N° 01/10 Berner Zeitschrift für Geschichte 72. Jahrgang

Das Stadtarchiv Geschichte – Standort – Bestände Emil Erne Berner Zeitschrift für Geschichte (BEZG)

Die Berner Zeitschrift für Geschichte ist das Organ des Historischen Vereins des Kantons Bern. Sie veröffentlicht in allgemein verständlicher Form Forschungsbeiträge zur bernischen Geschichte. Die Redaktion ist für die Themen- und Manuskriptauswahl zuständig. Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich.

Die Berner Zeitschrift für Geschichte erscheint mit finanzieller Unterstützung der Erziehungsdirektion des Kantons Bern (Amt für Kultur).

Impressum

Herausgeber Bernisches Historisches Museum, Burgerbibliothek Bern, Historischer Verein des Kantons Bern, Staatsarchiv des Kantons Bern, Stadtarchiv Bern, Universitätsbibliothek Bern

Redaktion Dr. des. Gerrendina Gerber-Visser ([email protected]) Dr. Martin Stuber ([email protected]) Historisches Institut der Universität Bern, Zähringerstrasse 25, 3012 Bern, Tel. 031 631 83 82 www.bezg.ch

Rechnungsführung und Bestellung von Einzelheften Universitätsbibliothek Bern, Sekretariat, Münstergasse 61, 3000 Bern 8, Tel 031 631 92 05

Preise Jahresabonnement (4 Nummern) Fr. 60.– / Einzelheft Fr. 20.—/ Doppelnummer Fr. 30.—. Für die Mitglieder des Historischen Vereins ist der Abonnementspreis im Jahresbeitrag von Fr. 80.— inbegriffen. Anmeldung als Mitglied: www.hvbe.ch

Nachdruck Der Nachdruck von Aufsätzen oder von grösseren Partien daraus ist nur mit Bewilligung der Redaktion gestattet.

Druck und Inserateverwaltung Rub Graf-Lehmann AG Bern, Murtenstrasse 40, 3001 Bern, Tel. 031 380 14 90

Buchbinderische Arbeiten Buchbinderei Schlatter AG, Liebefeld

Gestaltung pol Konzeption und Gestaltung, Bern

ISSN 0005-9420

72. Jahrgang, Heft Nr. 1, 2010

Diese Nummer erscheint mit finanzieller Unterstützung der Stadt Bern. Inhalt

2 Editorial

3 Das Stadtarchiv Bern Geschichte – Standort – Bestände Emil Erne

91 Fundstück Shopping in Paris und Bern 1913 Christian Lüthi

97 Buchbesprechungen

Autoren Emil Erne, Dr. phil. Stadtarchivar, Stadtarchiv Bern, Helvetiastrasse 6, 3000 Bern 6, [email protected]

Christian Lüthi, lic. phil. Leiter Ressourcen, Universitätsbibliothek Bern, Münstergasse 61, 3000 Bern 8, [email protected]

Umschlagbild Der Erweiterungsbau KUBUS/Titan des Historischen Museums Bern ist der neue Standort des Stadtarchivs Bern (Architektur :mlzd architekten biel-bienne). In der verglasten Nordfassade spiegelt sich die Rückseite des Historischen Museums (rechts: Moser-Anbau von 1921). Die übrigen Fassaden, die Dach­ fläche und der Platz passen sich in ihrer Wirkung an den Altbau an. Im Geschoss auf dem Niveau der neuen Piazza befinden sich Lesesaal, Bibliothek und Büros des Stadtarchivs (im Bild links). Foto von Alexander Gempeler, Bern, September 2009. – BHM. Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Vermutlich ist Ihnen aufgefallen, dass diese Nummer der Berner Zeitschrift für Ge- schichte (BEZG) ein verändertes Layout aufweist. Weshalb dies so ist und wie es dazu gekommen ist, möchten wir Ihnen kurz darlegen. Es hat sich bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt, dass die bisherige Titelseite der BEZG einen Mangel aufwies, indem der inhaltliche Schwerpunkt der jeweiligen Nummer zwar bildlich dargestellt war, Angaben zu Thema und zu Autorin und Autor jedoch fehlten. Dadurch standen die Chancen für den Einzelverkauf bestimmter Num- mern, beispielsweise im Buchhandel, schlecht. Wohl kann dieses Problem in einzelnen Fällen durch den Druck von Separata teilweise gelöst werden, doch die Herausgeber- kommission und die Redaktion waren der Meinung, dass eine grundsätzliche Verbes- serung anzustreben sei. So kam der Stein ins Rollen und schliesslich wurde das ganze Layout überarbeitet. Insbesondere galt es, den Abbildungen mehr Raum zu geben. Das Resultat liegt nun vor Ihnen. Die BEZG wurde seit ihrer Gründung durch die Vorgängerin der heutigen Firma «RubMedia» gedruckt. Die Zusammenarbeit mit RubMedia hat sich bewährt und wird auch weitergeführt. Neu wurde zusätzlich das Grafikbüro «pol» zugezogen, das bereits für den Historischen Verein gestalterisch tätig ist. Dieses Büro hat ein neues Layout- konzept entwickelt und wird die Hefte in Zukunft gestalten. Inhaltlich führen wir die Entwicklung in die bereits eingeschlagene Richtung fort. Aktualitätsbezüge werden, wenn immer möglich, hergestellt, sei es durch Hauptartikel oder Fundstücke zu Jubiläums- oder anderen aktuellen Anlässen; bei der vorliegenden Nummer stellt der Umzug des Stadtarchivs in den neuen «Kubus» beim Historischen Museum einen solchen Anlass dar. Die zweite Nummer 2010 wird ein Themenheft zu Albert Anker anlässlich seines 100. Todestages sein. Auch bei der Auswahl der zu rezen- sierenden Publikationen gehen wir über die engere Fachgeschichte hinaus. Es ist un- ser Anliegen, die bernische Erinnerungskultur möglichst breit zu berücksichtigen, indem etwa historische Romane, Biographien aus der Welt der Literatur, kunstgeschichtliche Monografien und Werkeditionen besprochen werden. Ihnen möchten wir bei dieser Gelegenheit für Ihre Lesertreue danken und wün- schen Ihnen nun viel Vergnügen bei der Lektüre dieser ersten Nummer mit überarbei- tetem Layout.

Gerrendina Gerber-Visser Martin Stuber

2 BEZG N° 01/10 Das Stadtarchiv Bern Geschichte – Standort – Bestände Emil Erne

Erne: Stadtarchiv 3 Vorwort

1832 zog das Archiv der Stadt Bern zusammen mit der damaligen Stadtverwaltung in den an die 47. Die Unterbringung der wachsenden Bestände bereitete immer wieder Schwierigkeiten. Raumnot und Verzettelung prägten die Ge- schichte des Stadtarchivs. Als neue Dienststellen ins städtische Rathaus drängten, wur- den auch ehemalige Küchen, feuchte Keller und luftige Estriche mit Manualen und Ak- ten belegt. Unwichtigere Dokumente hatten in Aussendepots auszuweichen. Mit ausgeklügelten Ordnungssystemen versuchten die Archivare – die Leitungsfunktion war bis anhin eine Männerdomäne − die Übersicht zu behalten. Nun hat der Standortwech- sel im September 2009 dem Stadtarchiv zu optimaler Funktionalität und Sicherheit ver- holfen. Der Erweiterungsbau des Historischen Museums Bern erfüllt alle Anforderun- gen des Kulturgüterschutzes. Im KUBUS/Titan ist das Stadtarchiv mit sämtlichen Archivalien, der Bibliothek und der Dokumentation untergebracht und mit Empfang, Lesesaal, Büros, Atelier- und Archivräumen zweckmässig ausgestattet.

Die vorliegende Schrift bezweckt dreierlei: erstens einen Blick zurück auf die bewegte Geschichte des Stadtarchivs zu werfen, zweitens einen Einblick in seine neue Unter- kunft zu gewähren und drittens für künftige Benützerinnen und Benützer eine Über- sicht über seine Bestände zu bieten.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Ich danke für vielfältige Mithilfe, kritische Rückmeldungen und wertvolle Ergänzun- gen folgenden Personen: Kerstin Brunner, lic. phil., Historikerin, Margrit Zwicky, Ma- rio Marti, Ruedi Amrein, Regina Mathez, Yvonne Bischoff und Luca Giustarini, alle Stadtarchiv Bern, Dr. Guido Schmezer, Stadtarchivar 1975−1989, und Irène Maeder Marsili, Stadtschreiberin 1996−2007. Folgende Personen und Institutionen haben freundlicherweise Bildvorlagen zur Verfügung gestellt: Bastian Baumann, Peter Brand, Burgerbibliothek Bern, Dr. Peter Friedli, Historisches Museum Bern, Nicolas Kyrama- rios, :mlzd architekten, Franziska Scheidegger, Hans Schlegel und Staatsarchiv des Kan- tons Bern. Schliesslich danke ich meiner Frau Veronika Käser Erne für ihr Verständ- nis und ihre Unterstützung.

Bern, im März 2010

Dr. Emil Erne Stadtarchivar

4 BEZG N° 01/10 I. Teil Die Geschichte des Stadtarchivs 1803 − 2009

1. Entstehung und Aufbau 1803 − 1832

Trennung zwischen Kanton und Stadt Das Stadtarchiv Bern ging aus den politischen und verfassungsrechtlichen Um- wälzungen der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hervor. Nach dem Unter- gang der alten Stadtrepublik 1798 wurden Staats- und Stadtherrschaft in Bern getrennt. Die nach französischem Vorbild geschaffene Helvetische Republik de- gradierte den Kanton zum unselbständigen Verwaltungsdistrikt. Auf der unters- ten Ebene des zentralistisch aufgebauten Einheitsstaats entstanden zwei neue kommunale Behörden: die Munizipalität als Organ der Generalversammlung der Aktivbürger der Gemeinde und die Gemeindekammer als Organ der Anteil- haber am Gemeindegut, der Burger. Das spätere Nebeneinander von Einwoh- nergemeinde und Burgergemeinde zeichnete sich erstmals ab. Die Mediationsverfassung von 1803 brachte die Staatlichkeit des Kantons zurück: Bern war wieder ein bedeutendes Mitglied des erneuerten schweizeri- schen Staatenbunds. Der Dualismus auf Gemeindeebene verschwand, doch die Stadtgemeinde blieb als eigene Körperschaft erhalten. Kanton und Stadt be- stimmten als zwei rechtlich verschiedene Gemeinwesen mit je eigenen Aufga- ben die zukünftigen Geschicke Berns. Ein Grosser Stadtrat löste als oberste Behörde Munizipalität und Gemein- dekammer ab. Er umfasste 40 Mitglieder, die von den wahlberechtigten Bur- gern bestimmt wurden, und ernannte aus seiner Mitte einen Kleinen Stadtrat von 15 Mitgliedern für die laufenden Geschäfte sowie zwei jährlich wechselnde Präsidenten. Kommissionen aus mehreren Ratsmitgliedern führten die Verwal- tung. Die ehemals herrschenden Burgergeschlechter – die Patrizier – regierten in der Stadtgemeinde wie auch im Kanton erneut mehr oder weniger unange- fochten.1 Eine schweizerische Kommission nahm die Trennung der staatlichen und städtischen Vermögenswerte vor und stattete die Stadtgemeinde mit den nöti- gen Finanzmitteln aus. Mit dieser Güterausscheidung erfolgte auch eine Aus- sonderung der entsprechenden Aktenbestände, die heute im Staatsarchiv des Kantons Bern und im Stadtarchiv Bern aufbewahrt werden. Die Urkunde der Aussteuerung für die Stadt Bern vom 20. September 1803 führte unter § V Art. 5 Folgendes aus: «Letztlich an Archiven: das Rathhaus in Bern wird als Kantons-Eigenthum der Kantons-Regierung überlassen, dagegen aber dieselbe verpflichtet, dem Stadt-Rath von Bern, welchem es an Platz zur Aufbewahrung seiner Schriften

Erne: Stadtarchiv 5 fehlt, in eben diesem Rathhause, oder auch anderswo, ein feuerfestes Gewölbe, nebst Zimmern, zu immerwährendem Gebrauch als Stadt-Archiv anzuweisen und einzurichten. Ferner wird die Kantons-Regierung dafür sorgen, dass alle diejenigen Rechts-Titul, Urbarien, oder andere Dokumente, durch die das Ei- genthumsrecht auf die obbenannten Einkünfte, liegenden Gründe, Waldungen, Stiftungen, Anstalten, Gebäude, Zehnden und Bodenzinse verbürgt und gesi- chert ist, dem Stadt-Rathe von Bern so schleunig als möglich und in gehöriger Form zu Handen kommen, und unter dessen Verwahrung gestellt werden.»2 Damit war das Stadtarchiv formal ins Leben gerufen.3 Die Kantonsregierung liess alle jene Urkunden, Bücher, Schriften und Pläne, welche die Vermögens- werte und Einkünfte der Stadt betrafen, aussondern und übergab sie aufgrund weiterer vertraglicher Übereinkünfte von 1804 im Jahre 1806 der Stadtregie- rung.4 Ein zurückgebliebener Rest an Urkunden wurde 1828 ausgeliefert. Dabei ging man offenbar nicht sehr sorgfältig zu Werke; denn es wurden Stü- cke übergeben, die nicht auszuliefern waren. Die Urkunden lagen nach den ein- zelnen Fonds, welche das Stadtvermögen bildeten, getrennt, doch befand sich das Ganze in grosser Unordnung.5 Der Stadtschreiber erhielt den Auftrag, es in eine regelmässige Ordnung zu bringen.6 Die rund 1200 übergebenen Urkunden betrafen die der Stadt zugewiesenen Fonds 1. des grossen Spitals, 2. der Insel, 3. des Siechenhauses, 4. des Kornamtes, 5. des Mushafens, 6. der Rebgüter und 7. des Bauamtes.7

Der erste Archivarius Zur Aufbewahrung der Akten räumte die Kantonsregierung der Stadt 1804 das oberste Gewölbe im Erdgeschoss des Rathauses ein. Während die Kantonsver- waltung ihren Sitz im Rathaus behielt, musste die Stadtverwaltung eine neue Unterkunft suchen. Sie fand diese alsbald im Kaufhaus an der 24, dessen Eigentum ihr in der Güterausscheidung bestätigt worden war.8 1807 er- folgte auch die Verlegung des Archivs ins Kaufhaus, wo ein Zimmer im Hinter- haus zur Verfügung stand.9 1809 verkaufte die Stadt das Kaufhaus an den Kan- ton, mietete aber den ersten Stock weiterhin für Versammlungen, die Kanzlei und das Archiv, bis eine andere Unterkunft gefunden war. Mit der Verwaltung der Urbarien, Protokolle, Rechnungen und übrigen Ar- chivalien beauftragte der Grosse Stadtrat am 3. November 1803 den früheren Kanzleisubstituten Ludwig Jakob Güder, der bereits über Erfahrung im Archiv- wesen verfügte. Unter der Bezeichnung eines «Stadt-Lehens-Commissarius» hatte er zum Eigentum und zu den Rechten der Stadt Bern Sorge zu tragen.

6 BEZG N° 01/10 Im ersten Stock des ehemaligen Kaufhauses an der Kramgasse 24 befand sich die Stadtkanzlei zusammen mit einem Teil der städtischen Archivalien von 1803 bis 1832. Nicht zuletzt deren unzweckmässige Aufbewahrung veranlasste die Be- hörden, eine bessere Unterkunft zu suchen. Foto um 1910 aus: Markwalder, Hans: Die Stadthausfrage vor hundert Jahren. Bern (1929).

Mit der Güterausscheidung zwischen Kanton und Stadt Bern wurden auch die zu den Vermögenswerten gehörigen Aktenbestände getrennt. Die Urkunde erwähnt erstmals das Stadtarchiv (rechts). Die Bestände waren zunächst im Rathaus untergebracht. Urkunde der Aussteurungen für die Stadt Bern, 20. September 1803, Titelseite und Seite 28. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 7 Nach langwieriger Suche bezog die Stadtverwaltung 1832 den Erlacherhof und richtete dort Sitzungszimmer, Büros und Archivräume sowie eine Wohnung für den Stadtschreiber ein. Der Erlacherhof war um 1750 als repräsentativer Stadtsitz der Patrizierfamilie von Erlach erstellt und 1821 an die Stadtgemeinde verkauft worden. Bis 1888 logierten die Einwohnergemeinde und die Burger- gemeinde gemeinsam im Stadt-Rathaus. Der Erlacherhof. Zustand um 1966. Rechts der Westflügel. – SAB.

8 BEZG N° 01/10 Er stand unter der direkten Aufsicht und Leitung der Finanzkommission des Stadtrats, hatte sobald als möglich ein Inventar über das Archiv anzufertigen10 und durfte ohne Erlaubnis der Finanzkommission niemandem Einsicht in die Bestände gewähren oder etwas herausgeben.11 Der erste städtische Archivar am- tete bis 1812. Die Instruktion der Stadtverwaltung von 181812 bestimmte, dass der Archi- varius den Sitzungen der Finanzkommission beiwohnen und an sie auch seine Anträge, Gutachten und Schreiben richten musste. Er solle alle der Stadt Bern und ihrer Burgerschaft direkt und indirekt zugehörenden Urkunden, Urbarien und übrigen Rechtsdokumente sammeln, sorgfältig einordnen und aufbewah- ren, die Abschriften stets mit einem «Vidimus» − einem Beglaubigungsvermerk − versehen und jeweils notieren, in welcher Abteilung des Archivs die Original- Titel lagen. Nicht nur durfte der Archivar nichts herausgeben, er durfte auch keine Titel oder Auszüge oder Abschriften ohne Erlaubnis mit nach Hause neh- men. Für alle zur Herausgabe bewilligten Dokumente waren Empfangsscheine auszustellen, und generell hatte der Archivar eine Kontrolle über alle Eingänge und Ausgänge zu führen. Er sollte sich mit allen Titeln bekannt machen, um im Falle von Streitigkeiten über die Rechte der Stadt Bern Bericht erstatten zu kön- nen. Das möglichst komplette Inventarium war in zwei Exemplaren zu führen: einem für das Archiv und einem für die Finanzkommission. Im Falle eines Feu- ers in der Nähe des Stadthauses hatte der Archivar sich sofort mit seinen Schlüs- seln dorthin zu begeben, allenfalls Massnahmen zur Rettung der Archivalien einzuleiten und jedenfalls so lange als nötig dort zu verharren. Das Pflichten- heft wurde 1831 anlässlich des Wechsels des Amtsinhabers erneuert.13

Der Erlacherhof als Stadt(-Rat)haus14 Da es im Kaufhaus an Gewölben gänzlich mangelte, waren die städtischen Ak- tenbestände bald einmal an verstreuten Standorten unzweckmässig unterge- bracht, teils lagen sie unsicher verwahrt, teils zur Benutzung höchst unbequem deponiert. Das Lehensarchiv befand sich im erwähnten Zimmer des Kaufhau- ses in bedenklicher Unordnung und war mannigfaltiger Feuergefahr ausgesetzt. Entfernt vom Sitzungsort der Behörden und dem Sekretariat lagen die Zins- schriften in einem kalten, schlecht zugänglichen Gewölbe im Münster über der Sakristei. Das Archiv des Waisendepartements wurde im dritten Stock im Rat- haus und jenes der Baukommission im Holzwerkhof aufbewahrt. 1817 regte Stadtlehen-Kommissär Rudolf Emanuel Wildbolz an, die städti- schen Archive in die feuerfesten Gewölbe in ein Haus an der zu ver-

Erne: Stadtarchiv 9 legen, wobei das dabei befindliche Logement ihm zugewiesen werden könnte. Die mit der Prüfung beauftragte Kommission hielt jedoch die betreffende Lie- genschaft nicht für geeignet, da das Gewölbe nur aus Backsteinen konstruiert, feucht, von Stallungen und hölzernen Gebäuden umgeben und sehr abgelegen sei. Sie sah aber die Notwendigkeit ein, ernstlich ein zweckmässigeres Lokal für die Stadt-Archive zu suchen.15

Rudolf Emanuel Wildbolz (1778 −1840), Stadtlehen-Kommissär 1815−1818 Rudolf Emanuel Wildbolz versah das Amt des Stadtlehen-Kommissärs, der sich vornehmlich um strittige Rechtsfragen und nebenbei um das städtische Archiv kümmerte, lediglich wäh- rend drei Jahren. In einem Schreiben an die Finanzkommission wies er auf die dringend nö- tige Revision des Archivs hin, konnte aber selber infolge einer anderen Anstellung diesen aus- serordentlichen Aufwand nicht leisten. Über sein Leben ist nur wenig bekannt. Wildbolz war Fürsprecher und gehörte der Zunftgesellschaft zu Schmieden an. Ferner fungierte er unter anderem als Mitglied der Stadtverwaltung (1817), bekleidete das Amt des Oberamtmanns im Obersimmental (1822), war Staatsanwalt (1832) und schliesslich Mitglied der Oberwaisen- kammer (1833).

Man konzentrierte sich zunächst auf einen Platz in der Umgebung des Kauf- hauses.16 1818 erhielt die Finanzkommission den Auftrag, abzuklären, ob ge- stützt auf die Dotationsakte beim Kanton der Anspruch auf ein zweckmässiges Lokal für die Archive anzumelden sei. Ferner sollten leicht transportable Kis- ten oder Schränke beschafft werden, um die kostbaren Dokumente hauptsäch- lich des Lehensarchivs bei Feuer- oder anderer Gefahr schleunigst und sicher evakuieren zu können.17 In einer Eingabe an die Kantonsregierung unternahm die Stadtbehörde schliesslich den Versuch, das Kaufhausgebäude vom Staate zurückzuerwerben. Als Beweggründe nannte sie in erster Linie neben der «auffallenden Unschik- lichkeit für die Vorsteher des Gemeinwesens unserer Stadt in Miethe zu woh- nen» den gänzlichen Mangel an Gewölben für ihre Archive und legte sodann ausführlich die aus ihrer Sicht beidseitigen Vorteile eines solchen Handels dar. Aber der kantonale Finanzrat lehnte die Kaufofferte ab.18 Nicht zuletzt, um die Archive sicher unterzubringen, wurde die Suche nach einem Stadthaus mit der Einsetzung einer Spezialkommission intensiviert. Diese stellte 1822 die Bedürfnisse der Stadtverwaltung zusammen, wobei sie für die Unterbringung der städtischen Akten folgendes Raumprogramm vorsah:

10 BEZG N° 01/10 «II. Feuerfeste Archive 1. Für die Canzley zur Aufbewahrung der Akten und Rechnungen. 2. Für das Lehen Commissariat, oder eigentlicher des Finanzdepartements, zur Aufbewahrung aller Dokumente, Pläne, Urbarien und Eigenthums- Titeln von Rechtsamen und Liegenschaften. 3. Für den Stadt-Sekelmeister zur Aufbewahrung aller zinstragenden Titeln. 4. Für das Baudepartement zur Aufbewahrung seiner Dokumenten, Akten und Pläne. 5. Für das Waysen-Departement, zur Aufbewahrung der ihm anvertrauten Zinsschriften, Testamente und seiner eigenen Rechnungen.19»

Nach jahrzehntelanger Suche und der Evaluation aller möglichen Bauplätze für einen Neubau sowie der Prüfung einer Vielzahl bestehender Gebäude fiel die Wahl schliesslich auf den Erlacherhof, den die Stadt 1821 käuflich erworben, als Stadthaus zunächst aber als zu abgelegen, für einen Umbau zu teuer und ei- gentlich für Personen von hohem Rang vorbehalten beurteilt hatte. 1832 zog die Stadtverwaltung vom Kaufhaus in den Erlacherhof. Im Parterre und im ersten Stock des Mittelteils wurden Sitzungszimmer und Verwaltungs- büros eingerichtet, während der Ostflügel und das anschliessende Bubenberg- tor Archivzwecken dienten.20 Im ersten Stock des Westflügels wurde etwas später das Stadtlehen-Archiv eingerichtet, und im Erdgeschoss darunter fand das Kanz- lei-Archiv Platz.21 Auch der Stadtschreiber hatte seine Wohnung im Erlacherhof.22

2. Honoratiorenverwaltung 1832−1887

Schaffung der Einwohnergemeinde 23 Gegenüber der patrizischen Staats- und Stadtregierung fühlten sich die nicht- patrizische Burgerschaft übergangen und die nichtburgerliche Einwohnerschaft politisch nicht vertreten. Die Opposition in der Hauptstadt selber, vor allem aber in den Landstädten und in den dörflichen Mittelschichten, bewog die Patrizier angesichts des drohenden Bürgerkriegs 1831 zur Abdankung. Bern erhielt die erste geschriebene Kantonsverfassung und eine liberale Regierung. Die Patrizier zogen sich politisch auf die Stadt Bern zurück. Die Spannun- gen zwischen fortschrittlichem Kanton und konservativer Stadt prägten die bernische Geschichte für Jahrzehnte. Der Streit drehte sich zunächst um die Or­ganisation der Gemeinde: die Kantonsbehörden befürchteten ein Wiederer- starken des Patriziats, die Burger bangten misstrauisch um ihr Vermögen. Das

Erne: Stadtarchiv 11 Dekret des Grossen Rats vom 19. Mai 1832 über die Erneuerung der Gemein- debehörden verlangte die Trennung von Einwohnergemeinde und Burgerge- meinde. Während der Gemeinschaft aller ortsansässigen Einwohner alle poli- tischen Befugnisse übertragen wurden, sollte die Ortsburgerschaft lediglich ihre eigenen Angelegenheiten und die Verwaltung des Burgerguts besorgen. Dank des vermögensabhängigen Wahlrechts resultierten in allen Gremien der beiden Gemeinden deutliche patrizisch-burgerliche Mehrheiten. Die erste städtische Gemeindeordnung von 1834 bestimmte die Gemeindeversammlung zur obersten Gewalt. Sie tagte ordentlicherweise halbjährlich jeweils an einem Werktag in einer der Stadtkirchen, im alten Kasino oder im Rathaus. Tatsäch- lich lag aber die Gemeindepolitik weitgehend beim Gemeinderat, der aus 25 (ab 1871 noch 17) Mitgliedern bestand und alle Geschäfte vorbereitete. Eine starke Stellung nahm der Gemeindepräsident ein, da er in beiden Gremien den Vor- sitz hatte. Die Geschäfte besorgten ständige Kommissionen, zusammengesetzt aus Gemeinderäten und externen Fachleuten. Neue Aufgaben führten jeweils zu neuen Kommissionen. So gab es u. a. die Spezial- und Organisationskom- mission, die Polizeikommission und die Primarschulkommission. Nur der Prä- sident der Polizeikommission erhielt eine mit einem höheren Beamtengehalt vergleichbare Besoldung. Das Kommissionssystem hing von ehrenamtlicher Tä- tigkeit ab und begünstigte die Burger, die über genug Vermögen und Musse ver- fügten. Hauptamtliche Beamte waren u. a. der Gemeindeschreiber sowie der Sekretär und der Kassier der Polizeikommission.24 Das städtische Vermögen verblieb ganz bei der Burgergemeinde; die Ein- wohnergemeinde befand sich in dauernder Abhängigkeit von finanziellen Un- terstützungsbeiträgen aufgrund entsprechender Vereinbarungen. Mit der Fi- nanzkommission verblieben auch der Stadtlehen-Kommissär und damit das Archiv bei der Burgergemeinde. Die Arbeit der Archivbeamten beschränkte sich in der folgenden Zeit meist auf die Berichterstattung in streitigen Rechtsfragen der Domänenverwaltung; nur Beat Ludwig Messmer beschäftigte sich einge- hend mit dem Archiv. Er traf eine Neuordnung und begann die Ausarbeitung von Registern, die aber unvollendet blieben.25

Güterausscheidung zwischen Einwohner- und Burgergemeinde 26 Erst der Ausscheidungsvertrag vom 1. April 1852 über die Eigentumsverhält- nisse und die künftige Verwaltung sämtlicher Gemeinde- und Stiftungsgüter der Stadt Bern schuf zwischen Einwohnergemeinde und Burgergemeinde eine klare Trennung des Vermögens und damit auch der damit zu finanzierenden öffent-

12 BEZG N° 01/10 Beat Ludwig Messmer (1764−1833), Stadtlehen-Kommissär 1818−1831 Im Unterschied zu den andern Stadtlehen-Kommissären, die zwischen 1803 und 1852 tätig waren, beschäftigte sich Beat Ludwig Messmer eingehender mit den Archivalien. Er trat die Stelle 1818 mit klarem Konzept an und machte sich mit frischem Elan an die Revision des Ar- chivs. Er entwarf ein systematisches Repertorium aller Urkunden und Dokumentenbücher und begann mit der Ausarbeitung von Registern; sie blieben aber unvollendet. Er bemühte sich so- wohl bei der Übernahme des Amts vom Vorgänger wie bei der Übergabe an den Nachfolger um äusserste Korrektheit, um ungerechtfertigte Vorwürfe zu vermeiden. Seine Übergabe der Urkunden erfolgte denn auch ohne Probleme, aber bei den Urbarien und Akten herrschte eine gewisse Unordnung, sodass der Nachfolger die Übernahme zunächst verweigerte. Messmer war Burger zu Pfistern, Mitglied des Grossen Rates und Verwalter des äusseren Krankenhau- ses. Neben seiner Tätigkeit als Fürsprecher machte er sich als Historiker einen Namen, indem er sich besonders mit verschiedenen gemeinnützigen Anstalten beschäftigte und mehrere Schriften über die bernischen Spitäler veröffentlichte. lichen Aufgaben.27 Gestützt auf die Aussteuerungsurkunde von 1803 und seit- herige Übereinkünfte behielt die Burgergemeinde diejenigen Güter, die «aus- schliessliches Burgergut der Stadt Bern, im engsten Sinne des Wortes» waren.28 Die Einwohnergemeinde erhielt das ganze übrige Vermögen, nämlich den Kornamtfonds, den Bauamtfonds, die vier Stadtkirchen inklusive Kirchengut, die Stadt-Rebgüter am Bielersee mit dem Rebgüterfonds, den Reservefonds, den Separatfonds, die Polizeianstalten einschliesslich Illuminationsfonds und Polizeiarmenfonds, die Schulgebäude mit Schul- und Lehrmaterial und Primar- schul-Prämienfonds, die Armengüter, den Tiergarten und den Saldo der Cen- tralstadtkasse. Der Ausscheidungsvertrag von 1852 bewirkte, dass der grösste Teil der Ar- chivalien in den Besitz der Einwohnergemeinde überging: «Mit den vorgenann- ten Vermögenstheilen übergibt die Burgergemeinde der Einwohnergemeinde auch alle darauf bezüglichen Titel, Bücher, Schriften und Pläne.»29 Auch wei- tere Akten, soweit sie die Stadtangelegenheiten betrafen, kamen zur Einwoh- nergemeinde, wie die «Manuale der obern burgerlichen Gemeindsbehörden der Stadt Bern» von 1833 bis 1852. Als Zeitpunkt der Vermögensübergabe wurde der 1. Juli 1852 festgesetzt. Die Ausscheidung des Stadtarchivs dagegen wurde mit Ausnahme einiger Rechtstitel, die das Eigentum der Einwohnergemeinde unmittelbar betrafen, verschoben, bis die nötigen Vorbereitungen getroffen waren. Ausdrücklich wurde vorbehalten, dass die Bestandteile der beiderseitigen

Erne: Stadtarchiv 13 Archive beiden Gemeinden jederzeit zur Benutzung und zu ihrem Rechtsbehelf auf Verlangen zur Verfügung stehen sollen.30 Die Archivalien blieben damit unter gemeinsamer Verwaltung, wie auch die beiden Gemeindekanzleien nach dem Auszug des Bundesrats 1857 wieder ge- meinsam im Erlacherhof, der nun der Einwohnergemeinde zugewiesen war, lo- gierten. Gemäss Ausscheidungsvertrag hatte die Einwohnergemeinde den bur- gerlichen Behörden «die Benutzung der Sitzungs- und Kanzleizimmer des Gemeinderathes und seiner Kommissionen und den nöthigen Raum für die Ar- chive» unentgeltlich einzuräumen.31

Albert Zeerleder (1838−1900), Archivar 1864−1869, Sekretär der Finanzkommission und Stadtarchivar 1869−1871 Der Enkel des bekannten Bankiers Ludwig Zeerleder, Albert Zeerleder, stand während vieler Jahre in verschiedenen Funktionen im öffent­lichen Leben der Stadt Bern. Nach dem Studium in Berlin, Heidelberg und Bern, das er als Doktor der Jurisprudenz und mit dem Patent als bernischer Für- sprecher (1864) abschloss, wirkte er als Gerichtspräsident und Oberrich- ter (ab 1874). 1880 −1900 lehrte er als hochgeachteter und als ernst be- schriebener Professor für Privatrecht, Handels- und Wechselrecht sowie Kirchenrecht an der Universität Bern. Er gehörte dem Stadtrat, zeitweilig als Vizepräsident, und während insgesamt 25 Jahren, beginnend in den 1860er-Jahren, dem Burgerrat an. Der Zunftgesellschaft zu Schmieden stand er als Präsident vor. Als Jurist setzte sich Albert Zeerleder in verschiedenen Publikationen mit dem Sparkassenwesen, der eidgenössischen Haftpflichtgesetzgebung und den Handvesten von Bern und Thun auseinander. Auch die bernische Geschichte fand sein starkes Interesse. Als Präsident des Münsterbauvereins war er dank seiner guten Beziehungen zum damaligen Münster- baumeister für die Turmvollendung (1889 −1893) mit verantwortlich.

Reorganisation Ende 1852 wurde die bisherige burgerliche Beamtung eines Stadtlehen-Kom- missärs aufgehoben. Die Archivarsfunktion ging mit einer angemessenen Ge- haltszulage auf den Sekretär der neuen Finanzkommission der Einwohnerge- meinde über.32 Nach einer erneuten Reorganisation des Finanzwesens stellte der Gemeinderat 1864 einen besonderen Archivar an: Albert Zeerleder. Er war verantwortlich für Obhut, Besorgung und Ordnung des Archivs. Erst- mals taucht bei ihm die Amtsbezeichnung «Stadtarchivar» auf.33 Ferner musste er als Rechtskonsulent über Liegenschaften und Vermögenstitel rechtliche Aus- künfte geben. Doch schon 1869 wurde die Archivbetreuung wieder mit dem

14 BEZG N° 01/10 Sekretariat der Finanzkommission verbunden.34 Der Archivar war also erneut primär Sekretär der Finanzkommission und dazu immer noch Rechtskonsu- lent. Zeerleder übernahm die neue Stelle provisorisch bis Ende 1871. Im No- vember wurde aus bloss zwei Bewerbungen Alphons Bandelier vom Gemeinde- rat einstimmig gewählt; er avancierte aber bald darauf zum Stadtschreiber. Schon seit langem war die Notwendigkeit einer neuen Ordnung des Stadt- archivs empfunden worden. Frühere Arbeiten hatten ihren Zweck nicht erreicht. Zeerleder nahm die Aufgabe mit Eifer und Interesse an die Hand und entwarf einen Rettungsplan für das schlingernde Gemeindearchiv.35 Der gegenwärtige Zustand des Archivs sei «ein durchaus unbefriedigender gegenüber den Anfor- derungen, welche an ein wohlgeordnetes Archiv gestellt werden müssen». Als wesentlichste Mängel zählte er folgende Punkte auf:

·· Unvollständigkeit der Urkundenverzeichnisse – diese führten nur bis 1828, andererseits seien Urkunden aufgeführt, die sich nicht mehr im Archiv befänden, ·· Fehlen von Verzeichnissen über die vorhandenen Bücher (Manuale, Urbarien und dergleichen), ·· unzweckmässige Anordnung der Bücher und der Pläne, ·· Unvollständigkeit der Aktensammlung – sie sei seit 1830 nicht mehr fortgeführt worden − und des Registers, ·· fehlende Kontrolle über Ein- und Ausgang von Akten, ·· fehlende Planverzeichnisse sowie ·· Fehlen eines brauchbaren Generalinventars über sämtliches Archivmaterial − das seinerzeit von Messmer angelegte Register sei weder vollständig noch praktisch eingerichtet.36

Die Revision des Stadtarchivs stiess auf das zusätzliche Problem, dass die allei- nige Neuordnung des Archivs der Einwohnergemeinde nicht zu machen war, da vor der Güterausscheidung von 1852 die burgerlichen Behörden die Do­ tationsgüter der Einwohnergemeinde verwaltet hatten und damit alle früheren Akten und Protokolle gemischter Natur waren. Sie betrafen sowohl Gegen- stände, welche die burgerliche, als auch solche, welche die Verwaltung der Ein- wohnergemeinde angingen. Zudem waren die Archivalien noch grösstenteils nicht ausgeschieden. Die Revision konnte also nur erfolgen, wenn der gleiche Beamte gleichzeitig auch das burgerliche Archiv neu ordnete. Der Einwohner- gemeinderat stellte die Frage nach der Anstellung eines gemeinschaftlichen

Erne: Stadtarchiv 15 Archivars. Schliesslich verständigten sich die Behörden 1865 darauf, dass der Archivar des Gemeinderats die Revision ausführte und die Einwohnergemeinde 2/5 an die Kosten leistete.37 Die Archivrevision begann in der zweiten Hälfte des Jahres 1865 und wurde 1869 vollendet. Der Verwaltungsbericht orientierte über die vorgenommenen Arbeiten:38

«Der zeitraubendste und mühsamste Theil der Arbeit war die Anlage eines neuen und vollständigen chronologischen Verzeichnisses der älteren Originalur- kunden, welche, nur vom 14. bis Ende des 16. Jahrhunderts in der Zahl von über elfhundert, gelesen und ausgezogen, und nach jetzt üblicher Weise datirt wur- den. Das auf diese Weise entstandene Regestenwerk ist für den Forscher im Ge- biete der Kultur- und Rechtsgeschichte, der Ortsnamenskunde und älteren To- pographie reich an Notizen, besonders in Betreff des Gebietes am linken Ufer des Bielersees, wo die vormaligen Kloster-Rebgüter gelegen waren, welche un- ter der Helvetik der Stadt Bern auf Rechnung ihres Municipalgutes abgetreten wurden. Auch für die innere Geschichte der Stadt sind einige Urkunden von In- teresse, wie z. B. der Kauf um die Wasserwerke an der Matte und die grosse Schwelle vom Jahr 1369 u. A. m.»39

Ein alphabetisches Personen- und Sachregister zu sämtlichen Urkunden bis 1800 erleichterte den Zugriff. Auch zu Manualen mit Rechtsgutachten und Be- richten über Rechts- und Verwaltungsgegenstände sowie zu den Manualen der städtischen Behörden wurden Generalregister erstellt. Wichtige Bestände aus dem Archiv der Baukommission im Holzwerkhof wurden dem Stadtarchiv ein- verleibt. Andererseits sollten Akten zu nicht mehr der Stadt gehörenden Besit- zungen an die entsprechenden Verwaltungen herausgegeben werden. So schied Zeerleder die zum Burgerspital gehörenden Urkunden aus. Die Burgergemeinde beteiligte sich mit einem Drittel an den Kosten der Register zu den Manualen der früheren gemischten Verwaltung.

Das Archivreglement Nach vollzogener Revision erliess der Gemeinderat 1869 ein Archivreglement, das Aufbau und Benutzung regelte.40 Das Stadtarchiv umfasste folgende Abtei- lungen:

A Protokolle, Manuale und zugehörige Aktensammlungen der Behörden, Kommissionen und Beamtungen, nach Jahrgängen in Theken geordnet;

16 BEZG N° 01/10 Nachdem die Einwohnergemeinde seinen Standort zum Bauplatz für das Bundesrathaus auserwählt hatte, musste der Stadtwerkhof nach 1850 zum unteren Hirschengraben ausweichen. Nebst Werkzeugen für Holzbearbeitung und weiterem Material bot er auch Aktenbeständen Asyl. Werkhof Bundesgasse. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 17 B Urkunden über das Eigentum und die rechtlichen Verhältnisse der Einwohnergemeinde (ohne Wertschriften), worüber ein chronologisches und ein alphabetisches Verzeichnis zu führen war; C Pläne, soweit sie zu den Urkunden gehören (die übrigen verwahrte das Stadtbauamt in einem eigenen Planarchiv); D Rechnungen, die zusammen mit den Belegen nach zehn Jahren vom Rechnungsrevisor abzuliefern waren; E Druckschriften, von allen wichtigeren je einige Exemplare; F Aktensammlungen über besondere Geschäfte; G ältere Manuale, Instruktionen- und Urkundenbücher sowie Urbarien, die von der Burgergemeinde 1853 an die Einwohnergemeinde übergeben worden waren; H Akten und Gegenstände, die nicht die Gemeindeverwaltung selbst betrafen.

Das Reglement legte den Zeitpunkt der Ablieferung und die Ordnung der Akten fest und schrieb dem «Archivariat» die Art der Verzeichnung und die sachge- mässe Aufbewahrung vor. Ausser bei Gegenständen von rein geschichtlichem Interesse war die Akteneinsicht durch Dritte nur mit Bewilligung des Präsiden- ten der Finanzkommission möglich. Der Stadtarchivar hatte das Archiv in gu- ter Ordnung zu halten, die Kassation von Archivalien bei der Tit. Finanzkom- mission zu beantragen und «im Einverständniss mit dem Archivar des Burgerrathes für gehörige Reinhaltung und Lüftung der Archivräume und mög- lichste Fernhaltung des schädlichen Staubes zu sorgen».41

3. Der Übergang zur modernen Leistungsverwaltung 1888−1916

Professionalisierung und Direktorialsystem Die Entwicklung der Stadt nach der Mitte des 19. Jahrhunderts brachte stei- gende Anforderungen an die Stadtverwaltung mit sich. Die neuen Dienstleis- tungen für die wachsende Bevölkerung konnten mit dem ehrenamtlichen Ver- waltungssystem nicht mehr bewältigt werden. Das revidierte Gemeindereglement von 1887 schuf die Grundlagen für die zunehmende Professionalisierung des Gemeinderats und die Reorganisation der Verwaltung im Sinne des Direktori- alsystems, das die Verwaltung in Direktionen aufteilte und diese je einem Ge- meinderat unterstellte. Die Gemeindeversammlung wich der Urnenabstimmung, und ein Stadtrat von 80 Mitgliedern wirkte als Legislative.

18 BEZG N° 01/10 Rudolf Stettler (1844−1916), Sekretär der Finanzkommission und Stadtarchivar 1875−1888 Dr. iur. Rudolf Stettler war der letzte Archivar der burgerlichen Ära des Stadtarchivs. Seine Tätigkeit bei der Einwohnergemeinde endete mit der definitiven Ausscheidung der städtischen und der burger­li­chen Archivalien und dem Auszug der Burgerkanzlei aus dem Erlacherhof. Abgesehen vom Mandat im Stadtrat zwischen 1900 und 1912 ver- lagerte sich danach sein Wirkungsgebiet zur Burger­gemeinde hin, wo er in verschiedenen Funktionen langjährig tätig war. So amtete er als Vor­sitzender der Ge- sellschaft zu Obergerwern zwischen 1898 und 1915, als Burger­­rats­schreiber ab 1893 sowie ab 1880 als Mitglied und 1907 als Präsident der burgerlichen Oberwaisenkammer. Der als lie­benswert und heiter beschriebene Stettler war ausserdem während 17 Jahren Kirchgemein­ derat der Münstergemeinde. Infolge gesundheitlicher Probleme musste er 1913 seine mannig­ fachen Aktivitäten aufgeben.

Eine wesentliche Neuerung betraf das Stadtarchiv: die Zugehörigkeit zur Stadt- kanzlei per 1. Januar 1889.42 Die Übertragung der Verwaltung des Stadtarchivs von einem Beamten der Finanzverwaltung zum Stadtschreiber erschien nahe- liegend, da alle Urkunden und wichtigen Aktenstücke über den Stadtschreiber liefen und dieser auch über alle Verhandlungen der Gemeindebehörden aus ver- gangener Zeit Auskunft geben musste. Andererseits konnte sich nunmehr «die Finanzdirektion eines besonderen Rechtskonsulenten füglich entschlagen», weil im Gemeinderat mehrere Juristen sässen.43 Administrativ gehörte die Stadtkanz- lei zur Präsidialabteilung, weshalb gemäss der Geschäfts- und Kanzleiordnung des Gemeinderats, die das Archivreglement ablöste, jeweils der Stadtpräsident die nötigen Weisungen bezüglich der Benützung des Archivs durch Dritte er- teilte.44

Immer wieder Raumfragen Am 1. Mai 1888 wechselte die Burgerratskanzlei vom Erlacherhof in das Tschar- nerhaus am Münsterplatz 12. Der Gemeinderat hatte zwar gewünscht, das bis- herige Verhältnis fortdauern zu lassen, doch infolge des neuen Organisations- reglements der Einwohnergemeinde und der damit verbundenen Reorganisation ihrer Verwaltung sah sich der Burgerrat zum Wegzug genötigt. Aus diesem An- lass erfolgte nun die vollständige Ausscheidung der Aktenbestände der Burger- gemeinde und der Einwohnergemeinde, die bis anhin in gemeinschaftlichen

Erne: Stadtarchiv 19 Räumen im Erlacherhof untergebracht gewesen waren. In einem Briefwechsel vereinbarten die beiden Gemeinden, dass die Burgergemeinde die Urkunden, Manuale, Aktensammlungen, Rechnungen und übrigen Bestände, die ihr 1852 zugesprochen worden waren, an den neuen Ort mitnahm, dass hingegen die äl- teren Bestände auf Vorschlag der Einwohnergemeinde wie bisher im Erlacher- hof belassen wurden. Dieses Material sei sehr vielschichtig und werde weniger benutzt als das neuere Material. Selbstverständlich könnten die burgerlichen Behörden weiterhin in dieses Material Einsicht nehmen. Auf Empfehlung des ehemaligen Stadtarchivars Zeerleder wurden noch folgende Punkte beschlos- sen: 1. sollten die ca. 1200 Urkunden aus der Zeit zwischen 1200 und 1500 von bloss historischer Bedeutung im Erlacherhof verbleiben, ebenso 2. die Arbeiten über das Sönderungsgeschäft von 1803; 3. sollten Urbarien und Instruktionen- bücher des Burgerspitals diesem übergeben und Doubletten vernichtet werden, und 4. sollten ältere handschriftliche Rechtssammlungen wegen ihrer rechts- historischen Bedeutung an die Stadtbibliothek abgegeben werden.45 Der Gemeinderat stimmte am 13. Juni 1888 dem Antrag der Armendirek- tion auf Verlegung des Armenbureaus in die frei werdenden Lokalitäten des Kanzleiarchivs im Parterre des westlichen Erlacherhofflügels zu.46 Das Stadtar- chiv zügelte mit Akten, Manualen und Rechnungen der Stadtbehörden ins Mit- telgebäude.47 Einige Jahre später erwogen die burgerlichen Behörden den Kauf des Erlacherhofs und fragten deshalb die Einwohnergemeinde nach dem Preis; der Gemeinderat setzte ihn auf Fr. 35 000.00, doch es kam zu keinen weiteren Verhandlungen.48 Immerhin genoss die Burgergemeinde einen besonderen An- spruch, denn auf eine vertrauliche Anfrage der deutschen Gesandtschaft ant- wortete der Stadtpräsident, der Erlacherhof könne allenfalls nur der Burgerge- meinde Bern verkauft werden.49 Die Archivlokale vermochten damals nicht mehr zu genügen. Die städtische Baudirektion suchte nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten. Auch die Abgabe von Akten aus der Zeit vor 1798 an das Staatsarchiv wurde vorgeschlagen.50 Der Stadtrat genehmigte sogar einen Kredit von Fr. 3500.00 für die Einrichtung ei- nes genügend grossen und feuersicheren Archivs im Erlacherhof.51 1913 bestä- tigte Stadtpräsident Adolf von Steiger (1859−1925) bei der Behandlung des Ver- waltungsberichts im Stadtrat, dass die Archivverhältnisse der Stadtkanzlei «teilweise ungenügend» seien, eine Neugestaltung sei dringend notwendig.52 In der Zwischenzeit versuchte Stadtschreiber-Stadtarchivar Bandelier mit einer Archivrevision der Raumnot Herr zu werden. So beantragte er in einem längeren Schreiben vom 18. Mai 1914 an den Stadtpräsidenten, es sei ihm die

20 BEZG N° 01/10 Nach dem Auszug der Burgerkanzlei aus dem Westflügel und der dortigen Einrichtung des Armenbureaus brachte die Stadtkanzlei die Bestände des Stadt- archivs innerhalb des Erlacherhofs an verschiedenen Standorten neu unter. Project zu Verlegung des gegenwärtig im stadtaufwärtigen Seitenflügel befindlichen Archives, 24.5.1888. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 21 Ermächtigung zu erteilen, die Anzahl der aufbewahrten Exemplare in der Druck- schriftensammlung (Stadtratsanträge und -protokolle, Botschaften, Verwal- tungsberichte, Reglemente und Verordnungen) abgestuft nach Jahrgang und Bedeutung zu reduzieren. Er schloss mit der Bemerkung: «Um das Archiv be- herrschen zu können, muss man sich auf das Nützliche und Nötige beschrän- ken.» Der Stadtpräsident gab handschriftlich sein Einverständnis mit folgender Einschränkung: «Es sollten von den frühern Jahrgängen jeweilen im Minimum 20–25 Exemplare aufbewahrt werden.»53 Die eiserne Ration war damals noch Chefsache …

Neueinrichtung im Erlacherhof 1915 Für die Verlegung von Teilen des Stadtarchivs ins Erdgeschoss des stadtaufwär- tigen Flügels des Erlacherhofs, wo sich ehemals das burgerliche Archiv befun- den hatte, bewilligte der Gemeinderat 1914 Fr. 4 000.00.54 Ebenso wurde in die- sem Jahr beschlossen, dass zwecks Archivbereinigung einige Stücke dem Staatsarchiv zur Aufbewahrung – nicht zum Eigentum – überlassen würden.55 Bandelier orientierte in einem Rechenschaftsbericht den früheren Berner Staats- archivar und damaligen Bundesarchivar, Professor Heinrich Türler, über die vorgesehene Neuordnung der Bestände im renovierten Archivraum. Er unter- schied folgende Abteilungen:

I. lehensrechtliche Eigentumsurkunden 1146–1800, Urbarien, Rechts- und Rechnungsbücher bis zur Helvetik, II. handschriftliche Rechnungen bis 1852 oder eher bis 1900, III. Aktenbände, IV. Commissionalakten bzw. Aktensammlungen der einzelnen Verwaltungsabteilungen, V. Manuale der Behörden bis 1852, vielleicht bis 1888.

Mit Ausnahme der Urkunden, die von Zeerleder registriert worden waren, be- durften alle Abteilungen einer neuen oder zumindest revidierten Verzeichnung. Im Archivgewölbe des Bubenbergturms sollten fortan die Urkunden ab Beginn des 19. Jahrhunderts und die Manuale ab 1852 oder 1888 aufbewahrt werden. Dort befanden sich auch wie bisher die bei der Stadtverwaltung hinterlegten Letzten Willensverordnungen. 1887 hatte die Stadtkanzlei den Testamentsdienst eingerichtet, bei welchem in Bern wohnende Personen ihre Testamente zur Auf- bewahrung übergeben konnten. Sowohl die einfache Vormerkung als auch die

22 BEZG N° 01/10 Alphons Bandelier (1843 − 1918), Sekretär der Finanzkommission und Stadtarchivar 1871−1874, Stadtschreiber und Stadtarchivar 1888−1916 Alphons Bandelier, Sohn des Pfarrers, Regierungsrates und Gemein- derates Simon Peter Alfred Bandelier (1800−1860) und der Cécile Morel, blieb zeitlebens ledig. Als promovierter Jurist und Fürsprecher trat er 1871 in den Dienst der Stadtverwaltung. Dank hoher Arbeits- effizienz rückte er 1874 zum Stadtschreiber auf, nachdem er seit 1872 zusätzlich stellvertretende Aufgaben für den bisherigen Amtsinhaber übernommen hatte. Eben- falls 1874 erfolgte die Aufnahme ins Berner Burgerrecht als Mitglied der Zunftgesellschaft zum Affen. Legendär war Bandeliers Nächstenliebe, die ihn zum Stadtoriginal werden liess. Selbstlos, obwohl durch die Geschäfte Verwandter in Amerika praktisch ruiniert, teilte er seine Habe mit den Bettlern und Armen und hauste äusserst bescheiden in einem Zimmer im Buben­ bergturm neben dem Erlacherhof. Seine teure Amtswohnung hatte er weitervermietet. Die kärgliche Lebensweise griff seine Gesundheit an. Bereits 1908 war er krankheitshalber für längere Zeit nicht in der Lage, seiner Arbeit nachzugehen. Im Februar 1916 brach er mitten in der Arbeit zusammen und bedurfte fortan der Pflege, bis er am 18. Juli 1918 an den Folgen der damals grassierenden Spanischen Grippe starb. Bandelier hinterliess ein Testament, worin die Stadt Bern sowie seine zahlreichen Patenkinder begünstigt wurden. Nach der Bestattung in Bremgarten fragte der Bezirk Courtelary an, ob die Leiche exhumiert und in Bandeliers Heimat­ ort Corgémont beerdigt werden könne. Dies geschah dann am 7. Januar 1919.

Aufbewahrung waren unentgeltlich.56 Damit beherbergte der Westflügel eher den älteren und das Turmarchiv den neueren Teil des Stadtarchivs. Türler äus- serte in seiner Antwort sein Einverständnis und verwies auf den zu erwarten- den Raumbedarf für den Zuwachs, weshalb die bisherigen Archivräume nicht entbehrt werden könnten.57 Der Verwaltungsbericht vermeldete die Fertigstel- lung des neuen Lokals: «Damit werden die historischen Schätze des Stadtar- chivs erschlossen und der wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich ge- macht.»58 Auffällig orientierte der Verwaltungsbericht ab 1915 ausführlicher über Archivbelange als früher.

Kriegsjahre Die wachsende Arbeitsbelastung infolge der zunehmenden Aufgaben der Ge- meinde veranlasste den Stadtrat, auf 1. April 1913 neben neun andern Stellen die Schaffung derjenigen eines Adjunkten des Stadtschreibers zu genehmigen.59

Erne: Stadtarchiv 23 Das Bubenbergtor ist der einzige alte Südausgang zur Matte hinunter. Um 1750 wurde der Torturm mit dem westlich angrenzenden Erlacherhof verbunden. Im Raum mit dem Querovalfenster über dem Torbogen befanden sich stets Aktenbestände. Alt Bern: Bubenbergtreppe und Tor (Bowextürli). Postkarte. – SAB.

24 BEZG N° 01/10 Die Wahl fiel auf Fürsprecher Hans Markwalder, der Bandelier auch als Proto- kollführer im Stadtrat ablöste.60 1916 beantragte der Gemeinderat dem Stadt- rat, 1. es sei dem infolge Krankheit pensionierten Stadtschreiber Bandelier «für die während 48 [sic!] Jahren in getreuer und vorbildlicher Pflichterfüllung ge- leisteten Dienste der verbindlichste Dank auszusprechen» und 2. es sei u. a. die Stelle des Stadtschreiber-Adjunkten durch einen «Bureauchef der Stadtkanzlei, zugleich Stellvertreter des Stadtschreibers» zu ersetzen. Der Stadtrat erhob sich in dankbarer Ehrung des gewesenen Stadtschreibers und genehmigte die Neu- organisation der Stadtkanzlei, wobei allerdings die Einreihung der Stelle eines Ausläufers am meisten zu diskutieren gab. In der Folge konnte ein zusätzlicher Kanzlist für archivalische Arbeiten angestellt werden.61 Am 2. Juni 1916 wählte der Stadtrat den bisherigen Stadtschreiber-Adjunk- ten Hans Markwalder einstimmig zum neuen Stadtschreiber; in der Debatte hatte die sozialdemokratische Fraktion die Stellenausschreibung kritisiert, die das bernische Fürsprecherpatent zwingend für die Stadtschreiber-Stelle ver- langte.62 Das Amt des Stadtschreiber-Stellvertreters bekleidete von 1916 bis 1937 Ernst Thut. Wegen der Kriegsumstände musste auch der Archivgehilfe für Kanz- leiarbeiten herangezogen werden. Immerhin konnte die Neuordnung und Neu- katalogisierung des Drucksachenarchivs durchgeführt werden. Die Beeinträch- tigung der Archivarbeiten während des Militärdienstes anderer Beamten der Stadtkanzlei dauerte bis zum Ende des Krieges 1918 fort. Neugeordnet und ka- talogisiert wurden sämtliche Rechnungen und Manuale. 1917 bemängelte die Geschäftsprüfungskommission die teilweise immer noch ungenügende Unter- bringung der Akten. Die notwendige Neuregistrierung des Archivmaterials sei im Gang, erfolge aber wegen Mangel an Arbeitskräften nur schrittweise.63

4. Die Ära Markwalder 1916−1950

Auswertung der «historischen Schätze» Noch vor seiner offiziellen Wahl durch den Stadtrat hatte Hans Markwalder die Nachfolge Bandeliers als Stadtschreiber angetreten.64 In seiner über 34-jähri- gen Amtszeit prägte er das Stadtarchiv durch seine magistrale Persönlichkeit und führte es souverän durch die schwierigen Zeiten zunächst der Nachkriegs- zeit nach 1918, dann der krisenhaften 1930er-Jahre und schliesslich des Zwei- ten Weltkriegs hindurch. Wie bisher kein Zweiter hat er die Bestände des Stadt- archivs für Jubiläums- und andere stadtgeschichtliche Schriften ausgewertet. Nach Fertigstellung übergab er die Publikationen jeweils offiziell dem Stadtrat,

Erne: Stadtarchiv 25 Hans Markwalder (1882−1963), Stadtschreiber und Stadtarchivar 1916−1950 Nach Studien in Bern, Berlin und Paris arbeitete Fürsprecher Hans Markwalder ab 1909 als Gerichtspräsident in Laupen und trat 1913 als Stadtschreiber-Adjunkt in den Dienst der Stadt Bern. Als Stadt- schreiber und Stadtarchivar erreichte er mit 34 Dienstjahren die bis anhin längste Amtsdauer in dieser Funktion. Als Leiter des Stadtar- chivs entwickelte er eine besondere Neigung zu historischen The- men. Nach seiner juristischen Dissertation über die Stadtberner Gemeindeverwaltung zu Be- ginn der Helvetik verfasste er zahlreiche weitere Publikationen zur Geschichte der Stadt. Er gehörte zu den Mitbegründern der «Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde» und hatte in gemeinderätlichem Auftrag historische Jubiläumsanlässe zu organisieren. Beliebt wa- ren seine Lichtbildervorträge, die von den Zeiten des alten Berns oder der baulichen Entwick- lung der Stadt handelten. Für seine Verdienste um die Stadt Bern verlieh ihm die Burgerge- meinde das nur selten vergebene Ehrenburgerrecht.

Verzeichnis der Schriften von Hans Markwalder: 1926 Der Einfluss der Mediation auf die Gemeindeorganisation der Stadt Bern 1927 Die Stadt Bern 1798−1799. Die Neuorganisation der Gemeindeverwaltung 1928 Der Erlacherhof / Die Stadtbeleuchtung in Bern 1760 bis 1843 1929 Der Teuerungskrawall in Bern am 17. und 18. Oktober 1846 / Das Bierbrauereigewerbe in früheren Jahrhunderten in Bern / Das Hotel der französischen Botschaft in Bern 1839–1844 / Die Berner Stadthausfrage vor 100 Jahren 1932 Die Stadtwache von Bern im XVIII. Jahrhundert 1935 Vom Wirtschaftswesen im alten Bern und vom Klötzlikeller an der 1937 Das Handwerk im alten Bern / Der Kampf um den / Die Eigentumsverhältnisse an den Lauben der Stadt Bern 1939 Der Laupenkrieg 1339 1941 750 Jahre Bern 1944 Der Stadtrat von Bern 1946 Das Rebgut der Stadt Bern am Bielersee 1947 Das Bad Weissenburg im Simmental / Die Güterausscheidung zwischen der Burgergemeinde und der Einwohnergemeinde der Stadt Bern 1948 Bern wird Bundessitz 1951 Thurn Buch Ihro Gn: Schloss Thun 1739

26 BEZG N° 01/10 wofür er den verbindlichsten Dank empfing. Die Verdankung der Broschüre über den Erlacherhof wurde 1928 mit dem Wunsch verknüpft, «es möchte auch fernerhin der Stadtgeschichte durch derartige Publikationen volle Aufmerksam- keit geschenkt werden».65 In einer Interpellation vom 28. Januar 1944 erlaub- ten sich jedoch die Stadträte Fritz Schwarz und Fritz Pfister (beide Freiwirt- schaftsbund), den Gemeinderat zu fragen, «ob nicht die sehr wertvollen Darstellungen des Stadtschreibers und seines Stellvertreters [Bernhard Wull- schleger] aus der Vergangenheit der Stadt Bern fortgesetzt und ergänzt werden sollten durch die Behandlung von Gegenwarts- und Zukunftsfragen».66

Markwalders Interessen standen in engem Zusammenhang mit der 1915 prog- nostizierten Erschliessung der «historischen Schätze» des Stadtarchivs.67 Be- reits 1917 wurde vermeldet, dass erfreulicherweise nun auch das Stadtarchiv wissenschaftlich immer mehr benützt und bearbeitet werde.68 Konkrete Hin- weise sind allerdings in den folgenden Verwaltungsberichten nur ausnahms- weise zu finden. 1929 war zu erfahren, dass das Archiv «in vermehrtem Masse als bisher von Drittpersonen in Anspruch genommen» werde.69 Im folgenden Jahr stellte das Archiv Studierenden der juristischen Fakultät zur Ausarbeitung rechtshistorischer und nationalökonomischer Arbeiten um- fangreiches Material zur Verfügung. Der Bericht schliesst mit der folgenden Feststellung: «Es bedeutet die Benützung des Stadtarchivs zu wissenschaftli- chen Arbeiten eine sehr erwünschte Bereicherung der Stadtgeschichte und der Darstellungen verwaltungstechnischer Vorgänge.»70 Verschiedentlich wird in den Verwaltungsberichten auf die rege Nachfrage nach Forschungen zu Stammbäumen und Familienwappen hingewiesen.71 Hauptsächlich seien es Familien, die sich seit Generationen im Ausland befän- den, die grosses Interesse an ihrem ursprünglichen Herkommen und ihren ver- wandtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz bekundeten. Anfragen wegen Fa- milienwappen konnten aber nur zum kleinen Teil beantwortet werden und wurden jeweils dem Staatsarchiv überwiesen.72

Ordnen und Erschliessen Am Anfang von Markwalders Tätigkeit standen kantonale Vorschriften, die das Archivwesen neu regelten. Am 26. November 1918 erliess der Regierungsrat eine Verordnung über die Verwaltung der Gemeindearchive, wonach in jeder Ge- meinde ein trockener, heller, gut lüftbarer und feuersicherer Raum einzurich- ten war, der ferner gut zugänglich und verschliessbar sein sollte. Die Innenaus-

Erne: Stadtarchiv 27 stattung hatte eine grösstmögliche Garantie für die sichere Aufbewahrung zu bieten. Ferner bestimmte der Erlass, welche Schriften im Gemeindearchiv auf- bewahrt werden sollten, und schrieb die Führung eines genauen Archivregis- ters vor. Der Gemeinderat hatte jedes Jahr wenigstens einmal darüber Beschluss zu fassen, was nun ins Archiv abzuschieben sei.73 Später konkretisierten Aus- führungsbestimmungen über die Arten von Akten und die Fristen für deren Auf- bewahrung die Grundsätze.74 In Markwalders Amtszeit sind die intensivierten Anstrengungen, die Be- stände des Stadtarchivs zu erschliessen und damit besser zugänglich zu ma- chen, auffällig. Es wurden u. a. folgende Massnahmen durchgeführt:75

·· Die städtischen Urkunden, die bis 1146 zurückreichen, wurden einer Revision unterzogen und neu erfasst, wobei der Bestand als intakt bezeichnet werden konnte. ·· Das Planarchiv, das die vom städtischen Vermessungsamt herkommenden Pläne aus der Zeit vor 1798 ergänzte, wurde revidiert und mit einem neuen Register versehen. ·· 1924 führte man die Archivierung nach Materien in Blechschachteln ein, die sich in der Folge bewährte, indem anhand der Register eine sofortige umfassende Orientierung über ein Geschäft sowohl in den Protokollen wie in den zugehörigen Akten möglich war. Bei älteren Geschäften – archiviert vor 1924 –, die sich über mehrere Jahre erstreckten, mussten die Akten in den verschiedenen Jahresbänden zusammengesucht werden. ·· Während diese Archivierung nach Pertinenzen noch 1945 gelobt wurde, erfolgte 1949 die neue Aufstellung der Archivbestände, die neu gebunden und angeschrieben, nach Verwaltungsabteilungen zusammengeschlossen und innerhalb der Direktionen chronologisch geordnet wurden, was die Einführung des Provenienzprinzips bedeutete und die Bearbeitung neuer Kataloge erforderte. ·· Im Zusammenhang mit Markwalders Dissertation über die Neuorganisa- tion der Gemeindeverwaltung 1798 −1799 begannen 1925 die über Jahr- zehnte nach Kräften weitergeführte Sichtung und Registrierung der Akten aus der Zeit des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert, der Helvetik, der Mediationszeit und aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. ·· Über den ganzen Bestand des Westflügelarchivs wurde eine Kartothek angelegt, die die Benützung dieses Aktenmaterials ausserordentlich erleichterte.

28 BEZG N° 01/10 Ein Beitrag des Stadtarchivars zur Stadtgeschichte: die geschichtliche Darstellung des Kleinods unter den städtischen Besitztümern. Das Rebgut der Stadt Bern am Bielersee. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 29 ·· Ebenfalls zum Bücherbestand des Stadtarchivs und der Stadtkanzlei sowie über juristische Literatur und Entscheide im bernischen Gemeinde- wesen wurden Karteien erstellt.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hatte Markwalder gleichzeitig zwei grosse Herausforderungen zu bewältigen: neben der Vorbereitung und Umsetzung der Totalrevision der Gemeindeordnung vom 1. / 2. Mai 1920, die für die nächs- ten vier Jahrzehnte die Grundlage der Stadtverwaltung bleiben sollte, die ad­ min­istrative Durchführung der Eingemeindung der Einwohnergemeinde Bümpliz in die Stadt Bern, die in der Stadtberner Gemeindeabstimmung vom 28. / 29. September 1918 und eine Woche später in der Gemeindeversammlung von Bümpliz per 1. Januar 1919 beschlossen worden war. Die Gemeindefusion bedeutete auch die Zusammenlegung der Gemeindearchive. Die Überführung der Bümplizer Akten ins Stadtarchiv zögerte sich dann allerdings hinaus. Die 1920 vorgenommene Inspektion der ehemaligen Gemeindeschreiberei Bümpliz durch den Regierungsstatthalter II ergab, dass das Archiv im Keller des Dorfschulhauses nicht den gültigen Vorschriften entsprach.76 Erst 1949 wurde es nach Bern transportiert und nach Sichtung der Bestände im Erla- cherhof als besondere Abteilung untergebracht.77 1957 und 1974 folgten noch weitere Bestände.78 Die Bearbeitung der noch kaum erschlossenen Akten so- wie die Neuordnung und Katalogisierung als Abteilung B dauerten dann von 1981 bis 1985. Trotz des praktisch eingerichteten Lokals im Westflügel fehlte weiterhin ge- nügender Platz zur systematischen Ordnung des Materials. Angesichts der an- dauernden Ausdehnung der im Erlacherhof untergebrachten Verwaltungs- zweige musste daran gedacht werden, das Stadtarchiv neuerdings zu verlegen. Eine gewisse Entlastung brachten 1924 einige Räume im Parterre des Morlot­ hauses an der Junkerngasse 32, in dessen Besitz die Stadt 1913 gelangt war. Dank der Schliessung der Stadtkanzlei-Filiale in Bümpliz im Jahre 1928 erhielt das Stadtarchiv einen feuersicheren Schrank aus der Kirche Bümpliz und brachte darin die auf der Stadtkanzlei deponierten Testamente, das laufende Testamentenbuch und andere Urkunden von Bedeutung unter.

Krisen- und Kriegsjahre Von einer Verlegung des Stadtarchivs war in den folgenden Jahren nicht mehr die Rede. Die Zeitumstände brachten neue Probleme mit sich, mit denen die Archivleitung vordringlich fertigzuwerden hatte.

30 BEZG N° 01/10 Erlacherhof. Archivalien auf Regal. Foto von Carl Jost, Bern, ca. 1935. – StAB.

Erne: Stadtarchiv 31 Gleich zu Beginn der 1930er-Jahre häuften sich die Kanzleiarbeiten derart, dass sowohl die Archivarbeiten − mit Ausnahme der laufenden Geschäfte wie der Be- reitstellung von Unterlagen − als auch die historischen Arbeiten des Stadtschrei- bers gänzlich zum Erliegen kamen. Aushilfsweise konnte ein arbeitsloser kauf- männischer Angestellter beschäftigt werden, der sich als «gut brauchbar und fleissig» erwies.79 Zwischen 1933 und 1945 wurden im Rahmen von Arbeitsbe- schaffungsaktionen für das Buchbindergewerbe Hunderte von Bündeln alter und neuer Akten geordnet und eingebunden. Die genauere Verzeichnung des Inhalts dieser 12 bis 15 cm dicken und unhandlichen Bände steht bis heute aus. Bei der Benützung schlugen sich die Zeitumstände in genealogischen An- fragen vor allem von deutschen Staatsangehörigen nieder, die mit den damali- gen Rassengesetzen im Deutschen Reich konfrontiert waren. Die Besinnung auf die eigene Geschichte und die tradierten Werte veranlasste 1938 Vertreter von Staatsarchiv, Stadtarchiv, Stadtbibliothek und Historischem Museum, gemein- sam eine Vierteljahresschrift als Nachfolgerin des «Berner Taschenbuchs», das 1934 nach 83 Jahrgängen eingegangen war, unter dem Titel «Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde» (BZGH) ins Leben zu rufen. Markwalder er- öffnete mit seiner bereits früher entstandenen Studie über die Lauben in der Stadt Bern das erste Heft, welches auf den 1. Januar 1939 herauskam.80 Im glei- chen Jahr erschien als Festgabe des Organisationskomitees der Laupenschlacht- feier seine volkstümliche, illustrierte Schrift «Der Laupenkrieg 1339» unter dem Motto: «Aus der Geschichte der Vorfahren lerne Schweizer werden».81 Sie wurde an sämtliche Schüler und Schülerinnen des Kantons vom 7. Schuljahr an ab- gegeben und sollte damit einen Beitrag zur Wehrertüchtigung der Berner Ju- gend leisten. Zwei Jahre später stand bereits wieder ein Jubiläum an, das nebst Umzug und anderen Aktivitäten mit einer Festschrift zu feiern war. Der Gemeinderat erteilte dem Stadtschreiber und Stadtarchivar den entsprechenden Auftrag. Markwalder verfasste zur Erinnerung an die 1191 erfolgte Gründung der Stadt Bern eine populäre Darstellung der bernischen Geschichte, die am offiziellen Gedenktag, dem 7. September 1941, den Ehrengästen sowie den Klassen der Mittelschulen und den obersten Primarschulklassen geschenkweise überreicht wurde.82 Mobilisation und erhöhte Geschäftslast zwangen während der Kriegsjahre 1939−1945 das Archivpersonal mehrfach zur Mithilfe in der Stadtkanzlei. Ein- schneidende Massnahmen waren für die Sicherheit der im Erlacherhof tätigen Personen und für die Archivbestände nötig. Schon vor Kriegsausbruch, am

32 BEZG N° 01/10 28. April 1939, hatte der Gemeinderat den Baudirektionen I und II den Auftrag erteilt, die Frage der Erstellung eines bombensicheren Archivs im Erlacherhof oder in dessen Nähe zu prüfen. Aufgrund des Projekts des Bauinspektorats vom 20. Juli 1939 83 wurde dem Stadtrat für die Errichtung von Luftschutzräumen in einem städtischen Verwaltungsgebäude

·· für die erste Etappe (Archiv) ein Kredit von Fr. 68 000.00 ·· für die zweite Etappe (Luftschutzraum) ein Kredit von Fr. 61 000.00 beantragt. Aufgrund des stadträtlichen Beschlusses vom 13. Oktober 1939 er- mächtigte der Gemeinderat am 16. Oktober 1939 die Baudirektion I, beide Bau- etappen sofort in Angriff zu nehmen und auszuführen.84 Bis zur Fertigstellung des neuen Archivraums wurden die wichtigsten Be- stände des Turm- und des Westflügelarchivs wohlverpackt und registriert in einen ausserhalb des Erlacherhofs eingerichteten Sicherheitsraum ausgelagert. Nach Beendigung der Umbauten im Kellergeschoss des Erlacherhofs konnte im Laufe des Jahres 1941 das im Parterre gelegene Westflügelarchiv von neuem be- zogen und ein Teil der Archivakten wieder dort untergebracht werden. Auch das bombensichere Archiv wurde um diese Zeit eingerichtet. Im Verlaufe des Herbs- tes 1945 kehrten schliesslich die restlichen evakuierten Archivalien in den Er- lacherhof zurück.

Markwalders Rechenschaftsbericht Der Verwaltungsbericht von 1949 rapportierte ausführlicher als üblich über die Geschicke des Archivs und bezog einen Rückblick über die letzten zehn Jahre mit ein.85 Von neuem hatte sich eine drückende Raumnot ergeben, wollte man nicht wiederum ganz ungeeignete, feuergefährliche Räumlichkeiten für die Archivierung benutzen. In dieser Situation hatte der Gemeinderat einge- willigt, den Luftschutzkeller im Westflügel des Erlacherhofs, bestehend aus einem grösseren und einem kleineren Raum, dem Archiv zur Verfügung zu stel- len. So konnte zur Neuordnung der Archivbestände unter Verwendung der ver- schiedenen Räumlichkeiten geschritten werden. Man lebte nach dem Grund- satz, ältere und damit wertvollere Akten im Erlacherhof, neuere Akten im Morlothaus aufzubewahren. Für die älteren übernahm man die Aufstellung nach der seinerzeit von Zeerleder vergebenen fortlaufenden Nummerierung, für die neueren wählte man die Ordnung nach Direktionen. Die Urkunden ab 1146 waren wieder unter doppeltem Verschluss im Turmarchiv versorgt.

Erne: Stadtarchiv 33 34 BEZG N° 01/10 750 Jahre Bern, Jugendfestzug am 7. September 1941, Primarschule Kirchenfeld: Motto «Kinderfahrzeuge», oben Mädchen, unten Knaben. Fotos von Rudolf Jansky, Bern, 1941. – SAB.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs liess der Gemeinderat im Erlacherhof Luftschutzräume und ein bombensicheres Archiv erstellen. Erstellung von Luftschutzräumen Junkerngasse 47– 49, 1939. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 35 «Bei diesen Voraussetzungen kann nun das Stadtarchiv auf einen Stand gebracht werden, der dessen Benutzung ausserordentlich erleichtert und der es nun bei den neu fixierten Standorten und der systematischen Ordnung der Archivalien rechtfertigt, ein gedrucktes Archiv-Inventar zu bearbeiten und herauszugeben, was kleinere Städte als Bern bereits veranlasst haben.»86 Mit diesen optimistischen Worten endete Markwalders Bericht. Doch seine Nachfolger teilten diese Einschätzung nicht. Markwalders Ära folgte die totale Reorganisation.

5. Vom Geheimarchiv zum öffentlichen Archivinstitut 1951−1953

Ausgangslage Dank der Initiative des neuen Stadtschreibers Bernhard Wullschleger gelang 1951 der entscheidende Schritt zum längst notwendigen Ausbau des Stadtar- chivs. Als Sachverständiger wirkte Walter Biber, seit 1943 Urkundenbearbeiter im Arbeitsausschuss für die Herausgabe der Kunstdenkmälerbände des Kan- tons Bern, mit. In einem Bericht über die baulichen Veränderungen und die innere Organisation des Stadtarchivs vom Dezember 1951 analysierte er die räumliche und organisatorische Situation des Stadtarchivs.87 Räumlich war das Stadtarchiv auf vier voneinander getrennte Standorte verteilt:

1. grösserer und kleinerer Luftschutzraum. 2. Turmkammer im Bubenbergturm. 3. Westflügel des Erlacherhofs. 4. Erdgeschoss im Morlothaus, Junkerngasse 32.

Der allgemeine Luftschutzraum des Erlacherhofs, der umfangreiche und wich- tige Archivalien beherbergte, war nach dem Zweiten Weltkrieg mit Archivge- stellen ausgerüstet worden, musste nun aber wieder dem ursprünglichen Zweck zugeführt werden. Die Schaffung neuen Archivraums war daher unaufschieb- bar. Eine weitere Dezentralisierung der Archivbestände widersprach nach Bi- ber der «neuzeitlichen Bedeutung eines Archivs»: Dieses sei «nicht mehr nur Aktenmagazin, sondern ein benutzbares und übersichtliches Arbeitsinstrument für die praktischen Erfordernisse der Verwaltung und die wissenschaftlichen Bedürfnisse der Forschung».88 Im Archivwesen habe ein Wandel stattgefunden: «Während das Archiv früher nur dem Historiker ein Begriff war, wenden sich heute neben dem Gelehrten auch der Staatsmann, Beamte, Angestellte und

36 BEZG N° 01/10 Kaufmann an die Quellen der Vergangenheit, um die Geschichte ihrer Vorfah- ren, ihrer Heimat, ihres Vereins oder ihres Berufes kennen zu lernen.»89 Die langfristige Lösung liege in der Einrichtung eines einzigen, geräumigen Archivraums. Das «Compactus-Archivierungssystem» gewährleiste maximale Raumausnützung, Sicherheit und eine «gesunde» Konservierung der Akten. Die Zentralisierung sämtlicher Archivalien würde dem Stadtarchiv als Bestandteil der Stadtkanzlei seinen eigentlichen Sinn geben. Ferner sei ein Be- nützerraum ins Bauprogramm einzubeziehen, damit die Akteneinsicht nicht wie bisher in einem Büro oder in einem der Archivräume erfolgen müsse. Schliesslich sei die unmittelbare Verbindung von Archiv- und Benützerraum die ideale Lösung. Mit einer solchen Unterbringung würde sich «das Stadt­archiv aus dem Zustand des Aktenmagazins zu einem öffentlichen Archivinstitut er- heben, das dazu berufen ist, das Alte zu bewahren, das Zerfallende bildlich oder gedanklich zu retten und das gegenwärtige Leben der Stadt Bern in seinen relevanten Äusserungen aufzufangen, das die Zukunft einmal als Ge- schichte studieren wird 90». Zur organisatorischen Situation hielt Biber fest, dass die Ordnung des Stadt- archivs rückständig sei, da sie noch auf den Archivabteilungen von Messmer und Zeerleder aus dem 19. Jahrhundert beruhe. Die Durchnummerierung von Aktenbänden möge für jene Zeit zweckdienlich gewesen sein, «weil die Archi- vierung damals soviel wie Magazinierung bedeutete.» Sachlich zusammenge- hörige Aktenbände seien in unterschiedlichen Räumen deponiert. Die grösste Rückständigkeit bestehe aber darin, dass die Akten ungesichtet abgelegt wurden, also ohne zu prüfen, was aufbewahrenswert war. Dies sei darauf zu- rückzuführen, dass das Stadtarchiv bis anhin immer noch im Sinne der Kanz- leiordnung von 1888 als «Geheimarchiv» geführt worden sei. Drittpersonen hät- ten nur mit Bewilligung des Stadtpräsidenten Zugang gehabt. Entsprechend seien auch die vorhandenen Register dürftig, unvollständig und uneinheitlich.91 Nach der zentralen Unterbringung sollten Sichtung, Ordnung und Registrie- rung die nächstliegenden und dringlichsten Arbeiten sein, war Bibers Fazit. Fer- ner kämen als neuzeitliche Aufgaben eines öffentlichen Archivs u. a. folgende hinzu:

·· systematischer Ausbau der ortskundlichen Dokumentation, ·· Publikationen ortsgeschichtlichen Inhalts, ·· Stadtgeschichtsschreibung (neueste Zeit), ·· Quellenpublikationen.

Erne: Stadtarchiv 37 Bernhard Wullschleger (1908−1988), Stadtschreiber und Stadtarchivar 1951−1953 Wie sein Vorgänger war auch Bernhard Wullschleger Fürsprecher und Dr. iur. Seine Karriere in der Stadtverwaltung begann er 1933 als Direktionssekretär der Städtischen Verkehrsbetriebe. 1939 wurde er zum Stadtschreiber-Stellvertreter gewählt. Zu seinen besonderen Leistungen als Stadtschreiber gehörten der Erlass der Personal- und Besoldungsordnung 1949, die Total­re­vision der Gemeindeordnung 1963 mitsamt den späteren Ausführungsbestimmungen sowie die Aus­arbeitung der Ge- schäftsreglemente von Stadt- und Gemeinderat ebenfalls 1963. Wullschleger zeichnete sich durch stoische Gelassenheit aus und galt als passionierter Pfeifenraucher. Technischen Neu- erungen stand er aufgeschlossen gegenüber, wie im Falle des Stadtarchivs die Installierung der 1953 hochmodernen Compactus-Anlage und 1955 die Einführung des Mikrofilmdienstes zei- gen. Noch teils unter Markwalder wirkte er bei Feiern und Publikationen zu historischen An- lässen mit (z. B. 100 Jahre Gaswerk 1943). Er war Mitglied der burgerlichen Gesellschaft zum Distelzwang.

Umbauprojekt Der Gemeinderat folgte in seinem Antrag an den Stadtrat vom 5. Dezember 1951, der dort am 14. Dezember 1951 zur Behandlung kam, vollständig Bibers Überlegungen. Er betonte, dass die gegenwärtige Aufbewahrung in keiner Weise dem zu betreuenden Archivgut entspreche, worunter sich wertvolle und bedeu- tende Stücke befänden. Zu den älteren Archivalien gehörten rund 3000 Akten- bände, 250 Pläne und 1300 Urkunden. «Diese historisch wichtigen Dokumente verleihen dem Stadtarchiv Ansehen und wissenschaftlichen Rang. Aber auch die Archivalien aus jüngerer und jüngster Zeit sind dokumentarisch bedeutsam.»92 Auf die Frage, wie sich weiterer Archivraum gewinnen lasse, vertrat der Ge- meinderat die Auffassung, dass das Stadtarchiv wegen der personellen und funk- tionellen Verbindung zur Stadtkanzlei an den Erlacherhof und seine unmittel- bare Nähe gebunden sei, weshalb die Möglichkeiten nicht gross seien. Die Lösung lag in der Überbauung des 12,00 × 8,60 m grossen Hofs im Erdgeschoss zwischen Vorder- und Hinterhaus der Nachbarliegenschaft Junkerngasse 49 und der Verwendung eines Compactus-Systems zur maximalen Raumausnützung. 100 Tonnen Archivalien sollten auf über 2000 Laufmetern Tablarflucht Platz fin- den. Diese Kapazität erlaubte es, sämtliche Bestände des Stadtarchivs in der neuen Anlage zusammenzufassen, wobei die Hälfte des Platzes als Reserve frei

38 BEZG N° 01/10 bliebe und eine Lösung auf lange Sicht erreicht wäre. Ferner waren Büroräume und Lesegelegenheit für Besucher vorgesehen. Damit seien die räumlichen Voraussetzungen gegeben für den angemessenen Ausbau des Archivdienstes. Der Antrag veranschlagte folgende Bau- und Einrichtungskosten:

Bauarbeiten Fr. 74 000.00 Compactus-Archivanlage Fr. 66 000.00 Renovation der Büros und Nebenarbeiten Fr. 18 000.00 Anschaffung von Mobiliar für den Archivvorraum Fr. 5 000.00 Total Fr. 163 000.00

Die Geschäftsprüfungskommission des Stadtrats besichtigte in Zürich eine Com- pactus-Archivanlage, liess sich von deren Vorteilen überzeugen und hiess die Vorlage einstimmig gut. Der Stadtrat genehmigte den Antrag ohne weitere Dis- kussion.93 Die Rechnung schloss einen Ergänzungskredit des Gemeinderates vom 22. April 1953 für das Mobiliar von Fr. 3 500.00 und Mehrausgaben von Fr. 31 483.60 (+19 %) mit ein, was der Stadtrat ebenfalls diskussionslos bewil- ligte.94 Die Bauarbeiten begannen im Sommer 1952. Parallel dazu liefen die Vor- bereitungen für die Neuorganisation des Archivs. Mitte Juni 1953 wurden die bisher verstreuten Archivalien nach einem Standortplan im neuen Archiv zu- sammengefasst.

Eröffnung Nach 150 Jahren seit der Entstehung, genau am 1. Juli 1953, fand die offizielle Eröffnung des neuen Stadtarchivs im Parterre des Westflügels des Erlacherhofs statt. Im Vorraum − ehemals eine Velogarage − begrüsste die neue Stadtfahne die Besucherinnen und Besucher, und Gregorius Sickingers Planvedute der Stadt Bern von 1603 in der soeben von der Schuldirektion neu herausgegebenen Re- produktion machte sie auf den Tätigkeitsschwerpunkt der zu betretenden Ins- titution aufmerksam. Von dort gelangten sie in den Empfangs- und Leseraum, in welchem erstmals Besucher-Arbeitsplätze zur Verfügung standen. Dahinter − im früheren Kohlenraum − folgte das Büro des Stadtarchivars. Der Archiv- raum lag seitlich hinter einer dicken Panzertüre. Die Rollgestellanlage hatte In- genieur Hans Ingold aus Luzern konstruiert und galt als technisches Wunder- werk. Sie bestand aus 31, insgesamt 20 Tonnen schweren Holzgestellen, die, von einem Elektromotor betrieben, auf im Boden eingelegten Metallbändern liefen, und wies gemäss Werkangabe eine totale Tablarlänge von genau 1763,28 Lauf-

Erne: Stadtarchiv 39 metern auf. Nach damaliger Berechnung hätte dies für einen Aktenzuwachs während 75 Jahren ausreichen sollen – bereits 20 Jahre später begann die Raum- reserve knapp zu werden. Die Compactus-Anlage bot jedenfalls eine maximale Raumausnützung. Eine Klimaanlage sorgte für eine gleichbleibende Luftfeuch- tigkeit und eine regulierbare Temperatur und damit für optimale Bedingungen zur Lagerung des Schriftguts. Stadtpräsident Otto Steiger liess es sich nicht nehmen, persönlich die stadt- bernische Presse zur Besichtigung zu begrüssen, worauf Stadtschreiber Bern- hard Wullschleger durch das gelungene Werk führte. Die hellen, freundlichen Räume und die Compactus-Anlage lösten bei den Gästen Begeisterung und Stau- nen aus. In den Zeitungsartikeln hiess es euphorisch: «Bern besitzt jetzt ein äus- serst modern eingerichtetes, zweckdienliches und vor allem auch würdiges Stadtarchiv.»95

6. Bestandeswachstum und Sicherheitsfragen 1953−1975

Vollamtlicher Stadtarchivar Walter Biber, der die bauliche und organisatorische Erneuerung des Stadtar- chivs seit 1951 systematisch und sachkundig geleitet hatte, war noch vor deren Abschluss auf den 1. April 1953 halbamtlich zum Stadtarchivar gewählt wor- den. Damit wurde der Weg beschritten, der schon 1945 mit der Forderung nach Verselbständigung des Amtes des Stadtarchivars infolge des raschen Anwach- sens der Archivbestände gefordert worden war, und das Stadtarchiv zur eige- nen Abteilung der Stadtverwaltung erhoben.96 Ab 1. April 1955 versah Biber den neu geschaffenen, vollamtlichen Posten eines Stadtarchivars, wobei er aber noch eine Zeit lang dem Arbeitsausschuss für die Herausgabe der «Kunstdenkmäler des Kantons Bern» halbtägig zur Verfügung stand, was der Stadt jährlich rück- vergütet wurde.97 Eigentlich hätte die Arbeit im Stadtarchiv schon damals ei- nen vollamtlichen Leiter erfordert.98 Als Mitarbeiter stand ihm für alle prakti- schen Arbeiten Adolf Dürig zur Seite. Am 29. August 1953 fand eine Besprechung des Stadtschreibers und des Stadtarchivars mit den in Archivfragen zuständigen Beamten der Direktionen zur Koordinierung der künftigen Zusammenarbeit statt. Der Gemeinderat hatte den Verwaltungsabteilungen in Erinnerung gerufen, dass sie ohne Beiziehung des Stadtarchivars keinerlei Archivbestände vernichten durften, und dem Stadt- archivar den Auftrag erteilt, die Direktionsarchive zu besichtigen.99 In der Folge erhielt das Stadtarchiv laufend namhaften Zuwachs durch die Ablieferung von

40 BEZG N° 01/10 Der Umbau im Westflügel des Erlacherhofs verschaffte dem Stadtarchiv genügend Platz, um die verstreuten Verwaltungsakten zusammenzuführen und die Ablieferungen aus den Direktionen während der nächsten Jahrzehnte entgegenzunehmen. Gleichzeitig erfolgte der Schritt zum öffentlich zugänglichen Archiv. Im Bild Empfangs- und Leseraum. Neues Stadtarchiv 1953. Foto von Walter Nydegger, Bern, 1953, Nachlass im StAB. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 41 Walter Biber (1909−2005), Stadtarchivar 1953 −1975 Der erste vollamtliche Berner Stadtarchivar stammte aus Thalwil und war in Zürich aufgewachsen. Als studierter Musikwissenschaftler, Kunst­­­historiker und Germanist (Abschluss 1942 als Dr. phil.) arbeite­te er ab 1943 an den Kunstdenkmälerbänden des Kantons Bern mit. 1953 übernahm er zunächst halbamtlich die neu geschaffene Archiv- stelle (ab 1955 vollamtlich). Hervorzuheben aus Bibers Tätigkeit als Stadtarchivar ist die totale Erneuerung des Stadtarchivs, verbunden mit einer Neuordnung der Bestände nach einem Standortplan in der damals neuartigen Com- pactus-Anlage. Ebenfalls unter seiner Leitung wurde die Bibliothek reorganisiert und eine stadt- geschichtliche Dokumentation aufgebaut. Weit über die Stadt hinaus bekannt wurde Biber dank den mit Leidenschaft betriebenen Studien zur Geschichte der Schweizer Militär- und Blasmusik.

Altbeständen aus den Direktionen. Bis 1962 hatten alle Direktionen ihre ältes- ten Bestände (bis 1920) ans Stadtarchiv abgeliefert. Wie ein erratischer Block wirkte das umfangreiche, aber völlig ungeordnete Archiv der Einwohnerkontrolle. Da die meisten Bände weder datiert noch be- zeichnet waren, verlangte die chronologische und sachgemässe Einordnung eine genaue Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung der betreffenden Verwaltungsabteilung. Mit den bis 1900 reichenden Einwohnerregistern kam auch die bisher von der Einwohnerkontrolle erledigte Erteilung genealogischer Auskünfte, soweit sie das 19. Jahrhundert betrafen, ans Stadtarchiv. Der wach- sende Bestand zwang dazu, entsprechende Findmittel anzulegen. 1955 wurde die systematische Generalsichtung und Inventarisierung des gesamten Archiv- gutes zur Schaffung eines einheitlichen Handkatalogs in Angriff genommen. Der Verwaltungsbericht verkündete dazu 1958 programmatisch: «Eine sorgfäl- tige Sichtung des Archivgutes und das Anlegen zuverlässiger und lückenloser Register vom Generalinventar bis zum Materialverzeichnis des einzelnen Ban- des standen auch im Berichtsjahr für das Stadtarchiv an erster Stelle. Langsam rücken die seit vielen Jahren museal aufgestapelten Bestände an den ihnen ge- schichtlich zukommenden Platz, wo sie, wenn Nachschlagungen gemacht wer- den müssen, jederzeit greifbar sind. Das Stadtarchiv erfreut sich denn auch mehr und mehr des Zuspruchs der interessierten Kreise.»100 Zehn Jahre später stellte Biber zum Stand der Erschliessung der Verwal- tungsakten fest, dass die Abteilungen 1 (Urkunden), 3 (Polizeiwesen), 4 (Bau- wesen) und 7 (Finanzwesen) bis auf den neusten Zuwachs in Simplex-Bänden

42 BEZG N° 01/10 Grobgliederung des Stadtarchivs 1955 101 I. Archivalien A Alte Abteilung (Bestände vor 1803) B Urkundenabteilung (sämtliche Urkunden ab 1146 chronologisch geordnet) C Neue Abteilung (neue Bestände sämtlicher Direktionen) D Bümplizarchiv (seit 1919 dem Stadtarchiv einverleibte Archivalien der ehemaligen Gemeinde Bümpliz) E Drucksachenabteilung (sämtliche alten und neuen Druckschriften der Gemeinde in 1– 3 Exemplaren) F Planabteilung II. Dokumentation Sammlung des gesamten die Stadt Bern betreffenden Schrifttums, das nicht in Buchform erschienen ist (Zeitungsausschnitte, Zeitschriftenaufsätze, Flugschriften u.ä., Bildmaterial jeder Art) III. Bibliothek Handbibliothek im Leseraum mit auswechselbaren Seiten inventarisiert und für die Abteilungen 0 (alte Ab- teilung) und 4 (soziale Fürsorge) Brouillons erstellt worden seien. Die Signatu- ren bezogen sich auf ein eigenes, das ganze Archiv umfassendes Zahlenord- nungssystem nach dem Vorbild der Dezimalklassifikation.102 Damit das Archiv als stadtkundliche Auskunftsstelle schnell und zuverlässig funktionieren konnte, wurden noch folgende Register angelegt und gegebenen- falls laufend weitergeführt:

·· Generalregister über den Inhalt sämtlicher Verwaltungsberichte von 1852 bis 1934, ·· alphabetisches Register der Hintersässenrödel vor 1804, ·· Gesamtregister der gedruckten Botschaften seit 1888, ·· Register über alle Stadtpräsidenten und Gemeinderäte seit 1852 mit politischer Zugehörigkeit, ·· Zettelregister über die gedruckten Verordnungen und Vorschriften seit 1804, ·· Zettelregister über die Einbürgerungen, ·· Planregister, ·· Urkundenregister nach Sachen und Personen ab 1925.

Erne: Stadtarchiv 43 Sammeln und Benützen Entsprechend seiner Aufgabe, die Rechte der Stadt zu wahren, sammelt das Ar- chiv alle städtischen Urkunden und Vorschriften. Beide Sammlungen waren stark angewachsen, sodass sie 1968 neu geordnet, beschriftet und verzeichnet werden mussten. Auf 1. Februar 1969 trat Dr. Hans Peter Matter als juristischer Mitarbeiter in die Stadtkanzlei ein und übernahm u. a. die Betreuung der städ- tischen Vorschriftensammlung. Auf Grund früherer Vorarbeiten konnte noch im gleichen Jahr ein systematisches Register erstellt werden, das alle gültigen städtischen Vorschriften und gemeinderätlichen Weisungen (mit Ausnahme der Personalvorschriften und der Sonderbauvorschriften) umfasste. Es wurde jähr- lich aktualisiert und gedruckt.103 1970 wandelte man die Stelle des Beauftrag- ten für die Vorschriftensammlung in die eines Rechtskonsulenten mit erweiter- ten Funktionen um. Zum Auftritt als öffentliches Archiv gehörte auch die erweiterte Sammlung nichtamtlichen Schriftguts. Die Bibliothek, in deren Mittelpunkt die der Stadt Bern und ihrer Geschichte gewidmeten Publikationen stehen, wurde als Prä- senzbestand neu geordnet und durch Ankäufe aus dem Antiquariat ergänzt. Auch drängten sich intensive Bemühungen auf, alle für die Stadt dokumenta- risch wichtigen Aufsätze, Zeitungsberichte und anderweitigen Schriften dem Archiv zu sichern. Die relevanten Artikel aus den stadtbernischen Tageszeitun- gen wurden für die stadtkundliche Dokumentation gesammelt, jährlich in gross- formatigen Bänden gebunden und in einer Kartei verzeichnet. Unsystematisch, aber zunehmend häufiger erwähnten die Verwaltungsbe- richte ab 1954 die Benutzung der Archivbestände. Es gehörte nun unbestritten zur Zweckbestimmung des Stadtarchivs, das Archivgut nicht nur sorgfältig zu betreuen und zu pflegen, sondern es auch Dritten, vorweg der wissenschaftlichen Forschung, zugänglich zu machen. Die Rede ist vom regen Besuch durch Aus- senstehende, von der Beantwortung ständig einlaufender Anfragen und der Er- teilung von Auskünften sowohl an die Verwaltung wie auch an Forschende aus dem Ausland. Immer mal wieder erschienen Amerikaschweizer persönlich im Archiv. Die Anfragen in der genealogischen Sparte wurden mitunter zur Belas- tung. Wie ein Seufzer tönt folgende Bemerkung im Verwaltungsbericht: «Es scheint, dass das Stadtarchiv bei den Amerikaschweizern immer mehr als Aus- kunfts- und Vermittlungsstelle bekannt geworden ist.»104 Allerdings bestanden in gewissen Fällen auch Zugangsbeschränkungen. So vermerkte Biber auf einem Fragebogen: «Das Archiv ist öffentlich, doch werden neuere wichtige Akten nur unter Zustimmung des Stadtschreibers aufgelegt. Jeder Archivbesucher hat sich

44 BEZG N° 01/10 persönlich auszuweisen, und er muss angeben, zu welchem Zwecke er die Nach- schlagungen betreibt. Gegenwärtig werden Anfragen aus den Oststaaten mit gröss- ter Vorsicht behandelt.»105 Zeitweise stark in Anspruch genommen wurden der Archivar und sein Gehilfe durch den Auftrag des Gemeinderats, die Geschichte der Stadtpolizei in einer Jubiläumsschrift festzuhalten,106 und durch die Mitwir- kung im Kantonalkomitee für den Berner Tag an der Expo in Lausanne 1964.

Mikrofilmdienst Gestützt auf einen Bericht der Stadtkanzlei vom 10. Dezember 1953 beschloss der Gemeinderat am 13. Januar 1954 grundsätzlich die Einführung des Mikro- films in der Stadtverwaltung zur Sicherung des Archivguts und veranlasste, dass die weiteren vorbereitenden Arbeiten in Verbindung mit den beteiligten Verwal- tungsabteilungen an die Hand genommen wurden.107 Ein kleiner Ausschuss, dem auch ein mit dem Mikrofilm vertrauter Fotograf angehörte, befasste sich im Einzelnen mit den organisatorischen und technischen Fragen. Ende August konnte die Stadtkanzlei dem Gemeinderat definitive Anträge unterbreiten. In der Folge wurde eine zentrale Mikrofilmanlage im bisherigen Archiv im Morlot­haus (Junkerngasse 32) eingerichtet und Anfang März 1955 in Betrieb genommen. Die Leitung des Mikrofilmdienstes lag bei einem Beamten der Stadtkanzlei, ab 1969 bei Louis Jaquet (1916−2005), Stadtschreiber-Stellvertreter 1969−1981, der seinerzeit die Vorarbeiten für die Einführung besorgt hatte. Für die anfäng- lich nur aushilfsweise versehene Funktion der Verfilmung wurde 1960 die Stelle eines Photographen-Bürogehilfen geschaffen. Er hatte auch die Herstellung der Testamentskopien für die Testamentsabteilung der Stadtkanzlei zu besorgen. Für diese Arbeit wurde ein Rank-Xerox-Kopiergerät verwendet. Über die Anwendungsmöglichkeiten der Mikroverfilmung verfasste der be- auftragte Beamte der Stadtkanzlei eine zusammenfassende Darstellung, der mehrere Hefte unter dem Titel «Der Mikrofilm in der Verwaltung» zu Handen der Verwaltungsabteilungen folgten. Als Erstes wurden die Pläne und die wei- teren Unterlagen des Vermessungsamtes verfilmt, dann folgten die Leitungs- pläne des Gaswerks und der Wasserversorgung. Auch die wertvollsten Akten aus dem Stadtarchiv nahm man auf. Die Verfilmung der gerollt aufbewahrten und mit Siegeln versehenen Urkunden war umständlicher, sodass die grösste Sorg- falt geboten war. Systematisch wurde das Verfilmen wichtiger Akten und Doku- mente aus Sicherheitsgründen erweitert. Das Hauptkontingent der verfilmten Unterlagen lieferte somit das Stadtarchiv. Zur externen Aufbewahrung der Filme wurde zusammen mit dem Kanton ein Sicherheitsarchiv in einem Stollen der

Erne: Stadtarchiv 45 Aus Sicherheitsgründen und im Falle der Baubewilligungsakten auch aus Gründen der praktischeren Handhabung wurde 1955 die Mikroverfilmung in der Stadtverwaltung eingeführt. Aus heutiger Sicht kommt dem Mikrofilm in konservatorischer Hinsicht grosse Bedeutung zu, da er ebenso hohen Haltbar- keitserwartungen genügt wie beispielsweise Pergament. Links Mikrofilmkamera. Mikrofilmdienst im Morlothaus, 1995. – SAB.

46 BEZG N° 01/10 Jungfraubahn im Eiger erstellt. Weil man ein möglichst einfaches System der Beheizung und Entfeuchtung herausfinden und praktisch erproben musste, was längere Zeit in Anspruch nahm, konnte es erst 1957 in Betrieb genommen wer- den. Die dort untergebrachten Filme wurden erstmals im Mai 1958 auf ihre Haltbarkeit geprüft. Die Stichproben fielen positiv aus. Gleichzeitig ersetzten Aufbewahrungsdosen aus Aluminium jene aus Blech, eine Massnahme, die die Sicherheit des Aufbewahrungsgutes erhöhte. Weitere Kontrollen erfolgten alle zwei Jahre. Ab 1972 werden im Eigerstollen auch Datenträger der städtischen Datenverarbeitung untergebracht. Die zunächst praktizierte Sicherheitsverfilmung wurde in den 1970er-Jah- ren durch die Ersatzverfilmung ergänzt. Am 24. August 1972 stimmte der Stadt- rat der Mikroverfilmung der Baubewilligungsakten zu.108 Dabei sollte der Mikro­ film an die Stelle der Originalakten treten, wodurch sich für das Bauinspektorat eine grosse Platzersparnis ergab. Die Kamera-Ausrüstung und die Räumlich- keiten des Mikrofilmdienstes wurden an die neuen Anforderungen angepasst. Von den auf Mikrofilm aufgenommenen Baubewilligungsakten sonderte das Stadtarchiv 1977 1200 Mäppchen mit erhaltenswerten Bauplänen, darunter alle die Altstadt betreffenden, für seine Sammlung aus. Die teilweise recht alten Pläne von rund 400 weiteren Gebäuden, die aus Platzgründen hätten vernich- tet werden müssen, wurden den Hausbesitzern angeboten und von diesen in 72 % der Fälle abgeholt.

7. Erweiterung des Dienstleistungsbetriebs 1975−1989

Neue Abteilung 1975 regte Stadtpräsident Reynold Tschäppät an, das Stadtarchiv und den In- formationsdienst organisatorisch und räumlich zu einer städtischen Dokumen- tationsstelle zusammenzuführen. Das Stadtarchiv war Teil der Stadtkanzlei, der Informationsdienst in der Präsidialabteilung angesiedelt. Die Anregung fand die informelle Zustimmung der Geschäftsprüfungskommission (GPK). Am 16. Juli 1975 beschloss der Gemeinderat provisorisch die Schaffung der Abtei- lung «Stadtarchiv und Informationsdienst» und unterstellte sie direkt dem Stadt- präsidenten. Stadtarchivar Walter Biber war Ende Juni in Pension gegangen. Als Leiter der neuen Abteilung wurde rückwirkend ab 1. Juli 1975 Guido Schme- zer berufen, seit 1967 Beauftragter für Information. Die GPK stimmte dieser Reorganisation an ihrer Sitzung vom 17. November 1975 formell zu. Es lag nahe, die beiden Tätigkeitsgebiete miteinander zu verbinden: Einerseits er­

Erne: Stadtarchiv 47 Guido Schmezer (geb. 1924), Stadtarchivar und Beauftragter für Information 1975−1989 Guido Schmezer wuchs am Thunersee auf und studierte Deutsch, Englisch und Griechisch (Dr. phil., Gymnasiallehrer). Zunächst arbei- tete er als Redaktor, Programmgestalter und Ressortchef bei Radio Bern sowie als Bildredaktor bei der Schweizer Satirezeitschrift «Der Ne­belspalter». 1967 kam er zur Berner Stadtverwaltung und wurde dort als Beauftragter für Information der erste vollamtliche In- formationschef einer Schweizer Stadt. 1975 übernahm Schmezer im Rahmen einer internen Reorganisation zusätzlich das Amt des Stadtarchivars. Als Erstes nutzte er die Renovation des Erlacherhofs (1975 –1979), um die Archivalien neu zu ordnen. Er schuf ein kleines Informati- onskabinett häufig gebrauchter Unterlagen, baute ein Tonarchiv auf und investierte viel Arbeit in das Bildinventar der Gemeinde. Er war auch selbst um die Erweiterung der Fotobestände besorgt, indem er rund 16 000 Berner Bauten fotografisch dokumentierte. Neben seinen be- ruflichen Aufgaben betätigte er sich vielfach schriftstellerisch («Bern für Anfänger», «Lob der Langsamkeit», «Bärner Platte»), mit besonderem Erfolg unter dem Pseudonym «Ueli der Schrei- ber» («Ein Berner namens …»). Um 1970 bestand innerhalb der Stadtver­waltung für kurze Zeit ein einmaliges Triumvirat von Poeten der Berner Lebensart, als neben Guido Schmezer Klaus Schädelin («Mein Name ist Eugen») als Gemeinderat und der Berner Troubadour Mani Matter als Rechtskonsulent bei der Stadt arbeiteten. gänzten die oft mit beträchtlichem Aufwand erstellten Dokumentationen des Beauftragten für Information, der die Beziehungen zur Öffentlichkeit betreute, die weit in die Vergangenheit zurückreichende Sammlung des Stadtarchivs bis in die Gegenwart; andererseits konnte sich der Informationsdienst auf eine viel breitere Grundlage stützen und neben kurzlebigen kommunalpolitischen Aktualitäten auch stadtgeschichtliche Publikationen von dauerndem Wert verbreiten. Räumlich wurden die beiden Dienststellen infolge der Renovation des Erla- cherhofs erst am 19. Februar 1979 zusammengeführt, als der Informations- dienst vom Gesellschaftshaus zum Distelzwang an der Gerechtigkeitsgasse 79 endlich in den Westflügel des Erlacherhofs einziehen konnte. Zur Entlastung des Leiters betreute seit dem 1. Juli 1976 ein Adjunkt (Dr. Peter Leuenberger) das Archiv. Er sollte nach und nach auch für den Informationsdienst eingesetzt werden, während umgekehrt der Leiter weitere Archivaufgaben übernehmen wollte, damit eine vollwertige gegenseitige Stellvertretung möglich würde. Die

48 BEZG N° 01/10 Zusammenlegung der beiden Dienststellen erwies sich in der Praxis als für beide Seiten vorteilhaft. Doch der Adjunkt trat zwei Jahre später wieder aus. 1978 wurde auch der langjährige Archivbeamte Adolf Dürig pensioniert. Auf die Neu- besetzung der Adjunktenstelle wurde verzichtet und eine Sachbearbeiterin (Ma- rianne Howald) sowie ein Archivbeamter (Mario Marti) mit ausgewogenerer Arbeitsteilung eingestellt. Zum Personal kam noch eine Sekretärin mit einem Pensum von 50 % hinzu. Guido Schmezer war es ein Anliegen, engere Beziehungen zum Staatsarchiv, zur Burgerbibliothek, zur Stadt- und Universitätsbibliothek und zu anderen ver- wandten Institutionen zu schaffen, um die Arbeitsgebiete klarer gegeneinander abzugrenzen und die Zusammenarbeit zu verbessern. In Zukunft sollten auch vermehrt Kontakte zum Historischen Institut der Universität Bern geknüpft werden. Eine Frucht dieser Bemühungen war 1982 die Gründung des Vereins Ar- beitsgemeinschaft für Papierrestauration Bern (AGPB) durch Berner Archive, Bibliotheken und Museen. Dem Stadtarchiv bot sich die Gelegenheit, dringende Restaurationen im Atelier der damaligen Stadt- und Universitätsbibliothek aus- führen zu lassen. So wurden etwa zwei aus dem 15. Jahrhundert stammende Bände vor dem Zerfall gerettet. 1994 ging die AGPB in die Schweizerische In- teressengemeinschaft zur Erhaltung von Grafik und Schriftgut (SIGEGS) über, deren Hauptziel die Vermittlung von Information im Bereich der Konservie- rung ist.109

Spezialschränke und Generalkatalog Neue Erkenntnisse über die Konservierung von Archivalien wirkten sich auf die Einrichtungen des Stadtarchivs aus. Spezialschränke und Vorrichtungen für eine übersichtlichere und schonendere Aufbewahrung von Karten und Plänen wurden in der Compactus-Anlage installiert. Zuvor unzweckmässig stehend und gerollt aufbewahrte Archivalien wurden nun flach gelegt oder aufgehängt. An- schliessend erfolgte eine neue Verzeichnung des Plan- und Kartenarchivs. Ab 1989 kamen Aufbewahrungsbehältnisse aus Materialien zum Einsatz, die das Archivgut schonen und besser konservieren, zum Beispiel Schachteln und Map- pen aus säurefreiem Karton. Erstmals erfolgte die aufwändige Restaurierung beschädigter Pläne durch externe Spezialisten. Was den allgemeinen Ordnungszustand des Archivs betraf, so hatte sich Guido Schmezer in einem internen Bericht 1977 deutlich geäussert:110 Viele der Bestände seien noch lange nicht so gründlich erschlossen wie wünschenswert,

Erne: Stadtarchiv 49 einzelne Abteilungen glichen eher Altpapierablagen als geordneten Aktensamm- lungen. Ein Archivreglement und verbindliche Weisungen an die Direktionen über die Ablieferung von Akten fehlten. Auch innerhalb einzelner Abteilungen herrsche Unordnung und es mangle an Signaturen, was Übersicht und rasches Auffinden erschwere. Bibliothek und Drucksachensammlung seien voll von Mehrfachexemplaren. Bilder, Fotos und Dias seien überall verstreut und zum grössten Teil weder angeschrieben noch katalogisiert. Abhilfe sollte zunächst einmal ein Archivplan schaffen, der allerdings bishe- rige Signaturen beibehielt. Sämtliche Namen und Stichworte, die bis anhin in mindestens 15 verschiedenen Karteien verstreut waren, wolle man in einem Ge- neralkatalog zusammenfassen. Die Abteilung Dokumentation wurde von der bisher chronologischen in eine alphabetische Reihenfolge gebracht. Ebenfalls einer Neuordnung unterzogen wurden die Alte Abteilung, die Abteilung Bümpliz und die Fotosammlung, letztere in Verbindung mit einer Erweiterung, indem mit einer eigens angeschafften Kamera Aufnahmen von Personen, Gebäuden und Ereignissen für die Fotosammlung erstellt wurden. Alle Bände der Biblio- thek erhielten Signaturen. Auch räumlich ging es aufwärts, allerdings musste der Fortschritt erdauert werden. Im Dezember 1975 wurde die Fassadenrenovation des Erlacherhofs in Angriff genommen; ebenso erfuhren die Räume im Westflügel sowie im angren- zenden Erlachhaus eine Erneuerung. Die Brandmeldeanlage im Stadtarchiv brachte man auf den neuesten Stand. Das Archiv hatte gegen Lärm, Staub und Raumnot zu kämpfen; Teile des Archivguts mussten mehrmals umgelagert, ge- wisse Arbeitsplätze improvisiert werden. Infolge archäologischer Grabungen war auch die Zugänglichkeit vom Hof her erschwert. Von Unbeteiligten kaum gewürdigt, für die vielfach mit verschmutzten Aktenablieferungen kämpfenden Betroffenen jedoch als äusserst praktisch erwiesen sich im Parterre und im ers- ten Stock des Westflügels neu eingebaute Waschgelegenheiten. Nach fast vier- jähriger Umbauzeit konnte das Stadtarchiv 1979 wie bis anhin im Parterre und neu in den ehemaligen Räumen der Steuerverwaltung im ersten Stock des West- flügels neu aufgebaut werden. Am 16. August 1980 wurde das Ergebnis der Renovation des Erlacherhofs an einem Tag der offenen Tür der Öffentlichkeit präsentiert. Der Architekt bezeichnete im Unterschied zum gleichzeitig reno- vierten währschaften Kornhaus den Erlacherhof als «weiblichen» Bau – wie eine Zeitung vermerkte, unter Beifall der damaligen Stadtschreiberin Elsbeth M. Schaad.111

50 BEZG N° 01/10 Vom Informations- zum Dokumentationsdienst Der Informationsdienst stellte den Informationsfluss von den Behörden (Stadtrat und Gemeinderat) zu den Direktionen der Stadtverwaltung (interne Information) und zu den Medien und der Öffentlichkeit (externe Information) sicher. Intern wurde wöchentlich mit dem Blatt «Bern intern − Informations- blätter der Stadtverwaltung» informiert, extern mit Communiqués und Pressekonferenzen. Für Behörden und Verwaltung wie auch für weitere Inte- ressierte richtete Guido Schmezer 1976 im ehemaligen Büro seines Vorgän- gers im Erdgeschoss des Erlacherhof-Westflügels ein «Informationskabinett» mit den am häufigsten gebrauchten Druckschriften ein. Daneben versah der Informationsdienst eine Reihe weiterer Aufgaben wie das Halten von Refera- ten an Versammlungen und Kursen, den Einsitz in Kommissionen und Ad-hoc-Arbeitsgruppen sowie die Organisation von Anlässen teils politischer Natur wie die jährliche Jungbürgerfeier, teils historischer Natur wie die Jubi- läumsfeier der Schlacht bei Murten 1976 oder die diversen Feierlichkeiten der schweizerischen und deutschen Zähringerstädte. Ein besonderer Auftrag noch vor der Zusammenlegung der beiden Dienststellen war der Informationsfilm über die Stadtverwaltung und ihre Probleme «Z’Bärn» von Charles Zbinden gewesen, der im März 1975 seine Premiere gehabt hatte und danach während zwei Jahrzehnten via Schulfilmzentrale mit grossem Erfolg für den Staats­ kundeunterricht ausgeliehen wurde. Er ist das prominenteste Stück der Film- sammlung des Stadtarchivs.112 1982 übernahm der neu geschaffene Pressedienst der Stadt Bern den politisch-aktuellen Teil der externen Information. Der redimensionierte Infor- mationsdienst verschmolz in der Folge immer mehr mit dem Stadtarchiv zu einem schwergewichtig historisch ausgerichteten Auskunfts-, Beratungs- und Dokumentationsdienst. Daher erfolgte 1985 die Umbenennung der Dienststelle in «Stadtarchiv und Dokumentationsdienst». Dank den kommunikativen Kompetenzen des Stadtarchivars trat das Stadt- archiv unter seiner Ägide vermehrt in die Öffentlichkeit. Nebst unzähligen Re- feraten und «Plaudereien» zur Stadtgeschichte entstanden aus seiner Feder oder mit seiner Mitwirkung einige einschlägige Bern-Bücher und div­erse Jubiläums- schriften.113 U. a. arbeitete das Stadtarchiv auch an der sehr aufwändigen Aus- stellung «Die Zähringer» mit, die im Sommer 1986 in Frei­burg i. Br. rund 25 000 Besucherinnen und Besucher anzuziehen ver­mochte.

Erne: Stadtarchiv 51 Archivraum mit Compactus-Anlage von 1953. Die einzelnen verschiebbaren Gestelle hatten folgende Masse: Länge 7,50 m, Breite 0,60 m, Höhe 2,90 m. Foto von Walter Nydegger, Bern, 1953, Nachlass im StAB. – SAB.

Der stete Kampf um die beste Ordnung und richtige Erschliessung der Akten prägte das Stadtarchiv seit seinen Anfängen. Wegen mangelnder Ressourcen blieben gute Ansätze meistens stecken, neue Bedürfnisse verlangten neue Massnahmen. Schmezers Archivplan aus den 1970er-Jahren berücksichtigte bisherige Strukturen und wurde seither nur noch geringfügig verändert. Archivplan. – SAB.

52 BEZG N° 01/10 Ein Loch im Erlacherhof Schon 1975 hatte der Verwaltungsbericht Anzeichen von Raumnot signalisiert: Die Compactus-Anlage war zu 80 % belegt. In einem internen Bericht bemerkte Stadtarchivar Schmezer zu den baulichen und räumlichen Verhältnissen, das Archiv mache «von aussen und zum Teil auch im Innern einen eher schäbigen Eindruck»; es herrsche Platzmangel und ein Teil der Archivalien werde gar noch im Turmarchiv verwahrt. Die Compactus-Anlage sei eng und überladen. Für noch nicht gesichtetes Material und für solches, das nicht unter Verschluss auf- bewahrt werden musste, gab es keine Magazine.114 Als Sofortmassnahme erhielt das Stadtarchiv einen Raum im ersten Stock des Erlachhauses an der Junkern- gasse 49, das sogenannte Archiv II, das nebst zwei weiteren Räumen instand gestellt wurde.115 Fünf Jahre später war die Raumreserve tatsächlich nahezu aufgebraucht. Neben Entrümpelungsaktionen wurden erste Schritte zur Schaffung neuer Ma- gazine im bisher wegen der Feuchtigkeit nicht mehr verwendeten ehemaligen Luftschutzkeller eingeleitet. Am 19. September 1985 reichte Marc Wehrlin (Jun- ges Bern) im Stadtrat eine Kleine Anfrage ein betreffend ein Loch, welches im Westflügel des Erlacherhofs prange, und niemand wisse etwas von einer ordent- lichen Vorlage. Der Gemeinderat klärte dann den Stadtrat über die dringend nötige Erweiterung des Stadtarchivs auf, beurteilte die gute Nutzung von brach- liegenden Räumen in eigenen Gebäuden als sinnvoll und sah keine Verletzung der Kompetenzordnung. Am 30. Januar 1986 hakte Wehrlin nach, weil der Gemeinderat seinem Vor­ stoss zwar eine glanzvolle Antwort beschieden, aber damit neue Fragen auf- geworfen habe. 1988 beantwortete dann der Gemeinderat diese zweite Kleine Anfrage betreffend «Immer noch dasselbe Loch» etwas eingehender. Danach hatte die Stadtkanzlei als Hausverwalterin des Erlacherhofs dem Hochbauamt den Auftrag erteilt, zulasten des Budgets 1985 den fraglichen Luftschutzkeller für das Stadtarchiv auszubauen. Die um 1940 erstellte Betondecke erwies sich als härter und vor allem als wesentlich stärker armiert, als aufgrund der Pro- bebohrung angenommen worden war, was allerdings nur 0,2 % Mehrkosten verursacht habe, weil die Bohrarbeiten zum offerierten Preis verrechnet wur- den.116 So bezog das Stadtarchiv 1986 den umgestalteten und klimatisierten Keller, der einerseits das bisher unzweckmässig im Estrich untergebrachte Archivgut aufnehmen konnte und andererseits eine dringend nötige Raumreserve schaffte. Im Mai konnten zudem die von der Einwohnerkontrolle abgelieferten Akten in

Erne: Stadtarchiv 53 Stahlschränken mit insgesamt 139 schweren Schubladen dort eingelagert wer- den. In den Rollregalen wurden auch alle anderen Einwohner-Akten übersicht- lich vereinigt. Ein Katalog erfasste diese oft gebrauchten Bände. 1989 trat Guido Schmezer nach 22 Jahren im Dienste der Stadt als Beauf- tragter des Gemeinderats für Information und als Stadtarchivar aus Altersgrün- den zurück.

8. Neuausrichtung zwischen Spardruck und Platznot 1990−2009

Rechtliche und administrative Neuordnung Auf den 1. Januar 1990 wurde das Stadtarchiv wieder in die Stadtkanzlei inte- griert und der neue Stadtarchivar der Stadtschreiberin unterstellt.117 Die aus der Funktion des ehemaligen Beauftragten für Information herrührenden – archiv- fremden − Aufgaben mussten anfänglich noch weitergeführt, aber angesichts der wachsenden archivspezifischen Herausforderungen teils an besser geeignete Dienststellen abgegeben, teils im Rahmen der unter wachsendem Spardruck er- folgten Überprüfung der Aufgaben beendet werden.118 Namentlich die interne Information, insbesondere die wöchentliche Herausgabe der Informationsblätter der Berner Stadtverwaltung «Bern intern», übernahm 1991 das Personalamt.119 Ein langjähriges Desiderat war die Ausarbeitung einer städtischen Archiv- verordnung, die auf der Grundlage der kantonalen Vorschriften120 die bisher ver- streuten Regelungen zur Archivierung der Akten der Stadtverwaltung in einem Erlass zusammenfassen und die bisher mehr zufällige Zusammenarbeit des Stadtarchivs mit den Verwaltungsdirektionen verbindlich regeln sollte. Ein ers- ter Entwurf hatte bereits 1987 vorgelegen. Eine komplette Neufassung fand nach gründlichen juristischen und archivischen Abklärungen und nach zwei Ver- nehmlassungsverfahren bei den Direktionen der Stadtverwaltung 1995 die Zu- stimmung des Gemeinderats.121 Den knapp gehaltenen Verordnungstext, beste- hend aus 15 Artikeln, ergänzen drei Merkblätter, die die Aktenerstellung und Aktenablage in den Dienststellen, die Ablieferung von Akten an das Stadtarchiv und die ausnahmsweise erforderliche Langzeitaufbewahrung von Akten in den Dienststellen regeln. Als Folge der Neuumschreibung der Kernaufgaben des Stadtarchivs wurde ab 1994 der Zusatz «Dokumentationsdienst» ersatzlos fal- lengelassen; die Dokumentation ist seither integrierender Bestandteil des Auf- gabenbereichs des Stadtarchivs. 1994 hatte der Gemeinderat in einer Weisung über die Verwendung von Recyclingpapieren auch die Anforderungen der Archivierung berücksichtigt.122

54 BEZG N° 01/10 Die Revision des städtischen Gebührenreglements vom 21. Mai 2000 nahm ge­­wisse Angebote des Stadtarchivs, die über die Akteneinsichtsrechte gemäss kan- tonaler Informationsgesetzgebung hinausgehen, in den Katalog der kosten­pflich­ tigen Leistungen auf.123 Als Folge der Einführung des New Public Management in der Berner Stadtverwaltung sind Zuordnung und Aufgaben des Stadtar­chivs erneut überprüft und festgelegt worden.124 Demnach stellt das Stadt­archiv einen Bereich innerhalb der Abteilung Stadtkanzlei dar. Seine Aufgaben werden im Pro- duktegruppen-Budget 2010 wie folgt umschrieben: «Die Rechte und Interessen der Stadt sollen durch die Erhaltung der relevanten Unterlagen gewahrt bleiben. Die Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns dank kontinuierlicher Doku- mentierung der wesentlichen Vorgänge gewährleistet die demokratische Legiti- mation des Gemeinwesens. − Die Vertrautheit der Einwohnerinnen und Einwoh- ner Berns mit ihrer Stadt soll durch die Erweiterung der Kenntnis über ihre Geschichte gefördert werden.»125

Erschliessungs- und Personalpolitik Nebst den regelmässigen Ablieferungen der Direktionen der Stadtverwaltung erhielt das Stadtarchiv in der jüngeren Vergangenheit zwei ausserordentliche Bestände. Zum einen konnte 1992 mit Unterstützung des damaligen Stadtprä- sidenten Klaus Baumgartner, der von 1989 bis 1992 Fürsorge- und Gesundheits- direktor gewesen war, der vollständig erhaltene Bestand an Protokollbüchern der Armenkommission sowie an Aktenbänden und Unterstützungsdossiers von 1872 bis um 1960 der ehemaligen Direktion der Sozialen Fürsorge und des Für- sorgeamts vor der Vernichtung bewahrt und als Zuwachs von rund 300 Lauf- metern übernommen werden. Zum andern führte Ende 2007 die Fusion der Stadtpolizei mit der Kantonspolizei (Police Bern) zu einer grossen Aktenablie- ferung, die neben den Dossiers der polizeilichen Zentralregistratur auch Fotos, Filme und diverse Objekte umfasste. Die Übergabe der Korpsfahne der Stadt- polizei an das Stadtarchiv erfolgte im Rahmen der feierlichen Abschiedsveran- staltung im Stade de Suisse Wankdorf am 5. Dezember 2007. Die Erschliessung der Archivbestände bedient sich seit 1990 elektronischer Hilfsmittel. Der Einstieg in die EDV erfolgte allerdings zögerlich. Mit der Be- schaffung eines ersten Personal Computers kam ein Standard-Bibliographie- programm126 bei der Erfassung der Bibliothek zum Einsatz. Auch eine Über- sicht über die Bestände in der Compactus-Anlage wurde erstellt. Schrittweise lösten elektronische Daten die bestehenden Karteien zu einzelnen Sammlun- gen des Archivs ab. Erst nach aufwändiger Evaluation konnte 2006 eine Stan-

Erne: Stadtarchiv 55 Anlässlich des 95. Geburtstags von Walter Biber trafen sich alle bisherigen vollamtlichen Stadtarchivare im November 2004 im Stadtarchiv zu einem Gedankenaustausch über ein halbes Jahrhundert Stadtberner Archivierungs- praxis. Von rechts nach links: Walter Biber, 1953 –1975, Guido Schmezer, 1975 –1989, und Emil Erne, seit 1990. Foto von Franziska Scheidegger, Der Bund, Bern, 2004.

56 BEZG N° 01/10 dard-Archivsoftware zur Erschliessung und EDV-gestützten Verwaltung der Ar- chivbestände beschafft werden.127 Im Hinblick auf den Standortwechsel 2009 wurden in einer forcierten Aktion die Archivbestände in einer Tektonik struk- turiert und grob verzeichnet. In Zeiten der Sparpakete war es bereits ein Erfolg, den Personalbestand ei- nigermassen auf dem gleichen Stand zu erhalten. Eine willkommene Unterstüt- zung brachten seit 1992 Beschäftigungsprogramme, in denen Stellensuchende während durchschnittlich sechs, manchmal auch zwölf Monaten wertvolle Hilfs- arbeiten bei der Sichtung, Ordnung und Aufbewahrung von Ablieferungen er- ledigten. Mehrfach profitierte das Archiv vom Können entsprechend ausgebil- deter Berufsleute bei konservatorischen Massnahmen. Nur in zwei Fällen meldeten sich Personen mit einem Geschichtsstudium. Zwischen 2000 und 2008 engagierte sich das Stadtarchiv in der Ausbildung von Informations- und Dokumentationsassistentinnen und -assistenten, indem es für Angehörige der damaligen Stadt- und Universitätsbibliothek zweimal jähr- lich ein dreimonatiges Archivpraktikum durchführte. Seit 2007 übernimmt das Stadtarchiv das erste Lehrjahr der von der Präsidialdirektion angebotenen kauf- männischen Lehre für Sportlerinnen und Sportler.

Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit Zu den traditionellen Erwartungen an ein Archiv gehört seine Mitwirkung bei historischen Grossanlässen. So beteiligte sich das Stadtarchiv am 800- Jahr-Jubiläum der Gründung der Stadt Bern 1991.128 Im Rahmen des Jubi­ läums 75 Jahre Eingemeindung von Bümpliz in die Stadt Bern 1994 galt es, in Zusammenarbeit mit Paul Loeliger, dem damaligen Leiter des Ortsarchivs Bümpliz, die Geschichte von Bümpliz in einer Ausstellung und einer Broschüre zu dokumentieren.129 Um Archive nachhaltiger im öffentlichen Bewusstsein zu halten, ruft der Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA) seit 1997 alle fünf Jahre zu einem Schweizerischen Archivtag auf, an welchem das Stadtarchiv jeweils einen Tag der offenen Tür organisiert. Eine noch stärkere Kontinuität in die Öffentlichkeitsarbeit brachte der Beitritt des Stadtarchivs zum Verein «museen bern», der auch in Bern ansässige Biblio- theken und Archive umfasst und die attraktiven Berner Museumsnächte durchführt. In Verbindung mit diesen Anlässen gestaltete das Stadtarchiv in den Trep- penhaushallen des Westflügels kleine Wechselausstellungen:

Erne: Stadtarchiv 57 Die Aktivitäten an der Berner Museumsnacht zogen neben den Räumlichkeiten des Stadtarchivs jeweils auch den Mittelteil des Erlacherhofs mit Gemeinde- ratssaal, Festsaal und Stadtkeller mit ein. Geschichte und aktuelle Funktion als Zentrum der städtischen Behörden boten vielfältige Anknüpfungspunkte für attraktive Inszenierungen. So las 2007 die damalige Stadtschreiberin Irène Maeder Marsili aus alten Gemeinderatsprotokollen vor. Foto von Bastian Baumann. – Stadtkanzlei Bern, 2007.

58 BEZG N° 01/10 Die Attrappe des Eingangstors liess 2004 im Innenhof des Erlacherhofs das alte Wankdorfstadion auferstehen. Im Festsaal und in den Gängen zeigten Vitrinen Erinnerungsstücke an das «Wunder von Bern», als Deutschland 1954 überraschend Fussball-Weltmeister wurde. Ausstellung Bern 1954, Hof. Foto von Mario Marti. – Stadtarchiv Bern, 2004.

Fussballweltmeisterschaft 1954 in Bern, Originalobjekte aus dem Stadtarchiv. Foto von Yvonne Bischoff. – Stadtarchiv Bern, 2010.

Erne: Stadtarchiv 59 ·· 2003: Bierbrauereien in Bern ·· 2005: «Es geschah in Bern …» – Ausgewählte literarische Werke mit Handlungsort Bern ·· 2006: Bern und die Tour de Suisse130 ·· 2006: Eine Stadt steht still – Drei Schweigeminuten für Ungarn 1956 in der Stadt Bern. Eine Fotoserie von Walter Studer131 ·· 2007: «Wenn alles wahr wäre …» – Wahlpropaganda zu den Gemeindewahlen in der Stadt Bern zwischen 1937 und 1988 ·· 2007: Berner Stadthausprojekte – Zur Geschichte der Zentralisierung der Stadtverwaltung

Aus diesem Rahmen fielen bisher zwei der vom Stadtarchiv konzipierten Aus- stellungen: 1996 thematisierte eine Ausstellung ausser Haus die Stadtverwal- tung vor hundert Jahren132 und 2004 verwandelte die Ausstellung zum 50-Jahr- Jubiläum der Fussball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern den Erlacherhof in ein Museum. Das sehr gute Echo in schweizerischen und deutschen Medien und 4236 Besucherinnen und Besucher belohnten die vielen ehrenamtlichen Arbeits- stunden.133 Die Aufarbeitung der Geschichte der Stadt und der Stadtverwaltung seit dem Untergang des Alten Bern war bisher nur punktuell erfolgt, beispielsweise in Festschriften von Institutionen oder Monographien zu bestimmten Themen. Bei Überblicksdarstellungen zum 19. und 20. Jahrhundert lag der Fokus jeweils auf dem Kanton und die Stadt Bern wurde allenfalls mehr oder weniger aus- führlich mitbehandelt.134 1995 bot sich dem Stadtarchiv die Gelegenheit, im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms ein wissenschaftliches Projekt zur Verwaltungsgeschichte der Stadt Bern zu starten. Eine Historikerin erstellte aufgrund der rechtlichen Erlasse und der Verwaltungsberichte einen Überblick über sämtliche Aufgaben, die die Stadtverwaltung von 1834 bis 2000 je über- nommen hatte.135 Eine Projektskizze zur geschichtlichen Darstellung der Stadt Bern im 19. und 20. Jahrhundert löste 1999 im Stadtrat eine grundsätzliche Diskussion über den Sinn einer historischen Aufarbeitung von Berns Vergangenheit aus.136 Nach mühsamer Beschaffung der notwendigen Finanzmittel konnten das Stadt- archiv und die Stadt- und Universitätsbibliothek (heute Universitätsbibliothek UB) im Jahre 2000 das Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte der Stadt Bern im 19. und 20. Jahrhundert lancieren. Als Teil der Aktivitäten zum Jubiläum 650 Jahre Bern im Bund wurde das Werk im Herbst 2003 der Öffentlichkeit

60 BEZG N° 01/10 Album des Fahndungs-Bureaus, Band I–II. Foto von Nicolas Kyramarios, Bern, 2005. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 61 Der handkolorierte Stadtplan von Carl von Lerber gibt neben dem Grundriss des überbauten Stadtgebiets auch die Fassaden ausgewählter öffentlicher Gebäude von Bedeutung wieder. Stadtplan 1803. – SAB.

62 BEZG N° 01/10 präsentiert. Es stiess auf derart grosses Interesse, dass die Auflage von 3000 Ex- emplaren innert Monatsfrist vergriffen war.137

Unhaltbare Raumsituation Kurz nacheinander musste der Mikrofilmdienst zweimal verlegt werden: 1999 wegen Umbaus und anderweitiger Nutzung des Morlothauses von dort an die Junkerngasse 56 und im Jahr 2000 wegen Aufgabe gemieteter Räume von dort in den Erlacherhof, wo ein primär als Durchgang benutzter Raum behelfsmäs- sig eingerichtet werden konnte. Die Dislokation des Mikrofilmdienstes war nur eine Begleiterscheinung des Raumproblems, welches das Stadtarchiv seit langem und seit den 1990er-Jah- ren immer heftiger belastete. Aufgrund geänderter Vorgaben der städtischen Raumbewirtschaftung im Erlacherhof musste der Empfang des Stadtarchivs im Parterre des Westflügels zugunsten des allgemeinen Empfangs, den dort die Stadtkanzlei für den ganzen Erlacherhof betreiben wollte, widerwillig preisge- geben werden. Als Kompensation erhielt das Stadtarchiv zwei ehemals vom Pressedienst genutzte Räume im ersten Stock des Hauses Junkerngasse 49 zugewiesen. Damit war das 1953 eingerichtete Stadtarchiv verschwunden – bis auf den Compactus-Raum. Doch dort waren die Platzreserven inzwischen auf- gefüllt worden. 1998 wurde erstmals ein Aussendepot bezogen: Weniger wich- tige und selten benutzte Bestände wurden in einen Schulhauskeller ausgelagert. Weitere Aussendepots kamen hinzu. Im Erlacherhof waren bereits drei Estri- che mit weniger heiklen Archivalien belegt. Weitere Räume standen nicht mehr zur Verfügung oder konnten aus denkmalpflegerischen Gründen nicht zweck- mässig umgebaut werden. Schliesslich erwies sich die Betriebsführung mit ins- gesamt dreizehn verstreuten Räumen im Erlacherhof und vier Aussendepots mehr und mehr als ungemütlich und ineffizient. Hinzu kam, dass keiner der Ar- chivräume den Anforderungen des Kulturgüterschutzes entsprach. Die Unter- bringung des Archivguts war in jedem Fall mit kleineren oder grösseren Risi- ken verbunden. Mittelfristig gab es nur eine Lösung: einen Standortwechsel.

Erne: Stadtarchiv 63 Leiter des Stadtarchivs 1803 – 2010

Name, Vorname Lebensdaten Ausbildung Funktion Amtsdauer

Güder, Ludwig 1773–1850 Kanzleisubstitut Stadtlehen-Kommissär 1803 –1812 Jakob

von Graffenried, 1778–1815 Prokurator Stadtlehen-Kommissär 1812–1815 Friedrich

Wildbolz, Rudolf Fürsprecher, 1778 –1840 Stadtlehen-Kommissär 1815 –1818 Emanuel Prokurator

Messmer, Beat 1764 –1833 Fürsprecher Stadtlehen-Kommissär 1818 –1831 Ludwig

König, Wilhelm 1803 –1876 Dr. iur. Stadtlehen-Kommissär 1831–1840

[von] Wurstem- Stadtlehen-Kommissär / 1840 –1852 / berger, Simon 1814 –1901 Prokurator Sekretär der Finanzkom- 1852 –1854 Ludwig Rudolf mission

Lutz-Tribolet, Sekretär der Finanz- 1825 –1879 Fürsprecher 1855 –1861 Eduard kommission

Simon, Bernhard Dr. iur., Sekretär der Finanz- 1827–1863 1861–1863 August Fürsprecher kommission

(Stadt-)Archivar / 1864 –1869 Dr. iur., Zeerleder, Albert 1838 –1900 Sekretär der Finanzkom- 1869 –1871 Fürsprecher mission und Stadtarchivar

Bandelier, Dr. iur., Sekretär der Finanzkom- 1843−1918 1871–1874 Alphons Fürsprecher mission und Stadtarchivar

Sekretär der Finanzkom- Stettler, Rudolf 1844 –1916 Dr. iur. 1875 –1888 mission und Stadtarchivar

Bandelier, Dr. iur., Stadtschreiber und Stadt- 1843−1918 1888 –1916 Alphons Fürsprecher archivar

Dr. iur., Stadtschreiber und Stadt- Markwalder, Hans 1882 –1963 1916 –1950 Fürsprecher archivar

Wullschleger, Dr. iur., Stadtschreiber und Stadt- 1908 –1988 1951–1953 Bernhard Fürsprecher archivar

Dr. phil., Kunst- Stadtarchivar (1953 halb- Biber, Walter 1909 – 2005 1953 –1975 historiker amtlich, 1955 vollamtlich)

Dr. phil., Stadtarchivar und Beauf- Schmezer, Guido geb. 1924 1975 –1989 Germanist tragter für Information

Erne, Emil geb. 1948 Dr. phil., Historiker Stadtarchivar 1990 –

64 BEZG N° 01/10 II. Teil Der neue Standort des Stadtarchivs

1. Der Erweiterungsbau KUBUS / Titan des Historischen Museums

Ausgangslage und Projekt Der städtische Kulturgüterschutzdienst führte 1993 eine systematische Erhe- bung des Ist-Zustandes der Kulturinstitute in der Stadt Bern durch. Dabei un- tersuchte er insbesondere, wie die Kulturgüter geschützt waren. Die Erhebung vom 15. Juni 1993 ergab im Falle des Stadtarchivs, dass die beiden Archivräume im Erlacherhof den Anforderungen des Kulturgüterschutzes aus verschiedenen Gründen nicht entsprachen. Beim Archivraum im Untergeschoss bestand ein erhebliches Wasserrisiko: Einerseits verlief ein Ehgraben, der regelmässig durchgespült wurde, durch den Archivraum hindurch; andererseits bestand in- folge seiner Lage die Gefahr einer Überflutung bei einem Brand gassenaufwärts durch Löschwasser. Der Kulturgüterschutzdienst empfahl eine Reihe kurzfris- tiger Massnahmen und mittelfristig einen Standortwechsel. Wo immer die Stadt in den folgenden Jahren plante oder baute, wurde geprüft, ob Platz für das Stadt- archiv geschaffen werden könnte. Ein Neubau für das Stadtarchiv allein stand ausser Frage. Die gleiche Erhebung hatte auch aufgezeigt, dass auf dem Platz Bern von den grösseren Kulturinstitutionen neben dem Stadtarchiv nur noch das Historische Museum (BHM) ebenfalls ohne Kulturgüterschutzräume dastand und ebenso unter chronischer Platznot litt. Im April 1997 präsentierte dessen Direktor, Peter Jezler, seit 99 Tagen im Amt, das Projekt eines Wechselausstellungssaals mit darunter liegenden Archivräumen – einen möglichst funktionalen und kostengünstigen «Kubus» − als dringendstes Bedürfnis seines Instituts in den Medien. Bald darauf kam es zu ersten Gesprächen zwischen den beiden Institutio- nen, die nicht nur ähnliche Probleme, sondern aufgrund ihrer historischen Aus- richtung ohnehin eine gewisse Affinität zueinander hatten. Von Anfang an da- bei war auf Seiten der Stadt die 1996−2007 amtierende Stadtschreiberin Irène Maeder Marsili als Leiterin der Stadtkanzlei und Vorgesetzte des Stadtarchi- vars. Nachdem der Gemeinderat sie im Juni 2000 als Vertreterin der Stadt in die Aufsichtskommission des Historischen Museums delegiert hatte, verband sie in ihrer Person die Interessen der beiden Institutionen optimal miteinander und förderte auf allen Ebenen mit Herzblut und Hartnäckigkeit das gemein- same Projekt. Nach der stadtinternen Abklärung weiterer Unterbringungsmöglichkeiten gelangte der Raumbewirtschaftungsausschuss in seinem Bericht zur Standort-

Erne: Stadtarchiv 65 Querschnitt des KUBUS / Titan. Plan von :mlzd architekten biel-bienne, 2009.

66 BEZG N° 01/10 frage des Stadtarchivs zur Feststellung, dass die Unterbringung in dem vom Historischen Museum geplanten Kubus im Vordergrund stehe, um die Raum- bedürfnisse des Stadtarchivs für die nächsten 10 bis 20 Jahre zu decken.138 Den Architekturwettbewerb im Jahr 2001 gewann das 1997 in Biel gegrün- dete Architekturbüro :mlzd architekten biel-bienne mit dem Projekt «titan», des- sen Entwurfsidee «durch seine städtebauliche Qualität, die Aufwertung der Rückseite des bestehenden Museumsbaus und des öffentlichen Raums über- haupt sowie die kluge Anordnung des Wechselausstellungssaals» die Jury über- zeugte.139 Die Architekten erläuterten ihre Idee wie folgt: «Der Erweiterungsbau befindet sich auf der Ostseite des bestehenden Museums. Die Entwurfsidee be- steht darin, den Erweiterungsbau als öffentlichen und begehbaren Sockel, aus dem sich ein vertikales Volumen erhebt, auszubilden. Dieses wird in seiner Form und Höhe als logische Fortsetzung der bestehenden Flügelbauten des Museums interpretiert.»140 Nachdem der Projektierungskredit von Burgergemeinde, Stadt und Kanton Bern bewilligt worden war, konnten 2003 die Planungsarbeiten in der Baukom- mission und in der die Geschäfte vorberatenden Projektgruppe beginnen. Die Stadtbauten Bern stellten mit Architekt Erwin Maurer einen umsichtigen Pro- jektleiter. Der frühere Staatsarchivar, Dr. Karl Wälchli, der vom Aus- und Um- bau des Staatsarchivs her viel praktische Erfahrung mitbrachte, präsidierte die Baukommission bis Mitte 2005; ihm folgte der frühere Stadtbaumeister Ueli Laedrach. Als Vertretung der Aufsichtskommission des BHM nahmen für die Stadt Irène Maeder Marsili, für den Kanton Denkmalpfleger Dr. Jürg Schwei- zer und für die Burgergemeinde Staatsarchivar Dr. Peter Martig in die Baukom- mission Einsitz. In der Zusammenarbeit zwischen der Baukommission, dem Planungsteam (Claude Marbach, Roman Lehmann) und den für das Bau­ management zuständigen saj architekten ag Bern (Daniel Schori, Bernhard Anliker, Patrick Schär) entstand schliesslich ein baureifes Projekt.141

Finanzierung und Bau Der Kostenvoranschlag für das Gesamtprojekt belief sich auf 25,838 Mio. Fran- ken. Nach Abzug der Spende von 2 Mio. Franken der Abegg-Stiftung Riggisberg hatten die drei Stiftungsträger Kanton, Stadt und Burgergemeinde noch je einen An­teil von 7,946 Mio. Franken zu übernehmen. Der Stadtrat empfahl den Stimmberechtigten an seiner Sitzung vom 18. November 2004 mit 66 Ja- gegen 0 Nein-Stimmen bei 1 Enthaltung den Beitragskredit zur Annahme. Unter den Argumenten wurde zum Stadtarchiv ausgeführt: «Dass man mit dem Projekt

Erne: Stadtarchiv 67 Kubus / Titan gleichzeitig eine Lösung für das Stadtarchiv gefunden hat, ist eine sinnvolle Synergie, denn auch das Stadtarchiv muss genügend Raum erhal- ten.»142 Das Stimmvolk folgte am 27. Februar 2005 der Legislativen denn auch mit 78 % Ja-Stimmen deutlich. Im Vorfeld der Gemeindeabstimmung hatte das Stadtarchiv einen Tag der offenen Tür durchgeführt, an welchem sich die Be- völkerung über Aufgaben und Probleme des Stadtarchivs informieren konnte. Die Ausstattung des Stadtarchivs finanzierten die Stadtbauten Bern, die der Stadt Miete verrechnen, wie für alle von der Verwaltung genutzten Liegenschaf- ten. Die Mietdauer wurde auf 20 Jahre festgelegt. Das Bundesamt für Bevölke- rungsschutz leistete einen Beitrag von rund Fr. 250 000.00 an die Beschaffung der Rollgestellanlagen in den Kulturgüterschutzräumen. Nach Vorliegen der rechtsgültigen Baubewilligung, die infolge einer Ein- sprache um rund ein Jahr verzögert worden war, gab am 10. Oktober 2006 der Spatenstich das Startzeichen für die Realisierungsphase des Erweiterungsbaus. Am 23. Januar 2009 feierten Baukommission und Bauleute im Rohbau des Stadt­ archivgeschosses die Aufrichte. Nachdem die Bauarbeiten Ende August 2009 beendet wurden, konnte der Neubau per 1. September 2009 den Nutzern über- geben werden. Am 6. September 2009 erfolgte die offizielle Eröffnung durch die Behörden von Kanton, Stadt und Burgergemeinde, und am folgenden Tag nutzten Tausende die Gelegenheit, die neuen Räumlichkeiten frei zu be- sichtigen.143 Das Stadtarchiv hatte in einem baulichen Konzept seine Anforderungen an den neuen Standort formuliert. Sie waren zusammen mit den Vorgaben des His- torischen Museums in die Wettbewerbsausschreibung aufgenommen worden und bildeten die Grundlage für die Umsetzung des Bauprojekts.144 Das gebaute Raumprogramm bezweckt die integrale Unterbringung des Stadtarchivs, d. h. aller seiner Archiv-, Büro-, Atelier- und öffentlichen Räume wie auch aller erforderlichen Nebenräume, und bietet eine ausreichende Re- serve für die Verdoppelung aller Bestände in den nächsten 20 Jahren. Ausser Haus befindet sich einzig das Sicherheitsarchiv für die Aufbewahrung der Mi- krofilme. Räumlich sind Öffentlichkeits-, Büro- /Atelier- und Archivbereich aus Sicherheits- und Datenschutzgründen klar voneinander getrennt. Für externe Personen ist nur der Öffentlichkeitsbereich zugänglich. Die Verbindungswege sind für Aktentransporte durchgehend palettgängig und schwellenfrei passier- bar. Die Anordnung von Empfang und Lesesaal gewährleistet eine funktionale Kundenbetreuung. Im Übrigen wurden alle Sicherheitsauflagen realisiert, um die Archivbestände vor Schäden oder Verlust zu bewahren.

68 BEZG N° 01/10 Für einen Artikel in der Zeitschrift für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Bern MAZ probte das Team des Stadtarchivs im Mai 2008 den Umzug. Von links: Ruedi Amrein, Daniel Mäder, Emil Erne, Raphael Spahr, Shayade Hug, Margrit Zwicky, Mario Marti, Regina Mathez. Foto von Peter Brand. – Informati- onsdienst der Stadt Bern, 2008.

Erne: Stadtarchiv 69 Dank aufwändigen Vorbereitungen, unermüdlichem Einsatz der Mitarbeitenden und der optimalen Zusammenarbeit mit einer spezialisierten Firma verlief der Umzug des Stadtarchivs vom Erlacherhof in den Kubus im September 2009 rei- bungslos und termingerecht. Erstmals war in der Stadtverwaltung ein logistisches Unternehmen dieser Grösse abgewickelt worden. Foto von Yvonne Bischoff, Stadtarchiv Bern, 2009. – SAB.

Die Compactus-Anlage von 1953 wurde durch einen wieder frei gelegten Durchgang direkt zur Gasse hin ausgeräumt und anschliessend abgebrochen. Foto von Yvonne Bischoff, Stadtarchiv Bern, 2009. – SAB.

70 BEZG N° 01/10 Umzug in den Kubus Nach langen Jahren des Platzmangels bot der Umzug an einen neuen Standort die Gelegenheit, jene Archivteile wieder zusammenzuführen, die infolge der Auslagerung auseinandergerissen worden waren. Bereits 2005 begann der Auf- bau einer Tektonik, d. h. der umfassenden und systematischen Gliederung der Archivalien. Im Hinblick auf die Erfassung der Bestände in der Archivdaten- bank wurde die zukünftige Struktur entworfen, die dann laufend Präzisierun- gen und Korrekturen erfuhr. Das vorgegebene Ziel, sämtliche Einheiten mit ei- ner Signatur zu versehen, die auch Aussenstehenden das richtige Einordnen in die Gestelle erlaubte, konnte weitgehend erreicht werden. Die Umzugsvorberei- tungen hatten den nötigen Druck aufgebaut, um dem Alltagsgeschäft die Zeit für die flächendeckende Verzeichnung abzuringen und vieles Andere hintanzu- stellen. Ein Umzug dieses Ausmasses erforderte eine ausgeklügelte Logistik. Eine archivinterne, mit einem Mitglied der Stadtkanzlei erweiterte Arbeitsgruppe kontaktierte mehrere Archive mit Umzugserfahrung und erarbeitete aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse und unter Einbezug der spezifischen Gegeben- heiten der bisherigen Standorte des Stadtarchivs einen genauen Ablaufplan. Im Rahmen eines Einladungsverfahrens wurden mit den interessierten Umzugsfir- men Begehungen in den drei Gebäuden organisiert, in denen das Stadtarchiv untergebracht war. In zwei Fällen handelte es sich um historische Bauten in- mitten der denkmalgeschützten Altstadt Berns, weshalb die Zugänge und die Transportwege einige Herausforderungen darstellten. Eine wesentliche Erleich- terung war es, dass im Erlacherhof ein Mauerdurchbruch vom grossen Archiv- raum direkt zur Gasse hinaus möglich war und so der Umweg über den Innen- hof vermieden werden konnte, was auch die Immissionen für die übrigen Mitarbeitenden wesentlich reduzierte. Nachdem bereits seit Juni 2009 einzelne Bestände aus Aussendepots in den Kubus transferiert worden waren, fand der eigentliche Umzug planmässig und durchwegs bei guter Witterung vom 7. bis zum 25. September 2009 mit Hilfe der Firma Peyer Bern AG statt. Alle Archiveinheiten gelangten speditiv und un- versehrt an ihren neuen Standort. Das von Guido Voser, dem Inhaber der Firma Docusave in Seftigen, erstellte Sicherheits- und Notfallszenario musste nicht beansprucht werden. Die Mitarbeitenden des Stadtarchivs generierten aller- dings eine beträchtliche Anzahl an Überstunden und hatten noch einige Zeit an körperlichen Folgeerscheinungen zu leiden.

Erne: Stadtarchiv 71 2. Die neuen Räume

Raumprogramm 145

Lesesaal 11,5 m² Atelier 54,0 m² (gemeinsame Nutzung mit BHM, Mikrofilmraum 24,5 m² daher ½ von 23 m²) Fotolabor 8,8 m² Bibliothek 67,0 m² Abstellraum 4,4 m² Dokumentation 20,0 m² Total Atelierräume 91,7 m² Akzessionsraum 40,0 m² Archivraum 1 228,7 m² Büro Stadtarchivar/in 21,0 m² Archivraum 2 228,7 m² Büro Stadtarchiv 46,0 m² Archivraum 3 228,7 m² Empfang 39,0 m² Archivraum 4 41,5 m² Total Büroräume 106,0 m² Total Archivräume 727,6 m²

Total Stadtarchiv 1’063,8 m²

Gegenüber dem im Neubaukonzept ausgewiesenen Raumbedarf wurden der abgetrennte und speziell klimatisierte Archivraum für Fotos und Mikrofilme, das Büro für die bisher nicht realisierte Archivinspektionsstelle und der Bespre- chungsraum aus Kostengründen ersatzlos gestrichen. Die beiden Büros für Archivangestellte und Hilfskräfte wurden aus betrieblichen Gründen zusammen­ gelegt.

Öffentlichkeitsbereich Der Eingang des Stadtarchivs befindet sich an der Helvetiastrasse 6. Archivbe- nützerinnen und -benützer erreichen entweder über die Treppe oder den Per- sonenlift den Lesesaal im zweiten Geschoss auf dem Niveau des neuen Platzes. Seitlich des Treppenaufgangs befinden sich die Garderobekästchen. Durch eine Glastüre wird der Empfangsraum betreten, wo die Mitarbeitenden des Stadt-­ archivs die Besucherinnen und Besucher an der einladenden Theke bedienen oder in den Lesesaal geleiten, der 12 Arbeitsplätze aufweist. Der Lesesaal wird gemeinsam mit dem Historischen Museum genutzt. Ausserhalb der Öffnungs- zeiten des Stadtarchivs wird er nur durch die vordere Tür betreten. Mikrofilm- lesegerät und Fotokopiergeräte stehen zur Verfügung. Die Toiletten befinden sich vis-à-vis der Treppe.

72 BEZG N° 01/10 Büro- und Atelierbereich Der Empfang dient gleichzeitig der Beaufsichtigung des Lesesaals und als Büro für zwei Archivangestellte. Hinter dem Empfang liegen die Büros mit weiteren fünf Arbeitsplätzen sowie die eingebauten Gestelle und Schubladen für die Bi- bliothek und die Dokumentation. Alle Büros ebenso wie der Lesesaal sind nach Norden orientiert und erhalten das Tageslicht durch eine durchgehende Glas- fassade. Die Atelierräume befinden sich im Zwischengeschoss und sind nicht öffentlich zugänglich. Sie bestehen aus einem vom Grundriss her dreigeteilten, auf der Südseite durch Fensterluken erhellten Atelier mit zwei Arbeitsplätzen für Buchbinderei, Reparaturen und weitere Tätigkeiten sowie je zwei separaten, fensterlosen Räumen für die Mikroverfilmung und das Fotolabor. Neben diver- sen Apparaten besitzt das Stadtarchiv eine neue Säulenkamera für die Verfil- mung grösserer Dokumente. Das Fotolabor dient insbesondere der Herstellung von Papierabzügen ab heiklen Glasnegativen. Im Erdgeschoss liegt der Akzes- sionsraum, in welchem neu eingegangene Akten zwischengelagert und ge­reinigt werden. In diesem nur künstlich belichteten Raum sind eine kleine Rollgestel- lanlage und ein Arbeitsplatz installiert. Insgesamt verfügt das Stadtarchiv im Büro- und Atelierbereich über 10 Arbeitsplätze, die alle mit PC oder Notebook sowie ausreichenden Ablagemöglichkeiten ausgerüstet sind.

Archivbereich Die Archivräume des Stadtarchivs liegen im ersten Untergeschoss und sind über Treppe oder Personenlift erreichbar. Aktentransporte erfolgen mit dem Waren- lift, den man durch das grosse, zweiflüglige, halbautomatische Betontor neben dem Eingang erreicht. Die Archivräume entsprechen baulich den eidgenössischen Richtlinien für den Kulturgüterschutz. Zwei der drei 33 Meter langen Archiv- räume sind mit elektrischen Rollgestellanlagen der Firma Compactus & Bruyn- zeel AG, Frauenfeld, ausgerüstet. Der dritte grosse Archivraum dazwischen ent­ hält Fixgestelle, Planschränke und Schubladenstöcke für diverse Spezialbestände, und der kleinere vierte Archivraum dient als Bilderarchiv.

Erne: Stadtarchiv 73 74 BEZG N° 01/10 Empfang, Lesesaal und Archivraum mit Rollgestellanlage. Fotos von Yvonne Bischoff, Stadtarchiv Bern, 2009. – SAB.

Erne: Stadtarchiv 75 3. Fazit und Ausblick

«Archivbauten haben Konjunktur.»146 Auch im Zeitalter der Digitalisierung bleibt die analoge Überlieferung von der Bestandeserhaltung her immer noch vorran- gig und ihre Unterbringung geniesst öffentliche Aufmerksamkeit. Gemäss einer Zusammenstellung der wichtigsten Archivbauten in der Schweiz und in Liechtenstein sind von 25 dokumentierten Neu- oder Umbauten seit 1958 deren 16 in den 1990er-Jahren oder später fertiggestellt worden.147 Das Staats- archiv des Kantons Bern hat bereits interessierte Institutionen zu Vorabklärun- gen für den Bedarf nach einem Grossraummagazin im Jahr 2020 eingeladen.

Dabei ist es zumindest im Falle der Kommunalarchive eher selten, dass ein Neu- bau projektiert werden kann. Häufiger liegen nur Adaptionen oder Umnutzun- gen bestehender Gebäude im Bereich der Möglichkeiten. Für das Stadtarchiv Bern war es ein Glücksfall, von Beginn weg an allen Planungs- und Realisierungs­ phasen des Baus einer renommierten Kulturinstitution teilhaben zu können. Da das Historische Museum Bern in den allermeisten Fällen höhere oder mindes- tens gleiche Anforderungen an die Unterbringung seiner Kulturgüter stellte, war es für das Stadtarchiv kein Problem, seine fachlichen Anliegen durchzusetzen. Die Sicherheitskonzepte waren in keiner Phase in Frage gestellt. Allerdings­ galt es, die archivfachlichen Standards klar zu kommunizieren und hie und da Kon- flikte mit den Architektenvisionen auszutragen. Archive bewahren heikle Güter mit dem Zweck, sie lange zu erhalten, vor unberechtigtem Zugriff optimal zu schützen und sie doch mit möglichst wenigen Restriktionen der interessierten Öf­fentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Derartige immanente Widersprüche konn­ ten­ manchmal enervierende, meist aber fruchtbare Auseinandersetzungen zwi- schen architektonischer Entwurfsidee und archivalischer Zweckbestimmung auslösen. Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten führte stets zu praktika­ blen Lösungen.

Archivbauten sind Zeugnisse des archivarischen Selbstverständnisses ihrer Zeit. Die Gebäude des Historismus am Ende des 19. Jahrhunderts, etwa des Bundes- archivs oder des Staatsarchivs Basel-Stadt, betonten Macht und Repräsentation des Archivträgers; der Herrschaftsanspruch des Staates implizierte die Verfügung über die Akten. Spätere Bauwerke, wie jenes des Staatsarchivs des Kantons Bern, richteten sich mehr auf die nüchterne Funktionalität aus. Der KU­BUS / Titan ver- bindet funktionale Aspekte einer Kulturgüterinstitution mit der modernen In-

76 BEZG N° 01/10 terpretation eines historistischen Museumsbaus. Die bunkerartige Schale auf der Rückseite dokumentiert, dass wertvolle Güter geschützt werden sollen; die durchgehende Glaswand auf der Vorderseite repräsentiert die Offenheit der In- stitution nach aussen gegenüber der interessierten Öffentlichkeit.

Erne: Stadtarchiv 77 III. Teil Übersicht über die Bestände des Stadtarchivs

A Alte Abteilung, Ausscheidung, Eisenbahnen um 1400 bis 1832 / 19. Jh. A 1 Gesetze, Verordnungen, Aktenbände A 2 Bauamt A 3 Handel und Gewerbe A 4 Munizipalitäts-Manuale, Akten der Helvetik A 5 Polizei A 6 Finanzwesen A 7 Spital A 8 Kirche A 9 Kornamt A 10 Lehenskommissariat A 11 Rebgüter A 12 Ohmgeld A 13 Holzfuhrrödel A 14 Waisengericht A 15 Waisen, Waisenkommission, Waisengut A 16 Wittwen und Waisen A 17 Armenwesen / Mushafen A 18 Burgerschaft / Äusserer Stand A 19 Militär A 20 Dotation A 21 Eisenbahnen A 22 Register, Inventare, Verschiedenes

78 BEZG N° 01/10 B Bümpliz (Archiv der ehemaligen Gemeinde Bümpliz) 1680 bis 1919 B 0 Behörden B 1 Präsidialabteilung B 2 Rechtspflege, Polizei, Feuerwehr, Militär, Kataster B 3 Gesundheit B 4 Fürsorge B 5 Erziehung, Kirche, Kultur B 6 Planung, Bau B 7 Wirtschaft, Landwirtschaft B 8 Finanz B 9 Gemeindebetriebe B 10 Verschiedenes

E Archiv der Einwohnergemeinde Bern EA Behördenarchiv ab 1803 / 1832 EA 1 Recht EA 2 Gemeinde ab 1832 EA 3 Stadtbehörden 1803 – 1888 EA 4 Stadtrat ab 1888 EA 5 Gemeinderat ab 1832

EB Verwaltung (18. Jh.) 1803 / 1832 bis 2009 EB 1 Präsidiales EB 2 Rechtspflege, Polizei, Feuerwehr, Militär EB 3 Gesundheit EB 4 Fürsorge EB 5 Kirche und Erziehung (Schule) EB 6 Planung und Bau EB 7 Wirtschaft EB 8 Finanzen EB 9 Gemeindebetriebe

EC Verwaltung ab 2010

Erne: Stadtarchiv 79 U Urkunden ab 1146 U A Urkunden bis 2000 U B Urkunden ab 2001

P Privatarchive P 1 Firmen P 2 Vereine, Genossenschaften etc. P 3 Natürliche Personen

S Sammlungen S BB Baubewilligungen S Br Briefköpfe SFi Filme SF Fotos SG Grafiken und Gemälde SM Multimedia SO Objekte ST Tondokumente SW Wettbewerbe, Bauprojekte S P Pläne und Karten

80 BEZG N° 01/10 D Dokumentation D A Amtliche Druckschriften ab 1852 D K Kalender ab 1956

D J Jährliche Publikationen ab 1836 D J 1 Jahresberichte D J 2 Jahrbücher, Jahreschroniken D J 3 Adressbücher D J 4 Telefonbücher / Directories D J 5 Branchen-Telefonbücher

D Z Zeitungen ab 1833 D P Periodika ab 1875

D T Themen-Sammlung ab 1832 D T 1 Ausstellungen D T 2 Bauwesen und Verkehr D T 3 Anlässe, Feste D T 4 Firmen / Privatwirtschaft D T 5 Körperschaften, Vereine D T 6 Pressespiegel zu Einzelthemen D T 7 Private Dokumentationen D T 8 Kuriosa, Unnütze Papiere, Verschiedenes D T 9 Stadtpläne D T 10 Stadtführer und -prospekte D T 11 Diverses

D C Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften, Flugblätter, ab 1832 Prospekte und weitere Drucksachen

Erne: Stadtarchiv 81 Abkürzungen BBB Burgerbibliothek Bern BEZG Berner Zeitschrift für Geschichte (ab Jahrgang 71, 2009) BSG Bernische Systematische Gesetzessammlung BSIG Bernische Systematische Information der Gemeinden BZGH Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde (Jahrgang 1, 1939 – 70, 2008) GFL Grüne Freie Liste GR Gemeinderat GRB Gemeinderatsbeschluss SAB Stadtarchiv Bern SR Stadtrat SR Protokolle Protokolle der Sitzungen des Stadtrats (wechselnde Titel) SSSB Systematische Sammlung des Stadtrechts von Bern StAB Staatsarchiv des Kantons Bern VB Verwaltungsbericht der Stadt Bern (Bericht des Gemeinderates an den Stadtrat über die Stadtverwaltung, wechselnde Titel)

Bildnachweis zu den Porträts S. 16: Albert Zeerleder. Foto von Otto Blumenstein, Bern/Arbon. – BBB S. 21: Rudolf Stettler. Berner Woche, 1916, 287. S. 25: Alphons Bandelier. Berner Woche, 1918, 451. S. 28: Hans Markwalder. In: Erinnerungsschrift an die 600-Jahrfeier der Schlacht bei Laupen 1339 /1939, 10. S. 40: Bernhard Wullschleger. Postkarte. – SAB, SF 1953 /– / 08 (5). S. 44: Walter Biber. Foto von Hans Frey, 1968. – SAB, SF 1968 /–/ 20. S. 50: Guido Schmezer. Foto von Peter Friedli, Bern. In: Friedli, Peter: Tête-à-têtes. Bern 1996.

82 BEZG N° 01/10 Anmerkungen 1 Zur Geschichte der Stadt Bern siehe folgende Überblicksdarstellungen: Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Christian (Hrsg.): Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Stadtent- wicklung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern 2003. Junker, Beat; Pfister, Christian: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. 4 Bände. Bern 1982−1996 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 66, 73, 78, 79). Pfister, Christian; Egli, Hans-Rudolf (Hrsg.): Historisch-Statistischer Atlas des Kantons Bern, 1750−1995. Umwelt, Bevölkerung, Wirtschaft, Politik. Bern 1998. – Zur Verfassung von 1803: SAB, U 1803.8.26., Verfassung des Stadt Raths von Bern, vom 26.8.1803. 2 SAB, U 1803.9.20., Urkunde der Aussteurungen für die Stadt Bern, von der schweitzerischen Liquidations-Commission, vom 20.9.1803, zit. nach der gedruckten Fassung: Urkunde der Aus- steurung für die Stadt Bern. Burgdorf 1832, 17; zur Dotation siehe Junker, Beat: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Band I: Helvetik, Mediation, Restauration, 1798−1830. Bern 1982 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 66), 147f.; zum sogenannten Dotations- streit 1833−1841 siehe Junker, Beat: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Band II: Die Entstehung des demokratischen Volksstaates, 1831−1880. Bern 1990 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 73), 71−73. 3 Die Bezeichnung «Stadtarchiv» war anfänglich schwankend. Häufig wurde die Mehrzahl «Stadt- Archive» oder nur «Archive» verwendet, da die Aktenbestände der Ämter an verschiedenen Orten lagerten. Ab 1832 wurden die Organe der Einwohnergemeinde grundsätzlich mit «Gemeinde-» bezeichnet, wie Gemeindepräsident und Gemeindeschreiber. Mit dem Gemeindereglement von 1871 erfolgte die Umbenennung in Stadtpräsident und Stadtschreiber. Siehe dazu Wullschleger, Bernhard: Die Einwohnergemeinde der Stadt Bern. Wie sie entstand und wie sich ihre Organisation entwickelte. Bern 1980, 15. Vgl. Tögel, Bettina: Die Stadtverwaltung Berns. Der Wandel ihrer Organisation und Aufgaben von 1832 bis zum Beginn der 1920er Jahre. Zürich 2004, 347, Fig. 26: Kanzlei und Archiv werden 1872 in Stadtkanzlei und Stadtarchiv umbenannt. 4 SAB, U 1804.3.14./6.12., 8.6., 8.20. – Die Verhandlungen führten Abraham Friedrich von Mutach (1765–1831), Mitglied des Kleinen Rats und Finanzrat, für den Kanton und Alexander Emanuel Fischer (1768 –1810), Mitglied des Stadtrats und Stadt-Seckelmeister, für die Stadt. Mitunterzeich- ner waren auch die beiden zuständigen Archivare, F. May, Lehenscommissarius des kantonalen Finanzrates, und L. J. Güder, Lehenscommissarius der Stadt. SAB, D Couv Ausscheidungsverträge, Transkript Sönderungsurkunde. 5 Türler, Heinrich: Stadtbernische Archive. Bern 1892 (Separatabdruck aus dem Anzeiger für Schweizerische Geschichte), 3. 6 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, 1805 Bern, 28. Okt., Str.Ma. III, 324. 7 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Bericht und Anträge über Revision und Reorganisation des Gemeindearchivs von Bern, der Finanz-Commission des Gemeinderates vorgelegt im November 1864. I. Geschichte des Städt. Archivs, Transkription, 1– 3; auf den Seiten 2– 3 Archivordnung Messmers.

8 Markwalder, Hans: Die Berner Stadthausfrage vor 100 Jahren. Bern 1929, 2ff. 9 SAB, EB 6.02 1, Manual der Bau- und Strassenkommission, III, 1.4.1807, 87. 10 SAB, A 464, Manual des Stadt-Lehen-Commissarii, I, 1812 –1816, 1– 3, Instruktion für den Zehnd- und Lehens-Commissarius der Stadt Bern, 7.3.1805. 11 «Dem Lehens Commissarius liegt ob, zu dem Eigenthum und den Rechten der Stadt Bern die möglichste Sorge zu tragen und geflissentlich darauf zu achten, dass selbige auf keine Weise gefährdet werden; auch soll er ohne Vorweisen und Erlaubniss der Finanzkommission weder die Einsicht von Urbarien und Titeln etc. irgend jemand gestatten noch Extrakten daraus

Erne: Stadtarchiv 83 verabfolgen lassen.» SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, 1803 Bern, 3. Nov., Zedel an die Finanz-Commission, Str.Ma. I, 56. 12 BBB, VA BK 1, Bd. 1, Instruktionen-Buch der Stadt-Verwaltung von Bern, 1817–1835, Instruction des Archivarii oder Lehen-Commissarii der Stadtverwaltung, 18.3.1818, 45–49. 13 BBB, VA BK 1, Bd. 1, Instruktionen-Buch der Stadt-Verwaltung von Bern, 1817−1835, Instruktion des Archivarii oder Lehen-Commissarii der Stadt-Verwaltung, 6.4.1831, 226–230. 14 Das Folgende nach Markwalder (wie Anm. 8), 4ff. 15 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, 1817 Bern, 21. Aug., Combinierte Finanz- und Baucommission, Ma.Stv. I, 230. 16 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Stadthaus 1818 Bern, 12. Januar, Finanz-Rath, Ma.Stv. I, 394. 17 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, 1818 Bern, 13. Aug., Finanz-Commission, Ma.Stv. II, 135. 18 SAB, EA 3.2, Manual der Stadtverwaltung, II, 18.1.1819, 294ff. 19 Zit. nach Markwalder (wie Anm. 8), 9. 20 Markwalder (wie Anm. 8), 16. 21 SAB, EA 3.6, Manuale der obern burgerlichen Gemeindsbehörden, I, II, V, 1833 –1835, passim. 22 Durheim, Karl Jakob: Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Bern und ihrer Umgebungen. Bern 1859, 257. 23 Siehe zum Folgenden Tögel (wie Anm. 3); Erne, Emil: 175 Jahre Stadt Bern als Einwohner­ gemeinde. (Bern) 2007. 24 Wullschleger (wie Anm. 3), 8f. 25 Türler (wie Anm. 5), 3. 26 1852 beginnt die Serie der jährlichen Verwaltungsberichte, in denen der Gemeinderat Rechen- schaft über die Tätigkeit der Stadtverwaltung ablegt. Diese Berichte bilden die Hauptquelle der nachfolgenden Darstellung. Nicht ausdrücklich erwähnte Nachweise sind in erster Linie in den betreffenden Verwaltungsberichten zu finden. 27 Ausscheidungsvertrag, in: VB 1852 –1860, 193–203; vgl. Markwalder, Hans: Die Güterausschei- dung zwischen der Burgergemeinde und der Einwohnergemeinde der Stadt Bern. In: BZGH 9, 2 (1947), 110 – 114; eingehende Analyse jetzt neu von v. Werdt, Christophe: Der Ausscheidungs­vertrag zwischen Burger- und Einwohnergemeinde Bern von 1852 – Quellenanalyse statt Verschwörungstheorie. In: BEZG 71, 3 (2009), 57– 97. 28 Ausscheidungsvertrag (wie Anm. 27), 194. 29 Ausscheidungsvertrag (wie Anm. 27), 200. 30 VB 1852–1860, 28; BBB, VA BK 6, Manual der obern burgerlichen Gemeindsbehörden der Stadt Bern, 1852–1854, 15.8.1853, 330 – 340. 31 Ausscheidungsvertrag (wie Anm. 27), 200. 32 SAB, R 1853.9.21., Organisations-Reglement für die Einwohnergemeinde der Stadt Bern vom 21. September 1853, Art. 48f. – Wullschleger (wie Anm. 3), 13. 33 SAB, EA 5.01, Manuale des Gemeinderathes der Stadt Bern, 52, 25.11.1867, 110. 34 VB 1869 –1871, 59. − Vgl. SAB, R 1873.12.19., Organische Vorschriften betreffend die Finanzverwaltung der Einwohnergemeinde der Stadt Bern vom 19.12.1873, Bern 1873. 35 Bericht und Anträge (wie Anm. 7); siehe auch SAB, EB 1.33 1, Stadt-Archiv, Inventar & Instruktionen, I, 1809 – 1863.

84 BEZG N° 01/10 36 BBB, VA BK 127, Akten des Kleinen Burgerrathes, 1864–1865, Dossier 127 (8), Jan. / Febr. / März 1865, Gemeinderath an Burgerrath, 16.1.1865. 37 SAB, EA 5.01, Manuale des Gemeinderathes der Stadt Bern, 45, 16.11.1863, 396; 47, 16.1.1865, 495; 48, 10.7.1865, 405. − Die Übereinkunft lief am 31.12.1867 aus. Der Burgerrat beschloss die Fortführung der Anstrengungen Zeerleders: BBB, VA BK 17, Bd. 12, Manual der obern burgerlichen Gemeindsbehörden der Stadt Bern, 1867–1868, 8.6.1868, 337– 339. 38 VB 1867–1868, 44–46; vgl. Türler (wie Anm. 5), 6. 39 VB 1867–1868, 44f. 40 SAB, R 1869.3.15., Archiv-Reglement des Gemeinderathes der Stadt Bern vom 15. März 1869. Vgl. dazu VB 1869–1871, 73. 41 Archiv-Reglement (wie Anm. 40), Art. 9. – SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Instruktion für den Sekretär der Finanzkommission und Stadtarchivar vom 21. Dezember 1874. 42 VB 1888, 10. – SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 80, 21.11.1888, 552. Siehe auch SAB, R 1888.11.2., Besondere Vorschriften für die einzelnen Verwaltungs-Abtheilungen vom 2.11.1888, Art. 13. 43 SR Protokolle, 1888 / III, 94; 1888/IV, Sitzung vom 26.10.1888, 33. 44 SAB, R 1888.11.2., Geschäfts- und Kanzleiordnung für den Gemeinderat der Stadt Bern, 2. Nov. 1888, Art. 34–44. 45 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 80, 21.3.1888,152; 11.4.1888, 170; 18.7.1888, 324. Schreiben des Gemeinderats über die notwendige Aufteilung des Archivs vom 18.4.1888. – BBB, VA BK 27, Bd. 22, Manual des Burgerrathes und der Burgergemeinde der Stadt Bern, 1888–1889, 11.4.1888, 3 – 4; 27.4.1888, 16; 16.7.1888, 40–42. 46 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 80, 13.6.1888, 276. 47 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Revers, 21. Juli 1888. 48 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 92, 21.9.1899, 305. 49 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 103, 16.11.1910, 355. 50 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 94, 13.3.1901, 383, und 24.4.1901, 453; 95, 3.7.1901, 38 (Schulhaus Bundesgasse); 95, 4.9.1901,103. − SAB EB 1.33 1, Archiv im Erlacherhof (Einrichtung), 1901/02. 51 SR Protokolle, 1902/II, Sitzung vom 19.12.1902, 46. − VB 1902, 77: «Im Erlacherhof wird ein feuerfestes Archiv erstellt.» 52 SR Protokolle, 1913/I, Sitzung vom 26.6.1913, 96; ebenda 98: «Die Archive der Stadtkanzlei sind teilweise feucht und zur Aufbewahrung von Akten etc. ungeeignet. Die Baudirektion hat den Auf- trag, die Frage zu studieren, wo ein neues Archiv am besten erstellt werden kann, ob im Erlacherhof oder im Morlot-Hause.» 53 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Zur Archiv-Revision, V. Revisionsbericht, A. Bandelier an den Stadtpräsidenten, 18.5.1914. 54 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 107, 7.1.1914, 219. 55 SAB, EA 5.01, Gemeinderatsmanual, 107, 6.5.1914, 489. 56 VB 1887/ 88, 13. − Bis zum Wechsel des Testamentsdiensts vom Erlacherhof an die Predigergasse 5 im Zusammenhang mit der Schaffung des Erbschaftsamts 1999 wurden die Testamente im Stadtarchiv aufbewahrt. 57 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Revision des Berner-Stadtarchivs; Rechenschafts­ bericht, A. Bandelier an H. Türler, 15.6.1914; Türlers Antwort auf dem gleichen Schreiben darunter:

Erne: Stadtarchiv 85 Türler an Bandelier, 16.6.1914. 58 VB 1915, 15. 59 SR Protokolle, 1913/I, Sitzung vom 14.2.1913, 23f. 60 SR Protokolle, 1913/I, Sitzung vom 9.5.1913, 63f. 61 SR Protokolle, 1916/I, Sitzung vom 5.5.1916, 46–48, Zitat 46; VB 1916, 18f. 62 SR Protokolle, 1916/I, Sitzung vom 2.6.1916, 62. 63 SR Protokolle, 1917/I, Sitzung vom 22.6.1917, 99. 64 Am 24.5.1916 beschloss der Gemeinderat, dem Stadtrat die Wahl Markwalders zum Stadtschreiber vorzuschlagen. Markwalder selber unterschrieb das Protokoll als Stadtschreiber-Adjunkt. Das Protokoll der folgenden Sitzung vom 31.5.1916 unterschrieb er bereits als Stadtschreiber. Gemeinderatsmanual, 110, 24.5.1916, 171, und 31.5.1916, 193. 65 SR Protokolle, 1928/I, Sitzung vom 8.6.1928, 83. 66 SR Protokolle, 1944/I, Sitzung vom 28.1.1944, 6. 67 VB 1915, 15. 68 VB 1917, 23. 69 VB 1929, 18. 70 VB 1930, 26. 71 Einzig 1946 wird vermeldet, dass die Anfragen über Familienwappen zurückgegangen seien (VB 1946, 43). 72 VB 1932, 22; 1934, 29. 73 Verordnung über die Verwaltung der Gemeindearchive vom 26.11.1918; jetzt abgelöst durch die Gemeindeverordnung vom 16.12.1998; darin Kapitel IX. Archivierung, Art. 128−138 (BSG 170.111). 74 Gemeindearchive. Fristen für die Aufbewahrung der Akten vom 31.5.1948; bisher letzte Revision: Weisung Gemeindearchive / Aktenaufbewahrung in der Gemeinde vom 24.9.2007 (BSIG Nr. 1/170.111/3.1.). 75 VB 1916 –1950, passim. 76 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Gemeindearchiv Bümpliz. – Von den im Bericht erwähnten Bauakten, die nach der Eingemeindung nach Bern abgeliefert worden seien, sind allerdings die Baubewilligungsakten im Stadtarchiv nicht vorhanden. 77 VB 1949, 35. 78 VB 1957, 18; VB 1974, 14. 79 VB 1934, 29. 80 Markwalder, Hans: Die Eigentumsverhältnisse an den Lauben der Stadt Bern. Bern 1937; auch in BZGH 1,1 (1939), 5 – 20, unter dem Titel: Studie über die Eigentumsverhältnisse an den Lauben der Stadt Bern. − Mit dem 70. Jahrgang 2009 wurde der Name in «Berner Zeitschrift für Ge- schichte» (BEZG) abgeändert. Vgl. dazu die Mitteilung der Redaktion an die Leserinnen und Leser in: BEZG 70, 1 (2009), 1f. 81 Markwalder, Hans: Der Laupenkrieg. Bern 1939; Zitat auf Seite 3. 82 Markwalder, Hans: 750 Jahre Bern. Bern 1941; neben der broschierten kam auch eine in Leder gebundene und in eine Schachtel abgelegte Fassung heraus. 83 SAB, S BB 1493, Junkerngasse 47– 49, Luftschutzräume 1939.

86 BEZG N° 01/10 84 SR Protokolle, 1939 / II, Sitzung vom 13.10.1939, 26. – Die Kreditabrechnung schloss dank niedrigeren Baukosten sowie Beiträgen von Bund und Kanton mit Minderausgaben von Fr. 51 670.20 (SR Protokolle, 1941/I, Sitzung vom 16.5.1941, 71). 85 VB 1949, 34 – 36. 86 VB 1949, 35f. Ein solches gedrucktes Inventar ist nicht auffindbar. Zu den Aufgaben der Stadtkanz- lei und dem Zustand des Stadtarchivs siehe auch Berner Tagblatt, 28.7.1950, 3. 87 Biber, Walter: Bericht über die baulichen Veränderungen und die innere Organisation des Stadtarchivs, Dezember 1951, SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte. 88 Biber (wie Anm. 87), 2. 89 Biber (wie Anm. 87), 3. 90 Biber (wie Anm. 87), 4. 91 Biber (wie Anm. 87), 6. 92 Vortrag des Gemeinderates an den Stadtrat betreffend die Einrichtung von Räumen für das Stadtar- chiv, vom 5.12.1951. In: Anträge an den Stadtrat, 1951/II, 180 –183, Zitat 180; SR Protokolle, 1951/ II, Sitzung vom 14.12.1951, 180. 93 SR Protokolle, 1951 / II, Sitzung vom 14.12.1951, 180. 94 SR Protokolle, 1954 / I, Sitzung vom 12.3.1954, 59. 95 Der Bund, 16.7.1953. Vgl. Neue Berner Zeitung, 16.7.1953, 3: «Heute kann sich die Stadt Bern rühmen, das modernste Archiv weit und breit zu besitzen». Ferner: Berner Tagwacht, 15.7.1953; Berner Tagblatt, 16.7.1953; Der Konsument, 11.11.1953. 96 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Presseartikel BrunneZytig vom 14.3.1997: «Keine Gegenwart ohne Vergangenheit.» 13. Jg., Heft Nr. 1, 1997, S. 10 f. 97 VB 1953, 31f.; VB 1955, 18. 98 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Schaffung der Stelle eines Stadtarchivars, von Stadtschreiber B. Wullschleger, 21.2.1955. 99 SAB, EA 5.01, GRB Nr. 1236 vom 19.8.1953. 100 VB 1958, 27. 101 Publiziert in: Der Bernaner, Nr. 75, 1955/56. 102 VB 1968, 14. 103 Siehe jetzt: Systematische Sammlung des Stadtrechts von Bern (SSSB) im Internet. 104 VB 1971, 24. 105 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Stadtarchiv Bern (Archives de la ville de Berne), undatierter Durchschlag eines Fragebogens. 106 Biber, Walter: Historischer Teil. In: Die Berner Stadtpolizei einst und jetzt. Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Stadtpolizei Bern. (Bern) 1960, 1−133. 107 Der definitive Beschluss erfolgte am 1. September 1954 (SAB, EA 5.01, GR-Protokolle, 1.9.1954; EA 5.13 4, GR-Akten). Im Rahmen der Stadtkanzlei orientierten die Verwaltungsberichte bis 1976 über den Mikrofilmdienst in einem eigenen Abschnitt. 108 SR Protokolle, 1972 / II, Sitzung vom 24.8.1972, 9f.; den ausführlichen Antrag siehe Anträge an den Stadtrat, 1972 / II, 45 – 49. 109 Zur Organisation des Stadtarchivs ab ca. 1975 siehe diverse Unterlagen in SAB, Dienststellen­ ablage. – Zur SIGEGS siehe http: // www.sigegs.ch.

Erne: Stadtarchiv 87 110 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Bericht über die Abteilung Stadtarchiv und Informationsdienst 1975–1976, von Guido Schmezer, 18.1.1977. 111 Der Bund, 16.8.1980, 17, und 18.8.1980, 11; Berner Tagwacht, 18.8.1980; Zitat: Berner Zeitung BZ, 18.8.1980, 15. 112 SAB, SFi 1 5. Vgl. SAB, D Couv Informationsfilm über Bern. 113 Bern – Führer durch die Altstadt. Bern 1975 (überarbeitete Neuauflage 1999); 150 Jahre Einwohnergemeinde Bern. Die Jubiläumsfeier vom 17. Oktober 1982 im Berner Münster. Bern 1983; Fünfzig Jahre Bern in Blumen 1937−1987. Bern 1987; Bern 1939. Ein Jahr Stadtge- schichte im Schatten des Weltgeschehens. Bern 1989. 114 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Bemerkungen zum Stadtarchiv, von Guido Schmezer, 24.10.1975. – Siehe auch oben S. 52 115 SAB, D Couv Stadtarchiv, Archivgeschichte, Ausrüstung des Stadtarchivs, von Louis Jaquet, 7.11.1975. 116 SR Protokolle, 1986 /I, Sitzung vom 30.1.1986, 96; 1988/I, Sitzung vom 4.2.1988, 167f. 117 VB 1990, 21. 118 Im Rahmen der Massnahmen zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts wurden kostendeckende Gebühren für genealogische Recherchen, die Reduktion des Aufwands für die Jungbürgerfeier und Einsparungen bei Buchbindearbeiten und Schachtelherstellung beschlossen. (Der Gemeinderat: Massnahmenplan zur Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts, Bern 1992, 1f.) 119 Seit Mai 2003 erscheint MAZ Die Zeitschrift für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Bern als vierteljährliches Personalinformationsorgan. 120 Siehe oben, Anm. 73 und 74. 121 Archivverordnung der Stadt Bern (ARCV) vom 29. August 1995, SSSB 421.21. 122 Weisung des Gemeinderats für den Einkauf, die Verwendung und Wiederverwertung von Papieren vom 15. Juni 1994. SAB, EA 5.01, GRB Nr. 1299 vom 15.6.1994. 123 Reglement über die Gebührenerhebung durch die Stadtverwaltung Bern (Gebührenreglement; GebR) vom 21. Mai 2000, SSSB 154.11. 124 Botschaft des Stadtrats an die Stimmberechtigten, Gemeindeabstimmung vom 9. Februar 2003: Umsetzung der Wirkungsorientierten Verwaltungsführung; Teilrevision der Gemeindeordnung. 125 Produktegruppen-Budget 2010, Beschluss des Stadtrats vom 17. /18. September 2009, 60. 126 Software Doris Land, Literature Information and Documentation System (LIDOS). 127 CM Informatik, Schwerzenbach (ZH), Archivinformationssystem CMI STAR. 128 Zum Beispiel Bereitstellung populärer Texte zu ausgewählten Themen aus der 800-jährigen Geschichte Berns, vgl. Erne, Emil (Hrsg.): Bern-Chronik. Mit Texten von Susanna Bühler, Michèle Graf und Bettina Tögel. Bachenbülach / ZH 1991–1995. 129 Erne, Emil (Red.): Bümpliz – Königshof, Bauerndorf, Stadtteil. Zur Geschichte der alten Gemeinde Bümpliz und des Stadtteils VI der Stadt Bern. Bern und Bümpliz 1994. 130 Aus Anlass der Zielankunft der Tour de Suisse der Radrennfahrer in Bern dokumentierte das Stadtarchiv in einer Ausstellung über «Bern und die Tour de Suisse» den entsprechenden Anlass von 1938, als Bern zum bisher einzigen Mal gleichzeitig Start- und Zielort gewesen war. 131 Die Ausstellung zeigte im Gedenken an den ungarischen Aufstand vor 50 Jahren eine Fotoserie des Berner Fotografen Walter Studer (1918 –1986), gestaltet von Peter Studer, Bern. 132 Erne, Emil: Die Entstehung der Stadtverwaltung Berns. Überblick und ausgewählte Dokumente

88 BEZG N° 01/10 von der Schaffung der Einwohnergemeinde 1832 bis zur Gemeindeordnung von 1920. Beiheft zur Ausstellung «… vom Amt ufbotte …» − Bürgerschaft und Stadtverwaltung in Bern vor hundert Jahren, im Foyer 63 der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern vom 22. Oktober bis 29. November 1996. Bern 1996 (Typoskript). 133 «Bern 1954 – Fussballwunder und andere Grossanlässe». Der Bund, 4.6.2004, 26; Berner Zeitung BZ, 4.6.2004, 12, 25; Berner Bär, 10. /11.6.2004, 11, 15. 134 Junker / Pfister (wie Anm. 1); Pfister / Egli (wie Anm. 1). 135 Erne, Emil (Hrsg.): Kompetenzenkatalog der Stadtverwaltung Bern. Entstehung, Entwicklung, Aufbau und Zusammensetzung der Behörden und Direktionen der Stadt Bern von 1832 bis 2000, zusammengestellt von Bettina Tögel. Stadtarchiv Bern 2006 (unpubliziert). Dieser Kompetenzen­ katalog dient heute als Hilfsmittel für Auskünfte über die Entwicklung der Verwaltungsorganisation und als Grundlage weiterer Forschungen. − Vgl. Tögel (wie Anm. 3). 136 Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Christian: Die Stadt Bern im 19. und 20. Jahrhundert. Bestandes- aufnahme und Projektskizze für eine Stadtgeschichte. In: BZGH 60 (1998), 4, 219–253. Interpellation von Verena Furrer (GFL) vom 29.4.1999, SR Protokolle, 1999/II, Sitzung vom 11.11.1999, 1245–1248. 137 Barth / Erne / Lüthi (wie Anm. 1). − Die Stadt trug etwas über einen Siebtel zu dem rund eine halbe Million Franken teuren Unternehmen bei. 138 SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS/Titan, Bericht zur allfälligen Verlegung des Berner Stadtarchivs, von Hans Arni und Beat Kuhn, Finanzinspektorat der Stadt Bern, Raumbewirtschaftung, 27.10.1999 (Typoskript). 139 SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS/Titan, Botschaft des Stadtrats an die Stimmberechtigten, Gemeindeabstimmung vom 27. Februar 2005: Historisches Museum Bern (BHM), Erweiterungsbau Kubus / Titan, Baukredit; Anteil Stadt, 17. − Zum Projektwettbewerb siehe SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS / Titan, Bericht des Preisgerichtes vom 23. August 2001 (Typoskript). 140 Projektliste der :mlzd architekten biel/bienne im Internet. 141 SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS / Titan, :mlzd, Erweiterung Bernisches Historisches Museum, Projektbeschrieb, August 2004. 142 Botschaft (wie Anmerkung 139), 19. SR Protokolle, 2004 / II, Sitzung vom 18.11.2004, 1534 – 1541, Zitat 1538. 143 In der Abstimmungsbotschaft war mit einer Bauzeit von ca. 26 Monaten gerechnet worden (wie Anm. 139, 18). Die Komplexität des gesamten Bauwerks, insbesondere die Verbindung zum Altbau, führte zu einer um rund 8 Monate längeren Bauzeit. Die Teuerung, zusätzliche Nutzer­ bedürfnisse und weitere Faktoren verursachten Mehrkosten von ca. 2,66 Mio. Franken. 144 SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS / Titan, Bauliches Konzept für einen Neubau des Stadtarchivs, vom 16. März 2004 (Typoskript). 145 SAB, D Couv Stadtarchiv, KUBUS / Titan, Flächenzusammenstellung durch Stadtbauten Bern, 2008. 146 Archivar, Zeitschrift für Archivwesen, 62 (2009), H. 04, Editorial, 343. 147 Gössi, Anton (Hrsg.): Archivbauten in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein 1899–2009. Zusammengestellt und hrsg. von Anton Gössi, unter Mitarbeit von Gregor Egloff und Max Huber. Baden 2007; darin Stadtarchiv Bern, 156 − 161.

Erne: Stadtarchiv 89

Fundstück

Shopping in Paris und Bern 1913 Christian Lüthi

Am 24. Dezember 1913 erschien im Berner Intelligenzblatt ein längerer Artikel mit dem Titel «Shopping». Darin beschreibt ein Korrespondent der Zeitung de- tailreich die Einkaufsgewohnheiten der vermögenden Pariser Damen: «die Pa- riserin, die mit dem Zeitgeist geht, würde um alles in der Welt keinen schönen Herbstnachmittag vorbeigehen lassen, ohne nicht dem jüngsten Modegebot, das sich ‹faire shopping› benennt, ihren Tribut zu zollen.» Im Text sind die zwei Hauptschauplätze der shoppenden Pariserinnen beschrieben, die grossen Wa- renhäuser und die Antiquitätenläden. Die Brocantehändler boten in allen Quartieren Antiquitäten feil. Es waren Lokale, «wo sich im engsten Raum ein toller Wust staubigen, muffig riechen- den Krams häuft, wurmstichige Möbel, fleckig gewordene Spitzen, Ledertape- ten, Vorhänge, rostige Waffen, Musikinstrumente, Porzellan, verblüffend ‹echt› aussehende Kopien alter Bilder, kurz dasselbe Gerümpel, das man, nur in noch mehr verwahrlostem Zustand, auf dem ‹Flohmarkt› sehen kann.» Auf diesem Feld des Shoppings ging es den Pariserinnen darum, günstige Anschaffungen zu tätigen. Dabei wurde auch mit Feuereifer gefeilscht. Dazu be- merkte der Autor lakonisch, anschliessend müsse der «teuer erstandene Greuel» in den Salons der Damen vorteilhaft präsentiert werden. Der zweite Schauplatz des Shoppings in Paris waren die grossen Warenhäu- ser. Als Folge der Industrialisierung entstanden diese im 19. Jahrhundert. Die Industrie stellte Textilien und andere Konsumgüter massenhaft und günstig her. Der Absatz der standardisierten Waren wurde nun neu organisiert und rationa- lisiert. Gleichzeitig stieg die Kaufkraft an und ermöglichte breiter werdenden Bevölkerungskreisen den Konsum von Waren über den existenziellen Grundbe- darf hinaus. Die Warenhäuser befanden sich in den Stadtzentren an guten Pas- santenlagen und präsentierten auf einer grossen Ladenfläche eine breite Palette an Gütern. Die Preise waren fest, es konnte also nicht gefeilscht werden. Dank dem Verkauf von grossen Stückzahlen waren die Preise in der Regel günstiger als bei Kleinhändlern. Zudem lancierten die Warenhäuser Aktionsverkäufe und Werbekampagnen, die den Absatz förderten. Die wichtigste Kundschaft war zu Beginn die kaufkräftige Oberschicht. Mit dem Verweis auf den Roman «Au bonheur des dames» von Emile Zola von 1883 nennt der Autor die Warenhäuser das «Paradies der Damen». Seit den 1850er-Jahren hatte sich in Paris und anderen europäischen Grossstädten das

Fundstück 91 In derselben Zeitschriftennummer wie der Artikel «Shopping» erschien auch ein ganzseitiges Inserat von Berner Spezialgeschäften, die die Leserschaft zum Einkaufen animierten. – Berner Intelligenzblatt, 24.12.1913, S. 9.

92 BEZG N° 01/10 Warenhaus als neues Geschäftsmodell im Detailhandel erfolgreich etabliert. Im Intelligenzblatt-Artikel sind die wichtigsten Namen der Pariser Warenhäu- ser von 1913 aufgezählt: Au Bon Marché, Louvre, Printemps, Galeries Lafayet­te, Samaritaine, Belle Jardinière, Bonne Ménagère und Trois Quartiers. Der Autor bekennt sich als Anhänger dieser Verkaufsform und kritisiert die bedrängten Kleinhändler dafür, dass sie gegen die Konkurrenz der Warenhäuser keine bes- sere Strategie hätten, als «durch Schundartikel und erhöhte Preise» zu reagie- ren. Ausserdem geht der Artikel auf die Kritik ein, das Warenhaus verleite zum unnötigen Geldausgeben. Er betont, dass dies nur in Ausnahmefällen geschehe und «dass die Pariserin von Natur aus praktisch, kühl und berechnend» sei. Die Frauen in Paris würden vielmehr die Vorzüge der Warenhäuser ausnutzen: «Das Warenhaus ist ihr gleichsam ein wundervoll ausgestatteter Katalog, der sie all- wöchentlich belehrt, was die Mode Neues bringt.» Dies lieferte den Damen die Ideen, um modische Kleider auch selber und mit der Hilfe einer Hausnäherin herzustellen. In den Warenhäusern gab es keinen Kaufzwang, und die gekauften Waren konnten umgetauscht werden. Man durfte unzählige Kleidungsstücke anprobie­ ren, Waren begutachten und sich vom Personal beraten lassen, ohne etwas kau- fen zu müssen. Die grossen Geschäfte lieferten gekaufte Waren ohne Aufpreis nach Hause. Diesen Service nahmen die shoppingversierten Damen ohne schlech­ tes Gewissen in Anspruch; sie liessen sich offenbar ganze Kollektionen zum Anpro­bieren nach Hause schicken. Am Schluss des Artikels geht der Autor auch auf die Pariser Männer ein. Sie hätten «alle Ursache, die Warenhäuser zu segnen und zu preisen.» Die Ehemän- ner bestellten ihren Angetrauten den Schneider und die Modistin als «Tugend- wächter». Aus ihrer Perspektive war das Shopping «das Universalmittel [...] ge- gen Einsamkeit und Langeweile, um so unfehlbarer wirkend, als es der weiblichen Schaulust, Eitelkeit und Neugierde die stärksten Lockungen bietet». Der Zeitungsartikel ist ein Zeugnis für die neuen Einkaufsgewohnheiten auf dem Höhepunkt der ersten Welle der entstehenden Konsumgesellschaft in Eu- ropa. Er beschreibt in ironischem Ton das Einkaufsverhalten der Damen aus der Pariser Oberschicht. In Bern entstanden die ersten Warenhäuser um 1900. Im Adressbuch von 1896 nannte sich die Firma Mandowsky an der 6 erstmals Waren- haus, zuvor bezeichnete sie sich als Warenabzahlungsgeschäft. 1902/03 liess Mandowsky das Haus zum Warenhauslokal umbauen. Im Branchenteil des Ad- ressbuchs der Stadt Bern erschien der Begriff Warenhaus erstmals 1903. Zuvor

Fundstück 93 präsentierten sich die erwähnten Unternehmen als Bazare, Kaufhäuser oder Warenabzahlungsgeschäfte. 1899 eröffneten David und Fanny Loeb an der Spi- talgasse ein Geschäftshaus, das vom Betrieb und der Architektur her als erstes Warenhaus Berns bezeichnet werden kann. Das grösste Geschäftshaus auf dem Platz Bern, das sich jedoch nicht als Warenhaus definierte, führte allerdings Christian Rüfenacht an der 15/17 ab 1902. 1904 eröffneten die Brü- der Otto und Bruno Kaiser an der Marktgasse/ ihre lichtdurch- fluteten Verkaufsräume. Zudem existierten Filialen von auswärtigen Warenhaus- konzernen: 1896 –1911 führte Sally Knopf aus Freiburg im Breisgau in Bern ein Geschäft; zu Beginn verkaufte die Firma bloss Textilien, später erweiterte sie ihr Sortiment um Spiel- und Haushaltwaren. 1908 zog eine Filiale der Zürcher Warenhausfirma Julius Brann in die Räume des Warenhauses Mandowsky an der Marktgasse ein, sie existierte bis 1942. 1913 –1920 bestand zudem eine Filia­le des Genfer Warenhauskonzerns Grosch & Greiff an der Marktgasse 10. 1913 musste die Berner Bevölkerung für das Shopping also nicht unbedingt nach Paris oder in andere Grossstädte fahren. Aus heutiger Perspektive ist es allerdings erstaunlich, dass 1913 bereits von Shopping die Rede war, denn im deutschen Sprachraum verbreiteten sich die Anglizismen im Geschäftsleben vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, so auch der Begriff Shopping. Ab den 1960er- Jahren plante man im ganzen Land am Rand der Agglomerationen «Shopping- centers». Die erste solche Zone, die sich an eine automobile Kundschaft richte­te, wurde 1970 in Spreitenbach eröffnet, im Kanton Bern folgte 1975 das Shoppy- land in Schönbühl. Wie der Intelligenzblatt-Artikel zeigt, war Shopping bereits 1913 in Paris und Bern möglich, damals allerdings noch ohne Auto. Ob die Damen der besse­ ren Gesellschaft in Bern 1913 auch von «faire shopping» sprachen, lässt sich leider nicht mehr eruieren. Mit Sicherheit haben sie die neuen «Warentempel» besucht, sonst hätten sich die Warenhäuser in Bern nicht etabliert. Ihr Umsatz machte aber weniger als zehn Prozent des Detailhandelsumsatzes in der Stadt Bern aus. Die kleinen Läden und der Wochenmarkt waren für den Warenum- schlag immer noch viel bedeutender.

94 BEZG N° 01/10 Beim Shopping besuchten die Bernerinnen nicht nur die Warenhäuser, sondern auch zahlreiche Spezialgeschäfte, wie hier die Schuhhandlung Nabholz am im Jahr 1909. – Foto aus: Kölla, Jean: Wo verkehren wir in Bern? Album empfehlenswerter Berner Geschäftsfirmen. Bern 1909.

Fundstück 95 Info

Das Intelligenzblatt für die Stadt Bern in den Jahrgängen 1834 –1922 steht online zur freien Verfügung: www.intelligenzblatt.unibe.ch.

Quellen und Literatur

Adressbuch der Stadt Bern. Bern, 1890 –1910. Intelligenzblatt für die Stadt Bern. 1834 –1922. Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Christian (Hrsg.): Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Stadtentwicklung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern 2003. Busse, Ulrich: Anglizismen im Duden. Eine Untersuchung zur Darstellung englischen Wortguts in den Ausgaben des Rechtschreibdudens von 1880 –1986. Tübingen 1993 (Reihe Germanistische Linguistik, 139). Crossick, Geoffrey et al. (ed.): Cathedrals of consumption. The European department store, 1850 –1939. Aldershot [etc.] 1999. Denneberg, Erwin: Begriff und Geschichte des Warenhauses. Privatrechtliche Verhältnisse der schweizerischen Warenhäuser. Zürich 1937, 47– 67. Frei, Michael: Verführerisches Konsumparadies für Frauen und Männer. Eine Untersuchung zur Anziehungskraft des Warenhauses «Jelmoli» um 1900. In: Imboden, Monika; Meister, Franziska; Kurz, Daniel (Hrsg.): Stadt, Raum, Geschlecht. Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert. Zürich 2000, 119 –132. Haupt, Heinz-Gerhard: Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2003. Spiekermann, Uwe: Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850 –1914. München 1999 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 3). Witzig, Heidi: Einkaufen in der Stadt Zürich um die Jahrhundertwende. In: Tanner, Jakob et al. (Hrsg.): Geschichte der Konsumgesellschaft. Märkte, Kultur und Identität (15.– 20. Jahrhundert). Zürich 1998 (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 15), 133 –146.

96 BEZG N° 01/10 Buchbesprechungen

Echte, Bernhard (Hrsg.): Robert Walser. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008. 511 S. ISBN 978-3-518-41860-4.

Der Herausgeber des vorliegenden Bandes und Entzifferer der Walser-Mikrogramme, Bernhard Echte, nimmt das Staunen der Leserschaft im Vorwort vorweg: Eine Bildbio- grafie zu Leben und Werk eines Autors, von dem gerade mal drei Dutzend Fotografien vorliegen, mag aussichtslos erscheinen. Und doch, bereits nach wenigen Lektüreseiten ist die gegenseitige Unterstützung von Text und Bild für den Leser selbstverständlich geworden. Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hat Echte fast 1 000 Bildquellen ge­­sammelt, die eine hoch konzentrierte Perspektive auf das Leben des Dichters freige- ben, zugleich aber auch Zeugen einer sich wandelnden literarischen Öffentlichkeit sind und das Werk Walsers bespiegeln bzw. von diesem kommentiert werden: Da sind Por- träts und Postkarten, Direktionsprotokolle von Arbeitgebern und Verlagsverträge, Lohn- listen und Pflegerrapporte, Fahrpläne und Meldebögen von Einwohnerämtern, Buch- einbände und faksimilierte Zeitungsrezensionen. Diese Dokumente hellen Walsers literarische Texte auf, vermitteln ein Zeitkolorit oder machen einfach eine Materialität von biographischen und historischen Zeugnissen verständlich. Allgemeine zeitgeschicht- liche Rekonstruktionen und intime Spurensuche erlauben eine Neubeschäftigung mit Robert Walser. Echte geht chronologisch vor. Er setzt mit der «Stammlinie» der aus dem appenzellischen Teufen stammenden Walser und der Elterngeschichte ein, es fol- gen die Kinder- und Jugendjahre Robert Walsers in Biel (1878 –1895), seine Wander- jahre als Schreiber und Commis, die Schriftstellerjahre auch in Berlin und die endgül- tige Rückkehr in die Schweiz. Den Jahren 1929 bis 1956, die Walser in der Berner psychiatrischen Klinik Waldau und in der kantonalen Heil- und Pflegeanstalt Herisau (1933 – 1956) verbrachte, ist der Schluss des Bandes gewidmet. Aus den letzten Jahren stammen überdies 21 Fotografien von Walser, die der Schriftsteller und Journalist Carl Selig nach 1935 auf Spaziergängen gemacht hat. Kommt in den ersten 400 Seiten der Biografie Walsers literarischen Texten eine verhältnismässig grosse Bedeutung bei der Kommentierung, Vertiefung oder einfach in der Begleitung des Bildmaterials zu, so nehmen diese Zeugen aus dem Textarchiv im letzten Teil des Bandes ab. Nachdem Wal- ser «von den Umständen und ihm nahestehenden Personen dazu genötigt» worden war, sich in permanente ärztliche Betreuung zu begeben, stellte er auch seine literarische Produktion ein, was die Biografie widerspiegelt. Zwar kommt er nach wie vor zu Wort, in Briefen etwa an seine Schwester Lisa Walser oder an die Brieffreundin Therese Breit- bach; doch zeichnet die Auswertung fremder Textzeugen, von Pflegeberichten, ärztli- chen Zeugnissen, Krankengeschichten oder der Korrespondenz mit der Vormundschafts­

Buchbesprechungen 97 behörde, zugleich eine zunehmende gesellschaftliche Isolation Walsers nach. Besonders aber spiegeln die Briefe Carl Seligs sowie dessen Fotos des Autors eine letzte, sehr per- sönliche Freundschaft Robert Walsers. In gleichem Masse, wie hier durch die Auswahl des Materials veränderte Fremdein- flüsse auf den «Patienten» Walser anschaulich gemacht werden, so rekonstruiert die Zu­ sammenstellung der Quellen aus den früheren Jahren nicht nur den werdenden Dich- ter, sondern auch den Büroangestellten Walser. Walser hatte bis 1905 immer wieder für kurze Zeit Commis-Arbeiten angenommen. Arbeitszeugnisse, Rechnungskolonnen oder Aufnahmen aus Arbeitsräumlichkeiten machen diesen Alltag anschaulich. Auch für andere Lebensbereiche und -stationen Walsers hat Echte eine mehr als be- achtliche Menge an zeitgenössischem Bildmaterial zusammengetragen. Die Gesellschaft und das intellektuelle Umfeld, in denen sich Walser an verschiedenen Orten bewegte, werden oftmals durch Kurzporträts von Personen charakterisiert oder zumindest skiz- ziert. Dies gilt insbesondere für die Berliner Jahre zwischen 1906 und 1913. Knappe Kommentare des Herausgebers, ergänzt auch durch Notizen und literarische Proben Walsers, werden mit den Fotos dieser Figuren zu auskunftsreichen Summarien des so- zialen Umfeldes. Mit Aneinanderreihungen solcher Kurzbeschreibungen gelingen Echte auf knappstem Raum schöne historische Querschnitte. Die Biografie vermittelt einen guten Eindruck davon, wie Walser mit literarischen und kulturellen Referenzen seiner Zeit im Austausch stand, wenngleich sich die meisten dieser Bekanntschaften als nur vorübergehend herausstellen sollten. Während Beziehungen etwa zu den Verlegern Samuel Fischer, Bruno Cassirer, Max Brod und Kurt Wolff als wechselvolle Geschäfts- beziehungen dargestellt werden, Kontakte zu einzelnen Förderern wie Christian Mor- genstern oder Franz Blei als relativ kurzfristige Begegnungen erscheinen, und Walser- Bewunderer wie Kurt Tucholsky oder Hermann Hesse nur am Rand aufscheinen – so machen auffallend viele Korrespondenzzeugnisse zum Beispiel die wichtigen Kontakte zum Literaturkritiker und Feuilleton-Leiter bei der Zeitung «Der Bund», Josef Viktor Widmann, oder zum bereits genannten Carl Selig deutlich. Immer wieder greift Echte auf die Möglichkeit zurück, solche Netzwerke in ihrer Materialität zu dokumentieren. Faksimiles von Buchumschlägen, Rezensionen oder Briefschaften kommentieren stets auch einen kommunikativen Aspekt, der mal eine zeitgenössische Publikationsästhetik, mal eine Befindlichkeit im jeweiligen Verhältnis zu Korrespondenzpartnern, mal Foren eines literarischen Austauschs betrifft. Unge- achtet der vortrefflichen Auswahl solcher Bildquellen hat unter der Fülle von Abbildun- gen allerdings auch schon mal deren Qualität zu leiden. Bei transkribierten Briefen mag man eine stark verkleinerte Reproduktion nachsehen; ist man hingegen bei der Ent- schlüsselung von Textzeugnissen auf sich gestellt, so wäre man zuweilen für augenfreund­

98 BEZG N° 01/10 lichere Bildwiedergaben dankbar. Zudem fehlen Angaben zu den Grössenverhältnissen der Originale, was etwa bei Abbildungen von Buchumschlägen deutlichere Aufschlüsse über Adressatenkreise erlaubte. Schliesslich ist Echtes Entscheidung, sämtliche Abbil- dungen nur schwarzweiss wiederzugeben, mit Blick auf den paratextuellen Wert der Zeugnisse auch kritisierbar. Es fällt auf, als wie stark «deckungsähnlich» der vorliegende Band literarisches Werk und Biografie Walsers erscheinen lässt. In unzähligen Fällen wählt der Herausgeber als Kommentar zu biografischen Elementen Auszüge aus Walsers Werk. In gewissen Fällen verweist er dabei auf Verschiebungen, die Erlebtes beim Übergang in Walsers Literatur­ erfahren hat – auf Änderungen von Eigennamen etwa –, andernorts stehen die lite­ra­ri­ schen Texte unkommentiert da. Es mag sein, dass der biografische Gehalt in Walsers Tex­ten grösser ist als bei anderen Autoren; gewöhnungsbedürftig bleibt dieses abglei- chende Verfahren doch. Walsers zu kommentierende Texte werden selbst zu Kommen­ taren. Die­ser darstellerische Gestus ist bei einer Bildbiografie, wo das Verhältnis zwi- schen Faktua­lität und Fiktionalität zusätzliche, weil mehrmediale narratologische Schwierigkeiten mit sich bringt, umso auffallender. Erzähltheoretische Beurteilungen wären hier aber vielleicht auch fehl am Platz, macht der Herausgeber mit dieser Text- auswahl doch eher Lektüreangebote, die dem bereits von Walter Benjamin vermerkten Sachverhalt Rech­nung tragen, dass man zwar viel von Robert Walser lesen könne, we- nig aber über ihn. Bernhard Echte hat mit diesem Mammutprojekt ein Desiderat in der Auseinander- setzung mit Robert Walser berücksichtigt. Auch im Kontext der zurzeit entstehenden «Kritischen Robert Walser-Ausgabe» und der Einrichtung des Robert Walser-Zentrums in Bern (seit 2009) leistet der vorliegende Band einen erheblichen Anteil zur Aufarbei- tung und literarischen Einordnung von Walsers Leben und Werk. Und nicht zuletzt weist das hier gewählte kompositorische Vorgehen einer Bild-Text-Verbindung mögliche her- meneutische Wege, die einer lustvollen und überaus ergiebigen Lektüre offenstehen. Stefan Humbel

Bietenhard, Benedikt; Grädel, Christoph (Hrsg.): Das Jubiläums- buch. fgb. 150 Jahre Freies Gymnasium Bern. Bern: Freies Gymnasium Bern 2009. 248 S.

2009 feierte das Freie Gymnasium Bern (FGB) sein 150-jähriges Bestehen. Zu diesem An­lass publizierte die Schule eine Jubiläumsschrift. Der reich bebilderte Band ist in zwei Teile gegliedert. Der zweite Abschnitt befasst sich ausschliesslich mit den vergangenen 50 Jahren. Hier finden sich unter anderem Auflistungen der Maturjahrgänge und -reisen

Buchbesprechungen 99 1960 –2009, der Konzerte und Theateraufführungen seit 1960 und Erinnerungen ehe­ maliger Rektoren und Direktionspräsidenten. Weiter zurück in die Geschichte des Frei­en Gymnasiums blickt der erste Teil des Buches, der die Zeit seit der Gründung im Jahre 1859 beleuchtet. Hier werden sämtliche Lehrkräfte, Schulleitungen, Mitarbeiter und der Schulvorstand 1859 –2009 aufgelistet, ferner werden die Geschichten zweier Familien erzählt, die seit Generationen das FGB besuchen. In diesem ersten Teil findet sich – zu- mindest aus Sicht der Historikerin – auch das Herzstück des Buches, das Kapi­tel «Freies Gymnasium Bern 1859 –2009» von Benedikt Bietenhard, Lehrer für Geschichte am FGB. Bietenhard zeichnet die 150-jährige Schulgeschichte chronologisch nach. Am An- fang steht Theodor von Lerber, der 1859 in der Stadt Bern eine kleine evangelische Privat­ schule für Knaben von 5 bis 10 Jahren gründet. Das Institut wächst rasch, muss deshalb mehrmals neue Räumlichkeiten beziehen und wird 1866 um ein Progymnasium, 1869 um ein Gymnasium erweitert. Ende der 1880er-Jahre beginnende Auseinandersetz­un­ gen zwischen Lerber und seinen Mitarbeitern betreffend Neugestaltung des Gymnasial­ un­terrichts (alte Sprachen versus Naturwissenschaften, moderne Sprachen) führen 1892 zum Rücktritt Lerbers. Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert halten die Frauen Einzug an der Knabenschule. 1901 werden die ersten Schülerinnen zugelassen und fast gleichzeitig wird die erste weibliche Lehrkraft eingestellt. 1902 erhält das FGB die ETH- Anerkennung und 1909 die Hausmatur, beides wichtige Etappen auf dem Weg zur Gleich­ stellung mit den staatlichen Gymnasien. Geldmangel war seit den Anfängen ein stän- diger Begleiter des Schulalltags. Nach dem Ersten Weltkrieg wachsen die finanziel­len Lasten dann in einem noch nie erreichten Mass, unter anderem bedingt durch eine nö- tig gewordene Erhöhung der Lehrerlöhne. Zur Finanz- kommt eine Vertrauens- und Dis­­zi­­plinarkrise hinzu, die 1925 zum Rücktritt des Direktors und fast zur Schulschlies- sung führt. Ab 1964 erhält die Schule kantonale Subventionen und wird damit auch in fi­­nan­ziel­­ler Hinsicht den staatlichen Gymnasien gleichgestellt. Die 68er-Bewegung löst einen «kleinen Sturm im Wasserglas Freies Gymnasium» (S. 60) aus, bleibt aber ohne nennens­werte Konsequenzen. Die 1970 er- und 1980 er-Jahre bringen Veränderungen hinsichtlich Unter­richtsinhalte mit sich, unter anderem wird Informatik als neues Fach ein­ge­führt. 1988 tritt der langjährige Rektor Erwin Sager zurück, als sein Nachfolger wird Urs Zürcher gewählt. In Zürchers fast 20-jährige Amtszeit fallen einige Neuerun- gen, darunter die Ein­führung von Sprachkursen und Austauschprogrammen. Im Jubi- läumsjahr wird das FGB von David Lingg geleitet. Schulhistorische Forschung besteht überwiegend aus Arbeiten, die die Geschichte einzelner Bildungsinstitutionen fokussieren. Ein Grossteil dieser Schriften gehört zur Gattung der Fest- und Jubiläumsliteratur. Diese grosse Tradition übersieht Bietenhard, wenn er einleitend den Sonderstatus hervorhebt, den das Freie Gymnasium mit der aktu­

100 BEZG N° 01/10 el­len und vorgängigen Festschrift einnehme. Seine Chronik folgt insofern den klassi- schen Jubiläumsschriften, als dass sie den grossen Männern verpflichtet ist. Die Amts- zeiten der Rektoren und Direktoren geben die Zäsuren vor, entlang derer die Kapitel eingeteilt sind und die Geschichte erzählt wird. Insbesondere dem Gründer wird grosses Gewicht und viel Platz eingeräumt. Die fast schon mythische Stilisierung Lerbers ba- siert auf den älteren Jubiläumsschriften sowie der Lerber-Biographie Rudolf von Tavels, auf welche Bietenhard sich stützt. Ehemalige Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte sowie dem Freien Gymnasium verbundene Personen finden in Bietenhards Chronik mit den beigefügten Fotografien und Auflistungen viel Wissenswertes über die Schulentwicklung. Für eine breitere, an Schulgeschichte interessierte Leserschaft fehlt hingegen weitgehend die Einordnung der Geschehnisse in einen grösseren (bildungs-)historischen Kontext. Als Erklärung für innerschulische Veränderungen wird immer wieder der Zeitgeist ins Feld geführt. Prozesse, die im 19. und 20. Jahrhundert den «säkularen Zeitgeist» (S. 21) aus­machen und die Geschichte der konfessionell begründeten Privatschule im Besonderen und diejenige des schweizerischen Schulsystems im Allgemeinen mitbe- stimmen, kommen hingegen nicht zur Sprache. Die laizistische Schule, die Gewicht auf empirische Fächer und Distanz zur Religion legt, steht seit der Französischen Repub- lik und ihrer Kopie in der Helvetischen Republik im Zentrum der Demokratisierungs- bemühungen. Schule soll allen Bürgern gleichermassen entsprechend ihren Fähigkei- ten und Bedürfnissen das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um an der Öffentlichkeit teilzuhaben, von der aus Staat und Gesellschaft kontrolliert werden. Schule wird aus- gerichtet auf eine sich wandelnde Öffentlichkeit, auf das öffentliche Wissen. Ein grös- serer Gegen­satz zum Konzept kirchlicher Schulen ist kaum denkbar. Diese wurden ge- dacht von einer unveränderlich absoluten, unwandelbaren Grösse, Gott und Offenbarung, aus.1 Aus der ablehnenden Haltung gegenüber der liberalen Schule und der liberalen Gesellschaft entstehen im 19. Jahrhundert die evangelischen Schulen. Vor dem Hintergrund dieser Pro­zesse liessen sich die Gründung des FGB und das Ringen um Gleichstellung mit den staatlichen Gymnasien breiter kontextualisieren. Damit würde der «Zeitgeist» fassbarer und die Schulentwicklung nicht primär aus den Hand- lungen der grossen Männer erklärt. Auf einen weiteren Kontext, der keine Erwähnung findet, ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des Fächerkanons hinzuweisen: den Siegeszug der Naturwissenschaf- ten. Eine Reihe grosser naturwissenschaftlicher Durchbrüche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden rasch Eingang in den gymnasialen Unterricht. Eine gewichtige Rolle in diesem Prozess spielt die ETH. Sie schliesst mit den Gymnasien Verträge über den prüfungsfreien Übertritt ab und kontrolliert im Gegenzug, dass der na­tur­wis­sen­

Buchbesprechungen 101 schaft­liche Unterricht ausreichend Berücksichtigung findet. Die ETH-Anerkennung, welche das FGB 1902 erhält, wird zwar erwähnt. Doch auch hier liesse sich die inner- schulische Entwicklung in einen grösseren Zusammenhang stellen und würde dadurch anschaulicher. Das Jubiläumsbuch ist leicht verständlich geschrieben und durch seine zahlreichen Abbildungen ansprechend. Insbesondere für Ehemalige stellt es ein Nach- schlagewerk dar, welches zum Stöbern in der 150-jährigen Schulgeschichte einlädt. Michèle Hofmann

1 Osterwalder, Fritz: Humanistische Bildung – fachwissenschaftliche Bildung. In: Badertscher, Hans; Grunder, Hans-Ulrich (Hrsg.): Geschichte der Erziehung und Schule in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert. Leitlinien. Bern 1997, 237– 277; Ders.: Vom «Gegengewicht» zum «geeigneten Ort» – Berner Staat und evangelische Privatschulen. In: Vom Evangelischen Seminar zum Campus Muristalden. Zürich 2004, 155 –165.

Holenstein, André (Hrsg.), in Verbindung mit Daniel Schläppi, Dieter Schnell, Hubert Steinke, Martin Stuber, Andreas Würgler; Red. Charlotte Gutscher: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt. Bern: Stämpfli 2008. 607 S. ISBN 978-3-7272-1281-9.

Dass es sich um eine im wahrsten Sinne gewichtige Darstellung handelt, konnte der Re- zensent schon beim Empfang feststellen, als er das Rezensionsexemplar, das an die Uni- versitätsadresse gesandt wurde, zu seinem Wohnort im Thurgau befördern musste. Be- eindruckend ist nicht nur der Umfang von 607 Seiten, sondern auch die Zahl von 110 Autoren und Autorinnen. Im Unterschied zum zweiten Band der neuen Zürcher Ge- schichte ist auch die universitäre Forschung markant vertreten. Die Mitwirkung be- schränkt sich nicht nur auf Forscherinnen und Forscher aus dem Bereich Geschichts- wissenschaft, in einzelnen Beiträgen kommen auch Spezialistinnen und Spezialisten aus anderen Fachgebieten zu Wort. Berns Geschichte im 18. Jahrhundert ist in vier Hauptkapitel gegliedert. Diese fas- sen eng verwandte Themenbereiche wie etwa Bevölkerung, Umwelt und Wirtschaft zu- sammen. Jedem Hauptkapitel wird eine Einleitung vorangestellt, die didaktisch ge- schickt, anhand eines Bildes, in die Thematik einführt. In Form eines Epilogs wird eine Bilanz gezogen. Neben ausführlicheren Artikeln zu bestimmten Themen stehen Mini- aturen, die als Brennpunkte und Schlaglichter bezeichnet werden. Hier ist auch Platz für Kurioses wie etwa «Erste Hilfe für Ertrunkene: das Tabakrauchklistier». Die Rub- rik Lebensbilder enthält Kurzbiographien von Berner Persönlichkeiten. Der Vorteil des gewählten Aufbaus liegt in der enzyklopädischen Breite des Wissens, das vermittelt

102 BEZG N° 01/10 wird. Der Einstieg ins umfangreiche Werk kann punktuell erfolgen; die mit sorgfältig ausgesuchtem Bildmaterial illustrierten Artikel laden förmlich zum Lesen ein. Der Titel «Berns goldene Zeit» mag auf den ersten Blick überraschen, da er eine un- kritische Analyse erwarten lässt und nicht die Erfahrung der gesamten Bevölkerung des Berner Stadtstaats im 18. Jahrhundert wiedergibt. In einer vom Herausgeber, André Holenstein, verfassten Einleitung wird diese Sichtweise eines verklärenden Blicks auf die altbernische patrizische Republik problematisiert. Er zieht eine Kontinuitätslinie die­ ses wirkungsmächtigen Deutungsmusters, die von den ausländischen Reiseschriftstel- lern über den wehmütig-nostalgischen Rückblick von Berner Aristokraten bis zum Stan­ dard­werk aus den 40er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts, der Geschichte Berns von Richard Feller, reicht. Dieser Zugriff gestattet interessante Einblicke in die Berner Erin­ nerungskultur und gibt Auskunft über die Projektionen, die mit dieser Sicht verbunden­ sind. Sie lässt eine krisenhafte Zeitdiagnostik aus der Perspektive der aristokratischen Verlierer hervortreten, eine ablehnende Sicht auf die Moderne. Der Zugang zur Berner Geschichte aus einer reflexiven Sicht auf das goldene Zeit­ al­ter bringt sicher den Vorteil stärkerer Differenzierung. So werden überzeichnete Ne­ ga­­tiv­­wertungen des Acien Régime, wie sie für die liberale Geschichtsschreibung kenn- zeichnend waren, vermieden. Anstatt einer strengen Dichotomie rücken vorhandene Kontinuitätslinien ins Blickfeld. Allerdings besteht zuweilen doch die Gefahr einer zu po­sitiven Sichtweise, die Dechiffrierung der Herrschaftsverhältnisse, ein zentrales An- liegen der kritischen Sozialgeschichtschreibung der 80er-Jahre, weicht einer wohlwol- lenden Beurteilung. An den Epilogen sollen die Vorteile und Defizite dieser Grundhal- tung verdeutlicht werden. Im Epilog zum Kapitel Umwelt und Wirtschaft beschreibt Martin Stuber den gesell­ schaftlichen Nutzen der von den Ökonomischen Patrioten betriebenen Naturforschung, die zu einer Dynamisierung mittels Wissenschaft und zur Ertragssteigerung führt. Der Überblick vermag die Bedeutung der Agrarreformbewegung für die Moderni­sierung der Landwirtschaft eindrücklich zu illustrieren. Die Kehrseite dieser «Ökonomisierung­ der Natur», ihre Unterwerfung unter die instrumentelle Vernunft und deren Folgekosten, die Entzauberung der Welt und die Degradierung der Menschen zu Objek­ten der wissen- schaftlich-technischen Naturbeherrschung bleiben in dieser Perspektive etwas unter- belichtet. Es gehört zu den Grundeinsichten der Dialektik der Aufklärung, dass diese eindimensionale Sicht auf die Natur, wie sie schon bei den Naturforschern des 18. Jahr- hunderts auszumachen ist, nicht nur die Basis für die Naturzerstörung bietet, sondern auch ein Gewaltverhältnis konstituiert, das als Herrschaftszusammenhang analysier- bar ist. Die wissenschaftlich-technischen Produktivkräfte haben ihre Unschuld schon im 18. Jahrhundert verloren. Ein wichtiger Aspekt für die Umsetzung der Agrarreformen

Buchbesprechungen 103 sind die Kontakte der Repräsentanten vor Ort (Pfarrer / Amtmann) zu den länd­­­lichen Pro­ duzenten. Sie werden zu Recht als Teil eines umfassenden Kommu­ni­ka­tions­netz­werks der Aufklärung begriffen. Es fragt sich jedoch, ob diese Kommunikation wirklich so ungezwungen ist, wie sie dargestellt wird. Häufig handelt es sich um verzerrte Kommu- nikation, die dahinter stehenden Herrschaftsverhältnisse werden verschleiert. Im Epilog zum Kapitel Gesellschaft zeigt Daniel Schläppi die Gleichzeitigkeit von Statik und Dynamik am Beispiel eines Prozesses gegen eine Gruppe von Glücksspielern auf. Einerseits greift die Obrigkeit auf traditionelle Praktiken der Wahrheitsfindung und auf harte Sanktionen zurück, um tradierte Moralvorstellungen durchzusetzen. Gleich- zeitig ist sie zu Konzessionen bereit, das Verfahren nimmt den Charakter eines Aushand­ lungsprozesses an, wie er für die Konfliktbereinigung in der Frühneuzeit zuweilen ty- pisch ist. Als Ursache für diese Doppelstrategie konstatiert der Autor zu Recht ein Spannungsverhältnis zwischen Norm und Wirklichkeit, in unterschiedlichen Milieus verlieren die starren Normen ihre Bedeutung und die Standesgrenzen werden über- schritten. Die flexiblere Haltung dient allerdings der Herrschaftsstabilisierung und -si- cherung, ein Verfall der republikanischen Tugend würde zu einem Legitimationsverlust der Herrschaft führen. Flexibel und dynamisch sind die Herrschaftsträger dann, wenn es dem Macherhalt dient, aus strategischen Überlegungen sind sie zu partiellen Zuge- ständnissen und zu Korrekturen bereit. Werden allerdings die obrigkeitlich definierten Toleranzgrenzen überschritten und Grundbestände der bestehenden Gesellschaftsord- nung angetastet, bleibt von der Flexibilität nichts mehr übrig, die überkommenen po- litischen Verhältnisse, aber auch die Ständeordnung werden erbittert verteidigt. Gegen- über den Herausforderungen des wirtschaftlichen und sozialen Wandels erweist sich das politische System als starr. Modernisierung und partielle Reformbereitschaft ha- ben letztlich immer defensiven Charakter. Deshalb sollte sich die Geschichtswissen- schaft von Begriffen wie Aristokratisierung und Sozialdisziplinierung nicht gänzlich verabschieden, zumal sie als Epochensignaturen auch einen Kernbestand von Herr- schaftsstrukturen charakterisieren. Hubert Steinke hat den Epilog zum Kapitel Religion, Kunst und Wissenschaft ver- fasst. Im Zentrum steht die Frage nach einer Berner Aufklärung. Er stellt fest, dass das Aufklärungsspektrum in Bern sehr breit ist und von gemässigten bis zu radikalen Po- sitionen reicht. Dass Aufklärung keine homogene Bewegung ist, zeigt sich schon an den zeitgenössischen Diskussionen, indem von wahrer und falscher Aufklärung die Rede ist. Die moderne Aufklärungsforschung operiert deshalb mit dem Begriff «Aufklärun- gen», um die regionalen Ausprägungen und Abstufungen einzufangen. Der Autor geht allerdings noch einen Schritt weiter. Mit dem Kennwort Gelehrtenrepublik versucht er ein noch breiteres Spektrum zu erfassen. Als Vorteil dieser neuen Perspektive sieht er,

104 BEZG N° 01/10 dass sich sowohl bewahrende wie dynamische Elemente innerhalb der geistigen Elite abbilden lassen. Als gemeinsamer Nenner bleiben allerdings nur noch die kommunika- tive Vernetzung, die gemeinsame Bemühung um friedliche Verständigung und das Be- streben nach Wissensvermehrung. Durch die Verflüssigung des Aufklärungsbegriffs und die Verlagerung des Fokus auf die Gelehrtenrepublik geht das Bewusstsein vom Prozess­ charakter der Aufklärung verloren. Als zielgerichteter und irreversibler Prozess, der ver- schiedene Radikalisierungsstufen durchläuft, wird Aufklärung zum Wegbereiter der Revo­lutionen. In diesem Sinne gibt es nur eine Aufklärung. Ausgehend von den zeitgenössischen Reiseschriftstellern favorisiert André Holen- stein in seinem Resümee zum Kapitel Politik, Verwaltung, Justiz und Militär das Deu- tungskonzept des «Paternalismus». Das schon von Zeitgenossen wahrgenommene posi­ tive Bild der Berner Stadtrepublik erfährt durch die moderne Forschung insofern eine Bestätigung, als sich diese von absolutistischen Fürstenstaaten unterscheidet. Ein ste- hendes Heer, die Staatsfinanzierung durch direkte Steuern und eine ausgebaute Staats- bürokratie fehlen. Gegenüber den Fürstenstaaten erweist sich die patrizische Regie- rung als vermeintlich mildes und fürsorgliches Regiment. Die Ursache sieht der Autor nicht in einer philanthropischen Gesinnung der Herrschaftsträger, sondern in der struk- turellen Prekarität der Herrschaftsverhältnisse, zumal die nötigen Repressionsmittel für die Durchsetzung fehlen. Zu fragen wäre, ob fehlende Repressionspotenziale nicht durch subtilere Herrschaftspraktiken kompensiert werden können. Auch in Stadtre- publiken wie Bern und Zürich ist eine Tendenz zum Ausbau der staatlichen Herrschaft und zur Rationalisierung und Effizienzsteigerung der Macht festzustellen. Diese Ten- denzen lassen sich mit dem Begriff «Semiabsolutismus» adäquater beschreiben als mit dem Paternalismuskonzept. Die gänzliche Verabschiedung vom Absolutismusbegriff führt letztlich zur Konstruktion eines eidgenössischen Sonderwegs, indem das milde Regiment der «Landesväterlichkeit» in Kontrast zur repressiven Herrschaft in deut- schen Fürstenstaaten gestellt wird. Einschätzungen von Schweizern, die nach Preus- sen auswandern mussten, aber auch von hellsichtigen einheimischen Kritikern zeich- nen ein anderes Bild. In einem letzten Fazit zu den Themen Helvetik und Mediation beschreibt Andreas Würgler die Kontinuitäten und Diskontinuitäten während dieser Übergangsepochen. In politisch-verfassungsrechtlicher Perspektive erweist sich die Helvetik als klarer Bruch, während sich in wirtschafts-, sozial- und technikgeschichtlicher Sicht die Ver- änderungen schon vorher angebahnt haben. Auch bei der Neuordnung der politischen Verhältnisse können die Akteure auf vormoderne Politikkonzepte wie Kommunalismus, Re­pu­bli­­kanismus und Landsgemeindemodell zurückgreifen. Dabei darf aber nicht über- sehen werden, dass während der Revolutionszeit eine Modifikation dieser Politikmo-

Buchbesprechungen 105 delle erfolgt, die den Einflüssen der Französischen Revolution, den Ideen von Freiheit und Gleich­heit zu verdanken ist. Ein wesentliches Moment des Scheiterns des Helveti- schen Einheitsstaates mit seiner Repräsentativverfassung liegt gerade darin, dass er mit poli­ti­­schen und sozialen Erwartungen konfrontiert wird, die auf diese modifizierten Vorbil­der zurückgreifen können. Dies kommt auch in den Protestbewegungen gegen die Helve­tik zum Ausdruck, die in der bisherigen Forschung vorschnell mit dem Attri- but konterrevo­lu­tionär oder reaktionär versehen worden sind. Ein vertiefter Blick auf diese Bewegungen, wie die Erhebung im Berner Oberland, wäre deshalb in den eher in­stitutionen- und ereignisgeschichtlich orientierten Artikeln zu diesen Epochen wün- schenswert gewesen. Das voluminöse Werk vermittelt tiefe Einsichten in die Berner Geschichte des 18. Jahr­ ­hunderts und eröffnet neue Perspektiven, indem es am aktuellen Forschungsstand ori- entiert ist. Der Zugang über die Erinnerungskultur an Berns «Goldene Zeit» erweist sich in dieser Hinsicht als heuristisch geschickter Schachzug, verleitet aber stellenweise zu einer zu affirmativen Einschätzung, die durchaus in einer Kontinuitätslinie der Ber- ner Geschichtsschreibung steht. Das kolportierte Urteil Samuel Henzis, anlässlich des Versagens des Henkers – «Tu exécutes commes tes maitres jugent» –, die auch ein grel- les Licht auf die Berner Verhältnisse im Ancien Régime wirft, ist in dieser Sicht nicht repräsentiert. Bezeichnend ist auch, dass der radikalste Kritiker der alten Berner Staats- ordnung, trotz grosser Publizität im 18. Jahrhundert, in seiner Heimatstadt keine Er- innerungskultur begründen konnte. Es gibt weder ein Denkmal noch eine Gedenktafel, nicht einmal eine Strasse, die nach ihm benannt ist. Es scheint, dass die positiv kon­ notierte Erinnerung ans goldene Zeitalter auch dafür gesorgt hat, dass Bern mit seinem «aufmüpfigsten Sohn» immer noch keinen Frieden geschlossen hat. Rolf Graber

Müller, Reto: «Das wild gewordene Element»: gesellschaftliche Reaktionen auf die beiden Hochwasser im Schweizer Mittelland von 1852 und 1876. (Berner Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 2.) Nordhausen: Bautz 2004. 236 S. ISBN 978-3-88309-231-7.

In den Jahren 1852 und 1876 wurde das Schweizer Mittelland von zwei besonders gros- sen Unwettern mit nachfolgenden Überschwemmungen und riesigen Schadensfolgen heimgesucht. Der Autor analysiert in seiner Untersuchung weniger die weitgehend be- kannten Vorgänge als das Darum herum: Erklärungsversuche und Berichterstattung, Expertenmeinungen, Hilfe und Entschädigung und die kurz- oder langfristigen politi- schen Folgen.

106 BEZG N° 01/10 Bemerkenswert beim Hochwasser von 1852 sind die folgenden Phänomene: Der Bund erwies sich zu diesem Zeitpunkt noch als weitgehend ohnmächtig. Zu nahe waren die Erfahrungen des Sonderbundkrieges, zu neu die eben erst realisierten Bundeskompe- tenzen. Überkantonale Solidarität war unter diesen Umständen schwer zu erreichen und der Verwaltungsapparat offenbar einfach überfordert. Bemerkbar machen sich bei dieser Überschwemmung auch die ersten Ansätze und Forderungen der Forstwissen- schaft: Die Feststellung, dass die Übernutzung der Wälder einen Einfluss auf die hohen Abflussmengen der Gewässer hat und dass Aufforstungen Wasser zurückhalten könn- ten. Das Hochwasser von 1852 traf das Seeland in ganz besonderem Masse. Die in die- ser Zeit fast eingeschlafenen Bestrebungen für eine Juragewässerkorrektion erhielten mit diesem Unglück wieder Auftrieb. Das Hochwasser von 1876 betraf primär die Nordostschweiz. In ihren Kompetenzen seit der Verfassungsrevision gestärkt, konnten die Bundesbehörden nun sofort effizient­ eingreifen, mit Truppenaufgeboten und in der Koordination der Spendensammlungen.­ Ein wichtiges Kapitel von Müllers Arbeit ist die Zusammenfassung der Vorgeschichte der Juragewässerkorrektion. Es erstaunt, wie mühsam der Weg von der Idee bis zur Re- alisierung gewesen ist. Die Überschwemmungen waren seit dem späten Mittelalter be- kannt, seit dem 17. Jahrhundert studierte man punktuelle Massnahmen, und dennoch wurde im 19. Jahrhundert während Jahrzehnten über Techniken, Kosten und Kompe- tenzen gefeilscht. Zu einem erfolgreichen Abschluss kam die Juragewässerkorrektion letztlich nur dank der Intervention des Bundes, der die verfassungsmässige Kompetenz hatte, wichtige Werke finanziell zu unterstützen. Das bedeutete insbesondere für die schwer betroffenen Gemeinden des Seelandes eine spürbare Erleichterung. Die Jura- gewässerkorrektion steht daher gemäss Müller am Anfang einer wesentlichen Aktivität des Bundes bis auf unsere Tage. Mit Bundesgeld konnte man zentrifugale Kräfte bün- deln und Resultate erreichen, die auf bloss gesetzgeberischer Ebene wohl kaum eine Chance auf Realisierung gehabt hätten. Quirinus Reichen

Carl Albert Loosli, Judenhetze. Werke Band 6: Judentum und Antisemitismus. Hrsg. von Fredi Lerch und Erwin Marti. Zürich: Rotpunktverlag 2008. 540 S. ISBN 978-3-858669-335-8.

«Den Juden schlägt man, aber die Freiheit und die Menschlichkeit meint man!» (S. 265) So schliesst ein Beitrag von C.A. Loosli, der 1930 im Israelitischen Wochenblatt erschien und in der neuen, von Fredi Lerch und Erwin Marti sorgfältig kommentierten Werkaus­ gabe nachgelesen werden kann. Loosli, der sich selbst als «der lebenslängliche Verding-

Buchbesprechungen 107 knabe des schweizerischen nationalen und geistigen Lebens» (S. 431) bezeichnete, schöpfte aus der eigenen Erfahrung von Randständigkeit und Stigmatisierung eine be­ son­dere Sensibilität für die Verwundbarkeit von exponierten Minderheiten. Zwischen 1927, als das Buch mit dem sarkastischen Titel «Die schlimmen Juden» erschien, und dem berühm­ten «Berner Prozess» von 1933/35 widmete Loosli einen beachtlichen Teil sei­nes Schaffens der Abwehr von Antisemitismus. Unermüdlich schrieb er gegen die Wahn­vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung an, mit viel Scharfsinn, Entschlos- senheit und nicht immer gefeit vor der Versuchung zur belehrenden Geschwätzig­keit. Lange bevor die Nationalsozialisten den Judenhass zur Staatsideologie erhoben, er- kannte Loosli die Bedrohung, welche vom modernen Antisemitismus ausging. Er warnte davor, Hetzschriften wie die «Protokolle der Weisen von Zion» lediglich als verworrene Hirngespinste abzutun, und wies nachdrücklich auf das «völkermörderische» Potenzial ihrer Lügengebilde hin (S. 177). Man dürfe diese umso weniger auf die leichte Schulter nehmen, als finanzstarke Kreise und angesehene Persönlichkeiten – so der amerikani- sche Automobilhersteller Henry Ford – hinter deren Verbreitung steckten und den irr- witzigen Verschwörungstheorien so bis weit in bürgerliche Kreise hinein Glaubwürdig- keit verliehen, mahnte er. Beim Kampf gegen die Judenhetze ging es für Loosli um den Schutz elementarer Werte der Zivilisation, oder um seine Worte zu gebrauchen: die Gesittung und Men­schen­ ­würde. Wo er in den Antisemiten die Barbaren der Neuzeit sah, schrieb er den Juden gleich­­sam die Rolle von Seismographen für die Geltung von Recht und Gerechtigkeit zu. Er bezeichnete sie als «die äussersten Vorposten der allgemeinen Menschen- und Bür­ ger­rechte» und folgerte daraus, «dass ein Angriff auf die Juden stets das untrüglichste Vor­zeichen sich vorbereitender Angriffe auf die inneren und äussern Selbstbestimmungs­ rechte der Völker» sei (S. 83). Mit dieser Formulierung bezog sich Loosli auch auf die inter­national brisanten Debatten um den Minderheitenschutz und die brennende Frage, wie der kollektive Status der Juden zu definieren sei. Doch in dieser Frage schwankte Loosli, wie im Übrigen viele seiner auch jüdischen Zeitgenossen, zwischen der Definition von Juden als Schweizer Staatsbürger jüdischen Glaubens und ihrer Anerkennung als Minderheit mit einer eigenen nationalen Identi- tät. Selbst wenn er an der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit der Schweizer Juden nie den geringsten Zweifel aufkommen liess, blieb er trotzdem in vielerlei Hinsicht dem vor- herrschenden Diskurs verhaftet, einem Diskurs, der im Juden den Anderen schlechthin sah. Davon zeugen Formulierungen, in welchen Loosli das «Verhältnis der schweizeri- schen Volksmehrheit zur jüdischen Minderheit» anspricht (S. 250) und so die Unver- einbarkeit von jüdischer und schweizerischer Identität zumindest als denkbare Mög­ lichkeit nicht ausschliesst.

108 BEZG N° 01/10 Für unser Empfinden ist auch Looslis Sprachgebrauch zuweilen eine Quelle des Unbe- hagens. Unbefangen, wenn nicht gar unbedarft, benutzte Loosli Begriffe, die wir heute eindeutig der Sprache des Dritten Reiches zuordnen würden. Das war für diese Zeit zwar nicht unbedingt aussergewöhnlich. Für die 1920er-Jahre lassen sich Texte finden, in welchen auch jüdische Autoren bedenkenlos den Ausdruck «arisch» verwenden, wäh- rend Schweizer Behörden vereinzelt bis in die 1950er-Jahre hinein die Terminologie der nationalsozialistischen Rassenideologie nachplapperten. Trotzdem ist es befremd- lich, in Looslis Schriften, die sich explizit gegen den Rassenantisemitismus richten, die Ausdrücke «völkisch» und «arisch», «Volkskörper» und «eidgenössische Gaue» zu le- sen. Der Germanist Jonas Fränkel, ein enger Vertrauter, mahnte Loosli 1934 denn auch eindringlich, von seinem übereifrigen Sprachpurismus abzusehen, da heutzutage nur noch Nationalsozialisten ein solches Deutsch wie er schreiben würden (S. 13). Ein Rat des Freundes, den Loosli offensichtlich beherzigte, wie seine späteren Texte zeigen. Im Übrigen hat das Engagement gegen den Antisemitismus Loosli auch von jüdischer Seite nicht nur Lob eingetragen. Seine unklar formulierten Assimilationserwartungen ver­mittelten vielen den Eindruck, dass die endgültige Überwindung des Antisemitismus das restlose Aufgehen der Juden im «Wirtsvolk», deren vollständige Ver­­schmelzung mit der Mehrheitsbevölkerung, erheische. Es überrascht kaum, dass die implizierte Preis- gabe der eigenen Identität vor allem bei den Zionisten auf wenig Gegenliebe stiess. De- ren scharfe Kritik bewog Loosli, seine Position zu revidieren. Statt Assimilation wollte er nur noch von «Adaption» sprechen, die er in Analogie zur Anpassungsleistung der in Volksabstimmungen unterliegenden Minderheit konzipierte (S. 252). Persönlich scheint Loosli die zionistische Kritik aber schlecht verwunden zu haben. Er liess sich in seiner privaten Korrespondenz auch aus anderem Anlass wiederholt zu harten Worten über die Politik der Schweizer Juden hinreissen. Im Herbst 1935 taxierte er deren vorsichtig abwägende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus als «Nassehosenpolitik» (S. 386) und warf einige Monate später dem schweizerischen «Assimilationsjudentum» «Gesinnungsfeigheit» (S. 389f.) vor. Teils rührte diese Bissigkeit von Looslis Enttäuschung über die jüdische Weigerung, den Erfolg im «Berner Prozess» publizistisch auszuschlachten. Dieses Gerichtsverfah- ren, dem ein umfangreicher Teil des vorliegenden Bandes gewidmet ist, hatte unter an- derem zu prüfen, ob die «Protokolle der Weisen von Zion» eine Fälschung und damit üble Propaganda oder, rechtlich betrachtet, Schundliteratur seien. Das Gerichtsurteil vom Mai 1935 bejahte diese Frage zur weltweiten Erleichterung der Juden. Loosli, vom Gerichtspräsidenten zum überparteilichen Gutachter ernannt, hatte grossen Aufwand betrieben, um den Fälschungsnachweis zu erbringen. Nach dem Urteil erhoffte er sich vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) finanzielle Unterstützung für

Buchbesprechungen 109 die Publikation des Gutachtens. Doch die jüdische Gemeinschaft räumte humanitären Aufgaben den Vorrang ein. Schon damals befand sich der SIG, von den Behörden für die Finanzierung der jüdischen Flüchtlinge in die Pflicht genommen, in der Klemme. Dieses Dilemma blieb selbst dem wachsamen Beobachter Loosli weitgehend verborgen, obwohl es die politische Erpressbarkeit einer exponierten Minderheit besonders ekla- tant zum Ausdruck brachte. Mancher befremdliche Eindruck wird auch erst verständlich, wenn Looslis Schriften vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes gelesen werden. Looslis Kampf ge- gen den Antisemitismus galt weniger dem Schutz von partikulären Anliegen der Min- derheit als den übergeordneten Werten von Rechtsstaat, Menschenwürde und Demo- kratie. Diese Werte freilich sah Loosli in Gefahr, wenn sie für die schwächsten Mitglie- der der Gesellschaft keine Geltung mehr besassen. Sein Engagement ist so als Beitrag zu einem linken Verständnis der geistigen Landesverteidigung zu verstehen. Er setzte der Bedrohung durch den Nationalsozialismus ein Idealbild der Schweiz entgegen, das die Moderne bejahte und einen republikanischen Staatsbegriff zur Norm erhob, für den die Demokratie ihre Legitimität nur in der Achtung der allgemeinen Menschenrechte fand. Manche von Looslis Beobachtungen haben so bis auf den heutigen Tag nicht an Aktualität eingebüsst. Etwa die Feststellung, dass die beharrliche Betonung der Religi- onszugehörigkeit von jüdischen Straffälligen, und nur von diesen, durch die Presse an- tisemitische Stereotype erhärte und zu einer kollektiven Schuldzuschreibung an alle Juden führe (S. 112f.). Zweifellos gehörte C.A. Loosli zu den wenigen, die frühzeitig das Gift des modernen Antisemitismus erkannten und in den bedrohten Juden das Sinn- bild einer gefährdeten Demokratie, im Antisemitismus entsprechend die radikale Ne- gation und Zerstörung der Zivilisation sahen. Regula Ludi

Leben auf dem Münsterturm – der Turmwart Peter Probst erzählt. Mit Bildern von Hansueli Trachsel. Baden: hier + jetzt 2009. 167 S. ISBN 978-3-03919-116-1.

Als vorläufig Zweitletzter seines Berufsstandes hält Peter Probst die 500-jährige Ge- schichte der Hochwächter und Turmwarte auf dem Berner Münsterturm fest. Denn seit 2007 ist die höchstgelegene bernische Stadtwohnung zum ersten Mal, seit es sie gibt, unbewohnt – was sich vorher auf und um den Turm herum zugetragen hat, schildert uns der Autor auf kurzweilige und persönliche Art und Weise. Probst entführt den Leser zuerst ins Spätmittelalter, in die Entstehungszeit der gros- sen Stadtkirche. Vorerst in einem Provisorium auf dem in die Höhe wachsenden Turm

110 BEZG N° 01/10 untergebracht, befanden sich von 1519 an ununterbrochen bis ins 21. Jahrhundert Hochwächter auf dem Münster. Ihnen oblag die zuverlässige Nacht- und Feuerwache, ausserdem die Radaumeldung und das Läuten des Sonn- und Feiertagsgeläutes sowie der Burgerglocke. Letztere kam zum Einsatz, weil der Stundenschlag des -Turms in der Unterstadt nicht zu hören war. Bis zur Gründung der bernischen Berufsfeuer- wehr 1908 waren jeweils mehrere Personen mit diesen Aufgaben betraut. Die neue Orga­ ni­sation der Brandwache hatte zur Folge, dass die letzten Wächter entlassen wurden und der damalige Münsterturmwart Otto Kormann und seine Familie als einzige Turm- bewohner zurückblieben. Da die Wächter bis anhin auch als Glöckner eingesetzt worden waren, musste sich der Turmwart von nun an selber um die Anstellung von Teilzeitglöck­ nern aus der Altstadt kümmern. In der Ära Kormann, speziell in den Jahren, als die ver- witwete Elisabeth Kormann als Turmwartin amtete, setzen die persönlichen Erinne- rungen des Autors ein. Während sei­ner Schulzeit durfte Peter Probst die bei den Jugendlichen begehrte Aufgabe als Treppen­wischerbub im Dienst von Frau Kormann wahrnehmen – eine Beschäftigung, die bei Probst eine dauerhafte Faszination für das Münster und insbesondere für das Amt des Turmwarts ausgelöst hat. 1985 erfüllte sich der Berufswunsch des Schülers dann tatsächlich. Die auf den historischen Rückblick folgenden Kapitel widmen sich verschiedenen Turmpersönlichkeiten – der bereits erwähnten stadtbekannten Frau Kormann, den Wär- tern und Glöcknern, treuen Besuchern und namenlosen Touristen. Ein spezielles Kapi­ tel dreht sich um die ältesten Turmbesteiger, denen, sofern sie das siebzigste Altersjahr überschritten und alle 254 Treppenstufen erklommen hatten, die Ehre zukam, von Probst im «Greisenbuch» verewigt zu werden. Rekordhalter waren eine Frau und ein Mann von 91 Jahren. Neben den Menschen auf dem Münster werden auch die sieben heute noch im Einsatz stehenden Glocken detailliert beschrieben. Über die Grosse Glocke erfährt man, dass sie vor der Elektrifizierung nur von acht starken Männern zum Läuten gebracht werden konnte, weshalb man sich auf ihren Einsatz an hohen Feiertagen beschränkte. Aus eigener Erfahrung oder aus der Überlieferung weiss der Autor von manch in- teressanter oder kurioser Begebenheit rund um das Münster zu berichten – etwa, dass noch vor wenigen Jahrzehnten im Winter das Wasser in die Turmwohnung hinaufge- tragen werden musste, weil die Leitungen wegen Frostgefahr abgestellt wurden. Oder dass die Turmwartskinder von der Schule in der Matte bis nach Hause 440 Stufen zu über­winden hatten, dies notabene täglich und wahrscheinlich mehr als nur einmal! Nicht fehlen dürften auch die Berichte über den spektakulären, luftigen Einzug eines Klaviers in die Münsterwohnung oder über die waghalsige Entfernung einer auf der Turmspitze platzierten Vietcongfahne durch Turmwart Wymann und einen Polizisten. Im letzten Kapitel greift Probst einige seiner für die Kolumne «Berner Alltag» in der

Buchbesprechungen 111 Tageszeitung «Der Bund» verfassten Turmgeschichten wieder auf und weitet damit den Blick auf die Altstadt und die ganze Stadt Bern. Peter Probst liefert ein leicht lesbares und kurzweiliges Münsterbuch mit gut re­ cher­chier­ten historischen Details und vielen persönlichen Eindrücken aus der eigenen Wirkungszeit. Es gelingt ihm dabei, eine erfrischende, amüsante, zuweilen aber auch nach­denk­liche Sicht aus der Turmperspektive zu vermitteln, und er verdeutlicht mit der Rückschau auf die Geschichte der Turmwarte, dass diese mehr sind – oder waren – als blos­se Billetverkäufer und Hauswarte. Die Bilder des Berner Fotografen Hansueli Trachsel umrahmen das Werk auf passende Weise. Katrin Keller

Schürpf, Markus; Wohlfender, Bettina: Das Fotoarchiv der Ammann Unternehmungen Langenthal. 1900 – 1990. Langenthal: Verlag Merkur Druck AG 2008. 111 S. ISBN 978-3-905817-04-1.

Der Fotoband ist anlässlich einer Ausstellung des Kunsthauses Langenthal erschienen. Neben Arbeiten des Langenthaler Fotografen Josef Gschwend (1858 –1939), wurden in diesem Rahmen auch Fotografien aus dem Archiv der Maschinenfabrik Ammann Lan- genthal gezeigt. Ein ausführliches Kapitel widmen die Autoren Schürpf und Wohlfender der Ent- wicklung des Fotoarchivs im Verlauf des 20. Jahrhunderts sowie den beiden Werkfoto- grafen Robert Sohm und Gottfried Geiser. Anschliessend werden ausgewählte Fotogra- fien aus dem Archiv thematisch nach Maschinenart und Aufnahmekontext zusammen mit einem kurzen Begleittext präsentiert. Dem nicht sachkundigen Publikum vermit- teln besonders die Kapitel zu den Maschinenarten erhellende technische Hintergrund- informationen und eine knappe Einführung in die Entwicklung der Schweizer Indust- rie-, Landwirtschafts- und Baugeschichte. Unter «Ausstellung und Messen» sowie «Personal und Fabrik» rücken neben Ma- schinen die Menschen ins Zentrum des Interesses: Das «Bürofräulein» am Telefon, die Lehrlinge in der Werkstatt, die Messehostessen beim Kaffeeausschank oder der (unblu- tige) Unfall an der Drehbank sind nur eine kleine Auswahl aus der Vielfalt an Situatio- nen, die die Werkfotografen mit ihrer Kamera einfingen. Diese Bilder sind eindrückli- che Zeugnisse des Arbeitsalltags in einem Schweizer Grossbetrieb und führen den Betrachtenden ein Stück Sozialgeschichte vor Augen. Das Kapitel «Erinnerung an fotografische Zeiten» entstand aus einem Gespräch mit der Ehefrau des zweiten Werkfotografen Gottfried «Godi» Geiser und gibt den techni- schen Fotografien aus dem Archiv ein Gesicht. Meeri Geiser-Theiler, die durch die Tä-

112 BEZG N° 01/10 tigkeit ihres Mannes ebenfalls ein Interesse für Fotografie entwickelte und sich ihr Hand- werk autodidaktisch aneignete, fotografierte vor allem Menschen und dabei auch Mitarbeitende der Firma Ammann oder deren Angehörige. Dabei wird auch der Unter- schied zwischen ihren Aufnahmen und denjenigen ihres Mannes deutlich: Während Meeri Geiser-Theiler auf Licht und Schatten und damit auf einen gewissen künstleri- schen Ausdruck achtete, lag der Fokus des Werkfotografen auf der möglichst vollstän- digen und detailreichen Wiedergabe der technischen Aspekte. Dies erklärt sich einer- seits aus Gottfried Geisers Bildungshintergrund und andererseits aus seiner Tätigkeit im Unternehmen. Keiner der beiden Werkfotografen verfügte über eine professionelle Ausbildung zum Fotografen, sondern sie übten ihre Tätigkeit «en passant» neben ihrer üblichen Funktion im Unternehmen aus. Robert Sohm fotografierte bis ungefähr 1940 neben seiner Arbeit im technischen Büro Maschinen, das Firmengelände sowie Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter. Die Autoren schliessen aus den Bildern, dass schon dieser erste Werkfotograf über keine fotografische Ausbildung verfügte. Ab Mitte der 1930er- Jahre wurde er vom intern ausgebildeten Zeichner und Amateurfotografen Gottfried Geiser schrittweise abgelöst. Mit der expandierenden Entwicklung der Firma wuchsen auch die fotografischen Aufgaben, und so gab Geiser seine Tätigkeit als Zeichner auf, um sich nebst der Fotografie der Planung und Organisation von Messeauftritten zu wid- men. Bis 1981 war Gottfried Geiser als Firmenfotograf tätig. Er hinterlässt einen Be- stand, der heute fast 60 000 Aufnahmen umfasst, nach seiner Pensionierung aber nicht mehr mit der gleichen Akribie weitergeführt wurde. Die Tatsache, dass das Fotoarchiv der Ammann Unternehmungen in seiner Voll- ständigkeit erhalten ist, verdanken die Autoren dem besonderen Unternehmensklima und der Organisation als Familienbetrieb, dessen Entwicklung ohne grössere Umbrü- che verlief. Der grosse zeitliche Umfang und der inhaltliche Reichtum des Archivs wi- derspiegeln die Firmengeschichte und vermitteln gleichzeitig exemplarisch ein Stück Schweizer Technik-, Industrie- und selbst Sozialgeschichte. Während die gezeigten Fotografien klar dokumentarischen Charakter haben und in erster Linie wohl Interessierte der Technik- und Industriegeschichte ansprechen wer- den, kommen auch künstlerische und fotografiehistorische Aspekte nicht zu kurz. Der Fotoband über die im Kunsthaus Langenthal ausgestellten Fotografien spricht auch technische Laien an. Charme und eine gewisse surreale Ästhetik strahlen Bilder wie die Luftaufnahme einer Handwalze im Einsatz oder das Titelbild «Steinbrecher Nr. 6 mit Herrn Bär» aus, der in seiner Hand einen überdimensionierten Gabelschlüssel hält. Aline Louise Minder

Buchbesprechungen 113 Studer, Brigitte; Arlettaz, Gérald; Argast, Regula (Hrsg.), unter Mitarbeit von Anina Gidkov, Erika Luce, Nicole Schwalbach: Das Schweizer Bürgerrecht. Erwerb, Verlust, Entzug von 1848 bis zur Ge- genwart. Zürich: Verlag NZZ 2008. 421 S. ISBN 978-3-03823-455-5. (Publikation im Rahmen des Forschungsprogramms «Integration und Ausschluss» – NFP 51.)

Die Publikation beleuchtet die Entstehung und Anwendung der Schweizerischen Ein- bürgerungspolitik seit der Gründung des Bundesstaates bis heute. Dabei wird das Bür- gerrecht als Zugang zur Staatsangehörigkeit definiert, deren Zugangsbedingungen in einem steten politischen, juristischen und kulturellen Diskurs abhängig vom jeweiligen historischen Kontext neu ausgehandelt wurden. In dieser Konzeption wird «Nation» zu einem «historisch konstruierten politischen und symbolischen Raum», dessen Gren- zen mittels der Staatsbürgerschaft definiert werden. Im Mittelpunkt stehen die im Zusammenhang mit der Ein- und Ausbürgerung seit 1848 getätigten Diskurse und Praktiken: Welche Normen und Themen besprach die Schweizer Politik und Öffentlichkeit, wenn sie über Ein- und Ausbürgerung diskutierte? Welche politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen standen dabei im Vor- dergrund? Welche staatliche und soziale Ordnung wurde dabei verteidigt? In einem ersten Teil haben die Autorinnen und Autoren den soziokulturellen Kon- text und die darin entstandenen Rechtsnormen auf eidgenössischer Ebene chronolo- gisch aufgearbeitet. Das Kapitel von Regula Argast beschäftigt sich mit der Entwick- lung des Schweizer Bürgerrechts zwischen 1848 und 1898. Der Bund erhielt erst bei der Verfassungsrevision von 1874 das Recht, die bisher kantonal verfügten Einbürge- rungen gesetzlich zu regeln. Das Bundesgesetz von 1876 definierte u. a. die Erteilung des Bürgerrechts an ausländische Staatsangehörige oder die Wiedereinbürgerung von ge- schiedenen oder verwitweten Frauen, die durch Heirat mit einem Ausländer ihr Bürger­ recht verloren hatten. Die Bundespolitiker beabsichtigten die Ausbildung eines «nationa­ len Raumes im Rahmen der neuen, bürgerlich-liberalen Gesellschaftsordnung». Das Bürgerrechtsgesetz war ein Instrument, mit dem der junge Staat gegen aussen legiti- miert und gegen innen durch nationalen Zusammenhalt gestärkt werden sollte. Gérald Arlettaz beschreibt in einem nächsten Kapitel, wie das Bürgerrecht Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt politisch wurde. Durch die vermehrte Einwanderung sah sich die Schweizer Bevölkerung in ihrer nationalen Identität bedroht und verlangte Massnahmen zur Lösung der «Ausländerfrage». Während bis 1917 die Verleihung des Bürgerrechts als Bedingung für eine (politische) Assimilation gesehen wurde, kehrte sich das Prinzip danach um: Es verbreitete sich die Ansicht, dass zuerst eine Assimila-

114 BEZG N° 01/10 tion erfolgen müsse, bevor das Recht auf die Schweizer Staatsangehörigkeit geltend ge- macht werden könne. Kulturalistische und gar «ethno-rassische» Kriterien prägten den Diskurs. Brigitte Studer stellt für die Zeit von 1934 bis 2004 fest, dass erst die Vollmachten- beschlüsse im Zweiten Weltkrieg es dem Bund ermöglichten, die seit dem Ersten Welt- krieg beabsichtigte intensivierte staatliche Steuerung der Staatsbürgerzusammenset- zung wirklich umzusetzen. Abstammung und Sozialisation entschieden über Ein- oder Ausschluss. Das Bundesgesetz von 1952 verschärfte die Auswahlkriterien weiter. In den 1960er-Jahren wuchs die Angst vor der «Überfremdung» erneut. Zur Abhilfe sollten junge, in der Schweiz aufgewachsene und somit gut assimilierte Ausländer leichter ein- gebürgert werden, was vorerst auf Opposition in den Kantonen und Gemeinden stiess. Heute beschäftigt die Forderung nach einer neuen Ethnisierung der Nation und einer «Re-Kommunalisierung» durch die Schweizerische Volkspartei (SVP) die Politik und steht im Gegensatz zu jener Haltung, welche die Einbürgerungspolitik an Gleichheits- und Rechtsstaatsprinzipien ausrichten will. Im zweiten Teil beleuchten die Autorinnen Anina Gidkov, Regula Argast und Erika Luce konkrete Beispiele kantonaler und kommunaler Einbürgerungspraktiken: Ihre Studien zur Einbürgerungspolitik der Kantone und der Gemeinden Genf und Basel- Stadt sowie der Stadt Bern zeigen, wie das föderalistische System zur Komplexität der Diskurse und Praktiken beiträgt. Luce betont die seit dem 19. Jahrhundert restriktive Haltung und die vergleichsweise durchgehend niedere Einbürgerungsrate der Stadt Bern. 1921 trat das erste Einbürgerungsreglement der Einwohnergemeinde in Kraft, welches eine vorgängige Assimilation verlangte und bis 1997 stets restriktiv gehandhabt wurde. Erst 2004 trat im neuen Einbürgerungsreglement die «Integrationsvermutung», welche durch die vom Bund verlangte 12-jährige Wohnsitzdauer grundsätzlich als er- füllt galt, an die Stelle der Assimilation. Der Kanton Basel-Stadt zeichnete sich nach Argast bis zum Ersten Weltkrieg durch eine verhältnismässig liberale Einbürgerungspolitik aus, wobei aber armenrechtliche und geschlechtsspezifische Ausschlusskriterien Minderbemittelte und Frauen diskrimi- nierten. Während und nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr die Einbürgerungspraxis in Gesetzesrevisionen eine Verschärfung, wobei die neue Assimilationsforderung mit ei- ner «Medikalisierung» und einer «Ethnisierung» einherging. Erst in den Gesetzesrevisio­ nen Ende des 20. Jahrhunderts zeichnete sich eine Gleichstellung der Geschlechter ab und die Assimilationsforderung wurde aus dem Gesetz gestrichen. In Genf führte die demografische Entwicklung um die Jahrhundertwende dazu, dass 1905 ein an wirtschaftliche Kriterien gebundenes «ius soli» eingeführt wurde, um die hohe Ausländerzahl zu vermindern. Auch in Genf führte der Erste Weltkrieg zu einer

Buchbesprechungen 115 Verschärfung der Gesetzgebung. Ab 1934 galten der Gesundheitszustand (bis 1982) und nachgewiesene Assimilation als Zulassungsbedingungen. Seit 1992 ist die Einbürge- rung der kantonalen Exekutive unterstellt und hat sich somit von einem politischen Entscheid zu einem Verwaltungsakt gewandelt. Ferner wurde der Begriff «Assimila- tion» durch jenen der «Adaptation» ersetzt. Schliesslich präsentiert Nicole Schwalbach den besonderen Fall der Ausbürgerung auf Bundesebene während des Zweiten Weltkriegs. Im Rahmen des Vollmachtenregimes wurde in drei Bundesratsbeschlüssen von 1940, 1941 und 1943 der Bürgerrechtsentzug bei Schweizerinnen und Schweizern, welche die Sicherheit oder den Ruf der Schweiz gefährdeten, ermöglicht. Ab 1943 konnte das Bürgerrecht sogar nativen Schweizer Bür- gern entzogen werden. Schwalbach betont, dass mit dem Katalog der Ausbürgerungs- kriterien moralische, politische und soziale Erwartungen und Normen definiert wur- den, die mit den jeweiligen normativen Einbürgerungsdiskursen Hand in Hand gingen. Die Autorinnen und der Autor haben sich einer vielfältigen Palette an Methoden be- dient, um ihre verschiedenen Quellengattungen zu befragen. Nebst einer sorgfältig an- gewandten begriffsgeschichtlichen Herangehensweise verweben sie sozial-, kultur-, wis- sens- und geschlechtergeschichtliche Methoden. Diskursanalyse und quantitative Erhebungen ergänzen sich. Gesetzestexte, Reglemente und Verordnungen, Experten- berichte aus den Bereichen Wissenschaft, Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung, aber auch Fallbeispiele aus Einbürgerungsdossiers fügen sich zu einer reichen Quellengrund- lage zusammen. Der chronologische Aufbau des ersten Teils und die exemplarische Beleuchtung ei- niger kommunaler und kantonaler Entwicklungen im zweiten Teil führen – verwoben durch inhaltliche Verweise und die identische Fragestellung – zu einem grossen Er- kenntnisertrag. Die folgenden drei Aspekte heben die Autorinnen und Autoren in Form von Thesen hervor: Seit dem Ersten Weltkrieg beherrschte ein «Assimilationspara- digma» die Einbürgerungspolitik; das föderalistische System der Schweiz erschwerte eine einheitliche Einbürgerungspraxis und die Einbürgerung diente als «Kontroll- und Lenkungsinstrument der Bevölkerung und als Mittel zur Ordnung des Sozialen». Das Werk schliesst mit Empfehlungen für die heutige politische Einbürgerungspraxis, was der historischen Arbeit politische Aktualität verleiht. Birgit Stalder

116 BEZG N° 01/10 Summermatter, Stephanie: Die Überschwemmungen von 1868 in der Schweiz: unmittelbare Reaktion und längerfristige Prävention mit näherer Betrachtung des Kantons Wallis (Berner Forschungen zur Regionalgeschichte Band 5). Nordhausen: Bautz 2005. 352 S. ISBN 978-3-88309-327-7.

In den 1860er-Jahren wurde das Wallis mehrmals von verheerenden Unwettern heim­ gesucht, das Jahr 1868 war ein eigentliches Katastrophenjahr. Zu den Überschwemmun­ gen gesellte sich in diesem Herbst auch noch der Dorfbrand von Obergesteln im Goms. Vom 27. September bis zum 3. Oktober zog schliesslich über die zentralen und östlichen Alpen ein Unwetter hinweg, das vermutlich das grösste des 19. Jahrhunderts war. Rie- sige Schäden waren in den Kantonen Wallis, Tessin, Uri, Graubünden und im St. Galler Rheintal zu verzeichnen. Ausgehend von diesem Ereignis untersucht die Autorin am Beispiel des Kantons Wallis, aber immer mit gesamtschweizerischen Bezügen, die Katastrophe, deren kurz- fristige Bewältigung und die Initiierung der Schutzmassnahmen über längere Zeit. Die Katastrophen des Sommers 1868 trafen das Walls in einer überaus schwierigen Verfassung. Das Land, vergleichbar mit Schwellenländern in heutigen Kategorien, ent- wickelte sich nur extrem langsam, stand immer noch weitgehend in einer auf bäuerli- cher Autarkie basierenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Vorgängen in sol- chen Dimensionen stand es trotz lokaler Initiativen weitgehend hilflos gegenüber. Die Nachrichten von den Überschwemmungen gelangten zwar zuerst in die Presse, aber schon Ende September erreichten Telegramme auch den schweizerischen Bundesrat. Sich seiner beschränkten Kompetenzen bewusst, berief er sofort eine Konferenz kan- tonaler Delegierter ein, um die Hilfe zu koordinieren. Es folgten Spendenaufrufe des Bundes und der Kantone, auch von privaten Kreisen und sogar im Ausland. Ein eidge- nössisches Zentralhilfskomitee sollte die Spenden sammeln und die Verteilung organi- sieren. Bei den Spenden handelte es sich sowohl um Geld als auch um Naturalien, vor allem Kleider und Lebensmittel. Diese waren teilweise so reichlich, dass es zu nicht transportier- oder vermittelbaren Überschüssen kam, es entstand vorübergehend ein Kar­ toffelberg. Die Verteilung war effektiv nicht einfach, denn das Massentransportmittel der Zeit, die Eisenbahn, hatte die betroffenen Kantone erst beschränkt erreicht. Der Kanton Tessin war noch schienenfrei, und im Wallis erreichte die Bahn erst Siders. Be- merkenswert waren auch die Spenden aus dem Ausland: An der Spitze standen die deut- schen Länder, gleich danach folgten die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Schätzung und Abgeltung der Schäden erfolgte sehr effizient noch im gleichen Jahr, erwies sich aber als schwierig, galt es doch, zwischen privatem und öffentlichem

Buchbesprechungen 117 Schaden (Strassen, Verbauungen) zu unterscheiden und den Vermögensverhältnissen der Geschädigten Rechnung zu tragen. Das Wallis war hier allerdings trotz seines Ka- tastrophensommers nicht der grösste Schadenfall, fast 50 % der Schadensumme entfiel auf den Kanton Tessin, rangmässig stand das Wallis gar erst im 4. Rang, noch hinter Graubünden und St. Gallen. Dispute entstanden über die grundsätzliche Frage nach der Verwendung der Gel- der: für die Geschädigten oder für neue Schutzbauten. Erst eine neue eidgenössische Konferenz entschied, dass von der Gesamtspendensumme eine Million Franken für neue Schutzbauten abgezogen werden und nur der Rest als Soforthilfe an die Geschädig­ten gehen solle. Im Gegensatz zu früheren Umweltkatastrophen zeigt sich hier nun eindeu- tig eine Wende hin zur Prävention. Schon seit den 1850er-Jahren waren entsprechende Massnahmen im Bereich der Forstwirtschaft angedacht worden. Die Ereignisse von 1868 förderten diese Bestrebun- gen. 1871 erfolgten, unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, die entsprechenden gesetzgeberischen Beschlüsse im Bereich Wasserbau und Forstwesen. Die Schutzarbei- ten waren aber für die Gebirgskantone allein nicht zu bewältigen, die Unterstützung des Bundes zwingend. Dies bedeutete nun aber nicht nur technische und finanzielle Hilfe, sondern wirkte nach den schwierigen Jahrzehnten in der Genese des Bundesstaa- tes als ein starkes integratives Element. Den Wasserbauten in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts kam damit nicht nur die Aufgabe zu, die Menschen vor Unwetterfol- gen zu schützen, sie wurden auch Symbole für den erstarkten jungen Bundesstaat und schliesslich Anzeiger für ein verändertes Weltbild: weg von der religiösen und hin zu einer naturwissenschaftlichen Betrachtung der Naturkatastrophen. Der Autorin kommt das Verdienst zu, einen komplizierten und vielschichtigen Aspekt der Bundesstaatsge- schichte sorgfältig analysiert und dargestellt zu haben. Quirinus Reichen

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