Heft 18 / 2020 Auenmagazin Magazin des Auenzentrums Neuburg a. d. Donau In Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt INHALT

INHALT Perspektiven Retentionspotenzialanalyse von Renaturierungsmassnahmen an bayerischen Gewässern4����������������������������4 Michael Neumayer, Sonja Teschemacher, Fabian Merk, Markus Disse Der River Ecosystem Service Index in der Modellregion „Donauauen zwischen Neu-Ulm und Donauwörth“...... 10 Marion Gelhaus, Kai Deutschmann, Barbara Stammel Ergebnisse aus dem Projekt AQUACROSS...... 17 Andrea Funk, Florian Borgwardt, Daniel Trauner, Javier Martínez-López, Kenneth J. Bagstad, Stefano Balbi, Ainhoa Magrach, Ferdinando Villa, Thomas Hein Berichte und Projekte Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstrasse2��������������������������21 Klaus Markgraf-Maué, Dr. Thomas Chrobock Auenbewohner Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung...... 27 Julia Sattler, Manfred Colling, Siegfried Geißler, Maria Nißl & Francis Foeckler Laufkäfer – Ufer- und Auenbewohner...... 36 Kathrin Januschke & Karsten Hannig Aus der Forschung Indikatoren zur Beurteilung von Eingriffen an Umlagerungsflüssen am Beispiel Obere Isar...... 46 Alisa Zittel, Johannes Kollmann, Gregory Egger

Beiträge, die nicht ausdrücklich als Stellungnahme des Herausgebers gekennzeichnet sind, stellen die persönliche Meinung der Verfasser / innen dar. Der Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Rich- tigkeit, die Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Drit- ter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder; aus der Veröffentlichung ist keinerlei Bewertung durch die Redaktion ableitbar!

2 Auenmagazin 18 / 2020 VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser, mit etwas Verspätung liegt Ihnen nun das erste (und hoffentlich letzte) „Corona“-Heft vor. Klimatisch hat das Jahr trocken begonnen, aber gerade die letzten Wochen haben sich feucht gezeigt. Diese Extreme beuteln zwar die Landwirtschaft, tun aber den Auen gut, denn gerade sie leben von dieser Dynamik. Die Bedeutung der Dynamik als das wesentliche Kennzeichen intakter Auen zeigt sich direkt oder indirekt in allen Beiträgen dieses Heftes. Neumayer et al. quantifizieren in ihrem Beitrag aus der Wissenschaft die hydrologische Wirksamkeit von Renaturierungsmaßnahmen und Auen für den natürlichen und dezen- tralen Rückhalt. Methodisches Rüstzeug sind Modellansätze in Szenarienrechnungen an Modellgebieten bayerischer Gewässer. Scheitelabminderungen und –verzögerungen sind vor allem bei häufigen Ereignissen geringer Jährlichkeiten in den Modellgebieten nach- weisbar, werden indes vielfach durch lokale Effekte überlagert.

Gelhaus et al. nehmen im Praxistest die geplanten Hochwasserrückhalteräume an der Donau zwischen Neu-Ulm und Donauwörth ins Visier und vergleichen verschiedene Sze- narien mit Hilfe des River Ecosystem Services Index RESI, der im Auenmagazin 16 in der Übersicht bereits vorgestellt wurde. Fazit: Die Verrechnung verschiedener Ökosystemleis- tungen mit RESI ist ein wertvolles und taugliches Werkzeug zur Darstellung und Vermitt- lung der Auswirkungen von Maßnahmen und kann eine Entscheidungshilfe bei Maßnah- menplanungen sein.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Funk et al. steht im Projekt AQUACROSS die Wiederher- stellung und Erhaltung der Multifunktionalität von Fluss-Auen-Systemen, bei dem ein ein- heitlicher Kriterienansatz länderübergreifend entlang der gesamten Donau von Regensburg bis zur Mündung eingesetzt wird. Allerdings hat dieser integrative Managementansatz, der die Multifunktionalität der Auen berücksichtigt, auch seine Grenzen: Regionale Prio- risierungen oder die Planung von Maßnahmen kann er nicht ersetzen.

In der letzten Ausgabe wurde bereits ein kurzer Rückblick zur Abschlussveranstaltung zweier EU-LIFE-Projekte am Niederrhein gegeben. In diesem Heft folgt nun der ausführli- che Bericht, in dem Markgraf-Maué und Dr. Chrobock über die zwei erfolgreichen Maß- nahmen zur Schaffung einer durchströmten Nebenrinne und eines angebundenen Seiten- arms am Unteren Niederrhein informieren.

Gleich zwei Artikel im vorliegenden Heft widmen sich ausführlich den „Auenbewohnern“: Sattler et al. haben am Beispiel der Mollusken das Potenzial geplanter Dynamisierungs- maßnahmen im Bereich der Auenwälder zwischen Lech- und Usselmündung westlich von Neuburg an der Donau untersucht, eines der Schlüsselprojekte des Masterplans Bayeri- sche Donau. Die darin geplanten Dynamisierungs-maßnahmen werden sich positiv auf die Molluskenfauna auswirken. Wie Januschke und Hannig eindrucksvoll zeigen, gilt dies auch für Laufkäfer, die sich als Ufer- und Auenbewohner sehr gut an die Dynamik terrestrischer Auenlebensräume angepasst haben und wertvolle Bioindikatoren sind.

Nun wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen dieses neuen Auenmagazins und wei- terhin beste Gesundheit.

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M. Neumayer et al. Retentionspotenzialanalyse von Renaturierungsmaßnahmen an bayerischen Gewässern 4-9

RETENTIONSPOTENZIALANALYSE VON RENATURIERUNGSMASSNAHMEN AN BAYERISCHEN GEWÄSSERN

Michael Neumayer, Sonja Teschemacher, Fabian Merk, Markus Disse

Das ProNaHo-Projekt des Lehrstuhls für Hydrologie und Flussgebietsmanagement der TU München hat das Ziel, bay- ernweit gültige Aussagen über die Wirksamkeit von natürlichen und dezentralen Hochwasserschutzmaßnahmen zu erlangen (Rieger et al. 2017). Neben der Untersuchung von dezentralen Kleinrückhaltebecken, Landnutzungsänderun- gen in der Fläche und dem hydraulischen Einfluss von Biberdämmen möchten die Forscher die Wirksamkeit von Rena- turierungsmaßnahmen am Gewässer und in der Aue quantifizieren. Das Szenario des potenziell natürlichen Zustands der Gewässer und der Auenlandschaft wird anhand eines gebietsspezifischen und gewässermorphologischen Leitbilds erstellt. Das Ziel der beschriebenen Untersuchung ist die Abschätzung des maximal möglichen Retentionspotenzials und soll nicht als Planung für die praktische Umsetzung der Maßnahmen dienen.

Abb. 1: Anthropogen beeinflusster (oben) und weitestgehend natürlicher (unten) Fließgewässerabschnitt des Otterbachs. (Foto oben: Johanna Springer, Foto un- ten: René Heinrich)

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M. Neumayer et al. Retentionspotenzialanalyse von Renaturierungsmaßnahmen an bayerischen Gewässern 4-9

Hintergrund duziert und teilweise durch wassersensible lungsbereiche identifiziert und im Modell Strukturen ( z. B. Siedlungs- und Industrie- belassen werden. Unter Renaturierung versteht man die na- flächen) ersetzt worden (vgl. Abbildung 1). turnahe Wiederherstellung anthropogen be- Basierend auf den Ist-Ohne-Modellen er- einflusster Ökosysteme bzw. die Erhaltung Der folgende Beitrag soll Aufschluss über stellten die Autoren potenziell natürliche und Förderung von natürlichen Ökosystemen das Retentionspotenzial natürlicher Fließ- Modellszenarien (Renat-Szenarien). Dabei (STMUV 2014). Bezogen auf Fließgewässer- gewässer- und Auenstrukturen im Vergleich streben sie als Szenarienziel der Modellre- und Auenökosysteme liegt der Schwerpunkt zum heutigen Zustand der Flächen geben. naturierungen ein natürlich funktionieren- dieser Studie auf der Untersuchung von Re- Hierfür selektierten die Autoren jeweils ei- des Gewässer in einer unbewirtschafteten, naturierungs- und Auengestaltungsmaßnah- nen Untersuchungsabschnitt an den bayeri- d. h. waldbestandenen, Auenlandschaft an. men, mit Fokus auf deren möglichen Beitrag schen Gewässern Weißer Main, Roter Main, Im Laufe des Projektes hat sich dabei die zur Stärkung des natürlichen Rückhalts und , und Otterbach und ana- Methodik zur zweidimensionalen hydro- damit zum Hochwasserschutz. lysierten diesen mit Hilfe des zweidimen- dynamischen Modellierung von Renaturie- sionalen hydraulischen Modells HYDRO- rungs- und Auengestaltungsmaßnahmen Die vorherrschenden Standortbedingungen AS-2D. immer weiterentwickelt. Die unterschiedli- - Klima, Geologie, Tektonik, Boden und Ve- chen Ansätze lassen sich in insgesamt vier getation und der davon abhängige Oberflä- verschiedene Methoden unterteilen (siehe chenabfluss und Landflächenabtrag - prä- Erstellung der potenziell Abbildung 2). Hierbei stellt die Nummerie- gen natürliche Fließgewässer individuell. natürlichen Modellszenarien rung der Methoden gleichzeitig die chrono- (Jürging 2001). Dabei bilden sich stand- logische Reihenfolge der Entwicklung dar. ortspezifische Charakteristika in den dyna- Um den hydraulischen Einfluss von anthro- mischen Ökosystembausteinen Abflussge- pogenen und gebietsabhängigen Bauwer- Nach Methode 1 werden die unterschied- schehen, Feststoffhaushalt, Morphologie, ken (wie z. B. den Talraum querenden Stra- lichen Renaturierungsmaßnahmen aus ei- Wasserqualität und Lebensgemeinschaften ßendämmen oder Bahntrassen) zu redu- ner eher konzeptionellen Laufverlängerung, (Jürging 2001). Unsere Vorfahren haben zieren, erstellten die Wissenschaftler einen Querprofiländerung und Auwaldentwicklung in den letzten Jahrhunderten die meisten bauwerksreduzierten Ist-Zustand (Ist-Ohne) getrennt und in Kombination modelliert so- Fließgewässer in Bayern ausgebaut, um in- als Ausgangs- und Vergleichszustand für wie analysiert. Da Methode 1 aber mit ihren tensivere Landnutzung und Besiedelung zu die Renaturierung. Die Umsetzung dieses vereinfachten Einzelmaßnahmen das ange- ermöglichen. Im Zuge von Begradigungen Szenarios berücksichtigt die für das bay- strebte Renaturierungsziel einer potenziell und Laufverkürzungen sind eine Vielzahl in- erische Auenprogramm erstellte Restrikti- natürlichen Gewässermorphologie und Au- dividueller Charakteristika verloren gegan- onsanalyse von Pan (2016), auf deren Basis enlandschaft nur ungenügend widerspiegelt, gen, sowie natürliche Retentionsräume re- wichtige Infrastrukturelemente oder Sied- wurde die Methode 1 nicht weiter verfolgt.

Gewässer- und Auenanalyse

Konzeptionelle Renaturierungs- Intensive Landschafts- und gewässertypspezifische und Auengestaltungsmaßnahmen morphologische Leitbildentwicklung

Unspezifische Unspezifische Morphologische Parameter Laufverlängerung Restriktionen Methode 1 Auwald- Unspezifische entwicklung Gewässeraufweitung Anzahl und Variation Detaillierungsgrad Gewässerstruktur Modellierung der Ja Nein Maßnahmenkombination Querprofile (Breite/Tiefe) Auenstruktur

niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch

Methode 2 Methode 3 Methode 4

Abb. 2: Unterschiedliche Methoden zur Modellierung von Renaturierungs- und Auengestaltungsmaßnahmen. (Grafik:N eumayer et al. 2018, verändert)

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M. Neumayer et al. Retentionspotenzialanalyse von Renaturierungsmaßnahmen an bayerischen Gewässern 4-9

Die Methoden 2 bis 4 basieren demge- Untersuchungsgebiete Dabei hat die absolut und relativ größte genüber auf einem ganzheitlichen, ge- Fließwegverlängerung im Gebiet der wässerspezifischen Renaturierungsansatz Abbildung 3 stellt die Lage sowie die wich- Glonn mit einer Zunahme um ca. 11,8 Ki- im Modellaufbau. Die Methoden erlauben, tigsten Kenngrößen der fünf hydraulischen lometer (dies entspricht 87 Prozent) statt- das spezifische hydromorphologische Leit- Untersuchungsabschnitte dar. Die Gebiets- gefunden. Dahingegen ergibt sich für das bild einer potenziell natürlichen Auenland- eigenschaften wie das induzierte Einzugs- Renat-Modell des Otterbachs, der zum schaft anhand von gewässer- und vorland- gebiet am Modellauslass, die Talmittellinie Großteil in sehr engen Kerb- und Kerb- morphologischen Untersuchungen sowie sowie das durchschnittliche Geländege- sohlentälern verläuft, mit 1,4 Kilometern auf Grundlage von Literatur zur Gewäs- fälle sind für das Ist-Modell und das je- (ca. neun Prozent) die geringste Fließweg- sertypologie (Pottgiesser & Sommerhäu- weilige Renaturierungsszenario identisch. verlängerung. ser 2008, Dahm et al. 2014, Koenzen 2005, Briem 2002) abzuleiten und in Modellpa- Die untersuchten Einzugsgebietsgrößen am Zudem bedingt die Fließwegverlängerung rameter umzusetzen. Auslass der Modellabschnitte liegen zwi- in allen Renat-Modellen einen höheren schen 570 Quadratkilometer (Weißer Main) Windungsgrad und ein flacheres Sohlge- Insgesamt betrachtet, erhöhen sich mit an- und 91 Quadratkilometer (Otterbach). In fälle im Vergleich zum Ist-Zustand. Im po- steigender Methodennummer der Detail- allen Untersuchungsabschnitten führen tenziell natürlichen Szenario an der Glonn lierungsgrad der modellierten Auenent- die Renaturierungsmaßnahmen zu einer wird der Einfluss der großen Fließwegver- wicklung, der Datenbedarf, der Aufwand Verlängerung des Fließweges, da die Ge- längerung auf den Windungsgrad deut- der Modellerstellung sowie die Parame- wässer durch anthropogene Verbauungen, lich. Dieser hat sich mit einer Zunahme von trisierungsmöglichkeiten und die Simula- meist aufgrund der Erhöhung der agrar- 1,0 auf 1,9 fast verdoppelt. In den beiden tionsdauer. wirtschaftlichen Nutzung im Auenbereich, Maingebieten hat sich im Renat-Modell begradigt wurden. Der Umfang der Fließ- der Windungsgrad jeweils um 0,3 erhöht, Detaillierte Untersuchungen haben gezeigt, wegverlängerung ist dabei in jedem Unter- wobei der Rote Main aufgrund der engen dass Methode 3 unter den genannten As- suchungsgebiet von dem heutigen Ausbau- Talprofile im oberen Modellierungsab- pekten und der Güte der Modellergebnisse zustand sowie dem jeweils zu erwartenden schnitt insgesamt einen niedrigeren Win- die wirtschaftlichste Variante darstellt. natürlichen Windungsgrad abhängig. dungsgrad aufweist.

Weißer Main Roter Main Einzugsgebietsgröße: 570 km2 Einzugsgebietsgröße: 335 km2 Talmittellinie: 17,6 km Talmittellinie: 21,5 km Flusslänge: 24,2 | 30,8 km Flusslänge: 26,1 | 31,8 km Ø Vorlandgefälle: 4,1 ‰ Ø Vorlandgefälle: 3,5 ‰ Deutschland Ø Sohlgefälle: 3,04 | 2,33 ‰ Ø Sohlgefälle: 2,89 | 2,41 ‰ Windungsgrad: 1,37 | 1,75 Bayern Windungsgrad: 1,22 | 1,48

Otterbach Mangfall Einzugsgebietsgröße: 91 km2 Einzugsgebietsgröße: 343 km2 Talmittellinie: 13.5 km Talmittellinie: 8,6 km Flusslänge: 15,6 | 17,0 km Flusslänge: 9,1 | 10,9 km Ø Vorlandgefälle: 10,1 ‰ Ø Vorlandgefälle: 7,4 ‰ Ø Sohlgefälle: 8,87 | 8,15 ‰ Ø Sohlgefälle: 7,05 | 5,83 ‰ Windungsgrad: 1,15 | 1,25 Windungsgrad: 1,06 | 1,27

Glonn Parameter Einzugsgebietsgröße: 104 km2 grün:Renaturiertes Modellszenario Talmittellinie: 13,1 km blau: Ist-Zustand Flusslänge: 13,6 | 25,4 km Einzugsgebietsgrößen Ø Vorlandgefälle: 1,5 ‰ > 500 km2 Ø Sohlgefälle: 1,46 | 0,78 ‰ 151 – 500 km2 Windungsgrad: 1,04 | 1,94 0 - 150 km2

Abbildung 3: Übersicht der wichtigsten Gebiets- und Modellcharakteristika aller fünf Untersuchungsabschnitte der Renat-Szenarien im Vergleich zu denen des Ist-Zustands. (Grafik:N eumayer 2019 et al., verändert)

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30

konv-HQ5 Scheitelabminderung

25 konv-HQ20 Scheitelabminderung

adv-HQ5 Scheitelabminderung

adv-HQ20 Scheitelabminderung

20 adv-HQ100 Scheitelabminderung

adv-HQ300 Scheitelabminderung

konv-HQ5 Scheitelverzögerung

15 konv-HQ20 Scheitelverzögerung

adv-HQ5 Scheitelverzögerung

adv-HQ20 Scheitelverzögerung

10 adv-HQ100 Scheitelverzögerung

adv-HQ300 Scheitelverzögerung Scheitelabminderung (%) / Scheitelverzögerung (h) 5

0

-5 Weißer Main Roter Main Mangfall Glonn Otterbach

Abb. 4: Gebietsübergreifende Darstellung der Retentions- und Translationseffekte zwischen den Hochwasserscheiteln der Modellszenarien Ist-Ohne und Renat am Gebietsauslass. (Grafik:M ichael Neumayer)

An der Mangfall und am Otterbach erhöht jeweiligen Gebietsauslass für jedes unter- abminderungen und -verzögerungen von sich der ursprüngliche Windungsgrad von suchte Hochwasserereignis dar. Eine posi- bis zu 28,1 Prozent und 7,75 h konnten die 1,1 auf 1,3. Auch hier sind die vorherr- tive Scheitelabminderung bedeutet einen Autoren beim konvektiven HQ5 im Unter- schenden engen Talformen sowie die Cha- niedrigeren Scheitelabfluss im Renat-Sze- suchungsgebiet der Glonn, das durch breite rakteristika der Fließgewässer für die ge- nario. Des Weiteren bedeutet eine posi- und relativ flache Vorländer charakterisiert ringe Laufverlängerung und den daraus tive Scheitelverzögerung eine zeitlich ver- ist, feststellen. Damit sind die erreichten resultierenden niedrigen Windungsgrad zögerte Hochwasserspitze im renaturierten Scheitelabminderungen über fünf Mal so ausschlaggebend. Modell. Sind die Werte dahingegen nega- groß wie die des Weißen Mains (570 Qua- tiv, dreht sich der beschriebene Effekt um. dratkilometer), welcher am Gebietsauslass Gebiets- und ereignisunabhängig stellen im Mittel die zweithöchsten Abminderun- Skalenübergreifender Vergleich sich im renaturierten Szenario vergrößerte gen aufweist. Mit knapp über 100 Quadrat- der resultierenden Scheitelab- Überflutungsbereiche durch erhöhte Was- kilometern zählt das Untersuchungsgebiet minderungen und -verzögerungen serstände im Vorland sowie aufgrund von der Glonn zusammen mit dem Otterbach günstigeren Ausuferungsbedingungen ein. (91 Quadratkilometer) zu den kleinsten Un- Insgesamt wurden fünf Hochwasserereig- tersuchungsgebieten dieser Studie. Trotz nisse unterschiedlicher Jährlichkeit und zu- In allen Gebieten, mit Ausnahme des Ot- der zur Glonn ähnlichen Gebietsgröße des grundeliegender Niederschlagscharakteris- terbachs, zeigen die Renaturierungsmaß- Otterbachs resultieren hier die Maßnah- tik in jedem Untersuchungsgebiet simuliert. nahmen bei den kleinvolumigeren kon- men nicht in ähnlich hohen Wirksamkei- Hierfür unterschieden die Autoren die Nie- vektiven Hochwasserereignissen größere ten, sondern führen zum Großteil sogar derschlagsereignisse nach konvektiven Scheitelabminderungen als bei den kor- zu Scheitelerhöhungen am Gebietsauslass. (hohe Niederschlagsintensität, kurz: „Som- respondierenden advektiven Ereignissen. Detaillierte Analysen haben gezeigt, dass mergewitter“) und advektiven (mittlere In- Ebenso nimmt die Wirksamkeit der umge- der gegen Modellende einmündende ab- tensität, lange: „Dauerregen“) Ereignissen. setzten Maßnahmen gebietsübergreifend, flussstarke Sulzbach die durch die Rena- Im Gebiet der Glonn wurde zusätzlich ein unabhängig von der dem Hochwasser zu- turierungsmaßnahmen erreichten Schei- 300-jährliches advektives Extremereignis grundeliegenden Niederschlagscharakte- telabminderungen und -verzögerungen am berechnet. Abbildung 4 stellt die sich er- ristik, mit zunehmender Jährlichkeit ab. Gebietsauslass des Otterbachs maßgeblich gebenden Abminderungen und Verzöge- Die Scheitelverzögerungen zeigen ähnli- verringert. Vor dem Zusammenfluss ha- rungen des Hochwasserscheitels zwischen che Tendenzen wie die Scheitelabminde- ben sich hier Scheitelabminderungen bis zu dem Ist-Ohne und dem Renat-Szenario am rungen. Die insgesamt größten Scheitel- 8,2 Prozent ergeben.

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Tabelle 1 stellt den Verlauf der Scheitel- abminderung und -verzögerung entlang des Otterbachs dar. Hierbei wird der starke Einfluss des Sulzbachs, welcher zwischen Kontrollquerschnitt fünf („Vor Unterlich- tenwald“) und sechs („Auslass“) in den Ot- terbach einmündet, ersichtlich.

Im Untersuchungsgebiet der Mangfall hin- gegen haben die Renaturierungsmaßnah- men basierend auf den Ergebnissen entlang des Fließgewässerverlaufs und am Gebiets- auslass mit maximal 0,6 Prozent Schei- telabminderung und 2 h Verzögerung den geringsten Einfluss auf den Hochwasser- scheitel gezeigt. Die Mangfall gehört da- bei mit 343 Quadratkilometern zusammen Lage der Kontrollquerschnitte in den Untersuchungsabschnitten. (Lageplan Kontrollpunkte: Michael Neumayer, mit dem Roten Main (335 Quadratkilome- Geobasisdaten: ATKIS Basis-DLM25 © Bayerische Vermessungsverwaltung, 2014) ter) zu den mittelgroßen hydraulischen Un- tersuchungsgebieten. Die Maßnahmen am Tab. 1: Maximale Scheitelabflüsse sowie zugehörige Retentionen und Translationen an charakteris- Roten Main zeigen ähnlich große Wirk- tischen Abschnitten des Otterbachs. samkeiten wie am Weißen Main, werden jedoch stärker durch Überlagerungseffekte Ereignis ID Kontroll- EZG- Scheitel- Scheitel- Scheitel- mit seitlichen Zuflüssen beeinflusst. Dies querschnitt Größe abfluss [m3/s] abminderung [%] verzögerung [h] führt im Falle des advektiven 20-jährli- [km2] IstOhne Renat Renat/IstOhne Renat/IstOhne chen Ereignisses sogar zu einer leichten adv HQ5 1 Steinsölden 24 5,71 5,68 0,6 0,75 Scheitelerhöhung. 2 Vor Himmelmühlbach 26 6,12 6,06 0,9 0,75 3 Vor Steinseige 41 10,30 9,94 3,4 0,75 4 Vor Diebsgraben 45 11,47 11,04 3,8 0,50 Fazit 5 Vor Unterlichtenwald 50 13,20 12,60 4,5 1,00 6 Auslass 91 18,30 18,04 1,4 2,25 Insgesamt konnten die Autoren in allen adv HQ20 1 Steinsölden 24 8,36 8,32 0,4 1,00 Gebieten nachweisen, dass lokale Wellen- 2 Vor Himmelmühlbach 26 8,92 8,87 0,5 0,25 überlagerungseffekte die Auswirkungen 3 Vor Steinseige 41 14,01 13,86 1,1 0,25 der Renaturierungs- und Auengestaltungs- 4 Vor Diebsgraben 45 15,32 15,23 0,6 -0,25 maßnahmen auf den Hochwasserverlauf 5 Vor Unterlichtenwald 50 17,36 17,12 1,4 1,00 beeinflussen. Dies ist besonders gut am 6 Auslass 91 26,41 26,50 -0,4 0,25 Beispiel des Otterbachs an der Einmün- adv HQ100 1 Steinsölden 24 12,18 12,10 0,6 0,00 dung des Sulzbachs zu erkennen. Basierend 2 Vor Himmelmühlbach 26 12,94 12,90 0,3 0,25 auf den vorhandenen Analysen ist anzu- 3 Vor Steinseige 41 19,55 19,47 0,4 0,25 nehmen, dass sowohl die Lage der Mün- 4 Vor Diebsgraben 45 21,24 21,11 0,6 -0,25 dung eines Zuflusses im Modellierungs- 5 Vor Unterlichtenwald 50 23,34 23,26 0,4 0,25 abschnitt als auch dessen relativer Anteil 6 Auslass 91 37,60 37,71 -0,3 0,25 am Gesamtabfluss eine entscheidende konv HQ5 1 Steinsölden 24 8,89 8,80 1,0 0,25 Rolle für den Grad der Auswirkungen der 2 Vor Himmelmühlbach 26 8,98 8,94 0,5 0,25 Überlagerungseffekte spielt. Diese Über- 3 Vor Steinseige 41 12,30 11,69 4,9 1,50 lagerungseffekte variieren zwischen den 4 Vor Diebsgraben 45 12,63 11,86 6,0 1,50 Gebieten und Ereignissen in Folge unter- 5 Vor Unterlichtenwald 50 13,08 12,01 8,2 1,75 schiedlicher Gewässerstrukturen und Nie- 6 Auslass 91 16,87 17,05 -1,0 0,50 derschlagsverteilungen teilweise sehr stark konv HQ20 1 Steinsölden 24 13,06 12,90 1,3 0,25 und können sowohl positive als auch ne- 2 Vor Himmelmühlbach 26 13,28 13,12 1,2 0,00 gative Einflüsse auf die Scheitelabminde- 3 Vor Steinseige 41 18,03 17,57 2,5 0,25 rungen und -verzögerungen haben. Dies 4 Vor Diebsgraben 45 18,27 17,88 2,1 0,25 zeigt, dass ein Zusammenspiel vieler ge- 5 Vor Unterlichtenwald 50 18,83 18,20 3,4 0,50 biets- und ereignisspezifischer Faktoren die 6 Auslass 91 24,91 25,09 -0,7 0,25 Wirksamkeit der Maßnahmen beeinflusst.

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Da diese nur bedingt vorhergesagt werden Literatur wirkenden Restriktionen (Restriktions- können, erfordert dies die entsprechende analyse). Hg. v. Bayerisches Landesamt Modellierung eines zu untersuchenden Ge- Briem, E. & Mangelsdorf, J. (2002): Fließ- für Umwelt, Referat 64. München. biets. Insgesamt resultieren die modellier- gewässerlandschaften in Bayern. Hg. Pottgiesser, T. & Sommerhäuser, M. (2008): ten Renaturierungs- und Auengestaltungs- v. Bayerisches Landesamt für Was- Beschreibung und Bewertung der maßnahmen, mit Ausnahme der Glonn, in serwirtschaft. Wasserwirtschaftsamt deutschen Fließgewässertypen - Steck- vergleichsweise niedrigen Wirksamkeiten Deggendorf. briefe und Anhang. Hg. v. Umwelt- in Bezug auf die Abminderung von Hoch- Dahm, V., Kupilas, B., Rolauffs, P., Hering, bundesamt, Bund / Länder-Arbeits- wasserereignissen, was auf die geringen D., Haase, P., Kappes, H., Leps, M., gemeinschaft Wasser (LAWA). zusätzlich aktivierten Retentionsvolumina Sundermann, A., Döbbelt-Grüne, S., Rieger, W., Teschemacher, S., Haas, S., zurückzuführen ist. Die für kleine Hoch- Hartmann, C., Koenzen, U., Reuvers, Springer, J. & Disse M. (2017): Mul- wasserereignisse verhältnismäßig große C., Zellmer, U., Zins, C. & Wagner, F. tikriterielle Wirksamkeitsanalysen Retentionswirkung des modellierten Re- (2014): Hydromorphologische Steck- zum dezentralen Hochwasserschutz. nat-Szenarios an der Glonn ist auf meh- briefe der deutschen Fließgewässer- In: Heimerl S. (eds) Vorsorgender und rere Faktoren zurückzuführen. Zum einen typen. Anhang 1 von „Strategien zur nachsorgender Hochwasserschutz. begünstigt die stark anthropogen geprägte Optimierung von Fließgewässer-Re- Springer Vieweg, Wiesbaden. Gewässer- und Auenlandschaft in Kombi- naturierungsmaßnahmen und ihrer StMUV (2014): Hochwasserschutz: Akti- nation mit breiten und flachen Vorländern Erfolgskontrolle“. Hg. v. Umweltbun- onsprogramm 2020plus. München: eine Aktivierung zusätzlicher Retentions- desamt. Dessau-Roßlau. StMUV. volumina im Renat-Szenario. Zum anderen Jürging, P. (2001): Wasserbauliche Aspekte wirken sich die während der untersuchten bei der Renaturierung von Fließge- Ereignisse auftretenden Überlagerungs- wässern, Fließgewässerdynamik und effekte positiv auf die Scheitelabminde- Offenlandschaften. In:B ayerisches Kontakt: rung aus. Landesamt für Umwelt (Hrsg.). Fach- tagung, 7–18. Technische Universität München Des Weiteren haben natürliche Fließge- Koenzen, U. (2005): Fluss- und Stromauen in Lehrstuhl für Hydrologie wässer und Auenlandschaften unabhän- Deutschland - Typologie und Leitbil- und Flussgebietsmanagement gig von der Retentionswirkung im Hoch- der -. Ergebnisse des F+E-Vorhabens Arcisstraße 21 wasserfall positive Synergieeffekte auf die „Typologie und Leitbildentwicklung 80333 München angrenzenden Ökosysteme. So können bei- für Flussauen in der Bundesre- spielsweise durch die verbesserte Fluss- publik Deutschland“ des Bundesam- M. Sc. Michael Neumayer Aue-Vernetzung neue Feuchtbiotope ge- tes für Naturschutz; FKZ: 803 82 100. Tel.: +49 (89) 289 - 23226 schaffen werden. Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2005. Bonn- E-Mail: [email protected] Bad Godesberg: Bundesamt für Na- turschutz (Angewandte Landschafts- M. Sc. Sonja Teschemacher Danksagung ökologie, 65). Tel.: +49 (89) 289 - 23218 Neumayer, M., Heinrich, R., Rieger, W. & E-Mail: [email protected] Wir bedanken uns beim Bayerischen Lan- Disse, M. (2018): Vergleich unter- desamt für Umwelt und dem Bayerischen schiedlicher Methoden zur Model- M. Sc. Fabian Merk Staatsministerium für Umwelt und Ver- lierung von Renaturierungs- und Tel.: +49 (89) 289 - 23227 braucherschutz für die Betreuung und Fi- Auengestaltungsmaßnahmen mit E-Mail: [email protected] nanzierung des Projektes ProNaHo. Des zweidimensionalen hydrodynamisch- Weiteren danken wir auch der Hydrotec numerischen Modellen. – Forum für Prof. Dr.-Ing. Markus Disse Ingenieurgesellschaft für Wasser und Um- Hydrologie und Wasserbewirtschaf- Tel.: +49 (89) 289 - 23916 welt mbH und dem Leibniz Rechenzentrum tung 39. E-Mail: [email protected] für die freundliche Unterstützung bei der Neumayer, M., Teschemacher, S. & Disse, M. Realisierung der im Rahmen des Projektes (2019): Modelling river restoration durchzuführenden Simulationen. and floodplain measures in on different scales. Poster. European Geosciences Union, Vienna. Weitere Informationen: PAN (2016): Planungsbüro für angewand- Dieser Beitrag enthält Auszüge aus dem ten Naturschutz GmbH. Entwicklung Tagungsbeitrag von Neumayer et al. und Anwendung einer Methodik zur (2018). Analyse der innerhalb der Auenkulisse

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M. Gelhaus et al. Der River Ecosystem Service Index in der Modellregion „Donauauen zwischen Neu-Ulm und Donauwörth“ 10-16

Berücksichtigung vielfältiger Ökosystemleistungen bei der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen DER RIVER ECOSYSTEM SERVICE INDEX IN DER MODELLREGION „DONAUAUEN ZWISCHEN NEU-ULM UND DONAUWÖRTH“

Marion Gelhaus, Kai Deutschmann, Barbara Stammel

Geplante Hochwasserrückhalteräume an der Donau in Bayern bilden das Grundgerüst für Szenarien, in denen Öko- systemleistungen für einen Alternativenvergleich herangezogen wurden. Der Vergleich wurde mit Hilfe des River Eco- system Services Index RESI erstellt, der im Auenmagazin 16 vorgestellt wurde. Der RESI ergänzt die klassischen mo- netären Bewertungsverfahren wie etwa die Kosten-Nutzen-Analyse durch eine fünfstufig skalierte Bewertung von 27 Ökosystemleistungen, basierend auf einer quantitativen und räumlich expliziten Erfassung (Pusch et al. 2019). Für das Fallbeispiel Donau zeigt er klar die Vor- und Nachteile verschiedener Planungszustände für unterschiedliche Sek- toren auf und ermöglicht so eine integrative Entscheidungsfindung.

Ökosystemleistungen an der Donau nutzen die Bewohner der Donaugegend die Mensch und mittlere bis geringe Risiken für Ökosystemleistungen noch, wenn auch in die Schutzgüter Umwelt, Kulturerbe (abge- Die Donau als seit Jahrtausenden genutz- anderer Art und Weise oder mit anderer sehen von Regensburg als UNESCO-Welt- ter Transportweg war früh auch Sied- Bedeutung (z. B. Hochwasserretention, Re- kulturerbe) und Wirtschaft. Für ein Extrem- lungs- und befestigter Grenzraum. In Bay- tention von Nährstoffen, Bereitstellung von hochwasser ist das Risiko für die Schutz- ern zeugen hiervon nicht nur keltische und Trinkwasser). güter Mensch und Wirtschaft mittel bis römische Gründungen wie Manching oder hoch, für Umwelt hoch bis gering, für Kul- Regensburg, sondern eine Reihe von Or- tur überwiegend gering (LfU 2015). Risiko- ten mit teilweise im Mittelalter entstande- Hochwasserschutz an der Donau schwerpunkte insbesondere für das Schutz- nen historischen Stadtkernen. Für die Be- gut Wirtschaft sind entlang der Donau u.a. wohner all dieser Orte waren seit jeher die Hochwasserrisiken an der Donau in Bayern die Planungseinheiten von Neu-Ulm bis vor Ökosystemleistungen der Donau und ih- Die gesamte Donau in Bayern ist als Ge- Regensburg (StMUV 2015). Im Bereich ei- rer Auen essentiell, beispielsweise für den wässer mit besonderem Hochwasserrisiko nes extremen Hochwassers liegen in Bayern Fischfang, den Transport auf dem Wasser- eingestuft (LfU 2010). Dabei besteht für ein 163 Ortslagen, 15 Industrie- und Gewerbe- weg, den Einschlag von Bau- und Nutzholz hundertjährliches Hochwasser ein über- gebiete (Abb. 1) sowie 23 Staue mit Was- und die Beweidung der Aue. Auch heute wiegend mittleres Risiko für das Schutzgut serkraftanlagen überregionaler Bedeutung.

Gewässer Siedlungsbebiet Flutpolder Donau Gewerbe/Industrie im Bau Donau (Untersuchungsgebiet) Wohngebiete u.a. in Planfeststellung Donau (Bundeswasserstraße) ROV abgeschlossen Main-Donau-Kanal Vorplanung

Abb. 1: In Bayern liegende Strecke der Donau mit Siedlungsgebieten, Wasserstraßenfunktion, Rückhalteräumen und untersuchtem Abschnitt (gelb). (Hintergrundkarte: © Bayerische Vermessungsverwaltung, 2019)

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Hinzu kommen 37 Anlagen, welche die sind die Ziele des Naturschutzes allerdings im Jahr möglich. Im Gegensatz dazu sind im entsprechenden Stellen in das Europäische hochrangig. Bei den forstwirtschaftlichen Planungszustand 2 (PZ 2) die Retentionsflä- Schadstoff-Freisetzungs- und Verbringungs- Zielsetzungen ist zu beachten, dass erhebli- chen um landwirtschaftliche Flächen erwei- register (E-PRTR) aufgenommen haben che Flächenanteile zum Staatswald und zum tert und ökologische Flutungen deswegen (Stand 2017, www.thru.de), was bedeutet, Körperschaftswald gehören (StMELF 2019). nicht vorgesehen. dass Hochwasser an diesen Orten schwer- wiegende Auswirkungen haben können. Die Maßnahmenplanung an der Notwendigkeit des Schutzes vor Hochwas- schwäbischen Donau Praxisbeispiel für die Entwicklung ser und des Hochwasserrückhalts in diesem In einem Hochwasserdialog definierten Inte- und Erprobung des River Ecosystem Raum wird dadurch offensichtlich. ressensvertreter zentrale Anliegen, darunter Service Index (RESI) die Verbesserung des Grundschutzes gegen ein hundertjährliches Hochwasser auch durch Ökosystemleistungen im RESI Situation an der „schwäbischen Donau“ Deichrückverlegungen und den vorrangigen Die vielfältigen Auswirkungen der verschie- Um den Hochwasserrückhalt an der Donau zu Rückhalt in den Auwäldern. Hieraus folgte denen Planungszustände nicht nur auf den verbessern, führt der Freistaat Bayern derzeit die Suche nach geeigneten Rückhalteräu- Hochwasserschutz, sondern auch auf den an sieben Standorten Planungsvorhaben für men mit einem erzielbaren Speichervolumen Menschen und seine Nutzung von Ökosys- den gesteuerten Rückhalt von Extremabflüs- von mindestens fünf Millionen Kubikmetern, temleistungen werden durch den River Eco- sen durch. Ein Schwerpunktgebiet liegt dabei vorzugsweise auf Wald- und Wasserflächen. system Service Index (RESI) bewertet. Der an der schwäbischen Donau. Diese Planun- Es ergaben sich zwölf mögliche Standorte, RESI ist ein Werkzeug, welches Anwen- gen sind eingebettet in das Aktionsprogramm die sich nach weiterer Untersuchung auf zu- dern erlaubt Maßnahmen in Flussauen in- Hochwasserschutz 2020plus (StMUV 2014). nächst acht, dann auf die drei möglichen tegrativ, also nicht sektoral, in ihrer Wir- Standorte Neugeschüttwörth, Leipheim und kung auf den Menschen zu untersuchen. Das für den Abschnitt von der Iller- bis Helmeringen reduzierten, und die als Entlas- Nähere Erläuterungen dazu finden sich im unterhalb der Lechmündung zuständige tung für den Extremhochwasserfall gedacht Auenmagazin 16 (Pusch et al 2019) oder im Wasserwirtschaftsamt Donauwörth hat sind und nur dann zum Einsatz kommen sol- RESI-Handbuch (Podschun et al. 2018), die das Hochwasserschutz-Aktionsprogramm len. Hinzu kommen sechs ungesteuerte Re- online frei verfügbar sind. Hier sind auch die „Schwäbische Donau“ aufgestellt. Teil die- tentionsräume, die bereits bei einem kleine- einzelnen Berechnungsmethoden in Daten- ses Aktionsprogramms ist das erweiterte ren Hochwasser anspringen sollen. Für diese blättern zusammengefasst. Aus der Liste von Rückhalte-Projekt, das die Verbesserung insgesamt neun Rückhalteräume bereitet das 27 Ökosystemleistungen (ÖSL) (Podschun et des Hochwasserrückhalts durch zusätzli- Wasserwirtschaftsamt Donauwörth derzeit al. 2018) wurden an der „Schwäbischen Do- che Rückhaltemaßnahmen an der Donau ein gemeinsames Raumordnungsverfahren nau“ 13 ÖSL (siehe Tabelle 2) zunächst ein- bewirken soll (WWA Donauwörth 2019). vor. (WWA Donauwörth 2019). zeln in einer 5 stufigen Skala bewertet und anschließend zu einem Indexwert zusam- Die monetären Schadenspotenziale liegen In zwei unterschiedlichen Planungszuständen mengefasst. Die Bewertung erfolgte anhand dort bei fast drei Milliarden Euro Schaden wurden neben der Abhängigkeit von der Art von ein Kilometer langen Fluss-Auen-Seg- im Fall eines extremen Hochwassers, wäh- des Hochwassers und der Steuerung dieser menten (Brunotte et al. 2009), die sich wie- rend bei einem HQ100 (ohne Deichversagen) Flächen auch Flächen, Landnutzungen und derum in die Kompartimente Fluss, rezente rund 120 Millionen Euro Schaden zu erwar- ökologische Flutungen betrachtet. Im Pla- Aue und Altaue einteilen lassen. Je nachdem, ten sind. Betroffen wären ca. 19.000 Men- nungszustand 1 (PZ 1) sind landwirtschaft- ob der Fluss oder mehrere Kompartimente schen bei einem extremen Hochwasser bzw. liche Flächen aus dem Retentionsraum aus- die ÖSL bereitstellen, ziehen Nutzer entwe- ca. 4.000 bei einem hundertjährlichen Hoch- geschlossen und somit ökologische Flutungen der das Gesamtsegment oder Kompartimente wasser (Franz Fischer Ingenieurbüro 2017). der Wald- und Wasserflächen bis zu dreimal zur Berechnung der ÖSL heran (Tabelle 2).

Der Anteil der rezenten Aue ist im Amtsbe- reich des Wasserwirtschaftsamtes Donau- Tab. 1: Unterschiede der Planungszustände 1 und 2 der gesteuerten Rückhalteräume. wörth deutlich größer als an der gesam- ten Donau in Bayern, gleiches gilt für den Planungszustand 1 Planungszustand 2 Waldanteil. Dagegen sind die Anteile von Einsatz bei HQextrem Einsatz bei HQextrem Acker- und Siedlungsflächen geringer. Mit dem Ziel im Hintergrund, in möglichst ge- Keine landwirtschaftlichen Flächen Landwirtschaftliche Flächen betroffen ringem Maß in privatwirtschaftlich genutzte Ökologische Flutungen bis zu 3 mal im Jahr Keine ökologischen Flutungen Flächen einzugreifen und die Betroffenheit von Siedlungen bestmöglich zu vermeiden, Anzahl betrachteter Polder: 2 Anzahl betrachteter Polder: 3 ist die Aue der „Schwäbischen Donau“ so- Gesamtfläche aller Polder: 874,1 ha Gesamtfläche aller Polder: 2831,0 ha mit vergleichsweise gut für den Hochwas- Fläche Leipheim: 505,8 ha Fläche Leipheim: 620,5 ha serrückhalt geeignet. In den rezenten Auen

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Tab. 2: Alle an der „Schwäbischen Donau“ bewerteten ÖSL und ihr jeweiliger Bewertungsraum.

ÖSL Klasse Bewertete ÖSL Bewertungsraum

Versorgende Landwirtschaftliches Ertragspotenzial Kompartiment (rezente Aue, Altaue) Leistungen Regulative Phosphor-Retention Kompartiment (Fluss, rezente Aue) Leistungen Stickstoff-Retention Kompartiment (Fluss, rezente Aue) Hochwasserregulation Segment Niedrigwasserregulation Kompartiment (Fluss) Sedimentregulation Kompartiment (Fluss) Bodenbildung Kompartiment (rezente Aue, Altaue) Kühlwirkung Segment Habitatbereitstellung Kompartiment (rezente Aue, Altaue) Kulturelle Landschaftsbild Kompartiment (Fluss, rezente Aue, Altaue) Leistungen* Natur- und Kulturerbe Kompartiment (Fluss, rezente Aue, Altaue) Unspezifische Interaktion mit der Flusslandschaft Kompartiment (Fluss, rezente Aue, Altaue) Wasserbezogene Aktivitäten Kompartiment (Fluss, rezente Aue, Altaue)

*Die kulturellen ÖSL wurden für den Bezugszustand berechnet. Für die Planungszustände erfolgte eine textliche Stellungnahme, aber keine Berechnungen.

Bewertung der einzelnen ÖSL am Beispiel Abbildung 2 veranschaulicht exemplarisch ein bzw. zwei Wertestufen in drei Segmen- des gesteuerten Rückhalteraums Leipheim die ÖSL landwirtschaftliches Ertragspoten- ten, die insgesamt aber eine größere Fläche Der RESI wurde für alle neun geplanten zial, Hochwasserregulation und Habitatbe- als die im PZ 1 einnehmen. Die ÖSL Habi- Retentionsräume im Bereich des WWA Do- reitstellung in den drei Zuständen (BZ, PZ tatbereitstellung wird im BZ unterschiedlich nauwörth für den Bezugszustand und für 1, PZ 2) für den gesteuerten Rückhalteraum mit den Werten 2 bis 4 bewertet. Durch die die beiden Planungszustände berechnet. Leipheim. Die ÖSL landwirtschaftliches Er- ökologischen Flutungen im PZ 1 kommt es Die ÖSL wurden anhand ihrer Intensität tragspotenzial weist im BZ Werte von 1 und im gesamten Rückhalteraum zu einer Stei- der Bereitstellung auf einer Skala von 1 bis 2 auf. Im PZ 1 sind keine Veränderungen in gerung der Habitatbereitstellung, da sich 5 bewertet. Dabei ist 5 die höchst mög- der Bereitstellung dieser ÖSL zu erwarten, auentypischere Lebensräume entwickeln liche Ausprägung, wohingegen ein Wert da keine landwirtschaftlichen Flächen in der können. Dahingegen kommt es bei einer von 1 eine fehlende bis sehr geringe Be- Raumabgrenzung des Rückhalteraums vor- Flutung des Rückhalteraums nur im Ext- reitstellung angibt. handen sind. Im PZ 2 kommt es dagegen in remhochwasserfall (PZ 2) zu einer Schädi- den Segmenten, in denen Landwirtschaft gung der Lebensräume (Ausnahme west- Für die Visualisierung der bereitgestell- betrieben wird, zu einer Verschlechterung lichstes Segment, da schon im BZ geringe ten ÖSL im Bezugszustand (BZ) sind die der Bereitstellung um einen Wert von 1 für Ausprägung) und zu einer Verschlechterung im Retentionsraum liegenden Segmente das Jahr der Flutung. Der sehr geringe Wert um eine Wertstufe. bzw. Kompartimente farblich markiert (Ab- (1) der ÖSL Hochwasserregulation im der- bildung 2). Für einen Vergleich der Ver- zeitigen Zustand verbessert sich durch die

änderungen zwischen Bezugs- und Pla- Steuerung im Hochwasserfall HQextrem und Zusammenführung nungszustand wird dagegen die jeweilige bei ökologischen Flutungen (PZ 1) in drei zu einem RESI-Indexwert Differenz in ganzzahligen Wertestufen Segmenten um zwei Wertestufen. In einem Die einzelnen ÖSL können Nutzer auf ver- dargestellt (Abbildung 2). Die Differenz- Segment kommt es zu einer Aufwertung um schiedene Weisen zusammenführen. Die darstellung ermöglicht eine schnellere eine Stufe. Im westlichsten Segment, wel- Summe aller ÖSL kann Auskunft über die Erfassung der Segmente bzw. Kompar- ches im Bezugszustand eine geringe Reten- Ausprägung aller im Segment bereitgestell- timente, in denen es durch die geplan- tionsfähigkeit (2) aufweist, verändert sich ten ÖSL geben (Tabelle 3). Dadurch lassen ten Maßnahmen zu Veränderungen in der die ÖSL-Bereitstellung durch die Maßnah- sich auch Segmente mit besonders hohem ÖSL-Bereitstellung kommt. men nicht. Auch im PZ 2 kommt es zu ei- ÖSL-Angebot (sogenannte Hotspots) leicht nem Anstieg der Hochwasserregulation um identifizieren.

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Bezugszustand Planungszustand 1 Planungszustand 2 Intensität der ÖSL-Bereitstellung Differenz zum Bezugszustand Differenz zum Bezugszustand

fehlend bis sehr gering +2 +1 0 -1 +2 +1 0 -1 gering mittel hoch sehr hoch

Landwirtschaftliches Ertragspotenzial

Geringe Werte (1-2), da sehr Keine Veränderung, da keine Verschlechterung in zwei Segmen- wenige landwirtschaftliche Landwirtschaft im Rückhalteraum ten um eine Stufe, da durch Flutung Ertragsflächen vorhanden sind. von den Flutungen betroffen ist. mit Ertragsausfall zu rechnen ist.

Hochwasserregulation

Sehr geringe Werte, da der Deich Verbesserung um bis zu zwei Stufen. Verbesserung um bis zu zwei Stufen. derzeit nah am Fluss ist.

Habitatbereitstellung

Räumliche Unterschiede Verbesserung im Verschlechterung um eine Stufe für mit Werten von 2 bis 4. gesamten Rückhalteraum (RH) fast den gesamten RH durch den ne- um ein bis zwei Stufen aufgrund gativen Effekt bei Flutung im Extrem- der ökologischen Flutungen. hochwasserfall ohne vorherige Anpas- sung durch ökologische Flutungen.

Abb. 2: Flächenspezifische Auswertung von drei ÖSL für die untersuchten Zustände (Bezugszustand, Planungszustand 1 und 2) für den gesteuerten Rückhalteraum Leipheim. Die Farbkodierung für den Bezugszustand bezieht sich auf die RESI-Skala und gibt die Intensität der ÖSL-Bereitstellung an. In den Planungszuständen wird nur die Differenz zum Bezugszustand farblich dargestellt.

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Im Rückhalteraum Leipheim erreicht ein Tab. 3: Summen der neun berechneten ÖSL für die einzelnen Segmente des Rückhalteraums Leipheim für Segment im PZ 1 mit 35 die höchste Summe die drei Zustände. BZ: Bezugszustand, PZ: Planungszustand. Die maximale Summe kann einen Wert von 45 (neun ÖSL x 5) erreichen. Die Fluss-Auen-Kilometer entsprechen den Segmenten (DON-327000 = öst- aller ÖSL, während im BZ und im PZ 2 der lichstes Segment; DON-331000 = westlichstes Segment). höchste Wert jeweils unter 30 liegt. Den- noch kann in diesem Fall (PZ 1: Summe 35) Fluss-Auen-Kilometer Summe BZ Summe PZ 1 Summe PZ 2 nicht von einem ÖSL-Hotspot gesprochen DON-327000 18 26 25 werden, da die maximale Summe von 45 weit unterschritten wird. DON-328000 24 35 27 DON-329000 28 34 26 Aufzeigen von Wechselwirkungen Der River Ecosystem Service Index kann DON-330000 26 27 23 auch Synergien oder negative Wechsel- DON-331000 22 24 24 wirkungen (Trade-offs) zwischen einzel- nen ÖSL identifizieren. So kann die ÖSL landwirtschaftliches Ertragspotenzial nur dann hoch sein, wenn die ÖSL Hochwas- Die Nährstoffretentionsleistungen für Stick- Multifunktionalität im RESI serregulation im selben Raum gering ist. stoff und Phosphor verändern sich gegen- Eine weitere Möglichkeit ist die multifunk- Abbildung 3 stellt die Veränderung der über dem Bezugszustand nicht. Allerdings tionale Bewertung durch den Multifunkti- ÖSL-Bereitstellung im gesamten Rückhal- beeinträchtigt die Flutung die Ausprägun- onalitätsindex (RESI-MuFu, Formel 1). Der teraum Leipheim durch die Planungszu- gen der ÖSL Habitatbereitstellung und RESI-MuFu ermöglicht einen schnellen Über- stände dar. landwirtschaftliches Ertragspotenzial nur blick darüber, inwieweit sich das Verhältnis im Extremhochwasserfall negativ. Die bei- der Anzahl von ÖSL mit hoher oder sehr ho- Im PZ 1 profitieren die ÖSL Stickstoff(N)- den Planungszustände beeinflussen die ÖSL her Bereitstellung zu der Anzahl von ÖSL mit und Phosphor(P)-Retention, Hochwas- Niedrigwasserregulation, Sedimentregula- fehlender bis mittlerer Bereitstellung durch serregulation, Bodenbildung sowie Ha- tion und Kühlwirkung in ihrer Leistungsfä- verschiedene Planungsvarianten oder Sze- bitatbereitstellung durch die geplanten higkeit weder positiv noch negativ. narien verändert. Eine Lokalisation von ÖSL- Maßnahmen. Im PZ 2 erreicht die ÖSL Hotspots, also Segmenten mit vielen ÖSL mit Hochwasserregulation für den Gesamtraum hoher Bereitstellung, ist damit genauso mög- Leipheim die gleiche Regulationsleistung lich, wie Veränderungen durch Maßnahmen wie im PZ 1. in der ÖSL-Bereitstellung zu identifizieren.

Abb. 3: Dargestellt sind die Veränderungen der ÖSL-Bereitstellung in den beiden Planungszuständen im Vergleich zum Bezugszustand. Die ausgefüllten Säulen geben die Differenz zwischen Bezugszustand und Planungszustand 1 für alle ÖSL des Rückhalteraums Leipheim an. Die schraffierten Säulen zeigen die Differenz zwischen Bezugszustand und Planungszustand 2. ÖSL, bei denen sich keine Veränderungen durch die Planungszustände ergeben, haben keine Säulen.

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Der RESI ist zudem an die jeweiligen Ziele lisierung ein wertvolles Werkzeug bei der einer Maßnahmenumsetzung anpassbar. leichtverständlichen Vermittlung der Aus- So können Planer den Fokus auf alle ÖSL wirkungen von Maßnahmen bei den ein- oder nur bestimmte ÖSL, z.B. nur in Auen zelnen Interessensgruppen und in der Öf- Formel 1: Berechnung des vorkommende, legen. Darüber hinaus kann fentlichkeit sein. RESI-Multifunktionalitätsindex (RESI-MuFu) der RESI Korrelationen zwischen einzelnen ÖSL identifizieren, also wie sich einzelne Für alle fünf Fluss-Auen-Segmente im Rück- ÖSL gegenseitig positiv oder negativ be- Danksagung halteraum Leipheim hat der RESI-MuFu des einflussen. Durch die Summen- oder Mul- Bezugszustands Werte zwischen 0,5 und 2,3 tifunktionalitätsdarstellung des RESI las- Dieser Artikel beruht auf Ergebnissen, die (Abbildung 4). Die höchsten Werte (2,1 und sen sich räumliche ÖSL-Hotspots abbilden. während der RESI-Projektlaufzeit entstan- 2,3) erreichen die beiden mittleren Seg- Somit können Räume mit einem besonders den sind. Weitere Informationen zu den RESI- mente im Stauhaltungsbereich. Die ÖSL hohen Angebot an verschiedenen ÖSL bei Bewertungen im Projektgebiet „Schwäbische Stickstoff-Retention, Kühlwirkung, Niedrig- Planungsvorhaben berücksichtigt werden, Donau“ können im RESI – Anwendungshand- wasserregulation erreichen hier hohe bis so dass sich diese durch die Maßnahmen- buch (Podschun et al. 2018) nachgelesen wer- sehr hohe Bereitstellungswerte. Der nied- umsetzung nicht verschlechtern. Diese den. Wir bedanken uns bei den Projektpart- rige MuFu-Wert im zweiten Segment (von ganzheitliche Betrachtung eines Maßnah- nern, dem Bayerischen Landesamt für Umwelt links) beruht auf der geringen Bereitstellung menraums durch den RESI-Ansatz kann in (Referat 14: Bibliotheken, Internet und Da- der meisten Ökosystemleistungen, nur Phos- Zukunft ein erster Schritt für die Entschei- tenstelle) sowie dem Wasserwirtschaftsamt phorretention und Kühlwirkung zeigen eine dungsfindung bei Maßnahmenplanungen Donauwörth für die gute Zusammenarbeit hohe Bereitstellung. sein und darüber hinaus kann die Visua- und Bereitstellung der benötigten Daten.

Durch die Maßnahmen im PZ 1 erhöht sich die Anzahl der ÖSL mit hoher bis sehr hoher Bezugszustand: in einem Segment Bereitstellung in drei Segmenten, besonders sind ÖSL mit geringer bis mittlerer im mittleren Bereich des Rückhalteraums. Bereitstellung stärker vertreten als Keines der Segmente hat einen RESI-MuFu- ÖSL mit hoher Bereitstellung (0,5). Wert kleiner 1. Im PZ 2 kommt es in den bei- In vier Segmenten dominieren ÖSL den mittleren Segmenten zu einer Verrin- mit hoher Bereitstellung, in zwei da- gerung der Anzahl von ÖSL mit hoher oder von nur leicht; Höchstwert 2,3. sehr hoher Bereitstellung. In den verblei- benden drei Segmenten kommt es zu keiner Änderung der Bereitstellungsleistung. Der PZ 1: Erhöhung der Anzahl an ÖSL Höchstwert liegt bei 2,0. Der RESI-MuFu mit hoher bzw. sehr hoher Bereit- verdeutlicht, wie die Bereitstellung vieler stellung in drei Segmenten; ÖSL durch die mögliche Anpassung der Aue (Werte von 1,1 bis 4,7). durch die ökologischen Flutungen im PZ 1 zunimmt, wohingegen der RESI-MuFu im PZ 2 unter den Werten des BZ und des PZ 1 bleibt, bzw. es zu keiner Änderung kommt.

PZ 2: Veränderung des ÖSL-Dargebots Der RESI als zukunftsträchtiges in zwei Segmenten durch Abwertung. Werkzeug im Planungsalltag Keine Veränderung in den Der RESI ist durch seinen integrativen An- restlichen drei Segmenten; satz gut geeignet, Maßnahmen in Fluss- (Werte von 0,5 bis 2,0). Auen-Lebensräumen zu bewerten und die Auswirkungen dieser auf das ÖSL-Angebot abzubilden. Vor allem der Vergleich ver- schiedener Planungszustände oder Szena- rien lässt sich durch die Differenzdarstel- 0–0,5 1,1–1,5 1,6–2,0 2,1-2,5 3,6–4,0 4,5–5,0 lung gut illustrieren. Somit können Planer diverse Interessen bei Planungsvorhaben Abb. 4: Der RESI Multifunktionalitätsindex (RESI-MuFu) gibt an, wie das Verhältnis von ÖSL mit hoher oder berücksichtigen oder sogar einzelne ÖSL sehr hoher Bereitstellung zu den ÖSL mit sehr geringer bis mittlerer Bereitstellung ist; hier dargestellt für die von besonderem Interesse in den Vorder- neun ÖSL Landwirtschaftliches Ertragspotenzial, Stickstoff-Retention, Phosphor-Retention, Hochwasserregu- grund ihrer Planung stellen. lation, Niedrigwasserregulation, Sedimentregulation, Bodenbildung, Kühlwirkung und Habitatbereitstellung.

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RESI-Projektpartner Bewertung des Hochwasserrisikos WWA (Wasserwirtschaftsamt) Donau- (Art. 4 und 5 EG-HWRM-RL). https:// wörth (2019): Hochwasserschutz Christian Albert6, Christian Damm5, Chris- www.lfu.bayern.de/wasser/hw_risi- Aktionsprogramm Schwäbische Do- tine Fischer2, Helmut Fischer4, Francis komanagement_umsetzung/doc/be- nau. https://www.wwa-don.bayern. Foeckler7, Lars Gerstner5, Christina von Haa- richt_vrb.pdf, 5.11.2019. de/hochwasser/hochwasserschutz- ren6, Tim G. Hoffmann3, Janette Iwanowski3, LfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt) projekte/schwaebischedonau/index. Hans D. Kasperidus2, Kathrin Linnemann4, (2015): Risikobewertung – Was kann htm, 7.11.2019. Simone A. Podschun1, Martin Pusch1, Achim wo passieren? https://www.lfu.bay- Sander9, Mathias Scholz2, Dietmar Mehl3, ern.de/wasser/hopla_donau/risiko- Marin Rayanov8, Stephanie Ritz4, Andrea bewertung/index.htm, 5.11.2019. Rumm7, Christiane Schulz-Zunkel2, Julia Podschun, S. A., Albert, C., Costea, G., Damm, Thiele6, Markus Venohr1, Marcus Wildner1 C., Dehnhardt, A., Fischer, C., Fischer, H., Foeckler, F., Gelhaus, M., Gerst- 1) Leibniz-Institut für Gewässerökologie ner, L., Hartje, V., Hoffmann, T. G., und Binnenfischerei (IGB), Berlin Hornung, L., Iwanowski, J., Kasperi- 2) Helmholtz-Zentrum für Umwelt- dus, H., Linnemann, K., Mehl, D., Ra- forschung GmbH (UFZ), Department yanov, M., Ritz, S., Rumm, A., Sander, Naturschutzforschung, Leipzig A., Schmidt, M., Scholz, M., Schulz- 3) biota – Institut für ökologische Zunkel, C., Stammel, B., Thiele, J., Ve- Forschung und Planung GmbH, nohr, M., von Haaren, C., Wildner, M. Bützow & Pusch, M. (2018): RESI-Anwen- 4) Bundesanstalt für Gewässerkunde dungshandbuch: Ökosystemleistun- (BfG), Koblenz gen von Flüssen und Auen erfassen 5) K arlsruher Institut für Technologie und bewerten. IGB-Berichte Heft (KIT), Abt. Aueninstitut, Rastatt 31/2018, 187 S. 6) Leibniz Universität Hannover, Pusch, M. T ., Podschun, S. A., Albert, C., Institut für Umweltplanung (IUP) Damm, C., Dehnhardt, A., Fischer, C., 7) ÖKON Gesellschaft für Landschafts- Fischer, H., Foeckler, F., Gelhaus, M., Gerstner, L., Iwanowski, J., Hoffmann ökologie, Gewässerbiologie und Abb. 5: Rezenter Auwald in einem potenziellen Umweltplanung mbH, Kallmünz T. G., Mehl, D., Rayanov, M., Ritz, S., Rückhaltebereich des Untersuchungsgebietes an 8) Technische Universität Berlin, Rumm, A., Scholz, M., Stammel, B., der oberen Donau. (Foto: Marion Gelhaus) Fachgebiet Landschaftsökonomie Thiele, J. & Venohr, M. (2019): Öko- 9) entera Umweltplanung & IT, systemleistungen von Flussauen be- Hannover werten: Der RESI-Ansatz. Auenma- Kontakt gazin 16/2019, 6-10. StMELF (Bayerisches Staatsministerium Dipl.-Biol. Marion Gelhaus Literatur für Ernährung, Landwirtschaft und Aueninstitut Neuburg Forsten) (2019): Waldfunktionskar- Schloss Grünau Brunotte, E., Dister, E., Günther-Diringer, ten für die Regionen 09 Augsburg 86633 Neuburg a.d. Donau D., Koenzen, U. & Mehl, D. (2009): und 15 Donau – Iller. https://www. Tel.: 08431/64759-14 Flussauen in Deutschland – Erfas- stmelf.bayern.de/wald/waldfunktio- E-Mail: [email protected] sung und Bewertung des Auenzu- nen/waldfunktionsplanung/054599/ standes. In: Naturschutz und Biolo- index.php, 22.11.2019. Dipl.-Biol. Kai Deutschmann, M. Sc. gische Vielfalt 87. Münster. StMUV (Bayerisches Staatsministerium Bayerisches Landesamt für Umwelt Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH (2017): für Umwelt und Verbraucherschutz) Bürgermeister-Ulrich-Straße 160 Donau (Iller bis Lech) – Verbesse- (2015): Hochwasserrisikomanage- 86179 Augsburg rung Hochwasserschutz – Bedarfs- ment-Plan für den bayerischen An- Tel: +49 821 9071 5357 planung. Gutachten im Auftrag des teil der Flussgebietseinheit Donau - E-Mail: [email protected] Wasserwirtschaftsamtes Donau- Managementzeitraum 2016–2021. wörth. Erftstadt, 177 S. München, StMUV, 128 S. Dr. Barbara Stammel LfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt) StMUV (Bayerisches Staatsministerium Aueninstitut Neuburg (2010): Richtlinie 2007/60/EG des für Umwelt und Verbraucherschutz) Schloss Grünau Europäischen Parlaments und des (2014): Hochwasserschutz Akti- 86633 Neuburg a.d. Donau Rates über die Bewertung und das onsprogramm 2020plus – Bayerns Tel.: 08431/64759-12 Management von Hochwasserrisi- Schutzstrategie Ausweiten – Inten- E-Mail: [email protected] ken (EG-HWRM-RL) – Vorläufige sivieren – Beschleunigen, 52 S.

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A. Funk et al. Ergebnisse aus dem Projekt AQUACROSS 17-20

Strategien zur Wiederherstellung und Erhaltung der Multifunktionalität der Fluss-Auen-Systeme entlang der Donau ERGEBNISSE AUS DEM PROJEKT AQUACROSS

Andrea Funk, Florian Borgwardt, Daniel Trauner, Javier Martínez-López, Kenneth J. Bagstad, Stefano Balbi, Ainhoa Magrach, Ferdinando Villa, Thomas Hein

Intakte Fluss-Auen-Systeme haben eine hohe Multifunktionalität sowie Biodiversität und erbringen Ökosystem- dienstleistungen wie Hochwasser- und Nährstoffretention oder bieten Raum für Erholung. Intensive menschliche Nutzung und wasserbauliche Maßnahmen haben zu einem weiträumigen Verlust dieser Multifunktionalität geführt. Mit dem Ansatz des Ökosystem-basierten Managements, den die Autoren im interdisziplinären Forschungsprojekt AQUACROSS getestet und angewendet haben, soll eine Management-Strategie entwickelt werden, die die Er- haltung und Wiederherstellung der Multifunktionalität fördert, und somit mehrere Ziele in einem Ansatz berücksich- tigt und in der Folge verbinden kann. Dazu kombinieren die Autoren Modellansätze mit räumlichen Priorisierungs- verfahren, um Fluss-Aue-Systeme entlang der gesamten schiffbaren Donau für Erhaltungs-, Restaurierungs- und Minderungsmaßnahmen vorzuschlagen.

AQUACROSS getestet und angewandt, um Herausfor- Restaurierungsmaßnahmen befördern derungen im Bereich der Biodiversität zu auch weitere gesellschaftliche und po- Das interdisziplinäre Forschungsprojekt lösen. Eine dieser Fallstudien analysiert litische Ziele wie beispielsweise natur- AQUACROSS (Knowledge, Assessment and die Situation der Fluss-Aue-Systeme ent- nahen Hochwasserschutz mit Bezug zur Management for AQUAtic Biodiversity lang der schiffbaren Donau (Funk et al. Hochwasserrichtlinie (HWRL), Verbesse- and Ecosystem Services aCROSS EU poli- 2018). rung des Gütezustandes, um die marinen cies, Contract no. 642317; https://aqua- Habitate des Schwarzen Meeres zu ent- cross.eu) hatte zum Ziel, den Biodiversi- wickeln und zu stabilisieren, oder Klima- tätsschutz aller aquatischen Ökosysteme Die Donau-Fallstudie wandelanpassungen. (d.h. Flüsse, Seen, Küstengewässer und Ozeane) in Europa zu verbessern. Diese Die Biodiversität der Donau und ihrer Die Komplexität und Heterogenität der Ökosysteme sind sowohl in ökonomischer Auen ist durch Veränderungen in der Hy- Umweltprobleme, Datenmangel, Datenhe- als auch gesellschaftlicher Hinsicht vor- dromorphologie der Fluss-Aue-Systeme terogenität, starke Unterschiede in sozio- teilhaft für Europa – aber sie sind in Ge- gefährdet. Zahlreiche menschliche Ak- ökonomischen Bedingungen in den Anrai- fahr, durch menschliche Aktivitäten irre- tivitäten, wie die Errichtung von Was- nerstaaten der Donau sowie Komplexität versibel geschädigt zu werden. serkraftwerken, landwirtschaftliche Nut- und Inkonsistenzen in der Gesetzgebung zung, Forstwirtschaft und großräumige behindern jedoch die Planung und Um- Um dem entgegenzuwirken und um die wasserbauliche Maßnahmen für Schiff- setzung der Restaurierung der Fluss-Aue- Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2020 fahrt und Hochwasserschutz verursachen Systeme auf Einzugsgebietsebene. zu erreichen, haben die Beteiligten am einen kontinuierlichen Verlust von Habi- Projekt AQUACROSS praktisch anwend- taten, Biodiversität und ebenso von Öko- Obwohl Maßnahmen laut WRRL im Jahr bare Leitfäden entwickelt – zur Erfassung systemfunktionen und wichtigen Ökosys- 2021 (bzw. bis spätestens 2027) fällig wä- der Gefährdungen für die Biodiversität, temdienstleistungen. ren, haben nur wenige Länder des Donau- zur Analyse der Zusammenhänge zwi- raums Restaurierungsmaßnahmen bereits schen Ökosystemen und zu deren Öko- Insgesamt beeinträchtigt dies also die geplant oder umgesetzt. Im Projekt AQUA- systemdienstleistungen, zum Datenma- Multifunktionalität dieses Systems (Borg- CROSS haben die Autoren eine Methode nagement, Modellierung und Entwicklung wardt et al., 2019). Hydromorphologische etabliert, um Fluss-Aue-Systeme für die von Szenarien, sowie zur Politikanalyse - Restaurierungsmaßnahmen von Fluss- Restaurierung und Erhaltung zu priorisie- und in einem integrativen Beurteilungs- auen sind notwendig, um die Biodiversi- ren (Abbildung 1, Funk et al., 2019). Sie ha- system für ökosystembasiertes Manage- tät bzw. den günstigen Erhaltungszustand ben dabei einen neuartigen, integrativen ment (ÖBM) aquatischer Ökosysteme zu bewahren (FFH-Richtlinie, EU Biodi- Modellansatz angewendet, der mehrere zusammengeführt. versitätsstrategie 2020) und den “guten Ziele berücksichtigt: biologische Vielfalt, ökologischen Zustand” oder das “gute Ökosystemleistungen und sozioökonomi- Diesen Ansatz hat das Projektteam in ökologische Potenzial” nach Wasserrah- sche Vorteile – gemäß dem Konzept des acht europäischen Fallstudien entwickelt, menrichtlinie (WRRL) zu erreichen. ÖBM.

Auenmagazin 18 / 2020 17 PERSPEKTIVEN

A. Funk et al. Ergebnisse aus dem Projekt AQUACROSS 17-20

Methoden zu bereits intensiv genutzten Abschnit- Fischarten) und Potenzial zur Erho- ten ein. Um die Kosten zu reduzieren und lungsnutzung, jedoch Reduktion und Das Forschungsteam wählte verschiedene die Erfolgsaussichten zu steigern, konnten somit Restaurierungspotenzial bei den Biodiversitätsmodelle (Bayes‘sche Netz- die Versuchsanwender der Methode dann typischen Auenarten sowie den ande- werke, siehe Funk et al. 2019) und Modelle innerhalb dieser Klassen systematisch die ren Ökosystemdienstleistungen, für Ökosystemdienstleistungen (ARIES – AR- einzelnen Flächen für Naturschutz-, Re- III.) Restaurierungsklasse 2: hohe Habitat- tificial Intelligence for Ecosystem Services, staurierungs- und Minderungsmaßnah- verfügbarkeit bei den typischen Auen- siehe Martínez-López et al. 2019) aus und men anhand dreier Kriterien priorisieren: arten (stagnophile Fischarten oder der wandte sie für ausgewählte Biodiversitäts- I) der verbleibenden Multifunktionalität Seeadler) sowie den Ökosystemdienst- indikatoren (Fische, Amphibien, Wasservögel der Systeme, II) der Reversibilität (Poten- leistungen, jedoch eine Reduktion und und Säugetiere) und Ökosystemdienstleis- zial zur Wiederherstellung von Multifunk- somit Restaurierungspotenzial bei der tungen (Hochwasserschutzpotenzial, Be- tionalität) in Bezug auf diverse Nutzungen flusstypischen Gemeinschaft, stäubung und Erholungswert) an, um dann und III) der Verfügbarkeit von verbleiben- IV.) Bereiche mit intensiver menschlicher so ihren Status entlang der gesamten schiff- den naturnahen Flächen für die Restau- Nutzung, jedoch allgemein reduzierter baren Donau zu prognostizieren. rierung versus landwirtschaftlich genutz- Habitatverfügbarkeit, bei denen eine ter Fläche. großräumige Wiederherstellung der Die Modelle basieren dabei ausschließ- vollen Multifunktionalität eines Fluss- lich auf frei verfügbaren Daten zu den Aue-Systems aufgrund anderer gesell- verschiedenen Nutzungen (Schifffahrt, Ergebnisse schaftlicher Prioritäten nicht sinnvoll Landnutzung, Siedlungsgebiet, ...), de- oder zu aufwändig ist, jedoch ver- mographischen Informationen, wie Popu- Mittels der Clusteranalyse (Abbildung 2) schiedene Habitate, Ökosystemfunkti- lationsdichte, sowie Status-Indikatoren haben die Autoren die einzelnen Abschnitte onen oder Ökosystemleistungen gezielt für die Biodiversität im System nach der entlang der Donau folgenden Klassen zu- wiederhergestellt werden können oder FFH-Richtlinie. Anhand einer Clusterana- ordnen können: müssen (Minderungsmaßnahmen). lyse teilte das Forschungsteam dann die einzelnen Abschnitte entlang der Donau I.) Naturschutzklasse mit hoher Multi- Der angewendete ÖBM-Ansatz ermöglicht entsprechend ihrer Multifunktionalität funktionalität, es somit, Flussauen entlang der gesam- entlang des Gradienten von voller Multi- II.) Restaurierungsklasse 1: hohe Habi- ten Donau für Erhaltungs-, Minderungs- funktionalität einer naturnahen Aue, über tatverfügbarkeit für flusstypische Ar- und Restaurierungsmaßnahmen zu prio- restaurierungswürdige Abschnitte bis hin tengemeinschaften (z. B. rheophile risieren.

Biodiversität Bayes'sches Netzwerk (11 lndikatorarten) Schritt 1 Input Ökosystemleistungen ARIES (3 bedeutende Indikatoren)

Schritt 2 Definition von Klassen Schritt 3 mit unterschiedlichem Level an Multifunktionalität Auswahl und Gewichtung von Maßnahmen-Zielen Clusteranalyse 1. Multifunktionalität: 2. Reversibilität: 3. Naturnähe: Präferiert werden Abschnitte Präferiert werden Abschnitte Präferiert werden naturnahe Generell Stagnophile Rheophile Generell mit hoher Multifunktionalität, mit hoher Reversibilität, Abschnitte, um Kosten und hoch: +ÖSL reduziert: reduziert: reduziert: um Kosten zu reduzieren um Erfolgschancen zu steigern Verlust von landwirtschaft- Naturschutz- Restaurierungs- Restaurierungs- Minderungs- und die E zienz zu steigern und Kosten zu reduzieren lichem Ertrag zu minimieren. klasse klasse 1 klasse 2 klasse

Optimierung von multiplen Zielen

Schritt 4 Systematische Priorisierung der Fluss-Auen entlang der Donau

Abb. 1: Schema zur systematischen Priorisierung der Fluss-Aue-Abschnitte entlang der Donau für Erhaltungs-, Minderungs- und Restaurierungsmaßnahmen; Schritt 1: Modellierung der Biodiversitätsindikatoren und Ökosystemdienstleitungen (ÖSL), Schritt 2: Clusteranalyse zur Klassifizierung aller Abschnitte in potenzielle Erhaltungs-, Minderungs- und Restaurierungsflächen, Schritt 3: Optimierung und Gewichtung verschiedener Ziele, um die Kosten-Effizienz zu steigern, Schritt 4: Systematische Priorisierung der Auengebiete für Erhaltungs-, Minderungs- und Restaurierungsmaßnahmen. (nach Funk et al. 2019)

18 Auenmagazin 18 / 2020 PERSPEKTIVEN

A. Funk et al. Ergebnisse aus dem Projekt AQUACROSS 17-20

Ein Vergleich mit dem aktuellen Zustand zeigt, dass ca. 80 Prozent der Flächen, die über den hier getesteten Ansatz für Na- turschutzmaßnahmen priorisiert wurden, bereits Teil von Natura-2000-Gebieten sind. Für einige der Flächen, die das Projektteam für Restaurierungsmaßnahmen priorisiert hat, sind solche bereits geplant oder in Um- setzung (ca. 60 Prozent der Flächen), andere Flächen liegen jedoch in Bereichen, in de- nen noch keine Maßnahmen geplant sind (zusätzlich ca. 3.000 km² Auefläche). Au- ßerdem hat der ÖBM-Ansatz das Potenzial, durch die systematische Optimierung an- hand der gewählten Kriterien (Abbildung 3) die Kosten-Effizienz zu steigern. Abb. 2: Ergebnis der Clusteranalyse. (nach Funk et al. 2019)

Abb. 3: Darstellung der drei Kriterien für Priorisierung, Optimierung und Gewichtung verschiedener Ziele, um die Kosten-Effizienz zu steigern; Multifunktionalität: Präferiert werden Abschnitte mit hoher Multifunktionalität, um Kosten zu reduzieren und die Effizienz zu steigern; Reversibilität: Präferiert werden Abschnitte mit hoher Reversibilität, um Erfolgschancen zu steigern und Kosten zu reduzieren; Naturnähe: Präferiert werden naturnahe Abschnitte mit geringer Nutzung, um Kosten und Verlust von landwirtschaftlichem Ertrag zu minimieren. Gezeigt sind normierte Werte der drei Kriterien von 0/dunkelblau – bester Wert bis 1/rot – schlechtester Wert. (nach Funk et al. 2019)

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A. Funk et al. Ergebnisse aus dem Projekt AQUACROSS 17-20

Kontakt

Dr. Andrea Funk Prof. Dr. Thomas Hein Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG), Universität für Bodenkultur (BOKU), Gregor-Mendel-Straße 33 A-1180 Wien WasserCluster Lunz Biologische Station GmbH Dr. Carl Kupelwieser Promenade 5 A- 3293 Lunz am See Tel. Funk: +43 650 9848242 Abb. 4: Blick über eine Schotterbank im Nationalpark-Donauauen zur Schifffahrt auf der Donau. E-Mail: [email protected] (Foto: Andrea Funk) [email protected]

Dr. Florian Borgwardt Diskussion und Folgerungen Literatur Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG), Im Gegensatz zur aktuellen Strategie, bei Borgwardt, F., Robinson, L., Trauner, D., Tei- Universität für Bodenkultur (BOKU), der jedes Land anhand unterschiedlicher xeira, H., Nogueira, A. J. A., Lillebø, A. I., Gregor-Mendel-Straße 33 Kriterien die Flächen für Restaurierungs- Piet, G., Kuemmerlen, M., O’Higgins, T., A-1180 Wien und Erhaltungsmaßnahmen auswählt, hat McDonald, H., Arevalo-Torres, J. H., E-Mail: [email protected] das Forschungsteam die AQUACROSS-Me- Barbosa, A. L., Iglesias-Campos, A., M. Sc. Daniel Trauner thode einheitlich entlang der gesamten Do- Hein, T. & Culhane, F. (2019): Explor- Umweltbundesamt GmbH nau angewendet. Zusätzlich ist die Me- ing variability in environmental im- Spittelauer Lände 5 thode nachvollziehbar und flexibel, da die pact risk from human activities across A-1090 Wien Zielparameter systematisch abgestimmt aquatic ecosystems. Science of The werden können. Der vorgeschlagene ÖBM- Total Environment 652: 1396–1408. Institut für Hydrobiologie und Ansatz kann eine gemeinsame Auswahl von Funk, A., Martínez-López, J., Borgwardt, F., Gewässermanagement (IHG), Restaurierungsflächen, z. B. für Natura- Trauner, D., Bagstad, K. J., Balbi, S., Universität für Bodenkultur (BOKU), 2000-Gebiete, für die Wasserrahmenricht- Magrach, A., Villa, F. & Hein, T. (2019): Gregor-Mendel-Straße 33 linie und die Hochwasserschutzrichtlinie Identification of conservation and res- A-1180 Wien fördern. Vor dem Hintergrund unterschied- toration priority areas in the Dr. Javier Martínez-López licher Ziele und Richtlinien unterstützt der River based on the multi-functionality Centre for Applied Soil Science and Ansatz ein integratives Management, das of river-floodplain systems. Science of Biology of the Segura (CEBAS), die Multifunktionalität der Flussauen be- the Total Environment, 654, 763–777. Spanish National Research Council (CSIC), rücksichtigt. Auch könnte der Ansatz eine Funk, A., Trauner, D., Hein, T., Mattheiss, Murcia, Spanien grenzüberschreitende Koordination und V., Charbonnier, C., Krautkraemer, Kooperation fördern, da die Anwender die A., Stosser, P., Costea, G., Pusch, M., Dr. Kenneth J. Bagstad gesamte Donau auf Ökosystemlevel unab- Martin, E., Török, L. & Török, Z. (2018): U.S. Geological Survey, hängig von administrativen und politischen Danube River Basin – harmonising in- Geosciences & Environmental Grenzen betrachten können. Der Ansatz hat land, coastal and marine ecosystem Change Science Center, das Potenzial, einen gemeinsamen Konsens management to achieve aquatic bio- Denver, USA für die Zukunft in einem internationalen diversity targets. Case study report, Flusseinzugsgebiet zu fördern (Funk et al. Deliverable 9.2. European Union, 34 Dr. Stefano Balbi 2018, 2019). Seiten. Dr. Ainhoa Magrach Martínez-López, J., Bagstad, K., Balbi, S., Dr. Ferdinando Villa Die Methode kann hingegen keine regio- Magrach, A., Athanasiadis, I., Pascual, BC3-Basque Centre for Climate Change, nale Priorisierung oder Planung von Maß- M., Voigt, B., Willcock, S., & Villa, F. Scientific Campus of the University nahmen ersetzen. Beispielsweise kann (2019): Towards globally customizable of the Basque Country, auch Restaurierungsbedarf außerhalb der integrated ecosystem service models. Leioa, Spanien durch die Methode priorisierten Flächen Science of the Total Environment 650, bestehen. 2325–2336.

20 Auenmagazin 18 / 2020 BERICHTE UND PROJEKTE

K. Markgraf-Maué, T. Chrobock Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstraße 21-26

LIFE Natur-Projekte „Fluss und Aue Emmericher Ward“ und „Nebenrinne Bislich-Vahnum“ NEBENRINNEN AM NIEDERRHEIN – RAUM FÜR EUROPÄISCHE FLUSSNATUR AN DER WASSERSTRASSE

Klaus Markgraf-Maué, Dr. Thomas Chrobock

Im Rahmen zweier LIFE-Projekte entstanden am Unteren Niederrhein eine durchströmte Nebenrinne bei Emmerich (Rhein-km 854 bis 857) und ein tief angebundener Seitenarm bei Wesel-Bislich (Rhein-km 823 bis 826) von zusammen über drei Kilometer Länge. Im Nebenschluss zu Hauptstrom und Fahrrinne können sich hier vielfältige Fluss- und Auen- lebensräume, -prozesse und -strukturen wieder einstellen, die durch den Ausbau des Stroms verloren gegangen sind.

Seitenarm Bislich – bei Niedrigwasser besiedeln kurzlebige Schlammuferfluren große Sand- und Schlammflächen und im Schlamm lebende Tiere nutzen diese als Nahrungshabitat.

Ziele und Hintergrund lich in Verbindung mit der Entwicklung von werden wieder enger miteinander verzahnt. Auenwald. Stromverbindungen und vielfäl- Ehemals charakteristische Landschaftsele- Neuen Raum zu schaffen für die Flussna- tige Flut- und Nebenrinnen unterschiedli- mente, Tier- und Pflanzenarten des Nieder- tur europäischer Bedeutung am Unteren cher Anbindungs- und entsprechend Strö- rheins können sich hier wieder entwickeln – Niederrhein – eine der meist befahrenen mungsprägung gehörten vor dem Ausbau zu darunter zahlreiche Arten und Lebensräume Binnenwasserstraßen Europas – das war den charakteristischen Strukturen des Un- von europäischer Bedeutung. Herausforderung und Ziel der beiden LIFE- teren Niederrheins (LUA NRW 2003). Natur-Projekte „Fluss- und Auenrevitali- Beide Gebiete gehören zum Internationa- sierung Emmericher Ward“ (LIFE10 NAT/ Beide Projekte zielen sowohl auf die Verbes- len Ramsar-Feuchtgebiet und EU-Vogel- DE/010) und „Nebenrinne Bislich-Vahnum“ serung des Flusslebensraums Rhein als auch schutzgebiet „Unterer Niederrhein“ (DE- (LIFE08 NAT/DE/007). seiner Aue ab. Mit der Anlage einer durch- 4203-401). Sie selbst sind eigenständige strömten Nebenrinne und eines Seiten- FFH-Gebiete („NSG Emmericher Ward“, DE- Gegenstand beider LIFE-Projekte ist die An- arms schufen die durchführenden Akteure 4103-302; „NSG Rheinaue Bislich-Vah- lage von Nebengerinnen am Unteren Nie- neuen Raum für vielfältige Flussnatur an num“, DE-4304-302) und gehören somit, derrhein, in der Emmericher Ward zusätz- der Wasserstraße. Der Rhein und seine Aue wie auch das angrenzende Rheinufer (Teil

Auenmagazin 18 / 2020 21 BERICHTE UND PROJEKTE

K. Markgraf-Maué, T. Chrobock Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstraße 21-26

des FFH-Schutzgebiets „Fischschutzzonen Weise später noch zu einer durchströmten Für die Nebenrinne nutzten sie eine noch zwischen Emmerich und Bad Honnef“, DE- Nebenrinne weiterentwickelt werden. Der rudimentär vorhandene Flutrinne im Be- 4405-301) zum europäischen Schutzge- neue Seitenarm ist durch seine tiefe Rhein- reich verlandeter Buhnenfelder. Vier Buh- bietsnetzwerk „NATURA 2000“. anbindung auf dem Niveau GlW (Gleich- nen durchbrachen sie landseitig auf 40 bis wertiger Wasserstand) an durchschnittlich 45 Meter Breite und vertieften die Flutrinne Die Maßnahmen bedienen sowohl zentrale 320 Tagen im Jahr mit dem Hauptstrom zur Nebenrinne mit einer Sohlbreite von 23 Ziele im Hinblick auf Erhalt und Entwick- verbunden. Bis zum Mittelwasserstand be- bis 33 Meter. Dabei waren Aushubtiefen zwi- lung der NATURA 2000 Gebiete als auch grenzt ein Einlassbauwerk den Ein- und schen null und drei Metern erforderlich. Ein der EG-Wasserrahmenrichtlinie am Rhein. Ausstrom auf zwei Kubikmeter pro Se- kleines, tiefes Abgrabungsgewässer integ- kunde, um Beeinträchtigungen des Schiffs- rierte das Projektteam in die Nebenrinne, verkehrs auf der Wasserstraße auszuschlie- welches jetzt als Sedimentfang vor der ei- Seitenarm Bislich ßen. Bei höheren Wasserständen kann das gentlichen Rinne funktioniert. Insgesamt be- Wasser frei einströmen. wegte die Baufirma etwa 70.000 Kubik- Die ursprünglich geplante durchströmte Ne- meter Boden. Den Aushub verwendete sie benrinne im Naturschutzgebiet „Rheinaue Zur Gewässergestaltung bewegte die Bau- zum großen Teil zur Schaffung einer Flach- Bislich–Vahnum“ sollte auf einer Gesamt- firma etwa 25.000 Kubikmeter Boden. Nur wasserzone im Abgrabungssee im „Oberlauf“ länge von etwa 2,5 Kilometern ein vorhan- den Einlaufbereich musste sie mit etwa 900 der Nebenrinne. Rund 5.000 Kubikmeter des denes Abgrabungsgewässer und mehrere Tonnen Wasserbausteinen gegen Erosion Aushubs musste sie aufgrund hoher Belas- kleinere Gewässer untereinander und mit sichern. tungswerte auf eine Sonderdeponie verbrin- dem Rhein verbinden. Leider konnten die gen. Die Sohle der Rinne liegt auf Mittelwas- Projektpartner das Projekt so nicht realisie- ser minus ein Meter. Das neue Gerinne ist ren, da ein notwendiges Grundstück nicht Nebenrinne und Auenwald damit an durchschnittlich 270 Tagen im Jahr zur Verfügung stand. Deshalb stellten sie Emmericher Ward mit dem Rhein verbunden und durchströmt. hier zunächst einen insgesamt etwa 1,3 Ki- lometer langen, einseitig an den Rhein an- Im Projekt „Fluss und Aue Emmericher Ward“ Den Einlauf in die Rinne und den Auslauf gebundenen Seitenarm her. Bereits beste- (LIFE 10 NAT/DE/010) stellten die Akteure der Rinne in den Rhein legte die Baufirma hende Gewässer integrierten sie in seinen eine durchströmte Nebenrinne von etwa mit Wasserbausteinen fest. Damit wird Lauf und schufen eine tiefe Anbindung an zwei Kilometer Länge her und initiierten der Umfang der Wasserentnahme aus dem den Rhein. Der Seitenarm kann auf diese auf 22 Hektar einen artenreichen Auenwald. Rhein definiert.

Abb. links: Bereits im zweiten Jahr hat sich eine große Vielfalt an Strukturen und flussgebundenen Habitaten eingestellt. Abb. rechts, oben: Flach einfallende Ufer und steile, tiefere Bereiche wechseln sich ab. Abb. rechts, mitte und unten: Der Einlaufkanal wird mit Wasserbausteinen gesichert; Sohlbreite 30 m.

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K. Markgraf-Maué, T. Chrobock Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstraße 21-26

Maßnahmenplan Emmericher Ward. (Karte: NABU Naturschutzstation Niederrhein)

Zur Versorgung eines Leitungsmasten auf der Im Übrigen ist die Rinne unbefestigt und Auf eine detaillierte Ausgestaltung der neu entstandenen Insel musste die durch- kann sich innerhalb eines Entwicklungskor- Rinne verzichtete das Projekt weitgehend, führende Firma zusätzlich eine befestigte ridors im Eigentum der öffentlichen Hand um dies dem Fluss selbst zu überlassen. Der Furt herstellen. An den weiteren Buhnen- dynamisch verändern und verlagern. Das Rhein hat das Angebot umgehend ange- durchbrüchen trug sie die Befestigungen ist eine grundlegende Voraussetzung für nommen und schon im zweiten Jahr eine vollständig ab und befestigte ausschließlich die naturnahe Entwicklung des neuen Ge- große Vielfalt an Strukturen und Lebens- den neuen stromseitigen Buhnenkopf wieder. wässers. räumen naturnaher Flussläufe ausgestaltet.

Nebenrinne Emmericher Ward bei Niedrigwasser.

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K. Markgraf-Maué, T. Chrobock Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstraße 21-26

Auenwaldentwicklung Maßnahmen an der Bundes- Nach langer Diskussion zwischen Land wasserstraße und Bund stellte sich heraus, dass die gel- Wald bremst den Hochwasserabfluss – ein tende Rechtslage keine grundsätzliche, kon- grundsätzlich positiver Effekt im Sinne der Maßnahmen am Rhein treffen auf spezifi- struktivere Lösung ermöglicht. Im Zuge Entschärfung von Hochwasserereignissen sche Problemstellungen im Hinblick auf die einer Ausnahmeregelung wurde die Nut- für die Unterlieger stromabwärts. Vor Ort Eigentumsverhältnisse und Zuständigkeits- zungsgebühr schließlich auf einen Betrag aber kann der Rückstau zu erhöhten Was- regelungen an der Bundeswasserstraße. In von null Euro reduziert. Weitere nicht ziel- serständen führen. Das Projektgebiet in der beiden Projekten sind Flächen des Bundes führende Regelungen mussten die Projekt- Emmericher Ward bietet im Strömungs- betroffen. In der Emmericher Ward haben beteiligten jedoch zunächst in Kauf neh- schatten eines Straßendammes große Flä- die Akteure die Nebenrinne im Wesentli- men, um die Realisierung der Projekte im chen, die ein Hochwasser nur sehr langsam chen auf Flächen im Eigentum der Bundes- Rahmen der finanzierten Projektlaufzeit überströmen kann (s. Abbildung „Fließge- wasserstraßenverwaltung erstellt. In diesem nicht zu gefährden. Das zugrunde liegende schwindigkeit bei Bemessungshochwas- Fall war ein Nutzungsvertrag mit 30 Jahren Regelungsdefizit erweist sich als gravie- ser“). Der Staueffekt eines Auenwaldes an Laufzeit und verbunden mit einer Nutzungs- rende Hürde für die Realisierung der EG- dieser Stelle ist daher entsprechend gering. gebühr von insgesamt über 110.000 Euro Wasserrahmenrichtlinie an Wasserstraßen. Die Nebenrinne dagegen erweitert den Ab- abzuschließen. Die Kosten der Unterhal- Eine entsprechende Anpassung des Bundes- flussquerschnitt und kann den verbleiben- tung der Anlagen auf Bundesgelände wasserstraßengesetzes ist überfällig und den Staueffekt des Auenwaldes bei Hoch- übereigneten die Projektpartner dem Land soll im Zuge der Umsetzung des Bundes- wasser ausgleichen. Durch die Kombination Nordrhein-Westfalen als Instanz für die programms „Blaues Band Deutschland“ er- der Auenwaldentwicklung mit der Anlage Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie. folgen. der Nebenrinne konnten die Akteure das Gesamtpaket hochwasserneutral verwirk- lichen. Die konkrete Lage und Dimensio- nierung von Auenwaldbeständen und Ab- flussschneisen legte dafür im Zuge einer hydrodynamisch-numerischen Modellun- tersuchung die Bundesanstalt für Wasser- bau fest (BAW 2010 ).

Auf insgesamt etwa 22 Hektar Fläche stieß das Projekt unter Einbeziehung vorhande- ner Feldgehölze die Entwicklung von ar- tenreichem Auenwald an. Dabei setzt das Projekt auf Eigenentwicklung. Auf etwa 15 Prozent der Fläche wurden Gehölzinseln als Initialbestände gepflanzt. Einen Teil der Flä- che bereiteten die Akteure mittels Grubbern und damit Aufbruch der Grasnarbe für die spontane Ansiedlung von Gehölzen vor. Auf den übrigen Flächen wurde ein Oberboden- Fließgeschwindigkeit bei Bemessungshochwasser; Auszug aus BAW 2010. auftrag vorgenommen. Hier soll die eigen- dynamische Entwicklung über artenreiche Ruderal- und Gebüschstadien mittelfristig zu strukturreichen, heimischen Auenwald- beständen führen.

Die Auenwald-Entwicklungsflächen erstre- cken sich von der häufig überschwemmten unteren Weichholzaue bis zur oberen Hart- holzaue auf den höchstgelegenen und nur noch selten überfluteten Flächen. In Abhän- gigkeit von der Überflutungshäufigkeit kann sich ein vielgestaltiger Wald entwickeln.

Auenwald-Initialpflanzungen im Hochwasser.

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Monitoring LIFE Natur-Projekt LIFE Natur-Projekt Das Monitoringprogramm zur Erfolgskon- „Nebenrinne Bislich-Vahnum“ „Fluss und Aue Emmericher Ward“ trolle umfasst Erhebungen zur morpholo- gischen und ökologischen Entwicklung der • Projektträger und Projektleitung: • Projektträger und Projektleitung: neuen Nebengewässer. Vermessungen, Luft- NABU-Naturschutzstation Niederrhein NABU-Naturschutzstation Niederrhein bildaufnahmen, Kartierung der Verteilung e.V. e.V. der Substrate in den Gewässern und in ihrem • Projektpartner: Biologische Station im Umfeld geben Hinweise auf die morpho- Kreis Wesel e.V., Planungsbüro Koen- • Projektpartner: Ministerium für Um- dynamische Entwicklung derselben. Echo- zen / Hilden, Zoologisches Institut der welt, Landwirtschaft, Naturschutz und lotpeilungen in der Fahrrinne dienen dem Universität zu Köln, Außenstelle Rees- Verbraucherschutz des Landes Nord- Nachweis eventueller Auswirkungen auf die Grietherbusch, Ministerium für Um- rhein-Westfalen Wasserstraße. Zum biologisch-ökologischen welt, Landwirtschaft, Naturschutz und Monitoring gehören Erfassungen der Bio- Verbraucherschutz des Landes Nord- • Ko-Finanzierer: Ministerium für Um- toptypen, der Vegetation, der Vogelfauna, rhein-Westfalen welt, Landwirtschaft, Naturschutz, und der Fische und des Makrozoobenthos. Verbraucherschutz des Landes Nord- • Ko-Finanzierer: Ministerium für Um- rhein-Westfalen, Kurt Lange Stiftung, Zwei Jahre nach Abschluss der Arbeiten welt, Landwirtschaft, Naturschutz und HIT Umwelt- und Naturschutzstif- lassen sich bereits erste positive Entwick- Verbraucherschutz des Landes Nord- tungs-GmbH lungstendenzen der Projektgebiete belegen. rhein-Westfalen, Umweltstiftung Mi- Belastbare Aussagen zur nachhaltigen öko- chael Otto, Kurt Lange Stiftung • Projektlaufzeit logischen Entwicklung und Zielerreichung • Projektlaufzeit Januar 2012 bis Juni 2020 setzen jedoch ein Monitoring über längere Januar 2010 bis Dezember 2019 Zeiträume voraus. Erste Ergebnisse belegen • Projektbudget: eine dynamische Entwicklung der Gewässer • Projektbudget: ca. 3,1 Mio. Euro, EU-Förderung 50 % und ihrer Lebensgemeinschaften im Sinne ca. 2,65 Mio. Euro, EU-Förderung 50 % der Projektziele.

Morphodynamik Das vorgelagerte Abgrabungsgewässer un- Habitate und Arten terbindet einen Sedimenteintrag von au- An der Nebenrinne Emmericher Ward hat ßen weitgehend, so dass Umlagerungen Der morphologischen Ausdifferenzierung bereits im ersten Winter nach Fertigstel- praktisch ausschließlich innerhalb der Ne- entspricht die Ausbildung vielfältiger fluss- lung eine intensive morphodynamische benrinne stattfinden. Auch im Seitenarm und auentypischer Habitate in und an den Entwicklung eingesetzt. Der Ausbildung bei Wesel-Bislich setzten ähnliche dyna- neu angelegten Nebengerinnen, darunter von Steilufern und Auskolkungen im Prall- mische Entwicklungen ein, aufgrund der in erheblichem Umfang Ziellebensraum- hang steht die Ablagerung von Kiesbänken, nur einseitigen Rheinanbindung jedoch in typen gemeinschaftlicher Bedeutung wie Kies-, Sand- und Schlickufern gegenüber. geringerem Ausmaß. der LRT 3270 „Schlammige Flussufer mit

Uferabbruch und wandernde Kiesbank – der Rhein übernimmt die differenzierte Ausgestaltung der Nebenrinne; im Hintergrund das einfache Standardprofil aus der Bauphase.

Auenmagazin 18 / 2020 25 BERICHTE UND PROJEKTE

K. Markgraf-Maué, T. Chrobock Nebenrinnen am Niederrhein – Raum für europäische Flussnatur an der Wasserstraße 21-26

Abb. links: Das Blaukehlchen brütet in den Staudenfluren entlang der Nebenrinne. Abb. rechts: Die Flussuferwolfsspinne – nur wenige Vorkommen in NRW. einjähriger Vegetation“ im Wasserwechsel- Bereits im ersten Sommer 2018 konnten die Literatur bereich der Nebenrinne und des Seitenarms Projektbeteiligten in der Nebenrinne einen und des LRT 6430 „Feuchte Hochstauden- Massenschlupf der Eintagsfliege Ephoron LUA NRW (Landesamt für Natur, Umwelt fluren“ im häufig überschwemmten Umfeld virgo (Uferaas) beobachten. Diese früher und Verbraucherschutz Nordrhein- der Nebenrinne. massenhaft auftretende Art war im Rhein Westfalen) (2003): Morphologisches mehr als 50 Jahre verschollen. Mit der Ver- Leitbild Niederrhein. – Merkblätter Hohe Jungfischdichten, darunter erhebli- besserung der Wasserqualität trat sie An- Nr. 41, 122 S., Essen. che Anteile strömungsliebender Arten wie fang der 1990er Jahre erstmals wieder in BAW (Bundesanstalt für Wasserbau) (2010): Barbe und Nase, belegen die bereits etab- relevanter Zahl im Rhein auf. Hydrodynamisch-numerische Modell- lierte wichtige Funktion als Aufwuchshabi- untersuchung von einer Nebenrinne tat für den Rhein und seine Aue. Die Projekte, ihre Maßnahmen und erste und Auenwaldpflanzungen im Bereich Resultate hat die NABU-Naturschutzstation der Emmericher Ward Rhein-km 854,0 Das im ersten Winter vom Rhein herausero- im Jahr 2019 in einem anschaulichen Pro- – 859,0.- Karlsruhe (unveröff.) dierte Steilufer in der Emmericher Neben- jektbericht veröffentlicht, der über die Sta- NABU-Naturschutzstation Niederrhein rinne besiedelte bereits im ersten Früh- tion sowie die Projektwebseiten verfügbar (2019): Zwei Projekte, ein Ziel: mehr jahr eine kleine Uferschwalbenkolonie. Die ist. Die NABU-Naturschutzstation Nieder- Flussnatur am Niederrhein. Kranen- Kiesufer der Nebenrinne waren im Früh- rhein setzt sich auch mit ihrem neuen LIFE- burg. jahr 2019 Brutrevier von sechs Paaren des Projekt „Wiederherstellung des Feuchtge- Flussregenpfeifers. Arten, die Schlamm be- bietscharakters der Rheinaue Emmericher nötigen, wie Waldwasserläufer, Flussufer- Ward“ (Life17 NAT/DE/458, Laufzeit: 2018 Kontakt: läufer und Grünschenkel nutzen die Kies- - 2024) für die Revitalisierung der Aue des NABU-Naturschutzstation bänke als Übersommerer und Durchzügler. Unteren Niederrheins ein. Niederrhein e.V. Auch am Seitenarm bei Wesel-Bislich brü- Keekener Straße 12, 47533 Kleve, teten bereits mehrere Paare des Flussregen- Fotos: www.nabu-naturschutzstation.de pfeifers sowie Kiebitze. NABU-Naturschutzstation Niederrhein Dipl.-Biol. Klaus Markgraf-Maué Tel.: 02821/713988-40 Im zweiten Jahr konnten Forscher auf den Weiterführende Informationen: E-Mail: klaus.markgraf@nabu-natur- Kiesflächen im Bereich der Nebenrinne die www.life-rhein-emmerich.de schutzstation.de Besiedlung durch die seltene Flussufer- www.life-rhein-bislich.de Wolfsspinne (Arctosa cinerea) nachweisen. www.life-emmericher-ward.de Dr. Thomas Chrobock Diese spezialisierte Art kommt im Gebiet ört- Tel.: 02821/713988-16 lich am Rheinufer vor und hat von dort aus E-Mail: thomas.chrobock@nabu-natur- auch die Nebenrinne besiedelt und damit schutzstation.de das lokale Vorkommen maßgeblich erweitert.

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Zustandsbeschreibung im Vorfeld von Dynamisierungsmaßnahmen ERFASSUNG VON MOLLUSKEN IN DEN DONAUAUEN ZWISCHEN LECH- UND USSELMÜNDUNG

Julia Sattler, Manfred Colling, Siegfried Geissler, Maria Nissl & Francis Foeckler

Die Naturschutzbehörde des Landratsamtes Neuburg – Schrobenhausen ließ 2019 eine Molluskenkartierung im Bereich der Auwälder zwischen Lech- und Usselmündung westlich von Neuburg an der Donau im Vorfeld geplanter Dynamisierungsmaßnahmen durchführen. Das vorgefundene Artenspektrum beinhaltet viele und vor allem auch seltene Arten. Zahlreiche Totfunde deuten auf eine abnehmende Habitatqualität aufgrund der starken anthropo- genen Veränderungen (Staustufenbau, fehlende Wasserstandsdynamik, Nutzung etc.) hin. Aus natur- und arten- schutzfachlicher Sicht ist daher die seitens der Stiftung Naturerbe Donau und der Naturschutzbehörde in Neuburg angestrebte Verbesserung der Habitatqualität durch Dynamisierungsprozesse sehr zu begrüßen. Diese sollen im Rahmen der Umsetzung des Masterplans „Lebensraum Bayerische Donau“, Schlüsselprojekt Nr. 8 „Dynamisierung der Donauauen zwischen Marxheim und Steppberg“, erfolgen.

Einleitung

Flussauen stellen einen extrem struktur- reichen und hochdynamischen Lebensraum dar. Durch die Umlagerungsprozesse, von periodisch wiederkehrenden kleinen und größeren Hochwassern ausgelöst, bildet sich ein Mosaik verschiedenster Lebens- räume, welches eine Vielzahl an Arten be- herbergt (Dister et al. 2017). Die natürli- che Abflussdynamik, durch welche Fluss und Flussaue ein zusammenhängendes Konti- nuum bilden, ist heute durch zahlreiche wasserbauliche Maßnahmen wie Hoch- wasserschutz, Flussbegradigungen und/oder Stauwerke in Mitteleuropa nur noch selten gegeben (Damm et al. 2011). Auch die Do- Abb. 1: Foto zu den fünf Lebensraumtypen (aus ÖKON 2019) – Auwald Probefläche 1. (Foto: Julia Sattler) nau ist auf ihrer Länge von 2857 Kilometern in weiten Teilen davon betroffen. Auf den längsten Abschnitten (2415 Flusskilome- eignung die Dynamik des Systems darstellt großflächiger Dynamisierungsmaßnahmen ter) ist sie schiffbar, ab Flusskilometer 2415 (Robinson et al. 2002). Die Trennung der Aue in diesem Raum einher. Im Vorfeld der Maß- (Kelheim) allein in Bayern von 20 Staustu- vom Gewässersystem, wie sie der Gewässer- nahmen hat die Untere Naturschutzbehörde fen beeinflusst. Die durch die Flussbegra- verbau im Laufe des zwanzigsten Jahrhun- des Landratsamtes Neuburg – Schroben- digung trocken gefallenen Auenbereiche derts vorangetrieben hat, hat die Vielfalt hausen eine Molluskenkartierung in Auf- sind vielfach intensiv landwirtschaftlich, vor allem temporärer Habitate stark be- trag gegeben. Mit Hilfe dieser als Bioindika- zum Siedlungsbau und für Infrastruktur- schnitten. Hydrologische Dynamisierungs- tor sehr gut geeigneten Tiergruppe (Utschik maßnahmen genutzt. Laut dem Klassifika- maßnahmen konnten die ursprüngliche et al. 2013) können Forscher den momen- tionsprojekt CORINE Land Cover (Keil et al. strukturelle Heterogenität und die damit tanen Zustand der Wälder gut beschreiben 2014) sind 34,8 Prozent noch als „Wälder verbundene Biodiversität teilweise wieder- und eventuelle Unterschiede in ihrer Struk- und naturnahe Flächen“ bewertet. Diese herstellen (MONDAU, Müller et al. 2014). tur sowie ihren biotischen und abiotischen sind theoretisch dazu geeignet, als Refugi- Im Jahr 2019 wies die Naturschutzbehörde Bedingungen hinsichtlich ihrer Eignung als alräume für die sehr heterogene Auenflora 960 Hektar Auwälder zwischen Lech- und Lebensraum für Mollusken aufzeigen. Hier- und -fauna zu fungieren, wobei ein aus- Usselmündung als Naturwald aus. Mit dem aus lassen sich wiederum Möglichkeiten zu schlaggebendes Kriterium für ihre Habitat- Zugewinn dieser Flächen geht die Planung deren Förderung ableiten.

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Fotos zu den fünf Lebensraumtypen (aus ÖKON 2019) Abb. 2, links, oben: Röhricht, Probefläche 4. (Foto: Julia Sattler) Abb. 3, rechts, oben: Altwasser, Probefläche 5. (Foto: Julia Sattler) Abb. 4, links, unten: Brenne und Magerrasen Probefläche 7. (Foto: Julia Sattler) Abb. 5, rechts, unten: Bach bei Bertoldsheim, Probefläche 14. (Foto: Julia Sattler)

Untersuchungsgebiet Methodik

Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich von ausgewiesen. Durch den vergleichsweise Festlegung der Probeflächen der Lechmündung, etwa 20 Kilometer west- breiten Auenquerschnitt und die geringe Im Rahmen der Biotopkartierung 2010 ha- lich von Neuburg an der Donau, entlang der anthropogene Überformung – abgesehen ben die beteiligten Akteure im FFH-Gebiet Donau bis zur Usselmündung, etwa 10 Kilo- von den Folgen der Staustufen Bertoldsheim 16 Lebensraumtypen (LRT) kartiert, von de- meter westlich von Neuburg an der Donau. und Bittenbrunn – verfügen diese Auwäl- nen sie fünf als für Mollusken relevante Ha- Es stellt mit 1557 Hektar einen Ausschnitt der, insbesondere südlich der Donau, noch bitate auswählten: eines der größten zusammenhängenden über einen Teil der auentypischen Struk- Auengebiete Mitteleuropas dar. Ein Mo- turvielfalt. Neben den Weich- und Hart- • LRT 3260: Flüsse der planaren bis mon- saik unterschiedlicher Schutzgebiete und holzauwäldern finden sich hier Bereiche tanen Stufe mit Vegetation des Ranun- durch verschiedene Naturschutz-Projekte der waldfreien Aue wie Hochstaudenfluren, culion fluitantis und des Callitricho-Ba- geförderte Maßnahmen erhalten und pfle- Altwasser oder Brennen als Sonderstand- trachion gen dieses Gebiet. Das 3278 Hektar große orte. Dennoch zeigt ein Großteil der Wälder • LRT 6210: Naturnahe Kalk- und Tro- FFH-Gebiet „Donau mit Jura-Hängen zwi- Merkmale auffällig niedriger Wasserversor- ckenrasen und deren Verbuschungssta- schen Leitheim und Neuburg“ (Gebietsnum- gung. So sind auf Standorten, die ursprüng- dien (Festuco-Brometalia) mer 7232-301) ist auf der gesamten Flä- lich von Weichholz-Arten wie Weiden und • LRT 6430: Feuchte Hochstaudenfluren che nach den NATURA 2000-Bestimmungen Erlen geprägt waren, vermehrt Vertreter der der planaren und montanen bis alpi- geschützt. Zusätzlich befindet sich im Sü- Hartholzauen wie Ahorn, Esche und Eiche nen Stufe den des Bertoldsheimer Stausees das Natur- zu finden. Der Zugewinn der Naturwaldflä- • LRT 91E0: Auenwälder mit Alnus gluti- schutzgebiet „Donaualtwasser Schnödhof“ chen als Schutzgebiete ermöglicht neue Dy- nosa und Fraxinus excelsior (Alno-Pa- mit einer Fläche von 81 Hektar. Die Stiftung namisierungsmaßnahmen, mittels derer die dion, Alnion incanae, Salicion albae) Naturerbe schützt zudem über 100 Hektar hydrologischen Verhältnisse der Aue verbes- • LRT 91F0: Hartholzauenwälder mit sogenannten Stiftungswald und im Oktober sert werden sollen (Schäffer et al. 2019). Quercus robur, Ulmus laevis, Ulmus 2019 wurden 960 Hektar Auwald aus dem minor, Fraxinus excelsior oder Fraxi- Bestand der Bayerischen Staatsforsten als nus angustifolia (Ulmenion minoris) Naturwaldflächen nach Art. 12a BayWaldG

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Schutzgebiete Probestellen Stiftungswald Fließgewässer Schutzwald Röhricht/Altwasser FFH Hartholz-/Weichholzauwald

NSG Magerrasen/Brenne Grafik: ÖKON, Geobasisdaten: LRA Neuburg-Schrobenhausen, Bayerische Vermessungsverwaltung 2019

Abb. 6: Lageplan des Untersuchungsgebiets unter Darstellung der Molluskenprobeflächen vom August 2019.

Unter Berücksichtigung der vor Ort vor- gegen Fäulnis widerstandsfähigen Beutel Ergebnisse gefundenen Standorteigenschaften so- und bereiteten diese anschließend mit ei- wie deren Zugänglichkeit legten die Pro- ner Schlämm-Sieb-Rüttelmaschine auf. Sie Artenspektrum im Untersuchungsgebiet jektmitarbeiter in Abstimmung mit Herrn gewannen dabei drei Fraktionen, welche sie Im Untersuchungsgebiet sammelte das Pro- Dipl.-Ing. Siegfried Geissler, Untere Natur- auslasen und bestimmten. Die Methode ist jektteam insgesamt 72 Molluskenarten aus schutzbehörde (UNB) Neuburg-Schroben- ausführlich in ÖKON (2017) beschrieben. 30 Familien (Tab. 1 und 2). Davon konnten hausen, insgesamt 17 Probeflächen fest, Für die standardisierte Handaufsammlung 71 auf Artebene und eine als confer (cf. = elf südlich und sechs nördlich der Donau, auf der Gesamtfläche wurden pro Probe- vgl.) angesprochen werden. Die gefundenen welche die ausgewählten Lebensraumty- fläche 30 Minuten anberaumt. Die in die- Arten lassen sich wie folgt klassifizieren: pen abdecken (Abb. 6). Hart- und Weich- ser Zeit gefundenen Individuen fixierten die holzauwald wurden hierbei zusammenge- Beteiligten – soweit nicht im Gelände an- 43 Landschneckenarten aus 20 Familien fasst, da sich die Molluskenzönosen dieser sprechbar – in Ethanol. Die Probenahmen 20 Wasserschneckenarten aus 8 Familien beiden Lebensraumtypen oft stark über- fanden zwischen dem 20. und 22. August 9 Muschelarten aus einer Familie schneiden. Die Abbildungen 1 bis 5 zeigen 2019 statt. beispielhafte Probeflächen der untersuch- In den Tabellen 1 und 2 sind die Arten zu- ten Lebensräume. Auswertungsmethodik erst nach Familien und innerhalb derer wie- Die im Gelände konservierten Individuen derum alphabetisch geordnet. bestimmten die Projektmitarbeiter im Labor, Probenahme soweit möglich bis auf Artniveau, anhand Qualitative Analyse des Artenspektrums Auf den 17 ausgewählten Flächen be- der Standard-Bestimmungsliteratur von Ökologische Ansprüche der Arten stimmten, erfassten und digitalisier- Herrn Dipl.-Biol. Manfred Colling, Unter- Von den 72 gefundenen Arten sind 29 dem ten die beteiligten Akteure die jeweils re- schleißheim. Nomenklatur und Systematik Lebensraum Wasser zuzuordnen. Somit do- präsentativen Probeflächen lagegenau. folgen der aktuellen Literatur (Glöer 2002, minieren die landlebenden Molluskenarten Je Probefläche entnahmen und sammel- Glöer 2015, Hausser 2005, Wiese 2016). Die das Artenspektrum. Bezieht man jedoch die ten sie an vier Probestellen Substratpro- Gefährdungskategorien sind den aktuellen Feuchtigkeitsansprüche der einzelnen Ar- ben der obersten Bodenschicht (etwa Roten Listen für Deutschland (Jungbluth & ten mit ein, so haben mit 40 Arten über die 5 Zentimeter) auf einer Fläche von je- von Knorre 2011) und Bayern (Falkner et al. Hälfte einen erhöhten Feuchtigkeitsanspruch weils 0,25 m2 in einem semipermeablen, 2003) entnommen. von > 75 Prozent (Weitmann & Groh 2017).

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Vertreter sehr trockener Standorte, wie z. B. Truncatellina cylindrica oder Vallonia costata, a) terrestrisch b) Xerothermophile stellen zehn Prozent des Artenspektrums dar. trocken Einen Anteil von 28 Prozent nehmen waldle- O enland bende Arten ohne spezielle Feuchtigkeitsan- terrestrisch Mesophile feucht sprüche wie Cochlodina laminata oder Acan- Wälder thinula aculeata ein (Abb. 7). aquatisch Hygrophile Schnecken Über die Probestellen verteilt variiert diese Sümpfe aquatisch Zusammensetzung jedoch teilweise erheb- Muscheln Gewässer lich, nicht nur hinsichtlich der Artenzahl, sondern auch in Anbetracht der Feuchtig- keitsansprüche der gefundenen Arten so- wie ihrer Vitalität (Abb. 8). So überwiegt in Abb. 7: Darstellung der Anteile an Landmollusken mit trockenen und feuchten Ansprüchen manchen Flächen der Anteil aquatischer Ar- bzw. an Wassermollusken, unterteilt in Schnecken und Muscheln (a), sowie Anteile der Arten mit ökologischen Ansprüchen, die den kartierten Lebensräumen entsprechen (b). ten (PS 4 und PS 5), die mittlere Feuchte- (Grafik: Julia Sattler i.A. ÖKON) zahl reicht von > 50 Prozent (PS9) bis <10 Prozent (PS14) und der Anteil lebender Ar- ten kann denjenigen der Totfunde deutlich übersteigen (PS 6, aquatisch), während an- 50 100 dernorts fast ausschließlich tote Individuen zu finden waren (PS1 aquatisch). 40 80

Artenzahl 30 60 Zustand der Arten 20 40 Aus dem Gesamtartenspektrum konnte das 10 20 mittlere Feuchte [%] Projektteam 20 Arten (neun Land- und elf 0 0 Wassermollusken) ausschließlich mit Leer- 13 7 1 10 11 15 16 17 2 4 6 8 9 12 3 5 14 schalen belegen, was einem Anteil von 28 Magerrasen Hart- und Röhricht und Altwasser Fließgewässer und Brenne Weichholzauwald Prozent entspricht. Von den übrigen 52 Ar- ten wurden auch Lebendexemplare gefun- Land lebend Land tot den. Ihr Anteil war in PS 11 mit 58 Prozent Wasser lebend Wasser tot mittlere Feuchte am höchsten und in PS 15 mit 18 Prozent am geringsten (Abb. 8). Unter den Lebend- funden traten einige Arten ausschließlich in juvenilen Stadien auf, für die meisten Arten Abb. 8: Anzahl der gefundenen Land- und Wassermolluskenarten je Probefläche, unterteilt in fand das Team beide Altersklassen. Lebend- und Totfunde. Als Linie wurde die mittlere Feuchte nach Weitmann & Groh 2017 je Probe- fläche dargestellt. Die Probeflächen wurden nach ihren kartierten Lebensräumen gruppiert. (Grafik: Julia Sattler i.A. ÖKON) Die zu vier Kategorien zusammengefass- ten und beprobten Lebensräume weisen un- terschiedliche Artenzahlen auf und unter- scheiden sich auch hinsichtlich ihrer Anteile 50 an lebend bzw. tot gesammelten Arten. Die 40 Magerrasen beherbergen im Schnitt mit 20 Arten das kleinste Artenspektrum, 37,5 Pro- 30 zent davon wurden lebend nachgewiesen. Anzahl der Arten 20 Mit 24 Arten liegen die Fließgewässer nur knapp darüber, der Anteil lebender Arten 10 ist jedoch mit 44 Prozent deutlich höher. 0 In den Röhrichten und Altwassern wurden 13 7 ges. 1 10 11 15 16 17 ges. 2 4 6 8 9 12 ges. 3 5 14 ges. im Schnitt 31 Arten je Probestelle gefunden, Magerrasen Hart- und Weichholzauwald Röhricht und Altwasser Fließgewässer jedoch erreichte der Anteil lebender Arten und Brenne wie bei den Magerrasen und Brennen nur 37,5 Prozent. Ähnlich umfangreich war das Artenspektrum der Auwälder mit 33 Arten Abb. 9: Darstellung der insgesamt je Probefläche gefundenen Arten. Die Probeflächen wurden nach ihren kartierten Lebensräumen gruppiert. Die hellen Farben je Kategorie stehen für Tot- die dunklen pro Probefläche, der Anteil lebender Arten für Lebendfunde. (Grafik: Julia Sattler i.A. ÖKON) lag hier bei 42,5 Prozent (Abb. 9).

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Schutzstatus Unter den in Tab. 1 und Tab. 2 gelisteten Ar- Rote Liste Bayern Rote Liste Deutschland Extrem selten (R) ten befinden sich knapp 50 Prozent auf der Vom Aussterben bedroht (1) Roten Liste für Bayern. Davon stehen 19 Ar- ten auf der Vorwarnliste (V), 12 Arten gel- Stark gefährdet (2) ten als gefährdet (RL 3) und zwei Arten als Gefährdet (3) vom Aussterben bedroht (RL 1). Auf der Ro- Vorwanrstufe (V) ten Liste für Deutschland stehen 35 Prozent der Arten, jeweils neun auf der Vorwarnliste Gefährdung unbekannten und in Kategorie 3, vier in Kategorie 2 und Ausmaßes (G) / Defizitär (D) jeweils eine in Kategorie 1, Kategorie R und Nicht gelistet Kategorie G (Abb. 10). Zwei Arten sind im Anhang II der Natura 2000 Richtlinie (Rat Abb. 10: Gesamtartenspektrum unterteilt in Rote-Liste-Kategorien nach Rote Liste Deutschland und der EU, 1992, 1997) gelistet. Rote Liste Bayern. (Grafik:J ulia Sattler i.A. ÖKON)

Die zwei als „vom Aussterben bedroht“ Vertigo moulinsiana (Dupuy 1849): Die Besondere Erwähnung verdient auch die geltenden Arten sind: Bauchige Windelschnecke (Abb. 12) ist die im Anhang II der Natura 2000 Richtlinie Valvata macrostoma (Mörch 1864): Die größte der in Bayern vorkommenden Ver- gelistete Art: Sumpf-Federkiemenschnecke (Abb. 11) lebt tigo-Arten, die Gattung ist europaweit im Vertigo angustior (Jeffreys 1830): Die Schma- vornehmlich in Temporärgewässern, welche Rückgang begriffen (Bayerisches Landesamt le Windelschnecke (Abb. 13) ist die kleinste sich in großen Stromtalauen unter natürli- für Umwelt 2019). Sie steht als Zeigerart für der vier in Bayern vorkommenden FFH-Ver- cher Dynamik entwickeln (Jurkiewicz-Karn- den intakten Zustand von Feuchtbiotopen, tigo-Arten. Die Gattung ist wie erwähnt eu- kowska 2009). Dabei bevorzugt die Art ein welche aufgrund von Grundwasserabsen- ropaweit im Rückgang begriffen B( ayerisches kalziumreiches Gewässer mit ausreichender kung und Drainage sowie Nutzungsintensi- Landesamt für Umwelt 2019). Vertigo angus- Sauerstoffverfügbarkeit. Zugleich ist die Art vierung als bedroht gelten (Jueg et al. 2019). tior besiedelt feuchte Lebensräume, v.a. Seg- darauf spezialisiert, Trockenzeiten zu über- Neben dem hohen Feuchtigkeitsanspruch genriede, Schilfröhrichte, Pfeifengraswiesen, dauern. Die Aktualisierungen der Roten Lis- ist ein Vorkommen von V. moulinsiana mit feuchte Hochstaudenfluren und Extensiv- ten (Jungbluth & von Knorre 2011) doku- einem kalkreichen Untergrund assoziiert grünland. Grundwasserabsenkung, Nährstoff- mentieren einen landesweiten Rückgang der (Groh & Weitmann 2002). In Deutschland einträge und Nutzungsintensivierungen, die Art. An zwei Probestellen (1 und 12) fand das gilt die Art als „stark gefährdet“ und in Bay- entsprechende Änderungen des Mikroklimas Projektteam verwitterte Leerschalen der Art, ern als „vom Aussterben bedroht“. Zudem zur Folge haben, bedrohen ihre Bestände (Jueg d. h. die Art muss im Gebiet – vermutlich auf- ist sie im Anhang II der FFH-Natura 2000 et al. 2019). In Deutschland und in Bayern gilt grund der fehlenden Wasserstandsdynamik – Richtlinie gelistet. In Probestelle 8 fan- die Art als „gefährdet“. In den Probestellen 10 zumindest als verschollen gelten, sofern ihr den die Projektbeteiligten ein lebendes In- und 13 fand das Projektteam lebende Indivi- Bestand nicht insgesamt erloschen ist. dividuum. duen, in 9 und 13 Leergehäuse.

Abb. 11: Valvata macrostoma. (Foto: M. Colling) Abb. 12: Vertigo moulinsiana. (Foto: M. Colling) Abb. 13: Vertigo angustior. (Foto: M. Colling)

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Tab. 1: Liste aller bei der Kartierung 2019 gefundenen Landmollusken unter Angabe ihrer ökologischen Klasse (Falkner 1990), des FFH-Status, der Gefährdung nach Rote Liste Deutschland (RL D, Jungbluth & von Knorre 2011) und Bayern (RL BY, Falkner et al. 2003) sowie der Feuchtigkeitsansprüche nach Weitmann & Groh (2017).

Nr. Wissenschaftlicher Deutscher Name Familie Ökologie Rote Liste FFH Feuchte Name D BY (%) Landmollusken 1 Deroceras laeve Wasserschnegel Agriolimacidae P 95 2 Fruticicola fruticum Strauchschnecke Badybaenidae W(M) 57 3 Carychium minimum Bauchige Zwerghornschnecke Carychiidae P V 95 4 Carychium tridentatum Schlanke Zwerghornschnecke Carychiidae H(Mf) 67 5 Cecilioides acicula* Gemeine Blindschnecke Cecilioididae Ot(S) V 20 6 Alinda biplicata Gemeine Schließmundschnecke Clausiliidae W(M) 0 7 Clausilia cruciata* Scharfgerippte Schließmundschnecke Clausiliidae W 3 3 60 8 Cochlodina laminata Glatte Schließmundschnecke Clausiliidae W 60 9 Macrogastra plicatula Gefältelte Schließmundschnecke Clausiliidae WVV 60 10 Macrogastra ventricosa Bauchige Schließmundschnecke Clausiliidae W(H) V 65 11 Cochlicopa lubrica Gemeine Glattschnecke Cochlicopidae H(M) 67 12 Ena montana* Berg-Vielfraßschnecke Enidae WV 60 13 Merdigera obscura Kleine Vielfraßschnecke Enidae W 60 14 Euconulus fulvus* Helles Kegelchen Euconulidae W(M) 57 15 Zonitoides nitidus Glänzende Dolchschnecke Gastrodontoidae P 95 16 Arianta arbustorum Baumschnecke Helicidae W(M) 57 17 Cepaea hortensis Garten-Bänderschnecke Helicidae W(M) 57 18 Helix pomatia Weinbergschnecke Helicidae W Ws(M) IV 44 19 cf. Trochulus coelomphala Auen-Haarschnecke Hygromiidae P(Wh) R 3 92 20 Monachoides incarnatus Inkarnatschnecke Hygromiidae W 60 21 Trochulus striolatus Gestreifte Haarschnecke Hygromiidae W(H) VV 82 22 Trochulus villosus Zottige Haarschnecke Hygromiidae W(H) V 0 23 Urticicola umbrosus Schatten-Laubschnecke Hygromiidae W(Wh) VV 68 24 Aegopinella nitens Weitmündige Glanzschnecke Oxychilidae W 60 25 Nesovitrea hammonis Streifenglanzschnecke Oxychilidae W(M) 57 26 Discus rotundatus Gefleckte Knopfschnecke Patulidae W(M) 57 27 Vitrea crystallina Gemeine Kristallschnecke Pristilomatidae W(M) 57 28 Punctum pygmaeum Punktschnecke Punctidae M(W) 53 29 Pupilla muscorum* Moospüppchen Pupillidae O V 3 25 30 Oxyloma elegans Schlanke Bernsteinschnecke Succineidae P 95 31 Succinea putris* Gemeine Bernsteinschnecke Succineidae P 95 32 Acanthinula aculeata Stachelige Streuschnecke Valloniidae W V 60 33 Vallonia costata Gerippte Grasschnecke Valloniidae O(Ws) 25 34 Vallonia pulchella Glatte Grasschnecke Valloniidae O(H) 75 35 Columella edentula Zahnlose Windelschnecke Vertiginidae H V 75 36 Truncatellina cylindrica* Zylinderwindelschnecke Vertiginidae O(X) 3 V 20 37 Vertigo angustior Schmale Windelschnecke Vertiginidae H(P) 3 3 II 82 38 Vertigo antivertigo Sumpf-Windelschnecke Vertiginidae P V 3 95 39 Vertigo moulinsiana Bauchige Windelschnecke Vertiginidae P 2 1 II 95 40 Vertigo pusilla Linksgewundene Windelschnecke Vertiginidae W(Ws) 3 48 41 Vertigo pygmaea Gemeine Windelschnecke Vertiginidae O V 25 42 Vitrina pellucida* Kugelige Glasschnecke Vitrinidae M 50 43 Vitrinobrachium breve* Kurze Glasschnecke Vitrinidae M(W) 53

RL D und BY: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, R = extrem selten, V = Art der Vorwarnliste. Ökologie: H = hygrophil: hoher Feuchtig- keitsanspruch aber nicht an nasse Biotope gebunden, M = mesophil: sowohl an feuchten als auch an trockeneren, vorwiegend an mittelfeuchten Standorten, Mf = mesophil, O = offene Standorte: feuchte Wiesen bis Steppen, Ot = offene Biotope subterran,P = Sumpfe, an Land nasse Wiesen, Auwälder, Ufer in engster Nachbarschaft des Wassers, im Wasser seichte pflanzenreiche Gewässer,Pp = periodische Sumpfe, S = Steppe, trockene, sonnige, gehölzfreie Standorte, W = Wald, ausschließlich an Waldstandorte gebunden, Wh = sumpfiger Wald, Bruchwald, vernässte Waldstandorte,Ws = Waldsteppe, lichter xerothermer Wald, X = xero- thermophil: bevorzugen deutlich trocken-warme Standorte; FFH-Status: IV = Anhang 4, II = Anhang 2. * = ausschließlich mit Leergehäusen/-schalen belegt.

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Fazit Für beide Rote-Liste-1-Arten, die im Ge- Anhand der Befunde aus dieser Untersu- biet vorgefunden wurden, gilt vor allem die chung ist davon auszugehen, dass sich Mit 72 im Untersuchungsgebiet gefunde- zunehmende Trockenheit als Gefährdungs- durch Dynamisierungsmaßnahmen, wel- nen Molluskenarten ist das Artenspektrum ursache. Sowohl das Mollusken-Arten- che die Wälder langfristig „nasser“ wer- vergleichsweise divers. Artenzahl und An- spektrum als auch die kartierte Vegetation den lassen, die hydrologischen Verhältnisse, teil an Rote-Liste-Arten Deutschlands und indiziert diese als Gefahr. Dabei unterschei- insbesondere auch die Grundwasserstände Bayerns sind mit zusammen 39 Arten bzw. den sich die Probeflächen teilweise erheb- (Ahlmer et al. 2018), für die Mollusken- 54 Prozent vergleichbar mit den im be- lich in ihren hydrologischen Verhältnissen, fauna stark verbessern. Als beispielhaft für nachbarten Auenbereich zwischen Neu- welche wiederum von Flora und Fauna indi- dieses Vorhaben ist das Dynamisierungs- burg/Donau und Ingolstadt (Gruppe et al. ziert werden. Die Mollusken bewähren sich projekt in dem Donauabschnitt zwischen 2016, Ökon 1998) dokumentierten Ver- hier wiederholt als ausgezeichnete Bioindi- Neuburg und Ingolstadt, das MONDAU-Pro- hältnissen. katoren (Foeckler in Schäffer et al. 2019). jekt, zu nennen.

Tab. 2: Liste aller bei der Kartierung 2019 gefundenen Wassermollusken unter Angabe ihrer ökologischen Klasse (Falkner 1990), des FFH-Status, der Gefährdung nach Rote Liste Deutschland (RL D, Jungbluth & von Knorre 2011) und Bayern (RL BY, Falkner et al. 2003) sowie der Feuchtigkeitsansprüche nach Weitmann & Groh (2017).

Nr. Wissenschaftlicher Deutscher Name Familie Ökologie Rote Liste FFH Feuchte Name D BY (%) Wassermollusken 44 Bithynia tentaculata Gemeine Schnauzenschnecke Bithyniidae LF(P) 99 45 Gyraulus albus Weißes Posthörnchen Chondrinidae L(F) V 100 46 Lymnaea stagnalis Spitzschlammschnecke Lymnaeidae L(P) V 98 47 Galba truncatula Kleine Sumpfschnecke Lymnaeidae PPp(L) 92 48 Stagnicola turricula Schlanke Sumpfschnecke Lymnaeidae LP(Pp) 3 3 95 49 Aplexa hypnorum Moos-Blasenschnecke Physidae P(Pp) 3 3 92 50 Physa fontinalis Quell-Blasenschnecke Physidae L(F) 3 V 100 51 Ancylus fluviatilis Flußnapfschnecke Planorbidae F(Q) 100 52 Anisus spirorbis Gelippte Tellerschnecke Planorbidae Pp 2 D 85 53 Anisus vortex Scharfe Tellerschnecke Planorbidae LP V V 98 54 Bathyomphalus contortus Riemen-Tellerschnecke Planorbidae LP V 98 55 Hippeutis complanatus Linsenförmige Tellerschnecke Planorbidae L(P) V 3 98 56 Planorbarius corneus Posthornschnecke Planorbidae L(P) 98 57 Planorbis carinatus Gekielte Tellerschnecke Planorbidae LP 2 V 98 58 Planorbis planorbis Gemeine Tellerschnecke Planorbidae PL(Pp) V 95 Potamopyrgus antipoda- 59 Neuseeland-Zwergdeckelschnecke Tateidae F(L) 100 rum 60 Valvata cristata Flache Federkiemenschnecke Valvatidae P (Pp) G 92 61 Valvata macrostoma Sumpf-Federkiemenschnecke Valvatidae Pp(P) 1 1 88 62 Valvata piscinalis Gemeine Federkiemenschnecke Valvatidae LF 2 G 100 63 Viviparus contectus Spitze Sumpfdeckelschnecke Viviparidae LP 3 3 98 Muscheln 64 Pisidium casertanum Gemeine Erbsenmuschel Sphaeriidae FPpQ 95 65 Pisidium globulare Sumpf-Erbsenmuschel Sphaeriidae FPpQ 3 V 95 66 Pisidium henslowanum Falten-Erbsenmuschel Sphaeriidae F(L) 3 100 67 Pisidium milium Eckige Erbsenmuschel Sphaeriidae LF 3 100 68 Pisidium nitidum Glänzende Erbsenmuschel Sphaeriidae F(L) 100 69 Pisidium obtusale Stumpfe Erbsenmuschel Sphaeriidae P(Pp) V 92 70 Pisidium subtruncatum Schiefe Erbsenmuschel Sphaeriidae LF 100 71 Sphaerium corneum Gemeine Kugelmuschel Sphaeriidae L(F) 100 72 Sphaerium nucleus Sumpf-Kugelmuschel Sphaeriidae NA 3 3 100

RL D und BY: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, R = extrem selten, V = Art der Vorwarnliste, D = Datenlage defiziär, G = Gefahrdung unbekannten Ausmaßes. Ökologie: F = fließende Gewässer, Bäche bis große Ströme,L = stehende Gewässer, kleine Lachen bis große Teiche und Seen, P = Sumpfe, an Land nasse Wiesen, Auwälder, Ufer in engster Nachbarschaft des Wassers, im Wasser seichte pflanzenreiche Gewässer,Pp = periodi- sche Sumpfe, Q = Quellen.

Auenmagazin 18 / 2020 33 AUENBEWOHNER

J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

Zwischen 2006 und 2011 wurde das MONDAU-Gebiet zwischen Neuburg/Donau und Ingolstadt über eine Ausleitung aus der Stauhaltung Neuburg/Donau wieder an die Donau angebunden. Ab bestimmten Donau- wasserständen wird gezielt Wasser aus der Stauhaltung Neuburg wieder in die Wälder geleitet. Die Maßnahmen im Projekt konn- ten die Flutmulden und Sümpfe sowie tem- porär überflutete Bereiche wiederbeleben. Das begleitende Monitoring zeigte bereits nach wenigen Jahren eine Zunahme der Ar- tenvielfalt, auch innerhalb der Artengruppe der Mollusken (Gruppe et al. 2016).

Das in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung vorgefundene Artenspek- trum beinhaltet noch vergleichsweise viele und vor allem auch seltene Arten. Die zahl- Abb. 14: Anisus spirorbis – eine besondere Molluskenart. (Foto: H. Schmidt) reichen Totfunde deuten jedoch darauf hin, dass die Habitatqualität bereits abnimmt. Aus natur- und artenschutzfachlicher Sicht dern und bereits verschwundenen Arten eine Wotke, A. (2011): Auenschutz – Hoch- ist die seitens der Stiftung Naturerbe Do- Wiederansiedlung zu ermöglichen. Letzte- wasserschutz – Wasserkraftnutzung. nau und der Naturschutzbehörde in Neu- res setzt natürlich voraus, dass, im Falle der Beispiele für eine ökologisch vorbild- burg im Rahmen der Umsetzung des Mas- Mollusken, diese passiv (z. B. über den Trans- liche Praxis. Naturschutz und Biologi- terplans „Lebensraum Bayerische Donau“, port im Vogelgefieder oder Verdriftung) oder sche Vielfalt, 112. Schlüsselprojekt Nr. 8 „Dynamisierung der langfristig aktiv den Weg in das Gebiet fin- Der Rat der Europäischen Gemeinschaften Donauauen zwischen Marxheim und Stepp- den, wie es auch im MONDAU-Gebiet zu be- (1992): Richtlinie 92/43/EWG des Ra- berg“, angestrebte Verbesserung der Habi- obachten war (Gruppe et al. 2016). tes vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung tatqualität durch Dynamisierungsprozesse der natürlichen Lebensräume sowie sehr zu begrüßen. Aus Sicht der Mollusken der wildlebenden Tiere und Pflanzen. – und vieler anderer Bewohner natürlicher Literatur Amtsblatt der Europäischen Gemein- Auen kommen insbesondere solche Ver- schaften Nr. L 206/7 („FFH-Richtli- besserungsmaßnahmen in Frage, die wie- Ahlmer, W., Foeckler, F., Lang, A., Schmidt, nie“), Anhang II. der mehr Wasser über längere Zeiten auf H. & Rumm, A. (2018): Grundwas- Der Rat der Europäischen Gemeinschaften eine Weise in die Auen bringen, dass ein ser in Auen: Bedeutung Grundwas- (1997): Richtlinie 97/62/EG des Rates möglichst natürlicher, jahreszeitengemä- ser in Auen: Bedeutung und Auswir- vom 27. Oktober 1997 zur Anpassung ßer Wechsel entsteht, der auch Trocken- kungen von Veränderungen auf Flora der Richtlinie zur Erhaltung der natür- zeiten zulässt. Mehr Wasser in den Auen und Fauna. – Auenmagazin, Heft 14: lichen Lebensräume sowie der wild- erhöht die Grundwasserstände und deren 22–28. lebenden Tiere und Pflanzen an den natürliche Schwankungen, eine wesentliche Bayerisches Landesamt für Umwelt (2019): technischen Fortschritt. – Amtsblatt Voraussetzung der Renaturierung. Hierzu NATURA 2000 – Tier und Pflan- der Europäischen Gemeinschaften Nr. dienen auch an die Abflussdynamik der Do- zenarten: Weichtiere (Mollusken): L 305: 42–65. nau angepasste Ökologische Flutungen der https://www.lfu.bayern.de/natur/na- Dister, E., Schneider, E. & Scholz, M. (2017): Auen. Die Neuanlage oder Wiederbelebung tura_2000/ffh/tier_pflanzenarten/ Allgemeine Grundlagen. In: Schneider, ehemaliger Fließgewässer in den Auen, aber doc/mollusken.pdf E., Werling, M., Stammel, B., Januschke, auch die Wiederanbindung von Altwassern BMU und BfN – Bundesministerium fur Um- K., Ladesma-Krist, G., Scholz, M., He- an die Donau und deren Teilhaben an den welt, Naturschutz, Bau und Reaktor- ring, D., Gelhaus, M., Dister, E. & Eg- Abflussschwankungen dienen dabei sehr ef- sicherheit und Bundesamt fur Na- ger, G. (Hrsg.): Biodiversität der Flus- fektvoll einer Wiederbelebung der Auen (s. turschutz (Herausgeber) (2015): Den sauen Deutschlands: Ergebnisse des Lüderitz et al. 2009, BMU und BfN 2015). Flüssen mehr Raum geben – Renatu- F + E-Vorhabens „Entwicklung der rierung von Auen in Deutschland. Ber- Biodiversität von Flussauen“. Natur- Diese und weitere Maßnahmen können aller lin, 60 S. schutz und biologische Vielfalt 163 – Voraussicht nach dazu beitragen, die noch Damm, C., Dister, E., Fahlke, N., Follner, BfN, Bonn. vorhandenen Arten zu schützen und im Ide- K., König, F., Korte, E., Lehmann, B., Falkner, G. (1990): Vorschlag für eine Neu- alfall die stark dezimierten Bestände zu för- Müller, K., Schuler, J., Weber, A. & fassung der Roten Liste der in Bayern

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J. Sattler et al. Erfassung von Mollusken in den Donauauen zwischen Lech- und Usselmündung 27-35

vorkommenden Mollusken (Weich- Muscheln; Gastropoda et Bivalvia) Robinson, C. T., Tockner, K. & Ward, J. V. tiere). – Schr.r. Bayer. Landesamt f. Deutschlands; [unter Mitarbeit von (2002): The fauna of dynamic river- Umweltschutz 97 (Beiträge zum Ar- Bössneck, U., Groh, K., Hackenberg, E., ine landscapes. – Freshwater Biology tenschutz 10): 61–112. Kobialka, H., Körnig, G., Menzel-Har- 47: 661–677. Falkner, G., Colling, M., Kittel, K. & Strätz, loff, H., Niederhöfer, H.-J., Petrick, S., Schäffer, A., Weber, N. & Foeckler, F. (2019): Ch. (2003): Rote Liste der gefährde- Schniebs, K., Wiese, V., Wimmer, W. & Die Donauaue bei Bertoldsheim – Ur- ten Schnecken und Muscheln (Mol- Zettler, M. L.].- In: Bundesamt für Na- wald am Fluss. – Herausgeber: Stif- lusca) Bayerns. Schriftenreihe Baye- turschutz (Hrsg.): NaBiV Heft 70/3: tung Naturerbe Donau, Schloss risches Landesamt für Umweltschutz Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen Grünau, Neuburg an der Donau & 166: 337–347; Augsburg. und Pilze Deutschlands – Bd 3: Wir- Landesbund für Vogelschutz in Bay- Foeckler, F., Stammel, B., Schmidt, H. & Rumm, bellose Tiere (Teil 1): 647–708; [aus- ern e.V., Hilpoltstein, 36 S. A. (2016): Lebensräume der Flussauen geliefert 2012]. Utschig, H., Strätz, C. & Gruppe, A. (2013): – Wechselwasserzonen – „Kampfzo- Jurkiewicz-Karnkowska, E. (2009): Diver- Indikationspotenzial von Mollusken nen“ zwischen Land und Wasser. – Au- sity of aquatic malacofauna within für das Monitoring von Auenrenatu- enmagazin, Heft 10: 31–37. a floodplain of a large lowland river rierungen. – Mitt. Zool. Ges. Braunau. Glöer, P. (2002): Die Süßwassermollusken (lower bug river, eastern poland) – Bd. 11, Nr. 1: 97–138. Nord- und Mitteleuropas; 2. Auflage. Journal of Molluscan Studies (2009) Weitmann G. & Groh, K. (2017): Biomoni- Hackenheim. 262 S. 75: 223–234. toring im Polder Söllingen/Greffern. – Glöer, P. (2015): Süßwassermollusken. – Keil, M., Esch, T., Divanis, A., Marconcini, Schnecken (Gastropoda) – Anhang 2. Hrsg.: Deutscher Jugendring für Na- M., Metz, A., Ottinger, M., Voinov, S., Wiese, V. (2016): Die Landschnecken turbeobachtung, Hamburg, 14. Auf- Wiesner, M., Wurm, M. & Zeidler, J. Deutschlands: Finden – Erkennen – lage, 136 S. (2014): Aktualisierung der Landnut- Bestimmen; Wiebelsheim: Quelle & Groh, K. & Weitmann, G. (2002): Artensteck- zungs- und Landbedeckungsdaten Meyer, 2. Auflage, 352 S. brief – Bauchige Windelschnecke – CLC fur das Jahr 2012 – „Backdating“ Vertigo moulinsiana. unveröffentlicht. des DLM-DE vom Referenzjahr 2009 Gruppe, A., Kilg, M., Utschick, H., Gerstmeier, zuruck auf das Jahr 2006. Deutsches R. & Schopf, R. (2016): Neue dynami- Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. sche Prozesse im Auenwald – Monito- (DLR), Deutsches Fernerkundungsda- Kontakt ring der Auenrenaturierung an der Do- tenzentrum, Wessling – Im Auftrag nau zwischen Neuburg und Ingolstadt. des Umweltbundesamtes. M.Sc.-Biol. Julia Sattler – Naturschutz und biologische Vielfalt Lüderitz, V., Langheinrich, U. & Kunz, Ch. B.Sc. Maria Nißl 150, BfN, Bonn: 232–258. (Hrsg.) (2009): Flussaltwässer – Öko- Dr. Francis Foeckler Hausser, J. (2005): Bestimmungsschlüssel logie und Sanierung – Vieweg + Teub- ÖKON Gesellschaft für der Gastropoden der Schweiz; Fauna ner, GWV Fachverlage GmbH, Wiesba- Landschaftsökologie, Gewässerbiologie Helvetica 10; 191 S.; Neuchatel den, 234 S. und Umweltplanung mbH Jueg, U., Menzel–Harloff, H. & Wachlin, Müller, M., Pander, J., Stammel, B., Gelhaus, Hohenfelser Str. 4 V. (2019) verändert nach Colling, M. M. & Cyffka, B. (2014): Synthese und 93183 Kallmünz & Schröder, E. (2003): Vertigo mou- Schlussfolgerungen zu den Ergebnis- Tel.: +49 9473 951740 linsiana (Dupuy, 1849). – In: Peter- sen des Monitorings in MONDAU. In: E-Mail: [email protected] sen, B., Ellwanger, G., Biewald, G., Auenmagazin. Heft 7. – S. 38–42. [email protected] Hauke, U., Ludwig, G., Pretscher, P., ÖKON (1998): Donauauwälder: Literaturstu- www.oekon.com Schröder, E. & Ssymank, A. (Bearb.): die zur faunistischen Bedeutung der Das europäische Schutzgebietssys- Donauauwälder zwischen Ingolstadt Dipl.-Biol. Manfred Colling tem Natura 2000. Ökologie und Ver- und Neuburg/Donau sowie benachbar- Feldstr. 50 breitung von Arten der FFH–Richtli- ter Auwaldgebiete. – Im Auftrag der 85716 Unterschleißheim nie in Deutschland, Band 1: Pflanzen Regierung von Oberbayern, München. Tel.: +49 89 3109344 und Wirbellose. – Schriftenreihe fur ÖKON (2017): Aktualisierte Fotodokumen- E-Mail: [email protected] Landschaftspflege und Naturschutz, tation zur Molluskensiebung – nach 69/1: 694–706: https://www.bfn.de/ Deichner, O., Foeckler, F., Groh, K. & Dipl.-Ing. Siegfried Geißler themen/natura-2000/lebensraumty- Henle, K. (2003): Anwendung und Untere Naturschutzbehörde pen-arten/arten-der-anhaenge/sons- Überprufung einer Ruttelmaschine Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen tige-wirbellose/vertigo-moulinsiana- zur Schlämmung und Siebung von Platz der Deutschen Einheit 1 dupuy-1849.html Mollusken-Bodenproben. Mitt. der 86633 Neuburg a. d. Donau Jungbluth, J. H. & Knorre, D. von (2011): Dtsch. Malakozoologischen Ges. Tel: +49 8431 57304 Rote Liste und Gesamtartenliste der 69/70: 71–77. Download: http:// E-Mail: [email protected] Binnenmollusken (Schnecken und oekon.com/

Auenmagazin 18 / 2020 35 AUENBEWOHNER

K. Januschke & K. Hannig Laufkäfer – Ufer- und Auenbewohner 36-45

LAUFKÄFER – UFER- UND AUENBEWOHNER

Kathrin Januschke & Karsten Hannig

Flussufer und -auen sind im naturnahen Zustand geprägt von Habitat- und Strukturvielfalt, die durch dynamische Überflutungsprozesse entstehen. Für die Artengruppe der Laufkäfer, weithin bekannt als guter Indikator für sich än- dernde Umwelt- und Habitatbedingungen, haben naturnahe Flussufer und -auen eine besondere Bedeutung. Gerade an die Dynamik der Uferbereiche haben sich zahlreiche Arten angepasst. Demgegenüber stehen jedoch viel- fältige Belastungen durch die menschliche Nutzung (z. B. Begradigung von Gewässern, landwirtschaftliche Nutzung in der Aue), die zu einer strukturellen Verarmung, einer Einschränkung der natürlichen Fließgewässer- dynamik oder sogar zum vollständigen Verlust von Auen geführt haben. Dies hat negative Konsequenzen für die Gilde der Uferlaufkäfer, von denen bundesweit insgesamt 65 Prozent als stark gefährdet oder gefährdet gelten. Gewässer- und Auenrenaturierungen, die ufer- und auentypische Habitate schaffen (Abbildung 1), wirken diesem Trend ein Stück weit entgegen. Jedoch sollten alle Akteure die Laufkäfer zukünftig sowohl im Rahmen der Ein- griffsregelung als auch in der Planung und Erfolgskontrolle von Renaturierungsmaßnahmen stärker berücksichtigen.

Allgemeine Merkmale von nung der Käfer mit über 6500 Taxa (Köhler Die Größe von Laufkäfern reicht von we- Laufkäfern 2011). Von den meisten anderen terrestrisch nigen Millimetern (z. B. Tachys micros mit lebenden Käferfamilien sind die Carabiden 1,7 mm) bis zu mehreren Zentimetern, wo- Die Familie der Laufkäfer (Carabidae) ist mit durch lange, fadenförmige Fühler mit elf bei der Lederlaufkäfer (Carabus coriaceus) bundesweit 567 Arten (Schmidt et al. 2016, Gliedern und fünfgliedrige Tarsen an den mit bis zu 4,2 cm die größte heimische Art Trautner 2017) eine überschaubare Fami- Laufbeinen abzugrenzen. Viele Arten be- in Deutschland darstellt (Müller-Motzfeld lie innerhalb der artenreichen Insektenord- sitzen einen auffälligen metallischen Glanz. 2006).

Abb. 1: Renaturierungsmaßnahmen schaffen ufer- und auentypische Habitate als wichtige Besiedlungsgrundlage für charakteristische Laufkäferarten. (Foto: Ruhr bei Arnsberg, NRW/K. Januschke)

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K. Januschke & K. Hannig Laufkäfer – Ufer- und Auenbewohner 36-45

Ein Überblick über die Vielfalt der Laufkä- rung an einem vergleichsweise konkurrenz- oberste Bodenauflage nach Käfern abge- fer, deren Verbreitungssituation in Deutsch- armen Standort entwickeln kann, und damit sucht wird. Durch zusätzliches Abschwem- land sowie weitere Hintergrundinformatio- ein hoher Reproduktionserfolg gewährleis- men mit Wasser treibt man auch grabende nen finden sich im Online-Verzeichnis der tet ist (Gerisch 2011). Laufkäferarten aus tieferen Bodenschich- Laufkäfer Deutschlands (http://www.colkat. ten an die Oberfläche. Konkrete Empfeh- de/de/fhl/). Der Großteil der Laufkäferarten Hinsichtlich der Flugfähigkeit unterscheidet lungen zur Erfassungsmethodik bei Pla- lebt auf der Bodenoberfläche; einige we- man bei den Laufkäfern flugfähige Arten, nungsvorhaben finden sich bei Trautner & nige Gattungen leben in der Vegetation, die voll ausgebildete Flügel besitzen, und Fritze (1999). Allerdings variieren die Er- auf Bäumen oder unterirdisch (Wachmann (aufgrund reduzierter Hinterflügel) flugun- fassungsmethoden bei bundesweit durch- et al. 1995). fähige Arten. Darüber hinaus gibt es ei- geführten Laufkäfer-Studien im Hinblick nige sogenannte dimorphe Arten, bei de- auf die verwendete Art der Fallen (Becher- Laufkäfer kommen generell in fast allen nen innerhalb einer Art beide Flügeltypen größe, Öffnungsdurchmesser, Fanglösung) Landlebensräumen vor, angefangen von auftreten können. Im Gegensatz zu eini- sowie die Anzahl, räumliche Verteilung und Küstenbiotopen und Binnenlandsalzstellen gen größeren, flugunfähigen Laufkäferar- Ausbringdauer teilweise stark (Januschke über Flussufer, Moore, Wälder, Gebirgsbio- ten, die vorzugsweise stabile Lebensräume et al. 2017). tope und Biotope der offenen Kulturland- (z. B. Wälder) besiedeln, überwiegen an schaft. Das Vorkommen der unterschiedli- Flussufern kleinere, flugfähige Arten mit chen Arten ist bestimmt durch strukturelle einem hohen Ausbreitungspotenzial, so z. B. Indikationspotenzial von Laufkäfern (u. a. Vegetationsbedeckung) und mikrokli- aus der Gattung Bembidion (siehe auch van an Ufern und in Auen matische Standortbedingungen, wie z. B. Looy et al. 2005). Temperatur, Bodenfeuchte, pH-Wert so- Der hohe Spezialisierungsgrad in Kombi- wie Konkurrenzphänomene (Schmidt et al. Die meisten Laufkäferarten ernähren sich nation mit der überschaubaren Anzahl an 2016). Neben einigen Generalisten findet hauptsächlich räuberisch. In dynamischen Arten, der Zugang zu guter, aktueller Be- sich eine hohe Anzahl von Arten, die be- Uferbereichen findet man einige Arten mit stimmungsliteratur und die leichte Erfass- stimmte Habitate präferieren. Die Lebens- speziellen Ernährungsgewohnheiten. He- barkeit sowie die sehr schnellen Reaktio- raumpräferenzen aller bundesweit vorkom- ring & Plachter (1997) stellten anhand nen auf sich ändernde Habitatbedingungen menden Arten sind weitestgehend bekannt von Darminhaltsanalysen fest, dass sich ei- machen Laufkäfer zu sehr guten Indikato- und in einem Katalog nachschlagbar (GAC nige Uferarten der Gattung Bembidion zu ren. Die Nutzung von Laufkäfern als Bioin- 2009). Gerade in dynamischen Uferlebens- 89 Prozent von aquatisch lebenden Wir- dikatoren hat eine jahrzehntelange Tra- räumen von Fließgewässern gibt es einige bellosen ernähren, die an den Kiesuferbän- dition (u. a. Kotze et al. 2011). Über die hochspezialisierte Arten, die sogar be- ken angeschwemmt werden. Darüber hin- Indikationsmöglichkeiten von Laufkäfern stimmte Bodensubstrate bevorzugen (vgl. aus gehörten schlüpfende Steinfliegen zum an Flussufern und in Auen existiert viel- Abbildung 10 und Abbildung 11). Nahrungsspektrum, die typischerweise zwi- fältige Literatur; einen Einblick gibt z. B. schen dem Larval- und Imaginalstadium ei- der Supplement-Band „Laufkäfer in Auen“ Darüber hinaus sind Laufkäfer an Ufern nen Habitatwechsel vom Gewässer zu ter- (GAC 1999). In vielen weiteren Studien ha- und in Auen an die dort durch das Über- restrischen Lebensräumen vollziehen. ben AutorInnen herausgestellt, dass Lauf- flutungsgeschehen herrschenden instabilen käfer eine natürliche bzw. naturnahe Ha- Lebensbedingungen angepasst und weisen Weitere Studien zeigten anhand von Ana- bitatausstattung von Flussufern und Auen besondere Merkmale bezüglich ihrer Fort- lysen stabiler Isotope, dass Uferkäfer eine indizieren und damit deren Zustand, vor al- pflanzungsstrategie und Flugfähigkeit auf große Bedeutung für die trophische Ver- lem in Bezug auf dynamische Prozesse und (Gerisch 2011). Generell durchlaufen Lauf- netzung von Gewässer, Ufer und Aue ha- die laterale Verbindung zwischen Gewäs- käfer in ihrer Entwicklung eine vollstän- ben (Paetzold et al. 2005). ser, Ufer und Auen widerspiegeln (z. B. van dige Metamorphose vom Ei über ein Lar- Looy et al. 2005). Gerade im Hinblick auf ven- und Puppenstadium bis zum adulten die Vielzahl an Renaturierungsmaßnahmen, Tier. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Fort- Erfassung von Laufkäfern die auch im Rahmen der EU-Wasserrah- pflanzung unterscheidet man zwei Stra- menrichtlinie umgesetzt wurden und wer- tegien, wobei einige Arten als Imagines, Für die Erfassung von Laufkäfern in rein den, eignen sich Laufkäfer sehr gut für eine andere wiederum als Larven überwintern. terrestrischen Lebensräumen werden in Erfolgskontrolle. Während Larvalüberwinterer überwiegend der Regel Bodenfallen nach Barber (1931) vergleichsweise stabile Lebensräume, wie verwendet. Gerade in dynamischen Ufer- Im Vergleich zu aquatischen Artengruppen z. B. Wälder, besiedeln, dominieren an dy- bereichen, in denen das Ausbringen von zeigen Laufkäfer sehr schnelle und deutli- namischen Gewässerufern Imaginalüber- Fallen im Hinblick auf schwankende Was- che Reaktionen auf die strukturellen Habi- winterer (z. B. Sklodowski 2016). Begründet serstände nicht zielführend ist, wer- tatverbesserungen. Aus naturschutzfachli- ist dies in einem Überlebensvorteil, da sich den meistens Handaufsammlungen (vgl. cher Sicht besitzen renaturierte Abschnitte die Larve über den Sommer in der Phase von Trautner 1992, 1999) durchgeführt, wo- als Habitate für gefährdete Arten einen ho- Niedrigwasser und wenig Überflutungsstö- bei auf einer definierten Flächengröße die hen Stellenwert.

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Im Folgenden stellen die Autoren exemp- Biologische Renaturierungseffekte am In den renaturierten Abschnitten dominier- larisch fünf Studien vor, die das Indikati- Beispiel von 24 Renaturierungsprojekten ten bei den Laufkäfern Uferspezialisten und onspotenzial von Laufkäfern im Hinblick (Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rhein- bei den Pflanzen stresstolerante Pionier- auf den Erfolg von Renaturierungen ver- land-Pfalz) besiedler, die von den durch die Maßnah- deutlichen. Im Rahmen des Projektes “Evaluation von men initiierten dynamischen und vegetati- Fließgewässer-Revitalisierungsprojekten onslosen Sand- und Kiesbänken profitierten. als Modell für ein bundesweites Verfahren Bemerkenswert bei dieser Studie war, dass Bundesweite Metadatenanalyse von Au- zur Umsetzung effizienten Fließgewässer- 42 Prozent der Pflanzenarten und 31 Pro- enmonitoring-Daten schutzes” sowie des Projektes „Verbesse- zent der Laufkäferarten ausschließlich in Im Rahmen einer bundesweiten Metadaten- rungsmöglichkeiten für die biologische Viel- den renaturierten Abschnitten zu finden analyse wurde der Erfolg von Gewässerre- falt in ausgebauten Gewässerabschnitten“ waren. Erwartungsgemäß gehören zehn naturierungen auf verschiedene aquatische untersuchten Wissenschaftlerinnen 24 re- dieser Laufkäferarten der Gattung Bembi- und terrestrische Artengruppen anhand von naturierte und 24 stromaufwärts gelegene dion an. 138 Renaturierungsprojekten (verteilt auf begradigte Vergleichsabschnitte in Nord- 68 Gewässer) analysiert (Januschke et al. rhein-Westfalen, Hessen und Rheinland- 2016, 2017). Pfalz im Hinblick auf Renaturierungseffekte. Biologische Renaturierungseffekte am Beispiel der Ruhr bei Arnsberg (Nord- Renaturierungserfolg wurde hier definiert Im Fokus standen Maßnahmen, bei denen rhein-Westfalen) als eine Verbesserung der Lebensgemein- auf einer Länge von 0,2 bis 2,5 Kilometern Um die Erstbesiedlung renaturierter Ab- schaften im Hinblick auf eine ufer- und die Uferbefestigungen entfernt wurden und schnitte durch verschiedene Artengruppen auentypische Artenzusammensetzung je- eine Aufweitung des Gewässers, teils mit sowie die zeitliche Entwicklung der Le- weils im Vergleich zu einem begradigten umfangreicher Anbindung der Aue (Abbil- bensgemeinschaften zu analysieren, wur- Abschnitt. Die Ausprägung der Effekte un- dung 3), durchgeführt wurde. Das Augen- den sechs Abschnitte am Mittelgebirgsfluss terschied sich bei den sechs am häufigsten merk richteten die Forschenden hier auf Ruhr bei Arnsberg in Nordrhein-Westfalen untersuchten Organismengruppen deutlich die Effekte der Maßnahmen auf Uferhabi- untersucht: drei renaturierte Teilbereiche, (Abbildung 2). Laufkäfer, Auenvegetation, tate, Auenvegetation und die Laufkäfer (Ja- die zwischen 2008 und 2011 auf einer Ge- Fische und Vögel zeigten fast ausschließ- nuschke 2018). samtlänge von 2,7 Kilometern renaturiert lich starke positive Effekte. Für Makrophy- wurden, sowie zwei nicht-renaturierte, be- ten zeigten sich keine Effekte und Verbesse- Die Diversität der Uferhabitate sowie der gradigte Vergleichsabschnitte und ein na- rungen zu gleichen Anteilen, während sich Artenreichtum der Pflanzen und Laufkäfer turnaher Abschnitt, der sich seit 1990 un- für das Makrozoobenthos insgesamt keine war in renaturierten Abschnitten im Mittel gestört entwickelt (Januschke 2017, 2018). oder nur geringe positive Reaktionen doku- doppelt so hoch wie in den begradigten Ver- mentieren ließen. gleichsabschnitten (Abbildung 4). Über eine Zeitspanne von drei bis fünf Jah- ren, beginnend im Jahr nach der ersten Renaturierungsmaßnahme, wurden aqua- tische und uferbewohnende Organismen- gruppen erfasst. 140 Makrozoobenthos Fische 120 Laufkäfer zeigten die stärksten Renaturie- Auenvegetation rungseffekte, gefolgt von der Auenvegeta- 100 Makrophyten tion und den aquatischen Makrophyten; das Laufkäfer Makrozoobenthos und die Fische hingegen 80 Vögel Anzahl Untersuchungen Anzahl wiesen in allen Abschnitten sehr ähnliche Sonstige 60 Organismen- Lebensgemeinschaften auf. gruppen 40 Direkt im ersten Jahr nach der Umsetzung 20 der Maßnahmen besiedelten die charakte- ristischen Uferlaufkäfer, die aufgrund ihrer 0 Flugfähigkeit ein hohes Ausbreitungspoten- stark mittel gering Kein gering mittel stark E ekt zial besitzen, die neu geschaffenen Habitate Verschlechterung Verbesserung in den renaturierten Abschnitten, wie z. B. die Kiesbänke (Abbildung 5, links).

Abb. 2: Effekte von Renaturierungsmaßnahmen auf aquatische und terrestrische Artengruppen basie- rend auf einer Metadatenanalyse von Untersuchungen in 138 Renaturierungsprojekten. (Januschke et al. 2016, 2017)

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Abb. 3: Die Niers bei Geldern-Pont (NRW): (oben) stromaufwärts der Renaturierung gelegener Vergleichsabschnitt, der dem Zustand des renatu- rierten Abschnitts vor Maßnahmenumsetzung entspricht; (links unten) aufgeweiteter Hauptlauf mit dynamischen Flachuferzonen, (rechts un- ten) durch die Renaturierung geschaffene Überschwemmungsbereiche mit stehenden Auengewässern und Röhrichtzonen. (Fotos: K. Januschke)

140 140 50 Median 25 %-75 % 120 120 40 Min.-Max. 100 100

80 80 30 Anzahl Habitate 60 60 20 Anzahl Pflanzenarten

40 40 Anzahl Laufkäferarten

20 20 10

0 0 0 DR DR DR

Abb. 4: Vergleich von nicht-renaturierten (D) und renaturierten Gewässerabschnitten (R) bezüglich der Anzahl an Uferhabitaten, Pflanzen- und Laufkäferarten. (Januschke 2018)

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Abb. 5: (links) Die an der Ruhr in Arnsberg (NRW) neu geschaffenen Kiesbänke wurden direkt nach Umsetzung der Renaturierungsmaßnahme von bemerkens- werten Uferlaufkäfern besiedelt. (rechts) Der naturnahe Abschnitt bietet aufgrund seines Habitatmosaiks aus Kiesbänken, Hochstaudenfluren und Weidenge- büschen Habitate für eine komplexe Lebensgemeinschaft. (Fotos: K. Januschke)

In dem naturnahen Abschnitt (Abbildung 5, Nordrhein-Westfalens (Hannig & Kaiser fachliche Bedeutung von regelmäßig um- rechts) spiegelten vor allem die Laufkäfer 2011) aufgeführt sind. Acht der neun Ar- gelagerten Kies- und Schotterbänken. und die Auenvegetation das vorhandene ten wurden ausschließlich in den Renatu- Habitatmosaik in der Aue, bestehend aus rierungen erfasst, darunter die zwei Arten Die Studie macht deutlich, dass ufertypi- verschiedenen Sukzessionsstadien, wider. Elaphropus quadrisignatus und Thalasso- sche Pionierarten dank ihrer hohen Aus- Neben den Uferspezialisten wurden dort philus longicornis, die landesweit als „vom breitungsfähigkeit neu renaturierte Ab- auch Laufkäferarten mit einem breiteren Aussterben bedroht“ (Rote Liste-Status 1) schnitte sehr schnell besiedeln können, Habitatspektrum sowie flugunfähige, also eingestuft worden sind. Auch die hohen wenn noch Spenderpopulationen in räum- eher ausbreitungsschwache Arten, nach- Individuenzahlen der in NRW als selten licher Nähe existieren. Ähnliche Ergebnisse gewiesen. Besonders bemerkenswert ist bzw. sehr selten geltenden Arten Bem- belegen auch Laufkäferuntersuchungen an das Auftreten von insgesamt neun Laufkä- bidion atrocaeruleum und Sinechostictus der Ruhr bei Wickede (Hannig & Drewenskus ferarten (Tabelle 1), die in der Roten Liste millerianus belegen die hohe naturschutz- 2016). Hier zeigte sich bei einem Vorher-

Tab. 1: Bemerkenswerte Laufkäferarten, die in der Roten Liste aufgeführt sind, unter Angabe von Rote Liste-Status und Häufigkeit nachH annig & Kaiser (2011) sowie Habitatpräferenz nach GAC (2009) (Januschke 2017, 2018); Häufigkeit in NRW: mh = mittelhäufig, s= selten, ss = sehr selten, es = extrem selten.

Art RL-Status Häufigkeit Habitatpräferenz nach GAC (2009) Anzahl in der Studie NRW 2011 in NRW erfasster Individuen ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Bembidion atrocaeruleum 3 s 628 Schotter, Kies, Sand ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Bembidion decorum V mh 351 Schotter, Kies ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Sinechostictus millerianus 2 ss 91 Schotter, Kies ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Bembidion monticola 3 s 6 Schotter, Kies, Sand, Schluff, Lehm vegetationsreiche Ufer, Sandbänke, Bembidion obliquum V mh 1 Schlamm-/Schlickbänke ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Bembidion punctulatum V mh 50 Schotter, Kies, Sand Uferbegleitende Hochstaudenfluren, Bembidion schueppelii 3 ss 9 Weidengebüsche Uferbänke mit Geröll, Elaphropus quadrisignatus 1 ss 15 Schotter, Kies, Sand; Roh-, Skelettböden ausschließlich Uferbänke mit Geröll, Thalassophilus longicornis 1 es 10 Schotter, Kies; subterran

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Nachher-Vergleich eine bemerkenswerte Steigerung der Artenzahl von 42 auf 64 Arten und der Anzahl feuchtigkeitsliebender Uferarten von einer auf 13 Arten.

Biologische Renaturierungseffekte am Beispiel der Lahn bei Biedenkopf (Hessen) Anhand von drei renaturierten und jeweils wenige 100 Meter stromaufwärts gelege- nen begradigten Vergleichsabschnitten des Mittelgebirgsflusses Lahn in Hessen unter- suchte die Autorin zeitliche Effekte von Re- naturierungen auf die Laufkäfer, die Au- envegetation und das Makrozoobenthos (Januschke 2018). Die Probennahmen fan- den drei bis fünf und sieben bis neun Jahre nach Abschluss der Renaturierungsmaß- nahmen statt.

Drei bis fünf Jahre nach Umsetzung der Re- naturierungsmaßnahmen war der Arten- reichtum der Pflanzen und Laufkäfer in den renaturierten Abschnitten deutlich höher als in den begradigten Abschnitten (Pflan- zen Ø = 113 Arten vs. 45 Arten, Laufkä- fer Ø = 16 Arten vs. 6 Arten). Aufgrund der optimierten Habitatdiversität siedelten sich drei bis fünf Jahre nach Renaturierung vor allem Laufkäferarten an, die für dyna- mische Uferbereiche charakteristisch sind (z. B. Bembidion atrocaeruleum, B. decorum) und Überschwemmungsbereiche präferie- ren (u. a. Agonum emarginatum, Bembidion dentellum). Sieben bis neun Jahre nach Um- setzung der Renaturierungsmaßnahmen er- Abb. 6: Sieben bis neun Jahre nach Umsetzung der Renaturierungsmaßnahme weisen die Ufer- und Au- weiterte sich die Laufkäfergemeinschaft enbereiche der Lahn bei Ludwigshütte (Hessen) ein Habitatmosaik aus unterschiedlichen Sukzessions- um Arten, die ein breiteres Habitatspekt- stadien auf, das von Laufkäfern mit verschiedenen Ansprüchen besiedelt wurde. (Foto: K. Januschke) rum besitzen und stärker bewachsene Be- reiche (Abbildung 6) besiedeln (z. B. Cara- bus granulatus). 3-5 Jahre nach 7-9 Jahre nach Umsetzung der Maßnahmen Artenreichtum Umsetzung der Maßnahmen Für die Laufkäfer nahm der Artenreichtum SUKZESSION in den renaturierten Bereichen zwischen + Waldarten, Arten o ener Uferbänke/ + den beiden Zeitabschnitten zu (16 vs. 22 Arten bewachsener Ufer, hygrophile Arten Grünlandarten Arten), für die Auenvegetation hingegen ab (113 vs. 92 Arten). Trotz der insgesamt ge- Ruderalarten/ ringen Reaktionen des Makrozoobenthos hygrophile Arten - K-Strategen konnten in beiden Zeitspannen nach den Renaturierungen Arten vorgefunden wer- Zerkleinerer, Trichoptera EPC Taxa + + Abundanz Phytal-Arten den, die ausschließlich in renaturierten Ab- schnitten vorhanden waren. Das Makrozoo- benthos insgesamt zeigte eine sehr lang- same Besiedlung der neu entstandenen Habitate bei im Mittel gleichbleibendem Abb. 7: Veränderungen in den Lebensgemeinschaften bei Laufkäfern, Auenvegetation und Makrozoo- benthos drei bis fünf Jahre nach Umsetzung der Renaturierungsmaßnahmen (im Vergleich zu den begra- Artenreichtum. Abbildung 7 zeigt zusam- digten Abschnitten) und nach sieben bis neuen Jahren (als zeitliche Veränderung der renaturierten Ab- menfassend die beschriebenen Ergebnisse. schnitte). (Januschke et al. 2014, Januschke 2018)

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Effizienzkontrolle einer Renaturierungs- Abbruchkanten und Schlammfluren) be- maßnahme am Beispiel der Lippe bei wirkte eine Zunahme der Gesamtartenzahl, Selm-Bork (Nordrhein-Westfalen) der Anzahl der Rote Liste-Arten sowie feuch- 120 Im Rahmen einer bodenzoologischen Effizi- tigkeitsliebender Uferarten. Die Laufkäferzö- 100 Artenzahl enzkontrolle von Mai 2013 bis August 2014 nose der Renaturierungsstrecke (126 Arten = erfasste, verglich und dokumentierte ein 91,3 Prozent) ist um ca. 25 Prozent arten- 80

Forschungsteam die Carabidenfauna zweier reicher als die der Referenzstrecke (92 Arten 60 benachbarter Flussuferabschnitte (Renatu- = 66,7 Prozent). Bei Betrachtung der wert- rierungs- und nicht renaturierte Referenz- gebenden Rote Liste-Arten zeigt sich im Ver- 40 fläche) der Lippe im Naturschutzgebiet „Lip- gleich ebenfalls, dass in der Renaturierungs- peaue Selm“ (Kreis Unna) qualitativ und strecke mit 17 von 126 Arten (13,5 Prozent) 20 semiquantitativ (Hannig et al. 2015). sowohl absolut als auch prozentual mehr als 0 doppelt so viele Taxa wie in der Referenzstre- Renaturierung Referenz Mit unterschiedlichen Nachweismethoden cke (6 von 92 Arten = 6,5 Prozent) einen ge- Untersuchungsstrecke untersuchte es neben Hochstaudenfluren, eigneten Lebensraum gefunden haben. xerophile Arten Stillwasserbereichen mit Schlammfluren und dichten Ufergehölzen schwerpunktmä- hygrophile Arten ßig sonnenexponierte Bereiche mit Steil- Im Hinblick auf die Feuchtigkeits- und Ha- davon ripicol ufer-Abbruchkanten und vegetationsarmen bitatpräferenzen der Laufkäfer (Abbildung sandigen Uferstrukturen, wie z. B. Sand- 9) wies die Renaturierungsstrecke 25 Ufer- bänke und Aufschwemmungen, auf ihre arten (von 81 hygrophilen Arten = 31 Pro- Abb. 9: Verteilung der Arten auf die beiden Unter- suchungsstrecken im Hinblick auf ihre Feuchtig- Laufkäferfauna hin. Dabei konnten 9740 zent) auf, während auf der Referenzstrecke keitspräferenz (xerophil = trockenheitsliebend, Laufkäfer-Individuen aus 138 Arten nach- 12 Uferarten (von 54 hygrophilen Arten = hygrophil = feuchtigkeitsliebend, ripicol = an gewiesen werden (Hannig et al. 2015). 22 Prozent) nachgewiesen werden konnten. Uferlebensräume gebunden). (Hannig et al. 2015)

Im direkten Vergleich mit der benachbarten Referenzstrecke zeigt sich der hohe natur- Bemerkenswerte Laufkäferarten an Als eine der Hauptursachen wird hier der schutzfachliche Wert des Ende 2011 rena- Ufern und in Auen Verlust und die Entwertung geeigneter Le- turierten Lippe-Abschnittes (Abbildung 8). bensräume aufgrund der anthropogenen Das neu geschaffene heterogene Mosaik aus Nach Schmidt et al. (2016) handelt es sich Nutzung sowie die intensive Landwirtschaft kleinflächigen, sonnenexponierten, vegeta- bundesweit um eine Artengilde von 84 genannt. Die Gilde der Ufer- und Auen- tionsarmen Uferstrukturen (z. B. Sandbänke, Laufkäferarten, die teils sehr spezielle Prä- bewohner unter den Laufkäfern (84 Arten) ferenzen in Bezug auf ihre Habitate besit- weist im Vergleich zu Gilden anderer Le- zen. In den Abbildungen 10 und 11 stellen bensräume mit 55 Arten die höchste Zahl an die Autoren exemplarisch vier Bewohner gefährdeten Arten auf (Schmidt et al. 2016) 140 der dynamischen Uferlebensräume vor. An- und es besteht damit bundesweit eine be- 120 gaben zum bundesweiten Schutzstatus be- sonders dramatische Gefährdungssituation. Artenzahl rufen sich auf Schmidt et al. (2016). Vielfältige Belastungen durch die mensch- 100 liche Nutzung haben zu einer strukturel-

80 len Verarmung von Ufern und Auen, einer Gefährdung Einschränkung der natürlichen Fließgewäs- 60 serdynamik oder einem vollständigen Ver- Insgesamt werden 46 Prozent aller bun- lust von Auen geführt. Als maßgebliche Be- 40 desweit vorkommenden Laufkäfertaxa in lastungen für die Ufer- und Auenlaufkäfer 20 den unterschiedlichen Gefährdungskate- sind die Gewässerbegradigung, die land- gorien der Roten Liste geführt. Weitere wirtschaftliche Nutzung in der Aue, der 0 Renaturierung Referenz zehn Prozent stehen auf der Vorwarn- Hochwasserschutz und die Eindeichung von Untersuchungsstrecke liste (Schmidt et al. 2016), sieben Pro- Auen, die Wasserkraftnutzung, die Stauhal- zent gelten als „vom Aussterben bedroht“ tung und die Schifffahrt bekannt (Schmidt Anzahl Rote Liste-Arten und vier Prozent als „ausgestorben oder et al. 2016). Nur noch etwa 20 Prozent der ungefährdete Arten verschollen“. Fast die Hälfte aller gelis- Gewässer und zehn Prozent der Auen sind teten Taxa zeigt langfristig einen deut- strukturell in einem guten Zustand (UBA lichen Bestandsrückgang, wobei dies vor 2016, BMU & BfN 2009), mit deutlichen Abb. 8: Verteilung der Rote Liste-Arten in NRW allem die Habitatspezialisten in Lebens- negativen Folgen für die gesamte Biodi- sowie der ungefährdeten Arten auf die beiden Untersuchungsstrecken. (Renaturierung und räumen wie z. B. Auen, Mooren, Salzs- versität eines der weltweit artenreichsten Referenz). (Hannig et al. 2015) tandorten und Trockenrasen betrifft. Ökosysteme.

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Manche Ufer- und Auenarten aus der Gruppe in Leipzig, dem Planungsbüro OEKON und bien, Gefäßpflanzen, Land- und Wasser- der Laufkäfer besiedeln zumindest kurzfris- dem Institut für Biodiversitätsmanage- mollusken sowie der Vögel im Fokus. Die tig anthropogen geschaffene Ersatzlebens- ment in einem vom Bundesamt für Na- Grundzüge dieses Verfahrens wurden be- räume, wie Baggerseen, Kiesgruben oder turschutz geförderten F+E-Vorhaben ein reits in den BfN-Skripten veröffentlicht Sandabgrabungen (z. B. Hannig & Oellers bundesweites biologisches Bewertungs- (Januschke et al. 2018). 2020). Allerdings resultieren daraus meist verfahren. Neben den Laufkäfern stehen keine längerfristigen positiven Bestandsent- hier auch die Artengruppen der Amphi- wicklungen, da die von den Laufkäfern be- nötigten offenen Habitate nach Aufgabe der menschlichen Nutzung aufgrund von Sukzessionsprozessen oft verbuschen und damit ihren Habitatcharakter verlieren. Gestreifter Ahlenläufer Grüngestreifter Grundläufer (Bembidion striatum) (Omophron limbatum) Wie jedoch anhand der Fallbeispiele ge- zeigt wurde, profitieren Laufkäfer zumindest kurz- und mittelfristig von der Schaffung typischer Ufer- und Auenhabitate im Zuge von Renaturierungsmaßnahmen. Inwieweit die wertgebenden Habitate für die Laufkäfer langfristig erhalten bleiben, sollte zukünf- tig im Fokus der Forschung stehen. Gerade im Hinblick auf teils fehlende hydrodynami- sche Prozesse, fehlende Winterhochwasser und lange Perioden sehr niedriger Wasser- stände, die unter anderem auch aus dem Kli- mawandel resultieren, deuten sich teils auch in renaturierten Abschnitten starke Sukzes- sionsprozesse und Verbuschung zu Lasten der wertgebenden Habitate und charakte- Größe: 5,3–6,5 mm Größe: 4,5–6,5 mm ristischen Laufkäferarten an. Habitatpräferenz: Spezialist für unbe- Habitatpräferenz: Spezialist für unbe- schattete, dynamische Sandufer schattete, dynamische Sandufer, tags- über im Sand vergraben Laufkäfer in der Planungspraxis Rote Liste-Status BRD: Vom Ausster- ben bedroht (1) Rote Liste-Status BRD: Vorwarnliste (V) Obwohl Laufkäfer seit vielen Jahrzehnten Wissenswertes: Die Art war bis in die Wissenswertes: Die Art ist einzigartig Gegenstand von Freilanduntersuchungen, erste Hälfte des letzten Jahrhunderts ein im Hinblick auf ihre für Laufkäfer un- Monitoringmaßnahmen, Erfolgskontrollen typischer Besiedler aller großen Flusssys- typische, rundliche Gestalt, die eher an diverser Renaturierungsprojekte und bun- teme Deutschlands. Aufgrund der inten- einen „Marienkäfer“ erinnert. Im Ge- desweiter Forschungsvorhaben (z. B. Na- siven Flussbegradigungen und dem Ver- gensatz zu den vielen tagaktiven Ufer- turschutzgroßprojekte) sind, finden sie lust von dynamischen Sandufern brachen laufkäfern ist diese Art ein nachtaktiver im Rahmen von Eingriffsplanungen in die die Bestände jedoch bundesweit zusam- Räuber und hält sich tagsüber versteckt Landschaft praktisch noch keine adäquate men (Bräunicke & Trautner 1999). Rezent im Sand auf. Die Art ist bundesweit ver- Berücksichtigung (Schmidt et al. 2016). Im kommt die Art noch in fünf Bundeslän- treten und weist nur in der südlichen Kontext eines in den letzten beiden Jahren dern (Baden-Württemberg, Brandenburg, Landeshälfte größere Verbreitungslücken forcierten landes- bzw. bundesweiten In- Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rhein- auf (Trautner et al. 2014). sektenmonitorings spielen sie eine zuneh- land-Pfalz) vor, gilt dort jedoch über- mend größere Rolle (vgl. z. B. Bundesamt für wiegend als „vom Aussterben bedroht“, Naturschutz 2019) und werden von den be- wobei zumindest in NRW ein leichter teiligten Akteuren als wichtiger Bestandteil Aufwärtstrend als positiver Effekt von bei der Erfolgskontrolle von Fließgewässer- Gewässerrenaturierungen feststellbar und Auenrenaturierungen empfohlen. ist (Hannig 2016).

Aktuell erarbeitet die Universität Duis- burg-Essen in Zusammenarbeit mit dem Abb.10: Der Gestreifte Ahlenläufer (Bembidion striatum) und der Grüngestreifte Grundläufer (Omophron Aueninstitut Neuburg an der Donau, dem limbatum) als Beispiele für Laufkäferarten, die unbeschattete Sandufer als Habitat präferieren. (Fotos: G. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Jacobs)

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Gesellschaft für Angewandte Carabidologie (GAC) (Hrsg.) (2009): Lebensraumprä- Kies-Ahlenläufer Erzgrauer Uferläufer ferenzen der Laufkäfer Deutschlands (Bembidion decorum) (Elaphrus aureus) – Wissensbasierter Katalog. – Ange- wandte Carabidologie Supplement V: 45 S. + CD. Gerisch, M. (2011): Habitat disturbance and hydrological parameters determine the body size and reproductive strat- egy of alluvial ground beetles. – Zoo- Keys 370 (100): 353-370. Hannig, K. (2016): Faunistische Mitteilun- gen über ausgewählte Laufkäferarten (Col., Carabidae) in Nordrhein-West- falen VIII. – Natur und Heimat 76 (4): 169–192. Hannig, K. & Kaiser, M. (2011): Rote Liste und Artenverzeichnis der Laufkäfer – Größe: 5,5-6 mm Größe: 5,5-7,5 mm Coleoptera: Carabidae – in Nordrhein- Habitatpräferenz: Spezialist für unbe- Habitatpräferenz: Spezialist für unter- Westfalen, 2. Fassung: Stand Oktober schattete Kies- und Schotterufer wuchsarme Sandböden in gewässerbe- 2011. – In: LANUV (Hrsg.): Rote Liste gleitenden Hochstaudenfluren und Weich- der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Rote Liste-Status BRD: ungefährdet (*) holz-Auwäldern Tiere in Nordrhein-Westfalen, 4. Fas- Wissenswertes: Die Art gilt als beson- sung, 2011. – LANUV-Fachbericht 36 Rote Liste-Status BRD: Vorwarnliste (V) ders ausbreitungsfreudig und reagiert in (2): 423–452. der Regel sehr schnell auf die Schaffung Wissenswertes: Die kupfrig gefärbte Art Hannig, K. & Drewenskus, J. (2016): Er- dynamischer Kieshabitate im Zuge von mit auffallend großen Augen ist ein tagak- folgskontrolle zur Renaturierung der Renaturierungsmaßnahmen. Der bundes- tiver Räuber. Der Verbreitungsschwerpunkt Ruhraue bei Wickede (Nordrhein- weite Verbreitungsschwerpunkt der Art der Art liegt ebenfalls in Mittel- und Süd- Westfalen, Kreis Soest) am Beispiel liegt in Mittel- und Süddeutschland. deutschland. In vielen Bundesländern gilt der Laufkäfer (Coleoptera, Carabidae). die Art als „stark gefährdet“. – Korrespondenz Wasserwirtschaft 9 (3): 141–149. Hannig, K. & Oellers, J. (2020): Die Lauf- Abb. 11: Der Kies-Ahlenläufer (Bembidion decorum) als Beispielart mit ausgeprägter Bindung an un- käfer (Insecta, Coleoptera: Carabi- beschattete Kiesufer und der Erzgraue Uferläufer (Elaphrus aureus), der in etwas vegetationsreicheren dae) einer Sandabgrabung bei Hal- Uferbereichen vorkommt. (Fotos: C. Benisch) tern-Flaesheim (Kreis Recklinghausen, Nordrhein-Westfalen). – In: Hannig, Danksagung istischer Flussaue-Arten in Deutsch- K. (Hrsg.): Zur Fauna und Flora ei- land. – Angewandte Carabidologie ner Sandabgrabung bei Haltern-Fla- An dieser Stelle möchten wir Dr. Christoph Supplement I: 79–94. esheim (Kreis Recklinghausen, Nord- Benisch und Gunnar Jacobs für die Bereit- Bundesamt für Naturschutz (BfN) (2019): rhein-Westfalen). – Abhandlungen stellung der Laufkäfer-Fotos sowie allen Be- Einheitlicher Methodenleitfaden „In- aus dem Westfälischen Museum für teiligten und Förderern der im Artikel vor- sektenmonitoring“. https://www.bfn. Naturkunde, im Druck. gestellten Fallbeispiele danken. de/fileadmin/BfN/monitoring/Doku- Hering, D. & Plachter, H. (1997): Riparian mente/Methodenleitfaden_Insekten- ground beetles (Coeloptera, Carabi- monitoring_2019.pdf dae) preying on aquatic invertebra- Literatur Bundesministerium für Umwelt, Natur- tes: a feeding strategy in alpine flood- schutz und Reaktorsicherheit ( Bmu) plains. – Oecologia 111 (2): 261–270. Barber, H. S. (1931): Traps for cave inhabi- & Bundesamt für Naturschutz (BfN) Januschke, K. (2017). Pionierbesiedlung und ting insects. – Journal of the Elisha Mit- (2009): Auenzustandsbericht – Sukzession in renaturierten Fließ- chell Scientific Society 46: 259–266. Flussauen in Deutschland. Berlin, gewässerabschnitten der Ruhr. In: Bräunicke, M. & Trautner, J. (1999): Die 36 S. Schneider, E., Werling, M., Stammel, Ahlenläufer-Arten der Bembidion- Gesellschaft Für Angewandte Carabidolo- B., Januschke, K., Ledesma-Krist, G., Untergattungen Bracteon und Odon- gie (GAC) (Hrsg.) (1999): Laufkäfer in Scholz, M., Hering, D., Gelhaus, M., tium – Verbreitung, Bestandssituation, Auen. – Angewandte Carabidologie Dister, E. & Egger, G. (Hrsg.): Biodi- Habitate und Gefährdung charakter- Supplement I. 144 S. versität der Flussauen Deutschlands.

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K. Januschke & K. Hannig Laufkäfer – Ufer- und Auenbewohner 36-45

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Auenmagazin 18 / 2020 45 AUS DER FORSCHUNG

A. Zittel et al. Indikatoren zur Beurteilung von Eingriffen an Umlagerungsflüssen am Beispiel Obere Isar 46-47

Funktionale Traits INDIKATOREN ZUR BEURTEILUNG VON EINGRIFFEN AN UMLAGERUNGSFLÜSSEN AM BEISPIEL OBERE ISAR

Alisa Zittel, Johannes Kollmann, Gregory Egger

Die Obere Isar zeichnete sich bis zu Beginn Isar zusammenhängen und inwieweit sich Im Zuge der Geländekartierungen im Som- des 20. Jahrhunderts durch eine ausge- die unterschiedlichen Eingriffe in die Wild- mer 2019 hat die Autorin auf 86 Probeflä- dehnte Wildflusslandschaft aus. Im darauf flusslandschaft durch funktionale Pflan- chen in vier verschiedenen Teilbereichen folgenden Zeitraum regulierten unter- zentraits und Unterschiede der Trait-Di- der Oberen Isar jeweils 35 Standortfaktoren schiedliche Akteure den Fluss, leiteten das versität darstellen lassen. sowie die Deckungsgrade 19 typischer Au- Wasser in Teilabschnitten aus und errich- enarten und deren Traits erfasst. Die Aus- teten schließlich Mitte des 20. Jahrhun- Als „functional traits“ sind die morphologi- wahl der vier Teilbereiche erfolgte anhand derts den Sylvensteinspeicher, eine große schen, physiologischen und phänologischen des Schweregrads der Eingriffe, sodass sich Talsperre im Oberlauf. Eigenschaften einer Pflanze zu bezeichnen. in naturnahen bis naturfernen sowie einem Arten vermögen sich im Laufe der Evolution revitalisierten Abschnitt die Unterschiede Im Rahmen der hier vorgestellten Mas- im Hinblick auf ihre Traits an die Stand- mittels der Trait-Muster untersuchen lie- terarbeit hat sich die Autorin, Alisa Zit- orteigenschafen von Habitaten anzupassen. ßen. Mithilfe statistischer Analysen über- tel vom Aueninstitut des Karlsruher Insti- Umgekehrt lassen sich veränderte Umwelt- prüfte die Autorin, welche Standortfakto- tuts für Technologie, die Frage gestellt, wie bedingungen – wie im Falle der Oberen Isar ren, Arten und Traits statistisch signifikante die Standortfaktoren mit dem charakteris- infolge der Eingriffe – durch ein geänder- Unterschiede zwischen den vier Teilberei- tischen Artengefüge entlang der Oberen tes Muster an Traits analysieren. chen aufweisen.

Abb. 1: Der naturnahe Abschnitt der Oberen Isar zwischen Rißbachmündung und Sylvensteinspeicher ist durch ein Mosaik unterschiedlicher Vegetationstypen und Sukzessionsstadien geprägt. Viele verschiedene Standortfaktoren wechseln sich kleinräumig ab und bedingen eine hohe Trait-Diversität. (Foto: Alisa Zittel, Juni 2019)

46 Auenmagazin 18 / 2020 AUS DER FORSCHUNG

A. Zittel et al. Indikatoren zur Beurteilung von Eingriffen an Umlagerungsflüssen am Beispiel Obere Isar 46-47

Abb. 2: Blick auf den typischen Uferbereich des vollständig regulierten Abschnitts der Oberen Isar bei Lenggries. Wenige Arten dominieren die nahezu gleichalt- rigen Vegetationsbestände und reichen bis ans Ufer, lediglich eine schmale Schotterbank ist vorgelagert. In diesem Bereich weisen fast alle Standorte ähnliche Faktoren, Arten und Traits auf und die Trait-Diversität ist sehr gering. (Foto: Alisa Zittel, Juni 2019)

Die Analysen deuten darauf hin, dass ty- interessante Entwicklung. Zwischen 1999 pische Anpassungen an die extremen Um- und 2002 entfernten Akteure verschiede- Kontakt weltbedingungen einer Wildflusslandschaft ner Naturschutzprojete entlang mehrerer MSc Alisa Zittel stresstolerante Pflanzenarten mit sehr leich- Kilometer die Längsverbauungen und haben Abteilung Aueninstitut, ten Samen, tendenziell kleineren und im- dem Fluss somit über Seitenerosion Ge- Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mergrünen Blättern sowie geringen Holz- schiebe bereit gestellt; zusätzlich er- Josefstraße 1, D-76437 Rastatt dichten sind. So zeichnet sich der naturnahe höhte sich die Restwassermenge. In der Tel.: +49 170 9662355 Referenzabschnitt von der Rißbachmündung Folge stieg die Morphodynamik an, und die E-Mail: [email protected] bis zum Sylvensteinspeicher entsprechend Trait-Diversität entsprach nahezu dem na- Prof. Dr. Johannes Kollmann der Habitatvielfalt durch eine hohe Trait-Di- turnahen Referenzabschnitt oberhalb des Lehrstuhl für Renaturierungsökologie, versität aus, die auf eine entsprechend hohe Sylvensteinspeichers. Allerdings ähneln Ar- Technische Universität München (TUM) standörtliche Diversität hindeutet. tenzusammensetzung und die Ausprägung Emil-Ramann-Straße 6, D-85354 Freising der Traits eher dem naturfernen Abschnitt Tel.: +49 8161 714144 Im Gegensatz dazu hat der verminderte flussab des Speichersees. E-Mail: [email protected] Hochwassereinfluss infolge der Flussregu- lierung, Geschieberückhalt und Flussbett- Diese Befunde zeigen, dass Pflanzen-Traits apl. Prof. Mag. Dr. Gregory Egger eintiefung flussab des Sylvensteinspeichers mit den standörtlichen Eigenschaften re- Abteilung Aueninstitut, zu einer beschleunigten Vegetationsent- gulierter Wildflüsse zusammenhängen und Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Josefstraße 1, D-76437 Rastatt wicklung in Richtung Zwergstrauchheiden Wissenschaftler sie daher als Indikatoren für und Wäldern geführt. Entsprechend der Ver- menschliche Eingriffe verwenden können. Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) Institut für Hydrobiologie und schiebung des Artenspektrums ist eine Zu- Gewässermanagement nahme des Samengewichts und der Blatt- Gregor-Mendel-Straße 33/DG, längen sowie der Holzdichte zu beobachten, Literatur: A-1180 Wien auch nimmt die Diversität der Traits ab. Naturraumplanung Egger Zittel, A. (2020): Funktionale Traits als In- Bahnhofstraße 39/1, A-9020 Klagenfurt Im Zuge der Masterarbeit zeigte sich ins- dikatoren für die Beurteilung von Eingrif- Tel.: +43 699 15166142 besondere für den revitalisierten Isarab- fen an Umlagerungsflüssen – am Beispiel E-Mail: schnitt bei Schäftlarn, etwa sechs Kilome- der Oberen Isar. Masterarbeit am Karlsruher [email protected] ter flussabwärts der Loisachmündung, eine Institut für Technologie, 90 S. + Anhang.

Auenmagazin 18 / 2020 47 Auenmagazin

Magazin des Auenzentrums Neuburg a. d. Donau www.auenzentrum-neuburg-ingolstadt.de

Impressum Herausgeber Auenzentrum Neuburg | Ingolstadt Schloss Grünau 86633 Neuburg a. d. Donau Förderverein Auenzentrum Neuburg e. V. Geschäftsführer: Siegfried Geißler Tel.: +49 8431 57-304 E-Mail: [email protected]

Redaktion Siegfried Geißler, Förderverein Auenzentrum Dr. Ulrich Honecker, Universität des Saarlandes Prof. Dr. Bernd Cyffka, Aueninstitut Neuburg, KU Eichstätt-Ingolstadt Dr. Francis Foeckler, ÖKON GmbH, Kallmünz Dr. Christine Margraf, Bund Naturschutz Bayern Dr. Franz Binder, Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft Dr. Thomas Henschel, Bayerisches Landesamt für Umwelt

Layout: Caroline Stumpf, Bayerisches Landesamt für Umwelt

Korrektur: Lena Gierl, Michaela Walter-Rückel

Druck: Satz & Druck Edler, Karlshuld

ISSN: 2190-7234

Bild der Titelseite Durch umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen im Jahr 2006 wurden an der ehe- mals begradigten und intensiv unterhaltenen Niers bei Geldern-Pont (NRW) große Überschwemmungsbereiche mit stehenden Auengewässern und Röhrichtzonen ge- schaffen, die wichtige Lebensräume für eine Vielzahl von auentypischen Tier- und Pflanzenarten bieten. (Foto: K. Januschke)

In Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt