Rettungslos zerrüttet Die Zeit der Abrechnung beginnt: Wolfgang Schäuble geht diese Woche mit seiner Sicht der zerbrochenen Beziehung zu an die Öffentlichkeit. Der Altkanzler hingegen tritt wieder selbstbewusst unter die Parteifreunde, als hätte es die Spendenaffäre nie gegeben.

in kurzer Blick nach rechts und links, Beinah ein Leben lang haben Kohl und dann wuchtet sich Helmut Kohl ent- Schäuble mit- und voneinander gelebt. Ge- Eschlossen aus seinem roten Plüschsitz genseitig brachten sie sich an die Spitze. im Berliner Schiller-Theater. Schnaufend Doch nach drei gemeinsamen Jahrzehnten walzt er auf den Mann zu, der vier Sitz- haben sich der massige Ex-Kanzler und plätze weiter links Platz genommen hat. sein zierlicher, an den Rollstuhl gefesselter Mit einem entschlossenen „Komm, Wolf- Kronprinz aus allen Ämtern hinausrivali- gang“ streckt Kohl dem Mann im Rollstuhl siert. Als „odd couple“, das mit seiner Ver- die Hand zur Begrüßung entgegen. Wolf- gangenheitsbewältigung CDU und CSU in gang Schäuble, der sich angewöhnen woll- Atem hält, werden sie nun zur Belastung te, Kohl nie mehr wahrzunehmen, wirkt für die Union und deren neue Führung um wie versteinert, als er mit abgewandtem den Fraktionsvorsitzenden Gesicht die ausgestreckte Rechte ergreift. und Parteichefin . Versöhnung? Verlegenheit? Taktik? Im- Nach der Sommerpause hoffte die Union, mer wieder blickt Kohl beim Festakt der endlich wieder Boden unter die Füße zu be- FDP zum zehnjährigen Jubiläum des Zwei- kommen und als Opposition ernst genom- plus-Vier-Vertrags am vergangenen Diens- men zu werden. Wie abhängig die neue

tag verstohlen nach links. Doch der Ex- Führung aber immer noch von der alten / MELDEPRESS A. VOELKEL Kanzler bemüht sich vergebens. Schäuble ist hinter seinem kalten Lächelgesicht er- Bundestagsabgeordneter Kohl starrt und schaut stur weg. Wo er sitzt, ist gute Laune

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Eine Abrechnung solle es nicht werden, Im ist es am Mittwoch nicht hat Schäuble zwar versprochen. Doch anders. Schäuble hockt versunken in der schon die Ankündigung, „einfach nur mei- zweiten Reihe, da, wo Kohl früher thronte. nen Teil der Geschichte“ zu erzählen, treibt Den Alten kümmert das nicht. Sein Partei- vielen den Angstschweiß auf die Stirn. volk folgt ihm überallhin, auch nach hinten, Denn auch Kohl schreibt eifrig an seinen in die sechste Reihe. Wo er sitzt, ist gute Memoiren. Im nächsten Jahr sollen sie fer- Laune. Er kann mit allen, und alle können tig sein, und niemand zweifelt, dass Kohl wieder mit ihm. Frohgemut konsumiert er seinem ehemaligen Protegé mit gleicher mittags im Bundestagsrestaurant zur Wir- Münze zurückzahlt, falls er es für nötig hält. singroulade mit Specktunke einen halben Hatte Schäuble mit seinem Buch zu- Liter Roséwein. Und Schäuble? Der ver- nächst aus der Perspektive eines Ehemali- gräbt in den Debatten das Gesicht in den gen begonnen, so wuchs im Lauf der Mo- Händen und flieht danach schnell ins Büro nate die Entschlossenheit, sich nicht ohne oder zu Anschlussterminen. weiteres entsorgen zu lassen. Aus dem Ar- „Politisch umgebracht“ fühlt Schäuble beitstitel „16 Jahre, 16 Monate“ ist „Mitten sich von dem einstigen Förderer und späte- im Leben“ geworden. Nur für Schwerge- ren Rivalen. Das Attentat im Gasthof „Bru- wichtler gelte das Sprichwort „They’ll ne- der“, das Schäuble 1990 in den Rollstuhl ver come back“, trotzte Schäuble kürzlich zwang, jährt sich in wenigen Wochen zum in einem Interview. Und selbst dort habe zehnten Mal. Doch schlimmer als die Ku- George Foreman das widerlegt. geln eines Verrückten, so meinen Vertrau- Fast neun Monate ist es her, dass die te, haben ihn die „kriminellen Machen- verfeindeten Vertrauten zuletzt miteinan- schaften“ (Schäuble) getroffen, mit denen der gesprochen haben. Die Unterredung ihn der Weggefährte zur Strecke brachte. besiegelte Schäubles Ende als Parteichef Bis heute will der egozentrische Pfälzer und kostete Kohl seinen Ehrenvorsitz – die nicht begreifen, wie es zum Bruch kam. Beziehung war rettungslos zerrüttet. „Dass Schäuble so groß sein wollte wie er, Warum es zu dem Zerwürfnis des CDU- war für ihn überhaupt nicht denkbar“, er- Duos kam, zeichnet der SPIEGEL in einem klärt einer, der beide seit Jahren kennt, detaillierten Protokoll der letzten drei Jah- re ihrer Beziehung nach (siehe Seite 40). Am 18. Januar war Schäuble ins Büro des Altkanzlers gerollt, um ihm die Namen seiner angeblichen Spender abzupressen. Doch der Pfälzer dachte nicht daran, sei- nem Vasallen aus der Patsche zu helfen. Wie zwei Revolverhelden feuerten die Freunde von einst mit Worten aufeinander. „Deine Spender gibt es doch gar nicht“, rief Schäuble, „sag endlich die Wahrheit.“ „Schlimm ist nicht, was ich gemacht habe“, schoss Kohl zurück, „schlimm ist, was du gemacht hast.“ „Ich habe“, sagte Schäuble später, „die Beziehung zu Helmut Kohl Altkanzler Kohl, beendet.“ Schäuble, Westerwelle* Doch er kommt nicht los von seinem K. R. MÜLLER / AGENTUR FOCUS / AGENTUR K. R. MÜLLER M. DARCHINGER Gegner. Mit sicherem Gespür hat Kohl das Bedürfnis der Partei nach Versöhnung er- Freunde Kohl, Schäuble (1997) ist, wurde vergangene Woche in der Haus- kannt, und wie immer bestimmt er das „Politisch umgebracht“ haltsdebatte des Bundestags ein weiteres Tempo. Kohl benimmt sich einfach so, als Mal deutlich: Den meisten Beifall erntete hätte es nie einen Parteivorsitzenden „den Platz hatte er in seinem Weltbild für Fraktionschef Merz, wenn er die Verdiens- Schäuble und eine Spendenaffäre gegeben. Schäuble nie vorgesehen.“ te Kohls und die Vergangenheit lobte. Dabei ermitteln die Staatsanwälte noch im- Sehnt sich auch Schäuble nach einer Ver- Angstvoll blickt die CDU nun dem Buch mer wegen Untreue gegen ihn. Und noch söhnung? Der grimme Mann im Rollstuhl von Schäuble entgegen, das diese Woche in immer versucht der Untersuchungsaus- sagt, dass es nicht so kommen wird. Doch Teilen veröffentlicht wird. Steht die nächste schuss des Bundestags aufzuklären, ob die ein eindeutiges Nein ist das nicht. Schäuble Runde im Duell der ungleichen Gegner be- Regierung Kohl käuflich war. lässt sich immer einen Fluchtweg offen. vor? Nach dem verlorenen Machtkampf zog Der Skandal-Kanzler nimmt derweil Wiedervereinigungen brauchen lange, Schäuble sich im Frühjahr auf das zurück, nach zehnmonatiger Abwesenheit am wer wüsste das besser als die beiden Hau- was er stets besser beherrscht hatte als sein Montag vergangener Woche aufgeräumt degen der Einheit. Ein Parteifreund fasste Rivale: die Macht des Wortes. Wie besessen und wohlgebräunt zwischen den Hinter- sich kürzlich ein Herz und sondierte auf hat sich der äußerlich so kühle Disziplin- bänklern Werner Wittlich und Peter Bleser beiden Seiten. „Tun Sie mir einen Gefal- freak seine Wut von der Seele geschrieben. in der dritten Reihe der Unionsfraktion len, sprechen Sie mich nie wieder auf die- In jeder freien Minute, so Mitarbeiter, habe Platz und lässt sich vergnügt von Fans wie ses Thema an“, beschied Schäuble kühl. sich der Jurist über das Papier gebeugt, von die Hand schütteln. Schäuble Kohl aber wartet ab. Dies, so der Altkanz- Hand Seite um Seite gefüllt. dagegen fährt mit betont unbeteiligter Mie- ler, sei eine Frage, die „stellen wir am besten ne durch einen Seiteneingang in den Frak- eine Weile ins Eisfach. Vielleicht kann man * Am vergangenen Dienstag im Berliner Schiller Theater tionssaal im Reichstag. Er kommt spät, die sie irgendwann dann wieder vorholen“. bei der Feier zum Jahrestag des Zwei-plus-Vier-Vertrags. meisten bemerken ihn nicht. Ulrich Deupmann, Tina Hildebrandt

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