Deutscher Drucksache 13/11001 13.Wahlperiode

Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft*)

zum Thema

Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter

*) Eingesetzt durch Beschluß des deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1995 ---Drucksache 13/3219. Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Zusammensetzung der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft

Mitglieder

Vorsitzender Siegmar Mosdorf, MdB Stellvertretender Vorsitzender Dr. , MdB

Die Abgeordneten

Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder

CDU/CSU Dr. Maria Bo¨ hmer, MdB Klaus Bra¨ hmig, MdB Dr. Martin Mayer, MdB (Obmann) Renate Diemers, MdB Dr. Michael Meister, MdB Elmar Mu¨ ller, MdB Wilfried Seibel, MdB , MdB Hans-Otto Wilhelm, MdB Werner Lensing, MdB

SPD , MdB (Obfrau) Lilo Blunck, MdB Eike Hovermann, MdB Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, MdB Thomas Kru¨ ger, MdB , MdB Siegmar Mosdorf, MdB Jo¨ rg Tauss, MdB

F.D.P. Dr. , MdB (Obmann) Ju¨ rgen Koppelin, MdB

BU¨ NDNIS 90/DIE GRU¨ NEN Rezzo Schlauch, MdB (Obmann) Dr. Manuel Kiper, MdB

PDS Wolfgang Bierstedt, MdB (Obmann) Gerhard Ju¨ ttemann, MdB

Die Sachversta¨ ndigen

Dr. Dr. Heike von Benda Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt „Neue elektronische Medien“, Nu¨ rtingen

Prof. Dr. Ju¨ rgen Doeblin Fachbereich Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nu¨ rnberg

Hans-Roland Fa¨ ßler Gescha¨ ftsfu¨ hrer der Ufa fu¨ r den Bereich Ho¨ rfunk/Free TV, Leitung der Stabstelle fu¨ r Medienpolitik und Unternehmensverbindungen im Bereich TV-Film Europa der Bertelsmann AG, Hamburg

Kurt van Haaren Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Frankfurt

Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber Institut fu¨ r Politische Wissenschaft und Institut fu¨ r Journalistik, Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Universita¨ t Hamburg

Prof. Dr. Herbert Kubicek Hochschullehrer fu¨ r Angewandte Informatik mit dem Schwerpunkt Telekommunikation und Informationsmanagement der Universita¨ t Bremen

2 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Prof. Dr. Gisela Losseff-Tillmanns Fachbereich Sozialpa¨ dagogik, Fachgebiet Soziologie der Fachhochschule Du¨ sseldorf

Prof. Dr. Wernhard Mo¨ schel Lehrstuhl fu¨ r Bu¨ rgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakulta¨ t Tu¨ bingen; Arbeitsschwerpunkte: Deutsches und Internationales Kartellrecht, Wirtschaftsordnungsrecht und Bankenrecht

Prof. Dr. Arnold Picot Institut fu¨ r Organisation, Seminar fu¨ r betriebswirtschaftliche Informations- und Kommunikationsforschung, Fakulta¨ t fu¨ r Betriebswirtschaftslehre der Ludwig-Maximilians-Universita¨ t Mu¨ nchen

Prof. Dr. Hans Poerschke Dipl.-Journalist, Leipzig

Prof. Dr. Reinhart Ricker Professur fu¨ r Medienrecht und Medienpolitik am Institut fu¨ r Publizistik der Universita¨ t Mainz

Prof. Dr. Eberhard Witte Institut fu¨ r Organisation der Ludwig-Maximilians-Universita¨ t Mu¨ nchen

Kommissionssekretariat

Der Enquete-Kommission wurde vom Deutschen Bundestag zur organisatorischen und wissenschaftlichen Unterstu¨ tzung ihrer Arbeit ein Sekretariat zur Verfu¨ gung gestellt.

Leiter des Sekretariats: Dr. Gerd Renken

Stellvertretende Leiterin des Sekretariats Isolde Kießling, Diplom-O¨ konomin

Wissenschaftliche Mitarbeiter: Martina Fritsch, Sozialwissenschaftlerin Andreas Ku¨ hling, Diplom-O¨ konom (M. Sc.) Dr. Lorenz Mu¨ ller, Jurist

Sachbearbeiter/Bu¨ roleiter Klaus Braun, Diplom-Betriebswirt (FH)

Erste Kommissionssekreta¨ rin Jutta Hardt

Zweite Kommissionssekreta¨ rin Mechthild Meyer

3 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Vorwort

Die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ des Deutschen Bundestages hat 1996 ihre Arbeit aufgenommen. Sie bescha¨ ftigt sich mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der technologischen Entwicklung und dem Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien fu¨ r die Zukunft ergeben werden. Die Kommission hat die Aufgabe, parlamentarische In- itiativen vorzuschlagen, um die Chancen der Informationsgesellschaft umfassend nutzbar und die Risiken beherrschbar zu machen. Grundlegende Bereiche wie „Wirtschaft 21“, „Arbeit 21“, „Bildung 21“, „Gesellschaft 21“, „Parlament, Staat und Verwaltung 21“, „Technik 21“, sowie „Umwelt und Verkehr 21“ werden in Form von Projekten erarbeitet und in einem abschließenden Bericht vorgestellt. Zu Themen mit aktuellem politischen Handlungsbedarf erarbeitet die Enquete- Kommission Zwischenberichte. Der erste Zwischenbericht wurde am 7. Novem- ber 1996 unter dem Titel „Meinungsfreiheit --- Meinungsvielfalt --- Wettbewerb. Rundfunkbegriff und Regulierungsbedarf bei den Neuen Medien“ (Drucksache 13/6000) und der zweite am 30. Juni 1997 unter dem Titel „Neue Medien und Ur- heberrecht“ (Drucksache 13/8110) vorgelegt. Zwischenberichte zu den Themen „Sicherheit und Schutz im Netz“ und „Verbraucherschutz in der Informationsge- sellschaft“ wird die Enquete-Kommission ebenfalls in Ku¨ rze vorlegen. Das Thema des hiermit vorgelegten dritten Zwischenberichts mit dem Titel „Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter“ ist fu¨ r die Informationsge- sellschaft von zentraler Bedeutung, da auch in den neuen Medien gewaltverherr- lichende, rassistische und pornographische Inhalte transportiert werden. Aller- dings unterscheiden sich die neuen Medien von den klassischen Medien dadurch, daß Inhalte weniger stark kontrolliert werden ko¨ nnen. Die mit der Digi- talisierung jeglicher Information verbundene erleichterte Reproduzierbarkeit von Inhalten sowie die mit der weltweiten Vernetzung von Informationssystemen einhergehende Globalisierung der Medienlandschaft schra¨ nken die Effektivita¨ t traditioneller Kontrollmechanismen ein. Damit stellen sich auch neue Anforde- rungen an den Jugendmedienschutz. Dies gilt fu¨ r den Bereich der Medienpa¨ d- agogik ebenso wie fu¨ r den rechtlichen und technischen Jugendmedienschutz. Die Enquete-Kommission hat deshalb am 9. Oktober 1996 zusammen mit dem Ausschuß fu¨ r Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine O¨ ffentliche Anho¨ rung von Sachversta¨ ndigen zum Thema „Jugendschutz und neue Medien --- Nutzen und Risiken der neuen Medien fu¨ r Kinder und Jugendliche“ veranstaltet. Unter der Federfu¨ hrung der beiden Berichterstatter, Frau Dr. Maria Bo¨ hmer, MdB, und Herrn Thomas Kru¨ ger, MdB, setzte sich die Kommission danach noch unter Ein- bezug zahlreicher schriftlicher Stellungnahmen und Gutachten von Sachversta¨ n- digen, Instituten und Organisationen intensiv mit den Fragen des Kinder- und Ju- gendschutzes im Multimediazeitalter auseinander. Die Kommissionsmitglieder waren sich dabei stets bewußt, welch sensibles und in der nationalen und interna- tionalen O¨ ffentlichkeit vielbeachtetes Thema es mit aller gebotenen Verantwor- tung zu diskutieren gilt. Die Kommission hofft, mit dem nun vorgelegten Zwi- schenbericht einen Impuls zur Fortentwicklung des Jugendmedienschutzes zu geben. Der Bericht untergliedert sich in zwei Hauptbereiche: In einem ausfu¨ hrlichen Do- kumentationsteil werden die Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf natio- naler Ebene und der internationale Regelungsbedarf in konzentrierter Form vor- gestellt. Der Schwerpunkt des Zwischenberichtes liegt auf dem ersten Teil. Darin wird bei der Weiterentwicklung des Medienbereichs auch unter Einbezug des di- gitalisierten Fernsehens starkes Gewicht gelegt auf Freiwillige Selbstkontrollein- richtungen und Formen der Freiwilligen Selbstkontrolle, den technischen Ju- gendschutz und die Medienpa¨ dagogik. Wichtig ist aber vor allem, daß eine aufgekla¨ rte Gesellschaft und verantwortungsbewußte Eltern mit den neuen Me- dien umgehen lernen. Die Kommissionsmitglieder entwickelten zwei Komplexe von Empfehlungen: 1. Konsequenzen fu¨ r den Jugendmedienschutz (Kapitel 3.3.3) und den Jugend- schutz (Kapitel 3.4): Die Empfehlungen der Enquete-Kommission beziehen

4 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

sich insbesondere darauf, bewa¨ hrte Maßnahmen des Jugendschutzes weiter- zuentwickeln, beim Jugendschutz als Aufgabe der Institutionen die Maßnah- men des technischen Jugendschutzes als sinnvollen Zusatz zu verstehen, das Bewußtsein fu¨ r gefa¨ hrdende Inhalte zu scha¨ rfen und die Jugendschutzkompe- tenz der Eltern gezielt zu fo¨ rdern. 2. Letztgenannte medienpa¨ dagogische Maßnahmen werden im Kapitel 4.4 nach den Zielgruppen Eltern, Kinderga¨ rten, Schule und außerschulische Jugendar- beit differenziert. Um die angefu¨ hrten Maßnahmen fachlich fundiert und sinn- voll angehen zu ko¨ nnen, gibt die Enquete-Kommission bereichsu¨ bergreifende Empfehlungen, die die medienpa¨ dagogische Forschung, die medienpa¨ dagogi- schen Facheinrichtungen, die finanzielle Ausstattung und schließlich die Medien selbst betreffen. Die im Bericht genannten Empfehlungen benennen lediglich wesentliche Mo¨ glichkeiten und Notwendigkeiten fu¨ r medienpa¨ dago- gisches Handeln, die sich aus der Analyse der Situation, aus den bisherigen Er- fahrungen in der medienpa¨ dagogischen Forschung und Praxis in der Bundes- republik Deutschland und aus dem Stand der derzeitigen Medienentwicklung ableiten lassen. Der weiteren Entwicklung der neuen Medien ist in Zukunft auch durch eine entsprechende Ausgestaltung des Jugendmedienschutzes und des medienpa¨ dagogischen Forschens und Handelns Rechnung zu tragen. Fu¨ r Bund und La¨ nder wird sich mit dem Ausbau der Medienpa¨ dagogik und damit dem Erwerb von Medienkompetenz eine wichtige Zukunftsaufgabe stel- len. Die Kommission dankt den Sachversta¨ ndigen, Instituten und Organisationen, die ihre Arbeit durch die Bereitstellung von Materialien unterstu¨ tzt haben.

Bonn, den 4. Mai 1998

Siegmar Mosdorf, MdB Vorsitzender der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“

5 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Zwischenbericht Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter

Inhaltsverzeichnis

1. Kinder- und Jugendschutz in digitalen Medien ...... 8 1.1 Geschichte des Jugendmedienschutzes in Deutschland ...... 8 1.2 Heranwachsende und Multimedia ...... 9 1.3 Bedeutung des Unterhaltungswerts fuÈ r Heranwachsende ...... 9 1.4 Aufgaben des Jugendmedienschutzes angesichts neuer Medien . . . 10 1.5 Die sozialwissenschaftliche Sichtweise auf die Medienwirkung . . . . 11

2. Medienwirkungsforschung: Wesentliches Fundament des Kinder- und Jugendmedienschutzes . 12 2.1 Die AnfaÈ nge der Medienwirkungsforschung ...... 13 2.1.1 Traditionelle Gewaltwirkungsforschung: Auf monokausale ErklaÈ - rungen fixiert ...... 13 2.1.2 Kritik der traditionellen Gewaltwirkungsforschung: Der KomplexitaÈ t menschlichen Verhaltens unangemessen ...... 14 2.2 Medien- und Gewaltwirkungsforschung heute: Komplexere Sicht- weisen und ZugaÈ nge ...... 15 2.2.1 Lebenswelten als Basis fuÈ r das Wirksamwerden von medialen Ein- fluÈ ssen ...... 15 2.2.2 Medien oder Rezipienten als Ausgangspunkt fuÈ r ZugaÈ nge zu Wir- kungsdimensionen ...... 15 2.3 Im aktuellen Fokus qualitativer Rezipientenforschung: Kind und Fernsehen ...... 16 2.3.1 Fernsehrezeption von Kindern ...... 16 2.3.2 Der Umgang von Heranwachsenden mit Fernsehgewalt ...... 17 2.4 Medienwirkungsforschung in der kuÈ nftigen Medienwelt: Alte Pro- blemlagen und neue Dimensionen ...... 18

3. Die Felder multimedialen Jugendschutzes: Computerspiele, Internet und digitales Fernsehen ...... 20 3.1 Computerspiele ...... 20 3.1.1 Die Technik ...... 21 3.1.2 Spieler und Spiele ...... 21 3.1.2.1 Verbreitung und Nutzung von Computerspielen ...... 21 3.1.2.2 Inhalte der Spiele ...... 21 3.1.2.3 Spieler und problematische Spiele ...... 22 3.1.2.4 ,GefaÈ hrdung' durch Computerspiele ...... 23 3.2 Das Internet --- Inhalt und Zugang ...... 24 3.2.1 ZugaÈ nglichkeit zum Netz ...... 25 3.2.2 Problematische Inhaltsseiten zum Ansehen und Austauschen ...... 26 3.2.2.1 Gewaltpornographie ...... 26 3.2.2.2 Rassismus ...... 27 3.2.2.3 Extremgewalt ...... 27 3.2.2.4 Gewaltspiele ...... 28 3.2.3 Selbstkontrolle und technischer Jugendschutz ...... 29 3.2.3.1 Selbstkontrolle und Jugendschutzbeauftragte ...... 29

6 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

3.2.3.2 Technische Vorkehrungen ...... 30 3.2.3.3 Reichweite der KontrollmoÈ glichkeiten ...... 30 3.3 Jugendschutz im digitalen Fernsehen und elterliche Verantwortung 31 3.3.1 Die Untersuchung: Befragung und Praxistest ...... 31 3.3.2 Die Ergebnisse der Familienbefragung und -beobachtung ...... 32 3.3.2.1 Nutzungsmuster ...... 32 3.3.2.2 Die Kindersicherung in der Familienwirklichkeit ...... 32 3.3.2.3 Jugendmedienschutz im Blick von Eltern ...... 32 3.3.3 Konsequenzen fuÈ r den Jugendmedienschutz ...... 33 3.4 Konsequenzen fuÈ r den Jugendschutz ...... 33

4. MedienpaÈ dagogik mit der Zielsetzung Medienkompetenz als Bedingung und ErgaÈ nzung eines wirksamen Jugendschutzes . . . . . 35 4.1 Zum VerhaÈ ltnis MedienpaÈ dagogik und Jugendschutz ...... 35 4.2 Bestimmung von MedienpaÈ dagogik und ihren Zielen sowie Adres- saten ...... 37 4.3 Beschreibung von Handlungsfeldern der MedienpaÈ dagogik ...... 40 4.4 Empfehlungen fuÈ r medienpaÈ dagogische Maûnahmen ...... 46

Dokumentation

I. Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf nationaler Ebene . . . . . 48 II. Internationaler Regelungsbedarf ...... 57 Ergebnisse einer vergleichenden Analyse von Hans-JoÈ rg Albrecht/Freiburg ¹Jugendschutz, Strafrecht, Neue Medien und Internetª ...... 58

Glossar zum Zwischenbericht ...... 86 Literaturliste zum Zwischenbericht ...... 88

7 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

1. Kinder- und Jugendschutz in digitalen Medien

1.1 Geschichte des Jugendmedienschutzes die in o¨ ffentlichen Kinos gezeigt werden, vorgelegt in Deutschland werden und die Pru¨ fer der FSK parita¨ tisch von seiten der o¨ ffentlichen Hand und der Filmwirtschaft besetzt Die Auseinandersetzung mit medialen Inhalten unter werden, ist die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen der Fragestellung, ob diese Kinder und Jugendliche eine Einrichtung der kommerziellen Fernsehveran- scha¨ digen ko¨ nnen, hat in Deutschland eine lange stalter, die die Sendungen freiwillig --- und daher Tradition. Seit Beginn dieses Jahrhunderts wird Ju- eben keineswegs alle --- von den Anbietern vorgelegt gendmedienschutz als staatliche Aufgabe verstanden bekommt, sich ihre Pru¨ fer selbst auswa¨ hlt und keine und betrieben. Neben der Trivial- und manchmal Mo¨ glichkeiten der Sanktionierung hat. Zwar haben auch Hochliteratur war das Massenmedium Film bis gema¨ ß Rundfunkstaatsvertrag alle Fernsehanbieter, in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts Hauptge- auch die o¨ ffentlich-rechtlichen, einen eigenen Ju- genstand des Jugendmedienschutzes. Filme wurden gendschutzbeauftragten, dessen Position innerhalb --- bis 1945 im direkten Eingriff des Staates als Zensor der Anstalten ist jedoch schwach. In anderen Berei- --- verboten, mit Auflagen oder mit Altersbeschra¨ n- chen ist Jugendmedienschutz noch unbedeutender. kungen freigegeben. Die enge Bindung von Staat Bei der Selbstkontrolleinrichtung der Computerspie- und Filmzensur, die im Kaiserreich und auch in der leindustrie sind nicht einmal alle Produzenten bzw. Weimarer Republik dazu fu¨ hrte, Jugendmedien- Vertreiber Mitglied und ihr Handeln beschra¨ nkt sich schutz auch als politische Zensur zu mißbrauchen, auf Empfehlungen. Dennoch: in keinem anderen und die totale staatliche Kontrolle und Indienstnah- Land dieser Welt gibt es so vielfa¨ ltige Einrichtungen me des Films im nationalsozialistischen Staat, fu¨ hrten der freiwilligen Selbstkontrolle wie in Deutschland. dazu, daß Jugendmedienschutz in Deutschland bis heute den Ruch der willku¨ rlichen staatlichen Zensur Jugendmedienschutz in Deutschland ruht seit der nicht ga¨ nzlich verloren hat1). Wiedererlangung der staatlichen Souvera¨ nita¨ t auf zwei Sa¨ ulen. Da ist zum ersten der oben beschrie- In der neugegru¨ ndeten Bundesrepublik Deutschland bene eingreifende Jugendschutz. Er basiert auf der wurde staatliche Zensur in der Verfassung ausdru¨ ck- medientheoretischen Grundannahme, daß massen- lich ausgeschlossen. Der Jugendschutz, den Jugend- mediale Inhalte einen bildenden Einfluß auf das medienschutz eingeschlossen, jedoch erhielt weiter- Denken und Handeln heranwachsender Menschen hin einen hohen Stellenwert. Zwar wurde mit der nehmen. Dies gilt insbesondere fu¨ r jene Inhalte, die Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende Schriften die Verletzung von Tabus und Normen in den Be- eine staatliche Stelle geschaffen, die auf Antrag reichen menschlicher Konflikte und Sexualita¨ t Schriften --- eingeschlossen Videos und CD’s --- indi- beschreiben und visualisieren. Vor eben jenen Tabu- zieren und mit einem Werbeverbot sowie Vertriebs- verletzungen, den verharmlosenden ebenso wie den beschra¨ nkungen belegen kann, aber eine Vorzensur exzessiven Darstellungen von Gewalt und der offe- staatlicherseits ist ausgeschlossen. Generell sollte nen Pra¨ sentation aller mo¨ glichen Formen menschli- weitgehend von staatlichen Maßnahmen Abstand chen Sexualverhaltens, muß in Konsequenz dieser genommen werden, statt dessen sollten sich Produ- Auffassung der heranwachsende Mensch bewahrt zenten und Vertreiber von Medien freiwillige Selbst- werden. Dies geschieht durch o.g. Institutionen auf beschra¨ nkungen auferlegen. der Basis von gesetzlichen Bestimmungen und U¨ ber- einku¨ nften, die beispielsweise in Pru¨ fkriterien fu¨ r Wa¨ hrend in den Medien der Deutschen Demokrati- Medien kodifiziert werden. Der eingreifende Ju- schen Republik es der Staat war, der durch Zensur gendschutz hat als Adressat das mediale Produkt, weiterhin Einfluß auf die Auswahl und Gestaltung auf das er vera¨ ndernd oder verhindernd einwirkt. medialer Inhalte nahm, wurden in der Bundesrepu- blik Deutschland freiwillige Einrichtungen zur Kon- Neben dem eingreifenden gibt es als wichtige zweite trolle medialer Inhalte unter jugendschu¨ tzerischen Sa¨ ule den propa¨ deutischen oder pra¨ ventiven Ju- Aspekten geschaffen. So bildeten sich in der Bundes- gendschutz. Der propa¨ deutische Jugendschutz ist republik mit nahezu jedem neuen Medium auch eine Maßnahme und Zielsetzung aus dem umfassen- neue Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle. den Repertoire der Medienpa¨ dagogik. Wichtigste Allerdings ist die Verbindlichkeit und Wirksamkeit Maßnahme des propa¨ deutischen Jugendschutzes dieser Einrichtungen sehr unterschiedlich. Wa¨ hrend war bis weit in die sechziger Jahre in der Bundesre- der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft publik Deutschland die Filmerziehung. Durch die (FSK), der a¨ ltesten dieser Einrichtungen, alle Filme, Auseinandersetzung mit dem Film und durch das Kennenlernen ,wertvoller’ Filme sollten die Heran- 1) Vgl. zur Historie des Jugendmedienschutzes und der Me- wachsenden zur Kritik an negativen medialen Pha¨ - dienpa¨ dagogik: nomenen befa¨ higt und vom schlechten Medium weg Hiegemann, S., Swoboda, W. (Hrsg.) (1994). Handbuch der an ein gutes herangefu¨ hrt werden. Unter heutigen Medienpa¨ dagogik. Theorieansa¨ tze --- Forschungsgeschichte --- Perspektiven. Opladen Bedingungen, da die Medien nicht mehr ein Pha¨ no- Schorb, B. (1995). Medienalltag und Handeln. Medienpa¨ d- men der Freizeit allein, sondern allumfassender Be- agogik in Geschichte, Forschung und Praxis. Opladen standteil des Allta¨ glichen sind, wird der pra¨ ventive

8 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Jugendschutz als ein Ergebnis der Erziehung Heran- den --- daß mit technischen Entwicklungen ideolo- wachsender zu Medienkompetenz gesehen. Medien- gisch Fortschritt als solcher verknu¨ pft wird. Der kompetenz als die Fa¨ higkeit, Medien nicht allein kri- Mythos des Fortschritts als einer sta¨ ndigen Verbesse- tisch analysieren und reflektieren zu ko¨ nnen, rung des angenehmen Lebens ist untrennbar verbun- sondern sie auch im Kontext selbstbestimmten und den mit dem Mythos der Technik und dem der Ju- sozialen Handelns nutzen zu ko¨ nnen, schließt die Fa¨ - gend. Technik und Fortschritt teilen sich oft die higkeit ein, sich von desorientierenden Medieninhal- gleichen Synonyme: Macht und Herrschaft u¨ ber die ten abzuwenden und ihnen die Grundlage, den Kon- reale Welt. In diesem Sinne unterstu¨ tzen besonders summarkt, zu entziehen. ma¨ nnliche Heranwachsende technische Entwicklun- gen, die die genannten Versprechungen einer Ver- besserung der Lebensqualita¨ t und einer Sta¨ rkung 1.2 Heranwachsende und Multimedia der Herrschaft des Menschen in sich tragen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Ent- Nicht nur den Techniken der Multimedienwelt sind wicklung des Medienbereichs in den letzten zehn Kinder und Jugendliche aufgeschlossen, auch ihre Jahren die bisherigen Grundlagen des Jugendme- Inhalte und Werte u¨ bernehmen sie als Fortschrei- dienschutzes wenn nicht in Frage gestellt, so doch bung dessen, was sie bereits kennen, scha¨ tzen und modifiziert hat. Medien stehen nicht mehr als einer nutzen. Die interessierenden Inhalte dieser Welt sind von vielen Freizeitbereichen am Rande des Alltags, zugleich die der Medien: Konsum und Sensationen. sondern nahezu der gesamte Alltag ist medialer All- Die Welt pra¨ sentiert sich den Heranwachsenden in tag. Nahezu u¨ berall, wo wir uns bewegen, sind wir und außerhalb der Medien als eine, die sich stets in von Medien umgeben, ein Großteil privater und be- Bewegung befindet --- oder doch befinden sollte --- ruflicher Ta¨ tigkeiten ist medial gesteuert und sei es und die ka¨ uflich zu erwerben ist. Schnell und auf- auch nur von dem Chip, der die Schließanlage des regend leben und konsumieren sind eins im virtuell- Hauses steuert. In besonderer Weise den und mit medialen wie im realen Leben. Nicht nur das Aus- Medien verbunden waren schon immer junge Men- sehen beider Welten und ihre Inhalte sind den Her- schen. Sie sind zum einen diejenigen, die am ehesten anwachsenden gleich, sondern auch ihre Symbole. bereit sind, neue Medien zu akzeptieren und in ihr Sie kennen und entziffern die medialen Symbole als Leben zu integrieren. Kinder und Jugendliche sind Repra¨ sentationen ihrer Wirklichkeit. Mediale Codes zum anderen auch diejenigen, die durch die Medien bestimmen Kommunikation und Interaktion von Kin- am sta¨ rksten in ihrem Denken und Handeln beein- dern und Jugendlichen. Inhalt und Aussagekraft die- flußt werden. Ihrer Beeinflußbarkeit durch Medien ser Codes sind weltweit eindeutig und einheitlich. gilt ja auch die besondere Fu¨ rsorge des Jugendme- Augenscheinlich wird dies beispielsweise in den dienschutzes. Aus der Betrachtung des Verha¨ ltnisses Accessoires, die Jugendlichkeit ausmachen. Ein von Heranwachsenden und Medien wird deutlich, an lebender Star wie Michael Jackson ist ebenso ein welchen Punkten diese mit den Medien selbsta¨ ndig weltweites Symbol mit einer einheitlichen Lebensstil- und Konsumaussage wie ein Industrieprodukt na- umgehen und wo sie Probleme haben und Hilfestel- 2 lungen beno¨ tigen. mens Levis oder Adidas ). Die heutigen Kinder und Jugendlichen in den hoch- industrialisierten Staaten sind fu¨ r die multimediale 1.3 Bedeutung des Unterhaltungswerts fu¨ r Zukunft einerseits wohl geru¨ stet. Das Problem der Heranwachsende Erwachsenen, die auf sie hereinstu¨ rzende Medienflut Die Aufgeschlossenheit der Kinder und Jugendli- mental zu verarbeiten und aktiv zu nutzen, kennen chen den Medien gegenu¨ ber, verbunden mit dem sie kaum. Sie leben bereits in einer Medienwelt und positiven Image von Jugend und Jungsein, machen sie leben ihre Medienwelt. Mit anderen Worten, der sich Industrie und Werbung bei der Einfu¨ hrung neu- Gegensatz zwischen der Welt der Medien und der er Medien zunutze. Zum einen durch die Verbindung Welt außerhalb der Medien existiert fu¨ r sie insofern neuer Produkte mit dem Attribut jung, neu und zeit- nicht, da Bestandteil ihrer realen Welt die Medien- gema¨ ß; zum anderen durch Verpackung neuester welt ist. Sie haben diese Welt in ihrer Sozialisation und komplexester Software als Unterhaltungsange- als eine Medienwelt erfahren, u¨ bernommen und in- bote, meist als Spiele. Mediale Entwicklungen, die ternalisiert. zur Zeit fu¨ r Kinder und Jugendliche, besonders die Die Heranwachsenden bringen also, im Gegensatz ma¨ nnlichen, besonders attraktiv sind, entstammen zu den Erwachsenen, denen sich die informations- dem Bereich der Unterhaltung. Das sind zum einen technischen Neuerungen als solche und damit als die Computerspiele, die meist auf CD’s als Datentra¨ - Vera¨ nderungen ihrer Welt pra¨ sentieren, die Voraus- ger angeboten werden. Die beliebtesten Inhaltsbe- setzungen mit, das als Gegebenheit zu akzeptieren, reiche dieser Spiele sind sogenannte Adventures, bei was Erwachsene als Vera¨ nderungen erst verinnerli- denen es darum geht, durch Ko¨ pfchen und/oder chen mu¨ ssen. Hinzu treten als weitere Begleiter der Kampf ein Ziel zu erreichen und die vielfa¨ ltigen Sozialisation die Neugier und Aufgeschlossenheit Kriegsspiele, die in ihrer Darstellung immer weniger von Kindern und Jugendlichen. Ihre Aufgeschlossen- von Filmen zu unterscheiden sind, nur kann man hier heit gegenu¨ ber Neuem macht sie gerade auch fu¨ r die den Helden selbst steuern und man kann quasi durch informationstechnischen Angebote empfa¨ nglich, die ihn hindurch die Feinde eliminieren. ja tatsa¨ chlich Mo¨ glichkeiten in die Welt bringen, die es bisher nicht gab. Hinzu tritt --- und dies ist vor al- 2) Vgl. Schell, F., Schorb, B., Palme, H. J. (Hrsg) (1995). Jugend lem ein Pha¨ nomen der ma¨ nnlichen Heranwachsen- auf der Datenautobahn. Mu¨ nchen

9 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Ein anderer Bereich ist das Internet, in dem jede Idee Datenautobahnen mit der gleichrangigen Fo¨ rderung Gleichgesinnte findet. Auch das Internet wird zum von Projekten u¨ ber die sozialen Folgen einhergehen. Spielen genutzt, daru¨ ber hinaus zum Austausch von Nur so kann eine vertretbare Basis geschaffen wer- Spielen, von legalen wie von Raubkopien. Es wird den, um die technisch-o¨ konomische Entwicklung so- von Heranwachsenden, auch hier in erster Linie von zial vertra¨ glich zu gestalten. den Jungen, zu diesen Zwecken genutzt und auch allgemein zum Austausch von technischen Informa- tionen u¨ ber Computer, Hard- und Software. In die 1.4 Aufgaben des Jugendmedienschutzes kriminellen Bereichen dieses Netzes, vom Bankbe- angesichts neuer Medien trug bis zur Pornografie sind Heranwachsende meist nur als Opfer verwickelt. Im Bereich der Inhalte, die u¨ ber Medien transportiert werden, gibt es dagegen sehr wohl Absicherungen Ein dritter Bereich sind die digitalen Fernsehangebo- durch den Jugendschutz. Jedoch, auch dieses Kor- te. Exklusive Sportangebote und ebensolche Spiel- rektiv wird mit dem weiteren Ausbau der Informati- filme machen die Attraktivita¨ t dieser Angebote aus, onstechnik gefa¨ hrdet. Voraussetzung des Schutzes die bei uns als ,Pay-TV’ vermarktet werden. Zwar der Jugend ist die Kontrolle des medialen Angebots. sind es in der Regel nur die Erwachsenen, die sich Aber eben da stellen sich im Angesicht der aktuellen ,Pay-TV’ fu¨ r sich und/oder ihre Familie leisten ko¨ n- Medienentwicklung Probleme und damit zugleich nen, aber das mindert nicht deren Attraktivita¨ t fu¨ r Herausforderungen an den Jugendmedienschutz. Heranwachsende. Damit stellt sich dann aber auch Wenn Spiele auf CD schon als Raubkopien zirkulie- die Frage nach den im digitalen Fernsehen angebo- ren oder im Internet heruntergeladen werden ko¨ n- tenen Inhalten. Denn fu¨ r die Heranwachsenden ist nen, bevor sie auf dem Ladentisch angeboten wer- nicht die digitale Technik, sondern das Filmangebot den, wenn daru¨ ber hinaus das Angebot kaum von Interesse. u¨ berschaubar ist, und schließlich eben keine effek- tive Selbstkontrolle der Vermarkter vorhanden ist, Der Akzeptanz der multimedialen Entwicklung dann muß der Jugendmedienschutz sich sowohl den durch eine Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen Vertreibern dieser Spiele als auch der U¨ berpru¨ fung steht also auch die Gefa¨ hrdung aller Heranwachsen- der Regeln des Internet zuwenden. Auch wenn das den gegenu¨ ber. Das Wissen um die Verfu¨ hrbarkeit Fernsehangebot nicht nur globalisiert, sondern auf der Jugend geho¨ rt zu den Binsenweisheiten mensch- 300 bis 500 Programme ausgeweitet wird, ist wohl licher Gesellschaften. Ihre Offenheit und Naivita¨ t nur in Kooperation aller Beteiligten, auch der Sender, gegenu¨ ber der Welt birgt die Gefahr, daß die Heran- eine inhaltliche Kontrolle des riesigen Programman- wachsenden von den negativen Pha¨ nomenen dieser gebotes mo¨ glich. Die bisher Kontrollierenden, bei- Welt u¨ berrannt, daß sie nicht Subjekt, sondern spielsweise die Landesmedienanstalten, werden der Objekt der medialen Entwicklung werden. So bereit- Unterstu¨ tzung bedu¨ rfen, fa¨ llt es ihnen doch heute willig junge Menschen die Erscheinungen der Me- schon mit ihrem vorhandenen Personal schwer, um- dienwelt akzeptieren, so gefa¨ hrlich ko¨ nnen ihnen fassende Kontrolle des Angebots zu realisieren, ob- diese werden, wenn sie die Kontrolle u¨ ber ihre Wu¨ n- wohl bundesweit noch keine hundert Programme ge- sche und Vorstellungen u¨ bernehmen und Reflexion sendet werden. durch Konsumvorgaben ersetzen. Je ju¨ nger die Her- anwachsenden sind, desto weniger sind sie in der La- Besondere Probleme stellen das Internet und in na- ge, die komplexen Vera¨ nderungsprozesse kognitiv her Zukunft der Cyberspace dar. Den Verursacher zu erfassen und zu verarbeiten. Aber auch wenn sie von problematischen Inhalten, die im Internet ange- diese zu verstehen beginnen, fehlen ihnen Macht boten werden, herauszufinden, ist extrem schwer, und Mo¨ glichkeit, negative Pha¨ nomene zu verhindern vor allem wenn man es mit einem Profi zu tun hat. oder zuru¨ ckzudra¨ ngen. In jedem Fall hat die Jugend Kommt die ,Botschaft’ aus dem Ausland, wird man die sozialen Folgen des Handelns Erwachsener zu ha¨ ufig, auch wenn man ihn gefunden hat, den Verur- tragen. So sehr Heranwachsende den technischen sacher nicht belangen ko¨ nnen. Die realistische Mo¨ g- Fortschritt begru¨ ßen, akzeptieren und unterstu¨ tzen, lichkeit, die dem eingreifendem Jugendmedien- so sehr sind sie auch seine Objekte. Es gibt bislang schutz bleibt, ist, Mittel und Wege aufzuspu¨ ren, um auch keine Norm, mit der sich eine Generation aus die vielfa¨ ltigen Vertriebswege zu unterbrechen. der Verantwortung fu¨ r die nachfolgenden Generatio- Ob der Cyberspace – wenn er wie angeku¨ ndigt als nen heraus freiwillig Grenzen setzt, im Gegenteil. eine eigene Welt kommt, die ich mit meinen Gedan- Die sozialen Folgen der Mediatisierung unserer Welt ken generieren kann – noch fu¨ r Dritte zu kontrollie- sind also bereits absehbar. Verku¨ rzt lassen sie sich ren ist, das ist fraglich. Auf der Spielebene gibt es positiv als Anna¨ herung der Menschen in der welt- schon den sehr perfekten Cyberspace, vor allem in weit gleichen Erfahrung gleicher medialer Inhalte den Arcades, den elektronischen Spielhallen. In ihm und in der kommunikativen Vernetzung unabha¨ ngig kann ich mich bewegen und handeln wie in einem von Zeit und Raum beschreiben, negativ als Bindung eigenen Raum, kann ich in eine nicht existente virtu- an medialen Konsum und damit einhergehend ver- elle Welt verschwinden. Diese Welt kann scho¨ n und sta¨ rkter Individualita¨ t und Verlust sozialer Bindun- auch grausam sein, je nach Computerprogramm. gen im personalen Bereich wie in moralischen Orien- Wenn es nun zuku¨ nftig auch mo¨ glich wird, Cyber- tierungen. Programme individuell abzurufen und sich tatsa¨ ch- lich interaktiv in ihnen zu bewegen, virtuelle Realita¨ - Angesichts dieses bipolaren Prozesses mu¨ ssen die In- ten zu schaffen, wenn also die Orte, an denen sich vestitionen in Milliardenho¨ he zur Realisierung von die Jugendlichen befinden, im Virtuellen verschwin-

10 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 den und nicht mehr aufzufinden sind, welche Instanz kenntnisse oder sozialisationsrelevante Aspekte bei soll dann eingreifen ko¨ nnen? der Beurteilung der Gefa¨ hrdung von Kindern und Ju- gendlichen im Vordergrund standen, sondern Macht- Diese knappe Darlegung des Zusammenhanges von fragen der Erwachsenen bzw. eine Definition von Jugendmedienschutz und Multimedia weist bereits Kindheit, die daraus resultierte. Die Entwicklung von darauf hin, daß sich hier ein Problembereich auftut, Kindheit nach dem Kriegsende 1945 zeigt eine der u¨ berlegtes und entschiedenes erzieherisches und zunehmende Verselbsta¨ ndigung von Kindern und politisches Handeln verlangt. Um die Grundlegung Jugendlichen, aber auch eine mit dem Wirtschafts- eines solchen Handelns geht es in den weiteren Ka- aufstieg zunehmende Kommerzialisierung von Kind- piteln. heit. Dieses, auch mit „Modernisierung von Kind- heit“ bezeichnete Pha¨ nomen kann dadurch 1.5 Die sozialwissenschaftliche Sichtweise beschrieben werden, daß neben dem schulischen auf die Medienwirkung Lernen auch die außerschulischen Angebote fu¨ r die Identita¨ tsbildung und fu¨ r den Wissenserwerb an Be- Als wissenschaftlicher Legitimationshintergrund des deutung gewinnen. Hierzu za¨ hlen vor allem die Mas- Jugendmedienschutzes wird die Wirkungsforschung senmedien, die in Konkurrenz zum schulischen Sy- genannt. Nicht die medialen Inhalte als solche wer- stem treten. Freizeitaktivita¨ ten und andere kulturelle den fu¨ r scha¨ dlich gehalten, sondern mo¨ gliche Effekte Beta¨ tigungen werden durch Trends der Massenkul- bei Kindern und Jugendlichen, die von der Beeinflus- turen bestimmt. Traditionelle Sinnagenturen wie sung durch mediale Inhalte herru¨ hren. Die Frage, ob Schule, Familie und Kirche verlieren an Bedeutung Desorientierungen, Vorurteile und unerwu¨ nschtes und Heranwachsende orientieren sich statt dessen Verhalten auf mediale Vorbilder zuru¨ ckzufu¨ hren an massenmedial vermittelter Sinnstiftung. sind, bescha¨ ftigt besonders drei Disziplinen der Sozialwissenschaften. Die Kommunikationswissen- Beide Tendenzen --- die Verselbsta¨ ndigung und die schaften analysieren in der Regel das Ausgangsma- Kommerzialisierung --- verlangen von den Kindern terial, die medialen Pha¨ nomene. Auf der Basis von und Jugendlichen auch einen kompetenten Umgang Inhaltsanalysen und dabei entdeckten gesellschaft- mit ihrer Umwelt. Durch die Schaffung neuer Erfah- lich unerwu¨ nschten Inhaltselementen schließen sie rungsra¨ ume mu¨ ssen auch die Kompetenzen von Kin- zuru¨ ck auf die Gefa¨ hrdung durch diese Elemente. dern und Jugendlichen wachsen. Sie mu¨ ssen sich Fa¨ - Die Psychologie --- in den Teilen, die einen ganzheitli- higkeiten und Fertigkeiten aneignen, um in der chen Blick auf den Menschen werfen --- und auch die Gesellschaft bestehen zu ko¨ nnen. Sie mu¨ ssen lernen, (Medien)Pa¨ dagogik erforschen den Zusammenhang ihre Identita¨ t in einer sich schnell vera¨ ndernden Um- zwischen medialen Angeboten und kindlichen Reak- welt zu finden. Dazu geho¨ rt auch, sich in einer von tionen und Verhaltensweisen. Die Verknu¨ pfung von Medien gepra¨ gten Welt zu behaupten, also je nach kindlichen Einstellungen, Orientierungen und Hand- Voraussetzung Medienkompetenz zu erwerben. Das lungsmustern mit den medialen Angebotsmustern Aufwachsen in einer Mediengesellschaft mag zwar kann als Wirkungsforschung im engeren Sinne be- selbst eine gewisse Kompetenz im Sinne eines mehr zeichnet werden, da sie Auskunft u¨ ber mittelbare oder weniger differenzierten Umgangs mit den aktu- und unmittelbare Wirkungen von Medien auf Kinder ellen Medien vermitteln, der zum Bestehen in ihr not- geben kann. Unter diesem Aspekt folgt im na¨ chsten wendig ist. Aber das darf nicht bedeuten, die Verant- Teil ein U¨ berblick u¨ ber die Wirkungsforschung und wortung fu¨ r Kinder und Jugendliche nicht mehr deren neuere Ergebnisse als Orientierungsrahmen wahrzunehmen. Gerade aus dieser Sicht der vera¨ n- fu¨ r die Notwendigkeit von Jugendmedienschutz. derten Bedingungen muß der Jugendmedienschutz seine Handlungsmo¨ glichkeiten finden und eine aus- Nicht aufgefu¨ hrt wird dort die soziologische Perspek- differenzierte Medienkompetenz fo¨ rdern. tive des Jugendmedienschutzes, da diese ihre Sicht prima¨ r auf gesellschaftliche Zusammenha¨ nge und Die oben aufgefu¨ hrten medialen Pha¨ nomene, die ei- damit weniger auf greifbare, mit konkreten Maßnah- nerseits fu¨ r Heranwachsende eine hohe Attraktivita¨ t men anzugehende Kontexte bezieht. Sieht man Ju- haben und andererseits auch bedenkliche Inhalte gendmedienschutz jedoch auch in einem politischen transportieren, stehen im Mittelpunkt der folgenden Gesamtzusammenhang nicht nur akuter, beschreib- Betrachtungen. Es wird dabei der Frage nachgegan- barer, sondern auch mo¨ glicher latenter Gefa¨ hrdun- gen, welches Wissen wir unter Jugendschutzaspek- gen, so ist die soziologische Sicht von Bedeutung, zu- ten von Computerspielen, dem Internet und dem Be- mal sie in der Summe der Betrachtung zum gleichen zahlfernsehen haben. Dabei ist der Tatsache Ergebnis kommt wie die anderen sozialwissenschaft- Rechnung zu tragen, daß in diesen Bereichen nur lichen Sichtweisen. wenige Forschungsergebnisse und noch dazu aus Aus soziologischer Perspektive la¨ ßt sich fragen, ob unterschiedlichen Perspektiven vorliegen. So gibt es die pa¨ dagogische Betrachtungsweise von Jugend- zwar Informationen u¨ ber Computerspieler, ihre medienschutz nicht an gesellschaftlichen Entwick- Spielvorlieben und ihre Freizeitbescha¨ ftigungen, lungen vorbeigeht. Analysen der Geschichte des und es gibt auch immer wieder Inhaltsanalysen von pa¨ dagogischen Schutzgedankens3) verdeutlichen, Computerspielen, aber mo¨ gliche Handlungseffekte daß ha¨ ufig nicht entwicklungspsychologische Er- dieser Spiele wurden nie systematisch untersucht. Auch u¨ ber Internetnutzer liegen nur wenig Informa- 3) Vgl. Beisenherz, H.G.: „Domnatur“. Zum Medienschutz in tionen vor. Eingefu¨ gt ist hier eine Analyse u¨ ber pro- der Vergangenheit und seiner postmodernen Metamorpho- blematische Inhalte des Internet und die Mo¨ glichkei- se. In: Neue Sammlung 2/1994, S. 201---231 ten, Zugang zu ihnen zu erhalten. Von besonderer

11 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Brisanz ist die Frage des Jugendmedienschutzes im den Medien und ihren Mo¨ glichkeiten umzugehen digitalen Bezahlfernsehen. Da hier die technische einschließlich, wo notwendig, der reflektierten Mei- Mo¨ glichkeit fu¨ r Eltern geschaffen wurde, bestimmte dung und Ablehnung von Medien und ihren Inhal- Programme oder ganze Kana¨ le fu¨ r ihre Kinder zu ten. Im vierten Teil dieses Berichts werden die Mo¨ g- sperren, stellt sich angesichts der Tatsache, daß der lichkeiten der Medienpa¨ dagogik dargelegt. Rundfunkstaatsvertrag 1998 ratifiziert wird, die Fra- Beschrieben werden die Zielsetzungen, die Wege al- ge, inwieweit die Mo¨ glichkeiten des technischen Ju- so hin zur Medienkompetenz. Die Bedingungen, un- gendschutzes in diesem Bereich von Eltern genutzt ter denen die Adressaten Kinder und Jugendliche er- werden (ko¨ nnen). Eine im Februar 1998 vero¨ ffent- reicht werden ko¨ nnen, werden dargestellt und an lichte Untersuchung zum Jugendschutz im digitalen exemplarischen Beispielen die Handlungsfelder der Fernsehen soll den Kenntnis- und Problemstand im Medienpa¨ dagogik illustriert: das Elternhaus, der Kin- Bereich multimedialer Angebote komplettieren. dergarten, die Schule, die Jugendarbeit und nicht zu- letzt auch die Medien selbst als Gegenstand medien- Dem Jugendmedienschutz u¨ bergeordnet ist Medien- pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen. pa¨ dagogik. Ihr ist es nicht nur darum zu tun, Kinder und Jugendliche vor negativen medialen Einflu¨ ssen zu schu¨ tzen, sondern generell Heranwachsenden Die Vielfalt der Einrichtungen in der Bundesrepublik wie auch Erwachsenen auf der Basis wissenschaftli- Deutschland, die mit Jugendmedienschutz befaßt cher Forschungsergebnisse Wege zur kompetenten sind, wird im Anhang aufgefa¨ chert. Auf der Basis Nutzung und des selbstta¨ tigen Umgangs mit Medien von Selbstdarstellungen der jeweiligen Institutionen zu ero¨ ffnen. Maßnahmen des Jugendmedienschutzes werden diese mit ihren Aufgabenstellungen und werden immer unzula¨ nglich bleiben, wenn sie nicht Mo¨ glichkeiten vorgestellt. Die Einrichtungen des Ju- eingebettet sind in ein medienpa¨ dagogisches Ge- gendmedienschutzes bieten eine solide Grundlage, samtkonzept, das den Subjekten ermo¨ glicht, Me- diesen in sinnvoller Weise auch unter der A¨ gide von dienkompetenz zu entwickeln; dies meint, aktiv mit Multimedia anzuwenden.

2. Medienwirkungsforschung: Wesentliches Fundament des Kinder- und Jugendmedienschutzes

Die Absicht, Kinder und Jugendliche vor medialen andererseits ermo¨ glichen wu¨ rde, sich der Bedeutung Einflu¨ ssen zu schu¨ tzen, die ihrer Entwicklung ab- von Einflu¨ ssen neuer Medien bereits im Prozeß der tra¨ glich sein ko¨ nnen, setzt voraus, daß negative Wir- Entwicklung zuzuwenden, bevor nicht mehr ru¨ ckhol- kungen --- oder wie es treffender zu formulieren ist --- bare Faktizita¨ ten geschaffen sind. Vor diesem Hinter- Wirkungspotentiale von Medien, ihren Inhalten und grund sind --- trotz jahrzehntelanger Bemu¨ hungen --- Darbietungsformen bekannt sind. In diesem Zusam- die Ergebnisse der Wirkungsforschung wenig zufrie- menhang kommt demjenigen Zweig der Medienfor- denstellend. schung, der sich mit den medialen Einflu¨ ssen auf den Menschen befaßt, zentrale Bedeutung zu, und seine Die Medienwirkungsforschung wird im folgenden Ergebnisse werden entsprechend zur Begru¨ ndung unter verschiedenen Perspektiven betrachtet. Zu- von Regelungen und Maßnahmen des Kinder- und na¨ chst wird die Entwicklung der Medienwirkungs- Jugendmedienschutzes dienstbar gemacht. forschung kurz umrissen, wobei insbesondere die jahrzehntelange, vergebliche Mu¨ he, monokausale Dieses Fundament des Kinder- und Jugendmedien- Wirkungen von medialer Gewalt nachzuweisen, the- schutzes allerdings hat sich historisch wie aktuell matisiert wird. Sodann werden die derzeit auf breiter nicht immer als tragfa¨ hig und lu¨ ckenlos erwiesen. wissenschaftlicher Ebene geteilten Voraussetzungen Fu¨ r Defizite im Wissen um mediale Einflu¨ sse auf die fu¨ r das Wirksamwerden von Medieneinflu¨ ssen um- menschliche Wirklichkeit sorgt der komplexe Faktor rissen. Neuere Befunde zur Frage der medialen Be- Mensch, mit dem es die Medienwirkungsforschung einflussung der heranwachsenden Generation wer- zu tun hat. Dieser mag sich vereinfachenden Wenn- den im folgenden Abschnitt referiert. Diese Befunde Dann-Beziehungen ebensowenig beugen wie stati- --- hier wird das oben erwa¨ hnte Defizit deutlich --- er- stischen Durchschnitten, und nicht selten entzieht er strecken sich nahezu ausschließlich auf Medien, die sich selbst sensiblen sozialwissenschaftlichen Inter- seit u¨ ber einem Jahrzehnt als ,alte Medien’ tituliert pretationen. Ein weiterer Grund fu¨ r unzula¨ ngliche werden, insbesondere auf das Fernsehen --- und sie Erkla¨ rungen liegt in der mangelhaften Bereitschaft widmen sich in starkem Maße einem Inhaltsbereich, der Gesellschaft, dem Zusammenspiel von Medien der als geradezu klassisch fu¨ r die Wirkungsforschung und Realita¨ t mit der forschungspolitischen und -o¨ ko- gelten kann: Gewaltdarstellungen in unterschiedli- nomischen Ernsthaftigkeit nachspu¨ ren zu lassen, die chen medialen Inhaltskontexten. Vor diesem Hinter- einerseits geboten wa¨ re, um dauerhafte Strukturen grund werden im letzten Teil die unterbelichteten Di- medialer Beeinflussungen aufzudecken, und die es mensionen der Medienwirkung skizziert und die

12 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 angesichts der heute absehbaren Medienentwick- Beispiel --- im Gegensatz zum postulierten einstufi- lung kla¨ rungsbedu¨ rftigen Bereiche reflektiert4). gen Kommunikationsfluß --- angenommen, daß Mei- nungsbildungsprozesse nicht unmittelbar durch das Medium, sondern vermittelt u¨ ber die Kommunikation mit Meinungsfu¨ hrern und perso¨ nlichen Bezugs- 2.1 Die Anfa¨nge der Medienwirkungs- personen beeinflußt werden („Two Step Flow of Communication“). Trotz der Beachtung realer Ein- forschung flußgro¨ ßen bleibt dabei aber die Vorstellung eines passiv reagierenden Zuschauerobjekts erhalten. Ihren Anfang nahm die Medienwirkungsforschung Bereits in den 60er Jahren entwickelte sich ein zwei- in den USA mit der Verbreitung des Rundfunks und ter Strang der Medienwirkungsforschung, der die der sich damit versta¨ rkenden Konkurrenz der Me- Seite der Rezipienten deutlicher beru¨ cksichtigt: Die dien. Die werbetreibende Industrie war bald an der Uses and Gratification-Ansa¨ tze. Danach ha¨ ngt die Frage interessiert, welche Medien eine Botschaft mit Wirkung von Massenmedien prima¨ r davon ab, wel- welcher Intensita¨ t und welchen Effekten an verschie- che Funktionen die Rezipienten den Medieninhalten dene Publika bringen. Ein weiteres Interesse an der zuschreiben und welchen Gebrauch sie von den Me- Wirkung von Massenmedien hatte die Politik, zu- dien machen. Auf der Basis von Bedu¨ rfnisorientie- na¨ chst besonders das Milita¨ r: Deren Fragen galten rung --- so die zugrundeliegende Annahme --- ist der dem Einfluß der Medien auf Einstellungen, also der Mediennutzer am Rezeptions- und Wirkungsprozeß U¨ berzeugungskraft medialer Botschaften. beteiligt. Die Aktivita¨ t der Rezipienten bleibt jedoch beschra¨ nkt auf die selektive Auswahl der Medienin- Traditionelle Ansa¨ tze der Wirkungsforschung gehen halte. Neuere Ansa¨ tze dieser Richtung betrachten von den Anfa¨ ngen bis heute von der Grundannahme die aktive Rolle des Rezipienten etwas umfassender: aus, daß Medien durch ihre inhaltlichen und forma- So geht z. B. die Wissenskluft-Hypothese davon aus, len Eigenschaften kognitive Prozesse bei den rezi- daß gruppen- und schichtspezifische Dispositionen pierenden Individuen erzeugen und damit deren der Mediennutzer ausschlaggebend sind fu¨ r eine Verhalten beeinflussen. Als Wirkungen gelten „alle mehr oder minder differenzierte Hinwendung zu Me- Vera¨ nderungen im Verhalten, Denken und Erleben dieninhalten und fu¨ r eine Verarbeitung derselben. der Rezipienten wa¨ hrend und nach der Rezeption, soweit sie aus der Zuwendung zu den Medien resul- tieren“5). Fragen nach dem Einfluß der Medien auf 2.1.1 Traditionelle Gewaltwirkungsforschung: Einstellungen, Meinungen, Wertvorstellungen und Verhalten stehen dementsprechend im Mittelpunkt Auf monokausale Erkla¨rungen fixiert der Untersuchungen. Zwei Themenbereichen gilt Der Themenbereich „mediale Gewaltdarstellungen“ dabei besonderes Interesse: Dem Einfluß der kristallisierte sich fru¨ h als ein spezifisches Interesse Massenmedien auf Prozesse der politischen Mei- der Wirkungsforschung heraus. Mit der in den 50er nungsbildung und den Auswirkungen von Gewalt- Jahren in den USA und der Bundesrepublik gleicher- darstellungen in den Medien auf das reale Verhalten. maßen breit diskutierten These von der ,Verrohung durch die Massenmedien’, insbesondere durch das Die theoretische Orientierung des traditionellen Fernsehen, ru¨ ckte die Frage nach dem Einfluß von Stranges der Wirkungsforschung ist von einem zum Gewaltdarstellungen in den Medien auf reale Ge- Teil rigiden Positivismus gepra¨ gt. Insbesondere das waltta¨ tigkeit ins Blickfeld. Vor allem fu¨ r Kinder und von Skinner entwickelte Stimulus-Response-Modell Jugendliche wurde eine Gefa¨ hrdung durch gewalt- (SR-Modell) dient vielen Untersuchungen als Grund- darbietende Medieninhalte angenommen --- eine lage. In seiner einfachsten Variante besagt dieses Sichtweise, die bis heute vertreten wird und auch Modell, daß der Pra¨ sentation eines bestimmten Rei- Einfluß auf den Kinder- und Jugendmedienschutz zes eine ebenso bestimmbare Reaktion folgt. Auf den nimmt. Zahlreiche Untersuchungen suchten diese Menschen u¨ bertragen impliziert das die Vorstellung Gefa¨ hrdung nachzuweisen und brachten eine Reihe eines auf a¨ ußere Einflu¨ sse mechanistisch reagieren- von --- teilweise widerspru¨ chlichen --- Hypothesen zur den Objektes. In Untersuchungen, die auf dem SR- Gewaltwirkung hervor. Modell basieren, gehen entsprechend isolierte Me- Das Spektrum wird auf der einen Seite durch das dieninhalte als Reize ein, punktuelle Rezipientena¨ u- Postulat kathartischer Effekte begrenzt: Nach der ßerungen gelten als unmittelbare Reaktion auf die ,Katharsisthese’ soll die Betrachtung medialer Ge- dargebotenen Reize und werden u¨ ber die aktuelle Si- waltdarstellungen die Aggressionsbereitschaft der tuation hinaus als Verhaltenskomponenten interpre- Zuseher senken, weil durch das Mitvollziehen der tiert. Das einfache SR-Modell wurde im Lauf der Zeit fiktiven Gewaltakte eine ,reinigende’ Wirkung statt- um intervenierende Variablen erweitert. So wird zum finde. Alle Varianten dieser Wirkungsthese gelten als empirisch widerlegt. „Eine durch das Ansehen 4) Zu den folgenden Teilen vgl. Theunert, H. (1996). Gewalt in violenter Medieninhalte bewirkte Aggressionsmin- den Medien --- Gewalt in der Realita¨ t. Gesellschaftliche Zu- derung aufgrund des Abfließens des Aggressionstrie- sammenha¨ nge und pa¨ dagogisches Handeln. 2. durchgese- bes erfolgt nicht.“6) hene, mit einem Vorwort aktualisierte Auflage. Mu¨ nchen. 5) Hunziker, P. (1982). Wirkungen und Nutzen. In: Kagelmann, H.J., Wenninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Hand- 6) Kunczik, M. (1982). Aggression. In: Kagelmann, H.J., Wen- buch in Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore ninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Handbuch in S. 247 Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore S. 2

13 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Eine andere Interpretation der Wirkung medialer Ge- 2.1.2 Kritik der traditionellen Gewaltwirkungs- walt, die aber ebenso zu dem Schluß fu¨ hrt, mediale forschung: Gewalt vermindere oder verhindere reale Gewaltta¨ - Der Komplexita¨t menschlichen Verhaltens tigkeit, liefert die ,Inhibitionsthese’. Mediale Gewalt- unangemessen darstellung --- so die Argumentation --- lo¨ se beim Re- zipienten Aggressionsangst aus, die wiederum die Daß die traditionelle Gewaltwirkungsforschung so Bereitschaft mindere, selbst aggressives Verhalten zu wenig zur Erhellung der Bedeutung medialer Ge- zeigen. Die empirischen Belege reichen jedoch nicht waltpra¨ sentation fu¨ r die Realita¨ t beizutragen hat, ja hin, um von einem Hemmungsmoment medialer Ge- im Hinblick auf praktische jugendschu¨ tzerische und waltpra¨ sentation auszugehen. pa¨ dagogische Maßnahmen oft mehr zu Verwirrung Auf der anderen Seite wird das Wirkungsspektrum als zu Kla¨ rung beitra¨ gt, hat einen ersten zentralen medialer Gewalt durch das Postulat stimulierender Grund im zugrundegelegten Menschenbild. Der Effekte begrenzt. Die ,Stimulationsthese’ besagt, daß Mensch gilt als ein a¨ ußeren Einflu¨ ssen beliebig zu- mediale Gewaltdarstellungen die Aggressionsbereit- ga¨ ngliches Objekt, dessen Verhalten einem einfa- schaft und faktisches aggressives Verhalten beim Be- chen Reiz-Reaktions-Mechanismus folgt. Auch in dif- trachter steigern. Hierzu gibt es eine Reihe von Va- ferenzierteren Ansa¨ tzen, die Elementen der Realita¨ t rianten, deren wichtigste, zum Teil auch heute noch ein gewisses Gewicht zugestehen, wird dieses Men- vertretenen, die beiden folgenden sind: schenbild nicht durchbrochen. Die Komplexita¨ t rea- len menschlichen Denkens und Handelns ist mit Nach der ,Habituationsthese’ „nimmt durch den solch schlichten Vorstellungen nicht zu fassen. sta¨ ndigen Konsum von Fernsehgewalt die Sensibili- ta¨ t gegenu¨ ber Gewalt ab, die schließlich als normales Ein weiterer Grund fu¨ r die geringe Aussagekraft tra- Alltagsverhalten betrachtet werde“7). Der Einfluß ditioneller Gewaltwirkungsforschung liegt im domi- medialer Gewalt soll mithin langfristig bis in das nierenden Methodenrepertoire, das prima¨ r auf expe- Wertesystem und die Perso¨ nlichkeitsstruktur der Re- rimentell U¨ berpru¨ fbares und statistisch Meßbares zipienten, hineinreichen. ausgerichtet ist. Daraus resultieren eine Reihe von Problemen: So la¨ ßt beispielsweise das Bemu¨ hen, die Die wohl am ha¨ ufigsten bemu¨ hte Wirkungsannahme direkt nach der Rezeption feststellbaren Reaktionen ist die ,Imitationsthese’, die in ihrer simpelsten Va- der Rezipienten zu erheben, nur Aussagen u¨ ber riante lautet, die Beobachtung einer medialen Ge- kurzfristige Effekte medialer Gewaltpra¨ sentation zu. walttat fu¨ hre beim Rezipienten zu einer direkten Kumulative oder dauerhaft stabile mediale Einflu¨ sse Nachahmungstat. Ihren Hintergrund hat diese These sind so nicht zuga¨ nglich. Ru¨ ckschlu¨ sse von Kurz- auf neben dem Stimulus-Response-Modell im Modell- Langzeiteffekte, die auch in neueren Untersuchun- Lernen Banduras, wonach menschliches Lernen auf gen zu finden sind, sind als bloße Spekulation zu der Nachahmung von am Modell beobachteten qualifizieren. Weitere Probleme resultieren aus der Verhaltensweisen beruht. Als Reiz bzw. als Modell Ku¨ nstlichkeit und Realita¨ tsferne experimentell ge- gelten auch mediale Gewaltdarstellungen. Insbeson- stalteter Rezeptionsbedingungen: Schon das Am- dere Gewaltpra¨ sentationen im Medium Fernsehen biente eines Laborexperiments impliziert Momente bieten als ,mannigfaltige symbolische Modelle’ Ag- der Verunsicherung, insbesondere fu¨ r Probanden im gressionsvorbilder, an denen aggressive Verhaltens- Kindesalter. Isolierte Gewaltsequenzen, die zumeist weisen und -techniken erlernt und unter geeigneten als Reize fungieren, bieten sozusagen Gewalt pur. Umsta¨ nden auch real gezeigt werden. Gewaltdarstel- Bei der allta¨ glichen Mediennutzung werden Gewalt- lungen erho¨ hen in dieser Sicht die Wahrscheinlich- darstellungen hingegen eingebettet in inhaltliche keit aggressiver Reaktionen in der Realita¨ t und ge- und dramaturgische Erza¨ hlstrukturen aufgenommen. stalten auch deren Form8). Insgesamt ist reale Mediennutzung weit entfernt von Trotz einiger tausend Untersuchungen konnten sti- den ku¨ nstlich gestalteten Rezeptionssituationen; mulierende Effekte medialer Gewaltdarstellungen entsprechend wenig Aussagekraft hat das unter ex- auf reales Rezipientenverhalten wissenschaftlich bis- perimentellen Zwa¨ ngen aufgefundene Rezipienten- her keineswegs hinreichend nachgewiesen werden. verhalten. In der Debatte um mediale Gewalt sind sie trotzdem besta¨ ndig pra¨ sent, jedoch werden sie heute ha¨ ufig Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die traditio- zuru¨ ckhaltender formuliert als fru¨ her: „Das Risiko ist nelle Gewaltwirkungsforschung aufgrund ihrer theo- groß, daß Gewaltdarstellungen in Medien die Ge- retischen und methodischen Grundlagen die Wirk- waltbereitschaft bei vielen Beobachtern, zumal bei lichkeit des Medienhandelns von Menschen nur Kindern und Jugendlichen erho¨ hen“.9) rudimenta¨ r zu erfassen vermag. Die postulierten Wir- kungen medialer Gewaltdarstellungen sind entspre- chend vorsichtig zu interpretieren: wegen der be- grenzten Fragestellung, die den Horizont direkter Einflußnahme von Medieninhalten auf das Publikum nicht u¨ berwindet, wegen der reduktionistischen 7) Kunczik, M. (1982). Aggression. In: Kagelmann, H.J., Wen- Blickrichtung, die den Gegenstand Gewalt im Fern- ninger, G. (Hrsg.). Medienpsychologie. Ein Handbuch in sehen und das rezipierende Individuum gleicherma- Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore S. 4 ßen (paßgerecht) beschneidet, und wegen des domi- 8) Vgl. Bandura, A. (1979). Aggression. Eine sozial-lerntheore- tische Analyse. Stuttgart. nierenden Methodenrepertoires, das der Komplexita¨ t 9) Selg, H. (1997). Psychologische Wirkungsforschung u¨ ber von Rezeptionsprozessen nicht ansatzweise gerecht Gewalt in Medien. In: tv diskurs 2/1997, S. 56 wird.

14 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

2.2 Medien- und Gewaltwirkungsforschung bereits existente Dispositionen, neue aber ko¨ nnen sie heute: nicht generieren, jedenfalls nicht allein. Komplexere Sichtweisen und Zuga¨nge 3) Die entscheidenden Bedeutungen von Medien fu¨ r In den Ansa¨ tzen, die die traditionalistischen Be- das reale Leben liegen in kumulativen Effekten, die schra¨ nkungen, wie sie oben fu¨ r die Gewaltwirkungs- sich nicht aus der Rezeption eines, sondern vieler, forschung beschrieben wurden, u¨ berwinden, auch verschiedener Medien speisen, und in langfri- herrscht weithin Einigkeit, daß es keine direkten Wir- stig und dauerhaft wirksamen Einflu¨ ssen auf das kungen gibt, egal ob es sich um gewalthaltige oder Denken und Verhalten, die im Zusammenspiel von andere Inhalte handelt. Zum Gegenstand Gewalt ha- Medien und Realita¨ t vonstatten gehen. ben die in quantitativer Hinsicht immensen Anstren- gungen im Grunde keinerlei tragfa¨ hige Belege fu¨ r ei- nen direkten Zusammenhang von Medieninhalten 2.2.2 Medien oder Rezipienten als und realer Gewaltta¨ tigkeit erbracht. In bezug auf Ausgangspunkt fu¨ r Zuga¨nge zu Fernsehgewalt zieht Kunczik aus dem internationa- Wirkungsdimensionen len Forschungsstand den Schluß: „Fernsehgewalt wirkt ... nicht direkt im Sinne des Stimulus-Re- Die Zuga¨ nge, die zur Erfassung von Medienwirkun- sponse-Modells der Medienwirkung, das den einzel- gen gewa¨ hlt werden, differieren insbesondere unter nen den Medien hilflos ausgeliefert sieht, sondern ist zwei Aspekten: Ob quantitative oder qualitative Ver- ein Faktor neben vielen anderen, zum Teil wesentlich fahren favorisiert werden, und ob die Medien- oder wichtigeren Faktoren.“10) die Rezipientenseite in den Mittelpunkt gestellt wird. Ansa¨ tze, die die Medien, ihre Inhalte und Darbie- 2.2.1 Lebenswelten als Basis fu¨ r das tungsweisen quantitativ wie qualitativ analysieren11), Wirksamwerden von medialen Einflu¨ ssen gewinnen ihre Aussagekraft u¨ ber die Darlegung der Ha¨ ufigkeiten und Charakteristika der Elemente, auf Mit der Abkehr von monokausalen Erkla¨ rungsbemu¨ - die Rezipienten treffen ko¨ nnen, wenn sie sich einem hungen wird die Frage nach dem Wirksamwerden Medium oder einem medialen Angebotsbereich zu- medialer Einflu¨ sse nicht etwa negiert, sondern viel- wenden. Wer diese Mo¨ glichkeit der Zuwendung in mehr umfassender gestellt und angegangen: Wir- welchem Ausmaß und mit welchen Folgen realisiert, kungsdimensionen von Medien sind --- abgesehen ist auf der Basis inhaltsanalytischer Untersuchungen von kurzzeitig emotionalisierenden Effekten --- ein- hingegen nicht zu kla¨ ren. Aus inhaltsanalytischen gebunden in komplexe Prozesse, in ein Wechselspiel Befunden auf Wirkungsdimensionen bei den Rezi- zwischen Medium und Rezipient. Die Ergebnisse pienten ru¨ ckzuschließen, was oft nicht durch die For- dieses Wechselspiels werden auf beiden Seiten von scher, sondern durch verku¨ rzte Rezeption in der O¨ f- einer Vielzahl von Faktoren moderiert. Geht es um fentlichkeit geschieht, bedeutet U¨ berinterpretation, Gewaltdarstellungen, so ist auf seiten des Mediums da ja die Rezipientenseite nicht untersucht wurde. bespielsweise relevant, welche Art von Gewalt pra¨ - sentiert wird, ob sie physisch oder psychisch ist, in Seit den 80ziger Jahren haben qualitative Ansa¨ tzen, welcher Darbietungsweise dies geschieht, in verhal- die sich der Rezeption von Medien widmen, in der ten distanzierter oder reißerisch brutaler, und in wel- Medienforschung erheblich an Gewicht gewonnen. che Kontexte dies eingebettet ist, in fiktive, realita¨ ts- In den Mittelpunkt stellt diese Forschungsrichtung nahe oder realistische. Auf seiten der Rezipierenden die Frage nach der Bedeutung, die die Rezipienten sind alters- und geschlechtsspezifische Komponen- den Medien und ihren Inhalten fu¨ r ihr Leben zumes- ten sowie soziale und perso¨ nliche Lebensbedingun- sen bzw. die sich aus deren allta¨ glichen Verhaltens- gen und eigene Gewalterfahrungen von Bedeutung; weisen erschließen la¨ ßt. Grundlegend ist die Auffas- sie beeinflussen die Zuwendung zu gewalthaltigen sung, daß Medienrezeption soziales Handeln ist, daß Angeboten, die Intensita¨ t ihrer Nutzung, die Mo¨ g- der Mensch der Realita¨ t insgesamt, und folglich auch lichkeiten der Distanzierung und Verarbeitung und den Medien als einem Bestandteil der Realita¨ t, als die subjektive Bedeutungszumessung. aktives Subjekt begegnet. Die Rezeption von Me- dieninhalten erfolgt entsprechend aktiv und in sub- In den heute vertretenen Richtungen der Medienfor- jektiven Prozessen der Selektion, Interpretation und schung herrscht weitgehende Einigkeit u¨ ber die Vor- Verarbeitung. Im Ergebnis dieser Prozesse ergeben aussetzungen, unter denen Medien und ihre Inhalte sich Nutzen und Probleme, die die Rezeption von Wirkungen auf die Rezipienten entfalten ko¨ nnen: Medieninhalten fu¨ r das Subjekt mit sich bringt. Diese 1) Die Rezeption von Medieninhalten ist eingebettet Grundlegung gilt fu¨ r alle Rezipientengruppen, auch in das Gesamt der Lebenswelt. Medien sind ein So- fu¨ r die ju¨ ngsten. Methodisch pra¨ ferieren diese An- zialisationsfaktor neben anderen und sie erhalten im sa¨ tze Vorgehensweisen, die den untersuchten Rezi- ¨ Zusammenspiel mit diesen Bedeutung fu¨ r die per- pientengruppen angemessene Formen der Außerung so¨ nliche und soziale Haltung des rezipierenden Sub- ermo¨ glichen, ihre Sichtweisen zutage fo¨ rdern und ih- jekts. ren Lebenskontext als Interpretationsfolie integrieren ko¨ nnen. In vielen Untersuchungen stehen entspre- 2) Entsprechend haben Medien und ihre Inhalte in chend aufwendige Einzelfallstudien im Mittelpunkt, erster Linie Versta¨ rkungseffekte. Sie unterstu¨ tzen 11) Vgl. z. B. Groebel, J., Gleich, U. (1993). Gewaltprofil des 10) Kunczik, M. (1994). Gewalt und Medien. 2. aktualisierte deutschen Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots und u¨ berarbeitete Auflage. Wien S. 152 privater und o¨ ffentlich-rechtlicher Sender. Opladen.

15 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode die mit den verschiedenen Verfahren der verstehen- reglementiert. Mit zunehmenden Alter werden den den Interpretation ausgewertet werden. Kindern zuna¨ chst in bezug auf bestimmte Genres, wie etwa Cartoons, Selbstbestimmungsmo¨ glichkei- ten eingera¨ umt. Naht das Jugendalter, werden die 2.3 Im aktuellen Fokus qualitativer Rezipien- Freira¨ ume zunehmend gro¨ ßer. tenforschung: Kind und Fernsehen Ein anderer Teil der Untersuchungen wendet sich Viele qualitative Rezeptionsstudien, die in den ver- der Kla¨ rung konkreter Aspekte der Fernsehnutzung gangenen Jahren durchgefu¨ hrt wurden, beziehen und -rezeption zu. Dabei geht es um konkrete Um- sich auf Kinder und ihren Umgang mit dem Fernse- gangsweisen von Kindern unterschiedlichen Alters hen bzw. mit einzelnen Fernsehangeboten. Dabei gilt und Geschlechts mit bestimmten Genres, Inhalts- 13 das Interesse insbesondere der Bedeutung, die dem und Dramaturgie-Elementen ). In der Zusammen- Medium Fernsehen im Prozeß des Heranwachsens schau der Ergebnisse dieser Untersuchungen sind und der Sozialisation zukommt. folgende Befunde fu¨ r den Kinder- und Jugendme- dienschutz wesentlich: 1) Kinder haben ein eigenes Versta¨ ndnis von Inhal- 2.3.1 Fernsehrezeption von Kindern ten und Dramaturgien von Fernsehsendungen, das Ein Teil der Studien na¨ hert sich dem Verha¨ ltnis Kind nicht nur von dem Erwachsener abweicht, sondern und Fernsehen mit dem Ziel, Rezeptionsprozesse auch erhebliche Differenzen zu den u¨ ber Inhalts- grundsa¨ tzlich zu kla¨ ren: So geht es beispielsweise analysen erfaßten Sendungsgehalten aufweist. Die um die Konstanten kindlicher Fernsehrezeption, um Fa¨ higkeit, Fernsehen angemessen zu entschlu¨ sseln, die generelle Bedeutung von Medieninhalten fu¨ r die entwickelt sich im Altersverlauf. Von einer der Er- Gestaltung und Bewa¨ ltigung von Alltagssituationen, wachsenenrezeption vergleichbaren Perspektive auf um die Funktionen, die Medieninhalte fu¨ r die Bewa¨ l- Fernsehinhalte und -dramaturgien ist jedoch erst im tigung von Entwicklungsaufgaben und Identita¨ tspro- Jugendalter auszugehen. blemen haben oder um den Fernsehkonsum in ver- 2) Zentrale Bedeutung haben fu¨ r Kinder die Heldin- schiedenen Altersstadien und deren Einbettung in nen und Helden von Fernsehangeboten. Ma¨ dchen 12 familia¨ re Fernsehgewohnheiten ). Die Ergebnisse und Jungen zeigen dabei unterschiedliche Pra¨ feren- dieser Untersuchungen erlauben folgende, fu¨ r den zen und in geschlechtsspezifischer Separierung ver- Kinder- und Jugendmedienschutz relevanten suchen sie, sich mit ihren eigenen Erfahrungen, Schlu¨ sse: Wu¨ nschen und auch A¨ ngsten in ihren Fernsehlieb- 1) Kinder sind aktive Rezipienten und wenden sich lingen zu spiegeln, ihnen brauchbare Facetten fu¨ r dem Fernsehen (und anderen Medien) zielgerichtet das Ausleben von Phantasien, aber auch fu¨ r den Um- zu. Sie nutzen Inhaltselemente, um ihre Bedu¨ rfnisse gang mit allta¨ glichen Anforderungen zu entnehmen. und ihre handlungsleitenden Themen zum Ausdruck Was sie finden und fu¨ r sich als brauchbar in Erwa¨ - zu bringen bzw. weiter zu bearbeiten oder um reale gung ziehen, u¨ bernehmen sie jedoch nicht einfach, Kommunikationssituationen zu gestalten. sondern modellieren es im Wechselspiel mit der eige- nen Wirklichkeit. 2) Das Fernsehen hat fu¨ r Kinder Orientierungsfunkti- on. In Fernsehangeboten, insbesondere in Fernsehfi- 3) Ein regelrechter Begleiter durch die Kindheit sind guren, suchen sie nach subjektiv verwertbaren Hin- die Zeichentrickangebote. Vom Vor- bis zum Ende weisen fu¨ r die Ausformung personaler und sozialer des Grundschulalters za¨ hlt dieses Genre zu den Fa- Identita¨ t. voriten des Kinderpublikums. Ma¨ dchen und Jungen verteilen ihre Gunst bereits ab dem Ende des Vor- 3) Je ju¨ nger die Kinder sind, desto gro¨ ßer ist die elter- schulalters unterschiedlich, wobei sich die Jungen liche Aufmerksamkeit fu¨ r den Fernsehkonsum. Ins- insbesondere den actionreichen Angeboten zuwen- besondere Kinder im Vor- und im fru¨ hen Grund- den. Geschlechtsspezifisch sind auch die Auspra¨ gun- schulalter werden hinsichtlich der Dauer und der Inhalte der Fernsehnutzung von den Eltern deutlich 13) Zu Untersuchungen mit solchen Schwerpunkten vgl. z. B.: Theunert, H. u. a. (1994(2)): Zwischen Vergnu¨ gen und 12) Zu Untersuchungen mit diesen Schwerpunkten vgl. z. B.: Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin. Charlton, M., Neumann, K. (1986). Medienkonsum und Le- Theunert, H., Schorb B. (Hrsg.). (1996). Begleiter der Kind- bensbewa¨ ltigung in der Familie. Methoden und Ergebnisse heit. Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. Mu¨ n- der strukturanalytischen Rezeptionsforschung --- mit Fall- chen. darstellungen. Mu¨ nchen, Weinheim. Paus-Haase, I. (Hrsg.) (1991). Neue Helden fu¨ r die Kleinen. dies. u.a. (1990). Medienrezeption und Identita¨ tsbildung. Das (un)heimliche Kinderprogramm des Fernsehens. Mu¨ n- Kulturpsychologische und kultursoziologische Studien zum ster. Gebrauch von Massenmedien im Vorschulalter. Tu¨ bingen. Aufenanger, S. u.a. (1989). Das kindliche Verstehen verste- Bachmair, B. (1990). Interpretations- und Ausdrucksfunkti- hen. Eine qualitative Analyse von Rezeptionsweisen und - on von Fernseherlebnissen und Fernsehsymbolik. In: bedingungen bei Kindern anhand von Fernsehfilmen. In: Charlton, M., Bachmair, B. (Hrsg.). (1990). Medienkommu- Mu¨ ller-Doohm, S., Neumann, K. (Hrsg.) (1989). Medienfor- nikation im Alltag. Interpretative Studien zum Medienhan- schung und Kulturanalyse. Oldenburg. deln von Kindern und Jugendlichen. Mu¨ nchen. Charlton, M. u. a. (1995). Fernsehwerbung und Kinder. Das Ku¨ bler, H.-D., Swoboda, W. H. (1998). Wenn die Kleinen Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland und Fernsehen. Die Bedeutung des Fernsehens in der Lebens- seine Verarbeitung durch Kinder. Opladen. welt von Vorschulkindern. Berlin. Baacke, D., Kommer, S. (1997). Die Werbung und die Kin- Schorb, B. u. a. (1992). Wenig Lust auf starke Ka¨ mpfer. Zei- der. Fakten aus Untersuchungen. In: medien + erziehung chentrickserien und Kinder. Mu¨ nchen. 4/1997

16 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 gen der Orientierungen, die Kinder den Cartoons mit Ablehnung, Irritation und Angst reagieren. Fu¨ r und ihren Heldenfiguren zu entnehmen trachten. Die den Kinder- und Jugendmedienschutz sind vor die- Suche von Ma¨ dchen bzw. Jungen richtet sich auf sem Hintergrund folgende Aspekte besonders rele- weibliche bzw. ma¨ nnliche Vorbilder in Aussehen, vant: Verhalten und Handeln. Mit dem Ende der Grund- schulzeit verlieren Cartoons an Attraktivita¨ t, die Vor- 1) Die Gewaltschwelle der meisten Kinder wird nicht lieben verlagern sich auf Realfilmserien. u¨ berschritten, wenn ,saubere’ Gewalt gezeigt wird, also die Folgen von Gewaltta¨ tigkeit ausgeblendet 4) Fernseh-Werbespots sind fu¨ r Vorschulkinder nicht oder verharmlost werden, und wenn die Gewaltan- sicher vom Programm zu unterscheiden. Mit zuneh- wendung in die ga¨ ngigen Legitimationsklischees mendem Alter wa¨ chst diese Fa¨ higkeit und ab ca. eingebettet ist, wonach die ,Guten’ sich der ,Bo¨ sen’ Mitte des Grundschulalters wird auch die Absicht erwehren mu¨ ssen und dazu selbstversta¨ ndlich Ge- von Werbespots durchschaut. Versteckte, in Sendun- waltmittel nutzen du¨ rfen. Die Mehrheit der Kinder gen integrierte Werbung zu erkennen, fa¨ llt Kindern toleriert diese Art von Gewalt und etliche, insbeson- insgesamt schwer. Als real wie medial in vielfa¨ ltigen dere die Jungen, deklarieren sie als notwendiges Formen pra¨ senter Bestandteil von Lebenswelt wird Spannungselement. Fu¨ r die Begru¨ ndung dieser Hal- der Werbung erheblicher Einfluß auf den Alltag von tung greifen die Kinder auf die in den Sendungen an- Kindern (und auch von Jugendlichen) zugemessen. gebotenen Klischees zuru¨ ck und fu¨ gen sie in die ei- gene Argumentation ein.

2.3.2 Der Umgang von Heranwachsenden mit 2) U¨ berschritten wird die Gewaltschwelle hingegen Fernsehgewalt fast ausnahmslos, wenn die Leiden der Opfer dra- stisch und blutig in Szene gesetzt sind. Die bei den Die Frage nach dem Umgang von Kindern mit Ge- Kindern dann zutage tretende Ablehnung, Irritation waltdarstellungen im Fernsehen wurde speziell in und Angst steigern sich, wenn sie die Kontexte nicht den qualitativen Studien gestellt, die in den letzten verstehen ko¨ nnen oder wenn sie die Sicherheit in der Jahren im Institut Jugend Film Fernsehen (JFF) Unterscheidung von Fiktion und Realita¨ t verlieren, durchgefu¨ hrt wurden. Untersucht wurden dabei die was z.B. bei mystischen Geschehnissen der Fall ist. Wahrnehmung und Verarbeitung von Gewaltdarstel- lungen, mit denen Kinder in ihren bevorzugten Gen- 3) Auf Darstellungen von realem Gewaltgeschehen res konfrontiert werden, die Haltung, die Ma¨ dchen oder auf realita¨ tsnah inszenierte Gewalt reagieren und Jungen in verschiedenen Altersstadien zu Ge- Kinder insgesamt besonders sensibel. So stellt die waltdarstellungen und gewalthaltigen Konfliktlo¨ - Darstellung der Grausamkeiten unserer Wirklichkeit sungsmustern in Zeichentrickangeboten einnehmen, in Nachrichtensendungen eine erhebliche emotio- sowie die kindlichen Umgangsweisen mit Darstellun- nale Belastung dar, die durch die schwer versta¨ ndli- gen realen Gewaltgeschehens in Informations- und che Darbietung oft noch versta¨ rkt wird. Infotainment- Infotainmentsendungen14). Gefragt wurde in all und Reality-TV-Sendungen bergen ebenfalls emotio- diesen Studien, welches Gewaltversta¨ ndnis Kinder nale Belastungspotentiale. Daru¨ ber hinaus legen sie haben, welche Gewaltdarstellungen in Fernsehange- teilweise Sichtweisen von der Welt und vom Erleben boten sie realisieren, wie sie sie bewerten, wie sie ih- und Handeln der Menschen nahe, die bei Kindern re medialen Gewalterfahrungen be- und verarbeiten die Entwicklung angstbesetzter Zerrbilder der Wirk- und wie diese Aspekte in Abha¨ ngigkeit von Alter lichkeit begu¨ nstigen ko¨ nnen. und Geschlecht, von sozialem Herkunftsmilieu und realem Lebenskontext variieren. 4) Bei der Darstellung realer Gewalt sind Kinder, de- ren Wahrnehmung auf physische Gewalt konzen- Als ein zentrales Ergebnis zeigte sich in allen JFF- triert ist, auch fu¨ r Formen psychischer Gewalt auf- Studien, daß der kindliche Umgang mit Fernsehge- merksam. Je na¨ her Kinder Gewalt an der walt von einer ,Gewaltschwelle’ moderiert wird. Wirklichkeit und vor allem an ihrer eigenen Wirklich- Diese Gewaltschwelle ist in erster Linie lebenswelt- keit verorten, desto mehr differenziert sich die Wahr- abha¨ ngig, das heißt, sie konstituiert sich aus den Ge- nehmung, desto gro¨ ßer wird die Betroffenheit und walterfahrungen, die die Kinder in ihrem Alltag und desto schwieriger wird Distanzierung und oft auch ihrer Umgebung machen; hierin fu¨ gen sich die u¨ ber Verarbeitung. verschiedene Medien vermittelten Gewalterlebnisse ein. Die Gewaltschwelle ist entsprechend subjektiv Diese Befunde verweisen die Programmacher darauf, gepra¨ gt, weist jedoch Gemeinsamkeiten auf, prima¨ r daß sowohl bei Angeboten fu¨ r Kinder als auch bei innerhalb der Geschlechtergruppen und innerhalb Angeboten, die zu Zeiten ausgestrahlt werden, an der Sozialmilieus. Die Gewaltschwelle ist der Maß- denen Kinder vor dem Apparat sitzen, besondere stab dafu¨ r, welche Darstellungen Kinder tolerieren Sorgfalt auf den Umgang mit Gewaltinhalten gelegt oder sogar als Action gutheißen und auf welche sie werden sollte, daß also diese Befunde der Kinder als ,Produktionsschwelle’ dienen sollten. Fu¨ r Eltern und 14) Zu solchen Untersuchungen vgl. z. B.: Erzieher bedeutet es, daß diese zum einen u¨ ber die Theunert, H. u.a. (1994 (2)). Zwischen Vergnu¨ gen und potentiellen Probleme, die mit der Gewaltrezeption Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin. ihrer Kinder entstehen ko¨ nnen, aufgekla¨ rt werden Theunert, H., Schorb, B. (1995). ,Mordsbilder’. Kinder und sollten, und zum anderen, daß sie fa¨ hig sein sollten, Fernsehinformation. Berlin. Theunert, H., Schorb, B. (Hrsg.) (1996). Begleiter der Kind- ihre Kinder vor belastenden Medieninhalten zu heit. Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. Mu¨ n- schu¨ tzen bzw. ihnen gegebenenfalls Hilfestellung chen. bei deren Verarbeitung zu leisten.

17 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Die Ergebnisse der JFF-Studien zum kindlichen Um- ierlichen Fortschreitens ist, sondern daß er von gang mit Fernsehgewalt kommen denen, die in a¨ lte- Bru¨ chen, Stagnationen und Ru¨ ckschritten gepra¨ gt ren und den wenigen aktuelleren Untersuchungen ist, die sich in bestimmten Sozialmilieus und in der mit Jugendlichen15) ermittelt wurden, zum Teil sehr Gruppe der ma¨ nnlichen Heranwachsenden zu bu¨ n- nahe. U¨ bereinstimmungen zeigen sich v.a. in folgen- deln scheinen. Zu erha¨ rten sind diese Hinweise nur den Punkten: u¨ ber Langzeituntersuchungen, die es ermo¨ glichen, die Entwicklung von der fru¨ hen Kindheit bis ans En- 1) Die Abha¨ ngigkeit des Umgangs mit Fernsehge- de des Jugendalters zu verfolgen. Hieru¨ ber wa¨ ren walt von den eigenen Gewalterfahrungen und -er- Aufschlu¨ sse daru¨ ber zu gewinnen, womit negativ zu lebnissen ist fu¨ r Kinder und fu¨ r Jugendliche gleicher- wertende Entwicklungen zusammenha¨ ngen und in maßen existent und belegt. Fu¨ r beide Gruppen ist welchen Lebensstadien pa¨ dagogische Interventionen das in der Realita¨ t ausgeformte Gewaltversta¨ ndnis besonders wichtig und erfolgversprechend wa¨ ren. leitend fu¨ r die Haltung gegenu¨ ber medialen Gewalt- pra¨ sentationen. 2) Fu¨ r Kinder wie fu¨ r Jugendliche ist das Leiden der 2.4 Medienwirkungsforschung in der ku¨ nfti- Opfer der zentrale Zugang zu Gewalt. Die Art und gen Medienwelt: Alte Problemlagen und Weise, wie damit im Fernsehen umgegangen wird, neue Dimensionen entscheidet u¨ ber die Haltung, die Heranwachsende Betrachtet man das Spektrum der Erkenntnisse zu zu Gewaltdarstellungen einnehmen (vgl. oben zur medialen Einflu¨ ssen, die im Prozeß des Heranwach- ,Gewaltschwelle’). Entscheidend sind fu¨ r beide sens bedeutsam und somit auch fu¨ r den Kinder- und Gruppen die Drastik der Darstellung, wobei Kinder Jugendmedienschutz relevant sind, so zeigen sich auf blutige Inszenierungen noch sensibler reagieren, hinsichtlich der untersuchten Medien und Themen- und der Unterschied zwischen fiktionalem und rea- felder deutliche Konzentrationen. lem Gewaltgeschehen. Von den Medien, die fu¨ r Heranwachsende wichtig 3) Die Wahrnehmungsdifferenzierung, gesteigerte sind, ist das Fernsehen mit einem relativ breiten Sensibilita¨ t und Betroffenheit bei Gewaltdarbietun- Spektrum seiner inhaltlichen Angebote am weitest- gen, die realita¨ tsnah sind oder der Realita¨ t entstam- gehendsten untersucht. Auf der inhaltlichen Seite ist men, finden sich in beiden Altersgruppen. Jugendli- dabei eine deutliche Konzentration auf fiktionale An- che reagieren jedoch auf die Pra¨ sentation realen gebote zu konstatieren; die informative oder pseudo- Gewaltgeschehens in geringerem Maße mit Angst- informative Angebotspalette ist unter Wirkungs- gefu¨ hlen als Kinder. aspekten bisher eher randsta¨ ndig behandelt. Andere sogenannte alte Medien, die im Kinder- und Jugend- 4) Im kindlichen Gewaltversta¨ ndnis ist in erster Linie alltag bedeutsam sind, wie etwa die breite Palette physische Gewalt pra¨ sent; schon die Wahrnehmung der Ho¨ rmedien, geraten unter Fragen der Wirkung der psychischen Dimension ist an spezifische Bedin- seit eh und je kaum in den Blick. gungen gebunden und findet sich vorwiegend bei a¨ l- teren Kindern und solchen mit einem intellektuell ge- Die sogenannten neuen Medien sind hinsichtlich ih- pra¨ gten Lebenshintergrund. Jugendliche hingegen rer Einflu¨ sse und Wirkungen auf den Kinder- und Ju- kennen ein breites Spektrum von Gewaltformen. Da- gendalltag weitestgehend unerforscht. Bereits bei zu za¨ hlen auch strukturelle Gewaltformen, die Kin- den eigentlich gar nicht mehr neuen Computerspie- der noch gar nicht realisieren ko¨ nnen. Diese komple- len geht das Wissen u¨ ber Angebotsanalysen auf der xen Gewaltverha¨ ltnisse werden jedoch auch von einen und Pra¨ ferenzen von Kindern und Jugendli- Jugendlichen um so umfassender wahrgenommen, je chen auf der anderen Seite kaum hinaus. Ob und in- intellektueller die Herkunftsmilieus sind. wiefern beispielsweise Computerspiele ebenso wie Fernsehangebote Orientierungsfunktionen fu¨ r Her- ¨ Derartige Ubereinstimmungen der Ergebnisse aus anwachsende erfu¨ llen, und welche Bedeutung dabei der Untersuchung von Kindern und Jugendlichen der Mo¨ glichkeit zukommt, die Aktionen der Spielfi- weisen darauf hin, daß sich das Versta¨ ndnis und die guren aktiv zu steuern u. a¨ ., wird bisher allenfalls auf Wahrnehmung von Gewalt ebenso wie der Umgang der Ebene von Plausibilia¨ t ero¨ rtert. Was weitere me- mit ihrer medialen Pra¨ sentation im Verlauf der Sozia- diale Spielwelten auf CD-ROM, im Cyber Space oder lisation entwickeln und ausformen. Die Befunde le- im Internet angeht, so ist die Erkenntnislage zu Wir- gen zudem nahe, daß dies kein Prozeß des kontinu- kungsdimensionen auf Heranwachsende noch du¨ rfti- ger. 15) Zu solchen Untersuchungen vgl. z. B.: Theunert, H. (1996(2)). Gewalt in den Medien --- Gewalt in Was die Inhaltsbereiche angeht, von denen potentiell der Realita¨ t. Gesellschaftliche Zusammenha¨ nge und pa¨ d- gefa¨ hrdende Einflu¨ sse auf Heranwachsende ange- agogisches Handeln. Mu¨ nchen. nommen werden, so ist zweifelsohne der Bereich Ge- Schorb, B., Anfang, G. (1990). Was machen ,Airwolf’ und waltdarstellungen, und zwar wiederum konzentriert ,Knight Rider’ mit ihren jugendlichen Zuschauern? Eine auf das Medium Fernsehen, am ausgiebigsten unter- Untersuchung zweier Fernsehserien und ihrer Beurteilung durch Jugendliche. Mu¨ nchen. sucht. Defizite existieren hier --- neben dem weitge- Luca, R. (1993). Zwischen Allmacht und Ohnmacht. Unter- hend fehlenden Wissen zur Bedeutung von Gewalt- schiede im Erleben medialer Gewalt von Ma¨ dchen und darstellungen in anderen Medien --- insbesondere in Jungen. Frankfurt/M. bezug auf dauerhaft stabile und kumulative Effekte. Borcsa, M., Charlton, M. (1995). Mediengewalt und Me- dienpa¨ dagogik. Wie Jugendliche mit Actionfilmen umge- Das Themenfeld sexuelle Darstellungen, das in der hen. In: Televizion 2/1995 O¨ ffentlichkeit immer wieder fu¨ r Empo¨ rung und unter

18 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Jugendschu¨ tzern fu¨ r Streit sorgt, liegt in seiner Be- aktiven Nutzungsformen werden, desto gro¨ ßer wird deutung fu¨ r Kinder und Jugendliche nahezu voll- der Abstand zur Medienrezeption, so wie wir sie sta¨ ndig im Dunkeln. Das gilt fu¨ r sexuelle Darstellun- heute kennen. Zu erwarten stehen Vera¨ nderungen in gen in alten und neuen Medien gleichermaßen. den Wahrnehmungs- und Umgangsweisen, in den Gering ist auch das Wissen u¨ ber Wirkungsdimen- Formen der Interpretation und Verarbeitung, und da- sionen von medial pra¨ sentierten Inhalten, die die mit in den Bedeutungs- und Wirkungsdimensionen. Ausformung von Welt- und Menschenbildern bei Der Medienforschung werden sich entsprechend Heranwachsenden tangieren. Die Orientierungs- neue Fragen stellen, in bezug auf die Medienwelt funktionen, die Medieninhalte fu¨ r Heranwachsende und deren Rezeption insgesamt und in bezug auf ein- haben, beispielsweise fu¨ r fiktive wie informative zelne Inhaltsbereiche. Fernsehinhalte aufgezeigt, werden in einer zuneh- So du¨ rften Wirkungsdimensionen relevant werden, mend mit Medien gestalteten Unterhaltungs- und In- die aus einseitig zusammengesetzten Medienwelten, formationswelt an Brisanz gewinnen. Denn ku¨ nftig die sich durch gezielte Zu- oder Eingriffe herstellen du¨ rfte es immer schwerer werden, Realita¨ ts- und lassen, oder aus dem Distanzverlust, der mit dem ei- Wahrheitsgehalt von medial pra¨ sentierten Welt- und genen Agieren in interaktiven Medienwelten ver- Menschenbildern zu u¨ berpru¨ fen. bunden ist, resultieren. Wenn beispielsweise Kinder Die bereits heute vorhandenen Defizite und Lu¨ cken und Jugendliche durch Spartenangebote oder durch im Wissen um die fu¨ r Heranwachsende relevanten gezielte Auswahl aus verschiedenartigen Medien, medialen Wirkungsdimensionen werden sich in den noch ausschließlicher als es heute bereits mo¨ glich ist, neuen Medienwelten nicht reduzieren, eher --- so ist in action- und gewalthaltige Bildschirmwelten ein- zu vermuten --- potenzieren16). und abtauchen ko¨ nnen, wenn sie diese nicht nur konsumieren, sondern in ihnen auch scheinbar leib- Die Vervielfachung der Konsummedien und ihrer haftig agieren und sie gestalten ko¨ nnen, stellen sich Angebote sowie die interaktiven Nutzungsmo¨ glich- Fragen nach der Intensita¨ t von Identifikationen mit keiten werden die Rezeptionsweisen nicht unberu¨ hrt zweifelhaften Vorbildern und Rollenkonzepten oder lassen. Rezipienten, die zwischen hunderten von nach dem Gewicht, das das Medienerleben fu¨ r die Fernsehprogrammen wa¨ hlen, sich individuell mit be- Wahrnehmung und Gestaltung der eigenen Realita¨ t liebigen Video- und Spielangeboten vergnu¨ gen oder erha¨ lt, also Fragen nach problematischen Wirkungs- sich via Internet mit verschiedensten Informationen potentialen, in vera¨ nderter, vermutlich in verscha¨ rfter und Anregungen versorgen ko¨ nnen, werden sich in Form. kleine Gruppen zergliedern. Bereits diese Segmen- Will die Medienforschung erfassen und verstehen, tierung erfordert andere Forschungszuga¨ nge als die was Heranwachsende in den neuen Bildschirmwel- heute u¨ blichen. Denn von einem Medienangebot, ten tun, welche Motive ihr Tun leiten, was es fu¨ r sie das im Prinzip alle, die darauf zugreifen, in iden- bedeutet und welche Kraft die medialen Erlebnisse tischer Weise vorfinden, und in bezug auf das die und Erfahrungen fu¨ r ihr wirkliches Leben gewinnen, Subjektivita¨ t von Auswahl, Wahrnehmung, Interpre- wird sie sich mehr noch als heute auf die subjektiven tation, Verarbeitung und Bedeutungszuschreibung Prozesse des Rezipierens und des aktiven Eingreifens zum Tragen kommt, ist nicht mehr allein auszuge- und Gestaltens, die sich in den neuen Bildschirmwel- hen, weder fu¨ r Erwachsene noch fu¨ r Heranwachsen- ten abspielen, konzentrieren mu¨ ssen. Mit der Orien- de. Die ,objektive’ Komponente der Medienrezeption tierung auf das aktive Rezeptionssubjekt bietet die wird angesichts der Angebotsfu¨ lle bereits bei den qualitative Medienforschung hierfu¨ r Ansatzpunkte, Konsummedien schwerer faßbar und sie entfa¨ llt weit- die auch in einer ku¨ nftigen Medienwelt tragfa¨ hig gehend oder vo¨ llig dort, wo interaktives Medienver- sind. Sie erhebt den Anspruch, komplexe Prozesse halten mo¨ glich ist. der Medienrezeption zu erfassen, Strukturen und Die interaktiven Medienangebote, egal ob sie dem Hintergru¨ nde auf der Folie realer Lebenszusam- Unterhaltungs- oder Informationsbereich oder der menha¨ nge aufzudecken und so Wahrnehmungs-, Symbiose beider entstammen, werden neue Erle- Bewertungs- und Verarbeitungsmuster in unter- bensdimensionen ero¨ ffnen. Je raffinierter die inter- schiedlichen Rezipientengruppen zuga¨ nglich zu ma- chen. Sie kann mithin Ergebnisse liefern, die Ansatz- punkte fu¨ r die Beurteilung und Vera¨ nderung von 16) Zu den folgenden U¨ berlegungen vgl. Theunert, H. (1996). Perspektiven der Medienpa¨ dagogik in der Multimedia- Medienangeboten und fu¨ r angemessene jugend- Welt. In: Rein v., A. (Hrsg.) (1996). Medienkompetenz als schu¨ tzerische oder medienpa¨ dagogische Maßnah- Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn. men bieten.

19 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

3. Die Felder multimedialen Jugendschutzes: Computerspiele, Internet und digitales Fernsehen

Das Problem negativer medialer Inhalte stellt sich Aussagen macht u¨ ber die Nutzer dieser Spiele, u¨ ber stets im Zusammenhang mit attraktiven Angeboten deren Inhalte und u¨ ber die Problemstellungen des der Medien. Tabuisierte und extreme Bereiche des Kinder- und Jugendmedienschutzes. Zwar gibt es zu Lebens haben offensichtlich Attraktivita¨ t, und somit dem gesamten Bereich Multimedia noch keine Wir- ko¨ nnen auch Medieninhalte, wenn sie ins Extrem ge- kungsforschung, weil weder private noch o¨ ffentliche hen und Tabus verletzen, mit Akzeptanz rechnen, Fo¨ rderer dieser Fragestellung ausreichende Bedeu- die sich wiederum als Einschaltquote, Marktanteil, tung beimessen, aber u¨ ber die Spiele, ihre Inhalte Verkaufszahlen usw. fu¨ r den Medienanbieter rech- und ihre Nutzer ist einiges zusammengetragen wor- net. Die Verpackung fu¨ r das U¨ berschreiten von Gren- den. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß Computer- zen ist in der Regel der Bereich der Unterhaltung. spiele seit einigen Jahren zum beliebtesten Spiel- Problematische jugendschutzrelevante Inhalte finden zeug von Kindern und Jugendlichen geho¨ ren. sich in allen Medien, jedoch seltener in deren Infor- Zwar auch nicht mehr ganz neu, aber noch immer mations- als vielmehr im Unterhaltungsteil. Beson- nicht sehr verbreitet, ist das Internet, das ha¨ ufig ders wichtig wird die Akzeptanz, wenn ein Medium Schlagzeilen wegen seiner gewalthaltigen und/oder auf dem Markt noch nicht eingefu¨ hrt ist und die pornographischen Inhalte macht. Das Internet wird Grenze noch nicht u¨ berschritten hat, ab der es Profite wahlweise mystifiziert als die moderne Agora, der abwirft. Die Verletzung von Tabus wird in solchen demokratische Platz, auf dem volle Freiheit der A¨ uße- Fa¨ llen besonders gern genutzt, um den eigenen rung herrscht, oder als undurchsichtiges Netz fu¨ r Marktanteil auszuweiten, neue Kunden zu gewin- zwielichtige, anonyme Figuren, die mit Kinderporno- nen, o¨ ffentliche Resonanz auf das eigene Angebot zu graphie und anderem kriminellen Handeln bescha¨ f- erhalten usw. So hat sich der kommerzielle Fernseh- tigt sind. In einer U¨ bersicht u¨ ber das jugendschutzre- anbieter RTL mit sogenannten Softpornos zum zeit- levante Internetangebot wird ero¨ rtert, wie der weise gro¨ ßten TV-Anbieter entwickelt. Heute aller- Zugang zum Netz und seinen Inhalten mo¨ glich ist. dings verzichtet er auf ein solches Angebot, haftet Die problematischen Angebote, die im Netz auffind- ihm doch immer noch der Ruf eines „Tittensenders“ bar sind, werden klassifiziert und in einer U¨ bersicht an. Auf a¨ hnliche Weise hat 1997 der Anbieter von Be- dargestellt. Abschließend wird die Frage diskutiert, zahlfernsehen Premiere versucht, die Attraktivita¨ t welche Mo¨ glichkeiten des Jugendschutzes im Inter- seines Abonnements zu erho¨ hen. Im Widerstreit von net gegeben sind und wie deren Erfolgschancen zu Markt und Anstand hat er sich auf eine heftige Aus- sehen sind. einandersetzung mit den Medienwa¨ chtern, den Lan- Die Programmangebote des digitalen Fernsehens desmedienanstalten eingelassen. Auch im Internet sind noch u¨ berschaubar, da sich dieses weltweit noch spielt sich die Auseinandersetzung zwischen Markt in der Erprobungsphase befindet. Natu¨ rlich gilt auch und Anstand ab. Eine Reihe von Pornographiean- fu¨ r das digitale Fernsehen, das in Deutschland als geboten sind mit Werbung fu¨ r harmlose Produkte Monopol der beiden gro¨ ßeren kommerziellen Pro- verbunden. Die Produktanbieter nutzen die ver- grammanbieter offeriert werden soll, daß es durch meintliche Attraktivita¨ t dieser Programme, um neue Erotik und Action, und das sind in der Regel schlu¨ pf- Kunden anzusprechen. Nun ist vielleicht das Zuru¨ ck- rige und gewaltvolle Angebote, zahlende Zuschauer greifen auf pornographische Angebote deshalb so anlocken will. Die Digitalisierung bietet nun die beliebt, weil man kaum etwas u¨ ber deren tatsa¨ ch- Mo¨ glichkeit --- a¨ hnlich wie im Internet --- technische liche Attraktivita¨ t und noch weniger u¨ ber ihre Vorkehrungen zu treffen, um Eltern durch Sperren Wirkungen weiß. In jedem Falle sind die Unterhal- von Sendungen und Kana¨ len aktiven Jugendschutz tungsangebote diejenigen medialen Bereiche, in zu ermo¨ glichen. Hierbei sind einige Fragen zu stel- denen Tabuverletzungen und das U¨ berschreiten len, die anhand einer aktuellen Untersuchung beant- moralischer Grenzen am ehesten praktiziert werden. wortet werden. Die Fragen beziehen sich auf die Unterhaltung und damit jugendschutzrelevante In- tatsa¨ chliche Nutzung der Mo¨ glichkeiten des techni- halte finden sich im Verbund heutiger digitaler Mul- schen Jugendschutzes durch die Eltern. Sie werden timediaangebote vor allem als Bilder, Filme und gestellt sowohl bezogen auf die Anwendbarkeit der Spiele. An drei Manifestationen dieser Angebote sol- Technik als auch bezogen auf die tatsa¨ chliche Prakti- len im folgenden Teil die Fragen erla¨ utert werden, zierung von Jugendschutz durch Eltern, die bereits die sich dabei an den Jugendschutz stellen. Dabei heute Pay-TV abonniert haben. steht bei jedem Medium eine andere Fragestellung im Mittelpunkt. Aus der Zusammenschau aller drei 3.1 Computerspiele Teile ergibt sich so ein U¨ berblick u¨ ber die aktuellen Probleme und Aufgabenstellungen des Jugendme- Seit fast 30 Jahren gibt es Computerspiele. Noch in dienschutzes. den 80er Jahren galten sie als Insidermedium fu¨ r wenige, vor allem fu¨ r ma¨ nnliche Jugendliche. Inzwi- Die Computerspiele, der erste Teil, werden unter schen sind Computerspiele la¨ ngst zum generations- dem Aspekt des Forschungsstandes betrachtet, der u¨ bergreifenden Pha¨ nomen geworden.

20 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

3.1.1 Die Technik sich zwischen Jungen und Ma¨ dchen im Computer- und Spielekonsolenbesitz, der bei den Jungen mit Die Entwicklung der Computerspiele ist eng ver- 64 % dreimal so hoch liegt wie bei den Ma¨ dchen mit knu¨ pft mit der allgemeinen Entwicklung der Compu- 21 %17). terhard- und -software. Je schneller und leistungsfa¨ - higer die Rechner wurden, desto komplexer Kinder und Jugendliche wenden sich in der Regel entwickelten sich die Spiele. Derzeit sind v.a. drei nicht u¨ ber einen la¨ ngeren Zeitraum hinweg kontinu- Computerspiel-Systeme in Gebrauch: Zum einen ierlich Computerspielen zu: Eine gewisse Zeit sind Spielkonsolen, die an das Fernsehgera¨ t angeschlos- diese „in“, dann verlieren sie eine Zeitlang ihren sen werden. Zum zweiten tragbare Spielkonsolen, Reiz usw. Computerspiele ko¨ nnen kurze Zwischen- wie der bei Kindern so beliebte ,gameboy’. Zum drit- erlebnisse sein oder aber zum Abtauchen u¨ ber meh- ten die Spiele, die am PC gespielt werden. Sie wer- rere Stunden und Tage hinweg fu¨ hren. Die in der den heute nur noch selten auf Diskette, sondern Reichweiten-Forschung u¨ blicherweise angegebenen meist auf CD-ROM angeboten. ta¨ glichen oder wo¨ chentlichen Durchschnittszeiten Die hohe Speicherkapazita¨ t der CD-ROM, die inzwi- haben deshalb nur eine sehr eingeschra¨ nkte Aus- schen das wichtigste Tra¨ germedium (nicht nur) fu¨ r sagekraft. Sie zeigen allerdings, daß die durch- Computerspiele geworden ist, erlaubt eine ausge- schnittliche Bescha¨ ftigungsdauer mit einem Compu- zeichnete grafische Gestaltung und Animation der ter doch relativ hoch ist. Sie betra¨ gt beispielsweise Spiele. Neu ist dabei, daß auch Filmsequenzen in bei den 6---13ja¨ hrigen Kindern, die einen Computer Fernsehqualita¨ t eingebunden werden ko¨ nnen. Die besitzen oder Zugang zu einem haben, ta¨ glich 1---2 Spieler werden zunehmend zu Akteuren einer Film- Stunden bei 21 %, 58 % dieser Gruppe nutzen den handlung und ko¨ nnen ,Schauspieler’ beeinflussen Computer mehrmals pro Woche18). In der Tendenz oder selbst in deren Rollen schlu¨ pfen. Der Ton, lange la¨ ßt sich festhalten, daß sich immer mehr ju¨ ngere Zeit nur monotone Gera¨ uschkulisse, ist nun zu einem Kinder mit Computerspielen bescha¨ ftigen, und daß wesentlichen Bestandteil der Spiele geworden. die Ha¨ ufigkeit der Nutzung bei 16ja¨ hrigen stark ab- nimmt. Als Zielgruppe fu¨ r anspruchsvolle Computer- Eine weitere Entwicklung deutet sich bereits an. Mit spiele werden inzwischen die 18---30ja¨ hrigen bewor- dem Ausbau der Telekommunikation, der ,Datenau- ben. Computernutzer verfu¨ gen in der Regel u¨ ber tobahn’, ko¨ nnen Computerspiele einfach und schnell eine große Anzahl von Spielen, nach der Bremer Stu- u¨ ber die Datennetze in den heimischen Computer die im Durchschnitt 50, davon 90 % als Raubkopien. geholt werden. Im globalen Internet werden --- stark zunehmend --- Spiele jeder Art angeboten und ausge- Kinder und Jugendliche spielen v.a. alleine oder mit tauscht. Geplant sind außerdem kommerzielle Ange- Freunden, selten mit Eltern oder anderen Erwachse- bote wie ,Games-on-demand’, wo Spiele a¨ hnlich wie nen. Gespielt wird in erster Linie zu Hause oder bei Filme gegen Bezahlung individuell von einer Daten- Freunden; Computerspiele in der Schule, in Freizeit- bank abgerufen und am heimischen Bildschirm be- einrichtungen oder im Kaufhaus haben eine weitaus liebig lange gespielt werden ko¨ nnen. geringere Bedeutung19). Eine zusa¨ tzliche Entwicklungslinie der Computer- spiele geht hin zum virtuellen Erleben im Cyberspa- ce. Abgeschlossen in einer eigenen Welt ko¨ nnen im 3.1.2.2 Inhalte der Spiele Datenhelm u¨ ber zwei LCD-Bildschirme dreidimen- sionale Bilderwelten und somit das Gefu¨ hl erlebt Waren die ersten Spiele, die auf den Markt kamen werden, sich in dieser Welt zu befinden. Versta¨ rkt noch schnelle und kurze Reaktionsspiele, bei denen wird dieser ra¨ umliche Eindruck durch stereophone es lediglich darum ging, irgendetwas abzuschießen, To¨ ne, die u¨ ber die im Helm eingebauten Kopfho¨ rer so zielen neuere Entwicklungen auf Langzeitmotiva- ¨ direkt ins Geho¨ r gelangen. Uber einen Datenhand- tion, d. h. auf ein regelma¨ ßiges Spielen. Dazu werden schuh oder ein anderes Steuerelement kann sich der Spiele mit komplexen Geschichten angeboten, die Spieler im Raum bewegen, Gegensta¨ nde vera¨ ndern, zunehmend u¨ ber mehrere Folgen hinweg verlaufen. feindliche Flugzeuge abschießen, anderen virtuellen Die Identifikationsfiguren und -muster werden meist Personen begegnen usw. Die bisherigen PC’s sind durch einen spannenden filmischen Vorspann dafu¨ r allerdings noch zu langsam. Ein mo¨ glicher Zu- schmackhaft gemacht. Die Reaktionsmo¨ glichkeiten griff auf Großrechner u¨ ber das Datennetz, wodurch der Spieler sind vielfa¨ ltig. In den anspruchsvolleren zu Hause nur die Endgera¨ te beno¨ tigt werden, ko¨ nnte Computerspielen gewinnen die Geschichten an Be- zu einer gro¨ ßeren Verbreitung fu¨ hren. deutung. Die Inhalte handeln von der bunten und geheimnisvollen Welt der Ma¨ rchen und Mythen. Viele Spielinhalte greifen auch direkt literarische 3.1.2 Spieler und Spiele Stoffe, bekannte und erfolgreiche Filme, Comics usw. auf. D. h. Computerspiele werden auch inhaltlich 3.1.2.1 Verbreitung und Nutzung von Computerspielen mehr und mehr Bestandteil eines breiten massenme- dialen Angebots und dessen Vermarktung. Eine Bremer Studie hat ergeben, daß 44 % der be- fragten Kinder und Jugendlichen einen eigenen 18 Computer besitzen. Markante Unterschiede zeigen ) Weiler, S. (1995). Computerkids und elektronische Medien. In: Media Perspektiven, 5/95, S. 228---234 19) Vgl. Schell, F. (1997): Computerspiele. In: Hu¨ ther, J., 17) Schindler, F. (1992). Computerspiele zwischen Faszination Schorb, B., Brehm-Klotz, C. (Hrsg.). Grundbegriffe Medien- und Giftschrank. Bremen, S. 32f pa¨ dagogik. Mu¨ nchen. S. 73---81

21 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Um ein mo¨ glichst großes Kaufinteresse zu wecken, das Lo¨ sen von Aufgaben Frauen zum Striptease zu werden Spiele mit vielen unterschiedlichen Aspek- bewegen, die Darbietung sexueller Handlungen ten angereichert und immer komplexer gestaltet. zu erreichen oder als Akteur in pornografische Flugsimulationen sind beispielsweise oft mit Kampf- Darbietungen manipulierend einzugreifen. sequenzen kombiniert. Die folgende Kategorisierung der ga¨ ngigen Spielarten kann zwar nicht alle Misch- --- (Neo)Nazistische Computerspiele: Diese Spiele formen erfassen, ist fu¨ r die Diskussion von Spielen sind u¨ berwiegend grafisch schlecht animierte und unter dem Aspekt des Kinder- und Jugendmedien- von Rechtschreibfehlern strotzende primitive Fra- schutzes jedoch notwendig und hilfreich. Die derzeit ge- und Antwort-Spiele (Multiple-Choise-Verfah- ga¨ ngigen Typisierungen20) ko¨ nnen wie folgt zusam- ren) im Nazi-Jargon. mengefaßt werden: Durch die weltweite Vernetzung entstehen neue For- men von Computerspielen, fu¨ r die es derzeit noch --- Abstrakte Denk- und Geschicklichkeitsspiele: In gar keine Typisierung gibt: abstrakten Szenarios mu¨ ssen diverse Figuren oder Formen gestapelt und ineinandergefu¨ gt oder u¨ ber --- Neue virtuelle Spielformen: Dazu geho¨ ren bei- schwieriges Terrain gelenkt, Gewinnpositionen er- spielsweise die Cyberspace-Spiele und die Multi- reicht oder Denkaufgaben gelo¨ st werden. User-Dungeons (MUD). Die MUD’s sind vor allem bei den u¨ ber 20ja¨ hrigen beliebt. Ein MUD ist ein --- Actionspiele: Unter Actionspiele ko¨ nnen alle virtueller Raum, in den sich Spieler aus der ganzen Kampf-, Kriegs- und Ballerspiele, aber auch die Welt einloggen ko¨ nnen. Man kann eine selbstdefi- Jump’n-run-Spiele (Funny Games) subsumiert nierte Rolle einnehmen, mit anderen in vielfa¨ ltiger werden. Weise kommunizieren. --- Simulationen: Simulationsspiele beinhalten sehr verschiedene Bereiche. Zum einen geho¨ ren dazu 3.1.2.3 Spieler und problematische Spiele die Wirtschafts-, Gesellschafts- und Weltsimulatio- nen (Go¨ tter-Spiele). Einen zweiten Bereich bilden In der Auswertung vorliegender Untersuchungen die unterschiedlichen Fahrzeugsimulationen (Au- kommen Beierwaltes u. a. zu dem Schluß, daß es den to/Flugzeug), und ein dritter Bereich umfaßt die typischen Spieler nicht gibt. Als einzige Gruppe, der unza¨ hligen Sportsimulationen. eindeutig die Nutzung bestimmter Computerspielar- --- Adventures: Hier geht es um ganze, teilweise sehr ten zugeordnet werden kann, sehen sie die ma¨ nnli- komplexe Spielgeschichten, die es in Form von chen Jugendlichen im Alter von 14 oder 15 Jahren, Text- oder Grafikadventures, als Action-Adventu- die gerne indizierte Spiele, das sind v. a. Kriegs- und res, Fantasy- und Historien- oder Science-Fiction- andere gewalthaltige sowie pornographische Spiele, Geschichten gibt. Die sog. Power-Adventures nutzen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Nutzung 21 schaffen eine Verbindung zu den Kampfspielen. auch bei jungen Ma¨ nnern wieder ab ). Die Bremer Studie besta¨ tigt dies und verweist auf einen bedeu- --- Strategiespiele: Strategiespiele haben zumeist mi- tenden Unterschied in der geschlechtsspezifischen lita¨ rische Inhalte. Vergleichbar dem Schachspiel Nutzung: Ma¨ dchen bevorzugen eindeutig Geschick- geht es um die richtige Positionierung von Waffen lichkeits- und einfache Denkspiele (60 %), die und Personal. Strategiespiele sind zumeist nur Kampf- und Kriegsspiele (13 %) und auch die ,an- schwer von Simulationen abzugrenzen. spruchsvolleren’ Spiele (16 %) spielten bei ihnen fast keine Rolle. Bei den Sportspielen gibt es kaum ge- --- Rollenspiele: Rollenspiele sind als Gruppenerleb- schlechtsspezifische Unterschiede, lediglich Auto- nisse beliebt. Dabei ko¨ nnen die Rollen nach ver- rennen bevorzugen Jungen etwas mehr als Ma¨ d- schiedenen Charakteren ausgewa¨ hlt werden. Die chen. Insgesamt gibt es den Trend, daß die Ju¨ ngeren Handlungsmo¨ glichkeiten sind je nach Charakter ab 5 Jahren die Geschicklichkeits- und Actionspiele eingeschra¨ nkt. bevorzugen. Bei den A¨ lteren ab ca. 12 Jahren erwei- Neben diesen Haupttypen gibt es noch einige Son- tern sich die Vorlieben auf die anderen Bereiche, die derformen der Computerspiele: als anspruchsvoller bezeichnet werden22). --- Lernspiele: Auch in Zeiten von Multimedia sind In der Bremer Studie wird die Nutzung der als pro- Lernspiele oft nicht mehr als bloße Paukmaschinen blematisch geltenden Spielearten bei 9---18ja¨ hrigen zum Erlernen schulischer Inhalte, ha¨ ufig garniert na¨ her betrachtet23): Gewalthaltige Spiele (Baller- mit Action-Elementen. spiele mit Kriegsszenario, Kampfspiele) kennen 48 % der Computernutzer (71 % der Jungen und 16 % der --- Pa¨ d-Spiele: Pa¨ d-Spiele versuchen, den Spaß an Ma¨ dchen), wobei 55 % der genannten Titel indiziert Computerspielen fu¨ r die Vermittlung allgemeiner waren. Die genannten Gewaltspiele werden von den pa¨ dagogischer Inhalte zu nutzen. Themen wie Kindern und Jugendlichen u¨ berwiegend positiv be- ,Aids’ oder ,Rechtsradikalismus’ werden via Com- urteilt, 58 % der genannten Spiele finden sie gut. puterspiel thematisiert. Pornographische Spiele kannten 38 % der befragten --- Porno-Spiele: Bei den Porno-Spielen, die heute Filmqualita¨ t haben, geht es meist darum, durch 21) Beierwaltes, A., Grebe, B., Neumann-Braun, K. (1993): Indi- zierte Computerspiele --- Markt und Spieler. In: Bundeszen- trale fu¨ r Politische Bildung (Hrsg.). Computerspiele. Bonn. 20) Vgl. Schell ebd.; Fehr, W., Fritz, J. (1993): Videospiele und S. 89---104 ihre Typisierung. In Bundeszentrale fu¨ r Politische Bildung 22) Schindler ebd. S. 58ff (Hrsg.). Computerspiele. Bonn. S. 67---88 23) Schindler ebd. S. 93ff

22 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Kinder und Jugendlichen (54 % der Jungen und puterspiele wird in den Spielinhalten und in der 17 % der Ma¨ dchen), 20 % dieser Spiele standen auf Spielsituation gesehen. dem Index. Die pornographischen Spiele stoßen bei den Kindern und Jugendlichen auf deutliche Ableh- Bei den Spielinhalten ist es in erster Linie die Gewalt, nung, 51 % beurteilen sie als schlecht. die als Gefa¨ hrdungspotential angenommen wird, aber auch Pornografie und nazistisches Gedanken- Nazispiele (Spiele, in denen Nazis vorkommen oder gut geho¨ ren zu den als problematisch eingescha¨ tzten die sich gegen Ausla¨ nder richten) nennen 17 % der Inhalten. Zu den Auswirkungen der Nutzung von Heranwachsenden (25 % der Jungen und 6 % der Spielen der beiden letztgenannten Kategorien liegen Ma¨ dchen), 20 % der genannten Titel sind indiziert. keine Untersuchungen vor. Diese Nazispiele werden u¨ berwiegend abgelehnt. Immerhin werden von den Kinder und Jugendlichen Die Ergebnisse der o.a. Bremer Studie, die durch 21 % der Nazispiele fu¨ r gut und 69 % fu¨ r schlecht be- kleinere andere Umfragen gestu¨ tzt werden, zeigen, funden. Gefragt nach ihren Lieblingsspielen waren daß die Nazispiele von den Jugendlichen weitge- unter 400 genannten Spielen 31 indizierte. Es han- hend abgelehnt werden. Sie sind zwar relativ be- delt sich dabei in erster Linie um Gewaltspiele und kannt, was sie vorwiegend wohl der jugendlichen pornografische Spiele. Nazispiele spielen mit jeweils Neugier nach dem Verbotenen und dem Reiz der unter 1 % eine untergeordnete Rolle, wobei man je- ,subversiven’ Ta¨ tigkeit gegen die Erwachsenenwelt doch bedenken muß, daß es insgesamt relativ wenig zu verdanken haben, und weniger ihren Inhalten. Nazispiele gibt. Dennoch bleibt die Frage offen, inwieweit real vor- Wesentlich schwieriger als die Bestimmung aller handenes (neo)nazistisches Gedankengut, Ausla¨ n- derfeindlichkeit, Nationalismus u.a¨ . durch die doch quantitativen Nutzungsdaten ist die Rekonstruktion der individuellen und sozialen Motive fu¨ r das Com- beachtlich weit verbreiteten Spiele im Kontext mit anderen Medien mit a¨ hnlichen Inhalten Besta¨ tigung puterspielen. Seit Beginn der Computerspiele gelten als Hauptmotive die Aspekte Macht, Erfolg und Ab- und Versta¨ rkung finden. Die Tatsache, daß solche Spiele produziert und --- wenn auch nur voru¨ berge- tauchen24). Computerspiele vermitteln das Gefu¨ hl der Macht. Die Maschine tut, was man ihr befiehlt. hend --- genutzt werden, ist bedenklich. Der Spieler bewegt etwas am Rechner, erzeugt Effek- Die pornographischen Spiele sind kaum verbreitet. te, vera¨ ndert Welten. An Stelle der ta¨ glich erfahrba- Bei den 14- bis 15ja¨ hrigen Jungen, von denen sie vor- ren Ohnmacht tritt in der elektronischen Welt das er- u¨ bergehend mehr genutzt werden, spielen wohl Pu- hebende Gefu¨ hl der Macht. Die in Gewaltspielen berta¨ t und sexuelle Wunschvorstellungen eine Rolle, dem Spieler angebotenen Identifikationsfiguren ver- die sie sich in der realen Konfrontation mit dem ande- sta¨ rken dieses Erleben. Als ,Held’, zumeist als Einzel- ren Geschlecht weder zu thematisieren noch zu er- ka¨ mpfer, kann man seine Gro¨ ßen- und Allmachts- proben trauen. Die Frage bleibt offen, welche Folgen phantasien ausleben oder den Umgang mit seinen der kindliche und jugendliche Umgang mit porno- eigenen Aggressionen erproben --- und das ohne graphischen Computerspielen (und auch Filmen) reale Folgen. Geschicklichkeit, Konzentration und hat, v. a. welche ma¨ nnlichen Vorstellungen von Ma¨ d- Reaktion fu¨ hren zu sichtbarem Erfolg: Fertigkeiten chen und Frauen und vom Umgang mit ihnen sich werden belohnt, der Spieler erha¨ lt eine direkte Ru¨ ck- entwickeln und was dies fu¨ r die spa¨ tere Beziehungs- meldung fu¨ r sein Handeln. Der Erfolg la¨ ßt nicht, wie und Liebesfa¨ higkeit bedeutet. im richtigen Leben, auf sich warten, sondern ist gleich da. In bezug auf die Gewalthaltigkeit befu¨ rchten viele, Das Ausspannen wird durch die elektronischen Vor- daß mit den Computerspielen eine ganz andere Di- gaben des Spiels zum Abtauchen. Die Spielge- mension der Gewaltgefa¨ hrdung erreicht werde, da schwindigkeit, die phantasievollen Welten mit ihren Kinder und Jugendliche nicht mehr nur zuschauen bunten Bildern und eindringlichen To¨ nen, das Setzen wie bei Film und Fernsehen, sondern selbst Handeln- sta¨ ndig neuer Reize, die Erfordernis voller Konzen- de sind, also sich aktiv an Mord und Totschlag betei- tration und pra¨ zisen motorischen Reagierens fu¨ hren ligen. Monokausale Annahmen einer unmittelbaren zum Abtauchen, Zeit und Raum spielen keine Rolle Gefa¨ hrdung durch Gewalt in den Medien konnten mehr. Neben diesen klassischen Motiven finden bisher wissenschaftlich nicht besta¨ tigt werden, v.a. Computerspiele auch Anklang, weil sie als Versta¨ r- deshalb, weil sie das komplexe menschliche Verhal- ker fu¨ r Lebensentwu¨ rfe, Kompetenzen, Interessen ten und Handeln außer acht lassen. Auch die Be- und Bedu¨ rfnisse fungieren. fu¨ rchtung einer aggressionssteigernden Wirkung ge- walthafter Spiele konnte, so das Resultat einer von Sacher durchgefu¨ hrten Auswertung internationaler 3.1.2.4 ,Gefa¨hrdung’ durch Computerspiele Forschungsergebnisse25), wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Er verweist auch darauf, daß Wirkungsforschung zu Computerspielen, wie diese manche traditionellen Spiele weitaus mehr Aggres- bei den audiovisuellen Medien bereits traditionell ist, sionen erzeugen als die elektronischen Spiele. Dies gibt es nicht. Aus Nutzungsstudien und Beobachtun- sei aber noch kein Anlaß fu¨ r eine vo¨ llige Entwar- gen lassen sich plausible Hinweise ableiten, jedoch nung. noch keine zweifelsfreien Belege finden. Eine Ge- fa¨ hrdung von Kindern und Jugendlichen durch Com- 25) Sacher, W. (1993) Jugendgefa¨ hrdung durch Video- und Computerspiele? Diskussion der Risiken im Horizont inter- 24) Vgl. Schorb, B. (1983). Mit dem Joy-Stick in die Computer- nationaler Forschungsergebnisse, In Zeitschrift fu¨ r Pa¨ dago- zukunft. merz (medien + erziehung). 27, 4/83, S. 194---205. gik, 39, 2/1993, S. 313---333

23 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Dieser Hinweis ist gerechtfertigt. Aus vielen Rezepti- gen mehr Sport betreiben als ihre gleichaltrigen Kol- onsstudien zu Gewalt im Fernsehen26) wissen wir, legen.27) daß es nicht in erster Linie die vordergru¨ ndigen Ge- Auch auf einer subtileren Ebene als der vordergru¨ n- waltakte, also das Abschießen eines Gegners, das dig diskutierten ,Gefa¨ hrdung’ sind Computerspiele Totschlagen des Aggressors usw. sind, die Kindern u. U. problematisch: Sie sind die spielerischen Mittel, und Jugendlichen Probleme bereiten, zumal dann mit denen Kinder und Jugendliche fu¨ r neue Medien- nicht, wenn sie eindeutig als Fiktion erkennbar sind, techniken ,aufgeschlossen’ werden. Sie wirken sozu- was in Computerspielen bisher der Fall ist (mit der sagen unterschwellig akzeptanzfo¨ rdernd, ohne die Entwicklung hin zur Form interaktiver Filme und fu¨ r einen rationalen und reflexiven Umgang mit zum Erleben im Cyberspace ko¨ nnte sich dies aller- Technik notwendige Distanz zu diesen Techniken dings a¨ ndern). Wir wissen aber auch, daß Gewalt in und ihre Kritik mit zu transportieren. Daru¨ ber hinaus Film und Fernsehen und --- da Computerspiele ja ein steht der leistungsbezogene und konsumorientierte Bestandteil des gesamten Medienensembles von Charakter der Spiele der Fo¨ rderung eines selbstbe- Kindern und Jugendlichen sind --- wohl auch in Com- stimmt und selbstbewußt handelnden gesellschaftli- puterspielen deshalb nicht unproblematisch ist. Die chen Subjekts entgegen, zumal das suggerierte Lei- Pra¨ sentation und sta¨ ndige Wiederholung von Ideolo- stungsprinzip in vielen Spielen: wer sich anstrengt, giemustern im Zusammenhang mit Gewalt (z.B. die hat immer Erfolg, in dieser Simplizita¨ t nicht mehr Propagierung des Rechts des Sta¨ rkeren; die Darstel- funktioniert. lung des ,Fremden’, ,Ungewo¨ hnlichen’, ,Deformier- ten’ als Bo¨ ses; die Darstellung von Gewalt als erfolg- reichem Konfliktlo¨ sungsmittel u. a¨ .) und von Legitimationsmustern fu¨ r das Gewalthandeln (z. B. 3.2 Das Internet --- Inhalt und Zugang die Selbstversta¨ ndlichkeit, daß im Dienste der guten Neben allen positiven Mo¨ glichkeiten, die Welt zu er- Sache jedes Mittel recht ist; die Lynchjustiz als selbst- kunden, ist das Internet auch ein geeignetes Medi- versta¨ ndliches Handeln u. a¨ .) ko¨ nnen im Kontext real um, um Informationen zu verbreiten, die im allta¨ gli- vorhandener Einstellungen, Meinungen, Normen chen sozialen Umgang tabuisiert oder sogar verboten und Werthaltungen diese versta¨ rken und verfesti- sind. Es gibt mittlerweile eine breite Diskussion u¨ ber gen. Kinderpornographie und rassistische Angebote im Beru¨ cksichtigt man in diesem Zusammenhang die Internet. Letztere stammen von politischen Extremi- geschlechtsspezifische Nutzung gewalthaltiger Com- sten, die das Internet als Plattform fu¨ r ihr neonazisti- puterspiele, so wird deutlich, daß die Gewaltproble- sches Gedankengut und die Verbreitung ihrer Vorur- matik eine Jungenproblematik ist. Was dies im Kon- teile und Hetzkampagnen gegenu¨ ber Menschen text der allgemeinen geschlechtsspezifischen anderer Herkunft mißbrauchen. Da die Zuwendung Sozialisation fu¨ r das Verha¨ ltnis der Geschlechter und von Kindern und Jugendlichen zu den neuen Tech- fu¨ r die Realisierung der Gleichberechtigung bedeu- nologien hinreichend bekannt ist, versuchen sie auf tet, ist nicht nur eine interessante Forschungsfrage, diesem Weg, die jungen User mit speziellen Pro- sondern auch eine Frage der Zukunft unserer Gesell- grammen fu¨ r ihre gefa¨ hrliche rassistische Gedanken- schaft. welt zu gewinnen. Die im Juli 1997 vorgestellte Studie von Decius und In Bezug auf die Spielsituation wird v.a. befu¨ rchtet, Panzieri28), die im Auftrag des Deutschen Kinder- daß extensives Spielen zur Vereinsamung und/oder schutzbundes erstellt wurde, sieht Kriminalita¨ tsrisi- zur Sucht fu¨ hrt. Auch diese Annahmen ko¨ nnen durch ken in der Verbindung von Internet Relay Chat (IRC) Forschungsergebnisse nicht belegt werden. Von ei- mit Kinderpornographie. Die Gefahren der Herstel- ner Vereinsamung durch Computerspiele oder von lung kinderpornographischer Darstellungen im Inter- einem Suchtverhalten kann nicht ausgegangen wer- net werden in erster Linie darin gesehen, daß Kinder den. Neuere Untersuchungen belegen eher im Ge- fu¨ r die Produktion der Bilder tatsa¨ chlich mißbraucht genteil, daß Computerspieler gegenu¨ ber anderen Ju- werden ko¨ nnen. Dies ist zwar auch bei herko¨ mmli- gendlichen in ihren Freizeitbescha¨ ftigungen nicht chen Medien (Zeitschriften, Videos u. a.) bekannt, abweichen, sondern eher aktiver sind. Ju¨ ngere Com- die Mo¨ glichkeiten der Gewaltdarstellung haben sich puternutzer lesen ha¨ ufiger als Kinder ohne PC-Zu- aber mit den digital u¨ bertragenen Medien vervielfa¨ l- gang, sind eher vielfa¨ ltiger interessiert und werden tigt. Allerdings muß ausdru¨ cklich davor gewarnt wer- als aktive Kinder bezeichnet. Und in a¨ lteren Studien den, das gesamte Internet oder seine Foren mit die- wird wiederum belegt, daß computerspielende Jun- sen Problemen gleichzusetzen.

26) Vgl. Theunert, H. (Hrsg.) (1993): „Einsame Wo¨ lfe“ und Noch ist das Internet kein massenhaft genutztes Sy- „scho¨ ne Bra¨ ute“. Was Ma¨ dchen und Jungen in Cartoons stem; durch seinen potentiellen Charakter in dieser finden. Mu¨ nchen. Richtung wird es jedoch in absehbarer Zeit eine gro¨ - Theunert, H., u. a. (1994 (2)): ZwischenVergnu¨ gen und ßere Verbreitung auch bei Kindern finden. Bei ent- Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin sprechender Nutzungskompetenz durch eigene Akti- Theunert, H., Schorb, B. (1995): ,Mordsbilder’. Kinder und Fernsehinformation, Berlin 27) Weiler, S. (1997): Computernutzung und Fernsehkonsum 28) Decius, M., Panzieri, R.(1997) Kinderpornographie im Inter- von Kindern. In: Media Perspektiven 1/1997, S. 43---53 net Relay Chat. Hannover Vollbrecht, R. (1988). Computer im Alltag von Jugendli- Siehe dazu auch das Interview von E. Schaar mit Rainer Ri- chen. In Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung chard von der EDV-Beweismittelsicherung des Polizeipra¨ si- (Hrsg.), Vom kreativen Umgang mit Computern. Rem- diums Mu¨ nchen: Pornographie mit Kindern im Internet. In: scheid. medien + erziehung 6/97, S. 359---362

24 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 vita¨ ten ko¨ nnen problematische Angebote Kindern 3.2.1 Zuga¨nglichkeit zum Netz32) und Jugendlichen zuga¨ nglich werden. Technische Voraussetzung fu¨ r den Zugang zum In- Online-Dialoge ko¨ nnten als Einstieg in die Vermitt- ternet sind ein Computer, ein Modem, ein Telefonan- lung von Kindern in die Prostitution genutzt werden. schluß sowie ein Account bei einem Provider. Ein U¨ ber die Datennetze ko¨ nnten Vorbereitungen zu Vertrag u¨ ber den Betrieb eines Telefonanschlusses Verbrechen an Kindern und Beschreibungen und wie auch u¨ ber den Account ist ein Dauerschuldver- Abbildungen der Verbrechen verbreitet und Mailbo- ha¨ ltnis. Diese Vertra¨ ge werden mit vollja¨ hrigen Per- xen somit sowohl als Speicher pornographischer An- sonen abgeschlossen; Ausnahmenregelungen fu¨ r gebote als auch als Kontaktbo¨ rse genutzt werden. Es Minderja¨ hrige sind ab dem 14. Lebensjahr mo¨ glich, gibt bereits Zeitschriften, die Internet-Nutzer auf ent- wenn sie die schriftliche Einwilligung der Eltern vor- sprechende Programme aufmerksam machen. weisen ko¨ nnen.

Die verbotenen Inhalte rekurrieren nicht selten auf Somit ist der Zugang zum Internet grundsa¨ tzlich nur einen vorhandenen Markt. Deshalb muß von organi- im ha¨ uslichen (familia¨ ren) oder im institutionellen sierter Kriminalita¨ t gesprochen werden. Wenn im In- (Schule, Jugendfreizeiteinrichtung) Bereich mo¨ glich. ternet elektronische Zahlungssysteme breite Anwen- Außerhalb dieser Bereiche sind die Zugangsmo¨ glich- dung finden, die es unter Zwischenschaltung einer keiten beschra¨ nkt. Internet-Cafe´ s sind in der Regel dritten Partei (Cyberbank) ermo¨ glichen, kosten- Gaststa¨ tten und unterliegen damit ebenfalls Regulie- pflichtige Leistungen in Anspruch zu nehmen und rungen des Jugendschutzes (JO¨ SchG), insbesondere sie anonymisiert abzugelten, ko¨ nnte fu¨ r Urheber in Fragen der Aufenthaltsdauer von Kindern und Ju- kommerzieller kinderpornographischer Produkte, fu¨ r gendlichen. Damit du¨ rfte Kindern im Sinne der ge- die das Internet bislang kaum attraktiv ist, ein Anreiz setzlichen Bestimmungen (KJHG), d.h. unter 14 Jah- entstehen, ihre Angebote im Netz zu erweitern. Die ren, der Zugang zum Internet erschwert sein bzw. die Menge der einschla¨ gigen Informationen ko¨ nnte da- 29 Nutzung du¨ rfte im Rahmen der oben genannten Be- durch ansteigen. ) reiche stattfinden und damit unter der Aufsicht von genau definierten Personengruppen (Eltern, Lehrer, Auch auf zwischenstaatliche Zusammenarbeit kann Jugendarbeiter) stehen. Diese Personen haben ihrer bei den Bemu¨ hungen, jugendungeeignete oder vo¨ l- Fu¨ rsorge- und Aufsichtspflicht nachzukommen und kerverhetzende Inhalte auszuschließen, keine große sind damit angehalten, Kinder und Jugendliche vor Hoffnung gesetzt werden. Zu unterschiedlich sind scha¨ dlichen Einflu¨ ssen zu bewahren. fu¨ r das grenzu¨ berschreitende Internet die verschie- denen Vorstellungen in den einzelnen Kulturen u¨ ber Generell kann zwischen einem problematischen An- das, was Heranwachsenden vorenthalten werden gebot, das fu¨ r eine breite Zielgruppe zuga¨ nglich ist sollte, u¨ ber das, was im Sinne einer Vo¨ lkerversta¨ ndi- und einem Angebot, das nur geschlossenen Subkul- gung zu unterlassen wa¨ re. Gibt es doch schon in eu- turen offensteht, unterschieden werden. Gewaltpor- ropa¨ ischen La¨ ndern oft erheblich abweichende Vor- nographische Newsgroups, rassistische Web-Sites stellungen in Bezug auf Ethik und Sitte. Da mag und aggressive Computerspiele sind (relativ) einfach auch die Kinderprostitution oft von ganz verschiede- zu finden, und fu¨ r ein breites Publikum meist leicht nen Ebenen her beurteilt werden. versta¨ ndlich. Das Internet bietet auch Angebote, die nur fu¨ r spezifische Subkulturen versta¨ ndlich sind. So Die Gefahr ist also nicht von der Hand zu weisen, kann jemand, der an gewaltta¨ tigem Sex interessiert daß das Internet ku¨ nftig versta¨ rkt als Plattform zur ist, u¨ ber Chatboxen in Kontakt mit Gleichgesinnten Verbreitung von Kinderpornographie mißbraucht treten. Hier finden sich zahlreiche Beispiele fu¨ r Kin- wird. Es ist aber fraglich, ob auch Kinder und Ju- derpornographie und Sadismus. Es gibt Web-Sites, gendliche zu den Konsumenten von Kinderpornogra- die Gewalt im Zusammenhang mit Sekten, Kulten, phie geho¨ ren. Man kann davon ausgehen, daß die Waffenverherrlichung oder der Verherrlichung sexu- 30 relevante Zielgruppe die Erwachsenen sind ). Aber ell gepra¨ gter Bilder propagieren. Derartiges Material Kinder und Jugendliche ko¨ nnen beim Surfen im In- ist nicht leicht zuga¨ nglich und wird meist in einem ternet unfreiwillig pornographischen, gewaltverherr- Kontext gebracht, der fu¨ r Außenstehende nicht ver- lichenden und rassistischen Materialien begegnen. sta¨ ndlich ist. Denn auch hinter serio¨ s klingenden Internet-Adres- sen lassen sich manchmal ho¨ chst unserio¨ se Angebote 32) Die folgenden Erkenntnisse (Kap. 3.2.1 und 3.2.2) sind den finden. So ist es denkbar, daß sich zum Beispiel ein Ausfu¨ hrungen zum Forschungsauftrag der Enquete- vermeintlicher Anbieter von Computerspielen als Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesell- Pornobild-Abrufservice herausstellt. Damit ist das schaft --- Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ Problem der fehlenden Authentizita¨ t im Internet be- des Deutschen Bundestages u¨ ber problematische Formen ru¨ hrt. Auch wenn sich Nutzer bei ihrem Access-Pro- des Internetangebots an die Universita¨ t Utrecht/Niederlan- vider anmelden mu¨ ssen, ko¨ nnen sie anderen Netz- de entnommen. Der Bericht wurde von Prof. Dr. Jo Groebel und Dr. Lucia Smit im Sommer 1997 erstellt. Als explorative teilnehmern gegenu¨ ber beliebig Pseudonyme und inhaltsanalytische Studie des Netzes ist er eine Moment- 31 somit andere Identita¨ ten benutzen. ) aufnahme, aus der nur bedingt Folgerungen u¨ ber Gefa¨ hr- dungen gezogen werden ko¨ nnen. Die Studie selbst hat 29) Vgl. Schneider, schriftliche Stellungnahme zur O¨ ffentlichen aber keine Folgen bei Nutzern und auch nicht die Akzep- Anho¨ rung vom 9. Oktober 1997, S. 230 tanz und Erreichbarkeit bestimmter Inhalte von und fu¨ r ju- 30) Vgl. Schneider, a.a.O., S. 230 gendliche Nutzer eruiert. Die Studie ist in der Enquete- 31) Vgl. Schaar, schriftliche Stellungnahme zur o¨ ffentlichen Kommission kontrovers diskutiert worden. Die dargestell- Anho¨ rung vom 9. Oktober 1997, S. 208 ten Ergebnisse sind umstritten.

25 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Jeder experimentelle Surfer kann auf eine hardpor- delle des Bildmaterials alle a¨ lter als 18 Jahre sind. nographische Newsgroup oder eine rassistische Dies ist auch nicht verwunderlich, da die Anbieter Web-Site stoßen. Wenn der Internet-Nutzer Interesse kommerzieller Sites einfach zu ermitteln sind. Im daran hat, kann er regelma¨ ßig zu derartigen Sites/ Rahmen dieser Untersuchung wurden drei Web-Sites Newsgroups zuru¨ ckkehren. Er muß nicht in seiner gefunden, die ausdru¨ cklich mit Inzest und Sex mit unmittelbaren sozialen Umgebung verantworten, Kindern warben, die Verhaltenstips gaben und in de- welche Sites er besucht und kann sich so unbeobach- nen die Abgebildeten kindlich aussahen. Bei dem tet am Angebot bedienen. Die Mo¨ glichkeit, das An- Bildmaterial in den Anzeigen handelt es sich eher gebot im Internet selbst zusammenzustellen, fu¨ hrt al- um sogenannte Softpornos; Gewalt kommt nicht vor. lerdings auch dazu, daß Nutzer, die nicht von Die Sites sind ziemlich leicht zu finden, jedoch --- im Mediengewalt fasziniert sind, wahrscheinlich weni- Gegensatz zu den Anzeigenseiten fu¨ r die Sites fu¨ r ger als bei den traditionellen Medien damit konfron- Kinder --- wegen der erforderlichen Mitgliedschaft tiert werden. nicht zuga¨ nglich. Auch wenn es sich strafrechtlich um nicht relevantes Bildmaterial handelt, kann meist nicht eindeutig gekla¨ rt werden, ob die dargestellten 3.2.2 Problematische Inhaltsseiten zum Anse- Personen wirklich u¨ ber 18 Jahre alt sind. Sie wirken hen und Austauschen oft kindlich und regen zumindest entsprechende Phantasien an. Fu¨ r alle anschließend genannten problematischen Formen konnten im Rahmen der fu¨ r die Enquete- Newsgroups Kommission erstellten Studie Beispiele gefunden Von den unmittelbar identifizierbaren circa 18000 werden. Sie unterscheiden sich allerdings hinsicht- Newsgroups befaßt sich ein ansehnlicher Teil mit Sex lich ihrer Zuga¨ nglichkeit: (Scha¨ tzung: 500---1000). Davon hatten zum Zeitpunkt --- Gewaltpornographie in extremer Form ist nicht der Untersuchung ungefa¨ hr 30 Newsgroups proble- leicht zuga¨ nglich. Die entsprechenden Zirkel sind matischen Charakter. Einige Newsgroups sind spezi- gut abgeschottet. Das Problem sind weniger Kin- fisch auf Kinderpornographie ausgerichtet, darin er- der als Adressaten, eher als Opfer. scheinen ziemlich regelma¨ ßig fiktive Geschichten u¨ ber Inzest, Vergewaltigungen und Kinderpornogra- --- Rassismus wird vielfa¨ ltig verbreitet und entspre- phie. Der Inhalt dieser Newsgroups ist als problema- chende Web-Sites sind relativ leicht zuga¨ nglich. tisch zu betrachten. Bis ins Detail wird z.B. beschrie- --- Gewaltbilder und extrem gewaltta¨ tige Inhalte sind ben, wie unterentwickelt der Ko¨ rper des Opfers ist ebenfalls ziemlich verbreitet und gut zuga¨ nglich. und welche sexuellen Handlungen daran ausgefu¨ hrt Das Problem ist hier die Trennung zwischen fikti- werden. Einige Newsgroups verbreiten auch Bildma- ven (Kulte) und realen Bildern (z.B. bei sogenann- terial. Verschiedene Internet-Provider haben Maß- ten Snuff-Fotos und -Videos). nahmen getroffen, um Fotos derartiger Handlungen aus den Newsgroups zu entfernen. Jedoch geben ei- --- Gewaltta¨ tige Sekten sind nur begrenzt zu finden; nige Web-Sites gegen Gebu¨ hr eine U¨ bersicht aller hier wird das Internet erst wirksam, wenn schon Abbildungen aus bestehenden Newsgroups. Auf ein Initialkontakt stattgefunden hat. diese Weise kann ein geu¨ bter Surfer doch noch u¨ ber --- Gewalthaltige Computerspiele stellen das wohl fu¨ r das gewu¨ nschte Bildmaterial verfu¨ gen. Etliche pro- Kinder attraktivste Potential an problematischen blematische Newsgroups sind leicht zuga¨ nglich. In- Formen dar. Das Spektrum ist groß, leicht zuga¨ ng- dem er sich den Index mit Newsgroups scannt, kann lich und reicht von eher traditionellen Action-Spie- der Benutzer sofort sehen, ob eine Newsgroup mo¨ gli- len bis hin zu sehr realistisch gemachten Brutal- cherweise interessant ist. und Folterangeboten. Deutsche Chatboxen In Deutschland sind die meisten Internetnutzer an 3.2.2.1 Gewaltpornographie die folgenden Internet-Provider angeschlossen: Ame- Web-Sites rican On-Line (350000 Nutzer), Compuserve (250000 Nutzer), T-online (1,4 Millionen Nutzer). Außerdem Die im Rahmen der Untersuchung erfolgte Suche mit gibt es noch einige kleine Provider wie EuNet, Ger- Stichwo¨ rtern ergab eine enorme Anzahl an Adressen manynet, IDM net und Net serve. Auch Mailboxen von Web-Sites, von denen allerdings nur wenige Kin- bieten Zugang zum Internet. In Deutschland gibt es derpornographie pra¨ sentieren. Dies la¨ ßt sich mit Mailboxen, die mit Pornographie zu tun haben. mehreren Faktoren erkla¨ ren: In Deutschland sind T-online und Mailboxen die Anbieter eigentlich unverda¨ chtiger Sites wissen, daß wichtigsten Zuga¨ nge zu pornographischen Inhalten nach pornographischen Begriffen viel gesucht wird im Internet. T-online bietet eine Vielzahl deutsch- und sorgen so dafu¨ r, daß sie unter solchen Stichwo¨ r- sprachiger Chatboxen mit Erotikdialogen, die leicht tern registriert sind. So erhalten sie eine große An- zuga¨ nglich sind. In diesen Chatboxen findet oft ein zahl von Besuchern. Die Sites stammen von Aktionen erstes Treffen statt, von wo aus E-mail-Adressen oder gegen Kinderpornographie und weisen auf Mo¨ glich- Telefonnummern ausgetauscht werden ko¨ nnen, zum keiten der Beka¨ mpfung etc. hin. Beispiel fu¨ r die Verbreitung pornographischer CD- Auf beinahe allen Kinderporno-Sites wird angege- ROMs und Videokassetten. Allerdings wird darauf ben, daß sich die Anbieter an das Gesetz halten, daß geachtet, daß strafrechtlich relevantes Material aus- keine Kinder zugelassen werden und daß die Mo- geschlossen bleibt.

26 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Um u¨ ber AOL und Compuserve in die Chatboxen halts, nicht weitergibt. Andere Sites wurden im des Internet Relay Chat (IRC) zu gelangen, beno¨ tigt Rahmen dieser Untersuchung mit Hilfe von Altavista man spezielle, nicht leicht anzuwendende Software. unter einem in der rechtsextremen Szene bekannten Code-Begriff und durch eine vielfach verwendete American On-line (AOL) hat Maßnahmen zur Selbst- Zusammenstellung rassistischer Angebote (insge- regulierung getroffen, um illegale Bilder aus ihrem samt 25 Sites) aufgespu¨ rt. In ihnen wird zum Teil ex- Online-Dienst zu entfernen. Das kann nur bis zu ei- tremer Nationalismus propagiert und zur Vertreibung nem bestimmten Grad gelingen, der Austausch von von Ausla¨ ndern aus Deutschland aufgerufen. Pornobildern zwischen Nutzern von Chatboxen ist noch immer u¨ ber eine direct-client-to-client Verbin- Newsgroups dung ganz einfach. Fu¨ r Außenseiter ist es schwierig, Newsgroups mit explizit rassistischem Inhalt kom- glaubwu¨ rdig zu erscheinen, kennt man jedoch die men nicht ha¨ ufig vor; im Rahmen dieser Recherche sozialen Codes solch einer Subkultur, macht es keine wurden sieben Sites aufgespu¨ rt. Das ha¨ ngt damit zu- Schwierigkeiten, Gleichgesinnte in den Chatboxen sammen, daß anti-rassistische Organisationen oft Ge- zu treffen. Fu¨ r Personen, die an gewaltta¨ tigen For- genreaktionen an die Newsgroups senden. men von Sex interessiert sind, ist das Internet (und speziell die Chatboxen) ein geeignetes Medium, um IRC (Internet Relay Chat) mit ,unbekannten’ Gleichgesinnten in Kontakt zu tre- Inwieweit Rassismus im IRC verbreitet wird, konnte ten. Bei allta¨ glichen sozialen Begegnungen wa¨ re es nicht festgestellt werden. Es gab allerdings einige fast unmo¨ glich, diese Personen zu treffen. Verweise in rassistischen englischsprachigen Web- Sites zum IRC, deren Botschaft lautete, daß Weiße Drewes33) beschreibt Beispiele vom Handel mit Kin- sich vereinigen, sich gegenseitig u¨ ber das Internet dern, die fu¨ r Sex und Folter u¨ ber Chatboxen ,ange- informieren und Aktionen planen mu¨ ßten. Es du¨ rfte boten’ werden. Via IRC ist der Transfer von Dateien außer Zweifel stehen, daß gerade das IRC bei der ganz einfach. Ha¨ ufig werden Chat-Teilnehmern in Entwicklung krimineller Vereinigungen eine zentrale den einschla¨ gigen Kana¨ len ungefragt kinderporno- Rolle spielen kann. Dies scheint zum Beispiel konkret graphische Bilder u¨ bermittelt. „Diese Bildern ko¨ nnen in der Vorbereitung des Anschlages von Oklahoma dann zum weiteren Tausch verwendet werden. Der 1996 geschehen zu sein. Es ist bekannt, daß auch Transfer der Bilder ist dabei von keinen anderen deutsche rechtsextreme Vereinigungen von den Chat-Teilnehmer einsehbar. Lediglich der Sender Mo¨ glichkeiten des IRC Gebrauch machen. und der Empfa¨ nger ko¨ nnen den Transfer am Bild- schirm verfolgen.“34) Die Problematik rassistischer Angebote im Internet besteht neben den allgemein geltenden strafrechtli- chen Aspekten darin, daß grenzu¨ berschreitend und 3.2.2.2 Rassismus gleichzeitig immunisierend (anonyme Gruppen) ope- Das internationale Angebot an rassistischen und neo- riert werden kann. Auch wenn der gro¨ ßere Teil des nazistischen Web-Sites ist sehr leicht zuga¨ nglich und Angebots englischsprachig und damit nur begrenzt breitgestreut, wie eine U¨ bersicht der antirassisti- fu¨ r deutsche Nutzer attraktiv ist, handelt es sich beim schen Organisation „Hate watch“ zeigt. Außerdem Internet um das einzige Medium, das schnelle, mas- ergab auch die Suche mit Stichwo¨ rtern viele Adres- sengerichtete und professionell gestaltete Propagan- sen (ungefa¨ hr 50 zu Rassenhaß und Neonazismus da ungehindert ermo¨ glicht. und/oder Leugnung des Holocaust). Die meisten englischsprachigen Sites stammen aus 3.2.2.3 Extremgewalt den Vereinigten Staaten und beziehen sich auf die Snuff-Movies Verbreitung der sogenannten White-Power, die den Mehrfach gab es in den 90er Jahren Medienberichte Holocaust leugnet und Neonazismus propagiert. Die daru¨ ber, daß Bilder von einem Mord auf Internet zu Argumente reichen dabei von der Ablehnung von sehen gewesen sein sollen. Bei solchen Fa¨ llen ist Immigranten und Integrationsprojekten fu¨ r Ausla¨ n- schwer zu beurteilen, ob es sich tatsa¨ chlich um Bilder der bis hin zum Aufruf zum gewaltsamen Kampf ge- eines Mordes oder um einen Mediahype, also um die gen Schwarze. Eine der gefundenen Sites richtet sich mediale Vermittlung gestellter Szenen, handelt. Die speziell an Kinder und Jugendliche, die hier alles gleiche Frage kann fu¨ r Snuff-Movies35) gelten. Es u¨ ber Skinhead-Verhalten und -Ausstattung lernen konnten zwei verschiedene Newsgroups gefunden ko¨ nnen. Die Gestaltung ist in diesem Fall professio- werden, die u¨ ber die Erscheinung der Snuff-Movies nell und regt zur Entwicklung eigener Homepages diskutierten, deren Existenz jedoch verneinten. und eigenen Propagandamaterials an. Im Einzelfall sind in Chatboxen sogar Menschen fu¨ r Das deutschsprachige Angebot Folterungen „angeboten“ worden. Zudem ist viel In- Mit Hilfe des deutschen Yahoo (Suchmechanismus in teresse an der Verbreitung von Bildmaterial u¨ ber ge- deutscher Sprache) wurde nach rassistischen und waltta¨ tige Formen von Sex vorhanden. Diese beiden rechtsextremen Sites gesucht. Obwohl die Adressen Faktoren ko¨ nnten eine mo¨ gliche Produktion von bekannt sind, sind viele Sites geschlossen. Das be- Snuff-Movies fo¨ rdern. Jedoch ist man bei der Spei- deutet, daß der Server, der vom deutschen Yahoo be- cherung und Verbreitung des Bildmaterials via Inter- dient wird, diese Sites, bis auf einige rassistischen In- 35) Snuff-Movies sind Filme, bei denen das Abfilmen eines 33) Drewes, D., Kinder im Datennetz. Frankfurt/M. Mords fu¨ r kommerzielle Zwecke der Grund fu¨ r den Mord 34) Decius, M., Panzieri, R. a.a.O. S. 5 ist.

27 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode net sehr vorsichtig, um kein Beweismaterial zu lie- In Computerspielen werden virtuelle Welten konstru- fern. iert, in denen Menschen gegeneinander oder mitein- ander auf der Grundlage von vorher vereinbarten Re- Sofern es Snuff-Movies gibt, werden diese wahr- geln spielen. Wenn in diesem Zusammenhang von scheinlich nicht u¨ ber das zuga¨ ngliche Netzwerk des den Wirkungen dieser Spiele die Rede ist, handelt es Internet angeboten. Angesichts der hohen Preise, die sich immer um Wirkungsvermutungen. Diese werden fu¨ r das Material bezahlt werden mu¨ ssen, scheint die im Zusammenhang mit gesellschaftlichen U¨ berein- Verbreitung u¨ ber geschlossene Zirkel wahrscheinli- ku¨ nften (Erziehungszielen) gea¨ ußert oder ero¨ rtert cher. Das Internet ko¨ nnte aber dazu dienen, mit mo¨ g- und in bezug auf perso¨ nliche Grundrechte oder So- lichen Interessenten leichter, anonym und weltweit zialscha¨ dlichkeit hin diskutiert. in Kontakt zu treten. Fast alle Spiele beinhalten inzwischen eine Netz- In einigen Newsgroups und Web-Sites konnte Bild- spieloption. Sogenannte Sharewares (Demonstratio- material mit ,snuff-artigem’ Charakter gefunden wer- nen) von aggressiven Computerspielen, die auch als den. Die Fotos zeigen sexuelle Gewalt und Mord. Al- CD-ROM verkauft werden, lassen sich im Internet ler Wahrscheinlichkeit nach sind sie inszeniert. Die sehr leicht finden. Bevor ein Spiel offiziell auf den Gewalt wird zwar eingesetzt zur Sensationssteige- Markt kommt, ko¨ nnen Internetnutzer es in seiner rung, wirkt aber nicht sehr realistisch, außer viel- vorla¨ ufigen Form kennenlernen. Zum Beispiel sind leicht fu¨ r Kinder. gewalthaltige Computerspiele wie „Doom“, „Duke Verherrlichung von Waffen Nukem 3D“ und „Quake“ in vereinfachter Form leicht u¨ ber das Internet erha¨ ltlich, auch fu¨ r Kinder Im Internet lassen sich relativ einfach Sites (es wur- und Jugendliche. Sie ko¨ nnen als problematisch an- den sechs davon gefunden) mit einem ausfu¨ hrlichen gesehen werden. In „Quake“ zum Beispiel werden Handbuch zur Herstellung von Bomben und Spreng- Feinde und Monster blutig und gera¨ uschvoll geto¨ tet. stoffen auffinden. Der Text der aufgespu¨ rten Bei- Dabei fliegen Ko¨ rperteile durch die Luft und es wer- spiele ist informativ, weniger propagandistisch und den verstu¨ mmelte Menschen gezeigt. setzt zu seiner Umsetzung technische Begabung vor- aus. Außerdem wurde eine Site mit ausfu¨ hrlicher Be- Das Spiel wurde offensichtlich vor der Markteinfu¨ h- schreibung der Exekution eines Amerikaners gefun- rung bereits 25000 Mal vom Internet-Site des Unter- den, der zum Tode verurteilt worden war. Es gibt nehmens ID-Software abgerufen. Bei ID-Software Fotos und Filmmaterial, die die Verwundungen des handelt es sich um eine texanische Firma, die auch Mannes als Folge der Exekution zeigen. Alles ist sen- die Extremspiele „Wolfenstein 3D“ und „Doom“ pro- sationsgierig aufgemacht und vermittelt dadurch duziert hat und sich weigert, Selbstverantwortungs- auch den Eindruck von Verherrlichung von Gewalt. Codes zu beru¨ cksichtigen. Zugleich stellt diese Darstellung zudem eine ekla- tante Verletzung der Menschenwu¨ rde dar. Wa¨ hrend zuna¨ chst das Internet lediglich dazu be- nutzt wurde, um traditionelle Computerspiele auszu- Medizinisches Bildmaterial und Gewalt probieren oder dafu¨ r zu werben, werden jetzt zuneh- Im Laufe der Untersuchung tauchte Bildmaterial von mend die eigentlichen Eigenschaften des Internet in verletzten Personen auf. Manchmal wird das Materi- die Spiele integriert: Die Gegner sind nicht mehr nur al in einen medizinischen Zusammenhang aufberei- fiktive Monster, sondern andere Internet-Teilnehmer. tet, ha¨ ufig dient es aber nur dazu, grausame Bilder „Quake“ ist hierfu¨ r ein erstes Beispiel. Diese „Sozial- zu verbreiten (Gewaltverherrlichung). Die Bilder sind spiele“ betonen meist nicht friedliche Kooperation, nicht leicht zuga¨ nglich und der Kontext, in den sie sondern sind fast ausschließlich auf kriegerische gestellt sind, bestimmt weitgehend, in welchem Maß Handlungen hin ausgerichtet. Die zweifelhaften das Angebot als problematisch eingescha¨ tzt werden Spiele finden vor allem bei Jugendlichen ihre Anha¨ n- kann. Ob die Verwundungen Folge eines Unglu¨ cks ger. Diese bezeichnen sie als besonders spannend oder von Mißhandlungen sind, bleibt der Phantasie und interessant. Dabei wird von den Software-Her- der Betrachter u¨ berlassen. stellern sicher die Tatsache ausgenu¨ tzt, daß Jugend- liche ein hohes Bedu¨ rfnis haben, sich gegenu¨ ber Die dem medizinischen Bereich zuzuordnenden Bil- herrschenden Normen abzusetzen und ihre eigenen der ko¨ nnen nicht als gewaltstimulierend beurteilt sozialen Codes und Symbole zu entwickeln. werden, mo¨ gen aber eine bestimmte Art von Voyeu- rismus fo¨ rdern. Zudem wissen Kinder nicht unbe- „Quake“ du¨ rfte damit am Beginn einer neuen Ent- dingt zwischen Realita¨ t und Fiktion zu unterscheiden wicklung des professionell gemachten Online-Enter- (was selbst Erwachsenen schwer fallen kann) und es tainment stehen. Im Sommer 1997 geriet ein Spiel in besteht eine gewisse Gefahr der Traumatisierung. die Schlagzeilen, bei dem mo¨ glichst viele Schulkin- der zu erschießen waren. Das Spiel orientiert sich am Massaker im schottischen Dunblane, bei dem im 3.2.2.4 Gewaltspiele Ma¨ rz 1996 ein geistig verwirrter Mann 16 Schulkin- der und ihre Lehrerin erschossen hat. Von u¨ ber 3000 bei der Unterhaltungssoftware Selbst- kontrolle (USK) gepru¨ ften Computer- und Videospie- Schon bei traditionellen Videospielen ist bedeutsam, len wurden ca. 5 Prozent als kinder- und jugendge- daß Nutzer in die Rolle des Angreifers schlu¨ pfen und fa¨ hrdend eingestuft, also doch relativ wenig. Gewalt ausu¨ ben ko¨ nnen. Zudem haben Computer- Allerdings ist damit weder etwas u¨ ber die Qualita¨ t spiele durch ihre Action-Betontheit eine starke phy- dieser Bewertung noch u¨ ber die Beliebtheit einzelner siologische Erregung zur Folge, die wiederum ag- Spiele ausgesagt. gressionsfo¨ rdernd ist. Aggressive Verhaltensmuster

28 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 ko¨ nnen eingeu¨ bt werden und zu einem neuen Hand- gendschutzbestimmungen verstoßen, nicht toleriert lungsmuster fu¨ hren. Dies ist zwar nicht zwangsla¨ ufig werden. so und ha¨ ngt von weiteren sozialen Faktoren ab; je- doch besteht ein hohes Wirkungsrisiko. 3.2.3.1 Selbstkontrolle und Jugendschutzbeauftragte Das Internet-Spiel bietet zudem zwei wichtige neue Wirkungsdimensionen: Seit Aufkommen der Diskussion um scha¨ digende In- halte im Internet haben in Deutschland eine Vielzahl --- die Gegner erscheinen wie echte Menschen, der Beteiligten Jugendschutzbeauftragte bestellt --- man kann sich zum Kampf in Gruppen oder Ban- oder sich zu Selbstkontrollgremien zusammenge- den zusammenschließen. schlossen. Es ist anzunehmen, daß die meisten Nutzer Spiele als Die Jugendschutzbeauftragten der verschiedensten fiktiv erfahren werden. Dennoch ko¨ nnen entspre- Unternehmen nehmen die Aufgaben des Jugendme- chend realistisch gestaltete Abla¨ ufe ins eigene Ver- dienschutzes nach dem IuKDG bzw. dem GjS be- haltensrepertoire u¨ bernommen werden. triebsintern wahr, beraten bzw. weisen das Unter- nehmen auf Jugendgefa¨ hrdungen und Verletzungen Neben der schon von beliebten Computerspielen her des Jugendschutzes und ihre mo¨ gliche Vermeidung bekannten Problematik der gesteigerten Action, der hin. Realita¨ tsna¨ he und extremer Gewalt entsteht hier eine neue Dimension: es kann mit einer unbegrenzten Der Online-Dienst AOL Bertelsmann setzt zu diesem Zahl echter, aber anonymer Partner gespielt und ge- Zweck 60 Lotsen ein, die die Newsgroups, die AOL ka¨ mpft werden. Bei „Quake“ geht man bereits von anbietet, immer wieder durchsto¨ bern und Teilneh- einem weltumspannenden sozialen Netzwerk aus, in mer, die gegen geltendes Recht verstoßen, aus AOL dem ,U¨ berleben’ und ,Tod’ eine zentrale Rolle spie- ausschließen. Dieses Lotsenprinzip funktioniert je- len. Auch wenn nicht auf direkte Verhaltenskonse- doch nur bei den Newsgroups, die AOL selbst anbie- quenzen im realen Leben geschlossen werden kann tet. Die großen Online-Dienste setzen auf eigene und darf, sind folgende Hypothesen u¨ berlegenswert: Selbstkontrolle ihrer Inhalte und sind nicht verbands- ma¨ ßig organisiert. --- Die Anonymita¨ t la¨ ßt andere als leicht zu to¨ tende Objekte erscheinen. Das Electronic Commerce Forum e.V. (eco) vertritt die Interessen der deutschen Internet Service Provi- --- Empathie wird reduziert. der, unter den Mitgliedern ist allerdings keiner der --- Gewalt wird als U¨ berlebensprinzip propagiert. großen Online-Dienste. Zur Selbstkontrolle wurde im Mai 1996 die Internet Content Task Force (ICTF) --- Gewalttendenzen werden in der Gruppe versta¨ rkt. bzw. ab dem 1. August 1997 die Freiwillige Selbst- --- Nicht mehr der passive Konsum von Bildern steht kontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) ge- im Vordergrund, sondern das aktive Ausu¨ ben so- gru¨ ndet, die von den Internet Service Providern ge- zialer Gewalt, bzw. das Einu¨ ben gewaltta¨ tiger tragen werden. Die ICTF fu¨ r Newsgroups bzw. die Konfliktlo¨ sungsmodelle. FSM fu¨ r Websides dienen bisher als Koordinierungs- stellen fu¨ r eine einheitliche Sperrung einer Web-Site oder einer Newsgroup in Deutschland. Vor diesem Hintergrund wurde auch der Internet-Medienrat ge- 3.2.3 Selbstkontrolle und technischer Jugend- gru¨ ndet, dem sich Internet-User aus Politik, Wissen- schutz schaft und die Provider angeschlossen haben, und der sich als beratendes Gremium bei der Gesetzge- Die Internationalisierung von Angeboten in Online- bung versteht.36) Diensten ist bereits eingetreten. U¨ ber nationale Re- gelungen ist es zwar mo¨ glich, Netzbetreiber, die ih- Der Deutsche Multimediaverband (dmmv) ist ein ren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, noch junger Verband, er hat zusammen mit der Auto- an nationale gesetzliche Bestimmungen zu binden. matenSelbstKontrolle (ASK), dem Btx-Selbstkontroll- Da die nationalen Netze allerdings Zugang zum In- gremium (BSG) und der Unterhaltungssoftware ternet bieten, ist die Wirkung nationaler Bestimmun- Selbstkontrolle (USK) im Fo¨ rderverein fu¨ r Jugend gen gering. Das Internet bietet derzeit etwa 60 Mio. und Sozialarbeit im September 1996 die Arbeitsge- Sites an, die kein Provider kontrollieren kann. Der meinschaft Selbstkontrolle Multimedia (ASM) ge- Anbieter von jugendschutzrelevanten Inhalten ist an- gru¨ ndet. Ziel ist vor allem, gesetzlichen Regelungen gesichts der Netzstruktur nicht immer zu ermitteln. im Bereich des Jugendschutzes zuvorzukommen und Hat er seinen Sitz in einem Land, in dem sein Ange- sta¨ rker auf Selbstkontrolle zu setzen. Die 500 Mit- bot nicht gegen gesetzliche Bestimmungen versto¨ ßt, glieder des ASM sind laut eigenen Angaben zu 95 % ist gegen ihn nicht vorzugehen. Selbst fu¨ r den Fall, Online-Anbieter und zu 5 % Provider. Dieser Ver- daß seine Angebote durch nationale Provider ge- band schla¨ gt vor, Nationale Internet Komitees (NIK) sperrt werden, kann er die Identifikation seines An- zu bilden, die aus Juristen sowie Vertretern der o¨ f- gebotes schnell a¨ ndern. Im Bereich des Internet sto- fentlichen Jugendschutzbeho¨ rden und Providern ge- ßen nationale Regelungen schnell an ihre Grenzen, bildet werden sollen. An dieses Komitee sollen alle von daher wa¨ ren internationale Regelungen anzu- Versto¨ ße gemeldet, auf einem nationalen Negativ- streben. Nationale gesetzliche Bestimmungen wie im IuKDG sind no¨ tig, um als Staat deutlich zu machen, 36) Vgl. Resolution des Internet-Medienrates vom 24. Septem- daß Inhalte, die gegen Menschenrechts- oder Ju- ber 1996

29 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Server abgelegt und von dort aus an die Service Pro- Medienrat, dem Politiker, Wissenschaftler und In- vider mitgeteilt werden, die dann dafu¨ r die Verant- ternet Provider angeho¨ ren, ausdru¨ cklich betont, wortung tragen, ob sie die auf den Negativ-Listen daß die Netiquette von allen Beteiligten akzeptiert stehenden Dokumente zur Verfu¨ gung stellen oder und freiwillig eingehalten werden muß, ansonsten nicht. Die Internationale Koordination soll durch die fehlt es an geeigneten Mitteln, die geltenden Re- Verbindung verschiedener Negativ-Server in allen geln durchzusetzen. Wenn Teilnehmer im Internet Staaten erreicht werden. Mit der Selbstkontrolle der auf Mißbrauchsfa¨ lle selbst mit Sanktionen reagie- Service Provider u¨ bernehmen o¨ konomische Interes- ren, werden den davon Betroffenen grundlegende senten gesellschaftliche Verantwortung in ihrem Be- Rechte --- insbesondere der Anspruch auf eine fai- reich. re, unabha¨ ngige U¨ berpru¨ fung der ergriffenen Maßnahmen --- abgeschnitten, die wesentliche Kennzeichen des Rechtsstaates sind.38) 3.2.3.2 Technische Vorkehrungen Das ist auch ein Problem vieler selbsternannter Ord- An weiteren (auch technischen) Selbstregulierungs- nungshu¨ ter im Internet wie beispielsweise News- einrichtungen im Internet sind zu nennen: und Listenmoderatoren, FTP-Administratoren oder der selbsternannten Polizei aus der Hacker-Szene im --- Eine typische Marktreaktion ist die Produktion Internet, den Cyber Angels, die eine Art Bu¨ rgerwehr von sogenannten end-of-pipe-Lo¨ sungen, wenn im Internet bilden und nach Fa¨ llen von Netzmiß- der Markt negative externe Effekte produziert. Im brauch fahnden. Falle des Kinder- und Jugendschutzes hat die On- line- und die Software-Industrie in diesem Sinne reagiert und Software-Programme wie CyberPat- 3.2.3.3 Reichweite der Kontrollmo¨glichkeiten rol, NetNanny oder Surfwatch entwickelt, die die Eltern fu¨ r die Online-Sitzungen ihrer Kinder in- Nach allen bisherigen Erfahrungen werden Selbst- stallieren ko¨ nnen und die meist von den Online- kontrollmaßnahmen meist erst dann durchgesetzt, Diensten kostenlos im „Welcome“- Paket mitgelie- wenn ein entsprechender o¨ ffentlicher Druck vorhan- fert werden. Diese Programme haben jedoch den den ist oder Anbieter mit gesetzlichen Regelungen Nachteil, daß sie jedesmal neu konfiguriert wer- rechnen mu¨ ssen. Es gilt, diesen o¨ ffentlichen Druck den mu¨ ssen, je nachdem wer das Endgera¨ t nutzt. deutlich zu machen und mo¨ glicherweise noch zu ver- Der einmal konfigurierte Filter kann nicht einfach sta¨ rken. Gerade im Bereich des digitalen Fernsehens abgeschaltet werden. Der User hat also die Wahl, und der Online-Dienste ko¨ nnen Selbstkontrollein- entweder den unbeschra¨ nkten Zugriff auf alle Sei- richtungen fru¨ her greifen als staatliche Kontrollinsti- ten an seinem Endgera¨ t zuzulassen oder eben den tutionen. Bei Selbstkontrollmaßnahmen handelt es Zugang nach der Positiv- oder Negativliste der un- sich nicht um Verbote, die als Zensur eingestuft wer- erwu¨ nschten Inhalte, die der Softwarehersteller den ko¨ nnen. Die Finanzierung von Selbstkontrollein- aufgestellt hat, zu beschra¨ nken. richtungen funktioniert u¨ ber die Anbieter selbst, so daß sie ohne Inanspruchnahme der o¨ ffentlichen Kas- --- Das WWW-Consortium (W3C), das am Massachu- sen schnell an den tatsa¨ chlichen Bedarf angepaßt setts Institute of Technology (MIT) gegru¨ ndet wor- werden ko¨ nnen. Auf internationaler Ebene bieten den ist, integriert fu¨ hrende Hightech-Unterneh- sich Kooperationsmo¨ glichkeiten von Selbstkontroll- men aus den USA, aus Asien und Europa. Im MIT einrichtungen an. Da sie nicht wie staatliche Kontroll- ist das Bewertungs- und Rating-System „Platform instanzen an komplizierte Verfahren gebunden sind, on Internet Content Selection“ (PICS) entwickelt ko¨ nnen sie flexibler auf Vera¨ nderungen des Medien- worden. Mit Hilfe dieses einheitlichen und flexi- marktes und des Angebotes reagieren. blen Rating-Systems ko¨ nnen problematische Inter- netangebote gefiltert werden. PICS verfu¨ gt u¨ ber Das Grundproblem von Selbstkontrolleinrichtungen verschiedene Schablonen, die jeweils als Filter ak- besteht darin, daß sie nie frei von wirtschaftlichen In- tiviert werden ko¨ nnen, je nachdem ob ein Minder- teressen sind. Daher sind verschiedene Vorausset- ja¨ hriger oder ein Erwachsener am Endgera¨ t sitzen. zungen no¨ tig, um sie als Alternative zu staatlichen Dieser Initiative haben sich viele Firmen mit PICS- Kontrollinstanzen zu akzeptieren: kompatibler Software angeschlossen: Microsoft, --- Die fu¨ r die Pru¨ fung von Inhalten zusta¨ ndigen Per- Netscape, Surfwatch, Cyberpatrol, AOL, AT&T, sonen du¨ rfen nicht bei einem Anbieter bescha¨ ftigt 37 Worldnet, CompuServe und Prodigy. ) sein; sie mu¨ ssen außerdem die no¨ tige Fachkompe- tenz besitzen, um Programminhalte tatsa¨ chlich --- Netiquette ist ein ungeschriebener Verhaltensko- nach den aktuellen Kriterien des Jugendschutzes dex der Online-Gemeinschaft, der den Umgang bzw. der Rechtsprechung beurteilen zu ko¨ nnen. der Teilnehmer miteinander beim Versenden von E-Mails, im Internet Relay-Chat und in den News- --- Fu¨ r alle mit der Pru¨ fung zusammenha¨ ngenden groups regelt. Dabei geht es vor allem darum, Fragen sowie fu¨ r die Kriterienbildung sollte ein Netzu¨ berlastung, Rechtsversto¨ ße und Scha¨ den bei vom Anbieter unabha¨ ngiges Gremium (Beirat, Ku- anderen Usern zu vermeiden. Da die zunehmende ratorium etc.) zusta¨ ndig sein. Dabei sollte man sich Massenanwendung auch Mißbra¨ uche nach sich des Sachverstandes der Bundespru¨ fstelle und der zieht, hat der beim Eco-Forum und der Internet Obersten Landesjugendbeho¨ rden bedienen. Nur Content Task Force (ICTF) angesiedelte Internet 38) Resolution des Internet-Medienrates vom 24. September 37) Vgl. http://www.w3.org/pub/www/PICS/iacwcv2.html 1996

30 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

so kann einigermaßen gewa¨ hrleistet werden, daß den Eltern nun zusa¨ tzlich eine technische Hilfe in sich die Kriterien nicht mit den Interessen der An- Form einer elektronischen Kindersicherung an, die bieter verwischen. es ermo¨ glicht, dem Nachwuchs den Zugang zum Fernsehen oder zu bestimmten Angebotsbereichen --- Fu¨ r die inhaltliche Arbeit sollte Transparenz gefor- zu versperren. Damit, so wird argumentiert, ko¨ nnen dert werden. Wu¨ nschenswert wa¨ re eine regelma¨ - die Eltern individuellen, den familia¨ ren Gegebenhei- ßige Berichtspflicht mit o¨ ffentlicher Diskussion, ten angepaßten Jugendschutz betreiben und ihre denn nur wenn Selbstkontrolleinrichtungen unter Fernseherziehung effektiver gestalten. In der Konse- o¨ ffentlichem Druck stehen, ist zu erwarten, daß sie quenz soll den Eltern mehr Jugendschutzverantwor- ihre Aufgaben nicht an den Interessen der Wirt- tung u¨ bertragen werden, wa¨ hrend die Sender von schaft orientiert wahrnehmen. dieser etwas weniger zu gewa¨ hrleisten ha¨ tten. Ob --- Der Gesetzgeber sollte in Zusammenarbeit mit dies eine realistische Option ist, ist in erster Linie da- Fachleuten die Arbeit der Selbstkontrolleinrich- von abha¨ ngig, ob Eltern das technische Hilfsinstru- tungen beobachten, bewerten und auf Schwach- ment Kindersicherung nutzen bzw. zu nutzen bereit stellen aufmerksam machen. Er sollte ferner die sind.39) Mo¨ glichkeit nicht aus der Hand geben, dann mit gesetzlichen Regelungen und dem Einrichten staatlicher Kontrollinstitutionen zu reagieren, 3.3.1 Die Untersuchung: Befragung und wenn ihm die Arbeit der Selbstkontrolleinrichtun- Praxistest gen nicht ausreichend erscheint. Nur so haben die Dies war die Fragestellung einer Studie, deren Ziel in der Selbstkontrolleinrichtung arbeitenden Ver- darin bestand, Aufschlu¨ sse u¨ ber die Handhabbar- antwortlichen die Mo¨ glichkeit, sich dem Druck keit, die (medien)pa¨ dagogische Tauglichkeit und die der Anbieter zu entziehen. Grundsa¨ tzlich sind erziehungspraktische Relevanz technischer Vorkeh- technische Systeme, die den Eltern die Sperrung rungen des Jugendmedienschutzes fu¨ r verschlu¨ sselt von bestimmten jugendgefa¨ hrdenden Inhalten er- u¨ bertragene Fernsehprogramme zu gewinnen40). Die mo¨ glichen, sinnvoll. Es muß aber darauf geachtet Realisierung erfolgte in drei Schritten: In einer Exper- werden, daß diese technischen Sicherungen mehr tenbefragung wurden die Positionen und Erwartun- sind als nur ein Alibi fu¨ r die Anbieter, die dann gen zu technischen Jugendschutzmaßnahmen in of- quasi ihre Verantwortung auf die Eltern abschie- fenen Interviews erhoben, und zwar von den beiden ben. Außerdem muß damit gerechnet werden, daß Anbietern von Bezahlfernsehen DF1 und Premiere, gerade bei den sogenannten Risikogruppen kaum von den aufsichtfu¨ hrenden Landesmedienanstalten damit zu rechnen ist, daß die Eltern mit entspre- in Bayern (BLM) und in Hamburg (HAM) sowie von chenden Maßnahmen verantwortungsbewußt um- der Selbstkontrolleinrichtung der privaten Sender gehen. Aus der Sicht des Jugendschutzes sind vor (FSF). In einem Praxistest erfolgte die Pru¨ fung der allem solche Familien durch die Darstellung von Technik der d-box-Kindersicherung und ihrer Hand- Gewalt und Pornographie gefa¨ hrdet, in deren Um- habbarkeit. Dazu erhielten 12 zufa¨ llig ausgewa¨ hlte feld die Durchsetzung von Interessen und die Personen in ,elternfa¨ higem’ Alter die Aufgabe, in ei- Lo¨ sung von Konflikten durch Gewalt an der Ta- nem Test die Kindersicherung als Total-, Kanal- und gesordnung ist. Gerade die Eltern solcher Jugend- Zeitsperre zu aktivieren. Anschließend wurden sie zu lichen verfu¨ gen meistens nicht u¨ ber die no¨ tige ihren Eindru¨ cken und Bewertungen zur Kindersiche- Sensibilita¨ t gegenu¨ ber Gewaltdarstellungen, so rung und zum Jugendmedienschutz befragt. In einer daß nicht zu erwarten ist, daß in solchen Familien Familienbefragung ging es schließlich um die tat- entsprechende Programme gesperrt werden. Tech- sa¨ chliche Nutzung technischer Jugendschutzvorkeh- nische Hilfsmittel ko¨ nnen also den verant- rungen durch Eltern, die bereits zu den Abonnenten wortungsvollen Umgang der Anbieter mit Pro- von Pay-TV za¨ hlen. Dazu wurden bundesweit 23 Fa- gramminhalten unterstu¨ tzen, sie ko¨ nnen ihn aber milien ausgewa¨ hlt und Eltern wie Kinder in ihrem nicht ersetzen. Ferner bleibt es undurchsichtig, ha¨ uslichen Umfeld in qualitativen Intensivinterviews wer nach welchen Kriterien die Codierung fest- befragt. Die Fragen nach den alltagspraktischen Um- legt. Die Beurteilung von Inhalten nach Jugend- gangsweisen mit der d-box-Kindersicherung waren schutzgesichtspunkten ist nie objektiv, deshalb in die Kontexte familia¨ res Fernsehverhalten, Fern- kann nicht damit gerechnet werden, daß die Co- seherziehung und Haltung zum Jugendmedien- dierung --- wenn sie durch die Anbieter selbst schutz eingebettet. Die wichtigsten Ergebnisse sind durchgefu¨ hrt wird --- mit zufriedenstellender Ob- im folgenden in drei Bereichen systematisiert. jektivita¨ t erfolgt.

3.3 Jugendschutz im digitalen Fernsehen und elterliche Verantwortung Wegen der spezifischen Zugangsweisen zu ihren Programmangeboten reklamieren die Pay-TV-Anbie- ter großzu¨ gigere Jugendschutzregelungen als sie fu¨ r 39) Vgl. auch die aktuellen Beratungen zum Rundfunkstaats- das Free-TV gelten. Die Begehrlichkeiten richten vertrag. 40) Die Studie wurde vom Institut Jugend Film Fernsehen in sich insbesondere auf die endgu¨ ltige Lockerung der Kooperation mit der Universita¨ t Leipzig im Auftrag der Di- Sendezeitgrenzen fu¨ r das Abonnementfernsehen. rektorenkonferenz der Landesmedienanstalten durchge- Die Anbieter digitaler Pay-TV-Programme bieten fu¨ hrt.

31 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

3.3.2 Die Ergebnisse der Familienbefragung 2) In der jetzigen konzeptionellen und technischen und -beobachtung Ausfu¨ hrung entha¨ lt die Kindersicherung der d-box etliche Hemmnisse fu¨ r Eltern, die angebotenen Sperrmo¨ glichkeiten angemessen zu realisieren. Sie 3.3.2.1 Nutzungsmuster ist zu kompliziert, sie u¨ bersteigt die Verstehens- und Bedienungsfa¨ higkeiten vieler Eltern, vor allem vieler 1) Der Medienumgang der untersuchten Familien ist Mu¨ tter, und sie beru¨ cksichtigt fernseherzieherische unter folgenden Aspekten auffa¨ llig: Er ist gekenn- Bedu¨ rfnisse nur unzureichend. Derzeit ist das Akti- zeichnet durch eine u¨ ppige Fernsehausstattung (ein vieren von Sperren im Sinne des Jugendmedien- Fernsehgera¨ t pro Familienmitglied ist u¨ blich) und schutzes ein mu¨ hsames und ha¨ ufig verblu¨ ffend er- durch einen hohen und sehr individualisierten Fern- folgloses Unternehmen. Die Auswertung der sehkonsum. Auch fu¨ r ju¨ ngere Kinder ist der eigene Testverla¨ ufe und die Aussagen der befragten Eltern Fernsehapparat bereits die Regel und ebenso das Al- haben eine Reihe von Anknu¨ pfungspunkten fu¨ r leine-Fernsehen. technische Verbesserungen erbracht, die im Detail auf ihre Realisierbarkeit einerseits und ihre Tauglich- 2) Die Programme des Bezahlfernsehens fu¨ hren zu keit fu¨ r die Nutzung durch Eltern zu pru¨ fen wa¨ ren. keiner Erho¨ hung des Fernsehkonsums, wohl aber zu Vera¨ nderungen in der Fernsehnutzung. Fu¨ r den Kin- 3) Die Konzepte der Fernseherziehung, die von El- der- und Jugendmedienschutz sind hierbei insbeson- tern favorisiert und betrieben werden, bieten keinen dere folgende Punkte von Interesse: rechten Platz fu¨ r eine Nutzung der Kindersicherung. Wenn in Familien Fernseherziehung auf Vertrauen --- Es findet eine Abwanderung von den Free- zu den und Dialog basiert, setzen sich die Eltern mit den Pay-TV-Programmen statt. Die abonnierten Kindern u¨ ber ihre Fernsehwu¨ nsche auseinander und Programme werden bei den meisten Familien kon- treffen Absprachen. Im Versperren von Programmzu- sumiert wie zuvor das gebu¨ hren- bzw. werbefinan- ga¨ ngen wird kein Sinn gesehen. Herrscht in Familien zierte Fernsehen. Gleichgu¨ ltigkeit gegenu¨ ber dem Fernsehkonsum der Kinder vor, erstreckt sich diese auch auf Sperrmo¨ g- --- Im Zuge dieser Abwanderung verlagern sich beim lichkeiten. Da Fernsehen nicht als Problem gilt, wird erwachsenen wie beim heranwachsenden Publi- auch keine Notwendigkeit gesehen, Kindern be- kum die Vorlieben zunehmend auf Sparten, also stimmte Angebotsbereiche unzuga¨ nglich zu machen. auf großfla¨ chige Bu¨ ndel inhaltsgleicher Angebote. Bereitschaft zu einer potentiellen Nutzung a¨ ußern --- ,Pay per View’ wird vom Gros der Eltern als beson- am ehesten Eltern, die ju¨ ngere Kinder, v. a. im Vor- deres Fernsehen realisiert. Die Auswahl der eigens schulalter, haben und ku¨ nftig Probleme mit dem zu bezahlenden Angebote stellt eine bewußte Ent- Fernsehen erwarten. Aktuell behelfen sie sich jedoch scheidung dar. Den meisten Familien ersetzt ,Pay mit altvertrauten Mitteln, z. B. mit dem Verstecken per View’ andere Medienvergnu¨ gungen, zum Bei- der Fernbedienung. Sind a¨ ltere Kinder im Haus, wird spiel das Ausleihen von Videokassetten. von vielen Eltern auf deren Technikkompetenz ver- wiesen --- nach Aussagen etlicher befragter Kinder 3) Pay-TV und deren Technik sind Ma¨ nnerdoma¨ nen. keine falsche Aussage. Die Sport- oder Technikbegeisterung der Familienva¨ - ter war in aller Regel der Grund fu¨ r die Anschaffung 3.3.2.3 Jugendmedienschutz im Blick von Eltern von Abonnementfernsehen. Bedienung und Behe- bung von Schwierigkeiten sind ebenfalls prima¨ r den 1) Daß das hierzulande geltende Jugendschutzsy- Va¨ tern und ha¨ ufig zusa¨ tzlich den a¨ lteren So¨ hnen stem weitgehend unbekannt ist, demonstrieren so- vorbehalten. Die Mu¨ tter, die in der Regel fu¨ r Fern- wohl die befragten Eltern als auch die Testpersonen. seherziehung in der Familie zusta¨ ndig sind, zeigen Am vertrautesten sind die Alterseinstufungen der insgesamt die geringsten Kenntnisse und Bedie- FSK, die jedoch entweder als zu lasch oder als zu ri- nungskompetenzen. gide oder als realita¨ tsfremd gewertet werden. Von den damit verbundenen Sendezeitgrenzen existiert 3.3.2.2 Die Kindersicherung in der Familienwirklichkeit bei der Mehrheit allenfalls eine vage Vorstellung, de- ren Kern in etwa lautet, daß ,richtig Schlimmes’ erst spa¨ tabends kommt bzw. kommen soll. Als ,schlimm’ 1) Obwohl die Kindersicherung der d-box ha¨ ufig po- und fu¨ r Kinder nicht wu¨ nschenswert gelten eindeu- sitiv bewertet wird, ist sie ohne alltagspraktische Re- tig ,Erotisches’ sowie ,Horror und harte Gewalt’. levanz: Keine der untersuchten Familien nutzt sie in einer der angebotenen Formen zur Total-, Kanal- 2) Im Hinblick auf Jugendschutzmaßnahmen Dritter oder Zeitsperre. Das Gros der Eltern bela¨ ßt bereits zeigen Eltern insgesamt erhebliche Skepsis. Von den den generellen Zugangscode bei der Voreinstellung Fernsehanbietern wird zwar eigentlich erwartet, daß 0000. Bei den befragten Eltern und gleichermaßen sie Jugendschutzverantwortung zeigen, mit Blick auf bei den Testpersonen besteht nur eine geringe Be- deren kommerzielle Orientierung besteht jedoch zu- reitschaft, technische Schutzvorkehrungen wie die gleich einiges Mißtrauen. Als verantwortungsbewuß- Kindersicherung als Hilfe zur Fernseherziehung zu tes Handeln werden senderseitige Zugangshu¨ rden nutzen. Die trotzdem ha¨ ufig positive Bewertung der fu¨ r Angebote bewertet, die unter Jugendschutz- Kindersicherung geschieht prima¨ r mit Blick auf an- aspekten problematisch sind, wie etwa Erotik. Eine dere, ,schlechtere’ Eltern. Konsequenzen fu¨ r das ei- Ausweitung derartiger Zugangshu¨ rden, z. B. auf ex- gene Handeln zeitigt die positive Bewertung nicht. trem gewalthaltige Angebote, wu¨ rde eine ganze Rei-

32 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 he von Eltern begru¨ ßen. Gegenu¨ ber staatlichen Ein- 2) Die Studie hat Hinweise darauf erbracht, daß die richtungen ist das Mißtrauen noch gro¨ ßer. Maßnah- abonnierten Programmpakete in den Familien kon- men des Kinder- und Jugendmedienschutzes, die sumiert werden, wie zuvor das gebu¨ hren- bzw. wer- von dieser Seite kommen, gelten vielen Eltern als befinanzierte Fernsehen. In Verbindung mit dem Be- realita¨ tsfern. Wenn es um das Interesse fu¨ r Kinder fund, daß --- zumindest derzeit --- technische und Jugendliche oder um das Wissen von Familien- Schutzvorkehrungen wie die elektronische Kindersi- und Erziehungsrealita¨ ten geht, wird der politischen cherung nicht verwendet werden, um dem Nach- Ebene eher wenig zugetraut. Bei einer Reihe von El- wuchs den Zugang zu Angebotsbereichen des digita- tern stehen Jugendschutzmaßnahmen von staatlicher len Fernsehens zu verwehren, ergibt sich hieraus ein Seite zudem unter Zensurverdacht. Kla¨ rungsbedarf: Einerseits ist die Berechtigung von derzeit geltenden unterschiedlichen Sendezeitgren- 3) Geht es um die Fernseherziehung der eigenen zen fu¨ r beide Systeme diskussionsbefu¨ rftig. Anderer- Kinder, vertraut die Mehrheit der Eltern --- nicht zu- seits sind Mo¨ glichkeiten einer grundsa¨ tzlichen sen- letzt wegen des Mißtrauens gegenu¨ ber anderen Stel- derseitigen Sperrung von Inhaltsbereichen, die in len --- auf das eigene Urteil und reklamiert entspre- besonderem Maße jugendschutzrelevant sind, zu er- chend Erziehungs- und Jugendschutzverantwortung wa¨ gen. Im Zuge solcher Kla¨ rungsprozesse scheint es fu¨ r sich. Diese Haltung findet jedoch eine klare Gren- allerdings auch angebracht, fu¨ r das gesamte Fernse- ze an der eigenen Haustu¨ r. Stehen andere Familien hen u¨ ber Modifikationen von Sendezeitgrenzen und zur Debatte, nimmt das Vertrauen in die angemes- Altersfreigaben nachzudenken. Die Maßsta¨ be dafu¨ r sene Wahrnehmung elternseitiger Jugendschutzver- sollten gleichermaßen die Realita¨ ten des heranwach- antwortung drastisch ab. Im Interesse der Kinder und senden Publikums und das Spektrum von Fernseh- ganz im Sinne eines Minderheitenschutzes wird angeboten sein. dann nahezu einheitlich fu¨ r Jugendschutzmaßnah- men von außen pla¨ diert. 3) Die frappante Unkenntnis der Eltern hinsichtlich der Grundlagen und Bestimmungen des Kinder- und Jugendmedienschutzes bietet derzeit kein sonderlich 3.3.3 Konsequenzen fu¨ r den Jugendmedien- tragfa¨ higes Fundament, um versta¨ rkte elternseitige schutz Jugendschutzverantwortung einzufordern. Damit Die Familien, die heute bereits Abonnementfernse- Optionen in dieser Richtung realita¨ tshaltig werden hen nutzen, sind zum gegenwa¨ rtigen Zeitpunkt nicht und Nachteile fu¨ r Heranwachsende weitgehend aus- als repra¨ sentativer Ausschnitt der Gesamtbevo¨ lke- geschlossen werden ko¨ nnen, sind Voraussetzungen rung, sondern insgesamt als eine Art ,Avantgarde zu schaffen. Der Maßstab dafu¨ r lautet: Wer Verant- des Zukunftsfernsehens’ zu werten. Die Studie hat wortung u¨ bernehmen soll, muß wissen, wofu¨ r. Das fu¨ r diese Avantgarde eine Reihe bedenklicher Hal- fu¨ r Jugendschutzverantwortung und ada¨ quate Fern- tungen aufgezeigt. Sie betreffen einerseits den all- seherziehung notwendige Wissen auf Elternseite ta¨ glichen Umgang mit dem Fernsehen, der eindeuti- mehren, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Um dafu¨ r ge Zu¨ ge des Vielsehermusters tra¨ gt. Sie betreffen geeignete Wege zu finden, sind die Defizite auf El- andererseits die Haltung zur Notwendigkeit von ternseite auf einer breiteren Basis zu untersuchen, Fernseherziehung und Jugendmedienschutz, die in und auf dieser Grundlage Modelle der Elternbildung erheblichem Maße nur verbal proklamiert wird, ohne und Medienerziehung zu entwickeln. Zur Bewa¨ lti- sich im faktischen Handeln niederzuschlagen. In der gung dieser Aufgabe kann auch an einen materiellen Zusammenschau legen diese Befunde den Verdacht wie immateriellen Beitrag der Fernsehanbieter ge- nahe, daß die untersuchten Familien einem Bevo¨ lke- dacht werden. rungssegment entstammen, das versta¨ rkt zu proble- matischen Umgangsweisen mit dem Fernsehen 3.4 Konsequenzen fu¨ r den Jugendschutz neigt. Betrachtet man im U¨ berblick die neuen medialen In- Auch wenn Avantgarde-Gruppen die Bevo¨ lkerung halte und die vorhandenen Mo¨ glichkeiten des Ju- nicht spiegeln ko¨ nnen, hat ihre Untersuchung heuri- gendschutzes, so zeigt sich, daß der Jugendschutz stischen Wert fu¨ r Frage- und Problemstellungen, die sich mit den gleichen Hauptthemen auseinanderset- sich bei kontinuierlicher Weiterentwicklung ku¨ nftig zen muß, die sich der gesamten Mediendebatte stel- fu¨ r gro¨ ßere Teile der Bevo¨ lkerung stellen ko¨ nnen. len: Globalisierung, Individualisierung und Multipli- Fu¨ r einen vorausschauenden Kinder- und Jugendme- kation der Angebote. Allerdings ist die Situation dienschutz verweisen die Ergebnisse entsprechend keineswegs mehr so hoffnungslos, wie dies noch vor auf relevante Handlungsbereiche. Bedenkenswert zehn Jahren erschien, als man annahm, die Globa- oder auch bedenklich sind dabei insbesondere fol- lisierung werde alle nationalen Maßnahmen u¨ berla- gende Aspekte: gern und zu Makulatur machen. Das Gegenteil ist 1) Angebote des ,Pay per View’ werden in den Fami- der Fall. Das Interesse an Jugendschutz ist interna- lien als besondere Art des Fernsehens wahrgenom- tional sehr hoch und steigt noch immer. Indizien da- men und genutzt. Sie unterliegen durch die Kombi- fu¨ r sind die Jugendschutzmaßnahmen fu¨ r das Fern- nation aus jeweils notwendiger Bezahlung und von sehen, die erst in den letzten beiden Jahren in außen kontrolliertem Zugang besonderen Bedingun- Frankreich, Kanada und den USA eingefu¨ hrt wur- gen, die einen unerlaubten Gebrauch durch Heran- den41), sowie die permanente Debatte um wirksame wachsende weitgehend ausschließen und entspre- chend auch gesonderte Jugendschutzregelungen 41) Vgl. Schorb, B. Theunert, H. (1998) Jugendschutz im digita- erlauben. len Fernsehen. Berlin

33 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Filtersysteme fu¨ r das Internet. Eine internationale Ei- 2. Jugendschutz als Pflichtaufgabe der nigung u¨ ber Jugendschutzmaßnahmen ist --- wenn Institutionen: Maßnahmen des technischen man sie wirklich sucht --- nicht ausgeschlossen. Dar- Jugendschutzes sind als Zusatz sinnvoll u¨ ber hinaus ist nicht zu vergessen, daß zumindest in Europa die Akzeptanz von Medien noch immer und Im Unterschied zu den Verteilern von Inhalten haben auch bei Heranwachsenden eng an die Mutterspra- sich die Anbieter von Inhalten der verbindlichen Auf- che gebunden ist. Das mußte z.B. MTV erfahren, das gabe des Jugendschutzes im Falle von Jugendge- durch andere deutschsprachige Musikkana¨ le so viele fa¨ hrdungen zu stellen. junge Zuschauer verlor, daß es nunmehr auch deutschsprachige Sendungen anbietet. Daraus und auch aus der Tatsache, daß andere englischsprachige Zur Unterstu¨ tzung des von Verteilerseite vorzuneh- Fernsehkana¨ le, inklusive Pornografiekana¨ le, nur ge- menden Jugendschutzes ist die Einbeziehung der ringen Anklang finden, la¨ ßt sich wiederum schließen, aktuellsten Computertechnologie durchaus sinnvoll. daß auch national begrenzter Jugendmedienschutz Senderseitige Filter und Sperren fu¨ r jugendschutz- weiterhin seine Wirkung entfalten wird. relevante Inhalte, die vom Empfa¨ nger jeweils pro Angebot, Sendung o.a¨ . zu entsperren sind, gewa¨ hr- Differenziert heißt dies: leisten, daß der Nutzer Jugendmedienschutz bewußt vollzieht, da er ihn jeweils neu als eigenen Akt der 1. Bewa¨hrte Maßnahmen des Jugendschutzes zeitweisen Aufhebung der Sperre vollzieht. Die sen- sind weiterzuentwickeln derseitige Sperre kann aber weder Zeit- noch Alters- begrenzungen ersetzen. Bei belasteten Familien ist Dies gilt in erster Linie fu¨ r die Alters- und Zeitgren- na¨ mlich davon auszugehen, daß die entsprechenden zen. Es ist zu u¨ berlegen und zu untersuchen, inwie- Eltern kein Erziehungskonzept und auch kein Be- weit die Grenze zwischen 16 und 18 Jahren noch von wußtsein fu¨ r Jugendschutz haben. großer Bedeutung ist. Diese Grenze wird insbesonde- re beim Fernsehen fraglich, da hier nur diese beiden Somit ko¨ nnen solche technischen Hilfen den verant- Altersgrenzen explizit als Pendant zu den Sendezeit- wortungsvollen Umgang der Anbieter und Nutzer le- grenzen 22 Uhr bzw. 23 Uhr herangezogen werden, diglich unterstu¨ tzen aber nicht ersetzen. Technische fu¨ r die ju¨ ngeren Kinder im Rundfunkstaatsvertrag Filter und Sperre du¨ rfen nicht zu einem „Loskaufen“ aber eine ebenso differenzierte Schutzregelung fehlt. von inhaltlicher Verantwortung fu¨ hren. Dabei zeigen alle neueren Untersuchungen, daß ge- rade ein nach dem Alter abgestufter Schutz ju¨ ngerer Kinder vonno¨ ten ist. Speziell fu¨ r das zuku¨ nftige Fern- 3. Das Bewußtsein fu¨ r gefa¨hrdende Inhalte ist zu sehen ist zu fragen, ob die Aufteilung in Sparten eine scha¨rfen weitere Gefa¨ hrdung fu¨ r Heranwachsende darstellt insofern, als ihnen hier rund um die Uhr beispiels- weise auf sogenannten Actionkana¨ len gewalthaltige Die Bewertung der Inhalte, die dem Jugendmedien- Inhalte offeriert werden. schutz unterliegen, ist historischen Vera¨ nderungen unterworfen. Die Debatte um die Darstellung von Als schwer jugendgefa¨ hrdend sind die von der Bun- Nacktheit in der Bundesrepublik macht dies sehr an- despru¨ fstelle indizierten Filme zu beurteilen. Des- schaulich. Die Inhalte mu¨ ssen deshalb stets neu aus- halb sind die La¨ nder gefordert, die Ausstrahlung sol- gehandelt und vor allem in der O¨ ffentlichkeit disku- cher Filme im Fernsehen nur bei Beachtung tiert werden. Erst die o¨ ffentliche Diskussion unter jugendschu¨ tzender Voraussetzungen zuzulassen. Einbezug von Experten und wissenschaftlichen Un- tersuchungen scha¨ rft auch das Bewußtsein der Bu¨ r- Die Abgeordneten Frau Dr. Maria Bo¨ hmer und Frau ger fu¨ r die Notwendigkeit von Jugendschutzmaß- Doris Barnett votieren abweichend von der Mehrheit nahmen. Dies bedeutet, daß erstens unabha¨ ngige fu¨ r folgende Formulierung: „Als schwer jugendge- Einrichtungen da sein mu¨ ssen, die Kriterien aufstel- fa¨ hrdend sind indizierte Filme zu beurteilen. Deshalb len fu¨ r Jugendschutzrelevanz und mediale Inhalte sind die La¨ nder gefordert, die Ausstrahlung indizier- daraufhin bewerten. Diese Einrichtungen ko¨ nnen ter Filme im Fernsehen als grundsa¨ tzlich unzula¨ ssig und sollen auch die Maßnahmen der Verteiler inhalt- im Rundfunkstaatsvertrag zu verankern“. lich stu¨ tzen. Der Evaluierungsauftrag zum Informations- und Kommunikationsdienst-Gesetz (IuKDG) muß fu¨ r eine Dazu sollte eine zentrale Clearingstelle geschaffen umfassende Bestandsaufnahme und U¨ berpru¨ fung werden, deren Aufgabe es ist, einheitliche Beurtei- der Jugendschutzregelungen im Bereich der neuen lungskriterien und Beurteilungsverfahren der freiwil- Dienste genutzt werden, auch unter dem Gesichts- ligen Selbstkontrollen anzugleichen und ein Zertifi- punkt der Frage der Effizienz der Arbeit der Jugend- zierungssystem fu¨ r freiwillige Selbstkontrollen zu schutzbeauftragten und der freiwilligen Selbst- erstellen. kontrolle. Fu¨ r einen wirksamen Jugendschutz sind die rechtlichen Grundlagen fu¨ r die Strafverfolgungs- Es bedeutet zweitens, daß Forschungen zur elterli- beho¨ rden entsprechend der technischen Anforderun- chen Praxis von Jugendschutz, sowie zur Beurtei- gen weiterzuentwickeln. Die La¨ nder mu¨ ssen fu¨ r die lung von Jugendschutzkriterien und -maßnahmen notwendige personelle und sachliche Ausstattung durch die Bevo¨ lkerung regelma¨ ßig durchzufu¨ hren der Jugend-, Polizei- und Strafverfolgungsbeho¨ rden und daraus medienpolitische Konsequenzen abzu- Sorge tragen. leiten sind.

34 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

4. Die Jugendschutzkompetenz der Eltern ist ge- zierung von Jugendschutz zu animieren. Entspre- zielt zu fo¨ rdern chende Maßnahmen sollten einmal die Information u¨ ber die Mo¨ glichkeiten des Jugendmedienschutzes Ganz entscheidend zur Praktizierung von erfolgrei- beinhalten und zum anderen daru¨ ber aufkla¨ ren, chem Jugendmedienschutz sind die Eltern. Ihre welche negativen Folgen fu¨ r Heranwachsende der Einstellungen und ihre Praxis sind zur Zeit noch Konsum gefa¨ hrdender medialer Inhalte haben weitgehend unbekannt, da es nur die hier zitierte kann. Jugendmedienschutz wird nur dann erfolg- aktuelle Untersuchung gibt. Es wa¨ re neben einer reich betrieben werden ko¨ nnen, wenn er von der sta¨ ndigen Beobachtung des elterlichen Mediener- Bevo¨ lkerung nicht nur gewollt ist, sondern auch ziehungsverhaltens notwendig, Familien zur Prakti- praktiziert wird.

4. Medienpa¨dagogik mit der Zielsetzung Medienkompetenz als Bedingung und Erga¨nzung eines wirksamen Jugendschutzes

4.1 Zum Verha¨ltnis Medienpa¨dagogik und letzt durch die Entwicklung der Medien selbst, stets Jugendschutz gewandelt. Medienpa¨ dagogik und Jugendschutz bemu¨ hen sich Schon in den Anfa¨ ngen der Entwicklung medienpa¨ d- um das gleiche Thema, na¨ mlich um die Mediennut- agogischer U¨ berlegungen42) und Konzepte Anfang zung von Kindern und Jugendlichen. Sie stehen hier- des Jahrhunderts stand das Individuum im Mittel- bei jedoch nicht in einem Konkurrenzverha¨ ltnis, son- punkt. Mit dem Aufkommen der Massenmedien, v.a. dern in einem Erga¨ nzungszusammenhang. Sie des Films, galt die Bewahrung des unmu¨ ndigen Indi- haben einen je spezifischen Fokus auf das gleiche viduums vor scha¨ dlichen Medieneinflu¨ ssen als Thema und unterschiedliche, sich nicht widerspre- Hauptaufgabe der Medienpa¨ dagogik, was bis weit in chende Zielsetzungen. die 60er Jahre hinein mit diversen Modifikationen Gu¨ ltigkeit hatte. Ausgangspunkt dieser als ,Bewahr- Der Jugendschutz richtet sein Augenmerk prima¨ r pa¨ dagogik’ bezeichneten Medienpa¨ dagogik war die auf die Medien. Auf der Basis gesetzlicher Rege- Annahme, daß Kinder und Jugendliche in ihrem Nor- lungen, pa¨ dagogischer und entwicklungspsy- men- und Wertgefu¨ ge noch nicht gereift sind und chologischer Erkenntnisse und gesellschaftlich deshalb bei der Aneignung von subjektiver Kultur vorherrschender ethisch-moralischer Normen und durch die Beru¨ hrung mit der objektiv vorgegebenen Wertvorstellungen beobachten, analysieren und Kultur --- d. h. auf Medien bezogen mit deren Rezep- bewerten die Jugendschutz-Einrichtungen das medi- tion --- sowohl des Schutzes durch Verbote als auch ale Angebot. Entsprechen Medienprodukte nicht der Fu¨ hrung und Anleitung durch den Erzieher bzw. den Jugendschutzrichtlinien, stehen eine Reihe an die Erzieherin bedu¨ rfen. Maßnahmen zur Verfu¨ gung, z.B. Altersfreigaberege- lungen, Sendezeitgrenzen, Bußgelder, Indizierungs- Die Bewahrpa¨ dagogik hat deshalb in Bezug auf Me- verfahren usw., die alle zum Ziel haben, den Zugang dieninhalte, die sie als scha¨ digend einstufte, stets zu diesen Medien durch die betroffenen Altersgrup- nach Zensur und Verboten gerufen, deren Realisie- pen zu verhindern, um ein mo¨ gliches Gefa¨ hrdungs- rung aber dem Jugendschutz durch Politik und Ord- potential auszuschließen. nungsbeho¨ rden u¨ berlassen. Die pa¨ dagogischen Die Medienpa¨ dagogik richtet ihr Augenmerk prima¨ r Maßnahmen setzten dagegen immer am Individdu- auf die Heranwachsenden, auf Kinder und Jugendli- um an. ¨ che. Uber die Ausbildung und Entwicklung indivi- Anfang des 20. Jahrhunderts bestand das pa¨ da- dueller Kompetenzen, insbesondere kommunikativer gogische Konzept v.a. aus einer Normen- und Wer- Kompetenz und Medienkompetenz (siehe unten), teerziehung, die Heranwachsende vor der Kultur- soll ein kritischer, reflexiver und aktiver Umgang mit feindlichkeit der Medien schu¨ tzen sollte. Im Zuge Medien erreicht werden. der Reformpa¨ dagogik kam der Aspekt der Aufka¨ - Das Verha¨ ltnis von Medienpa¨ dagogik und Jugend- rung hinzu. schutz hat sich, bedingt durch unterschiedliche Sichtweisen des Verha¨ ltnisses zwischen Medien und Nach dem zweiten Weltkrieg knu¨ pfte die Medien- heranwachsenden Rezipienten, durch gesellschaft- pa¨ dagogik an die Traditionen der Weimarer Republik lich-politische Rahmenbedingungen und nicht zu- an. Medienpa¨ dagogik wurde als Erziehungshilfe zur Selbstbewahrung vor scha¨ digenden Medienwirkun- gen verstanden, natu¨ rlich wiederum neben oder in 42 ) Zur historischen Entwicklung der Medienpa¨ dagogik vgl.: Erga¨ nzung zu den geforderten und erreichten Ver- Kommer, H. (1979). Fru¨ her Film und spa¨ te Folgen. Zur Ge- schichte der Film- und Fernseherziehung. Berlin bots- und Zensurmaßnahmen. Neben den Bemu¨ hun- Schell, F. (1993)(2). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. gen des Bewahrens versuchten nun viele Medien- Theorie und Praxis. Mu¨ nchen pa¨ dagogen, mit der Hinlenkung zum ,wertvollen’

35 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Film die Bedu¨ rfnisse der Jugendlichen nach Massen- einflußt gesehen, sondern in erster Linie als gesell- kommunikation zu befriedigen. Es entstanden ,Ju- schaftliches Subjekt betrachtet, das in seiner gendfilmclubs’, die Filme vorfu¨ hrten, die „durch ihre Lebenswelt reale Erfahrungen macht und unter- Beko¨ mmlichkeit in der Form“ auffielen.43) schiedliche Bedu¨ rfnisse entwickelt. Die Massenme- dien sind in dieser Lebenswelt ein Sozialisationsfak- Mitte der 60er Jahre kam zu den genannten Aspek- tor unter anderen. Die medienpa¨ dagogischen ten die technische Entwicklung, die per se als gesell- Bemu¨ hungen orientieren sich folglich an der Lebens- schaftlicher Fortschritt gesehen wurde, mit in den welt der Individuen. Ihren Ansatzpunkt sieht sie dar- Blick der Bewahrpa¨ dagogik.44) Medienpa¨ dagogik in, in einer Gesellschaft, in der divergierende Interes- hatte weiterhin die Aufgabe, den Rezipienten im sen und Machtkonstellationenen die Erkenntnis und Umgang mit den Medien zu erziehen, wobei als neue Durchsetzung objektiver Interessen der Mehrzahl Ziele postuliert wurden: Der kritische bzw. mu¨ ndige der Menschen be- und verhindern, die Hintergru¨ nde Rezipient und der ,richtige’ Gebrauch der Medien.45) hierfu¨ r aufzudecken. Durch das Erkennen von Struk- Bewahrpa¨ dagogische Argumentationenslinien fin- turen, die zu Abha¨ ngigkeit und Fremdbestimmung den sich bei der Auseinandersetzung um Medienwir- des Individuums fu¨ hren, und durch die Wiederent- kungen bis heute. deckung der eigenen Fa¨ higkeiten, Bedu¨ rfnisse und Interessen sollen die Subjekte befa¨ higt werden, Die ideologiekritische Position der Medienpa¨ dago- selbstbestimmt und vera¨ ndernd in diese Strukturen gik, die auf die Studentenbewegung der 60er Jahre einzugreifen. und auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule zuru¨ ckgeht, kritisierte die ausufernde Entwicklung Die Massenmedien, die als Organe bu¨ rgerlicher O¨ f- technologisch-funktionaler Herrschaft u¨ ber die Natur fentlichkeit gesehen werden, vertreten in erster Linie und sah die Medien v. a. als Instrumente der Manipu- die Interessen und Meinungen derjenigen, die u¨ ber lation des Bewußtseins der Massen. Als Aufgabe der sie verfu¨ gen und bieten der Mehrzahl der Menschen Medienpa¨ dagogik wurde demgema¨ ß vorwiegend die keine Mo¨ glichkeit der Artikulation. Damit tragen die Medienkritik gesehen. U¨ ber die sprachliche und se- Massenmedien zur Verschleierung von Interessens- miotische Analyse der Massenmedien sollte deren und Machtverha¨ ltnissen bei. Sie tragen aber gleich- Ideologiegehalt entlarvt werden. zeitig --- zumindest technisch --- die Voraussetzungen Die ideologiekritische Position der Medienpa¨ dago- in sich, von einer Vielzahl an Individuen aktiv ge- gik, die in den 70er und beginnenden 80er Jahren nutzt zu werden. Die medienpa¨ dagogischen Bemu¨ - insbesondere im schulischen Bereich eine gro¨ ßere hungen dieser Position zielen deshalb darauf, daß die Rolle spielte46), schenkte dem Jugendschutz wenig Menschen die Medien ,in-Dienst-nehmen’, d. h. sie Beachtung, lehnte ihn nicht ab, bezog ihn in ihre als Mittel zur Auseinandersetzung mit ihrer Lebens- U¨ berlegungen aber auch nicht ein. welt gebrauchen, sei es als Mittel zur Ergru¨ ndung der Lebenswelt, sei es als Mittel der Artikulation und Die gesellschaftskritische Position der Medienpa¨ d- Durchsetzung von eigenen Interessen etc. Die Rezi- agogik, die sich aus der ideologiekritischen heraus, pienten sollen somit zu Produzenten werden. aber in Abgrenzung zu ihr entwickelt hat, erweiterte den Blickwinkel der Medienpa¨ dagogik, der sich bis Die auf dieser Position begru¨ ndeten Ansa¨ tze47), die dahin fast ausschließlich auf das Verha¨ ltnis Medien weitgehend auf theoretisch-analytischer Ebene ste- und Rezipient konzentriert hatte, erheblich. Der Rezi- henblieben, haben den Jugendschutz fu¨ r die Errei- pient wird nicht mehr nur durch Massenmedien be- chung ihrer Zielsetzungen als nicht hinreichend kriti- siert und ihm deshalb keine besondere Beachtung 43) Wasem, E. (1957). Jugend und Filmerleben. Beitra¨ ge zur geschenkt. Psychologie und Pa¨ dagogik der Wirkung des Films auf Kin- der und Jugendliche. Mu¨ nchen/Basel, S. 9 Die handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik, die sich Vgl. exemplarisch auch: aus der gesellschaftskritischen heraus entwickelt hat Stu¨ ckrath, F. (1953). Der Film als Erziehungsmacht. Ham- und die heute in verschiedenen Facetten (z.B. als so- burg Stu¨ ckrath, F., Schottmayer, G. (1955). Psychologie des zialo¨ kologischer Ansatz, als lebensweltorientierte Filmerlebens in Kindheit und Jugend. Hamburg Medienpa¨ dagogik, als erfahrungsbezogener Ansatz Wasem, E. (1961). Presse, Rundfunk, Fernsehen, Reklame usw.) als moderne Form der Medienpa¨ dagogik ver- pa¨ dagogisch gesehen. Mu¨ nchen/Basel Kerstiens, L. (1961). Filmerziehung. Eine Einfu¨ hrung in die breitet ist, wird im na¨ chsten Kapitel na¨ her beschrie- Filmpa¨ dagogik. Mu¨ nster/Westf. ben. Zur Darstellung und Kritik dieser Ansa¨ tze vgl.: Hausmaninger, T. (1993). Kritik der medienethischen Ver- Auch diese Position hat anfa¨ nglich dem Jugend- nunft. Die ethische Diskussion u¨ ber den Film in Deutsch- schutz keine besondere Beachtung gewidmet. Er land im 20. Jahrhundert. Mu¨ nchen wurde als notwendige Maßnahme gesehen, um sozu- 44) Vgl. exemplarisch: Keilhacker, M. (1968). Der Mensch von heute in der Welt der Informationen. In: Jugend Film Fern- sehen, 12. Jg. II, 3/1968, S. 131ff. 47) Vgl. exemplarisch: 45) Vgl. Hu¨ ther, J., Podehl, B., Terlinden, R. (1982). Geschicht- Negt, O., Kluge, A. (1973). O¨ ffentlichkeit und Erfahrung. liche Entwicklung und theoretische Grundlegung. In: Hu¨ - Zur Organisationsanylse von bu¨ rgerlicher und proletari- ther, J., Terlinden, R. Medienpa¨ dagogik als politische scher O¨ ffentlichkeit. Frankfurt/M. Sozialisation. Grafenau/Wu¨ rtt. Prokop, D. (1974). Massenkultur und Spontaneita¨ t. Zur ver- 46) Vgl. exemplarisch: a¨ nderten Warenform der Massenkommunikation im Spa¨ t- Ehmer, H.K. (Hrsg.) (o.J.). Visuelle Kommunikation. Beitra¨ - kapitalismus, Frankfurt/M. ge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie. Ko¨ ln Dro¨ ge, F., Go¨ bbel, N., Loviscach, L. u. a. (1979): Der allta¨ gli- Knilli, F. (1981). Neue Programme fu¨ r Alte Medien. In: me- che Medienkonsum. Grundlagen einer erfahrungsbezoge- dien + erziehung 4/1981, S. 210f. nen Medienerziehung. Frankfurt/M.

36 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 sagen die ,Spitzen’ problematischer Medieninhalte ben. Sie setzt deshalb in der Tendenz dort an, wo der in den Griff zu bekommen. Die Medienpa¨ dagogik Jugendschutz aufho¨ rt. Insofern steht sie in Erga¨ n- hat Jugendschutzmaßnahmen allerdings auf einer zung zum Jugendschutz. anderen Ebene gesehen als ihre eigenen Anliegen, Medienpa¨ dagogik ist außerdem nicht --- wie der Ju- insbesondere die Vermittlung von Kompetenzen im gendschutz --- Minderheitenschutz, der in erster Linie Umgang mit Medien. auf Gruppen gefa¨ hrdeter Heranwachsender zielt, Mit der Entwicklung der Medientechniken und auf- sondern richtet sich potentiell an alle Kinder und Ju- grund medienpolitischer Entscheidungen gab es in gendliche, aber auch an erwachsene Mediennutze- den letzten Jahren eine enorme Zunahme massen- rinnen und -nutzer. medialer Produkte und das Entstehen vo¨ llig neuer Medienpa¨ dagogik und Jugendschutz bedingen und Medien und der Individualkommunikation. V. a. die erga¨ nzen sich somit sinnvoll. Das eine ist durch das neuen Mediennetze bzw. Verbreitungsmo¨ glichkeiten andere nicht zu ersetzen. Notwendig ist eine intensi- medialer Produkte, die auch fu¨ r den Transport ge- ve Koordination und Kooperation beider Bereiche. waltverharmlosender und -verherrlichender, politisch extremistischer sowie pornographischer Inhalte ge- nutzt werden, haben die Bedeutung des Jugend- schutzes wieder sta¨ rker in die fachliche und in die o¨ f- 4.2 Bestimmung von Medienpa¨dagogik und fentliche Diskussion geru¨ ckt. Die Forderungen nach ihren Zielen sowie Adressaten mehr Jugendschutz gingen und gehen allerdings einher mit der Erkenntnis, daß die Kontroll- und Ein- griffsmo¨ glichkeiten des Jugendschutzes immer Grundlagen schwieriger werden. Die Grenzen des Jugendschut- zes waren noch nie so deutlich wie heute. Aus dieser Seit Anfang der 80er Jahre bis heute haben sich An- Erkenntnis und den praktischen Erfahrungen heraus sa¨ tze einer handlungsorientierten Medienpa¨ dagogik hat sich auch im Jugendschutz in den letzten Jahren entwickelt --- die sich aktuell sta¨ ndig weiterentwik- ein Paradigmenwechsel vollzogen. Moderner Ju- keln ---, die unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gendschutz sieht neben dem klassischen Jugend- haben bzw. unterschiedliche Aspekte betonen. So schutz mit Kontrolle und Zensur die Notwendigkeit steht die Handlungsorientierung im Sinne einer akti- des pra¨ ventiven Jugendschutzes, der auch in der In- ven gesellschaftlichen Mitwirkung mit Hilfe von Me- itiierung und Unterstu¨ tzung medienpa¨ dagogischer dien und die Entwicklung kommunikativer Kompe- 48 Maßnahmen durch Jugendschutzeinrichtungen ge- tenz im Mittelpunkt einiger Ansa¨ tze ). Andere sehen wird. Ansa¨ tze sehen in der audiovisuellen Medienarbeit eine Form der Erfahrungsproduktion, mit der den Aufgrund der begrenzten Mo¨ glichkeiten des Ju- Heranwachsenden ihre eigenen Erfahrungen und gendschutzes stehen heute Forderungen nach mehr Lebenszusammenha¨ nge kritisch-reflexiv zuga¨ nglich Medienpa¨ dagogik im Vordergrund. Aber auch die werden49). Wieder andere betonen unter dem Stich- Medienpa¨ dagogik schreibt angesichts der oben be- wort ,sozialo¨ kologischer Ansatz’ die Bedeutung der schriebenen Medienentwicklung dem Jugendschutz Medienwelten und Medienorte, in und an denen --- in seinen Grenzen --- wieder mehr Bedeutung zu. Jugendliche mediale Erfahrungen machen50). Die Seine Aufgabe besteht darin, Kindern und Jugendli- Notwendigkeit der Kreativita¨ tsentwicklung ist we- chen wenigstens den Zugang zu denjenigen medi- sentlicher Aspekt weiterer Ansa¨ tze51). In weiteren alen Produkten und Inhalten zu erschweren oder zu Ansa¨ tzen wird der Aspekt der a¨ sthetischen Bildung verunmo¨ glichen, die trotz aller Kompetenzen im Um- betont, womit die sinnliche Weltzuwendung des Sub- gang mit Medien nicht zumutbar sind und/oder ihrer geistigen und moralischen Entwicklung abtra¨ glich 48) exemplarisch Baacke, D.; Kluth, T. (Hrsg.) (1980). Praxisfeld sein ko¨ nnen. Medienarbeit. Beispiele und Informationen. Mu¨ nchen. Auf- enanger, S. (Hrsg.) (1991). Neue Medien --- Neue Pa¨ dago- Jugendschutz ist notwendig und sinnvoll. Er bleibt gik? Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Medienerziehung in aber wirkungslos, wenn die Heranwachsenden nicht Kindergarten und Grundschule. Bonn. Schorb, B. (1995). gleichzeitig lernen, kompetent, selbstbestimmt und Medienalltag und Handeln. Medienpa¨ dagogik in Ge- schichte, Forschung und Praxis. Opladen. Aufenanger, S. kriteriengeleitet mit Medien umzugehen. Insofern ist (1995). Neue Medien als pa¨ dagogische Herausforderung. Medienpa¨ dagogik Bedingung fu¨ r einen wirksamen In: Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). Jugend Jugendschutz. auf der Datenautobahn. Sozial, gesellschafts- und bil- dungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ nchen. Medienpa¨ dagogik kann und will jedoch nicht --- wie Schorb, B. (1995). Jugend auf der Datenautobahn. In: der Jugendschutz --- dort ansetzen, wo mediale Er- Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). a.a.O. scheinungen fu¨ r Kinder und Jugendliche nur noch Mu¨ nchen 49 zum Problem werden. Damit wu¨ rde Medienpa¨ dago- ) exemplarisch Niesyto, H. (1991). Erfahrungsproduktion mit Medien. Selbstbilder, Darstellungsformen, Gruppenpro- gik zum bloßen gesellschaftlichen Reparaturbetrieb zesse. Weinheim und Mu¨ nchen reduziert werden. Medienpa¨ dagogik hat den reflek- 50) exemplarisch Baacke, D.; Frank, G.; Radde, M. u. a. (1989). tierten und handelnden Umgang mit Medien zum Jugendliche im Sog der Medien. Medienwelten Jugendli- Ziel. Wenn sie dies bei ihren Adressaten, den Kin- cher und Gesellschaft. Opladen. Baacke, D.; Frank, G.; dern und Jugendlichen erreichen will, kann sie nicht Radde, M. (1991). Medienwelten --- Medienorte. Jugend und Medien in Nordrhein-Westfalen. Opladen gleichzeitig Kontroll- und Zensurinstanz sein. Dies 51) exemplarisch Baacke, D.; Thier, M. (Hrsg.)(1992). Kreative wu¨ rde Mißtrauen bei den Adressaten und erhebliche Medienarbeit. Perspektiven jugendlicher Produzenten in Sto¨ rungen im pa¨ dagogischen Prozeß zur Folge ha- den neunziger Jahren. Bielefeld

37 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode jekts in den Vordergrund ru¨ ckt und die Auseinander- genstand Medien im Blick und deren Rolle bei der setzung mit sinnlichen Figurationen und die Ausbil- Aneignung und Gestaltung von Lebenswelt durch dung der a¨ sthetischen Wahrnehmung im Mittelpunkt Heranwachsende. pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen steht.52) Trotz dieser unterschiedlichen Auspra¨ gungsformen haben aktuelle Ansa¨ tze einer handlungsorientierten Zielsetzungen Medienpa¨ dagogik gemeinsame Grundlagen und Zielsetzungen.53) Wesentliche Zielsetzungen einer handlungsorientier- ten Medienpa¨ dagogik sind die Ausbildung und Fo¨ r- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik sieht den derung kommunikativer Kompetenz und Medien- Umgang des einzelnen mit Medien als soziales Han- kompetenz. deln. D. h. jeder Mediengebrauch, ob rezeptiv oder aktiv, ist gleichzeitig Auseinandersetzung mit und Kommunikative Kompetenz bedeutet die Fa¨ higkeit, Aneignung von Welt, ist ein U¨ berpru¨ fen, Besta¨ tigen, an der gesellschaftlichen Kommunikation und Inter- Verwerfen eigener Erfahrungen und fu¨ hrt zu Vera¨ n- aktion angemessen teilhaben zu ko¨ nnen. Dies bein- derungen oder Verfestigungen eigener Meinungen, haltet zum einen die Fa¨ higkeit, die eigene Entwick- Einstellungen, Normen, Verhaltensweisen. Medien- lung, also das ,So-geworden-Sein’, und die eigene handeln ist folglich, auch im Konsum, immer aktiv. Rolle, die jeder in dieser Gesellschaft einnimmt, kri- tisch zu reflektieren und Strukturen und Bedingun- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik sieht zu- gen zu erkennen, die zu Abha¨ ngigkeiten fu¨ hren und gleich die Medien nicht als isoliertes Pha¨ nomen, son- die die Entwicklung hin zum autonomen und selbst- dern im Kontext der gesamten Lebenswelt. bestimmten Individuum be- oder verhindern. Dies Medien sind in dieser Sichtweise ein Sozialisations- schließt zum anderen die Fa¨ higkeit ein, selbstbe- faktor unter vielen (z.B. Familie, peer-group, Schule stimmt und solidarisch mit anderen an der Vera¨ nde- usw.). Medienhandeln ist folglich nur im Zusammen- rung solcher Strukturen mitzuwirken und so Gesell- hang mit anderen Faktoren zu erkla¨ ren und zu ver- schaft mit zu gestalten. stehen. Die Zielsetzung ,Kommunikative Kompetenz’ bein- Dem Rezipienten wird dabei der Status eines gesell- haltet in dieser Sichtweise nicht nur die hierfu¨ r no¨ ti- schaftlichen Subjekts zugesprochen, das sich im Pro- ge Sprachkompetenz, sondern auch Handlungskom- zeß seiner Sozialisation mit der Lebenswelt auseinan- petenz. ,Kommunikative Kompetenz’ beschreibt dersetzt und diese aktiv mitgestaltet, wobei sein weder einen Zustand noch ein zu erreichendes Ziel. Medienhandeln integrierter Bestandteil dieses Pro- Sie ist an historische, situative und personale Bedin- zesses ist. gungen gebunden und muß als Ziel pa¨ dagogischer Bemu¨ hungen immer wieder neu definiert und be- Handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik basiert auf gru¨ ndet werden. Um kommunikative Kompetenz zu Erkenntnissen medienpa¨ dagogischer Forschung, die entwickeln, muß der Mensch lernen54) den genannten Zusammenhang von Alltagshandeln und Medienhandeln untersucht und danach fragt, --- zu informieren und Informationen aufzunehmen; wie Kinder und Jugendliche mit Medien umgehen, --- in instrumentell-besta¨ tigender Kommunikation, welche Orientierungen sie in den Medien suchen d. h. in jeder Form sozialen Lernens, Beziehungen und wie sie diese ihren allta¨ glichen Erfahrungen zu- und verla¨ ßliche Gemeinsamkeiten aufrechtzuer- ordnen, wie sie Medieninhalte be- und verarbeiten, halten; welche Probleme dabei auftreten und wo die Heran- wachsenden Unterstu¨ tzung beno¨ tigen. --- Kommunikation als freies Beziehungsspiel zu er- fahren; In ihren medienpa¨ dagogisch-praktischen Bemu¨ hun- gen ist handlungsorientierte Medienpa¨ dagogik in --- in gewinn-orientierten Dialogen, d. h. in Streitge- erster Linie --- wie jede Pa¨ dagogik --- Hilfe zur spra¨ chen, in denen es um die einsichtigeren Argu- Lebensbewa¨ ltigung und Unterstu¨ tzung des Heran- mente geht, seine Meinung zu behaupten; wachsenden auf seinem Weg zum mu¨ ndigen und emanzipierten Individuum. Als Medienpa¨ dagogik --- in Entscheidungs-Dialogen die Interessen seiner hat sie daru¨ ber hinaus natu¨ rlich den spezifischen Ge- Person und seiner Gruppe zu vertreten; --- sein Selbstversta¨ ndnis in einer reflektierten und 52) exemplarisch Ro¨ ll, F.J. (1985). Schwimmenlernen in der Bil- heilen Ich-Identita¨ t zu finden; derflut. In: Ko¨ hler, H.; Poth, L. (1985). Das Siebdruck Hand- buch fu¨ r Kunst, Freizeit, Schule, Sozialarbeit. Reinheim. --- durch Kommunikation zu lernen und zu lehren; Ro¨ ll, F.J. (1988). Video ist erst der Anfang von der Wort- zur Bildkultur. In: av-information (hrsg. Vom Landesfilmdienst --- die System-Besta¨ nde, d. h. die gesellschaftlichen fu¨ r Jugend- und Erwachsenenbildung in Hessen e.V.) 1, Verha¨ ltnisse im weitesten Sinne, in wissenschaft- 2/88, S. 4ff. lich-diskursiver Reflexion zu hinterfragen mit dem Baacke, D. (1997). Kevin, Wayne und andere --- Kinder und Ziel, eine begru¨ ndete und human glaubwu¨ rdige a¨ sthetische Erfahrung. In: Von Gottberg, J.; Mikos, L.; Wie- demann, D. (Hrsg.)(1997). Kinder an die Fernbedienung. Konzepte und Kontroversen zum Kinderfilm und Kinder- 54) Die folgende Definition stammt von Baacke (vgl. Baacke, fernsehen. Berlin D. (1973). Kommunikation und Kompetenz. Mu¨ nchen, 53) Zu den folgenden Ausfu¨ hrungen vgl. Schell, F. (1993) (2). S. 293) und wurde von Schell (vgl. Schell, F. (1993) (2). Akti- Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. ve Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Mu¨ nchen Mu¨ nchen, S. 66) erga¨ nzt.

38 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Entwicklung der gesellschaftlichen Systeme zu standsbereichen sozialer Realita¨ t nutzen zu ko¨ nnen. befo¨ rdern. In der Konkretion meint dies die bewußte Auswahl zwischen audiovisuellen Angeboten nach a¨ stheti- In einer Gesellschaft, in der Kommunikation und In- schen und moralischen Aspekten und die kritisch-re- teraktion ganz wesentlich u¨ ber Medien bestimmt flexive Nutzung dieser Angebote, um die eigene Le- sind, ist Medienkompetenz ein wesentlicher Be- benswelt besser bewa¨ ltigen zu ko¨ nnen und sie im standteil kommunikativer Kompetenz.55) Hinblick auf gesellschaftliche, politische und kultu- Medienkompetenz bedeutet mehreres: relle Dimensionen zu bereichern. a) Medienentwicklungen erfassen, kritisch reflektie- Mediale Angebote kann nur derjenige kritisch-refle- ren und bewerten ko¨ nnen. xiv entschlu¨ sseln und verstehen, der die Grundlagen medialer Gestaltungs- und Darstellungsformen von Die Durchdringung unserer Welt mit Medien ist Sprache, Schrift, Symbolen, Animationen, Graphi- heute so umfassend, daß es dem Einzelnen nicht ken, Bildern oder Filmen kennt und der die Medien- mo¨ glich ist, sich Wissen u¨ ber die Medien in allen Be- inhalte auf ihre Bezu¨ ge zur Realita¨ t hin u¨ berpru¨ fen reichen anzueignen. Entscheidend ist daher der Er- und relativieren kann. Dies gilt nicht nur fu¨ r den In- werb von Grundlagenwissen in allen Disziplinen, die formationsbereich, auch im Bereich der Unterhaltung von Medientechnologie tangiert werden, u. a. in der werden Orientierungen und Lo¨ sungsmuster fu¨ r das Produktion, Distribution und Anwendung von Me- Alltagshandeln angeboten, die es kritisch zu hinter- dien, in rechtlichen Aspekten, in Mediensystemen fragen gilt. In Bezug auf die Auswahl und Nutzung usw., verbunden mit Strukturwissen, um verschie- von Medien als Freizeitaktivita¨ t schließt dies auch dene Informationen aufeinander beziehen und beno¨ - die sta¨ ndige Abwa¨ gung der Nutzung anderer Frei- tigte Informationen wie Detailwissen selbst rasch zeitangebote ein und die Fa¨ higkeit, mediale Ange- und aktuell ermitteln zu ko¨ nnen. Einfluß auf die Ent- bote genießen zu ko¨ nnen. wicklung und Anwendung der im Detail ho¨ chst kom- plexen und komplizierten Gera¨ te, Programme, Netze Medienkompetenz ist hier also die Fa¨ higkeit, mit usw. kann nur derjenige nehmen, der die Strukturen Medientechnik umgehen zu ko¨ nnen und die Fa¨ hig- erkennt. Zu diesem Strukturwissen muß außerdem keit, mit Hilfe einer kritisch-reflexiven Medienaus- der Erwerb von Orientierungswissen treten, um auf wahl und -nutzung die eigene Lebenswelt besser be- der Basis historischer, ethischer, politischer und a¨ s- wa¨ ltigen und bereichern zu ko¨ nnen. thetischer Einsichten und Kenntnisse das erworbene c) Medien aktiv als Kommunikationsmittel nutzen Wissen ebenso wie die Pha¨ nomene der Informations- ko¨ nnen. und Kommunikationstechnologie kritisch-reflexiv bewerten zu ko¨ nnen. In einer Gesellschaft, deren Kommunikation in allen Bereichen (Arbeitswelt, Bildung, Freizeit usw.) weit- Medienkompetenz ist also hier die Fa¨ higkeit, auf der gehend u¨ ber Medien erfolgt, haben einzelne oder Basis von Grundlagen-, Struktur- und Orientierungs- Gruppen nur eine Chance zur Partizipation, wenn sie wissen sich der Medien bedienen und sich in Netzen in der Lage sind, auch aktiv mit Hilfe der verfu¨ gba- bewegen und diese bewerten zu ko¨ nnen sowie medi- ren Medien zu kommunizieren. Dazu sind Fa¨ higkei- ale Technik, Produktion, Produktionsinteressen und ten und Fertigkeiten des Handelns erforderlich. Hier- inhaltliche Angebote miteinander in Beziehung set- zu geho¨ ren wiederum Fertigkeiten im Umgang mit zen zu ko¨ nnen. Medien als technische Gera¨ te, vor allem aber die b) Selbstbestimmt, kritisch-reflexiv und genußvoll Fa¨ higkeit der Subjekte, Medien zur menschlichen mit Medienangeboten und -inhalten umgehen ko¨ n- Kommunikation zu nutzen und sie in diesem Nut- nen. zungsprozeß dem Ziel zuzuordnen, selbstta¨ tig im Austausch mit anderen soziale Realita¨ t zu gestalten. Angesichts der sta¨ ndig zunehmenden Fu¨ lle an Me- dienangeboten und -inhalten wird es immer wichti- Handlungsfa¨ higkeit in diesem Sinne kann allerdings ger, Nutzung und Konsum aufgrund eigener, nicht nur unter der Bedingung erworben werden, daß Me- fremdbestimmter Wu¨ nsche und Bedu¨ rfnisse gestal- dien als Einzelgera¨ te wie als Systeme und Netze al- ten zu ko¨ nnen. len zur Verfu¨ gung stehen. Die Gestaltung medialer Netze und Systeme muß ein Prozeß sein, in den zu- Hierzu geho¨ rt der Erwerb von Anwendungswissen, mindest potentiell jeder Nutzer auch als Produzent also der Fertigkeit im Umgang mit Medien als techni- und Distributor eingreifen kann. Die derzeitigen und sche Gera¨ te. Hierzu geho¨ rt aber vor allem die Fa¨ hig- ku¨ nftig noch weit mehr ausgebauten Mediennetze keit, Medien zur Er- und Bearbeitung von Gegen- werden nur dann zur Demokratisierung und zu mehr Partizipation beitragen, wenn sie eine gleichberech- 55 ) Die folgenden Ausfu¨ hrung zur Begriffsbestimmung von tigte Pra¨ sentation eigener Informationen an alle Medienkompetenz basieren auf den U¨ berlegungen in fol- genden Publikationen: Empfa¨ nger dieser Netze ermo¨ glichen, wozu zumin- Baacke, D. (1996). Medienkompetenz --- Begrifflichkeit und dest die Chance besteht. sozialer Wandel. In: Rein, A. von (Hrsg.). Medienkompe- tenz als Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn Die eigene aktive Nutzung von Medien erfordert ne- Schell, F. (1997). Jugendinformation = Bildung? Medien- ben den genannten Fa¨ higkeiten auch Kreativita¨ t und kompetenz im digitalen Informations-zeitalter. In: Jugend- Gestaltungsvermo¨ gen. politik 2/1997, S. 11ff. Schorb, B. (1997). Medienkompetenz. In: Hu¨ ther, J., Medienkompetenz meint hier also die Fa¨ higkeit, Me- Schorb, B., Brehm-Klotz, Ch. (Hrsg.). Grundbegriffe Me- dien als Kommunikationsmittel zu nutzen, um eigene dienpa¨ dagogik. Mu¨ nchen Sichtweisen von Welt und Individualita¨ t, von rele-

39 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode vanten Themen und von perso¨ nlichen Problemen fizierung von Eltern und Multiplikatorinnen und zum Ausdruck zu bringen mit Sprache, Bildern, To¨ - Multiplikatoren in den Erziehungs- und Bildungsbe- nen und Symbolen und in Auseinandersetzung mit reichen erscho¨ pfen. Sie muß vielmehr dafu¨ r sorgen, anderen soziale Realita¨ t zu gestalten. daß auf allen Ebenen Bedingungen geschaffen wer- den, die die Realisierung der Zielsetzungen ermo¨ gli- Die genannten Dimensionen von Medienkompetenz chen. Das bedeutet, daß Medienpa¨ dagogik ihre Er- mu¨ ssen fu¨ r pa¨ dagogische Handlungskonzepte zum kenntnisse und daraus abgeleitete Forderungen an einen noch sta¨ rker spezifiert und ausgestaltet, zum die Medien richten muß, die Gestaltung und Inhalt anderen in ihrer Bedeutung fu¨ r verschiedene Alters- ihrer Produkte verantworten. Das bedeutet außer- gruppen bestimmt werden. Man kann zum Beispiel dem, daß Medienpa¨ dagogik mit dezidierten Forde- von Grundschulkindern nicht verlangen, daß sie u¨ ber rungen und einem Mitspracherecht als Expertinnen Verflechtungen im Mediensystem Bescheid wissen. und Experten bei medien-relevanten Entscheidun- Diese Ausdifferenzierung vorzunehmen ist Aufgabe gen an (Medien)Politik beteiligt werden muß, da der Medienpa¨ dagogik. Sie muß auch Konzepte vorle- diese fu¨ r die gesetzlichen Rahmenbedingungen und gen, wie die entsprechenden Fa¨ higkeiten in den un- auch fu¨ r ethisch-moralische Grundwerte des Me- terschiedlichen Altersgruppen und Handlungsfel- dienhandelns in unserer Gesellschaft Verantwortung dern pa¨ dagogisch vermittelt werden ko¨ nnten und tra¨ gt. Insofern sind auch die Medien selbst und die wie die medienpa¨ dagogische Kompetenz der Eltern, Politik Adressaten von Medienpa¨ dagogik. der Lehrerinnen und Lehrer, der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Kinder- und Jugendarbeit aussehen mu¨ ßte. 4.3 Beschreibung von Handlungsfeldern der Medienpa¨dagogik Adressaten Die fu¨ r die Vermittlung von kommunikativer Kompe- Medienpa¨ dagogische Maßnahmen richten sich pri- tenz und Medienkompetenz relevanten Orte sind im ma¨ r an Kinder und Jugendliche. Fu¨ r sie ist der Um- Grunde all diejenigen, an denen Kinder und Jugend- gang mit Medien eine Selbstversta¨ ndlichkeit, weil liche mit Medien umgehen und/oder etwas lernen: sie in eine von Medien bestimmte soziale Lebenswelt hineingewachsen sind. So geho¨ rt die Nutzung von --- das Elternhaus Medien zu ihren liebsten Freizeitbescha¨ ftigungen. --- der Kindergarten Aber auch in anderen Lebensbereichen, z.B. in der Schule, geho¨ ren Medien zum Alltag. --- die Schule Die Massenmedien und zunehmend auch die Indivi- --- die außerschulische Jugendarbeit dualmedien (z.B. Online-Angebote im Internet) stel- --- die Medien selbst. len fu¨ r die Heranwachsenden ein eigenes Lernfeld dar, denn sie suchen dort neben Unterhaltung, Span- Voraussetzung dafu¨ r, in diesen Feldern medienpa¨ d- nung und Entspannung auch nach Orientierungen agogisch zu wirken und entsprechende Lernprozesse fu¨ r ihr eigenes Lebens, fu¨ r ihr Groß-Werden, aber zur Entwicklung von Medienkompetenz anzuregen, auch fu¨ r die Bewa¨ ltigung aktueller Problemlagen. Da ist die Qualifizierung der Erwachsenen, die im jewei- Kinder und Jugendliche aber erst dabei sind, sich so- ligen Lernfeld Verantwortung fu¨ r die Heranwachsen- ziale Realita¨ t anzueignen, Kompetenzen zu entwik- den tragen. Entsprechende Qualifizierungskonzepte keln und Meinungen, Einstellungen und Werthaltun- und -maßnahmen zu entwickeln und durchzufu¨ hren gen aufzubauen, und dies in unserer komplexen bzw. zu begleiten, ist ebenfalls Aufgabe der Medien- Welt immer schwieriger wird, brauchen sie dafu¨ r Un- pa¨ dagogik. terstu¨ tzung. Die medienpa¨ dagogische Kompetenz der Erzieher Da Medien alle Lebensbereiche der Heranwachsen- und Bildner sollte folgende Dimensionen umfassen, den durchdringen, mu¨ ssen medienpa¨ dagogische die natu¨ rlich fu¨ r die einzelnen Handlungsfelder kon- Maßnahmen auch in allen Bereichen angeboten wer- kretisiert und spezifiziert werden mu¨ ssen: den, in denen Kinder und Jugendliche mit Medien --- Sensibilita¨ t fu¨ r Medienwelten und Medienerleb- umgehen und in denen Lernprozesse angeregt und nisse von Kindern; gestaltet werden ko¨ nnen. Dazu geho¨ rt die Familie ebenso wie der Kindergarten, die Schule, der Kinder- --- Wissen um Erlebnisqualita¨ t und Rezeptionsweisen hort und die außerschulische Jugendarbeit. Um dies von Kindern und Jugendlichen; zu ermo¨ glichen, mu¨ ssen diejenigen, die in diesen Be- --- Wissen um entwicklungs- und medienpsychologi- reichen mit Erziehungs- und Bildungaufgaben befaßt sche Aspekte der Mediennutzung; sind, medienpa¨ dagogisch qualifiziert werden: Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, --- Kenntnisse von medienpa¨ dagogischen Konzepten Sozialpa¨ dagoginnen und Sozialpa¨ dagogen, haupt- und Kompetenz, diese im pa¨ dagogischen Prozeß und ehrenamtliche Jugendleiterinnen und Jugend- anzuwenden. leiter. Sie sind deshalb ebenfalls Adressaten der Me- dienpa¨ dagogik. a) Elternhaus Um die angestrebten Zielsetzungen kommunikative Kompetenz und Medienkompetenz verfolgen zu Eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Medien- ko¨ nnen, kann Medienpa¨ dagogik sich nicht in der Ar- kompetenz spielt das Elternhaus. Schon im fru¨ hen beit mit Kindern und Jugendlichen und in der Quali- Alter werden grundlegende Fa¨ higkeiten und Fertig-

40 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 keiten fu¨ r den Umgang mit Medien gelegt. Wie zahl- Einen neuen Weg beschreitet das Projekt ,FLIMMO reiche Untersuchungen jedoch zeigen, sind nur we- --- Fernsehen mit Kinderaugen’. In Form einer peri- nige Eltern auf ihre Rolle vorbereitet, diesen Lernpro- odisch erscheinenden Broschu¨ re in Massenauflage zeß zu gestalten. In den wenigsten Fa¨ llen zeichnen und in Form eines Online-Dienstes, die vom Verein sie sich selbst als medienkompetente Nutzer aus, in fu¨ r Programmberatung e.V. herausgegeben und ver- noch selteneren Fa¨ llen haben sie ein Konzept zur trieben und vom Institut Jugend Film Fernsehen er- Medienerziehung.56) stellt werden59), werden auf der Basis wissenschaftli- cher Erkenntnisse Orientierungshilfen fu¨ r die Um die Entwicklung von Medienkompetenz bei ih- Fernseherziehung gegeben. Der ,FLIMMO’ nimmt ren Kindern fo¨ rdern zu ko¨ nnen, bedarf es einer Reihe das gesamte kinderrelevante Fernsehprogramm (das an Qualifizierungs- und Unterstu¨ tzungmaßnahmen sind explizite Kindersendungen, aber auch Sendun- fu¨ r Eltern: gen, die sich nicht direkt an Kinder richten, die sie Eltern mu¨ ssen in erster Linie ein Versta¨ ndnis fu¨ r die aber gerne sehen) der am meisten verbreiteten Sen- Medienrezeption, fu¨ r das Medienhandeln ihrer Kin- der in den Blick und beschreibt die Sendungen da- der entwickeln. Sie mu¨ ssen z.B. begreifen, daß Kin- nach, was Kindern an ihnen gefa¨ llt, d. h. er nimmt die der einen anderen Blick auf Medienangebote haben, Kinderperspektive ein. Er weist, wenn no¨ tig, auf daß sie dort nicht nur Unterhaltung und Entspan- mo¨ gliche Probleme hin, die Kinder mit bestimmten nung, sondern auch nach Orientierungen und Ant- Inhalten oder Darstellungsformen bekommen ko¨ n- worten auf ihre Fragen suchen, die sie im Zusam- nen, und er informiert in knappen Artikeln u¨ ber me- menhang mit ihrer Entwicklung und ihren aktuellen dienpa¨ dagogisch relevante Fragestellungen. Damit Problemen haben. Sie mu¨ ssen verstehen lernen, daß ist er nicht nur Programmberatung fu¨ r Eltern, son- Kinder ihre Medienerlebnisse in ihren Phantasiewel- dern auch Vermittler von Einsichten in die Fernseh- ten aus- und umformen und sie zu den eigenen real- rezeption von Kindern. en Erfahrungen in Beziehung setzen. Dabei haben U¨ ber solche Aktivita¨ ten hinaus mu¨ ssen weitere Wege die Medienfiguren, ob Menschen oder Tiere, als ihre begangen bzw. ausgebaut werden, um Eltern fu¨ r me- Stars und Helden fu¨ r sie eine wesentlich sta¨ rkere Be- dienpa¨ dagogische Qualifizierungsmaßnahmen direkt deutung als fu¨ r Erwachsene. zu erreichen: Vor allem in bezug auf die multimedialen Technolo- --- Elternabende in Kinderga¨ rten und Schulen60); gien, insbesondere auf die vernetzten Medien mu¨ s- --- medienpa¨ dagogische Projekte von Kinderga¨ rten sen Eltern ein grundlegendes Orientierungs- und und Schulen, die zusammen mit den Familien Strukturwissen erwerben, um die Nutzung dieser durchgefu¨ hrt werden; Medien, deren technische Handhabung die Jugend- lichen meist virtuos und fast immer besser als Er- --- Kursangebote zur Medienpa¨ dgogik an Volkshoch- wachsene beherrschen, einscha¨ tzen und ggf. pa¨ d- schulen und anderen Einrichtungen der Erwach- agogische Maßnahmen ergreifen zu ko¨ nnen. senenbildung; Um dies alles leisten zu ko¨ nnen, brauchen Eltern Be- --- vorhandene Beratungsstellen sollten die Aufgabe ratung und Hilfestellung. Die Angebote mu¨ ssen da- u¨ bernehmen, Eltern in medienpa¨ dagogischen Fra- bei so gestaltet sein bzw. solche Wege gehen, daß sie gen zur Seite zu stehen; auch eine breite Schicht von Eltern und nicht nur die --- usw. bildungswilligen Mu¨ tter und Va¨ ter erreichen. Eine Mo¨ glichkeit sind beispielsweise medienpa¨ dago- gische Materialien, die knapp gehalten und in gut b) Kindergarten versta¨ ndlicher Form gestaltet sind und die potentiell viele Familien erreichen. Dazu geho¨ rten die von der Der Kindergarten ist der erste pa¨ dagogisch organi- Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung herausgegebe- sierte Lernort fu¨ r Kinder. Wenn Kinder mit ca. drei nen und vertriebenen Materialien „Neue Medien. Jahren in den Kindergarten kommen, bringen sie in Freunde unserer Kinder?“57), die zu vielen medien- der Regel schon eine Menge an Medienerfahrungen pa¨ dagogischen Fragen Stellung bezogen haben. Ein mit. Da Kinder ihre Medienerlebnisse --- wie andere weiteres Beispiel ist die Elternbroschu¨ re aus dem Alltagserlebnisse auch --- in erster Linie mit Gleichalt- Materialpaket ,Alles auf Empfang’58) die eine Reihe rigen austauschen, und dies in den vielen Ein-Kind- an Hinweisen zur Fernsehrezeption von Kindern ent- oder Zwei-Kinder-Familien nicht oder nur begrenzt ha¨ lt. mo¨ glich ist, hat der Kindergarten hier eine große Be- deutung. Allerdings haben die Kinderga¨ rten bis vor wenigen Jahren wegen einer selbst verordneten Me- 56) Vgl. exmplarisch Hurrelmann, B., Hammer, M., Stelberg, K. (1996). Familienmitglied Fernsehen. Fersehgebrauch und Probleme der Fernseherziehung in verschiedenen Fami- 59) Der ,FLIMMO’ sowie na¨ here Informationen dazu sind er- lienformen. Opladen. ha¨ ltlich u¨ ber den Verein fu¨ r Programmberatung e.V., Post- Vgl. auch Kap. 3.3 dieses Gutachtens. fach 801344, 81613 Mu¨ nchen; als Online-Dienst, der 57) Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung (Hrsg.)(o.J.). Neue jeweils das aktuelle Programm der na¨ chsten zwei Wochen Medien --- Freunde unserer Kinder?. Bonn (Der Materialsatz beinhaltet, ist der ,FLIMMO’ erreichbar unter http:// entha¨ lt eine Broschu¨ re fu¨ r Eltern, eine Broschu¨ re fu¨ r Erzie- www.flimmo.de herinnen/Erzieher und ein Poster) 60) Zur Gestaltung solcher Elternabende liegen einige Mate- 58) Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. rialien vor, z. B. Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle (Hrsg.)(1995). Alles auf Empfang? Familie und Fernsehen. Bayern e.V. (Hrsg.)(1995). Alles auf Empfang? Familie und Mu¨ nchen Fernsehen. Zusammenarbeit mit Eltern. Mu¨ nchen

41 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode dienabstinenz --- es galt die Meinung, daß Medien im bar. In Elternabenden und gemeinsamen medien- Kindergarten nichts verloren haben --- kaum medien- pa¨ dagogischen Projekten ko¨ nnen hier eine effiziente pa¨ dagogische Konzepte entwickelt und realisiert. Medienerziehung der Kinder und eine medienpa¨ d- Erst in den letzten Jahren wurde die Notwendigkeit agogische Qualifizierung der Eltern erreicht werden. erkannt, bereits im Kindergarten mit medienpa¨ dago- Der Bedarf nach medienpa¨ dagogischen Modellen im gischer Arbeit zu beginnen, was z.B. in einem Be- Kindergartenbereich ist groß. Es ist aber noch viel schluß der Jugendministerkonferenz im Jahre 1997 U¨ berzeugungsarbeit zu leisten, um Medienpa¨ dago- ihren Ausdruck fand. Entsprechend wurde damit be- gik auf einer breiteren Basis in den Kinderga¨ rten zu gonnen, Medienpa¨ dagogik in die Ausbildung von Er- verankern. zieherinnen und Erziehern an den Fachakademien aufzunehmen. Dort mangelt es jedoch an entspre- Die medienpa¨ dagogische Aus- und Fortbildung der chend qualifizierten Dozentinnen und Dozenten. Erzieherinnen und Erzieher muß erheblich ausge- Durchgefu¨ hrt wurde inzwischen auch eine Reihe an baut werden. Auch die Ausstattung der Kinderga¨ rten Modellprojekten zur Entwicklung und Umsetzung mit Medien la¨ ßt noch viele Wu¨ nsche offen. medienpa¨ dagogischer Konzepte im Kindergarten.61)

Allerdings haben viele Erzieherinnen und Erzieher, c) Schule die schon lange in der Praxis stehen, noch ein distan- Der Schule kommt eine bedeutsame Rolle bei der ziertes Verha¨ ltnis zur Medienpa¨ dagogik und eine be- Vermittlung von Medienkompetenz zu. Sie hat die wahrpa¨ dagogische Einstellung, was verhindert, daß Aufgabe, Kinder und Jugendliche fu¨ r ihr Leben zu sie die Medien zum Thema im Kindergarten machen. qualifizieren, wozu heute der kompetente Umgang mit Medien geho¨ rt. Der Schule kommt hierbei auch Selbstversta¨ ndlich mu¨ ssen im Kindergarten einfache, deshalb eine wesentliche Rolle zu, weil sie alle Her- den Kindern angemessene Formen medienpa¨ dagogi- anwachsenden erreicht, denn die Schule muß jede schen Handelns gefunden werden. Wichtig ist hier und jeder durchlaufen. ein spielerisches Herangehen an das Thema und die Beru¨ cksichtigung der Tatsache, daß Kinder --- vor al- Die Schule ist dieser Aufgabe bisher nur unzurei- lem bezogen auf ihre bevorzugten Medien wie z.B. chend gerecht geworden. Zwar hat sie Medien schon Zeichentrickserien im Fernsehen --- in manchen Be- immer in ihr unterrichtliches Handeln einbezogen, reichen schon ,Experten’ sind. aber fast ausschließlich als didaktische Mittel der Wissensvermittlung. Die Medien als Thema des Un- terrichts blieben die Ausnahme und beschra¨ nkten Ein Beispiel dafu¨ r, Fernsehen kindgerecht transpa- sich meist auf die sprachliche Analyse von Texten. rent zu machen, ist das Modellprojekt ,Kinder krie- Medienpa¨ dagogik in der Schule war und ist vorwie- chen durch die Ro¨ hre’, das die Medienstelle Augs- gend Unterrichtstechnologie. burg in einem Kindergarten durchgefu¨ hrt hat.62) Nach einigen ,Theater-Spielen’ in einem leeren Fern- Erst mit der versta¨ rkten o¨ ffentlichen Diskussion um sehrahmen (zerlegtes Fernsehgeha¨ use) war in einem mehr Medienpa¨ dagogik in der Schule haben me- funktionierenden Fernseher plo¨ tzlich ein Teil der dienpa¨ dagogische Ziele und Maßnahmen Eingang in Kinder auf dem Bildschirm zu sehen, die nicht im die Lehrpla¨ ne gefunden, dort allerdings, wie eine Raum waren. Die Kinder gingen der Frage nach, wo- Lehrplananalyse ergab, lediglich als ,wichtige her die Bilder kommen und verfolgten das Kabel bis Nebensache’63). Beschlu¨ sse zur Medienpa¨ dagogik zur Kamera, die im Zimmer nebenan stand und die wurden auf ho¨ chsten Ebenen gefaßt. Im Orientie- das Spiel der dort agierenden Kinder aufzeichnete rungsrahmen der Bund-La¨ nder-Kommission fu¨ r Bil- und u¨ bertrug. Mit mehreren Einheiten, in denen dungsplanung und Forschungsfo¨ rderung wurde Daumenkinos gezeichnet und hergestellt, Kratzfilme 1994 mehr Medienerziehung in der Schule gefor- produziert und Tricks mit der Kamera vorgestellt dert.64) Die Kultusministerkonferenz hat 1995 betont, wurden und selbst erprobt werden konnten, lernten daß „Medienpa¨ dagogik die Schu¨ lerinnen und Schu¨ - die Kinder eine Menge u¨ ber Entstehung von Fern- ler zu einem sachgerechten, selbstbestimmten und sehsendungen und die Gestaltungsprinzipien des sozial verantwortlichen Umgang mit den Medien be- Films. Vieles haben die Kinder danach in den ,ech- fa¨ higen muß“.65) Einige Kultusministerien haben ei- ten’ Fernsehsendungen wiedererkannt. gene Rahmenpla¨ ne fu¨ r Medienerziehung herausge-

Eine wichtige medienpa¨ dagogische Aufgabe der Kinderga¨ rten ist die Elternbildung. Eltern von Kin- dergartenkindern sind in der Regel noch gut erreich-

61) Vgl. exemplarisch: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.)(1994). Handbuch Me- dienerziehung im Kindergarten. Teil 1: Pa¨ dagogische Grundlagen. Teil 2: Praktische Handreichungen. Opladen Neuß, N., Pohl, M., Zipf, J. (1997). Erlebnisland Fernsehen. 63) Eschenauer, B. (1989). Medienpa¨ dagogik in den Lehrpla¨ - Medienerlebnisse im Kindergarten aufgreifen, gestalten, nen. Eine Inhaltsanalyse zu den Curricula der allgemeinbil- reflektieren. Mu¨ nchen denden Schulen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. 62) Medienstelle Augsburg des Institut Jugend Film Fernse- Gu¨ tersloh hen, Jugendamt Augsburg (Hrsg.) (1993). Kinder kriechen 64) Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsfo¨ rde- durch die Ro¨ hre. Erfahrungen und Anregungen aus einem rung, Heft 44, Bonn 1995 Medienprojekt im Kindergarten. Augsburg 65) Erkla¨ rung der Kultusministerkonferenz vom 12. Mai 1995

42 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 geben.66) Medienpa¨ dagogen haben Konzepte fu¨ r daß Lehrerinnen und Lehrer verunsichert sind, eine schulische Medienerziehung ausgearbeitet und weil ihre Schu¨ lerinnen und Schu¨ ler die Medien vorgelegt67) und innovative Modelle erprobt, z.B. ein wesentlich versierter handhaben als sie selbst. Konzept zur Medienerziehung in Grundschulen, das Fu¨ r die mangelhafte Situation medienpa¨ dagogischer in Leipziger Grundschulklassen erfolgreich durchge- Aktivita¨ ten an Schulen spielt auch die Wertigkeit der fu¨ hrt, inzwischen aber wegen mangelnder Finanzie- Massenmedien bei den Mitgliedern von Lehrplan- rung eingestellt werden mußte.68) kommissionen, der Bildungsverwaltung in Ministe- All diese Bemu¨ hungen haben in der schulischen Pra- rien und Beho¨ rden eine wesentliche Rolle. Solange xis noch wenig Erfolg gezeitigt. dort der literarische Text, die Lesefo¨ rderung und -er- ziehung der Maßstab allen Handelns bleiben, wer- Die Tatsache, daß Medienpa¨ dagogik in der Schule den die audiovisuellen Medien und die Mediennetze 69 wenig verbreitet ist ), hat viele Ursachen. Wesentli- kaum nennenswert in den Blickwinkel der Schule che Gru¨ nde hierfu¨ r sind: gelangen. --- Die strukturellen Gegebenheiten der Schule ste- Was derzeit in Bezug auf Multimedia und Medien- hen wesentlichen Bedingungen zur Entwicklung netze in Schulen geschieht, ist unzureichend. Mit von Medienkompetenz entgegen, z. B. durch den Aktionen wie „Schulen ans Netz“ oder anderen Pro- Stundentakt (im Stundenrhythmus ist beispiels- grammen der technischen Ausstattung von Schulen weise keine aktive Medienarbeit mo¨ glich), durch werden zwar medientechnische Voraussetzungen die starke Orientierung an kognitiven Lernprozes- zum Umgang mit Medien geschaffen, die u¨ brigen sen (Medienhandeln dagegen hat hohe emotio- Voraussetzungen aber meist außer Betracht gelassen. nale Anteile), durch den Zwang zur Leistungsbe- wertung (Medienhandeln erfordert subjekte Der Bedarf an Medienpa¨ dagogik in der Schule ist Wertungen und keine Zensuren), durch u¨ berfrach- groß. Um dort kommunikative Kompetenz und Me- tete Lehrpla¨ ne und eine Vielzahl an Unterrichts- dienkompetenz anregen und fo¨ rdern zu ko¨ nnen, prinzipien (Medienpa¨ dagogik gilt meist als ein mu¨ ssen noch viele Voraussetzungen geschaffen wer- Unterrichtsprinzip neben Verkehrserziehung, Ge- den, u. a.: Die Medienausstattung aller Schulen muß sundheitserziehung u. a.); verbessert werden. Die Schule muß sich in ihren Strukturen o¨ ffnen und projektorientierte, nicht zen- --- Die Schu¨ ler, die ihre Mediennutzung und ihr Me- sierte Formen des Lernens mit und u¨ ber Medien er- dienhandeln als Privatangelegenheit begreifen, mo¨ glichen, die auch die notwendigen emotionalen wehren sich emotional dagegen, daß diese Privat- Bezu¨ ge der Kinder und Jugendlichen im Umgang sache zum Unterrichtsgegenstand gemacht wird mit Medien zum Tragen kommen lassen. Die Lehre- und sind deshalb wenig motiviert fu¨ r eine analyti- rinnen und Lehrer sowie die Bildungsverantwortli- sche Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Han- chen in Ministerien und Verwaltungen mu¨ ssen ihre deln; traditionellen Orientierungen an ,hoher Kultur’ auf- --- Die Lehrerschaft hat u¨ berwiegend eine kritische geben und die Medienkultur der Heranwachsenden Distanz und eine bewahrpa¨ dagogische Haltung in den Blick nehmen. Die medienpa¨ dagogische Aus- gegenu¨ ber Massenmedien, die ihnen immer noch und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer muß als minderwertig gelten. Vor allem Lehrerinnen erheblich verbessert werden. Modelle der Medien- und Lehrer weiterfu¨ hrender Schulen haben den pa¨ dagogik in der Schule mu¨ ssen entwickelt und er- Massenmedien gegenu¨ ber eine distanzierte Hal- probt werden. tung. Die medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer ist nach wie vor mangel- d) Jugendarbeit haft, Mo¨ glichkeiten der Aus- und Weiterbildung sind nur unzureichend vorhanden. Hinzu kommt, Die außerschulische Jugendarbeit (verbandliche und offene Jugendarbeit, Jugendarbeit von Gemeinden 66) Vgl. exemplarisch das ,Gesamtkonzept Gemeinschaftsauf- und freien Tra¨ gern der Jugendhilfe u. a¨ .) erreicht gabe Medienerziehung in Bayern’, das vom Bayerischen zwar nicht alle Kinder und Jugendliche wie die Schu- Staatsministerium fu¨ r Unterricht, Kultus, Wissenschaft und le, bietet aber die besten Voraussetzungen fu¨ r die Kunst 1996 in der Reihe ,Medienzeit’ vero¨ ffentlicht wurde. Fo¨ rderung und Entwicklung von kommunikativer 67) Vgl. exemplarisch: Aufenanger, S. (1992). Verantwortung und Gerechtigkeit Kompetenz und Medienkompetenz. Sie richtet sich gegenu¨ ber Neuen Medien. Gedanken und Vorschla¨ ge fu¨ r gema¨ ß Jugendhilfegesetz an Kinder, Jugendliche die Umsetzung in schulischen Unterricht. In: Schma¨ lzle, und junge Erwachsene bis zum 26. Lebensjahr, d.h. U.F. (Hrsg.). Neue Medien --- mehr Verantwortung!. Bonn sie kann Heranwachsende u¨ ber einen langen Zeit- Tulodziecki, G. (1992). Medienerziehung als fa¨ cheru¨ berg- raum hinweg mit differenzierten altersspezifischen reifende und integrative Augabe. In: Bertelsmann Stiftung (medien)pa¨ dagogischen Angeboten begleiten. Ju- (Hrsg.)(1992). Medienkompetenz als Herausforderung an gendarbeit zielt mit ihren konzeptionellen Vorstel- Schule und Bildung, Gu¨ tersloh Tulodziecki, G. (1993). Medienerziehung in der Schule --- lungen auf Mu¨ ndigkeit und Emanzipation der Her- Zielsetzungen, Strategien, Methoden. In: Bertelsmann Stif- anwachsenden, worauf Medienpa¨ dagogik mit ihren tung (Hrsg.) (1993). Medien als Bildungsaufgabe in Ost Zielsetzungen kommunikative Kompetenz und Me- und West. Gu¨ tersloh dienkompetenz hervorragend aufbauen kann. Ju- 68 ) Vgl. Jacob, B. (1998). Medienerziehung in der Grundschu- gendarbeit unterliegt außerdem keinen methodi- le. Ein Projekt. In: medien + erziehung 1/1998, S. 51---55 69) Zur Diskussion um „Medienpa¨ dagogik in der Schule. Fikti- schen und didaktischen Zwa¨ ngen und muß ihre on oder Realita¨ t?“ siehe medien + erziehung 5/1997 (Heftt- Angebote, deren Nutzung durch die Heranwachsen- hema) den auf absoluter Freiwilligkeit beruht, so attraktiv

43 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode gestalten, daß sie auch angenommen werden. Me- viel Spaß hatten Kinder und Jugendliche bei der Pro- dienpa¨ dgogik in der Jugendarbeit kann attraktive duktion einer CD-ROM mit Bildern und Steckbriefen Ra¨ ume zur Verfu¨ gung stellen, in denen sich Kinder ihrer Stars und Helden und mit Kommentaren, die sie und Jugendliche aktiv mit Medien auseinanderset- selbst, aber auch andere Kinder und Jugendliche ver- zen. Das sind zum einen Ra¨ ume im wo¨ rtlichen Sinne, faßten und damit in intensive Diskussionen u¨ ber also Orte, an denen sich Heranwachsende treffen Starkult u. a¨ . gelangten.73) ko¨ nnen. Das sind zum anderen Ra¨ ume im u¨ bertrage- nen Sinne, also Erfahrungsra¨ ume, die einiger Vor- In diesen und a¨ hnlichen medienpa¨ dagogischen Pro- aussetzungen bedu¨ rfen: konzeptionelle U¨ berlegun- jekten zeigt sich auch immer wieder, daß hier neben gen, wie Kinder und Jugendliche motiviert werden vielen verbandlich organisierten Jugendlichen auch ko¨ nnen; Mediengera¨ te, also eine technische Ausstat- solche erreicht werden, die mit Medien arbeiten tung, die den Bedu¨ rfnissen einer fundierten Ausein- mo¨ chten, sich aber nicht in Verba¨ nden organisieren andersetzung mit Medien entsprechen und mit de- wollen. Außerdem ko¨ nnen hier auch junge Leute, die nen sich Medienproduktionen erstellen lassen, die als problematisch gelten, u¨ ber Streetwork an ihren den Vorstellungen der Heranwachsenden zumindest Treffpunkten oder u¨ ber Freizeitheime erreicht und nahe kommen; eine pa¨ dagogisch-fachliche Betreu- integriert werden. ung, die Gruppenprozesse ebenso anregen und fo¨ r- dern kann wie inhaltliche Auseinandersetzungen mit Positiv auf die Quantita¨ t und Qualita¨ t medienpa¨ d- thematischen Aspekten der Lebenswelt, die aber agogischer Maßnahmen in der Jugendarbeit hat sich auch medienspezifische Hilfestellungen zur Handha- die Existenz von Medienzentren oder anderer me- bung von Medien und zur Gestaltung von Medien- dienpa¨ dagogischer Einrichtungen ausgewirkt. Das produktionen geben kann. Beratungs- und Fortbildungsangebot dieser Einrich- tungen, die Bereitstellung von Medientechnik und Als wesentliche Methode einer handlungsorientier- viele Projektinitiativen wirken sich hier sehr positiv ten Medienpa¨ dagogik in der Jugendarbeit hat sich aus. die aktive Medienarbeit erwiesen70). Die bisherigen Erfahrungen mit aktiver Medienarbeit Trotz dieser positiven Erfahrungen ist festzustellen, zeigen, daß Kinder und Jugendliche sehr engagiert daß auch in der Jugendarbeit Medienpa¨ dagogik nur und mit hohem zeitlichen Aufwand bereit sind, sich in bescheidenem Umfang verankert ist. Dies liegt vor intensiv mit Medien bzw. mit ihrer Lebenswelt mit allem an der mangelnden Ausstattung mit sinnvoller Hilfe von Medien zu befassen, vorausgesetzt, man Medientechnik, und --- wie in der Schule auch --- an stellt ihnen hierzu die genannten ,Ra¨ ume’ zur Verfu¨ - der unzureichenden Qualifikation der Multiplikato- gung. Ein Beispiel hierfu¨ r ist das vom Bayerischen rinnen und Multiplikatoren. In der Ausbildung vieler Jugendring und dem Institut Jugend Film Fernsehen Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen ist Medien- durchgefu¨ hrte Jugendfilmfest (JuFinale), das sich mit pa¨ dagogik nicht integriert. Viele Gruppenleiterinnen Ausschreibung, Produktionsphasen und regionalen und -leiter sind ehrenamtlich und haben nie eine Ausscheidungswettbewerben jeweils u¨ ber zwei Jah- pa¨ dagogische Ausbildung genossen. re erstreckt. Im Rahmen der JuFinale 1997/98 sind u¨ ber 250 Filmproduktionen --- Spielfilme ebenso wie Die Mo¨ glichkeiten und Chancen von Medienpa¨ d- Dokumentationen und Experimente --- entstanden, agogik in der Jugendarbeit sind groß. Um kommuni- die Gruppen von Kindern und Jugendlichen oft u¨ ber kative Kompetenz und Medienkompetenz bei mo¨ g- Wochen und Monate hinweg in mu¨ hevoller Kleinar- lichst vielen Kindern und Jugendlichen zu fo¨ rdern, beit produziert haben, von Stimmungen und Ereig- mu¨ ssen allerdings noch einige Voraussetzungen nissen ihrer Nahwelt bis hin zu allgemeinen gesell- geschaffen werden. Notwendig ist eine technische schaftlichen und politischen Entwicklungen.71) Dort, Ausstattung vieler Einrichtungen, wobei gro¨ ßere wo Jugendlichen die Mo¨ glichkeit gegeben wird, ei- Mediensysteme wie digitale Video- und Audio- gene Fernsehbeitra¨ ge zu erstellen oder Radiosen- schnittpla¨ tze, Großbildprojektoren in zentralen Ein- dungen zu bauen, tun sie dies --- die vorhandenen richtungen wie Medienzentren zum Beispiel fu¨ r meh- ,Ra¨ ume’ wiederum vorausgesetzt --- mit Kompetenz rere Einrichtungen zur Verfu¨ gung gestellt werden und Arbeitseifer und, was fu¨ r Lernprozesse minde- ko¨ nnen. Notwendig sind aber vor allem Aus- und stens ebenso wichtig ist, mit viel Spaß.72) Genauso Fortbildungsmo¨ glichkeiten fu¨ r Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Jugendarbeit. Zur Qualifi- 70) Vgl. hierzu exemplarisch: zierung geho¨ rt auch die Durchfu¨ hrung von Medien- Niesyto, H. (1991). Erfahrungsproduktion mit Medien. projekten, die u¨ ber einen begrenzten Zeitraum hin- Selbstbilder, Darstellungsformen, Gruppenprozesse. Wein- weg von erfahrenen Medienpa¨ dagogen begleitet heim und Mu¨ nchen werden. Schell, F. (1993) (2). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Mu¨ nchen 71) Vgl. die Dokumentationen der Bayerischen Jugendfilmfe- 73) Vgl. Hedrich, A., Stolzenburg, E. (1998). Mit der Maushand ste, die regelma¨ ßig vom Bayerischen Jugendring und dem via Multimedia. Die CD-ROM „Stars und Helden“. In: me- Institut Jugend Film Fernsehen erstellt werden. dien + erziehung 2/1998 (in Vorbereitung) 72) Vgl. exemplarisch fu¨ r Fernsehen von Jugendlichen: Zu weiteren Multimedia-Aktivita¨ ten in der Jugendarbeit Anfang, G. (1997). Jugendfilmfo¨ rderung kann nicht alles vgl. Schell, F., Schorb, B., Palme, H.-J. (Hrsg.) (1995). Ju- sein. Fragen an zwei Projekte des Institut Jugend Film gend auf der Datenautobahn. Sozial-, gesellschafts- und Fernsehen. In: medien + erziehung 3/1997, S. 155ff. bildungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ nchen; fu¨ r Radio: Palme, H.-J., Hedrich, A., Anfang, G. (Hrsg.) (1997). Haupt- Palme, H.-J., Schell, F. (Hrsg.) (1998). Voll auf die Ohren 2. sache: Interaktiv. Ein Fall fu¨ r die Medienpa¨ dagogik. Mu¨ n- Kinder und Jugendliche machen Radio. Mu¨ nchen chen

44 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 e) Medien gleitband „Das große Flimmern“ zur Reihe „Tele- Rita“ einen „ZDF-Katalog fu¨ r Unterricht und Me- Die Medien sind per se ein Lernfeld fu¨ r Kinder und dienarbeit“ erstellt, der fu¨ r den Unterricht an Schu- Jugendliche. Heranwachsende nutzen Medien sehr len und anderen Bildungsinstituten herangezogen intensiv und suchen in den Medien neben Spaß und werden kann. Zudem ist in diesem Zusammenhang Unterhaltung auch nach Orientierungen. Medien auf die „ARD/ZDF-Medienbox“ mit Materialien zur sind somit allta¨ gliche ,heimliche’ Erzieher im Sinne Medienkunde hinzuweisen. nicht-intendierter Lernprozesse. Diese Tatsache er- fordert von den Medien viel Verantwortungsbewußt- sein. So mu¨ ßten z.B. Fernsehsender ihr Programm zu Auch der Su¨ dwestfunk stellt eine umfangreiche Pa- den u¨ blichen Sehzeiten von Kindern und Jugendli- lette medienpa¨ dagogischer Angebote zur Verfu¨ gung. chen, und das ist fru¨ hmorgens bis abends ca. Unter anderem wurde von September bis Dezember 21.00 Uhr an Werktagen, am Wochenende noch viel 1997 eine neue zwo¨ lfteilige Reihe „Medienerzie- la¨ nger, so gestalten, daß Kinder und Jugendliche kei- hung“ im Schulfernsehen gesendet. Eine CD-ROM nen Schaden nehmen. Daß viele Medien dieser Ver- „Medienpa¨ dagogik“ war in einer Auflagenho¨ he von antwortung nur unzureichend gerecht werden, ist 10000 Exemplaren innerhalb von drei Monaten ver- ta¨ glich und vielerorts zu beobachten. griffen. Schließlich produziert der SWF gemeinsam mit der Landesanstalt fu¨ r Kommunikation in Baden- Allerdings hat sich das Angebot fu¨ r Kinder durch die Wu¨ rttemberg eine 10teilige medien- und sozialkund- Neukonzeption von Sendern wie „Nickelodeon“ und liche Sendereihe „Krabbeln, Laufen --- Internet“, die Super RTL, die fu¨ r den kommerziellen Sektor stehen, im September 1998 fertiggestellt und ab Oktober und dem von ARD und ZDF gemeinsam getragenen 1998 in 3sat und SWR ausgestrahlt wird. „Kinderkanal“ doch in erheblichem Maße verbessert. Diese ganz auf Kinder konzentrierten Sender haben auch den positiven Nebeneffekt, daß Kinder sich da- Medien ko¨ nnen auch medienpa¨ dagogische Aktivita¨ - durch ernstgenommen fu¨ hlen. ten mit ihren Mitteln unterstu¨ tzen und fo¨ rdern. Der bundesweite Video-Wettbewerb ,Drugs suck --- Film- Medien ko¨ nnen aber auch intentional zur Fo¨ rderung regie statt ecstasy’75), mit dem Jugendliche angeregt kommunikativer Kompetenz beitragen, indem sie ihr wurden, u¨ ber Genuß, Sucht und Drogen nachzuden- Kinderprogramm mit pa¨ dagogisch fundierten und ken und ihr eigenes Verhalten zu reflektieren sowie anspruchsvollen Sendungen gestalten, die Kindern durch die Medienproduktion Medienkompetenz zu Anregungen und Informationen zur kritisch-reflexi- erwerben, wurde vom Institut Jugend Film Fernse- ven Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt ge- hen organisatorisch und medienpa¨ dagogisch betreut, ben. Voraussetzung ist allerdings, daß Aktivita¨ ten von der Bundeszentrale fu¨ r gesundheitliche Aufka¨ - dieser Art nicht mit dem pa¨ dagogischen Zeigefinger rung fachlich und finanziell unterstu¨ tzt und von drohen, also nicht belehrend wirken, da sie sonst von RTL2 publizistisch verbreitet und durch die Finanzie- der Zielgruppe Kinder nicht angenommen werden.74) rung von Workshops in mehreren Sta¨ dten der Bun- desrepublik gefo¨ rdert. Fu¨ r solche Aktivita¨ ten gibt es durchaus gute Bei- spiele. Die Medien sind ein herausragendes medienpa¨ dago- Eine explizit medienpa¨ dagogische Sendereihe und gisches Handlungsfeld, weil sie sowohl Kinder und damit ein Beitrag zur Fo¨ rderung von Medienkompe- Jugendliche, aber auch deren Eltern erreichen. Sie tenz war ,Bony und Anja’ in Kabel 1. In zehn etwa 5 ko¨ nnen sozusagen Thema und Transmissionsriemen bis 10minu¨ tigen Sendungen, die u¨ ber mehrere Wo- von Medienpa¨ dagogik sein. chen hinweg ausgestrahlt wurden, wurde das Me- dienverhalten und -handeln von Kindern thematisiert und kritisch hinterfragt. Die Sendungen richteten Leider sieht die Realita¨ t der Medien weitgehend an- sich an Kinder, konnten aber auch Eltern viele Infor- ders aus. Das Schielen nach Einschaltquoten oder ho- mationen u¨ ber die Medienrezeption von Kindern ge- he Verkaufszahlen zur Sicherung des wirtschaftli- ben. Die Sendungen, die aus Mitteln der Film- und chen Erfolges rangieren weit vor U¨ berlegungen Fernsehfo¨ rderung finanziert wurden, waren aufwen- pa¨ dagogischer, ethischer und moralischer Art. dig und entsprechend teuer. Fu¨ r eine einmalige Aus- strahlung zu einer Sendezeit (montags morgens nach 8.00 Uhr), zu der nur wenige Kinder und Eltern er- Gefordert ist mehr Verantwortungsbewußtsein der reichbar sind, ist die Frage nach der Relation von Medien gegenu¨ ber Kindern und Jugendlichen in der Aufwand und Ertrag durchaus angebracht. Gestaltung und im Vertrieb ihrer Produkte. Die Me- dien, die von ihrer Nutzung durch Kinder und Ju- Im ZDF gibt es derzeit zwar keine spezifisch medien- gendliche nicht unerheblich profitieren, stehen auch pa¨ dagogisches Programmangebote, jedoch hat die in der Pflicht, zur Fo¨ rderung von kommunikativer medienpa¨ dagogische ZDF-Reihe „Tele-Rita“ erst im Kompetenz und Medienkompetenz durch eigene Dezember 1997 geendet, nachdem sie rund zwei Jah- medienpa¨ dagogische Maßnahmen und durch die re lang alle vierzehn Tage in 43 Folgen gesendet wur- Unterstu¨ tzung von Medienpa¨ dagogik einen Beitrag de. Daru¨ ber hinaus hat der Sender neben dem Be- zu leisten.

74) Empfehlungen fu¨ r die Gestaltung von Kinderprogramm fin- 75) Vgl. Mikat, C. (1997). Drugs suck --- Filmregie statt ecstasy. den sich in: Theunert, H., Schorb, B. (1995). „Wir gucken Aktive Medienarbeit und Suchtpra¨ vention --- ein Video- besser fern als ihr!“ Fernsehen fu¨ r Kinder. Mu¨ nchen wettbewerb. In: tv diskurs 3/1997, S. 82f.

45 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

4.4 Empfehlungen fu¨ r medienpa¨dagogische Empfehlungen fu¨ r den Bereich Schule Maßnahmen Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Lehrerin- Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Me- nen und Lehrer durch die verbindliche Aufnahme dien, der beschriebenen Medienentwicklung und von Medienpa¨ dagogik in die Hochschul-Ausbil- der derzeitigen Situation der Medienpa¨ dagogik in dung inklusive der Pru¨ fungsordnungen fu¨ r das den dargestellten Feldern lassen sich folgende Not- Staatsexamen. Einrichtung entsprechender Lehr- wendigkeiten fu¨ r medienpa¨ dagogische Maßnahmen angebote fu¨ r Medienpa¨ dagogik. Permanente Wei- ableiten, die zugleich als Empfehlungen gegeben terbildung der Lehrerinnen und Lehrer entspre- werden: chend der neuesten Medienentwicklung. Vermittlung von wissenschaftlichen medienpa¨ d- agogischen Erkenntnissen und Durchfu¨ hrung praktischer medienpa¨ dagogischer Modelle in der Empfehlungen fu¨ r die Unterstu¨ tzung der Eltern Aus- und Weiterbildung; Einrichtung medienpa¨ d- agogischer Praktika wa¨ hrend des Studiums. Angebote fu¨ r Eltern zur medienpa¨ dagogischen Qualifizierung und zur permanenten Weiterbil- Aufnahme verbindlicher medienpa¨ dagogischer dung entsprechend der neuesten Medienentwick- Projekte in die Lehrpla¨ ne aller Schulstufen. lung bereitstellen: Elternabende in Kinderga¨ rten, -horten, Grundschulen und Sekundarstufe I, Um aktive medienpa¨ dagogische Methoden an- Volkshochschulen, kirchlichen Bildungseinrich- wenden zu ko¨ nnen, sollte projektorientiertes Ler- tungen, speziellen Fachinstitutionen usw. nen eingesetzt werden. Entwicklung einfacher und versta¨ ndlicher Mate- Bei medienpa¨ dagogischen Projekten sollten keine rialen zur Darstellung und Erkla¨ rung von techni- Benotungen erfolgen. schen und inhaltlichen Medienentwicklungen mit Entwicklung medienpa¨ dagogischer Modelle und konkreten Hinweisen, wo Problembereiche fu¨ r Unterrichtsmaterialien fu¨ r die verschiedenen Al- Heranwachsende auftreten ko¨ nnen. tersstufen. Entwicklung schriftlicher und audiovisueller me- Ausstattung der Schulen mit der erforderlichen dienpa¨ dagogischer Materialien zum Versta¨ ndnis Medientechnik, insbesondere fu¨ r Formen aktiver des kindlichen Umgangs mit Medien. Medienarbeit. Entwicklung bzw. Verbreitung medienpa¨ dagogi- Zusammenarbeit mit Eltern bei medienpa¨ dagogi- scher Materialien, die Eltern Hilfestellung bei der schen Projekten. Auswahl von Medien (Computerspiele, Fernseh- angebote, etc.) geben ko¨ nnen. Anbieten von Elternabenden zu medienpa¨ dagogi- schen Fragestellungen. Entwicklung und Durchfu¨ hrung von medienpa¨ d- agogischen Projekten in Kinderga¨ rten und Schu- len, an denen Eltern beteiligt werden. Empfehlungen fu¨ r den Bereich Jugendarbeit Vorhandene Beratungsstellen sollten die Aufgabe u¨ bernehmen, Eltern in medienpa¨ dagogischen Fra- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der haupt- gen zur Seite zu stehen. amtlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (vor allem Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen) durch die verbindliche Aufnahme von Medien- pa¨ dagogik in die Ausbildung an der Hochschule. Empfehlungen fu¨ r den Bereich der Kinderga¨rten Einrichtung entsprechender Lehrangebote fu¨ r Me- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung der Erziehe- dienpa¨ dagogik. Permanente Weiterbildung der rinnen und Erzieher durch die verbindliche Auf- Sozialpa¨ dagoginnen und -pa¨ dagogen entspre- nahme von Medienpa¨ dagogik in die Ausbildung chend der neuesten Medienentwicklung. Vermitt- inklusive der Pru¨ fungsordnungen und durch per- lung von wissenschaftlichen medienpa¨ dagogi- manente Weiterbildung entsprechend der neue- schen Erkenntnissen und Durchfu¨ hrung sten Medienentwicklung; Vermittlung von theore- praktischer medienpa¨ dagogischer Modelle in der tischen medienpa¨ dagogischen Erkenntnissen und Aus- und Weiterbildung. modellhafte Durchfu¨ hrung praktischer medien- Medienpa¨ dagogische Qualifizierung und perma- pa¨ dagogischer Maßnahmen. nente Weiterbildung der ehrenamtlichen Multipli- Entwicklung altersspezifischer medienpa¨ dagogi- katorinnen und Multiplikatoren durch Angebote scher Modelle und Materialien. in medienpa¨ dagogischen Fachinstitutionen und sozialpa¨ dagogischen Fortbildungseinrichtungen. Ausstattung der Kinderga¨ rten mit der erforderli- chen Medientechnik. Entwicklung medienpa¨ dagogischer Modelle und Materialien. Zusammenarbeit mit Eltern bei medienpa¨ dagogi- schen Projekten. Ausstattung der Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendbildung mit der notwendigen Medien- Anbieten von Elternabenden zu medienpa¨ dagogi- technik, vor allem fu¨ r Formen aktiver Medienar- schen Fragestellungen. beit.

46 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Aufbau von Ereignissen und Anla¨ ssen medialer Finanzielle Ausstattung und personaler Kommunikation, z.B. Film-, Audio- Fu¨ r die genannten Maßnahmen mu¨ ssen entspre- und Multimediafestivals fu¨ r Eigenproduktionen, chende finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Un- virtuelle Freizeitsta¨ tten mit realen Mo¨ glichkeiten beru¨ hrt bleibt die gebotene Abwa¨ gung im Hinblick des Treffens u. a¨ . auf die Finanzierung konkurrierender Anliegen. Es Durchfu¨ hrung von medienpa¨ dagogischen Projek- ist dringend geboten, daß die massiven finanziellen ten, an denen auch Eltern beteiligt werden. Fo¨ rderungen der technischen und wirtschaftlichen Medienentwicklung mit der Fo¨ rderung pa¨ dagogisch vertretbarer Inhalte und der medienpa¨ dagogischen Forschung und Praxis Hand in Hand gehen. Die Ent- Bereichsu¨ bergreifende Empfehlungen: wicklung von wissenschaftlich fundierten pa¨ dagogi- schen Modellen zum Umgang mit den neuen Me- Um die angefu¨ hrten Maßnahmen fachlich fundiert dientechniken sollte im Verha¨ ltnis zur Entwicklung und sinnvoll angehen zu ko¨ nnen, bedarf es einiger der Medien einen ada¨ quaten Stellenwert erlangen. Voraussetzungen. Finanzierungsmodelle, die u¨ ber o¨ ffentliche Gelder hinausgehen (z.B. durch die Beteiligung von Sen- dern, Anbietern von Hard- und Software, u¨ ber Buß- Medienpa¨dagogische Forschung gelder, die wegen Jugendschutzverletzungen ver- Notwendig ist eine breite medienpa¨ dagogische Re- ha¨ ngt werden u.a¨ .), mu¨ ssen versta¨ rkt entwickelt zeptionsforschung, die Aufschluß gibt u¨ ber die viel- werden. fa¨ ltigen Fragestellungen zur Medien-Rezeption von Kindern und Jugendlichen, vor allem u¨ ber mo¨ gliche Problembereiche der Nutzung von Computersoft- Empfehlungen in Bezug auf die Medien: ware (insbesondere von Spielen), zur Nutzung des Die Verantwortung der Medien fu¨ r ihr eigenes Internet, zur Nutzung neuer Fernsehformen wie Handeln, insbesondere fu¨ r ihre Programme und Spartenkana¨ le oder digitale Programme, zur Nut- Angebote, sollte wieder mehr in den Vordergrund zung von Ho¨ rmedien und Printmedien usw. ru¨ cken. Die Politik muß hier neue Formen der Notwendig ist aber auch eine wissenschaftliche Be- Sanktionierung jenseits dirigistischer Reglemen- gleitforschung zu medienpa¨ dagogischen Modellpro- tierungen entwickeln. jekten in allen Feldern von Bildung und Erziehung. Die bestehenden Jugendschutzregelungen ko¨ n- Insbesondere wird die Schaffung von Stiftungspro- nen zwar im Sinne einer Weiterentwicklung modi- fessuren als Beispiel fu¨ r public private partnership fiziert, du¨ rfen aber in ihrer Substanz nicht aufge- angeregt. weicht werden. Technische Mo¨ glichkeiten des Jugendschutzes, den die digitalen Medien ermo¨ g- lichen, ko¨ nnen nur flankierende Hilfsmittel sein. Medienpa¨dagogische Facheinrichtungen Versuche, hieru¨ ber die Verantwortung fu¨ r den Kinder- und Jugendschutz auf die Eltern abzuwa¨ l- Notwendig ist die Einrichtung regionaler Fachinstitu- zen, mu¨ ssen zuru¨ ckgewiesen werden. tionen wie Medienzentren, Medienstellen o.a¨ ., die Formen medienpa¨ dagogischer Maßnahmen u¨ ber medienpa¨ dagogische Beratung und Qualifizierung die Medien selbst sollten entwickelt und erprobt (vor allem permanente Weiterbildung entsprechend werden. Dazu bedarf es des politischen Willens der neuesten Medienentwicklungen) von Multiplika- und Handelns. torinnen und Multiplikatoren (Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpa¨ d- Die genannten Empfehlungen sind nicht als ab- agoginnen und -pa¨ dagogen, ehrenamtliche Mitarbei- schließende Aufza¨ hlung zu begreifen. Sie benennen terinnen und Mitarbeiter der Jugendarbeit) leisten lediglich wesentliche Mo¨ glichkeiten und Notwendig- ko¨ nnen. Hier ko¨ nnen im Sinne von Synergieeffekten keiten fu¨ r medienpa¨ dagogisches Handeln, die sich auch teure und vor Ort nicht sta¨ ndig gebrauchte aus der Analyse der Situation, aus den bisherigen Er- Technik (digitale Schnittpla¨ tze fu¨ r Video und Audio, fahrungen in der medienpa¨ dagogischen Forschung Multimediastudio, Video- und Datenbeamer, Leihge- und Praxis in der Bundesrepublik und auf dem Stand ra¨ te fu¨ r die aktive Medienarbeit usw.) und eine ent- der derzeitigen Medienentwicklung ableiten lassen. sprechende personelle Fachbetreuung bereitgestellt Der weiteren Entwicklung der neuen Medien ist in werden. Dabei sollten flexible Kooperationsmodelle der Zukunft auch durch eine entsprechende Ausge- insbesondere mit den Landesmedienanstalten, den staltung des Jugendmedienschutzes und des me- Fernsehanbietern und den Providern entwickelt und dienpa¨ dagogischen Forschens und Handelns Rech- praktiziert werden. nung zu tragen.

47 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Dokumentation

Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf nationaler Ebene und internationaler Regelungsbedarf

I. Grundlagen des Jugendmedienschutzes auf nationaler Ebene

Das deutsche Jugendschutzrecht ist gekennzeichnet anderen grundrechtlich geschu¨ tzten Rechtsgu¨ tern durch eine Vielzahl geltender Rechtsvorschriften. geraten, muß vielmehr abgewogen und versucht Schon verfassungsrechtlich sind neben der Aufga- werden, allen betroffenen Rechtsgu¨ tern gerecht zu benverteilung auf Bund und La¨ nder der Schutzbe- werden. Im Hinblick auf den Jugendschutz ist dies reich des sensiblen Grundrechts auf Meinungs-, In- insbesondere fu¨ r dessen Verha¨ ltnis zur in Art. 5 formations- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Abs. 3 Satz 1 GG ohne einen Vorbehalt zugunsten GG, das nach Art. 5 Abs. 2 GG allerdings durch Ju- gesetzlicher Einschra¨ nkungen garantierten Kunst- gendschutzvorschriften begrenzt ist, zugleich auch freiheit von großer Bedeutung. Denn nach der Recht- Art. 1 Abs. 1 GG und das elterliche Erziehungsrecht sprechung des Bundesverfassungsgerichts schließen aus Art. 6 Abs. 1 S. 2 GG zu beachten. Daneben sind sich Pornographie und Kunst begrifflich nicht aus außer strafrechtlichen Normen unter anderem das und die Kunstfreiheit umfaßt auch die Wahl eines ju- Gesetz u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hrdender gendgefa¨ hrdenden Gegenstands. Ob in einem sol- Schriften und Medieninhalte (GjSM) und das Gesetz chen Fall der Jugendschutz oder die Kunstfreiheit zum Schutz der Jugend in der O¨ ffentlichkeit Vorrang haben, muß nach dieser Rechtsprechung je- (JO¨ SchG) sowie der Rundfunkstaatsvertrag und die weils durch eine Abwa¨ gung zwischen diesen Verfas- Rundfunk- und Mediengesetze der La¨ nder zu beach- sungsgu¨ tern festgestellt werden.79) ten.76) Hinzu kommen das Informations- und Kom- Neben diese grundrechtliche Gemengelage tritt eine munikationsdienstegesetz und der Mediendienste- „sachlich nicht nachvollziehbare Aufsplitterung der Staatsvertrag der La¨ nder, die am 1. August 1997 in gesetzgeberischen Zusta¨ ndigkeiten zwischen Bund Kraft getreten sind. und La¨ ndern“.80) Im Bereich des Jugendschutzes kann der Bundesgesetzgeber vor allem aufgrund sei- 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben ner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz fu¨ r das Strafrecht (Art. 74 Nr. 1 GG) und fu¨ r die o¨ ffentli- Ausgangspunkt aller rechtlichen U¨ berlegungen zum che Fu¨ rsorge (Art. 74 Nr. 7 GG) ta¨ tig werden, wa¨ h- Jugendmedienschutz muß die Verfassung sein. Diese rend das Rundfunkrecht in die ausschließliche Zu- fu¨ hrt den Jugendschutz in Art. 5 Abs. 2 GG aus- sta¨ ndigkeit der La¨ nder fa¨ llt. dru¨ cklich als Schranke der in Art. 5 Abs. 1 genannten Kommunikationsfreiheiten auf. Verfassungsrang ge- nießt der Jugendschutz nach der Rechtsprechung 2. Einfaches Jugendmedienschutzrecht des Bundesverfassungsgerichts jedoch vor allem auf- grund des in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbrieften elter- Der verfassungsrechtlichen Heterogenita¨ t entspricht lichen Erziehungsrechts, das grundsa¨ tzlich auch die auch die Vielfalt der einfachgesetzlichen Regelungen Befugnis umfaßt, die Lektu¨ re der Kinder zu bestim- im Bereich des Jugendmedienschutzes: men.77) Daneben ergibt sich der Verfassungsrang des Jugendschutzes auch aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Denn den Kindern und Jugend- 2.1 Kinder- und Jugendhilfegesetz lichen steht ein Recht auf freie Entfaltung der Perso¨ n- (Sozialgesetzbuch VIII) lichkeit im Sinne dieser Grundrechtsnormen zu. Um Das Kinder- und Jugendhilfegesetz entha¨ lt im Sozial- zu gewa¨ hrleisten, daß sie sich zu eigenverantwortli- gesetzbuch (SGB) VIII zahlreiche Regelungen, die ei- chen Perso¨ nlichkeiten innerhalb der sozialen Ge- nen vorbeugenden Jugendschutz ermo¨ glichen sol- meinschaft entwickeln, bedu¨ rfen sie auch des Schut- len. Jugendhilfe hat ausweislich § 1 Abs. 3 Nr. 3 78 zes und der Hilfe von Seiten des Staates. ) SGB VIII zum Ziel, „Kinder und Jugendliche vor Ge- Aus dem Verfassungsrang des Jugendschutzes kann fahren fu¨ r ihr Wohl (zu) schu¨ tzen.“ Dies soll nach jedoch nicht geschlossen werden, daß diesem stets § 14 SGB VIII unter anderem durch erzieherischen und u¨ berall Vorrang zu gewa¨ hren wa¨ re. Immer dann, Kinder- und Jugendschutz erreicht werden. Hierzu wenn Belange des Jugendschutzes in Konflikt mit sind jungen Menschen Angebote zu machen, die sie befa¨ higen sollen, sich vor gefa¨ hrdenden Einflu¨ ssen 76) Vgl. Herrmann. Rundfunkrecht. 1994 § 5, Rn. 51; § 23, Rn. 35ff. 79) Vgl. BVerfGE 83, 130 (147) 77) Vgl. BVerfGE 83, 130 (139f.) 80) Vgl. Schiwy und Schu¨ tz (Hrsg.): Medienrecht (s. v. Medien- 78) Vgl. BVerfGE 79, 51 (63) politik)

48 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 zu schu¨ tzen und die sie zur Kritikfa¨ higkeit, Entschei- sche Provider und Administratoren ist bundesdeut- dungsfa¨ higkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie sches Strafrecht dagegen nur dann anwendbar, wenn zur Verantwortung gegenu¨ ber ihren Mitmenschen dies nach den §§ 4 bis 7 StGB ausdru¨ cklich angeord- fu¨ hren. Weitere Maßnahmen sollen Erziehungsbe- net ist. Dies ist, sieht man von den Anwendungsfa¨ l- rechtigte „besser befa¨ higen, Kinder und Jugendliche len des § 7 StGB einmal ab, lediglich bei der Verbrei- vor gefa¨ hrdenden Einflu¨ ssen zu schu¨ tzen“. Ein Ge- tung und dem Zuga¨ nglichmachen sogenannter fa¨ hrdungspotential, mit dem Kinder und Jugendliche harter Pornographie nach § 184 Abs. 3 und 4 StGB nach dieser Bestimmung umzugehen lernen und vor der Fall --- oder eine von ihnen begangene Tat hat dem sie geschu¨ tzt werden sollen, sind zweifellos einen Inlandsbezug im Sinne von §§ 3,9 StGB. Letz- auch die mit dem Medienkonsum verbundenen Ge- teres ist der Fall, wenn die von der jeweiligen Straf- fahren.81) Im Hinblick auf die von offenen Computer- norm vorausgesetzte tatbestandliche Rechtsverlet- netzen ausgehenden Gefahren wird ein pra¨ ventiver zung im Inland eintritt oder nach der Vorstellung des Jugendschutz im Sinne von § 14 SGB VIII vor allem Ta¨ ters im Inland eintreten soll. Angesichts dessen im Versuch gesehen werden mu¨ ssen, Kinder und Ju- stellt sich das Problem, daß die §§ 130, 131 und 184 gendliche bzw. deren Erziehungsberechtigte mit StGB sowie § 21 GjSM Delikte sind, die keine tat- mehr Kompetenz im Umgang mit diesen Medien aus- sa¨ chliche Verletzung eines Rechtsguts voraussetzen. zustatten. Zum erzieherischen Jugendschutz geho¨ - Sie sind vielmehr Eignungs- bzw. abstrakte Gefa¨ hr- ren auch die Erziehung zum Verzicht, die Vermitt- dungsdelikte, stellen also die Schaffung einer Gefahr lung einer Wertehaltung, die die Abstinenz vom unter Strafe, die im konkreten Fall die tatsa¨ chliche Konsum scha¨ digender Inhalte als Tugend begreift.82) Bedrohung eines Rechtsguts nicht zur Folge haben muß. Ob das als Anknu¨ pfungspunkt fu¨ r die Anwend- barkeit bundesdeutschen Strafrechts auf im Ausland 2.2 Strafrecht begangene Straftaten ausreichen kann, ist umstrit- ten.85) Im Gegensatz zum vorbeugenden Ansatz des Kinder- und Jugendhilferechts stellen §§ 130, 131 und 184 La¨ ßt sich bei einer in offenen Computernetzen be- Strafgesetzbuch (StGB) Bestimmungen dar, die Ver- gangenen Straftat die Anwendung deutschen Straf- letzungen des Jugendmedienschutzes nachtra¨ glich rechts bejahen, stellt sich die weitere Frage, wer fu¨ r ahnden. Sie stellen es unter Strafe, bestimmte For- die Verbreitung oder das Zuga¨ nglichmachen einer men von Gewaltdarstellungen oder Pornographie Ju- inkriminierten Darstellung oder A¨ ußerung in welcher gendlichen unter 18 Jahren zuga¨ nglich zu machen. Form verantwortlich gemacht werden kann. Straf- Mit Bezug auf den Jugendschutz diskutiert werden rechtlich prima¨ r verantwortlich ist der Content-Provi- zudem die §§ 86 und 86a StGB u¨ ber die Verbreitung der, also der Urheber oder Anbieter der pornographi- und Verwendung von Propagandamitteln und Kenn- schen oder gewaltverherrlichenden Darstellung. Die zeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Haftbarmachung der Urheber sto¨ ßt jedoch aufgrund Tatbestand der §§ 130, 131 und 184 StGB ist in der der Globalita¨ t offener Datennetze auf Schwierigkei- Regel auch erfu¨ llt, wenn die verbotenen Darstellun- ten bei der praktischen Durchsetzung. Denn die Um- gen in offenen Computernetzen verbreitet werden.83) sta¨ ndlichkeit und die Langsamkeit der Verfahren der Die mit dem Informations- und Kommunikations- internationalen Rechtshilfe lassen Versuche, auf aus- dienstegesetz (IuKDG) vorgenommene Ausweitung la¨ ndische Urheber und Anbieter von nach deutschem des Schriftenbegriffs (§ 11 Abs. 3 StGB) auf Daten- Recht strafbaren Inhalten zuzugreifen, nicht selten speicher hat Zweifel an der Anwendbarkeit dieser von vornherein scheitern. Zudem ist es aufgrund der Bestimmungen ausgera¨ umt. Gleiches gilt fu¨ r die An- großen Mobilita¨ t strafbarer Inhalte in offenen Daten- wendbarkeit von § 86 StGB, der nach Art. 4 Ziffer 3 netzen oft fraglich, ob der Zugriff auf den Urheber des IuKDG jetzt auch das Zuga¨ nglichmachen von oder Anbieter eines strafbaren Angebots dieses auch Propagandamitteln verfassungswidriger Organisatio- verhindert. nen unter Strafe stellt. Das hat dazu gefu¨ hrt, daß in Deutschland bislang Problematisch ist die Anwendbarkeit der Bestim- versucht wurde, Service-Provider in die strafrechtli- mungen des StGB auf im Ausland begangene Straf- che Haftung zu nehmen. Ob und inwieweit dies auf taten. Zwar unterliegen im Inland ta¨ tige Internet- der Grundlage des vor Inkrafttreten des IuKDG gel- Provider und Usenet-Administratoren dem bundes- tenden Rechts mo¨ glich war, blieb umstritten. deutschen Strafrecht grundsa¨ tzlich auch dann in vol- lem Umfang, wenn ihre Dienstleistungen den Zu- Nach § 5 Teledienstegesetz (TDG = Art. 1 des Infor- gang zu strafbaren Inhalten im Ausland vermitteln84) mations- und Kommunikationsdienstegesetzes) gilt --- das folgt aus den §§ 3 und 9 StGB. Auf ausla¨ ndi- nun: --- § 5 Abs. 1 TDG stellt klar, daß in seinem Gel- 81 ) Vgl. Hauck/Haines: Sozialgesetzbuch SGB VIII, Kinder- tungsbereich, dem Bereich der elektronischen In- und Jugendhilfe, Stand 1. Januar 1997, § 14, Rn. 3 82) Vgl. Kunkel, P.-C.: Grundlagen des Jugendhilferechts. Sy- formations- und Kommunikationsdienste, die fu¨ r stematische Darstellung fu¨ r Studium und Praxis. 2. Aufl. eine individuelle Nutzung bestimmt sind, Dien- 1995, Rn. 115 steanbieter fu¨ r die von ihnen selbst angebotenen, 83) Vgl. Sieber, U.: Strafrechtliche Verantwortlichkeit fu¨ r den eigenen Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen Datenverkehr in internationalen Computernetzen. In: JZ verantwortlich sind. Ergibt sich diese Haftung fu¨ r 1996, S. 429---442 und 494---507 (505f.) 84) Vgl. Derksen, R.: Strafrechtliche Verantwortung fu¨ r in inter- nationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafba- 85) Vgl. Lackner, K.: StGB, Strafgesetzbuch mit Erla¨ uterungen. rem Inhalt. In: NJW 1997, S. 1878---1885 (1880) 22. Aufl., Mu¨ nchen 1997, § 9 Rn. 2 m.w.N.

49 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

vorsa¨ tzliches und fahrla¨ ssiges Verschulden noch schriften festgestellt werden, ist noch weitgehend unmittelbar aus dem aus der allgemeinen Rechts- ungekla¨ rt.87) ordnung folgenden Grundsatz der Eigenverant- wortlichkeit, so betrifft § 5 Abs. 2 TDG die Mitver- antwortung eines Diensteanbieters fu¨ r zwar in sein Angebot eingestellte, jedoch von Dritten 2.3 Gesetz u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨hr- u¨ bernommenen Inhalte. Fu¨ r solche fremden In- dender Schriften und Medieninhalte halte sind Diensteanbieter nur dann verantwort- Das durch das IuKDG gea¨ nderte Gesetz u¨ ber die Ver- lich, wenn sie von ihnen Kenntnis haben und es breitung jugendgefa¨ hrdender Schriften und Medien- ihnen technisch mo¨ glich und zumutbar ist, ihre inhalte (GjSM) ist Ausdruck des in Art. 5 Abs. 2 GG Nutzung zu verhindern. Die Regelung soll klar- verfassungsrechtlich vorgegebenen Schutzes der Ju- stellen, daß den Diensteanbieter, der rechtswidri- gend vor mit dem Medienkonsum verbundenen Ge- ge Inhalte Dritter in sein Diensteangebot u¨ ber- fahren. Es erfaßt neben Schriften auch Ton- und Bild- nimmt, eine Garantenstellung fu¨ r die ¨ tra¨ ger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Verhinderung der Ubermittlung an Dritte trifft. Die Darstellungen und damit auch etwa offline wie on- dadurch begru¨ ndete Verantwortlichkeit wird aller- line angebotene Telespiele. dings durch die Begrenzung auf vorsa¨ tzliches Ver- halten --- der Diensteanbieter muß Kenntnis von Das GjSM unterscheidet zwischen zwei Arten ju- konkreten, einzelnen Inhalten haben --- und die gendgefa¨ hrdender Darstellungen: Zumutbarkeitsklausel wieder beschra¨ nkt. Der Rechtsdurchsetzung soll die Verpflichtung kom- --- Fu¨ r Darstellungen, „die geeignet sind, Kinder oder merzieller Anbieter dienen, Namen und Anschrift Jugendliche sittlich zu gefa¨ hrden“ (§ 1 Abs. 1 S. 1 anzugeben (§ 6 TDG). GjSM), gilt das Indizierungsprinzip. Solche Dar- stellungen --- das Gesetz nennt beispielhaft „un- --- Fu¨ r fremde Inhalte, zu denen Diensteanbieter le- sittliche, verrohend wirkende, zu Gewaltta¨ tigkeit, diglich den Zugang vermitteln, bleibt es hingegen Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den bei der alleinigen Verantwortlichkeit der Urheber Krieg verherrlichende Schriften“ --- sind in eine Li- und derjenigen, die die Inhalte in das Netz gestellt ste aufzunehmen und diese damit bekanntzuma- haben (§ 5 Abs. 3 TDG). Dabei soll auch die aus chen. An die Bekanntmachung --- sie hat nach § 19 technischen Gru¨ nden vorgenommene, automati- GjSM im Bundesanzeiger zu erfolgen --- sind ne- sche und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte, ben den Werbebeschra¨ nkungen des § 5 GjSM die etwa die Zwischenspeicherung auf sogenannten Verbreitungsverbote der §§ 3 und 4 GjSM ge- Proxy-Cache-Servern, lediglich als Zugangsver- knu¨ pft, die das Zuga¨ nglichmachen indizierter Dar- mittlung gelten, so daß dabei also ebenfalls keine stellungen an Kinder und Jugendliche verbieten. Verantwortung besteht. Versto¨ ße gegen diese Bestimmungen werden mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem --- Eine dem § 5 des Teledienstegesetzes entspre- Jahr geahndet. chende Vorschrift entha¨ lt fu¨ r Mediendienste auch --- Fu¨ r offensichtlich sittlich schwer jugendgefa¨ hr- der Mediendienstestaatsvertrag der La¨ nder. Fu¨ r dende Inhalte, zu denen das GjSM auch Darstel- den Bereich der zivilrechtlichen Haftung wurde lungen im Sinne von § 131 StGB und § 184 StGB bereits die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit za¨ hlt, gilt dagegen § 6 GjSM. Danach bedarf es den La¨ ndern fu¨ r eine Haftungsprivilegierung die 86 bei solchen Darstellungen keiner Indizierung, um Gesetzgebungskompetenz zusteht. ) die Beschra¨ nkungen der §§ 3 bis 5 GjSM auszulo¨ - sen. Sie unterliegen diesen Beschra¨ nkungen also --- Die Nutzer selbst ko¨ nnen nach § 184 Abs. 5 StGB unmittelbar. bestraft werden, wenn sie es unternehmen, sich den Besitz von Darstellungen zu verschaffen, die Der Gewa¨ hrleistung verfassungsrechtlicher Grund- den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Ge- freiheiten im Rahmen des GjSM sollen die Vorbe- genstand haben, wenn diese Darstellungen ein halte des § 1 Abs. 2 GjSM dienen. Diesen zufolge tatsa¨ chliches Geschehen wiedergeben. du¨ rfen Schriften, die jugendgefa¨ hrdend sind, in be- stimmten Fa¨ llen z.B. zugunsten der Meinungs- und Neben die Probleme des materiellen Strafrechts und Kunstfreiheit nicht indiziert werden. Ob diese Vorbe- der internationalen Rechtsverfolgung treten ver- halte auch bei der Anwendung des § 6 GjSM zu be- gleichbare Schwierigkeiten auf dem Gebiet des ru¨ cksichtigen sind, wird jedenfalls im Hinblick auf Strafverfahrensrechts. Auf welcher Grundlage Straf- von der Kunstfreiheit geschu¨ tzte Darstellungen in- verfolgungsbeho¨ rden etwa einen Server sperren oder zwischen zu bejahen sein. Denn das Bundesverfas- in offenen Computernetzen bestehende Kommunika- sungsgericht hat 1990 entschieden, daß die im tionsverbindungen u¨ berwachen ko¨ nnen, wenn Ver- Grundgesetz vorbehaltlos garantierte Kunstfreiheit sto¨ ße gegen jugendschu¨ tzende strafrechtliche Vor- auch im Rahmen des § 6 GjSM zu beru¨ cksichtigen ist und daher im Einzelfall eine Abwa¨ gung von Kunst- 86) Vgl. Koch, F.A.: Zivilrechtliche Anbieterhaftung fu¨ r Inhalte freiheit und Jugendschutz vorgenommen werden in Kommunikationsnetzen. In: Computer und Recht, 1997, muß.88) Begru¨ ndet wurde dies unter anderem damit, S. 193---202 87 daß Kunst und Pornographie sich nicht notwendig ) Zu den Unsicherheiten der Anwendbarkeit der geltenden gegenseitig ausschließen wu¨ rden, also auch ein por- Eingriffbefugnisse auf neue Medien vgl. Eisenberg, U., Nischan, A.: Strafprozessualer Zugriff auf digitale multime- diale Videodienste. In: JZ 1997, S. 74---83 88) BVerfGE 83, 130 (143f.)

50 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 nographisches Werk als Kunst eingestuft werden Wer entgegen seiner Verpflichtung keinen Jugend- ko¨ nnte.89) schutzbeauftragten bestellt oder sich einer Freiwilli- gen Selbstkontrolle nicht unterwirft, handelt nach Zusta¨ ndig fu¨ r die Durchfu¨ hrung des GjSM ist die § 21a Abs. 2 GjSM ordnungswidrig und muß mit ei- Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende Schriften, ner Geldbuße rechnen. deren Entscheidungsgremien nach § 9 Abs. 2 GjSM pluralistisch zu besetzen sind. Die Bundespru¨ fstelle U¨ ber diese Regelungen hinaus wird empfohlen, Er- entscheidet entweder mit einer 2/3-Mehrheit in ei- fahrungen mit dem gegenwa¨ rtigen Verfahren zu nem 12er-Gremium oder in Fa¨ llen offensichtlicher sammeln und ggfs. zu erwa¨ gen, in Zukunft auch frei- Jugendgefa¨ hrdung einstimmig in einem Dreier-Gre- en Tra¨ gern der Jugendarbeit ein direktes Indizie- mium. Kommt eine Listenaufnahme offensichtlich rungsantragsrecht einzura¨ umen. Auch die Anwend- nicht in Betracht, kann der Vorsitzende aufgrund barkeit des Gesetzes u¨ ber die Verbreitung einer mit dem Informations- und Kommunikations- jugendgefa¨ hrdender Schriften und Medieninhalte ist dienstegesetz eingefu¨ hrten Regelung ohne weitere im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Aufgaben- Konsultation entsprechend entscheiden. Die Bundes- verteilung zwischen Bund und La¨ ndern nicht unum- pru¨ fstelle darf grundsa¨ tzlich nur auf Antrag ta¨ tig stritten.90) werden. Antragsberechtigt sind neben den Jugend- ministerien von Bund und La¨ ndern die Jugend- und Landesjugenda¨ mter. Gegen Entscheidungen der 2.4 Gesetz zum Schutz der Jugend in der O¨ ffent- Bundespru¨ fstelle ist der Verwaltungsrechtsweg ero¨ ff- lichkeit net. Das Gesetz zum Schutz der Jugend in der O¨ ffentlich- Durch Art. 6 des Informations- und Kommunikations- keit (JO¨ SchG) regelt den Umgang mit einigen Situa- dienstegesetzes ist der Titel des zuvor als „Gesetz tionen, in denen Kinder und Jugendliche in der O¨ f- u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hrdender Schriften“ fentlichkeit typischerweise Gefahren ausgesetzt sein bezeichneten Gesetzes gea¨ ndert worden. Der in § 3 ko¨ nnen. Nach §§ 6 und 7 JO¨ SchG besteht die Pflicht, Abs. 1 GjSM enthaltene Katalog der Verbreitungs- Kinospielfilme und Videofilme sowie andere ver- verbote indizierter Schriften und Darstellungen gleichbare Bildtra¨ ger, die Kindern und Jugendlichen wurde um ein Verbot der Verbreitung und des Zu- zuga¨ nglich gemacht werden sollen, vor ihrer Verbrei- ga¨ nglichmachens durch Informations- und Kommu- tung einer U¨ berpru¨ fung unterziehen zu lassen. nikationsdienste erweitert. Das neu geschaffene Ver- Filme, die geeignet sind, das ko¨ rperliche, geistige bot wird jedoch wiederum dadurch eingeschra¨ nkt, oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen daß es nicht gelten soll, wenn durch technische Vor- zu beeintra¨ chtigen, du¨ rfen im Rahmen dieser U¨ ber- kehrungen Vorsorge getroffen ist, daß das Angebot pru¨ fung nicht freigegeben werden. Filme, die freige- oder die Verbreitung im Inland auf vollja¨ hrige Nutzer geben werden, sind nach § 6 Abs. 3 JO¨ SchG mit vor- beschra¨ nkt werden kann. Keine taugliche Zugangs- gegebenen Alterseinstufungen (freigegeben ohne beschra¨ nkung in diesem Sinne soll nach der Be- Altersbeschra¨ nkung, ab sechs, zwo¨ lf oder sechzehn gru¨ ndung des Gesetzentwurfs die Anordnung von Jahren, nicht unter achtzehn Jahren) zu kennzeich- Zeitgrenzen fu¨ r die U¨ bertragung sein. Eine entspre- nen. Zusta¨ ndig fu¨ r die Film- und Videopru¨ fung sind chende Einschra¨ nkung erfa¨ hrt auch das einer Indi- die Obersten Landesjugendbeho¨ rden der La¨ nder, die zierung folgende Werbeverbot des § 5 Abs. 2 GjSM. sich fu¨ r die Erfu¨ llung dieser Aufgabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft bedienen.91) Soweit es sich um technische Vorkehrungen handelt, bei denen sich der Nutzer etwa durch Verwendung § 8 JO¨ SchG regelt den Aufenthalt von Kindern und spezieller Computerprogramme erst auf technische Jugendlichen in o¨ ffentlichen Spielhallen und a¨ hnli- Sperrmo¨ glichkeiten einlassen muß, ist allerdings chen Ra¨ umen. fraglich, ob eine hinreichende Zugangsbeschra¨ n- Versto¨ ße gegen das JO¨ SchG werden als Ordnungs- kung gewa¨ hrleistet wird. widrigkeiten mit Geldbuße bis zu 30000 Mark und in Ein Kernpunkt der mit dem IuKDG vorgenommenen bestimmten Fa¨ llen auch als Straftaten mit Freiheits- A¨ nderung des Jugendmedienschutzrechts ist die in strafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet. einem neuen § 7a GjSM ausgesprochene Verpflich- Das JO¨ SchG versto¨ ßt nach h. M. nicht gegen das tung der Anbieter elektronischer Informations- und Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Dies la¨ ßt Kommunikationsdienste, Jugendschutzbeauftragte sich zwar nicht darauf stu¨ tzen, daß auch der Jugend- zu bestellen. Der Jugendschutzbeauftragte soll die schutz ein Gut mit Verfassungsrang darstellt. Es er- Funktion eines Ansprechpartners fu¨ r Nutzer der gibt sich vielmehr daraus, daß eine Vorfu¨ hrung der Dienste und eines internen Beraters der Dienstean- Filme vor Erwachsenen uneingeschra¨ nkt mo¨ glich bieter erfu¨ llen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben bleibt.92) kann allerdings auf eine Organisation der Freiwilli- gen Selbstkontrolle delegiert werden. Der Begru¨ n- 90) Vgl. Reinwald, G.: Jugendschutz und neue Medien --- An- dung des Gesetzes zufolge soll dies einen Anreiz wendbarkeit des Gesetzes u¨ ber die Verbreitung jugendge- zum Zusammenschluß in Einrichtungen der Freiwilli- fa¨ hrdender Schriften (GjSM) auf Internetangebote und gen Selbstkontrolle bieten und zugleich kleine und Rundfunk auch unter Beru¨ cksichtigung der geplanten A¨ n- mittlere Betriebe von den mit der Bestellung eines ei- derung des Schriftenbegriffs in GjSM und StGB, in: ZUM genen Beauftragten verbundenen Kosten entlasten. 1997, S. 450---461 91) Vgl. Weides, P.: Der Jugendmedienschutz im Filmbereich. In: NJW 1987, S. 224ff. (227) 89) Vgl. auch Scholz/Joseph, a.a.O., S. 74 m.w.N. 92) Vgl. Weides, P.: a.a.O., m.w.N.

51 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Das JO¨ SchG ist auf die Kommunikation in Computer- Haushalten und der Erforderlichkeit von Sendezeit- netzen nicht anwendbar. Abgesehen davon, daß es beschra¨ nkungen bei verschlu¨ sselten Sendungen keine § 11 Abs. 3 StGB entsprechende Vorschrift ent- Auskunft gibt und auch eine vergleichende Analyse ha¨ lt, wa¨ re es auch praktisch nicht mo¨ glich, die gro- zu internationalen Entwicklungen enthalten soll. ßen Datenmengen, die etwa auf den Datentra¨ gern von Service-Providern angeboten werden und sich in einem sta¨ ndigen Wechsel befinden, vor dem Zu- 93 2.6 Der Staatsvertrag u¨ ber Mediendienste und ga¨ nglichmachen pru¨ fen zu lassen. ) das Gesetz zur Regelung der Rahmenbedin- gungen fu¨ r Informations- und Kommunikati- 2.5 Rundfunkstaatsvertrag onsdienste (IukDG) Auch der Rundfunkstaatsvertrag entha¨ lt jugend- Der Mediendienstestaatsvertrag der La¨ nder hat im schutzrechtliche Bestimmungen. Seine Anwendbar- Gegensatz zum Informations- und Kommunikations- keit auf die Kommunikation in Computernetzen war dienstegesetz das Angebot und die Nutzung von an schon vor der Geltung des Informations- und Kom- die Allgemeinheit gerichteten Diensten zum Gegen- munikationsdienstegesetzes und des Mediendienste- stand. Die Verantwortlichkeit der Anbieter ist in § 5 staatsvertrags umstritten. Nach dem Inkrafttreten entsprechend den Bestimmungen des Teledienstege- dieser Regelungswerke du¨ rfte die Anwendbarkeit setzes (Art. 1 IuKDG) geregelt. Daru¨ ber hinaus be- fu¨ r die neuen Dienste zumindest in der Regel zu ver- stimmt § 7 MdStV fu¨ r journalistische Mediendienste neinen sein. an presserechtliche Vorschriften angelehnte Sorg- faltspflichten. § 8 MdStV bezeichnet bestimmte Zur Zeit befindet sich der vierte Rundfunka¨ nde- Mediendienste als unzula¨ ssig. Dazu za¨ hlen neben rungsstaatsvertrag der Bundesla¨ nder, durch den un- gegen strafrechtliche Vorschriften verstoßende Me- ter anderem die EU-Richtlinien 89/552/EWG und 97/ diendienste auch solche, die offensichtlich geeignet 36/EWG in nationales Recht umgesetzt werden sol- sind, Kinder oder Jugendliche sittlich schwer zu ge- len, in der Beratung. fa¨ hrden. § 8 Abs. 2 MdStV zufolge du¨ rfen einfache Nach dem aktuellen Diskussionsentwurf mit Stand jugendgefa¨ hrdende Inhalte u¨ ber Verteildienste nur vom 27. Februar 1998 ist hinsichtlich Bezahlfernse- verbreitet werden, wenn der Anbieter aufgrund der hen (pay-tv) vorgesehen, daß Sendungen, die geeig- Sendezeit oder auf andere Weise Vorsorge trifft, daß net sind, das ko¨ rperliche, geistige und seelische Wohl Kinder und Jugendliche die Sendungen u¨ blicherwei- von Kindern oder Jugendlichen zu beeintra¨ chtigen, se nicht wahrnehmen. U¨ ber Abrufdienste verbreitete in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (statt von jugendgefa¨ hrdende Angebote sind nach § 8 Abs. 3 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr bei nicht verschlu¨ sselten Sen- MdStV nur zula¨ ssig, wenn Vorkehrungen bestehen, dungen) verbreitet werden ko¨ nnen, wenn der Veran- die dem Nutzer die Sperrung solcher Angebote er- stalter sie nur mit einer allein fu¨ r diese Sendungen mo¨ glichen. § 8 Abs. MdStV entha¨ lt eine dem IuKDG- verwendeten Technik verschlu¨ sselt und sicherstellt, Entwurf entsprechende Verpflichtung, einen Ju- daß eine Entschlu¨ sselung nur fu¨ r die Dauer der je- gendschutzbeauftragten zu bestellen oder dessen weiligen Sendung oder des jeweiligen Films mo¨ glich Aufgaben durch eine Organisation der Freiwilligen ist. Gleiches gilt fu¨ r Filme, die fu¨ r Jugendliche unter Selbstkontrolle wahrnehmen zu lassen. 18 Jahren nicht freigegeben sind sowie fu¨ r Filme, die U¨ ber die Bestimmungen des Teledienstegesetzes ganz oder im wesentlichen mit indizierten Schriften hinaus entha¨ lt der Mediendienstestaatsvertrag in § 9 inhaltsgleich sind. besondere Jugendschutzvorschriften fu¨ r Werbean- Filme, die fu¨ r Jugendliche unter 16 Jahren nicht frei- gebote, die sich auch an Kinder und Jugendliche gegeben sind, soll der Veranstalter unter der Voraus- richten. Zusta¨ ndig fu¨ r die Einhaltung der jugendme- setzung der soeben erwa¨ hnten Verschlu¨ sselung in dienschutzrechtlichen Vorschriften des Mediendien- der Zeit zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr (statt von stestaatsvertrages ist nach § 18 MdStV die in den 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr bei nicht verschlu¨ sselten Sen- La¨ ndern fu¨ r den gesetzlichen Jugendschutz zusta¨ n- dungen) verbreiten du¨ rfen. dige Beho¨ rde. Bei Feststellen eines Verstoßes hat sie gema¨ ß § 18 MdStV die zur Beseitigung erforderli- Unverschlu¨ sselte Sendungen, die den obigen Sende- chen Maßnahmen gegenu¨ ber dem Inhalteanbieter zeitbeschra¨ nkungen unterliegen, sollen nur noch zu treffen. Weiter ist sie berechtigt, Angebote zu un- verbreitet werden du¨ rfen, wenn ihre Ausstrahlung tersagen und ihre Sperrung anzuordnen. Unter den durch akustische Zeichen angeku¨ ndigt oder durch Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 MdStV ko¨ nnen optische Mittel wa¨ hrend der gesamten Sendung diese Maßnahmen auch gegen Zugangsvermittler kenntlich gemacht wird. Auch weiterhin soll fu¨ r sen- getroffen werden. Versto¨ ße ko¨ nnen daru¨ ber hinaus dezeitbeschra¨ nkte Sendungen nur innerhalb der fu¨ r als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße bis zu sie jeweils geltenden Zeitspanne mit Trailern gewor- 500000 Mark belegt werden. ben werden du¨ rfen. Zudem ist vorgesehen, daß die Landesmedienanstal- ten alle zwei Jahre einen gemeinsamen Bericht ver- 3. Mo¨ glichkeiten und Grenzen staatlicher o¨ ffentlichen, der u¨ ber die Entwicklung der veranstal- Kontrollinstanzen und Freiwilliger Selbst- terseitigen Verschlu¨ sselung von Sendungen, der kontrollen Praxis und Akzeptanz der Verschlu¨ sselung in den In der Bundesrepublik Deutschland arbeiten ver- 93) Vgl. Sieber: Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 498 schiedene staatliche Kontrollinstanzen und Einrich-

52 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 tungen der Selbstkontrolle im Bereich des Jugend- Abs. 1 GG ko¨ nnen staatliche Instanzen grundsa¨ tzlich medienschutzes. erst im Nachhinein ta¨ tig werden, was angesichts der Geschwindigkeit, in der sich der Medienmarkt ent- An staatlichen Stellen sind zu nennen: wickelt, immer weniger dazu fu¨ hrt, daß als jugend- --- die Strafverfolgungsbeho¨ rden bzw. die Gerichte gefa¨ hrdend eingestufte Produkte nicht in die Ha¨ nde fu¨ r die Verfolgung von Versto¨ ßen gegen die ju- von Kindern und Jugendlichen gelangen. gendmedienschutzrechtlichen Bestimmungen des Ein weiteres Problem besteht in der Internationalisie- StGB; rung des Marktes, in dem viele in der Bundesrepu- --- die Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende blik geltende Bestimmungen auf Anbieter aus dem Schriften (BPjS) fu¨ r die Durchfu¨ hrung des Geset- Ausland nicht mehr anzuwenden sind. So ist es bei- zes u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hrdender spielsweise in der Bundesrepublik verboten, indizier- Schriften (GjSM) durch die Aufnahme von Schrif- te Schriften u¨ ber den Versandhandel anzubieten. ten in die Liste der jugendgefa¨ hrdenden Schriften Werden diese Produkte jedoch u¨ ber den Versand- nach § 1 des GjSM; handel aus dem europa¨ ischen Ausland angeboten, so ist diese Bestimmung praktisch unwirksam, da in --- die Landesmedienanstalten fu¨ r die Verfolgung dem entsprechenden Herkunftsland des Anbieters von Versto¨ ßen gegen § 3 Rundfunkstaatsvertrag. keine solche Bestimmung existiert. So sind die Mo¨ g- An Selbstkontrolleinrichtungen existieren: lichkeiten der Strafverfolgungsbeho¨ rden stark einge- schra¨ nkt, wenn zum Beispiel ein niederla¨ ndischer --- die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft Anbieter u¨ ber den Weg des Versandhandels Porno- (FSK) fu¨ r die Kennzeichnung von Kinospielfilmen graphie mit Tieren, die nach § 184 Abs. 3 in der Bun- und bespielten Videokassetten nach § 6 bzw. § 7 desrepublik verboten ist, nach Deutschland vertreibt, ¨ des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Of- da dies in den Niederlanden erlaubt ist. Dies zeigt, ¨ fentlichkeit (JOSchG); daß angesichts der zu erwartenden Internationalisie- --- die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) als rung des Medienmarktes nationale gesetzliche Be- gutachterliche Stelle fu¨ r die privaten Sender zur stimmungen zunehmend ihren Sinn verlieren, wenn Verbesserung des Jugendschutzes im privaten zumindest in den Mitgliedsstaaten der EU nicht a¨ hn- Fernsehen; liche Bestimmungen bestehen. Auf eine Harmonisie- rung entsprechender Regelungen muß also unbe- --- die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) dingt hingewirkt werden, wenn die deutschen als Einrichtung der Anbieter von Computerspie- Jugendschutzgesetze mehr als Symbolcharakter ha- len, die auf gutachterlicher Ebene Altersempfeh- ben sollen. lungen ausspricht; --- Selbstkontrolle im Online-Bereich: Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. 3.1.1 Strafverfolgungsbeho¨ rden (FSM), die den Jugendschutz auf selbstverant- Die Strafverfolgungsbeho¨ rden werden bei Versto¨ ßen wortlicher Basis sta¨ rken soll. gegen den § 131 und 184 StGB in der Regel dann ta¨ - Daneben gibt es eine Reihe von anderen Selbstkon- tig, wenn eine Anzeige vorliegt. Je komplizierter und trolleinrichtungen, die aber im Unterschied zu den unu¨ bersichtlicher der Markt ist, desto geringer ist die hier aufgefu¨ hrten Einrichtungen eine Kontrolle nicht Wahrscheinlichkeit, daß ein relevanter Teil der Pro- pra¨ ventiv ausu¨ ben, sondern aufgrund von Beschwer- dukte, die gegen strafrechtliche Vorschriften versto- den aus der O¨ ffentlichkeit ta¨ tig werden ko¨ nnen. Sie ßen, tatsa¨ chlich auch zur Anzeige kommt. Daru¨ ber arbeiten nicht mit unabha¨ ngigen Pru¨ fern, sondern hinaus ist festzustellen, daß auch hier der Zeitraum mit Gremien, deren Mitglieder sich aus Branchenver- zwischen Markteinfu¨ hrung und einer mo¨ glichen An- tretern zusammensetzen. Zu nennen sind hier klage so groß ist, daß diese fu¨ r die Regulierung des Marktes unter Jugendschutzgesichtspunkten fast --- der Deutsche Presserat; ohne Bedeutung ist. Manche Filme wurden erst meh- rere Jahre nach Markteinfu¨ hrung beschlagnahmt. --- der Zentralausschuß der Werbewirtschaft (ZAW); Verbessert werden sollte die personelle und techni- --- die BTX-Selbstkontrolle. sche Ausstattung der Strafverfolgungsbeho¨ rden.

3.1.2 Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨hrdende 3.1 Staatliche Kontrollinstanzen Schriften (BPjS) Staatliche Kontrollinstanzen haben die wichtige Ziel des GjSM ist es, daß Schriften (und alle anderen Funktion, unabha¨ ngig von den Interessen des Mark- im Handel erha¨ ltlichen Medien), die von der BPjS als tes Kriterien zu entwickeln, die fu¨ r den Jugendschutz jugendgefa¨ hrdend gema¨ ß § 1 GjSM eingestuft wor- eine eher pra¨ ventive Funktion haben: Der Vertrieb den sind, Betriebs- und Werbebeschra¨ nkungen un- von Produkten, die mo¨ glicherweise jugendgefa¨ hr- terliegen, die eine Verbreitung solcher Medien an dend sind und mit einer Indizierung oder einer Straf- Kinder und Jugendliche unterbinden. Erwachsenen verfolgung rechnen ko¨ nnen, ist mit wirtschaftlichen ko¨ nnen solche Medien allerdings zuga¨ nglich ge- Risiken verbunden, was dazu fu¨ hrt, daß die Anbieter macht werden. Interesse an solchen Produkten haben, die unter Ju- gendschutzgesichtspunkten unproblematisch sind. Die Vorteile der staatlichen Bundespru¨ fstelle, die in Aufgrund des Verbotes der Vorzensur nach Art. 5 ihren Gremien auch mit Beisitzern verschiedener Be-

53 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode rufsgruppen, die mo¨ glicherweise von einer Indizie- weder die Vertriebsbeschra¨ nkungen des § 7 JO¨ SchG rung betroffen sein ko¨ nnten, arbeitet, liegen vor al- noch die Indizierung dazu fu¨ hren, daß Jugendliche lem darin, daß sie in ihrer Spruchpraxis unabha¨ ngig keinen Zugang zu diesen Kassetten haben. von wirtschaftlichen Interessen ist. Unter den Ge- Eine A¨ nderung des GjSM, um eine Pru¨ fung pra¨ ven- sichtspunkten des Jugendschutzes liegt ihr Nachteil tiv mo¨ glich zu machen, ist aus Gru¨ nden des in Art. 5, jedoch vor allem darin, daß sie als staatliche Beho¨ rde Abs. 1 ausgesprochenen Zensurverbotes nicht mo¨ g- eine Indizierung erst dann aussprechen kann, wenn lich. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen eine Schrift, eine Schallplatte oder ein Computerspiel staatlichen Kontrollinstanzen und Selbstkontrollein- bereits im Handel erha¨ ltlich ist. Sie ist auf Antra¨ ge richtungen: keinem Anbieter ist es verwehrt, bei der auf Indizierung angewiesen, die nur von den Ober- Selbstkontrolle freiwillig sein Produkt nach Jugend- sten Landesjugendbeho¨ rden, den Jugenda¨ mtern schutzgesichtspunkten beurteilen zu lassen, bevor es oder vom zusta¨ ndigen Bundesministerium gestellt auf den Markt kommt. werden ko¨ nnen. Die Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende Schrif- Abgesehen davon, daß nicht immer davon ausgegan- ten ist seit dem 1. August 1997 auch fu¨ r die Pru¨ fung gen werden kann, daß die antragsberechtigten Be- und Indizierung von jugendgefa¨ hrdenden Inter- ho¨ rden u¨ ber eine vollsta¨ ndige Marktu¨ bersicht verfu¨ - netangeboten zusta¨ ndig. Sie arbeitet dabei mit den gen, fu¨ hrt diese Regelung zu einer erheblichen Obersten Landesjugendbeho¨ rden zusammen, die auf zeitlichen Verspa¨ tung der Indizierung. Hinzu kommt, der Grundlage des Mediendienstestaatsvertrages daß die Indizierung erst mit der Vero¨ ffentlichung im eine fu¨ r Online-Dienste zusta¨ ndige Jugendschutz- Bundesanzeiger wirksam wird. In der Regel ist mit stelle eingerichtet haben. Es liegen mittlerweile eine einer Indizierung fru¨ hestens zwei Monate nach Reihe von Antra¨ gen auf Indizierung vor, die belegen, Markteinfu¨ hrung des Produktes zu rechnen. Die In- wie dringend eine Lo¨ sung des Problems Jugend- dizierung hat --- angesichts des inzwischen verha¨ lt- schutz in Online-Diensten geworden ist. In welcher nisma¨ ßig schnellen Wechsels von Medien auf dem Weise die Umsetzung von Vertriebsbeschra¨ nkungen Markt --- fu¨ r den Jugendschutz mehr eine symboli- bei Online-Diensten erfolgen kann, daru¨ ber mu¨ ssen sche als eine praktische Bedeutung. Im Bereich von erst noch Erfahrungen gesammelt werden. periodisch erscheinenden Schriften (vor allem im Be- reich der Zeitschriften) hat die Bundespru¨ fstelle die Mo¨ glichkeit der Vorausindizierung. Wenn innerhalb 3.1.3 Landesmedienanstalten eines Zeitraumes von zwo¨ lf Monaten mindestens drei Hefte indiziert sind, kann die Bundespru¨ fstelle die Die Landesmedienanstalten sind fu¨ r die Lizensierung periodisch erscheinende Schrift fu¨ r einen Zeitraum von privatem Rundfunk und fu¨ r die U¨ berwachung von einem Jahr im Voraus indizieren. Dies ist aber der im Rundfunkstaatsvertrag festgelegten Jugend- beispielsweise bei Vidofilmen oder Computerspielen schutzkriterien (§ 3 Rundfunkstaatsvertrag) zusta¨ n- nicht mo¨ glich. Insbesondere das Werbeverbot, das dig. Im Vorhinein ko¨ nnen sie nur dann ta¨ tig werden, verhindern soll, daß Kinder und Jugendliche ange- wenn sie feststellen, daß sich ein Sender bei der Pro- regt werden, sich eine bestimmte Schrift u¨ ber Dritte grammvero¨ ffentlichung (z.B. in Programmzeitschrif- zu besorgen, ist nach zwei Monaten sinnlos, da die ten) nicht an mo¨ gliche durch die FSK-Freigabe be- Werbung insbesondere vor bzw. kurz nach der dingte Sendezeitbeschra¨ nkungen ha¨ lt. Ansonsten Markteinfu¨ hrung betrieben wird. Die Indizierung hat ko¨ nnen sie bei Versto¨ ßen gegen Jugendschutzbe- also vor allem die Funktion, Kriterien fu¨ r die Anbieter stimmungen nur aktiv werden, wenn der Film bereits zu entwickeln, da diese durch die Indizierung finan- ausgestrahlt ist. Gegen Beanstandungen der Landes- zielle Nachteile erleiden ko¨ nnen. Ein indizierter Vi- medienanstalten ko¨ nnen die Sender die Verwal- deofilm darf im Verkauf nur unter der Ladentheke tungsgerichte anrufen, so daß eine Beanstandung gehandelt und nicht o¨ ffentlich beworben werden, so ha¨ ufig erst nach mehreren Jahren tatsa¨ chlich rechts- daß sich der Verkauf indizierter Filme nicht lohnt. kra¨ ftig wird. Damit verfehlt sie oft ihr regulatives Auch der Versandhandel mit indizierten Videofilmen Ziel. ist nicht mo¨ glich. Somit sind die meisten Anbieter daran interessiert, daß ihre Produkte nicht indiziert werden. Insofern hat die Indizierung meist eine pra¨ - 3.2 Selbstkontrolleinrichtungen ventive Funktion, da die Anbieter Lizenzen von Fil- men kaufen wollen, fu¨ r die eine Indizierung unwahr- Freiwillige Selbstkontrollen haben es in Deutschland scheinlich ist oder durch eine Freigabe ab 16 Jahren mit einigen besonderen Problemen zu tun. Sie neh- durch die FSK unmo¨ glich erscheint. men Aufgaben wahr, die im traditionellen Versta¨ nd- nis eigentlich dem Staat vorbehalten sein sollten. Sie Allerdings fu¨ hrt die Indizierung keineswegs dazu, werden von der jeweiligen Wirtschaftsbranche getra- daß Jugendliche von diesen Produkten nicht Kennt- gen oder mitgetragen und begegnen daher ha¨ ufig nis nehmen, da die Werbung fu¨ r diese Produkte und dem Mißtrauen, nur spezifische Formen der Durch- auch der Verkauf von Schriften, Schallplatten und setzung wirtschaftlicher Interessen darzustellen. Computerspielen bis zur Indizierung stattfinden Letztere erscheinen in dieser Vorstellung als prinzipi- kann. Fu¨ r diese Produkte ist die Indizierung also ver- ell unvereinbar mit den Interessen der O¨ ffentlichkeit. ha¨ ltnisma¨ ßig bedeutungslos, lediglich bei Videokas- Daher ist im traditionellen Versta¨ ndnis der ideale Fall setten gelten immerhin die Regelungen des § 7 von Freiwilliger Selbstkontrolle eigentlich die Kon- JO¨ SchG. Allerdings zeigt sich in der Praxis, daß trolle, die eher auf gesetzlicher als auf freiwilliger durch die leichte Kopierbarkeit von Videokassetten Grundlage und weniger „selbst“ als vielmehr in Gre-

54 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 mien nach dem Prinzip der Repra¨ sentation aller we- Zusta¨ ndig fu¨ r die Kennzeichnung von Kinospielfil- sentlichen sozialen Gruppen erfolgt. men nach im Gesetz festgelegten Alterskategorien sind die Obersten Landesjugendbeho¨ rden der La¨ n- Der Gedanke einer freiwilligen Selbstkontrolle ent- der. Da diese jedoch u¨ ber keine eigene Pru¨ feinrich- steht im allgemeinen aus dem Konflikt zwischen den tung verfu¨ gen, bedienen sich die Beho¨ rden der FSK, ¨ Interessen der Politik und der Offentlichkeit an der deren Pru¨ fergebnis als gutachterliches Votum auf- Kontrolle bestimmter Medienprodukte und dem In- grund einer La¨ ndervereinbarung von den Obersten teresse der Medienwirtschaft an einer stabilen und Landesjugendbeho¨ rden quasi als ihr eigenes Votum ungesto¨ rten Produktion und Vermarktung dieser Pro- u¨ bernommen wird. Die Verfahrensvorschriften und dukte. Dabei darf nicht u¨ bersehen werden, daß die die Kriterien fu¨ r die Pru¨ fung werden allerdings nicht Interessen beider Seiten weder vollsta¨ ndig getrennt von der Filmwirtschaft bestimmt, sondern von einer noch gegensa¨ tzlich sein mu¨ ssen. Beide Seiten bezie- Grundsatzkommission, in der neben der Filmwirt- hen sich positiv auf gemeinsame Grundwerte, zum schaft auch Vertreter der Kirchen, verschiedener Mi- Beispiel das Recht auf Meinungs- und Informa- nisterien, des Bundesjugendringes und der Obersten tionsfreiheit, aber auch auf die besondere Schutz- Landesjugendbeho¨ rden selbst mitwirken. wu¨ rdigkeit einzelner sozialer Gruppen (Kinder und Jugendliche), was Differenzen hinsichtlich der Kon- Aufgrund der besonderen Bedeutung der Obersten sequenzen durchaus einschließt. Landesjugendbeho¨ rden, die nach dem Gesetz ei- gentlich fu¨ r die Klassifizierung zusta¨ ndig wa¨ ren, ver- Die Motive zu wirksamen freiwilligen Selbstkontrol- fu¨ gen sie in der FSK-Grundsatzkommission u¨ ber ein len liegen in folgenden drei Bereichen: Vetorecht. Daru¨ ber hinaus wirken sie direkt durch --- Gewa¨ hrleistung einer planbaren und durch Ein- die Benennung von Pru¨ fern (Jugendschutzsachver- griffe der Legislative und Exekutive sto¨ rungsfreien sta¨ ndigen) in den Pru¨ fausschu¨ ssen mit. Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Seit 1985 pru¨ ft die FSK auch bespielte Videokasset- Diensten und Produkten durch eigene Beteiligung ten, daru¨ ber hinaus wurde der Einfluß der Obersten an der Definition und Durchsetzung der Regeln. Landesjugendbeho¨ rden dadurch versta¨ rkt, daß diese nun einen Sta¨ ndigen Vertreter in die Pru¨ fausschu¨ sse --- Vertrauensbildung beim Nutzer und Kunden der FSK entsenden. Dieser wirkt in den Ausschu¨ ssen durch Beteiligung an imagefo¨ rdernden Maßnah- als Vorsitzender mit und entscheidet u¨ ber zahlreiche men. formale Fragen, was praktisch zu einer Dominanz --- Einhaltung ethischer Normen bei Firmen und ih- der FSK durch die Obersten Landesjugendbeho¨ rden ren Repra¨ sentanten bzw. in den Branchenverba¨ n- fu¨ hrt. Insofern kann man die FSK als Mischform zwi- den. schen staatlicher Kontrolle und freiwilliger Selbst- kontrolle bezeichnen. Die bisherige Erfahrung mit dem Wirken von Freiwil- ligen Selbstkontrollen zeigt, daß die ethischen Moti- ve bei den Firmen im Konflikt mit den eigenen wirt- 3.2.2 Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen schaftlichen Interessen nicht unbegrenzt belastbar (FSF) sind. Sie bedu¨ rfen ihrer Stu¨ tzung durch positive und Die FSF ist eine reine Einrichtung der Selbstkontrol- negative Sanktionen von Seiten des Gesetzgebers le. Sie wurde 1994 von den privaten Sendern gegru¨ n- wie auch von Seiten der O¨ ffentlichkeit und des det, um auf die o¨ ffentliche Debatte u¨ ber die Wirkung Marktes. Wesentlich ist auch die unmittelbare und von Gewalt- und Sexdarstellungen in den Medien zu kontinuierliche Pra¨ senz einer o¨ ffentlichen Kontrolle. reagieren. Die Sender wollten ihr Image in der O¨ f- fentlichkeit verbessern und einer Verwirklichung der Anku¨ ndigung des Gesetzgebers, mit strengeren ge- 3.2.1 Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirt- setzlichen Regelungen eine Verbesserung des Ju- schaft (FSK) gendschutzes im Fernsehen zu erreichen, zuvorkom- men. Nach der Gru¨ ndung der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Wegfall der Milita¨ rzensur war es das Die FSF pru¨ ft Fernsehsendungen vor ihrer Ausstrah- Ziel der FSK, einer von der Spitzenorganisation der lung unter den Gesichtspunkten des Jugendschut- Filmwirtschaft (SPIO) ins Leben gerufenen Organisa- zes. Obwohl sie von den Sendern selbst finanziert tion, auf freiwilliger Basis Jugendschutz fu¨ r den Be- wird, obliegen alle mit der Pru¨ fung zusammenha¨ n- reich des Kinospielfilms durchzusetzen, in der Hoff- genden Fragen einem im wesentlichen unabha¨ ngi- nung, dadurch einer staatlichen Regelung gen Kuratorium. Es besteht aus 15 Personen, von de- zuvorzukommen. Diese Hoffnung hat sich nicht ganz nen fu¨ nf direkt von den Sendern benannt werden. erfu¨ llt, denn einige Jahre spa¨ ter hat der Bundestag Neben der Vorsitzenden der BPjS und dem Sta¨ ndi- das „Gesetz zum Schutz der Jugend in der O¨ ffent- gen Vertreter der Obersten Landesjugendbeho¨ rden lichkeit“ (JO¨ SchG) verabschiedet. bei der FSK sind Medienwissenschaftler, Psycholo- gen, Medienkritiker und Praktiker des Jugendschut- Die Selbstkontrolleinrichtung verfa¨ hrt nach den als zes vertreten. Das Kuratorium legt die Pru¨ fgrund- „Grundsa¨ tze der FSK“ bezeichneten Richtlinien und sa¨ tze der FSF mit allen formalen Fragen der Pru¨ fung hat fu¨ r ihre Kontrollarbeit einen Arbeitsausschuß als sowie den Pru¨ fkriterien fest. Die Pru¨ fgrundsa¨ tze erste Instanz und einen Hauptausschuß als zweite In- orientieren sich an den aktuellen Erkenntnissen der stanz sowie einen Appellationsausschuß fu¨ r Appella- Medienwirkungsforschung, der Entwicklungspsy- tionen der La¨ nder eingerichtet. chologie sowie der Spruchpraxis staatlicher Stellen

55 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

(insbesondere der BPjS) sowie der Rechtsprechung lassung der Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendgefa¨ hrdende bezu¨ glich der im Strafrecht festgelegten Bestimmun- Schriften im Bundesanzeiger vero¨ ffentlicht wird. Die gen (insbesondere § 131 und § 184 StGB). Die Pru¨ fer USK unterscheidet im Bereich der Computerspiele du¨ rfen nicht im Umfeld der privaten Sender bzw. in vier zu indizierende Themenbereiche: Sexualethi- den Sendern selbst bescha¨ ftigt sein. Die Liste der sche Desorientierung, Anreize zum Rassenhaß, Pru¨ ferinnen und Pru¨ fer der FSF wurde vom Kuratori- Kriegsverherrlichung und Kriegsverharmlosung so- um erstellt und verabschiedet. Um eine Koordinie- wie verrohend wirkende Gewalt. rung der Spruchpraxis mit den anderen Stellen des Gesetzliche Grenzen fu¨ r die Arbeit der USK sind zum Jugendschutzes zu gewa¨ hrleisten, arbeiten viele Pru¨ - einen mit den Bestimmungen von § 131 und § 184 fer der FSF auch in den Gremien der FSK oder der StGB gegeben, zum anderen ko¨ nnen auch Video- BPjS mit. spiele auf CD-ROM von der Bundespru¨ fstelle indi- Aufgrund des hohen Programmangebotes mu¨ ssen ziert werden. Sollte beispielsweise ein von der USK die Mitgliedssender nicht generell alle Sendungen mit „ab 16“ gekennzeichnetes Spiel von der BPjS in- der FSF vorlegen. Hinsichtlich der Vorlage von Se- diziert werden, so wu¨ rde dies in der O¨ ffentlichkeit rien, Eigenproduktionen und sogenannten TV-Mo- deutlich machen, daß die Kriterien eher an den Inter- vies (Filme, die nur fu¨ r das Fernsehen bestimmt sind) essen der Wirtschaft und weniger an den Interessen entscheiden die Jugendschutzbeauftragten der Sen- des Jugendschutzes orientiert sind. Das gilt auch fu¨ r der. Nach den FSF-Grundsa¨ tzen sind sie gehalten, den Fall, daß fu¨ r 16ja¨ hrige empfohlene Spiele porno- Sendungen dann vorzulegen, wenn sie im Hinblick graphisch im Sinne von § 184 Abs. 1 sein sollten oder auf die geplante Sendezeit jugendschutzrelevant von der Staatsanwaltschaft als gewaltverherrlichend sind. Hier besteht allerdings das Risiko, daß ein Sen- im Sinne von § 131 StGB eingestuft wu¨ rden. Neben der auf die Vorlage verzichtet, wenn ihm das wirt- der o¨ ffentlichen Blamage der USK ha¨ tte auch eine In- schaftliche Risiko zu hoch erscheint. Damit die Sen- dizierung von ab 16 Jahren empfohlenen Spielen er- der die FSF nicht beliebig umgehen ko¨ nnen, sind hebliche negative Auswirkungen fu¨ r den Handel, da auch das Kuratorium und die staatlichen Landesme- diese Spiele dann nur noch vertriebsbeschra¨ nkt aus- dienanstalten antragsberechtigt. Dies greift aber in geliefert werden ko¨ nnten. Insofern erweisen sich be- der Regel nur im Nachhinein, da hier meist nur u¨ ber stimmte gesetzliche Grenzen als Korrektiv, die ver- eine Sendung geurteilt werden kann, die bereits aus- hindern helfen, daß sich Selbstkontrolleinrichtungen gestrahlt wurde. zu sehr an den Interessen derer orientieren, die sie fi- nanzieren. Die Motive der Wirtschaft zur aktiven Beteiligung am 3.2.3 Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle Jugendschutz im Rahmen der USK sind vielgestaltig: (USK) Ethische Orientierungen der Firmenfu¨ hrung spielen Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ist wie die hier ebenso eine Rolle, wie die marktstrategische ¨ FSF eine reine Einrichtung der Selbstkontrolle. Sie Uberlegung, daß mit Vertrauensbildung neue Ka¨ u- erteilt Altersempfehlungen fu¨ r Computerspiele, die ferschichten zu gewinnen sind bzw. Mißtrauen oder insbesondere u¨ ber CD-ROM verbreitet werden. Seit Imageverluste zu wirtschaftlichen Einbußen fu¨ hren August 1997 pru¨ ft die USK auch Internetspiele und ko¨ nnen, oder die Mo¨ glichkeit, wirksam Außenseiter Web-Sites im Rahmen der Mo¨ glichkeiten einer frei- disziplinieren zu ko¨ nnen. Die Tatsache, daß Deutsch- willigen Selbstkontrolle. Die Altersempfehlungen land im Bereich der Unterhaltungssoftware fu¨ r den unterscheiden sich von der Freigabe fu¨ r Kino- und PC nach den USA der zweitgro¨ ßte Markt ist, moti- Videofilme durch die FSK dadurch, daß es sich dabei viert auch ausla¨ ndische Firmen zur Beteiligung an nicht um Freigaben im gesetzlichen Sinne handelt, Selbstkontrolleinrichtungen --- allerdings nicht alle. sondern eher um Verbraucherinformationen fu¨ r die Eltern bzw. fu¨ r den Handel. Wa¨ hrend ein Ha¨ ndler, der eine bespielte Videokassette an einen Kunden 3.2.4 Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia- abgibt, der das Freigabealter noch nicht erreicht hat, Diensteanbieter e.V. (FSM) gegen die Bestimmungen des § 7 JO¨ SchG versto¨ ßt Mit dem Inkrafttreten des IuKDG und des MdStV ha- und mit einem Bußgeld rechnen muß, dient die Al- ben Verba¨ nde und Unternehmen der Multimedia- tersempfehlung der USK mehr als Orientierung fu¨ r branche mit der FSM ein Selbstkontrollorgan ge- den Handel, ohne daß dieser dadurch gebunden ist. schaffen wie es im Bereich der Presse und des Zwar sind auch fu¨ r diesen Bereich gesetzliche Rege- Fernsehens mit dem Deutschen Presserat und der lungen im Gespra¨ ch; sie sind bisher jedoch vor allem FSF besteht. Die FSM soll die schutzwu¨ rdigen Inter- daran gescheitert, daß sich der Markt mit seinen An- essen der Nutzer und der Allgemeinheit insbesonde- geboten sehr schnell vera¨ ndert, so daß eine heute ge- re gegenu¨ ber Rassendiskriminierung sowie Gewalt- troffene Definition dessen, was mit einer Altersfreiga- verherrlichung vertreten und den Jugendschutz auf be belegt werden soll, morgen vielleicht schon selbstverantwortlicher Basis sta¨ rken. Die Mitglieder wieder veraltet ist. haben einen Verhaltenskodex entwickelt, der unzu- In den Grundsa¨ tzen der USK finden sich seit August la¨ ssige Inhalte sanktioniert und gemeinsame Verhal- 1997 erstmals konkrete Kriterien fu¨ r die Bestimmung tensgrundsa¨ tze zum Jugendschutz, zu journalistisch kinder- und jugendgefa¨ hrdender Inhalte im Sinne redaktionell gestalteten Inhalten sowie eine Anbie- des GjSM. Nach § 1 Abs. 1 GjSM sind Darstellungen, terkennzeichnung festschreibt. Erkla¨ rtes Ziel der die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu FSM ist es, die Diensteanbieter im Bereich der Neuen gefa¨ hrden, in eine Liste aufzunehmen, die auf Veran- Medien mit ihrem Beitritt zur Beachtung dieses ge-

56 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 meinsamen Verhaltenscodices zu veranlassen und schwerden sind somit sowohl zu Angeboten von Ver- Mißachtungen zu ahnden.95) einsmitgliedern als auch anderen Anbietern zula¨ ssig.

Seit dem 1. August 1997 ko¨ nnen Bu¨ rger auf elektro- Im Falle eines festgestellten Verstoßes sieht die Be- nischem Weg an die E-mail-Adresse der FSM oder schwerdeordnung die Mo¨ glichkeiten eines Hinwei- durch Ausfu¨ llen eines elektronischen Formulars auf ses mit Abhilfeaufforderung, der Mißbilligung sowie der Web-Site des Vereins Beschwerde u¨ ber im Inter- einer Ru¨ ge, die von FSM-Mitgliedern mit ihrem An- net oder sonstigen Netzen oder u¨ ber Online-Dienste gebot fu¨ r einen Monat vero¨ ffentlicht werden muß, zuga¨ ngliche Inhalte fu¨ hren. Die Beschwerdestelle ist vor. Wird der Bechluß der Beschwerdestelle vom In- ein unabha¨ ngiges Kontrollgremium der FSM, das mit halteanbieter nicht befolgt, so werden die Beschwer- ausla¨ ndischen und anderen inla¨ ndischen freiwilligen de und ihre Bewertung dem Tele- oder Mediendien- Selbstkontrollgremien zusammenarbeiten will. Be- steanbieter bekanntgegeben.96)

II. Internationaler Regelungsbedarf

Die Medien operieren immer globaler, der Jugend- gendschutzes von vornherein als zum Scheitern ver- schutz wird weiterhin auf nationaler Ebene organi- urteilt anzusehen. siert. Abha¨ ngig von den jeweiligen religio¨ sen und kulturellen Traditionen gehen die Kriterien in den Die Erfahrung zeigt, daß es durchaus mo¨ glich ist, in 96 La¨ ndern der EU zum Teil erheblich auseinander ). Fragen des Jugendschutzes auf internationaler Ebe- So liegt z.B. die Ho¨ chstgrenze fu¨ r die Alterseinstu- ne einen Konsens zu erreichen. Bereits 1910 wurde fung in etwa der Ha¨ lfte der europa¨ ischen La¨ nder bei ein internationales Abkommen zur Beka¨ mpfung und 18 Jahren, in der anderen Ha¨ lfte bei 16, in einigen Verbreitung unzu¨ chtiger Vero¨ ffentlichungen abge- La¨ ndern sogar bei 15 Jahren. U¨ ber gesetzliche Mo¨ g- schlossen, das durchaus auch auf elektronische U¨ ber- lichkeiten, Filme wegen Pornographie oder Gewalt- mittlungen angewendet werden ko¨ nnte.98) Auch die darstellungen zu verbieten, verfu¨ gt ebenfalls nur et- 1989 von der Generalversammlung der Vereinten wa die Ha¨ lfte aller La¨ nder der EU. Eine gesetzliche Nationen angenommene Konvention u¨ ber die Rechte Alterseinstufung von Videofilmen gibt es nur in fu¨ nf des Kindes beinhaltet Bestimmungen von jugendme- europa¨ ischen La¨ ndern. dienschutzrechtlicher Relevanz. Die Mobilita¨ t von Daten in den weltumspannenden Die aufgrund der IuK-Technologien gegebenen Mo¨ g- Computernetzen verlangt als Pendant eigentlich eine lichkeiten globaler Computernetze erfordern es je- Internationalisierung des Jugendschutzes. Aber die doch, Maßnahmen in Erwa¨ gung zu ziehen, die die dif- genannten Unterschiede erschweren nach einer ferenzierten Rechtsgrundlagen einzelner La¨ nder Feststellung der Europa¨ ischen Kommission „die An- zuerst auf Gemeinsamkeiten hin vergleichen, damit wendung der bestehenden nationalen Regelungen nicht unverbindliche Bestimmungen auf dem klein- auf transnationale Dienste oder Netze“.97) Noch gro¨ - sten gemeinsamen Nenner die Vereinbarungen obso- ßere Hindernisse ergeben sich, wenn man die let werden lassen. Notwendig sind internationale Rechtslage außerhalb der relativ homogenen europa¨ - U¨ bereinku¨ nfte, die einen dem nationalen Recht ver- ischen einbezieht. Und die Computernetze sind nicht gleichbaren Jugendmedienschutz gewa¨ hren, ohne auf Europa begrenzt. auf die schwerfa¨ lligen Verfahren internationaler Es wird zwar von den entsprechenden Gremien der Rechtshilfe angewiesen zu sein. Wichtige Schritte in Europa¨ ischen Gemeinschaften die Meinung vertre- die richtige Richtung stellen die in einem Gru¨ nbuch99) ten, daß es in absehbarer Zeit keinen Sinn macht, ge- und mehreren Mitteilungen100) der Europa¨ ischen nerell z.B. die nationalen Alterseinstufungen oder Kommission zum Ausdruck gebrachten Bemu¨ hungen Jugendschutzbestimmungen fu¨ r das Fernsehen auf europa¨ ischer Ebene dar. Entsprechende Bestre- durch einheitliche europa¨ ische Kriterien und Pru¨ fun- bungen der Vereinten Nationen, auf G7-Ebene und gen zu ersetzen, weil Beurteilungskriterien und ge- innerhalb der Europa¨ ischen Union sollten nachdru¨ ck- setzliche Rahmenbedingungen zu unterschiedlich lich unterstu¨ tzt werden. Gleiches gilt fu¨ r die sich auch seien. Trotzdem darf dieser Befund nicht dazu verlei- auf internationaler Ebene institutionalisierende Frei- ten, den Versuch einer Internationalisierung des Ju- willige Selbstkontrolle von Inhalteanbietern.

94) FSM, Satzung und Verhaltenskodex vom 9. Juli 1997 98) Vgl. Engel, C.: Inhaltskontrolle im Internet. In: AfP 1996, 95) FSM, Beschwerdeordnung vom 9. Juli 1997 220---227 (225) 96) Vgl. Weigand, T.: Strafrechtliche Pornographieverbote in 99) Gru¨ nbuch u¨ ber den Jugendschutz und den Schutz der Europa. In: Becker, J.: Pornographie ohne Grenzen. Baden- Menschenwu¨ rde in den audiovisuellen und den Informati- Baden 1994, S. 26---49 onsdiensten (KOM(96) 483 endg.) 97) Vgl. Kommission der Europa¨ ischen Gemeinschaften: 100) z. B. die Mitteilung „Illegale und scha¨ digende Inhalte im Gru¨ nbuch u¨ ber den Jugendschutz und den Schutz der Internet“ (KOM(96) 487. Diese und weitere Dokumente Menschenwu¨ rde in den audiovisuellen und Informations- sind im Internet unter http//www2.echo.lu/legal/inter- diensten. 1996, 483/6, S. 15 net.html abrufbar.

57 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Jugendschutz, Strafrecht, Neue Medien und Internet

--- Ergebnisse einer vergleichenden Analyse ---

Hans-Jo¨rg Albrecht/Freiburg101)

1. Einleitung und Fragestellungen ...... 58 2. Empirische Untersuchungen zur Nutzung des Internets ...... 60 3. Maûnahmen und AnsaÈ tze internationaler und supranationaler Organisationen mit jugendschutzbezogenem Inhalt ...... 61 4. Jugendschutz, Neue Medien, Internet im Deutschen Recht ...... 64 5. AnsaÈ tze des Jugendschutzes in einzelnen LaÈ ndern bzw. LaÈ nder- gruppen ...... 66 5.1 EuropaÈ ische LaÈ nder ...... 66 5.2 Kinder- und Jugendschutz in den neuen Medien in der TuÈ rkei . . . . . 74 5.3 Kontrolle der fuÈ r MinderjaÈ hrige schaÈ dlichen Darstellungen im Inter- net in den Vereinigten Staaten ...... 77 5.4 Lateinamerika ...... 78 5.5 Volksrepublik China ...... 81 6. Zusammenfassung und Schluûfolgerungen ...... 82

Literatur ...... 84

1. Einleitung und Fragestellungen ren in modernen Industriegellschaften entwickelt hat, leisten ko¨ nnen. Daru¨ ber hinaus bietet das Inter- Das Internet, und in diesem Zusammenhang insbe- net ein Feld, in dem derzeit neue Formen polizeili- sondere die als World-Wide-Web bekanntgewordene cher Kontrolle bzw. des „policing“ erprobt werden, Angebots- und Kommunikationsstruktur, hat neue freilich um den Preis der Entstehung neuer Unsicher- Herausforderungen fu¨ r das Recht und insbesondere heiten104). Schließlich geht es fu¨ r strafrechts- und so- fu¨ r das Strafrecht sichtbar werden lassen102). Zu die- zialwissenschaftliche Forschung um Fragen der sen neuen Herausforderungen geho¨ ren neben ver- Normentstehung bzw. Normgenese, der Implementa- fassungsrechtlichen Fragen der Reichweite der Kom- tion von Politik und von Gesetzen sowie nicht zuletzt munikations- und Meinungsfreiheiten sowie der um die Wirkungsanalyse. verwaltungsrechtlichen Verortung der neuen Me- dien103) vor allem Fragen des Jugendschutzes und in Die vorstehend skizzierten Fragestellungen --- vor al- diesem Zusammenhang das Problem, ob und inwie- lem der Jugendschutz, der sich ja weitgehend auf die weit strafrechtliche Sanktionen und strafrechtliche Herstellung von Distanz zwischen jungen Menschen Regulierung auch in diesem Feld einen Beitrag zum und solchen Darstellungen, Substanzen und Hand- Jugendschutz, so wie er sich seit den sechziger Jah- lungen konzentriert, die als besonders riskant fu¨ r eine angemessene Sozialisation eingestuft werden --- *) Fu¨ r die Zuarbeit danke ich meinen Mitarbeitern N. Gu¨ ller, erhalten ihre Eigenart, besondere Ausrichtung und A.-S. Heurtin, St. Klimpel und L. Parra Brisanz durch die mit dem Internet als technischem 101) Die Enquete-Kommission hat Herrn Prof. Albrecht vom und sozialem System verbundenen Besonderheiten Max-Planck-Institut Freiburg beauftragt, in einem Gutach- der Kommunikation und des Wirkungsverlusts her- ten den internationalen Handlungs- und Regelungsbedarf ko¨ mmlicher sozialer, na¨ mlich national, kulturell und zu untersuchen. Die Ergebnisse sind im folgenden kurz zusammengefaßt. territorial gebundener Kontrollmuster, wie sie bei- 102) Sieber, U.: Kontrollmo¨ glichkeiten zur Verhinderung spielsweise im Gesetze zum Schutze der Jugend in rechtswidriger Inhalte in Computernetzen. Zur Umsetzung der O¨ ffentlichkeit und anderen Regelwerken ange- von § 5 TDG am Beispiel der Newsgroups des Internet. legt sind. Das Internet ist ein weltweit und dezentral Computer und Recht 1997, S. 581ff, S. 653ff; Derkesen, R.: organisiertes Datennetz, wobei sich einzelne Rechner Strafrechtliche Verantwortung fu¨ r in internationalen Com- u¨ ber das Netzwerkprotokoll TCP/IP (Transmission puternetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt. NJW 1997, S. 1878ff; Sieber, U.: Strafrechtliche Verantwortlich- keit fu¨ r den Datenverkehr in internationalen Datennetzen 104) Vgl. hierzu Sieber, U.: Legal Aspects of Computer-Related --- Neue Herausforderungen im Internet. JZ 1996, S. 429ff, Crime in the Information Society --- COMCRIME-Study ---. S. 494ff. University of Wu¨ rzburg, Version 1.0 of 1st January 1998, 103) Mecklenburg, W.: Internetfreiheit. ZUM 1997, S. 525---543. S. 99ff.

58 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Control Protocol/Internet Protocol) weltweit mitein- Verha¨ ltnisma¨ ßigkeit im engeren Sinne beurteilt wer- ander in Verbindung setzen ko¨ nnen105). Das Fehlen den muß. Dies lo¨ st die Frage aus, ob mit solchen Kon- hierarchischer Strukturen und u¨ bergeordneter Kon- trollmaßnahmen das angestrebte Ziel, na¨ mlich junge trollinstanzen hat die Gesamtentwicklung und im Menschen von bestimmten Darstellungen fernzuhal- u¨ brigen offensichtlich teilweise auch Einstellungs- ten, erreicht werden kann, und ob der durch Kon- muster der Teilnehmer und Nutzer gepra¨ gt, die sich trollmaßnahmen und Strafandrohungen erzielbare gegenu¨ ber Kontrolle als besonders widersta¨ ndig er- und tatsa¨ chlich veranlaßte Schutz schließlich gegen- weisen. Insoweit handelt es sich tatsa¨ chlich um „eine u¨ ber den durch das Strafrecht veranlaßten Eingriffen Plattform zur Vermittlung von Informationen“106), die in Individualrechte und Kollektivinteressen schwerer weder thematisch noch inhaltlich begrenzbar sind. wiegt. Ferner sind wirtschaftliche Interessen zu be- Die Analogie zum „Highway“ ist deshalb insoweit ru¨ cksichtigen, namentlich im Zusammenhang mit richtig, als auch Straßennetze aus sich heraus keine den Anforderungen, die an Provider in der Kontrolle Auswahl des u¨ ber das Netz abgewickelten Trans- der Inhalte von Kommunikationsvorga¨ ngen gestellt ports vorzunehmen in der Lage sind (sieht man von werden. Schließlich sind neben den wirtschaftlichen allgemeinen Kapazita¨ tsgrenzen in Form von Tragfa¨ - Entwicklungsinteressen moderner Gesellschaften, higkeit und der Durchflußmenge ab). Unterschiede die sich in die Abwa¨ gung mit Kontrollinteressen ge- zu Presse, Rundfunk und Fernsehen entstehen durch zogen sehen, auch soziale und kulturelle Entwick- das Fehlen einer Auswahl und den Mangel an wirt- lungschancen in Rechnung zu stellen, die ebenfalls schaftlich, politisch oder kulturell motivierter Ziel- von dem Ausmaß an strafrechtlich und pra¨ ventiv be- setzung. Die Eigenschaften des Internet sind also gru¨ ndeten Eingriffen in Kommunikationsnetze und bestimmt durch Dezentralisierung, fehlende Hierar- Kommunikationsvorga¨ nge abha¨ ngig sind. chie, eine Schnelligkeit des Informationstransfers, Angesichts der Struktur von Internet und World der den Raum nebensa¨ chlich werden la¨ ßt, multime- WideWeb sowie angesichts der durch den Jugend- diale Fa¨ higkeiten, fast unbegrenzte Speicherkapazi- schutz postulierten und bereits strafrechtlich ta¨ t (und damit Informationsmenge), Vernetzung der unterlegten Anforderungen ist deshalb die Frage Informationen, weitgehende Chancen fu¨ r eine voll- aufzuwerfen, wie die Verbreitung von jugendschutz- sta¨ ndige Anonymita¨ t der Nutzer, die Einfachheit der relevanten (also „illegalen und scha¨ digenden“) In- Handhabung von Zugangs- und Navigationssoftware halten u¨ ber das Internet zu beurteilen ist, und zwar sowie zeitlich und o¨ rtlich nicht begrenzten sowie im wesentlichen in Form preiswerten Zugang. --- der „eigenha¨ ndigen“ Verbreitung von Informatio- Anknu¨ pfungspunkt fu¨ r alle Streitfragen, die bislang nen etc., internetbezogene Sachverhalte mit sich brachten, ist --- der Zurverfu¨ gungstellung eines Zugangs zur zuna¨ chst das Problem, wie weit technisch durchfu¨ hr- „Kommunikationsplattform“, bare elektronische U¨ berwachung und das strafrecht- liche Verbot von Informationsvorga¨ ngen gehen du¨ r- --- der Bereitstellung von Diensten bzw. Angeboten. 107 fen ), ohne daß die in demokratisch verfaßten Die Fragestellungen, die aus dem Zusammenhang Gesellschaften besonders gehu¨ teten Grundrechte Internet, Jugendschutz und Strafrecht folgen, sind der Meinungs- und Informationsfreiheit in ihren ver- nicht zuletzt auf die seit Mitte der neunziger Jahre 108 schiedenen Auspra¨ gungen verletzt werden ). So- schwerpunktma¨ ßig in Deutschland zu beobachten- dann wird natu¨ rlich die Frage aufgeworfen, wie weit den Anstrengungen von Strafverfolgungsbeho¨ rden ¨ Uberwachungs- und Kontrollmaßnahmen u¨ berhaupt zuru¨ ckzufu¨ hren, Internet-Zugangs-Provider sowie gehen ko¨ nnen und in wirtschaftlich vertretbarem Betreiber, die sogenannte newsgroups zulassen, fu¨ r Umfang realisierbar sind. Fu¨ r strafrechtlich unterleg- dort kommunizierte Kinderpornographie strafrecht- ten Jugendschutz stellt sich bereits hier daru¨ ber hin- lich verantwortlich zu machen110). Aus diesen ersten aus die Frage der Implementation. Denn nur „eine Ansa¨ tzen strafrechtlicher Befassung mit dem Internet außerordentlich umfassende“ Kontrolle und Erfas- und dem WorldWideWeb, Zugangsprovidern sowie sung des Informationstransfers wa¨ ren mutmaßlich den im Zusammenhang mit neuen Netzwerken ent- 109 dazu geeignet ), einen fu¨ r die Glaubwu¨ rdigkeit des stehenden Kommunikationsstrukturen sind Prozesse Strafrechts wichtigen Grad der Durchsetzung zu er- entstanden, die vor allem in Europa und in Nordame- reichen. Freilich stellt sich dann wiederum sofort das rika zu einer sehr schnellen Entwicklung neuer Ge- Problem der Rechtfertigung eines derart massiven setze zur Regelung auch strafrechtlicher Fragen fu¨ hr- Eingriffs in die Informationsfreiheit (die wohl nur ver- ten. Freilich ist nicht zu verkennen, daß hinter den gleichbar wa¨ re mit der pra¨ ventiven Kontrolle aller Forderungen nach Kontrolle und strafrechtlicher Haf- ¨ postalischen Vorga¨ nge zur Uberpru¨ fung der trans- tung eine moralische Panik steht, die vor allem aus portierten und u¨ bermittelten Inhalte). Im u¨ brigen dem Dutroux-Fall und aus weiteren spektakula¨ ren werden Gesichtspunkte der Verha¨ ltnisma¨ ßigkeit an- sexuellen Mißbrauchsfa¨ llen Mitte der neunziger gesprochen, da jeder staatliche Eingriff unter dem Jahre gespeist wird. Diese Fa¨ lle werden im u¨ brigen Blickwinkel von Geeignetheit, Erforderlichkeit und weiterhin mit hartna¨ ckigen Annahmen u¨ ber kom- merzialisierten, bandenma¨ ßigen Kinderpornogra- 105) Sieber, U.: a.a.O. 1996, S. 430---434. 106) Mecklenburg, W.: a.a.O., 1997, S. 527. 107) Zum Stand der U¨ berwachung von Telekommunikations- 110) Vgl. hierzu zusammenfassend Sieber, U.: a.a.O. 1997, vorga¨ ngen vgl. BTDrs. 13/4800. S. 581ff sowie Sieber, U.: Legal Aspects of Computer-Rela- 108) Stange, A.: Pornographie im Internet --- Versuch einer straf- ted Crime in the Information Society --- COMCRIME- rechtlichen Bewa¨ ltigung. CR 1996, S. 424ff. Study ---. University of Wu¨ rzburg, Version 1.0 of 1st Janua- 109) Mecklenburg, W.: a.a.O., 1997, S. 539. ry 1998, S. 57.

59 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode phiehandel verknu¨ pft. Freilich liegen bis heute keine ren und damit die Risikopotentiale sachgerecht Erkenntnisse daru¨ ber vor, daß Ta¨ tergruppen Kinder einscha¨ tzen lassen. Insoweit ist die rechtspolitische gezielt entfu¨ hrten und sexuell mißbrauchten, um da- Diskussion weit vorausgeeilt, wie dies angesichts der bei pornographisches Material herzustellen und u¨ ber Erfahrungen mit der Nutzung empirischer Forschung welche Medien auch immer anzubieten. Die bislang zur Vorbereitung von Kriminalpolitik in sensiblen Be- sichergestellte Kinderpornographie belegt fu¨ r Euro- reichen eigentlich nicht anders zu erwarten war. Im- pa, daß alle Filme aus einer u¨ ber la¨ ngere Zeit be- merhin kann ganz allgemein festgestellt werden, daß stehenden Abha¨ ngigkeitssituation zwischen Ta¨ ter das Internet im wesentlichen durch Nordamerika so- und Opfer heraus entstanden sind111). wie durch die englische Sprache gepra¨ gt ist. Etwa 80 % der am Internet beteiligten Server stehen in Es bedarf insoweit vor allem rechtsvergleichend und Nordamerika; etwa 90 % der Kommunikationsvor- interkulturell angelegter Untersuchungen, denn die ga¨ nge spielen sich in englischer Sprache ab. Jedoch eingangs aufgezeigten Probleme und Fragestellun- sind Online Umfragen, die verschiedentlich in den gen verweisen auf einen konflikttra¨ chtigen Kontrast letzten Jahren zu sozio-demographischen Kennzei- zwischen nationalstaatlich segmentierten Kontrollan- chen der Nutzer durchgefu¨ hrt wurden, in ihrer Aus- sa¨ tzen samt der ihnen unterliegenden spezifischen sagekraft eingeschra¨ nkt, da Probleme der Selektion U¨ berzeugungen zu Jugend, Erziehung und Jugend- bzw. Repra¨ sentativita¨ t nicht gelo¨ st werden ko¨ nnen. gefa¨ hrdungen einerseits sowie den Besonderheiten Freilich verschaffen diese Umfragen einen gewissen von neuen Medien und Kommunikationsprozessen, tentativen Einblick in Zusammensetzungen der die grenzenlos angelegt sind, andererseits. Insoweit Nutzer und insbesondere in Vera¨ nderungen der muß es zuna¨ chst darum gehen, verschiedene rechtli- Nutzerzusammensetzungen. Nach einer im Oktober/ che Ansa¨ tze im Jugendschutz, Differenzen im Zu- November 1997 durchgefu¨ hrten Online-Befragung gang zum Jugendschutz sowie rechtliche, vor allem (N=16403 Teilnehmer) sinkt der Anteil studentischer strafrechtliche, Antworten auf neue Herausforderun- Nutzer und liegt nunmehr bei 17 %. Der Anteil von gen durch das Internet zu identifizieren. Mit der Aus- Angestellten stieg dagegen bis Ende 1997 auf 44 %; wahl der La¨ nder bzw. La¨ ndergruppen, die in einen der Anteil der selbsta¨ ndigen Web-Nutzer erreicht zu solchen Vergleich einbezogen werden, muß auch si- demselben Zeitpunkt 17 %. Das Durchschnittsalter chergestellt werden, daß einmal ein gewisser U¨ ber- wird Ende 1997 mit 33 Jahren (1995: 29) angegeben. blick u¨ ber strafrechtlich vermittelten Jugendschutz Die 20---29ja¨ hrigen stellen dabei mit 37 % die gro¨ ßte in verschiedenen Rechts- und Kulturkreisen dieser Altersgruppe. 44 % der Befragten gaben an, u¨ ber ein Welt ermo¨ glicht wird; zum anderen besteht das An- Monatseinkommen von mehr als 5000 DM zu verfu¨ - liegen darin, den verschiedenen Systemen Unter- gen112). Damit ergibt sich ein Bild, das den durch- schiede und Gemeinsamkeiten zu entnehmen. schnittlichen Internet-Nutzer wie folgt charakterisie- Schließlich sollte sichergestellt sein, daß gerade neu- ren la¨ ßt: die Nutzung erfolgt wohl u¨ berwiegend aus ere Entwicklungen im rechtlichen bzw. strafrechtli- beruflichen und Ausbildungszusammenha¨ ngen her- chen Umgang mit neuen Medien nachgewiesen wer- aus; die Nutzer entstammen deshalb a¨ lteren Alters- den ko¨ nnen. Von Bedeutung ist dann Variation im gruppen und sind von Ausbildung und Einkommen Hinblick auf unterschiedliche o¨ konomische und ge- her gesehen offensichtlich u¨ berdurchschnittlich posi- sellschaftliche Entwicklungsstadien sowie im Hin- tioniert. blick auf U¨ berga¨ nge in politischen Systemen. Im folgenden soll mit einer Auswahl von La¨ ndern aus Zur Frage der Nutzung des WorldWideWeb bzw. des unterschiedlichen Kulturkreisen und in unterschied- Internet und von Online-Diensten liegen dann Be- lichen Entwicklungsstadien der Versuch unternom- funde aus allgemeinen Bevo¨ lkerungsbefragungen men werden, die Strukturen des strafrechtlichen vor. Nordamerikanische Umfragen geben fu¨ r Mitte Jugendschutzes samt den Debatten und Reformpro- der neunziger Jahre an, daß bei einer Verfu¨ gbarkeit zessen, die sich aus den neuen Herausforderungen von Computern in Haushalten in Ho¨ he von 37 % ins- des Jugendschutzes ergeben haben, aufzubereiten gesamt etwa ein Drittel, bzw. bezogen auf die Ge- und zusammenzufassen. Im einzelnen handelt es sich samtbevo¨ lkerung etwa 12 %, der Haushalte das In- um verschiedene europa¨ ische La¨ nder, sodann um ternet bzw. Online-Dienste nutzen113). Deutsche Nord- und Su¨ damerika sowie die Volksrepublik Chi- Umfragen geben die Quote der PC-Verfu¨ gbarkeit in na. Haushalten fu¨ r 1997 mit 41 % an. Die Nutzung von Internet und Online-Diensten liegt nach den Umfra- gen bei 10 % (bezogen auf die Gesamtbevo¨ lke- rung)114). Nach anderen Recherchen soll die Zahl der 2. Empirische Untersuchungen zur Nutzung Nutzer weltweit zwischen 105 und 170 Millionen lie- des Internets gen. Davon erfolgt der Zugriff, wie oben bereits er- Empirische Zuga¨ nge zur Nutzung des Internets in wa¨ hnt, zu etwa 80 % in englischer Sprache. Die Nut- seinen verschiedenen Auspra¨ gungen liegen bislang zung erfolgt schwerpunktma¨ ßig in den Vereinigten noch kaum vor. Vor allem aber fehlen solche Unter- Staaten von Amerika (61 %). Die Interessenschwer- suchungen zu den als problematisch eingestuften Be- reichen des Internet, die verla¨ ßliche Daten produzie- 112) Beilage der Su¨ ddeutschen Zeitung vom 27. Januar 1998, S. XII 113) The Gallup Organization: The Gallup Poll. Public Opinion 111) Bundesministerium des Innern: Jahresbericht 1996 zur Kri- 1995. Wilmington 1996, S. 254. minalita¨ tslage in der Bundesrepublik Deutschland. In: 114) Noelle-Neumann, E., Ko¨ cher, R. (Hrsg.): Allensbacher Bundesministerium des Innern: Texte zur Inneren Sicher- Jahrbuch der Demoskopie 1993---1997. Allensbach 1998, heit. Band II. Bonn 1997, S. 19---59. S. 468f.

60 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 punkte, die mit der privaten Nutzung des WWW che Kontrollmaßnahmen hatten somit im Hinblick verfolgt werden, ergeben folgende Rangordnung: auf die Zuga¨ nglichkeit und Verbreitung dieser Infor- 1. Spiele, 2. Pornographie, 3. Chat. Die Wachstums- mationen einen unerwu¨ nschten Beschleunigungsef- raten sind offensichtlich enorm. Fu¨ r 1997 wird die fekt. Ein solcher Beschleunigungseffekt la¨ ßt sich im Wachstumsrate mit 34000 pro Tag angegeben u¨ brigen auch als Konsequenz von Fa¨ llen entdecken, (12410000 im Jahre 1997). Fu¨ r 1998 werden in denen erst als Folge polizeilicher und justitieller 49640000 Nutzer gescha¨ tzt (pro Tag 136000). Die Maßnahmen und deren breite Behandlung in den Nutzung des WWW durch Firmen la¨ ßt Schwerpunkte Medien bestimmte Inhalte einem gro¨ ßeren Publikum im Anzeigen-, Werbung- und Marketingbereich er- bekannt wurden, das dann in nicht erwartetem Aus- kennen (66 %), gefolgt von Kundendienst und tech- maß die entsprechenden Web-sites suchte und be- nischer Unterstu¨ tzung (9 %). Auf Forschungen ent- suchte. fa¨ llt ein Anteil von 7 %. Elektronische Post ist mit Die bisherigen Untersuchungen haben freilich aus 5 % vertreten. einer anderen Perspektive partiell U¨ berlegungen ge- Neuerdings werden im u¨ brigen auch Web-Kriminali- neriert, die im Zusammenhang mit Wirkungsanaly- ta¨ tsstatistiken erstellt. Diese lassen einen drastisch sen in der Zukunft empirischen Tests ausgesetzt wer- ansteigenden Trend erkennen115), teilen freilich die den ko¨ nnten. Hier geht es vor allem um Hyothesen bekannten Probleme aller offiziellen Kriminalita¨ tssta- zu den bei bestimmten Gro¨ ßenordnungen von Kom- tistiken. Im u¨ brigen ist den Daten und ihrer Entwick- munikation und u¨ bertragenen Informationen, bei be- lung durchaus zu entnehmen, daß eine gewisse An- stimmten zeitlichen Faktoren des Wandels sowie zeigebereitschaft vorhanden ist und damit auch die technischen und elektronischen Bedingungen der Bereitschaft der Nutzer, wahrgenommene Probleme U¨ bertragung u¨ berhaupt erzielbaren Kontrollgro¨ ßen- mitzuteilen und an der Entstehung eines Systems so- ordnungen und Annahmen zu den Kosten bzw. zu zialer Kontrolle in den Netzen mitzuwirken. dem personellen und technischen Aufwand, die bei bestimmten Kontrollmaßnahmen anfallen wu¨ rden. Wachstum % Gerade derartige Untersuchungen sind von erhebli- Jahr Anzeigen N (1993 = 100 %) cher Bedeutung, da sie in den hier von der Straf- rechtssetzung her gesehenen sensiblen Bereichen 1993 640 100 der Abwa¨ gung der verschiedenen Interessen eine ganz entscheidende Rolle spielen werden. 1994 971 152 1995 1494 233 1996 4322 675 3. Maßnahmen und Ansa¨tze internationaler 1997 12775 1996 und supranationaler Organisationen mit 1998 (gescha¨ tzt) 51000 7969 jugendschutzbezogenem Inhalt

Die Anzeigen betrafen u¨ berwiegend Mißbrauch der Die europa¨ ischen Telekommunikationsminister be- e-mail (41 %), Mißbrauch von chat room Einrichtun- schlossen bei ihrem Treffen im April 1996 in Bologna, gen und schließlich Kinderpornographie (20 %). dem Thema „illegale und scha¨ digende Inhalte im In- ternet“ („illegal and harmful content“) versta¨ rkt Auf- Fehlen schon (unumstrittene116)) deskriptive empiri- merksamkeit zu widmen. Der Telekommunikations- sche Daten zum Internet und zum WorldWideWeb, so rat setzte eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema ein, ist besonders schmerzlich das bisherige Ausbleiben in die auch Vertreter der Zugangs- und Dienstean- von Wirkungsanalysen zu vermerken, die sich mit bieter sowie von Nutzern des Internet aufgenommen Fragestellungen der Kontrolle, insbesondere straf- wurden. Die Arbeitsgruppe legte im Oktober 1996 rechtlicher Kontrolle, des Internet und neuer Kom- ein Arbeitspapier vor, in dem Gesetzesinitiativen in munikationsformen und deren Folgen gewollter und den Mitgliedsstaaten zum Thema „Jugendschutz im ungewollter Art bescha¨ ftigen. Freilich liegen unsy- Internet“ vorgestellt sowie Vorschla¨ ge fu¨ r eine euro- stematische Beobachtungen vor, aus denen sich paweite Selbstkontrolle und die rechtliche Regelung durchaus erwartungsgema¨ ße Zusammenha¨ nge ab- der Verantwortlichkeit unterbreitet werden118). Auf leiten lassen. So scheint das Pha¨ nomen kontrapro- der Grundlage dieses Papier faßte der Telekommuni- duktiver Wirkungen von Kontrollmaßnahmen ver- kationsrat am 28. November 1996 eine Entschließung schiedentlich aufgetreten zu sein. So haben zu „Illegalen und scha¨ dlichen Inhalten im Inter- beispielsweise Versuche, extremistische Inhalte von net“119), in der der Rat die Europa¨ ische Kommission einzelnen Servern zu verbannen, dazu gefu¨ hrt, daß ersuchte, ein Selbstkontrollgremium auf Gemein- die hiervon betroffenen Inhalte nur Stunden spa¨ ter in schaftsebene zu etablieren, den Austausch u¨ ber sehr viel gro¨ ßerem Umfang auf vielen anderen Ser- rechtliche Regulierung des Internet und deren vern weltweit zur Verfu¨ gung standen117). Strafrechtli- Durchsetzung in den Mitgliedsstaaten zu fo¨ rdern so- wie „die Frage der rechtlichen Haftung fu¨ r Internet- 115) http://www.intergov.org/information/latest---web---ststs.ht- Inhalte weiter zu pru¨ fen“. Die Mitgliedsstaaten wer- ml den in der Entschließung aufgefordert, auf nationaler 116) Vgl. zur Frage der Quantita¨ t von Pornographie im Internet Ebene Selbstkontrollgremien einzurichten, „Verhal- Stange, A.: Pornographie im Internet --- Versuch einer straf- tenscodizes“ fu¨ r die Internetnutzung zu erarbeiten rechtlichen Bewa¨ ltigung. CR 1996, S. 424ff. 117) Sieber, U.: Legal Aspects of Computer-Related Crime in the Information Society --- COMCRIME-Study ---. Universi- 118) http://www2.echo.lu/legal/en/internet/content/wpen.html ty of Wu¨ rzburg, Version 1.0 of 1st January 1998, S. 58. 119) http://www2.echo.lu/legal/de/internet/resolde.html

61 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode sowie „Internethotlines“ zur Verfu¨ gung zu stellen, an (auch in der Folge der UN-Anti-Diskriminierungs- die sich solche Internetnutzer wenden ko¨ nnen, die konvention in vielen (aber nicht allen) Mitgliedsstaa- auf illegale oder jugendgefa¨ hrdende Inhalte gesto- ten die „Aufstachelung zum Rassenhaß“, die Ver- ßen sind. Weiter sollen die Mitgliedsstaaten Filter- wendung von „Haßsprache“, die Verwendung software fo¨ rdern, die eine „Selbstzensur“ insbeson- bestimmter Kennzeichen oder das Verbreiten be- dere jugendgefa¨ hrdender Inhalte erlaubt. Die stimmter (extremistischer oder terroristischer) Druck- Europa¨ ische Kommission sieht zuna¨ chst eine (nicht erzeugnisse etc. sowie vielfa¨ ltige Formen der Diskri- selbstversta¨ ndliche) Zusta¨ ndigkeit der Europa¨ ischen minierung unter Strafe gestellt. Neben diesen Union fu¨ r den Bereich der Internetregulierung, da es allgemeinen Verboten sind in den Mitgliedsstaaten sich beim Internet um grenzu¨ berschreitenden freilich Inhalte anerkannt, die grundsa¨ tzlich zula¨ ssig Dienstleistungsverkehr handele, dessen Gewa¨ hrlei- (das heißt, hergestellt und Erwachsenen zuga¨ nglich stung zu den Aufgaben der EU geho¨ re. Eine Koordi- gemacht werden du¨ rfen), aber von Kindern und Ju- nierung der Mitgliedsstaaten auf diesem Gebiet gendlichen ferngehalten werden mu¨ ssen. Hierunter ko¨ nne sich zudem auf die im Maastrichter Vertrag fallen insbesondere verschiedene Formen der „wei- vereinbarte Zusammenarbeit auf den Gebieten Inne- chen“ oder „normalen“ Pornographie und --- in abge- res und Justiz stu¨ tzen. Eine Regulierung auf EU-Ebe- stufter Form --- Gewalt- sowie andere Darstellungen, ne ha¨ lt die Kommission allerdings (vorerst) nicht fu¨ r die fu¨ r bestimmte Altersgruppen als scha¨ dlich einge- erforderlich. Nach dem Subsidiarita¨ tsgrundsatz seien stuft worden sind. eine informelle Festlegung gemeinsamer Mindest- standards, die dann von den Mitgliedsla¨ ndern eigen- Die hierin zum Ausdruck kommenden Rechtsprinzi- verantwortlich umzusetzen seien, sowie eine inten- pien und Abwa¨ gungen werden als solide Basis fu¨ r sive Koordination bei der Rechtsdurchsetzung eine Zusammenarbeit bei der Internetregulierung vorzuziehen. Die EU-Kommission betont dann, eine und der Internetselbstregulierung gesehen. Ferner Fernhaltung illegaler und scha¨ digender Inhalte sei wird hieraus geschlossen, daß auch bezu¨ glich der gerade deshalb erforderlich, damit sich das Internet neuen Medien zwischen „illegalen“ (oder, will man als neuer „Dienstleistungsmarkt“ durchsetzen und die Sprache des Beta¨ ubungsmittelgesetzes aufgrei- dessen erhebliches (wirtschaftliches und innovatives) fen: „verkehrsunfa¨ higen“) und bloß „scha¨ digenden“, Potential voll ausgescho¨ pft werden ko¨ nne. Dies sei d. h. vor allem jugendgefa¨ hrdenden Inhalten unter- nur mo¨ glich, wenn u¨ ber eine Regulierung und schieden werden mu¨ sse. Ansa¨ tze zur Lo¨ sung sieht Selbstregulierung von illegalen und scha¨ digenden das Gru¨ nbuch in einem informellen Austausch von Inhalten das Vertrauen der europa¨ ischen Verbrau- Informationen auf Justizebene, insbesondere in einer cher in die Sicherheit und Integrita¨ t des Internet her- vergleichenden Analyse rechtlicher Regulierung gestellt werden ko¨ nne. „neuer Medien“ im EU-Raum. Dies soll in den Ent- wurf einer Richtlinie mu¨ nden, die gemeinsame Min- Im Oktober 1996 legte die EU-Kommission dann ein deststandards festsetzt und die zwischenstaatliche sogenanntes „Gru¨ nbuch u¨ ber den Jugendschutz und Kooperation bei der Rechtsdurchsetzung regelt. Dar- den Schutz der Menschenwu¨ rde in den audio-visuel- u¨ ber hinaus soll auf gemeinschaftlicher Ebene eine len und Informationsmedien“ vor120). Neue „Gefah- Plattform fu¨ r ein Selbstregulierungsgremium gebil- ren“ durch „neue Medien“ werden hier weniger dar- det werden. in gesehen, daß diese die Herstellung „neuen“, Freilich sind nicht nur Gemeinsamkeiten hervorzu- bislang unbekannten „gefa¨ hrlichen Materials“ er- heben. Gerade die Mitgliedstaaten der EU unter- mo¨ glichten, als darin, daß die Zuga¨ nglichkeit zu scheiden sich in Ob und Wie der Inkriminierung bei- schon vorhandenem und als riskant eingestuftem spielsweise nationalsozialistischer Kennzeichen und Materials wesentlich erleichtert werde. Eine Regulie- Werbung, in der Inkriminierung von Gewaltdarstel- rung ko¨ nne daher im Grundsatz an den Prinzipien lungen oder gewisser Darstellungen von bzw. der der Regulierung der „alten Medien“ ansetzen. Bei Werbung fu¨ r illegale Drogen. Schließlich weisen der Analyse der Regulierung der „alten Medien“ in auch die Ansa¨ tze strafrechtlicher Diskriminierungs- den EU- Mitgliedsstaaten gelangt das „Gru¨ nbuch“ verbote ganz erhebliche Unterschiede aus. Nur am zu dem Ergebnis, daß diese in allen Mitgliedsstaaten Rande sei noch verwiesen auf den Tatbestand der auf vergleichbaren Rechtsgedanken und Rechtsprin- Unterstu¨ tzung terroristischer Vereinigungen im deut- zipien basiere. Dies ist angesichts des gemeinsamen schen Strafrecht, der in den meisten La¨ ndern keine Erbes der Aufkla¨ rung sowie der ganz Europa im 19. Entsprechung findet. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfassenden „Jugendbewegung“ erwartungsgema¨ ß. Alle Mit- Neben dem Gru¨ nbuch hat die Europa¨ ische Kommis- gliedsstaaten garantieren den Bu¨ rgern Meinungsfrei- sion noch einen Bericht u¨ ber „Illegale und scha¨ di- heit, die jedoch zugunsten vordringlicher Rechtsgu¨ - gende Inhalte im Internet“ vorgelegt. Dieser erla¨ utert ter eingeschra¨ nkt werden darf. Dementsprechend zuna¨ chst den Aufbau des Internets und dessen Dien- sind u¨ berall, freilich abgestufte, strafrechtliche Ver- ste und schla¨ gt sodann „Sofortmaßnahmen“ zur Be- bote bestimmter Inhalte, Darstellungen, das Zuga¨ ng- ka¨ mpfung „illegaler und scha¨ digender Inhalte“ lichmachen sowie die Verbreitung vorgesehen. In vor121). fast allen La¨ nder werden im u¨ brigen Kinderporno- graphie sowie bestimmte Formen gewaltsamer Por- Die Europa¨ ische Kommission hat dem (Telekommu- nographie generell verboten. Daru¨ berhinaus wurden nikations-) Rat der Europa¨ ischen Union einen „Akti-

120) http://www2.echo.lu/legal/en/internet/content/gpen-toc.- 121) http://www2.echo.lu/legal/de/internet/content/commu- html nic.html

62 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 onsplan zur Fo¨ rderung der sicheren Nutzung des In- dort wird mit entsprechenden, heute fast internatio- ternet“ unterbreitet, die insbesondere Maßnahmen nale Standards widerspiegelnden Ansa¨ tzen gearbei- zur Fo¨ rderung der Selbstregulierung sowie von Fil- tet, zu denen die Identifizierungpflicht von Kunden tersoftware vorsehen122). Entsprechend der Unter- geho¨ rt. Anonymer Datenverkehr bleibt dann zwar scheidung zwischen „illegalen“ und „scha¨ dlichen“ mo¨ glich, die Strafverfolgungsbeho¨ rden ko¨ nnen aber Inhalten schlagen die Gremien der EU unterschiedli- die jeweilige Dateneingabestelle bei illegaler Einga- che Maßnahmen vor. be identifizieren. Die Host-Diensteanbieter sollen nur dann haften, wenn positive Kenntnis von illega- Fo¨ rderung der „Selbstkontrolle“ sowie von „Inter- len Inhalten gegeben ist. Insoweit tritt eine „Garan- netbewertungssystemen“ gegen jugendgefa¨ hr- tenpflicht“ ein. „Positive Kenntnis“ soll dabei nur dende Inhalte angenommen werden du¨ rfen, wenn eine entspre- chende Information durch ein Selbstkontrollgremium Nationale „Selbstkontrollgremien“ sollen jeweils fu¨ r oder durch Justiz- oder Polizeibeho¨ rden erfolgt ist. ihr Land „Verhaltenscodices“ aufstellen. Die Inter- Eine Pflicht, Texte inhaltlich selbst zu pru¨ fen, besteht netdiensteanbieter, die Dritten ihre Dienste zur Ver- damit nicht. „Zugangs-Provider“, die ihren Kunden fu¨ gung stellen, um eigene Inhalte verbreiten zu lediglich den Zugang zum Internet vermitteln, nicht ko¨ nnen, sollen diese vertraglich auf diese Verhal- aber auch Internetdienste anbieten, sind von straf- tenscodices verpflichten. rechtlicher Haftung vollsta¨ ndig freigestellt. Jugendgefa¨ hrdende Inhalte sollen durch den Server entsprechend gekennzeichnet sein, so daß Eltern Das inhaltliche Regulierungskonzept, das sich inner- und Lehrer sie problemlos als solche erkennen ko¨ n- halb der EU- Gremien abzeichnet, entbindet die Pro- nen. Dem liegt zugrunde, die auch im deutschen Ju- vider von unkalkulierbaren (strafrechtlichen) Haf- gendschutz wirksame Annahme, daß es zuna¨ chst die tungsrisiken. Dafu¨ r werden die Provider in die Pflicht fu¨ r Erziehung und Sozialisation selbst Verantwortli- genommen, an einem Selbstregulierungsgremium chen sein mu¨ ssen, die von jungen Menschen Gefah- mitzuwirken. Einem solchem Selbstregulierungsgre- ren abwenden. Das „Selbstkontrollgremium“ wird mium soll es neben den Polizei- und Justizbeho¨ rden die Aufgabe haben, ein „Internetbewertungssystem“ u. a. auch obliegen, „illegale“ Inhalte ausfindig zu zu etablieren, an dem sich die Hersteller und Anwen- machen. Hierzu sollen sogenannte „Hotlines“ zur der von „Filtersoftware“ orientieren sollen. Zur Koor- Verfu¨ gung gestellt werden. Dem entsprechen im dinierung der „Selbskontrollgremien“ auf einzel- u¨ brigen moderne Ansa¨ tze in der sozialen Kontrolle staatlicher Ebene ist daran gedacht, ein solches durch Recht. Auch im Bereich des Umweltschutzes Gremium auch auf Gemeinschaftsebene zu schaffen. und im Bereich des Schutzes der Wirtschaft wird dar- auf abgestellt, daß die Selbstkontrolle ein wesentli- ches und gegebenenfalls gar entscheidendes Ele- Festlegung eines Mindestkatalogs von „illegalen“ ment in der Pra¨ vention unerwu¨ nschten Verhaltens Inhalten und in der Sicherung von Rechtsgu¨ tern darstellt. Dies Die EU- Gremien wollen (zuna¨ chst auf informeller wird im Bereich des Umweltschutzes beispielsweise Basis) einen „Mindestkatalog“ von in allen La¨ ndern durch die Einsetzung von Umweltschutzbeauftragten „illegalen Inhalten“ festlegen. Dieser umfaßt nach in bestimmten Branchen eingelo¨ st. Banken und Spar- den Vorstellungen der EU-Gremien in jedem Fall so- kassen sind zur Einsetzung von Geldwa¨ schebeauf- genannte „harte“ (gewaltta¨ tige) Pornographie sowie tragten aufgerufen, deren Aufgabe es ist, die Mitar- Kinderpornographie. Ob der Mindestkatalog auch beiter und Mitarbeiterinnen fu¨ r relevante Vorga¨ nge rassistische Inhalte umfassen wird, ist derzeit noch zu sensibilisieren und die organisatorischen Struktu- offen, da insoweit in einigen La¨ ndern liberalere Re- ren, Arbeitsabla¨ ufe etc. auf ihr Risikopotential hin zu geln gelten, die die Meinungsfreiheit weitgehender u¨ berpru¨ fen (obschon der bloße Umgang mit Geld na- gewa¨ hrleisten (z.B. Da¨ nemark). Die Mitgliedsstaaten tu¨ rlich nach wie vor als sozialada¨ quat betrachtet ko¨ nnen aber auch weiterhin daru¨ berhinaus Inhalte wird). Insoweit fu¨ gen sich die Gemeinschaftspla¨ ne in verbieten, eine abschließende EU-Regulierung ist bereits akzeptierte Standards und Prinzipien ein. nicht beabsichtigt. Zur Beka¨ mpfung (bloß) scha¨ dlicher Inhalte setzt die Festlegung eines Mindestkatalogs von strafrechtli- EU nicht auf das Strafrecht, sondern auf „Selbstregu- chen Verantwortlichkeiten lierung“ und „Selbstzensur“ mittels Filtersoftware, die gezielt gefo¨ rdert und zu deren Einsatz Eltern, Was die Setzung strafrechtlicher Verantwortlichkei- Lehrer und Erzieher ermutigt werden sollen. Wie ten betrifft, so zeichnet sich in den EU- Gremien eine Provider zu behandeln sind, die sich einer Mitwir- Versta¨ ndigung auf solche (strafrechtliche) Haftungs- kung an einer Selbstregulierung verweigern, ist auf grundsa¨ tze ab, die denen des TDG entsprechen. In EU- Ebene bislang nicht diskutiert worden. Aller- erster Linie sollen diejenigen haften, die unmittelbar dings du¨ rfte sich das deutsche Konzept, eine buß- illegale Inhalte in das Netz einspeisen. Um diese geldbewehrte Pflicht fu¨ r Provider zu schaffen, mit auch belangen zu ko¨ nnen und das Strafrecht durch- der die Beteiligung an einer Selbstregulierung er- setzbar zu gestalten, sollen die Host-Dienstanbieter zwungen werden kann, in das EU (Selbst-)regulie- zur Identifizierung von Personen verpflichtet werden, rungskonzept des Internet durchaus einfu¨ gen lassen. die Daten einspeisen. Insoweit ergeben sich Paralle- Neben einer „materiellen Angleichung“ von Normen len zur Geldwa¨ sche und Geldwa¨ schekontrolle. Auch setzen die EU- Gremien fu¨ r effektive Beka¨ mpfung il- legaler Inhalte insbesondere auf grenzu¨ berschreiten- 122) http://www2.echo.lu/legal/de/internet/actpl-pr.html de Kooperation bei der Rechtsdurchsetzung. Um zu

63 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode verhindern, daß in einem Land als illegal erkannte Strafta¨ tern zu verbessern. Dabei wird angemessenen und gelo¨ schte Inhalte u¨ ber einen Server im Ausland Ressourcen fu¨ r die Schulung des Personals von Straf- verbreitet werden, soll der Mitgliedsstaat, der von ei- verfolgungsbeho¨ rden besondere Bedeutung zuge- nem illegalen Inhalt Kenntnis erlangt hat, dies den messen. Justizbeho¨ rden der anderen Mitgliedsstaaten mittei- len. Diese haben --- jedenfalls wenn der Inhalt auch nach ihrer Rechtslage illegal wa¨ re --- dann ebenfalls 4. Jugendschutz, Neue Medien, Internet im die Lo¨ schung dieses Inhalts zu veranlassen. Deutschen Recht Das Europa¨ ische Parlament hat am 24. April 1997 Der Deutsche Bundestag hat am 13. Juni 1997 das eine Entschließung zu „Illegalen Inhalten im Inter- „Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz“ net“ verabschiedet123). Darin greift das Europa¨ ische (IuKDG) verabschiedet125). Kern dieses Gesetzes ist Parlament die Unterscheidung zwischen „illegalen“ das neugeschaffene „Gesetz u¨ ber die Nutzung von und „scha¨ digenden“ Inhalten auf, fordert die Polizei- Telediensten“ (TDG). Dieses regelt in § 5, wer fu¨ r In- und Justizbeho¨ rden zur Zusammenarbeit bei der ternetinhalte zivil- und strafrechtlich verantwortlich Rechtsdurchsetzung auf, fordert ferner gemeinsame ist. Daneben wurde klargestellt, daß „Ton- und Bild- Mindeststandards von Inhalten, die europaweit ver- tra¨ ger, Datenspeicher, Abbildungen und andere boten sein sollen, eine u¨ bereinstimmende Regelung Dienstleistungen“ den Schriften i.S. d. des StGB und hinsichtlich der Haftung der Internetanbieter sowie des „Gesetzes u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hr- die Etablierung eines europa¨ ischen Selbstkontroll- dender Schriften“ (GjS) gleichstehen; dies war vor- gremiums. Bei einem Ta¨ tigwerden der EU auf diesem her umstritten126). Die Bundespru¨ fstelle fu¨ r jugendge- Gebiet seien freilich, so ist der Entschließung auch zu fa¨ hrdende Schriften hat freilich auch schon vor entnehmen, stets die „Grundsa¨ tze der Subsidiarita¨ t Inkrafttreten des IuKDG Websites indiziert127). Weiter und der Verha¨ ltnisma¨ ßigkeit“ zu beru¨ cksichtigen. wurde in das GjS eine Bestimmung eingefu¨ gt, die ge- Im Europarat, der auch Nicht-EU-Mitgliedsstaaten werbsma¨ ßige Internetdienstanbieter (allerdings nur umfaßt, wurde 1997 ein Expertenausschuß „Krimina- sog. „Service-Provider“, nicht bloße „Zugangs-Provi- lita¨ t im Cyberspace“ gegru¨ ndet, der sich auch mit il- der“) verpflichtet, einen Jugendschutzbeauftragten legalen Inhalten im Internet bescha¨ ftigen soll. Ange- zu bestellen (§ 7a). Dieser soll bei der Erarbeitung strebt werden auch hier eine Harmonisierung des der allgemeinen Nutzungsbedingungen beteiligt materiellen Rechts sowie eine bessere internationale werden und vorschlagen ko¨ nnen, gewisse Dienste zu Kooperation bei der Rechtsdurchsetzung. sperren. Der Internetdienstanbieter kann dieser Ver- pflichtung auch dadurch nachkommen, daß er sich Ein OECD-Ausschuß (ICCP) hat Anfang 1997 auf an einer Organisation der Freiwilligen Selbstkontrol- franzo¨ sische und belgische Initiativen hin beschlos- le mehrerer Anbieter beteiligt. Kommt der Provider sen, in einer Studie die Rechtsvorschriften und Prak- dieser Pflicht nicht nach, begeht er gema¨ ß § 21a GjS tiken der Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis „scha¨ dlichen“ Inhalten im Internet zu erfassen. Da- zu 30000 DM geahndet werden kann. Der Jugend- neben sollen auch Selbstregulierungsbemu¨ hungen schutz wird sodann auf das gesamte Bundesgebiet des Privatsektors, die Initiativen in den einzelnen bezogen durch die la¨ nderu¨ bergreifende Stelle „ju- Mitgliedsstaaten, die auftretenden Probleme und die gendschutz. net“ versta¨ rkt. Auf diese Art und Weise bereits vorhandenen Lo¨ sungswege dargestellt wer- soll der Jugendschutz nach dem Mediendienste- den, um unter Beru¨ cksichtigung des Subsidiarita¨ ts- Staatsvertrag gewa¨ hrleistet werden. Die Begru¨ ndung prinzips bestimmte Fragen einer international akzep- fu¨ r Einrichtung und versta¨ rkte Kontrollen bezieht tierten Lo¨ sung zuzufu¨ hren. Dabei werden der sich auf Feststellungen, daß weder Anbieter noch Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und anderen in- freiwillige Selbstkontrollen noch die Bundespru¨ fstel- ternationalen Arbeitsgruppen besondere Bedeutung le fu¨ r jugendgefa¨ hrdende Schriften verhindert ha¨ t- zugeordnet. ten, daß jugendgefa¨ hrdende Schriften etc. online ver- 128 Ein entsprechender Bericht wurde dem Ausschuß breitet wu¨ rden ). Im Rahmen versta¨ rkter Kontrollen Ende 1997 vorgelegt. Weitere Folgemaßnahmen sol- kommt im u¨ brigen Software zum Einsatz, die am len beschlossen werden. Schließlich hat der OECD- Hessischen Landeskriminalamt fu¨ r das Aufspu¨ ren Ministerrat gefordert, die Verbreitung von Kinderpor- von jugendgefa¨ hrdenden Inhalten, insbesondere aber zum Aufspu¨ ren von Kinderpornographie ent- nographie u¨ ber das Internet und vergleichbare Netze 129 entschlossen zu beka¨ mpfen.124) wickelt wurde ). Im Zentrum des strafrechtlichen Jugendschutzes Die P- 8- Gruppe (G-7 + Rußland) hat im November steht § 184 StGB (wobei die Tatbesta¨ nde des GjS we- 1996 die sogenannte „Carnegie- Gruppe“ eingesetzt, die sich mit mißbra¨ uchlicher Nutzung globaler Netze 125 befaßt. Daneben hat die P- 8- Gruppe eine Gruppe ) BT-Drs. 13/7934 126) Reinwald, G.: Jugendschutz und neue Medien --- Anwend- hochrangiger Perso¨ nlichkeiten (Lyon Gruppe) einge- barkeit des Gesetzes u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hr- setzt, die sich mit international organisierter Krimina- dender Schriften (GjS) auf Internetangebote und lita¨ t bescha¨ ftigt, darunter mit Internetkriminalita¨ t. Rundfunk auch unter Beru¨ cksichtigung der geplanten A¨ n- Ziel dieser Gruppe ist es, die Mo¨ glichkeiten zur Lo- derung des Schriftenbegriffs in GjS und StGB. ZUM kalisierung, Identifizierung und Verfolgung von 6(1997), S. 450---461. 127) Z. B. wurde eine Website, die die sog. „Auschwitzlu¨ ge“ verbreitete, indiziert; BPjS- Aktuell 4/1996 S. 8 123) http://wwwdb.europarl.eu.int/dg7-bin/sei 128) Jugendmedienschutz-Report 1/1998, U2. 124) Siehe, http://www2.echo.lu/de/internet/wp2de-chap.html 129) Jugendmedienschutz-report 1/1998, U2.

64 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 gen der dort teilweise erfaßten Fahrla¨ ssigkeit partiell steanbieter im Hinblick auf das von ihnen weiterreichen130)). § 184 StGB stellt, von den ge- wissentlich Angebotene gilt. Die gesamten A¨ uße- schu¨ tzten Interessen her gesehen, einen „gemisch- rungs- und Friedenssto¨ rungsstraftatbesta¨ nde, wie ten“ Tatbestand dar. Denn er dient einerseits dem Ju- die o¨ ffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 gendschutz, und zwar indem das U¨ berlassen, StGB), das Verbreiten etc. die Menschenwu¨ rde ver- Anbieten etc. pornographischer Schriften131) an Per- letzender Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB)132), die sonen unter 18 Jahren unter Strafe gestellt, anderer- Volksverhetzung (§ 130 StGB), die Anleitung zu seits der Umgang mit Kinderpornographie (bis ein- Straftaten (§ 130a), die Androhung von Straftaten schließlich des Besitzes, Abs. 5) mit Strafe bedroht (§ 126 StGB), Beleidigungs- und Verleumdungsde- wird. Jedoch greift § 184 weiter, da auch die Verbrei- likte (§§ 185ff StGB) sind ohne weiteres bei Vorliegen tung etc. von sog. harter Pornographie (Tiere, Ge- der Voraussetzungen in der Regel vorsa¨ tzlicher Tat- waltta¨ tigkeit etc.) in Abs. 3 einbezogen ist. Den Be- bestandsverwirklichung anwendbar. Neben demje- griff der „Schrift“ definiert § 11 Abs. 3 StGB, wonach nigen, der den Inhalt erstellt hat (und der von daher Schriften Ton- und Bildtra¨ ger, Datenspeicher, Abbil- die Inhalte kennt), kann demnach auch derjenige dungen und andere Darstellungen in denjenigen strafrechtlich haften, der fu¨ r die Zusammenstellung Vorschriften gleichgestellt sind, die auf § 11 Abs. 3 der eigenen Inhalte des Anbieters zusta¨ ndig ist. Da verweisen. Dies ist in § 184 Abs. 1 geschehen, sodaß jedoch nach dem deutschen StGB fu¨ r die hier interes- § 184 StGB in vollem Umfang und in allen Hand- sierenden illegalen Inhalte nur bei Vorsatz gehaftet lungsvarianten auch bei pornographischen Materia- wird --- § 184 stellt fahrla¨ ssiges Handeln nicht aus- lien angewendet wird, die digitalisiert und u¨ ber Net- dru¨ cklich unter Strafandrohung ---, muß dem Han- ze verschickt oder abgerufen werden ko¨ nnen. Die delnden diesbezu¨ glich mindestens dolus eventualis Strafandrohungen sind abgestuft und reichen von nachzuweisen sein. Mit dieser Vorschrift wird im we- Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis sentlichen unterstrichen, daß (im Falle des Bereithal- hin zu einer Mindeststrafandrohung von 6 Monaten, tens pornographischer Darstellungen) § 184 in An- bei einem Ho¨ chstmaß von 5 Jahren, bei qualifizierten wendung zu bringen ist. Fa¨ llen der Kinderpornographie (§ 184 IV). Fu¨ r fremde illegale Inhalte haftet ein Dienstanbieter, Seit Inkrafttreten des IuKDG sind in verschiedenen, wenn er diese zur Nutzung bereitha¨ lt, nach § 5 bis dahin teilweise noch umstrittenen Punkten Klar- Abs. 2 TDG nur dann, wenn er hiervon positiv Kennt- stellungen erfolgt, die freilich keine eigensta¨ ndigen nis hat. Dies schließt eine Haftung bei bloßem be- haftungsbegru¨ ndenden Charakter haben (also keine dingten Vorsatz (dolus eventualis) aus. Kein Dien- Tatbesta¨ nde darstellen), sondern im Zusammenhang steanbieter muß u¨ berpru¨ fen, ob auf dem jeweiligen mit den straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Server ggf. illegale Inhalte verbreitet werden. Tatbesta¨ nden des StGB und des Gesetzes zum Schut- ze der Jugend in der O¨ ffentlichkeit sowie des Ge- Nicht eindeutig ist dem Wortlaut des Abs. 2 zu ent- setzes u¨ ber die Verbreitung jugendgefa¨ hrdender nehmen, ob hierdurch nur „dolus eventualis“ ausge- Schriften, schließlich den allgemeinen Haftungs- schlossen oder ob damit zugleich eine Garanten- grundsa¨ tzen des Strafrechts zu lesen sind. § 5 TDG pflicht statuiert wird. Der Gesetzgeber wollte jedoch klassifiziert verschiedene Rollen im Umgang mit In- insoweit wohl auch eine Garantenpflicht festle- 133). Freilich ist dies nicht selbstversta¨ ndlich. ternetangeboten. Dabei geht es um den Dienstanbie- gen ter, der eigene Inhalte anbietet (Abs. 1), den Dienst- Denn eine strafrechtliche Garantenstellung und eine entsprechende Garantenpflicht wird nur dann aner- anbieter, der fremde Inhalte zur Nutzung anderer Personen bereitha¨ lt (Abs. 2), sowie um den Dienstan- kannt und akzeptierbar sein, wenn der Betreffende eine Gefahrenquelle ero¨ ffnet hat und aus diesem bieter, der den Zugang vermittelt (Abs. 3). Grunde verantwortlich dafu¨ r sein muß, daß aus die- Nicht klargestellt zu werden brauchte, daß derjenige, ser Gefahrenquelle keine Scha¨ den entstehen, oder der „eigenha¨ ndig“ in § 184 inkriminierte Inhalte wenn der Betreffende fu¨ r das riskierte Rechtsgut Sor- u¨ ber ein Netz verbreitet, sie zuga¨ nglich macht etc., ge zu tragen hat. Letzteres, na¨ mlich die Beschu¨ tzer- gema¨ ß § 184 haftet. Die strafrechtliche Verantwort- garantenstellung, kommt fu¨ r den Internetprovider lichkeit und Haftung stellen auch im Hinblick auf wie fu¨ r den Diensteanbieter von vornherein nicht in denjenigen kein Problem dar, der der Urheber der In- Frage. Denn im Hinblick auf alle Jugendliche kann halte ist (freilich kommen hier im Falle der Herstel- dem Provider wohl schwerlich eine Schutzpflicht auf- lung von Kinderpornographie die Tatbesta¨ nde des erlegt werden. Hinsichtlich einer Garantenstellung Sexualstrafrechts zusa¨ tzlich in Betracht). § 5 TDG be- wegen der Ero¨ ffnung einer Gefahrenquelle du¨ rften faßt sich lediglich mit den sogenannten Dienste- und aber --- was die Substanz einer solchen Garantenstel- Zugangs-Anbietern. Kommerzielle Anbieter, die ei- lung betrifft --- ebenfalls Zweifel angebracht sein. gene Inhalte anbieten, sind fu¨ r diese Inhalte gema¨ ß Denn eine solche Gefahrenquelle ko¨ nnte wohl in der § 5 Abs. 1 TDG „nach allgemeinen Gesetzen verant- Bereitstellung von Zuga¨ ngen und in der Bereitstel- wortlich“, eine Selbstversta¨ ndlichkeit, die nur unter- lung von Informationen nur dann gesehen werden, streicht, daß das allgemeine Strafrecht auch fu¨ r Dien- wenn diese allgemeinen Aktivita¨ ten einen erhebli- chen Grad von sozial nicht akzeptiertem Risiko in sich tru¨ gen. Dies wird hier aber nicht anzunehmen 130) Hierzu Walther, O.: Beka¨ mpfung schwer jugendgefa¨ hr- dender Darstellungen aus der Sicht eines deutschen Staatsanwalts. Jugendmedienschutz-Report 5/1997, S. 1--- 132) Vgl. hierzu auch BVerGE NStZ 1993, 75, wonach die Norm 9. nur bei restriktiver Auslegung wegen ihres unbestimmten 131) Zum Pornographiebegriff vgl. BGHSt. 23, 40 (Fanny Hill Charakters verfassungskonform sei. Urteil); im u¨ brigen Walther, O.: a.a.O., 1997, S. 5. 133) Enquete- Kommissionsbericht S. 57

65 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode sein. Mit Aktivita¨ ten wie dem Verschaffen von Zu- Darstellungen gegen CompuServe Mitarbeiter be- gang zum Internet und zu bestimmten Diensten wird gleitet hat (obschon die Mu¨ nchner Staatsanwalt- (vergleichbar anderen o¨ konomischen und sozialen schaft das Strafverfahren gegen CompuServe-Ange- Handlungen, die in Randbereichen auch Risiken stellte weiter betreibt). Bereits vor Inkrafttreten des schaffen) vielmehr ein sozial akzeptiertes und damit TDG hat aber eine richtige Anwendung haftungs- ada¨ quates Risiko gesetzt. Aus dem Grunde fehlender theoretischer Grundsa¨ tze gegen die Annahme einer Schaffung eines rechtlich mißbilligten Risikos mu¨ ßt Verwirklichung des § 184 StGB durch bloße faktische auch eine Gehilfenstrafbarkeit scheitern134). Freilich Ero¨ ffnung des Zugangs zu kinderpornographischen hat sich der Gesetzgeber in Abs. 2 fu¨ r die gesetzliche Materialien gesprochen. Denn der Service-provider Anordnung einer Garantenstellung entschieden. kann nicht fu¨ r selbsta¨ ndiges und eigenverantwortli- Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wird na¨ mlich ches Handeln Dritter strafrechtlich verantwortlich fu¨ r den Fall begru¨ ndet, daß der Provider von einem gemacht werden. Neben den Figuren der Mitta¨ ter- Inhalt Kenntnis hat, daß ihm zugemutet werden schaft oder der Gehilfenschaft bleibt hier kein Raum kann, eine Nutzung zu verhindern und daß die tech- mehr fu¨ r strafrechtliche Zurechnung138). nische Mo¨ glichkeit der Verhinderung der Nutzung Da auch fu¨ r die Straftatbesta¨ nde des GjS (§ 21 GjS) besteht. Mit dieser Bedingungskette fu¨ r die straf- die haftungsbegrenzenden Maßsta¨ be des TDG gel- rechtliche Zurechnung sind wohl auch die wesentli- ten, ist ein strafbewehrter „fahrla¨ ssiger“ Verstoß ge- chen, auch wiederum haftungsbeschra¨ nkenden Ele- gen die Verbreitungsverbote des GjS jedenfalls fu¨ r mente aufgegriffen worden135). Die objektive die Diensteanbieter bei der Verbreitung fremder In- Mo¨ glichkeit (einen Erfolg nicht einzutreten zu las- halte ga¨ nzlich ausgeschlossen. Inwieweit ansonsten sen) und die auf den Einzelnen bezogene Zumutbar- u¨ berhaupt eine Strafbarkeit nach dem GjS in Frage keit, solche Schritte einzuleiten, die den Erfolg ver- kommt, ist umstritten. Nach dem GjS indizierte meiden lassen, sind klassische Elemente der Schriften du¨ rfen na¨ mlich fu¨ r Erwachsene nicht ga¨ nz- Unterlassungsstrafbarkeit. Gerade an diesen Ele- lich unzuga¨ nglich sein. Ein Sperrung oder Lo¨ schung menten erweisen sich aber die Besonderheiten der bestimmter Internetinhalte, die dazu fu¨ hren, daß kei- durch das Internet und die hier ermo¨ glichten Kom- nerlei Zugriff auf diese Daten mo¨ glich ist, kann daher munikationsformen gesetzten Rahmenbedingungen nicht verlangt werden. Sieber verneint daher gene- fu¨ r die Vermeidbarkeit von jugendscha¨ digenden In- rell eine Strafbarkeit nach GjS fu¨ r Internetinhalte139). halten bzw. des Zugangs zu solchen u¨ ber das Inter- Dem wird von anderen entgegengehalten, Compu- net136). Die strafrechtliche Zurechnung muß deshalb ternetze erlaubten Codierungen, die sicherstellen scheitern, wenn die Erfolgsvermeidung entweder be- ko¨ nnten, daß nur Erwachsene zu bestimmten Daten reits technisch nicht mo¨ glich ist, oder jedenfalls dem Zugang haben, so daß das GjS auf Internetinhalte Einzelnen nicht zugemutet werden kann. Die neue- prinzipiell anwendbar sei140). ren Einscha¨ tzungen zur Kontrollierbarkeit und damit Vermeidbarkeit weisen aber mit großem Nachdruck darauf hin, daß hier dem einzelnen Service-Provider recht enge Grenzen gesetzt sind, die es auf der Zu- 5. Ansa¨tze des Jugendschutzes in einzelnen mutbarkeitsebene erforderlich machen, diesen von La¨ndern bzw. La¨ndergruppen der Zurechnung zu entlasten137). Der Abwa¨ gung der involvierten Interessen unter Beru¨ cksichtigung von 5.1 Europa¨ische La¨nder Erfolgsaussichten von Schutzmaßnahmen spielt nun- mehr eine entscheidende Rolle. Die schweizerische Diskussion der strafrechtlichen Kontrolle des Internet und hierin u¨ bermittelter Info- Ein Diensteanbieter, der lediglich den Zugang zu mationen setzt strukturell vergleichbar dem deut- fremden Inhalten vermittelt, diese aber selbst nicht schen Recht an. Im Zentrum stehen die Straftatbe- zur Nutzung bereitha¨ lt, ist nach § 5 Abs. 3 TDG von sta¨ nde der Artikel 135 (Verbot eindringlicher zivilrechtlicher wie strafrechtlicher Haftung ga¨ nzlich Gewaltdarstellungen, die die elementare Wu¨ rde des ausgeschlossen. Dies gilt nach Abs. 3 Satz 2 auch fu¨ r Menschen in schwerer Weise verletzen), 197 (Verbot „eine automatische und kurzzeitige Vorhaltung frem- des Zuga¨ nglichmachens von Pornographie fu¨ r unter der Inhalte auf Grund einer Nutzerabfrage“. Auch 16-ja¨ hrige Personen) und 261bis (o¨ ffentlicher Aufruf sogenannte „Proxy Cache“- Server sind damit ga¨ nz- zum Rassenhaß bzw. o¨ ffentliche, gegen die Men- lich von der Haftung ausgenommen. Mit dieser Re- schenwu¨ rde verstoßende Rassendiskriminierung gelung hat sich eigentlich der Streit erledigt, der die bzw. Leugnung oder Rechtfertigung von Vo¨ lker- Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen der Er- mord) des schweizerischen Strafgesetzbuches. Diese o¨ ffnung des Zugangs zu kinderpornographischen Artikelkette zielt nicht nur auf Jugendschutz, son- dern mit dem Verbot der Rassendiskriminierung 134) Derksen, R.: Strafrechtliche Verantwortung fu¨ r in interna- auch auf die Implementation einer Politik, die einmal tionalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem die Durchsetzung der UN-Anti-Diskriminierungs- Inhalt. NJW 1997, S. 1878ff. konvention zum Gegenstand hat, zum anderen 135) Sieber, U.: Kontrollmo¨ glichkeiten zur Verhinderung Funktionen erfu¨ llt, die dem Tatbestand der Aufsta- rechtswidriger Inhalte in Computernetzen. Zur Umsetzung chelung zum Rassenhaß im deutschen Strafgesetz- von § 5TDG am Beispiel der Newsgroups des Internet. Teil 2. CR 1997, S. 653ff. 136) Dreher/Tro¨ ndle Strafgesetzbuch, Mu¨ nchen 1997, § 13, 138) Weitzel, P.: Kinder- und Jugendschutz bei Internet-Ange- Rdnr. 14. boten. DRiZ 1997, S. 424---432, S. 428. 137) Weitzel, P.: Kinder- und Jugenschutz bei Internet-Angebo- 139) JZ 1997, S. 497 ten. DRiZ 1997, S. 424---432, S. 428; Sieber, U.: a.a.O., 140) Walther in BPjS- Aktuell 1/97 S. 7; Beisel/Heinrich CR 1997, S. 581ff, S. 653ff. 1997, S. 362f.

66 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 buch entsprechen. Ob eine Darstellung im strafrecht- Einrichtung des Telekiosks durch die Post ein aktives lich relevanten Sinne gewaltta¨ tig, pornographisch Ta¨ tigwerden dar. Freilich ha¨ tte das Bundesgericht oder rassistisch ist, bestimmt sich nach den allgemei- hier auch die Frage stellen ko¨ nnen, ob nicht der nen Grundsa¨ tzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Schwerpunkt auf dem Unterlassen von Maßnahmen Darstellung durch Presseerzeugnisse Filme oder aber liegt, mit denen der Zugang von Jugendlichen zum u¨ ber ein Netzwerk verbreitet wird. Gleiches gilt fu¨ r Telekiosk unterbunden ha¨ tte werden ko¨ nnen. Inso- die Definiton der sog. weichen Pornographie i. S. von weit wa¨ re von einer durch Unterlassung begangenen Artikel 197 Ziffer 1 StGB. Freilich sind internetspezi- Beihilfe auszugehen, jedoch die Garantenstellung fische Auswirkungen des Tatbestandes des Arti- und -pflicht zu pru¨ fen. Der Umstand, daß der Provi- kel 197 I, der Jugendschutz bezweckt, zu beru¨ cksich- der im Unterschied zur Post beim Betrieb des Tele- tigen. Zu differenzieren ist dann nach den Rollen kiosks u¨ ber keine Monopolstellung verfu¨ gt, ist hin- desjenigen, der Inhalte in das Netz eingibt oder zur sichtlich des fu¨ r die Beihilfe wesentlichen kausalen Verfu¨ gung stellt, des Empfa¨ ngers und desjenigen, Tatbeitrags aber nicht relevant. Ein beschuldigter der bloß den Zugang zu dem Netzwerk ero¨ ffnet. Er- Provider ko¨ nnte sich nicht mit dem Einwand entla- fu¨ llt eine u¨ ber ein Netzwerk verbreitete und empfan- sten, die pornographische Darstellung sei auch u¨ ber gene Darstellung den objektiven Tatbestand einer andere zuga¨ nglich gewesen. Selbst wenn dies tat- der erwa¨ hnten 3 Bestimmungen, so ist davon auszu- sa¨ chlich der Fall gewesen sein sollte, so hebt dies na- gehen, das sich der Empfa¨ nger, dessen Ta¨ tigkeit sich tu¨ rlich die Kausalita¨ t des Tatbeitrags nicht auf. Ent- auf die perso¨ nliche Einsichtnahme in die Darstellung scheidend fu¨ r die Strafbarkeit wegen Beihilfe ist beschra¨ nkt, nach geltendem Recht nicht strafbar allein, ob dem Provider Vorsatz hinsichtlich der o¨ f- macht, da der bloße Besitz/Konsum von gewaltta¨ ti- fentlichen Verbreitung von illegalen Inhalten angela- gen, rassistischen oder pornographischen Darstellun- stet werden kann. Die Debatte in der Schweiz erfaßt gen keine strafbare Handlung darstellt. Die Schutz- durchaus der deutschen Diskussion vergleichbare gu¨ ter der Art. 135, 197 und 216bis StGB werden Gesichtspunkte. Nicht ausreichen kann natu¨ rlich das hierdurch nicht verletzt. Bei den Tatbesta¨ nden von bloße Wissen, daß im gesamten, immensen Datenver- Artikel 135 und 197 Ziffer 3 StGB wird freilich die kehr, fu¨ r den der Zugang ero¨ ffnet wird, illegale oder Frage aufgeworfen, ob der Empfang einer Darstel- scha¨ digende Inhalte enthalten sind. Die Abscha¨ t- lung nicht unter die Handlungsalternativen des Ein- zung technischer Kontrollmo¨ glichkeiten und Zumut- fu¨ hrens und Lagerns subsumiert werden ko¨ nnte. barkeitserwa¨ gungen fu¨ hren dabei zum Vorschlag Eine solche Auslegung wa¨ re nach wohl einhelliger von Lo¨ sungen, die eine weitgehende strafrechtliche Auffassung zu extensiv. Freilich ist in der Schweiz Entlastung vorschlagen. Auf der anderen Seite wird daran gedacht, den Besitz von Kinderpornographie in dem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts ebenfalls unter Strafe zu stellen. darauf hingewiesen, daß spezifische Informationen u¨ ber konkrete Netzinhalte, die der Provider aufgrund Der strafrechtliche Ansatz in der Kontrolle jugendge- eigener Erkenntnis erwirbt oder, die ihm von Dritten fa¨ hrdender Inhalte im Internet kann in der Schweiz zugetragen werden, einen Wissensstand begru¨ nden, --- dies gilt im u¨ brigen fu¨ r alle hier behandelten Sy- der zur Bejahung des Beihilfevorsatzes fu¨ hren kann. steme --- auch auf die Beihilfestrafbarkeit zuru¨ ckgrei- Der Provider setzt sich somit dann dem Risiko straf- fen. Dies setzt voraus, daß eine Person einen kausal- rechtlicher Verantwortlichkeit aus, wenn er nicht um- en Tatbeitrag bewirkt und weiß, daß der Beitrag gehend technisch mo¨ gliche Schritte unternimmt, um Tatvollendung fu¨ hrt. Das Schweizer Bundesgericht die Weiterverbreitung zu unterbinden. Anlaß zu sol- hat in einer einschla¨ gigen Entscheidung ausge- chem Vorgehen besteht bei Informationen von dritter fu¨ hrt141), daß sich der fu¨ r die Einfu¨ hrung des sog. Te- Seite fu¨ r den Provider im u¨ brigen nach der Recht- lekiosks (Teilnahme an pornographischen Telefonge- sprechung des Schweizerischen Bundesgerichts spra¨ chen bzw. Abho¨ ren von Aufzeichnungen solcher nicht erst, wenn ein rechtskra¨ ftiges Strafurteil vor- Gespra¨ che bzw. Gespra¨ chsangebote) Verantwortli- liegt142), sondern schon dann, wenn dieser durch che der Schweizer Postgesellschaft der Beihilfe zur Strafverfolgungsbeho¨ rden informiert wird und nicht Verbreitung von Pornographie (Art. 197 Z. 1 davon ausgehen kann, daß deren Wahrnehmungen SchwStGB) strafbar macht, wenn die technischen falsch sind. Insoweit ist in der Schweiz ein klarer Hin- Einrichtungen bei gleichzeitigem Wissen u¨ ber die weis einer Strafverfolgungsbeho¨ rde auf konkrete Verbreitung pornographischer Tonaufnahmen unter Netzinhalte geeignet, einen Vorsatz des Providers zu Jugendlichen (‹ 16 Jahre) zuga¨ nglich gemacht wer- begru¨ nden, bzw. diesen zur Ergreifung von Gegen- den. Als entscheidend wurde dabei der Umstand ge- maßnahmen zu veranlassen. sehen, daß der Post-Verantwortliche vom Untersu- chungsrichter (der Ermittlungsverfahren wegen der Die Entwicklung hat in der Schweiz zu einem Kata- Verbreitung sog. harter Pornographie mittels des Te- log von Empfehlungen gefu¨ hrt, die nachstehend zu- lekiosks durchfu¨ hrte) auf den illegalen Gebrauch des sammengefaßt sind: Telekiosks und auf das Strafbarkeitsrisiko hingewie- sen worden war. Die Entscheidung des Bundesge- 1. Der Verdacht rechtswidriger Inhalte auf der Seite richts kann durchaus auch auf die Anbieter von Inter- eines Providers sollte zu umgehenden Abkla¨ run- net-Zuga¨ ngen (access-providers) und auf die gen fu¨ hren. Besteht Wissen u¨ ber rechtswidrige In- Betreiber von anderen Online-Netzen u¨ bertragen halte, so sollten unverzu¨ glich die technisch mo¨ gli- werden: Die Bereitstellung der Infrastruktur durch chen und zumutbaren Maßnahmen zur Sperrung den Provider stellt zuna¨ chst in gleicher Weise wie die des Zugriffs erfolgen.

141) BGE 121 IV, S. 109ff. 142) vgl. auch BGE 121 IV, S. 123

67 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

2. Zur Pra¨ vention der Verbreitung von rechtswidri- Hieraus resultierten dreißig Verhaftungen wegen der gen Inhalten ist in erster Linie der Informationsfluß Aufnahme und der U¨ bertragung von pa¨ dophilen Bil- zu und zwischen den Providern zu versta¨ rken. Ein dern (Art. 227---23 FranzStGB). effizientes Selbstregulierungssystem soll sicher- stellen, daß die Provider u¨ ber mo¨ glichst umfassen- Der franzo¨ sische Menschenrechtsausschuß, der zur de, zeitnahe und pra¨ zise Informationen u¨ ber Abgabe einer Stellungnahme zu diesen Fragen auf- rechtswidrige Netzinhalte verfu¨ gen. gerufen worden ist, hat am 14. November 1996 emp- fohlen, die bereits vorhandenen Straftatbesta¨ nde bei 3. Providern wird angeraten, eine zentrale Stelle ein- allerdings notwendigen Anpassungen wirksam zu zurichten, die Hinweise zu rechtswidrigen Netzin- implementieren, ein nationales Gremium fu¨ r derarti- halten sammelt und auswertet. Diese Stelle soll als ge Fragen einzurichten und die internationale Zu- Dienstleistungs- und Informationsdrehscheibe die sammenarbeit im polizeilichen sowie strafjustiziellen angeschlossenen Provider mit aktuellen Informa- Bereich zu fo¨ rdern. Schließlich wurde empfohlen, ei- tionen u¨ ber zu sperrende Netzinhalte versorgen nen Kodex der Verhaltenspflichten aufzustellen, der und die Branchenangeho¨ rigen in fachlicher und an Service- und Zugangsprovider adressiert sein und technischer Hinsicht unterstu¨ tzen. Selbstkontrollverhalten aktivieren solle. Diese Emp- fehlungen stimmen mit den ersten Initiativen der Eu- 4. Zu beachten ist im Zusammenhang mit internetre- ropa¨ ischen Union u¨ berein, na¨ mlich mit den in der levanten Straftatbesta¨ nden die sogenannte weiche Vero¨ ffentlichung des Gru¨ nbuches der Kommission Pornographie (Art. 197 Z. 1 SchwStGB), da diese u¨ ber Jugendschutz im Jahre 1996 genannten Emp- keinem absoluten, sondern einem relativen Verbot fehlungen sowie mit denjenigen in der Mitteilung unterliegt. Das Zuga¨ nglichmachen von weicher u¨ ber „Illegale und scha¨ digende Inhalte im Internet“ Pornographie ist dann strafbar, wenn sie an Perso- vom 4. Juni 1997. Vor diesem Hintergrund sind nen unter 16 Jahren erfolgt. Einem Strafbarkeits- rechtspolitische Debatten u¨ ber „Jugendschutz und risiko kann hier durch technische Maßnahmen be- Internet“ in Frankreich in Gang gebracht worden, in gegnet werden, die sicherstellen, daß Jugendliche denen durchaus an den europa¨ ischen Standard an- keinen Zugriff haben. gepaßt zwischen ungesetzlichen Inhalten und sol- chen Inhalten unterschieden wird, die, wenn sie auch 5. Dem Provider wird empfohlen, Vertra¨ ge grund- auf eine wohlverstandene Entwicklung des Kindes sa¨ tzlich nur mit vollja¨ hrigen und gescha¨ ftsfa¨ higen scha¨ digend einwirken ko¨ nnen, erwachsenen Bu¨ r- Personen abzuschließen. Dem Kunden soll zudem gern nicht verboten werden du¨ rfen. Fu¨ r die ersteren der Netzzugang ausschließlich u¨ ber Benutzeriden- Inhalte ist natu¨ rlich in Frankreich die strafrechtliche tifikation und Paßwort ermo¨ glicht werden. Ahndung, wenn auch nicht als internetspezifische, schon heute mo¨ glich. Fu¨ r die als scha¨ digend einge- stuften Inhalte soll eine internetspezifische Regulie- 6. Der Provider soll sich im Vertrag das Recht vorbe- rung aufgelegt werden. Das geltende franzo¨ sische halten, den Zugang bei Verdacht vorsorglich zu Strafgesetz ermo¨ glicht zwar schon heute die Verfol- sperren und das Vertragsverha¨ ltnis einseitig auf- gung von rechtswidrigen Inhalten, die in das Internet zulo¨ sen, sofern der Kunde rechtswidrige Inhalte eingespeist oder dort verbreitet werden. Dennoch von seinem Anschluß aus verbreitet oder auf sei- treten einige Schwierigkeiten in der Anwendung des nem Anschluß abrufbar ha¨ lt. Strafrechts auf, namentlich stellen sich Probleme der strafrechtlichen Verantwortlichkeit sowie Beweispro- 7. Der Kunde soll im Vertrag nachdru¨ cklich aufgefor- bleme. Die strafrechtlichen Grundlagen fu¨ r eine auf dert werden, ihm zur Kenntnis gelangende rechts- Jugendschutz zielende Kontrolle des Internet sind in widrige Netzinhalte und andere rechtswidrige In- Gestalt der Artikel 227---23 und 227---24 FranzStGB ternet-Verwendungen unverzu¨ glich dem Provider vorhanden. Diese Tatbesta¨ nde schu¨ tzen Minderja¨ hri- und/oder der zentralen Stelle mitzuteilen. ge vor Darstellungen pornographischen oder gewalt- ta¨ tigen Inhalts. Artikel 227---23 droht ein Jahr Frei- 8. Strafrechtlich relevante Erscheinungsformen von heitsstrafe und 300000 FF Geldstrafe fu¨ r die harter Pornographie (Gewalt, Tiere etc.) ko¨ nnen Aufnahme und die U¨ bertragung von pa¨ dophilen Bil- auch in Computerspielen enthalten sein. Der Pro- dern an. Wenn es sich dabei um einen Minderja¨ hri- vider sollte sich dieses Umstandes bewußt sein. gen unter fu¨ nfzehn Jahre handelt, dann erho¨ ht sich die Strafe auf drei Jahre und 500000 FF. Nach Mißbra¨ uchliche Nutzungen des Internet und hierauf Art. 227---24 werden die Herstellung und die U¨ bertra- bezogene Jugendschutzfragen haben auch in Frank- gung, unabha¨ ngig vom U¨ bertragungsmittel, von ge- reich zu rechts- und kriminalpolitischen Debatten waltta¨ tigen oder pornographischen Darstellungen, und Reformen gefu¨ hrt. Die Sensibilisierung fu¨ r Pro- wenn letzere dazu geeignet sind, die Menschenwu¨ r- bleme des sexuellen Mißbrauchs und der Kinderpor- de zu beeintra¨ chtigen und wenn sie von Minderja¨ hri- nographie scheint freilich in Frankreich ebenfalls gen gesehen werden ko¨ nnen, mit einer Freiheitsstra- eine besondere Rolle gespielt zu haben. Am 13. Ma¨ rz fe von drei Jahren und 500000 FF Geldstrafe 1997 wurden na¨ mlich in Frankreich ca. 200 Personen geahndet. Wa¨ hrend Artikel 285 des FranzStGB a.F wegen der Aufnahme, des Verkaufs oder des Ein- die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Her- kaufs von Videokassetten pa¨ dophiler Art u¨ ber das so- ausgegebers nur im Bereich der Printmedien her- genannte Minitel und das Internet in Haft genom- stellte und hieran strafrechtliche Sanktionen men. Am 12. Ma¨ rz 1998 wurde dann ein weiteres im anknu¨ pfte, erweitert Art. 227---24 des neuen franzo¨ si- Internet organisiertes Pa¨ dophiliennetz aufgedeckt. schen StGB die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf

68 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 die audiovisuellen Kommunikationsmittel143) des Mi- die perso¨ nliche Freiheit ha¨ tten rechtfertigen ko¨ n- nitel und Internet. nen145). Die Regierung hat dann im September 1997 eine Ge- Probleme der Strafverfolgung werden auch in Frank- setzesvorlage mit dem Ziel der Vorbeugung von Se- reich auf bestimmte Eigenarten des Internet zuru¨ ck- xualkriminalita¨ t und die Durchsetzung des Schutzes gefu¨ hrt, na¨ mlich auf die extreme Dezentralisierung, Minderja¨ hriger eingebracht146). Einerseits sieht diese auf die Geschwindigkeit der U¨ bermittlungen und auf Gesetzesvorlage die Nutzung des Internet zur Be- die Identifizierbarkeit der Akteure, deren Rollen aus- gehung oder Fo¨ rderung von Vergewaltigung, Zu- tauschbar sind. Dabei werden vor allem Unterschie- ha¨ lterei, Minderja¨ hrigenkorrumpierung oder von de im Vergleich zu den Printmedien sowie Rundfunk sexuellen Beeintra¨ chtigungen als strafscha¨ rfenden und Fernsehen betont. Die U¨ bertragung der fu¨ r letz- Umstand vor. Andererseits erweitert die Vorlage den tere geltenden Grundsa¨ tze des strafrechtlichen Ver- Umfang der Haftung aus Art. 227---23, wonach so- antwortlichkeitssystems wird demnach als Problem wohl Bilder als auch virtuelle Darstellungen bestraft gesehen. Denn die fu¨ r die Printmedien vorgesehene und die Sanktionen verscha¨ rft werden (ein bis drei gesetzliche Fiktion, die den Herausgegeber als Jahre Freiheitsstrafe, fu¨ nf Jahre Freiheitsstrafe im „strafrechtlich Verantwortlichen“ zu bestimmen ge- Ho¨ chstmaß, wenn der Minderja¨ hrige unter fu¨ nfzehn stattet, kann nach allgemeiner Auffassung fu¨ r die Jahre alt ist). Im u¨ brigen wird die Beweislast (im Hin- Dienstanbieter im Bereich des Internet deshalb nicht blick auf das Alter) umgekehrt. Nach dem Entwurf gelten, weil diese unmo¨ glich die gesamte Informa- muß na¨ mlich der Tatverda¨ chtige beweisen, daß die tion, die die Server durchla¨ uft, systematisch und un- betroffene Person vollja¨ hrig (18 Jahre) war. widerleglich kontrollieren ko¨ nnten. Auf diese An- nahme der Durchfu¨ hrbarkeit einer systematischen Es bleiben aber gewisse Probleme, die mit der Spezi- Kontrolle und Pru¨ fung der Inhalt baut aber die straf- fita¨ t des Netzes, seinen internationalen Dimensionen rechtliche Haftung des presserechtlich Verantwortli- und mit Unterschieden in nationalen Gesetzgebun- chen in Frankreich auf. Diese Annahme wird fu¨ r Pro- gen zusammenha¨ ngen. So wird hervorgehoben, daß vider im Internet als nicht legitimierbar betrachtet, beispw. das amerikanische Recht im Hinblick auf und zwar aufgrund des Umfangs und der Flu¨ chtig- Pornographie sehr viel strenger sei als das franzo¨ si- keit der Inhalte, die sowohl die Lokalisierung des De- sche Recht. Das franzo¨ sische StGB verbietet na¨ mlich likts als auch die Beweisfu¨ hrung in hohem Maße er- Pornographie nur dann, wenn darin Minderja¨ hrige schweren. als Teilnehmer der dargestellten Handlungen oder als Empfa¨ nger der Darstellungen verwickelt sind. Andererseits wird darauf hingewiesen, daß in den Die franzo¨ sische Regierung hat im u¨ brigen die straf- USA die Verherrlichung von Kriegsverbrechen oder rechtliche Verantwortlichkeit des Diensteanbieters in Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Namen der einer A¨ nderung des Gesetzes vom 30. September Meinungsa¨ ußerungsfreiheit nicht unter Strafe ge- 1986 zu begru¨ nden und gleichzeitig zu limitieren stellt seien. Insoweit werden Verlagerungsprobleme versucht. Eine strafrechtliche Haftung auch des erwartet. Freilich scheint klar, daß in Frankreich, ver- Zugangproviders sollte fu¨ r den Fall, freilich nur dann, gleichbar anderen europa¨ ischen Staaten, ein gewis- eintreten, wenn keine Mechanismen fu¨ r elterliche ser Konsens daru¨ ber besteht, die Selbstkontrolle her- Kontrollen vorgesehen und durch den Conseil Supe- auszuheben und zu betonen. In den franzo¨ sischen rieur de l--- Audiovisuel indizierte jugendgefa¨ hrden- Debatten ist im u¨ brigen auch Konsens daru¨ ber erzielt de Inhalte verbreitet worden sind, oder wenn in posi- worden, daß es keine systematische oder a priori tiver Kenntnis jugendgefa¨ hrdender Inhalte Zugang Kontrolle geben darf. zu einem solchen Server gewa¨ hrt worden ist. Die Pro- vider waren demnach nach dem Gesetzesvorhaben Im Juli 1996 wurde Artikel 43.1 in das am 30. Sep- dann entlastet, wenn den Kunden eine Siebsoftware tember 1986 verabschiedete Gesetz u¨ ber die Freiheit angeboten worden war, und wenn das Aufrufen von der Kommunikation eingefu¨ gt. Der neue Artikel jugendgefa¨ hrdenden Diensten damit nicht frei und schreibt allen Verbindungs- und Dienstanbietern den fu¨ r Jedermann zuga¨ nglich gemacht wurde. Das Ver- Einsatz eines technischen Mittels vor, das den Zu- fassungsgericht (Verfassungsrat) hat freilich diesen gang zu bestimmten Diensten beschra¨ nken la¨ ßt und Artikel und einen weiteren Artikel, der ein Comite´ Auswahl erlaubt. Das Ziel bestand also darin, sog. Supe´ rieur de la Te´ le´ matique schaffte, als verfas- Siebsysteme nachdru¨ cklich zu fo¨ rdern und diese El- sungswidrig angesehen144). Die Regelungen waren tern und Erziehungsberechtigten zur Verfu¨ gung zu nach Auffassung des Verfassungsgerichts zu allge- stellen, damit diese eine minimale Kontrolle daru¨ ber mein und zu unbestimmt, als daß sie einen Eingriff in ausu¨ ben ko¨ nnen, was Kinder im Internet erreichen und sehen. Das Problem liegt freilich darin, daß Arti- 143) Die audiovisuelle Kommunikation ist im Art. 2 des vom kel 43.1 keine pra¨ zisen Angaben zu dem geforderten 30. September 1986 Gesetzes wie folgt definiert worden: Siebmechanismus macht147). Im u¨ brigen wurde keine „toute mise a` disposition du public ou de cate´ gorie de pub- Sanktion fu¨ r die Verletzung der Norm vorgesehen, lic, par un proce´ de´ de te´ le´ communication, de signes, de si- also ein nicht sanktionsbewehrtes Verbot (eine im- gnaux, d’e´ crits, d’images, de sons ou de messages de toute nature qui n’ont pas le caracte` re d’une correspondance prive´ e“. 146) Sie ist seit Ma¨ rz 1998 vor dem Senat fu¨ r die zweite Bera- 144) Zu dem Teil der A¨ nderung, der dann doch in Kraft getre- tung. ten ist, vgl. weiter oben. 147) Das Standard PICS außerdem, das jetzt sehr viel in Europa 145) Vgl. hierzu auch Bortloff, N.: Neue Urteile in Europa be- benutzt wird, beruht ausschließlich auf angelsa¨ chsischen treffend die Frage der Verantwortlichkeit von Online- Maßsta¨ ben, die den europa¨ ischen nicht unbedingt ent- Diensten. ZUM 3(1997), S. 167---175. sprechen.

69 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode perfekte Norm) geschaffen. Die Nichteinhaltung des außerdem die Kompetenz haben, zur Entscheidung Artikels 43.1 kann nur den Tatbestand einer zivil- von Streitigkeiten ein vereinfachtes und beschleu- rechtlichen Vertragsverletzung erfu¨ llen und damit nigtes Verfahren vor dem Einzelrichter (proce´ dure de ggfs. zivilrechtliche Schadensersatzverpflichtungen re´ fe´ re´ ) einzuleiten. Schließlich wird empfohlen, eine auslo¨ sen. sogenannte „hot-ligne“ einzurichten, um Eilmaßnah- men zur Kontrolle und Beseitigung rechtswidriger In- Im Ma¨ rz 1996 wurde eine interministerielle Arbeits- halte des Internets (Kinderpornographie, Aufstache- gruppe mit der Untersuchung der Frage betraut, ob lung zum Rassenhaß) umsetzen zu ko¨ nnen. Nach und gegebenenfalls in welcher Art und Weise eine den heute festzustellenden Auffassungen sollte eine gesetzliche Regulierung des Internet in Betracht ge- solche „hot-ligne“ spezialisierte und begrenzte Zu- zogen werden sollte. Die Arbeitsgruppe hat vorge- sta¨ ndigkeiten haben. Als rechtlicher Rahmen wird schlagen, einen Verhaltenskodex zu formulieren und der eines gemeinnu¨ tzigen Vereins vorgschlagen. Die dabei auch auf die mit der in Frankreich vorhande- „hot-ligne“ ha¨ tte die Aufgabe, Anzeigen Dritter be- nen Erfahrungen mit der Sonderentwicklung des Mi- zu¨ glich illegaler Inhalte im Internet nachzugehen nitel zuru¨ ckzugreifen. Zur Modellierung der straf- oder diesbezu¨ glich eigene Initiativen zu ergreifen. rechtlichen Haftung der Anbieter schlug die Freilich wird bei allen diesen Empfehlungen zuge- Arbeitsgruppe ein abgestuftes System vor. standen, daß ein rein national organisierter Aufbau von Regulation und Kontrolle des Internet illusorisch Sodann ist im Oktober 1996 Netzexperten die Aufga- wa¨ re. Außerdem wird die Notwendigkeit betont, der be anvertraut worden, einen Verhaltenskodex auszu- Implementationsphase, also der praktischen Anwen- arbeiten und die Modalita¨ ten seiner Anwendung dung der Gesetze, gro¨ ßere Aufmerksamkeit zuteil festzulegen. Am 5. Ma¨ rz 1997 hat die Kommission werden zu lassen. Denn gerade Implementationsdefi- „Beaussant“ den Entwurf einer „Internet-Charta“ zite sind bis heute zu beobachten. Ferner wird eine vorgestellt. Die Charta definiert als Hauptziele die genaue gesetzliche Festlegung der Verantwortlich- Fo¨ rderung einer ausgeglichenen Entwicklung des keiten und Haftung gefordert, neben der Einrichtung Netzes und pra¨ ziser Erla¨ uterungen der Regeln und des weiter oben angesprochenen Gremiums und der Normen des Internet, um damit das Risiko fo¨ rmlicher „hot ligne“ sowie des Ausbaus internationaler Zu- Kontrollmaßnahmen und insbesondere von Strafge- sammenarbeit im polizeilichen und juristischen Be- richtsverfahren zu reduzieren. Die Erfu¨ llung dieser reich. Aufgaben soll einem pragmatischen Selbstkontrollin- strument, na¨ mlich dem Conseil de l’Internet (Inter- Vor diesem Hintergrund hat Frankreich der Organi- net-Rat), anvertraut werden. Dieser Entwurf ist mit sation fu¨ r wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- viel Kritik aufgenommen worden; insbesonders fand wicklung (OECD) eine internationale Internet-Char- der Entwurf kritischen Widerhall bei Internet-Benut- ta vorgeschlagen. zervereinen. Der AUI (Association des Utilisateurs de l’Internet) hat, weil der Conseil de l’Internet als Zen- Der strafrechtliche Jugendschutz im Strafrecht skan- surinstrument eingestuft wurde, den Entwurf voll- dinavischer La¨ nder weist die klassischen Strukturen sta¨ ndig abgelehnt und ist deshalb schon im Januar auf. Im wesentlichen stellen die Strafgesetzbu¨ cher 1997 aus der Kommission „Beaussant“ ausgeschie- Finnlands, Schwedens und Da¨ nemarks die Verbrei- den. Was den AFPI (Association Franc¸aise des Profes- tung pornographischer Schriften bei jungen Men- sionnels de l’Internet) angeht, so hat dieser bedauert, schen unter Strafandrohung, freilich bei erheblichen daß der Staat an den Gespra¨ chen nicht teilgenom- Unterschieden in den Reichweiten der Tatbesta¨ nde men habe. Betont wurde, daß das, was im Bereich (vgl. hierzu § 234 des da¨ nischen StGB: wer unzu¨ chti- des Netzes unternommen werden sollte, um den Ju- ge Bilder oder Gegensta¨ nde an eine Person unter 16 gendschutz und die Menschenwu¨ rde angemessen zu Jahren verkauft, wird mit Geldstrafe bestraft; Schwe- bewahren, gesetzlich geregelt werden mu¨ ßte und den: § 12 Wer unter Kindern oder Jugendlichen nicht Einrichtungen wie einem Conseil de l’Internet Schriften oder Bilder verbreitet, die durch ihren In- anvertraut werden du¨ rfte. Eine neue Arbeitsgruppe halt verrohend wirken oder sonst eine ernsthafte Ge- ist nach der Fertigstellung der Arbeiten der Kommis- fa¨ hrdung ihrer sittlichen Entwicklung herbeifu¨ hren sion „Beaussant“ eingerichtet worden. Die Akteure ko¨ nnen, wird zu Geldstrafe oder Gefa¨ ngnis von des politischen Prozesses bringen nunmehr vor, sich ho¨ chstens 6 Monaten verurteilt; Finnland: Gesetz zur Zeit lassen und dem Druck der o¨ ffentlichen Meinung Unterdru¨ ckung der Verbreitung unsittlicher Publika- nicht nachgeben zu wollen. Auf diese Weise, so wird tionen: § 1 Jeder, der o¨ ffentlich oder unter Vermei- argumentiert, und wa¨ hrend die staatlichen Beho¨ rden dung der O¨ ffentlichkeit Druckerzeugnisse, bildliche die schon verabschiedeten Gesetze anwendeten, ha¨ t- Darstellungen oder andere Zucht und Anstand ver- ten alle Beteiligten Zeit fu¨ r eine genaue Analyse der letzende Werke feilha¨ lt, verkauft oder sonst verbrei- Probleme, um auf der Basis solcher Analysen mo¨ gli- tet ..., wird mit Geldstrafe oder Gefa¨ ngnis von ho¨ ch- che Lo¨ sungen in Ruhe erwa¨ gen zu ko¨ nnen. Daher stens 6 Monaten bestraft). Gewaltdarstellungen in wird nunmehr empfohlen, ein Gremium zur Beratung Filmen, beweglichen Bildern sind in Finnland und der Regierung einzurichten, das die juristischen und Schweden, in Schweden daru¨ ber hinaus auch in technologischen Entwicklungen beobachten, Proble- Form von Bildern unter Strafe gestellt. Das schwedi- me feststellen und analysieren und Informationen sche StGB schra¨ nkt die Strafbarkeit freilich auf die zum Zwecke der Ausbildung und Vermittlung wei- Darstellung sexueller Gewalt und die eingehende terleiten soll. Dieses Gremium soll privaten Charak- und ausfu¨ hrliche Darstellung schwerer Gewalt ein. ter haben und durch Internet-Verba¨ nde bzw. Provi- Da¨ nemark kennt eine Strafbarkeit gewaltverherrli- der und durch den Staat finanziert werden. Es sollte chender Darstellungen nicht. Schweden stellt dem-

70 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 gegenu¨ ber auch die fahrla¨ ssige Verbreitung von Ge- dung oder ein Gegenstand ansto¨ ßig fu¨ r das Scham- waltdarstellungen unter Strafe, wenn dies in einem gefu¨ hl ist und gleichwohl die Abbildung oder den kommerziellen Umfeld geschieht. Jugendschutz be- Gegenstand: 1. auf oder an einem fu¨ r den o¨ ffentli- zweckt in Schweden dann das Verbot des U¨ berlas- chen Verkehr bestimmten Platz o¨ ffentlich ausstellt sens von Filmen, Videos oder sonstiger Aufzeichnun- oder anbietet oder 2. jemandem ohne sein Verlangen gen mit wirklichkeitsgetreuen und eingehenden zusendet. Art. 240a nlStGB zielt dagegen zentral auf Darstellungen von Gewalt an Personen unter 15 Jah- den Schutz von Jugendlichen unter sechzehn Jahren, ren. Freilich ist die Haftung fu¨ r den Fall einge- wenn mit Gefa¨ ngnisstrafe von ho¨ chstens zwei Mona- schra¨ nkt, daß die staatliche Filmkontrolle den Film ten oder Geldstrafe der zweiten Kategorie derjenige fu¨ r die betreffende Altersgruppe freigegeben hat bestraft wird, der eine Abbildung oder einen Gegen- (§ 10c StGB); dasselbe gilt in Finnland. In allen drei stand, dessen Vorfu¨ hrung als scha¨ dlich fu¨ r Personen skandinavischen Staaten gelten schließlich Diskrimi- unter sechzehn Jahren angesehen wird, an solche nierungsverbote, die strafbewehrt sind. Schließlich Minderja¨ hrigen verteilt, diesen anbietet oder ihnen ist der Besitz von Kinderpornographie in Da¨ nemark vorfu¨ hrt, von denen er weiß oder redlicherweise ver- strafbar (wobei bloß eine Geldstrafe angedroht ist). muten muß, daß diese ju¨ nger als sechzehn Jahre alt Im u¨ brigen gilt ein System der Filmkontrolle und sind. Gema¨ ß Art. 240b nlStGB wird der Umgang mit -freigabe fu¨ r bestimmte Altersgruppen. Die Geset- Kinderpornographie inkriminiert. Mit Gefa¨ ngnisstra- zesformulierungen lassen es als wenig problematisch fe von ho¨ chstens vier Jahren oder Geldstrafe der erscheinen, die Tatbesta¨ nde, die sich in den drei vor- fu¨ nften Kategorie wird derjenige bestraft, der eine stehend erwa¨ hnten skandinavischen Staaten dem Abbildung --- oder einen Datentra¨ ger, der eine Abbil- strafrechtlichen Jugendschutz widmen, auch auf Vor- dung entha¨ lt --- von einer sexuellen Handlung, an der ga¨ nge im Internet anzuwenden. In Schweden ist jemand, der erkennbar das sechzehnte Lebensjahr nunmehr mit dem Gesetz eine Debatte u¨ ber die straf- noch nicht erreicht hat, beteiligt ist, verbreitet, o¨ ffent- rechtliche Haftung von Internetprovidern in Gang lich ausstellt, anfertigt, einfu¨ hrt, ausfu¨ hrt oder vorra¨ - gekommen, die in einem ku¨ rzlich in Kraft getretenen tig hat. § 240b droht fu¨ r Qualifikationen einen erho¨ h- Gesetz u¨ ber „Bulletin Board Systems“ (Lag om an- ten Strafrahmen an. Mit Gefa¨ ngnisstrafe von svar fo¨ r elektroniska aslagstavlor, vom 31. Ma¨ rz 1998, ho¨ chstens sechs Jahren oder Geldstrafe der fu¨ nften in Kraft seit 1. Mai 1998) einen ersten Niederschlag Kategorie wird derjenige bestraft, der die in Absatz 1 fand. Betreiber derartiger Systeme werden zur Iden- beschriebenen Vergehen berufsma¨ ßig oder gewohn- tifizierung und dazu verpflichtet, bestimmte illegale heitsma¨ ßig veru¨ bt. Damit wird auf das Pha¨ nomen or- Inhalte (Kinderpornographie, Haßsprache etc.) zu be- ganisierter Kriminalita¨ t abgehoben, das ja, wie ein- seitigen. Ausgenommen von der Haftung sind frei- gangs bereits angesprochen, gerade auch im Bereich lich reine Zugangsprovider, der gesamte Datenver- der Herstellung und des Vertriebs von Kinderporno- kehr zwischen und in Beho¨ rden oder Unternehmen, graphie immer wieder vermutet worden ist. elekronische Mail, die an einzelne Empfa¨ nger bzw. an abgegrenzte Gruppen gerichtet ist und Presseun- Antidiskriminierungsstrafrecht, das die Niederlande ternehmen, die dem besonderen Schutz der im Vollzug der UN-Antidiskriminierungskonvention Meinungsfreiheit unterfallen. Fu¨ r vorsa¨ tzliche und schufen, ist in Art. 137d nlStGB (Anstiftung zum Haß fahrla¨ ssige Verletzungen der Pflicht zur Identita¨ ts- zur Diskriminierung oder zu Gewalt) sowie in feststellung wird Geldstrafe angedroht; fu¨ r die vor- Art. 137e nlStGB (Vero¨ ffentlichung, Verbreitung von sa¨ tzliche und grobfahrla¨ ssige Nichtbeseitigung ille- diskriminierenden A¨ ußerungen) enthalten. Danach galer Inhalte ist Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten wird derjenige, der in der O¨ ffentlichkeit mu¨ ndlich vorgesehen. Jedoch werden erhebliche Probleme der oder durch ein Schriftstu¨ ck oder eine Abbildung zum Implementation des Gesetzes gesehen. Haß gegen oder zur Diskriminierung von Menschen oder gewaltta¨ tigem Auftreten gegenu¨ ber Personen Fu¨ r den Vergleich bedeutsam sind dann, stellt man oder Gu¨ tern von Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer auf strafrechtliche Parameter ab, die vergleichsweise Religion oder Lebensu¨ berzeugung, ihres Geschlech- niedrigen Strafandrohungen, die sich freilich in das tes oder ihrer Hetero- oder Homosexualita¨ t anstiftet, Gesamtsystem strafrechtlicher Sanktionsdrohung in mit Gefa¨ ngnisstrafe von ho¨ chstens einem Jahr oder Skandinavien einpassen. Die wohl im Grundsatz mit Geldstrafe der dritten Kategorie bestraft. eher tolerante Haltung a¨ ußert sich im u¨ brigen, jeden- falls fu¨ r Da¨ nemark, auch in deutlichen Unterschie- Diskriminierungsschutz bezweckt auch Art. 137e den in der Einstufung von Filmmaterial als jugendge- nlStGB, wonach derjenige, der auf andere Weise als fa¨ hrdend im europa¨ ischen Vergleich (vgl. weiter zum Zwecke der sachlichen Berichterstattung: unten in der Zusammenfassung). 1. eine A¨ ußerung vero¨ ffentlicht, die nach seiner Wird fu¨ r die Niederlande die Frage gestellt, wie die Kenntnis oder seiner redlichen Vermutung fu¨ r eine strafrechtliche Situation im Hinblick auf die Verbrei- Gruppe von Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer Reli- tung von Pornographie, Gewaltverherrlichung, links- gion oder Lebensu¨ berzeugung oder ihrer Hetero- und rechtsextremistischer Propaganda sowie eventu- oder Homosexualita¨ t beleidigend ist, oder zum Haß ellen sonstigen „A¨ ußerungsdelikten“ im Strafgesetz- gegen oder zur Diskriminierung von Menschen oder buch geregelt ist, so kann zuna¨ chst auf Art. 240, gewaltta¨ tigem Auftreten gegenu¨ ber Personen oder 240a, 240b nlStGB verwiesen werden. Art. 240 Gu¨ tern von Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer Reli- nlStGB droht Gefa¨ ngnisstrafe von ho¨ chstens zwei gion oder Lebensu¨ berzeugung, ihres Geschlechts Monaten oder Geldstrafe der dritten Kategorie fu¨ r oder ihrer Hetero- oder Homosexualita¨ t anstiftet oder denjenigen an, der Kenntnis davon hat oder ernst- 2. einen Gegenstand, in dem nach seiner Kenntnis hafte Gru¨ nde zu der Vermutung hat, daß eine Abbil- oder seiner redlichen Vermutung eine solche A¨ uße-

71 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode rung enthalten ist, sowohl jemandem ohne dessen Er- Eine § 184 StGB (Verbreitung pornographischer suchen zukommen la¨ ßt, als auch diesen verbreitet Schriften) vergleichbare Vorschrift findet sich im bel- oder zum Zwecke der Vero¨ ffentlichung der A¨ uße- gischen Strafrecht in Art. 383 i.V.m. Art. 386 rung oder deren Verbreitung vorra¨ tig hat, mit Ge- BelgStGB. Danach betra¨ gt die Gefa¨ ngnisstrafe sechs fa¨ ngnisstrafe von ho¨ chstens sechs Monaten oder mit Monate bis zwei Jahre und die Geldstrafe tausend Geldstrafe der dritten Kategorie bestraft wird. Wenn bis fu¨ nftausend Franc, wenn die in Art. 383 C. p. um- der Schuldige eine der in diesem Artikel umschriebe- schriebenen Vergehen gegenu¨ ber einem Minderja¨ h- nen Straftaten wa¨ hrend seiner Berufsausu¨ bung be- rigen begangen werden. Fu¨ r denselben Fall ko¨ nnen geht, und zum Zeitpunkt der Tatbegehung eine fru¨ - die Strafen, die im ersten Absatz des Artikels festge- here Verurteilung wegen einer dieser Straftaten, die setzt sind, verdoppelt werden, unbeschadet der An- unanfechtbar geworden ist, noch keine fu¨ nf Jahre wendbarkeit von Artikel 385 Absatz 2. Nach Art. 383 zuru¨ ckliegt, kann ihm das Recht, diesen Beruf aus- bis BelgStGB ist derjenige, der Bilder, Gegensta¨ nde, zuu¨ ben, entzogen werden. Im u¨ brigen kennt das nie- Filme, Fotos, Dias oder andere Bildtra¨ ger, die sexuel- derla¨ ndische Strafrecht eine § 131 deutsches StGB le Handlungen mit pornographischem Charakter dar- vergleichbare Regel nicht, die Gewaltdarstellungen stellen, an denen ein Minderja¨ hriger unter sechzehn unter Strafe stellen wu¨ rde. Die Niederlande kennen Jahren beteiligt ist, verbreitet etc., mit Haft und mit dann Regulierungen zur Vorfu¨ hrung von Filmen Geldstrafe von fu¨ nfhundert bis zehntausend Franc zu (Wet op de Filmvertoningen vom 5. Januar 1977). In bestrafen. Derjenige, der wissentlich Bilder, Gegen- diesem Regelwerk wird festgelegt, daß in einer o¨ f- sta¨ nde, Filme, Fotos, Dias oder andere Bildtra¨ ger mit fentlichen Filmvorfu¨ hrung, der Personen unter zwo¨ lf kinderpornographischen Darstellungen besitzt, wird Jahren beiwohnen, oder die fu¨ r diese zuga¨ nglich ist, mit Gefa¨ ngnisstrafe von einem Monat bis zu einem ausschließlich Filme vorgefu¨ hrt werden du¨ rfen, die Jahr und mit Geldstrafe von hundert bis tausend von der Niederla¨ ndischen Filmpru¨ fung (Nederlandse Franc bestraft. Die Tat wird mit Zwangsarbeit von filmkeuring) fu¨ r Personen aller Altersgruppen zuge- zehn bis fu¨ nfzehn Jahren und mit Geldstrafe von lassen wurden. Ferner ist ausgefu¨ hrt, daß in einer o¨ f- fu¨ nfhundert bis fu¨ nfzigtausend Franc bestraft, wenn fentlichen Vorstellung, der Personen vom zwo¨ lften es sich um die Teilnahme an der gewerblichen Ta¨ tig- bis sechzehnten Lebensjahr beiwohnen, oder die fu¨ r keit einer Vereinigung handelt, unabha¨ ngig davon, diese zuga¨ nglich ist, abgesehen von den Filmen, die ob der Schuldige die Eigenschaft/Stellung einer lei- im ersten Absatz beschrieben wurden, nur solche tenden Person hat oder nicht. Art. 386b BelgStGB Filme vorgefu¨ hrt werden du¨ rfen, die von der Nieder- legt fest, daß mit Gefa¨ ngnisstrafe von sechs Monaten la¨ ndischen Filmpru¨ fung zur Vorfu¨ hrung vor Perso- bis zwei Jahren und mit Geldstrafe von tausend bis nen u¨ ber zwo¨ lf Jahren zugelassen wurden. Den Ver- fu¨ nftausend Franc derjenige bestraft wird, der an anstaltern ist sodann aufgetragen, auf deutlich Minderja¨ hrige unter achtzehn Jahren „unzu¨ chtige“ wahrnehmbare Weise am Eingang des Filmtheaters, Druckerzeugnisse, Abbilder oder Gegensta¨ nde, die in dem eine o¨ ffentliche Filmvorstellung stattfindet, seine Phantasie reizen ko¨ nnten, verkauft oder aus- sowie in der Anku¨ ndigung der o¨ ffentlichen Filmvor- teilt, oder entsprechende Druckerzeugnisse, Abbil- stellung anzugeben, ob diese fu¨ r Personen unter dungen oder Gegensta¨ nde auf oder an o¨ ffentlichen zwo¨ lf Jahren bzw. sechzehn Jahren zuga¨ nglich ist. Wegen ausstellt. Fu¨ r U¨ bertretungen der Vorschriften ist der Kinounter- Ebensowenig wie in den Niederlanden stehen in Bel- nehmer verantwortlich. Der Niederla¨ ndischen Film- gien Strafnormen zur Verfu¨ gung, die die Aufstache- pru¨ fung, mit Sitz in Den Haag, fa¨ llt die Aufgabe der lung zum Angriffskrieg, das Verbreiten von Propa- Beurteilung zu, ob die Vorfu¨ hrung eines ihr zur Pru¨ - gandamitteln verfassungswidriger Organisationen fung vorgelegten Films als scha¨ dlich fu¨ r Personen oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungs- unter zwo¨ lf bzw. sechzehn Jahren einzustufen ist. widriger Organisationen unter Strafe stellen. Dage- Die Niederla¨ ndische Filmpru¨ fung kann einen Film gen sind bestimmte xenophobe und diskriminierende unter Angabe von Gru¨ nden entweder zulassen fu¨ r Handlungen strafrechtlich inkriminiert. die Vorfu¨ hrung vor Personen aller Altersgruppen, oder zulassen fu¨ r die Vorfu¨ hrung vor Personen aller Nebenstrafrechtliche Bestimmungen gelten in Bel- Altersgruppen unter der Bedingung, daß na¨ her um- gien dann noch im Hinblick auf den Jugendschutz. schriebene Bilder oder Passagen aus dem Film ge- Diese Gesetze sind insgesamt in der Gesetzessamm- schnitten werden, oder zulassen fu¨ r die Vorfu¨ hrung lung „Les Codes Larcier“ enthalten. Hervorgehoben vor Personen u¨ ber zwo¨ lf Jahren, oder zulassen fu¨ r die werden sollen das Gesetz u¨ ber das Verbot des Zu- Vorfu¨ hrung vor Personen u¨ ber zwo¨ lf Jahren unter tritts zu Kinosa¨ len fu¨ r Kinder unter 16 Jahren (Loi in- der Bedingung, daß na¨ her umschriebene Bilder oder terdisant l’entre´ e des sales de spectacles cine´ mato- Passagen aus dem Film geschnitten werden, oder graphiques aux mineurs aˆ ge´ s de moins de seize ans; nicht zulassen fu¨ r Vorfu¨ hrungen vor Personen unter 1. September 1920) sowie das Gesetz zum Schutze sechzehn Jahren. Fa¨ llt die Niederla¨ ndische Filmpru¨ - der Moral der Jugend (Loi sur la pre´ servation morale fung eine Entscheidung gema¨ ß den letzten vier Alter- de la jeunesse; 15. Juli 1960). Gem. Art. 3 des Geset- nativen, so muß sie die Gru¨ nde hierfu¨ r im Niederla¨ n- zes u¨ ber das Verbot des Zutritts zu Kinosa¨ len fu¨ r Kin- dischen Staatscourant verlautbaren. der wird derjenige, der einen Minderja¨ hrigen unter 16 Jahren in einen Kinosaal i.S. d. Art. 1 einla¨ ßt oder Was das Internet betrifft, so findet sich zur Zeit in den diesen darin toleriert mit Gefa¨ ngnisstrafe von einem Niederlanden keine gesetzgeberische Initiative, die bis zu sieben Tagen, mit einer Geldstrafe oder mit ei- sich mit der Problematik der Verbreitung von Porno- ner dieser beiden Strafen bestraft. Dabei wird sowohl graphie und Gewaltverherrlichung u¨ ber das Internet derjenige mit Strafe bedroht, der dem Minderja¨ hri- befassen wu¨ rde. gen Einlaß gewa¨ hrt, als auch der Unternehmer der

72 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Filmvorfu¨ hrung. Ein Kontrollgremium ist (entspre- dem Gesetz 25/94 Eingang in die spanische Rechts- chend den deutschen Regelungen) fu¨ r die Zulassung ordnung gefunden. Artikel 16 entwickelt die Struktu- von Filmen fu¨ r bestimmte Altersgruppen zusta¨ ndig. ren des Jugendschutzes in der Werbung. Er soll ver- Entsprechend dem Gesetz zum Schutze der Jugend hindern, daß mit Hilfe der Werbung im Fernsehen in der O¨ ffentlichkeit regelt Art. 1er des Gesetzes zum Bilder oder Botschaften verbreitet werden, die die Schutze der Moral der Jugend den Zutritt von Min- Minderja¨ hrigen physisch oder moralisch scha¨ digen derja¨ hrigen in Spielsa¨ le und Bars. Art. 1 bis befaßt ko¨ nnen. Artikel 17 beinhaltet fast wo¨ rtlich den Text sich mit der Zulassung von Minderja¨ hrigen zu Tanz- der Verordnung u¨ ber die Fernsehprogramme und be- veranstaltungen. Strafrechtlicher Haftung unterliegt nennt Zeiten fu¨ r die Ausstrahlung von solchen Pro- der Pa¨ chter des jeweiligen Etablissements, in dem grammen, die einen fu¨ r Minderja¨ hrige scha¨ dlichen sich ein Jugendlicher unzula¨ ssigerweise aufha¨ lt. Inhalt haben. Artikel 22 der Verordnung besagt, daß die Mitgliedsstaaten zweckma¨ ßige Maßnahmen zu Mit dem Erlaß des Gesetzes 1/96148) u¨ ber den Ju- ergreifen haben, die gewa¨ hrleisten, daß Ausstrahlun- gendschutz und der teilweisen A¨ nderung des Bu¨ r- gen nichts beinhalten, was die physische, geistige gerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozeßordnung oder moralische Entwicklung der Minderja¨ hrigen wollte der spanische Gesetzgeber einen umfassen- scha¨ digen kann, insbesondere keine pornographi- den und systematischen Rechtsrahmen zum Schutz schen oder gewaltta¨ tigen Szenen. Diese Bestimmung der Minderja¨ hrigen schaffen. Dies hatte weitere Ge- gilt auch fu¨ r Ausstrahlungen, die die physische, psy- setzgebung zur Folge, die sich mit dem Jugend- chische oder moralische Entwicklung der Minderja¨ h- schutz bescha¨ ftigt149). Das Jugendschutzgesetz la¨ ßt rigen scha¨ digen ko¨ nnen. Dies trifft nicht zu, wenn sich in zwei Teile untergliedern. Der erste Teil ist ein gewa¨ hrleistet ist, daß die Sendung zu einer Uhrzeit allgemeiner Teil, der neben den Ausfu¨ hrungs- ausgestrahlt wird, zu der Minderja¨ hrige normaler- vorschriften die Rechte der Minderja¨ hrigen, die weise nicht fernsehen oder radioho¨ ren153). Zu inter- Maßnahmen und Prinzipien der Verwaltung, Prozeß- netspezifischen Fragestellungen haben verschiedene vertretungsfragen und eine Benennung der Jugend- Regierungsstellen Arbeitsgruppen gebildet mit dem schutzinstitutionen fu¨ r die Adoption und insbesonde- Ziel, Lo¨ sungen zum Problem scha¨ dlicher Darstellun- re fu¨ r die internationale Adoption entha¨ lt. Der zweite gen im Internet (u¨ ber Selbstkontrolle oder technische Teil bezieht sich hauptsa¨ chlich auf die A¨ nderung des Vorrichtungen) zu pru¨ fen. Das spanische Parlament Bu¨ rgerlichen Gesetzbuches, und zwar mit dem Ziel, hat ferner eine Gesetzesinitiative gebilligt, die die die alten und neuen Institutionen zu harmonisiere- Regierung dazu veranlassen soll, fu¨ r die Beka¨ mpfung n150). Im Jahr 1995 wurde dann Titel VIII des zweiten der Vergehen im Internet zusa¨ tzliche Mittel bereitzu- Buches des Strafgesetzbuches in Bezug auf die Ver- stellen154). fu¨ hrung Minderja¨ hriger modifiziert. Durch diese Re- form und den Einschluß der Regelungen zum sexuel- 1997 kam es schließlich zu einer weiteren Reform des len Mißbrauch und der Verfu¨ hrung Minderja¨ hriger spanischen Strafrechts. Dabei wurde der Geltungs- wurde der Schutz der Integrita¨ t und sexuellen Frei- bereich einiger Rechtsvorschriften erweitert, so daß heit der Minderja¨ hrigen und Unmu¨ ndigen ver- mit Hilfe neuer Medien begangene Straftaten nun- sta¨ rkt151). Das Gesetz 1/1996 u¨ ber den Schutz der Ju- mehr einbezogen sind. Das Gesetz verbietet jetzt, gend beinhaltet in Artikel 5, der vom Recht auf unabha¨ ngig vom benutzten Medium, sa¨ mtliche Information handelt, eine Regelung, die besagt, daß Handlungen im Zusammenhang mit bestimmten die Minderja¨ hrigen das Recht haben, solche Informa- Darstellungen und Informationen155). Artikel 186 des tionen zu suchen, zu empfangen oder zu nutzen, die spanischen Strafgesetzbuches besagt, daß derjenige ihrer Entwicklung angemessen sind. Artikel 3 ver- ein Delikt begeht, der pornographisches Material an pflichtet die Exekutive, dafu¨ r zu sorgen, daß die In- Minderja¨ hrige verkauft, verteilt oder zur Schau stellt. halte des Radio- oder Fernsehprogramms fu¨ r Kinder Diese Zurschaustellung oder Verbreitung kann durch unscha¨ dlich sind.152). Die Bestimmung u¨ ber den jegliches Direktmedium geschehen, worunter in die- Schutz der Minderja¨ hrigen entha¨ lt die Verordnung sem Zusammenhang die Verbreitung durch das In- (Directiva) des Europa¨ ischen Rates Nr. 89/522 vom ternet mit Hilfe von an Minderja¨ hrige gerichteter 3. Oktober 1989 u¨ ber die Koordinierung bestimmter elektronischer Post zu verstehen ist oder die Zur- rechtlicher und verwaltungsma¨ ßiger Vorschriften in schaustellung durch eine Vernetzung oder eine Da- den Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Ausstrahlung tenbank, ohne daß die geeigneten Vorsichtsmaßnah- von Rundfunksendungen. Diese Verordnung hat mit men gegen den Zugriff Minderja¨ hriger ergriffen wurden156). Die AUI, der Verein der Benutzer des In- 148) Ley orga´ nica 1/1996 de Proteccio´ n Jurı´dica del Menor, de ternets in Spanien, unterstu¨ tzt Maßnahmen, welche modificacio´ n parcial del Co´ digo Civil y de la Ley de Enjui- die Benutzerrechte (und insbesondere die Rechte der ciamiento Civil, in: BOE (Boletı´n Oficial Espan˜ ol), Nr. 15, Kinder) gewa¨ hrleisten. Die Maßnahmen sollen eine 17. Januar 1996 149) LA LEY-ACTUALIDAD, S. A. Actualidad Civil Nr. 34/22--- 28 September 1997, S. XXXVII, Rn. 805 153) LA LEY-ACTUALIDAD, S. A. Actualidad Civil Nr. 34/22--- 150) ebd., Rn. 807 28 September 1997, S. XXXVII, Rn. 806, XXXVII, Rn. 818 151) Ley Orga´ nica de modificacio´ n del Tı´tulo VII del Libro II del 154) INITIATIVEN IN DEN EU-MITGLIEDSTAATEN ZUR BE- Co´ digo Penal aprobado por la Ley Orga´ nica 10/1995, de 23 KA¨ MPFUNG ILLEGALER UND SCHA¨ DIGENDER IN- de noviembre, in: Boletı´n Oficial de las Cortes Generales, HALTE IM INTERNET, Versio´ n 7 (4. Juni 1997), S. 9, 17. Oktober 1997. http://www2.echo.lu/legal/es/internet/wp2es-chap.html 152) BOLETIN OFICIAL Del ESTADO (BOE) Nr. 15, 17. Januar 155) ebd., S. 9 1996, Ley Orga´ nica 1/1996 de proteccio´ n Jurı´dica del me- 156) RIBAS & RODRIGUEZ, Abogados Asociados, Barcelona, nor, de modificacio´ n parcial del Co´ digo Civil y de la Ley de Espan˜ a, 1997, Internet en el Co´ digo Penal de 1995, S. 2, Enjuiciamiento Civil, S. 1229 http://194224.27.3/onnet/04001002.html

73 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode veranwortliche Kontrolle des Zugangs zu bestimmten Wenn solche vero¨ ffentlicht werden, du¨ rfen Kinder Inhalten ermo¨ glichen, ohne daß hierfu¨ r solche all- und Jugendliche keinen Zugriff darauf haben. Zei- gemein restriktiv wirkenden Methoden benutzt tungen du¨ rfen z.B. nicht pornographisches Material wu¨ rden, die die Meinungsfreiheit in Gefahr bringen. vero¨ ffentlichen, da diese Gruppe jederzeit Zugriff Befu¨ rwortet wird eine A¨ nderung des Strafgesetzbu- auf Zeitungen hat. Das scha¨ dliche Material muß her- ches, die einige Handlungen als Straftaten markiert, ausgenommen werden. Pornographische Abbildun- die bisher noch nicht als solche im Strafgesetzbuch gen du¨ rfen nur in Plastiktu¨ ten --- unerkennbar ver- benannt werden. Aus diesem Grund hat die AUI ei- hu¨ llt --- und nur an Erwachsene verkauft werden. Zu nen Bericht an die Kommission zur Fo¨ rderung der In- den a¨ lteren Medien za¨ hlen auch Fernseh- und Ra- formationsvernetzung (Comisio´ n de Seguimiento de diosendungen. Bei Fernsehsendungen, die nicht fu¨ r Infovı´a) gerichtet. In diesem wird vorgeschlagen, zur Kinder geeignet sind, mu¨ ssen gema¨ ß Gesetz zur Er- Inhaltskontrolle des Internet fu¨ r Benutzer mit Kin- richtung und Sendung von Fernseh- und Radioan- dern in Spanien ein Klassifizierungs- oder Etikettie- stalten160) seit einigen Jahren die Ausstrahlungen rungssystem157) zu entwickeln, mit Hilfe dessen die auf die Abendstunden verlegt werden und wa¨ hrend Inhalte kontrolliert werden ko¨ nnen, die die Kinder des Filmes muß als Kennzeichnung ein roter Punkt sehen oder nicht sehen du¨ rfen. Die rechtspolitische in der oberen Ecke des Bildschirmes eingeblendet Debatte bewegt sich zur Zeit sehr stark um Fragen werden, um den Erziehern diesbezu¨ glich die Kon- der Zensur, Meinungsfreiheit und Kontrolle, wobei trollmo¨ glichkeiten zu erleichtern. Fu¨ r Kinder und Ju- der Frage der Selbstkontrolle erhebliche Bedeutung gendliche ungeeignete Radiosendungen mu¨ ssen zukommt158). ebenfalls auf die Abendstunden verlegt werden. Im Falle von Kinofilmen gibt es keine besonderen Al- tersgrenzen, die generell fu¨ r jeden Film, der in der Tu¨ rkei gezeigt wird, von einem Ausschuß festgelegt wu¨ rden. In der Tu¨ rkei kann also, wenn ein Film in 5.2 Kinder- und Jugendschutz in den neuen Me- den „normalen“ Kinos anla¨ uft, jede Person unab- dien in der Tu¨ rkei ha¨ ngig vom Alter den Film auch sehen. Aber Rechtsverordnungen sehen vor, daß auf besonderen Antrag nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften Ganz allgemein ko¨ nnen Vorschriften zum Kinder- u¨ berpru¨ ft werden kann, ob der Film als pornogra- und Jugendschutz im Grundgesetz, in der Strafpro- phisch einzustufen ist. Falls es zu einer solchen Be- zeßordnung, im Strafgesetzbuch, im Presserecht urteilung kommt, mu¨ ssen vor der Ausstrahlung die (Art. 30, 31), in medienrechtlichen Vorschriften und als pornographisch klassifizierten Teile herausge- sonstigen jugendrechtlichen Vorschriften der Tu¨ rkei schnitten werden. Wenn freilich zu viele Teile des gefunden werden. Diese gesetzlichen Regelungen Filmes als pornographisch beurteilt werden, kann beziehen sich aber alle auf pornographische Darstel- die Ausstrahlung der Filme in den normalen Kinos lungen. Wie aber mit Gewaltdarstellungen oder ge- verboten und nur zur Ausstrahlung in besonderen waltverherrlichenden Darstellungen umzugehen ist, „Pornokinos“ freigegeben werden. In diese ist der wird nicht gesetzlich festgelegt. Auch wurden in der Eintritt erst ab 18 Jahren mo¨ glich. Fu¨ r Kinofilme, die systematischen Suche in der Tu¨ rkei kaum gesetzliche sehr viel Gewalt enthalten, existieren keine beson- Regelungen gefunden, die sich auf den Kinder- und deren Regelungen. Jugendschutz in den neuen Medien beziehen. Was Kinder- und Jugendschutz in den a¨ lteren Medien be- Was Kinder- und Jugendschutz in den neuen Medien trifft, so ist zuna¨ chst das auf die Presse bezogene In- betrifft, so sind zuna¨ chst Computer- und Videospiele strumentarium heranzuziehen. Neben den oben ge- herauszugreifen. Da Computer- und Videospiele in nannten gesetzlichen Regelungen existiert ein der Tu¨ rkei kaum verbreitet sind, ist schon die empiri- besonderes Gesetz zum Schutz der Minderja¨ hrigen sche Seite des Pha¨ nomens recht schwach ausge- vor jugendgefa¨ hrdendem gedrucktem Material159). In pra¨ gt. Auch davon mag herru¨ hren, daß entsprechen- diesem Gesetz wird zuna¨ chst festgelegt, was unter de Sachverhalte bislang nicht problematisiert den Begriff des „jugendgefa¨ hrdenden“ Materials worden sind. Es finden sich allerdings Spielhallen, fa¨ llt. die mit Computerspielen und dergleichen ausgeru¨ - stet sind. Der Zugang zu diesen Hallen ist nach dem 157) Die Filtertechnik, die in verschiedenen La¨ ndern schon an- Gesetz aber erst ab 18 Jahren mo¨ glich. Was die Com- gewendet wird, besteht aus einer Etikettierung jedes Do- puterkriminalita¨ t im allgemeinen betrifft, so hat diese kuments oder jeder Web-Site im Internet, die die Art der zwar auch in der Tu¨ rkei zugenommen. Da aber Com- Information bestimmt, vergleichbar mit der Klassifizierung puter in der Tu¨ rkei nicht sehr verbreitet und immer von Filmen oder Spielzeug. Ist die Information schon eti- noch als Luxusartikel gelten, ha¨ lt sich diese Form der kettiert, kann die Auswahlsoftware den Zugang erlauben, Kriminalita¨ t in Grenzen. Nur im Bankenbereich verbieten, den Zugang auf bestimmte Benutzer begrenzen oder nur in bestimmten Fa¨ llen erlauben. scheint diese Kriminalita¨ t in den letzten Jahren ange- vgl. NOTAS DE PRENSA AUI (Asociacio´ n de Usuarios de stiegen zu sein. Auch in der Tu¨ rkei werden in den Internet), Madrid, Espan˜ a, Juni 1997. La Asociacio´ n de Banken immer ha¨ ufiger Computer eingesetzt. Ferner Usuarios de Internet aporta soluciones te´ cnicas para prote- setzen sich zunehmend Geldautomaten durch. Je- ger a los menores. S. 1ff., http://aui.es/biblio/notas/1997/ doch wird diese Form der Kriminalita¨ t nicht nur im junio/julio.html Strafgesetzbuch, sondern auch im neuen Gesetz u¨ ber 158) FUNDESCO, Autorregulacio´ n y proteccio´ n del menor, ideas comunes en el debate sobre el control de Internet, Madrid, 10. November 97, S. 1ff. 160) „Radyo ve televiziyonlary’ n kurulluš ve yayy’ nlary’ hakky’ n- 159) „Ku¨ u¨ kleri muzšr ney’ riyattan koruma kanunu“ da kanun“

74 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Banken angesprochen161). Im Strafgesetzbuch wur- technische Daten u¨ ber das Internet in der Tu¨ rkei be- den am 6. Juni 1991 neue Vorschriften u¨ ber die Com- trifft162), so ist festzustellen, daß am 11. April 1997 in puterkriminalita¨ t eingefu¨ hrt. Die neuen Art. 525a-d der Tu¨ rkei der Zugang bzw. Zugangsmo¨ glichkeiten TStGB behandeln den unsachgema¨ ßen Gebrauch zum Internet den 5. Jahrestag erlebt. Das tu¨ rkische von Computern und Programmen sowie urheber- Internet hat zwei Grundpfeiler: 1) Akademik Ag rechtliche Probleme. Die neuen gesetzlichen Bestim- (ULAKNET) (fu¨ r Ausbildungseinrichtungen, z.B. mungen bedrohen aber kinder- und jugendscha¨ di- Universita¨ ten; Einrichtungen des Staates/edu../gov.) gende Inhalte von Computerprogrammen nicht mit sowie 2) Ticari Ag (TURNET) (fu¨ r kommerzielle Or- Strafe. Was Fragen des Kinder- und Jugendschutzes ganisationen/com.). ULAKNET verbindet Istanbul- im Internet betrifft, so ist zuna¨ chst auf einige grund- Ankara-Izmir. Dieses Dreieck wird mit 34mbit/sec legende Bedingungen in der Entwicklung elektroni- bedient. Die Universita¨ ten, die Regierung und o¨ ffent- scher Medien in der Tu¨ rkei hinzuweisen. Zum Thema liche Beho¨ rden ko¨ nnen durch dieses Netz mit der „Internet in der Tu¨ rkei“ ist darauf zu verweisen, daß Geschwindigkeit von 64kbit bis 2 Mbit weltweit in der Tu¨ rkei Computer kaum verbreitet sind und da- kommunizieren. Zusa¨ tzlich haben auch einige Uni- her auch kein ausgedehntes, eine Vielzahl von Perso- versita¨ ten eigene Auslandsanschlu¨ sse (Istanbul Tek- nen oder Haushalten umfassendes Netzsystem vor- nik Univ., Bogazici Univ.(private Universita¨ t), Bilkent handen ist. Es gilt, daß es noch immer als Luxus Univ. (private Universita¨ t), Koc Univ. (private Univer- betrachtet wird, einen Computer zu haben. Diesen sita¨ t)). Die Erkla¨ rung und Darstellung von TURNET Luxus kann sich ein Großteil der Bevo¨ lkerung nicht sind etwas komplizierter. Jeder Provider kann durch leisten, selbst in den Großsta¨ dten nicht. Insoweit er- Internetzugangsdienste (ISS) Server mieten, die wie- geben sich natu¨ rlich schon von der Betrachtung aus derum an Dritte weitervermietet werden. In Istanbul Gelegenheits- oder Risikostrukturen heraus enorme gibt es 60 Provider und insgesamt gibt es ca. 85 Inter- Unterschiede zu westeuropa¨ ischen La¨ ndern. Junge netzugangsdienste in der Tu¨ rkei. Diese verkaufen Menschen werden in der Tu¨ rkei in der Alltagswelt Privaten Modems und Gescha¨ ftskunden entweder der Familie und der Schule mit der Mo¨ glichkeit, on- Modems oder leased lines fu¨ r das Internet und bieten line zu gehen, kaum konfrontiert. In der Tu¨ rkei ist al- Internet-Services an. TURNET hat von Istanbul aus 2 lerdings das System von privaten Schulen und Uni- (2.5Megabit ve 1 Megabit) internationale Verbindun- versita¨ ten sehr verbreitet. Diese arbeiten aufgrund gen und von Ankara (2.5 Megabit) aus 1 internatio- ihrer guten finanziellen Lage auch zunehmend mit nale Verbindung. In diesem Bereich ist TURNET, das Computern, so daß fu¨ r die Zukunft natu¨ rlich Vera¨ n- von der tu¨ rkischen Telekom kontrolliert wird, der derungen in den Gelegenheitsstrukturen zu erwarten einzige Provider. Allgemein liegen die angebotenen sind. Einigen staatlichen Universita¨ ten, die gute Kon- Mo¨ glichkeiten des Internetzugangsdienstes weit takte zu der freien Wirtschaft haben, wurden Compu- u¨ ber denjenigen des Turnet. Dieses bringt natu¨ rlich ter gu¨ nstig angeboten oder geschenkt. Es gibt aber Probleme mit sich, insbesondere mit Auslandsverbin- noch sehr viele große staatliche Universita¨ ten, die dungen. Viele Internetzugangsdienste kaufen immer noch ganz ohne Computersystem auskommen „schwarz“ Auslandsleitungen und bieten Leistungen mu¨ ssen. Bis zum Jahre 1997 hatte z. B. die juristische an, indem sie die tu¨ rkische Telekom „by-passen“. Fakulta¨ t der Universita¨ t Istanbul, die die gro¨ ßte und Dieses trifft auf eine Gesetzeslu¨ cke, da es in diesem wohl angesehenste juristische Fakulta¨ t in der Tu¨ rkei Bereich keine Normen gibt. Die tu¨ rkische Telekom ist, keinen einzigen Computer. Im o¨ ffentlichen und versucht unter dem Namen „Internet Erisim Noktasi“ privaten Leben spielen also Computer keine große (Internetverbindungspunkt) Auslandsverbindungen Rolle und wenn, dann haben Kinder und Jugendliche kontrolliert und vertraglich abzugeben. Internetzu- keinen Zugang zu diesen fast ausschließlich im Be- gangsdienste benutzen diese Mo¨ glichkeit aber nicht. rufsleben benutzten Computern. Die Kinder und Ju- Zur Zeit benutzen SuperOnline, EscortNet, IhlasNet, gendlichen, die Zugang zu Computern mit Internet- Aidata Net die Auslandssatellitenverbindungen, in- anschluß haben, entstammen im u¨ brigen eher der dem sie direkt TeleKom „by-passen“. Derzeit existie- Oberschicht. Im wesentlichen handelt es sich hier al- ren weder gesetzliche Regelungen, noch gibt es eine so um Kinder- und Jugendgruppen, die ganz traditio- rechtspolitische Auseinandersetzung bzw. rechtliche nell nicht in das Visier des Jugendschutzes geraten Abhandlungen u¨ ber das Internet, den Informations- und wegen ihrer sozialen Positionierung kaum als fluß im Internet und dessen Kontrolle. Insoweit gefa¨ hrdet eingestuft werden. Da das Internet keiner ko¨ nnte tatsa¨ chlich nicht nur von einem gesetzesfrei- breiten O¨ ffentlichkeit zur Verfu¨ gung steht, ist das en, sondern fast von einem rechtsfreien Raum ge- Thema Kinder- und Jugendschutz in den neuen Me- sprochen werden. Der tu¨ rkische Staat hat sich im dien bislang kein Diskussionsthema in der Tu¨ rkei ge- Hinblick auf Ordnungspolitik und Gesetzgebung bis- worden. Intensive Nachforschungen ergaben auch lang vo¨ llig abstinent verhalten. So ko¨ nnen z.B. Zei- keine Hinweise auf gesetzliche Regelungen, die sich tungen wie Milliyet, Hu¨ rriyet, Sabah, Zaman, Tu¨ r- mit der Art und Weise, dem „Ob“ und „Wie“ von kiye, Yeni Yuzyil, Radikal und einige Zeitschriften Vero¨ ffentlichungen im Internet bescha¨ ftigen. Was (z.B. Aktuel u. a.) u¨ ber Internet Informationen ver- breiten und Werbung machen, ohne daß dieses auch nur im Ansatz kontrolliert wa¨ re.

161) Siehe Sahir Erman, Les crimes informatiques et autres cri- 162) Die technischen Daten wurden von Dr. Orhan Go¨ kcol mes dans le domaine de la technologie informatique par u¨ bermittelt. Er arbeitet an der Technischen Universita¨ t rapport a` la Turquie, in Ulrich Sieber, Information, techno- Istanbul und hat im Internet eine Web-Seite zum Thema logy, crime, S. 481ff. Internet.

75 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Was die Strafbarkeit bestimmter Vorga¨ nge nach an- so werden die Eigentu¨ mer, wenn die Zeitschrift in deren gesetzlichen Regelungen betrifft, so ist darauf ku¨ rzeren Absta¨ nden als monatlich erscheint, mit hinzuweisen, daß das Gesetz zum Schutz von Min- schwerer Geldstrafe in Ho¨ he von bis zu 90 % des derja¨ hrigen vor jugendgefa¨ hrdenden Schriften nach durchschnittlichen tatsa¨ chlichen Verkaufserlo¨ ses ei- Art. 1 dieses Gesetzes nur auf gedrucktes Material nes Vormonats bestraft, erscheint sie monatlich oder angewendet werden kann, so daß aufgrund des Aus- in la¨ ngeren Absta¨ nden, mit bis zu 90 % des gesamten falls dieses Tatbestandsmerkmals eine Anwendung Betrags eines Vormonats. Diese Strafe darf aber 30 des tu¨ rkischen GjS auf jugendgefa¨ hrdende Inhalte Millionen nicht unterschreiten. im Internet nicht mo¨ glich ist. Freilich wa¨ re zu u¨ berle- gen, ob eine Schrift nicht schon dann vorliegt, wenn Mit dem Tatbestandsmerkmal „jede Art der Mittei- die im Internet kommunizierte Datei einer Schrift lung/sonstige Ausdrucksmittel“ werden auch die bzw. Printsachverhalten entnommen worden ist, z.B. neuen Medien erfaßt, so daß auch Computer mit In- mit Hilfe eines Scanners. Wenn diese Datei nicht ei- ternetanschluß darunter fallen. ner Schrift entnommen wurde, mu¨ ßte u¨ berlegt wer- den, ob nicht schon mit der Speicherung von porno- Die Rechtsprechung setzt das Tatbestandsmerkmal graphischen Dateien das Erfordernis der „Schrift“ der „O¨ ffentlichkeit“ voraus fu¨ r die Erfu¨ llung des erfu¨ llt wird. Denn spa¨ testens in diesem Augenblick Art. 426 TStGB. Bei internetbezogenen Vorga¨ ngen ist die Schrift verko¨ rpert. Daher mu¨ ßten jedenfalls ko¨ nnte fu¨ r die Erfu¨ llung dieses Tatbestandsmerkmals die Vero¨ ffentlichungen von Zeitungen und Zeit- ausreichend sein, daß jede Person, die online geht, schriften im Internet auch dem Gesetz zum Schutz Zugriff auf die Inhalte hat. Dies wa¨ re freilich dann von Minderja¨ hrigen vor jugendgefa¨ hrdenden Schrif- nicht der Fall, wenn die Anbieter zum Schutz von ten unterliegen. Nach der herrschenden Meinung Kindern und Jugendlichen spezielle Schutzpro- ko¨ nnen die Vorschriften aus dem Presse- und Urhe- gramme einsetzen wu¨ rden, oder wenn von den Ein- berrechtsgesetz im u¨ brigen nicht auf scha¨ digende In- zel-PCs aus systematisch Zugangsfilter eingerichtet halte, sondern nur auf illegale Inhalte in Computer- wa¨ ren. Fu¨ r das Internet wird das Vorliegen des Tat- programmen und eventuell im Internet angewendet bestandsmerkmals der „O¨ ffentlichkeit“ jedoch wohl werden. Eine Strafbarkeit nach allgemeinem Straf- stillschweigend angenommen. Ein Vermerk des An- recht ko¨ nnte freilich in Betracht gezogen werden we- bieters „scha¨ digender Inhalt fu¨ r Personen unter 18 gen der Verletzung allgemeiner Pornographiever- Jahren“ auf den Web-Seiten wurde in einem in bote. Nach Art. 426 TStGB ist die Verbreitung und Erfahrung gebrachten Fall nicht als ausreichend ge- Verschaffung von pornographischem Material nicht sehen, um das Vorliegen von O¨ ffentlichkeit zu ver- nur fu¨ r Jugendliche sondern auch fu¨ r Erwachsene neinen. In diesem Fall wurde Art. 426 TStGB ange- verboten. Artikel 426 lautet wie folgt: wendet und der Computer beschlagnahmt (welche weiteren Sanktionen oder ob u¨ berhaupt weitere Wer in einer Art, die das Schamgefu¨ hl der Menschen Sanktionen erfolgt sind, war jedoch nicht in Erfah- verletzt oder sexuelle Wu¨ nsche erregt oder ausnutzt, rung zu bringen). In einem anderen Fall wurde durch 1. sittenwidrige Bu¨ cher, Zeitungen, Broschu¨ ren, Zeit- eine Internetzeitschrift ein Forum fu¨ r die Leser ero¨ ff- schriften, Schriften, Abhandlungen, Anzeigen, net. Hierbei kam es ha¨ ufig zum Versenden von Por- Zeichnungen, Bilder, Platten, Anschla¨ ge, Plakate, nographie. In der Folge ero¨ ffnete der Anbieter ein Fernsehstreifen und Tonba¨ nder, Foto-, Film- oder Forum zur Pornographie. Hier kam es zur Anordnung Projektorstreifen oder sonstige Ausdrucksmittel der Schließung aller Foren. Es gibt in der Tu¨ rkei der- und Gegensta¨ nde zur Schau stellt oder stellen la¨ ßt, zeit keine bekannten inla¨ ndischen Betreiber von por- sie wissentlich verteilt, verkauft, verteilen oder nographischen Web-Seiten. Aber durch alle Internet verkaufen la¨ ßt, oder sie zum Zwecke des Handels, Diensteanbieter besteht Zugriff auf pornographische der Verteilung oder der Zuschaustellung zeichnet, Foren, im u¨ brigen natu¨ rlich auf ausla¨ ndische Anbie- abbildet, graviert, produziert, druckt, vervielfa¨ l- ter. Im Internet gibt es bekanntermaßen keine u¨ ber- tigt, diktiert oder all dieses veranlaßt, wer sie ein- geordneten Kontrollinstanzen, die in die einzelnen fu¨ hrt, ausfu¨ hrt oder innerhalb der Tu¨ rkei von ei- Netzwerke eingreifen und kontrollieren ko¨ nnen. Da nem Ort zum anderen transportiert oder all dieses Art. 426 TStGB auch die U¨ bermittelnden und die die veranlaßt, in irgendeiner Weise mit ihnen Ge- U¨ bermittlung sichernden Personen unter Strafe stellt, scha¨ fte treibt oder diese Taten begeht, um den ko¨ nnten auch die Provider und alle diejenigen, die Handel mit ihnen zu erleichtern, wer diese Dar- solche Dienste im Internet anbieten, nach diesem stellungsmittel direkt oder indirekt beschafft, be- Tatbestand bestraft werden Die Strafbarkeit der im schaffen la¨ ßt oder mitteilt, daß er sie beschaffen Internet beteiligten Personen la¨ ßt sich dann wie folgt ko¨ nne oder dieses durch eine Anzeige bekannt unterscheiden. Der Inhalteanbieter (content-provi- macht oder machen la¨ ßt. der) kann durch seinen Beitrag im Netzwerk, in einer Newsgroup, auf einem ftp (file transfer protocol)-ser- 2. derartige Werke und Gegensta¨ nde in Theater, Ki- ver, durch die Einrichtung einer Web-Seite weltweit no, Radio oder Fernsehen oder an o¨ ffentlichen Or- seine eigenen Informationen anbieten. Da dieser der ten darstellt oder darstellen la¨ ßt. Urheber der jeweiligen Information ist, kann er auch 3. sie an o¨ ffentlichen oder o¨ ffentlich zuga¨ nglichen fu¨ r mo¨ gliche strafbare Handlungen gema¨ ß Art 426 Orten anpreist, wird mit sechs bis dreißig Millio- TStGB zur Verantwortung gezogen werden. Im u¨ bri- nen T.L. schwerer Geldstrafe bestraft. gen ko¨ nnen die Diensteanbieter (Service-Provider) als Mitverantwortliche in Betracht kommen, da diese Werden diese Taten mittels einer der in Art. 3 Presse- ihren Teilnehmern die Zugangsmo¨ glichkeit zum In- gesetz Nr. 5680 genannten Zeitschriften begangen, ternet verschaffen. Der Service-Provider kann auch

76 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 als Content-Provider zur Verantwortung gezogen u¨ ber lange Zeit hinweg keine Aufspaltung zwischen werden, wenn sich die Ta¨ tigkeitsbereiche u¨ ber- Jugendrecht und Jugendstrafrecht aufwies)163). Da- schneiden, der Provider also eigene Informationen im neben ist auf die in angelsa¨ chsischer Tradition ste- Netz zur Verfu¨ gung stellt. Der Service-Provider kann hende sehr strenge Kontrolle des Alkohols, der Dro- auch bei der Moderation Einfluß auf den Dateninhalt gen sowie der Pornographie hinzuweisen, mit der fremder Daten haben, da dieser den Datenbestand durch die im Vergleich zu europa¨ ischen La¨ ndern sehr sichtet und entscheidet, welche Daten zuga¨ nglich rigiden Obscenity Gesetze und der Alkoholgesetzge- gemacht werden sollen. Dieser kann aber auch nur bung nicht nur junge Menschen weitgehend ausge- die Bereitstellung des Zuganges zum Internet und schlossen waren, sondern partiell auch Erwachsene. seiner Dienste zum Aufgabenbereich haben, so daß Jedenfalls waren die Debatten u¨ ber die Berechtigung er nur die technische Realisierung des Internetzu- sehr rigider Zugangssperren seit den sechziger jah- ganges organisiert. Die Verantwortung des Dien- ren insoweit erfolgreich, als in in den meisten Einzel- steanbieters mu¨ ßte dann wohl differenziert werden. staaten in den siebziger Jahren die Altersgrenze fu¨ r den Zugang zu Alkohol und die Standards fu¨ r Obszo¨ - Zuna¨ chst wird im tu¨ rkischen Strafrecht ein unbe- nita¨ t164) gelockert worden sind165). Dies hat sich mitt- stimmter Vorsatz nicht akzeptiert. Dieser ist nicht ge- lerweile freilich wieder vera¨ ndert. In fast allen Ein- eignet, den subjektiven Tatbestand zu erfu¨ llen. Wenn zelstaaten der USA ist die Grenze fu¨ r den Konsum aus den Namen der einzelnen Foren oder Dateien von Alkohol auf 21 Jahre hochgesetzt worden166). Ins- hervorgeht, daß diese pornographisches Material gesamt liegt die Jugendschutzgrenze heute fast enthalten, so kann der Service-Provider aber auch durchgehend wieder bei 21 Jahren (dies gilt fu¨ r den strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Zugang zu Bars, in denen Alkohol ausgeschenkt Dieses kann aber nicht auf die einzelnen Web-Seiten wird, bis hin zu Pornographiela¨ den, in denen Porno- u¨ bertragen werden, da es fu¨ r einen Service-Provider graphie verkauft wird, oder den Zugang zu Kinos mit unmo¨ glich ist, alle Web-Seiten und ihre Inhalte zu Filmvorfu¨ hrungen pornographischen Inhalts). Die kontrollieren. Auch wenn das Verbot von pornogra- Auseinandersetzungen um eine Verscha¨ rfung der phischem Material auch im Internet greift, so wird es Pornographiegesetzgebung haben sich wieder ver- in diesem Bereich doch wegen der subjektiven Vor- sta¨ rkt. Bedeutsam ist freilich als Trend, daß die Por- aussetzungen schwierig sein, einen strafrechtlich nographieauseinandersetzungen in den USA weni- Verantwortlichen zu finden. Art. 426 TStGB kann ger stark auf den Jugendschutz bezogen waren, auch den Service-Provider treffen, der vorsa¨ tzlich sondern sta¨ rker mit dem allgemeinen Verbot (vor al- pornographisches Material oder Links zu solchem lem auch aus einer feministisch-menschenrechtli- Material vero¨ ffentlicht. Fraglich ist hier aber, ob nicht chen Perspektive) befaßt sind. Freilich gilt dies nicht auch Fahrla¨ ssigkeit etabliert werden kann, dann fu¨ r Gewaltdarstellungen sowie den Bereich, der nach na¨ mlich, wenn von den Providern keine Schutzme- europa¨ ischen Standards in den Bereich der Beleidi- chanismen eingerichtet werden, die den Zugang zu gungsdelikte fallen wu¨ rde. Hier wird das Grundrecht nur fu¨ r Erwachsene bestimmten Daten fu¨ r junge der Meinungsfreiheit nachdru¨ cklich betont und inso- Menschen jedenfalls erschweren ko¨ nnen. Artikel 426 weit kaum strafrechtliche Regulation in das Spiel ge- TStGB greift dann nicht ein, wenn der Benutzer bracht. Im u¨ brigen gilt dasselbe fu¨ r die Herstellung durch eine eigene Recherche zu diesem Material ge- und Verwendung von nach deutschem Recht strafba- langt ist, da das Merkmal der O¨ ffentlichkeit in die- ren nationalsozialistischen Kennzeichen etc. Vera¨ n- sem Fall nicht erfu¨ llt ist und der Vorsatz der Verbrei- derungen haben sich hier im Zusammenhang mit so- tung nicht gegeben ist. Bis heute ist ein genannte Haßstraftaten (darunter auch Haß- Ermittlungsverfahren in derartigen Fa¨ llen durch die Sprache) erst ku¨ rzlich ergeben. Seit Ende der achtzi- tu¨ rkischen Staatsanwaltschaften freilich noch nicht ger Jahre erleben die USA eine Welle sogenannter eingeleitet worden, wohl weil diese in solchen Fa¨ llen hate-crime Gesetzgebung, in der Haßgewalt und nachsichtig und tolerant handeln und von der O¨ ffent- Haßsprache unter Strafe gestellt werden. Der Su- lichkeit ein solches Interesse an Strafverfolgung und preme Court hat die Haßgesetzgebung bislang als Bestrafung bis jetzt noch nicht gea¨ ußert worden ist.

163 5.3 Kontrolle der fu¨ r Minderja¨hrige scha¨dlichen ) Albrecht, H.-J.: Entwicklungstendenzen des Jugendkrimi- nalrechts und stationa¨ rer Freiheitsentziehung bei jugend- Darstellungen im Internet in den Vereinigten lichen Strafta¨ tern in den USA. In: Du¨ nkel, F., Meyer, K. Staaten (Hrsg.): Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug. Teilband 2, Freiburg 1986, S. 1211---1306, S. 1214ff. Die Vereinigten Staaten von Amerika ko¨ nnen auf 164) Miller vs. California, 413 US 15, 34 (1973), mit bedeutsa- eine reiche Tradition des Jugendschutzes zuru¨ ckblik- men Ausfu¨ hrungen zu Obszo¨ nita¨ tsstandards und ---tests; ken. Die „Child-Saver-Bewegung“ des 19. Jahrhun- zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl im u¨ brigen derts hatte ja nicht unerhebliche Auswirkungen auf Downs, D.A.: The New Politics of Pornography. Chicago 1989, S. 3ff.. die entsprechenden Jugendschutzbewegungen in 165) Osanka, F.M., Johann, S.L.: Sourcebook on Pornography. Europa. Freilich ist die Entwicklung nicht geradlinig Lexington 1989 verlaufen, wie vor allem die neueren Ansa¨ tze im Ju- 166) Vgl. hierzu Bureau of Justice Statistics: Sourcebook of Cri- gendschutz einerseits und im Jugendstrafrecht ande- minal Statistics 1996. Washington 1997, S. 144; vgl. ferner rerseits zeigen. Zwar ist die Situation in den USA ge- auch Meinungsbefragungen zu Altersgrenzen fu¨ r den Zu- rade in rechtlicher Hinsicht sehr zersplittert, doch gang zu Pornographie, die fu¨ r die achtziger Jahre und die neunziger Jahre ausweisen, daß sich fast die Ha¨ lfte der Be- lassen sich wesentliche Trends aufzeigen. Das Ju- fragten dafu¨ r aussprechen, Pornographie fu¨ r alle Alters- gendrecht bzw. Jugendschutzrecht in den USA ent- gruppen nicht zuga¨ nglich zu machen, Bureau of Justice wickelte sich als einheitliches Recht (das beispw. Statistics: a.a.O. 1997, S. 240.

77 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode vereinbar mit den Grundrechten der amerikanischen auch nicht belegen ko¨ nnen, daß Jugendschutz nicht Verfassung angesehen. auch mit weniger in die Erwachsenenrechte eingrei- fenden Mitteln ha¨ tte erzielt werden ko¨ nnen. Auf- Fu¨ r die hier interessierenden Fragestellungen ist grund der Entscheidung des Gerichtes in Philadel- aber vor allem die Auseinandersetzung um den Com- phia, der der Oberste Gerichtshof folgte, kam der munications Decency Act relevant. Denn eine Maß- Communications Decency Act in seinen jugend- nahme, die in den Vereinigten Staaten nach kontro- schutzbezogenen Elementen somit nie zur Anwen- versen und lange andauernden Diskussionen zum dung. Schutz der Minderja¨ hrigen vor scha¨ dlichen Inhalten des Internets, wie beispw. der Pornographie, ergrif- Im Zusammenhang mit der Aufhebung des CDA un- fen wurde, war der „Communications Decency Act“ terstrich Bill Clinton sein Versprechen, die Minder- (CDA). Das Gesetz wurde vom Kongreß Anfang 1996 ja¨ hrigen vor der Pornographie im Internet zu schu¨ t- beschlossen, unter anderem mit dem Ziel, den Zu- zen, ohne dabei das Recht der amerikanischen gang Minderja¨ hriger zu Pornographie im Internet zu Staatsbu¨ rger auf freie Meinungsa¨ ußerung einzu- verhindern. Es paßte insoweit in das bereits seit den schra¨ nken. Der Schutz der Minderja¨ hrigen sollte achtziger Jahren sich vera¨ ndernde Klima in den durch die Selbstregulierung der Internetbetreiber 169 USA, in dem sich nicht nur die Pornographie-Gesetz- (provider) gewa¨ hrleistet werden. ) Im Juli 1997 er- gebung wieder verha¨ rtet hat167), nach langen Jahren kla¨ rte der Pra¨ sident, die Benutzerkontrolle, die dem der Liberalisierung, sondern auch der Zugriff auf Benutzer die Auswahl der zu empfangenden Infor- Drogen und Alkohol sich ganz erheblich verscha¨ rft. mation u¨ berla¨ ßt, sei gegenu¨ ber einer Reglementie- Der CDA war Teil des Kommunikationsgesetzes und rung der Inhalte des Internets, wie sie der CDA vor- stellte unter Strafe, in das Internet pornographische sah, der bestmo¨ gliche Weg, um Kinder davon Inhalte einzubringen, die zwar fu¨ r Erwachsene be- abzuhalten, ungeeignete Information im Internet zu stimmt waren, aber von Minderja¨ hrigen eingesehen suchen. 168 werden konnten ). Im einzelnen waren unter Strafe Als Gegner des CDA war der amerikanische Senator gestellt: die wissentliche U¨ bermittlung von „obszo¨ - Patrick Leahy der Meinung, man mu¨ sse den Eltern nen oder unansta¨ ndigen“ Darstellungen oder Mittei- bessere Mo¨ glichkeiten geben, die Computeraktivita¨ - lungen an eine Person unter 18 Jahren (Art. 223a) ten ihrer Kinder zu kontrollieren, und nicht die U¨ ber- sowie die „wissentliche U¨ bermittlung von Mitteilun- wachung des Staates fo¨ rdern. Dies sei die beste gen, in denen in nachdru¨ cklicher Art und Weise (ge- Form, die Minderja¨ hrigen vor scha¨ dlichen Inhalten messen an herko¨ mmlichen Standards) sexuelle Akti- im Internet zu schu¨ tzen, ohne die Meinungsfreiheit vita¨ ten oder Organe beschrieben oder dargestellt einzuschra¨ nken oder das Wachstum dieses neuen werden“ (Art. 223e). Rechtfertigungsgru¨ nde (defen- Massenmediums zu behindern.170) ses) wurden im Gesetz denjenigen zugestanden, die mit effektiven Maßnahmen Jugendlichen den Zu- 5.4 Lateinamerika gang zu den pornographischen Materialien er- schwerten, insbesondere durch die Setzungen von Der Jugendschutz in Argentinien ist nicht in einem Voraussetzungen fu¨ r den Zugang wie eine gu¨ ltige einzigen Gesetzbuch zusammengefaßt. Im u¨ brigen Kreditkarte oder einen Adult Verification Code. Der haben einige Provinzen eigensta¨ ndige Jugendge- CDA wurde kurz darauf von einem Gericht in Phila- setzbu¨ cher, darunter San Juan (1947), Santa Fe´ delphia aufgehoben, mit der Begru¨ ndung, diese Re- (1949), Buenos Aires (1961), Corrientes (1965), Co´ r- gelung stelle einen verfassungswidrigen Eingriff in doba (1966) und Catamarca (1982). Freilich gibt es in das Recht auf Meinungsfreiheit dar. Am 26. Juni Argentinien verschiedene Projekte nationaler Ju- 1997 hat dann der Oberste Gerichtshof der Vereinig- gendgesetzbu¨ cher, so diejenigen der Jahre 1916 (Ga- ten Staaten den CDA fu¨ r verfassungswidrig erkla¨ rt che y Bullrich), 1925 (Bard), 1933 (Coll), 1941 (Ca- und entschieden, daß der Kongreß den ersten Verfas- bral), 1973 (Tro´ ccoli) und 1988 (Guardulich)171). sungszusatz (First Amendment) verletzt habe --- das Daneben liegen spezielle Gesetze fu¨ r verschiedene Recht auf freie Meinungsa¨ ußerung ---, als er die im Aspekte des Jugendschutzes vor, wie zum Beispiel Internet vero¨ ffentlichten pornographischen Inhalte zur Vormundschaft (Patronat)172), zur Adoption oder grundsa¨ tzlich verbot. Dem einstimmigen Urteil der zur Kindesmißhandlung173). Andere nationale Geset- Richter zufolge ist der Versuch des Kongresses, die ze, die mit dem Minderja¨ hrigen zu tun haben, betref- Minderja¨ hrigen vor sexuell freizu¨ gigen Materialien fen u. a. das Gesetz Nr. 11317 u¨ ber Kinderarbeit, das zu schu¨ tzen, unverha¨ ltnisma¨ ßig, da er ebenfalls ver- Gesetz Nr. 22278 u¨ ber die strafrechtliche Behand- hindert, daß diese Inhalte erwachsene Bu¨ rger errei- lung der Minderja¨ hrigen, das Gesetz Nr. 22803 u¨ ber chen, die das Recht haben, sie zu empfangen. Im we- das Mindestalter der Strafbarkeit, das Gesetz sentlichen stu¨ tzte sich das Gericht auf das Argument, daß mit den unbestimmten Begriffen des Gesetzes 169) http://www.ciec.org eine zu weitgehende Beschra¨ nkung der Meinungs- 170) http://www.hg.org 171) ebd., S. 27ff. freiheit erzielt werde; im u¨ brigen habe die Regierung 172) Das staatliche Patronat fu¨ r Minderja¨ hrige ist eine soziale Aufgabe des Staates zum Zwecke des Beistands, der Er- 167) Downs, D.A.: The New Politics of Pornography. Chicago ziehung, der Aufsicht und der juristischen Vertretung der 1989. Minderja¨ hrigen, die keine gesetzlichen Vertreter haben 168) Der „Communications Decency Act“ (CDA) befindet sich oder zwar einen gesetzlichen Vertreter haben, aber sich im in Sektion 502 des Telecommunications Act von 1996 Zustand der Vernachla¨ ssigung oder der Gefahr befinden. (S. 652 ß 502 (8. Februar 1996) Die Bestimmung tra¨ gt den 173) Das Gesetzesdekret Nr. 5286/57 hat das Gesetz Nr. 14394 Titel ?Obscene or Harrassing Use of Telecommunicatios u¨ ber Minderja¨ hrige in bezug auf Jugendschutz, Patronat Facilities under the Communications Act of 1934. und Adoption modifiziert.

78 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Nr. 11317 u¨ ber Kinder- und Frauenarbeit sowie das auf Radio und Fernsehen anwendbar sei. Da das Gesetz Nr. 10903 u¨ ber die Vormundschaft Minder- Internet ein Massenmedium fu¨ r die Verbreitung ja¨ hriger.174) Im Strafgesetzbuch sind ebenfalls einige von Ideen ist, fa¨ llt es danach ebenfalls unter die Aspekte des Jugendschutzes geregelt. Die Arti- Meinungsfreiheit der Verfassung. kel 107 und 108 umfassen die Vernachla¨ ssigung Min- 6. Das Internet ist ein modernes Medium, mittels des- derja¨ hriger (abandono de menores), Artikel 125 StGB sen sich die Gesellschaft ausdru¨ cken und wichtige regelt die Verfu¨ hrung Minderja¨ hriger und Arti- Informationen einholen kann. Aus diesem Grund kel 127 StGB bestraft, wer einen Minderja¨ hrigen zur fo¨ rdert die Regierung seine Entwicklung im gan- Prostitution verleitet. Im argentinischen Strafgesetz- zen Land, und beseitigt Hindernisse, die die Ent- buch finden sich keine ausdru¨ cklichen Regelungen, wicklung des Internets einschra¨ nken ko¨ nnten. In die fu¨ r Jugendliche scha¨ dliche Inhalte in den Mas- die Schaffung und/oder U¨ bermittlung von Infor- senmedien verbieten. Jedoch stellt Artikel 128 mationen im Internet darf die Regierung nicht ein- (Schutz des o¨ ffentlichen Anstandes) unter Strafan- greifen. drohung die Vero¨ ffentlichung, Herstellung, Verbrei- tung und den Handel von und mit obszo¨ nen Schrif- 7. Die Reform von 1994 hat internationale Abkom- ten, Bu¨ chern oder Bildern. Eine Maßnahme zum men aufgenommen, wie das Abkommen von San Schutz der Minderja¨ hrigen findet sich auch in Gesetz Jose´ de Costa Rica oder die Amerikanische Men- Nr. 18019 aus dem Jahre 1968, das die Klassifizierung schenrechtskonvention, die in ihrem Art. 13, von Kinofilmen regelt. Hier wird derjenige bestraft, Abs. 1 besagt, daß jede Person das Recht der Mei- der es zula¨ ßt, daß Minderja¨ hrige zu Kinofilmen Zu- nungsfreiheit besitzt. Die Meinungsfreiheit umfaßt tritt erhalten, die fu¨ r sie verboten sind175). In bezug die Freiheit, Ideen aller Art zu suchen, zu empfan- auf das Internet gibt es in Argentinien keine Bestim- gen und zu verbreiten, ohne Ru¨ cksicht auf Gren- mung, die fu¨ r Kinder scha¨ dliche Inhalte im Internet zen und ohne Ru¨ cksicht darauf, ob sie mu¨ ndlich, verbietet. Ganz im Gegenteil: ein Dekret und eine schriftlich oder auf einem anderen Wege verbreitet Gesetzesvorlage (proyecto de ley)176), besagen, daß wurden. Die Regierung weiß, daß die weltweite das Internet durch das verfassungsrechtlich ver- Vernetzung eines der wichtigsten Merkmale des bu¨ rgte Recht auf Meinungsfreiheit geschu¨ tzt werde. Internets ist, und die Benutzer die Freiheit haben, Denn der argentinische Pra¨ sident erließ im Novem- Informationen nach ihren eigenen Interessen aus- ber 1997 ein Dekret zum Internet177), mit dem be- zusuchen. Daraus folgt, daß jeglicher Versuch, die stimmt wird, daß die in der Verfassung verankerte Inhalte des Internets zu manipulieren, zu regulie- Meinungsfreiheit auch das Internet umfaßt. Das De- ren oder zu zensieren, aufgrund derzeitiger kret hatte explizit zum Ziel, die Maßsta¨ be, die fu¨ r die Rechtsnormen verboten ist. anderen Massenmedien gelten, auch auf das Internet auszudehnen (Art. 1). Die Entscheidung beruht auf Aufgrund des Dekrets Nr. 554/97 ist den Einwohnern den folgenden Erwa¨ gungen: der argentinischen Republik der Zugang zum Inter- net erlaubt, unter gleichberechtigten Bedingungen 1. Die Pressefreiheit, die in der Verfassung verankert und ohne vorhergehende Zensur. ist, umfaßt auch Inhalte, die durch Radio und Fern- sehen verbreitet werden. Das chilenische Strafgesetzbuch umfaßt verschie- dene Normen, die mit dem Schutz der Jugend zu tun 2. Artikel 14 der Verfassung besagt, daß alle Einwoh- haben, wie das Aussetzen der Kinder (Art. 346ff.), ner der Nation das Recht haben, ihre Ideen ohne die Verfu¨ hrung Minderja¨ hriger (Art. 363ff.) und die vorherige Zensur in der Presse zu vero¨ ffentlichen. Kindsto¨ tung (Art. 394). Sodann hat Chile die Konven- 3. Das Internet kann zu den Schriftmedien gerechnet tion u¨ ber die Rechte des Kindes im Jahre 1990 unter- werden, womit es von einer vorhergehenden Zen- zeichnet. Gema¨ ß Artikel 5.2 der chilenischen Verfas- sur ausgeschlossen ist. sung erha¨ lt die Konvention u¨ ber die Rechte des Kindes in der chilenischen Rechtsordnung Verfas- 4. Artikel 32 der Verfassung besagt, daß das Bundes- sungsrang178). Der Staat u¨ bt seine Rolle als Verteidi- parlament keine Gesetze erlassen darf, die gegen ger der Rechte der Kinder vor allem mit Hilfe von die Vero¨ ffentlichungsfreiheit gerichtet sind. zwei Institutionen aus: mit dem Nationalen Dienst fu¨ r 5. Das ho¨ chste Gericht war der Auffassung, die Mei- Minderja¨ hrige (SENAME) und der Minderja¨ hrigen- nungsfreiheit, die in den Artikeln 14 und 32 der gerichtsbarkeit (Judicatura de Menores). Diese um- Verfassung verankert ist, umfasse sowohl die Ab- faßt spezielle Gerichte, deren Zusta¨ ndigkeit alle The- gabe als auch die Aufnahme von Information. Die men betrifft, die mit dem Schutz der Jugend in herrschende Lehre in Argentinien ist der Ansicht, „situacio´ n irregular“ zu tun haben. Der SENAME ist daß die Meinungsfreiheit, die der historische Ge- ein Dienst, der dem Justizministerium untersteht und setzgeber nur auf die Presse bezogen hatte, auch aktiv fu¨ r den Schutz der Jugend sorgen soll. Eine an- dere Institution, die fu¨ r den Schutz der Jugend zu- 174) CO´ DIGO PENAL DE LA REPU´ BLICA DE ARGENTINA Y sta¨ ndig ist, ist die Jugendpolizei. Eine ihrer Aufga- LEGISLACIO´ N COMPLEMENTARIA, S. 78, 80, 95, 117, ben ist es, die Minderja¨ hrigen aufzugreifen, die sich 128, 130, 150, 177 in einer „situacio´ n irregular“ befinden und Orte zu 175) CO´ DIGO PENAL DE LA REPU´ BLICA ARGENTINA, u¨ berwachen, an denen mo¨ glicherweise Minderja¨ hri- S. 177 ge verfu¨ hrt werden und zu Schaden kommen ko¨ n- 176 ´ ) PROYECTO DE DECLARACION, 3. Dezember 1997, S- nen179). Verschiedene Regelungen dienen zur Be- 2402/97, vorgestellt von Senator Dr. Jose´ Antonio Romero Feris 177) BOLETIN OFICIAL, 1. Dezember 1997, DECRETO NA- 178) ebd., S. 18 CIONAL Nr. 1279, Buenos Aires, 25. November 1997 179) CILLERO, S. 64ff.

79 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode ka¨ mpfung der fu¨ r Kinder scha¨ dlichen Inhalte in den enthaltenen Normen dienen soll. Das Jugendgesetz- Massenmedien. So bestraft Artikel 374 des chileni- buch entha¨ lt die Definition der „situacio´ n irregu- schen StGB, wer Lieder, Broschu¨ ren oder andere lar“184), sowie die Maßnahmen, die unternommen Schriften, die gegen die guten Sitten verstoßen, ver- werden mu¨ ssen, damit Minderja¨ hrige in allen Phasen kauft, verteilt oder zur Schau stellt. Im Oktober 1996 ihrer Entwicklung eine angemessene Betreuung er- wurde ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der die Arti- halten, bis die Vollja¨ hrigkeit erreicht ist.185) kels 361, 367 und 374 des Strafgesetzbuches a¨ ndern soll. Diese Artikel beinhalten die Delikte Vergewal- Kolumbien hat im Jahr 1991 Prinzipien der Konventi- tigung, Sexhandel mit Kindern, Prostitution und on u¨ ber die Rechte des Kindes in seine Gesetzge- Kinderpornographie. Das Ziel der A¨ nderung des bung u¨ bernommen. Das Jugendgesetzbuch, das den Artikels 374 ist es, denjenigen zu bestrafen, der Richtlinien der schon genannten Konvention folgt, Schriften, bildliche Darstellungen oder Filme, die umfaßt unter anderem das Recht auf Leben, das Kinderpornographie beinhalten, oder in denen Min- Recht, in einer Familie aufzuwachsen, das Recht auf derja¨ hrige an Handlungen teilnehmen, die gegen die Schutz von der Empfa¨ ngnis bis zur Vollja¨ hrigkeit, guten Sitten verstoßen, verkauft, verteilt oder zur das Recht auf Erziehung, das Recht auf Schutz vor 180 Schau stellt ). Das Gesetz Nr. 18838 legt unter- Gewalt, Mißhandlung und Ausgesetztwerden bzw. schiedliche Zeiten fu¨ r die Ausstrahlung von Fernseh- Vernachla¨ ssigung186). Andere Organe fu¨ r den Schutz programmen zum Schutz der Kinder unter 12 Jahren der Minderja¨ hrigen, die durch das Jugendgesetz- fest. Mit dieser Reform sollte ein angemessener buch reglementiert oder geschaffen wurden, sind die Schutz Jugendlicher vor scha¨ dlichen Medieninhalten Minderja¨ hrigenpolizei, die Kommissariate fu¨ r die erreicht werden. Die Regelung steht in U¨ bereinstim- Minderja¨ hrigen (comisarı´as de menores) und die Pro- mung mit internationalen Vereinbarungen wie dieje- zeßanwaltschaft fu¨ r die Verteidigung Minderja¨ hriger 181 nige u¨ ber die Rechte des Kindes ). (Procuradurı´a Delegada para la defensa del menor). Die Minderja¨ hrigenpolizei ist eine besondere Abtei- Zu massenmedialen Fragen kam es ku¨ rzlich zu einer lung der Polizei, die mit denjenigen staatlichen Orga- ¨ Initiative zur Anderung der Verfassung von 1980, mit nen zusammenarbeitet, die dem Schutz und der Er- der die Zensur von Werbung und Filmen abschaffen ziehung der Jugend dienen. In Artikel 228 des sollte. Die Zensur fu¨ r Kinofilme war in der Verfas- Jugendgesetzbuches sind die Aufgaben dieser Poli- sung von 1980 verankert worden. Gema¨ ß Artikel 19 zei beschrieben. Eine dieser Aufgaben ist es, den Zu- Nr. 12 der Verfassung mußte der Gesetzgeber ein Sy- gang Minderja¨ hriger zu Orten zu verhindern, an de- stem der Zensur fu¨ r die Ausstrahlung von Werbung nen Alkohol verkauft wird oder an denen Gefahren und Filmen schaffen. Die Verfassung von 1980 besta¨ - fu¨ r die physische und moralische Unversehrtheit der tigte freilich in derselben Vorschrift den Grundsatz Minderja¨ hrigen bestehen187). Artikel 25, Abs. 2 des der Meinungsfreiheit, und zwar in umfassender Art Jugendgesetzbuches untersagt den Massenmedien und Weise und deshalb ohne vorherige Zensur die Verbreitung jeglicher Art Programme oder Nach- (Art. 19 Nr. 2 Abs. 1). In vergleichenden Studien wur- richten, die der Moral oder der physischen und psy- de das Institut der Zensur untersucht mit der Schluß- chischen Gesundheit der Minderja¨ hrigen abtra¨ glich folgerung, daß die Zensur von Filmen weder in der sein ko¨ nnen. Auch in seinem dritten Teil entha¨ lt das Verfassungsgeschichte Chiles aufscheint, noch im in- Jugendgesetzbuch eine Reihe von Bestimmungen, ternational akzeptiert wird. Aufgrund dieser Wider- die die Verantwortung der Massenmedien regeln. 182 spru¨ che soll die Filmzensur abgeschafft werden ). Diese sehen strenge Strafen fu¨ r Vero¨ ffentlichungen Regelungen, die jugendgefa¨ hrdende Inhalte im In- vor, die ihrem Wesen nach in der Lage sind, die mo- ternet verbieten, hat der chilenische Kongreß noch ralische, physische oder psychische Integrita¨ t von nicht erlassen. Das Internet hat eben noch nicht die- Minderja¨ hrigen zu beeintra¨ chtigen. Hier werden selbe Bedeutung erlangt wie in den Industrienatio- auch verschiedene Ordnungswidrigkeitentatbesta¨ n- nen. de gesetzt. Artikel 300 des Jugendgesetzbuches re- gelt, daß die Massenmedien keine Vero¨ ffentlichun- Das Hauptziel des kolumbianischen Jugendgesetz- gen zulassen du¨ rfen, die gegen die moralische, 183 buches ) ist die Feststellung der Grundrechte der physische oder psychische Integrita¨ t Minderja¨ hriger Minderja¨ hrigen und die Bestimmung der Richtlinien, gerichtet sind, die Minderja¨ hrigen zur Gewalt anstif- die den Rechten der Minderja¨ hrigen Vorrang vor al- ten ko¨ nnen oder krankhafte und pornographische ¨ len anderen Uberlegungen geben und als Richt- Darstellungen enthalten. Artikel 302 bestimmt, daß schnur fu¨ r die Anwendung der im Jugendgesetzbuch in den Massenmedien nichts vero¨ ffentlicht werden darf, was in Minderja¨ hrigen den Wunsch zum Kon- 180) DIARIO DE SESIONES DEL SENADO; SESIO´ N 5a.(anexo sum von Drogen oder anderen gesundheitsscha¨ dli- de documentos), 29. Oktober 1996, Proyecto de Ley que chen Stoffen weckt. Artikel 320 verbietet die Teilnah- modifica los artı´culos 361, 367, 374 del Co´ digo Penal, en lo me Minderja¨ hriger an Kinofilmen oder die Ausleihe relativo a los delitos de violacio´ n, comercio sexual de me- nores, prostitucio´ n y pornografı´a infantil. 181) CMARA DE DIPUTADOS; SESIO´ N 45a., en 29. Januar 184) Ein Minderja¨ hriger befindet sich zum Beispiel in einer „si- 1997, Proyecto de Ley que modifica la Ley No. 18838 sobre tuacio´ n irregular“, wenn er ausgesetzt worden ist, wenn er el Consejo Nacional de Televisio´ n, S. 94 sich in einem „Gefa¨ hrdungszustand“ befindet, keinen ge- 182) CO´ MARA DE DIPUTADOS. SESIO´ N 4a., 3. Oktoiber setzlichen Vertreter hat oder unter unzula¨ ssigen Umsta¨ n- 1996, Proyecto de Reforma Constitucional para derogar la den arbeitet (Art. 30 Jugendgesetzbuch). censura previa de la exhibicio´ n y publicidad de la produc- 185) CO´ DIGO DEL MENOR, COLOMBIA, Tratados y Conveni- cio´ n cinematogra´ fica (boletı´n No. 1924---07), S. 44ff os Internacionales, S. 3 183) Das Jugendgesetzbuch ist im Dekret Nr. 2737 von 1989 186) ebd., S. 3, S. 4 enthalten. 187) ebd., S. 14, S. 83

80 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001 von Kinofilmen, die ausschließlich fu¨ r Erwachsene cher anderer Verbreitung von Pornographie, Gewalt, bestimmt sind. Artikel 325 schließlich entha¨ lt das Terror. Verbot, an Minderja¨ hrige pornographisches Material jeglicher Art zu verkaufen, zu verleihen oder zu Am 30. Dezember 1997 traten die Regelungen zu 188 Computer-Informationsnetzwerken sowie zur Sicher- vermieten ). Zu den Aufgaben der Minderja¨ hrigen- 189 polizei geho¨ rt es im u¨ brigen auch, den Besitz oder heit und Verwaltung des Internet in Kraft. ) Ihr Ziel Handel mit Schriften, Bildern, pornographischem ist nicht nur, wie Art. 1 ausweist, die Sicherheit und Material und anderen Vero¨ ffentlichungen, die die die Verwaltung von Netzwerken sowie des Internet, Moral der Minderja¨ hrigen scha¨ digen, zu verhindern sondern daru¨ ber hinaus auch die Erhaltung von (Art. 288, Nr. 4 Jugendgesetzbuch). sozialer Ordnung und sozialer Stabilita¨ t. Dem entspricht es, wenn Sicherheits- und Verwaltungsbe- In Kolumbien gibt es bislang keine ausdru¨ ckliche Re- lange aller Computer-Netzwerke innerhalb des Terri- gelung zum Schutz von Minderja¨ hrigen im Internet. toriums der Volksrepublik China unter diese Regeln Jedoch wird in Artikel 300 des Jugendgesetzbuches fallen. Dem entspricht es auch, wenn fu¨ r die Umset- keine Beschra¨ nkung dahingehend zum Ausdruck zung der Regeln das Ministerium fu¨ r O¨ ffentliche gebracht, daß diese Bestimmung nur fu¨ r bestimmte Sicherheit, also das Polizeiministerium, fu¨ r zusta¨ ndig Massenmedien anzuwenden sei, so daß Artikel 300 erkla¨ rt wird. auch auf das Internet angewendet werden kann. Art. 4 legt dann die Pflichten der Internetbenutzer fest. Das Internet darf nicht benutzt werden, um der nationalen Sicherheit Schaden zuzufu¨ gen, Staatsge- 5.5 Volksrepublik China heimnisse zu verraten, den allgemeinen Interessen In der 17. Sitzung des Sta¨ ndigen Ausschusses des des Staates oder einer sozialen Gruppe bzw. den 7. Nationalen Volkskongresses der VR China wurde rechtlich geschu¨ tzten Interessen der Bu¨ rger zu scha- am 28. Dezember 1990 ein Bu¨ ndel von Vorschriften den oder um ganz allgemein Straftaten zu begehen. beschlossen, die Herstellung, Schmuggel, Verteilung Im einzelnen werden dann Aktivita¨ ten aufgefu¨ hrt, und den Vertrieb von pornographischen Materialien die verboten sind. Dies reicht von sehr speziellen betreffen. Anwendung finden danach fu¨ r die Ein- Pflichten, na¨ mlich der nationalen Einheit nicht zu und Ausfuhr von pornographischen Artikeln, unab- schaden oder ethnische Minorita¨ ten nicht zu diskri- ha¨ ngig mit welchem Medium die Objekte ein- oder minieren bis hin zu der sehr allgemeinen Pflicht, kei- ausgefu¨ hrt werden, diejenigen Strafvorschriften, die nen Schaden anzurichten. Immerhin stehen staats- fu¨ r Schmuggel und Zollversto¨ ße vorgesehen sind (fu¨ r konforme Verpflichtungen ganz im Vordergrund. den Fall, daß hieraus keine Gewinne erzielt werden Freilich ist in diesem Katalog auch versteckt die sollten oder Verteilung und Vertrieb beabsichtigt ge- Pflicht, vor dem Zugang zum Internet oder zu Daten- wesen sind). Im Falle von Gewinnerzielungsabsicht netzen eine staatliche Genehmigung einzuholen. bzw. Vertriebsabsicht ist die Strafe dagegen Frei- Ferner sind alle datenvera¨ ndernden Aktivita¨ ten im heitsstrafe bis zu drei Jahren und eine Geldstrafe. In Internet unter Erlaubnisvorbehalt gestellt. Akzeptiert schweren Fa¨ llen vera¨ ndert sich der Strafrahmen auf werden mu¨ ssen bei Nutzung des Internet die U¨ ber- bis zu 10 Jahre bzw. lebenslange Freiheitsstrafe zu- wachung, Kontrolle und Anleitung durch staatliche zu¨ glich einer Geldstrafe bzw. Vermo¨ genskonfiskati- Aufsichtsbeho¨ rden. Geschaffen wird dann eine Mit- on. Gekennzeichnet ist das chinesische Recht durch wirkungspflicht bei der Aufkla¨ rung von Straftaten hohe Flexibilita¨ t, was Definition und Verhaltenswei- oder anderen rechtswidrigen Vorga¨ ngen, also quasi sen betrifft, im u¨ brigen auch bei Strafen, die von eine Anzeigepflicht. Die staatliche Sichtweise des In- leichten Verwaltungsstrafen bis hin zur Todesstrafe ternet ist hier also im Grundsatz dadurch gepra¨ gt, reichen ko¨ nnen. Nr. 8 des Beschlusses zeugt eben- daß dieses als Risiko und die Nutzung als schadens- falls von erheblicher Offenheit der chinesischen Ge- tra¨ chtig eingestuft werden. Insoweit ist auch ver- setzgebung, wenn der Begriff pornographische Arti- sta¨ ndlich, daß die Einrichtungen, die den Zugang kel bezogen wird auf Bu¨ cher, Periodika, Filme, zum Internet einra¨ umen und die gateways bewa- Videos, Audios, Bilder usw.. chen, fu¨ r die Herstellung von Sicherheit in den Netz- werken wie fu¨ r die Sicherheit in den nachgeordneten Das eigentliche Gesetz zum Schutze der Jugend da- Netzwerken verantwortlich gemacht werden. Auch tiert vom 4. September 1991. Es ist in Kraft getreten sie sind zur Anzeige an die lokalen Strafverfolgungs- am 1. Januar 1992. Der Jugendbegriff bezieht junge beho¨ rden verpflichtet, im u¨ brigen auch dazu, Benut- Menschen bis zum Alter von 17 Jahren ein. Ziel des zer, bei denen Versto¨ ße festgestellt worden sind, vom Gesetzes ist der Schutz der physischen und geistigen Netz und Zugang zu entfernen. Zur Implementation Gesundheit junger Menschen, der Schutz ihrer Rech- der U¨ berwachung haben die lokalen Polizeibeho¨ rden te und Interessen sowie die Fo¨ rderung der morali- eine Sicherheitsorganisation ins Leben zu rufen, die schen, intellektuellen und physischen Entwicklung. die Aufgabe hat, die Zugangsprovider und Betriebe, Bezug wird dabei noch genommen auf die Erziehung im u¨ brigen auch Einzelpersonen zu kontrollieren und zu Anha¨ ngern der sozialistischen Ideale. Artikel 25 daraufhin zu u¨ berpru¨ fen, ob die Sicherheitsstandards des Gesetzes stellt im u¨ brigen ein allgemeines Verbot etc. eingehalten werden. Firmen und Betriebe, die auf, Jugendlichen Zugang zu pornographischen Ma- am Internetverkehr teilnehmen, ebenso wie Einzel- terialien zu verschaffen. Dabei geht es um das Verbot nutzer sind dazu verpflichtet. ein „sicheres System“ des Verkaufs und des Ausleihens von pornographi- schen Materialien, jedoch auch um das Verbot jegli- 189) Verabschiedet durch den Staatsrat am 11. Dezember 1997 und durch den Minister fu¨ r O¨ ffentliche Sicherheit am 188) CODIGO DEL MENOR, COLOMBIA, S. 14, 15, 81 30. Dezember 1997 vero¨ ffentlicht.

81 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode zu unterhalten, ein Sicherheitstraining und -erzie- theken etc. als in bestimmten Altersphasen fu¨ r hung fu¨ r Personen einzufu¨ hren, die am Internetver- eine angemessene Entwicklung hinderliche Sach- kehr teilnehmen, den Inhalt von Sendungen zu u¨ ber- verhalte betrachtet werden. pu¨ fen, die fu¨ r andere Personen abgeschickt werden, c. Jenseits solcher Gemeinsamkeiten fallen freilich solche Personen zu registrieren etc. Dies gilt insbe- eine ganze Reihe von bedeutsamen Unterschieden sondere fu¨ r Betriebe und Einheiten, die Eingangs- auf, die sich vor allem in der strafrechtlichen Um- knoten verwalten. Die Sanktionen, die bei Versto¨ ßen setzung von Jugendschutz in neuen Medien als gegen Sicherheitsregeln angeordnet werden ko¨ nnen, hinderlich erweisen werden, da sie die fu¨ r eine ef- reichen von Geldstrafen bis hin zum zeitlichen fiziente polizeiliche und justitielle Zusammenar- Verbot das Internet zu nutzen bzw. bis hin zur beit sehr bedeutsame Harmonisierung der tatbe- Streichung der Adresse. Bedroht mit Sanktionen sind standlichen Grundlagen sto¨ ren und damit ein sehr ferner nicht nur die unmittelbar gegen Sicherheitsre- unterschiedliches Bild grundsa¨ tzlicher Strafbarkeit geln verstoßenden Personen, sondern auch der Be- ergeben. trieb bzw. die Einheit selbst bzw. der Gescha¨ ftsfu¨ hrer oder Leiter. d. Die Unterschiede liegen zum einen im Bereich der Festlegung, wer unter die Konzepte der Kindheit In der Analyse der chinesischen Regeln fa¨ llt folgen- und Jugend und damit in den Bereich strafrechtli- des auf: chen Jugendschutzes fallen soll. Die Altersgren- --- eine scharfe Sanktionierung von allen nicht nur zen, dies ist eine immer wieder gemachte Beob- von jugendschutzbeeintra¨ chtigenden Inhalten, die achtung (vor allem aus den Analysen des als illegal betrachtet werden, darunter insbeson- Jugendrechts bzw. der Jugendwohlfahrtsgeset- dere Pornographie, aber mutmaßlich noch vor die- ze190)), fallen doch recht weit auseinander. Schon ser staatsgefa¨ hrdende Inhalte, intern sind jeweils unterschiedliche Altersgrenzen in bestimmten Schutzbereichen zu identifizieren, --- die besondere Verpflichtung der Teilnehmer zur die freilich die Entwicklungsstadien des Kindes Mitwirkung an Kontrollmaßnahmen, bzw. des Jugendlichen zu beru¨ cksichtigen beab- --- die besondere Verpflichtung von Providern, schar- sichtigen. Sodann liegen die Unterschiede in der fe Sicherheitsstandards aufzustellen und zu imple- substantiellen Bestimmung dessen, vor dem Kin- mentieren, der und Jugendliche geschu¨ tzt werden sollen. Je- ¨ doch zeigen sich hier offensichtlich kulturelle Mu- --- die Offnung hin zum Internet als Teil des Wandels ster, da der Umgang mit Alkohol und Sexualita¨ t in eine moderne Gesellschaft wird vollzogen, frei- zuna¨ chst in recht unterschiedlichen Altersstufen lich um den Preis des Versuchs einer umfassenden erlaubt wird, sodann unterscheiden sich insbeson- Kontrolle der Kommunikationsvorga¨ nge. dere die europa¨ ischen Rechtsordnungen seit lan- ger Zeit von solchen des common law Bereichs und anderen Regionen durch ihre recht tolerante 6. Zusammenfassung und Schlußfolgerun- Behandlung von Drogen (Alkohol) und Sexualita¨ t gen (inklusive Pornographie). a. Der Jugendschutz hat weltweit a¨ hnliche Struktu- e. Die vergleichende Betrachtung hat zuna¨ chst ge- ren, wobei die A¨ hnlichkeit aber nicht u¨ berbewer- zeigt, daß die Befassung mit strafrechtlichem Ju- tet werden darf. Der strafrechtliche Jugendschutz gendschutz aus der Perspektive des Internet recht folgt der heute als Standard u¨ berall verfu¨ gbaren unterschiedlich ausfa¨ llt. Dabei verla¨ uft die Trennli- Abspaltung eines besonderen Systems der Kind- nie nicht zwischen entwickelten La¨ ndern, U¨ ber- heit und der Jugend wie der sich mit Kindern und gangsla¨ ndern und Entwicklungsla¨ ndern. Jedoch Jugendlichen befassenden besonderen Rechts- scheint klar, daß in U¨ bergangs- und Entwick- systeme. lungsla¨ ndern das Interesse an einer Kontrolle des b. Dabei ist im u¨ brigen nicht zu verkennen, daß der Internet und hier kommunizierter Inhalte sehr Jugendschutz im wesentlichen dieselben Anknu¨ p- stark auch vom Wunsch nach einer allgemeinen fungspunkte hat. Es handelt sich insoweit um die politischen Kontrolle getragen wird. Dies gilt je- ¨ Vorsorge, daß Kinder und Jugendliche nur alters- denfalls fu¨ r die Volksrepublik China, wo die Off- gema¨ ß in Kontakt mit bestimmten als riskant ein- nung zum Internet und internationalen Informati- gescha¨ tzten Lebenssachverhalten, Substanzen onsaustausch begleitet wird durch eine soweit und Verhaltensweisen kommen ko¨ nnen. Diesbe- einzigartige Dichte von Verpflichtungen zur zu¨ glich geht es um den Kontakt mit Drogen (vor Selbstkontrolle und von Strafandrohungen. Im allem Alkohol), den Kontakt mit Sexualita¨ t (vor al- u¨ brigen stellt die Organisation der Zuga¨ nge in lem in Gestalt von pornographischen und sexuel- China sicher, daß die Kontrolle auch sehr stark auf ¨ len Darstellungen, freilich ganz wesentlich in Ge- die Inhalte der Ubermittlungen bezogen werden stalt von unmittelbaren sexuellen Kontakten), den kann. Kontakt mit Gewalt und Gewaltta¨ tigkeit (auch f. In Bezug auf die Struktur der Gesetzgebung u¨ ber dies in Form gewaltta¨ tiger Darstellung, freilich Minderja¨ hrige in den analysierten La¨ ndern ergab auch in Form der den Jugendsystemen u¨ berall ei- sich, daß selbige in Lateinamerika zur Kodifikation genen Formen der Vernachla¨ ssigung und der ko¨ r- perlichen und anderen Mißhandlung); schließlich 190) Zusammenfassend Du¨ nkel, F., Meyer, K. (Hrsg.): Jugend- geht es um den Kontakt mit bestimmten Lebens- strafe und Jugendstrafvollzug. Teilba¨ nde 1 und 2, Freiburg welten, die in Form von Restaurants, Bars, Disko- 1986.

82 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

tendiert, wa¨ hrend sie in Spanien mit dem neuen immer vor191). Ferner gilt in vielen La¨ ndern fu¨ r be- Jugendschutzgesetz vereinheitlicht und systemati- stimmte Formen harter Pornographie das soge- siert werden sollte. nannte Weltrechtsprinzip. g. In vielen La¨ ndern, insbesondere aber in Latein- l. Es ist im wesentlichen die internationale Zusam- amerika, ist die Gesetzgebung u¨ ber Jugendschutz menarbeit der Strafverfolgungsbeho¨ rden und der im Internet ein neues Feld, das, wie auch das Bei- Strafjustiz, und zwar vor dem Hintergrund unter- spiel der Tu¨ rkei zeigt, recht zo¨ gerlich angegangen schiedlicher Tatbesta¨ nde und damit unterschiedli- wird. Offensichtlich bedarf es bestimmter stark cher Reichweiten des Strafrechts, die Probleme wirksamer Interessen, damit wie beispielsweise in der Strafverfolgung entstehen la¨ ßt. Zu stark fallen Deutschland oder in den USA recht schnell in die bereits die unterschiedlichen Altersgrenzen aus. spezifische Gesetzgebungsphase eingetreten wird. m.Es ist angesichts der Unterschiede nicht erstaun- lich, daß der Harmonisierung des materiellen h. In allen betrachteten La¨ ndern fand sich eine breit- Rechts erheblicher Stellenwert zugeordnet wird. gefa¨ cherte Gesetzgebung u¨ ber die Kontrolle der Freilich sind die Prognosen der Chancen derarti- verschiedenen Massenmedien in Bezug auf fu¨ r ger Harmonisierung wohl eher pessimistisch. Dies Minderja¨ hrige scha¨ dliche Inhalte wie die Porno- gilt auch und gerade fu¨ r Europa selbst192). Wie ein graphie. In fast allen La¨ ndern ist es offensichtlich „Experiment“ ku¨ rzlich gezeigt hat, an dem nahe- mo¨ glich, die Gesetzgebung auch auf die U¨ bermitt- zu alle europa¨ ischen Pru¨ fstellen beteiligt waren, lung von Informationen durch das Internet zu be- wa¨ re ein Film, der in Da¨ nemark fu¨ r 12ja¨ hrige zu- ziehen, da der Weg der U¨ bermittlung nicht genau gelassen worden wa¨ re, in England und in Irland spezifiziert wird; der Begriff des Verbreitens er- ga¨ nzlich verboten worden. Weitere Beispiele un- weist sich so als recht flexibel. Damit ko¨ nnen die termauern die Bedeutung der jeweiligen kulturell Regelungen fu¨ r die bisherigen Massenmedien und national gepra¨ gten Bewertungsmuster. So un- auch auf das Internet ausgedehnt werden. terscheiden sich Frankreich und Deutschland von i. Tatbesta¨ nde, die Reichweite der Tatbesta¨ nde und der Strenge der gesetzlichen Vorschriften der die angedrohten Sanktionen fallen recht unter- Filmkontrolle recht bedeutsam; das franzo¨ sische schiedlich aus. Dies ist freilich keine Besonderheit Kontrollsystem ist einerseits strenger ausgelegt, da dieses Rechtsgebiets, sondern folgt bekannten jeder Kinofilm von einer staatlichen Beho¨ rde u¨ ber- Mustern. pru¨ ft werden muß. Demgegenu¨ ber sind die Alters- gruppen in Frankreich allerdings weniger streng j. Die Bestrebungen einer strafrechtlichen Kontrolle ausgerichtet, da dort bereits ab 16 Jahren eine des Internets bzw. dort ablaufender Kommunikati- vollsta¨ ndige Freigabe aller Kinofilme beginnt. Je- onsvorga¨ nge, die seit Mitte der neunziger Jahre doch zeigen die Statistiken, daß in Frankreich erst in Deutschland, dann sehr schnell auch in an- 60 % aller Kinospielfilme ohne Altersbeschra¨ n- deren europa¨ ischen La¨ ndern eingreifen, sind sehr kung freigegeben werden, wa¨ hrend dieser Anteil stark durch die starke Betonung des Problems der in Deutschland bei 5 % liegt193). Entsprechendes Herstellung und Verbreitung von Kinderpornogra- gilt im u¨ brigen fu¨ r die Einstufung und Bewertung phie orientiert. Zwar ist auch damit Jugendschutz von Gewaltdarstellungen. Wa¨ hrend das Thema bezweckt, doch ist festzustellen, daß weniger der „Jugend und Gewalt bzw. Gewaltdarstellungen“ Jugendschutz im engeren, also das Zuga¨ nglich- als solches akzeptiert ist und im u¨ brigen wohl machen pornographischer Abbildungen fu¨ r junge nicht nur europaweit, sondern international als Menschen als Problem betrachtet wird. Freilich Problem aufgegriffen wird, liegen einerseits die gibt es im Hinblick auf die Problemsicht durchaus Ansa¨ tze zur Kontrolle, zum anderen die Bewer- erhebliche Unterschiede. Denn die allgemeine tung von Gewaltdarstellungen als „exzessiv“ oder und nicht jugendspezifische Pornographiedebatte „unangemessen“ recht weit auseinander (was sich ist offensichtlich in Nordamerika sehr viel sta¨ rker nicht zuletzt an der recht weiten Zulassung von ausgepra¨ gt. Dies deckt sich mit bereits bekannten Versandhandel mit Videos etc. außerhalb von kulturellen und sozialen Differenzen, die an derar- Deutschland zeigt). Aus diesen Befunden ergibt tigen moralischen Fragen besonders schnell sicht- sich auch, daß das rechtliche Gefa¨ lle bzw. die Un- bar werden. terschiede in den strafrechtlichen oder ordnungs- widrigkeitenrechtlichen Ansa¨ tzen lediglich ein k. Dabei zeigt die Analyse im u¨ brigen recht eindeu- Moment in der Problemanalyse darstellen ko¨ nnen. tig, daß die weltweite Verschiebung von Daten Fast wichtiger scheint es, die hinter der Anwen- und ggfs. illegalen oder jugendscha¨ digenden Dar- dung des Rechts wirksamen Einstellungen und stellungen fu¨ r die Geltung des jeweiligen nationa- Wertemuster aufzugreifen und jedenfalls in Rech- len Strafrechts kein Problem darstellt. Denn da, nung zu stellen, daß dieselben Gesetze bzw. der- wie in Deutschland oder in der Schweiz, ganz re- selbe rechtliche Rahmen vo¨ llig unterschiedliche gelma¨ ßig das nationale Strafrecht dann anzuwen- Folgen produzieren kann. Nirgendwo deutlicher den ist, wenn der Erfolg eines Delikts auf dem je- zeigt sich dieses Problem in der Beurteilung von weiligen Territorium eingetreten ist, liegt ein Anknu¨ pfungspunkt fu¨ r das Strafrecht in der Regel 192) Gottberg, J.: Vollzugsdefizite beim Jugendschutz beseiti- gen. Jugendmedienschutz-Report2/1996, S. 1---4, S. 4 mit 191) Beisel, D., Heinrich, B.: Die Zula¨ ssigkeit der Indizierung anschaulichen Beispielen aus dem Bereich der Freigabe von Internetangeboten und ihre strafrechtliche Bedeu- von Kinofilmen in Europa. tung. Jugendmedienschutz-Report 6/1997, S. 1---3, S. 2. 193) Gottberg, J.: a.a.O. 1996, S. 4.

83 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Obszo¨ nita¨ t oder Pornographie, in der sich ja doch tim sein ko¨ nnen. An dieser Stelle kann auf die in bislang nirgendwo ein umfassender interner Kon- mancher Hinsicht vereinheitlichten Systeme der sens hat herstellen lassen. Geldwa¨ schekontrolle verwiesen werden, die den Banken und anderen wirtschaftlich relevanten n. Freilich treffen sich die Einscha¨ tzungen an einem Sektoren Pflichten wie die Identifizierung von weiteren, ganz wesentlichen Punkt. Pessimismus Kunden oder gar die Anzeige bei den Strafverfol- im Hinblick auf die durch den Einsatz des gungsbeho¨ rden auferlegen, liegt der Verdacht auf Strafrechts erzielbaren Schutzeffekte herrscht Geldwa¨ sche vor. A¨ hnliche Mechanismen werden offensichtlich vor, da offensichtlich an der tatsa¨ ch- auch im Felde des Umweltschutzes diskutiert. Dies lichen Durchsetzbarkeit des Strafrechts gezweifelt alles ist allemal ein einheitlicher Ausdruck, daß 195 wird ). Dem entspricht es auch, wenn die Hoff- mit dem traditionellen strafrechtlich bewehrten nungen sich auf die Beseitigung von Vollzugsdefi- Verbot bestimmter, das Unrecht selbst im Kern re- 196 ziten richten und nicht auf neue Gesetze ). Auch pra¨ sentierender Handlungen moderne Gesell- dies ist freilich eine gut begru¨ ndete und internatio- schaften nicht mehr gesteuert werden ko¨ nnen. Die nal besta¨ tigte Erkenntnis. Folge ist tendenziell eine Ausweitung von Straf- o. Die Zweifel an der Durchsetzbarkeit sind konfun- recht (auch was die sogenannten Endnutzer be- diert mit den ganz erheblichen Aufwendungen, trifft) und die Einbeziehung von gesellschaftlichen die Internetprovidern aufgebu¨ rdet werden mu¨ ß- Gruppen in Strafrechtsrisiken, die vom eigenen ten, um u¨ berhaupt meßbare Effekte zu erreichen, Verhalten her gesehen grundsa¨ tzlich keinen An- die dann aber wiederum so klein ausfallen wu¨ r- laß zu strafrechtlicher Repression geben. Der An- den, daß die auferlegten Lasten (auch in Form der laß des Einsatzes des Strafrechts liegt vielmehr strafrechtlichen Risiken) als vo¨ llig unverha¨ ltnisma¨ - darin, daß ohne die Mitwirkung bestimmter Grup- ßig angesehen wu¨ rden. pen Pra¨ vention und Schutzmechanismen nicht mehr in Gang gehalten werden ko¨ nnen. Dies gilt p. In der rechtlichen und strafrechtlichen Herstellung in hohem Maße fu¨ r neue Kommunikationsformen des internetbezogenen Jugendschutzes spielen, wie das Internet und die kommerziellen und pro- dies haben die U¨ bersichten deutlich gezeigt, die fessionellen Gruppen, die seine Fortentwicklung Selbstkontrolle, freilich auch Verpflichtungen zur garantieren. Selbstkontrolle eine erhebliche Rolle. Dies fu¨ gt sich in gegenwa¨ rtige internationale kriminalpoliti- q. Die Konzentration des Strafrechts wie der Strafver- sche Tendenzen, die in verschiedenen anderen folgung muß sich aber gegen die unmittelbar fu¨ r Bereichen zeigen, daß strafbewehrte Pflichten, fu¨ r die Herstellung oder Verbreitung illegaler oder die Sicherheit im Umgang auch mit grundsa¨ tzlich scha¨ digender Inhalte verantwortlichen Ta¨ ter rich- akzeptierten Einrichtungen Sorge zu tragen, legi- ten.

Nicht in Fußnoten aufgenommene Literatur der Studie Jugendschutz, Strafrecht, Neue Medien und Internet

CILLERO Y OTROS. Nin˜ os y adolescentes. Sus de- DECRETO NACIONAL Nr. 1279. Buenos Aires. rechos en nuestro derecho. Sename. Santiago de 25. November 1997 in: BOLETIN OFICIAL, 1. De- Chile, 1995 zember 1997

CO´ DIGO PENAL DE LA REPU´ BLICA DE ARGENTI- FUNDESCO. Autorregulacio´ n y proteccio´ n del me- NA y legislacio´ n complementaria. Buenos Aires, 1996 nor, ideas comunes en el debate sobre el control de Internet. Madrid, 10. November 1997 CO´ DIGO DEL MENOR. COLOMBIA. Tratados y Convenios Internacionales. Santafe´ de Bogota´ , D. C., INITIATIVEN IN DEN EU-MITGLIEDSTAATEN 1994 ZUR BEKA¨ MPFUNG ILLEGALER UND SCHA¨ DI- GENDER INHALTE IM INTERNET, Versio´ n 7 (4. Juni CODIGO PENAL DE CHILE. Editorial Jurı´dica de 1997), S. 9, http://www2.echo. lu/legal/es/internet/ Chile. Santiago de Chile, 1997 wp2es-chap.html

CODIGO PENAL FEDERAL DE MEXICO CON INSTITUTO INTERAMERICANO DEL NIO: Legisla- COMENTARIOS, Me´ xico, 1994 cio´ n atinente a menores en las Ame´ ricas. Montevi- deo, 1977 D’ANTONIO, Daniel Hugo. Derecho de Menores. Editorial Astrea. Buenos Aires, 1986 LA LEY-ACTUALIDAD. S. A. Actualidad Civil Nr. 34/22---28, Madrid, September 1997 194 ) Weitzel, P.: Kinder- und Jugendschutz bei Internet-Ange- ´ boten. DRiZ 10/1997, S. 424---432, S. 430. LEGISLACION PENAL MEXICANA. Tomo II. Edi- 195) Gottberg, J. a.a.O., 1996, S. 1. ciones Andrade, S. A.. Me´ xico, 1996

84 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

LEY ORGANICA DE PROTECCIO´ N JURDICA DEL --- Gru¨ nbuch u¨ ber den Jugendschutz und den Schutz MENOR. Editorial COLEX. Madrid, 1997 der Menschenwu¨ rde in den audiovisuelles und Infor- mationsdiensten, 1996; http://www2.echo.lu/legal/fr/ MENDIZABAL OSES, L. Derecho de Menores. Edi- internet/gpfr-txt. html ciones Pira´ mide, S.A. Madrid, 1977 --- Illegale und scha¨ digende Inhalte im Internet, Initi- NOTAS DE PRENSA AUI (Asociacio´ n de Usuarios de ativen in den EU-Mitgliedstaaten zur Beka¨ mpfung, Internet). Madrid. Espan˜ a, Juni 1997. La Asociacio´ n Zwischenbericht, 4. Juni 1997; http://www2.echo.lu/ de Usuarios de Internet aporta soluciones te´ cnicas legal/fr/internet/wp2fr-chap. html para proteger a los menores.., http://aui. es/biblio/no- tas/1997/junio/julio. html --- Proposition de Charte de l’Internet, Re` gles et usa- ges des Acteurs de l’Internet en France, 5. Ma¨ rz PROYECTO DE DECLARACI---N. 3. Dezember 1997. 1997; http://www.planete.net/code-internet/cco- S-2402/97. vorgestellt von Senator Dr. Jose´ Antonio de2.html Romero Feris. in: http://www.senado.gov.ar --- Une lecture du texte d’A. Beaussant sur l’auto-re´ - RIBAS & RODRIGUEZ. Abogados Asociados. Barce- gulation de l’Internet, H. Le Crosnier, 20. Ma¨ rz 1997; lona. Espan˜ a, 1997, Internet en el Co´ digo Penal de http//www. miage.dauphine.fr/debat-charte/contri- 1995, http://194224.27.3/onnet/04001002.html bution/HLC.htm

SISTEMA NACIONAL PARA EL DESARROLLO IN- --- L’Internet: un vrai de´ fi pour la France, Rapport au TEGRAL DE LA FAMILIA (DIF). Compilacio´ n de le- Premier ministre, P. Martin-Lalande, April 1997; gislacio´ n sobre menores. Mexico, 1978 http://www.telecom.gouv.fr/francais/activ/techno/ra- pportpm11-htm --- Avis de la Commission Nationale Consultative des --- L’entre´ e dans la socie´ te´ de l’information, Rapport Droits de l’Homme, 14. Nov. 1996; http://www.tele- au Se´ nat, A. Joyandet, P. He´ risson et A. Tu¨ rk, Okt. com.gouv.fr/francais/activ/techno/aviscomm. htm 1997. --- Mission interministe´ rielle sur l’Internet, Les tech- --- Pour une auto-re´ gulation a` la franc¸aise, I. Falque- nologies de l’information, dir. I. Falque-Pierrotin, Pierrotin, 1997. 16. Juni 1996; http://www.telecom.gouv.fr/francais/ activ/techno/rapfalq02. htm --- Internet en France, Cryptologie et commerce e´ lec- tronique, Feb. 1998; http://www.telecom.gouv.fr/ --- Proposition franc¸aise pre´ sente´ e a` l’OCDE pour une francais/activ/techno/technweb1g.htm Charte de coope´ ration internationale sur Internet, 23. Oktober 1996; http://www.planete.net/code-internet/ --- Projet de Loi relatif a` la pre´ vention et a` la re´ pressi- Charte. html on des infractions sexuelles ainsi qu’a` la protection des mineurs victimes, adopte´ en deuxie` me lecture --- Contribution de l’AUI, 1996; http://www.planete.- par l’Assemble´ e Nationale, Rapport du Se´ nat n 265, net/code-internet/Resaui. html Ma¨ rz 1998.

85 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Zum Zwischenbericht:

Abku¨ rzungen Internet Relay Chat wird allgemein kurz IRC genannt. IRC erlaubt es den GG Grundgesetz Computernutzern im gesamten Internet u¨ ber die Ta- GjSM Gesetz u¨ ber die Verbreitung jugendge- statur ihrer Computers in Echtzeit miteinander zu fa¨ hrdender Schriften und Medieninhalte chatten. Der CB-Funk ko¨ nnte als Vorla¨ ufer fu¨ r IRC genannt werden. IuKDG Gesetz zur Regelung der Rahmenbedin- gungen fu¨ r Informations- und Kommuni- LCD kationsdienste (Informations- und Kom- ist die Abku¨ rzung fu¨ r Liquid Cristal Display. Bei die- munikationsdienste-Gesetz) ser Sichtbarmachung von Text und Bild werden flu¨ s- sige Kristalle ta¨ tig, im Gegensatz zum aufwendigeren JO¨ SchG Gesetz zum Schutze der Jugend in der O¨ f- Verfahren mit Hilfe eines Elektronenstrahls. Die fentlichkeit LCD-Darstellung besitzt eine geringe Bildqualita¨ t. MdStV Staatsvertrag u¨ ber Mediendienste (Me- diendienste-Staatsvertrag) Mailing List Eine Postliste, die die Anschriften von Ansprechpart- SGB Sozialgesetzbuch nern zu bestimmten Themen entha¨ lt. Wenn ein Abonnement u¨ ber eine Mailing List abgeschlossen StGB Strafgesetzbuch wird, erha¨ lt man automatisch eine Kopie der zu dem TDG Gesetz u¨ ber die Nutzung von Telediensten angegebenen Thema aktuellen e-mails. (Teledienstgesetz) Modem Glossar zum Zwischenbericht Das Modem ist notwendig, um analoge Signale in di- gitale umzuwandeln und umgekehrt. Um mit dem CD-ROM Computer ins analoge Telefonnetz zu gehen, muß al- Datentra¨ ger, der große Datenmengen, wie z.B. digi- so ein Modem zwischengeschaltet werden. talisierte Musik, Texte oder Bilder speichern kann. ROM ist die Abku¨ rzung von „Read Only Memory“, Multimedia was schon andeutet, daß die aufgezeichneten Daten Die Integration mehrerer Medien oder telekommuni- nicht vera¨ ndert werden ko¨ nnen. kativer Dienste unter einer Benutzeroberfla¨ che wird mit diesem Begriff, der aus der Unterhaltungselekro- Chat nik stammt, bezeichnet. Wenn sich mindestens zwei Teilnehmer u¨ ber das In- Online-Dienste ternet oder mit Hilfe der Mailbox durch die Beta¨ ti- Die Online-Dienste sind in erster Linie reine Informa- gung der Computertastatur unterhalten, dann spricht tionsanbieter. Das bedeutet, der Nutzer eines solchen man von „chatten“. Dienstes baut mit Hilfe seines Computers, einem Mo- Cyberpunk dem und der entsprechenden Software u¨ ber ein Da- tennetz eine Verbindung zum Rechner des Anbieters In den 90er Jahren bezeichneten sich die in der Tech- auf und kann dann zu einem Thema recherchieren. no-Kultur angesiedelten jungen Leute als Cyber- Die Informationen und Datenbesta¨ nde werden von punks, weil sie damit auch ihr spezielles Lebensge- den Online-Diensten so strukturiert, daß der Nutzer fu¨ hl vermitteln wollten. „Punk“ steht dabei fu¨ r die sich, im Gegensatz zum Internet, relativ leicht zu- ¨ Rebellion gegen Uberliefertes und „Cyber“ fu¨ r die rechfindet. Welt der virtuellen Realita¨ t. Provider Cyberspace sind die „Lieferanten“, die dem User die Verbindun- Der Begriff wurde von dem Science fiction-Autor Wil- gen ins Internet bzw. Teilen davon anbieten. Bekann- liam Gibson in seinem Roman „Neuromancer“ (1984) te Anbieter sind z.B. CompuServe oder AOL. gepra¨ gt. Er sollte die computervernetzte Welt benen- nen. Inzwischen wird mit Cyberspace die allta¨ gliche Usenet virtuelle Welt bezeichnet, die durch die Technologie Eigensta¨ ndiges Netzwerk innerhalb des Internets, zuga¨ nglich ist. das sich in die sogenannten Newsgroups teilt. In Newsgroups kann man sich mit Unbekannten u¨ ber e-mail ein Thema austauschen. Es wird diskutiert und bei bedeutet „elektronische Post“. Es ist eine Methode, technischen Problemen Hilfe angeboten. Der Inhalt Nachrichten per Computer zu versenden. Die einer Newsgroup a¨ ndert sich je nach den Reaktionen Schnelligkeit dieses Versands la¨ ßt mit dem zeitlichen der Mitglieder. Das Usenet ist wie das Internet de- Aufwand beim bisher u¨ blichen Postversand (auch zentral angelegt, was eine Zensur verhindert und snail-mail genannt) keinen Vergleich zu. eine Kontrolle schwer mo¨ glich macht.

86 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

World Wide Web schlossen werden. Auf dem WWW kann jeder ein Das Internet bietet ein unendlich großes Informati- Site mit Informationen plazieren. Angesichts des ons- und Unterhaltungsangebot. Dieses findet man weltweiten Charakters ist das Angebot von Sites auf dem World Wide Web (WWW). Das WWW be- enorm. Eine U¨ bersicht u¨ ber alle Sites, die im steht aus „Sites“, auf denen Dokumente angeboten WWW vorhanden sind, wa¨ re unmo¨ glich. Das werden. Jedes Site hat eine Adresse im WWW WWW verfu¨ gt allerdings u¨ ber verschiedene Such- (auch Cyberspace oder Datenautobahn genannt). mechanismen wie z.B. Yahoo oder Altavista. Diese Mit einem Abonnement bei einem Internet Access suchen das Internet nach Adressen mo¨ glicher rele- Provider kann ein Computer an das Internet ange- vanter Sites ab.

87 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Literatur zum Zwischenbericht

Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern Charlton, M./Bachmair, B. (Hrsg.): Medienkommuni- (Hrsg.): Alles auf Empfang? Familie und Fernsehen. kation im Alltag. Interpretative Studien zum Medien- Mu¨ nchen 1995 handeln von Kindern und Jugendlichen. Mu¨ nchen 1990 Anfang, G.: Jugendfilmfo¨ rderung kann nicht alles sein. Fragen an zwei Projekte des Institut Jugend Bandura, A.: Aggression. Eine sozial-lerntheoretische Film Fernsehen. In: medien + erziehung 3/1997, Analyse. Stuttgart 1979 S. 155ff. Bayerisches Staatministerium fu¨ r Unterricht, Kultus, Aufenanger, S. u. a.: Das kindliche Verstehen verste- Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Medienzeit. Me- hen. Eine qualitative Analyse von Rezeptionsweisen dienerziehung in Bayern. Sammelwerk. Mu¨ nchen/ und -bedingungen bei Kindern anhand von Fernseh- Donauwo¨ rth 1996 filmen. In: Mu¨ ller-Doohm, S./Neumann, K. (Hrsg.): Beierwaltes, A./Grebe, B./Neumann-Braun, K.: Indi- Medienforschung und Kulturanalyse. Oldenburg zierte Computerspiele --- Markt und Spieler. In: Bun- 1989 deszentrale fu¨ r politische Bildung (Hrsg.): Computer- Aufenanger, S. (Hrsg.): Neue Medien --- Neue Pa¨ d- spiele. Bonn 1993, S. 89 --- 104 agogik? Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Medienerzie- Beisenherz, H.G.: „Domnatur“. Zum Medienschutz hung in Kindergarten und Grundschule. Bonn 1991 in der Vergangenheit und seiner postmodernen Me- Aufenanger, S.: Verantwortung und Gerechtigkeit tamorphose. In: Neue Sammlung 2/1994, S. 201 --- gegenu¨ ber Neuen Medien. Gedanken und Vorschla¨ - 231 ge fu¨ r die Umsetzung im schulischen Unterricht. In: Borcsa, M./Charlton, M.: Mediengewalt und Medien- Schma¨ lzle, Udo F. (Hrsg.): Neue Medien --- mehr Ver- pa¨ dagogik. Wie Jugendliche mit Actionfilmen umge- antwortung! Bonn 1992 hen. In: Televizion 2/1995 Aufenanger, S.: Neue Medien als pa¨ dagogische Her- Bourgeois, I.: Der Umgang mit Pornographie im fran- ausforderung. In: Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. zo¨ sischen Fernsehen. In: epd medien 93/1997 (Hrsg.)(1995). Jugend auf der Datenautobahn. Sozial, gesellschafts- und bildungspolitische Aspekte von Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung (Hrsg.): Neue Multimedia. Mu¨ nchen 1995 Medien --- Freunde unserer Kinder? Bonn o. J. Baacke, D.: Kommunikation und Kompetenz. Mu¨ n- Charlton, M./Neumann, K.: Medienkonsum und Le- chen 1973 bensbewa¨ ltigung in der Familie. Methoden und Er- gebnisse der strukturanalytischen Rezeptionsfor- Baacke, D.; Kluth, T. (Hrsg.): Praxisfeld Medienar- schung --- mit Falldarstellungen. Mu¨ nchen, beit. Beispiele und Informationen. Mu¨ nchen 1980 Weinheim 1986 Baacke, D.; Frank, G.; Radde, M. u.a.: Jugendliche Charlton, M./Neumann, K. u. a.: Medienrezeption im Sog der Medien. Medienwelten Jugendlicher und und Identita¨ tsbildung. Kulturpsychologische und Gesellschaft. Opladen 1989 kultursoziologische Studien zum Gebrauch von Mas- Baacke, D.; Frank, G.; Radde, M.: Medienwelten --- senmedien im Vorschulalter. Tu¨ bingen 1990 Medienorte. Jugend und Medien in Nordrhein-West- Charlton, M. u. a.: Fernsehwerbung und Kinder. Das falen. Opladen 1991 Werbeangebot in der Bundesrepublik Deutschland Baacke, D.; Thier, M. (Hrsg.): Kreative Medienarbeit. und seine Verarbeitung durch Kinder. Opladen 1995 Perspektiven jugendlicher Produzenten in den neun- Decius, M./Panzieri, R.: Kinderpornographie im Inter- ziger Jahren. Bielefeld 1992 net Relay Chat. Hannover 1997 Baacke, D.: Medienkompetenz --- Begrifflichkeit und Derksen, R.: Strafrechtliche Verantwortung fu¨ r in in- sozialer Wandel. In: Rein, A. von (Hrsg.): Medien- ternationalen Computernetzen verbreitete Daten mit kompetenz als Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn 1996 strafbarem Inhalt. In: NJW 1997, S. 1878 --- 1885 Baacke, D.: Kevin, Wayne und andere --- Kinder und Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Handbuch Me- a¨ sthetische Erfahrung. In: Gottberg, J. von; Mikos, dienerziehung im Kindergarten. Teil 1: Pa¨ dagogische L.; Wiedemann, D. (Hrsg.)(1997). Kinder an die Fern- Grundlagen; Teil 2: Praktischen Handreichungen. bedienung. Konzepte und Kontroversen zum Kinder- Opladen 1994 film und Kinderfernsehen. Berlin 1997 Drewes, D.: Kinder im Datennetz. Frankfurt/M 1995 Baacke, D./Kommer, S.: Die Werbung und die Kinder. Fakten aus Untersuchungen. In: medien + erziehung Drewes, D.: Die Online-Gesellschaft. Mu¨ nchen 1997 4/1997 Dro¨ ge, F./Go¨ bbel, N./Loviscach, L. u. a.: Der allta¨ gli- Bachmair, B.: Interpretations- und Ausdrucksfunkti- che Medienkonsum. Grundlagen einer erfahrungs- on von Fernseherlebnissen und Fernsehsymbolik. In: bezogenen Medienerziehung. Frankfurt/M 1979

88 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Ehmer, H.K. (Hrsg.): Visuelle Kommunikation. Beitra¨ - Kommer, H.: Fru¨ her Film und spa¨ te Folgen. Zur Ge- ge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie. Ko¨ ln o.J. schichte der Film- und Fernseherziehung. Berlin 1979 Eisenberg, U./Nischan, A.: Strafprozessualer Zugriff auf digitale multimediale Videodienste. In: JZ 1997, Kommission der Europa¨ ischen Gemeinschaften: S. 74 --- 83 Gru¨ nbuch u¨ ber den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwu¨ rde in den audiovisuellen und Infor- Engel, Ch.: Inhaltskontrolle im Internet. In: AfP 1996, mationsdiensten. 1996 S. 220---227 Eschenauer, B.: Medienpa¨ dagogik in den Lehrpla¨ - Ku¨ bler, H.-D./Swoboda, W.H.: Wenn die Kleinen nen. Eine Inhaltsanalyse zu den Curricula der allge- fernsehen. Die Bedeutung des Fernsehens in der Le- meinbildenden Schulen im Auftrag der Bertelsmann benswelt von Vorschulkindern. Berlin 1998 Stiftung. Gu¨ tersloh 1989 Kunczik, M.: Aggression. In: Kagelmann, H. J./Wen- Fehr, W./Fritz, J.: Videospiele und ihre Typisierung. ninger, G. (Hrsg.): Medienpsychologie. Ein Hand- In: Bundeszentrale fu¨ r politische Bildung (Hrsg.): buch in Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen 1982 Computerspiele. Bonn 1993, S. 67---88 Kunczik, M.: Gewalt und Medien. Ko¨ ln, Weimar, Groebel, J./Gleich, U.: Gewaltprofil des deutschen Wien 1994 (2. aktualisierte und u¨ berarbeitete Aufla- Fernsehprogramms. Eine Analyse des Angebots pri- ge) vater und o¨ ffentlich-rechtlicher Sender. Opladen Lackner, K.: StGB. Strafgesetzbuch mit Erla¨ uterun- 1993 gen. Mu¨ nchen 1997 (22. Auflage) Hauck, K./Gaertner, S./Grube, Ch./Meinberger, H./ Sta¨ hr, A.: Sozialgesetzbuch (SGB) VIII. Kinder- und Luca, R.: Zwischen Allmacht und Ohnmacht. Unter- Jugendhilfe. Mu¨ nchen, Stand 1997 schiede im Erleben medialer Gewalt von Ma¨ dchen und Jungen. Frankfurt/M 1993 Hausmanninger, T.: Kritik der medienethischen Ver- nunft. Die ethische Diskussion u¨ ber den Film in Materialien zur Bildungsplanung und zur For- Deutschland im 20. Jahrhundert. Mu¨ nchen 1993 schungsfo¨ rderung, Heft 44, Bonn 1995 Herrmann, G.: Rundfunkrecht. Fernsehen und Ho¨ r- Medienpa¨ dagogik in der Schule. Fiktion oder Reali- funk mit Neuen Medien. Mu¨ nchen 1994 ta¨ t? (Heftthema). Diskussionsbeitra¨ ge in medien + er- ziehung 5/1997 Hedrich, A./Stolzenburg, E.: Mit der Maushand via Multimedia. Die CD-ROM „Stars und Helden“. In: Medienstelle Augsburg, Jugendamt Augsburg medien + erziehung 3/1998 (Hrsg.): Kinder kriechen durch die Ro¨ hre. Erfahrun- gen und Anregungen aus einem Medienprojekt im Hiegemann, S./Swoboda, W. (Hrsg.): Handbuch der Kindergarten. Augsburg 1993 Medienpa¨ dagogik. Theorieansa¨ tze --- Forschungsge- schichte --- Perspektiven. Opladen 1994 Mikat, C.: Drugs suck --- Filmregie statt ecstasy. Akti- ve medienarbeit und Suchtpra¨ vention --- ein Video- Hu¨ ther, J./Podehl, B./Terlinden, R.: Geschichtliche wettbewerb. In: tv diskurs 3/1997, S. 82f. Entwicklung und theoretische Grundlegung. In: Hu¨ - ther, J./Terlinden, R.: Medienpa¨ dagogik als politische Negt, O./Kluge, A.: O¨ ffentlichkeit und Erfahrung. Sozialisation. Grafenau 1982 Zur Organisationsanalyse von bu¨ rgerlicher und pro- ¨ Hunziker, P.: Wirkungen und Nutzen. In: Kagelmann, letarischer Offentlichkeit. Frankfurt/M 1973 H. J./Wenninger, G. (Hrsg.): Medienpsychologie. Ein Neue Zu¨ rcher Zeitung, 16. Januar 1998, S. 37 Handbuch in Schlu¨ sselbegriffen. Mu¨ nchen, Wien, Baltimore 1982 Neuß, N./Pohl, M./Zipf, J.: Erlebnisland Fernsehen. Medienerlebnisse im Kindergarten aufgreifen, ge- Hurrelmann, B./Hammer, M./Stelberg, K.: Familien- stalten, reflektieren. Mu¨ nchen 1997 mitglied Fernsehen. Fernsehgebrauch und Probleme der Fernseherziehung in verschiedenen Familienfor- Niesyto, H.: Erfahrungsproduktion mit Medien. men. Opladen 1996 Selbstbilder, Darstellungsformen, Gruppenprozesse. Weinheim und Mu¨ nchen 1991 Jacob, B.: Medienerziehung in der Grundschule. Ein Projekt. In: medien + erziehung 1/1998, S. 51 --- 55 Palme, H.-J./Hedrich, A., Anfang, G. (Hrsg.): Haupt- Keilhacker, M.: Der Mensch von heute in der Welt sache: Interaktiv. Ein Fall fu¨ r die Medienpa¨ dagogik. der Informationen. In: Jugend Film Fernsehen 3/ Mu¨ nchen 1997 1968, S. 131ff. Palme, H.-J./Schell, F. (Hrsg.): Voll auf die Ohren 2. Kerstiens, L.: Filmerziehung. Eine Einfu¨ hrung in die Kinder und Jugendliche machen Radio. Mu¨ nchen Filmpa¨ dagogik. Mu¨ nster 1961 1998 Knilli, F.: Neue Programme fu¨ r Alte Medien. In: me- Paus-Haase, I. (Hrsg.): Neue Helden fu¨ r die Kleinen. dien + erziehung 4/1981, S. 210f. Das (un)heimliche Kinderprogramm des Fernsehens. Mu¨ nster 1991 Koch, F.A.: Zivilrechtliche Anbieterhaftung fu¨ r In- halte in Kommunikationsnetzen. In: Computer und Phelbs, G.: Klare Grenzen. Wie die britische TV-Auf- Recht 1997, S. 193 --- 202 sicht Sexprogramme sieht. In: epd medien 3/1998

89 Drucksache 13/11001 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode

Prokop, D.: Massenkultur und Spontaneita¨ t. Zur ver- auf der Datenautobahn. Sozial, gesellschafts- und a¨ nderten Warenform der Massenkommunikation im bildungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ n- Spa¨ tkapitalismus. Frankfurt/M 1974 chen. Mu¨ nchen 1995 Reinwald, G.: Jugendschutz und neue Medien --- An- Schorb, B.: Medienkompetenz durch Medienpa¨ dago- wendbarkeit des Gesetzes u¨ ber die Verbreitung ju- gik. In: H. Weßler u. a.: Perspektiven der Medienkri- gendgefa¨ hrdender Schriften (GjS) auf Internetange- tik. Opladen 1997 bote und Rundfunk auch unter Beru¨ cksichtigung der geplanten A¨ nderung des Schriftenbegriffs in GjS Schorb, B./Theunert, H.: Jugendschutz im digitalen und StGB. in: ZUM 6/1997, S. 450---461 Fernsehen. Wie er technisch funktioniert und wie Fa- milien damit umgehen. Berlin 1998 Ro¨ ll, F.J.: Schwimmenlernen in der Bilderflut. In: Ko¨ hler, H.; Poth, L. (1985). Das Siebdruck Handbuch Selg, H.: Psychologische Wirkungsforschung u¨ ber fu¨ r Kunst, Freizeit, Schule, Sozialarbeit. Reinheim Gewalt in Medien. In: tv diskurs, August 1997 1985 Sieber, U.: Strafrechtliche Verantwortlichkeit fu¨ r den Ro¨ ll, F.J.: Video ist erst der Anfang von der Wort- zur Datenverkehr in internationalen Computernetzen. Bildkultur. In: av-information (hrsg. Vom Landesfilm- In: JZ 1996, S. 429---442 und 494---507 dienst fu¨ r Jugend- und Erwachsenenbildung in Hes- sen e.V.) 1, 2/88, S. 4ff. Stu¨ ckrath, F.: Der Film als Erziehungsmacht. Ham- burg 1953 Sacher, W.: Jugendgefa¨ hrdung durch Video- und Computerspiele? Diskussion der Risiken im Horizont Stu¨ ckrath, F./Schottmayer, G.: Psychologie des Fil- internationaler Forschungsergebnisse. In: Zeitschrift merlebens in Kindheit und Jugend. Hamburg 1955 fu¨ r Pa¨ dagogik 2/1993, S. 313---333 Theunert, H. (Hrsg.): „Einsame Wo¨ lfe“ und „scho¨ ne Schaar, E.: Interview mit Rainer Richard von der Bra¨ ute“. Was Ma¨ dchen und Jungen in Cartoons fin- EDV-Beweismittelsicherung des Polizeipra¨ sidiums den. Mu¨ nchen 1993 Mu¨ nchen zur Pornographie im Internet. in: medien + erziehung 6/1997, S. 359 --- 362 Theunert, H. u. a.: Zwischen Vergnu¨ gen und Angst --- Fernsehen im Alltag von Kindern. Berlin 1994 Schell, F.: Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. (2. Auflage) Theorie und Praxis. Mu¨ nchen 1993 (2. Aufl.) Theunert, H./Schorb, B.: „Wir gucken besser fern als Schell, F./Schorb, B./Palme, H.J. (Hrsg.): Jugend auf ihr!“ Fernsehen fu¨ r Kinder. Mu¨ nchen 1995 der Datenautobahn. Sozial-, gesellschafts- und bil- dungspolitische Aspekte von Multimedia. Mu¨ nchen Theunert, H./Schorb, B.: „Mordsbilder“. Kinder und 1995 Fernsehinformation. Berlin 1995 Schell, F.: Computerspiele. In: Hu¨ ther, J./Schorb, B./ Theunert, H.: Gewalt in den Medien --- Gewalt in der Brehm-Klotz, C. (Hrsg.): Grundbegriffe Medienpa¨ d- Realita¨ t. Gesellschaftliche Zusammenha¨ nge und agogik. Mu¨ nchen 1997 pa¨ dagogisches Handeln. Mu¨ nchen 1996 (2. durchge- sehene, mit einem Vorwort aktualisierte Auflage) Schell, F.: Jugendinformation = Bildung? Medien- kompetenz im digitalen Informationszeitalter. In: Ju- Theunert, H.: Perspektiven der Medienpa¨ dagogik in gendpolitik 2/1997, S. 11ff. der Multimedia-Welt. In: v. Rein, A. (Hrsg.): Medien- Schindler, F.: Computerspiele zwischen Faszination kompetenz als Schlu¨ sselbegriff. Bad Heilbrunn 1996 und Giftschrank. Bremen 1992 Theunert, H./Schorb, B. (Hrsg.): Begleiter der Kind- Schiwy, P./Schu¨ tz, W.J. (Hg.): Medienrecht. Lexikon heit. Zeichentrick und die Rezeption durch Kinder. fu¨ r Wissenschaft und Praxis. Neuwied 1994 (3. Aufl.) Mu¨ nchen 1996 Scho¨ nke, A./Schro¨ der, H.: Strafgesetzbuch. Kom- Tulodziecki, G.: Medienerziehung als fa¨ cheru¨ berg- mentar. Mu¨ nchen 1997 (25. neubearbeitete Auflage) reifende und integrative Aufgabe. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Medienkompetenz als Herausforde- Schorb, B.: Mit dem Joy-Stick in die Computerzu- rung an Schule und Bildung- Gu¨ tersloh 1992 kunft. In: medien + erziehung 4/1983, S. 194---205 Tulodziecki. G.: Medienerziehung in der Schule --- Schorb, B./Anfang, G.: Was machen ,Airwolf’ und Zielsetzungen. Strategien, Methoden. In: Bertels- ,Knight Rider’ mit ihren jugendlichen Zuschauern? mann Stiftung (Hrsg.): Medien als Bildungsaufgaben Eine Untersuchung zweier Fernsehserien und ihre in Ost und West. Gu¨ tersloh 1993 Beurteilung durch Jugendliche. Mu¨ nchen 1990 Universita¨ t Utrecht: Forschungsauftrag der Enquete- Schorb, B. u. a.: Wenig Lust auf starke Ka¨ mpfer. Zei- Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und chentrickserien und Kinder. Mu¨ nchen 1992 Gesellschaft- Deutschlands Weg in die Informations- Schorb, B.: Medienalltag und Handeln. Medienpa¨ d- gesellschaft“ des Deutschen Bundestages. 1997 agogik in Geschichte, Forschung und Praxis. Opla- den 1995 Vollbrecht, R.: Computer im Alltag von Jugendli- chen. In: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbil- Schorb, B.: Jugend auf der Datenautobahn. In: dung (Hrsg.): Vom kreativen Umgang mit Compu- Schell, F.; Schorb, B.; Palme, H.-J. (Hrsg.): Jugend tern. Remscheid 1988

90 Deutscher Bundestag – 13.Wahlperiode Drucksache 13/11001

Wasem, E.: Jugend und Filmerleben. Beitra¨ ge zur Weigand, Th.: Strafrechtliche Pornographieverbote Psychologie und Pa¨ dagogik der Wirkung des Films in Europa. In: Becker, J.: Pornographie ohne Gren- auf Kinder und Jugendliche. Mu¨ nchen, Basel 1957 zen. Baden-Baden 1994, S. 26---49

Weiler, S.: Computerkids und elektronische Medien. Wasem, E.: Presse, Rundfunk, Fernsehen, Reklame In: Media Perspektiven 5/95, S. 228---234 pa¨ dagogisch gesehen. Mu¨ nchen, Basel 1961 Weiler, S.: Computernutzung und Fernsehkonsum Weides, P.: Der Jugendmedienschutz im Filmbereich. von Kindern. In: Media Perspektiven 1/1997, S. 43 NJW 1987 bis 53

91 Druck: Bonner Universita¨ts-Buchdruckerei, 53113 Bonn Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0722-8333