Reisen

Ein Aurorafalter sitzt auf der Blüte eines Wiesen- schaumkrauts am Ufer des Egelsees.

Serie Stille Orte in der Schweiz Als wärs eine Träne im Wald Wie ein verwunschener Weiher liegt der Egelsee da. Nahe der ­Zivilisation und doch so fern in seiner Ruhe am Fuss des Heitersbergs im aargauischen Bergdietikon zieht er den behutsamen Wanderer in seinen Bann.

Text und Fotos Heinz Storrer

er lichte Waldweg. Lautes Vogel­ flecken ins helle Grün und tiefe Schatten schellen und Limmattal, und an sonnigen gezwitscher. Ein Fuchs, der sich über das Unterholz und lassen die Blumen Wochenenden herrscht reger Betrieb am putzt. Wer an einem sonnigen am Wegrand in fröhlichen Farben er­ und um den See. Dann sind die beiden D Tag mit wachen Sinnen durch strahlen. Es ist ein prächtiger Tag, und das Badeplätze gut besucht, über den Feuer­ den Wald am Heitersberg AG spaziert, Naturwaldreservat beim aargauischen stellen in Ufernähe liegen Rauchschwaden kann sich leicht in naturalistischen Be­ Egelsee zeigt sich von einer heiteren Seite. und Bratgeruch, und Spaziergänger und trachtungen verlieren. Und sich bisweilen Aber obwohl die Sonne einen heissen Velofahrer müssen bisweilen aufpassen, bei einer Verabredung mit dem Leben Sommer verspricht, trägt der Wind noch dass sie aneinander vorbeikommen. Den­ wiederfinden. die Erinnerung des Winters mit sich. Ich noch hält der Andrang sich in Grenzen – Der Fuchs sass mitten auf dem Weg wandere im Waldschatten und fröstle. meistens mindestens. Vor allem deshalb, vom Egelsee zur Burgruine Kindhausen, Es ist kurz vor Mittag und still. Keine weil der stille See im lichten Forst nur zu genoss die Sonne und leckte sich sorglos Spaziergänger, keine Wanderer, keine Fuss erreichbar ist. Oder per Velo. Pfoten und Schnauze. Er bemerkte mich, Schulklassen, keine Velofahrer. Die Ruhe Egal, von welcher Seite man sich dem blickte erst überrascht, dann leicht indig­ ist beinahe greifbar, und wenn nicht hin Moorsee nähert, er zeigt sich erst, wenn niert, erhob sich und schlug sich in die und wieder das Brummen eines vom na­ man ihm nahe kommt. Und verzaubert. Büsche. Ich blickte ihm nach, sah aber hen Flughafen Kloten gestarteten Flug­ Umstanden von dichtem Wald und um­ bloss Buschwerk und Unterholz. Und auf zeuges die Stille durchbräche, wäre das schlossen von steilen Hängen, nimmt er dem Weg verstreut ein paar Federn. Idyll perfekt. sich so geheimnisvoll aus wie ein verwun­ Ein Windhauch streicht durch den schener Weiher in einem Märchenwald. Wald, lässt das Laub erzittern und die Er zeigt sich erst aus der Nähe Ich nähere mich dem See von Süden Blätter rascheln. Sonnenstrahlen verfan­ Das ist nicht immer so. Die Gegend von her, schlendere den Waldrand entlang, gen sich in den Baumkronen, spielen mit Egelsee und Heitersberg ist ein beliebtes blicke über die Seematte, dieses auch im Blattwerk und Gebüsch, werfen Licht­ Naherholungsgebiet der Region Mut­ Frühling sich herbstlich gebende Ried, 

68 Schweizer Familie 23/2011 Ein Apfelbaum breitet seine Krone über die Bank am Weg nach Kindhausen.

Was zählt, ist einzig der Augenblick. DER FROSCH, DAS PLATSCHEN, die Blätter, die sich vor mir im Wald bewegen. Alles andere ist Spekulation.

Aus dem feuchten Totholz wächst neues Leben.

­bestaune eine von der Sonne beleuchtete der Sonnensplitter auf der Wasserober­ Baumgruppe, die sich aus dem Feucht­ fläche. Rauch steigt von einer Feuerstelle gebiet hebt wie eine Insel, lausche dem am Ufer auf, der Platz ist jedoch verlassen. Vogelgesang und freue mich ob der Ich gehe hinunter, setze mich auf eine Schönheit dieser hellen Moorlandschaft Bank und blicke zwischen den Bäumen vor der dunklen Kulisse des Waldes. hindurch auf den dunklen See, während Das Ried weicht zurück, der Wald aus der Tiefe meiner Erinnerung ein japa­ drängt sich vor, der Weg führt durch nischer Dreizeiler steigt: «Der alte Weiher, einen Baumtunnel, erst hügelan, dann tal­ ein Frosch, der grad hineinspringt, des wärts, biegt um eine sanfte Erhebung und Wassers Platschen.» gibt den Blick frei auf den See. Am Rast- Was zählt, ist einzig der Augenblick, und Badeplatz wird grilliert, auf dem der Frosch, das Platschen, die Blätter, die Brett des Springturms liegt ein Jugend­ sich vor mir im Wind bewegen, alles an­ licher in der Sonne, die bis dicht ans Ufer dere ist Spekulation. reichenden Bäume spiegeln sich im stillen Er hat etwas gleichermassen Zauber­ Wasser, bis eine Ente laut schimpfend haftes wie Melancholisches, dieser kleine einer anderen hinterherjagt und die Spie­ Waldsee. 1728, während eines Erdbebens, gelwelt in Aufruhr versetzt. soll er durch Abrutschen eines Teils des Deckschotters vom Heitersberg entstan­ Vom Ritter und von der gerächten Witwe den sein. Andere Quellen datieren seinen gesundheitsfee.ch Ich spaziere das Ufer entlang und betrach­ Ursprung auf das Ende der letzten Eiszeit. te fasziniert das Leuchten der Blätter im Mir spielt das keine Rolle, ich halte mich Gegenlicht und das Glitzern und Funkeln ohnehin an die romantische Version, jene, 

Schweizer Familie 23/2011 71 Reisen Reisen

➽ Egelsee AG

Der Egelsee, im Nordwesten der Ge­ meinde Bergdietikon auf einer Höhe von 667 Metern gelegen, liegt im Wald des Heitersbergs und ist der grösste ganz auf Aargauer Boden gelegene natürliche See. Der wesentlich grössere Hallwilersee liegt zum Teil auf Luzerner Gebiet. Der moorige Kleinsee weist eine offene Wasserfläche von etwa einem halben Quadratkilometer und eine weitgehend intakte Ufervegeta­ tion auf. Der See liegt in einem Schutz­ gebiet, das 2003 durch ein grossflächiges Naturwaldreservat erweitert wurde. Im Ried am Südende des Sees finden sich zahlreiche geschützte und teilweise gefährdete Pflanzenarten. Im ganzen Gebiet sind über 230 verschiedene Pflanzenarten bestimmt worden. Anreise: Mit Auto oder Bus nach Kind­ hausen, dann zu Fuss zum See. Mit dem Zug nach Bremgarten, dann via Lichter Buchenwald umgibt die Ruine der Sulz, Künten und hinauf zum Burg Kindhausen. Heitersberg wandern. Wesentlich näher ist es von Berikon-, oder Dorf.

Limmat Ich lausche dem Vogelgesang und freue mich ob der Dietikon SCHÖNHEIT DIESER HELLEN Egelsee Kindhausen MOORLANDSCHAFT vor H e i te Ruine Kindhausen der dunklen Kulisse des Waldes. rs Bellikon be rg Bergdietikon Reuss AG ZH Stillleben am Ufer des Egelsees. Widen Rudolfstetten

die den Ursprung dieses tiefen, stillen Hab und Gut der Unglückseligen zusam­ er möge sich ihrer erbarmen und das Elend Ritter Riko und seine Untaten sind zeugen still von den alten Zeiten. Und 1 km Bremgarten ­Gewässers ins finstere Mittelalter und in menpacken, die Frau samt ihren Kindern des Volkes beenden. Noch in derselben zwar nicht aktenkundig, doch zumindest manchmal, wenn der Wind leicht durch das Reich der Sage legt. aus dem Haus treiben und den Hof in Nacht zog ein furchtbares Gewitter auf und weist die sagenhafte Burg auf die histo­ die Baumkronen streicht, glaubt man hin­ Damals herrschte ein Ritter namens Flammen aufgehen. Als die Witwe ihn entlud Blitz um Blitz über der Burg, bis sie risch verbürgte Burg Kindhausen hin. ter dem Rascheln der Blätter Pferde­ STILLE ORTE Riko über die Gegend, ein übler Kerl, der dar­aufhin um eine Handvoll Mehl für unter gewaltigem Getöse mit Mann und Diese wurde in der ersten Hälfte des schnauben, Hufgetrampel und das Klirren Zur «Schweizer Familie»- nach Lust und Laune raubte, brandschatz­ einen Brei für ihren Jüngsten bat, riss er Maus im Boden versank. Dort, wo sie einst 12. Jahrhunderts von den Rittern von von Kettenhemden zu vernehmen. Blickt Serie ist ein grossformatiger te und mordete. Als der Unhold einst von ihr das Kindlein kurzerhand vom Arm stand, lag tags darauf ein tiefer, schwarzer Schönenwerd erbaut, fiel aber bereits um man jedoch genauer hin, sieht man nichts Bildband erschienen: Heinz Storrer: «Stille einem Raubzug zurückkehrte, kam er und warf es ins Feuer: «Jetzt braucht es See – der Egelsee. Und seither liegt er in 1200 einer Feuersbrunst zum Opfer. als Wald und Dickicht und, vielleicht, Orte der Schweiz», 69 Fr., Werd Verlag. zum Hof einer Witwe, die ihren Zehnten keinen Brei mehr», höhnte er und spreng­ seiner Senke wie eine Träne in einer Die steinernen Überreste auf dem stei­ einen Fuchs, der sich grad in die Büsche www.werdverlag.ch nicht bezahlen konnte. Der Ritter liess te davon. Die Mutter flehte zum Himmel, ­Sorgenfalte der gerächten Witwe. len Hügel mitten im Heitersberger Wald schlägt. ■

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