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FUSSBALL „Zwanzig Jahre zu spät“ Wann schafft es endlich eine afrikanische Mannschaft, in die Phalanx der führenden Fußball-Nationen einzubrechen? Vier Monate vor der Weltmeisterschaft sind die Darbietungen beim Afrika-Cup in Mali ernüchternd. Viele der Stars erleben die Rückkehr in die Heimat als Kulturschock.

enn sie ihren verbeulten Mann- West oder sind Afro-Hair- Schwarm Journalisten umgeben, raunzt schaftsbus verlassen, ist alles wie dressing, neuester Stand. Körperhaltung Amodu Shaibu ungehalten hinüber, sie Wfrüher. Die „Super Eagles“ aus und Gesten wirken wie von Gangsta-Rap- sollten sich „nicht wie Superstars auf- schlurfen so aufreizend cool die Videos auf MTV abgeschaut. Die hoch do- führen“. Vor dem Reden müsse erst einmal Auffahrt zum Hotel de L’Amitié in Bama- tierten Profis von Arsenal London, Borus- gewonnen werden, findet er, aber „sie ha- ko hinauf, als wären sie Helden aus einem sia Dortmund oder Paris-St.-Germain si- ben eben keinen Respekt vor den anderen Fußball-Comic. gnalisieren: Wir sind die Chefs im Ring. afrikanischen Spielern“. Die Zöpfchen und Knotenfrisuren von Auch wenn das ihren Trainer nervt. Sind Shaibus Kritik ist verständlich. Wenn die Jay-Jay Okocha, , Taribo seine Spieler mal wieder von einem derzeit in Mali ausgespielte Afrika-Meister- schaft auch zur Standortbestimmung für die WM im Sommer dienen soll, dann ha- ben die Nigerianer bislang wenig Grund zur Überheblichkeit. Einem mühsamen 1:0 über Algerien folgte ein 0:0 gegen den Gastgeber. Mannschaften, die bei einer Weltmeisterschaft reüssieren wollen, müs- sen mehr von sich verlangen. Doch der Schwung von einst ist dahin. Nach Nigerias Olympiasieg 1996 in Atlanta schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis die erste afrikanische Mannschaft ein WM- Finale erreichen würde. „Die Zukunft des Fußballs ist schwarz“, prophezeite Bundes- trainer . „Das ist Natur pur“, analysierte das Fachmagazin „Kicker“ und fabulierte über „die katzenhafte Geschmei- digkeit“, die den Afrikanern eigen sei. Vier Monate vor dem WM-Spektakel in Fernost ist wenig von der Leichtigkeit und Improvisationskunst zu sehen, mit der Ro- ger Milla aus Kamerun das Publikum 1990 betörte. Die Super Eagles haben sich mit ihrem Minimalistenfußball dem flauen Niveau des gesamten Teilnehmerfeldes an- gepasst. Volker Finke, Trainer des SC Frei- burg, sah vorige Woche bei seiner Visite in Bamako nur noch „domestizierten Fuß- ball“. Der Trip nach Mali musste dem Deutschen vorkommen wie eine Zeitreise, bei der er verstaubte Exponate aus dem Taktikmuseum bestaunen konnte. Als ob es die Entwicklung der letzten Jahre nicht gegeben hätte, versuchen die afrikanischen Teams sich nämlich gerade als Sicherheitsfußballer. Vorbei die Zeiten, als sie noch für „naiv, aber unberechenbar“ („FAZ“) gehalten wurden. Heute wartet hinten ein Abwehrbollwerk, und nach vor- ne geht es über lange Bälle. „Alle Trainer sind bestrebt, erst mal nicht zu verlieren“, sagt Ägyptens Mannschaftskapitän Hany Ramzy vom 1. FC Kaiserslautern. Dabei ist knochenharte Defensive auf

ANDREAS MEIER / SPORTIMAGE ANDREAS internationalem Spitzenniveau inzwischen Ägyptischer Kapitän Ramzy: „Erst mal nicht verlieren“ passé. Die Weltspitze aus Frankreich, Ar-

184 der spiegel 5/2002 Ghanaischer Nationalspieler Kuffour Mit dem Trainer angelegt Früher K.o. Afrikanische Mannschaften bei den gentinien und Brasilien ist längst bei enga- Fußball-Weltmeisterschaften seit 1982 gierter Vorwärtsverteidigung angekom- men. „Leider sind die Afrikaner wieder erreichte Runde 20 Jahre zu spät“, urteilt Finke. Nach den Enttäuschungen bei der letzten 1982 Algerien Vorrunde Weltmeisterschaft, als nur eines der fünf Kamerun Vorrunde Teams die Vorrunde überstand, mag es ver- ständlich sein, dass afrikanische Mann- 1986 Algerien Vorrunde schaften die Rolle des romantischen Verlie- Marokko Achtelfinale rers leid sind – nur verfallen sie nun augen- scheinlich ins Gegenteil. „Früher haben wir 1990 Ägypten Vorrunde uns mehr um schönen Fußball gekümmert“, Kamerun Viertelfinale rechtfertigt der nigerianische Ballkünstler Jay-Jay Okocha den neuen Pragmatismus, Kamerun Vorrunde „und nicht genug um das Ergebnis.“ 1994 Die Probleme liegen indes tiefer. Zwar Marokko Vorrunde belegen die Erfolge bei Junioren-Weltmeis- Nigeria Achtelfinale terschaften der verschiedenen Altersgrup- pen, dass Afrika ein riesiges Talentreser- 1998 Kamerun Vorrunde voir hat – allein im letzten Jahr errangen Marokko Vorrunde Ghana und Ägypten den zweiten und drit- Nigeria Achtelfinale ten Platz bei der U-20-WM, während Ni- geria und der Nachwuchs aus dem bitter- Südafrika Vorrunde armen Burkina Faso die gleichen Plätze Tunesien Vorrunde

bei der U-17-WM einnahmen. / AFPISSOUF SANOGO / DPA Doch in den meisten Ländern sind die Verbände nicht mehr Herr des Verfahrens. unterstehen. Auch bei der Berufung des Rücktritt als Spielertrainer von Liberia. Als Die Ausbildung der Jugendspieler ist häu- ehemaligen Bundesligacoaches Winfried Grund führte er ein zerrüttetes Verhältnis fig privatisiert. Überall entstehen kom- Schäfer zum Chef der Elf Kameruns, so zu Staatschef Charles Taylor an. „Er ist merzielle Fußballschulen, oft in Zusam- weiß der Deutsche, „hatte Staatspräsident neidisch darauf, dass ich in Liberia eine menarbeit mit europäischen Clubs. Biya das letzte Wort“. berühmte Persönlichkeit bin“, erklärte der Die Verbände hingegen verharren in al- Wie bizarr die Verhältnisse zuweilen frühere Torjäger des AC Mailand. Weah: ten Strukturen. Meist sind Fußball und sind, wurde vorigen Donnerstag deutlich. „Ich befürchte, dass mich jemand tötet.“ Politik so eng miteinander verflochten, dass Da erklärte der ehemalige Weltfußballer Doch selbst wenn die Schwierigkeiten Nationaltrainer gar nicht wissen, wem sie zum Turnierende seinen sich aufs Sportliche beschränken, schrei-

Fans aus Burkina Faso beim Afrika-Cup: „Früher haben wir uns mehr um schönen Fußball gekümmert“ ISSOUF SANOGO / AFPISSOUF SANOGO / DPA Sport

leuten in Southampton ein Test- sen. Seine Mannschaftskameraden besaßen spiel gegen Japan auszutragen. keine gültigen Visa. Der wohlgemeinte Trip geriet Der Flug der kamerunischen Auswahl zum Flop: Erst traf der Trainer in einer Militärmaschine von der Haupt- wegen Schwierigkeiten mit sei- stadt Jaunde nach Mali dürfte gar Eingang nem Visum einen Tag später in die deutsche Fußballfolklore finden. Ein ein, dann dauerte die Busfahrt Team von Sat.1 filmte, wie Mitglieder von so lange, dass es im Hotel kein Winfried Schäfers Team in den Gepäck- warmes Abendessen mehr gab. netzen hingen. Und schließlich kamen die aus Etliche Profis nehmen die Tortur auf den ganz Europa angereisten Profis knochenharten Plätzen in Mali nur auf in drei Tagen nur zu einer ein- sich, weil sie ihre Chancen auf den WM- zigen Trainingseinheit. Traum nicht gefährden wollen. Sammy Immerhin hatten sich genü- Kuffour hingegen hat mit Ghana die Qua-

SEYLLOU / DPA SEYLLOU gend Spieler eingefunden, lifikation nicht geschafft. Da wunderte es Kameruns Trainer Schäfer, Assistent: Einfluss der Politik selbstverständlich ist das kei- vorige Woche wenig, dass sich der Ab- nesfalls. Das Nationalteam Li- wehrspezialist des FC Bayern mit dem Trai- tet die Entfremdung der Funktionäre mit berias, dem zur WM-Qualifikation nur ein ner anlegte – und prompt nach Hause ge- ihren weltläufigen Stars immer weiter vor- Punkt fehlte, schaffte Anfang Januar nicht schickt wurde. Der Bayern-Verteidiger gilt an. „Sie haben vergessen“, klagt Kame- einmal das. Von Spielertrainer Weah teil- in Afrika sowieso als Unruhestifter. Beim runs Legende , „dass sie ge- weise gesponsert, wollte es vor dem Afri- ghanaischen Fußballverband beschwerte wählt wurden, um unseren Fußball end- ka-Cup ein Testspiel in Ägypten aus- er sich angeblich sogar über die minder- lich an die Spitze zu bringen.“ Von mo- tragen. Unglücklicherweise trafen nur sie- wertige Qualität der Trikots. dernem Management könne auch 20 ben Spieler in Kairo ein, die Partie wurde Als zermürbend und respektlos erleben Jahre nach Kameruns WM-Debüt keine abgesagt. viele Spieler auch die notorischen Streitig- Rede sein. Angolas 19-jähriges Sturmtalent Pedro keiten um Prämien. Senegals Nationalteam Stattdessen erleben jetzt, da in etlichen Mantorras drohte kürzlich gar mit dem etwa lehnte die 13500 Dollar für das erst- afrikanischen Teams fast ausschließlich Le- Ende seiner internationalen Karriere. Der malige Erreichen einer WM-Endrunde als gionäre kicken, die bei Fußballkonzernen Nachwuchsstar von Benfica Lissabon hat- „Verhöhnung“ ab und drohte mit Streik. wie etwa Bayern München, AS Monaco te auf einem Flughafen in Südafrika sieben Auch das nigerianische Team trat An- oder Real Madrid tätig sind, viele Profis die Stunden auf die Weiterreise warten müs- fang Januar in den Ausstand. Bei einer Fei- Rückkehr in ihre Heimatländer er am Tag der WM-Qualifikation als eine Art Kulturschock. „Halb hatten Ende Juli letzten Jahres in professionell“ findet Zoubaier Port Harcourt lokale Autori- Baya, der in Freiburg 85 Bun- täten und Gönner insgesamt desligaspiele absolviert hat, die 700000 Dollar für die erfolgrei- Zustände in seiner tunesischen chen Super Eagles auf den Tisch Equipe, „und das reicht nicht“. geworfen. Ein Funktionär des ni- So fürchtet Baya beim WM- gerianischen Fußballverbandes Turnier eine allzu fürsorgliche steckte das Geld ein, um es an Belagerung durch tunesische die Spieler weiterzugeben. Dort Funktionäre: „Bei der Weltmeis- kam es erst nach drohendem terschaft will jeder dabei sein, Streik mit einem halben Jahr jeder hat was zu sagen und steht Verspätung an. in der Kabine herum.“ Dabei Die Dauerquerelen haben bei gelten die Tunesier im afrikani- Okocha Spuren im Selbstbe- schen Vergleich noch als straff wusstsein hinterlassen. „Bei der organisiert – in Bamako werden WM sollte man diesmal nicht so sie von den anderen Nationen sehr auf uns schauen“, sagt der beneidet, weil sie mit drei Ex-Frankfurter. Nigeria, vom Köchen angereist sind und somit Lospech gebeutelt, fürchtet ge- den kulinarischen Herausforde- gen Argentinien, England und rungen des Hotelpersonals ent- Schweden ein frühes Aus schon kommen. in den Gruppenspielen. Der Tu- Als „wirklich frustrierend“ nesier Baya kündigt für das Tur- empfindet Okocha nach fast nier in Fernost nur an, dass „wir zehn Profijahren in Deutschland, unser Image verbessern wollen“. der Türkei und in Frankreich Vollmundigere Versprechungen den Mangel an Vorsorge und Or- sind auch aus Kamerun und Süd- ganisation. So ist der nigeriani- afrika nicht zu hören. sche Fußballverband etwa seit Vorerst scheinen sich die Be- zwei Monaten telefonisch nicht teiligten nur mit ihresgleichen zu erreichen, weil die Funk- messen zu wollen. Bruno Metsu, tionäre eine für überhöht gehal- Trainer des WM-Neulings Sene- tene Rechnung nicht bezahlen gal, strebt nach einem Titel, für wollten. den es keine Medaille gibt: „Wir Im vergangenen Oktober flog wollen die beste Mannschaft des

der Schalker Victor Agali nach / SPORTIMAGE MANSSON LENNART Kontinents stellen.“ London, um mit seinen Lands- Nigerianische Stars Oliseh, : Die Chefs im Ring Christoph Biermann

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