Charles Lloyd | Tone Poem(t) – mit 82

Seit mehr als 60 Jahren hat der Saxophonist Charles Lloyd die Musikwelt mit seiner Anwesenheit (und seiner gelegentlichen Abwesenheit) geprägt. Lloyd wurde 1938 in Memphis, Tennessee, geboren, wo er bei - und Blueslegenden wie Phineas Newborn, Howlin‘ Wolf und B.B. King in die Lehre ging. In den späten 1950er musizierte er mit prominenten Künstlern der Jazzszene von Los Angeles, darunter Ornette Coleman, Eric Dolphy, Charlie Haden, Billy Higgins und Gerald Wilson. 1960 wurde Lloyd musikalischer Leiter des Chico Hamilton Quintetts und trat später für zwei Jahre dem Cannonball Adderley Sextet bei. Danach entwickelte er sich zu demjenigen, als der er seit gefühlten 100 Jahren unterwegs ist: als „Leader“ von bis heute verschiedendsten Formationen. In den frühen 1970er Jahren gehörten auch Keith Jarrett und Jack DeJohnette zu seinem Quartett. Gestern erschien sein neues AlbumTone Poem, wiederum mit seinen wahrhaft traumhaften Mitstreitern Bill Frisell (G), (Pedal Steel G), (B) und (D) aufgenommen – aka Charles Lloyd & The Marvels. Erschienen als CD und für dieZusatz- Geräuschliebhaber auch als Vinyl LP – an letzterer führt heutzutage wohl kein Weg mehr vorbei. Diese Doppel-Vinyl- Ausgabe ist übrigens die erste Neuveröffentlichung, die als Teil der gefeierten Blue Note’s Tone Poet Audiophile Vinyl Serie erschienen ist. Charles Lloyd & The Marvels – mit

Es ist das dritte Marvels nach dem Debut (2016, mit Norah Jones und Wilie Nelson) und dem Nachfolger Vanished Gardens (2018, mit Lucinda Williams), diesmal ohne Vokalisten. Und das hat was, denn die Künstler lassen uns hören, was ich seit jeher als besondere Stärke von US-amerikanischen Musikern empfunden habe: auf fantastisch gelungene Weise verweben Charles Lloyd & The Marvels die verschiedensten Strömungen traditioneller amerikanischer Musik – Jazz, Blues, Gospel, Americana, Country und Rock – zu einem mitreißenden Mix.

Den Auftakt machen sie auf “Tone Poem” mit “Peace” und “Ramblin’”, zwei großartigen Stücken aus der Feder von Ornette Coleman. Beide Nummern gehörten bislang nicht zu Lloyds Repertoire, aber die Band läßt es so klingen, als spiele sie die Stücke schon seit einer Ewigkeit. Auf das atemberaubende “Ramblin’” folgt eine ergreifende Version von Leonard Cohens “Anthem”, das Paradebeispiel für den Album-Titel: Tone Poem.

Es folgen zwei Lloyd Kompositionen, zuerst das subtile „Dismal Swamp”, auf dem Lloyd das Tenorsax mit einer Querflöte tauscht. Und dann das wunderbare Titelstück “Tone Poem”, das wieder gänzlich anders klingt, irgendwie ein bißchen nach Urlaub, der ja gerade vielen Menschen abgeht. Der Thelonious- Monk-Klassiker “Monk’s Mood” und die Live-Aufnahme mit dem Bolero “Ay Amor” führen zu “Lady Gabor”, eine Reminiszenz an seinen alten, verstorbenen Freund und allerersten Gitarristen Gábor Szabó . Mit einer weiteren Lloyd-Komposition, dem inbrünstigen “Prayer”, endet das Programm und ich denke mir: endlich einmal wieder eine rundum begeisternde Scheibe.

Vielleicht geht es Ihnen, verehrte Hörer, ebenso …. dann lassen Sie es mich gelegentlich hier an dieser Stelle wissen.

82 Jahre alt und immer noch auf der Suche:

Einige der Töne und Schreie, die Sie jetzt auf meinem Instrument hören, hatte ich als junger Mann nicht. Sie artikulieren etwas. Dann habe ich diese Ensembles, die einem höheren Ziel dienen. Empfindsame Menschen gibt es im Überfluss auf diesem Planeten; sie werden nur nicht dafür gewürdigt. Betrunken zu sein und gleichzeitig ungiftig und nicht schädlich für die Welt zu sein, ist ein Beitrag, der es wert ist, geleistet zu werden, ein Lied, das es wert ist, gesungen zu werden. Ich bin Archäologe und Astronom und versuche, einen Durchbruch zu schaffen. Ich habe diesen Traum, dass ich mit der Musik verschmelze und ich werde, was sie ist. Es ist so ein wunderschönes Geschenk, das mir gegeben wurde, weiter erforschen zu können. Ich nehme das Instrument in die Hand und spiele, und ich kann es nicht mehr weglegen. Es nimmt mich mit. Ich gehe hinaus in die Natur und komme nach Hause mit dieser Quantenmechanik in meinem Herzen. John Scofield (Trio) | Swallow Tales

Er gehört zu den lebenden Legenden unter den Gitarristen des Modern Jazz, spielt in der Klasse von Wes Montgomery †1968, Jim Hall †2013 , Joe Pass †1994 und Larry Coryell †2017, in der von Bill Frisell, Larry Carlton, Ralph Towner und Pat Metheney: John Scofield, Jahrgang 1951. Eine lebenslange Freundschaft, die am renommierten Berkley College of Music begann, verbindet ihn mit seinem früheren Mentor, dem Bassisten Steve Swallow, der seit 1991 mit der Jazzpianistin und angesehenen Komponistin Carla Bley verheiratet ist. Und so schließt sich der Kreis um die zahlreichen Formationen, in denen John Scofield und Steve Swallow ihre musikalischen Spuren hinterlassen haben, teilweise gemeinsam: Gary Burton, Art Farmer, Paul & Carla Bley, Miles Davis, McCoy Tyner, Joe Lovano und hunderte mehr. Heute im Focus ist das neue Album, das ausschliesslich Kompositionen von Steve Swallow enthält und als Trio aus John Scofield, Steve Swallow und ihrem langjährigen Begleiter, dem Schlagzeuger Bill Stewart, besteht: Swallow Tales. Roberto Cifarelli / ECM Records

Das Album ist eine Würdigung von Steve Swallow, dem Komponisten. Seine Kompositionen swingen, sie grooven, fast alles Uptempo Bob`s. Das Trio hat das komplette Album live an nur einem Nachmittag aufgenommen, nahezu ungeschnitten. Wer über einen so langen Zeitraum gemeinsam musiziert, kann das. Zählen alle drei Musiker zur Elite des modernen Jazz, kann man auch nur ein Spitzenalbum erwarten. Und so ist es !

Originalton John Scofield:

Ich liebe diese Songs, manchmal, wenn wir spielen, wirkt es wie eine große Gitarre, die Bassstimme und mein Part zusammen, [und] was Bill macht, ist mehr als ‚Schlagzeug spielen‘. Er ist eine melodische Stimme in der Musik, er spielt Kontrapunkt und begleitet, während er gleichzeitig richtig hart swingt.

Um festzustellen, wie genial die Musiker heute als „freischaffendes Team“ harmonieren, empfehle ich, einige Titel durch früher aufgenommene Formationen zum Vergleich heranzuziehen, z.B. She was Young in der Vocalversion von 1979 (mit Lyle Mays) oder Falling Grace und Portsmouth Figurations (Gary Burton 1966, 1967), zu hören am Ende des Artikels.

Erschienen am 12.06.2020, ECM München als LP und CD

Hören Sie zum Vergleich zu den neuen Interpretationen dieser Titel auf „Swallow Tales“ die Ur-Versionen, einmal von Steve Swallow aus dem Jahre 1979 und von Gary Burton aus 1976 und 1977.