Innere Brutalisierung Nach Dem Scheitern Ihres Gewagten Experiments Finden Sich Andrea Ypsilanti Und Die Hessische SPD Vor Einem Scherbenhaufen Wieder
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Deutschland HESSEN Innere Brutalisierung Nach dem Scheitern ihres gewagten Experiments finden sich Andrea Ypsilanti und die hessische SPD vor einem Scherbenhaufen wieder. Die beiden Flügel stehen sich unversöhnlich gegenüber, in der Partei herrschen Angst, Hass und Intrige. in dem es wohl nur um die Frage gehen kann, wie hoch sie am Ende verlieren wird. Als Ypsilanti am Freitagmittag um kurz nach zwei Uhr ihr Büro in der dritten Eta- ge des Wiesbadener Landtags verlässt, hat sie die Arme vor der Brust verschränkt, als würde sie frieren. Sie wirkt noch kleiner als sonst, und sie sieht nicht aus wie eine Frau, die noch um ihren Posten kämpft. Sie trifft sich mit Manfred Schaub, dem Vorsitzenden des mächtigen Bezirks Hes- sen-Nord, der zu diesem Zeitpunkt noch überlegt, ob er sich das antun soll: für eine Partei in den Wahlkampf zu ziehen, die zweimal mit dem Kopf gegen die Wand ge- laufen ist und jetzt in Umfragen auf 27 Pro- zent abgesackt ist. Es gibt Parteifreunde, die Schaub drän- gen: „Du musst das jetzt machen.“ Ande- re raten ihm, lieber bis nach der Wahl zu warten. Ypsilanti solle die Suppe doch selbst auslöffeln, die sie sich und der Par- tei eingebrockt habe. Am Freitagabend schien Schaub eher der zweiten Variante zuzuneigen. Doch selbst das würde Ypsilanti keine große Entlastung verschaffen. Denn seit dem vergangenen Montag ist klar, dass ihr gewagtes Experiment beendet ist. Mona- UWE ANSPACH / DPA UWE ANSPACH telang hatte sie die Bundespartei unter Parteilinke Ypsilanti: „Wer hat euch gekauft?“ Druck gesetzt und damit das Scheitern von SPD-Chef Kurt Beck eingeleitet. Am Ende s war absehbar. Es ist immer abseh- Ypsilanti, 51, ist lange genug in der Poli- ist der Plan der hessischen Parteilinken Yp- bar. Der große Schulterschluss in der tik, um zu wissen, was ihr bevorsteht. Bald silanti nicht aufgegangen, die westdeutsche EPolitik hält selten länger als eine werden die Stimmen anschwellen, der Sozialdemokratie nach links zu öffnen. Woche. In Wiesbaden hielt er keine fünf Chor wird immer lauter werden, und alle Tage. Am Freitag ging es los. Gerade noch werden fragen, welche Verantwortung die LANDTAGSWAHL HESSEN hatten die 38 anwesenden SPD-Abgeord- hessische SPD-Chefin für den Scherben- 27. Januar 2008 neten hinter den verschlossenen blauen haufen trägt, den sie mit ihrer gescheiter- Wahlergebnis Türen ihres Sitzungsraums ihrer Partei- ten Machtstrategie hinterlassen hat. November- chefin die Solidarität bekundet. Natürlich Seit am vergangenen Montag vier Ab- Umfrage Sonntagsfrage sei es einzig und allein Andrea Ypsilantis geordnete in einem Wiesbadener Hotel „Welche Partei würden Entscheidung, ob sie bei den hessischen verkündeten, „dass wir die Bildung einer 41 Sie wählen, wenn am Neuwahlen im Januar noch einmal als Spit- rot-grünen Minderheitsregierung mit den 36,8 36,7 nächsten Sonntag zenkandidatin antreten wolle. Stimmen der Linkspartei nicht mittragen Landtagswahl wäre?“ Doch kaum war die Sitzung zu Ende, war können“, ist in Hessen nichts mehr so, wie es vorbei mit der Unterstützung. Ypsilanti? es war. Ypsilantis Träume sind geplatzt, 27 Infratest-dimap-Umfrage vom 4. und 5. November; Angaben in Natürlich sei die nicht schuldlos an dem und alles deutet darauf hin, dass es am Prozent; an 100 fehlende Prozent: ganzen Desaster, verbreitete ein SPD-Par- 18. Januar Neuwahlen geben wird, auf die Sonstige lamentarier – selbstverständlich ganz im sich CDU-Landeschef Roland Koch nach Vertrauen. Und eine Kollegin fragte sich Meinung der Demoskopen schon freuen 11 12 9,4 laut vor Reportern, wie man wohl das kom- kann. 7,5 plett ruinierte Image der Parteichefin in nur Langsam wird die Schockstarre, in die 5,1 5 zwei Monaten wieder korrigieren könne. die hessischen Sozialdemokraten gefallen „Die Leute werden uns auslachen, wenn sind, abgelöst von der brutalen Erkenntnis, sie noch mal antritt“, sagte ein Dritter. dass der Partei ein Wahlkampf bevorsteht, CDU SPD FDP Grüne Linke 24 der spiegel 46/2008 Wer erklären will, wie es zu dem hessi- Mailbox der Handys verstopft, waren sie in Juso-Truppe ausgepfiffen und niederge- schen Desaster kommen konnte, stößt ein Hotel am Rande einer süddeutschen buht. schnell an seine Grenzen. „Ich bin für Großstadt geflüchtet, um zusammen mit „Ich weiß nicht, ob das noch meine Par- Politik zuständig und nicht für Esoterik“, Dagmar Metzger wieder und wieder die tei ist“, sagte die Abgeordnete Nancy Fae- sagt ein führender Sozialdemokrat aus Ereignisse der vergangenen Wochen durch- ser damals, und der Kasseler Politikwis- Berlin, der sich außerstande sieht, die Lage zusprechen. Hatten sie wirklich das Recht, senschaftler Wolfgang Schroeder nennt in Wiesbaden korrekt einzuschätzen. Was sich gegen den Mehrheitswillen der Partei diese Szene „eine innere Brutalisierung, da ablaufe, sei durch und durch irrational. zu stellen? War es richtig, das Landtags- wie ich sie bei Parteitagen noch nicht erlebt Es ist wie nach vielen Trennungen. Sel- mandat zu behalten? Und immer wieder habe“. ten wird man danach mit Gewissheit sagen die quälende Frage, warum sie erst so spät, Viele Abgeordnete sahen mit Sorge, in können, woran die Beziehung am Ende erst im letzten Moment Ypsilanti gestoppt welche Richtung ihre Partei marschierte, gescheitert ist. Es gibt keine objektive Sicht hatten. aber spätestens nach dem Metzger-Vorfall der Dinge, es gibt nur ein ver- hatten sie Angst, offen ihre worrenes Knäuel aus Missver- Meinung zu sagen. Nur hinter ständnissen, Verletzungen, De- verschlossenen Türen wurde ge- mütigungen, aus Hass, Angst und jammert, irgendwer müsse die Abneigung. Ypsilanti-Truppe doch endlich Der Zustand der hessischen stoppen. Dann öffneten sie vor- SPD ist noch komplizierter als sichtig die Bürotür, überprüften, der einer gescheiterten Bezie- ob man sie bei diesem verräteri- hung. Eine Möglichkeit, sich der schen Gespräch beobachtet hatte, Wahrheit anzunähern, besteht und huschten unauffällig davon. darin, die Geschichte aus der Per- Wie unsicher die Lage beim spektive der drei Frauen und des potentiellen Koalitionspartner einen Mannes zu erzählen, an de- war, entging auch den Grünen nen Ypsilanti am Ende scheiterte. PRESS / ACTION OELSNER STEFAN nicht. Als die SPD-Fraktion im Es ist eine subjektive Sicht, mit SPD-Abweichler Tesch, Everts: „Yps zieht uns über den Tisch“ März über die geplanten Koali- Erinnerungslücken, Schönfärbe- tionsverhandlungen entschied, reien und auch Fehleinschätzun- fehlten mehrere Abgeordnete. gen. Aber sie lässt erahnen, war- Kein Problem, argumentierte Yp- um die Dinge in Hessen außer silanti, wer bei der SPD fehle, sei Kontrolle geraten mussten. grundsätzlich dafür. „So etwas ist Jürgen Walter, 40, hat sich in doch hoch fahrlässig“, sagt Grü- diesen Tagen in einem Wellness- nen-Fraktionschef Tarek Al-Wa- Hotel eingemietet, an einem ent- zir, „wenn bei uns jemand bei ei- legenen Ort in einem deutschen ner wichtigen Entscheidung fehlt, Mittelgebirge. Zusammen mit sei- muss ich mich doch besonders in- ner Frau, die bis vor kurzem tensiv um den kümmern und im- noch als Pressesprecherin für Ro- mer wieder nachfragen, ob etwas land Koch arbeitete. Keiner sei- nicht stimmt.“ ner innerparteilichen Gegner Al-Wazir wirft Ypsilanti „Füh- vergisst es, auf diese Verbindung rungsversagen“ vor. Zweimal hinzuweisen. ROLAND / AP DANIEL habe sie es nicht geschafft, ihre Walter hat sich im Dezember Parteirebellen Walter, Metzger: Ausgepfiffen und niedergebuht Leute mitzunehmen. Zweimal 2006 mit Ypsilanti ein erbittertes habe sie sich auf das riskante Duell um die Spitzenkandidatur der Hes- Walter, Everts und Tesch zeichnen das Abenteuer mit der Partei Die Linke einge- sen-SPD geliefert. Der damalige Chef der Bild einer Partei, in der Hass, Einschüch- lassen, ohne zu wissen, wie die Stimmung Landtagsfraktion scheiterte knapp. Seit- terung und Angst an der Tagesordnung wa- in ihrem Lager wirklich war. dem wird er in der Presse gern mit dem ren. Was Abweichlern drohte, erlebten sie, Die war in Teilen der Partei katastro- Namenszusatz „Rivale“ genannt. Der An- als die Darmstädter Landtagsabgeordnete phal. Die Führung schottete sich ab, Ein- walt kann sagen, was er will – immer wer- Metzger, 49, Anfang März Ypsilantis ersten wände wurden ignoriert, und Ypsilanti den seine Äußerungen als Ausdruck sei- Anlauf zu einer rot-grünen Minderheits- schaffte es, schwierigen Gesprächen aus ner Rivalität zu Ypsilanti interpretiert. regierung bremste. Für den früheren SPD- dem Weg zu gehen. Ja, ja, wir müssen drin- Er ist nicht ganz unschuldig an dieser Landtagsabgeordneten Marco Pighetti war gend reden, lass uns telefonieren, doch Stigmatisierung. Walter hat den Ruf eines Metzger danach „ein schmutziger Parasit“, dazu kam es nie. Schandmauls, und seinen Gegnern ist nicht der „sofort rausgeworfen“ gehöre. Ypsi- Everts und Tesch sagen, sie hätten von entgangen, dass er kaum eine Gelegenheit lantis Vertrauter Hermann Scheer warf ihr Anfang an immer wieder ihre Bedenken auslässt, über die „Dame“ zu lästern, die „parteischädigendes Verhalten“ vor und geäußert, aber Ypsilanti habe in Sitzungen ganz offensichtlich nicht in der Lage sei, forderte ihren Ausschluss. genervt reagiert und sei anschließend als die Partei zu führen. Die starke Personali- Die drei erlebten die eisige Kälte, mit Erste vor die Kameras getreten, um zu ver- sierung im Wahlkampf musste ihm zuwider der Dagmar Metzger nach ihrer Entschei- sichern, alle „Irritationen“ seien aus- sein. Als Partei-„Freunde“ ihn fragten, dung in der Fraktion behandelt wurde. geräumt. Und noch eine Erfahrung muss- warum er denn nicht den roten „Y“-Button Kollegen