Deutscher Bundestag Drucksache 13/11001 13.Wahlperiode
Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft*)
zum Thema
Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter
*) Eingesetzt durch Beschluß des deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1995 ---Drucksache 13/3219. Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Zusammensetzung der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft
Mitglieder
Vorsitzender Siegmar Mosdorf, MdB Stellvertretender Vorsitzender Dr. Michael Meister, MdB
Die Abgeordneten
Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder
CDU/CSU Dr. Maria Bo¨ hmer, MdB Klaus Bra¨ hmig, MdB Dr. Martin Mayer, MdB (Obmann) Renate Diemers, MdB Dr. Michael Meister, MdB Elmar Mu¨ ller, MdB Wilfried Seibel, MdB Johannes Singhammer, MdB Hans-Otto Wilhelm, MdB Werner Lensing, MdB
SPD Doris Barnett, MdB (Obfrau) Lilo Blunck, MdB Eike Hovermann, MdB Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, MdB Thomas Kru¨ ger, MdB Ludwig Stiegler, MdB Siegmar Mosdorf, MdB Jo¨ rg Tauss, MdB
F.D.P. Dr. Max Stadler, MdB (Obmann) Ju¨ rgen Koppelin, MdB
BU¨ NDNIS 90/DIE GRU¨ NEN Rezzo Schlauch, MdB (Obmann) Dr. Manuel Kiper, MdB
PDS Wolfgang Bierstedt, MdB (Obmann) Gerhard Ju¨ ttemann, MdB
Die Sachversta¨ ndigen
Dr. Dr. Heike von Benda Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt „Neue elektronische Medien“, Nu¨ rtingen
Prof. Dr. Ju¨ rgen Doeblin Fachbereich Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nu¨ rnberg
Hans-Roland Fa¨ ßler Gescha¨ ftsfu¨ hrer der Ufa fu¨ r den Bereich Ho¨ rfunk/Free TV, Leitung der Stabstelle fu¨ r Medienpolitik und Unternehmensverbindungen im Bereich TV-Film Europa der Bertelsmann AG, Hamburg
Kurt van Haaren Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Frankfurt
Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber Institut fu¨ r Politische Wissenschaft und Institut fu¨ r Journalistik, Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Universita¨ t Hamburg
Prof. Dr. Herbert Kubicek Hochschullehrer fu¨ r Angewandte Informatik mit dem Schwerpunkt Telekommunikation und Informationsmanagement der Universita¨ t Bremen
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Prof. Dr. Gisela Losseff-Tillmanns Fachbereich Sozialpa¨ dagogik, Fachgebiet Soziologie der Fachhochschule Du¨ sseldorf
Prof. Dr. Wernhard Mo¨ schel Lehrstuhl fu¨ r Bu¨ rgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakulta¨ t Tu¨ bingen; Arbeitsschwerpunkte: Deutsches und Internationales Kartellrecht, Wirtschaftsordnungsrecht und Bankenrecht
Prof. Dr. Arnold Picot Institut fu¨ r Organisation, Seminar fu¨ r betriebswirtschaftliche Informations- und Kommunikationsforschung, Fakulta¨ t fu¨ r Betriebswirtschaftslehre der Ludwig-Maximilians-Universita¨ t Mu¨ nchen
Prof. Dr. Hans Poerschke Dipl.-Journalist, Leipzig
Prof. Dr. Reinhart Ricker Professur fu¨ r Medienrecht und Medienpolitik am Institut fu¨ r Publizistik der Universita¨ t Mainz
Prof. Dr. Eberhard Witte Institut fu¨ r Organisation der Ludwig-Maximilians-Universita¨ t Mu¨ nchen
Kommissionssekretariat
Der Enquete-Kommission wurde vom Deutschen Bundestag zur organisatorischen und wissenschaftlichen Unterstu¨ tzung ihrer Arbeit ein Sekretariat zur Verfu¨ gung gestellt.
Leiter des Sekretariats: Dr. Gerd Renken
Stellvertretende Leiterin des Sekretariats Isolde Kießling, Diplom-O¨ konomin
Wissenschaftliche Mitarbeiter: Martina Fritsch, Sozialwissenschaftlerin Andreas Ku¨ hling, Diplom-O¨ konom (M. Sc.) Dr. Lorenz Mu¨ ller, Jurist
Sachbearbeiter/Bu¨ roleiter Klaus Braun, Diplom-Betriebswirt (FH)
Erste Kommissionssekreta¨ rin Jutta Hardt
Zweite Kommissionssekreta¨ rin Mechthild Meyer
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Vorwort
Die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ des Deutschen Bundestages hat 1996 ihre Arbeit aufgenommen. Sie bescha¨ ftigt sich mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der technologischen Entwicklung und dem Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien fu¨ r die Zukunft ergeben werden. Die Kommission hat die Aufgabe, parlamentarische In- itiativen vorzuschlagen, um die Chancen der Informationsgesellschaft umfassend nutzbar und die Risiken beherrschbar zu machen. Grundlegende Bereiche wie „Wirtschaft 21“, „Arbeit 21“, „Bildung 21“, „Gesellschaft 21“, „Parlament, Staat und Verwaltung 21“, „Technik 21“, sowie „Umwelt und Verkehr 21“ werden in Form von Projekten erarbeitet und in einem abschließenden Bericht vorgestellt. Zu Themen mit aktuellem politischen Handlungsbedarf erarbeitet die Enquete- Kommission Zwischenberichte. Der erste Zwischenbericht wurde am 7. Novem- ber 1996 unter dem Titel „Meinungsfreiheit --- Meinungsvielfalt --- Wettbewerb. Rundfunkbegriff und Regulierungsbedarf bei den Neuen Medien“ (Drucksache 13/6000) und der zweite am 30. Juni 1997 unter dem Titel „Neue Medien und Ur- heberrecht“ (Drucksache 13/8110) vorgelegt. Zwischenberichte zu den Themen „Sicherheit und Schutz im Netz“ und „Verbraucherschutz in der Informationsge- sellschaft“ wird die Enquete-Kommission ebenfalls in Ku¨ rze vorlegen. Das Thema des hiermit vorgelegten dritten Zwischenberichts mit dem Titel „Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter“ ist fu¨ r die Informationsge- sellschaft von zentraler Bedeutung, da auch in den neuen Medien gewaltverherr- lichende, rassistische und pornographische Inhalte transportiert werden. Aller- dings unterscheiden sich die neuen Medien von den klassischen Medien dadurch, daß Inhalte weniger stark kontrolliert werden ko¨ nnen. Die mit der Digi- talisierung jeglicher Information verbundene erleichterte Reproduzierbarkeit von Inhalten sowie die mit der weltweiten Vernetzung von Informationssystemen einhergehende Globalisierung der Medienlandschaft schra¨ nken die Effektivita¨ t traditioneller Kontrollmechanismen ein. Damit stellen sich auch neue Anforde- rungen an den Jugendmedienschutz. Dies gilt fu¨ r den Bereich der Medienpa¨ d- agogik ebenso wie fu¨ r den rechtlichen und technischen Jugendmedienschutz. Die Enquete-Kommission hat deshalb am 9. Oktober 1996 zusammen mit dem Ausschuß fu¨ r Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine O¨ ffentliche Anho¨ rung von Sachversta¨ ndigen zum Thema „Jugendschutz und neue Medien --- Nutzen und Risiken der neuen Medien fu¨ r Kinder und Jugendliche“ veranstaltet. Unter der Federfu¨ hrung der beiden Berichterstatter, Frau Dr. Maria Bo¨ hmer, MdB, und Herrn Thomas Kru¨ ger, MdB, setzte sich die Kommission danach noch unter Ein- bezug zahlreicher schriftlicher Stellungnahmen und Gutachten von Sachversta¨ n- digen, Instituten und Organisationen intensiv mit den Fragen des Kinder- und Ju- gendschutzes im Multimediazeitalter auseinander. Die Kommissionsmitglieder waren sich dabei stets bewußt, welch sensibles und in der nationalen und interna- tionalen O¨ ffentlichkeit vielbeachtetes Thema es mit aller gebotenen Verantwor- tung zu diskutieren gilt. Die Kommission hofft, mit dem nun vorgelegten Zwi- schenbericht einen Impuls zur Fortentwicklung des Jugendmedienschutzes zu geben. Der Bericht untergliedert sich in zwei Hauptbereiche: In einem ausfu¨ hrlichen Do- kumentationsteil werden die Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf natio- naler Ebene und der internationale Regelungsbedarf in konzentrierter Form vor- gestellt. Der Schwerpunkt des Zwischenberichtes liegt auf dem ersten Teil. Darin wird bei der Weiterentwicklung des Medienbereichs auch unter Einbezug des di- gitalisierten Fernsehens starkes Gewicht gelegt auf Freiwillige Selbstkontrollein- richtungen und Formen der Freiwilligen Selbstkontrolle, den technischen Ju- gendschutz und die Medienpa¨ dagogik. Wichtig ist aber vor allem, daß eine aufgekla¨ rte Gesellschaft und verantwortungsbewußte Eltern mit den neuen Me- dien umgehen lernen. Die Kommissionsmitglieder entwickelten zwei Komplexe von Empfehlungen: 1. Konsequenzen fu¨ r den Jugendmedienschutz (Kapitel 3.3.3) und den Jugend- schutz (Kapitel 3.4): Die Empfehlungen der Enquete-Kommission beziehen
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sich insbesondere darauf, bewa¨ hrte Maßnahmen des Jugendschutzes weiter- zuentwickeln, beim Jugendschutz als Aufgabe der Institutionen die Maßnah- men des technischen Jugendschutzes als sinnvollen Zusatz zu verstehen, das Bewußtsein fu¨ r gefa¨ hrdende Inhalte zu scha¨ rfen und die Jugendschutzkompe- tenz der Eltern gezielt zu fo¨ rdern. 2. Letztgenannte medienpa¨ dagogische Maßnahmen werden im Kapitel 4.4 nach den Zielgruppen Eltern, Kinderga¨ rten, Schule und außerschulische Jugendar- beit differenziert. Um die angefu¨ hrten Maßnahmen fachlich fundiert und sinn- voll angehen zu ko¨ nnen, gibt die Enquete-Kommission bereichsu¨ bergreifende Empfehlungen, die die medienpa¨ dagogische Forschung, die medienpa¨ dagogi- schen Facheinrichtungen, die finanzielle Ausstattung und schließlich die Medien selbst betreffen. Die im Bericht genannten Empfehlungen benennen lediglich wesentliche Mo¨ glichkeiten und Notwendigkeiten fu¨ r medienpa¨ dago- gisches Handeln, die sich aus der Analyse der Situation, aus den bisherigen Er- fahrungen in der medienpa¨ dagogischen Forschung und Praxis in der Bundes- republik Deutschland und aus dem Stand der derzeitigen Medienentwicklung ableiten lassen. Der weiteren Entwicklung der neuen Medien ist in Zukunft auch durch eine entsprechende Ausgestaltung des Jugendmedienschutzes und des medienpa¨ dagogischen Forschens und Handelns Rechnung zu tragen. Fu¨ r Bund und La¨ nder wird sich mit dem Ausbau der Medienpa¨ dagogik und damit dem Erwerb von Medienkompetenz eine wichtige Zukunftsaufgabe stel- len. Die Kommission dankt den Sachversta¨ ndigen, Instituten und Organisationen, die ihre Arbeit durch die Bereitstellung von Materialien unterstu¨ tzt haben.
Bonn, den 4. Mai 1998
Siegmar Mosdorf, MdB Vorsitzender der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“
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Zwischenbericht Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter
Inhaltsverzeichnis
1. Kinder- und Jugendschutz in digitalen Medien ...... 8 1.1 Geschichte des Jugendmedienschutzes in Deutschland ...... 8 1.2 Heranwachsende und Multimedia ...... 9 1.3 Bedeutung des Unterhaltungswerts fuÈ r Heranwachsende ...... 9 1.4 Aufgaben des Jugendmedienschutzes angesichts neuer Medien . . . 10 1.5 Die sozialwissenschaftliche Sichtweise auf die Medienwirkung . . . . 11
2. Medienwirkungsforschung: Wesentliches Fundament des Kinder- und Jugendmedienschutzes . 12 2.1 Die AnfaÈ nge der Medienwirkungsforschung ...... 13 2.1.1 Traditionelle Gewaltwirkungsforschung: Auf monokausale ErklaÈ - rungen fixiert ...... 13 2.1.2 Kritik der traditionellen Gewaltwirkungsforschung: Der KomplexitaÈ t menschlichen Verhaltens unangemessen ...... 14 2.2 Medien- und Gewaltwirkungsforschung heute: Komplexere Sicht- weisen und ZugaÈ nge ...... 15 2.2.1 Lebenswelten als Basis fuÈ r das Wirksamwerden von medialen Ein- fluÈ ssen ...... 15 2.2.2 Medien oder Rezipienten als Ausgangspunkt fuÈ r ZugaÈ nge zu Wir- kungsdimensionen ...... 15 2.3 Im aktuellen Fokus qualitativer Rezipientenforschung: Kind und Fernsehen ...... 16 2.3.1 Fernsehrezeption von Kindern ...... 16 2.3.2 Der Umgang von Heranwachsenden mit Fernsehgewalt ...... 17 2.4 Medienwirkungsforschung in der kuÈ nftigen Medienwelt: Alte Pro- blemlagen und neue Dimensionen ...... 18
3. Die Felder multimedialen Jugendschutzes: Computerspiele, Internet und digitales Fernsehen ...... 20 3.1 Computerspiele ...... 20 3.1.1 Die Technik ...... 21 3.1.2 Spieler und Spiele ...... 21 3.1.2.1 Verbreitung und Nutzung von Computerspielen ...... 21 3.1.2.2 Inhalte der Spiele ...... 21 3.1.2.3 Spieler und problematische Spiele ...... 22 3.1.2.4 ,GefaÈ hrdung' durch Computerspiele ...... 23 3.2 Das Internet --- Inhalt und Zugang ...... 24 3.2.1 ZugaÈ nglichkeit zum Netz ...... 25 3.2.2 Problematische Inhaltsseiten zum Ansehen und Austauschen ...... 26 3.2.2.1 Gewaltpornographie ...... 26 3.2.2.2 Rassismus ...... 27 3.2.2.3 Extremgewalt ...... 27 3.2.2.4 Gewaltspiele ...... 28 3.2.3 Selbstkontrolle und technischer Jugendschutz ...... 29 3.2.3.1 Selbstkontrolle und Jugendschutzbeauftragte ...... 29
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3.2.3.2 Technische Vorkehrungen ...... 30 3.2.3.3 Reichweite der KontrollmoÈ glichkeiten ...... 30 3.3 Jugendschutz im digitalen Fernsehen und elterliche Verantwortung 31 3.3.1 Die Untersuchung: Befragung und Praxistest ...... 31 3.3.2 Die Ergebnisse der Familienbefragung und -beobachtung ...... 32 3.3.2.1 Nutzungsmuster ...... 32 3.3.2.2 Die Kindersicherung in der Familienwirklichkeit ...... 32 3.3.2.3 Jugendmedienschutz im Blick von Eltern ...... 32 3.3.3 Konsequenzen fuÈ r den Jugendmedienschutz ...... 33 3.4 Konsequenzen fuÈ r den Jugendschutz ...... 33
4. MedienpaÈ dagogik mit der Zielsetzung Medienkompetenz als Bedingung und ErgaÈ nzung eines wirksamen Jugendschutzes . . . . . 35 4.1 Zum VerhaÈ ltnis MedienpaÈ dagogik und Jugendschutz ...... 35 4.2 Bestimmung von MedienpaÈ dagogik und ihren Zielen sowie Adres- saten ...... 37 4.3 Beschreibung von Handlungsfeldern der MedienpaÈ dagogik ...... 40 4.4 Empfehlungen fuÈ r medienpaÈ dagogische Maûnahmen ...... 46
Dokumentation
I. Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf nationaler Ebene . . . . . 48 II. Internationaler Regelungsbedarf ...... 57 Ergebnisse einer vergleichenden Analyse von Hans-JoÈ rg Albrecht/Freiburg ¹Jugendschutz, Strafrecht, Neue Medien und Internetª ...... 58
Glossar zum Zwischenbericht ...... 86 Literaturliste zum Zwischenbericht ...... 88
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1. Kinder- und Jugendschutz in digitalen Medien
1.1 Geschichte des Jugendmedienschutzes die in o¨ ffentlichen Kinos gezeigt werden, vorgelegt in Deutschland werden und die Pru¨ fer der FSK parita¨ tisch von seiten der o¨ ffentlichen Hand und der Filmwirtschaft besetzt Die Auseinandersetzung mit medialen Inhalten unter werden, ist die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen der Fragestellung, ob diese Kinder und Jugendliche eine Einrichtung der kommerziellen Fernsehveran- scha¨ digen ko¨ nnen, hat in Deutschland eine lange stalter, die die Sendungen freiwillig --- und daher Tradition. Seit Beginn dieses Jahrhunderts wird Ju- eben keineswegs alle --- von den Anbietern vorgelegt gendmedienschutz als staatliche Aufgabe verstanden bekommt, sich ihre Pru¨ fer selbst auswa¨ hlt und keine und betrieben. Neben der Trivial- und manchmal Mo¨ glichkeiten der Sanktionierung hat. Zwar haben auch Hochliteratur war das Massenmedium Film bis gema¨ ß Rundfunkstaatsvertrag alle Fernsehanbieter, in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts Hauptge- auch die o¨ ffentlich-rechtlichen, einen eigenen Ju- genstand des Jugendmedienschutzes. Filme wurden gendschutzbeauftragten, dessen Position innerhalb --- bis 1945 im direkten Eingriff des Staates als Zensor der Anstalten ist jedoch schwach. In anderen Berei- --- verboten, mit Auflagen oder mit Altersbeschra¨ n- chen ist Jugendmedienschutz noch unbedeutender. kungen freigegeben. Die enge Bindung von Staat Bei der Selbstkontrolleinrichtung der Computerspie- und Filmzensur, die im Kaiserreich und auch in der leindustrie sind nicht einmal alle Produzenten bzw. Weimarer Republik dazu fu¨ hrte, Jugendmedien- Vertreiber Mitglied und ihr Handeln beschra¨ nkt sich schutz auch als politische Zensur zu mißbrauchen, auf Empfehlungen. Dennoch: in keinem anderen und die totale staatliche Kontrolle und Indienstnah- Land dieser Welt gibt es so vielfa¨ ltige Einrichtungen me des Films im nationalsozialistischen Staat, fu¨ hrten der freiwilligen Selbstkontrolle wie in Deutschland. dazu, daß Jugendmedienschutz in Deutschland bis heute den Ruch der willku¨ rlichen staatlichen Zensur Jugendmedienschutz in Deutschland ruht seit der nicht ga¨ nzlich verloren hat1). Wiedererlangung der staatlichen Souvera¨ nita¨ t auf zwei Sa¨ ulen. Da ist zum ersten der oben beschrie- In der neugegru¨ ndeten Bundesrepublik Deutschland bene eingreifende Jugendschutz. Er basiert auf der wurde staatliche Zensur in der Verfassung ausdru¨ ck- medientheoretischen Grundannahme, daß massen- lich ausgeschlossen. Der Jugendschutz, den Jugend- mediale Inhalte einen bildenden Einfluß auf das medienschutz eingeschlossen, jedoch erhielt weiter- Denken und Handeln heranwachsender Menschen hin einen hohen Stellenwert. Zwar wurde mit der nehmen. Dies gilt insbesondere fu¨ r jene Inhalte, die Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende Schriften die Verletzung von Tabus und Normen in den Be- eine staatliche Stelle geschaffen, die auf Antrag reichen menschlicher Konflikte und Sexualita¨ t Schriften --- eingeschlossen Videos und CD’s --- indi- beschreiben und visualisieren. Vor eben jenen Tabu- zieren und mit einem Werbeverbot sowie Vertriebs- verletzungen, den verharmlosenden ebenso wie den beschra¨ nkungen belegen kann, aber eine Vorzensur exzessiven Darstellungen von Gewalt und der offe- staatlicherseits ist ausgeschlossen. Generell sollte nen Pra¨ sentation aller mo¨ glichen Formen menschli- weitgehend von staatlichen Maßnahmen Abstand chen Sexualverhaltens, muß in Konsequenz dieser genommen werden, statt dessen sollten sich Produ- Auffassung der heranwachsende Mensch bewahrt zenten und Vertreiber von Medien freiwillige Selbst- werden. Dies geschieht durch o.g. Institutionen auf beschra¨ nkungen auferlegen. der Basis von gesetzlichen Bestimmungen und U¨ ber- einku¨ nften, die beispielsweise in Pru¨ fkriterien fu¨ r Wa¨ hrend in den Medien der Deutschen Demokrati- Medien kodifiziert werden. Der eingreifende Ju- schen Republik es der Staat war, der durch Zensur gendschutz hat als Adressat das mediale Produkt, weiterhin Einfluß auf die Auswahl und Gestaltung auf das er vera¨ ndernd oder verhindernd einwirkt. medialer Inhalte nahm, wurden in der Bundesrepu- blik Deutschland freiwillige Einrichtungen zur Kon- Neben dem eingreifenden gibt es als wichtige zweite trolle medialer Inhalte unter jugendschu¨ tzerischen Sa¨ ule den propa¨ deutischen oder pra¨ ventiven Ju- Aspekten geschaffen. So bildeten sich in der Bundes- gendschutz. Der propa¨ deutische Jugendschutz ist republik mit nahezu jedem neuen Medium auch eine Maßnahme und Zielsetzung aus dem umfassen- neue Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle. den Repertoire der Medienpa¨ dagogik. Wichtigste Allerdings ist die Verbindlichkeit und Wirksamkeit Maßnahme des propa¨ deutischen Jugendschutzes dieser Einrichtungen sehr unterschiedlich. Wa¨ hrend war bis weit in die sechziger Jahre in der Bundesre- der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft publik Deutschland die Filmerziehung. Durch die (FSK), der a¨ ltesten dieser Einrichtungen, alle Filme, Auseinandersetzung mit dem Film und durch das Kennenlernen ,wertvoller’ Filme sollten die Heran- 1) Vgl. zur Historie des Jugendmedienschutzes und der Me- wachsenden zur Kritik an negativen medialen Pha¨ - dienpa¨ dagogik: nomenen befa¨ higt und vom schlechten Medium weg Hiegemann, S., Swoboda, W. (Hrsg.) (1994). Handbuch der an ein gutes herangefu¨ hrt werden. Unter heutigen Medienpa¨ dagogik. Theorieansa¨ tze --- Forschungsgeschichte --- Perspektiven. Opladen Bedingungen, da die Medien nicht mehr ein Pha¨ no- Schorb, B. (1995). Medienalltag und Handeln. Medienpa¨ d- men der Freizeit allein, sondern allumfassender Be- agogik in Geschichte, Forschung und Praxis. Opladen standteil des Allta¨ glichen sind, wird der pra¨ ventive
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Jugendschutz als ein Ergebnis der Erziehung Heran- den --- daß mit technischen Entwicklungen ideolo- wachsender zu Medienkompetenz gesehen. Medien- gisch Fortschritt als solcher verknu¨ pft wird. Der kompetenz als die Fa¨ higkeit, Medien nicht allein kri- Mythos des Fortschritts als einer sta¨ ndigen Verbesse- tisch analysieren und reflektieren zu ko¨ nnen, rung des angenehmen Lebens ist untrennbar verbun- sondern sie auch im Kontext selbstbestimmten und den mit dem Mythos der Technik und dem der Ju- sozialen Handelns nutzen zu ko¨ nnen, schließt die Fa¨ - gend. Technik und Fortschritt teilen sich oft die higkeit ein, sich von desorientierenden Medieninhal- gleichen Synonyme: Macht und Herrschaft u¨ ber die ten abzuwenden und ihnen die Grundlage, den Kon- reale Welt. In diesem Sinne unterstu¨ tzen besonders summarkt, zu entziehen. ma¨ nnliche Heranwachsende technische Entwicklun- gen, die die genannten Versprechungen einer Ver- besserung der Lebensqualita¨ t und einer Sta¨ rkung 1.2 Heranwachsende und Multimedia der Herrschaft des Menschen in sich tragen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Ent- Nicht nur den Techniken der Multimedienwelt sind wicklung des Medienbereichs in den letzten zehn Kinder und Jugendliche aufgeschlossen, auch ihre Jahren die bisherigen Grundlagen des Jugendme- Inhalte und Werte u¨ bernehmen sie als Fortschrei- dienschutzes wenn nicht in Frage gestellt, so doch bung dessen, was sie bereits kennen, scha¨ tzen und modifiziert hat. Medien stehen nicht mehr als einer nutzen. Die interessierenden Inhalte dieser Welt sind von vielen Freizeitbereichen am Rande des Alltags, zugleich die der Medien: Konsum und Sensationen. sondern nahezu der gesamte Alltag ist medialer All- Die Welt pra¨ sentiert sich den Heranwachsenden in tag. Nahezu u¨ berall, wo wir uns bewegen, sind wir und außerhalb der Medien als eine, die sich stets in von Medien umgeben, ein Großteil privater und be- Bewegung befindet --- oder doch befinden sollte --- ruflicher Ta¨ tigkeiten ist medial gesteuert und sei es und die ka¨ uflich zu erwerben ist. Schnell und auf- auch nur von dem Chip, der die Schließanlage des regend leben und konsumieren sind eins im virtuell- Hauses steuert. In besonderer Weise den und mit medialen wie im realen Leben. Nicht nur das Aus- Medien verbunden waren schon immer junge Men- sehen beider Welten und ihre Inhalte sind den Her- schen. Sie sind zum einen diejenigen, die am ehesten anwachsenden gleich, sondern auch ihre Symbole. bereit sind, neue Medien zu akzeptieren und in ihr Sie kennen und entziffern die medialen Symbole als Leben zu integrieren. Kinder und Jugendliche sind Repra¨ sentationen ihrer Wirklichkeit. Mediale Codes zum anderen auch diejenigen, die durch die Medien bestimmen Kommunikation und Interaktion von Kin- am sta¨ rksten in ihrem Denken und Handeln beein- dern und Jugendlichen. Inhalt und Aussagekraft die- flußt werden. Ihrer Beeinflußbarkeit durch Medien ser Codes sind weltweit eindeutig und einheitlich. gilt ja auch die besondere Fu¨ rsorge des Jugendme- Augenscheinlich wird dies beispielsweise in den dienschutzes. Aus der Betrachtung des Verha¨ ltnisses Accessoires, die Jugendlichkeit ausmachen. Ein von Heranwachsenden und Medien wird deutlich, an lebender Star wie Michael Jackson ist ebenso ein welchen Punkten diese mit den Medien selbsta¨ ndig weltweites Symbol mit einer einheitlichen Lebensstil- und Konsumaussage wie ein Industrieprodukt na- umgehen und wo sie Probleme haben und Hilfestel- 2 lungen beno¨ tigen. mens Levis oder Adidas ). Die heutigen Kinder und Jugendlichen in den hoch- industrialisierten Staaten sind fu¨ r die multimediale 1.3 Bedeutung des Unterhaltungswerts fu¨ r Zukunft einerseits wohl geru¨ stet. Das Problem der Heranwachsende Erwachsenen, die auf sie hereinstu¨ rzende Medienflut Die Aufgeschlossenheit der Kinder und Jugendli- mental zu verarbeiten und aktiv zu nutzen, kennen chen den Medien gegenu¨ ber, verbunden mit dem sie kaum. Sie leben bereits in einer Medienwelt und positiven Image von Jugend und Jungsein, machen sie leben ihre Medienwelt. Mit anderen Worten, der sich Industrie und Werbung bei der Einfu¨ hrung neu- Gegensatz zwischen der Welt der Medien und der er Medien zunutze. Zum einen durch die Verbindung Welt außerhalb der Medien existiert fu¨ r sie insofern neuer Produkte mit dem Attribut jung, neu und zeit- nicht, da Bestandteil ihrer realen Welt die Medien- gema¨ ß; zum anderen durch Verpackung neuester welt ist. Sie haben diese Welt in ihrer Sozialisation und komplexester Software als Unterhaltungsange- als eine Medienwelt erfahren, u¨ bernommen und in- bote, meist als Spiele. Mediale Entwicklungen, die ternalisiert. zur Zeit fu¨ r Kinder und Jugendliche, besonders die Die Heranwachsenden bringen also, im Gegensatz ma¨ nnlichen, besonders attraktiv sind, entstammen zu den Erwachsenen, denen sich die informations- dem Bereich der Unterhaltung. Das sind zum einen technischen Neuerungen als solche und damit als die Computerspiele, die meist auf CD’s als Datentra¨ - Vera¨ nderungen ihrer Welt pra¨ sentieren, die Voraus- ger angeboten werden. Die beliebtesten Inhaltsbe- setzungen mit, das als Gegebenheit zu akzeptieren, reiche dieser Spiele sind sogenannte Adventures, bei was Erwachsene als Vera¨ nderungen erst verinnerli- denen es darum geht, durch Ko¨ pfchen und/oder chen mu¨ ssen. Hinzu treten als weitere Begleiter der Kampf ein Ziel zu erreichen und die vielfa¨ ltigen Sozialisation die Neugier und Aufgeschlossenheit Kriegsspiele, die in ihrer Darstellung immer weniger von Kindern und Jugendlichen. Ihre Aufgeschlossen- von Filmen zu unterscheiden sind, nur kann man hier heit gegenu¨ ber Neuem macht sie gerade auch fu¨ r die den Helden selbst steuern und man kann quasi durch informationstechnischen Angebote empfa¨ nglich, die ihn hindurch die Feinde eliminieren. ja tatsa¨ chlich Mo¨ glichkeiten in die Welt bringen, die es bisher nicht gab. Hinzu tritt --- und dies ist vor al- 2) Vgl. Schell, F., Schorb, B., Palme, H. J. (Hrsg) (1995). Jugend lem ein Pha¨ nomen der ma¨ nnlichen Heranwachsen- auf der Datenautobahn. Mu¨ nchen
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Ein anderer Bereich ist das Internet, in dem jede Idee Datenautobahnen mit der gleichrangigen Fo¨ rderung Gleichgesinnte findet. Auch das Internet wird zum von Projekten u¨ ber die sozialen Folgen einhergehen. Spielen genutzt, daru¨ ber hinaus zum Austausch von Nur so kann eine vertretbare Basis geschaffen wer- Spielen, von legalen wie von Raubkopien. Es wird den, um die technisch-o¨ konomische Entwicklung so- von Heranwachsenden, auch hier in erster Linie von zial vertra¨ glich zu gestalten. den Jungen, zu diesen Zwecken genutzt und auch allgemein zum Austausch von technischen Informa- tionen u¨ ber Computer, Hard- und Software. In die 1.4 Aufgaben des Jugendmedienschutzes kriminellen Bereichen dieses Netzes, vom Bankbe- angesichts neuer Medien trug bis zur Pornografie sind Heranwachsende meist nur als Opfer verwickelt. Im Bereich der Inhalte, die u¨ ber Medien transportiert werden, gibt es dagegen sehr wohl Absicherungen Ein dritter Bereich sind die digitalen Fernsehangebo- durch den Jugendschutz. Jedoch, auch dieses Kor- te. Exklusive Sportangebote und ebensolche Spiel- rektiv wird mit dem weiteren Ausbau der Informati- filme machen die Attraktivita¨ t dieser Angebote aus, onstechnik gefa¨ hrdet. Voraussetzung des Schutzes die bei uns als ,Pay-TV’ vermarktet werden. Zwar der Jugend ist die Kontrolle des medialen Angebots. sind es in der Regel nur die Erwachsenen, die sich Aber eben da stellen sich im Angesicht der aktuellen ,Pay-TV’ fu¨ r sich und/oder ihre Familie leisten ko¨ n- Medienentwicklung Probleme und damit zugleich nen, aber das mindert nicht deren Attraktivita¨ t fu¨ r Herausforderungen an den Jugendmedienschutz. Heranwachsende. Damit stellt sich dann aber auch Wenn Spiele auf CD schon als Raubkopien zirkulie- die Frage nach den im digitalen Fernsehen angebo- ren oder im Internet heruntergeladen werden ko¨ n- tenen Inhalten. Denn fu¨ r die Heranwachsenden ist nen, bevor sie auf dem Ladentisch angeboten wer- nicht die digitale Technik, sondern das Filmangebot den, wenn daru¨ ber hinaus das Angebot kaum von Interesse. u¨ berschaubar ist, und schließlich eben keine effek- tive Selbstkontrolle der Vermarkter vorhanden ist, Der Akzeptanz der multimedialen Entwicklung dann muß der Jugendmedienschutz sich sowohl den durch eine Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen Vertreibern dieser Spiele als auch der U¨ berpru¨ fung steht also auch die Gefa¨ hrdung aller Heranwachsen- der Regeln des Internet zuwenden. Auch wenn das den gegenu¨ ber. Das Wissen um die Verfu¨ hrbarkeit Fernsehangebot nicht nur globalisiert, sondern auf der Jugend geho¨ rt zu den Binsenweisheiten mensch- 300 bis 500 Programme ausgeweitet wird, ist wohl licher Gesellschaften. Ihre Offenheit und Naivita¨ t nur in Kooperation aller Beteiligten, auch der Sender, gegenu¨ ber der Welt birgt die Gefahr, daß die Heran- eine inhaltliche Kontrolle des riesigen Programman- wachsenden von den negativen Pha¨ nomenen dieser gebotes mo¨ glich. Die bisher Kontrollierenden, bei- Welt u¨ berrannt, daß sie nicht Subjekt, sondern spielsweise die Landesmedienanstalten, werden der Objekt der medialen Entwicklung werden. So bereit- Unterstu¨ tzung bedu¨ rfen, fa¨ llt es ihnen doch heute willig junge Menschen die Erscheinungen der Me- schon mit ihrem vorhandenen Personal schwer, um- dienwelt akzeptieren, so gefa¨ hrlich ko¨ nnen ihnen fassende Kontrolle des Angebots zu realisieren, ob- diese werden, wenn sie die Kontrolle u¨ ber ihre Wu¨ n- wohl bundesweit noch keine hundert Programme ge- sche und Vorstellungen u¨ bernehmen und Reflexion sendet werden. durch Konsumvorgaben ersetzen. Je ju¨ nger die Her- anwachsenden sind, desto weniger sind sie in der La- Besondere Probleme stellen das Internet und in na- ge, die komplexen Vera¨ nderungsprozesse kognitiv her Zukunft der Cyberspace dar. Den Verursacher zu erfassen und zu verarbeiten. Aber auch wenn sie von problematischen Inhalten, die im Internet ange- diese zu verstehen beginnen, fehlen ihnen Macht boten werden, herauszufinden, ist extrem schwer, und Mo¨ glichkeit, negative Pha¨ nomene zu verhindern vor allem wenn man es mit einem Profi zu tun hat. oder zuru¨ ckzudra¨ ngen. In jedem Fall hat die Jugend Kommt die ,Botschaft’ aus dem Ausland, wird man die sozialen Folgen des Handelns Erwachsener zu ha¨ ufig, auch wenn man ihn gefunden hat, den Verur- tragen. So sehr Heranwachsende den technischen sacher nicht belangen ko¨ nnen. Die realistische Mo¨ g- Fortschritt begru¨ ßen, akzeptieren und unterstu¨ tzen, lichkeit, die dem eingreifendem Jugendmedien- so sehr sind sie auch seine Objekte. Es gibt bislang schutz bleibt, ist, Mittel und Wege aufzuspu¨ ren, um auch keine Norm, mit der sich eine Generation aus die vielfa¨ ltigen Vertriebswege zu unterbrechen. der Verantwortung fu¨ r die nachfolgenden Generatio- Ob der Cyberspace – wenn er wie angeku¨ ndigt als nen heraus freiwillig Grenzen setzt, im Gegenteil. eine eigene Welt kommt, die ich mit meinen Gedan- Die sozialen Folgen der Mediatisierung unserer Welt ken generieren kann – noch fu¨ r Dritte zu kontrollie- sind also bereits absehbar. Verku¨ rzt lassen sie sich ren ist, das ist fraglich. Auf der Spielebene gibt es positiv als Anna¨ herung der Menschen in der welt- schon den sehr perfekten Cyberspace, vor allem in weit gleichen Erfahrung gleicher medialer Inhalte den Arcades, den elektronischen Spielhallen. In ihm und in der kommunikativen Vernetzung unabha¨ ngig kann ich mich bewegen und handeln wie in einem von Zeit und Raum beschreiben, negativ als Bindung eigenen Raum, kann ich in eine nicht existente virtu- an medialen Konsum und damit einhergehend ver- elle Welt verschwinden. Diese Welt kann scho¨ n und sta¨ rkter Individualita¨ t und Verlust sozialer Bindun- auch grausam sein, je nach Computerprogramm. gen im personalen Bereich wie in moralischen Orien- Wenn es nun zuku¨ nftig auch mo¨ glich wird, Cyber- tierungen. Programme individuell abzurufen und sich tatsa¨ ch- lich interaktiv in ihnen zu bewegen, virtuelle Realita¨ - Angesichts dieses bipolaren Prozesses mu¨ ssen die In- ten zu schaffen, wenn also die Orte, an denen sich vestitionen in Milliardenho¨ he zur Realisierung von die Jugendlichen befinden, im Virtuellen verschwin-
10 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 den und nicht mehr aufzufinden sind, welche Instanz kenntnisse oder sozialisationsrelevante Aspekte bei soll dann eingreifen ko¨ nnen? der Beurteilung der Gefa¨ hrdung von Kindern und Ju- gendlichen im Vordergrund standen, sondern Macht- Diese knappe Darlegung des Zusammenhanges von fragen der Erwachsenen bzw. eine Definition von Jugendmedienschutz und Multimedia weist bereits Kindheit, die daraus resultierte. Die Entwicklung von darauf hin, daß sich hier ein Problembereich auftut, Kindheit nach dem Kriegsende 1945 zeigt eine der u¨ berlegtes und entschiedenes erzieherisches und zunehmende Verselbsta¨ ndigung von Kindern und politisches Handeln verlangt. Um die Grundlegung Jugendlichen, aber auch eine mit dem Wirtschafts- eines solchen Handelns geht es in den weiteren Ka- aufstieg zunehmende Kommerzialisierung von Kind- piteln. heit. Dieses, auch mit „Modernisierung von Kind- heit“ bezeichnete Pha¨ nomen kann dadurch 1.5 Die sozialwissenschaftliche Sichtweise beschrieben werden, daß neben dem schulischen auf die Medienwirkung Lernen auch die außerschulischen Angebote fu¨ r die Identita¨ tsbildung und fu¨ r den Wissenserwerb an Be- Als wissenschaftlicher Legitimationshintergrund des deutung gewinnen. Hierzu za¨ hlen vor allem die Mas- Jugendmedienschutzes wird die Wirkungsforschung senmedien, die in Konkurrenz zum schulischen Sy- genannt. Nicht die medialen Inhalte als solche wer- stem treten. Freizeitaktivita¨ ten und andere kulturelle den fu¨ r scha¨ dlich gehalten, sondern mo¨ gliche Effekte Beta¨ tigungen werden durch Trends der Massenkul- bei Kindern und Jugendlichen, die von der Beeinflus- turen bestimmt. Traditionelle Sinnagenturen wie sung durch mediale Inhalte herru¨ hren. Die Frage, ob Schule, Familie und Kirche verlieren an Bedeutung Desorientierungen, Vorurteile und unerwu¨ nschtes und Heranwachsende orientieren sich statt dessen Verhalten auf mediale Vorbilder zuru¨ ckzufu¨ hren an massenmedial vermittelter Sinnstiftung. sind, bescha¨ ftigt besonders drei Disziplinen der Sozialwissenschaften. Die Kommunikationswissen- Beide Tendenzen --- die Verselbsta¨ ndigung und die schaften analysieren in der Regel das Ausgangsma- Kommerzialisierung --- verlangen von den Kindern terial, die medialen Pha¨ nomene. Auf der Basis von und Jugendlichen auch einen kompetenten Umgang Inhaltsanalysen und dabei entdeckten gesellschaft- mit ihrer Umwelt. Durch die Schaffung neuer Erfah- lich unerwu¨ nschten Inhaltselementen schließen sie rungsra¨ ume mu¨ ssen auch die Kompetenzen von Kin- zuru¨ ck auf die Gefa¨ hrdung durch diese Elemente. dern und Jugendlichen wachsen. Sie mu¨ ssen sich Fa¨ - Die Psychologie --- in den Teilen, die einen ganzheitli- higkeiten und Fertigkeiten aneignen, um in der chen Blick auf den Menschen werfen --- und auch die Gesellschaft bestehen zu ko¨ nnen. Sie mu¨ ssen lernen, (Medien)Pa¨ dagogik erforschen den Zusammenhang ihre Identita¨ t in einer sich schnell vera¨ ndernden Um- zwischen medialen Angeboten und kindlichen Reak- welt zu finden. Dazu geho¨ rt auch, sich in einer von tionen und Verhaltensweisen. Die Verknu¨ pfung von Medien gepra¨ gten Welt zu behaupten, also je nach kindlichen Einstellungen, Orientierungen und Hand- Voraussetzung Medienkompetenz zu erwerben. Das lungsmustern mit den medialen Angebotsmustern Aufwachsen in einer Mediengesellschaft mag zwar kann als Wirkungsforschung im engeren Sinne be- selbst eine gewisse Kompetenz im Sinne eines mehr zeichnet werden, da sie Auskunft u¨ ber mittelbare oder weniger differenzierten Umgangs mit den aktu- und unmittelbare Wirkungen von Medien auf Kinder ellen Medien vermitteln, der zum Bestehen in ihr not- geben kann. Unter diesem Aspekt folgt im na¨ chsten wendig ist. Aber das darf nicht bedeuten, die Verant- Teil ein U¨ berblick u¨ ber die Wirkungsforschung und wortung fu¨ r Kinder und Jugendliche nicht mehr deren neuere Ergebnisse als Orientierungsrahmen wahrzunehmen. Gerade aus dieser Sicht der vera¨ n- fu¨ r die Notwendigkeit von Jugendmedienschutz. derten Bedingungen muß der Jugendmedienschutz seine Handlungsmo¨ glichkeiten finden und eine aus- Nicht aufgefu¨ hrt wird dort die soziologische Perspek- differenzierte Medienkompetenz fo¨ rdern. tive des Jugendmedienschutzes, da diese ihre Sicht prima¨ r auf gesellschaftliche Zusammenha¨ nge und Die oben aufgefu¨ hrten medialen Pha¨ nomene, die ei- damit weniger auf greifbare, mit konkreten Maßnah- nerseits fu¨ r Heranwachsende eine hohe Attraktivita¨ t men anzugehende Kontexte bezieht. Sieht man Ju- haben und andererseits auch bedenkliche Inhalte gendmedienschutz jedoch auch in einem politischen transportieren, stehen im Mittelpunkt der folgenden Gesamtzusammenhang nicht nur akuter, beschreib- Betrachtungen. Es wird dabei der Frage nachgegan- barer, sondern auch mo¨ glicher latenter Gefa¨ hrdun- gen, welches Wissen wir unter Jugendschutzaspek- gen, so ist die soziologische Sicht von Bedeutung, zu- ten von Computerspielen, dem Internet und dem Be- mal sie in der Summe der Betrachtung zum gleichen zahlfernsehen haben. Dabei ist der Tatsache Ergebnis kommt wie die anderen sozialwissenschaft- Rechnung zu tragen, daß in diesen Bereichen nur lichen Sichtweisen. wenige Forschungsergebnisse und noch dazu aus Aus soziologischer Perspektive la¨ ßt sich fragen, ob unterschiedlichen Perspektiven vorliegen. So gibt es die pa¨ dagogische Betrachtungsweise von Jugend- zwar Informationen u¨ ber Computerspieler, ihre medienschutz nicht an gesellschaftlichen Entwick- Spielvorlieben und ihre Freizeitbescha¨ ftigungen, lungen vorbeigeht. Analysen der Geschichte des und es gibt auch immer wieder Inhaltsanalysen von pa¨ dagogischen Schutzgedankens3) verdeutlichen, Computerspielen, aber mo¨ gliche Handlungseffekte daß ha¨ ufig nicht entwicklungspsychologische Er- dieser Spiele wurden nie systematisch untersucht. Auch u¨ ber Internetnutzer liegen nur wenig Informa- 3) Vgl. Beisenherz, H.G.: „Domnatur“. Zum Medienschutz in tionen vor. Eingefu¨ gt ist hier eine Analyse u¨ ber pro- der Vergangenheit und seiner postmodernen Metamorpho- blematische Inhalte des Internet und die Mo¨ glichkei- se. In: Neue Sammlung 2/1994, S. 201---231 ten, Zugang zu ihnen zu erhalten. Von besonderer
11 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Brisanz ist die Frage des Jugendmedienschutzes im den Medien und ihren Mo¨ glichkeiten umzugehen digitalen Bezahlfernsehen. Da hier die technische einschließlich, wo notwendig, der reflektierten Mei- Mo¨ glichkeit fu¨ r Eltern geschaffen wurde, bestimmte dung und Ablehnung von Medien und ihren Inhal- Programme oder ganze Kana¨ le fu¨ r ihre Kinder zu ten. Im vierten Teil dieses Berichts werden die Mo¨ g- sperren, stellt sich angesichts der Tatsache, daß der lichkeiten der Medienpa¨ dagogik dargelegt. Rundfunkstaatsvertrag 1998 ratifiziert wird, die Fra- Beschrieben werden die Zielsetzungen, die Wege al- ge, inwieweit die Mo¨ glichkeiten des technischen Ju- so hin zur Medienkompetenz. Die Bedingungen, un- gendschutzes in diesem Bereich von Eltern genutzt ter denen die Adressaten Kinder und Jugendliche er- werden (ko¨ nnen). Eine im Februar 1998 vero¨ ffent- reicht werden ko¨ nnen, werden dargestellt und an lichte Untersuchung zum Jugendschutz im digitalen exemplarischen Beispielen die Handlungsfelder der Fernsehen soll den Kenntnis- und Problemstand im Medienpa¨ dagogik illustriert: das Elternhaus, der Kin- Bereich multimedialer Angebote komplettieren. dergarten, die Schule, die Jugendarbeit und nicht zu- letzt auch die Medien selbst als Gegenstand medien- Dem Jugendmedienschutz u¨ bergeordnet ist Medien- pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen. pa¨ dagogik. Ihr ist es nicht nur darum zu tun, Kinder und Jugendliche vor negativen medialen Einflu¨ ssen zu schu¨ tzen, sondern generell Heranwachsenden Die Vielfalt der Einrichtungen in der Bundesrepublik wie auch Erwachsenen auf der Basis wissenschaftli- Deutschland, die mit Jugendmedienschutz befaßt cher Forschungsergebnisse Wege zur kompetenten sind, wird im Anhang aufgefa¨ chert. Auf der Basis Nutzung und des selbstta¨ tigen Umgangs mit Medien von Selbstdarstellungen der jeweiligen Institutionen zu ero¨ ffnen. Maßnahmen des Jugendmedienschutzes werden diese mit ihren Aufgabenstellungen und werden immer unzula¨ nglich bleiben, wenn sie nicht Mo¨ glichkeiten vorgestellt. Die Einrichtungen des Ju- eingebettet sind in ein medienpa¨ dagogisches Ge- gendmedienschutzes bieten eine solide Grundlage, samtkonzept, das den Subjekten ermo¨ glicht, Me- diesen in sinnvoller Weise auch unter der A¨ gide von dienkompetenz zu entwickeln; dies meint, aktiv mit Multimedia anzuwenden.
2. Medienwirkungsforschung: Wesentliches Fundament des Kinder- und Jugendmedienschutzes
Die Absicht, Kinder und Jugendliche vor medialen andererseits ermo¨ glichen wu¨ rde, sich der Bedeutung Einflu¨ ssen zu schu¨ tzen, die ihrer Entwicklung ab- von Einflu¨ ssen neuer Medien bereits im Prozeß der tra¨ glich sein ko¨ nnen, setzt voraus, daß negative Wir- Entwicklung zuzuwenden, bevor nicht mehr ru¨ ckhol- kungen --- oder wie es treffender zu formulieren ist --- bare Faktizita¨ ten geschaffen sind. Vor diesem Hinter- Wirkungspotentiale von Medien, ihren Inhalten und grund sind --- trotz jahrzehntelanger Bemu¨ hungen --- Darbietungsformen bekannt sind. In diesem Zusam- die Ergebnisse der Wirkungsforschung wenig zufrie- menhang kommt demjenigen Zweig der Medienfor- denstellend. schung, der sich mit den medialen Einflu¨ ssen auf den Menschen befaßt, zentrale Bedeutung zu, und seine Die Medienwirkungsforschung wird im folgenden Ergebnisse werden entsprechend zur Begru¨ ndung unter verschiedenen Perspektiven betrachtet. Zu- von Regelungen und Maßnahmen des Kinder- und na¨ chst wird die Entwicklung der Medienwirkungs- Jugendmedienschutzes dienstbar gemacht. forschung kurz umrissen, wobei insbesondere die jahrzehntelange, vergebliche Mu¨ he, monokausale Dieses Fundament des Kinder- und Jugendmedien- Wirkungen von medialer Gewalt nachzuweisen, the- schutzes allerdings hat sich historisch wie aktuell matisiert wird. Sodann werden die derzeit auf breiter nicht immer als tragfa¨ hig und lu¨ ckenlos erwiesen. wissenschaftlicher Ebene geteilten Voraussetzungen Fu¨ r Defizite im Wissen um mediale Einflu¨ sse auf die fu¨ r das Wirksamwerden von Medieneinflu¨ ssen um- menschliche Wirklichkeit sorgt der komplexe Faktor rissen. Neuere Befunde zur Frage der medialen Be- Mensch, mit dem es die Medienwirkungsforschung einflussung der heranwachsenden Generation wer- zu tun hat. Dieser mag sich vereinfachenden Wenn- den im folgenden Abschnitt referiert. Diese Befunde Dann-Beziehungen ebensowenig beugen wie stati- --- hier wird das oben erwa¨ hnte Defizit deutlich --- er- stischen Durchschnitten, und nicht selten entzieht er strecken sich nahezu ausschließlich auf Medien, die sich selbst sensiblen sozialwissenschaftlichen Inter- seit u¨ ber einem Jahrzehnt als ,alte Medien’ tituliert pretationen. Ein weiterer Grund fu¨ r unzula¨ ngliche werden, insbesondere auf das Fernsehen --- und sie Erkla¨ rungen liegt in der mangelhaften Bereitschaft widmen sich in starkem Maße einem Inhaltsbereich, der Gesellschaft, dem Zusammenspiel von Medien der als geradezu klassisch fu¨ r die Wirkungsforschung und Realita¨ t mit der forschungspolitischen und -o¨ ko- gelten kann: Gewaltdarstellungen in unterschiedli- nomischen Ernsthaftigkeit nachspu¨ ren zu lassen, die chen medialen Inhaltskontexten. Vor diesem Hinter- einerseits geboten wa¨ re, um dauerhafte Strukturen grund werden im letzten Teil die unterbelichteten Di- medialer Beeinflussungen aufzudecken, und die es mensionen der Medienwirkung skizziert und die
12 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 angesichts der heute absehbaren Medienentwick- Beispiel --- im Gegensatz zum postulierten einstufi- lung kla¨ rungsbedu¨ rftigen Bereiche reflektiert4). gen Kommunikationsfluß --- angenommen, daß Mei- nungsbildungsprozesse nicht unmittelbar durch das Medium, sondern vermittelt u¨ ber die Kommunikation mit Meinungsfu¨ hrern und perso¨ nlichen Bezugs- 2.1 Die Anfa¨nge der Medienwirkungs- personen beeinflußt werden („Two Step Flow of Communication“). Trotz der Beachtung realer Ein- forschung flußgro¨ ßen bleibt dabei aber die Vorstellung eines passiv reagierenden Zuschauerobjekts erhalten. Ihren Anfang nahm die Medienwirkungsforschung Bereits in den 60er Jahren entwickelte sich ein zwei- in den USA mit der Verbreitung des Rundfunks und ter Strang der Medienwirkungsforschung, der die der sich damit versta¨ rkenden Konkurrenz der Me- Seite der Rezipienten deutlicher beru¨ cksichtigt: Die dien. Die werbetreibende Industrie war bald an der Uses and Gratification-Ansa¨ tze. Danach ha¨ ngt die Frage interessiert, welche Medien eine Botschaft mit Wirkung von Massenmedien prima¨ r davon ab, wel- welcher Intensita¨ t und welchen Effekten an verschie- che Funktionen die Rezipienten den Medieninhalten dene Publika bringen. Ein weiteres Interesse an der zuschreiben und welchen Gebrauch sie von den Me- Wirkung von Massenmedien hatte die Politik, zu- dien machen. Auf der Basis von Bedu¨ rfnisorientie- na¨ chst besonders das Milita¨ r: Deren Fragen galten rung --- so die zugrundeliegende Annahme --- ist der dem Einfluß der Medien auf Einstellungen, also der Mediennutzer am Rezeptions- und Wirkungsprozeß U¨ berzeugungskraft medialer Botschaften. beteiligt. Die Aktivita¨ t der Rezipienten bleibt jedoch beschra¨ nkt auf die selektive Auswahl der Medienin- Traditionelle Ansa¨ tze der Wirkungsforschung gehen halte. Neuere Ansa¨ tze dieser Richtung betrachten von den Anfa¨ ngen bis heute von der Grundannahme die aktive Rolle des Rezipienten etwas umfassender: aus, daß Medien durch ihre inhaltlichen und forma- So geht z. B. die Wissenskluft-Hypothese davon aus, len Eigenschaften kognitive Prozesse bei den rezi- daß gruppen- und schichtspezifische Dispositionen pierenden Individuen erzeugen und damit deren der Mediennutzer ausschlaggebend sind fu¨ r eine Verhalten beeinflussen. Als Wirkungen gelten „alle mehr oder minder differenzierte Hinwendung zu Me- Vera¨ nderungen im Verhalten, Denken und Erleben dieninhalten und fu¨ r eine Verarbeitung derselben. der Rezipienten wa¨ hrend und nach der Rezeption, soweit sie aus der Zuwendung zu den Medien resul- tieren“5). Fragen nach dem Einfluß der Medien auf 2.1.1 Traditionelle Gewaltwirkungsforschung: Einstellungen, Meinungen, Wertvorstellungen und Verhalten stehen dementsprechend im Mittelpunkt Auf monokausale Erkla¨rungen fixiert der Untersuchungen. Zwei Themenbereichen gilt Der Themenbereich „mediale Gewaltdarstellungen“ dabei besonderes Interesse: Dem Einfluß der kristallisierte sich fru¨ h als ein spezifisches Interesse Massenmedien auf Prozesse der politischen Mei- der Wirkungsforschung heraus. Mit der in den 50er nungsbildung und den Auswirkungen von Gewalt- Jahren in den USA und der Bundesrepublik gleicher- darstellungen in den Medien auf das reale Verhalten. maßen breit diskutierten These von der ,Verrohung durch die Massenmedien’, insbesondere durch das Die theoretische Orientierung des traditionellen Fernsehen, ru¨ ckte die Frage nach dem Einfluß von Stranges der Wirkungsforschung ist von einem zum Gewaltdarstellungen in den Medien auf reale Ge- Teil rigiden Positivismus gepra¨ gt. Insbesondere das waltta¨ tigkeit ins Blickfeld. Vor allem fu¨ r Kinder und von Skinner entwickelte Stimulus-Response-Modell Jugendliche wurde eine Gefa¨ hrdung durch gewalt- (SR-Modell) dient vielen Untersuchungen als Grund- darbietende Medieninhalte angenommen --- eine lage. In seiner einfachsten Variante besagt dieses Sichtweise, die bis heute vertreten wird und auch Modell, daß der Pra¨ sentation eines bestimmten Rei- Einfluß auf den Kinder- und Jugendmedienschutz zes eine ebenso bestimmbare Reaktion folgt. Auf den nimmt. Zahlreiche Untersuchungen suchten diese Menschen u¨ bertragen impliziert das die Vorstellung Gefa¨ hrdung nachzuweisen und brachten eine Reihe eines auf a¨ ußere Einflu¨ sse mechanistisch reagieren- von --- teilweise widerspru¨ chlichen --- Hypothesen zur den Objektes. In Untersuchungen, die auf dem SR- Gewaltwirkung hervor. Modell basieren, gehen entsprechend isolierte Me- Das Spektrum wird auf der einen Seite durch das dieninhalte als Reize ein, punktuelle Rezipientena¨ u- Postulat kathartischer Effekte begrenzt: Nach der ßerungen gelten als unmittelbare Reaktion auf die ,Katharsisthese’ soll die Betrachtung medialer Ge- dargebotenen Reize und werden u¨ ber die aktuelle Si- waltdarstellungen die Aggressionsbereitschaft der tuation hinaus als Verhaltenskomponenten interpre- Zuseher senken, weil durch das Mitvollziehen der tiert. Das einfache SR-Modell wurde im Lauf der Zeit fiktiven Gewaltakte eine ,reinigende’ Wirkung statt- um intervenierende Variablen erweitert. So wird zum finde. Alle Varianten dieser Wirkungsthese gelten als empirisch widerlegt. „Eine durch das Ansehen 4) Zu den folgenden Teilen vgl. Theunert, H. (1996). Gewalt in violenter Medieninhalte bewirkte Aggressionsmin- den Medien --- Gewalt in der Realita¨ t. Gesellschaftliche Zu- derung aufgrund des Abfließens des Aggressionstrie- sammenha¨ nge und pa¨ dagogisches Handeln. 2. durchgese- bes erfolgt nicht.“6) hene, mit einem Vorwort aktualisierte Auflage. Mu¨ nchen. 5) Hunziker, P. (1982). Wirkungen und Nutzen. In: Kagelmann, H.J., Wenninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Hand- 6) Kunczik, M. (1982). Aggression. In: Kagelmann, H.J., Wen- buch in Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore ninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Handbuch in S. 247 Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore S. 2
13 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Eine andere Interpretation der Wirkung medialer Ge- 2.1.2 Kritik der traditionellen Gewaltwirkungs- walt, die aber ebenso zu dem Schluß fu¨ hrt, mediale forschung: Gewalt vermindere oder verhindere reale Gewaltta¨ - Der Komplexita¨t menschlichen Verhaltens tigkeit, liefert die ,Inhibitionsthese’. Mediale Gewalt- unangemessen darstellung --- so die Argumentation --- lo¨ se beim Re- zipienten Aggressionsangst aus, die wiederum die Daß die traditionelle Gewaltwirkungsforschung so Bereitschaft mindere, selbst aggressives Verhalten zu wenig zur Erhellung der Bedeutung medialer Ge- zeigen. Die empirischen Belege reichen jedoch nicht waltpra¨ sentation fu¨ r die Realita¨ t beizutragen hat, ja hin, um von einem Hemmungsmoment medialer Ge- im Hinblick auf praktische jugendschu¨ tzerische und waltpra¨ sentation auszugehen. pa¨ dagogische Maßnahmen oft mehr zu Verwirrung Auf der anderen Seite wird das Wirkungsspektrum als zu Kla¨ rung beitra¨ gt, hat einen ersten zentralen medialer Gewalt durch das Postulat stimulierender Grund im zugrundegelegten Menschenbild. Der Effekte begrenzt. Die ,Stimulationsthese’ besagt, daß Mensch gilt als ein a¨ ußeren Einflu¨ ssen beliebig zu- mediale Gewaltdarstellungen die Aggressionsbereit- ga¨ ngliches Objekt, dessen Verhalten einem einfa- schaft und faktisches aggressives Verhalten beim Be- chen Reiz-Reaktions-Mechanismus folgt. Auch in dif- trachter steigern. Hierzu gibt es eine Reihe von Va- ferenzierteren Ansa¨ tzen, die Elementen der Realita¨ t rianten, deren wichtigste, zum Teil auch heute noch ein gewisses Gewicht zugestehen, wird dieses Men- vertretenen, die beiden folgenden sind: schenbild nicht durchbrochen. Die Komplexita¨ t rea- len menschlichen Denkens und Handelns ist mit Nach der ,Habituationsthese’ „nimmt durch den solch schlichten Vorstellungen nicht zu fassen. sta¨ ndigen Konsum von Fernsehgewalt die Sensibili- ta¨ t gegenu¨ ber Gewalt ab, die schließlich als normales Ein weiterer Grund fu¨ r die geringe Aussagekraft tra- Alltagsverhalten betrachtet werde“7). Der Einfluß ditioneller Gewaltwirkungsforschung liegt im domi- medialer Gewalt soll mithin langfristig bis in das nierenden Methodenrepertoire, das prima¨ r auf expe- Wertesystem und die Perso¨ nlichkeitsstruktur der Re- rimentell U¨ berpru¨ fbares und statistisch Meßbares zipienten, hineinreichen. ausgerichtet ist. Daraus resultieren eine Reihe von Problemen: So la¨ ßt beispielsweise das Bemu¨ hen, die Die wohl am ha¨ ufigsten bemu¨ hte Wirkungsannahme direkt nach der Rezeption feststellbaren Reaktionen ist die ,Imitationsthese’, die in ihrer simpelsten Va- der Rezipienten zu erheben, nur Aussagen u¨ ber riante lautet, die Beobachtung einer medialen Ge- kurzfristige Effekte medialer Gewaltpra¨ sentation zu. walttat fu¨ hre beim Rezipienten zu einer direkten Kumulative oder dauerhaft stabile mediale Einflu¨ sse Nachahmungstat. Ihren Hintergrund hat diese These sind so nicht zuga¨ nglich. Ru¨ ckschlu¨ sse von Kurz- auf neben dem Stimulus-Response-Modell im Modell- Langzeiteffekte, die auch in neueren Untersuchun- Lernen Banduras, wonach menschliches Lernen auf gen zu finden sind, sind als bloße Spekulation zu der Nachahmung von am Modell beobachteten qualifizieren. Weitere Probleme resultieren aus der Verhaltensweisen beruht. Als Reiz bzw. als Modell Ku¨ nstlichkeit und Realita¨ tsferne experimentell ge- gelten auch mediale Gewaltdarstellungen. Insbeson- stalteter Rezeptionsbedingungen: Schon das Am- dere Gewaltpra¨ sentationen im Medium Fernsehen biente eines Laborexperiments impliziert Momente bieten als ,mannigfaltige symbolische Modelle’ Ag- der Verunsicherung, insbesondere fu¨ r Probanden im gressionsvorbilder, an denen aggressive Verhaltens- Kindesalter. Isolierte Gewaltsequenzen, die zumeist weisen und -techniken erlernt und unter geeigneten als Reize fungieren, bieten sozusagen Gewalt pur. Umsta¨ nden auch real gezeigt werden. Gewaltdarstel- Bei der allta¨ glichen Mediennutzung werden Gewalt- lungen erho¨ hen in dieser Sicht die Wahrscheinlich- darstellungen hingegen eingebettet in inhaltliche keit aggressiver Reaktionen in der Realita¨ t und ge- und dramaturgische Erza¨ hlstrukturen aufgenommen. stalten auch deren Form8). Insgesamt ist reale Mediennutzung weit entfernt von Trotz einiger tausend Untersuchungen konnten sti- den ku¨ nstlich gestalteten Rezeptionssituationen; mulierende Effekte medialer Gewaltdarstellungen entsprechend wenig Aussagekraft hat das unter ex- auf reales Rezipientenverhalten wissenschaftlich bis- perimentellen Zwa¨ ngen aufgefundene Rezipienten- her keineswegs hinreichend nachgewiesen werden. verhalten. In der Debatte um mediale Gewalt sind sie trotzdem besta¨ ndig pra¨ sent, jedoch werden sie heute ha¨ ufig Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die traditio- zuru¨ ckhaltender formuliert als fru¨ her: „Das Risiko ist nelle Gewaltwirkungsforschung aufgrund ihrer theo- groß, daß Gewaltdarstellungen in Medien die Ge- retischen und methodischen Grundlagen die Wirk- waltbereitschaft bei vielen Beobachtern, zumal bei lichkeit des Medienhandelns von Menschen nur Kindern und Jugendlichen erho¨ hen“.9) rudimenta¨ r zu erfassen vermag. Die postulierten Wir- kungen medialer Gewaltdarstellungen sind entspre- chend vorsichtig zu interpretieren: wegen der be- grenzten Fragestellung, die den Horizont direkter Einflußnahme von Medieninhalten auf das Publikum nicht u¨ berwindet, wegen der reduktionistischen 7) Kunczik, M. (1982). Aggression. In: Kagelmann, H.J., Wen- Blickrichtung, die den Gegenstand Gewalt im Fern- ninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Handbuch in sehen und das rezipierende Individuum gleicherma- Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore S. 4 ßen (paßgerecht) beschneidet, und wegen des domi- 8) Vgl. Bandura, A. (1979). Aggression. Eine sozial-lerntheore- tische Analyse. Stuttgart. nierenden Methodenrepertoires, das der Komplexita¨ t 9) Selg, H. (1997). Psychologische Wirkungsforschung u¨ ber von Rezeptionsprozessen nicht ansatzweise gerecht Gewalt in Medien. In: tv diskurs 2/1997, S. 56 wird.
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2.2 Medien- und Gewaltwirkungsforschung bereits existente Dispositionen, neue aber ko¨ nnen sie heute: nicht generieren, jedenfalls nicht allein. Komplexere Sichtweisen und Zuga¨nge 3) Die entscheidenden Bedeutungen von Medien fu¨ r In den Ansa¨ tzen, die die traditionalistischen Be- das reale Leben liegen in kumulativen Effekten, die schra¨ nkungen, wie sie oben fu¨ r die Gewaltwirkungs- sich nicht aus der Rezeption eines, sondern vieler, forschung beschrieben wurden, u¨ berwinden, auch verschiedener Medien speisen, und in langfri- herrscht weithin Einigkeit, daß es keine direkten Wir- stig und dauerhaft wirksamen Einflu¨ ssen auf das kungen gibt, egal ob es sich um gewalthaltige oder Denken und Verhalten, die im Zusammenspiel von andere Inhalte handelt. Zum Gegenstand Gewalt ha- Medien und Realita¨ t vonstatten gehen. ben die in quantitativer Hinsicht immensen Anstren- gungen im Grunde keinerlei tragfa¨ hige Belege fu¨ r ei- nen direkten Zusammenhang von Medieninhalten 2.2.2 Medien oder Rezipienten als und realer Gewaltta¨ tigkeit erbracht. In bezug auf Ausgangspunkt fu¨ r Zuga¨nge zu Fernsehgewalt zieht Kunczik aus dem internationa- Wirkungsdimensionen len Forschungsstand den Schluß: „Fernsehgewalt wirkt ... nicht direkt im Sinne des Stimulus-Re- Die Zuga¨ nge, die zur Erfassung von Medienwirkun- sponse-Modells der Medienwirkung, das den einzel- gen gewa¨ hlt werden, differieren insbesondere unter nen den Medien hilflos ausgeliefert sieht, sondern ist zwei Aspekten: Ob quantitative oder qualitative Ver- ein Faktor neben vielen anderen, zum Teil wesentlich fahren favorisiert werden, und ob die Medien- oder wichtigeren Faktoren.“10) die Rezipientenseite in den Mittelpunkt gestellt wird. Ansa¨ tze, die die Medien, ihre Inhalte und Darbie- 2.2.1 Lebenswelten als Basis fu¨ r das tungsweisen quantitativ wie qualitativ analysieren11), Wirksamwerden von medialen Einflu¨ ssen gewinnen ihre Aussagekraft u¨ ber die Darlegung der Ha¨ ufigkeiten und Charakteristika der Elemente, auf Mit der Abkehr von monokausalen Erkla¨ rungsbemu¨ - die Rezipienten treffen ko¨ nnen, wenn sie sich einem hungen wird die Frage nach dem Wirksamwerden Medium oder einem medialen Angebotsbereich zu- medialer Einflu¨ sse nicht etwa negiert, sondern viel- wenden. Wer diese Mo¨ glichkeit der Zuwendung in mehr umfassender gestellt und angegangen: Wir- welchem Ausmaß und mit welchen Folgen realisiert, kungsdimensionen von Medien sind --- abgesehen ist auf der Basis inhaltsanalytischer Untersuchungen von kurzzeitig emotionalisierenden Effekten --- ein- hingegen nicht zu kla¨ ren. Aus inhaltsanalytischen gebunden in komplexe Prozesse, in ein Wechselspiel Befunden auf Wirkungsdimensionen bei den Rezi- zwischen Medium und Rezipient. Die Ergebnisse pienten ru¨ ckzuschließen, was oft nicht durch die For- dieses Wechselspiels werden auf beiden Seiten von scher, sondern durch verku¨ rzte Rezeption in der O¨ f- einer Vielzahl von Faktoren moderiert. Geht es um fentlichkeit geschieht, bedeutet U¨ berinterpretation, Gewaltdarstellungen, so ist auf seiten des Mediums da ja die Rezipientenseite nicht untersucht wurde. bespielsweise relevant, welche Art von Gewalt pra¨ - sentiert wird, ob sie physisch oder psychisch ist, in Seit den 80ziger Jahren haben qualitative Ansa¨ tzen, welcher Darbietungsweise dies geschieht, in verhal- die sich der Rezeption von Medien widmen, in der ten distanzierter oder reißerisch brutaler, und in wel- Medienforschung erheblich an Gewicht gewonnen. che Kontexte dies eingebettet ist, in fiktive, realita¨ ts- In den Mittelpunkt stellt diese Forschungsrichtung nahe oder realistische. Auf seiten der Rezipierenden die Frage nach der Bedeutung, die die Rezipienten sind alters- und geschlechtsspezifische Komponen- den Medien und ihren Inhalten fu¨ r ihr Leben zumes- ten sowie soziale und perso¨ nliche Lebensbedingun- sen bzw. die sich aus deren allta¨ glichen Verhaltens- gen und eigene Gewalterfahrungen von Bedeutung; weisen erschließen la¨ ßt. Grundlegend ist die Auffas- sie beeinflussen die Zuwendung zu gewalthaltigen sung, daß Medienrezeption soziales Handeln ist, daß Angeboten, die Intensita¨ t ihrer Nutzung, die Mo¨ g- der Mensch der Realita¨ t insgesamt, und folglich auch lichkeiten der Distanzierung und Verarbeitung und den Medien als einem Bestandteil der Realita¨ t, als die subjektive Bedeutungszumessung. aktives Subjekt begegnet. Die Rezeption von Me- dieninhalten erfolgt entsprechend aktiv und in sub- In den heute vertretenen Richtungen der Medienfor- jektiven Prozessen der Selektion, Interpretation und schung herrscht weitgehende Einigkeit u¨ ber die Vor- Verarbeitung. Im Ergebnis dieser Prozesse ergeben aussetzungen, unter denen Medien und ihre Inhalte sich Nutzen und Probleme, die die Rezeption von Wirkungen auf die Rezipienten entfalten ko¨ nnen: Medieninhalten fu¨ r das Subjekt mit sich bringt. Diese 1) Die Rezeption von Medieninhalten ist eingebettet Grundlegung gilt fu¨ r alle Rezipientengruppen, auch in das Gesamt der Lebenswelt. Medien sind ein So- fu¨ r die ju¨ ngsten. Methodisch pra¨ ferieren diese An- zialisationsfaktor neben anderen und sie erhalten im sa¨ tze Vorgehensweisen, die den untersuchten Rezi- ¨ Zusammenspiel mit diesen Bedeutung fu¨ r die per- pientengruppen angemessene Formen der Außerung so¨ nliche und soziale Haltung des rezipierenden Sub- ermo¨ glichen, ihre Sichtweisen zutage fo¨ rdern und ih- jekts. ren Lebenskontext als Interpretationsfolie integrieren ko¨ nnen. In vielen Untersuchungen stehen entspre- 2) Entsprechend haben Medien und ihre Inhalte in chend aufwendige Einzelfallstudien im Mittelpunkt, erster Linie Versta¨ rkungseffekte. Sie unterstu¨ tzen 11) Vgl. z. B. Groebel, J., Gleich, U. (1993). Gewaltprofil des 10) Kunczik, M. (1994). Gewalt und Medien. 2. aktualisierte deutschen Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots und u¨ berarbeitete Auflage. Wien S. 152 privater und o¨ ffentlich-rechtlicher Sender. Opladen.
15 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode die mit den verschiedenen Verfahren der verstehen- reglementiert. Mit zunehmenden Alter werden den den Interpretation ausgewertet werden. Kindern zuna¨ chst in bezug auf bestimmte Genres, wie etwa Cartoons, Selbstbestimmungsmo¨ glichkei- ten eingera¨ umt. Naht das Jugendalter, werden die 2.3 Im aktuellen Fokus qualitativer Rezipien- Freira¨ ume zunehmend gro¨ ßer. tenforschung: Kind und Fernsehen Ein anderer Teil der Untersuchungen wendet sich Viele qualitative Rezeptionsstudien, die in den ver- der Kla¨ rung konkreter Aspekte der Fernsehnutzung gangenen Jahren durchgefu¨ hrt wurden, beziehen und -rezeption zu. Dabei geht es um konkrete Um- sich auf Kinder und ihren Umgang mit dem Fernse- gangsweisen von Kindern unterschiedlichen Alters hen bzw. mit einzelnen Fernsehangeboten. Dabei gilt und Geschlechts mit bestimmten Genres, Inhalts- 13 das Interesse insbesondere der Bedeutung, die dem und Dramaturgie-Elementen ). In der Zusammen- Medium Fernsehen im Prozeß des Heranwachsens schau der Ergebnisse dieser Untersuchungen sind und der Sozialisation zukommt. folgende Befunde fu¨ r den Kinder- und Jugendme- dienschutz wesentlich: 1) Kinder haben ein eigenes Versta¨ ndnis von Inhal- 2.3.1 Fernsehrezeption von Kindern ten und Dramaturgien von Fernsehsendungen, das Ein Teil der Studien na¨ hert sich dem Verha¨ ltnis Kind nicht nur von dem Erwachsener abweicht, sondern und Fernsehen mit dem Ziel, Rezeptionsprozesse auch erhebliche Differenzen zu den u¨ ber Inhalts- grundsa¨ tzlich zu kla¨ ren: So geht es beispielsweise analysen erfaßten Sendungsgehalten aufweist. Die um die Konstanten kindlicher Fernsehrezeption, um Fa¨ higkeit, Fernsehen angemessen zu entschlu¨ sseln, die generelle Bedeutung von Medieninhalten fu¨ r die entwickelt sich im Altersverlauf. Von einer der Er- Gestaltung und Bewa¨ ltigung von Alltagssituationen, wachsenenrezeption vergleichbaren Perspektive auf um die Funktionen, die Medieninhalte fu¨ r die Bewa¨ l- Fernsehinhalte und -dramaturgien ist jedoch erst im tigung von Entwicklungsaufgaben und Identita¨ tspro- Jugendalter auszugehen. blemen haben oder um den Fernsehkonsum in ver- 2) Zentrale Bedeutung haben fu¨ r Kinder die Heldin- schiedenen Altersstadien und deren Einbettung in nen und Helden von Fernsehangeboten. Ma¨ dchen 12 familia¨ re Fernsehgewohnheiten ). Die Ergebnisse und Jungen zeigen dabei unterschiedliche Pra¨ feren- dieser Untersuchungen erlauben folgende, fu¨ r den zen und in geschlechtsspezifischer Separierung ver- Kinder- und Jugendmedienschutz relevanten suchen sie, sich mit ihren eigenen Erfahrungen, Schlu¨ sse: Wu¨ nschen und auch A¨ ngsten in ihren Fernsehlieb- 1) Kinder sind aktive Rezipienten und wenden sich lingen zu spiegeln, ihnen brauchbare Facetten fu¨ r dem Fernsehen (und anderen Medien) zielgerichtet das Ausleben von Phantasien, aber auch fu¨ r den Um- zu. Sie nutzen Inhaltselemente, um ihre Bedu¨ rfnisse gang mit allta¨ glichen Anforderungen zu entnehmen. und ihre handlungsleitenden Themen zum Ausdruck Was sie finden und fu¨ r sich als brauchbar in Erwa¨ - zu bringen bzw. weiter zu bearbeiten oder um reale gung ziehen, u¨ bernehmen sie jedoch nicht einfach, Kommunikationssituationen zu gestalten. sondern modellieren es im Wechselspiel mit der eige- nen Wirklichkeit. 2) Das Fernsehen hat fu¨ r Kinder Orientierungsfunkti- on. In Fernsehangeboten, insbesondere in Fernsehfi- 3) Ein regelrechter Begleiter durch die Kindheit sind guren, suchen sie nach subjektiv verwertbaren Hin- die Zeichentrickangebote. Vom Vor- bis zum Ende weisen fu¨ r die Ausformung personaler und sozialer des Grundschulalters za¨ hlt dieses Genre zu den Fa- Identita¨ t. voriten des Kinderpublikums. Ma¨ dchen und Jungen verteilen ihre Gunst bereits ab dem Ende des Vor- 3) Je ju¨ nger die Kinder sind, desto gro¨ ßer ist die elter- schulalters unterschiedlich, wobei sich die Jungen liche Aufmerksamkeit fu¨ r den Fernsehkonsum. Ins- insbesondere den actionreichen Angeboten zuwen- besondere Kinder im Vor- und im fru¨ hen Grund- den. Geschlechtsspezifisch sind auch die Auspra¨ gun- schulalter werden hinsichtlich der Dauer und der Inhalte der Fernsehnutzung von den Eltern deutlich 13) Zu Untersuchungen mit solchen Schwerpunkten vgl. z. B.: Theunert, H. u. a. (1994(2)): Zwischen Vergnu¨ gen und 12) Zu Untersuchungen mit diesen Schwerpunkten vgl. z. B.: Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin. Charlton, M., Neumann, K. (1986). Medienkonsum und Le- Theunert, H., Schorb B. (Hrsg.). (1996). Begleiter der Kind- bensbewa¨ ltigung in der Familie. Methoden und Ergebnisse heit. Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. Mu¨ n- der strukturanalytischen Rezeptionsforschung --- mit Fall- chen. darstellungen. Mu¨ nchen, Weinheim. Paus-Haase, I. (Hrsg.) (1991). Neue Helden fu¨ r die Kleinen. dies. u.a. (1990). Medienrezeption und Identita¨ tsbildung. Das (un)heimliche Kinderprogramm des Fernsehens. Mu¨ n- Kulturpsychologische und kultursoziologische Studien zum ster. Gebrauch von Massenmedien im Vorschulalter. Tu¨ bingen. Aufenanger, S. u.a. (1989). Das kindliche Verstehen verste- Bachmair, B. (1990). Interpretations- und Ausdrucksfunkti- hen. Eine qualitative Analyse von Rezeptionsweisen und - on von Fernseherlebnissen und Fernsehsymbolik. In: bedingungen bei Kindern anhand von Fernsehfilmen. In: Charlton, M., Bachmair, B. (Hrsg.). (1990). Medienkommu- Mu¨ ller-Doohm, S., Neumann, K. (Hrsg.) (1989). Medienfor- nikation im Alltag. Interpretative Studien zum Medienhan- schung und Kulturanalyse. Oldenburg. deln von Kindern und Jugendlichen. Mu¨ nchen. Charlton, M. u. a. (1995). Fernsehwerbung und Kinder. Das Ku¨ bler, H.-D., Swoboda, W. H. (1998). Wenn die Kleinen Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und Fernsehen. Die Bedeutung des Fernsehens in der Lebens- seine Verarbeitung durch Kinder. Opladen. welt von Vorschulkindern. Berlin. Baacke, D., Kommer, S. (1997). Die Werbung und die Kin- Schorb, B. u. a. (1992). Wenig Lust auf starke Ka¨ mpfer. Zei- der. Fakten aus Untersuchungen. In: medien + erziehung chentrickserien und Kinder. Mu¨ nchen. 4/1997
16 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 gen der Orientierungen, die Kinder den Cartoons mit Ablehnung, Irritation und Angst reagieren. Fu¨ r und ihren Heldenfiguren zu entnehmen trachten. Die den Kinder- und Jugendmedienschutz sind vor die- Suche von Ma¨ dchen bzw. Jungen richtet sich auf sem Hintergrund folgende Aspekte besonders rele- weibliche bzw. ma¨ nnliche Vorbilder in Aussehen, vant: Verhalten und Handeln. Mit dem Ende der Grund- schulzeit verlieren Cartoons an Attraktivita¨ t, die Vor- 1) Die Gewaltschwelle der meisten Kinder wird nicht lieben verlagern sich auf Realfilmserien. u¨ berschritten, wenn ,saubere’ Gewalt gezeigt wird, also die Folgen von Gewaltta¨ tigkeit ausgeblendet 4) Fernseh-Werbespots sind fu¨ r Vorschulkinder nicht oder verharmlost werden, und wenn die Gewaltan- sicher vom Programm zu unterscheiden. Mit zuneh- wendung in die ga¨ ngigen Legitimationsklischees mendem Alter wa¨ chst diese Fa¨ higkeit und ab ca. eingebettet ist, wonach die ,Guten’ sich der ,Bo¨ sen’ Mitte des Grundschulalters wird auch die Absicht erwehren mu¨ ssen und dazu selbstversta¨ ndlich Ge- von Werbespots durchschaut. Versteckte, in Sendun- waltmittel nutzen du¨ rfen. Die Mehrheit der Kinder gen integrierte Werbung zu erkennen, fa¨ llt Kindern toleriert diese Art von Gewalt und etliche, insbeson- insgesamt schwer. Als real wie medial in vielfa¨ ltigen dere die Jungen, deklarieren sie als notwendiges Formen pra¨ senter Bestandteil von Lebenswelt wird Spannungselement. Fu¨ r die Begru¨ ndung dieser Hal- der Werbung erheblicher Einfluß auf den Alltag von tung greifen die Kinder auf die in den Sendungen an- Kindern (und auch von Jugendlichen) zugemessen. gebotenen Klischees zuru¨ ck und fu¨ gen sie in die ei- gene Argumentation ein.
2.3.2 Der Umgang von Heranwachsenden mit 2) U¨ berschritten wird die Gewaltschwelle hingegen Fernsehgewalt fast ausnahmslos, wenn die Leiden der Opfer dra- stisch und blutig in Szene gesetzt sind. Die bei den Die Frage nach dem Umgang von Kindern mit Ge- Kindern dann zutage tretende Ablehnung, Irritation waltdarstellungen im Fernsehen wurde speziell in und Angst steigern sich, wenn sie die Kontexte nicht den qualitativen Studien gestellt, die in den letzten verstehen ko¨ nnen oder wenn sie die Sicherheit in der Jahren im Institut Jugend Film Fernsehen (JFF) Unterscheidung von Fiktion und Realita¨ t verlieren, durchgefu¨ hrt wurden. Untersucht wurden dabei die was z.B. bei mystischen Geschehnissen der Fall ist. Wahrnehmung und Verarbeitung von Gewaltdarstel- lungen, mit denen Kinder in ihren bevorzugten Gen- 3) Auf Darstellungen von realem Gewaltgeschehen res konfrontiert werden, die Haltung, die Ma¨ dchen oder auf realita¨ tsnah inszenierte Gewalt reagieren und Jungen in verschiedenen Altersstadien zu Ge- Kinder insgesamt besonders sensibel. So stellt die waltdarstellungen und gewalthaltigen Konfliktlo¨ - Darstellung der Grausamkeiten unserer Wirklichkeit sungsmustern in Zeichentrickangeboten einnehmen, in Nachrichtensendungen eine erhebliche emotio- sowie die kindlichen Umgangsweisen mit Darstellun- nale Belastung dar, die durch die schwer versta¨ ndli- gen realen Gewaltgeschehens in Informations- und che Darbietung oft noch versta¨ rkt wird. Infotainment- Infotainmentsendungen14). Gefragt wurde in all und Reality-TV-Sendungen bergen ebenfalls emotio- diesen Studien, welches Gewaltversta¨ ndnis Kinder nale Belastungspotentiale. Daru¨ ber hinaus legen sie haben, welche Gewaltdarstellungen in Fernsehange- teilweise Sichtweisen von der Welt und vom Erleben boten sie realisieren, wie sie sie bewerten, wie sie ih- und Handeln der Menschen nahe, die bei Kindern re medialen Gewalterfahrungen be- und verarbeiten die Entwicklung angstbesetzter Zerrbilder der Wirk- und wie diese Aspekte in Abha¨ ngigkeit von Alter lichkeit begu¨ nstigen ko¨ nnen. und Geschlecht, von sozialem Herkunftsmilieu und realem Lebenskontext variieren. 4) Bei der Darstellung realer Gewalt sind Kinder, de- ren Wahrnehmung auf physische Gewalt konzen- Als ein zentrales Ergebnis zeigte sich in allen JFF- triert ist, auch fu¨ r Formen psychischer Gewalt auf- Studien, daß der kindliche Umgang mit Fernsehge- merksam. Je na¨ her Kinder Gewalt an der walt von einer ,Gewaltschwelle’ moderiert wird. Wirklichkeit und vor allem an ihrer eigenen Wirklich- Diese Gewaltschwelle ist in erster Linie lebenswelt- keit verorten, desto mehr differenziert sich die Wahr- abha¨ ngig, das heißt, sie konstituiert sich aus den Ge- nehmung, desto gro¨ ßer wird die Betroffenheit und walterfahrungen, die die Kinder in ihrem Alltag und desto schwieriger wird Distanzierung und oft auch ihrer Umgebung machen; hierin fu¨ gen sich die u¨ ber Verarbeitung. verschiedene Medien vermittelten Gewalterlebnisse ein. Die Gewaltschwelle ist entsprechend subjektiv Diese Befunde verweisen die Programmacher darauf, gepra¨ gt, weist jedoch Gemeinsamkeiten auf, prima¨ r daß sowohl bei Angeboten fu¨ r Kinder als auch bei innerhalb der Geschlechtergruppen und innerhalb Angeboten, die zu Zeiten ausgestrahlt werden, an der Sozialmilieus. Die Gewaltschwelle ist der Maß- denen Kinder vor dem Apparat sitzen, besondere stab dafu¨ r, welche Darstellungen Kinder tolerieren Sorgfalt auf den Umgang mit Gewaltinhalten gelegt oder sogar als Action gutheißen und auf welche sie werden sollte, daß also diese Befunde der Kinder als ,Produktionsschwelle’ dienen sollten. Fu¨ r Eltern und 14) Zu solchen Untersuchungen vgl. z. B.: Erzieher bedeutet es, daß diese zum einen u¨ ber die Theunert, H. u.a. (1994 (2)). Zwischen Vergnu¨ gen und potentiellen Probleme, die mit der Gewaltrezeption Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin. ihrer Kinder entstehen ko¨ nnen, aufgekla¨ rt werden Theunert, H., Schorb, B. (1995). ,Mordsbilder’. Kinder und sollten, und zum anderen, daß sie fa¨ hig sein sollten, Fernsehinformation. Berlin. Theunert, H., Schorb, B. (Hrsg.) (1996). Begleiter der Kind- ihre Kinder vor belastenden Medieninhalten zu heit. Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. Mu¨ n- schu¨ tzen bzw. ihnen gegebenenfalls Hilfestellung chen. bei deren Verarbeitung zu leisten.
17 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Die Ergebnisse der JFF-Studien zum kindlichen Um- ierlichen Fortschreitens ist, sondern daß er von gang mit Fernsehgewalt kommen denen, die in a¨ lte- Bru¨ chen, Stagnationen und Ru¨ ckschritten gepra¨ gt ren und den wenigen aktuelleren Untersuchungen ist, die sich in bestimmten Sozialmilieus und in der mit Jugendlichen15) ermittelt wurden, zum Teil sehr Gruppe der ma¨ nnlichen Heranwachsenden zu bu¨ n- nahe. U¨ bereinstimmungen zeigen sich v.a. in folgen- deln scheinen. Zu erha¨ rten sind diese Hinweise nur den Punkten: u¨ ber Langzeituntersuchungen, die es ermo¨ glichen, die Entwicklung von der fru¨ hen Kindheit bis ans En- 1) Die Abha¨ ngigkeit des Umgangs mit Fernsehge- de des Jugendalters zu verfolgen. Hieru¨ ber wa¨ ren walt von den eigenen Gewalterfahrungen und -er- Aufschlu¨ sse daru¨ ber zu gewinnen, womit negativ zu lebnissen ist fu¨ r Kinder und fu¨ r Jugendliche gleicher- wertende Entwicklungen zusammenha¨ ngen und in maßen existent und belegt. Fu¨ r beide Gruppen ist welchen Lebensstadien pa¨ dagogische Interventionen das in der Realita¨ t ausgeformte Gewaltversta¨ ndnis besonders wichtig und erfolgversprechend wa¨ ren. leitend fu¨ r die Haltung gegenu¨ ber medialen Gewalt- pra¨ sentationen. 2) Fu¨ r Kinder wie fu¨ r Jugendliche ist das Leiden der 2.4 Medienwirkungsforschung in der ku¨ nfti- Opfer der zentrale Zugang zu Gewalt. Die Art und gen Medienwelt: Alte Problemlagen und Weise, wie damit im Fernsehen umgegangen wird, neue Dimensionen entscheidet u¨ ber die Haltung, die Heranwachsende Betrachtet man das Spektrum der Erkenntnisse zu zu Gewaltdarstellungen einnehmen (vgl. oben zur medialen Einflu¨ ssen, die im Prozeß des Heranwach- ,Gewaltschwelle’). Entscheidend sind fu¨ r beide sens bedeutsam und somit auch fu¨ r den Kinder- und Gruppen die Drastik der Darstellung, wobei Kinder Jugendmedienschutz relevant sind, so zeigen sich auf blutige Inszenierungen noch sensibler reagieren, hinsichtlich der untersuchten Medien und Themen- und der Unterschied zwischen fiktionalem und rea- felder deutliche Konzentrationen. lem Gewaltgeschehen. Von den Medien, die fu¨ r Heranwachsende wichtig 3) Die Wahrnehmungsdifferenzierung, gesteigerte sind, ist das Fernsehen mit einem relativ breiten Sensibilita¨ t und Betroffenheit bei Gewaltdarbietun- Spektrum seiner inhaltlichen Angebote am weitest- gen, die realita¨ tsnah sind oder der Realita¨ t entstam- gehendsten untersucht. Auf der inhaltlichen Seite ist men, finden sich in beiden Altersgruppen. Jugendli- dabei eine deutliche Konzentration auf fiktionale An- che reagieren jedoch auf die Pra¨ sentation realen gebote zu konstatieren; die informative oder pseudo- Gewaltgeschehens in geringerem Maße mit Angst- informative Angebotspalette ist unter Wirkungs- gefu¨ hlen als Kinder. aspekten bisher eher randsta¨ ndig behandelt. Andere sogenannte alte Medien, die im Kinder- und Jugend- 4) Im kindlichen Gewaltversta¨ ndnis ist in erster Linie alltag bedeutsam sind, wie etwa die breite Palette physische Gewalt pra¨ sent; schon die Wahrnehmung der Ho¨ rmedien, geraten unter Fragen der Wirkung der psychischen Dimension ist an spezifische Bedin- seit eh und je kaum in den Blick. gungen gebunden und findet sich vorwiegend bei a¨ l- teren Kindern und solchen mit einem intellektuell ge- Die sogenannten neuen Medien sind hinsichtlich ih- pra¨ gten Lebenshintergrund. Jugendliche hingegen rer Einflu¨ sse und Wirkungen auf den Kinder- und Ju- kennen ein breites Spektrum von Gewaltformen. Da- gendalltag weitestgehend unerforscht. Bereits bei zu za¨ hlen auch strukturelle Gewaltformen, die Kin- den eigentlich gar nicht mehr neuen Computerspie- der noch gar nicht realisieren ko¨ nnen. Diese komple- len geht das Wissen u¨ ber Angebotsanalysen auf der xen Gewaltverha¨ ltnisse werden jedoch auch von einen und Pra¨ ferenzen von Kindern und Jugendli- Jugendlichen um so umfassender wahrgenommen, je chen auf der anderen Seite kaum hinaus. Ob und in- intellektueller die Herkunftsmilieus sind. wiefern beispielsweise Computerspiele ebenso wie Fernsehangebote Orientierungsfunktionen fu¨ r Her- ¨ Derartige Ubereinstimmungen der Ergebnisse aus anwachsende erfu¨ llen, und welche Bedeutung dabei der Untersuchung von Kindern und Jugendlichen der Mo¨ glichkeit zukommt, die Aktionen der Spielfi- weisen darauf hin, daß sich das Versta¨ ndnis und die guren aktiv zu steuern u. a¨ ., wird bisher allenfalls auf Wahrnehmung von Gewalt ebenso wie der Umgang der Ebene von Plausibilia¨ t ero¨ rtert. Was weitere me- mit ihrer medialen Pra¨ sentation im Verlauf der Sozia- diale Spielwelten auf CD-ROM, im Cyber Space oder lisation entwickeln und ausformen. Die Befunde le- im Internet angeht, so ist die Erkenntnislage zu Wir- gen zudem nahe, daß dies kein Prozeß des kontinu- kungsdimensionen auf Heranwachsende noch du¨ rfti- ger. 15) Zu solchen Untersuchungen vgl. z. B.: Theunert, H. (1996(2)). Gewalt in den Medien --- Gewalt in Was die Inhaltsbereiche angeht, von denen potentiell der Realita¨ t. Gesellschaftliche Zusammenha¨ nge und pa¨ d- gefa¨ hrdende Einflu¨ sse auf Heranwachsende ange- agogisches Handeln. Mu¨ nchen. nommen werden, so ist zweifelsohne der Bereich Ge- Schorb, B., Anfang, G. (1990). Was machen ,Airwolf’ und waltdarstellungen, und zwar wiederum konzentriert ,Knight Rider’ mit ihren jugendlichen Zuschauern? Eine auf das Medium Fernsehen, am ausgiebigsten unter- Untersuchung zweier Fernsehserien und ihrer Beurteilung durch Jugendliche. Mu¨ nchen. sucht. Defizite existieren hier --- neben dem weitge- Luca, R. (1993). Zwischen Allmacht und Ohnmacht. Unter- hend fehlenden Wissen zur Bedeutung von Gewalt- schiede im Erleben medialer Gewalt von Ma¨ dchen und darstellungen in anderen Medien --- insbesondere in Jungen. Frankfurt/M. bezug auf dauerhaft stabile und kumulative Effekte. Borcsa, M., Charlton, M. (1995). Mediengewalt und Me- dienpa¨ dagogik. Wie Jugendliche mit Actionfilmen umge- Das Themenfeld sexuelle Darstellungen, das in der hen. In: Televizion 2/1995 O¨ ffentlichkeit immer wieder fu¨ r Empo¨ rung und unter
18 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001
Jugendschu¨ tzern fu¨ r Streit sorgt, liegt in seiner Be- aktiven Nutzungsformen werden, desto gro¨ ßer wird deutung fu¨ r Kinder und Jugendliche nahezu voll- der Abstand zur Medienrezeption, so wie wir sie sta¨ ndig im Dunkeln. Das gilt fu¨ r sexuelle Darstellun- heute kennen. Zu erwarten stehen Vera¨ nderungen in gen in alten und neuen Medien gleichermaßen. den Wahrnehmungs- und Umgangsweisen, in den Gering ist auch das Wissen u¨ ber Wirkungsdimen- Formen der Interpretation und Verarbeitung, und da- sionen von medial pra¨ sentierten Inhalten, die die mit in den Bedeutungs- und Wirkungsdimensionen. Ausformung von Welt- und Menschenbildern bei Der Medienforschung werden sich entsprechend Heranwachsenden tangieren. Die Orientierungs- neue Fragen stellen, in bezug auf die Medienwelt funktionen, die Medieninhalte fu¨ r Heranwachsende und deren Rezeption insgesamt und in bezug auf ein- haben, beispielsweise fu¨ r fiktive wie informative zelne Inhaltsbereiche. Fernsehinhalte aufgezeigt, werden in einer zuneh- So du¨ rften Wirkungsdimensionen relevant werden, mend mit Medien gestalteten Unterhaltungs- und In- die aus einseitig zusammengesetzten Medienwelten, formationswelt an Brisanz gewinnen. Denn ku¨ nftig die sich durch gezielte Zu- oder Eingriffe herstellen du¨ rfte es immer schwerer werden, Realita¨ ts- und lassen, oder aus dem Distanzverlust, der mit dem ei- Wahrheitsgehalt von medial pra¨ sentierten Welt- und genen Agieren in interaktiven Medienwelten ver- Menschenbildern zu u¨ berpru¨ fen. bunden ist, resultieren. Wenn beispielsweise Kinder Die bereits heute vorhandenen Defizite und Lu¨ cken und Jugendliche durch Spartenangebote oder durch im Wissen um die fu¨ r Heranwachsende relevanten gezielte Auswahl aus verschiedenartigen Medien, medialen Wirkungsdimensionen werden sich in den noch ausschließlicher als es heute bereits mo¨ glich ist, neuen Medienwelten nicht reduzieren, eher --- so ist in action- und gewalthaltige Bildschirmwelten ein- zu vermuten --- potenzieren16). und abtauchen ko¨ nnen, wenn sie diese nicht nur konsumieren, sondern in ihnen auch scheinbar leib- Die Vervielfachung der Konsummedien und ihrer haftig agieren und sie gestalten ko¨ nnen, stellen sich Angebote sowie die interaktiven Nutzungsmo¨ glich- Fragen nach der Intensita¨ t von Identifikationen mit keiten werden die Rezeptionsweisen nicht unberu¨ hrt zweifelhaften Vorbildern und Rollenkonzepten oder lassen. Rezipienten, die zwischen hunderten von nach dem Gewicht, das das Medienerleben fu¨ r die Fernsehprogrammen wa¨ hlen, sich individuell mit be- Wahrnehmung und Gestaltung der eigenen Realita¨ t liebigen Video- und Spielangeboten vergnu¨ gen oder erha¨ lt, also Fragen nach problematischen Wirkungs- sich via Internet mit verschiedensten Informationen potentialen, in vera¨ nderter, vermutlich in verscha¨ rfter und Anregungen versorgen ko¨ nnen, werden sich in Form. kleine Gruppen zergliedern. Bereits diese Segmen- Will die Medienforschung erfassen und verstehen, tierung erfordert andere Forschungszuga¨ nge als die was Heranwachsende in den neuen Bildschirmwel- heute u¨ blichen. Denn von einem Medienangebot, ten tun, welche Motive ihr Tun leiten, was es fu¨ r sie das im Prinzip alle, die darauf zugreifen, in iden- bedeutet und welche Kraft die medialen Erlebnisse tischer Weise vorfinden, und in bezug auf das die und Erfahrungen fu¨ r ihr wirkliches Leben gewinnen, Subjektivita¨ t von Auswahl, Wahrnehmung, Interpre- wird sie sich mehr noch als heute auf die subjektiven tation, Verarbeitung und Bedeutungszuschreibung Prozesse des Rezipierens und des aktiven Eingreifens zum Tragen kommt, ist nicht mehr allein auszuge- und Gestaltens, die sich in den neuen Bildschirmwel- hen, weder fu¨ r Erwachsene noch fu¨ r Heranwachsen- ten abspielen, konzentrieren mu¨ ssen. Mit der Orien- de. Die ,objektive’ Komponente der Medienrezeption tierung auf das aktive Rezeptionssubjekt bietet die wird angesichts der Angebotsfu¨ lle bereits bei den qualitative Medienforschung hierfu¨ r Ansatzpunkte, Konsummedien schwerer faßbar und sie entfa¨ llt weit- die auch in einer ku¨ nftigen Medienwelt tragfa¨ hig gehend oder vo¨ llig dort, wo interaktives Medienver- sind. Sie erhebt den Anspruch, komplexe Prozesse halten mo¨ glich ist. der Medienrezeption zu erfassen, Strukturen und Die interaktiven Medienangebote, egal ob sie dem Hintergru¨ nde auf der Folie realer Lebenszusam- Unterhaltungs- oder Informationsbereich oder der menha¨ nge aufzudecken und so Wahrnehmungs-, Symbiose beider entstammen, werden neue Erle- Bewertungs- und Verarbeitungsmuster in unter- bensdimensionen ero¨ ffnen. Je raffinierter die inter- schiedlichen Rezipientengruppen zuga¨ nglich zu ma- chen. Sie kann mithin Ergebnisse liefern, die Ansatz- punkte fu¨ r die Beurteilung und Vera¨ nderung von 16) Zu den folgenden U¨ berlegungen vgl. Theunert, H. (1996). Perspektiven der Medienpa¨ dagogik in der Multimedia- Medienangeboten und fu¨ r angemessene jugend- Welt. In: Rein v., A. (Hrsg.) (1996). Medienkompetenz als schu¨ tzerische oder medienpa¨ dagogische Maßnah- Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn. men bieten.
19 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
3. Die Felder multimedialen Jugendschutzes: Computerspiele, Internet und digitales Fernsehen
Das Problem negativer medialer Inhalte stellt sich Aussagen macht u¨ ber die Nutzer dieser Spiele, u¨ ber stets im Zusammenhang mit attraktiven Angeboten deren Inhalte und u¨ ber die Problemstellungen des der Medien. Tabuisierte und extreme Bereiche des Kinder- und Jugendmedienschutzes. Zwar gibt es zu Lebens haben offensichtlich Attraktivita¨ t, und somit dem gesamten Bereich Multimedia noch keine Wir- ko¨ nnen auch Medieninhalte, wenn sie ins Extrem ge- kungsforschung, weil weder private noch o¨ ffentliche hen und Tabus verletzen, mit Akzeptanz rechnen, Fo¨ rderer dieser Fragestellung ausreichende Bedeu- die sich wiederum als Einschaltquote, Marktanteil, tung beimessen, aber u¨ ber die Spiele, ihre Inhalte Verkaufszahlen usw. fu¨ r den Medienanbieter rech- und ihre Nutzer ist einiges zusammengetragen wor- net. Die Verpackung fu¨ r das U¨ berschreiten von Gren- den. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß Computer- zen ist in der Regel der Bereich der Unterhaltung. spiele seit einigen Jahren zum beliebtesten Spiel- Problematische jugendschutzrelevante Inhalte finden zeug von Kindern und Jugendlichen geho¨ ren. sich in allen Medien, jedoch seltener in deren Infor- Zwar auch nicht mehr ganz neu, aber noch immer mations- als vielmehr im Unterhaltungsteil. Beson- nicht sehr verbreitet, ist das Internet, das ha¨ ufig ders wichtig wird die Akzeptanz, wenn ein Medium Schlagzeilen wegen seiner gewalthaltigen und/oder auf dem Markt noch nicht eingefu¨ hrt ist und die pornographischen Inhalte macht. Das Internet wird Grenze noch nicht u¨ berschritten hat, ab der es Profite wahlweise mystifiziert als die moderne Agora, der abwirft. Die Verletzung von Tabus wird in solchen demokratische Platz, auf dem volle Freiheit der A¨ uße- Fa¨ llen besonders gern genutzt, um den eigenen rung herrscht, oder als undurchsichtiges Netz fu¨ r Marktanteil auszuweiten, neue Kunden zu gewin- zwielichtige, anonyme Figuren, die mit Kinderporno- nen, o¨ ffentliche Resonanz auf das eigene Angebot zu graphie und anderem kriminellen Handeln bescha¨ f- erhalten usw. So hat sich der kommerzielle Fernseh- tigt sind. In einer U¨ bersicht u¨ ber das jugendschutzre- anbieter RTL mit sogenannten Softpornos zum zeit- levante Internetangebot wird ero¨ rtert, wie der weise gro¨ ßten TV-Anbieter entwickelt. Heute aller- Zugang zum Netz und seinen Inhalten mo¨ glich ist. dings verzichtet er auf ein solches Angebot, haftet Die problematischen Angebote, die im Netz auffind- ihm doch immer noch der Ruf eines „Tittensenders“ bar sind, werden klassifiziert und in einer U¨ bersicht an. Auf a¨ hnliche Weise hat 1997 der Anbieter von Be- dargestellt. Abschließend wird die Frage diskutiert, zahlfernsehen Premiere versucht, die Attraktivita¨ t welche Mo¨ glichkeiten des Jugendschutzes im Inter- seines Abonnements zu erho¨ hen. Im Widerstreit von net gegeben sind und wie deren Erfolgschancen zu Markt und Anstand hat er sich auf eine heftige Aus- sehen sind. einandersetzung mit den Medienwa¨ chtern, den Lan- Die Programmangebote des digitalen Fernsehens desmedienanstalten eingelassen. Auch im Internet sind noch u¨ berschaubar, da sich dieses weltweit noch spielt sich die Auseinandersetzung zwischen Markt in der Erprobungsphase befindet. Natu¨ rlich gilt auch und Anstand ab. Eine Reihe von Pornographiean- fu¨ r das digitale Fernsehen, das in Deutschland als geboten sind mit Werbung fu¨ r harmlose Produkte Monopol der beiden gro¨ ßeren kommerziellen Pro- verbunden. Die Produktanbieter nutzen die ver- grammanbieter offeriert werden soll, daß es durch meintliche Attraktivita¨ t dieser Programme, um neue Erotik und Action, und das sind in der Regel schlu¨ pf- Kunden anzusprechen. Nun ist vielleicht das Zuru¨ ck- rige und gewaltvolle Angebote, zahlende Zuschauer greifen auf pornographische Angebote deshalb so anlocken will. Die Digitalisierung bietet nun die beliebt, weil man kaum etwas u¨ ber deren tatsa¨ ch- Mo¨ glichkeit --- a¨ hnlich wie im Internet --- technische liche Attraktivita¨ t und noch weniger u¨ ber ihre Vorkehrungen zu treffen, um Eltern durch Sperren Wirkungen weiß. In jedem Falle sind die Unterhal- von Sendungen und Kana¨ len aktiven Jugendschutz tungsangebote diejenigen medialen Bereiche, in zu ermo¨ glichen. Hierbei sind einige Fragen zu stel- denen Tabuverletzungen und das U¨ berschreiten len, die anhand einer aktuellen Untersuchung beant- moralischer Grenzen am ehesten praktiziert werden. wortet werden. Die Fragen beziehen sich auf die Unterhaltung und damit jugendschutzrelevante In- tatsa¨ chliche Nutzung der Mo¨ glichkeiten des techni- halte finden sich im Verbund heutiger digitaler Mul- schen Jugendschutzes durch die Eltern. Sie werden timediaangebote vor allem als Bilder, Filme und gestellt sowohl bezogen auf die Anwendbarkeit der Spiele. An drei Manifestationen dieser Angebote sol- Technik als auch bezogen auf die tatsa¨ chliche Prakti- len im folgenden Teil die Fragen erla¨ utert werden, zierung von Jugendschutz durch Eltern, die bereits die sich dabei an den Jugendschutz stellen. Dabei heute Pay-TV abonniert haben. steht bei jedem Medium eine andere Fragestellung im Mittelpunkt. Aus der Zusammenschau aller drei 3.1 Computerspiele Teile ergibt sich so ein U¨ berblick u¨ ber die aktuellen Probleme und Aufgabenstellungen des Jugendme- Seit fast 30 Jahren gibt es Computerspiele. Noch in dienschutzes. den 80er Jahren galten sie als Insidermedium fu¨ r wenige, vor allem fu¨ r ma¨ nnliche Jugendliche. Inzwi- Die Computerspiele, der erste Teil, werden unter schen sind Computerspiele la¨ ngst zum generations- dem Aspekt des Forschungsstandes betrachtet, der u¨ bergreifenden Pha¨ nomen geworden.
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3.1.1 Die Technik sich zwischen Jungen und Ma¨ dchen im Computer- und Spielekonsolenbesitz, der bei den Jungen mit Die Entwicklung der Computerspiele ist eng ver- 64 % dreimal so hoch liegt wie bei den Ma¨ dchen mit knu¨ pft mit der allgemeinen Entwicklung der Compu- 21 %17). terhard- und -software. Je schneller und leistungsfa¨ - higer die Rechner wurden, desto komplexer Kinder und Jugendliche wenden sich in der Regel entwickelten sich die Spiele. Derzeit sind v.a. drei nicht u¨ ber einen la¨ ngeren Zeitraum hinweg kontinu- Computerspiel-Systeme in Gebrauch: Zum einen ierlich Computerspielen zu: Eine gewisse Zeit sind Spielkonsolen, die an das Fernsehgera¨ t angeschlos- diese „in“, dann verlieren sie eine Zeitlang ihren sen werden. Zum zweiten tragbare Spielkonsolen, Reiz usw. Computerspiele ko¨ nnen kurze Zwischen- wie der bei Kindern so beliebte ,gameboy’. Zum drit- erlebnisse sein oder aber zum Abtauchen u¨ ber meh- ten die Spiele, die am PC gespielt werden. Sie wer- rere Stunden und Tage hinweg fu¨ hren. Die in der den heute nur noch selten auf Diskette, sondern Reichweiten-Forschung u¨ blicherweise angegebenen meist auf CD-ROM angeboten. ta¨ glichen oder wo¨ chentlichen Durchschnittszeiten Die hohe Speicherkapazita¨ t der CD-ROM, die inzwi- haben deshalb nur eine sehr eingeschra¨ nkte Aus- schen das wichtigste Tra¨ germedium (nicht nur) fu¨ r sagekraft. Sie zeigen allerdings, daß die durch- Computerspiele geworden ist, erlaubt eine ausge- schnittliche Bescha¨ ftigungsdauer mit einem Compu- zeichnete grafische Gestaltung und Animation der ter doch relativ hoch ist. Sie betra¨ gt beispielsweise Spiele. Neu ist dabei, daß auch Filmsequenzen in bei den 6---13ja¨ hrigen Kindern, die einen Computer Fernsehqualita¨ t eingebunden werden ko¨ nnen. Die besitzen oder Zugang zu einem haben, ta¨ glich 1---2 Spieler werden zunehmend zu Akteuren einer Film- Stunden bei 21 %, 58 % dieser Gruppe nutzen den handlung und ko¨ nnen ,Schauspieler’ beeinflussen Computer mehrmals pro Woche18). In der Tendenz oder selbst in deren Rollen schlu¨ pfen. Der Ton, lange la¨ ßt sich festhalten, daß sich immer mehr ju¨ ngere Zeit nur monotone Gera¨ uschkulisse, ist nun zu einem Kinder mit Computerspielen bescha¨ ftigen, und daß wesentlichen Bestandteil der Spiele geworden. die Ha¨ ufigkeit der Nutzung bei 16ja¨ hrigen stark ab- nimmt. Als Zielgruppe fu¨ r anspruchsvolle Computer- Eine weitere Entwicklung deutet sich bereits an. Mit spiele werden inzwischen die 18---30ja¨ hrigen bewor- dem Ausbau der Telekommunikation, der ,Datenau- ben. Computernutzer verfu¨ gen in der Regel u¨ ber tobahn’, ko¨ nnen Computerspiele einfach und schnell eine große Anzahl von Spielen, nach der Bremer Stu- u¨ ber die Datennetze in den heimischen Computer die im Durchschnitt 50, davon 90 % als Raubkopien. geholt werden. Im globalen Internet werden --- stark zunehmend --- Spiele jeder Art angeboten und ausge- Kinder und Jugendliche spielen v.a. alleine oder mit tauscht. Geplant sind außerdem kommerzielle Ange- Freunden, selten mit Eltern oder anderen Erwachse- bote wie ,Games-on-demand’, wo Spiele a¨ hnlich wie nen. Gespielt wird in erster Linie zu Hause oder bei Filme gegen Bezahlung individuell von einer Daten- Freunden; Computerspiele in der Schule, in Freizeit- bank abgerufen und am heimischen Bildschirm be- einrichtungen oder im Kaufhaus haben eine weitaus liebig lange gespielt werden ko¨ nnen. geringere Bedeutung19). Eine zusa¨ tzliche Entwicklungslinie der Computer- spiele geht hin zum virtuellen Erleben im Cyberspa- ce. Abgeschlossen in einer eigenen Welt ko¨ nnen im 3.1.2.2 Inhalte der Spiele Datenhelm u¨ ber zwei LCD-Bildschirme dreidimen- sionale Bilderwelten und somit das Gefu¨ hl erlebt Waren die ersten Spiele, die auf den Markt kamen werden, sich in dieser Welt zu befinden. Versta¨ rkt noch schnelle und kurze Reaktionsspiele, bei denen wird dieser ra¨ umliche Eindruck durch stereophone es lediglich darum ging, irgendetwas abzuschießen, To¨ ne, die u¨ ber die im Helm eingebauten Kopfho¨ rer so zielen neuere Entwicklungen auf Langzeitmotiva- ¨ direkt ins Geho¨ r gelangen. Uber einen Datenhand- tion, d. h. auf ein regelma¨ ßiges Spielen. Dazu werden schuh oder ein anderes Steuerelement kann sich der Spiele mit komplexen Geschichten angeboten, die Spieler im Raum bewegen, Gegensta¨ nde vera¨ ndern, zunehmend u¨ ber mehrere Folgen hinweg verlaufen. feindliche Flugzeuge abschießen, anderen virtuellen Die Identifikationsfiguren und -muster werden meist Personen begegnen usw. Die bisherigen PC’s sind durch einen spannenden filmischen Vorspann dafu¨ r allerdings noch zu langsam. Ein mo¨ glicher Zu- schmackhaft gemacht. Die Reaktionsmo¨ glichkeiten griff auf Großrechner u¨ ber das Datennetz, wodurch der Spieler sind vielfa¨ ltig. In den anspruchsvolleren zu Hause nur die Endgera¨ te beno¨ tigt werden, ko¨ nnte Computerspielen gewinnen die Geschichten an Be- zu einer gro¨ ßeren Verbreitung fu¨ hren. deutung. Die Inhalte handeln von der bunten und geheimnisvollen Welt der Ma¨ rchen und Mythen. Viele Spielinhalte greifen auch direkt literarische 3.1.2 Spieler und Spiele Stoffe, bekannte und erfolgreiche Filme, Comics usw. auf. D. h. Computerspiele werden auch inhaltlich 3.1.2.1 Verbreitung und Nutzung von Computerspielen mehr und mehr Bestandteil eines breiten massenme- dialen Angebots und dessen Vermarktung. Eine Bremer Studie hat ergeben, daß 44 % der be- fragten Kinder und Jugendlichen einen eigenen 18 Computer besitzen. Markante Unterschiede zeigen ) Weiler, S. (1995). Computerkids und elektronische Medien. In: Media Perspektiven, 5/95, S. 228---234 19) Vgl. Schell, F. (1997): Computerspiele. In: Hu¨ ther, J., 17) Schindler, F. (1992). Computerspiele zwischen Faszination Schorb, B., Brehm-Klotz, C. (Hrsg.). Grundbegriffe Medien- und Giftschrank. Bremen, S. 32f pa¨ dagogik. Mu¨ nchen. S. 73---81
21 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Um ein mo¨ glichst großes Kaufinteresse zu wecken, das Lo¨ sen von Aufgaben Frauen zum Striptease zu werden Spiele mit vielen unterschiedlichen Aspek- bewegen, die Darbietung sexueller Handlungen ten angereichert und immer komplexer gestaltet. zu erreichen oder als Akteur in pornografische Flugsimulationen sind beispielsweise oft mit Kampf- Darbietungen manipulierend einzugreifen. sequenzen kombiniert. Die folgende Kategorisierung der ga¨ ngigen Spielarten kann zwar nicht alle Misch- --- (Neo)Nazistische Computerspiele: Diese Spiele formen erfassen, ist fu¨ r die Diskussion von Spielen sind u¨ berwiegend grafisch schlecht animierte und unter dem Aspekt des Kinder- und Jugendmedien- von Rechtschreibfehlern strotzende primitive Fra- schutzes jedoch notwendig und hilfreich. Die derzeit ge- und Antwort-Spiele (Multiple-Choise-Verfah- ga¨ ngigen Typisierungen20) ko¨ nnen wie folgt zusam- ren) im Nazi-Jargon. mengefaßt werden: Durch die weltweite Vernetzung entstehen neue For- men von Computerspielen, fu¨ r die es derzeit noch --- Abstrakte Denk- und Geschicklichkeitsspiele: In gar keine Typisierung gibt: abstrakten Szenarios mu¨ ssen diverse Figuren oder Formen gestapelt und ineinandergefu¨ gt oder u¨ ber --- Neue virtuelle Spielformen: Dazu geho¨ ren bei- schwieriges Terrain gelenkt, Gewinnpositionen er- spielsweise die Cyberspace-Spiele und die Multi- reicht oder Denkaufgaben gelo¨ st werden. User-Dungeons (MUD). Die MUD’s sind vor allem bei den u¨ ber 20ja¨ hrigen beliebt. Ein MUD ist ein --- Actionspiele: Unter Actionspiele ko¨ nnen alle virtueller Raum, in den sich Spieler aus der ganzen Kampf-, Kriegs- und Ballerspiele, aber auch die Welt einloggen ko¨ nnen. Man kann eine selbstdefi- Jump’n-run-Spiele (Funny Games) subsumiert nierte Rolle einnehmen, mit anderen in vielfa¨ ltiger werden. Weise kommunizieren. --- Simulationen: Simulationsspiele beinhalten sehr verschiedene Bereiche. Zum einen geho¨ ren dazu 3.1.2.3 Spieler und problematische Spiele die Wirtschafts-, Gesellschafts- und Weltsimulatio- nen (Go¨ tter-Spiele). Einen zweiten Bereich bilden In der Auswertung vorliegender Untersuchungen die unterschiedlichen Fahrzeugsimulationen (Au- kommen Beierwaltes u. a. zu dem Schluß, daß es den to/Flugzeug), und ein dritter Bereich umfaßt die typischen Spieler nicht gibt. Als einzige Gruppe, der unza¨ hligen Sportsimulationen. eindeutig die Nutzung bestimmter Computerspielar- --- Adventures: Hier geht es um ganze, teilweise sehr ten zugeordnet werden kann, sehen sie die ma¨ nnli- komplexe Spielgeschichten, die es in Form von chen Jugendlichen im Alter von 14 oder 15 Jahren, Text- oder Grafikadventures, als Action-Adventu- die gerne indizierte Spiele, das sind v. a. Kriegs- und res, Fantasy- und Historien- oder Science-Fiction- andere gewalthaltige sowie pornographische Spiele, Geschichten gibt. Die sog. Power-Adventures nutzen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Nutzung 21 schaffen eine Verbindung zu den Kampfspielen. auch bei jungen Ma¨ nnern wieder ab ). Die Bremer Studie besta¨ tigt dies und verweist auf einen bedeu- --- Strategiespiele: Strategiespiele haben zumeist mi- tenden Unterschied in der geschlechtsspezifischen lita¨ rische Inhalte. Vergleichbar dem Schachspiel Nutzung: Ma¨ dchen bevorzugen eindeutig Geschick- geht es um die richtige Positionierung von Waffen lichkeits- und einfache Denkspiele (60 %), die und Personal. Strategiespiele sind zumeist nur Kampf- und Kriegsspiele (13 %) und auch die ,an- schwer von Simulationen abzugrenzen. spruchsvolleren’ Spiele (16 %) spielten bei ihnen fast keine Rolle. Bei den Sportspielen gibt es kaum ge- --- Rollenspiele: Rollenspiele sind als Gruppenerleb- schlechtsspezifische Unterschiede, lediglich Auto- nisse beliebt. Dabei ko¨ nnen die Rollen nach ver- rennen bevorzugen Jungen etwas mehr als Ma¨ d- schiedenen Charakteren ausgewa¨ hlt werden. Die chen. Insgesamt gibt es den Trend, daß die Ju¨ ngeren Handlungsmo¨ glichkeiten sind je nach Charakter ab 5 Jahren die Geschicklichkeits- und Actionspiele eingeschra¨ nkt. bevorzugen. Bei den A¨ lteren ab ca. 12 Jahren erwei- Neben diesen Haupttypen gibt es noch einige Son- tern sich die Vorlieben auf die anderen Bereiche, die derformen der Computerspiele: als anspruchsvoller bezeichnet werden22). --- Lernspiele: Auch in Zeiten von Multimedia sind In der Bremer Studie wird die Nutzung der als pro- Lernspiele oft nicht mehr als bloße Paukmaschinen blematisch geltenden Spielearten bei 9---18ja¨ hrigen zum Erlernen schulischer Inhalte, ha¨ ufig garniert na¨ her betrachtet23): Gewalthaltige Spiele (Baller- mit Action-Elementen. spiele mit Kriegsszenario, Kampfspiele) kennen 48 % der Computernutzer (71 % der Jungen und 16 % der --- Pa¨ d-Spiele: Pa¨ d-Spiele versuchen, den Spaß an Ma¨ dchen), wobei 55 % der genannten Titel indiziert Computerspielen fu¨ r die Vermittlung allgemeiner waren. Die genannten Gewaltspiele werden von den pa¨ dagogischer Inhalte zu nutzen. Themen wie Kindern und Jugendlichen u¨ berwiegend positiv be- ,Aids’ oder ,Rechtsradikalismus’ werden via Com- urteilt, 58 % der genannten Spiele finden sie gut. puterspiel thematisiert. Pornographische Spiele kannten 38 % der befragten --- Porno-Spiele: Bei den Porno-Spielen, die heute Filmqualita¨ t haben, geht es meist darum, durch 21) Beierwaltes, A., Grebe, B., Neumann-Braun, K. (1993): Indi- zierte Computerspiele --- Markt und Spieler. In: Bundeszen- trale fu¨ r Politische Bildung (Hrsg.). Computerspiele. Bonn. 20) Vgl. Schell ebd.; Fehr, W., Fritz, J. (1993): Videospiele und S. 89---104 ihre Typisierung. In Bundeszentrale fu¨ r Politische Bildung 22) Schindler ebd. S. 58ff (Hrsg.). Computerspiele. Bonn. S. 67---88 23) Schindler ebd. S. 93ff
22 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001
Kinder und Jugendlichen (54 % der Jungen und puterspiele wird in den Spielinhalten und in der 17 % der Ma¨ dchen), 20 % dieser Spiele standen auf Spielsituation gesehen. dem Index. Die pornographischen Spiele stoßen bei den Kindern und Jugendlichen auf deutliche Ableh- Bei den Spielinhalten ist es in erster Linie die Gewalt, nung, 51 % beurteilen sie als schlecht. die als Gefa¨ hrdungspotential angenommen wird, aber auch Pornografie und nazistisches Gedanken- Nazispiele (Spiele, in denen Nazis vorkommen oder gut geho¨ ren zu den als problematisch eingescha¨ tzten die sich gegen Ausla¨ nder richten) nennen 17 % der Inhalten. Zu den Auswirkungen der Nutzung von Heranwachsenden (25 % der Jungen und 6 % der Spielen der beiden letztgenannten Kategorien liegen Ma¨ dchen), 20 % der genannten Titel sind indiziert. keine Untersuchungen vor. Diese Nazispiele werden u¨ berwiegend abgelehnt. Immerhin werden von den Kinder und Jugendlichen Die Ergebnisse der o.a. Bremer Studie, die durch 21 % der Nazispiele fu¨ r gut und 69 % fu¨ r schlecht be- kleinere andere Umfragen gestu¨ tzt werden, zeigen, funden. Gefragt nach ihren Lieblingsspielen waren daß die Nazispiele von den Jugendlichen weitge- unter 400 genannten Spielen 31 indizierte. Es han- hend abgelehnt werden. Sie sind zwar relativ be- delt sich dabei in erster Linie um Gewaltspiele und kannt, was sie vorwiegend wohl der jugendlichen pornografische Spiele. Nazispiele spielen mit jeweils Neugier nach dem Verbotenen und dem Reiz der unter 1 % eine untergeordnete Rolle, wobei man je- ,subversiven’ Ta¨ tigkeit gegen die Erwachsenenwelt doch bedenken muß, daß es insgesamt relativ wenig zu verdanken haben, und weniger ihren Inhalten. Nazispiele gibt. Dennoch bleibt die Frage offen, inwieweit real vor- Wesentlich schwieriger als die Bestimmung aller handenes (neo)nazistisches Gedankengut, Ausla¨ n- derfeindlichkeit, Nationalismus u.a¨ . durch die doch quantitativen Nutzungsdaten ist die Rekonstruktion der individuellen und sozialen Motive fu¨ r das Com- beachtlich weit verbreiteten Spiele im Kontext mit anderen Medien mit a¨ hnlichen Inhalten Besta¨ tigung puterspielen. Seit Beginn der Computerspiele gelten als Hauptmotive die Aspekte Macht, Erfolg und Ab- und Versta¨ rkung finden. Die Tatsache, daß solche Spiele produziert und --- wenn auch nur voru¨ berge- tauchen24). Computerspiele vermitteln das Gefu¨ hl der Macht. Die Maschine tut, was man ihr befiehlt. hend --- genutzt werden, ist bedenklich. Der Spieler bewegt etwas am Rechner, erzeugt Effek- Die pornographischen Spiele sind kaum verbreitet. te, vera¨ ndert Welten. An Stelle der ta¨ glich erfahrba- Bei den 14- bis 15ja¨ hrigen Jungen, von denen sie vor- ren Ohnmacht tritt in der elektronischen Welt das er- u¨ bergehend mehr genutzt werden, spielen wohl Pu- hebende Gefu¨ hl der Macht. Die in Gewaltspielen berta¨ t und sexuelle Wunschvorstellungen eine Rolle, dem Spieler angebotenen Identifikationsfiguren ver- die sie sich in der realen Konfrontation mit dem ande- sta¨ rken dieses Erleben. Als ,Held’, zumeist als Einzel- ren Geschlecht weder zu thematisieren noch zu er- ka¨ mpfer, kann man seine Gro¨ ßen- und Allmachts- proben trauen. Die Frage bleibt offen, welche Folgen phantasien ausleben oder den Umgang mit seinen der kindliche und jugendliche Umgang mit porno- eigenen Aggressionen erproben --- und das ohne graphischen Computerspielen (und auch Filmen) reale Folgen. Geschicklichkeit, Konzentration und hat, v. a. welche ma¨ nnlichen Vorstellungen von Ma¨ d- Reaktion fu¨ hren zu sichtbarem Erfolg: Fertigkeiten chen und Frauen und vom Umgang mit ihnen sich werden belohnt, der Spieler erha¨ lt eine direkte Ru¨ ck- entwickeln und was dies fu¨ r die spa¨ tere Beziehungs- meldung fu¨ r sein Handeln. Der Erfolg la¨ ßt nicht, wie und Liebesfa¨ higkeit bedeutet. im richtigen Leben, auf sich warten, sondern ist gleich da. In bezug auf die Gewalthaltigkeit befu¨ rchten viele, Das Ausspannen wird durch die elektronischen Vor- daß mit den Computerspielen eine ganz andere Di- gaben des Spiels zum Abtauchen. Die Spielge- mension der Gewaltgefa¨ hrdung erreicht werde, da schwindigkeit, die phantasievollen Welten mit ihren Kinder und Jugendliche nicht mehr nur zuschauen bunten Bildern und eindringlichen To¨ nen, das Setzen wie bei Film und Fernsehen, sondern selbst Handeln- sta¨ ndig neuer Reize, die Erfordernis voller Konzen- de sind, also sich aktiv an Mord und Totschlag betei- tration und pra¨ zisen motorischen Reagierens fu¨ hren ligen. Monokausale Annahmen einer unmittelbaren zum Abtauchen, Zeit und Raum spielen keine Rolle Gefa¨ hrdung durch Gewalt in den Medien konnten mehr. Neben diesen klassischen Motiven finden bisher wissenschaftlich nicht besta¨ tigt werden, v.a. Computerspiele auch Anklang, weil sie als Versta¨ r- deshalb, weil sie das komplexe menschliche Verhal- ker fu¨ r Lebensentwu¨ rfe, Kompetenzen, Interessen ten und Handeln außer acht lassen. Auch die Be- und Bedu¨ rfnisse fungieren. fu¨ rchtung einer aggressionssteigernden Wirkung ge- walthafter Spiele konnte, so das Resultat einer von Sacher durchgefu¨ hrten Auswertung internationaler 3.1.2.4 ,Gefa¨hrdung’ durch Computerspiele Forschungsergebnisse25), wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Er verweist auch darauf, daß Wirkungsforschung zu Computerspielen, wie diese manche traditionellen Spiele weitaus mehr Aggres- bei den audiovisuellen Medien bereits traditionell ist, sionen erzeugen als die elektronischen Spiele. Dies gibt es nicht. Aus Nutzungsstudien und Beobachtun- sei aber noch kein Anlaß fu¨ r eine vo¨ llige Entwar- gen lassen sich plausible Hinweise ableiten, jedoch nung. noch keine zweifelsfreien Belege finden. Eine Ge- fa¨ hrdung von Kindern und Jugendlichen durch Com- 25) Sacher, W. (1993) Jugendgefa¨ hrdung durch Video- und Computerspiele? Diskussion der Risiken im Horizont inter- 24) Vgl. Schorb, B. (1983). Mit dem Joy-Stick in die Computer- nationaler Forschungsergebnisse, In Zeitschrift fu¨ r Pa¨ dago- zukunft. merz (medien + erziehung). 27, 4/83, S. 194---205. gik, 39, 2/1993, S. 313---333
23 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Dieser Hinweis ist gerechtfertigt. Aus vielen Rezepti- gen mehr Sport betreiben als ihre gleichaltrigen Kol- onsstudien zu Gewalt im Fernsehen26) wissen wir, legen.27) daß es nicht in erster Linie die vordergru¨ ndigen Ge- Auch auf einer subtileren Ebene als der vordergru¨ n- waltakte, also das Abschießen eines Gegners, das dig diskutierten ,Gefa¨ hrdung’ sind Computerspiele Totschlagen des Aggressors usw. sind, die Kindern u. U. problematisch: Sie sind die spielerischen Mittel, und Jugendlichen Probleme bereiten, zumal dann mit denen Kinder und Jugendliche fu¨ r neue Medien- nicht, wenn sie eindeutig als Fiktion erkennbar sind, techniken ,aufgeschlossen’ werden. Sie wirken sozu- was in Computerspielen bisher der Fall ist (mit der sagen unterschwellig akzeptanzfo¨ rdernd, ohne die Entwicklung hin zur Form interaktiver Filme und fu¨ r einen rationalen und reflexiven Umgang mit zum Erleben im Cyberspace ko¨ nnte sich dies aller- Technik notwendige Distanz zu diesen Techniken dings a¨ ndern). Wir wissen aber auch, daß Gewalt in und ihre Kritik mit zu transportieren. Daru¨ ber hinaus Film und Fernsehen und --- da Computerspiele ja ein steht der leistungsbezogene und konsumorientierte Bestandteil des gesamten Medienensembles von Charakter der Spiele der Fo¨ rderung eines selbstbe- Kindern und Jugendlichen sind --- wohl auch in Com- stimmt und selbstbewußt handelnden gesellschaftli- puterspielen deshalb nicht unproblematisch ist. Die chen Subjekts entgegen, zumal das suggerierte Lei- Pra¨ sentation und sta¨ ndige Wiederholung von Ideolo- stungsprinzip in vielen Spielen: wer sich anstrengt, giemustern im Zusammenhang mit Gewalt (z.B. die hat immer Erfolg, in dieser Simplizita¨ t nicht mehr Propagierung des Rechts des Sta¨ rkeren; die Darstel- funktioniert. lung des ,Fremden’, ,Ungewo¨ hnlichen’, ,Deformier- ten’ als Bo¨ ses; die Darstellung von Gewalt als erfolg- reichem Konfliktlo¨ sungsmittel u. a¨ .) und von Legitimationsmustern fu¨ r das Gewalthandeln (z. B. 3.2 Das Internet --- Inhalt und Zugang die Selbstversta¨ ndlichkeit, daß im Dienste der guten Neben allen positiven Mo¨ glichkeiten, die Welt zu er- Sache jedes Mittel recht ist; die Lynchjustiz als selbst- kunden, ist das Internet auch ein geeignetes Medi- versta¨ ndliches Handeln u. a¨ .) ko¨ nnen im Kontext real um, um Informationen zu verbreiten, die im allta¨ gli- vorhandener Einstellungen, Meinungen, Normen chen sozialen Umgang tabuisiert oder sogar verboten und Werthaltungen diese versta¨ rken und verfesti- sind. Es gibt mittlerweile eine breite Diskussion u¨ ber gen. Kinderpornographie und rassistische Angebote im Beru¨ cksichtigt man in diesem Zusammenhang die Internet. Letztere stammen von politischen Extremi- geschlechtsspezifische Nutzung gewalthaltiger Com- sten, die das Internet als Plattform fu¨ r ihr neonazisti- puterspiele, so wird deutlich, daß die Gewaltproble- sches Gedankengut und die Verbreitung ihrer Vorur- matik eine Jungenproblematik ist. Was dies im Kon- teile und Hetzkampagnen gegenu¨ ber Menschen text der allgemeinen geschlechtsspezifischen anderer Herkunft mißbrauchen. Da die Zuwendung Sozialisation fu¨ r das Verha¨ ltnis der Geschlechter und von Kindern und Jugendlichen zu den neuen Tech- fu¨ r die Realisierung der Gleichberechtigung bedeu- nologien hinreichend bekannt ist, versuchen sie auf tet, ist nicht nur eine interessante Forschungsfrage, diesem Weg, die jungen User mit speziellen Pro- sondern auch eine Frage der Zukunft unserer Gesell- grammen fu¨ r ihre gefa¨ hrliche rassistische Gedanken- schaft. welt zu gewinnen. Die im Juli 1997 vorgestellte Studie von Decius und In Bezug auf die Spielsituation wird v.a. befu¨ rchtet, Panzieri28), die im Auftrag des Deutschen Kinder- daß extensives Spielen zur Vereinsamung und/oder schutzbundes erstellt wurde, sieht Kriminalita¨ tsrisi- zur Sucht fu¨ hrt. Auch diese Annahmen ko¨ nnen durch ken in der Verbindung von Internet Relay Chat (IRC) Forschungsergebnisse nicht belegt werden. Von ei- mit Kinderpornographie. Die Gefahren der Herstel- ner Vereinsamung durch Computerspiele oder von lung kinderpornographischer Darstellungen im Inter- einem Suchtverhalten kann nicht ausgegangen wer- net werden in erster Linie darin gesehen, daß Kinder den. Neuere Untersuchungen belegen eher im Ge- fu¨ r die Produktion der Bilder tatsa¨ chlich mißbraucht genteil, daß Computerspieler gegenu¨ ber anderen Ju- werden ko¨ nnen. Dies ist zwar auch bei herko¨ mmli- gendlichen in ihren Freizeitbescha¨ ftigungen nicht chen Medien (Zeitschriften, Videos u. a.) bekannt, abweichen, sondern eher aktiver sind. Ju¨ ngere Com- die Mo¨ glichkeiten der Gewaltdarstellung haben sich puternutzer lesen ha¨ ufiger als Kinder ohne PC-Zu- aber mit den digital u¨ bertragenen Medien vervielfa¨ l- gang, sind eher vielfa¨ ltiger interessiert und werden tigt. Allerdings muß ausdru¨ cklich davor gewarnt wer- als aktive Kinder bezeichnet. Und in a¨ lteren Studien den, das gesamte Internet oder seine Foren mit die- wird wiederum belegt, daß computerspielende Jun- sen Problemen gleichzusetzen.
26) Vgl. Theunert, H. (Hrsg.) (1993): „Einsame Wo¨ lfe“ und Noch ist das Internet kein massenhaft genutztes Sy- „scho¨ ne Bra¨ ute“. Was Ma¨ dchen und Jungen in Cartoons stem; durch seinen potentiellen Charakter in dieser finden. Mu¨ nchen. Richtung wird es jedoch in absehbarer Zeit eine gro¨ - Theunert, H., u. a. (1994 (2)): ZwischenVergnu¨ gen und ßere Verbreitung auch bei Kindern finden. Bei ent- Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin sprechender Nutzungskompetenz durch eigene Akti- Theunert, H., Schorb, B. (1995): ,Mordsbilder’. Kinder und Fernsehinformation, Berlin 27) Weiler, S. (1997): Computernutzung und Fernsehkonsum 28) Decius, M., Panzieri, R.(1997) Kinderpornographie im Inter- von Kindern. In: Media Perspektiven 1/1997, S. 43---53 net Relay Chat. Hannover Vollbrecht, R. (1988). Computer im Alltag von Jugendli- Siehe dazu auch das Interview von E. Schaar mit Rainer Ri- chen. In Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung chard von der EDV-Beweismittelsicherung des Polizeipra¨ si- (Hrsg.), Vom kreativen Umgang mit Computern. Rem- diums Mu¨ nchen: Pornographie mit Kindern im Internet. In: scheid. medien + erziehung 6/97, S. 359---362
24 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 vita¨ ten ko¨ nnen problematische Angebote Kindern 3.2.1 Zuga¨nglichkeit zum Netz32) und Jugendlichen zuga¨ nglich werden. Technische Voraussetzung fu¨ r den Zugang zum In- Online-Dialoge ko¨ nnten als Einstieg in die Vermitt- ternet sind ein Computer, ein Modem, ein Telefonan- lung von Kindern in die Prostitution genutzt werden. schluß sowie ein Account bei einem Provider. Ein U¨ ber die Datennetze ko¨ nnten Vorbereitungen zu Vertrag u¨ ber den Betrieb eines Telefonanschlusses Verbrechen an Kindern und Beschreibungen und wie auch u¨ ber den Account ist ein Dauerschuldver- Abbildungen der Verbrechen verbreitet und Mailbo- ha¨ ltnis. Diese Vertra¨ ge werden mit vollja¨ hrigen Per- xen somit sowohl als Speicher pornographischer An- sonen abgeschlossen; Ausnahmenregelungen fu¨ r gebote als auch als Kontaktbo¨ rse genutzt werden. Es Minderja¨ hrige sind ab dem 14. Lebensjahr mo¨ glich, gibt bereits Zeitschriften, die Internet-Nutzer auf ent- wenn sie die schriftliche Einwilligung der Eltern vor- sprechende Programme aufmerksam machen. weisen ko¨ nnen.
Die verbotenen Inhalte rekurrieren nicht selten auf Somit ist der Zugang zum Internet grundsa¨ tzlich nur einen vorhandenen Markt. Deshalb muß von organi- im ha¨ uslichen (familia¨ ren) oder im institutionellen sierter Kriminalita¨ t gesprochen werden. Wenn im In- (Schule, Jugendfreizeiteinrichtung) Bereich mo¨ glich. ternet elektronische Zahlungssysteme breite Anwen- Außerhalb dieser Bereiche sind die Zugangsmo¨ glich- dung finden, die es unter Zwischenschaltung einer keiten beschra¨ nkt. Internet-Cafe´ s sind in der Regel dritten Partei (Cyberbank) ermo¨ glichen, kosten- Gaststa¨ tten und unterliegen damit ebenfalls Regulie- pflichtige Leistungen in Anspruch zu nehmen und rungen des Jugendschutzes (JO¨ SchG), insbesondere sie anonymisiert abzugelten, ko¨ nnte fu¨ r Urheber in Fragen der Aufenthaltsdauer von Kindern und Ju- kommerzieller kinderpornographischer Produkte, fu¨ r gendlichen. Damit du¨ rfte Kindern im Sinne der ge- die das Internet bislang kaum attraktiv ist, ein Anreiz setzlichen Bestimmungen (KJHG), d.h. unter 14 Jah- entstehen, ihre Angebote im Netz zu erweitern. Die ren, der Zugang zum Internet erschwert sein bzw. die Menge der einschla¨ gigen Informationen ko¨ nnte da- 29 Nutzung du¨ rfte im Rahmen der oben genannten Be- durch ansteigen. ) reiche stattfinden und damit unter der Aufsicht von genau definierten Personengruppen (Eltern, Lehrer, Auch auf zwischenstaatliche Zusammenarbeit kann Jugendarbeiter) stehen. Diese Personen haben ihrer bei den Bemu¨ hungen, jugendungeeignete oder vo¨ l- Fu¨ rsorge- und Aufsichtspflicht nachzukommen und kerverhetzende Inhalte auszuschließen, keine große sind damit angehalten, Kinder und Jugendliche vor Hoffnung gesetzt werden. Zu unterschiedlich sind scha¨ dlichen Einflu¨ ssen zu bewahren. fu¨ r das grenzu¨ berschreitende Internet die verschie- denen Vorstellungen in den einzelnen Kulturen u¨ ber Generell kann zwischen einem problematischen An- das, was Heranwachsenden vorenthalten werden gebot, das fu¨ r eine breite Zielgruppe zuga¨ nglich ist sollte, u¨ ber das, was im Sinne einer Vo¨ lkerversta¨ ndi- und einem Angebot, das nur geschlossenen Subkul- gung zu unterlassen wa¨ re. Gibt es doch schon in eu- turen offensteht, unterschieden werden. Gewaltpor- ropa¨ ischen La¨ ndern oft erheblich abweichende Vor- nographische Newsgroups, rassistische Web-Sites stellungen in Bezug auf Ethik und Sitte. Da mag und aggressive Computerspiele sind (relativ) einfach auch die Kinderprostitution oft von ganz verschiede- zu finden, und fu¨ r ein breites Publikum meist leicht nen Ebenen her beurteilt werden. versta¨ ndlich. Das Internet bietet auch Angebote, die nur fu¨ r spezifische Subkulturen versta¨ ndlich sind. So Die Gefahr ist also nicht von der Hand zu weisen, kann jemand, der an gewaltta¨ tigem Sex interessiert daß das Internet ku¨ nftig versta¨ rkt als Plattform zur ist, u¨ ber Chatboxen in Kontakt mit Gleichgesinnten Verbreitung von Kinderpornographie mißbraucht treten. Hier finden sich zahlreiche Beispiele fu¨ r Kin- wird. Es ist aber fraglich, ob auch Kinder und Ju- derpornographie und Sadismus. Es gibt Web-Sites, gendliche zu den Konsumenten von Kinderpornogra- die Gewalt im Zusammenhang mit Sekten, Kulten, phie geho¨ ren. Man kann davon ausgehen, daß die Waffenverherrlichung oder der Verherrlichung sexu- 30 relevante Zielgruppe die Erwachsenen sind ). Aber ell gepra¨ gter Bilder propagieren. Derartiges Material Kinder und Jugendliche ko¨ nnen beim Surfen im In- ist nicht leicht zuga¨ nglich und wird meist in einem ternet unfreiwillig pornographischen, gewaltverherr- Kontext gebracht, der fu¨ r Außenstehende nicht ver- lichenden und rassistischen Materialien begegnen. sta¨ ndlich ist. Denn auch hinter serio¨ s klingenden Internet-Adres- sen lassen sich manchmal ho¨ chst unserio¨ se Angebote 32) Die folgenden Erkenntnisse (Kap. 3.2.1 und 3.2.2) sind den finden. So ist es denkbar, daß sich zum Beispiel ein Ausfu¨ hrungen zum Forschungsauftrag der Enquete- vermeintlicher Anbieter von Computerspielen als Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesell- Pornobild-Abrufservice herausstellt. Damit ist das schaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ Problem der fehlenden Authentizita¨ t im Internet be- des Deutschen Bundestages u¨ ber problematische Formen ru¨ hrt. Auch wenn sich Nutzer bei ihrem Access-Pro- des Internetangebots an die Universita¨ t Utrecht/Niederlan- vider anmelden mu¨ ssen, ko¨ nnen sie anderen Netz- de entnommen. Der Bericht wurde von Prof. Dr. Jo Groebel und Dr. Lucia Smit im Sommer 1997 erstellt. Als explorative teilnehmern gegenu¨ ber beliebig Pseudonyme und inhaltsanalytische Studie des Netzes ist er eine Moment- 31 somit andere Identita¨ ten benutzen. ) aufnahme, aus der nur bedingt Folgerungen u¨ ber Gefa¨ hr- dungen gezogen werden ko¨ nnen. Die Studie selbst hat 29) Vgl. Schneider, schriftliche Stellungnahme zur O¨ ffentlichen aber keine Folgen bei Nutzern und auch nicht die Akzep- Anho¨ rung vom 9. Oktober 1997, S. 230 tanz und Erreichbarkeit bestimmter Inhalte von und fu¨ r ju- 30) Vgl. Schneider, a.a.O., S. 230 gendliche Nutzer eruiert. Die Studie ist in der Enquete- 31) Vgl. Schaar, schriftliche Stellungnahme zur o¨ ffentlichen Kommission kontrovers diskutiert worden. Die dargestell- Anho¨ rung vom 9. Oktober 1997, S. 208 ten Ergebnisse sind umstritten.
25 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Jeder experimentelle Surfer kann auf eine hardpor- delle des Bildmaterials alle a¨ lter als 18 Jahre sind. nographische Newsgroup oder eine rassistische Dies ist auch nicht verwunderlich, da die Anbieter Web-Site stoßen. Wenn der Internet-Nutzer Interesse kommerzieller Sites einfach zu ermitteln sind. Im daran hat, kann er regelma¨ ßig zu derartigen Sites/ Rahmen dieser Untersuchung wurden drei Web-Sites Newsgroups zuru¨ ckkehren. Er muß nicht in seiner gefunden, die ausdru¨ cklich mit Inzest und Sex mit unmittelbaren sozialen Umgebung verantworten, Kindern warben, die Verhaltenstips gaben und in de- welche Sites er besucht und kann sich so unbeobach- nen die Abgebildeten kindlich aussahen. Bei dem tet am Angebot bedienen. Die Mo¨ glichkeit, das An- Bildmaterial in den Anzeigen handelt es sich eher gebot im Internet selbst zusammenzustellen, fu¨ hrt al- um sogenannte Softpornos; Gewalt kommt nicht vor. lerdings auch dazu, daß Nutzer, die nicht von Die Sites sind ziemlich leicht zu finden, jedoch --- im Mediengewalt fasziniert sind, wahrscheinlich weni- Gegensatz zu den Anzeigenseiten fu¨ r die Sites fu¨ r ger als bei den traditionellen Medien damit konfron- Kinder --- wegen der erforderlichen Mitgliedschaft tiert werden. nicht zuga¨ nglich. Auch wenn es sich strafrechtlich um nicht relevantes Bildmaterial handelt, kann meist nicht eindeutig gekla¨ rt werden, ob die dargestellten 3.2.2 Problematische Inhaltsseiten zum Anse- Personen wirklich u¨ ber 18 Jahre alt sind. Sie wirken hen und Austauschen oft kindlich und regen zumindest entsprechende Phantasien an. Fu¨ r alle anschließend genannten problematischen Formen konnten im Rahmen der fu¨ r die Enquete- Newsgroups Kommission erstellten Studie Beispiele gefunden Von den unmittelbar identifizierbaren circa 18000 werden. Sie unterscheiden sich allerdings hinsicht- Newsgroups befaßt sich ein ansehnlicher Teil mit Sex lich ihrer Zuga¨ nglichkeit: (Scha¨ tzung: 500---1000). Davon hatten zum Zeitpunkt --- Gewaltpornographie in extremer Form ist nicht der Untersuchung ungefa¨ hr 30 Newsgroups proble- leicht zuga¨ nglich. Die entsprechenden Zirkel sind matischen Charakter. Einige Newsgroups sind spezi- gut abgeschottet. Das Problem sind weniger Kin- fisch auf Kinderpornographie ausgerichtet, darin er- der als Adressaten, eher als Opfer. scheinen ziemlich regelma¨ ßig fiktive Geschichten u¨ ber Inzest, Vergewaltigungen und Kinderpornogra- --- Rassismus wird vielfa¨ ltig verbreitet und entspre- phie. Der Inhalt dieser Newsgroups ist als problema- chende Web-Sites sind relativ leicht zuga¨ nglich. tisch zu betrachten. Bis ins Detail wird z.B. beschrie- --- Gewaltbilder und extrem gewaltta¨ tige Inhalte sind ben, wie unterentwickelt der Ko¨ rper des Opfers ist ebenfalls ziemlich verbreitet und gut zuga¨ nglich. und welche sexuellen Handlungen daran ausgefu¨ hrt Das Problem ist hier die Trennung zwischen fikti- werden. Einige Newsgroups verbreiten auch Bildma- ven (Kulte) und realen Bildern (z.B. bei sogenann- terial. Verschiedene Internet-Provider haben Maß- ten Snuff-Fotos und -Videos). nahmen getroffen, um Fotos derartiger Handlungen aus den Newsgroups zu entfernen. Jedoch geben ei- --- Gewaltta¨ tige Sekten sind nur begrenzt zu finden; nige Web-Sites gegen Gebu¨ hr eine U¨ bersicht aller hier wird das Internet erst wirksam, wenn schon Abbildungen aus bestehenden Newsgroups. Auf ein Initialkontakt stattgefunden hat. diese Weise kann ein geu¨ bter Surfer doch noch u¨ ber --- Gewalthaltige Computerspiele stellen das wohl fu¨ r das gewu¨ nschte Bildmaterial verfu¨ gen. Etliche pro- Kinder attraktivste Potential an problematischen blematische Newsgroups sind leicht zuga¨ nglich. In- Formen dar. Das Spektrum ist groß, leicht zuga¨ ng- dem er sich den Index mit Newsgroups scannt, kann lich und reicht von eher traditionellen Action-Spie- der Benutzer sofort sehen, ob eine Newsgroup mo¨ gli- len bis hin zu sehr realistisch gemachten Brutal- cherweise interessant ist. und Folterangeboten. Deutsche Chatboxen In Deutschland sind die meisten Internetnutzer an 3.2.2.1 Gewaltpornographie die folgenden Internet-Provider angeschlossen: Ame- Web-Sites rican On-Line (350000 Nutzer), Compuserve (250000 Nutzer), T-online (1,4 Millionen Nutzer). Außerdem Die im Rahmen der Untersuchung erfolgte Suche mit gibt es noch einige kleine Provider wie EuNet, Ger- Stichwo¨ rtern ergab eine enorme Anzahl an Adressen manynet, IDM net und Net serve. Auch Mailboxen von Web-Sites, von denen allerdings nur wenige Kin- bieten Zugang zum Internet. In Deutschland gibt es derpornographie pra¨ sentieren. Dies la¨ ßt sich mit Mailboxen, die mit Pornographie zu tun haben. mehreren Faktoren erkla¨ ren: In Deutschland sind T-online und Mailboxen die Anbieter eigentlich unverda¨ chtiger Sites wissen, daß wichtigsten Zuga¨ nge zu pornographischen Inhalten nach pornographischen Begriffen viel gesucht wird im Internet. T-online bietet eine Vielzahl deutsch- und sorgen so dafu¨ r, daß sie unter solchen Stichwo¨ r- sprachiger Chatboxen mit Erotikdialogen, die leicht tern registriert sind. So erhalten sie eine große An- zuga¨ nglich sind. In diesen Chatboxen findet oft ein zahl von Besuchern. Die Sites stammen von Aktionen erstes Treffen statt, von wo aus E-mail-Adressen oder gegen Kinderpornographie und weisen auf Mo¨ glich- Telefonnummern ausgetauscht werden ko¨ nnen, zum keiten der Beka¨ mpfung etc. hin. Beispiel fu¨ r die Verbreitung pornographischer CD- Auf beinahe allen Kinderporno-Sites wird angege- ROMs und Videokassetten. Allerdings wird darauf ben, daß sich die Anbieter an das Gesetz halten, daß geachtet, daß strafrechtlich relevantes Material aus- keine Kinder zugelassen werden und daß die Mo- geschlossen bleibt.
26 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001
Um u¨ ber AOL und Compuserve in die Chatboxen halts, nicht weitergibt. Andere Sites wurden im des Internet Relay Chat (IRC) zu gelangen, beno¨ tigt Rahmen dieser Untersuchung mit Hilfe von Altavista man spezielle, nicht leicht anzuwendende Software. unter einem in der rechtsextremen Szene bekannten Code-Begriff und durch eine vielfach verwendete American On-line (AOL) hat Maßnahmen zur Selbst- Zusammenstellung rassistischer Angebote (insge- regulierung getroffen, um illegale Bilder aus ihrem samt 25 Sites) aufgespu¨ rt. In ihnen wird zum Teil ex- Online-Dienst zu entfernen. Das kann nur bis zu ei- tremer Nationalismus propagiert und zur Vertreibung nem bestimmten Grad gelingen, der Austausch von von Ausla¨ ndern aus Deutschland aufgerufen. Pornobildern zwischen Nutzern von Chatboxen ist noch immer u¨ ber eine direct-client-to-client Verbin- Newsgroups dung ganz einfach. Fu¨ r Außenseiter ist es schwierig, Newsgroups mit explizit rassistischem Inhalt kom- glaubwu¨ rdig zu erscheinen, kennt man jedoch die men nicht ha¨ ufig vor; im Rahmen dieser Recherche sozialen Codes solch einer Subkultur, macht es keine wurden sieben Sites aufgespu¨ rt. Das ha¨ ngt damit zu- Schwierigkeiten, Gleichgesinnte in den Chatboxen sammen, daß anti-rassistische Organisationen oft Ge- zu treffen. Fu¨ r Personen, die an gewaltta¨ tigen For- genreaktionen an die Newsgroups senden. men von Sex interessiert sind, ist das Internet (und speziell die Chatboxen) ein geeignetes Medium, um IRC (Internet Relay Chat) mit ,unbekannten’ Gleichgesinnten in Kontakt zu tre- Inwieweit Rassismus im IRC verbreitet wird, konnte ten. Bei allta¨ glichen sozialen Begegnungen wa¨ re es nicht festgestellt werden. Es gab allerdings einige fast unmo¨ glich, diese Personen zu treffen. Verweise in rassistischen englischsprachigen Web- Sites zum IRC, deren Botschaft lautete, daß Weiße Drewes33) beschreibt Beispiele vom Handel mit Kin- sich vereinigen, sich gegenseitig u¨ ber das Internet dern, die fu¨ r Sex und Folter u¨ ber Chatboxen ,ange- informieren und Aktionen planen mu¨ ßten. Es du¨ rfte boten’ werden. Via IRC ist der Transfer von Dateien außer Zweifel stehen, daß gerade das IRC bei der ganz einfach. Ha¨ ufig werden Chat-Teilnehmern in Entwicklung krimineller Vereinigungen eine zentrale den einschla¨ gigen Kana¨ len ungefragt kinderporno- Rolle spielen kann. Dies scheint zum Beispiel konkret graphische Bilder u¨ bermittelt. „Diese Bildern ko¨ nnen in der Vorbereitung des Anschlages von Oklahoma dann zum weiteren Tausch verwendet werden. Der 1996 geschehen zu sein. Es ist bekannt, daß auch Transfer der Bilder ist dabei von keinen anderen deutsche rechtsextreme Vereinigungen von den Chat-Teilnehmer einsehbar. Lediglich der Sender Mo¨ glichkeiten des IRC Gebrauch machen. und der Empfa¨ nger ko¨ nnen den Transfer am Bild- schirm verfolgen.“34) Die Problematik rassistischer Angebote im Internet besteht neben den allgemein geltenden strafrechtli- chen Aspekten darin, daß grenzu¨ berschreitend und 3.2.2.2 Rassismus gleichzeitig immunisierend (anonyme Gruppen) ope- Das internationale Angebot an rassistischen und neo- riert werden kann. Auch wenn der gro¨ ßere Teil des nazistischen Web-Sites ist sehr leicht zuga¨ nglich und Angebots englischsprachig und damit nur begrenzt breitgestreut, wie eine U¨ bersicht der antirassisti- fu¨ r deutsche Nutzer attraktiv ist, handelt es sich beim schen Organisation „Hate watch“ zeigt. Außerdem Internet um das einzige Medium, das schnelle, mas- ergab auch die Suche mit Stichwo¨ rtern viele Adres- sengerichtete und professionell gestaltete Propagan- sen (ungefa¨ hr 50 zu Rassenhaß und Neonazismus da ungehindert ermo¨ glicht. und/oder Leugnung des Holocaust). Die meisten englischsprachigen Sites stammen aus 3.2.2.3 Extremgewalt den Vereinigten Staaten und beziehen sich auf die Snuff-Movies Verbreitung der sogenannten White-Power, die den Mehrfach gab es in den 90er Jahren Medienberichte Holocaust leugnet und Neonazismus propagiert. Die daru¨ ber, daß Bilder von einem Mord auf Internet zu Argumente reichen dabei von der Ablehnung von sehen gewesen sein sollen. Bei solchen Fa¨ llen ist Immigranten und Integrationsprojekten fu¨ r Ausla¨ n- schwer zu beurteilen, ob es sich tatsa¨ chlich um Bilder der bis hin zum Aufruf zum gewaltsamen Kampf ge- eines Mordes oder um einen Mediahype, also um die gen Schwarze. Eine der gefundenen Sites richtet sich mediale Vermittlung gestellter Szenen, handelt. Die speziell an Kinder und Jugendliche, die hier alles gleiche Frage kann fu¨ r Snuff-Movies35) gelten. Es u¨ ber Skinhead-Verhalten und -Ausstattung lernen konnten zwei verschiedene Newsgroups gefunden ko¨ nnen. Die Gestaltung ist in diesem Fall professio- werden, die u¨ ber die Erscheinung der Snuff-Movies nell und regt zur Entwicklung eigener Homepages diskutierten, deren Existenz jedoch verneinten. und eigenen Propagandamaterials an. Im Einzelfall sind in Chatboxen sogar Menschen fu¨ r Das deutschsprachige Angebot Folterungen „angeboten“ worden. Zudem ist viel In- Mit Hilfe des deutschen Yahoo (Suchmechanismus in teresse an der Verbreitung von Bildmaterial u¨ ber ge- deutscher Sprache) wurde nach rassistischen und waltta¨ tige Formen von Sex vorhanden. Diese beiden rechtsextremen Sites gesucht. Obwohl die Adressen Faktoren ko¨ nnten eine mo¨ gliche Produktion von bekannt sind, sind viele Sites geschlossen. Das be- Snuff-Movies fo¨ rdern. Jedoch ist man bei der Spei- deutet, daß der Server, der vom deutschen Yahoo be- cherung und Verbreitung des Bildmaterials via Inter- dient wird, diese Sites, bis auf einige rassistischen In- 35) Snuff-Movies sind Filme, bei denen das Abfilmen eines 33) Drewes, D., Kinder im Datennetz. Frankfurt/M. Mords fu¨ r kommerzielle Zwecke der Grund fu¨ r den Mord 34) Decius, M., Panzieri, R. a.a.O. S. 5 ist.
27 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode net sehr vorsichtig, um kein Beweismaterial zu lie- In Computerspielen werden virtuelle Welten konstru- fern. iert, in denen Menschen gegeneinander oder mitein- ander auf der Grundlage von vorher vereinbarten Re- Sofern es Snuff-Movies gibt, werden diese wahr- geln spielen. Wenn in diesem Zusammenhang von scheinlich nicht u¨ ber das zuga¨ ngliche Netzwerk des den Wirkungen dieser Spiele die Rede ist, handelt es Internet angeboten. Angesichts der hohen Preise, die sich immer um Wirkungsvermutungen. Diese werden fu¨ r das Material bezahlt werden mu¨ ssen, scheint die im Zusammenhang mit gesellschaftlichen U¨ berein- Verbreitung u¨ ber geschlossene Zirkel wahrscheinli- ku¨ nften (Erziehungszielen) gea¨ ußert oder ero¨ rtert cher. Das Internet ko¨ nnte aber dazu dienen, mit mo¨ g- und in bezug auf perso¨ nliche Grundrechte oder So- lichen Interessenten leichter, anonym und weltweit zialscha¨ dlichkeit hin diskutiert. in Kontakt zu treten. Fast alle Spiele beinhalten inzwischen eine Netz- In einigen Newsgroups und Web-Sites konnte Bild- spieloption. Sogenannte Sharewares (Demonstratio- material mit ,snuff-artigem’ Charakter gefunden wer- nen) von aggressiven Computerspielen, die auch als den. Die Fotos zeigen sexuelle Gewalt und Mord. Al- CD-ROM verkauft werden, lassen sich im Internet ler Wahrscheinlichkeit nach sind sie inszeniert. Die sehr leicht finden. Bevor ein Spiel offiziell auf den Gewalt wird zwar eingesetzt zur Sensationssteige- Markt kommt, ko¨ nnen Internetnutzer es in seiner rung, wirkt aber nicht sehr realistisch, außer viel- vorla¨ ufigen Form kennenlernen. Zum Beispiel sind leicht fu¨ r Kinder. gewalthaltige Computerspiele wie „Doom“, „Duke Verherrlichung von Waffen Nukem 3D“ und „Quake“ in vereinfachter Form leicht u¨ ber das Internet erha¨ ltlich, auch fu¨ r Kinder Im Internet lassen sich relativ einfach Sites (es wur- und Jugendliche. Sie ko¨ nnen als problematisch an- den sechs davon gefunden) mit einem ausfu¨ hrlichen gesehen werden. In „Quake“ zum Beispiel werden Handbuch zur Herstellung von Bomben und Spreng- Feinde und Monster blutig und gera¨ uschvoll geto¨ tet. stoffen auffinden. Der Text der aufgespu¨ rten Bei- Dabei fliegen Ko¨ rperteile durch die Luft und es wer- spiele ist informativ, weniger propagandistisch und den verstu¨ mmelte Menschen gezeigt. setzt zu seiner Umsetzung technische Begabung vor- aus. Außerdem wurde eine Site mit ausfu¨ hrlicher Be- Das Spiel wurde offensichtlich vor der Markteinfu¨ h- schreibung der Exekution eines Amerikaners gefun- rung bereits 25000 Mal vom Internet-Site des Unter- den, der zum Tode verurteilt worden war. Es gibt nehmens ID-Software abgerufen. Bei ID-Software Fotos und Filmmaterial, die die Verwundungen des handelt es sich um eine texanische Firma, die auch Mannes als Folge der Exekution zeigen. Alles ist sen- die Extremspiele „Wolfenstein 3D“ und „Doom“ pro- sationsgierig aufgemacht und vermittelt dadurch duziert hat und sich weigert, Selbstverantwortungs- auch den Eindruck von Verherrlichung von Gewalt. Codes zu beru¨ cksichtigen. Zugleich stellt diese Darstellung zudem eine ekla- tante Verletzung der Menschenwu¨ rde dar. Wa¨ hrend zuna¨ chst das Internet lediglich dazu be- nutzt wurde, um traditionelle Computerspiele auszu- Medizinisches Bildmaterial und Gewalt probieren oder dafu¨ r zu werben, werden jetzt zuneh- Im Laufe der Untersuchung tauchte Bildmaterial von mend die eigentlichen Eigenschaften des Internet in verletzten Personen auf. Manchmal wird das Materi- die Spiele integriert: Die Gegner sind nicht mehr nur al in einen medizinischen Zusammenhang aufberei- fiktive Monster, sondern andere Internet-Teilnehmer. tet, ha¨ ufig dient es aber nur dazu, grausame Bilder „Quake“ ist hierfu¨ r ein erstes Beispiel. Diese „Sozial- zu verbreiten (Gewaltverherrlichung). Die Bilder sind spiele“ betonen meist nicht friedliche Kooperation, nicht leicht zuga¨ nglich und der Kontext, in den sie sondern sind fast ausschließlich auf kriegerische gestellt sind, bestimmt weitgehend, in welchem Maß Handlungen hin ausgerichtet. Die zweifelhaften das Angebot als problematisch eingescha¨ tzt werden Spiele finden vor allem bei Jugendlichen ihre Anha¨ n- kann. Ob die Verwundungen Folge eines Unglu¨ cks ger. Diese bezeichnen sie als besonders spannend oder von Mißhandlungen sind, bleibt der Phantasie und interessant. Dabei wird von den Software-Her- der Betrachter u¨ berlassen. stellern sicher die Tatsache ausgenu¨ tzt, daß Jugend- liche ein hohes Bedu¨ rfnis haben, sich gegenu¨ ber Die dem medizinischen Bereich zuzuordnenden Bil- herrschenden Normen abzusetzen und ihre eigenen der ko¨ nnen nicht als gewaltstimulierend beurteilt sozialen Codes und Symbole zu entwickeln. werden, mo¨ gen aber eine bestimmte Art von Voyeu- rismus fo¨ rdern. Zudem wissen Kinder nicht unbe- „Quake“ du¨ rfte damit am Beginn einer neuen Ent- dingt zwischen Realita¨ t und Fiktion zu unterscheiden wicklung des professionell gemachten Online-Enter- (was selbst Erwachsenen schwer fallen kann) und es tainment stehen. Im Sommer 1997 geriet ein Spiel in besteht eine gewisse Gefahr der Traumatisierung. die Schlagzeilen, bei dem mo¨ glichst viele Schulkin- der zu erschießen waren. Das Spiel orientiert sich am Massaker im schottischen Dunblane, bei dem im 3.2.2.4 Gewaltspiele Ma¨ rz 1996 ein geistig verwirrter Mann 16 Schulkin- der und ihre Lehrerin erschossen hat. Von u¨ ber 3000 bei der Unterhaltungssoftware Selbst- kontrolle (USK) gepru¨ ften Computer- und Videospie- Schon bei traditionellen Videospielen ist bedeutsam, len wurden ca. 5 Prozent als kinder- und jugendge- daß Nutzer in die Rolle des Angreifers schlu¨ pfen und fa¨ hrdend eingestuft, also doch relativ wenig. Gewalt ausu¨ ben ko¨ nnen. Zudem haben Computer- Allerdings ist damit weder etwas u¨ ber die Qualita¨ t spiele durch ihre Action-Betontheit eine starke phy- dieser Bewertung noch u¨ ber die Beliebtheit einzelner siologische Erregung zur Folge, die wiederum ag- Spiele ausgesagt. gressionsfo¨ rdernd ist. Aggressive Verhaltensmuster
28 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 ko¨ nnen eingeu¨ bt werden und zu einem neuen Hand- gendschutzbestimmungen verstoßen, nicht toleriert lungsmuster fu¨ hren. Dies ist zwar nicht zwangsla¨ ufig werden. so und ha¨ ngt von weiteren sozialen Faktoren ab; je- doch besteht ein hohes Wirkungsrisiko. 3.2.3.1 Selbstkontrolle und Jugendschutzbeauftragte Das Internet-Spiel bietet zudem zwei wichtige neue Wirkungsdimensionen: Seit Aufkommen der Diskussion um scha¨ digende In- halte im Internet haben in Deutschland eine Vielzahl --- die Gegner erscheinen wie echte Menschen, der Beteiligten Jugendschutzbeauftragte bestellt --- man kann sich zum Kampf in Gruppen oder Ban- oder sich zu Selbstkontrollgremien zusammenge- den zusammenschließen. schlossen. Es ist anzunehmen, daß die meisten Nutzer Spiele als Die Jugendschutzbeauftragten der verschiedensten fiktiv erfahren werden. Dennoch ko¨ nnen entspre- Unternehmen nehmen die Aufgaben des Jugendme- chend realistisch gestaltete Abla¨ ufe ins eigene Ver- dienschutzes nach dem IuKDG bzw. dem GjS be- haltensrepertoire u¨ bernommen werden. triebsintern wahr, beraten bzw. weisen das Unter- nehmen auf Jugendgefa¨ hrdungen und Verletzungen Neben der schon von beliebten Computerspielen her des Jugendschutzes und ihre mo¨ gliche Vermeidung bekannten Problematik der gesteigerten Action, der hin. Realita¨ tsna¨ he und extremer Gewalt entsteht hier eine neue Dimension: es kann mit einer unbegrenzten Der Online-Dienst AOL Bertelsmann setzt zu diesem Zahl echter, aber anonymer Partner gespielt und ge- Zweck 60 Lotsen ein, die die Newsgroups, die AOL ka¨ mpft werden. Bei „Quake“ geht man bereits von anbietet, immer wieder durchsto¨ bern und Teilneh- einem weltumspannenden sozialen Netzwerk aus, in mer, die gegen geltendes Recht verstoßen, aus AOL dem ,U¨ berleben’ und ,Tod’ eine zentrale Rolle spie- ausschließen. Dieses Lotsenprinzip funktioniert je- len. Auch wenn nicht auf direkte Verhaltenskonse- doch nur bei den Newsgroups, die AOL selbst anbie- quenzen im realen Leben geschlossen werden kann tet. Die großen Online-Dienste setzen auf eigene und darf, sind folgende Hypothesen u¨ berlegenswert: Selbstkontrolle ihrer Inhalte und sind nicht verbands- ma¨ ßig organisiert. --- Die Anonymita¨ t la¨ ßt andere als leicht zu to¨ tende Objekte erscheinen. Das Electronic Commerce Forum e.V. (eco) vertritt die Interessen der deutschen Internet Service Provi- --- Empathie wird reduziert. der, unter den Mitgliedern ist allerdings keiner der --- Gewalt wird als U¨ berlebensprinzip propagiert. großen Online-Dienste. Zur Selbstkontrolle wurde im Mai 1996 die Internet Content Task Force (ICTF) --- Gewalttendenzen werden in der Gruppe versta¨ rkt. bzw. ab dem 1. August 1997 die Freiwillige Selbst- --- Nicht mehr der passive Konsum von Bildern steht kontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) ge- im Vordergrund, sondern das aktive Ausu¨ ben so- gru¨ ndet, die von den Internet Service Providern ge- zialer Gewalt, bzw. das Einu¨ ben gewaltta¨ tiger tragen werden. Die ICTF fu¨ r Newsgroups bzw. die Konfliktlo¨ sungsmodelle. FSM fu¨ r Websides dienen bisher als Koordinierungs- stellen fu¨ r eine einheitliche Sperrung einer Web-Site oder einer Newsgroup in Deutschland. Vor diesem Hintergrund wurde auch der Internet-Medienrat ge- 3.2.3 Selbstkontrolle und technischer Jugend- gru¨ ndet, dem sich Internet-User aus Politik, Wissen- schutz schaft und die Provider angeschlossen haben, und der sich als beratendes Gremium bei der Gesetzge- Die Internationalisierung von Angeboten in Online- bung versteht.36) Diensten ist bereits eingetreten. U¨ ber nationale Re- gelungen ist es zwar mo¨ glich, Netzbetreiber, die ih- Der Deutsche Multimediaverband (dmmv) ist ein ren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, noch junger Verband, er hat zusammen mit der Auto- an nationale gesetzliche Bestimmungen zu binden. matenSelbstKontrolle (ASK), dem Btx-Selbstkontroll- Da die nationalen Netze allerdings Zugang zum In- gremium (BSG) und der Unterhaltungssoftware ternet bieten, ist die Wirkung nationaler Bestimmun- Selbstkontrolle (USK) im Fo¨ rderverein fu¨ r Jugend gen gering. Das Internet bietet derzeit etwa 60 Mio. und Sozialarbeit im September 1996 die Arbeitsge- Sites an, die kein Provider kontrollieren kann. Der meinschaft Selbstkontrolle Multimedia (ASM) ge- Anbieter von jugendschutzrelevanten Inhalten ist an- gru¨ ndet. Ziel ist vor allem, gesetzlichen Regelungen gesichts der Netzstruktur nicht immer zu ermitteln. im Bereich des Jugendschutzes zuvorzukommen und Hat er seinen Sitz in einem Land, in dem sein Ange- sta¨ rker auf Selbstkontrolle zu setzen. Die 500 Mit- bot nicht gegen gesetzliche Bestimmungen versto¨ ßt, glieder des ASM sind laut eigenen Angaben zu 95 % ist gegen ihn nicht vorzugehen. Selbst fu¨ r den Fall, Online-Anbieter und zu 5 % Provider. Dieser Ver- daß seine Angebote durch nationale Provider ge- band schla¨ gt vor, Nationale Internet Komitees (NIK) sperrt werden, kann er die Identifikation seines An- zu bilden, die aus Juristen sowie Vertretern der o¨ f- gebotes schnell a¨ ndern. Im Bereich des Internet sto- fentlichen Jugendschutzbeho¨ rden und Providern ge- ßen nationale Regelungen schnell an ihre Grenzen, bildet werden sollen. An dieses Komitee sollen alle von daher wa¨ ren internationale Regelungen anzu- Versto¨ ße gemeldet, auf einem nationalen Negativ- streben. Nationale gesetzliche Bestimmungen wie im IuKDG sind no¨ tig, um als Staat deutlich zu machen, 36) Vgl. Resolution des Internet-Medienrates vom 24. Septem- daß Inhalte, die gegen Menschenrechts- oder Ju- ber 1996
29 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
Server abgelegt und von dort aus an die Service Pro- Medienrat, dem Politiker, Wissenschaftler und In- vider mitgeteilt werden, die dann dafu¨ r die Verant- ternet Provider angeho¨ ren, ausdru¨ cklich betont, wortung tragen, ob sie die auf den Negativ-Listen daß die Netiquette von allen Beteiligten akzeptiert stehenden Dokumente zur Verfu¨ gung stellen oder und freiwillig eingehalten werden muß, ansonsten nicht. Die Internationale Koordination soll durch die fehlt es an geeigneten Mitteln, die geltenden Re- Verbindung verschiedener Negativ-Server in allen geln durchzusetzen. Wenn Teilnehmer im Internet Staaten erreicht werden. Mit der Selbstkontrolle der auf Mißbrauchsfa¨ lle selbst mit Sanktionen reagie- Service Provider u¨ bernehmen o¨ konomische Interes- ren, werden den davon Betroffenen grundlegende senten gesellschaftliche Verantwortung in ihrem Be- Rechte --- insbesondere der Anspruch auf eine fai- reich. re, unabha¨ ngige U¨ berpru¨ fung der ergriffenen Maßnahmen --- abgeschnitten, die wesentliche Kennzeichen des Rechtsstaates sind.38) 3.2.3.2 Technische Vorkehrungen Das ist auch ein Problem vieler selbsternannter Ord- An weiteren (auch technischen) Selbstregulierungs- nungshu¨ ter im Internet wie beispielsweise News- einrichtungen im Internet sind zu nennen: und Listenmoderatoren, FTP-Administratoren oder der selbsternannten Polizei aus der Hacker-Szene im --- Eine typische Marktreaktion ist die Produktion Internet, den Cyber Angels, die eine Art Bu¨ rgerwehr von sogenannten end-of-pipe-Lo¨ sungen, wenn im Internet bilden und nach Fa¨ llen von Netzmiß- der Markt negative externe Effekte produziert. Im brauch fahnden. Falle des Kinder- und Jugendschutzes hat die On- line- und die Software-Industrie in diesem Sinne reagiert und Software-Programme wie CyberPat- 3.2.3.3 Reichweite der Kontrollmo¨glichkeiten rol, NetNanny oder Surfwatch entwickelt, die die Eltern fu¨ r die Online-Sitzungen ihrer Kinder in- Nach allen bisherigen Erfahrungen werden Selbst- stallieren ko¨ nnen und die meist von den Online- kontrollmaßnahmen meist erst dann durchgesetzt, Diensten kostenlos im „Welcome“- Paket mitgelie- wenn ein entsprechender o¨ ffentlicher Druck vorhan- fert werden. Diese Programme haben jedoch den den ist oder Anbieter mit gesetzlichen Regelungen Nachteil, daß sie jedesmal neu konfiguriert wer- rechnen mu¨ ssen. Es gilt, diesen o¨ ffentlichen Druck den mu¨ ssen, je nachdem wer das Endgera¨ t nutzt. deutlich zu machen und mo¨ glicherweise noch zu ver- Der einmal konfigurierte Filter kann nicht einfach sta¨ rken. Gerade im Bereich des digitalen Fernsehens abgeschaltet werden. Der User hat also die Wahl, und der Online-Dienste ko¨ nnen Selbstkontrollein- entweder den unbeschra¨ nkten Zugriff auf alle Sei- richtungen fru¨ her greifen als staatliche Kontrollinsti- ten an seinem Endgera¨ t zuzulassen oder eben den tutionen. Bei Selbstkontrollmaßnahmen handelt es Zugang nach der Positiv- oder Negativliste der un- sich nicht um Verbote, die als Zensur eingestuft wer- erwu¨ nschten Inhalte, die der Softwarehersteller den ko¨ nnen. Die Finanzierung von Selbstkontrollein- aufgestellt hat, zu beschra¨ nken. richtungen funktioniert u¨ ber die Anbieter selbst, so daß sie ohne Inanspruchnahme der o¨ ffentlichen Kas- --- Das WWW-Consortium (W3C), das am Massachu- sen schnell an den tatsa¨ chlichen Bedarf angepaßt setts Institute of Technology (MIT) gegru¨ ndet wor- werden ko¨ nnen. Auf internationaler Ebene bieten den ist, integriert fu¨ hrende Hightech-Unterneh- sich Kooperationsmo¨ glichkeiten von Selbstkontroll- men aus den USA, aus Asien und Europa. Im MIT einrichtungen an. Da sie nicht wie staatliche Kontroll- ist das Bewertungs- und Rating-System „Platform instanzen an komplizierte Verfahren gebunden sind, on Internet Content Selection“ (PICS) entwickelt ko¨ nnen sie flexibler auf Vera¨ nderungen des Medien- worden. Mit Hilfe dieses einheitlichen und flexi- marktes und des Angebotes reagieren. blen Rating-Systems ko¨ nnen problematische Inter- netangebote gefiltert werden. PICS verfu¨ gt u¨ ber Das Grundproblem von Selbstkontrolleinrichtungen verschiedene Schablonen, die jeweils als Filter ak- besteht darin, daß sie nie frei von wirtschaftlichen In- tiviert werden ko¨ nnen, je nachdem ob ein Minder- teressen sind. Daher sind verschiedene Vorausset- ja¨ hriger oder ein Erwachsener am Endgera¨ t sitzen. zungen no¨ tig, um sie als Alternative zu staatlichen Dieser Initiative haben sich viele Firmen mit PICS- Kontrollinstanzen zu akzeptieren: kompatibler Software angeschlossen: Microsoft, --- Die fu¨ r die Pru¨ fung von Inhalten zusta¨ ndigen Per- Netscape, Surfwatch, Cyberpatrol, AOL, AT&T, sonen du¨ rfen nicht bei einem Anbieter bescha¨ ftigt 37 Worldnet, CompuServe und Prodigy. ) sein; sie mu¨ ssen außerdem die no¨ tige Fachkompe- tenz besitzen, um Programminhalte tatsa¨ chlich --- Netiquette ist ein ungeschriebener Verhaltensko- nach den aktuellen Kriterien des Jugendschutzes dex der Online-Gemeinschaft, der den Umgang bzw. der Rechtsprechung beurteilen zu ko¨ nnen. der Teilnehmer miteinander beim Versenden von E-Mails, im Internet Relay-Chat und in den News- --- Fu¨ r alle mit der Pru¨ fung zusammenha¨ ngenden groups regelt. Dabei geht es vor allem darum, Fragen sowie fu¨ r die Kriterienbildung sollte ein Netzu¨ berlastung, Rechtsversto¨ ße und Scha¨ den bei vom Anbieter unabha¨ ngiges Gremium (Beirat, Ku- anderen Usern zu vermeiden. Da die zunehmende ratorium etc.) zusta¨ ndig sein. Dabei sollte man sich Massenanwendung auch Mißbra¨ uche nach sich des Sachverstandes der Bundespru¨ fstelle und der zieht, hat der beim Eco-Forum und der Internet Obersten Landesjugendbeho¨ rden bedienen. Nur Content Task Force (ICTF) angesiedelte Internet 38) Resolution des Internet-Medienrates vom 24. September 37) Vgl. http://www.w3.org/pub/www/PICS/iacwcv2.html 1996
30 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001
so kann einigermaßen gewa¨ hrleistet werden, daß den Eltern nun zusa¨ tzlich eine technische Hilfe in sich die Kriterien nicht mit den Interessen der An- Form einer elektronischen Kindersicherung an, die bieter verwischen. es ermo¨ glicht, dem Nachwuchs den Zugang zum Fernsehen oder zu bestimmten Angebotsbereichen --- Fu¨ r die inhaltliche Arbeit sollte Transparenz gefor- zu versperren. Damit, so wird argumentiert, ko¨ nnen dert werden. Wu¨ nschenswert wa¨ re eine regelma¨ - die Eltern individuellen, den familia¨ ren Gegebenhei- ßige Berichtspflicht mit o¨ ffentlicher Diskussion, ten angepaßten Jugendschutz betreiben und ihre denn nur wenn Selbstkontrolleinrichtungen unter Fernseherziehung effektiver gestalten. In der Konse- o¨ ffentlichem Druck stehen, ist zu erwarten, daß sie quenz soll den Eltern mehr Jugendschutzverantwor- ihre Aufgaben nicht an den Interessen der Wirt- tung u¨ bertragen werden, wa¨ hrend die Sender von schaft orientiert wahrnehmen. dieser etwas weniger zu gewa¨ hrleisten ha¨ tten. Ob --- Der Gesetzgeber sollte in Zusammenarbeit mit dies eine realistische Option ist, ist in erster Linie da- Fachleuten die Arbeit der Selbstkontrolleinrich- von abha¨ ngig, ob Eltern das technische Hilfsinstru- tungen beobachten, bewerten und auf Schwach- ment Kindersicherung nutzen bzw. zu nutzen bereit stellen aufmerksam machen. Er sollte ferner die sind.39) Mo¨ glichkeit nicht aus der Hand geben, dann mit gesetzlichen Regelungen und dem Einrichten staatlicher Kontrollinstitutionen zu reagieren, 3.3.1 Die Untersuchung: Befragung und wenn ihm die Arbeit der Selbstkontrolleinrichtun- Praxistest gen nicht ausreichend erscheint. Nur so haben die Dies war die Fragestellung einer Studie, deren Ziel in der Selbstkontrolleinrichtung arbeitenden Ver- darin bestand, Aufschlu¨ sse u¨ ber die Handhabbar- antwortlichen die Mo¨ glichkeit, sich dem Druck keit, die (medien)pa¨ dagogische Tauglichkeit und die der Anbieter zu entziehen. Grundsa¨ tzlich sind erziehungspraktische Relevanz technischer Vorkeh- technische Systeme, die den Eltern die Sperrung rungen des Jugendmedienschutzes fu¨ r verschlu¨ sselt von bestimmten jugendgefa¨ hrdenden Inhalten er- u¨ bertragene Fernsehprogramme zu gewinnen40). Die mo¨ glichen, sinnvoll. Es muß aber darauf geachtet Realisierung erfolgte in drei Schritten: In einer Exper- werden, daß diese technischen Sicherungen mehr tenbefragung wurden die Positionen und Erwartun- sind als nur ein Alibi fu¨ r die Anbieter, die dann gen zu technischen Jugendschutzmaßnahmen in of- quasi ihre Verantwortung auf die Eltern abschie- fenen Interviews erhoben, und zwar von den beiden ben. Außerdem muß damit gerechnet werden, daß Anbietern von Bezahlfernsehen DF1 und Premiere, gerade bei den sogenannten Risikogruppen kaum von den aufsichtfu¨ hrenden Landesmedienanstalten damit zu rechnen ist, daß die Eltern mit entspre- in Bayern (BLM) und in Hamburg (HAM) sowie von chenden Maßnahmen verantwortungsbewußt um- der Selbstkontrolleinrichtung der privaten Sender gehen. Aus der Sicht des Jugendschutzes sind vor (FSF). In einem Praxistest erfolgte die Pru¨ fung der allem solche Familien durch die Darstellung von Technik der d-box-Kindersicherung und ihrer Hand- Gewalt und Pornographie gefa¨ hrdet, in deren Um- habbarkeit. Dazu erhielten 12 zufa¨ llig ausgewa¨ hlte feld die Durchsetzung von Interessen und die Personen in ,elternfa¨ higem’ Alter die Aufgabe, in ei- Lo¨ sung von Konflikten durch Gewalt an der Ta- nem Test die Kindersicherung als Total-, Kanal- und gesordnung ist. Gerade die Eltern solcher Jugend- Zeitsperre zu aktivieren. Anschließend wurden sie zu lichen verfu¨ gen meistens nicht u¨ ber die no¨ tige ihren Eindru¨ cken und Bewertungen zur Kindersiche- Sensibilita¨ t gegenu¨ ber Gewaltdarstellungen, so rung und zum Jugendmedienschutz befragt. In einer daß nicht zu erwarten ist, daß in solchen Familien Familienbefragung ging es schließlich um die tat- entsprechende Programme gesperrt werden. Tech- sa¨ chliche Nutzung technischer Jugendschutzvorkeh- nische Hilfsmittel ko¨ nnen also den verant- rungen durch Eltern, die bereits zu den Abonnenten wortungsvollen Umgang der Anbieter mit Pro- von Pay-TV za¨ hlen. Dazu wurden bundesweit 23 Fa- gramminhalten unterstu¨ tzen, sie ko¨ nnen ihn aber milien ausgewa¨ hlt und Eltern wie Kinder in ihrem nicht ersetzen. Ferner bleibt es undurchsichtig, ha¨ uslichen Umfeld in qualitativen Intensivinterviews wer nach welchen Kriterien die Codierung fest- befragt. Die Fragen nach den alltagspraktischen Um- legt. Die Beurteilung von Inhalten nach Jugend- gangsweisen mit der d-box-Kindersicherung waren schutzgesichtspunkten ist nie objektiv, deshalb in die Kontexte familia¨ res Fernsehverhalten, Fern- kann nicht damit gerechnet werden, daß die Co- seherziehung und Haltung zum Jugendmedien- dierung --- wenn sie durch die Anbieter selbst schutz eingebettet. Die wichtigsten Ergebnisse sind durchgefu¨ hrt wird --- mit zufriedenstellender Ob- im folgenden in drei Bereichen systematisiert. jektivita¨ t erfolgt.
3.3 Jugendschutz im digitalen Fernsehen und elterliche Verantwortung Wegen der spezifischen Zugangsweisen zu ihren Programmangeboten reklamieren die Pay-TV-Anbie- ter großzu¨ gigere Jugendschutzregelungen als sie fu¨ r 39) Vgl. auch die aktuellen Beratungen zum Rundfunkstaats- das Free-TV gelten. Die Begehrlichkeiten richten vertrag. 40) Die Studie wurde vom Institut Jugend Film Fernsehen in sich insbesondere auf die endgu¨ ltige Lockerung der Kooperation mit der Universita¨ t Leipzig im Auftrag der Di- Sendezeitgrenzen fu¨ r das Abonnementfernsehen. rektorenkonferenz der Landesmedienanstalten durchge- Die Anbieter digitaler Pay-TV-Programme bieten fu¨ hrt.
31 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
3.3.2 Die Ergebnisse der Familienbefragung 2) In der jetzigen konzeptionellen und technischen und -beobachtung Ausfu¨ hrung entha¨ lt die Kindersicherung der d-box etliche Hemmnisse fu¨ r Eltern, die angebotenen Sperrmo¨ glichkeiten angemessen zu realisieren. Sie 3.3.2.1 Nutzungsmuster ist zu kompliziert, sie u¨ bersteigt die Verstehens- und Bedienungsfa¨ higkeiten vieler Eltern, vor allem vieler 1) Der Medienumgang der untersuchten Familien ist Mu¨ tter, und sie beru¨ cksichtigt fernseherzieherische unter folgenden Aspekten auffa¨ llig: Er ist gekenn- Bedu¨ rfnisse nur unzureichend. Derzeit ist das Akti- zeichnet durch eine u¨ ppige Fernsehausstattung (ein vieren von Sperren im Sinne des Jugendmedien- Fernsehgera¨ t pro Familienmitglied ist u¨ blich) und schutzes ein mu¨ hsames und ha¨ ufig verblu¨ ffend er- durch einen hohen und sehr individualisierten Fern- folgloses Unternehmen. Die Auswertung der sehkonsum. Auch fu¨ r ju¨ ngere Kinder ist der eigene Testverla¨ ufe und die Aussagen der befragten Eltern Fernsehapparat bereits die Regel und ebenso das Al- haben eine Reihe von Anknu¨ pfungspunkten fu¨ r leine-Fernsehen. technische Verbesserungen erbracht, die im Detail auf ihre Realisierbarkeit einerseits und ihre Tauglich- 2) Die Programme des Bezahlfernsehens fu¨ hren zu keit fu¨ r die Nutzung durch Eltern zu pru¨ fen wa¨ ren. keiner Erho¨ hung des Fernsehkonsums, wohl aber zu Vera¨ nderungen in der Fernsehnutzung. Fu¨ r den Kin- 3) Die Konzepte der Fernseherziehung, die von El- der- und Jugendmedienschutz sind hierbei insbeson- tern favorisiert und betrieben werden, bieten keinen dere folgende Punkte von Interesse: rechten Platz fu¨ r eine Nutzung der Kindersicherung. Wenn in Familien Fernseherziehung auf Vertrauen --- Es findet eine Abwanderung von den Free- zu den und Dialog basiert, setzen sich die Eltern mit den Pay-TV-Programmen statt. Die abonnierten Kindern u¨ ber ihre Fernsehwu¨ nsche auseinander und Programme werden bei den meisten Familien kon- treffen Absprachen. Im Versperren von Programmzu- sumiert wie zuvor das gebu¨ hren- bzw. werbefinan- ga¨ ngen wird kein Sinn gesehen. Herrscht in Familien zierte Fernsehen. Gleichgu¨ ltigkeit gegenu¨ ber dem Fernsehkonsum der Kinder vor, erstreckt sich diese auch auf Sperrmo¨ g- --- Im Zuge dieser Abwanderung verlagern sich beim lichkeiten. Da Fernsehen nicht als Problem gilt, wird erwachsenen wie beim heranwachsenden Publi- auch keine Notwendigkeit gesehen, Kindern be- kum die Vorlieben zunehmend auf Sparten, also stimmte Angebotsbereiche unzuga¨ nglich zu machen. auf großfla¨ chige Bu¨ ndel inhaltsgleicher Angebote. Bereitschaft zu einer potentiellen Nutzung a¨ ußern --- ,Pay per View’ wird vom Gros der Eltern als beson- am ehesten Eltern, die ju¨ ngere Kinder, v. a. im Vor- deres Fernsehen realisiert. Die Auswahl der eigens schulalter, haben und ku¨ nftig Probleme mit dem zu bezahlenden Angebote stellt eine bewußte Ent- Fernsehen erwarten. Aktuell behelfen sie sich jedoch scheidung dar. Den meisten Familien ersetzt ,Pay mit altvertrauten Mitteln, z. B. mit dem Verstecken per View’ andere Medienvergnu¨ gungen, zum Bei- der Fernbedienung. Sind a¨ ltere Kinder im Haus, wird spiel das Ausleihen von Videokassetten. von vielen Eltern auf deren Technikkompetenz ver- wiesen --- nach Aussagen etlicher befragter Kinder 3) Pay-TV und deren Technik sind Ma¨ nnerdoma¨ nen. keine falsche Aussage. Die Sport- oder Technikbegeisterung der Familienva¨ - ter war in aller Regel der Grund fu¨ r die Anschaffung 3.3.2.3 Jugendmedienschutz im Blick von Eltern von Abonnementfernsehen. Bedienung und Behe- bung von Schwierigkeiten sind ebenfalls prima¨ r den 1) Daß das hierzulande geltende Jugendschutzsy- Va¨ tern und ha¨ ufig zusa¨ tzlich den a¨ lteren So¨ hnen stem weitgehend unbekannt ist, demonstrieren so- vorbehalten. Die Mu¨ tter, die in der Regel fu¨ r Fern- wohl die befragten Eltern als auch die Testpersonen. seherziehung in der Familie zusta¨ ndig sind, zeigen Am vertrautesten sind die Alterseinstufungen der insgesamt die geringsten Kenntnisse und Bedie- FSK, die jedoch entweder als zu lasch oder als zu ri- nungskompetenzen. gide oder als realita¨ tsfremd gewertet werden. Von den damit verbundenen Sendezeitgrenzen existiert 3.3.2.2 Die Kindersicherung in der Familienwirklichkeit bei der Mehrheit allenfalls eine vage Vorstellung, de- ren Kern in etwa lautet, daß ,richtig Schlimmes’ erst spa¨ tabends kommt bzw. kommen soll. Als ,schlimm’ 1) Obwohl die Kindersicherung der d-box ha¨ ufig po- und fu¨ r Kinder nicht wu¨ nschenswert gelten eindeu- sitiv bewertet wird, ist sie ohne alltagspraktische Re- tig ,Erotisches’ sowie ,Horror und harte Gewalt’. levanz: Keine der untersuchten Familien nutzt sie in einer der angebotenen Formen zur Total-, Kanal- 2) Im Hinblick auf Jugendschutzmaßnahmen Dritter oder Zeitsperre. Das Gros der Eltern bela¨ ßt bereits zeigen Eltern insgesamt erhebliche Skepsis. Von den den generellen Zugangscode bei der Voreinstellung Fernsehanbietern wird zwar eigentlich erwartet, daß 0000. Bei den befragten Eltern und gleichermaßen sie Jugendschutzverantwortung zeigen, mit Blick auf bei den Testpersonen besteht nur eine geringe Be- deren kommerzielle Orientierung besteht jedoch zu- reitschaft, technische Schutzvorkehrungen wie die gleich einiges Mißtrauen. Als verantwortungsbewuß- Kindersicherung als Hilfe zur Fernseherziehung zu tes Handeln werden senderseitige Zugangshu¨ rden nutzen. Die trotzdem ha¨ ufig positive Bewertung der fu¨ r Angebote bewertet, die unter Jugendschutz- Kindersicherung geschieht prima¨ r mit Blick auf an- aspekten problematisch sind, wie etwa Erotik. Eine dere, ,schlechtere’ Eltern. Konsequenzen fu¨ r das ei- Ausweitung derartiger Zugangshu¨ rden, z. B. auf ex- gene Handeln zeitigt die positive Bewertung nicht. trem gewalthaltige Angebote, wu¨ rde eine ganze Rei-
32 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 he von Eltern begru¨ ßen. Gegenu¨ ber staatlichen Ein- 2) Die Studie hat Hinweise darauf erbracht, daß die richtungen ist das Mißtrauen noch gro¨ ßer. Maßnah- abonnierten Programmpakete in den Familien kon- men des Kinder- und Jugendmedienschutzes, die sumiert werden, wie zuvor das gebu¨ hren- bzw. wer- von dieser Seite kommen, gelten vielen Eltern als befinanzierte Fernsehen. In Verbindung mit dem Be- realita¨ tsfern. Wenn es um das Interesse fu¨ r Kinder fund, daß --- zumindest derzeit --- technische und Jugendliche oder um das Wissen von Familien- Schutzvorkehrungen wie die elektronische Kindersi- und Erziehungsrealita¨ ten geht, wird der politischen cherung nicht verwendet werden, um dem Nach- Ebene eher wenig zugetraut. Bei einer Reihe von El- wuchs den Zugang zu Angebotsbereichen des digita- tern stehen Jugendschutzmaßnahmen von staatlicher len Fernsehens zu verwehren, ergibt sich hieraus ein Seite zudem unter Zensurverdacht. Kla¨ rungsbedarf: Einerseits ist die Berechtigung von derzeit geltenden unterschiedlichen Sendezeitgren- 3) Geht es um die Fernseherziehung der eigenen zen fu¨ r beide Systeme diskussionsbefu¨ rftig. Anderer- Kinder, vertraut die Mehrheit der Eltern --- nicht zu- seits sind Mo¨ glichkeiten einer grundsa¨ tzlichen sen- letzt wegen des Mißtrauens gegenu¨ ber anderen Stel- derseitigen Sperrung von Inhaltsbereichen, die in len --- auf das eigene Urteil und reklamiert entspre- besonderem Maße jugendschutzrelevant sind, zu er- chend Erziehungs- und Jugendschutzverantwortung wa¨ gen. Im Zuge solcher Kla¨ rungsprozesse scheint es fu¨ r sich. Diese Haltung findet jedoch eine klare Gren- allerdings auch angebracht, fu¨ r das gesamte Fernse- ze an der eigenen Haustu¨ r. Stehen andere Familien hen u¨ ber Modifikationen von Sendezeitgrenzen und zur Debatte, nimmt das Vertrauen in die angemes- Altersfreigaben nachzudenken. Die Maßsta¨ be dafu¨ r sene Wahrnehmung elternseitiger Jugendschutzver- sollten gleichermaßen die Realita¨ ten des heranwach- antwortung drastisch ab. Im Interesse der Kinder und senden Publikums und das Spektrum von Fernseh- ganz im Sinne eines Minderheitenschutzes wird angeboten sein. dann nahezu einheitlich fu¨ r Jugendschutzmaßnah- men von außen pla¨ diert. 3) Die frappante Unkenntnis der Eltern hinsichtlich der Grundlagen und Bestimmungen des Kinder- und Jugendmedienschutzes bietet derzeit kein sonderlich 3.3.3 Konsequenzen fu¨ r den Jugendmedien- tragfa¨ higes Fundament, um versta¨ rkte elternseitige schutz Jugendschutzverantwortung einzufordern. Damit Die Familien, die heute bereits Abonnementfernse- Optionen in dieser Richtung realita¨ tshaltig werden hen nutzen, sind zum gegenwa¨ rtigen Zeitpunkt nicht und Nachteile fu¨ r Heranwachsende weitgehend aus- als repra¨ sentativer Ausschnitt der Gesamtbevo¨ lke- geschlossen werden ko¨ nnen, sind Voraussetzungen rung, sondern insgesamt als eine Art ,Avantgarde zu schaffen. Der Maßstab dafu¨ r lautet: Wer Verant- des Zukunftsfernsehens’ zu werten. Die Studie hat wortung u¨ bernehmen soll, muß wissen, wofu¨ r. Das fu¨ r diese Avantgarde eine Reihe bedenklicher Hal- fu¨ r Jugendschutzverantwortung und ada¨ quate Fern- tungen aufgezeigt. Sie betreffen einerseits den all- seherziehung notwendige Wissen auf Elternseite ta¨ glichen Umgang mit dem Fernsehen, der eindeuti- mehren, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Um dafu¨ r ge Zu¨ ge des Vielsehermusters tra¨ gt. Sie betreffen geeignete Wege zu finden, sind die Defizite auf El- andererseits die Haltung zur Notwendigkeit von ternseite auf einer breiteren Basis zu untersuchen, Fernseherziehung und Jugendmedienschutz, die in und auf dieser Grundlage Modelle der Elternbildung erheblichem Maße nur verbal proklamiert wird, ohne und Medienerziehung zu entwickeln. Zur Bewa¨ lti- sich im faktischen Handeln niederzuschlagen. In der gung dieser Aufgabe kann auch an einen materiellen Zusammenschau legen diese Befunde den Verdacht wie immateriellen Beitrag der Fernsehanbieter ge- nahe, daß die untersuchten Familien einem Bevo¨ lke- dacht werden. rungssegment entstammen, das versta¨ rkt zu proble- matischen Umgangsweisen mit dem Fernsehen 3.4 Konsequenzen fu¨ r den Jugendschutz neigt. Betrachtet man im U¨ berblick die neuen medialen In- Auch wenn Avantgarde-Gruppen die Bevo¨ lkerung halte und die vorhandenen Mo¨ glichkeiten des Ju- nicht spiegeln ko¨ nnen, hat ihre Untersuchung heuri- gendschutzes, so zeigt sich, daß der Jugendschutz stischen Wert fu¨ r Frage- und Problemstellungen, die sich mit den gleichen Hauptthemen auseinanderset- sich bei kontinuierlicher Weiterentwicklung ku¨ nftig zen muß, die sich der gesamten Mediendebatte stel- fu¨ r gro¨ ßere Teile der Bevo¨ lkerung stellen ko¨ nnen. len: Globalisierung, Individualisierung und Multipli- Fu¨ r einen vorausschauenden Kinder- und Jugendme- kation der Angebote. Allerdings ist die Situation dienschutz verweisen die Ergebnisse entsprechend keineswegs mehr so hoffnungslos, wie dies noch vor auf relevante Handlungsbereiche. Bedenkenswert zehn Jahren erschien, als man annahm, die Globa- oder auch bedenklich sind dabei insbesondere fol- lisierung werde alle nationalen Maßnahmen u¨ berla- gende Aspekte: gern und zu Makulatur machen. Das Gegenteil ist 1) Angebote des ,Pay per View’ werden in den Fami- der Fall. Das Interesse an Jugendschutz ist interna- lien als besondere Art des Fernsehens wahrgenom- tional sehr hoch und steigt noch immer. Indizien da- men und genutzt. Sie unterliegen durch die Kombi- fu¨ r sind die Jugendschutzmaßnahmen fu¨ r das Fern- nation aus jeweils notwendiger Bezahlung und von sehen, die erst in den letzten beiden Jahren in außen kontrolliertem Zugang besonderen Bedingun- Frankreich, Kanada und den USA eingefu¨ hrt wur- gen, die einen unerlaubten Gebrauch durch Heran- den41), sowie die permanente Debatte um wirksame wachsende weitgehend ausschließen und entspre- chend auch gesonderte Jugendschutzregelungen 41) Vgl. Schorb, B. Theunert, H. (1998) Jugendschutz im digita- erlauben. len Fernsehen. Berlin
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Filtersysteme fu¨ r das Internet. Eine internationale Ei- 2. Jugendschutz als Pflichtaufgabe der nigung u¨ ber Jugendschutzmaßnahmen ist --- wenn Institutionen: Maßnahmen des technischen man sie wirklich sucht --- nicht ausgeschlossen. Dar- Jugendschutzes sind als Zusatz sinnvoll u¨ ber hinaus ist nicht zu vergessen, daß zumindest in Europa die Akzeptanz von Medien noch immer und Im Unterschied zu den Verteilern von Inhalten haben auch bei Heranwachsenden eng an die Mutterspra- sich die Anbieter von Inhalten der verbindlichen Auf- che gebunden ist. Das mußte z.B. MTV erfahren, das gabe des Jugendschutzes im Falle von Jugendge- durch andere deutschsprachige Musikkana¨ le so viele fa¨ hrdungen zu stellen. junge Zuschauer verlor, daß es nunmehr auch deutschsprachige Sendungen anbietet. Daraus und auch aus der Tatsache, daß andere englischsprachige Zur Unterstu¨ tzung des von Verteilerseite vorzuneh- Fernsehkana¨ le, inklusive Pornografiekana¨ le, nur ge- menden Jugendschutzes ist die Einbeziehung der ringen Anklang finden, la¨ ßt sich wiederum schließen, aktuellsten Computertechnologie durchaus sinnvoll. daß auch national begrenzter Jugendmedienschutz Senderseitige Filter und Sperren fu¨ r jugendschutz- weiterhin seine Wirkung entfalten wird. relevante Inhalte, die vom Empfa¨ nger jeweils pro Angebot, Sendung o.a¨ . zu entsperren sind, gewa¨ hr- Differenziert heißt dies: leisten, daß der Nutzer Jugendmedienschutz bewußt vollzieht, da er ihn jeweils neu als eigenen Akt der 1. Bewa¨hrte Maßnahmen des Jugendschutzes zeitweisen Aufhebung der Sperre vollzieht. Die sen- sind weiterzuentwickeln derseitige Sperre kann aber weder Zeit- noch Alters- begrenzungen ersetzen. Bei belasteten Familien ist Dies gilt in erster Linie fu¨ r die Alters- und Zeitgren- na¨ mlich davon auszugehen, daß die entsprechenden zen. Es ist zu u¨ berlegen und zu untersuchen, inwie- Eltern kein Erziehungskonzept und auch kein Be- weit die Grenze zwischen 16 und 18 Jahren noch von wußtsein fu¨ r Jugendschutz haben. großer Bedeutung ist. Diese Grenze wird insbesonde- re beim Fernsehen fraglich, da hier nur diese beiden Somit ko¨ nnen solche technischen Hilfen den verant- Altersgrenzen explizit als Pendant zu den Sendezeit- wortungsvollen Umgang der Anbieter und Nutzer le- grenzen 22 Uhr bzw. 23 Uhr herangezogen werden, diglich unterstu¨ tzen aber nicht ersetzen. Technische fu¨ r die ju¨ ngeren Kinder im Rundfunkstaatsvertrag Filter und Sperre du¨ rfen nicht zu einem „Loskaufen“ aber eine ebenso differenzierte Schutzregelung fehlt. von inhaltlicher Verantwortung fu¨ hren. Dabei zeigen alle neueren Untersuchungen, daß ge- rade ein nach dem Alter abgestufter Schutz ju¨ ngerer Kinder vonno¨ ten ist. Speziell fu¨ r das zuku¨ nftige Fern- 3. Das Bewußtsein fu¨ r gefa¨hrdende Inhalte ist zu sehen ist zu fragen, ob die Aufteilung in Sparten eine scha¨rfen weitere Gefa¨ hrdung fu¨ r Heranwachsende darstellt insofern, als ihnen hier rund um die Uhr beispiels- weise auf sogenannten Actionkana¨ len gewalthaltige Die Bewertung der Inhalte, die dem Jugendmedien- Inhalte offeriert werden. schutz unterliegen, ist historischen Vera¨ nderungen unterworfen. Die Debatte um die Darstellung von Als schwer jugendgefa¨ hrdend sind die von der Bun- Nacktheit in der Bundesrepublik macht dies sehr an- despru¨ fstelle indizierten Filme zu beurteilen. Des- schaulich. Die Inhalte mu¨ ssen deshalb stets neu aus- halb sind die La¨ nder gefordert, die Ausstrahlung sol- gehandelt und vor allem in der O¨ ffentlichkeit disku- cher Filme im Fernsehen nur bei Beachtung tiert werden. Erst die o¨ ffentliche Diskussion unter jugendschu¨ tzender Voraussetzungen zuzulassen. Einbezug von Experten und wissenschaftlichen Un- tersuchungen scha¨ rft auch das Bewußtsein der Bu¨ r- Die Abgeordneten Frau Dr. Maria Bo¨ hmer und Frau ger fu¨ r die Notwendigkeit von Jugendschutzmaß- Doris Barnett votieren abweichend von der Mehrheit nahmen. Dies bedeutet, daß erstens unabha¨ ngige fu¨ r folgende Formulierung: „Als schwer jugendge- Einrichtungen da sein mu¨ ssen, die Kriterien aufstel- fa¨ hrdend sind indizierte Filme zu beurteilen. Deshalb len fu¨ r Jugendschutzrelevanz und mediale Inhalte sind die La¨ nder gefordert, die Ausstrahlung indizier- daraufhin bewerten. Diese Einrichtungen ko¨ nnen ter Filme im Fernsehen als grundsa¨ tzlich unzula¨ ssig und sollen auch die Maßnahmen der Verteiler inhalt- im Rundfunkstaatsvertrag zu verankern“. lich stu¨ tzen. Der Evaluierungsauftrag zum Informations- und Kommunikationsdienst-Gesetz (IuKDG) muß fu¨ r eine Dazu sollte eine zentrale Clearingstelle geschaffen umfassende Bestandsaufnahme und U¨ berpru¨ fung werden, deren Aufgabe es ist, einheitliche Beurtei- der Jugendschutzregelungen im Bereich der neuen lungskriterien und Beurteilungsverfahren der freiwil- Dienste genutzt werden, auch unter dem Gesichts- ligen Selbstkontrollen anzugleichen und ein Zertifi- punkt der Frage der Effizienz der Arbeit der Jugend- zierungssystem fu¨ r freiwillige Selbstkontrollen zu schutzbeauftragten und der freiwilligen Selbst- erstellen. kontrolle. Fu¨ r einen wirksamen Jugendschutz sind die rechtlichen Grundlagen fu¨ r die Strafverfolgungs- Es bedeutet zweitens, daß Forschungen zur elterli- beho¨ rden entsprechend der technischen Anforderun- chen Praxis von Jugendschutz, sowie zur Beurtei- gen weiterzuentwickeln. Die La¨ nder mu¨ ssen fu¨ r die lung von Jugendschutzkriterien und -maßnahmen notwendige personelle und sachliche Ausstattung durch die Bevo¨ lkerung regelma¨ ßig durchzufu¨ hren der Jugend-, Polizei- und Strafverfolgungsbeho¨ rden und daraus medienpolitische Konsequenzen abzu- Sorge tragen. leiten sind.
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4. Die Jugendschutzkompetenz der Eltern ist ge- zierung von Jugendschutz zu animieren. Entspre- zielt zu fo¨ rdern chende Maßnahmen sollten einmal die Information u¨ ber die Mo¨ glichkeiten des Jugendmedienschutzes Ganz entscheidend zur Praktizierung von erfolgrei- beinhalten und zum anderen daru¨ ber aufkla¨ ren, chem Jugendmedienschutz sind die Eltern. Ihre welche negativen Folgen fu¨ r Heranwachsende der Einstellungen und ihre Praxis sind zur Zeit noch Konsum gefa¨ hrdender medialer Inhalte haben weitgehend unbekannt, da es nur die hier zitierte kann. Jugendmedienschutz wird nur dann erfolg- aktuelle Untersuchung gibt. Es wa¨ re neben einer reich betrieben werden ko¨ nnen, wenn er von der sta¨ ndigen Beobachtung des elterlichen Mediener- Bevo¨ lkerung nicht nur gewollt ist, sondern auch ziehungsverhaltens notwendig, Familien zur Prakti- praktiziert wird.
4. Medienpa¨dagogik mit der Zielsetzung Medienkompetenz als Bedingung und Erga¨nzung eines wirksamen Jugendschutzes
4.1 Zum Verha¨ltnis Medienpa¨dagogik und letzt durch die Entwicklung der Medien selbst, stets Jugendschutz gewandelt. Medienpa¨ dagogik und Jugendschutz bemu¨ hen sich Schon in den Anfa¨ ngen der Entwicklung medienpa¨ d- um das gleiche Thema, na¨ mlich um die Mediennut- agogischer U¨ berlegungen42) und Konzepte Anfang zung von Kindern und Jugendlichen. Sie stehen hier- des Jahrhunderts stand das Individuum im Mittel- bei jedoch nicht in einem Konkurrenzverha¨ ltnis, son- punkt. Mit dem Aufkommen der Massenmedien, v.a. dern in einem Erga¨ nzungszusammenhang. Sie des Films, galt die Bewahrung des unmu¨ ndigen Indi- haben einen je spezifischen Fokus auf das gleiche viduums vor scha¨ dlichen Medieneinflu¨ ssen als Thema und unterschiedliche, sich nicht widerspre- Hauptaufgabe der Medienpa¨ dagogik, was bis weit in chende Zielsetzungen. die 60er Jahre hinein mit diversen Modifikationen Gu¨ ltigkeit hatte. Ausgangspunkt dieser als ,Bewahr- Der Jugendschutz richtet sein Augenmerk prima¨ r pa¨ dagogik’ bezeichneten Medienpa¨ dagogik war die auf die Medien. Auf der Basis gesetzlicher Rege- Annahme, daß Kinder und Jugendliche in ihrem Nor- lungen, pa¨ dagogischer und entwicklungspsy- men- und Wertgefu¨ ge noch nicht gereift sind und chologischer Erkenntnisse und gesellschaftlich deshalb bei der Aneignung von subjektiver Kultur vorherrschender ethisch-moralischer Normen und durch die Beru¨ hrung mit der objektiv vorgegebenen Wertvorstellungen beobachten, analysieren und Kultur --- d. h. auf Medien bezogen mit deren Rezep- bewerten die Jugendschutz-Einrichtungen das medi- tion --- sowohl des Schutzes durch Verbote als auch ale Angebot. Entsprechen Medienprodukte nicht der Fu¨ hrung und Anleitung durch den Erzieher bzw. den Jugendschutzrichtlinien, stehen eine Reihe an die Erzieherin bedu¨ rfen. Maßnahmen zur Verfu¨ gung, z.B. Altersfreigaberege- lungen, Sendezeitgrenzen, Bußgelder, Indizierungs- Die Bewahrpa¨ dagogik hat deshalb in Bezug auf Me- verfahren usw., die alle zum Ziel haben, den Zugang dieninhalte, die sie als scha¨ digend einstufte, stets zu diesen Medien durch die betroffenen Altersgrup- nach Zensur und Verboten gerufen, deren Realisie- pen zu verhindern, um ein mo¨ gliches Gefa¨ hrdungs- rung aber dem Jugendschutz durch Politik und Ord- potential auszuschließen. nungsbeho¨ rden u¨ berlassen. Die pa¨ dagogischen Die Medienpa¨ dagogik richtet ihr Augenmerk prima¨ r Maßnahmen setzten dagegen immer am Individdu- auf die Heranwachsenden, auf Kinder und Jugendli- um an. ¨ che. Uber die Ausbildung und Entwicklung indivi- Anfang des 20. Jahrhunderts bestand das pa¨ da- dueller Kompetenzen, insbesondere kommunikativer gogische Konzept v.a. aus einer Normen- und Wer- Kompetenz und Medienkompetenz (siehe unten), teerziehung, die Heranwachsende vor der Kultur- soll ein kritischer, reflexiver und aktiver Umgang mit feindlichkeit der Medien schu¨ tzen sollte. Im Zuge Medien erreicht werden. der Reformpa¨ dagogik kam der Aspekt der Aufka¨ - Das Verha¨ ltnis von Medienpa¨ dagogik und Jugend- rung hinzu. schutz hat sich, bedingt durch unterschiedliche Sichtweisen des Verha¨ ltnisses zwischen Medien und Nach dem zweiten Weltkrieg knu¨ pfte die Medien- heranwachsenden Rezipienten, durch gesellschaft- pa¨ dagogik an die Traditionen der Weimarer Republik lich-politische Rahmenbedingungen und nicht zu- an. Medienpa¨ dagogik wurde als Erziehungshilfe zur Selbstbewahrung vor scha¨ digenden Medienwirkun- gen verstanden, natu¨ rlich wiederum neben oder in 42 ) Zur historischen Entwicklung der Medienpa¨ dagogik vgl.: Erga¨ nzung zu den geforderten und erreichten Ver- Kommer, H. (1979). Fru¨ her Film und spa¨ te Folgen. Zur Ge- schichte der Film- und Fernseherziehung. Berlin bots- und Zensurmaßnahmen. Neben den Bemu¨ hun- Schell, F. (1993)(2). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. gen des Bewahrens versuchten nun viele Medien- Theorie und Praxis. Mu¨ nchen pa¨ dagogen, mit der Hinlenkung zum ,wertvollen’
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Film die Bedu¨ rfnisse der Jugendlichen nach Massen- einflußt gesehen, sondern in erster Linie als gesell- kommunikation zu befriedigen. Es entstanden ,Ju- schaftliches Subjekt betrachtet, das in seiner gendfilmclubs’, die Filme vorfu¨ hrten, die „durch ihre Lebenswelt reale Erfahrungen macht und unter- Beko¨ mmlichkeit in der Form“ auffielen.43) schiedliche Bedu¨ rfnisse entwickelt. Die Massenme- dien sind in dieser Lebenswelt ein Sozialisationsfak- Mitte der 60er Jahre kam zu den genannten Aspek- tor unter anderen. Die medienpa¨ dagogischen ten die technische Entwicklung, die per se als gesell- Bemu¨ hungen orientieren sich folglich an der Lebens- schaftlicher Fortschritt gesehen wurde, mit in den welt der Individuen. Ihren Ansatzpunkt sieht sie dar- Blick der Bewahrpa¨ dagogik.44) Medienpa¨ dagogik in, in einer Gesellschaft, in der divergierende Interes- hatte weiterhin die Aufgabe, den Rezipienten im sen und Machtkonstellationenen die Erkenntnis und Umgang mit den Medien zu erziehen, wobei als neue Durchsetzung objektiver Interessen der Mehrzahl Ziele postuliert wurden: Der kritische bzw. mu¨ ndige der Menschen be- und verhindern, die Hintergru¨ nde Rezipient und der ,richtige’ Gebrauch der Medien.45) hierfu¨ r aufzudecken. Durch das Erkennen von Struk- Bewahrpa¨ dagogische Argumentationenslinien fin- turen, die zu Abha¨ ngigkeit und Fremdbestimmung den sich bei der Auseinandersetzung um Medienwir- des Individuums fu¨ hren, und durch die Wiederent- kungen bis heute. deckung der eigenen Fa¨ higkeiten, Bedu¨ rfnisse und Interessen sollen die Subjekte befa¨ higt werden, Die ideologiekritische Position der Medienpa¨ dago- selbstbestimmt und vera¨ ndernd in diese Strukturen gik, die auf die Studentenbewegung der 60er Jahre einzugreifen. und auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule zuru¨ ckgeht, kritisierte die ausufernde Entwicklung Die Massenmedien, die als Organe bu¨ rgerlicher O¨ f- technologisch-funktionaler Herrschaft u¨ ber die Natur fentlichkeit gesehen werden, vertreten in erster Linie und sah die Medien v. a. als Instrumente der Manipu- die Interessen und Meinungen derjenigen, die u¨ ber lation des Bewußtseins der Massen. Als Aufgabe der sie verfu¨ gen und bieten der Mehrzahl der Menschen Medienpa¨ dagogik wurde demgema¨ ß vorwiegend die keine Mo¨ glichkeit der Artikulation. Damit tragen die Medienkritik gesehen. U¨ ber die sprachliche und se- Massenmedien zur Verschleierung von Interessens- miotische Analyse der Massenmedien sollte deren und Machtverha¨ ltnissen bei. Sie tragen aber gleich- Ideologiegehalt entlarvt werden. zeitig --- zumindest technisch --- die Voraussetzungen Die ideologiekritische Position der Medienpa¨ dago- in sich, von einer Vielzahl an Individuen aktiv ge- gik, die in den 70er und beginnenden 80er Jahren nutzt zu werden. Die medienpa¨ dagogischen Bemu¨ - insbesondere im schulischen Bereich eine gro¨ ßere hungen dieser Position zielen deshalb darauf, daß die Rolle spielte46), schenkte dem Jugendschutz wenig Menschen die Medien ,in-Dienst-nehmen’, d. h. sie Beachtung, lehnte ihn nicht ab, bezog ihn in ihre als Mittel zur Auseinandersetzung mit ihrer Lebens- U¨ berlegungen aber auch nicht ein. welt gebrauchen, sei es als Mittel zur Ergru¨ ndung der Lebenswelt, sei es als Mittel der Artikulation und Die gesellschaftskritische Position der Medienpa¨ d- Durchsetzung von eigenen Interessen etc. Die Rezi- agogik, die sich aus der ideologiekritischen heraus, pienten sollen somit zu Produzenten werden. aber in Abgrenzung zu ihr entwickelt hat, erweiterte den Blickwinkel der Medienpa¨ dagogik, der sich bis Die auf dieser Position begru¨ ndeten Ansa¨ tze47), die dahin fast ausschließlich auf das Verha¨ ltnis Medien weitgehend auf theoretisch-analytischer Ebene ste- und Rezipient konzentriert hatte, erheblich. Der Rezi- henblieben, haben den Jugendschutz fu¨ r die Errei- pient wird nicht mehr nur durch Massenmedien be- chung ihrer Zielsetzungen als nicht hinreichend kriti- siert und ihm deshalb keine besondere Beachtung 43) Wasem, E. (1957). Jugend und Filmerleben. Beitra¨ ge zur geschenkt. Psychologie und Pa¨ dagogik der Wirkung des Films auf Kin- der und Jugendliche. Mu¨ nchen/Basel, S. 9 Die handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik, die sich Vgl. exemplarisch auch: aus der gesellschaftskritischen heraus entwickelt hat Stu¨ ckrath, F. (1953). Der Film als Erziehungsmacht. Ham- und die heute in verschiedenen Facetten (z.B. als so- burg Stu¨ ckrath, F., Schottmayer, G. (1955). Psychologie des zialo¨ kologischer Ansatz, als lebensweltorientierte Filmerlebens in Kindheit und Jugend. Hamburg Medienpa¨ dagogik, als erfahrungsbezogener Ansatz Wasem, E. (1961). Presse, Rundfunk, Fernsehen, Reklame usw.) als moderne Form der Medienpa¨ dagogik ver- pa¨ dagogisch gesehen. Mu¨ nchen/Basel Kerstiens, L. (1961). Filmerziehung. Eine Einfu¨ hrung in die breitet ist, wird im na¨ chsten Kapitel na¨ her beschrie- Filmpa¨ dagogik. Mu¨ nster/Westf. ben. Zur Darstellung und Kritik dieser Ansa¨ tze vgl.: Hausmaninger, T. (1993). Kritik der medienethischen Ver- Auch diese Position hat anfa¨ nglich dem Jugend- nunft. Die ethische Diskussion u¨ ber den Film in Deutsch- schutz keine besondere Beachtung gewidmet. Er land im 20. Jahrhundert. Mu¨ nchen wurde als notwendige Maßnahme gesehen, um sozu- 44) Vgl. exemplarisch: Keilhacker, M. (1968). Der Mensch von heute in der Welt der Informationen. In: Jugend Film Fern- sehen, 12. Jg. II, 3/1968, S. 131ff. 47) Vgl. exemplarisch: 45) Vgl. Hu¨ ther, J., Podehl, B., Terlinden, R. (1982). Geschicht- Negt, O., Kluge, A. (1973). O¨ ffentlichkeit und Erfahrung. liche Entwicklung und theoretische Grundlegung. In: Hu¨ - Zur Organisationsanylse von bu¨ rgerlicher und proletari- ther, J., Terlinden, R. Medienpa¨ dagogik als politische scher O¨ ffentlichkeit. Frankfurt/M. Sozialisation. Grafenau/Wu¨ rtt. Prokop, D. (1974). Massenkultur und Spontaneita¨ t. Zur ver- 46) Vgl. exemplarisch: a¨ nderten Warenform der Massenkommunikation im Spa¨ t- Ehmer, H.K. (Hrsg.) (o.J.). Visuelle Kommunikation. Beitra¨ - kapitalismus, Frankfurt/M. ge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie. Ko¨ ln Dro¨ ge, F., Go¨ bbel, N., Loviscach, L. u. a. (1979): Der allta¨ gli- Knilli, F. (1981). Neue Programme fu¨ r Alte Medien. In: me- che Medienkonsum. Grundlagen einer erfahrungsbezoge- dien + erziehung 4/1981, S. 210f. nen Medienerziehung. Frankfurt/M.
36 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 sagen die ,Spitzen’ problematischer Medieninhalte ben. Sie setzt deshalb in der Tendenz dort an, wo der in den Griff zu bekommen. Die Medienpa¨ dagogik Jugendschutz aufho¨ rt. Insofern steht sie in Erga¨ n- hat Jugendschutzmaßnahmen allerdings auf einer zung zum Jugendschutz. anderen Ebene gesehen als ihre eigenen Anliegen, Medienpa¨ dagogik ist außerdem nicht --- wie der Ju- insbesondere die Vermittlung von Kompetenzen im gendschutz --- Minderheitenschutz, der in erster Linie Umgang mit Medien. auf Gruppen gefa¨ hrdeter Heranwachsender zielt, Mit der Entwicklung der Medientechniken und auf- sondern richtet sich potentiell an alle Kinder und Ju- grund medienpolitischer Entscheidungen gab es in gendliche, aber auch an erwachsene Mediennutze- den letzten Jahren eine enorme Zunahme massen- rinnen und -nutzer. medialer Produkte und das Entstehen vo¨ llig neuer Medienpa¨ dagogik und Jugendschutz bedingen und Medien und der Individualkommunikation. V. a. die erga¨ nzen sich somit sinnvoll. Das eine ist durch das neuen Mediennetze bzw. Verbreitungsmo¨ glichkeiten andere nicht zu ersetzen. Notwendig ist eine intensi- medialer Produkte, die auch fu¨ r den Transport ge- ve Koordination und Kooperation beider Bereiche. waltverharmlosender und -verherrlichender, politisch extremistischer sowie pornographischer Inhalte ge- nutzt werden, haben die Bedeutung des Jugend- schutzes wieder sta¨ rker in die fachliche und in die o¨ f- 4.2 Bestimmung von Medienpa¨dagogik und fentliche Diskussion geru¨ ckt. Die Forderungen nach ihren Zielen sowie Adressaten mehr Jugendschutz gingen und gehen allerdings einher mit der Erkenntnis, daß die Kontroll- und Ein- griffsmo¨ glichkeiten des Jugendschutzes immer Grundlagen schwieriger werden. Die Grenzen des Jugendschut- zes waren noch nie so deutlich wie heute. Aus dieser Seit Anfang der 80er Jahre bis heute haben sich An- Erkenntnis und den praktischen Erfahrungen heraus sa¨ tze einer handlungsorientierten Medienpa¨ dagogik hat sich auch im Jugendschutz in den letzten Jahren entwickelt --- die sich aktuell sta¨ ndig weiterentwik- ein Paradigmenwechsel vollzogen. Moderner Ju- keln ---, die unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gendschutz sieht neben dem klassischen Jugend- haben bzw. unterschiedliche Aspekte betonen. So schutz mit Kontrolle und Zensur die Notwendigkeit steht die Handlungsorientierung im Sinne einer akti- des pra¨ ventiven Jugendschutzes, der auch in der In- ven gesellschaftlichen Mitwirkung mit Hilfe von Me- itiierung und Unterstu¨ tzung medienpa¨ dagogischer dien und die Entwicklung kommunikativer Kompe- 48 Maßnahmen durch Jugendschutzeinrichtungen ge- tenz im Mittelpunkt einiger Ansa¨ tze ). Andere sehen wird. Ansa¨ tze sehen in der audiovisuellen Medienarbeit eine Form der Erfahrungsproduktion, mit der den Aufgrund der begrenzten Mo¨ glichkeiten des Ju- Heranwachsenden ihre eigenen Erfahrungen und gendschutzes stehen heute Forderungen nach mehr Lebenszusammenha¨ nge kritisch-reflexiv zuga¨ nglich Medienpa¨ dagogik im Vordergrund. Aber auch die werden49). Wieder andere betonen unter dem Stich- Medienpa¨ dagogik schreibt angesichts der oben be- wort ,sozialo¨ kologischer Ansatz’ die Bedeutung der schriebenen Medienentwicklung dem Jugendschutz Medienwelten und Medienorte, in und an denen --- in seinen Grenzen --- wieder mehr Bedeutung zu. Jugendliche mediale Erfahrungen machen50). Die Seine Aufgabe besteht darin, Kindern und Jugendli- Notwendigkeit der Kreativita¨ tsentwicklung ist we- chen wenigstens den Zugang zu denjenigen medi- sentlicher Aspekt weiterer Ansa¨ tze51). In weiteren alen Produkten und Inhalten zu erschweren oder zu Ansa¨ tzen wird der Aspekt der a¨ sthetischen Bildung verunmo¨ glichen, die trotz aller Kompetenzen im Um- betont, womit die sinnliche Weltzuwendung des Sub- gang mit Medien nicht zumutbar sind und/oder ihrer geistigen und moralischen Entwicklung abtra¨ glich 48) exemplarisch Baacke, D.; Kluth, T. (Hrsg.) (1980). Praxisfeld sein ko¨ nnen. Medienarbeit. Beispiele und Informationen. Mu¨ nchen. Auf- enanger, S. (Hrsg.) (1991). Neue Medien --- Neue Pa¨ dago- Jugendschutz ist notwendig und sinnvoll. Er bleibt gik? Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Medienerziehung in aber wirkungslos, wenn die Heranwachsenden nicht Kindergarten und Grundschule. Bonn. Schorb, B. (1995). gleichzeitig lernen, kompetent, selbstbestimmt und Medienalltag und Handeln. Medienpa¨ dagogik in Ge- schichte, Forschung und Praxis. Opladen. Aufenanger, S. kriteriengeleitet mit Medien umzugehen. Insofern ist (1995). Neue Medien als pa¨ dagogische Herausforderung. Medienpa¨ dagogik Bedingung fu¨ r einen wirksamen In: Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). Jugend Jugendschutz. auf der Datenautobahn. Sozial, gesellschafts- und bil- dungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ nchen. Medienpa¨ dagogik kann und will jedoch nicht --- wie Schorb, B. (1995). Jugend auf der Datenautobahn. In: der Jugendschutz --- dort ansetzen, wo mediale Er- Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). a.a.O. scheinungen fu¨ r Kinder und Jugendliche nur noch Mu¨ nchen 49 zum Problem werden. Damit wu¨ rde Medienpa¨ dago- ) exemplarisch Niesyto, H. (1991). Erfahrungsproduktion mit Medien. Selbstbilder, Darstellungsformen, Gruppenpro- gik zum bloßen gesellschaftlichen Reparaturbetrieb zesse. Weinheim und Mu¨ nchen reduziert werden. Medienpa¨ dagogik hat den reflek- 50) exemplarisch Baacke, D.; Frank, G.; Radde, M. u. a. (1989). tierten und handelnden Umgang mit Medien zum Jugendliche im Sog der Medien. Medienwelten Jugendli- Ziel. Wenn sie dies bei ihren Adressaten, den Kin- cher und Gesellschaft. Opladen. Baacke, D.; Frank, G.; dern und Jugendlichen erreichen will, kann sie nicht Radde, M. (1991). Medienwelten --- Medienorte. Jugend und Medien in Nordrhein-Westfalen. Opladen gleichzeitig Kontroll- und Zensurinstanz sein. Dies 51) exemplarisch Baacke, D.; Thier, M. (Hrsg.)(1992). Kreative wu¨ rde Mißtrauen bei den Adressaten und erhebliche Medienarbeit. Perspektiven jugendlicher Produzenten in Sto¨ rungen im pa¨ dagogischen Prozeß zur Folge ha- den neunziger Jahren. Bielefeld
37 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode jekts in den Vordergrund ru¨ ckt und die Auseinander- genstand Medien im Blick und deren Rolle bei der setzung mit sinnlichen Figurationen und die Ausbil- Aneignung und Gestaltung von Lebenswelt durch dung der a¨ sthetischen Wahrnehmung im Mittelpunkt Heranwachsende. pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen steht.52) Trotz dieser unterschiedlichen Auspra¨ gungsformen haben aktuelle Ansa¨ tze einer handlungsorientierten Zielsetzungen Medienpa¨ dagogik gemeinsame Grundlagen und Zielsetzungen.53) Wesentliche Zielsetzungen einer handlungsorientier- ten Medienpa¨ dagogik sind die Ausbildung und Fo¨ r- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik sieht den derung kommunikativer Kompetenz und Medien- Umgang des einzelnen mit Medien als soziales Han- kompetenz. deln. D. h. jeder Mediengebrauch, ob rezeptiv oder aktiv, ist gleichzeitig Auseinandersetzung mit und Kommunikative Kompetenz bedeutet die Fa¨ higkeit, Aneignung von Welt, ist ein U¨ berpru¨ fen, Besta¨ tigen, an der gesellschaftlichen Kommunikation und Inter- Verwerfen eigener Erfahrungen und fu¨ hrt zu Vera¨ n- aktion angemessen teilhaben zu ko¨ nnen. Dies bein- derungen oder Verfestigungen eigener Meinungen, haltet zum einen die Fa¨ higkeit, die eigene Entwick- Einstellungen, Normen, Verhaltensweisen. Medien- lung, also das ,So-geworden-Sein’, und die eigene handeln ist folglich, auch im Konsum, immer aktiv. Rolle, die jeder in dieser Gesellschaft einnimmt, kri- tisch zu reflektieren und Strukturen und Bedingun- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik sieht zu- gen zu erkennen, die zu Abha¨ ngigkeiten fu¨ hren und gleich die Medien nicht als isoliertes Pha¨ nomen, son- die die Entwicklung hin zum autonomen und selbst- dern im Kontext der gesamten Lebenswelt. bestimmten Individuum be- oder verhindern. Dies Medien sind in dieser Sichtweise ein Sozialisations- schließt zum anderen die Fa¨ higkeit ein, selbstbe- faktor unter vielen (z.B. Familie, peer-group, Schule stimmt und solidarisch mit anderen an der Vera¨ nde- usw.). Medienhandeln ist folglich nur im Zusammen- rung solcher Strukturen mitzuwirken und so Gesell- hang mit anderen Faktoren zu erkla¨ ren und zu ver- schaft mit zu gestalten. stehen. Die Zielsetzung ,Kommunikative Kompetenz’ bein- Dem Rezipienten wird dabei der Status eines gesell- haltet in dieser Sichtweise nicht nur die hierfu¨ r no¨ ti- schaftlichen Subjekts zugesprochen, das sich im Pro- ge Sprachkompetenz, sondern auch Handlungskom- zeß seiner Sozialisation mit der Lebenswelt auseinan- petenz. ,Kommunikative Kompetenz’ beschreibt dersetzt und diese aktiv mitgestaltet, wobei sein weder einen Zustand noch ein zu erreichendes Ziel. Medienhandeln integrierter Bestandteil dieses Pro- Sie ist an historische, situative und personale Bedin- zesses ist. gungen gebunden und muß als Ziel pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen immer wieder neu definiert und be- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik basiert auf gru¨ ndet werden. Um kommunikative Kompetenz zu Erkenntnissen medienpa¨ dagogischer Forschung, die entwickeln, muß der Mensch lernen54) den genannten Zusammenhang von Alltagshandeln und Medienhandeln untersucht und danach fragt, --- zu informieren und Informationen aufzunehmen; wie Kinder und Jugendliche mit Medien umgehen, --- in instrumentell-besta¨ tigender Kommunikation, welche Orientierungen sie in den Medien suchen d. h. in jeder Form sozialen Lernens, Beziehungen und wie sie diese ihren allta¨ glichen Erfahrungen zu- und verla¨ ßliche Gemeinsamkeiten aufrechtzuer- ordnen, wie sie Medieninhalte be- und verarbeiten, halten; welche Probleme dabei auftreten und wo die Heran- wachsenden Unterstu¨ tzung beno¨ tigen. --- Kommunikation als freies Beziehungsspiel zu er- fahren; In ihren medienpa¨ dagogisch-praktischen Bemu¨ hun- gen ist handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik in --- in gewinn-orientierten Dialogen, d. h. in Streitge- erster Linie --- wie jede Pa¨ dagogik --- Hilfe zur spra¨ chen, in denen es um die einsichtigeren Argu- Lebensbewa¨ ltigung und Unterstu¨ tzung des Heran- mente geht, seine Meinung zu behaupten; wachsenden auf seinem Weg zum mu¨ ndigen und emanzipierten Individuum. Als Medienpa¨ dagogik --- in Entscheidungs-Dialogen die Interessen seiner hat sie daru¨ ber hinaus natu¨ rlich den spezifischen Ge- Person und seiner Gruppe zu vertreten; --- sein Selbstversta¨ ndnis in einer reflektierten und 52) exemplarisch Ro¨ ll, F.J. (1985). Schwimmenlernen in der Bil- heilen Ich-Identita¨ t zu finden; derflut. In: Ko¨ hler, H.; Poth, L. (1985). Das Siebdruck Hand- buch fu¨ r Kunst, Freizeit, Schule, Sozialarbeit. Reinheim. --- durch Kommunikation zu lernen und zu lehren; Ro¨ ll, F.J. (1988). Video ist erst der Anfang von der Wort- zur Bildkultur. In: av-information (hrsg. Vom Landesfilmdienst --- die System-Besta¨ nde, d. h. die gesellschaftlichen fu¨ r Jugend- und Erwachsenenbildung in Hessen e.V.) 1, Verha¨ ltnisse im weitesten Sinne, in wissenschaft- 2/88, S. 4ff. lich-diskursiver Reflexion zu hinterfragen mit dem Baacke, D. (1997). Kevin, Wayne und andere --- Kinder und Ziel, eine begru¨ ndete und human glaubwu¨ rdige a¨ sthetische Erfahrung. In: Von Gottberg, J.; Mikos, L.; Wie- demann, D. (Hrsg.)(1997). Kinder an die Fernbedienung. Konzepte und Kontroversen zum Kinderfilm und Kinder- 54) Die folgende Definition stammt von Baacke (vgl. Baacke, fernsehen. Berlin D. (1973). Kommunikation und Kompetenz. Mu¨ nchen, 53) Zu den folgenden Ausfu¨ hrungen vgl. Schell, F. (1993) (2). S. 293) und wurde von Schell (vgl. Schell, F. (1993) (2). Akti- Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. ve Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Mu¨ nchen Mu¨ nchen, S. 66) erga¨ nzt.
38 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001
Entwicklung der gesellschaftlichen Systeme zu standsbereichen sozialer Realita¨ t nutzen zu ko¨ nnen. befo¨ rdern. In der Konkretion meint dies die bewußte Auswahl zwischen audiovisuellen Angeboten nach a¨ stheti- In einer Gesellschaft, in der Kommunikation und In- schen und moralischen Aspekten und die kritisch-re- teraktion ganz wesentlich u¨ ber Medien bestimmt flexive Nutzung dieser Angebote, um die eigene Le- sind, ist Medienkompetenz ein wesentlicher Be- benswelt besser bewa¨ ltigen zu ko¨ nnen und sie im standteil kommunikativer Kompetenz.55) Hinblick auf gesellschaftliche, politische und kultu- Medienkompetenz bedeutet mehreres: relle Dimensionen zu bereichern. a) Medienentwicklungen erfassen, kritisch reflektie- Mediale Angebote kann nur derjenige kritisch-refle- ren und bewerten ko¨ nnen. xiv entschlu¨ sseln und verstehen, der die Grundlagen medialer Gestaltungs- und Darstellungsformen von Die Durchdringung unserer Welt mit Medien ist Sprache, Schrift, Symbolen, Animationen, Graphi- heute so umfassend, daß es dem Einzelnen nicht ken, Bildern oder Filmen kennt und der die Medien- mo¨ glich ist, sich Wissen u¨ ber die Medien in allen Be- inhalte auf ihre Bezu¨ ge zur Realita¨ t hin u¨ berpru¨ fen reichen anzueignen. Entscheidend ist daher der Er- und relativieren kann. Dies gilt nicht nur fu¨ r den In- werb von Grundlagenwissen in allen Disziplinen, die formationsbereich, auch im Bereich der Unterhaltung von Medientechnologie tangiert werden, u. a. in der werden Orientierungen und Lo¨ sungsmuster fu¨ r das Produktion, Distribution und Anwendung von Me- Alltagshandeln angeboten, die es kritisch zu hinter- dien, in rechtlichen Aspekten, in Mediensystemen fragen gilt. In Bezug auf die Auswahl und Nutzung usw., verbunden mit Strukturwissen, um verschie- von Medien als Freizeitaktivita¨ t schließt dies auch dene Informationen aufeinander beziehen und beno¨ - die sta¨ ndige Abwa¨ gung der Nutzung anderer Frei- tigte Informationen wie Detailwissen selbst rasch zeitangebote ein und die Fa¨ higkeit, mediale Ange- und aktuell ermitteln zu ko¨ nnen. Einfluß auf die Ent- bote genießen zu ko¨ nnen. wicklung und Anwendung der im Detail ho¨ chst kom- plexen und komplizierten Gera¨ te, Programme, Netze Medienkompetenz ist hier also die Fa¨ higkeit, mit usw. kann nur derjenige nehmen, der die Strukturen Medientechnik umgehen zu ko¨ nnen und die Fa¨ hig- erkennt. Zu diesem Strukturwissen muß außerdem keit, mit Hilfe einer kritisch-reflexiven Medienaus- der Erwerb von Orientierungswissen treten, um auf wahl und -nutzung die eigene Lebenswelt besser be- der Basis historischer, ethischer, politischer und a¨ s- wa¨ ltigen und bereichern zu ko¨ nnen. thetischer Einsichten und Kenntnisse das erworbene c) Medien aktiv als Kommunikationsmittel nutzen Wissen ebenso wie die Pha¨ nomene der Informations- ko¨ nnen. und Kommunikationstechnologie kritisch-reflexiv bewerten zu ko¨ nnen. In einer Gesellschaft, deren Kommunikation in allen Bereichen (Arbeitswelt, Bildung, Freizeit usw.) weit- Medienkompetenz ist also hier die Fa¨ higkeit, auf der gehend u¨ ber Medien erfolgt, haben einzelne oder Basis von Grundlagen-, Struktur- und Orientierungs- Gruppen nur eine Chance zur Partizipation, wenn sie wissen sich der Medien bedienen und sich in Netzen in der Lage sind, auch aktiv mit Hilfe der verfu¨ gba- bewegen und diese bewerten zu ko¨ nnen sowie medi- ren Medien zu kommunizieren. Dazu sind Fa¨ higkei- ale Technik, Produktion, Produktionsinteressen und ten und Fertigkeiten des Handelns erforderlich. Hier- inhaltliche Angebote miteinander in Beziehung set- zu geho¨ ren wiederum Fertigkeiten im Umgang mit zen zu ko¨ nnen. Medien als technische Gera¨ te, vor allem aber die b) Selbstbestimmt, kritisch-reflexiv und genußvoll Fa¨ higkeit der Subjekte, Medien zur menschlichen mit Medienangeboten und -inhalten umgehen ko¨ n- Kommunikation zu nutzen und sie in diesem Nut- nen. zungsprozeß dem Ziel zuzuordnen, selbstta¨ tig im Austausch mit anderen soziale Realita¨ t zu gestalten. Angesichts der sta¨ ndig zunehmenden Fu¨ lle an Me- dienangeboten und -inhalten wird es immer wichti- Handlungsfa¨ higkeit in diesem Sinne kann allerdings ger, Nutzung und Konsum aufgrund eigener, nicht nur unter der Bedingung erworben werden, daß Me- fremdbestimmter Wu¨ nsche und Bedu¨ rfnisse gestal- dien als Einzelgera¨ te wie als Systeme und Netze al- ten zu ko¨ nnen. len zur Verfu¨ gung stehen. Die Gestaltung medialer Netze und Systeme muß ein Prozeß sein, in den zu- Hierzu geho¨ rt der Erwerb von Anwendungswissen, mindest potentiell jeder Nutzer auch als Produzent also der Fertigkeit im Umgang mit Medien als techni- und Distributor eingreifen kann. Die derzeitigen und sche Gera¨ te. Hierzu geho¨ rt aber vor allem die Fa¨ hig- ku¨ nftig noch weit mehr ausgebauten Mediennetze keit, Medien zur Er- und Bearbeitung von Gegen- werden nur dann zur Demokratisierung und zu mehr Partizipation beitragen, wenn sie eine gleichberech- 55 ) Die folgenden Ausfu¨ hrung zur Begriffsbestimmung von tigte Pra¨ sentation eigener Informationen an alle Medienkompetenz basieren auf den U¨ berlegungen in fol- genden Publikationen: Empfa¨ nger dieser Netze ermo¨ glichen, wozu zumin- Baacke, D. (1996). Medienkompetenz --- Begrifflichkeit und dest die Chance besteht. sozialer Wandel. In: Rein, A. von (Hrsg.). Medienkompe- tenz als Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn Die eigene aktive Nutzung von Medien erfordert ne- Schell, F. (1997). Jugendinformation = Bildung? Medien- ben den genannten Fa¨ higkeiten auch Kreativita¨ t und kompetenz im digitalen Informations-zeitalter. In: Jugend- Gestaltungsvermo¨ gen. politik 2/1997, S. 11ff. Schorb, B. (1997). Medienkompetenz. In: Hu¨ ther, J., Medienkompetenz meint hier also die Fa¨ higkeit, Me- Schorb, B., Brehm-Klotz, Ch. (Hrsg.). Grundbegriffe Me- dien als Kommunikationsmittel zu nutzen, um eigene dienpa¨ dagogik. Mu¨ nchen Sichtweisen von Welt und Individualita¨ t, von rele-
39 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode vanten Themen und von perso¨ nlichen Problemen fizierung von Eltern und Multiplikatorinnen und zum Ausdruck zu bringen mit Sprache, Bildern, To¨ - Multiplikatoren in den Erziehungs- und Bildungsbe- nen und Symbolen und in Auseinandersetzung mit reichen erscho¨ pfen. Sie muß vielmehr dafu¨ r sorgen, anderen soziale Realita¨ t zu gestalten. daß auf allen Ebenen Bedingungen geschaffen wer- den, die die Realisierung der Zielsetzungen ermo¨ gli- Die genannten Dimensionen von Medienkompetenz chen. Das bedeutet, daß Medienpa¨ dagogik ihre Er- mu¨ ssen fu¨ r pa¨ dagogische Handlungskonzepte zum kenntnisse und daraus abgeleitete Forderungen an einen noch sta¨ rker spezifiert und ausgestaltet, zum die Medien richten muß, die Gestaltung und Inhalt anderen in ihrer Bedeutung fu¨ r verschiedene Alters- ihrer Produkte verantworten. Das bedeutet außer- gruppen bestimmt werden. Man kann zum Beispiel dem, daß Medienpa¨ dagogik mit dezidierten Forde- von Grundschulkindern nicht verlangen, daß sie u¨ ber rungen und einem Mitspracherecht als Expertinnen Verflechtungen im Mediensystem Bescheid wissen. und Experten bei medien-relevanten Entscheidun- Diese Ausdifferenzierung vorzunehmen ist Aufgabe gen an (Medien)Politik beteiligt werden muß, da der Medienpa¨ dagogik. Sie muß auch Konzepte vorle- diese fu¨ r die gesetzlichen Rahmenbedingungen und gen, wie die entsprechenden Fa¨ higkeiten in den un- auch fu¨ r ethisch-moralische Grundwerte des Me- terschiedlichen Altersgruppen und Handlungsfel- dienhandelns in unserer Gesellschaft Verantwortung dern pa¨ dagogisch vermittelt werden ko¨ nnten und tra¨ gt. Insofern sind auch die Medien selbst und die wie die medienpa¨ dagogische Kompetenz der Eltern, Politik Adressaten von Medienpa¨ dagogik. der Lehrerinnen und Lehrer, der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Kinder- und Jugendarbeit aussehen mu¨ ßte. 4.3 Beschreibung von Handlungsfeldern der Medienpa¨dagogik Adressaten Die fu¨ r die Vermittlung von kommunikativer Kompe- Medienpa¨ dagogische Maßnahmen richten sich pri- tenz und Medienkompetenz relevanten Orte sind im ma¨ r an Kinder und Jugendliche. Fu¨ r sie ist der Um- Grunde all diejenigen, an denen Kinder und Jugend- gang mit Medien eine Selbstversta¨ ndlichkeit, weil liche mit Medien umgehen und/oder etwas lernen: sie in eine von Medien bestimmte soziale Lebenswelt hineingewachsen sind. So geho¨ rt die Nutzung von --- das Elternhaus Medien zu ihren liebsten Freizeitbescha¨ ftigungen. --- der Kindergarten Aber auch in anderen Lebensbereichen, z.B. in der Schule, geho¨ ren Medien zum Alltag. --- die Schule Die Massenmedien und zunehmend auch die Indivi- --- die außerschulische Jugendarbeit dualmedien (z.B. Online-Angebote im Internet) stel- --- die Medien selbst. len fu¨ r die Heranwachsenden ein eigenes Lernfeld dar, denn sie suchen dort neben Unterhaltung, Span- Voraussetzung dafu¨ r, in diesen Feldern medienpa¨ d- nung und Entspannung auch nach Orientierungen agogisch zu wirken und entsprechende Lernprozesse fu¨ r ihr eigenes Lebens, fu¨ r ihr Groß-Werden, aber zur Entwicklung von Medienkompetenz anzuregen, auch fu¨ r die Bewa¨ ltigung aktueller Problemlagen. Da ist die Qualifizierung der Erwachsenen, die im jewei- Kinder und Jugendliche aber erst dabei sind, sich so- ligen Lernfeld Verantwortung fu¨ r die Heranwachsen- ziale Realita¨ t anzueignen, Kompetenzen zu entwik- den tragen. Entsprechende Qualifizierungskonzepte keln und Meinungen, Einstellungen und Werthaltun- und -maßnahmen zu entwickeln und durchzufu¨ hren gen aufzubauen, und dies in unserer komplexen bzw. zu begleiten, ist ebenfalls Aufgabe der Medien- Welt immer schwieriger wird, brauchen sie dafu¨ r Un- pa¨ dagogik. terstu¨ tzung. Die medienpa¨ dagogische Kompetenz der Erzieher Da Medien alle Lebensbereiche der Heranwachsen- und Bildner sollte folgende Dimensionen umfassen, den durchdringen, mu¨ ssen medienpa¨ dagogische die natu¨ rlich fu¨ r die einzelnen Handlungsfelder kon- Maßnahmen auch in allen Bereichen angeboten wer- kretisiert und spezifiziert werden mu¨ ssen: den, in denen Kinder und Jugendliche mit Medien --- Sensibilita¨ t fu¨ r Medienwelten und Medienerleb- umgehen und in denen Lernprozesse angeregt und nisse von Kindern; gestaltet werden ko¨ nnen. Dazu geho¨ rt die Familie ebenso wie der Kindergarten, die Schule, der Kinder- --- Wissen um Erlebnisqualita¨ t und Rezeptionsweisen hort und die außerschulische Jugendarbeit. Um dies von Kindern und Jugendlichen; zu ermo¨ glichen, mu¨ ssen diejenigen, die in diesen Be- --- Wissen um entwicklungs- und medienpsychologi- reichen mit Erziehungs- und Bildungaufgaben befaßt sche Aspekte der Mediennutzung; sind, medienpa¨ dagogisch qualifiziert werden: Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, --- Kenntnisse von medienpa¨ dagogischen Konzepten Sozialpa¨ dagoginnen und Sozialpa¨ dagogen, haupt- und Kompetenz, diese im pa¨ dagogischen Prozeß und ehrenamtliche Jugendleiterinnen und Jugend- anzuwenden. leiter. Sie sind deshalb ebenfalls Adressaten der Me- dienpa¨ dagogik. a) Elternhaus Um die angestrebten Zielsetzungen kommunikative Kompetenz und Medienkompetenz verfolgen zu Eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Medien- ko¨ nnen, kann Medienpa¨ dagogik sich nicht in der Ar- kompetenz spielt das Elternhaus. Schon im fru¨ hen beit mit Kindern und Jugendlichen und in der Quali- Alter werden grundlegende Fa¨ higkeiten und Fertig-
40 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 keiten fu¨ r den Umgang mit Medien gelegt. Wie zahl- Einen neuen Weg beschreitet das Projekt ,FLIMMO reiche Untersuchungen jedoch zeigen, sind nur we- --- Fernsehen mit Kinderaugen’. In Form einer peri- nige Eltern auf ihre Rolle vorbereitet, diesen Lernpro- odisch erscheinenden Broschu¨ re in Massenauflage zeß zu gestalten. In den wenigsten Fa¨ llen zeichnen und in Form eines Online-Dienstes, die vom Verein sie sich selbst als medienkompetente Nutzer aus, in fu¨ r Programmberatung e.V. herausgegeben und ver- noch selteneren Fa¨ llen haben sie ein Konzept zur trieben und vom Institut Jugend Film Fernsehen er- Medienerziehung.56) stellt werden59), werden auf der Basis wissenschaftli- cher Erkenntnisse Orientierungshilfen fu¨ r die Um die Entwicklung von Medienkompetenz bei ih- Fernseherziehung gegeben. Der ,FLIMMO’ nimmt ren Kindern fo¨ rdern zu ko¨ nnen, bedarf es einer Reihe das gesamte kinderrelevante Fernsehprogramm (das an Qualifizierungs- und Unterstu¨ tzungmaßnahmen sind explizite Kindersendungen, aber auch Sendun- fu¨ r Eltern: gen, die sich nicht direkt an Kinder richten, die sie Eltern mu¨ ssen in erster Linie ein Versta¨ ndnis fu¨ r die aber gerne sehen) der am meisten verbreiteten Sen- Medienrezeption, fu¨ r das Medienhandeln ihrer Kin- der in den Blick und beschreibt die Sendungen da- der entwickeln. Sie mu¨ ssen z.B. begreifen, daß Kin- nach, was Kindern an ihnen gefa¨ llt, d. h. er nimmt die der einen anderen Blick auf Medienangebote haben, Kinderperspektive ein. Er weist, wenn no¨ tig, auf daß sie dort nicht nur Unterhaltung und Entspan- mo¨ gliche Probleme hin, die Kinder mit bestimmten nung, sondern auch nach Orientierungen und Ant- Inhalten oder Darstellungsformen bekommen ko¨ n- worten auf ihre Fragen suchen, die sie im Zusam- nen, und er informiert in knappen Artikeln u¨ ber me- menhang mit ihrer Entwicklung und ihren aktuellen dienpa¨ dagogisch relevante Fragestellungen. Damit Problemen haben. Sie mu¨ ssen verstehen lernen, daß ist er nicht nur Programmberatung fu¨ r Eltern, son- Kinder ihre Medienerlebnisse in ihren Phantasiewel- dern auch Vermittler von Einsichten in die Fernseh- ten aus- und umformen und sie zu den eigenen real- rezeption von Kindern. en Erfahrungen in Beziehung setzen. Dabei haben U¨ ber solche Aktivita¨ ten hinaus mu¨ ssen weitere Wege die Medienfiguren, ob Menschen oder Tiere, als ihre begangen bzw. ausgebaut werden, um Eltern fu¨ r me- Stars und Helden fu¨ r sie eine wesentlich sta¨ rkere Be- dienpa¨ dagogische Qualifizierungsmaßnahmen direkt deutung als fu¨ r Erwachsene. zu erreichen: Vor allem in bezug auf die multimedialen Technolo- --- Elternabende in Kinderga¨ rten und Schulen60); gien, insbesondere auf die vernetzten Medien mu¨ s- --- medienpa¨ dagogische Projekte von Kinderga¨ rten sen Eltern ein grundlegendes Orientierungs- und und Schulen, die zusammen mit den Familien Strukturwissen erwerben, um die Nutzung dieser durchgefu¨ hrt werden; Medien, deren technische Handhabung die Jugend- lichen meist virtuos und fast immer besser als Er- --- Kursangebote zur Medienpa¨ dgogik an Volkshoch- wachsene beherrschen, einscha¨ tzen und ggf. pa¨ d- schulen und anderen Einrichtungen der Erwach- agogische Maßnahmen ergreifen zu ko¨ nnen. senenbildung; Um dies alles leisten zu ko¨ nnen, brauchen Eltern Be- --- vorhandene Beratungsstellen sollten die Aufgabe ratung und Hilfestellung. Die Angebote mu¨ ssen da- u¨ bernehmen, Eltern in medienpa¨ dagogischen Fra- bei so gestaltet sein bzw. solche Wege gehen, daß sie gen zur Seite zu stehen; auch eine breite Schicht von Eltern und nicht nur die --- usw. bildungswilligen Mu¨ tter und Va¨ ter erreichen. Eine Mo¨ glichkeit sind beispielsweise medienpa¨ dago- gische Materialien, die knapp gehalten und in gut b) Kindergarten versta¨ ndlicher Form gestaltet sind und die potentiell viele Familien erreichen. Dazu geho¨ rten die von der Der Kindergarten ist der erste pa¨ dagogisch organi- Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung herausgegebe- sierte Lernort fu¨ r Kinder. Wenn Kinder mit ca. drei nen und vertriebenen Materialien „Neue Medien. Jahren in den Kindergarten kommen, bringen sie in Freunde unserer Kinder?“57), die zu vielen medien- der Regel schon eine Menge an Medienerfahrungen pa¨ dagogischen Fragen Stellung bezogen haben. Ein mit. Da Kinder ihre Medienerlebnisse --- wie andere weiteres Beispiel ist die Elternbroschu¨ re aus dem Alltagserlebnisse auch --- in erster Linie mit Gleichalt- Materialpaket ,Alles auf Empfang’58) die eine Reihe rigen austauschen, und dies in den vielen Ein-Kind- an Hinweisen zur Fernsehrezeption von Kindern ent- oder Zwei-Kinder-Familien nicht oder nur begrenzt ha¨ lt. mo¨ glich ist, hat der Kindergarten hier eine große Be- deutung. Allerdings haben die Kinderga¨ rten bis vor wenigen Jahren wegen einer selbst verordneten Me- 56) Vgl. exmplarisch Hurrelmann, B., Hammer, M., Stelberg, K. (1996). Familienmitglied Fernsehen. Fersehgebrauch und Probleme der Fernseherziehung in verschiedenen Fami- 59) Der ,FLIMMO’ sowie na¨ here Informationen dazu sind er- lienformen. Opladen. ha¨ ltlich u¨ ber den Verein fu¨ r Programmberatung e.V., Post- Vgl. auch Kap. 3.3 dieses Gutachtens. fach 801344, 81613 Mu¨ nchen; als Online-Dienst, der 57) Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung (Hrsg.)(o.J.). Neue jeweils das aktuelle Programm der na¨ chsten zwei Wochen Medien --- Freunde unserer Kinder?. Bonn (Der Materialsatz beinhaltet, ist der ,FLIMMO’ erreichbar unter http:// entha¨ lt eine Broschu¨ re fu¨ r Eltern, eine Broschu¨ re fu¨ r Erzie- www.flimmo.de herinnen/Erzieher und ein Poster) 60) Zur Gestaltung solcher Elternabende liegen einige Mate- 58) Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. rialien vor, z. B. Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle (Hrsg.)(1995). Alles auf Empfang? Familie und Fernsehen. Bayern e.V. (Hrsg.)(1995). Alles auf Empfang? Familie und Mu¨ nchen Fernsehen. Zusammenarbeit mit Eltern. Mu¨ nchen
41 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode dienabstinenz --- es galt die Meinung, daß Medien im bar. In Elternabenden und gemeinsamen medien- Kindergarten nichts verloren haben --- kaum medien- pa¨ dagogischen Projekten ko¨ nnen hier eine effiziente pa¨ dagogische Konzepte entwickelt und realisiert. Medienerziehung der Kinder und eine medienpa¨ d- Erst in den letzten Jahren wurde die Notwendigkeit agogische Qualifizierung der Eltern erreicht werden. erkannt, bereits im Kindergarten mit medienpa¨ dago- Der Bedarf nach medienpa¨ dagogischen Modellen im gischer Arbeit zu beginnen, was z.B. in einem Be- Kindergartenbereich ist groß. Es ist aber noch viel schluß der Jugendministerkonferenz im Jahre 1997 U¨ berzeugungsarbeit zu leisten, um Medienpa¨ dago- ihren Ausdruck fand. Entsprechend wurde damit be- gik auf einer breiteren Basis in den Kinderga¨ rten zu gonnen, Medienpa¨ dagogik in die Ausbildung von Er- verankern. zieherinnen und Erziehern an den Fachakademien aufzunehmen. Dort mangelt es jedoch an entspre- Die medienpa¨ dagogische Aus- und Fortbildung der chend qualifizierten Dozentinnen und Dozenten. Erzieherinnen und Erzieher muß erheblich ausge- Durchgefu¨ hrt wurde inzwischen auch eine Reihe an baut werden. Auch die Ausstattung der Kinderga¨ rten Modellprojekten zur Entwicklung und Umsetzung mit Medien la¨ ßt noch viele Wu¨ nsche offen. medienpa¨ dagogischer Konzepte im Kindergarten.61)
Allerdings haben viele Erzieherinnen und Erzieher, c) Schule die schon lange in der Praxis stehen, noch ein distan- Der Schule kommt eine bedeutsame Rolle bei der ziertes Verha¨ ltnis zur Medienpa¨ dagogik und eine be- Vermittlung von Medienkompetenz zu. Sie hat die wahrpa¨ dagogische Einstellung, was verhindert, daß Aufgabe, Kinder und Jugendliche fu¨ r ihr Leben zu sie die Medien zum Thema im Kindergarten machen. qualifizieren, wozu heute der kompetente Umgang mit Medien geho¨ rt. Der Schule kommt hierbei auch Selbstversta¨ ndlich mu¨ ssen im Kindergarten einfache, deshalb eine wesentliche Rolle zu, weil sie alle Her- den Kindern angemessene Formen medienpa¨ dagogi- anwachsenden erreicht, denn die Schule muß jede schen Handelns gefunden werden. Wichtig ist hier und jeder durchlaufen. ein spielerisches Herangehen an das Thema und die Beru¨ cksichtigung der Tatsache, daß Kinder --- vor al- Die Schule ist dieser Aufgabe bisher nur unzurei- lem bezogen auf ihre bevorzugten Medien wie z.B. chend gerecht geworden. Zwar hat sie Medien schon Zeichentrickserien im Fernsehen --- in manchen Be- immer in ihr unterrichtliches Handeln einbezogen, reichen schon ,Experten’ sind. aber fast ausschließlich als didaktische Mittel der Wissensvermittlung. Die Medien als Thema des Un- terrichts blieben die Ausnahme und beschra¨ nkten Ein Beispiel dafu¨ r, Fernsehen kindgerecht transpa- sich meist auf die sprachliche Analyse von Texten. rent zu machen, ist das Modellprojekt ,Kinder krie- Medienpa¨ dagogik in der Schule war und ist vorwie- chen durch die Ro¨ hre’, das die Medienstelle Augs- gend Unterrichtstechnologie. burg in einem Kindergarten durchgefu¨ hrt hat.62) Nach einigen ,Theater-Spielen’ in einem leeren Fern- Erst mit der versta¨ rkten o¨ ffentlichen Diskussion um sehrahmen (zerlegtes Fernsehgeha¨ use) war in einem mehr Medienpa¨ dagogik in der Schule haben me- funktionierenden Fernseher plo¨ tzlich ein Teil der dienpa¨ dagogische Ziele und Maßnahmen Eingang in Kinder auf dem Bildschirm zu sehen, die nicht im die Lehrpla¨ ne gefunden, dort allerdings, wie eine Raum waren. Die Kinder gingen der Frage nach, wo- Lehrplananalyse ergab, lediglich als ,wichtige her die Bilder kommen und verfolgten das Kabel bis Nebensache’63). Beschlu¨ sse zur Medienpa¨ dagogik zur Kamera, die im Zimmer nebenan stand und die wurden auf ho¨ chsten Ebenen gefaßt. Im Orientie- das Spiel der dort agierenden Kinder aufzeichnete rungsrahmen der Bund-La¨ nder-Kommission fu¨ r Bil- und u¨ bertrug. Mit mehreren Einheiten, in denen dungsplanung und Forschungsfo¨ rderung wurde Daumenkinos gezeichnet und hergestellt, Kratzfilme 1994 mehr Medienerziehung in der Schule gefor- produziert und Tricks mit der Kamera vorgestellt dert.64) Die Kultusministerkonferenz hat 1995 betont, wurden und selbst erprobt werden konnten, lernten daß „Medienpa¨ dagogik die Schu¨ lerinnen und Schu¨ - die Kinder eine Menge u¨ ber Entstehung von Fern- ler zu einem sachgerechten, selbstbestimmten und sehsendungen und die Gestaltungsprinzipien des sozial verantwortlichen Umgang mit den Medien be- Films. Vieles haben die Kinder danach in den ,ech- fa¨ higen muß“.65) Einige Kultusministerien haben ei- ten’ Fernsehsendungen wiedererkannt. gene Rahmenpla¨ ne fu¨ r Medienerziehung herausge-
Eine wichtige medienpa¨ dagogische Aufgabe der Kinderga¨ rten ist die Elternbildung. Eltern von Kin- dergartenkindern sind in der Regel noch gut erreich-
61) Vgl. exemplarisch: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.)(1994). Handbuch Me- dienerziehung im Kindergarten. Teil 1: Pa¨ dagogische Grundlagen. Teil 2: Praktische Handreichungen. Opladen Neuß, N., Pohl, M., Zipf, J. (1997). Erlebnisland Fernsehen. 63) Eschenauer, B. (1989). Medienpa¨ dagogik in den Lehrpla¨ - Medienerlebnisse im Kindergarten aufgreifen, gestalten, nen. Eine Inhaltsanalyse zu den Curricula der allgemeinbil- reflektieren. Mu¨ nchen denden Schulen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. 62) Medienstelle Augsburg des Institut Jugend Film Fernse- Gu¨ tersloh hen, Jugendamt Augsburg (Hrsg.) (1993). Kinder kriechen 64) Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsfo¨ rde- durch die Ro¨ hre. Erfahrungen und Anregungen aus einem rung, Heft 44, Bonn 1995 Medienprojekt im Kindergarten. Augsburg 65) Erkla¨ rung der Kultusministerkonferenz vom 12. Mai 1995
42 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 geben.66) Medienpa¨ dagogen haben Konzepte fu¨ r daß Lehrerinnen und Lehrer verunsichert sind, eine schulische Medienerziehung ausgearbeitet und weil ihre Schu¨ lerinnen und Schu¨ ler die Medien vorgelegt67) und innovative Modelle erprobt, z.B. ein wesentlich versierter handhaben als sie selbst. Konzept zur Medienerziehung in Grundschulen, das Fu¨ r die mangelhafte Situation medienpa¨ dagogischer in Leipziger Grundschulklassen erfolgreich durchge- Aktivita¨ ten an Schulen spielt auch die Wertigkeit der fu¨ hrt, inzwischen aber wegen mangelnder Finanzie- Massenmedien bei den Mitgliedern von Lehrplan- rung eingestellt werden mußte.68) kommissionen, der Bildungsverwaltung in Ministe- All diese Bemu¨ hungen haben in der schulischen Pra- rien und Beho¨ rden eine wesentliche Rolle. Solange xis noch wenig Erfolg gezeitigt. dort der literarische Text, die Lesefo¨ rderung und -er- ziehung der Maßstab allen Handelns bleiben, wer- Die Tatsache, daß Medienpa¨ dagogik in der Schule den die audiovisuellen Medien und die Mediennetze 69 wenig verbreitet ist ), hat viele Ursachen. Wesentli- kaum nennenswert in den Blickwinkel der Schule che Gru¨ nde hierfu¨ r sind: gelangen. --- Die strukturellen Gegebenheiten der Schule ste- Was derzeit in Bezug auf Multimedia und Medien- hen wesentlichen Bedingungen zur Entwicklung netze in Schulen geschieht, ist unzureichend. Mit von Medienkompetenz entgegen, z. B. durch den Aktionen wie „Schulen ans Netz“ oder anderen Pro- Stundentakt (im Stundenrhythmus ist beispiels- grammen der technischen Ausstattung von Schulen weise keine aktive Medienarbeit mo¨ glich), durch werden zwar medientechnische Voraussetzungen die starke Orientierung an kognitiven Lernprozes- zum Umgang mit Medien geschaffen, die u¨ brigen sen (Medienhandeln dagegen hat hohe emotio- Voraussetzungen aber meist außer Betracht gelassen. nale Anteile), durch den Zwang zur Leistungsbe- wertung (Medienhandeln erfordert subjekte Der Bedarf an Medienpa¨ dagogik in der Schule ist Wertungen und keine Zensuren), durch u¨ berfrach- groß. Um dort kommunikative Kompetenz und Me- tete Lehrpla¨ ne und eine Vielzahl an Unterrichts- dienkompetenz anregen und fo¨ rdern zu ko¨ nnen, prinzipien (Medienpa¨ dagogik gilt meist als ein mu¨ ssen noch viele Voraussetzungen geschaffen wer- Unterrichtsprinzip neben Verkehrserziehung, Ge- den, u. a.: Die Medienausstattung aller Schulen muß sundheitserziehung u. a.); verbessert werden. Die Schule muß sich in ihren Strukturen o¨ ffnen und projektorientierte, nicht zen- --- Die Schu¨ ler, die ihre Mediennutzung und ihr Me- sierte Formen des Lernens mit und u¨ ber Medien er- dienhandeln als Privatangelegenheit begreifen, mo¨ glichen, die auch die notwendigen emotionalen wehren sich emotional dagegen, daß diese Privat- Bezu¨ ge der Kinder und Jugendlichen im Umgang sache zum Unterrichtsgegenstand gemacht wird mit Medien zum Tragen kommen lassen. Die Lehre- und sind deshalb wenig motiviert fu¨ r eine analyti- rinnen und Lehrer sowie die Bildungsverantwortli- sche Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Han- chen in Ministerien und Verwaltungen mu¨ ssen ihre deln; traditionellen Orientierungen an ,hoher Kultur’ auf- --- Die Lehrerschaft hat u¨ berwiegend eine kritische geben und die Medienkultur der Heranwachsenden Distanz und eine bewahrpa¨ dagogische Haltung in den Blick nehmen. Die medienpa¨ dagogische Aus- gegenu¨ ber Massenmedien, die ihnen immer noch und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer muß als minderwertig gelten. Vor allem Lehrerinnen erheblich verbessert werden. Modelle der Medien- und Lehrer weiterfu¨ hrender Schulen haben den pa¨ dagogik in der Schule mu¨ ssen entwickelt und er- Massenmedien gegenu¨ ber eine distanzierte Hal- probt werden. tung. Die medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer ist nach wie vor mangel- d) Jugendarbeit haft, Mo¨ glichkeiten der Aus- und Weiterbildung sind nur unzureichend vorhanden. Hinzu kommt, Die außerschulische Jugendarbeit (verbandliche und offene Jugendarbeit, Jugendarbeit von Gemeinden 66) Vgl. exemplarisch das ,Gesamtkonzept Gemeinschaftsauf- und freien Tra¨ gern der Jugendhilfe u. a¨ .) erreicht gabe Medienerziehung in Bayern’, das vom Bayerischen zwar nicht alle Kinder und Jugendliche wie die Schu- Staatsministerium fu¨ r Unterricht, Kultus, Wissenschaft und le, bietet aber die besten Voraussetzungen fu¨ r die Kunst 1996 in der Reihe ,Medienzeit’ vero¨ ffentlicht wurde. Fo¨ rderung und Entwicklung von kommunikativer 67) Vgl. exemplarisch: Aufenanger, S. (1992). Verantwortung und Gerechtigkeit Kompetenz und Medienkompetenz. Sie richtet sich gegenu¨ ber Neuen Medien. Gedanken und Vorschla¨ ge fu¨ r gema¨ ß Jugendhilfegesetz an Kinder, Jugendliche die Umsetzung in schulischen Unterricht. In: Schma¨ lzle, und junge Erwachsene bis zum 26. Lebensjahr, d.h. U.F. (Hrsg.). Neue Medien --- mehr Verantwortung!. Bonn sie kann Heranwachsende u¨ ber einen langen Zeit- Tulodziecki, G. (1992). Medienerziehung als fa¨ cheru¨ berg- raum hinweg mit differenzierten altersspezifischen reifende und integrative Augabe. In: Bertelsmann Stiftung (medien)pa¨ dagogischen Angeboten begleiten. Ju- (Hrsg.)(1992). Medienkompetenz als Herausforderung an gendarbeit zielt mit ihren konzeptionellen Vorstel- Schule und Bildung, Gu¨ tersloh Tulodziecki, G. (1993). Medienerziehung in der Schule --- lungen auf Mu¨ ndigkeit und Emanzipation der Her- Zielsetzungen, Strategien, Methoden. In: Bertelsmann Stif- anwachsenden, worauf Medienpa¨ dagogik mit ihren tung (Hrsg.) (1993). Medien als Bildungsaufgabe in Ost Zielsetzungen kommunikative Kompetenz und Me- und West. Gu¨ tersloh dienkompetenz hervorragend aufbauen kann. Ju- 68 ) Vgl. Jacob, B. (1998). Medienerziehung in der Grundschu- gendarbeit unterliegt außerdem keinen methodi- le. Ein Projekt. In: medien + erziehung 1/1998, S. 51---55 69) Zur Diskussion um „Medienpa¨ dagogik in der Schule. Fikti- schen und didaktischen Zwa¨ ngen und muß ihre on oder Realita¨ t?“ siehe medien + erziehung 5/1997 (Heftt- Angebote, deren Nutzung durch die Heranwachsen- hema) den auf absoluter Freiwilligkeit beruht, so attraktiv
43 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode gestalten, daß sie auch angenommen werden. Me- viel Spaß hatten Kinder und Jugendliche bei der Pro- dienpa¨ dgogik in der Jugendarbeit kann attraktive duktion einer CD-ROM mit Bildern und Steckbriefen Ra¨ ume zur Verfu¨ gung stellen, in denen sich Kinder ihrer Stars und Helden und mit Kommentaren, die sie und Jugendliche aktiv mit Medien auseinanderset- selbst, aber auch andere Kinder und Jugendliche ver- zen. Das sind zum einen Ra¨ ume im wo¨ rtlichen Sinne, faßten und damit in intensive Diskussionen u¨ ber also Orte, an denen sich Heranwachsende treffen Starkult u. a¨ . gelangten.73) ko¨ nnen. Das sind zum anderen Ra¨ ume im u¨ bertrage- nen Sinne, also Erfahrungsra¨ ume, die einiger Vor- In diesen und a¨ hnlichen medienpa¨ dagogischen Pro- aussetzungen bedu¨ rfen: konzeptionelle U¨ berlegun- jekten zeigt sich auch immer wieder, daß hier neben gen, wie Kinder und Jugendliche motiviert werden vielen verbandlich organisierten Jugendlichen auch ko¨ nnen; Mediengera¨ te, also eine technische Ausstat- solche erreicht werden, die mit Medien arbeiten tung, die den Bedu¨ rfnissen einer fundierten Ausein- mo¨ chten, sich aber nicht in Verba¨ nden organisieren andersetzung mit Medien entsprechen und mit de- wollen. Außerdem ko¨ nnen hier auch junge Leute, die nen sich Medienproduktionen erstellen lassen, die als problematisch gelten, u¨ ber Streetwork an ihren den Vorstellungen der Heranwachsenden zumindest Treffpunkten oder u¨ ber Freizeitheime erreicht und nahe kommen; eine pa¨ dagogisch-fachliche Betreu- integriert werden. ung, die Gruppenprozesse ebenso anregen und fo¨ r- dern kann wie inhaltliche Auseinandersetzungen mit Positiv auf die Quantita¨ t und Qualita¨ t medienpa¨ d- thematischen Aspekten der Lebenswelt, die aber agogischer Maßnahmen in der Jugendarbeit hat sich auch medienspezifische Hilfestellungen zur Handha- die Existenz von Medienzentren oder anderer me- bung von Medien und zur Gestaltung von Medien- dienpa¨ dagogischer Einrichtungen ausgewirkt. Das produktionen geben kann. Beratungs- und Fortbildungsangebot dieser Einrich- tungen, die Bereitstellung von Medientechnik und Als wesentliche Methode einer handlungsorientier- viele Projektinitiativen wirken sich hier sehr positiv ten Medienpa¨ dagogik in der Jugendarbeit hat sich aus. die aktive Medienarbeit erwiesen70). Die bisherigen Erfahrungen mit aktiver Medienarbeit Trotz dieser positiven Erfahrungen ist festzustellen, zeigen, daß Kinder und Jugendliche sehr engagiert daß auch in der Jugendarbeit Medienpa¨ dagogik nur und mit hohem zeitlichen Aufwand bereit sind, sich in bescheidenem Umfang verankert ist. Dies liegt vor intensiv mit Medien bzw. mit ihrer Lebenswelt mit allem an der mangelnden Ausstattung mit sinnvoller Hilfe von Medien zu befassen, vorausgesetzt, man Medientechnik, und --- wie in der Schule auch --- an stellt ihnen hierzu die genannten ,Ra¨ ume’ zur Verfu¨ - der unzureichenden Qualifikation der Multiplikato- gung. Ein Beispiel hierfu¨ r ist das vom Bayerischen rinnen und Multiplikatoren. In der Ausbildung vieler Jugendring und dem Institut Jugend Film Fernsehen Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen ist Medien- durchgefu¨ hrte Jugendfilmfest (JuFinale), das sich mit pa¨ dagogik nicht integriert. Viele Gruppenleiterinnen Ausschreibung, Produktionsphasen und regionalen und -leiter sind ehrenamtlich und haben nie eine Ausscheidungswettbewerben jeweils u¨ ber zwei Jah- pa¨ dagogische Ausbildung genossen. re erstreckt. Im Rahmen der JuFinale 1997/98 sind u¨ ber 250 Filmproduktionen --- Spielfilme ebenso wie Die Mo¨ glichkeiten und Chancen von Medienpa¨ d- Dokumentationen und Experimente --- entstanden, agogik in der Jugendarbeit sind groß. Um kommuni- die Gruppen von Kindern und Jugendlichen oft u¨ ber kative Kompetenz und Medienkompetenz bei mo¨ g- Wochen und Monate hinweg in mu¨ hevoller Kleinar- lichst vielen Kindern und Jugendlichen zu fo¨ rdern, beit produziert haben, von Stimmungen und Ereig- mu¨ ssen allerdings noch einige Voraussetzungen nissen ihrer Nahwelt bis hin zu allgemeinen gesell- geschaffen werden. Notwendig ist eine technische schaftlichen und politischen Entwicklungen.71) Dort, Ausstattung vieler Einrichtungen, wobei gro¨ ßere wo Jugendlichen die Mo¨ glichkeit gegeben wird, ei- Mediensysteme wie digitale Video- und Audio- gene Fernsehbeitra¨ ge zu erstellen oder Radiosen- schnittpla¨ tze, Großbildprojektoren in zentralen Ein- dungen zu bauen, tun sie dies --- die vorhandenen richtungen wie Medienzentren zum Beispiel fu¨ r meh- ,Ra¨ ume’ wiederum vorausgesetzt --- mit Kompetenz rere Einrichtungen zur Verfu¨ gung gestellt werden und Arbeitseifer und, was fu¨ r Lernprozesse minde- ko¨ nnen. Notwendig sind aber vor allem Aus- und stens ebenso wichtig ist, mit viel Spaß.72) Genauso Fortbildungsmo¨ glichkeiten fu¨ r Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Jugendarbeit. Zur Qualifi- 70) Vgl. hierzu exemplarisch: zierung geho¨ rt auch die Durchfu¨ hrung von Medien- Niesyto, H. (1991). Erfahrungsproduktion mit Medien. projekten, die u¨ ber einen begrenzten Zeitraum hin- Selbstbilder, Darstellungsformen, Gruppenprozesse. Wein- weg von erfahrenen Medienpa¨ dagogen begleitet heim und Mu¨ nchen werden. Schell, F. (1993) (2). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Mu¨ nchen 71) Vgl. die Dokumentationen der Bayerischen Jugendfilmfe- 73) Vgl. Hedrich, A., Stolzenburg, E. (1998). Mit der Maushand ste, die regelma¨ ßig vom Bayerischen Jugendring und dem via Multimedia. Die CD-ROM „Stars und Helden“. In: me- Institut Jugend Film Fernsehen erstellt werden. dien + erziehung 2/1998 (in Vorbereitung) 72) Vgl. exemplarisch fu¨ r Fernsehen von Jugendlichen: Zu weiteren Multimedia-Aktivita¨ ten in der Jugendarbeit Anfang, G. (1997). Jugendfilmfo¨ rderung kann nicht alles vgl. Schell, F., Schorb, B., Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). Ju- sein. Fragen an zwei Projekte des Institut Jugend Film gend auf der Datenautobahn. Sozial-, gesellschafts- und Fernsehen. In: medien + erziehung 3/1997, S. 155ff. bildungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ nchen; fu¨ r Radio: Palme, H.-J., Hedrich, A., Anfang, G. (Hrsg.) (1997). Haupt- Palme, H.-J., Schell, F. (Hrsg.) (1998). Voll auf die Ohren 2. sache: Interaktiv. Ein Fall fu¨ r die Medienpa¨ dagogik. Mu¨ n- Kinder und Jugendliche machen Radio. Mu¨ nchen chen
44 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 e) Medien gleitband „Das große Flimmern“ zur Reihe „Tele- Rita“ einen „ZDF-Katalog fu¨ r Unterricht und Me- Die Medien sind per se ein Lernfeld fu¨ r Kinder und dienarbeit“ erstellt, der fu¨ r den Unterricht an Schu- Jugendliche. Heranwachsende nutzen Medien sehr len und anderen Bildungsinstituten herangezogen intensiv und suchen in den Medien neben Spaß und werden kann. Zudem ist in diesem Zusammenhang Unterhaltung auch nach Orientierungen. Medien auf die „ARD/ZDF-Medienbox“ mit Materialien zur sind somit allta¨ gliche ,heimliche’ Erzieher im Sinne Medienkunde hinzuweisen. nicht-intendierter Lernprozesse. Diese Tatsache er- fordert von den Medien viel Verantwortungsbewußt- sein. So mu¨ ßten z.B. Fernsehsender ihr Programm zu Auch der Su¨ dwestfunk stellt eine umfangreiche Pa- den u¨ blichen Sehzeiten von Kindern und Jugendli- lette medienpa¨ dagogischer Angebote zur Verfu¨ gung. chen, und das ist fru¨ hmorgens bis abends ca. Unter anderem wurde von September bis Dezember 21.00 Uhr an Werktagen, am Wochenende noch viel 1997 eine neue zwo¨ lfteilige Reihe „Medienerzie- la¨ nger, so gestalten, daß Kinder und Jugendliche kei- hung“ im Schulfernsehen gesendet. Eine CD-ROM nen Schaden nehmen. Daß viele Medien dieser Ver- „Medienpa¨ dagogik“ war in einer Auflagenho¨ he von antwortung nur unzureichend gerecht werden, ist 10000 Exemplaren innerhalb von drei Monaten ver- ta¨ glich und vielerorts zu beobachten. griffen. Schließlich produziert der SWF gemeinsam mit der Landesanstalt fu¨ r Kommunikation in Baden- Allerdings hat sich das Angebot fu¨ r Kinder durch die Wu¨ rttemberg eine 10teilige medien- und sozialkund- Neukonzeption von Sendern wie „Nickelodeon“ und liche Sendereihe „Krabbeln, Laufen --- Internet“, die Super RTL, die fu¨ r den kommerziellen Sektor stehen, im September 1998 fertiggestellt und ab Oktober und dem von ARD und ZDF gemeinsam getragenen 1998 in 3sat und SWR ausgestrahlt wird. „Kinderkanal“ doch in erheblichem Maße verbessert. Diese ganz auf Kinder konzentrierten Sender haben auch den positiven Nebeneffekt, daß Kinder sich da- Medien ko¨ nnen auch medienpa¨ dagogische Aktivita¨ - durch ernstgenommen fu¨ hlen. ten mit ihren Mitteln unterstu¨ tzen und fo¨ rdern. Der bundesweite Video-Wettbewerb ,Drugs suck --- Film- Medien ko¨ nnen aber auch intentional zur Fo¨ rderung regie statt ecstasy’75), mit dem Jugendliche angeregt kommunikativer Kompetenz beitragen, indem sie ihr wurden, u¨ ber Genuß, Sucht und Drogen nachzuden- Kinderprogramm mit pa¨ dagogisch fundierten und ken und ihr eigenes Verhalten zu reflektieren sowie anspruchsvollen Sendungen gestalten, die Kindern durch die Medienproduktion Medienkompetenz zu Anregungen und Informationen zur kritisch-reflexi- erwerben, wurde vom Institut Jugend Film Fernse- ven Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt ge- hen organisatorisch und medienpa¨ dagogisch betreut, ben. Voraussetzung ist allerdings, daß Aktivita¨ ten von der Bundeszentrale fu¨ r gesundheitliche Aufka¨ - dieser Art nicht mit dem pa¨ dagogischen Zeigefinger rung fachlich und finanziell unterstu¨ tzt und von drohen, also nicht belehrend wirken, da sie sonst von RTL2 publizistisch verbreitet und durch die Finanzie- der Zielgruppe Kinder nicht angenommen werden.74) rung von Workshops in mehreren Sta¨ dten der Bun- desrepublik gefo¨ rdert. Fu¨ r solche Aktivita¨ ten gibt es durchaus gute Bei- spiele. Die Medien sind ein herausragendes medienpa¨ dago- Eine explizit medienpa¨ dagogische Sendereihe und gisches Handlungsfeld, weil sie sowohl Kinder und damit ein Beitrag zur Fo¨ rderung von Medienkompe- Jugendliche, aber auch deren Eltern erreichen. Sie tenz war ,Bony und Anja’ in Kabel 1. In zehn etwa 5 ko¨ nnen sozusagen Thema und Transmissionsriemen bis 10minu¨ tigen Sendungen, die u¨ ber mehrere Wo- von Medienpa¨ dagogik sein. chen hinweg ausgestrahlt wurden, wurde das Me- dienverhalten und -handeln von Kindern thematisiert und kritisch hinterfragt. Die Sendungen richteten Leider sieht die Realita¨ t der Medien weitgehend an- sich an Kinder, konnten aber auch Eltern viele Infor- ders aus. Das Schielen nach Einschaltquoten oder ho- mationen u¨ ber die Medienrezeption von Kindern ge- he Verkaufszahlen zur Sicherung des wirtschaftli- ben. Die Sendungen, die aus Mitteln der Film- und chen Erfolges rangieren weit vor U¨ berlegungen Fernsehfo¨ rderung finanziert wurden, waren aufwen- pa¨ dagogischer, ethischer und moralischer Art. dig und entsprechend teuer. Fu¨ r eine einmalige Aus- strahlung zu einer Sendezeit (montags morgens nach 8.00 Uhr), zu der nur wenige Kinder und Eltern er- Gefordert ist mehr Verantwortungsbewußtsein der reichbar sind, ist die Frage nach der Relation von Medien gegenu¨ ber Kindern und Jugendlichen in der Aufwand und Ertrag durchaus angebracht. Gestaltung und im Vertrieb ihrer Produkte. Die Me- dien, die von ihrer Nutzung durch Kinder und Ju- Im ZDF gibt es derzeit zwar keine spezifisch medien- gendliche nicht unerheblich profitieren, stehen auch pa¨ dagogisches Programmangebote, jedoch hat die in der Pflicht, zur Fo¨ rderung von kommunikativer medienpa¨ dagogische ZDF-Reihe „Tele-Rita“ erst im Kompetenz und Medienkompetenz durch eigene Dezember 1997 geendet, nachdem sie rund zwei Jah- medienpa¨ dagogische Maßnahmen und durch die re lang alle vierzehn Tage in 43 Folgen gesendet wur- Unterstu¨ tzung von Medienpa¨ dagogik einen Beitrag de. Daru¨ ber hinaus hat der Sender neben dem Be- zu leisten.
74) Empfehlungen fu¨ r die Gestaltung von Kinderprogramm fin- 75) Vgl. Mikat, C. (1997). Drugs suck --- Filmregie statt ecstasy. den sich in: Theunert, H., Schorb, B. (1995). „Wir gucken Aktive Medienarbeit und Suchtpra¨ vention --- ein Video- besser fern als ihr!“ Fernsehen fu¨ r Kinder. Mu¨ nchen wettbewerb. In: tv diskurs 3/1997, S. 82f.
45 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode
4.4 Empfehlungen fu¨ r medienpa¨dagogische Empfehlungen fu¨ r den Bereich Schule Maßnahmen Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Lehrerin- Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Me- nen und Lehrer durch die verbindliche Aufnahme dien, der beschriebenen Medienentwicklung und von Medienpa¨ dagogik in die Hochschul-Ausbil- der derzeitigen Situation der Medienpa¨ dagogik in dung inklusive der Pru¨ fungsordnungen fu¨ r das den dargestellten Feldern lassen sich folgende Not- Staatsexamen. Einrichtung entsprechender Lehr- wendigkeiten fu¨ r medienpa¨ dagogische Maßnahmen angebote fu¨ r Medienpa¨ dagogik. Permanente Wei- ableiten, die zugleich als Empfehlungen gegeben terbildung der Lehrerinnen und Lehrer entspre- werden: chend der neuesten Medienentwicklung. Vermittlung von wissenschaftlichen medienpa¨ d- agogischen Erkenntnissen und Durchfu¨ hrung praktischer medienpa¨ dagogischer Modelle in der Empfehlungen fu¨ r die Unterstu¨ tzung der Eltern Aus- und Weiterbildung; Einrichtung medienpa¨ d- agogischer Praktika wa¨ hrend des Studiums. Angebote fu¨ r Eltern zur medienpa¨ dagogischen Qualifizierung und zur permanenten Weiterbil- Aufnahme verbindlicher medienpa¨ dagogischer dung entsprechend der neuesten Medienentwick- Projekte in die Lehrpla¨ ne aller Schulstufen. lung bereitstellen: Elternabende in Kinderga¨ rten, -horten, Grundschulen und Sekundarstufe I, Um aktive medienpa¨ dagogische Methoden an- Volkshochschulen, kirchlichen Bildungseinrich- wenden zu ko¨ nnen, sollte projektorientiertes Ler- tungen, speziellen Fachinstitutionen usw. nen eingesetzt werden. Entwicklung einfacher und versta¨ ndlicher Mate- Bei medienpa¨ dagogischen Projekten sollten keine rialen zur Darstellung und Erkla¨ rung von techni- Benotungen erfolgen. schen und inhaltlichen Medienentwicklungen mit Entwicklung medienpa¨ dagogischer Modelle und konkreten Hinweisen, wo Problembereiche fu¨ r Unterrichtsmaterialien fu¨ r die verschiedenen Al- Heranwachsende auftreten ko¨ nnen. tersstufen. Entwicklung schriftlicher und audiovisueller me- Ausstattung der Schulen mit der erforderlichen dienpa¨ dagogischer Materialien zum Versta¨ ndnis Medientechnik, insbesondere fu¨ r Formen aktiver des kindlichen Umgangs mit Medien. Medienarbeit. Entwicklung bzw. Verbreitung medienpa¨ dagogi- Zusammenarbeit mit Eltern bei medienpa¨ dagogi- scher Materialien, die Eltern Hilfestellung bei der schen Projekten. Auswahl von Medien (Computerspiele, Fernseh- angebote, etc.) geben ko¨ nnen. Anbieten von Elternabenden zu medienpa¨ dagogi- schen Fragestellungen. Entwicklung und Durchfu¨ hrung von medienpa¨ d- agogischen Projekten in Kinderga¨ rten und Schu- len, an denen Eltern beteiligt werden. Empfehlungen fu¨ r den Bereich Jugendarbeit Vorhandene Beratungsstellen sollten die Aufgabe u¨ bernehmen, Eltern in medienpa¨ dagogischen Fra- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der haupt- gen zur Seite zu stehen. amtlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (vor allem Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen) durch die verbindliche Aufnahme von Medien- pa¨ dagogik in die Ausbildung an der Hochschule. Empfehlungen fu¨ r den Bereich der Kinderga¨rten Einrichtung entsprechender Lehrangebote fu¨ r Me- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Erziehe- dienpa¨ dagogik. Permanente Weiterbildung der rinnen und Erzieher durch die verbindliche Auf- Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen entspre- nahme von Medienpa¨ dagogik in die Ausbildung chend der neuesten Medienentwicklung. Vermitt- inklusive der Pru¨ fungsordnungen und durch per- lung von wissenschaftlichen medienpa¨ dagogi- manente Weiterbildung entsprechend der neue- schen Erkenntnissen und Durchfu¨ hrung sten Medienentwicklung; Vermittlung von theore- praktischer medienpa¨ dagogischer Modelle in der tischen medienpa¨ dagogischen Erkenntnissen und Aus- und Weiterbildung. modellhafte Durchfu¨ hrung praktischer medien- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung und perma- pa¨ dagogischer Maßnahmen. nente Weiterbildung der ehrenamtlichen Multipli- Entwicklung altersspezifischer medienpa¨ dagogi- katorinnen und Multiplikatoren durch Angebote scher Modelle und Materialien. in medienpa¨ dagogischen Fachinstitutionen und sozialpa¨ dagogischen Fortbildungseinrichtungen. Ausstattung der Kinderga¨ rten mit der erforderli- chen Medientechnik. Entwicklung medienpa¨ dagogischer Modelle und Materialien. Zusammenarbeit mit Eltern bei medienpa¨ dagogi- schen Projekten. Ausstattung der Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendbildung mit der notwendigen Medien- Anbieten von Elternabenden zu medienpa¨ dagogi- technik, vor allem fu¨ r Formen aktiver Medienar- schen Fragestellungen. beit.
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