeschichtliche Forschung, zeigt beispielhaft an konnten. Wenn eine wesentliche Aufgabe des Archivs dem brisanten Thema der Enteignungen in der SBZ darin besteht, zur Rechtssicherheit beizutragen, ist es nach 1945 die Untersuchung von Torsten Hartisch: Die Enteignung von „Nazi- und Kriegsverbrechern“ im dieser Verpfl ichtung nach der Wende in größtmög- Land Brandenburg. Eine verwaltungsgeschichtliche lichen Ausmaß nachgekommen. Gerade nach einem Studie zu den SMAD-Befehlen Nr. 124 vom 30. Ok- revolutionären Umbruch wie dem von 1989 bedarf das tober 1945 bzw. Nr. 64 vom 17. April 1948 (= Quellen, Verlangen nach einer rechtsstaatlichen Neuregelung Findbücher und Inventare des Brandenburgischen der archivalischen Zeugnisse, auf deren Grundlage Landeshauptarchivs, Bd. 7), Frankfurt am Main etc. 1998. Vgl. demnächst: Eva Rickmers: Aufgaben und die gegebenen Verhältnisse auf ihre Tragfähigkeit in Struktur der Bezirkstage und Räte der Bezirke in der Tausenden, Zehn- und Hunderttausenden von Einzel- DDR 19552-1990/91 am Beispiel des Bezirkes Cottbus fällen überprüft und korrigiert werden5. (= Quellen, Findbücher und Inventare des Branden- burgischen Landeshauptarchivs, Bd. 22), Frankfurt am Main etc. 2007, als Ergänzung zu dem unten in Anm. 6 5 Vgl. Klaus Neitmann: Zwischen Scylla und Charybdis: angeführten Findbuch. Das Brandenburgische Landeshauptarchiv unter den

70 Brandenburgische Archive · 24/2007 Die Verwaltung wird sich darüber freuen, wenn ihr dient die Beständeübersicht als Grundriss, der dem der fachkundige Archivar aus den Papierfl uten die Forscher das System der Stollen offen legt und ihm den Einzelantrag des Bürgers X betreffenden Doku- die Lage seiner gesuchten Goldadern aufzeigt. mente herausgefi scht hat. Der Wissenschaftler, der Historiker, der Zeithistoriker freut sich sicherlich noch Die Beständeübersicht ist freilich nicht das einzige wesentlich mehr, denn die Wende hat ihm die Öffnung Werkzeug, das der Archivar dem Zeithistoriker bereit- der Archive beschert, hat ihm den Zugang zu den zeit- stellt, denn mit ihr kommt er – um im Bilde zu bleiben geschichtlichen Quellen eröffnet, die selbst DDR-Bür- – hoffentlich in die Nähe der Goldader, erkennt aber gern vor 1989 weitgehend verschlossen waren. Das noch nicht ihren genauen Verlauf. Dazu bedarf er Ende der DDR hat verständlicherweise der wissen- des Findbuches, in dem jede einzelne Einheit eines schaftlichen Erforschung ihrer Geschichte gewaltigen Bestandes mit ihrem jeweiligen Inhalt möglichst de- Auftrieb verschafft, man erwähne hier in Potsdam nur tailliert und präzise beschrieben ist. Manche Angehö- die fruchtbare Tätigkeit des Zentrums für Zeithisto- rige unserer Archivarszunft preisen zur Zeit, bedrängt rische Forschung Potsdam. Das Erkenntnisinteresse durch die Flut der in die Archive einströmenden Akten, gilt den nationalen und internationalen Existenzbe- die „fl ache Verzeichnung“ und glauben, der Mengen dingungen der zweiten deutschen Diktatur, es gilt den durch möglichst einfache, knappe, summarische In- Verhaltensweisen ihrer Bevölkerung im Lebensalltag. haltsangaben Herr werden zu können. Sie bedenken Die Forscher können ihre Ergebnisse auf ganz ande- dabei freilich nicht in ausreichendem Maße, dass die rer Grundlage als vor 1989 erzielen, weil sie sich nicht gezielte Ermittlung von Quellen zu einem bestimmten mehr mit einer Astrologie der SED-Verlautbarungen Sachthema dadurch nicht unerheblich erschwert wird und -Veröffentlichungen zu begnügen brauchen, son- – für den Archivar ebenso wie für den Benutzer. Die dern weil sie für ihre Untersuchungen die ganze Brei- einfache Verzeichnung mag für eine ordentlich ge- te archivalischer Überlieferung heranziehen können, führte Sachaktenregistratur berechtigt und nützlich die einstmals in der staatlichen Verwaltung, in der sein. Aber wenn man sich einmal in die Überliefe- Wirtschaft, in Parteien und gesellschaftlichen Organi- rung eines Rates des Bezirkes vertieft, wird einem sationen entstanden ist und die einen unmittelbaren schnell bewusst, dass die Aktenführung nach 1952 Einblick in damalige Abläufe gewährt. Die vorrangige nicht mehr von den Traditionen der preußischen Ak- Aufgabe des Archivars besteht darin, seine Bestände tenbildung mit ihrer Dominanz der Sachakte geprägt mit ihren Inhalten zu erschließen, sie mit ihren Ge- war. Stark vertreten sind Schriftwechselakten, in de- genständen so aufzubereiten, dass die historische nen die Korrespondenz des Rates des Bezirkes mit Forschung ihre Studien auf einer breiten archiva- einem oder mehreren anderen Institutionen abgelegt lischen Quellengrundlage unter Berücksichtigung worden ist. Vielfach ist ein verbindendes inhaltliches aller einschlägigen Bestände anzustellen vermag. Mit Band zwischen den Einzelschriftstücken in einer Ak- der Vorlage seiner beiden Beständeübersichten für teneinheit aber auch schwer oder gar nicht zu erken- die Zeit 1945-1990 hat das Brandenburgische Lan- nen. In solchen Fällen ist der Archivar geradezu dazu deshauptarchiv seine forschungsstrategischen Ziele verpfl ichtet, den notgedrungen sehr allgemein gehal- in einem wesentlichen Punkt erreicht. Denn mit ihnen tenen Aktentitel durch mehr oder minder ausführliche liegt das maßgebliche Handbuch vor, mit dem sich der Enthält-Vermerke zu ergänzen, mit denen einzelne quellensuchende Forscher orientiert, mit dem er sich Sachgegenstände genau beschrieben werden. Dass einen Gesamtüberblick über die vorhandene Überlie- eine solche intensivere Erschließung durch die Art ferung verschafft und mit dem er gezielt deren seine der Überlieferung methodisch gerechtfertigt oder Fragestellung berührenden Teile herausgreift. In dem gar erzwungen wird, kann der kritische Betrachter großen und zunächst scheinbar unübersichtlichen dem kürzlich erschienenen Findbuch zu ausgewähl- Bergwerk, das ein großes Landesarchiv darstellt, ten Strukturteilen des Rates des Bezirkes Cottbus entnehmen6. Er wird sehr erfreut darüber sein, dass

Anforderungen von Wissenschaft und Verwaltung in zehn Jahren deutscher Einheit. In: Archiv und 6 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Cottbus 1952-1990/91 Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg. (Rep. 801). Findbuch zum Bezirkstag und Rat des Hrsg. v. Klaus Oldenhage, Hermann Schreyer, Wolf- Bezirkes Cottbus: Bereiche Vorsitzender, Stellvertreter, ram Werner (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 57), Sekretär, Inneres. Bearb. v. Eva Rickmers (= Quellen, Düsseldorf 2000, S. 203-223, hier S. 212-221. Findbücher und Inventare des Brandenburgischen

71 Brandenburgische Archive · 24/2007 ihm die reichlichen Enthält-Vermerke eine Fülle von der wirksamen Hintergründe, so dass eine Edition mit Sachfragen aufzeigen und ihn damit rasch zu aus- derartigen Quellennachweisen zugleich auch zu einem sagekräftigen Unterlagen hinführen, statt ihm die thematischen Wegweiser durch eine umfassendere Mühe aufzubürden, etliche Einheiten unter dem Titel archivalische Überlieferung ausgebaut werden kann. „Schriftwechsel mit ...“ oder „Zusammenarbeit mit ...“ ein wenig orientierungslos sichten zu müssen. Aus den vorliegenden zeitgeschichtlichen Quellene- ditionen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Dient die Beständeübersicht der Ermittlung der für das erwähne ich das Werk von Detlef Kotsch über „Min- gewählte Forschungsthema einschlägigen Beständen derheitenpolitik in der SBZ/DDR nach dem Zweiten oder Bestandsteilen, führt das Findbuch darüber hin- Weltkrieg“7; es schildert in seinen ausgewählten Quel- aus unmittelbar zu den einzelnen inhaltlich relevanten lentexten, wie zunächst, in den ersten Nachkriegs- Archivalieneinheiten, so geht die Quellenedition noch jahren, die sowjetische Besatzungsmacht und dann ein Stück weiter, sie steht in der Erschließung und vornehmlich die SED politisch mit den Sorben umge- Aufbereitung archivalischer Überlieferung am ande- gangen sind, wie sie sie mit welchen Überlegungen ren Ende. Denn während die Beständeübersicht ei- und in welcher Weise für die SED-Herrschaft zu ge- nen vollständigen Überblick über die Bestände oder winnen gesucht haben. Der Editor hat sich in seiner Beständegruppen eines Archivs liefern soll und damit Suche und in seiner Auswahl von Quellen streng von gewissermaßen die Vogelfl ugperspektive bietet, stürzt einer historischen Fragestellung leiten lassen: Wie sich die Quellenedition auf einen ausgewählten Punkt sind die Sorben von der herrschenden Macht, also der Archivgutlandschaft und gibt einzelne ausgewähl- von den sowjetischen Stellen wie von den Staats- und te Dokumente in ihrem genauen Wortlaut heraus, Parteiorganen der SBZ/DDR, politisch eingeschätzt weil sie wegen ihres Gehaltes, wegen der Qualität und behandelt worden? Unter diesem Erkenntnisinter- der in ihnen enthaltenen Informationen tiefreichende esse hat er aus einer größeren Anzahl von Archiven Einsichten in die Motive und Ziele der handelnden und von Archivbeständen einzelne Dokumente aus- Persönlichkeiten und Gruppen versprechen. Die gewählt, die nach seinem Urteil am besten geeignet wichtigste Aufgabe des Editors besteht dabei darin, sind, auf die gestellte Frage eine inhaltsreiche Antwort durch eine entsprechende Sachkommentierung die zu geben. Dem Ermessen des Editors in der Auswahl Quellen soweit möglich „zum Sprechen zu bringen“, von Quellenzeugnissen wird durch einen solchen An- also die Andeutungen und Hintergründe, die vielleicht satz viel Platz eingeräumt, und man kann durchaus den Zeitgenossen, aber nicht mehr den Nachleben- mit Fug und Recht darüber streiten, ob die Quellen- den bewusst sind, herauszustellen und dadurch ein auswahl zur umfassenden Untermauerung des skiz- umfassendes Verständnis der Texte überhaupt erst zu zierten Themas in all seinen Facetten geeignet ist gewährleisten. Aus diesem Grunde ist die Edition ein und überzeugt. Die Bestandsverwalter der branden- sehr arbeitsaufwändiges Vorhaben, und man wird zu- burgischen Nachkriegsüberlieferungen im Branden- nächst durch die gründliche Prüfung einer ausgewähl- burgischen Landeshauptarchiv haben sich bei einem ten Dokumentengruppe darüber zu befi nden haben, eingeleiteten anspruchsvollen Editionsvorhaben für ob sie mit ihrer Aussagekraft geeignet ist, wichtige his- einen anderen Weg entschieden. Sie werden in den torische Vorgänge in ihrem Ablauf, in dessen Ursachen nächsten Jahren in voraussichtlich zwei Bänden die und Folgen zu erhellen. Beispielsweise erfreut sich Protokolle der Sitzungen der SED-Landesleitung die Edition von Kabinettprotokollen einiger Beliebtheit, Brandenburg 1946-1952 herausgeben8. In diesem da das Kabinett üblicherweise das höchste Entschei- politischen Entscheidungszentrum des damaligen dungsgremium einer Staats- oder Landesregierung Landes Brandenburg – geht man jedenfalls von der darstellt, in dessen Tagesordnung sich die politische Verfassungswirklichkeit aus – wurden alle gewichtigen und Verwaltungsarbeit in großer Breite widerspiegelt. Die zumal in den letzten Jahrzehnten sehr spröden, in Bürokratensprache abgefassten Protokolltexte be- 7 Minderheitenpolitik in der SBZ/DDR nach dem Zweiten dürfen freilich zu ihrem Verständnis ausführlicher, aus Weltkrieg. Die Sorben, sowjetische Besatzungs- vielen weiteren Quellen geschöpften Erläuterungen herrschaft und die staatliche Sorbenpolitik. Eingel. u. bearb. v. Detlef Kotsch (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 37), Landeshauptarchivs, Bd. 21), Frankfurt am Main etc. Potsdam 2000. 2007. 8 Vgl. den Bericht von Susanna Wurche in diesem Heft.

72 Brandenburgische Archive · 24/2007 Fragen der damaligen Zeit von den Führungskräften Papiere die Lebensbedingungen und Lebensverhält- der brandenburgischen SED erörtert, ihre Debatten nisse in ihren prägenden Umständen wiedererstehen geben direkt oder indirekt ihre politischen Ziele und lassen kann, lässt sich an seiner Darstellung gut stu- die Wege zu ihrer Durchsetzung zu erkennen, so dass dieren. der Weg vom zaghaften demokratischen Neubeginn zur kommunistischen Einparteienherrschaft beleuch- Die vorrangige Aufgabe eines Archivs besteht darin, tet wird. Der Edition wird also eine Protokollserie die archivalische Überlieferung durch Bestände- eines hochrangigen politischen Gremiums aus dem übersichten, Findhilfsmittel und Quelleneditionen so Archivbestand der politischen Organisation, deren aufzubereiten, dass die wissenschaftliche Forschung Glied sie gewesen ist, zugrunde gelegt, sie ist wegen mit ihren jeweiligen inhaltlichen Erkenntnisinteressen dessen historischen Gewichtes ausgewählt worden. und Fragestellungen auf den geraden, sicheren Weg Damit ist ein individueller Ermessensspielraum in der zu den dazu aussagekräftigen Quellenmaterialien Einbeziehung oder Übergehung einzelner Dokumen- geführt wird – oder dass sie aus den archivischen te von vornherein beschnitten, die wissenschaftliche Darstellungen der vorhandenen Überlieferung die Debatte könnte sich allenfalls darum drehen, ob die darin behandelten Themen erkennt und aus der archi- ausgewählte politische Instanz auf Grund ihres Stel- vischen Bestandsanalyse eine historische Fragestel- lenwertes überhaupt der editorischen Mühen wert ist. lung formt, die mit ihrer Nähe zu den Quellen zugleich auch den darin vorkommenden Menschen und ihrem So wichtig Beständeübersichten und Quelleneditionen Schicksal nahe bleibt und sich nicht von abstrakten für die Forschungsarbeit sind, sie dienen letztlich der Theorien zu luftigen Vergangenheitskonstruktionen Vorbereitung der Darstellung, die einen historischen verleiten lässt. Es ist sehr zu begrüßen, dass eine Gegenstand, einen historischen Prozess mit dem historische Forschungseinrichtung, die Historische Mit- und Gegeneinander der beteiligten Personen Kommission zu Berlin, nach der Öffnung der DDR-Ar- und Kräfte in anschaulicher und verständlicher Weise chive in den Zeiten der Wende sogleich die Chance schildern und damit den historisch interessierten Leser ergriffen hat, im Rahmen eines von ihr eingeleiteten über das Warum und Wohin eines historischen Ablaufs Projektes eine brandenburgische Geschichte in den unterrichten will. Eine derartige Gesamtdarstellung der Jahrzehnten zwischen 1952 und 1990 auf der umfas- brandenburgischen Zeitgeschichte ist vor einigen Jah- senden Durchsicht und Auswertung einer sehr breiten ren bereits vorgelegt worden, das ebenfalls von Detlef archivalischen Überlieferung zu gründen – und damit Kotsch auf Initiative der Historischen Kommission zu die Möglichkeiten, die die archivwissenschaftliche Berlin verfasste Buch „Das Land Brandenburg zwi- Forschung bietet, ausgenutzt hat. Die vorliegenden schen Aufl ösung und Wiederbegründung“, erschienen Ergebnisse der Kooperation zwischen dem Branden- in der vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv burgischen Landeshauptarchiv und der Historischen gemeinsam mit der Historischen Kommission zu Ber- Kommission zu Berlin belegen beispielhaft die wis- lin herausgegebenen Reihe „Bibliothek der Branden- senschaftliche Fruchtbarkeit der gemeinsamen, ein- burgischen und Preußischen Geschichte“9. Kotsch ist ander in der Fachkompetenz ergänzenden Initiativen ein großer Wurf gelungen, vornehmlich auf Grund des von Archivaren und Landeshistorikern. Umstandes, dass er nach 1990 als erster mit größter Ausdauer die für seine Zeit einschlägigen Bestände Mit einer Schlussbemerkung sei auf die eingangs ge- des Landeshauptarchivs durchgearbeitet hat, als sie stellte Frage nach dem Nutzen des Archivs kurz und von diesem teilweise gerade übernommen worden knapp aus den Erfahrungen mit der archivarischen waren und allenfalls teilweise durch brauchbare Find- Praxis geantwortet. Die archiv- und geschichtswis- mittel erschlossen waren. Wie man aus abgelegten senschaftlichen Erkenntnisse, die etwa in den vergan- genen Jahrzehnten in den verschiedenen Schriften- reihen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 9 Detlef Kotsch: Das Land Brandenburg zwischen ihren schriftlichen Niederschlag fanden, haben es vie- Aufl ösung und Wiederbegründung. Politik, Wirtschaft len Benutzern mit den unterschiedlichsten Interessen und soziale Verhältnisse in den Bezirken Potsdam, erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht, ihren Weg Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952-1990). durch die archivalische Überlieferung Brandenburgs (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen zu fi nden und durch deren Heranziehung und Aus- Geschichte, Bd. 8; zugl. Brandenburgische Geschichte wertung sowohl für ihre persönlichen Belange oder für in Einzeldarstellungen, Bd. 8), Berlin 2001.

73 Brandenburgische Archive · 24/2007 Rechts- und Verwaltungszwecke gesuchte Informati- erst ab 1990 in unser Archiv. Bei den zentral unter- onen zu erhalten als auch neue Einsichten zur Ge- stellten Staatsorganen und Einrichtungen waren so- schichte Brandenburgs, Preußens und Deutschlands gar 90 % der Akten neu hinzu gekommen. Von den zu gewinnen. Das aus dem Studium der Archivalien Parteien und Organisationen, die in der Regel eigene gewonnene Wissen hat unzweifelhaft seinen Nutzen Endarchive führten, waren 1990 lediglich Akten der gestiftet, sowohl für die Historie, für die wissenschaft- 1963 aufgelösten Bezirksfriedenskomitees und Teil- liche Erforschung und Darstellung der Vergangenheit, bestände der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische als auch für das Leben, für die Inanspruchnahme und Freundschaft sowie der Nationalen Front überliefert. Bewahrung der Rechte von Individuen und der staatli- Abgesehen von Notübernahmen ohne Findhilfsmittel chen Gemeinschaft. oder mit Bündellisten, verfügten die übernommenen Ablieferungsverzeichnisse und Findkarteien in der Re- Die Übersicht über die Bestände des Brandenbur- gel nicht über die erforderliche Erschließungstiefe. Die gischen Landeshauptarchivs aus der Zeit 1952- Erarbeitung einer anspruchsvollen Übersicht für die in 1990 – Bemerkungen zum Inhalt und zum Zweck der Masse nur ungenügend erschlossenen Bestände des Werkes würde eine große Herausforderung darstellen. Eine Kurzübersicht wäre – im Sinne der Nutzer – schneller Von Katrin Verch zu realisieren gewesen. Letztlich entschieden wir uns, an die Qualität der vorangegangenen Übersichten an- Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Damen zuknüpfen. Auch wenn es zwei oder vier Jahre länger und Herren, dauern sollte, würde der Band mit einer aussagekräf- tigen Geschichte des Bestandsbildners und der Be- wir Autoren freuen uns, nach dem Erscheinen der Über- schreibung des Bestandes mit Bestandsgeschichte, sicht über die Bestände des Landes Brandenburg aus Umfang, Gliederung bzw. -Inhalt und Archivshilfsmittel der Zeit 1945-1952 im Jahre 2001 eine Übersicht über ein Vielfaches an Informationen enthalten. die Bestände der nachfolgenden Jahre 1952-1990 für die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus Zunächst legten wir den Schwerpunkt auf die Ge- vorlegen zu können und hoffen, dass damit der Inhalt schichte des Bestandsbildners. Damit begann eine der Blackbox BLHA ein weiteres Stück gelüftet wird, Sisyphusarbeit in Bibliotheken, auch in der Stadt- und jeder Archivbenutzer sich selbst einen Überblick über Landesbibliothek, speziell in der Brandenburgica, vorhandene Bestände verschaffen kann und nicht in Gesetzblättern, im Bundesarchiv nach zentralen nur von den Hinweisen des Archivars abhängig ist. Weisungen, in Bestandsakten und nicht zuletzt in Eine Bestandsübersicht dient als Nachschlagewerk, den Beständen selbst. Ich kam mir fast bevorzugt vor, das die Bestände in ihrem Strukturzusammenhang weil ich zu den 76 Betriebsbeständen, die ich zu be- und mit den für ihre Benutzung wichtigsten Verzeich- schreiben hatte, zwei Findbücher mit entsprechenden nungsangaben nachweist, dadurch über ihren Inhalt Einleitungen vorliegen hatte, auf die ich mich stützen informiert und an die einzelnen Findhilfsmittel heran- konnte. Im Laufe der Zeit erschienen zwar einige führt. Sie ist aus diesem Grund eine der wichtigsten Neuveröffentlichungen, so zur Geschichte der SED, Veröffentlichungen des Archivars, vielleicht sogar die des FDGB oder der Polizei, aber diese waren eher wichtigste, sie ist auf jeden Fall die für den Benutzer auf die zentrale Ebene fokussiert und wiesen weniger unentbehrlichste. auf bezirkliche Besonderheiten hin. Die Geschichte von Betrieben erschien eher im Bereich der „grauen“ Etwa 1997, die Einzelartikel des 1. Teils der Bestands- Literatur, erarbeitet von ehemaligen Mitarbeitern, auf übersicht für die Jahre 1945-1952 waren im Wesent- die ich dann zufällig stieß, beispielsweise übergab mir lichen fertig und es standen „nur noch“ redaktionelle bei einem Besuch des Museums in Ludwigsfelde die Arbeiten an, erfolgten die ersten Absprachen zum Leiterin einen Computerausdruck der Geschichte des 2. Teil. IFA-Automobilwerkes, die im Rahmen einer Arbeits- Zu Beginn galt es zu entscheiden, ob wiederum eine förderungsmaßnahme erarbeitet worden war. Manche ausführliche Übersicht oder in anbetracht der ungüns- Veröffentlichung erschien, nachdem der jeweilige Arti- tigeren Ausgangssituation eher eine Kurzübersicht kel längst fertig war. Dann wurden Jahreszahlen und entstehen sollte, denn von den zu beschreibenden Fakten verglichen. Wir waren froh, wenn sie überein- rund 10.800 lfm gelangte über die Hälfte der Akten stimmten, und erleichtert, wenn sich unsere Daten als

74 Brandenburgische Archive · 24/2007 die offensichtlich Richtigen erwiesen oder wir rechtzei- Es folgen der Bestandsumfang in lfm und – nur bei tig unseren Fehler korrigieren konnten. endgültiger Erschließung – in Bänden sowie die Lauf- Die Geschichte des Bestandsbildners enthält stets zeit von der ältesten bis zur jüngsten Akte. Angaben zu Bildung, Aufgaben, Struktur und Auf- lösung, zu den übergeordneten Einrichtungen und Die Bestandsgliederung bzw. der -inhalt forderten von nachgeordneten Bereichen sowie zu Vorgängern und uns mehr Zeit und Aufmerksamkeit, als wir ursprüng- Nachfolgern. Das ausgeprägte System der Über- und lich veranschlagt hatten, denn wir hatten sie zunächst Unterordnung in der DDR, also der Weisungsbefug- eher als schreibtechnische Fleißarbeit angesehen. nis und mannigfachen Berichterstattung und damit Eine Bestandsgliederung lässt sich, wie der Name des regelmäßigen Schriftverkehrs, gibt dem Nutzer sagt, nur bei einer vorhandenen Gliederung des Be- Hinweise auf weitere relevante Bestände und bietet standes angeben. Da so gut wie keine Findbücher die Möglichkeit, bei Überlieferungsausfall eines Be- vorlagen, war kaum ein Bestand endgültig gegliedert. standsbildners auf das Archivgut der über- oder unter- Es gab zwar einige karteimäßig erschlossene und geordneten Ebene zurückgreifen zu können. Auch für somit gegliederte Bestände, doch diese Karteien kleine Bestände und solche, bei denen ausschließlich waren noch nicht abschließend geordnet, so dass Lohn- und Gehaltsunterlagen vorliegen, wurde des- man sie sofort hätte zum Schreiben des Findbuches halb eine ausführliche Geschichte erarbeitet. geben können. In diesen Fällen galt es, die Gliede- Der Schwerpunkt der Überlieferung liegt erwartungs- rung zu überprüfen. Noch schwieriger wurde es bei gemäß im Zeitraum 1952-1990. Die zeitliche Erstre- den Beständen, die nach den aktenführenden Stellen ckung einzelner Bestände beginnt früher, wenn die gegliedert waren, also den abgebenden Bereichen Änderung der Verwaltungsorganisation 1952 für den Leitung, Kader, Finanzen usw., aber trotzdem Akten Bestandsbildner keinen Einschnitt darstellte, bei- des jeweils anderen Bereiches enthielten, bei denen spielsweise bei Betrieben und Instituten der Akademie also kein Aktenplan vorhanden war oder er nicht der Wissenschaften. Sie endet nach 1990, wenn der umgesetzt wurde. Manche Bestände, meist jene mit Bestandsbildner für eine begrenzte Zeit bis zur Aufl ö- Ablieferungsverzeichnis, hatten keinerlei Gliederung, sung oder Übernahme durch einen Rechtsnachfolger andere nicht einmal ein Ablieferungsverzeichnis. Wir weiterhin tätig war. Dementsprechend umfassend verständigten uns darauf, möglichst eine Gliederung erscheint die Geschichte. Aber auch bei anderen anzugeben. Dazu sortierten wir die vorhandenen Kar- Bestandsbildnern wird zur Darstellung der Kontinuität teien körperlich und manches Ablieferungsverzeichnis auf Entwicklungen ab 1945 oder sogar vor 1945 hin- virtuell. Die Beschreibung des Bestandes endet mit gewiesen. den Angaben zum Archivhilfsmittel.

Im Prinzip lässt sich in der Summe der Geschichte der Bis zu diesem Arbeitsstand hatte jeder mehr oder Behörden, Parteien, Organisationen, Betriebe oder weniger für sich gearbeitet. Nun galt es, die Gesamt- Nachlässe in bestimmter Weise und natürlich mit Lü- darstellung zu besprechen. Um den Benutzer gleich cken die Geschichte der drei Bezirke nachvollziehen. mit dem Aufschlagen des Buches auf Besonderheiten in der Überlieferung aufmerksam zu machen, wurde Der Geschichte des Bestandsbildners folgt eine Be- eine Gliederung in vier Teilen gewählt: schreibung des Bestandes. Während man aus der Geschichte des Bestandsbildners entnehmen kann, Teil A: Bezirkstage und Räte der Bezirke und nachge- zu welchen Fragestellungen Unterlagen vorhanden ordnete Einrichtungen sein könnten, soll die Beschreibung des Bestandes Teil B: Zentral unterstellte Staatsorgane und Einrich- – im Vergleich zu einem Findbuch allerdings nur grob tungen auf Bezirks- und Kreisebene – darauf aufmerksam machen, welche Unterlagen tat- Teil C: Wirtschaftsleitende Organe und Betriebe sächlich überliefert sind. Teil D: Parteien, gesellschaftliche Organisationen, Be- Die Bestandsgeschichte enthält Angaben zu den rufsvereinigungen und Nachlässe. Registraturverhältnissen, zur Übernahme und archi- vischen Bearbeitung sowie zum Verbleib weiterer Unterlagen des jeweiligen Bestandes außerhalb des BLHA. Sie verweist gegebenenfalls auf Unterlagen von Vorgängern oder Nachfolgern.

75 Brandenburgische Archive · 24/2007 Auf diese Weise wird mit dem ersten Blick sowohl auf Eine Bestandsübersicht ist etwas Lebendes, sie ist das in jedem Landesarchiv zu erwartende Behörden- nicht ein für alle Mal abgeschlossen. Das haben wir schriftgut als auch auf das umfangreiche Archivgut der bereits beim Schreiben erfahren. 1997 begonnen, Wirtschaft, Parteien und Organisationen hingeführt. mussten regelmäßig neue Übernahmen, seien es Erste Überlegungen gingen davon aus, innerhalb der Bestandsergänzungen oder neue Bestände, sowie Blöcke bezirksweise vorzugehen, was sich jedoch Veränderungen infolge der abschließenden Bear- beim Schreiben als ungünstig erwies, weil es in jedem beitung eines Bestandes, eingearbeitet werden. Seit Bezirk gleiche Bestandsbildnertypen gab. Entweder Redaktionsschluss sind beispielsweise die Nachlässe hätte man deren Geschichte zweimal wiederholen der über die Grenzen der DDR hinaus bekannten Ke- oder mit Verweisen arbeiten müssen. Deshalb zogen ramikerin Hedwig Bollhagen und des Fotoreporters wir eine sachliche Gliederung vor. So entstand in Klaus Marschke, die Familiennachlässe Ernst und der Regel eine allgemeine Verwaltungsgeschichte, Ursula Hoffmann sowie Alfred und Elisabeth Sieber, manchmal auch eine allgemeine Bestandsgeschich- die Teilnachlässe der Gewerkschaftsfunktionäre Her- te, die für alle drei Bezirke, oder wie bei den Banken mann Paul Brühl, Rudi Jahn und Kurt Thiele, die Per- oder der ABI auch für die Kreise, gilt. Auf die Beson- sönlichen Bestände des Sozialreferenten der Stadt derheiten im Bezirk wird dann am konkreten Bestand Brandenburg, Kuno Pagel, und des Bibliothekars verwiesen. Damit weicht die Gliederung von der Tek- Siegfried Goltz erworben worden. tonik des BLHA ab, deren erstes Ordnungsmerkmal Darüber hinaus wird im Zuge der Bearbeitung der die Zuordnung zu den Bezirken ist. Bestände zu entscheiden sein, ob aus bisher zusam- mengefassten Beständen Teile herauszulösen und Die Anlagen, vor allem die Bestandsbildnerliste und als Einzelbestände zu formieren sind. Beispielsweise das numerische Repositurenverzeichnis, sollen die befi nden sich in den aus den Bezirksparteiarchiven Benutzung der Übersicht erleichtern, da nicht alle Ein- übernommenen SED-Beständen noch eine Reihe zelbestände im Inhaltsverzeichnis aufgeführt werden von Nachlässen und Persönlichen Beständen, die in konnten bzw. deren Zuordnung zu den vier Haupttei- der Bestandsübersicht keine Berücksichtigung fi nden len nicht jedem Benutzer augenfällig sein muss. Das konnten. Die Bewertung, ob es sich tatsächlich um alphabetische Register der Bestände enthält zusätz- einen Nachlass oder vielmehr nur um ein von den lich Verweise auf Namensänderungen, Vorgänger Parteiarchivaren angelegtes sogenanntes Personen- und Nachfolger. In das Register wurden auch einzelne dossier, also eine Sammlung handelt, muss erst noch Bestandsbildner aufgenommen, deren Überlieferung erfolgen. nicht als Einzelbestand, sondern als Bestandsgruppe in zusammengefassten Beständen formiert sind, wie Dennoch haben gedruckte Bestandsübersichten im bei den Banken, Volkspolizeikreisämtern und SED- Zeitalter des Computers und der Suche nach Stich- Grundorganisationen. Eine Auswahlbibliografi e, ein worten ihre Berechtigung. Die Recherche im Archiv Adressenverzeichnis über Archive mit korrespon- war früher immer und ausschließlich eine systema- dierenden Beständen sowie Karten über die drei Be- tische Suche anhand der Struktur und Aufgaben der zirke mit ihren Kreisen vervollständigen die Übersicht. Bestandsbildner. Heute ergänzen sich beide Herange- Die Anlagen sollen neben dem Inhaltsverzeichnis die hensweisen. Der Vorzug des Buches besteht gerade Orientierung und Suche nach den relevanten Bestän- in der Ausführlichkeit der Beschreibungen, die zumin- den erleichtern. dest für ein großes Archiv mit über 5.000 Beständen im Internet kaum gegeben werden kann. Die Erarbeitung der Bestandsübersicht war durch zahlreiche Beratungen geprägt. Sie berührten sowohl Anmerken möchte ich noch, dass uns die Arbeit trotz allgemeine archivtheoretische Fragen und endeten in zahlreicher Mühen viel Spaß bereitet hat. Und die Formfragen mit der Anzahl der Leerzeichen und En- größten Nutznießer der Bestandsübersicht sind wahr- tertasten. Die schwierigste Erörterung war wohl die scheinlich wir selbst. nach der Tektonik, also der Reihung der Bestände in das Gesamtgefüge, in deren Ergebnis einige Zuord- nungen und Repositurnummern geändert wurden.

76 Brandenburgische Archive · 24/2007 Neuerscheinungen des Brandenbur- gischen Landeshauptarchivs 2006 Mitteilungen

Klaus Neitmann (Hrsg.): Im Schatten mächtiger Nach- Klaus Neitmann (Hrsg.): Der erste „Tag der brandenbur- barn. Politik, Wirtschaft und Kultur der Niederlausitz gischen Orts- und Landesgeschichte“. Dokumentation zwischen Böhmen, Sachsen und Brandenburg-Preußen der Tagung vom 6. November 2005 in Potsdam und Leitfaden für Ortschronisten in Brandenburg be.bra wissenschaft verlag, Berlin 2006, 283 S. (= Brandenburgische Historische Studien, Bd. IV; zu- Potsdam 2006. 95 S. (= Einzelveröffentlichungen der gleich Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Brandenburgischen Historischen Kommission e. V., Landeshauptarchivs, Bd. III). ISBN 978-3-937233-23-9. Bd. IX; zugleich Einzelveröffentlichung des Branden- 22,90 Euro. burgischen Landeshauptarchivs, Bd. III). 10,00 Euro zzgl. Versand. Die Niederlausitz, das Markgraftum (Nieder-)Lausitz, Nur zu beziehen über: Brandenburgisches Lan- wie es seit dem 13. Jahrhundert hieß, stand immer deshauptarchiv, Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam, im Schatten mächtiger Nachbarn, unter dem Einfl uss [email protected] seiner sich in der Oberherrschaft abwechselnden benachbarten Territorien Sachsen, Böhmen und Der Band enthält Vorträge zu ausgewählten Themen Brandenburg-Preußen. Aber die Landschaft vermoch- der brandenburgischen Orts- und Landesgeschichte, te trotzdem, weil sie von diesen nur als Nebenland die auf dem ersten „Tag der brandenburgischen Orts- behandelt wurde, ihre Eigenständigkeit und Selb- und Landesgeschichte“ am 6. November 2005 im ständigkeit mit einer eigentümlichen landständischen Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Verfassung zu wahren. In zehn Aufsätzen des vorzu- gehalten wurden. Die Veranstaltung richtet sich be- stellenden Buches werden die politischen, wirtschaft- sonders an die zahlreichen überall im Lande ehren- lichen und kulturellen Verhältnisse der Niederlausitz amtlich tätigen Ortshistorikerinnen und Ortshistoriker von ihren territorialen Anfängen im 10. Jahrhundert bis und möchte zugleich den regionalen Ortschronisten- zu den Jahrzehnten der DDR untersucht. vereinigungen und Geschichtsvereinen Anregungen für ihre vielfältigen Aktivitäten geben. Der Beitrag „Leitfaden für Ortschronisten in Brandenburg“ ver- steht sich als erster Versuch, den Interessenten in die ortsgeschichtliche Arbeit einzuführen und ihm dafür die wichtigsten literarischen Hilfsmittel zu benennen sowie ihm die wichtigsten Themenfelder zu skizzieren, die zu berücksichtigen sind.

77 Brandenburgische Archive · 24/2007 Die ursprünglich aus Italien stammenden Grafen zu Lynar erwarben 1621 die Standesherrschaft Lübben- au in der Niederlausitz, die bis zur Enteignung durch die Nationalsozialisten und die Bodenreform in ihrem Besitz war. Die gesicherte ökonomische und rechtliche Stellung ermöglichte es der Familie, über die Nieder- lausitz hinaus an politischem Einfl uss zu gewinnen und im Dienst verschiedener europäischer Mächte bei Hofe, im Militär und in der Diplomatie zu wirken. Die schriftliche Hinterlassenschaft der Familie stellt nach Umfang und Inhalt eines der bedeutendsten Adelsar- chive in Brandenburg dar. Die Publikation erschließt Mitteilungen Joachim Stephan: Die Vogtei Salzwedel. Land und Leu- das reiche Quellenmaterial für die Wissenschaft und te vom Landesausbau bis zur Zeit der Wirren die interessierte Öffentlichkeit. Sie bietet eine Fülle bio- Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, grafi scher, sozial-, wirtschafts- und kulturhistorischer Frankfurt am Main 2006. XIII, 576 S., Abb. (= Quellen, Unterlagen, die für orts- und landesgeschichtliche Stu- Findbücher und Inventare des Brandenburgischen dien genauso wie für Forschungen zur Frühen Neuzeit Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus und Adelsgeschichte genutzt werden können. Neitmann, Bd. 17). ISBN 3-631-54808-7. 86,00 Euro.

Diese Arbeit versteht sich als Fallstudie für die Stadt- Land-Beziehungen im Mittelalter. Sie zeichnet von der Siedlungsgeschichte ausgehend die Genese der Vog- tei Salzwedel in einer deutsch-slawischen Kontakt- zone nach und rekonstruiert für das 14. Jahrhundert die Gesellschaft dieses Gebiets in ihrer ständischen Zusammensetzung. Dabei werden erstmals die In- formationen des ältesten Stadtbuchs Salzwedels aus dem 14. Jahrhundert ausgewertet, das im Anhang vollständig ediert wird.

Klaus Neitmann, Kathrin Schröder, Kärstin Weirauch: „Ist Zierde des Landes gewest.“ Lübben (Spreewald) im Spiegel archivalischer Quellen be.bra wissenschaft verlag GmbH, Berlin 2006. 296 S., 200 z. T. farb. Abb. (= Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Herausge- geben von Klaus Neitmann, Bd. II). ISBN 3-937233- 28-8. 19,90 Euro.

Reich illustrierte Stadtgeschichte mit einzigartigen Zeitdokumenten: Seit dem 14. Jahrhundert war die Stadt Lübben das Zentrum der kirchlichen und Familienarchiv der Grafen zu Lynar auf Lübbenau (Rep. weltlichen Verwaltung der Niederlausitz. Heute prä- 37 Lübbenau). Bearb. v. Jürgen König und Werner Hee- sentiert sie sich als ein Ort mit hohem Freizeit- und gewaldt Erholungswert. Sie ist durchzogen von lebendig ge- Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, bliebenen historischen Zeugnissen ihrer Geschichte, Frankfurt am Main 2006. XLIX, 517 S., Abb. (= Quel- eingebettet in die reizvolle Flusslandschaft der Spree. len, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Die Leser werden auf einen kulturhistorischen Spa- Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus ziergang besonderer Art mitgenommen. Sie erfahren Neitmann, Bd. 19). ISBN 3-631-51529-4. 86,00 Euro. vieles über die landesherrliche Verwaltung, die nieder-

78 Brandenburgische Archive · 24/2007 lausitzischen Stände und ihre Einrichtungen in Lübben, Stadtbild und kommunale Verwaltung, Kirchen- und Religionsgemeinschaften, Handwerk und Gewerbe, Vereins- und Schulleben in Lübben. Darüber hinaus illustrieren mehr als 200 archivalische Quellen aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, darunter u. a. Urkunden, Siegel, Priviliegien, Inventarien, Arbeits- zeugnisse, Karten, Zeichnungen, Werbeprospekte, Postkarten, schlaglichtartig Lübbener Geschichte.

Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Mitteilungen Landeshauptarchivs Teil III/2: Staatliche Verwaltung, Wirtschaft, Parteien und Organisationen in den Bezir- ken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam 1952-1990 Bearb. v. Rosemarie Posselt, Eva Rickmers, Katrin Verch, Susanna Wurche

Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2005. 784 S., 5 Karten (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus Neit- mann, Bd. 50). ISBN 3-8305-0959-6. 112,00 Euro. Klaus Neitmann (Hrsg.): Die Ballei Brandenburg des Johanniterordens Findbuch zum Bestand Rep. 9 B des Mit dem zweiten Teil des dritten Bandes wird die Brandenburgischen Landeshauptarchivs 1964 begonnene Übersicht über die Bestände des Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Brandenburgischen Landeshauptarchivs vorerst Frankfurt am Main 2006. 697 S. (= Quellen, Findbücher abgeschlossen, womit der Bogen von den ältesten und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptar- schriftlichen Zeugnissen des 12. Jahrhunderts über chivs, Bd. 18). ISBN 3-631-54985-7. 97,50 Euro. die preußische Provinz Brandenburg, die Nach- kriegszeit mit ihren tiefgreifenden gesellschaftlichen Der 1099 zur Pfl ege von Kranken gegründete und Veränderungen bis hin zur politischen Wende des bald danach in einen geistlichen Ritterorden um- Jahres 1989 gespannt wird. Der Teil III/2 widmet gewandelte Johanniterorden erhielt in West- und sich der archivalischen Überlieferung aus dem Mitteleuropa zur Förderung seiner karitativen und Zeitraum von 1952 bis 1990, also der Zeit von der militärischen Aufgaben reiche Landschenkungen. durch die SED veranlassten Aufl ösung des Landes Der erste Markgraf von Brandenburg Albrecht der Brandenburg bis zu seiner Neugründung im Rah- Bär holte den Orden 1160 in die Altmark, von hier aus men der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. vermehrte er erheblich seine Besitzungen in Bran- In vier großen Abschnitten wird das überlieferte Archiv- denburg, Mecklenburg, Pommern und Sachsen, die gut der Bezirkstage und Räte der Bezirke Potsdam, administrativ in der Ballei Brandenburg zusammen- Frankfurt (Oder) und Cottbus sowie deren nachgeord- geschlossen wurden. In der Reformationszeit traten neter Einrichtungen, der zentral unterstellten Staats- deren Ordensritter zum evangelischen Glauben über organe und Einrichtungen auf Bezirks- und Kreisebe- und wahrten die Selbständigkeit ihrer Korporation ne, der wirtschaftsleitenden Organe und Betriebe der in enger Anlehnung an die Hohenzollerndynastie. DDR-Staatswirtschaft und der Bezirks- und Kreisorga- Das Findbuch enthält die reiche Aktenüberlieferung nisationen von Parteien und gesellschaftlichen Orga- der Ballei Brandenburg vom 15. Jahrhundert bis zu nisationen dargestellt. Einem einheitlichen Muster fol- ihrer Aufl ösung 1811, die einzelnen in ihrem Inhalt gend werden detailliert die Geschichte der jeweiligen beschriebenen Akten gewähren tiefe Einblicke in das Einrichtungen, Betriebe, Organe und Organisationen soziale Innenleben wie in die landeskulturelle Arbeit beschrieben und Angaben zu Geschichte, Umfang und einer begüterten adligen Genossenschaft Branden- zeitlicher Erstreckung der einzelnen Archivbestände burg-Preußens. dargeboten. Ein Abkürzungsverzeichnis, das nume-

79 Brandenburgische Archive · 24/2007 rische und das alphabetische Register, die Auswahl- bibliografi e, ein Adressenverzeichnis sowie fünf Karten des Landes Brandenburg bzw. der Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus sollen darüber hinaus die Benutzung der Beständeübersicht erleichtern. Die beschriebene Überlieferung dokumentiert in ein- drucksvoller Weise für das Land Brandenburg zwi- schen Aufl ösung und Wiederbegründung den Prozess des stalinistischen Machtausbaus der SED, die ver- meintliche Stabilisierung ihres Hegemonialanspruchs und letztlich den Zusammenbruch der Einparteien- herrschaft in der DDR. Sie bietet damit nicht nur Zeit- Mitteilungen historikern, sondern auch vielen privaten Benutzern Urkunden der Stadt Pritzwalk in Regesten (1256 – 1703) eine sowohl aus qualitativer als auch aus quantitativer Bearb. v. Friedrich Beck Sicht breite Quellengrundlage. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. Main 2006. XXV, 132 S., 18 Abb. (= Quel- len, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus Neitmann, Bd. 20). ISSN 0946-6789, ISBN-10: 3-631- 56197-0. ISBN-13: 978-3-631-56197-3. 34,00 Euro.

Die Stadt Pritzwalk verfügt im Vergleich zu ihren Nach- barstädten in der Prignitz – außer Perleberg – über einen relativ umfänglichen und inhaltreichen Bestand an Originalurkunden aus dem Hoch- und Spätmittel- alter und der frühen Neuzeit. Trotz des verheerenden Stadtbrandes von 1821 haben sich 65 Einzelurkunden erhalten. Zu den Originalen tritt des Weiteren eine er- Regesten der Urkunden Kurmärkische Stände (Rep. hebliche abschriftliche Überlieferung im Umfang von 23 A) des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 55 Urkundentexten hinzu. Der Inhalt des gesamten Bearb. v. Friedrich Beck Urkundenfonds wird hier erstmals in Form von 120 Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Regesten ausführlich wiedergegeben. In ihnen stehen Frankfurt a. Main 2006. 387 S., Abb. (= Quellen, neben Stadtrechtsbestätigungen – wie der ältesten Findbücher und Inventare des Brandenburgischen von 1256 – Belehnungen des Landesherrn, Verträge Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus Neit- und Städtebündnisse. Hinzu treten zahlreiche aussa- mann, Bd. 16). ISBN 3-631-54807-9. 56,50 Euro. gekräftige Belege über die Entwicklung von Handwerk und Gewerbe in der Stadt. Frühe Urkunden liegen für Die Stände der Kurmark Brandenburg haben einen die Gewandschneider und Tuchmacher vor, in denen jahrhundertealten Urkundenbestand hinterlassen. sich die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt am Treff- Er beginnt im 13. und reicht bis zum Ende des 18. punkt von Handelsstraßen aus dem Binnenland zu Jahrhunderts. In den in dieser Arbeit vorgelegten den Hansestädten an Nord- und Ostsee dokumentiert. Vollregesten erfahren die inhaltlichen Aussagen der Einen wesentlichen Teil bildet schließlich die urkund- einzelnen Urkunden ausführliche Wiedergabe. Neben liche Überlieferung aus dem kirchlichen Bereich, wie mittelalterlichen Bedeverträgen mit den Landesherren, der Nikolaikirche, von Kapellen und Hospitälern und Landfriedensbündnissen, Lehnsurkunden, Münz- und der in der Stadt und der gesamten Prignitz wirksamen Zollprivilegien stehen in der frühen Neuzeit Landtags- Kalandsbruderschaft. rezesse, Obligationen und Schuldverschreibungen. In ihnen dokumentiert sich die beachtliche Stellung der Stände im Zusammenhang mit dem Schuldenwesen der Landesherren.

80 Brandenburgische Archive · 24/2007 Mitteilungen Bezirkstag und Rat des Bezirkes Cottbus 1952-1990/91 Mario Glauert, Sabine Ruhnau (Hrsg.): Verwahren, Si- (Rep. 801), Bearb. v. Eva Rickmers chern, Erhalten - Handreichungen zur Bestandserhal- Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, tung in Archiven Frankfurt a. Main 2007. XLI, 365 S., 3 Abb. (= Quellen, Selbstverlag der Landesfachstelle. - Potsdam 2005 Findbücher und Inventare des Brandenburgischen (2. Aufl . 2006). 348 S., zahlreiche Abbildungen. (= Landeshauptarchivs. Herausgegeben von Klaus Veröffentlichungen der brandenburgischen Landes- Neitmann. Bd. 21). ISSN 0946-6789, ISBN-10: 3-631- fachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken, 56226-8. ISBN-13: 978-3-631-56226-0. 68,50 Euro. Bd. 1, zugl. Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen Die Publikation gibt einen detaillierten Überblick über und Archivare e.V., Bd. 2). 10,00 Euro zzgl. Versand. ausgewählte Bestandsgruppen der Überlieferung des Nur zu beziehen über: Brandenburgisches Landes- Bezirkstages und des Rates des Bezirkes Cottbus hauptarchiv, Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam, aus dem Zeitraum 1952-1990/91. Vorgestellt werden [email protected] die Strukturteile des Staatsorgans mit Leitungs- und Querschnittsfunktionen – Vorsitzender, Stellvertreter, Die Erhaltung der Archivbestände umfasst nahezu Sekretär – und ein Fachbereich von Rang – Inneres. alle Bereiche des täglichen Umgangs mit Archivgut. In der Hand dieser leitenden Organe beziehungs- Sie beginnt bei einer angemessenen Standortwahl weise ihrer Leitungskräfte lag der Umgang mit den für das Archiv und der baulichen Gestaltung seiner politisch gewichtigen und bestimmenden Vorgängen. Magazine, reicht von den Problemen der Lagerung Der Bezirk Cottbus erhielt sein besonderes Gewicht und Verpackung verschiedener Archivaliengattungen, in der DDR, wie an der Aktenüberlieferung sichtbar über Fragen der Klimaregulierung und Schimmelprä- wird, durch seine Braunkohlenindustrie und durch die vention bis hin zu Maßnahmen der Notfallvorsorge, Existenz einer slawischen Minderheit, der Sorben. Die der Herstellung von Schutzmedien, der Massenkon- Einleitung macht den Benutzer in einem Überblick servierung und Restaurierung. Der Band versammelt mit der verwaltungsgeschichtlichen Entwicklung der Vorträge, die auf dem 7. Brandenburgischen Archiv- berücksichtigten Strukturteile vertraut und gibt allge- tag 2004 in Frankfurt (Oder) zum Thema Erhaltung meine Hinweise zum Archivbestand. bedrohter Archivbestände gehalten wurden, sowie Handreichungen zur Bestandserhaltung, die im Zuge Erscheint demnächst: der Archivberatung durch die Landesfachstelle für Eva Rickmers: Aufgaben und Struktur der Bezirkstage Archive und öffentliche Bibliotheken im Brandenbur- und Räte der Bezirke in der DDR 19552-1990/91 am gischen Landeshauptarchiv entstanden. Praxisnah Beispiel des Bezirkes Cottbus (= Quellen, Findbücher und allgemeinverständlich wollen die Autoren Ar- und Inventare des Brandenburgischen Landeshaupt- chiven, Bibliotheken, Museen, Kulturverwaltungen, archivs, Bd. 22), Frankfurt am Main etc. 2007. Archivbenutzern und allen anderen interessierten Bürgern bündige Themenübersichten und praktische Hinweise für zentrale Problemfelder archivischer Be- standserhaltung an die Hand geben.

81 Brandenburgische Archive · 24/2007 Zweiter Kurs der berufsbegleitenden Ausbildung zur/zum Fachangestell- ten für Medien- und Informations- dienste, Fachrichtung Archiv:

Resümee1

Von Uwe Schaper

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, Mitteilungen Norbert Reimann, Uwe Schaper, Michael Scholz (Hrsg.): dass ich heute hier zu Ihnen spreche, ist mehr oder Sammlungen in Archiven weniger einem Zufall zu verdanken oder vielleicht Selbstverlag der Landesfachstelle. Potsdam 2006. 230 auch nicht. Zufall deshalb, weil hier an meiner Stelle S., zahlreiche Abb. (= Veröffentlichungen der Landes- ursprünglich der Leiter des Berufsbildungszentrums fachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken im der IHK Cottbus, Herr Jörg Fabiunke, stehen sollte. Brandenburgischen Landeshauptarchiv, Bd. 3). ISBN Herr Fabiunke ist jedoch leider erkrankt, er lässt Sie 978-3-9810642-1-6. 10,00 Euro zzgl. Versand. durch mich grüßen und gratuliert Ihnen ganz herzlich Nur zu beziehen über: Brandenburgisches Landes- zur bestandenen Prüfung. hauptarchiv, Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam, Kein Zufall wohl deshalb, weil ich als ehemaliger Lei- [email protected] ter der Landesfachstelle für Archive und Öffentliche Bibliotheken im Brandenburgischen Landeshauptar- Schon immer haben die Kommunalarchive ihren chiv zusammen mit einer Reihe von Kolleginnen und Dokumentationsauftrag nicht vornehmlich oder gar Kollegen, von denen heute auch ein Teil anwesend ausschließlich auf die Verwaltung der Stadt, der ist, diese berufsbegleitende Ausbildung zur oder zum Gemeinde oder des Kreises bezogen, sondern die Fachangestellten für Medien- und Informationsdiens- jeweilige Gebietskörperschaft als Ganzes im Blick te (Fachrichtung Archiv) mit ins Leben gerufen und gehabt. Alle wesentlichen Lebensäußerungen aus durchgesetzt habe. Diese berufl iche Weiterbildung, Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft sind von deren zweiten Kurs wir heute zum Abschluss bringen, einem Kommunalarchiv darauf hin zu beobachten, ob ist bundesweit immer noch einzigartig, leider immer aus ihnen Zeugnisse hervorgehen, die für eine um- noch einzigartig, muss man hinzufügen. Der Verband fassende Dokumentation des Zeitgeschehens vor Ort deutscher Archivarinnen und Archivare sowie die von Bedeutung sind. Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deut- Im Unterschied zur amtlichen Überlieferung, die den Ar- schen Städtetag beklagen unisono, dass aufgrund der chiven von Amts wegen zuwächst, muss das nichtamt- schlechten Haushaltslage der Kommunen und dem liche Dokumentationsgut in der Regel aktiv beschafft damit verbundenen Einstellungstopp resp. den daraus werden. Aber nicht nur die Akquisition des Sammlungs- resultierenden überaus schmalen Einstellungskor- gutes, auch seine Ordnung, Erschließung und Nutz- ridoren die Fachkompetenz in den deutschen Kom- barmachung bis hin zu seiner rechtlichen Handhabung munalarchiven stetig abnimmt, da regelmäßig nicht weisen besondere fachliche Probleme auf, die jeden fachspezifi sch ausgebildetes Personal, das schon in Kommunalarchivar unmittelbar betreffen. den Verwaltungen tätig ist, in die Archive versetzt wird, Der Band umfasst die Vorträge des 14. Fortbildungs- sofern überhaupt freie Stellen wieder besetzt werden. seminars der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag (BKK), die vom 18. bis 20. Oktober 2005 in Potsdam stattfand, sowie zwei er- gänzende Beiträge. Ihre Ergebnisse sind nicht nur für Kommunalarchive, sondern auch für Archive anderer 1 Ansprache anlässlich der Zeugnisübergabe an die Sparten, die in der praktischen Arbeit mit Sammlungs- Teilnehmer des Zweiten Kurses der berufsbegleitenden gut befasst sind, von Interesse. Ausbildung zur/zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Archiv) am 16. März 2007.

82 Brandenburgische Archive · 24/2007 Brandenburg stellt innerhalb des deutschen Archivwe- ihm seine Archive die Folgen der Wende hinter sich sens die absolute Ausnahme dar und dies dank un- gelassen hätten. Sie wirken auch nach mehr als 17 seres Weiterbildungsangebotes. Würde sich Branden- Jahren und mit Sicherheit noch über einen geraumen burg nur auf den normalen Weg verlassen, also die Zeitraum hinweg auf unsere Konzeptionen und unser duale Berufsausbildung zur oder zum Fachangestell- Handeln ein. Es scheint mir jedoch an der Zeit, die ten für Medien- und Informationsdienste resp. nicht zu in die Zukunft weisenden Aspekte unserer Konzepte vergessen die Ausbildung zum Diplomarchivar an den stärker in den Fordergrund zu stellen und dies nicht Fachhochschulen in Potsdam und Marburg sowie die nur, weil die Politik mit dem Ende des Solidarpakts II Ausbildung zum höheren Archivdienst, die in unserem im Jahre 2019 gleichzeitig das Ende der Nachwende- heutigen Rahmen aber kaum eine Rolle spielt, sähe zeit beschlossen hat. es in Brandenburg genau so bitter aus, wie im Rest der Republik. Wenn ich richtig informiert bin, sind pro Modernes Verwaltungshandeln, egal ob in der öffent- Mitteilungen Jahrgang in der Regel ein bis zwei Auszubildende lichen Verwaltung oder im privaten Bereich, muss aus Brandenburg in der Fachrichtung Archiv zu ver- fl exibel, transparent und damit nachvollziehbar sowie zeichnen – immerhin, es könnten noch weniger sein. kundenfreundlich sein. Archive haben die Aufgabe, Auf die se Weise könnte jedoch keinesfalls der tat- Spuren dieses Verwaltungshandelns dauerhaft zu sächliche Bedarf gedeckt werden und das Archivgut, sichern, mit geeigneten Materialien zu ergänzen und dessen Aufbewahrung, Bewahrung und Bereitstellung ihren Kunden oder Kundenkreisen für die Nutzung be- zu den gesetzlich geregelten Pfl ichtaufgaben der reitzustellen. Die vor dem Hintergrund der Forderung Kommunen zählt, könnte fachlich nicht entsprechend nach freiem Zugang zu Wissen und Information für betreut werden oder würde in einigen Fällen sogar alle über das Internet in Planung befi ndliche Europä- für die Nachwelt verloren sein. So liegt eigentlich der ische Digitale Bibliothek, in der trotz des irreführenden Brandenburger Weg auf der Hand, archivfachlich Namens neben Bibliotheksgut auch Archiv- und Muse- ausgebildetes Personal in die Archive zu bringen oder umsgut digital an den Mann gebracht werden sollen, dort zu halten, nämlich in der Konsequenz einerseits ist keine Erfi ndung der Europäischen Union, sondern jungen Menschen die Chance auf eine Berufsausbil- hier wird nur ein längst formuliertes Grundrecht mit dung zu geben und andererseits schon vorhandenes Hilfe moderner Kommunikationstechnik umgesetzt. Personal so weiterzubilden, dass es den in Umfang Archive, die sich eher als Informationsspeicher und und fachlicher Breite stetig steigenden Anforderungen Informationsvermittler verstanden haben, müssen gerecht werden kann. sich in der Zukunft verstärkt mit den Problemen der Wissensvermittlung und der Informationskompetenz Ungefähr an dieser Stelle bin ich in früheren Reden auseinandersetzen, denn ein aus dem Entstehungs- immer auf die Ausgangssituation für die Kommunalar- zusammenhang gerissenes Dokument, das Sie via chive nach der Wende eingegangen, um von dort aus Internet an Ihrem heimischen PC aufrufen können, die Entwicklung hin zu einem fl ächendeckenden bran- verliert ohne zusätzliche Informationen erheblich an denburgischen Archivwesen mit einem Beziehungs- Aussagekraft. gefl echt, bestehend aus reinen Kommunalarchiven, den Kreisarchiven als Einrichtungen der Kommunen Ich befürchte, dass all diese Dinge mehr mit dem und als Einrichtungen der unteren Landesbehörden, kleinen brandenburgischen Kommunalarchiv, dem dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv mit der Betriebsarchiv oder dem Medienarchiv zu tun ha- Landesfachstelle für Archive und Öffentliche Biblio- ben, als uns derzeit bewusst ist. Entwicklungen auf theken als unverzichtbares Beratungsinstrument und europäischer Ebene schlagen nicht nur im Alltags- nicht zu vergessen, dem Ministerium für Wissenschaft, leben bis in den letzten Winkel Brandenburgs durch Forschung und Kultur des Landes Brandenburg als – denken Sie nur an Ihren neuen Führerschein. Auch Oberster Archivbehörde zu beschreiben. das Verwaltungshandeln, das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union umsetzen müssen, beruht auf Aus sicherer Entfernung als Berliner Stadtarchivar der Grundlage eines in Europa erzielten Konsens und mit der – so hoffe ich jedenfalls – auch an mir und wirkt sich über die Bundesländer bis hin zu den nicht spurlos vorübergehenden Altersweisheit, denke Kreisen und Kommunen aus und dies nicht nur über ich, dass sich dieser Ansatz inzwischen überholt. eine Funktionsreform. Diese Entwicklungen gehen mit Ich bin nicht der Meinung, dass das Land und mit einem rasanten technischen Fortschritt einher.

83 Brandenburgische Archive · 24/2007 In diesem Kontext ist aber eine eigenartige Entwicklung Bemerkungen eines Dozenten1 zu betrachten. Je deutlicher Globalisierungstendenzen werden, um so mehr wird für den einzelnen Menschen Von Michael Scholz – quasi als Gegentendenz – die Rückbesinnung auf die eigene Heimat und auf die eigene Tradition wich- Liebe Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer, liebe Do- tig. Gerade hier spielen die kommunalen Archive, die zenten, sehr geehrte Gäste, mit der Umsetzung ihrer Dokumentationsprofi le die mit der Übergabe der Zeugnisse, auf die sicherlich Lebenswelten ihrer Stadt oder ihrer Gemeinde abbil- schon alle sehnsüchtig warten, geht nun unser zwei- den und damit traditionsbildend wirken, eine eminent ter Kurs der berufsbegleitenden FAMI-Ausbildung wichtige und unverzichtbare Rolle. Ebenso ist – und endgültig seinem Ende zu. Vor zweieinhalb Jahren, im dies nicht nur auf kommunaler Ebene – mit der Wei- Oktober 2004, fanden sich die Teilnehmer das erste terentwicklung der digitalen oder virtuellen Verwaltung Mal zusammen, und auch wir als Organisatoren und Mitteilungen wieder klassisches archivisches Handwerkszeug Dozenten waren damals gespannt, wie er sich entwi- gerade im Bereich der Schriftgutverwaltung resp. ckeln würde. Den ersten Kurs hatten alle 20 Teilneh- des Records Managements gefragt. Wenn Sie Ihre merinnen erfolgreich beendet; es war eine Gruppe Dokumentverwaltung nicht gut strukturiert anlegen, zusammengewachsen, die sich auch außerhalb des verschwindet der Inhalt (Content) Ihrer Datenträger im Unterrichts gut verstand. Konnte man dies wiederho- virtuellen Nirvana. Neben großem Ärger erzeugt ein len? solches Problem auch erhebliche Kosten. Hier kann der gut ausgebildete Archivar, der zudem noch über Dieses Mal war das Spektrum der Teilnehmer breiter, Grundkenntnisse benachbarter Berufszweige verfügt, wie wir mit Freude feststellen konnten. Zwar kam auch helfend oder zumindest warnend eingreifen. jetzt die Mehrzahl aus verschiedenen Teilen Branden- burgs, doch konnten nun Interessenten aus Berlin, Wenn Michael Scholz schon im Jahre 2001, bezogen Sachsen und Sachsen-Anhalt gewonnen werden. auf das Berufsbild und die Ziele, die unsere berufs- Auch die vertretenen Archivsparten zeigten eine grö- begleitende Weiterbildung zum Inhalt hat, formulierte: ßere Vielfalt: Neben der nach wie vor starken Gruppe „Angestrebt werden eine fundierte archivbezogene der kommunalen Archive waren zwei Staatsarchive Ausbildung und Vermittlung von Grundkenntnissen (allein das Brandenburgische Landeshauptarchiv ent- und Struktur, Zielgruppen, Arbeitsgegenständen und sandte vier Mitarbeiter/innen), ein kirchliches Archiv, Arbeitsmitteln in den benachbarten Fachrichtungen. ein Pressearchiv sowie das Archiv eines kommunalen Dabei kommt es vor allem darauf an, eine Vorstellung Entsorgers vertreten. Man konnte meinen, die Ausbil- von den grundlegenden Arbeitsabläufen zu vermitteln dung habe sich in der Archivlandschaft etabliert. und eine Methodenkompetenz im Umgang mit den jeweiligen Arbeitsmitteln zu entwickeln. Die ausgebil- Doch regten sich auch gewisse Sorgen: Braucht die deten Fachkräfte sollen einerseits den theoretischen Mitarbeiterin in einem Pressearchiv wirklich diesel- Hintergrund ihrer praktischen Tätigkeit in ihrem Archiv ben Kenntnisse wie diejenige in einem kommunalen verstehen und berücksichtigen, andererseits sollen sie Archiv? Können wir das gesamte Spektrum so abde- in der Lage sein, Gemeinsamkeiten und Unterschiede cken, dass sich jeder in seinem Berufsumfeld auch in der Arbeitsweise der verschiedenen Fachrichtungen wiederfi ndet? Oder geschieht auch bei uns das, was zu erkennen und sich in die Struktur der benötigten man der Marburger Ausbildung oft vorwirft – dass sie Hilfsmittel hineinzudenken, um damit arbeiten zu kön- nämlich nur einen Archivtyp wirklich berücksichtigt? nen“, bedeutet dies nichts anderes, als die Mitarbei- ter in den Archiven mit unserer Weiterbildung in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben sachgerecht und zukunftsorientiert erledigen zu können.

1 Ansprache anlässlich der Zeugnisübergabe an die Teilnehmer des Zweiten Kurses der berufsbegleitenden Ausbildung zur/zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Archiv) am 16. März 2007.

84 Brandenburgische Archive · 24/2007 Ob die Ausbildung wirklich ihren Zweck erreicht hat, Und schließlich die Prüfung. Eine Teilnehmerin erklär- müssen Sie, die Teilnehmer, selbst in Ihrem beruf- te nach den Praktischen Übungen – die sie im übrigen lichen Alltag beurteilen. Vielleicht werden Sie manches mit Bravour bestanden hatte – sie würde den Kurs erst nach einer längeren Zeit anwenden können, wird gern noch einmal machen, nicht aber die Prüfung. Je- manches, was Sie zunächst für überfl üssig gehalten der von uns, der nach längerer Zeit einmal wieder eine haben – beispielsweise aus anderen Fachrichtungen Prüfung ablegen musste, weiß, dass dies in fortge- –, doch noch einmal hervorgeholt werden müssen. schrittenem Alter nicht unbedingt leichter fällt. Lebens- Vielleicht können Sie einiges auch völlig vergessen, erfahrung ist schön, aber sie nimmt auch ein wenig die weil es in Ihrem Einsatzgebiet keine Rolle spielt. Viel- jugendliche Unbekümmertheit. Trotzdem meldeten leicht werden Sie auch feststellen, dass die Ausbil- sich alle 18 Teilnehmer, die den Kurs durchgehalten dung Lücken gelassen hat. Es wäre schön, wenn wir hatten, zur Prüfung an. Der erste Stein fi el mir vom hierüber Rückmeldungen erhielten. Herzen, als ich die schriftlichen Fachprüfungen durch- Mitteilungen gesehen hatte: Keine einzige war mangelhaft, alle Die berufsbegleitende Weiterbildung stellt an Ler- hatten bestanden, teilweise sich gegenüber den Pro- nende wie an Lehrende besondere Anforderungen. beklausuren noch einmal verbessert. So konnten wir Groß waren die Unterschiede nicht nur in den Arbeits- optimistisch in die Praktischen Übungen gehen, auch bereichen der Teilnehmer, sondern auch in Lebens- wenn an den blassen Gesichtern einiger Teilnehmer alter, berufl icher Vorbildung und Erfahrungen, die im zu erkennen war, dass sie diesen Optimismus nicht Kurs unter einen Hut gebracht werden mussten. Aller- so recht teilen konnten. Aber in der Regel nahm die dings bekamen wir Dozenten bald den Eindruck, dass Aufregung ab, wenn sie endlich das Erlernte vor dem unsere anfängliche Sorge unbegründet gewesen war: Ausschuss präsentieren konnten, so dass wir einige Trotz aller Verschiedenheit hatte sich offenbar schnell sehr gute Ergebnisse verzeichnen konnten – auch ein Gemeinschaftsgefühl herausgebildet, das den mitunter erhebliche Steigerungen gegenüber den einzelnen immer wieder half, die Schwierigkeiten, die schriftlichen Ergebnissen: Es gibt eben „praktische sich aus der Koordination von Berufstätigkeit, privater Menschen“. Verantwortung und Ausbildung ergaben, zu meistern und Durststrecken zu überwinden. Wir freuen uns also, Ihnen heute gleichsam als letz- ten Akt, Ihre Zeugnisse übergeben zu können, und es Und Durststrecken gab es sicherlich für jeden von freuen sich auch diejenigen, die heute gern dabei ge- Ihnen, auch wenn sie hoffentlich im Moment fast ver- wesen wären, es aber nicht können – namentlich von gessen sind. Die einen langweilten sich, weil sie sich Frau Taege und Herrn Dr. Glauert, die heute leider er- mit Dingen beschäftigen mussten, die sie schon kann- krankt sind, soll ich Ihnen die herzlichsten Grüße aus- ten, oder ihnen die Rechercheübungen am Computer richten. Und wir freuen uns, dass Herr Band-Rieger, monoton vorkamen. Andere wiederum wären, wenn der Leiter des Staatlichen Prüfungsamtes für Verwal- es an das Lesen von Texten in deutscher Schrift ging, tungslaufbahnen, sich bereit erklärt hat, die Zeugnisse wohl am liebsten auf Tauchstation gegangen, denn heute persönlich zu überreichen. Denn schließlich ist wer gerät schon gern in die Gefahr, sich vor versam- es nicht zuletzt die gute Zusammenarbeit mit dem melter Mannschaft zu blamieren? Allerdings sprach es Staatlichen Prüfungsamt, die unsere berufsbegleiten- für das gute Kursklima, dass man dann doch den Mut de Ausbildung in dieser Form möglich macht. dazu fand – auch dass Kritik gegenüber den Dozenten geäußert wurde, und immer im Raum stand die Frage: Und nicht zuletzt möchte ich für die Landesfachstelle „Brauche ich das wirklich für die Praxis?“ für Archive und öffentliche Bibliotheken und besonders für Frau Stropp und mich einen Wunsch aussprechen: Für den Dozenten heißt das, dass er sich ständig er- Wir würden gern den Kontakt mit Ihnen halten. Su- klären muss – schließlich hat er es mit Menschen zu chen Sie das Gespräch mit uns, besuchen Sie unsere tun, die über einiges an Berufs- und Lebenserfahrung Veranstaltungen und behalten Sie auch den Kontakt verfügen und teilweise älter sind als er selbst – so ging untereinander und mit den Kolleginnen und Kollegen, es zumindest mir als Vertreter der „mittleren“ Generati- denn die Archive brauchen ein Netzwerk, und wir tra- on. Das ist zwar anstrengend, hat aber den Vorteil, dass gen gern dazu bei, dies zu fördern. man sich selbst Rechenschaft ablegt über den eigenen Unterricht und den Sinn und Zweck seines Handelns.

85 Brandenburgische Archive · 24/2007 Erfahrungsbericht der Kurs- überwiegend stattfand. Leider war es nicht immer ein- teilnehmer/innen fach, eine pünktliche Anreise zu garantieren. Innerhalb dieser fast zweieinhalb Jahre machte uns die Bahn Von Heike Thun und Thomas Mietk AG oftmals einen Strich durch die Rechnung und wir kamen nur mühsam mit dem Schienenersatzverkehr Anlehnend an den Artikel von Frau Gabi Giering oder sogar auch nur mit dem Taxi an unserem Ausbil- (Brandenburgische Archive Nr. 23/2004), die über die dungsort an. erste berufsbegleitende Ausbildung informierte, ha- ben wir im Oktober 2004 voller Erwartung und Inter- Im Nachhinein kann man doch sagen, alle Strapazen esse an neuen Erkenntnissen den zweiten Lehrgang haben sich gelohnt. Die umfangreiche fachbezogene zur berufsbegleitenden Ausbildung zur/zum Fach- Ausbildung, die wir erhalten haben, hat sich über viele angestellten für Medien- und Informationsdienste in Bereiche gezogen. Die Gesamtstundenverteilung Mitteilungen der Fachrichtung Archiv begonnen. Dieser Lehrgang erstreckte sich über die Fachrichtungen Archiv, Bibli- wurde gemeinsam vom IHK-Bildungszentrum Cottbus othek, Information und Dokumentation, Medizinische und der Landesfachstelle für öffentliche Archive beim Dokumentation, Bildagentur, berufsspezifi sche Grund- Landeshauptarchiv Brandenburg organisiert. lagen und natürlich Wirtschafts- und Sozialkunde. Die in der Fachrichtung Archiv vermittelten Kennt- Zu Beginn setzte sich unsere Klasse aus 17 Frau- nisse umfassten Archivrecht, Verfassungs- und en und man(n) staune, sogar erstmalig aus sechs Verwaltungsgeschichte, Schriftkunde, Akten- und Männern zusammen, welche die Grundlagen des Registraturkunde, Formen von Archivgut, Erfassung, Archivwesens erlernen wollten. Bei dieser Zusam- Bewertung, Übernahme, Erwerbung von Sammlungs- mensetzung blieb es allerdings nicht bis zum Schluss. gut und Nachlässen, Erschließung von Medien und So erfolgte eine Veränderung der Besetzung aus dem Informationen, Ordnung, Verzeichnung, Erstellung Brandenburgischen Landeshauptarchiv und drei wei- von Findhilfsmitteln, Aufbewahrung und technische tere Ausbildungsteilnehmer schieden noch während Bearbeitung, Speicherung, Verwaltung und Pfl ege von der Ausbildung aus. Unsere Endbesetzung bestand Medien und Informationen, Bereitstellen/Vermitteln dann letztendlich aus sechs Männern und 14 Frau- von Medien und Informationen, Arten der Bestands- en, so dass wieder, wie im vorherigen Lehrgang, 20 präsentation, Benutzungsrecht, -organisation und Be- Teilnehmer an der schriftlichen und mündlichen Ab- nutzungsberatung, Auskunfts- und Recherchemittel, schlussprüfung teilnehmen konnten. Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing.

Die Teilnehmer/innen kamen aus den unterschiedlichs- Ein kleiner Kritikpunkt vielleicht noch am Rande: Wir ten Behörden und Institutionen. So nahmen beispiels- hätten uns gewünscht, dass uns für einige Bereiche weise an der Ausbildung, neben den Mitarbeitern und wie Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte und Mitarbeiterinnen aus den kommunalen Archiven bzw. Schriftkunde ein paar mehr Unterrichtsstunden zur aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, eine Verfügung gestanden hätten. Leider war dies im Lehr- Mitarbeiterin des Neuen Deutschlands, ein Mitarbeiter plan nicht vorgesehen. Für die nächsten Durchgänge des Landeskirchenarchivs, eine Mitarbeiterin aus dem der Ausbildung empfehlen wir die Berücksichtigung Medienbereich und eine Mitarbeiterin der Berliner dieses Hinweises. Stadtreinigung teil, die sich alle bemühen, ein den Da alle Dozenten in Archiven, Bibliotheken oder an- fachlichen Anforderungen entsprechendes Archiv in deren dem Stoffbereich angesiedelten Institutionen ihren Behörden und Einrichtungen weiterzuführen beschäftigt sind, konnte die Theorie in nützlicher oder überhaupt erst einmal aufzubauen und einzu- Weise mit der Praxis verbunden werden und es kam richten. nie lange Weile auf. Die Dozenten waren bemüht, uns den Lehrstoff praxisbezogen zu vermitteln. So unterschiedlich die Dienststellen waren, so unter- Besonders hervorzuheben gilt auch, dass uns der Be- schiedlich waren auch die Heimatorte, wie z. B. Dres- such der Volkswagen Universitätsbibliothek in Berlin, den, Lutherstadt Wittenberg, Oranienburg, Lübben- die Bibliothek der Technischen Universität in Cottbus, au/Spreewald, Lübben (Spreewald), Schwedt oder der Unterricht im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Eisleben - und alle kannten jedes zweite Wochenende Kulturbesitz in Berlin, im Bundesarchiv und im Bran- nur ein Ziel: Potsdam-Babelsberg, wo die Ausbildung denburgischen Landeshauptarchiv ermöglicht wurde.

86 Brandenburgische Archive · 24/2007 Wir als angehende Fachangestellte für Medien- und bleibt unsererseits für die hoffentlich nachfolgenden Informationsdienste/Fachrichtung Archiv konnten uns Lehrgänge zu wünschen, dass noch viele Leiter von in den Magazinen des Geheimen Staatsarchivs, des Einrichtungen und Behörden die Einsicht haben, ein Bundesarchivs und des Landeshauptarchivs ein Bild Archiv einzurichten und dafür Personal auszubilden. davon machen, wie viele „Schätze“ auch in anderen Die Einschränkungen, die sich zudem mit der Ausbil- Archiven lagern und wie viel Mühe man sich bei der dung ergaben und jeder von uns meistern musste, sei Erhaltung, Lagerung und Bereitstellung gibt. Wir es fi nanziell oder auch in der Planung des familiären werden alles daran setzen, die erlernten Kenntnisse Bereiches, sind nur auf diesen Zeitraum der Ausbil- auch in unseren Archiven anzuwenden, um die dort dung begrenzt. lagernden Archivalien noch lange für die Benutzung Letztendlich können wir sagen, dass wir die Zeit der bereitstellen zu können, auch in Zeiten leerer Kassen Ausbildung nicht missen möchten. Schon allein der ein sicherlich nicht immer leichtes Unterfangen. Erfahrungsaustausch und der Kontakt zu anderen Mitteilungen Archivmitarbeitern, aus denen sich mit der Zeit auch Doch halt, nach all dem umfangreich vermittelten Freundschaften entwickelten, waren die Anstrengun- Lehrstoff kam natürlich auch das dicke Ende, die gen wert. schriftliche und mündliche Abschlussprüfung. In einer Vorbereitungswoche, die im November 2006 Die Abschlussprüfung zu Fachangestellten für stattfand, konnten wir dann testen, was uns im Ge- Medien- und Informationsdienste / Fachrichtung dächtnis geblieben ist oder eher doch nicht, was eben Archiv des zweiten berufsbegleitenden Ausbil- schon kassiert wurde. Alle waren sehr aufgeregt - hof- dungsganges als Externe vor dem Prüfungs- fentlich würden wir den Stoff wiederholen, der dann ausschuss des Staatlichen Prüfungsamtes für auch für die schriftlichen und mündlichen Abschluss- Verwaltungslaufbahnen des Landes Brandenburg prüfungen wichtig ist. Die Woche war für uns alle sehr haben bestanden: anstrengend und so reisten auch wir mit rauchenden Kerstin Dippi (Brandenburgisches Landeshaupt- Köpfen und glühenden Ohren nach Hause. archiv), Andrea Göhring (Stadtarchiv Zeitz), Silke Und jetzt ging es zum Endspurt. Alles noch einmal Handrack (Dresden), Jürgen Hildebrandt (Bundesar- wiederholen, denn es blieb ja nicht mehr viel Zeit da- chiv Berlin), Roland Joseph (Brandenburgisches Lan- für. In der Woche vom 11. Dezember 2006, also kurz deshauptarchiv), Christiane Knorn (Kreisarchiv Ost- vor Weihnachten, war es dann soweit - schriftliche prignitz-Ruppin), Heide-Maria Lepsien (Gemeindear- Prüfungen, drei an der Zahl. Alle waren wahnsinnig chiv Glienicke/Nordbahn), Thomas Mietk (Kreisarchiv nervös. Am 15. Dezember 2006 fand die letzte Prü- Dahme-Spreewald), Regina Pedersen (Berliner Stadt- fung statt. Die Zeit, bis wir endlich am 15. Januar 2007 reinigung), Susanne Rieck (Stadtarchiv Schwedt), zum Telefonhörer greifen konnten, um uns über die Ingo Roy (Brandenburgisches Landeshauptarchiv), Ergebnisse zu informieren, erschien uns wie eine Sabine Rückert (Stadtarchiv Liebenwalde), Margit Sta- Ewigkeit. Doch alle angehenden FAMI konnten sich delmeyer (Stadtarchiv Forst), Heike Thun (Stadtarchiv freuen, jeder hat bestanden und war für die mündliche Lübbenau), Klaus-Peter Vogler (Landeskirchliches Prüfung im Februar zugelassen. Archiv Berlin), Gabriele Weise (Stadtarchiv Eisleben), Wir können stolz auf uns sein, da wir mit recht gutem Angela Wichmann (Neues Deutschland Berlin), Frank Durchschnitt unsere Ausbildung beenden konnten. Zabel (Brandenburgisches Landeshauptarchiv) Am 16. März 2007 fi ndet nun noch die feierliche Zeug- nisübergabe in Potsdam statt.

Zum Schluss möchten wir uns nun noch einmal auch im Namen der Teilnehmer/innen bei allen Dozenten und Organisatoren der Ausbildung bedanken und den eventuell noch zögernden Teilnehmern für den nächs- ten Lehrgang Mut zusprechen, nehmt die Herausfor- derung an. In fast zweieinhalb Jahren wird ein inter- essantes, umfangreiches Fachwissen vermittelt, um ein Archiv zu organisieren, was man sich nicht einfach nebenbei ohne Berufskenntnis aneignen kann. Es

87 Brandenburgische Archive · 24/2007 Vorankündigung

Sie arbeiten in einem Archiv oder einer ähnlichen Einrichtung und haben keine fachbezogene Berufsausbildung? Ab Oktober 2007 bietet das IHK-Bildungszentrum Cottbus in Zusammenarbeit mit der Landesfachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken im Bran- denburgischen Landeshauptarchiv den 3. Kurs der berufsbegleitenden Ausbildung zur/zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (Fachrichtung Archiv) an.

Die zweijährige fachbezogene Ausbildung befähigt dazu, die Abschlussprüfung zum/zur Fachangestellten für Medien- und Informa- tionsdienste in der Fachrichtung Archiv vor dem Staatlichen Prüfungsamt für Verwaltungslaufbahnen in Potsdam abzulegen. Die Teilnehmer erhalten eine fundierte Ausbildung in der Fachrichtung Archiv und erwerben Grundkenntnisse über Struktur, Zielgruppen, Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel in den benachbarten Fachrichtungen Bibliothek, Information und Dokumentation, Bildagentur und Medizinische Dokumentation. Die Schulungen fi nden vierzehntäglich freitags und sonnabends, hauptsächlich in Potsdam und Berlin, gelegentlich auch in Cottbus statt. Die Kosten des Lehrgangs belaufen sich auf ca. 2.600,00 Euro (inkl. Lehrgangsunterlagen), zuzüglich Prüfungsgebühren in Höhe von ca. 250,00 Euro. Nähere Informationen sind auf den Internetseiten des Brandenburgischen Landeshauptarchives unter Schnellstart / Aus- und Fortbildung (www.landeshauptarchiv-brandenburg.de) verfügbar.

Ihre Ansprechpartner für weitere Informationen:

Industrie- und Handelskammer Landesfachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken Bildungszentrum Cottbus GmbH im Brandenburgischen Landeshauptarchiv

Andrea Behrends Susanne Taege Goethestraße 1a An der Orangerie 3 03046 Cottbus 14469 Potsdam Tel. 0355 / 36 54 23 (PF 60 04 49, 14404 Potsdam) Fax 0355 / 36 54 99 Tel. 0331 / 6 20 32 14 E-Mail: [email protected] Fax 0331 / 6 20 32 16 E-Mail: [email protected]

Impressum

Schriftleitung: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam, Tel. 0331/5674-126; Fax 0331/5674-112; E-Mail: [email protected] Redaktion: Dr. Klaus Neitmann (BLHA), Dr. Wolfgang Krogel (Landeskirchliches Archiv Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz), Dr. Mario Glauert (BLHA), Kärstin Weirauch (BLHA). Mitarbeiter dieser Ausgabe: Helga Bagemihl (BLHA), Klaus Etzenberger (BLHA), Werner Heegewaldt (BLHA); Dr. Jan Klußmann [Stadtarchiv Stadt Forst (Lausitz)], Thomas Mietk (Kreisarchiv Dahme-Spreewald), Dr. Moni- ka Nakath (BLHA), Dr. Klaus Neitmann, Rosemarie Posselt (BLHA), Dr. Rolf Rehberg (Stadtarchiv Pritzwalk), Gisela Rüdiger (BStU - Außenstelle Potsdam), Dr. Uwe Schaper (Landesarchiv Berlin), Frank Schmidt (BLHA), Dr. Michael Scholz (BLHA), Susanne Thun (Stadtarchiv Lübbenau), Dr. Katrin Verch (BLHA), Prof. Dr. Johanna Wanka (Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg), Annett Wernitz (BStU- Außenstelle Potsdam), Susanna Wurche (BLHA). Aufnahmen: AVO Horno (S.53), Helga Bagemihl (S.20,21,28,29,49,63-66), Bernd Buchwald (S.45,47), BStU-Außenstelle Potsdam (S.45l.), Kerstin Dippi (S. 75-80), Andreas Klaer (S. 56), Stefan Meyer (S.53, 54l.), Dr. Monika Nakath (S.13-15), Peanutz Architekten (S.55), H. Rauhut (S.55), Gisela Rüdiger (S.46). Redaktionsschluss: 5. März 2007. Gesamtherstellung: gh grafi c house gmbh, Berlin. Titelbild: Karte der Mark Brandenburg aus dem 16. Jahrhundert (BLHA, AKS 610 B).

© Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Landesverband Brandenburg im VDA – Verband dt. Archivarinnen und Archivare e. V.

Erscheint einmal jährlich, kostenlose Abgabe. Alle bisher erschienenen „Brandenburgische Archive“ sind im Internet abrufbar unter: www.landeshauptarchiv-brandenburg.de Anzeigenverwaltung erfolgt durch die Redaktion, gültig ist Preisliste Nr. 1 vom 1. Januar 2007.

88 Brandenburgische Archive · 24/2007 Abb. zum Beitrag S. 5 -11: „Ein ungewöhnlicher Dachbodenfund...“

Abb. 1: Privileg König Ferdinands mit dem Wappen von Vetschau (im gespaltenen Schild vorn blau-silbern geschacht und hinten in Rot ein aufspringender und rot-ge- zungter silberner Windhund mit goldenem, beringtem Halsband).

Abb. 2: Wappen der Familie von Abb. 3: Wappen der Familie von Schlieben (in Gold ein blau-silbern Schapelow (in Rot ein silberner Hund geschachter Balken) mit goldenem Halsband).

Abb. 4: Siegel der Stadt Vetschau Abb. 5: Gültiges Stadtwappen von nach einem Stempel von 1549. Vetschau. CMI STAR macht Schule – in der Archivschule Marburg und bei vielen neuen Kunden.

CMISTAR ist als Schulinstallation in der Archivschule werber aus dem In- und Ausland durchsetzen und ist nun Marburg installiert worden. Daneben macht CMISTAR in Firmenarchiven, Universitätsarchiven sowie Stadt- und bei vielen Neukunden in der Schweiz, Deutschland und Staatsarchiven erfolgreich im Einsatz. Österreich Schule. CMISTAR konn te sich gegen Mitbe-

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