26. Februar 2011 Nachbild einer Welle Die Ausstellung "Kinetik. Kunst in Bewegung" in der Kunsthalle Messmer in Riegel.

Jesús Rafael Soto: „Petite vibration“, Multiple, 1966 Foto: foundation

Wer über kinetische Kunst spricht, der spricht zuerst und vor allem von der Vergangenheit. Die künstlerische Auswertung von Bewegung und Licht hatte ihre Ursprünge in den 1920er Jahren und erlebte in den 60ern einen Boom. Da war die Kinetik ein Phänomen der Grenzüberschreitung von vielen. Elektromotoren setzten in Bewegung, was bis dahin still stand. Licht wurde zur fließenden Bildsubstanz. Die Op Art kehrte die psychophysiologische Wirksamkeit des Bildes hervor, jenseits des subjektiven Inhalts und Ausdrucks – in Mustern rein optischer Dynamik. Jeder, der Augen hatte, sollte verstehen. Op Art und Kinetik nicht zuletzt boten, was die Essayistin Susan Sontag als "New Sensibility" begriff: "Abenteuer im Bereich der Sinneswahrnehmungen", "Schocktherapien", die eine Scheidung von "hoher" und "niederer" Kultur obsolet erscheinen ließen. sprach von "planetarischer Folklore". 1964 trug die III der Tendenz mit einer Abteilung "Licht und Bewegung" Rechnung. Die Popularität wuchs tatsächlich rasant – und schwand im selben Tempo. Als Vasarely 1997 starb, war seine Zeit längst zu Ende. Die Effekte waren ausgereizt, in Mode und Design verramscht.

Vergessen ist gleichwohl keine Haltung gegenüber der Geschichte. Die Kunstrichtung hatte ihre Bedeutung – hatte ein Potenzial, auch wenn es schnell ausgeschöpft schien. Die Ausstellung in der Messmer Kunsthalle in Riegel ist ein Nachbild einer einmal starken Welle. Zwar will sie kinetische Regungen selbst bis in die Gegenwart nachweisen – die Aufmerksamkeit aber dürfen ganz klar die Klassiker für sich reklamieren. Vasarely ist wieder dabei, wie 2009 in diesem Haus schon einmal. Sein Sohn Jean-Pierre nun auch, bekannt als Ivaral: ein Mitbegründer der Groupe de Recherche d’Art Visuel. Wie unter anderm Horacio Garcia Rossi, der nun mit einem lichtkinetischen Zauberkasten präsent ist.

Mondrian in Motion

Paris ist überhaupt sehr gegenwärtig. Gerade die Südamerikaner zog es nach da hin. Jesús Rafael Soto kam schon 1950. Eine der stärksten Erscheinungen im Revier der virtuellen Bewegung. Soto vereinfachte – wie Vasarely – das Bildinventar zur Struktur, setzte auf die wirkkräftige Systematik der Formbeziehung. Grafische Muster ließ er in Raumschichten sich so überlagern, dass dem Betrachter das Bild zu leben scheint. Vor dicht linierte Gründe setzte er Metallstäbe, grafische oder flächige Elemente und nutzte in "Vibrationsstrukturen" den Moiré-Effekt. In den vielfältigen Momenten der Überschneidung beginnen die Linien und linearen Gebilde sich aufzulösen, ein immaterielles Eigenleben zu entwickeln, eine eigene, energetisch gefüllte Räumlichkeit. Auch Ludwig Wilding oder Ivaral spielten solche Effekte aus.

Carlos Cruz-Diez, der wie Soto (gestorben 2005) aus Venezuela nach Paris kam, lässt mit seinen mit farbigen Lamellen bestückten Bildern den Betrachter zum Passanten werden. Im Vorübergehen entfalten sie ihre changierende Farbwirkung, öffnen, zeigen und verschließen sich in chromatischen Verläufen. Letztlich ist es dies Prinzip der Veränderung, nach dem – mit unterschiedlichen Mitteln – alle die versammelten Arbeiten funktionieren. Oder sollte man sagen, es sei ein Glaube an Veränderung, der sie motiviert?

Adolf Luther mit seinen rotierenden Hohlspiegeln fragmentiert und multipliziert das Raumbild – und zieht einem förmlich den sicher geglaubten Boden unter den Füßen weg. Die Kinetiker tauschen Sicherheit gegen Dynamik. Und sie suchen sie selbst auch in einer utopischen Programmatik. Einer der legendären Avantgardetrupps war in den 60ern die Gruppe Zero. Von ist da zu reden, dem Lichtmetaphoriker, der das Objekt zum Environment weiter dachte und den räumlichen Bezug – wie Luther – ins schier Unbegrenzte. In Riegel ist er mit einem vergleichsweise bescheiden anmutenden silbrig schimmernden Kubus und einem seiner Rotoren: einer Reliefscheibe hinter Riffelglas, die in der Drehbewegung durch die Interferenz der Strukturen aufweicht und in Fluss gerät.

Schon gleich zum Ausstellungsauftakt finden sich Beispiele elektromechanischer Kinetik. Jean Tinguely – der große Satiriker der bewegten Kunst – lässt eine Spirale kreiseln und erinnert damit an Marcel Duchamps kinetische Inkunabeln. In einem Relief setzt er die Elemente eines Bildes in Bewegung, das an Malewitsch denken lässt. Auch wollte Soto ja, wie wir uns erinnern, an den rhythmischen Mondrian von "Broadway Boogie-Woogie" kinetisch anschließen. Die Drehbewegung übrigens ist ein Standard des dynamisierten Bildes. Selbst noch beim späten, längst von der puren Zero-Ästhetik abgelösten Günter Uecker lebt sie als Idee fort – im nun wieder körperlich empfundenen und von Dramatik bestimmten Bild. Die Befreiung vom Subjekt und seinen Inhalten hatte Uecker längst zurückgenommen als er 1989 seine "Dunkle Spirale" nagelte.

Die Ausstellung schichtet in Zeitebenen ein halbes Jahrhundert und bringt die unterschiedlichsten Positionen zur Geltung, sehr einleuchtend auch Elektroniker wie Walter Giers und den Freiburger Peter Vogel. Aber auch diesen und jenen, den man – wäre er unberücksichtigt – nicht auf die Vermistenliste setzen würde. Im Großbild Yaacov Agams findet der Überblick schließlich ein Zentrum – einem wandlangen Reliefstreifen, der aus New York nach Riegel kam. Der Israeli, wie es seine Art ist, markiert die Wandungen der strukturbildenden Bildrippen so, dass über die Länge gesehen für den bewegten Betrachter sich das stehende Bild spektakulär als Movie entwickelt.

Soto dagegen ist ein Pol der vibrierenden Stille. Ein atmosphärisch wirkender Kontrast zu den Strategen der optischen Sensation. Ein Widerpart, wie auch Klaus Staudt, der mit milchigem Plexiglas konkrete Reliefstrukturen in einen imaginären Raum einbindet. Ihr Schweben ist ein dezenter Beitrag zum Thema der Bewegung. Und der Verlust der Schwerkraft denn überhaupt ein poetischer Gewinn.

– Kunsthalle Messmer, Riegel am Kaiserstuhl. Bis 26. Juni, Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr.

Autor: Volker Bauermeister

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