AAus PPolitik unduZeitgesZ chichte 44/2005 ´31. Oktober 2005

Film und Gesellschaft

Rainer Rother Die wichtigste aller Kçnste?

Georg Seeûlen DieieLustustuundnd Last desSehens

Peter Reichel ¹Onknkelel Hititlerleruundnd Familie Speerª ±die NS-Fçhrung privat

JanDistelmeyer Pråssidentenidenten--BBiilderlder aus Hoollywoodllywood

Ralf Schenk DiieeDDRim deutschen Film nach1989

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Editorial Der Film ist dasLeitmedium unserer Zeit.Inder Welt der be- wegten Bilder spiegeln sichdie jeweiligen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft wider ±nicht zuletzt deshalb,weil dasMedi- um Film mehr als einmalzuPropagandazwecken missbraucht worden ist.Filme sind Ausdruckeines zeitbedingten Selbstver- ståndnisses und verraten uns indirekt vieles çber uns:dasPubli- kum.Ein Film wie etwa Der Untergang sagt viel weniger çber den Nationalsozialismus aus,als çber ein bestimmtes Bild,das heute von der NS-Zeit existiert.

Gerade die filmische Darstellung von historischen Ereignissen sorgt oft fçrDiskussionen.Die Dramaturgie eines Films,seine åsthetischen Mittel,die Zuspitzung auf einzelne Aspekte ±all dasist umstritten,sobald ein Film fçrsichinAnspruchnimmt, authentischzusein.Wie sollte aber auchein Film aussehen,der beispielsweise ein realistisches Bild von den Lebensverhåltnissen in der DDRzeichnen will?Sollte er die Verbrechen der Staats- sicherheit,die eingeschrånkte Freiheit der Bevælkerung und die Propagandades SED-Regimes betonen?Oder sollte er die soli- darischen Beziehungen der DDR-Bçrger untereinander zeigen, ihren utopischen Traum von einer gerechteren Welt und dasall- tågliche Funktionieren der Gesellschaft,jenseits von Unterdrç- ckung und Kontrolle?Geht daseine çberhaupt ohne dasandere?

Hinter solchen Fragen verbirgt sichein Dilemma:Filme sind immer subjektiv.Sie kænnen die Gesellschaft nicht objektiv ab- bilden,weil bereits jede Kameraeinstellung und jeder Blickwin- kel die Realitåtfiltert.Die filmische Wirklichkeit ist immer in- szeniert.Dochdiese Inszenierung gelingt manchen Regisseuren bisweilen so gut,dass ihre Bilderwelt der realen Welt scheinbar in nichts nachsteht.Dochmacht nicht gerade dasden Reiz der bewegten Bilder aus?

AndreasKætzing Rainer Rother Motor gesellschaftlicher Verånderungen wird der Film heute gewiss nicht mehr begriffen.

Als fast ebenso çberholt gilt die Annahme, Die wichtigste dass er als Ausdruckder gesellschaftlichen Verfassung gelesen werden kann.Siegfried allerKçnste? Kracauer zufolge reflektieren die Filme einer Nation ¹ihre Mentalitåtunvermittelter als an- dere kçnstlerische Medienª,weil sichinihrer Essay Produktion unvermeidlichein gewisser Kol- lektivcharakter geltend mache.Zudem zielten Filme auf die Menge,¹von populåren Filmen ±oder genauer gesagt,von populåren Motiven or zehn Jahren feierten Ausstellungen, auf der Leinwand ±(daher ist)anzunehmen, V Symposien,Sondernummern groûer dass sie herrschende Massenbedçrfnisse be- Magazine und zahlreiche weitere Publikatio- friedigtª.Allerdings erreichen andere Medien nen das100-jåhrige Jubilåum des Films als die Menge leichter und regelmåûiger ±sie weitgehend ungetrçbten Rçckblickauf eine wåren also der privilegierte Gegenstand der Erfolgsgeschichte.Die Kunst des 20. Jahr- Analyse. hunderts schien in ihrer Bedeutung endlich vollkommen anerkannt,die Zukunfts- aussichten jedenfalls Verlust der Massenbasis nicht dçster.Zehn Rainer Rother Jahre spåter sieht das Der Ausdruck¹Traumfabrikª fasste einst,be- Dr.phil., geb.1956; Leiter der anders aus.Ob der wundernd und abwertend zugleich,zusam- Kinemathek des Deutschen Film im 21. Jahrhun- men,wasder Film vermochte.Seine Wirkung Historischen Museums,Unter dert nochvergleichba- und Verbreitung scheint heute merklichge- den Linden 2, 10117Berlin. re Relevanz behaup- schwåcht,vor allem im Vergleichmit dem [email protected] ten kann,scheint Leitmedium Fernsehen.Inder Bundesrepu- zweifelhaft.Krisen- blik Deutschland wurden in den vergangenen symptome unterschiedlicher Art sind nicht zu Jahren jeweils zwischen 150 und 160 Millio- çbersehen.Umsatzrçckgånge auf dem starken nen Kinokarten verkauft,wasdurchschnitt- amerikanischen Markt setzen der Unterhal- lichetwazwei Kinobesuche pro Jahr und tungsindustrie zu,der DVD-Boom gefåhrdet Einwohner ergibt.Ausgesprochen erfolgrei- Kinos in ihrer Existenz,die Angebotsvielfalt che (in der Regel amerikanische)Kinofilme und die jeweils heimische Filmproduktion lei- erreichen in Deutschland gelegentlichumdie den unter den mit Hunderten von Kopien ge- zehn Millionen Zuschauer.Dagegen sitzen starteten und zu ¹Eventsª aufgeblasenen tåglichgegen 20 Uhr hochgerechnet 20 Mil- Groûproduktionen.Dasalles låsst den Opti- lionen Zuschauer vor dem Fernsehapparat. mismus der Branche schwinden. Einzelne besonders populåre Sendungen wie ¹Wetten,dass ...?ªerreichen ein Publikum Ohnehin steht es eher schlecht um die von 16 Millionen,dasTV-Rededuell zwi- kçnstlerische Bedeutung sowie die gesell- schen Gerhard Schræder und AngelaMerkel schaftliche Relevanz,die dem Film in seinen sahen sogarmehr als 25 Millionen.Auchun- guten Tagen nicht abgesprochen werden abhångig von Zahlen und Quoten zeigt das konnte.Die Zeiten,in denen der Film Inbe- Wirkungen:Sendungen werden Tagesge- griff der Moderne warund Walter Benjamin språch.Nur hæchst selten erreichen Filme sichangesichts des russischen Revolutions- heute einen vergleichbaren Effekt. film begeisterte ±¹wirklichentsteht mit ihm eine neue Region des Bewusstseins.Erist ± Der Vergleichhinkt selbstverståndlichin um es mit einem Wort zu sagen ±daseinzige mehr als einer Hinsicht.Als Leitmedium gilt Prisma,in welchem dem heutigen Menschen Fernsehen aus drei Grçnden:die groûe die unmittelbare Umwelt,die Råume,in durchschnittliche tågliche Nutzungsdauer,in denen er lebt,seinen Geschåften nachgeht Deutschland angeblich203 Minuten pro Per- und sichvergnçgt,sichfasslich,sinnvoll,pas- son und Tag;die Menge der gleichzeitig die- sionierend legenª ±wirken sehr fern.Als selbeSendung verfolgenden Zuschauer;die

APuZ44/2005 3 Kontinuitåtdieser Nutzungen çber lange AuchReminiszenzen andie Konzeption der Zeitråume.Hinzu kommen saison-oder er- Kulturindustrie zielen heute auf andere medi- eignistypische Ûbertragungen,die eine spezi- ale Systeme ab.Reflexionen çber den Zustand fische Aktualitåtbesitzen und fçrdie das der Gesellschaft und die Chancen oder Ge- Fernsehen zum primåren Ûbermittler wird ± fåhrdungen,die ihr von modernen Medien Sportereignisse,Katastrophen,Kriege. drohten,beziehen sichzunåchst auf dasFern- sehen (beginnend mit Gçnter Anders'¹Anti- Wåhrend aber Fernsehen ein auf Knopf- quiertheit des Menschenª), spåter auf Com- druckverfçgbarer,per Fernbedienung be- puter und alle Formen der Digitalisierung quem variierbarer Teil des håuslichen Alltags sowie dasInternet. ist,behielt der Film im Kino immer den Cha- rakter einer Veranstaltung.Bestimmte Ange- bote stehen zu bestimmten Tageszeiten zur DasImperium schlågt zurçck Verfçgung.Sie sind nicht abrufbar,dasPubli- kum macht sichzudiesen Angeboten auf den Wasbleibtalso von dem einmalmit so vielen Weg.Deswegen wirkt Film gewissermaûen Øngsten und Hoffnungen befrachteten Film? anachronistisch,er bleibtals Medium,als Vermutlichseine åsthetischweiterhin prågen- Mittler,vergleichsweise unflexibel.Ihn kenn- de Kraft.Mit seinen Bilderfindungen ist der zeichnet die Auffçhrung eines eigens fçrdie Film anderen audiovisuellen Medien weit Abspielståtte Kino hergestellten Produktes. çberlegen.Vom Fernsehen bleiben Bilder in Der Gegenbegriff,der die beherrschende Pra- Erinnerung,die Ereignisse bezeichnen,vom xis des Fernsehens kennzeichnet,ist die Film aber solche,die ganz ihm gehæren ± Ûbertragung.Ganz analog zum anderen seien es die beiden Hauptfiguren in Volker ¹Rundfunkmediumª,dem Radio,kann Fern- Koepps Dokumentarfilm Film FrauZwilling sehen alles,jede Form und jedes Ereignis, und Herr Zuckermann in ihrer Czernowitzer ¹çbertragenª oder transportieren.Nur in Wohnung,seien es die auf den spektakulåren einer bestimmten Periode der Filmgeschichte, Effekt hin getrimmten Totalen aus einer be- bis etwain die sechziger Jahre,versuchte der liebigen Groûproduktion.Die Beispiele Kino-Film in seiner Auffçhrungspraxis Øhn- mægen beliebig wirken,dochsie bezeichnen liches.DasVerschwinden von Vorfilm und einen wesentlichen Punkt.Seit das¹alteª Wochenschaukann als Einsicht in die eigene Massenmedium im Grunde nur nocheinzelne Beschrånkung aufgefasst werden.Wasdiese Filme,obfiktionaloder dokumentarisch, ehemals so wichtigen Bestandteile einer Vor- ¹çbermitteltª,teilt es mit dem Fernsehen fçhrung leisteten,konnte dasFernsehen deut- diese spezifische Form und muss çber be- lichbesser.Insofern ist die Epoche,in der stimmte Qualitåten verfçgen,welche die Film dasherrschende Massenmedium war, Konkurrenz so nicht bieten kann.Ob die seit den Fçnfzigerjahren vorçber. Produkte dabei auf Filmmaterialoder in einem digitalen Formathergestellt wurden, Dasbestimmt dasheutige Verhåltnis ± ist mittlerweile egal.DadasFernsehen frçher wåhrend Fernsehen sozusagen alles ins heimi- oder spåter so gut wie alle diese Filme irgend- sche Wohnzimmer bringen kann,darunter wann çbertrågt,gibteskein grundlegendes nicht zuletzt Filme,ist Kino aneine åstheti- Kriterium,etwaszueinem ¹Filmª (im Ge- sche Form gebunden,den abendfçllenden, gensatz etwazu einem ¹Fernsehspielª)zu de- meist fiktionalen Film.Die Verånderung im klarieren.Eher schon gibtesFormen,die aus System der Massenmedien ist ein Grund bestimmten Grçnden nur im Fernsehen mæg- dafçr,dass heute niemand mehr den Verderb lichsind,groûangelegte Mehrteiler wie der herrschenden gesellschaftlichen Verhålt- EdgarReitz' Heimat oder die Doku-Fiktio- nisse oder die Rettung aus ihnen vom Film nen von HeinrichBreloer beispielsweise. befçrchtet respektive erhofft.Weder die Un- tergangszenarien der Kinoreformer,die im Unterscheidbarsind Filme durchein Ange- KaiserreichSittenverderbnis und politische bot anSchauwerten,die auf dem Bildschirm Subversion vom so jungen und so machtvoll nicht adåquatzugenieûen sind ±dasist die wirkenden Film drohen sahen,nochdie Attraktion der meisten Groûproduktionen. Hoffnungen der linken Intelligenz der zwan- Oder mansetzt auf eine experimentelle Qua- ziger Jahre,er kænne als Beschleuniger der litåt,die sichimFernsehen erst dann vermit- Umwålzung wirken,finden heute Nachhall. teln låsst,wenn sie im Kino reçssierte,wie

4APuZ44/2005 dasfçrdie dånischen ¹Dogma-Filmeª galt, Verwertungsstrategie des Produktes Film ra- die technischtatsåchlichsounspektakulårda- dikalisieren.Sie zielt bei den ¹Blockbusternª, herkamen,dass sie als ursprçngliche Fernseh- also den mit hohem Budget in Erwartung rie- produktionen kaum denkbarwåren,dafçr siger Gewinne produzierten Groûproduktio- aber mit Geschichten aufwarten konnten,die nen ™la StarWars, Titanic , Der Herr der Ringe im ersten Moment nicht TV-gerecht schienen. oder JurassicPark zunåchst vor allem auf ein Entscheidend ist offenbar,dass die Produkte jugendliches Publikum und erst danachauf entweder als ¹groûªoder als ¹neuª einge- den DVD-Markt und die Fernsehauswertung. schåtzt werden kænnen ±also wie Ûberbie- Insofern ist dasKino wie nie zuvor von den tungen bisheriger Spektakel (daszeigte sich Teens und Twens abhångig ±eine Entwick- vor allem beim Action-Film)oder wie Ent- lung,die bei ausbleibendem Erfolg der geplan- deckungen des Unbekannten (worauf nicht ten Kassenschlager finanzielle Probleme fçr zuletzt die internationalen Erfolge des asiati- die Studios nachsichzieht.Dies ist im Frçh- schen Kinos zurçckzufçhren sind). jahr und Sommer dieses Jahres eingetreten und bereitet Hollywood Sorge.Eine Indu- Selbst in Bezug auf die Reichweitenverluste strie,die den Groûteil ihrer Kinoeinnahmen hatder Film eine Art Kompensation erreicht, mit einer Hand voll Filme und innerhalbwe- die im Wesentlichen durchDiversifikation niger Wochen nachderen Urauffçhrung er- und Verlagerungen im Vertrieberzielt wurde. zielt,ist von diesen wenigen und teuren Titeln Sie verwandeln daseinheitliche System von deutlichabhångiger als jene Industrie der Ver- Produktion und Kinoauswertung,bis in die gangenheit,die mit geringeren Produktions- fçnfziger Jahre die einzige Basis des Mediums kosten,långerer Auswertung und breiteren und in den Jahrzehnten danachweiterhin eine Publikumsschichten rechnete.Mæglicherwei- bedeutende Stçtze seines Erfolgs,in eine von se ist Soderberghs Vision ein Weg zur Rçckge- mehreren Varianten.Dies vollzieht sicheiner- winnung breiterer Publikumsschichten bei er- seits als Maûnahme der Industrie,andererseits neut verkçrzter Auswertungsdauer. weit unterhalbdieses Niveaus. Sie stellt zudemdie reale Konsumsituation Amerikanische Studios zielen mit ihren vonFilmeninden Mittelpunkt einerstrategi- Groûproduktionen heute von Beginn anund schenÛberlegung.Die Filmindustrie hatdurch mit andauerndem Erfolg auf einen weltweiten dieDiversifikation derAuswertungseine Stel- Markt.Wasfçrdie Filmindustrie anderer lung innerhalbdeskulturindustriellen Zusam- Lånder undenkbarwåre,wurde in Holly- menhangsdurchaus halten kænnen.Dabei ver- wood vor kurzem praktiziert:der Start einer åndertdie Tatsache,dass Filme ihrPublikum Prestige-Produktion in allen groûen Verleih- tendenziellnicht mehr primårimKinofinden mårkten amgleichen Tag.Steven Spielbergs (sondernauchvor demFernsehapparatals Ab- Krieg der Welten ist aus diesem Grund ein spielbasisvon DVDs), auchdasPublikum Markstein der Filmgeschichte,seine Platzie- selbst.WennKracauerdie Beziehung des¹Kol- rung ging ganz offenbarvon der Vorausset- lektivproduktesª zum¹Massenpublikumª ins zung und zugleichder Sicherheit aus,dieses Augefasste,dann warletzteres in jederRezep- eine Produkt lasse sichanjedem Punkt der tionssituation auchtatsåchlichals ¹Masseª vor- Welt mit gleicher Erfolgsaussicht andasPu- handen undversammelt.DasKinorichtet sich blikum bringen.Nur Hollywood verfçgt anviele,es produziert eingemeinsamesRezep- çber diese Sicherheit,und selbst Hollywood tionserlebnis.Dagegenerfolgt dieRezeption wåre ohne den Nimbus Spielbergs nicht so derDVDindividuell,derRaum derFilmwahr- schnell auf dasWagnis verfallen. nehmungist andersstrukturiert.Dasist ent- scheidenderals dietechnische Entwicklung Øhnliche Plåne zur gleichzeitigen und welt- selbst.Sie strebtzueiner Art Heim-Kino,in weiten Pråsentation magesmomentannicht demdie Ton-(Surround-Sound in HiFi-Quali- geben.Dochder Regisseur Steven Soderbergh tåt)undauchdie Bildqualitåt(çber græûere mæchte seine nåchsten Filme wenigstens in Flachbildschirmebzw.durchBeamer)annåhe- den USAgleichzeitig in Kinos und auf DVD rungsweise dieQualitåtder Kinoprojektion herausbringen.Daszielt auf die Schaffung nachahmen. eines Events,dasquasi zeitgleichein sonst çber Monate akkumuliertes Publikum er- Angesichts dieser Entwicklung muss man reicht,und wçrde die durchaus erfolgreiche von unterschiedlichen,wenn auchjeweils

APuZ44/2005 5 technischhochwertigen Rezeptionssituatio- bestimmten Wahlkampfes und wåre in kei- nen ausgehen.ImSystem Film/Kino hatsich nem Programm eines der groûen US- seit dem Ende der Schachtelkinos der siebzi- Fernsehsender unterzubringen gewesen.Er ger Jahre mit den ¹Multiplexenª ein Standard warsozusagen die im Internet reçssierende durchgesetzt,der den Zuschauern eine im Ver- Variante von Michael Moores Filmen. gleichzuden Maûen der Såle weitaus græûere Leinwand bot als je zuvor ±¹size mattersª, Andererseits bietet sichdieser Vertriebs- nicht nur in der Produktion,auchinder Dis- weg auchfçrsogenannte kleine Produktio- tribution.Nun kann auchdasFilmerlebnis nen an,denen der Weg ins Kino versperrt ist, Zuhause von entscheidenden Verbesserungen nicht zuletzt durchdie in Hunderten von Ko- profitieren.Als kommende Hierarchie deutet pien gestarteten Groûproduktionen,aber sichan:3D-Filme im IMAXfçrdie Spezialin- auchdurchdie hohen Kosten fçrdie Herstel- teressen,dasKino fçrdasgemeinsame Erleb- lung von Filmkopien.Fçrdieses Problem nis,die DVD-Projektion als alltåglicher Ge- stellt neuerdings die Ausrçstung von Kinos nuss.Mit Soderberghs Vorhaben,wenn es mit qualitativ recht hochwertigen Beamern denn realisiert wird,wçrde sichschlieûlichein eine andere Læsung bereit.Fçrein spezielles in sichdifferenziertes Publikum versammeln, Publikumssegment ist mit der Initiative ¹deli- dasinwechselnden Rezeptionssituationen catessen ±Kino Kultur digitalª eine Abspiel- den selben Film annåhernd zur selben Zeit form gefunden worden,die nachihrem sehen wçrde.Eswåre die moderne Entspre- Selbstverståndnis vor allem Dokumentarfilme chung zum Kracauer'schen Massenpublikum und innovative Werke in bislang etwa50 ±nåmlicheines,dasdie Rezeptionsbedingun- deutsche Kinos bringt.Europaweit vernetzt, gen selbst wåhlt.Ob dasgemeinsame Erlebnis, deutet sichhier eine Mæglichkeit an,unab- dasSehen des Films im Kreis der Familie oder hångig produzierten Filmen wieder ein Kino- der individuelle Konsum bevorzugt wird, publikum zu verschaffen.Die Entwicklung kænnte dann jeder von Fall zu Fall entschei- ist durchaus zu begrçûen.Immerhin werden den.Eswåre aucheine Entscheidung çber die heute gerade Dokumentarfilme international gewçnschte Intensitåtder Schauwerte.Die tatsåchlichfast ausschlieûlichdigitalgedreht, Mæglichkeit,dass sichdiese gegençber der werden unabhångige Filme zum Beispiel aus Handlung verselbståndigen,ist jaeine Stårke Chinaschon seit Jahren nicht mehr als 35- des Films.Amschwåchsten ausgeprågt wird mm-Produktionen realisiert,ist die innovati- sie auf långere Sicht beim Sehen des Produktes ve Szene in allen Låndern aus finanziellen in der Fernsehausstrahlung bleiben. und pragmatischen Grçnden auf diese Pro- duktionsweise eingestellt.

Der andere Weg Auf långere Sicht deutet sichalso eine neue Ausdifferenzierung der Arten der Filmprå- Neben solchen nur fçrgroûeKapitalgesell- sentation an.Eswird,hoffentlich,auchwei- schaften zur Vision taugenden Plånen ent- terhin kommunale Kinos und Kinematheken wickeln sichzeitgleichneue Vertriebswege, geben,in denen die alten Werke in ihrem an- die teilweise sogarganz auf dasKino verzich- gestammten Formatprojiziert werden.Zu- ten.Zum ersten Malist es heute mæglich, gleichkænnte dasKino sichden vermeintli- Filme erfolgreichçber die ausschlieûliche chen Auûenseitern (ungewohnt in der Form, Auswertung als DVDoder im Internet zu aus ¹fremdenª Kinematographien stammend) vertreiben. widmen.Die groûen Produktionen aber,der ¹mainstreamª,wird mæglicherweise nochdo- Genutzt wird dies einerseits fçrtypische minanter pråsent und in allen Konsumformen Formen der Gegenæffentlichkeit. Outfoxed zeitgleichverfçgbarsein.Dann wåre Film von Robert Greenwald,ein mitten im letzten alles andere als anachronistischund forderte amerikanischen Wahlkampf veræffentlichter erneut die Analyse seiner åsthetischen und Film çber den nur vermeintlichunpartei- gesellschaftlichen Relevanz heraus.Sie mçsste ischen Fernsehsender Fox News,wurde zu- dafçrallerdings die Konsumentenentschei- nåchst viaInternet als DVDvertrieben,bis dung und die Medienkompetenz des Publi- der Erfolg dann aucheinen Kinostart nahe- kums in Rechnung stellen. legte.Dieser Film verstand sichals Gegenre- aktion innerhalbeines von den Medien mit-

6APuZ44/2005 Georg Seeûlen Esist eine Sache,obdasHerz mit dem Pfeil eigentlichein weibliches und ein månn- u liches Geschlechtsorganbedeutet,und eine ganz andere,obes Michael Douglasund Sha- Die L a st ron Stone in BasicInstinct vor der Filmkame- ra¹richtigª miteinander getrieben haben. des Sehens Zum einen heiûtdas:Nicht dasGemeinte, sondern die Art des Meinens ist der Skandal, und zum anderen:Nicht der sexuelle Vor- gang,sondern die Einbindung des Subjekts in ihn birgt dasProblem.Esbesteht darin,dass eit wir uns des Blickes gewahr sind,gibt sowohl das¹Authentischeª fçrsich±sei es S es die Frage nachdem Verbot.Jemand hat der Einkaufskorbdes Nachbarn ±als auch etwasgesehen,dasernicht sehen durfte,so dasVerbotene ±sei es dasSchaufenster eines fangen alle tragischen Mythen an±und ihre Video-Geschåfts ±den Blickzugleichmit grotesken Ableitungen ohnehin.Seit es Bilder Lust und mit Schamauflådt.Dass es Sexuali- gibt,gibtesdie Frage,wassie zeigen dçrfen tåtgibt,ist kein Geheimnis,dass sie sichkon- und wasnicht.Und seitdem gibtesauchein kretisiert in Menschen,die wir kennen,sehr Spiel mit der Ûberschreitung von Grenzen, wohl.Die pornografische Ur-Szene im bçr- mit der offenbargrenzenlosen Neugier des gerlichen Abendland ist der Blickdurchs Blicks.Eine Gesellschaft,so kænnte mansehr Schlçsselloch,wo dasKind den Eltern,die vereinfacht sagen,ist eine Gemeinschaft von Dienerin der Herrschaft,der Landstreicher Menschen,die sichdarçber verståndigt,was den Bçrgern bei ihrem Treiben zusah.Esist gesehen und gezeigt die Verletzung eines sexuellen Machtraumes, Georg Seeûlen wird,wasverborgen und immer bleibtdadieser Reiz des Verbote- geb.1948; Filmkritiker und bleiben soll,und wel- nen,der paradoxe Reiz auch,sichgerade freier Journalist,Unter dem che Ausnahmen es durchdiese visuelle Tabu-Verletzung wieder Berg 23,87600 Kaufbeuren. gibt.Macht flieûtauf in den Zustand kindlicher,nein,nicht Un- [email protected] diese Weise durchdie schuld,aber Offenheit zurçckzuversetzen. Bilder. DasKino hatzahllose Quellen,eine davon ist sicher dieser Blickdurchs Schlçsselloch. Jedes Verbrechen,jeder Wahn,jeder Um- Durcheine Kamerasind wir immer dort,wo sturz beginnt mit einer Verånderung von Zei- wir eigentlichnicht sein sollten,im Zentrum gen und Sehen.Ineiner Mediengesellschaft, der Gewalt,in der ausschlieûenden Intimitåt als die wir uns selber ein bisschen kokett und der Liebenden,im Labor des verrçckten Wis- gedankenlos definieren,verschiebtsichder senschaftlers oder im Gefångnis fçrwilde Schwerpunkt dieses Diskurses zunåchst vom Tiere oder sehr bæse Menschen.Die Kamera Kærper auf dastechnischreproduzierte Bild, ist dasSchlçssellochder Mediengesellschaft und dann vom Abbild auf die Fiktion.Wasist (und in der Tatscheint es mittlerweile den in der Úffentlichkeit ¹schicklichª,wasinder Blickdurchs Schlçssellochnicht mehr ohne Fernseh-Inszenierung?Und wasist schick- eine elektronische Verstårkung zu geben)± lichfçrein vollkommen kçnstliches Wesen, allerdings nicht als heimliches,sondern als in sagen wir Bart Simpson oder LaraCroft?An- einer åsthetischen Úkonomie mehr oder we- ders gesagt:Inden Diskurs des Verbotenen niger abgekartetes Spiel. und des Erlaubten,der Gier und der Bannung des Blicks,schiebtsichimmer mehr eine Eine Kinogeschichtedes schuldigen dritte Græûe,ein Bezugspunkt,der den mora- lischen oder zivilisationsgeschichtlichen Kon- Vergnçgens flikt çberschreitet:die Frage nachder Au- thentizitåt.Anein Bild wird nun neben die Das¹schuldige Vergnçgenª des Kinos liegt Fragen:Ist es legitim?Oder ist es eine nicht nur in den verbotenen Objekten der vi- Schweinerei?(Iknow it when Isee it,wardie suellen Neugier,es liegt in diesem Blicksel- berçhmte Antwort eines amerikanischen ber,der,wenn er es allzu toll treibt,von der Richters auf die Frage,wasdenn eigentlich moralischen Kritik mit dem expliziten Begriff ¹pornografischª sei)eine dritte Frage gestellt: ¹Schlçssellochperspektiveª belegt wird.Eine Ist es echt? andere zu finden,ist indes sehr schwer,und

APuZ44/2005 7 den wenigen,denen es je im Kino gelungen eine VorliebefçrMaskeraden,und die Neu- ist,liefen in der Regel die Zuschauer weg. gier auf dassexuelle Geschehen geht einher Gleichwohl gibtesauchdiese Utopie im mit einem Desinteresse anden individuellen Film:sehen,ohne ¹Voyeurª zu sein. Zçgen der Darsteller.Als der pornografische Film Deep Throat 1972 zum Signalfçreinen Der fotografische und dann vor allem der ungeahnten Boom und eine bis dahin unmæg- kinematografische Skandalliegt in der Semio- liche Akzeptanz wurde,geschahesauchmit tik des Lichtbildes.Signifikant und Signifikat der Aussage,dass die pornografische Aktion sind einander gleichoder wenigstens zum nun auchein Gesicht habe.Solange hatte es Verwechseln åhnlich.Die ¹Echtheitª ist ein gedauert,bis in der Repråsentationsform des Wesen des Kinos (und natçrlichsein græûter verbotenen,pornografischen Films der kon- Schwindel). Eine Teetasse wird durcheine krete,reale Menschgesehen werden konnte Teetasse dargestellt,ein Gewehr durchein (nicht nur im deutschen Aufklårungsfilm Gewehr (wenn auchnicht mit echten Ku- wurde dasreale Menschenpaarinden ent- geln), ein menschlicher Kærper durcheinen scheidenden Einstellungen durchGlieder- menschlichen Kærper,und anders als im puppen ersetzt). Theater,dessen Bretter bekanntlichdie Welt bedeuten,sind die Zeichen,Objekte und Eine Abblende sagt im Film dasGegenteil Kærper vor der Kamerazur Umwelt offen. von einem fallenden Vorhang im Theater:Die Im Off begegnen sichKino-Welt und wirkli- Handlung geht so weiter,nur wird es jetzt che Welt,die Leinwand ist keine Grenze von entweder trivialoder es wird verboten.Vor Zeit und Raum.Kein Wunder also,dass das diesem letzten Schritt wichdasklassische Kino im sexuell-moralischen Diskurs eine an- Kino in Repråsentationsformen aus,die ei- dere Rolle spielt als der Romanoder die Illus- gentlichvor seiner eigenen Sprache liegen: tration.Der Roman Josefine Mutzenbacher Ein Geschlechtsverkehr wird durcheinen ist unter gewissen Auflagen einer,nun ja,auf- Kuss und einen Kameraschwenk auf ein lo- geklårten Gesellschaft zuzumuten,unter vie- derndes Kaminfeuer dargestellt ±ein doppel- lem anderen,weil es sichwohl sprachlichge- ter Verrat,wenn mansowill,zunåchst ander sehen um ein Kunstwerk handelt.Eine di- lçsternen intimen Zeugenschaft des Schlçssel- rekte Verfilmung dieses Textes aber ist so lochblicks und zugleichander åuûeren Wirk- undenkbarwie eine Verfilmung der famosen lichkeit,die andie Geheimsprache des Sym- Texte des Marquis de Sade.Phantasie und bols verraten wird.Die Kunst der ¹klassi- Wirklichkeit sind sichoffensichtlich,wasdas schenª Erzåhlweise des Kinos,vor allem Kino anbelangt,sowohl semiotischals auch natçrlichimGenrekino aus Hollywood,be- in der kulturellen Praxis sehr nahe (im Spa- steht offensichtlichdarin,stets exakt jenen nien der Franco-Zeit gab es keine Kçsse auf Punkt zu treffen,wo die Lust des Sehens zur der Leinwand,Månner und Frauen wurden Schamdes Blicks zu werden droht.Und um- wie in der Kirche getrennt,und eine dåmmri- gekehrt besteht die Kunst des verbotenen ges,rotes Licht sollte zusåtzlichdafçrsorgen, Films darin,die Scham(die nochlange nicht dass im Zuschauerraum nichts Anstæûiges ge- verschwunden ist,auchwenn mansicheine schah±mehr konnte manwirklichnicht tun, Pornokassette bei Beate Uhse geholt hat)ab- um die Phantasie gerade mit dem aufzuhei- und umzulenken,zum Beispiel in dasGelåch- zen,wasmangebannt zu haben meinte). ter çber einen schamhaften Versager,oder durcheines der ¹Objekteª der Begierde,die Natçrlichgab es von Anbeginn der Film- den Zuschauer ausdrçcklichzum Sehen einla- geschichte aucheinen Zweig der verbotenen den:Wasineiner traditionellen Kino-Erzåh- Filme,die entweder in den Bordellen oder lung strikt verboten ist,nåmlichder Blick Rotlichtbezirken angeboten wurden,oder in eines Akteurs in die Kameraund damit ins Analogie zu ¹Privatdruckenª oder ¹Privat- Publikum hinein,ist im pornografischen Film theaternª einer reichen Klientel zugånglich sogareine Standardeinstellung:die Illusion waren,die sichauchdasSchweigen darçber der Úffnung des Bildraumes,die Illusion des erkaufen konnte.Aber selbst in diesem Be- Zuschauers,vom Voyeur,der amfalschen Ort reichgibtesGrenzen der Darstellung,die das ist,zum aktiven Gast zu werden. Filmische selber erzeugt.Frçhe Pornofilme zum Beispiel læsen in der Mehrzahl ihre WåhrendsichalsoimVerlauf derKinoge- Spannungen in komischen Szenen auf,es gibt schichteder pornografische Filmeineeigene

8APuZ44/2005 Grammatik,eine eigene Erzåhlweiseangeeig- Ehrlichist dieses Spiel auchjetzt nicht, nethat(Einstellungsfolgen,diesoregelhaft deshalbspielen es amschænsten jene,die es sind wiedie einesShowdowns im Western), mit Eleganz,Ironie und Suspense aufladen. reichertesichdasMainstream-Kinomit Sym- Von Ernst Lubitschbis Alfred Hitchcockver- bolen anund entwickelteeineSprache der låuft eine Linie der Tåuschungen und Ent- Konnotationen.Øhnlichverråterischwie die Tåuschungen,aus der semiotischen Falle symbolische Einstellung (bei Hitchcockschon kommt dasKino nur,wo es sichselbst zum im Stadium derIronie±et wain denEinstellun- Themawird und wo die Verhåltnisse der genauf denZug,derinden Tunnelfåhrtoder Schuld zwischen Blickund Bild in Frage ge- dieFontåne einesSpringbrunnens,im Dusch- stellt werden:Lubitschdçpiert unsere Erwar- mord von Psycho aber auchschonimStadium tungen und erzåhlt eine Wahrheit,wo wir einer¹manieristischenª Ûberfçllung)istjene eine Lçge erwarten,und zeigt nochdasIndi- Art dermittleren Sexualisierung:Nie gibtes rekte so indirekt,dass es seine geheime Be- eine AufnahmewirklicherNacktheit,aber auf deutung nur umso deutlicher ausplaudert. deranderen Seite bewegen sichdie Protagonis- Und Hitchcockmacht den Zuschauer zum teninihrem Alltag,der,zugegebenermaûen, Mitschuldigen,denunziert seinen Voyeuris- abenteuerlicherals derunsereseinmag,in einer mus,nimmt die Symbole beim Wort.Sexuali- erotischaufgeladenenKleidung,undsie tun tåtkommt in der Form eines surrealistischen auchnochso,als merktensie es nicht. Vexierbildes,sozusagen als åsthetische Ûber- hæhung und zugleichVerweigerung der Psy- Aus solchen abgekarteten Spielen zwischen choanalyse,von der Leinwand zurçck. Bild und Blickentsteht also eine zweite sexu- elle Sprache des Filmischen,die manebenso Aber diese Art der sophistication war schnell zu lernen imstande ist,wie manlernt, immer nur die eine Art,mit dem erotischen wasein Schnitt zwischen zwei Schauplåtzen Spiel von Blickund Bild umzugehen.Esgab bedeutet oder wie eine Rçckblende funktio- stets auchFilmemacher,die es radikaler niert.DasKino hatein ¹Unterbewusstseinª, durchbrachen.Einmal,indem sie sichçber dassichinmehrdeutigen Zeichen ausdrçckt. die Zensur hinwegsetzten:IngmarBergmans Die Krisen des Kinos entstammen nicht allein Film DasSchweigen ist ebenso definitiv skan- der Provokation durchjenes Angebot der dalæs(in seiner Zeit), wie er nicht dasGe- ¹anderen Seiteª,dasbehauptet,alle Tråume ringste mit ¹Pornografieª zu tun hat(obwohl ¹zu erfçllenª,sondern auchdadurch,dass der Film wiederum Anlass und Signalfçr dieses Unterbewusste ±wie im richtigen eine Ausweitung des Spielraums des eroti- Leben ±sichimmer wieder åuûert,durch schen Films werden sollte). Aus kçnstleri- Fehlleistungen etwa,aber auchdurcheinen schen Grçnden tun es die einen,aus kommer- Drang,es zu ¹erforschenª. ziellen die anderen,und dochveråndern beide in einer denkwçrdigen Dialektik die Inden sechziger Jahren erlebte dasKino ¹Spracheª des Films.Mankann wohl sagen, seine Phase der Psychoanalyse.Die Schau- dass es hier eine mehr oder weniger lineare spieler,die aus dem ¹actor'sstudioª zum Verånderung des Codes gibt:Wenn in einer Film kamen,Marlon Brando,James Dean Filmkultur einmaldasexplizite Bild andie oder Montgomery Clift,pråsentierten eine Stelle der symbolischen Repråsentation getre- andere Form der Darstellung,eine Durchlås- ten ist,dann gibtessoleicht kein Zurçck sigkeit des Blicks auf die Kærper-Seele-Ein- mehr.Denn wasauf der einen Seite das heit.Dies warein weiterer Schritt vom ¹Hel- ¹skandalæseª Bild ist,dasist auf der anderen denª zum ¹wirklichen Menschenª auf der Seite das¹verlogeneª Bild. Leinwand,den çbrigens månnliche Darsteller bemerkenswerterweise radikaler,wenn man Aber es gab und gibtimmer auchradikale so will:exhibitionistischer gehen konnten als Filmemacher,die sichganz einfachweigern, weibliche.Der Mensch,der nicht mehr einen den intimen Bereichdes anderen Menschen, Typus,sondern eher einen ¹Fallª darstellt, fiktiv oder real,mit der Kamerazu betreten. zieht auchden Blickder Lust ganz anders auf Sie filmen aus einer Distanz,die die ge- sich.Inden psychologischen Filmen wird schlossene Tçrrespektiert.Und sie çberset- daher die Sexualitåteines Menschen in der zen dasSexuelle auchnicht in daswohlfeile Form einer Passion dargestellt;es ist sein Lei- Symbol,sondern vertrauen auf die biografi- den,sein Scheitern,seine Strafe,sein Opfer. sche Wahrheit in der Geschichte.Dem Men-

APuZ44/2005 9 schen bei der Arbeit (ansichselbst)zusehen, bæse,nebenbei gesagt). Ganz åhnlichverhålt hatder deutsche Regisseur ChristianPetzold es sichzum Beispiel mit der Darstellung eines dasgenannt.Die Neugier nicht auf den Kær- Geschlechtsverkehrs.Ein echter Geschlechts- per,als sexuelles Zeichen oder als leidendes verkehr kann nur in einem dezidiert anti-ero- Subjekt,sondern auf dasLebenskonzept tischen Film gezeigt werden.Mankænnte das eines Menschen richten,damit erzåhlen Pornografie nennen,ebenso aber gibtes Filme (von Robert Bresson oder von Eric Filme,die von der Trostlosigkeit des Lebens Rohmer etwa)in der Tatvollkommen anti- sprechen und dabei die Bilder von Lust und pornografisch. Gewalt als Belege benutzen.Entscheidender ist,dass es jenseits dieser Schwelle nichts Mankann sichanscheinend keine unter- mehr geben kann,wasman¹Spielfilmª nen- schiedlicheren Einstellungen des Filmema- nen dçrfte:Der Einbruchdes Wirklichen ver- chens vorstellen,als diese:Alles zeigen,was letzt den Code. es zu sehen gibt,oder nichts zeigen,wasnicht im offenen kulturellen Code des Menschen Wir setzen den Vertreter oder die Vertrete- zum Selbstausdruckkommt.Aber von den rin dieser These auf die rechte Seite des De- Kompromissen der Mainstream-Erzåhlweise battier-Tisches.Denn wir haben es uns ange- sind beide gleichweit entfernt,und sie sind wæhnt,den moralischen Vorbehalt gegen Bil- sichgleichdarin,dass es kein Schlçsselloch der des realen,materiellen und kærperlichen mehr gibt.Entweder die Tçrist zu oder sie Menschenlebens auchinder politischen Me- ist offen. taphorik eher auf die rechte Seite zu verorten ±auchwenn es dahistorischebenso wie phi- losophischZweifel geben mag. Ein moralisches Zwiegespråch Auf der linken Seite nimmt eine Vertreterin Wenn es einen scholastischen Disput çber die oder ein Vertreter einer nicht minder radika- Sexualitåtund ihr Bild gåbe,dann kænnte len These Platz: Alles,waszur menschlichen mansichauf der einen Seite diese radikale Wirklichkeit gehært,muss dasKino auchzei- These vorstellen: Esgibtgewisse dramatische gen ± denn es ist dasMedium,dassicheben Geschehnisse im Menschenleben,die sichfçr ¹der Errettung der åuûeren Wirklichkeitª eine direkte visuelle Wiedergabenicht eignen verschrieben habe,aber eben auchder Erfor- ± schon garnicht in einem so realistischen schung der inneren und åuûeren Råume,der Medium wie dem Kino,bei dem sichSignifi- Erforschung des Wçnschens und des Fçrch- katund Signifikant so åhnlichsind,dass zur tens selbst.Daverhalte sichdasKino nicht Herstellung eines Bildes stets eine ¹verwand- anders als der Kopf eines Menschen:Wasun- teª Realitåtbenætigt wird.Der Blickeiner ausgesprochen und unabgebildet bleibe,das Kamerasei so isoliert und ¹starrª,dass durch kehre in monstræser und gespenstischer Form sie jedes Bild der menschlichen Intimitåtein zurçck.Ist nicht im Riesenaffen King Kong falsches Bild wird.Zudiesen Dingen gehær- so sehr wie im gepanzerten Einzelkåmpfer ten der Tod,die Geburt,der Glaubeund eben die als Gewaltkrankheit zurçckkehrende Ge- auchdie Sexualitåt.Denn unabhångig von stalt der verdrångten Sexualitåtsichtbar? moralisch-pådagogischen Ûberlegungen,die Wird nicht jedes Abbildungsverbot dasAbge- sichdem Zeitgeist und der politisch-ækono- bildete von seiner Natur entfernen,die am mischen Lage einer Gesellschaft anschmiegen Ende nun einmalstets aus nacktem Begehren mçssen,durchbråchen diese direkten Darstel- bestehe?Sexualitåt,wie der Tod,wie die Ge- lungen die åsthetische Verabredung der foto- burt,wie der Glaube,mçsse abgebildet wer- grafischen und der kinematografischen Re- den,weil es daist,und wçrde mandies nur pråsentation.Sowie es jaauchein Missver- ehrlichtun,als Teil und nicht als Einziges,als ståndnis sei,etwadarin einen Fortschritt zu Gesehenes und nicht als Angestarrtes,dann sehen,dass ein Indianer in einem Western wåre dieses kinematografische Bild der Se- von einem ¹echtenª Indianer dargestellt wird. xualitåtdasgenaue Gegenteil jener Pornogra- InWahrheit kænne nur in einem Anti-Wes- fie,die in Wahrheit jaimmer nur dasandere tern ein Indianer durcheinen echten Indianer des Verbotes sein kænne:der Blickdes Men- dargestellt werden,denn es sei jadasWesen schen,der vor dem Schlçssellochverharre,in eines Western,dass darin keine echten,son- einem Augenblick,in dem Lust und Angst dern Traumindianer vorkommen (gute wie gerade gleichgroûseien.

10 APuZ44/2005 Die Zuschauer dieser Debatte kænnen sich ablesen.Denn gleichgçltig,welchem unserer durchaus auf eine spannende Auseinanderset- Kontrahenten wir folgen,beider Blickist in zung freuen.Kann sicheine dieser radikalen eine gleichsambesinnungslos pornografisierte Thesen durchsetzen,oder ist jede von ihnen, Welt gerichtet.Allerdings hatsichein Kreis- konsequent angewendet,dasProgramm einer lauf geschlossen:Dassexuelle Bild wird nicht visuellen Tyrannei,Blickverbot oder Blick- mehr durchseine Authentizitåtbegrenzt, zwang?Wird mansichinder Praxis auf einen sondern umgekehrt,dasAuthentische wird Kompromiss einigen,mit dem Nachteil,dass durchdasPornografische belegt.DasFern- solche Kompromisse sichdem Diskurs ent- seh-und in gewissem MaûeauchdasFilmbild ziehen,und sie dem freien Spiel der Kråfte zeigt in seiner Ûberschreitung der Grenze von Politik,Gesellschaft und Wirtschaft der Intimitåt(nicht mehr als Skandal,nicht çberlassen?Erlaubtist,wasnicht verboten mehr als Porno-Inszenierung,nicht mehr als ist,erlaubtist,wasdem Markt dient,erlaubt kçnstlerische Aktion,sondern als medialer ist,worauf sichdie Gesellschaft einigen kann, Normalfall)sichselbst als real.Die Bild- erlaubtist,wasimFernsehprogramm ge- elemente des Wirklichen und die des Artifi- sendet wird und wasinder ¹Bildª-Zeitung ziellen,reale Darstellung und computergene- steht. rierte Visionen beispielsweise,vermischen sichzusehends zu einer vællig neuen Bilder- Unsere beiden Kontrahenten oder Kontra- sprache.Der Blickder Lust ¹klebtª vielleicht hentinnen werden sichvermutlichineinem nochander alten Schlçssellochperspektive, Punkt einig sein:Der pragmatische,histori- aber allmåhlichrichtet er sichauf zwei sche Umgang mit dem technischreproduzier- Dinge,die ¹authentischerª sind als jede sexu- ten Bewegungsbild des Intimen,des Kærper- elle Inszenierung:die Formung des Kærpers lichen und des Begehrens ist die eine Sache. (eine Art æffentliche ¹Arbeitª ander Erschei- Eine zweite Sache ist es,wie sichder Kampf nung eines Menschen)und,dasGegenteil, um Freigabe,Duldung,Færderung oder For- Zersetzung,Zerstærung und Verfall. mung dieser Bilder in andere moralisch- åsthetische Diskurse einschreiben låsst.Man Die beiden ¹sexuellenª Ideale der neuen kann Politik damit machen,und mankann Bildersprache also sind erstens der Mensch, spirituelle und religiæse Systeme damit unter- der sichvon einer Schænheitsoperation zur fçttern.Ingewissen Zeiten kann mandamit anderen neu erfindet (der seine sexuellen Zei- einen Bild-Diskurs çber die Schamlosigkeit chen,die Lippen,den Busen,den Poetc.bis und die Sçnde des Blicks austragen:Wenn zur Karikatur aufblasen låsst,der Mensch, mein Religionslehrer Recht hat,dann komme der sein Geschlecht wechselt,der Mensch, ichschon allein wegen einer Anzahl von Fil- der sichselbst wie ein Objekt der Begierde men,die ichgesehen habe,so schnell garan- ansieht,in endloser narzisstischer Spiegelung) tiert nicht in den Himmel.Mankann Macht- und zweitens dasMonster,der Zombie,dem systeme damit stabilisieren (jede Diktatur dasFleischvom Gesicht fållt (die schæne Lei- verfolgt zugleichden politischen Widerstand che in der Tatort-Folge,der manGliedmaûen und die ¹obszænen Bilderª,und es liegt in abgeschnitten hatoder zu einem grotesken ihrem Interesse,die Grenzen zwischen politi- Kunstwerk drapiert wurde,dasMischwesen scher und sexueller Zensur zu verwischen). zwischen Lust und Alptraum). Spåtestens Vor allem aber,und darin steckt die Motorik hier mægen unsere Kontrahenten resignieren. der Bilderproduktion,gibtesnichts,wassich Wie soll ein lustvoller Blickdenn çberhaupt besser ¹verkaufenª låsst.Eben weil es Lust nochbeschaffen sein,wenn der meta-porno- und Schamzugleichbedeutet,kann manbeim grafische Blickschon långst bei der Darm- sexuellen Bild so wenig einfachwegschauen spiegelung oder beim Talk-Show-Auftritt des wie bei einem Signalder Gefahr oder der Ge- Serienmærders angelangt ist?Hatnicht die walt.Daher ist es eine aussichtslose Sache, Wirklichkeit unserer Bilder-Produktion jeden eine moralische Kritik des Bildes zu begrçn- moralischen Diskurs adabsurdum gefçhrt? den,die nicht zugleicheine Kritik der Úko- Ist nicht jedes Bild in einer vollkommen un- nomie wåre. kontrollierbaren Bewegung begriffen?

Umgekehrt låsst sichwomæglichanden Oder ist es dochnur schwieriger gewor- Stadien der ¹Pornografisierungª der medialen den,eine theoretische und gerade darum Bilder der Zustand der politischen Úkonomie praktische Læsung fçrein Ur-Dilemmader

APuZ44/2005 11 Bilder zu finden?Denn unsere beiden Kon- gen Såtzen zu schreiben:Seit den siebziger trahenten befinden sichineinem zweidimen- Jahren geriet daspornografische Filmbild aus sionalen Modell,in dem mansichvon ver- dem Bereicheiner extrem çbel beleumunde- låsslichen Linien und klaren Fronten leiten ten Subkultur durchdas,wasman¹sexuelle lassen kann.Die Wirklichkeit der Bilderpro- Revolutionª nannte,in den Bereichkulturel- duktion ist aber dreidimensional,mindestens. ler Akzeptanz.Fçreine Zeit waresinbçrger- Statt mit klaren Linien hatmaneseher mit lichen Kreisen sogarchic,Pornokinos auf- geflochtenen Båndern und statt mit klaren zusuchen.Wer es etwaszurçckhaltender Fronten eher mit unçbersichtlichem Gelånde mochte,begnçgte sichmit Emmanuelle oder, zu tun. wie teilweise hierzulande,mit Unterm Dirndl wirdgejodelt.Eine Reihe von Filmen,Ber- nardo Bertoluccis Der letzte Tango in Paris, Die Pornografie des Mainstreams NagisaOshimas ImReichder Sinne oder Pier Paolo Pasolinis Die 120 Tage von Seit es dasKino gibt,gibtesauchskandalæse Sodom,um sehr unterschiedliche Beispiele zu und pornografische Filme.Beides kann man nennen,nutzten die neue Freiheit fçreine sichgarnicht unterschiedlicher vorstellen: kçnstlerische Radikalitåt,fçrdie es bislang Der pornografische Film besetzt einen Raum, kein Vorbild gab.Aber zugleichwaren diese der von vornherein verboten oder zumindest Filme auchVorboten der Ernçchterung:Die geåchtet ist.Inunserer Gesellschaft zum Bei- sexuelle Revolution warpragmatischgelun- spiel ist ein pornografischer Film zwarnicht gen und utopischgescheitert. verboten,sieht manvon gewissen Transgres- sionen ab,die schon in ihrer Herstellung ver- Wåhrend sichdasKino,mçhsamhier und brecherischsind,wie etwaGewaltpornogra- dort,von der hellen wie von der ¹schwarzenª fie oder Kindesmissbrauch.Aber es ist etwas Pornografisierung der Gewalt wieder zu be- ganz anderes,obmansichvon der Nachbarin freien suchte,hatte sichdasPornografische beim Ausleihen eines Pornofilmes in der Vi- als umsatzstarkes Business,aber auchals se- deothek unseres Vertrauens erwischen lassen miotische Nebenwelt långst etabliert.Anders mæchte.Zwischen dem Erlaubten und dem als in den Zeiten der Verbote kann nun kein Verbotenen liegt also ein offensichtlichwu- Filmbild mehr vollståndig von der Mæglich- chernder Bereicheines Bilderkonsums,der keit des Pornografischen absehen.Umgekehrt zwarnicht mit Schuld,wohl aber nachwie begann eine Geschichte der gegenseitigen vor mit Schambelegt ist.Esliegt also im In- Durchdringung von Porno-Welt und Main- teresse aller Beteiligten,die Bildwelten dieses stream,zum Beispiel als personales Wandern merkwçrdigen Paralleluniversums nicht fahr- (nochFatih Akins Gegen die Wand læste låssig zu æffnen,die Verbindung mit dem einen Diskurs wegen der Vergangenheit der Mainstreamnicht zu kappen.Und jedes neue Hauptdarstellerin in pornografischen Filmen Medium wirbtmit einem zugleichgefahrlose- aus). ren und geschçtzteren Zugang zur nicht mehr staatlichverbotenen,aber in der sozialen Pra- Auchdasfrivole Leitmedium Fernsehen xis prekåren Ware. gefållt sichinFlirts mit dem Pornografischen und treibteine ganz eigene Form der Porno- Seit 1970 etwagibteseine mehr oder weni- grafisierung voran:Der MenschimFernsehen ger offene und offizielle Geschichte des por- muss sichentblæûen,gleichgçltig ober es auf nografischen Bildes und eine Geschichte des kærperliche oder auf seelische Weise tut,ober pornografischen Films,der,betrachtet man seine nackte Haut oder sein desastræses neuere Filme wie Boogie Nights oder Inside Leben offenbart.Nicht so sehr die Existenz Deep Throat mittlerweile bereits in den Sta- einer pornografischen Parallelkultur,sondern tus historischer Rçckschau,ja,der Nostalgie vielmehr die Pornografisierung der medialen getreten ist.Eswarschæn,als es noch Zentren setzt dem filmischen Dialog mit der ¹schmutzige Bilderª gab,weil sie bewiesen, Wirklichkeit zu.Inder Situation,in der wir dass es woanders Sauberkeit gab,und es war uns seit den neunziger Jahren befinden (nach- schæn,verbotene Bilder zu haben,weil das dem Videoboom,Privatfernsehen und Inter- bewies,dass Bilder Grenzen zueinander net neue Schçbeder långst unkontrollierba- haben.Die Geschichte des Einschreibens der ren und in gewisser Weise unheimlichen por- Pornografie in den Mainstreamist mit weni- nografischen Bilderstræme in Gang setzten)

12 APuZ44/2005 sprechen unsere beiden Kontrahenten in genbewegungen bedroht fçhlen,von einer ihrem Zwiegespråchineine verlorene Welt Form der Bild-Askese,wie sie,sagen wir,in hinein.DasPrinzip der geschlossenen Tçr den Filmen der ¹Berliner Schuleª zu finden trågt nicht mehr,weil die Bilder der Intimitåt ist,und von einer Radikalisierung der Kær- långst den æffentlichen Raum durchsetzen, per-Bilder,die nicht mehr im Namen der Be- dasPrinzip der offenen Tçrtrågt ebenfalls freiung,sondern in dem der Verzweiflung die nicht mehr,denn es ist nur um den Preis radi- letzten Grenzen çberschreitet.Wie aber soll kaler Negation in der Lage,sichvon der ge- es in dieser Situation nocheinen lustvollen wæhnlichen Pornografisierung abzusetzen, Blickgeben? wie etwain den Filmen von Bruno Dumont, dessen Blicke auf den Kærper und auf die Se- xualitåtvon tiefster Verzweiflung geprågt Die Utopie eines lustvollen Blickes sind,oder in den Filmen der dånischen Dogma -Regisseure,deren Kamerasnicht so Waszwischen den beiden radikalen Ansprç- sehr ¹hinsehenª als ¹nicht wegsehenª.Inder chen andasKino ±alles zu zeigen,wie es ist, Gesellschaft der Medialisierung aber lebt und alles in einem Zeichen-und Leerstellen- jeder Menschgleichsammit dem Schlçssel- System zu belassen ±geschieht,dasist die loch;sie leidet unter dem ¹Terror der Intimi- Geschichte von Blickund Bild des ¹reve exte- tåtª,wåhrend sie den æffentlichen Raum ver- rieurª,des åuûeren Tråumens im Kino:der liert. Diskurs.DasHin-und Hergehen zwischen den Argumenten mageine Reihe von Denkfi- Daspornografische Filmbild ist in der ex- guren,Legitimationen,Ausweichmanævern, pliziten Form in einer Sphåre æffentlicher Taxinomien hervorbringen.Einige davon loh- Duldung beschlossen,wåhrend sein mediales nen,weiter verfolgt zu werden: Echo gleichsamdurchalle Poren des Medien- Mainstreams dringt.Der skandalæse Film da- Die Verschwærung der Zeichen: Inseiner gegen will gerade dies nicht,in einem Bilder- Geschichte hatdasMedium eine Komplizen- Ghetto eingebunden sein,er will den gesell- schaft zwischen dem Film und seinem Zu- schaftlichen Konsens erreichen,stæren oder schauer hergestellt.Sie ist gegen die Zensur veråndern.Esscheint nur natçrlich,dass es in und gegen die allgemeinen Sitten gerichtet. der Situation allfålliger Pornografisierung Sie liegt in dem kleinen symbolischen Schau- kaum nochwirkliche Skandale geben kann. spiel,dasdasgroûesexuelle Dramaimitiert AuchFilme wie die von Cathrine Breillat und kommentiert,in der Geste,mit der Rita oder Virginie Despentes erregen allenfalls Hayworth ihren Handschuh abstreift in nochkçnstliche Aufregung,obwohl sie lako- Gilda ,im neugierig-wissenden Blickder No- nische Titel wie Fickmich! tragen.Umge- vizin auf den Kuheuter in Luis Bunuels Viri- kehrt zieht sichder Mainstream-Film dage- diana ,in unserem Einverståndnis damit,dass gen zusammen:Ersetzt der Skandalisierung Charles Chaplin als Ein Kænig in New York ein extremes Beachten der Bilderverbote ent- die Damen und Herren der feinen Gesell- gegen ±soextrem,dass er,wie in den Doris schaft mit einem Feuerwehrschlauch¹bepin- Day-Komædien der sechziger Jahre,schon keltª. beinahe wieder selbst obszænwird,in seinem Vermeiden des Verbotenen und der gleichzei- ImDunkel des Kinosaals wissen wir etwas, tigen Unfåhigkeit,anetwasanderes zu den- wasman¹drauûenª nicht weiû. Soist dasse- ken als aneinen nicht-ehelichen Geschlechts- xuelle Bild im Kino schon doppelt aufgeho- verkehr. ben,durchden Schutz der Dunkelheit und durchdie Anmutung eines geheimen Kultes. Die Verhåltnisse haben sichmit dem Be- Dassexuelle Bild ist hier keineswegs freigege- ginn des neuen Jahrtausends geradezu auf den ben,sondern dem verschworenen Blickritus Kopf gestellt:Sowie sicheinst ein morali- der ¹Eingeweihtenª çberantwortet.Wasich scher Mainstreamdurchzwei Kråfte des im Kino sehe,im Arthouse,im Multiplex Kinos bedroht fçhlen musste,durchdie Por- oder im Drive-In,dasist nochkeineswegs nografie als Nebenkultur und durchden vollståndig æffentlich,es geschieht in einem Skandalals Bild-Provokation,so muss sich kultischdefinierten Raum.Dasvirtuelle Wir nun ein kommerziell ¹durchpornografisier- gelangt in ein Verborgenes.Aber es hatauch terª Mainstream-Film ebenfalls von zwei Ge- waszuverbergen.

APuZ44/2005 13 Esgibtalso so etwaswie eine Verschwæ- des månnlichen Blicks auf den weiblichen rung in der Verschwærung,ein Spielverderben Kærper geht es immer darum,dasObjekt der Komplizenschaft:Der Ausweg aus dem der Begierde auchvor uns selbst zu schçt- Dilemmader sexuellen Bilder einerseits und zen.Niemand weiûamEnde eines Films,ob der pornografischen Ûberschwemmung der der Blickoder dasBild gesiegt hat.Dassçn- Mediengesellschaft andererseits ist die ge- dige Spiel beginnt jedes Malvon vorn.Ein- meinsame Erschaffung eines visuellen Kults. malverhæhnt dasBild den Blick,der schon glaubte,in es gedrungen zu sein,ein ander- Sehen-Wollen und Nicht-Sehen-Wollen: malhatder Blicksogrçndliche Arbeit ge- Die Sçnde des Kinoblicks liegt in der Feti- leistet,dass dasBild unter ihm sterben muss, schisierung unseres Blicks,jedochnicht nur als Explosion oder fade out.Mit Hitchcocks in dem,waswir sehen,sondern beinahe noch Filmen,spåtestens,beginnt freilicheine mehr in dem,waswir zur gleichen Zeit nicht Sçnde zweiten Grades:DasSchuldigwerden sehen.Wir sehen den Menschen als System trotz aller Warnung,der Triumph des Bildes von Zeichen,und jeder Ausschnitt,den die in dem Moment,in dem es sichamvollstån- Kamerawåhlt,jedes Hinzufahren oder He- digsten zu ergeben scheint.Alles scheint uns ranholen gibtdem kærperlichen Akt oder zu warnen,nichts hålt uns davon ab,trotz- dem kærperlichen Teil eine laszive Heiligung. dem dabei zu bleiben.Wir sind nicht mehr Der Blickauf die Brçste der Jayne Mansfield Verfçhrte und Schockierte,sondern Mit- oder auf die Wunden des Soldaten im Kriegs- schuldige.Worin also magdie Rçckerobe- film kann nur von der sçndhaften Situation rung des lustvollen Blicks anders liegen als des Sehen-Wollens und Nicht-Sehen-Wollens in der Sehnsucht,Teil eines Heilungsprozes- sprechen.Inder Isolation und in der Vergræ- ses zu sein,Zeuge zu sein,um es mit einem ûerung stecken Zugriff und Entrçckung,Be- weiteren Wort von ChristianPetzold auszu- gehren und Unterwerfung,und ebenso:Ge- drçcken,wie aus Gespenstern Menschen walt.Die Rçckeroberung des ¹lustvollenª werden (oder eben:wie aus den Gesten der Blicks kann also nur in seiner Erweiterung,in Durchdringung und der Entblæûung solche seiner Bewegung liegen. der Zårtlichkeit werden).

Stripped to the Bare: Inder Macht der Verletzung des Mythos: ImZentrum des Entkleidung liegt die generelle Widersprçch- Mythos stehen Abbildungs-und Blickver- lichkeit des Kino-Blicks zwischen der Illusi- bote.Schamlos dem nebenanEssenden auf on einer sadistischen Unterwerfung des Kær- den Teller zu sehen,gilt auchheute nochals per-Bildes unter die Macht des Blicks,und unschicklichund hatinder Regel soziale umgekehrt der Illusion der masochistischen Nervositåtzur Folge.ImKino ist es jedoch Unterwerfung des Kino-Blicks unter die nicht nur erlaubt,manhat,so redet sichder Macht des Bildes (der Sex-Gættin,des Stars). Blickheraus,garkeine andere Wahl. Gleichgçltig,wasgeschieht,unter unserem Blickwerden die Gestalten auf der Lein- Wir sehen im Kino mit den Blicken von an- wand immer nackter.Die Kameraist die Ma- deren,von denen,die eine Ausnahme im Sys- schine,welche die Menschen bloûstellt. tem der Bilder-und Blickverbote sind.Mit (Darum sind wir dann dochimmer erleich- dem Blickdes Arztes,der den Kærper unter- tert,wenn nicht ganz eingetreten ist,wasdie sucht.Mit dem Blickeines Liebenden,der die gemalten oder collagierten Plakate uns ver- Augen des anderen sucht.Mit dem Blickdes hieûen.) Wir sehen die Vorhånge,die Kleider, Priesters,der die Vision hinter der Ikone er- gardie Haut von ihren Kærpern fallen,wir fåhrt.Mit dem Blickdes Henkers,mit dem sehen die Entblæûung des Innenlebens,das Blickdes Soldaten,mit dem Blickdes Mær- Zerbræckeln der Masken.Aber wir haben ders,mit dem Blickdes Richters.Dieses ka- auchden guten Wunsch,die Gestalten auf leidoskopische Sehen nun hatseine Schuldig- der Leinwand wieder zu bedecken,mit dem keit als Zugangscode zu den Schlçssellæchern Mythos,mit der groûen Geste,mit der wir getan.Lustvoll kann es erst wieder werden, sie entlassen,wenn fçrheute alles gesagt und wenn es die Chancen und die Verantwortung getanist.Wir wollen in ihr Innerstes,Maske eines Gangs durchdie Spiegelwelt erkennt: und Kærper zerreiûen,aber wir wollen sie die Sichtbare Welt im Kino zu durchreisen, auch¹heilenª;wie im allgemeinen Modell nicht in vielen Verkleidungen,sondern in ge- von der Kameraals technische Verstårkung meinsamem Wissen.

14 APuZ44/2005 Die Wendung des Blickes: Wenn zwei Bli- Peter Reichel cke sichbegegnen,so will es die Konvention unseres Lebens (und wir haben gençgend Wissen,um dies aus grauer Vorzeit herzulei- ¹Onkel Hitler ten), gibtesnur drei Mæglichkeiten:Flucht, Kampf oder Liebe.Die Blicke im Kino,die zwischen den Agierenden und die zwischen und Familie ihnen und dem Publikum,heben sehr viel långer Ambivalenz auf.DasGeheimnis des kinematografischen Blickes liegt nicht nur im Speerª ±die NS- Objekt und in der Perspektive,sondern auch in der Dauer,darin,dasObjekt in der Zeit le- Fçhrung privat bendig werden zu lassen.Aus allem zusam- men aber låsst sichdurchaus eine moralische Grammatik des Filmbildes gewinnen:Eine ie jçngste Medienwelle,die uns einmal Kamera,die einen Menschen wirklichsieht, D mehr mit Texten und Bildern zum Na- kann ihn unmæglichmehr pornografisieren. tionalsozialismus çberschwemmt hat,ist vor- çber.Eswarnicht die erste,und es wird nicht Wasuns dasalles sagt?Vor allem,dass sich die letzte gewesen sein.Unsere Geschichts- die Sache wesentlichkomplizierter verhålt als kultur ist zeitgemåû stark visuell geprågt;die es sichvielleicht die beiden Kontrahenten un- Bilder vom ¹Dritten Reichª spielen darin seres Zwiegespråchs amAnfang håtten vor- eine herausragende stellen kænnen.Esgibtkeine Entscheidung Rolle.Inseinen foto- Peter Reichel fçrden richtigen und den lustvollen Blickim grafischen und filmi- Dr.phil., geb.1942; Professor Kino,weder im kategorischen Sinne nochim schen Selbstdarstel- fürHistorische Grundlagender Sinne der Ad-hoc-Einstellung.Vielmehr ist lungen ist es bis heute Politik ander Universität kinematografisches Sehen eine gemeinsame pråsent.Dafçrhaben Hamburg,Institut fürPolitische Arbeit von Blickund Bild.Die Geschichte dessen Verschæne- Wissenschaft,Allende-Platz 1, des lustvollen Blickes im Kino ist eine der rungsvirtuosen ge- 20146 Hamburg. gleichzeitigen und aneinander wachsenden sorgt,von Heinrich p.reichel@sozialwiss. Impulse von Gier und Scham.Beim Versuch, Hoffmann bis Leni uni-hamburg.de dasjeweils andere zu çbertælpeln oder zu un- Riefenstahl.Auchdie terdrçcken,wird der Blickfetischistisch,leer zweite Geschichte des und gewalttåtig.Der wirklichlustvolle Blick Nationalsozialismus ist vor allem eine der aber ist einer,der damit beginnt,sichselbst Bilder.Die groûen filmdokumentarischen Ar- zu verstehen.Ineiner Welt der unkontrollier- beiten von Alain Resnais bis Claude Lanz- ten Bilder (der Bilder-Realitåt,wenn manso mann sind aus ihr ebenso wenig wegzuden- will)muss auf die Theorie des Bildes die ken wie die fiktionalen Filmerzåhlungen mit Theorie des Blickes folgen.Und eine Utopie ihren populåren Filmhelden,vom Teufelsge- des lustvollen Blickes,eines Blickes,der das neralbis zum Judenretter. Objekt auf der Leinwand weder haben noch sein will.Jenseits von Unterwerfung und Die trivial-unterhaltsame Aufbereitung Identifikation wartet eine groûeGabezwi- dieses Katastrophenstoffes wird weiterhin ein schen Blickund Bild.Nennen wir sie Er- Massenpublikum in die Kinos locken.Vor kenntnis. allem dann,wenn Filme hoffnungsvolle Bot- schaften enthalten,wie in Schindlers Liste, Holocaust, oder DasLeben ist schæn. Solange Publikum und Filmproduzenten ein Interesse daranhaben,werden neben den trostspen- denden Regimegegnern,heiûen sie nun Claus GrafStauffenberg,Sophie Scholl oder Johann Georg Elser,auchdie Staatsverbrecher und die zwielichtigen Figuren çber die Leinwand laufen.Der filmischverwertbare Vorratan biografischer und autobiografischer Literatur ist beachtlich.

APuZ44/2005 15 Die Produzenten haben dieses Reservoir Sechzig Jahre,nachdem sichAdolf Hitler seit der frçhen Nachkriegszeit zu nutzen ver- im Fçhrerbunker der Reichskanzlei das standen.Fçrwelche aktuellen politischen Er- Leben genommen hat,scheint er so lebendig eignisse sie auchimmer Vergangenheitsbilder und uns so nahwie nie.Dasverdanken wir anboten,sie mussten fçrdie Gegenwart an- insbesondere dem von Bernd Eichinger pro- schlussfåhig sein. 1 Einige Beispiele:Dasan- duzierten Spielfilm Der Untergang und fangs,zumalunter ehemaligen Wehrmachts- HeinrichBreloers Doku-Drama Speer und soldaten,hochumstrittene Attentatvom 20. Er. Die Filme sehen,so wird uns gesagt,Hit- Juli 1944 wurde erst unter dem Eindruckdes ler mit anderen Augen als bisher.Aber was Ost-Berliner Volksaufstandes vom 17. Juni heiûtdas?Mit welchen sie ihn nicht sehen,ist 1953, also in antitotalitårer Sicht,bild-und leichter auszumachen.Letzte Abbildungsver- erinnerungswçrdig.Zwei Jahre danach bote sind gefallen.Auf die distanzschaffende kamen gleichzwei Verfilmungen des Stauf- moralisierende Inszenierung der Filmbilder fenberg-Stoffes in die Kinos:Falk Harnacks wird verzichtet.Inseiner Zeit warHitler ein Der 20. Juli und Esgeschaham20. Juli von lebender Mythos,nachseinem Tode wurde er Georg Wilhelm Pabst. zum çbergeschichtlichen Dåmon stilisiert. Nun wird er uns im Kino menschlichnåher Auchder ebenfalls nicht unumstrittene gebracht:der Diktator als von Sehnsçchten Aufbaueiner ¹neuen Wehrmachtª,wie man und Neigungen Getriebener,der Tåter im die Bundeswehr zunåchst nannte,wurde pu- Angesicht des eigenen Todes.Der nåchste blikumswirksamfilmischbegleitet.Zahlrei- Schritt wåre dann ein Remake aus den An- che idealisierende Kriegsfilme haben den My- fangsjahren,der Frçhzeit des Fçhrer-Mythos: thos von der ¹sauberen Wehrmachtª bebil- Hitler malvolkstçmlich,malstaatsmånnisch, dert und popularisiert.Mandenke nur anden in Lederhosen und mit Schåferhund,in Uni- von Paul Mayverfilmten,dreiteiligen Kriegs- form oder von groûbçrgerlichem Ambiente und Wehrmachtsroman 08/15 von Hans Hell- umgeben,im Frack,mit Bechstein-Flçgel mut Kirst ±oder andie zahlreichen Stalin- und Nietzsche-Bçste. grad-Streifen. Dass nun auchdie NS-Tåter verstårkt als Privatpersonen und mit ihren menschlichen Die Tåter ±menschlichgesehen Schwåchen und Gewohnheiten ±jasogarals Opfer ihrer eigenen Taten und Triebe±ge- Die filmische Hochkonjunktur,diewir zuletzt zeigt werden,bedient nicht nur dasallge- erlebthaben,markiert aucheinen inhaltlichen meine Interesse anpersonifizierter Ge- Wendepunkt.DasPrivate der prominenten schichtsdarstellung.DasKinopublikum will Personen wirdwichtigerals der historisch-po- auchunterhalten werden und der kriminellen litische Zusammenhang,in dem sie agierten. 2 Politprominenz von einst nahe kommen, Nicht mehrdie verbrauchtenegative Pådago- talkshow-måûig gewissermaûen,um die gik der Auûenansicht des Terrors ¹schocktª, Dinge mit eigenen Augen zu sehen.Wasman sondernder Terror der Bunker-Intimitåt. Big von den fçhrenden Nationalsozialisten zu Brother låsstgrçûen. halten hat,weiûmanjazur Gençge,weil man weiû, wassie angerichtet haben.Aber was weiûmanvon ihnen selbst,ihrer Privatsphåre ±jenseits aller effektvollen Rhetorik und 1 Eingehender dazu:Robert G. Moeller,WarStories. Selbstinszenierung vor der Kamera? The Searchfor aUsable Past in the FederalRepublicof ,Berkeley±Los Angeles±London 2001, und Einen ersten Versuch,diese Frage zu beant- Peter Reichel,Erfundene Erinnerung.Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater,Mçnchen 2004; vgl. worten,hatLutz Hachmeister mit seinem auchMichael Jeismann,Anschluûgesucht.ImDelta Goebbels-Experiment gemacht.Entstanden der groûen Bilder:Wie der Film unser Gedåchtnis ist ein Dokumentarfilm,der auf Zeitzeugen prågt,in:Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)vom und kritischen Kommentarganz verzichtet, 24. 2. 2005. auf Texteinblendungen und musikalische Un- 2 Vgl.Torsten Kærner,Viel Spaûmit Hitler!, in:Sçd- termalung allerdings nicht.Erzeigt Goebbels deutsche Zeitung (SZ)vom 16. 9. 2004; Georg Seeûlen, Dasfaschistische Subjekt,in:Die Zeit vom 16. 9. 2004; in allgemein bekannten Wochenschau-und Michael Jeismann,Wer hatAngst vorm Sportpalast?, sonstigen Filmbildern und låsst ihn aus seinen in:FAZvom 13. 4. 2005. Tagebçchern ±mit bedåchtig sanfter Stimme

16 APuZ44/2005 vorgelesen von Udo Samel ±als einen ¹kom- so konnte manoft hæren,seien mit ¹Terror plett verunglçckten Menschenª (Olli Ditt- und Massenhypnoseª çberwåltigt,¹die ersten rich)hervortreten:als einen,der zwischen Opfer der Barbareninvasionª (Wilhelm Selbstmitleid,Selbstzweifel und Selbstvergæt- Ræpke)geworden. 3 terung schwankt,der unstillbarist in seinem Verlangen nachZuwendung und Anerken- Historisch-strukturelleUrsachenwurden nung durchseinen ¹Fçhrerª,die Partei,die ¹wegerzåhltª.Damitverschafftensichdie Massen und unersåttlich,fanatischund erbar- Bundesbçrger,wassie zum Neuanfang drin- mungslos in seinen Hass-Reden,seiner gend brauchten:Abstand von der Vergangen- Hårte,seiner Brutalitåt. heitund ein halbwegs gutes Gewissen.Hitler wurde als eine çbergeschichtliche Katastrophe Die Entdåmonisierung der NS-Fçhrung gedeutet,diesprichwærtliche,aus den so ge- warçberfållig.Ihre Vermenschlichung ist je- nanntenSekundårtugenden herrçhrende dochnicht unproblematisch,zumaleine nicht ¹deutsche Tçchtigkeitªals durchihn zwar unbedenkliche erzåhlerische Verkçrzung hin- missbraucht,aber nicht eigentlichdiskreditiert zukommt.Im Goebbels-Experiment domi- angesehen.Das¹Wirtschaftswunderª,der niert beispielsweise dasPrivate dasPolitische, Wiederaufstieg aus eigenerKraft unddem ± auchwenn der Film andeutet,warum im wiederum sprichwærtlichen ±Glçckdes Tçch- ¹Dritten Reichª die Østhetisierung der tigen,lieûso den positivenGrçndungsmythos Macht çberlebenswichtig fçrdasRegime war. der Bundesrepublik umso heller erstrahlen. In Der Untergang wird Hitler ausschlieûlich auf sein Ende reduziert,in Speer und Er gar Dabei håtten die Deutschen schon damals nur auf eine homoerotische Beziehungsge- mehr çber Hitler und sichselbst wissen kæn- schichte.Der zeithistorische Kontext fållt nen,wenn sie es denn gewollt und verkraftet dabei aus dem Blick.Ohne ihn sind aber Hit- håtten.Nicht zuletzt durchKonradHeidens lers Aufstieg,Herrschaft und Verbrechen heute fast vergessene zweibåndige Biografie. 4 nicht zu verstehen ±und auchnicht deren Sie erschien bereits Mitte der dreiûiger Jahre Fortleben in unserer Erinnerungskultur. in Zçrich,verzichtet auf eine Dåmonisierung ebenso wie auf eine Bagatellisierung Hitlers, beschreibt,theoretischreflektiert,dessen Le- Frçhe Hitler-Bilder bens-und Aufstiegsgeschichte als Fçhrer einer Massen-Protestbewegung und ver- Bislang hatjede Generation der Nachkriegs- knçpft sie schlçssig mit dem Kontext des la- zeit genau das Bild Hitlers entworfen,dassie tenten Bçrgerkriegs der Weimarer Republik. benætigte.Die Gesellschaft,die den Diktator hervorbrachte,çber sichherrschen lieû, und Inzwischen liegen zahlreiche weitere Hit- die ihm in einen Vælkervernichtungskrieg ge- ler-Biografien vor,darunter die der britischen folgt war,konnte diese Schande nach1945 Historiker AlanBullockund IanKershaw. 5 nur ertragen,indem sie Hitler dåmonisierte Marksteine in der Hitler-Literatur setzten und sichselbst zum verfçhrten und miss- auchSebastianHaffners Hitler-Essayund die brauchten Opfer stilisierte.Dabei leugnete Biografie von Joachim Fest. 6 Hitlers Lebens- sie,von rechtsextremen Randgruppen abgese- geschichte wird darin in die Entwicklung der hen,die Verbrechen nicht,aber sie verdrångte Gesellschaft eingebettet und so zugleichein ihre hoffnungsvolle oder garglåubige Hitler- ¹StçckBiografie der Epocheª geschrieben. Gefolgschaft.Den einfachen Weltkriegssolda- ten und gescheiterten Kçnstler Adolf Hitler, der ihr Heilsbringer und Hoffnungstråger ge- 3 Karl Jaspers,Hoffnung und Sorge.Schriften zur worden war,der sie von ihrem Versailler deutschen Politik 1945±1965, Mçnchen 1965, S.32 Traumabefreit hatte und als ¹Herrenvolkª (dasRæpke-Zitat:S.125). auferstehen lieû±ihn machte die Nachkriegs- 4 KonradHeiden,Adolf Hitler.Eine Biographie,Zç- gesellschaft zum Bæsen schlechthin.Deutsch- rich1936 (Bd.I:DasZeitalter der Verant- lands damals prominentester Sprecher,der wortungslosigkeit;Bd.II: Ein Mann gegen Europa). 5 Philosoph Karl Jaspers,sprachvon den Teu- Zur Hitlerforschung vgl.Wolfgang Wippermann (Hrsg.), Kontroversen um Hitler,Frankfurt/M.1986. feln,die ¹auf uns eingehauen und uns mitge- 6 SebastianHaffner,Anmerkungen zu Hitler,Mçn- rissenª haben,¹in eine Verwirrung,daûuns chen 1978; Joachim Fest,Hitler.Eine Biographie, Sehen und Hæren verging.ªDie Deutschen, Frankfurt/M.u.a.1973.

APuZ44/2005 17 Neu und wegweisend andieser Darstellung Speer mit seinen Helfern und mit seinen Kin- war,dass sie dasantimoderne-moderne Dop- dern. pelgesicht des ¹Dritten Reichesª herausstellte und die hohe Bedeutung der Østhetisierung Sind sie also die eigentlichen Helden des der Politik fçrdieses Regime.Diese Sicht ist Films?Bringen sie uns den Vater,der ihnen immer nochnicht Teil des allgemeinen Ge- fremd ist und bleibt,menschlichnåher,wenn schichtsbildes.Dabei liegt gerade darin der sie etwamit dem prominenten Hauptkriegs- Wesenskern des Nationalsozialismus.Ohne verbrecher bei ihren Besuchen im Spandauer ihn sind weder die immer wieder erstaunliche Gefångnis zusammentreffen?Eine kurze,fçr gesellschaftliche Integrationsleistung und dasKind quålend lange Besuchsszene zeigt Mobilisierungsfåhigkeit der Hitler-Diktatur Albert jr., der dem Vater nichts zu sagen nochdie Ausgrenzung,Verfolgung und weiû, wåhrend jener ihn mit gut gemeinten schlieûlichdie Ermordung von Millionen Ratschlågen traktiert.Glaubtder Vater,mit Menschen zu verstehen. seiner Fernerziehung etwasausrichten zu kænnen?Ahnt er,dass dies vergeblichist? Leidet er darunter?Erinnert er sichandie ei- Onkel Hitler,Speer undFamilie gene Kindheit,dasschwierige Verhåltnis zu seinem Vater?Mçssen wir erfahren,dass Al- InHeinrichBreloers vierteiligem Fernsehfilm bert Speer jr., heute siebzigjåhrig und ein in- Speer und Er spielen die Kinder von Albert ternationalrenommierter Stådteplaner,auf Speer eine tragende Rolle.Oder besser:Sie den Abschied vom Obersalzberg,wo sichdie håtten sie spielen kænnen.Dochdie Selbstdar- Speer-Kinder zeitweilig in quasifamiliårer stellungslust des Regisseurs ist zu groû, mag Nåhe zu Hitler aufhielten,mit erheblichen sie auchmaldidaktisch,maldetektivischmo- Sprechstærungen reagierte und der jçngere tiviert sein.Schmerzlichvermisst manEber- Bruder jede Kindheitserinnerung gelæscht hard Fechners asketisch-disziplinierte Kunst, hat?Muss der in Bildern und Worten schwel- zuzuhæren und den verbalen Stoff visuell zu gende Regisseur uns wirklichdazu erklåren: verdichten,seine Fåhigkeit,alle Aufmerksam- ¹Daswaren jaalles die guten Onkel vom keit auf die befragten Personen zu konzentrie- Berghof,die nun auf Giftkapseln bissen oder ren,wie in seinem Film çber den Majdanek- aufgehångt wurden,von denen manjetzt Prozess ( Der Prozeû, 1984). Fechner bleibt schreckliche Geschichten erfuhr.ªWarum darin unsichtbarund unhærbar.Ohne Kom- verweigern sichdie offensichtlichimmer wie- mentar,nur durchdie Montage von Rede und der irritierten,auchinVerlegenheit geratenen Gegenrede der unterschiedlichbetroffenen Speer-Kinder diesem indiskreten,aufdringli- Personen entsteht etwasAuûerordentliches: chen,besserwisserischen Befrager nicht? 7 ein fiktives Gruppengespråchzwischen Tå- Breloer geriert sichals ein Anwalt des legiti- tern und Opfern,Anklågern,Verteidigern und men æffentlichen Interesses anAlbert Speer Richtern ±ein Generationenportråt. sen., einer Person der Zeitgeschichte.Aber er ist ohne Gespçrfçrdie Grenze,hinter der die Breloer will mit seinem Film çber Speer schçtzenswerte Privat-und Intimsphåre der und Hitler mehr ±und scheitert daran.Ersoll Angehærigen beginnt und die Befragung sich alles zugleichsein:ein Interviewfilm,eine ± in Talkshow-Geschwåtzigkeit verliert. allerdings viel zu spåte ±Befragung von An- gehærigen einer Person der Zeitgeschichte, Breloers Speer und Er will alles erfragen, die sich,zumalunter dem Eindruckdes spå- sagen und zeigen.Der Film çberwåltigt und ter çber ihren Vater Gesagten und Geschrie- vermagdeshalbnicht zu çberzeugen.Sein benen,nicht mehr genauoder garnicht an Umgang mit der Geschichte ist nicht reflexiv, ihre Wahrnehmungen als Kinder erinnern sondern suggestiv.Denn er befragt die Kinder kænnen oder wollen;eine Montage aus ålte- Speers nicht nur çber ihre Erinnerungen,er ren Filmen und Fotografien,und schlieûlich kommentiert sie auch,ja,er belehrt sie,wenn auchnochein fiktives Historiendrama,das es ihm in den Sinn kommt.Zudem låsst er vergangenes Geschehen anauthentischen Orten nachspielen låsst:Hitler und Speer in 7 Vgl.Ersahdie Zukunft durcheinen Triumphbogen. der Reichskanzlei,im Idyll des Berghofes, Unter dem frischen Eindruckvon ¹Speer und Erª:Al- Speer in Nçrnberg,malauf dem Reichspar- bert Speer und HeinrichBreloer im Gespråch,in:FAZ teitagsgelånde,malvor dem Militårtribunal, vom 10. 5. 2005.

18 APuZ44/2005 vieles nachspielen und nicht wenige der fikti- Speers eigentçmlichredefreudig-ver- ven Szenen auchnochwiederholen.Daraus schwiegener Bekennermut und seine æffentli- spricht kein groûes Vertrauen in den che Selbstprçfung haben ihm bei seinen Zuschauer,kein Gespçrfçrdessen Imagina- Landsleuten Sympathie und Bestsellererfolge tionsvermægen,keine Toleranz gegençber eingetragen.Esspricht nicht fçrden kriti- dessen WunschnachPausen,nachKonzen- schen Blickvon Breloer,dass er dafçrJoa- tration und Mæglichkeit zu eigenem,einfçh- chim Fest als Zeugen aufruft.Und es spricht lenden Verstehen. nicht fçrdie Redlichkeit des Speer-Lektors und Speer-Biographen,dass dieser sichheute Sobleibtdie Frage,obwir etwasNeues çber den unlauteren Speer beklagt,andessen von der Hauptfigur in diesem Gerichts-und vorteilhaft manipuliertem Bild und Aufstieg Gefångnisdramaerfahren?Breloer interes- zum Bestsellerautor er nachKråften mitge- siert sich,der Speer-Biografie von Joachim wirkt hat. 11 Bei den Ûberlebenden von Au- Fest folgend,zunåchst fçrdie libidinæse Be- schwitz fand fand Speer weniger Zustim- ziehung zwischen den beiden ungleichen Ar- mung.Zum Erscheinen der Spandauer Tage- chitekten aus Leidenschaft. 8 Speer spielte bçcher schriebJeanAmry:¹Esscheint mir, darin die ¹weibliche Rolleª.Ersollte ¹austra- als habekeiner der einstigen Mittåter dasmo- genª,wasHitler ¹inspirierteª.Immer wieder ralische Recht,mit ergreifenden Expektora- werden beide mit den Modellbauten gezeigt. tionen andie Úffentlichkeit zu treten.Sçhne ImZentrum steht indes dasmoralische Indi- und Umkehr werden wçrdig nur in Einsam- viduum Albert Speer,der Rçstungsminister keit vollzogen:ohne Geste ander Rampe.ª 12 und Ausbeuter von Millionen Zwangsarbei- tern,der Nçrnberger Angeklagte und Span- Manhåtte sichgewçnscht,dass Breloer dauer Håftling. seine theatralische Bildergeschichte gebåndigt und einen Blickçber Speer hinausgetanhåtte. Die Feuilletons haben den Film zu einem Gewiss,dasRåtsel Speer liegt zum Teil in sei- Ereignis hochgejubelt,das¹uns veråndern ner Person.Und den Schlçssel zu dieser hat wirdª und unser Geschichtsbild sowieso. 9 uns Speers Architekturprofessor Heinrich Tut es das?Seit Jahrzehnten gilt dem schil- Tessenow schon frçhindie Hand gegeben, lernden Erfolgsmenschen Speer ein lebhaftes als er dessen gigantomanische Bauplåne kom- und kontroverses æffentliches Interesse.Es mentierte:¹Esmacht Eindruck,dasist al- liegen mehrere Biografien vor,die seine Ka- les.ª 13 Das,so scheint es,gilt fçrSpeers riere nachzeichnen.Spåtestens seit der Unter- Leben allgemein.Erverstand es,Eindruck suchung von GittaSereny wissen wir çber auf andere zu machen,und dasinsehr unter- Speers Leben und sein verwinkeltes ¹Ringen schiedlichen Situationen:erst auf Hitler,dann mit der Wahrheitª im Detail Bescheid.Jahre- auf die alliierten Richter und schlieûlichauf lang hatte er erklårt,von der Judenvernich- die deutsche Nachkriegsgesellschaft. tung erst in Nçrnberg erfahren zu haben.Am Ende seiner intensiven Befragung durchdie Sehr viel mehr aber liegt der Schlçssel zum englische Journalistin gestand er,dort nicht ¹Råtsel Speerª bei seiner politischen Generati- die volle Wahrheit gesagt zu haben.Seine on,den zwischen etwa1900 und 1910 gebore- Hauptschuld saherinder ¹Billigung der Ju- nen Weltkriegskindern,ihrer nationalistischen denverfolgungª.Darunter verstand er ¹Weg- Glåubigkeit und gefçhlsmåûigen Ablehnung sehenª ohne ¹Kenntnis der Durchfçhrungª. 10 der Weimarer Republik.Albert Speer war einer von jenen zahlreichen,idealistischge- sinnten Ingenieuren,Wissenschaftlern,Ørz- 8 Joachim Fest,Speer.Eine Biographie,Berlin 1999; ten,Juristen und Offizieren,die sich,zumeist vgl.dazu Peter Reichel,Der Lieblingståter,in:Berliner Zeitung vom 12. 10. 1999. aus gutbçrgerlichem Hause stammend,ganz 9 SoFrank Schirrmacher,Der Engel fåhrt zur Hælle, der deutschen Sache verschrieben hatten ±und in:FAZvom 18. 3. 2005; ders., Filme,die Geschichte machen,in:FAZvom 22. 6. 2004. Kritische Stimmen 11 Vgl.dazu dasInterview:Albert Speer hatuns ange- blieben selten;vgl.etwaWolfgang Benz,Zuviel ver- logen ±und mehr verraten,als er musste,in:FAZvom sprochen.Breloer hatSpeers Mythos nicht entzaubert, 25. 5. 2005. in:SZ vom 17. 5. 2005; Sybille Simon-Zçlch,Auchnur 12 JeanAmry in einem Offenen Brief anHerrn Ex- ein Mensch:¹Speer und Erª,in:epd medien,(2005) 39. Minister Albert Speer,c/oPropylåen Verlag,Berlin,in: 10 GittaSereny,DasRingen mit der Wahrheit.Albert FrankfurterRundschauvom 14. 10. 1975. Speer und dasdeutsche Trauma,Mçnchen 1995, S.817. 13 Zit.nachJ. Fest (Anm.8), S.50.

APuZ44/2005 19 der modernen Sachlichkeit.Enthusiastisch durchAmerikanerund Russenandauerte,als vorbehaltlos stellte sichdiese technokratische dasUntergangsspektakelinBerlinlångst zu Elite dem Hitler-Regime zur Verfçgung:ein Endewar?Die Widerstandskåmpfer,dienoch Bçndnis der nationalen Erneuerung.Speers im April 1945in Flossenbçrg undPlætzensee Erfolgskarriere und seine Schuld sind ohne ermordet wurden?All dies kommt in Der Un- daspolitische Verhalten dieser Generation tergang nicht vor.Wasentschieden zu wenig nicht zu verstehen. ist,zumalRegisseurOliverHirschbiegelsich selbst gerneinen¹Kennerder Geschichtedes Hitlers letzte Tage als ¹Big-Bunker- ,Dritten Reiches`ªnennt und seinen Filmals einen ¹historischenAuftragª verstandenhat. 15 Storyª Mehrere Fragen und Vermutungendrången sichauf. Der Untergang magein spannender Film sein fçralle,die grelle Farben,schrille Tæne,Ar- Erzåhlt der Film uns etwasNeues çber tillerie-und Maschinengewehrfeuer,Blut, Hitlers letzte Tage,sofern dasçberhaupt ein zerfetzte Leiber,Sentimentalitåt,Fressorgien, irgendwie relevantes Themaist?DasWich- Gruppensex und Gruppenselbstmord unter- tigste darçber wissen wir bereits,seit uns haltsamfinden.Dasichdiese Ereignisse aber Hugh Trevor-Roper Hitlers letzte Tage vor dem Hintergrund eines wichtigen Ab- (1947) nåher brachte.Anton Joachimsthaler schnitts der jçngeren deutschen Geschichte hatinjçngerer Zeit Details çberprçft,ergånzt abspielen,ist er auchein fragwçrdiger Film. und alles nocheinmalgenauaufgeschrieben. ZumalRegisseur Oliver Hirschbiegel uns ein- Joachim Fest schriebeinen Essayzum redet,auchder private Hitler,dem Tode nah, Thema,der dem Film Text und Titel gab. sei eine interessante historische Figur.¹Kein Zudem haben uns die so genannten ¹Zeitzeu- schæner Landª singen die Goebbels-Kinder genª durchihre Erinnerungsbçcher Einblick fçr¹Onkel Hitlerª ±bevor sie von der hyste- in ihre (spåtere)Sicht der Dinge gegeben. risch-kalten Magda,der ¹Mutter der Nationª, Auchauf sie stçtzt sichdasDrehbuch,ebenso vergiftet werden.Dasist Todeskitsch,mehr auf Albert Speer,auf Hitlers Leibarzt Ernst nicht. Schenckund schlieûlichauf Hitlers Schreib- kraft Traudl Junge.Junge ist schon in Nçrn- WarummusstedieserFilmçberhauptpro- berg als Zeugin befragt worden und hatauch duziertwerden,warum solltenwir ihnsehen? andem ersten deutschen Endzeitfilm mitge- Warumwurde dasPublikum vorab durcheine wirkt,unter der Regie von Georg Wilhelm peinlichlobhudelnde Pressekampagnemobili- Pabst ( Der letzte Akt, 1955). siert,mit Bild,FAZ und Spiegel als Leitme- dien?Und warumhatsichsogarder interna- Wollte der Film von Starschauspieler Bruno tionalrenommierte britische Hitler-Biograf Ganz profitieren und diesem zugleichdazu IanKershawvor diesen kommerziellenKino- verhelfen,sein vielseitiges Rollenrepertoire zu Karrenspannen lassen undsichnicht gescheut, erweitern?Der Faust-und Mephisto-Darstel- den Untergang allen Ernstesals ¹ein grandio- ler als Hitler-Karikatur?Die Imitation von 14 seshistorisches Dramaªzubezeichnen? Der Politikern ist im Allgemeinen nicht Sache der Filmist fçrjeden,der in der audio-visuellen groûen Bçhnen-Mimen,sondern des politi- Auseinandersetzung mitdem Nationalsozia- schen Kabaretts.Bruno Ganz håtte,so lesen lismusmehrals bloûeUnterhaltungsucht,eine wir in den meinungsbildenden Blåttern,zu- Zumutung,er ist auf obszæne Weisebelanglos. sammen mit Produzent und Regisseur,Hitler Dennerverhålt sichgegençber dem gleichzei- ein ¹zweites Malerfundenª. 16 Und wer wåre tigen Untergang der Opfer und den vielen fçrdie originåre Erfindung des ¹Græfazª ver- Orten des Mordens,Leidensund Sterbensei- antwortlich?Joachim Fest?Die Chefpropa- gentçmlichignorant.DasEndevon Ausch- gandisten des ¹Dritten Reichesª,Goebbels, witzund Bergen-Belsen?DasMassensterben, Hoffmann und Riefenstahl?Oder dochjene dasinvielen Lagern nochnachihrer Úffnung Millionen Deutsche,die ihn wåhlten,die an

14 IanKershaw,Der Fçhrer kçût,der Fçhrer iût Schokolade,in:FAZvom 17. 9. 2004. Vgl.dagegen mit 15 Vgl.dasInterview mit Oliver Hirschbiegel,¹Daher seiner dezidierten Kritik Martin Meyer,Gleichschritt kommen wirª,in:Berliner Zeitung vom 11. 9. 2004. in den Operntod,in:Neue Zçrcher Zeitung vom 22. 9. 16 Frank Schirrmacher,Die zweite Erfindung des 2004. Adolf Hitler,in:FAZvom 15. 9. 2004.

20 APuZ44/2005 Wasist ander privaten Seite der NS-Fçhrung filmischund historischinteressant?Szene aus Oliver Hirschbiegels Film Der Untergang. Quelle: Constantin Film AG. ihn glaubten oder sichvon seinen vermeintli- scheinen lassen magund die Biografen und chen ¹Leistungen und Erfolgenª (Sebastian Filmemacher immer wieder angezogen hat, Haffner)çberwåltigen lieûen?±sodass Hitler kann der Film nicht einmalandeuten.Hitler 1936 in Nçrnberg in der Pose des Volksfçhrers warPerson,Politiker,Mythos oder ±moder- und Heilsbringers ausrufen konnte:¹Ihr habt ner gesprochen ±Markenname zugleich. einst die Stimme eines Mannes vernommen, und sie schlug aneure Herzen,sie hateuchge- Wasmuss daalles zusammengedacht und weckt (. ..). Dasist dasWunder unserer Zeit, zusammengesehen werden:zunåchst Hitlers daûihr michgefunden habt(. ..)unter so vie- demagogische Begabung,schnelle Auffas- len Millionen!Und daûicheuchgefunden sungsgabeund vorzçgliches Gedåchtnis, habe,dasist Deutschlands Glçck!ª 17 menschenverachtende Brutalitåtund verhal- tener Charme,sein plebiszitåres Erfolgscha- Nicht dasEnde Hitlers,dasdie Welt aufat- risma,die auûenpolitischen Triumphe und men und die Deutschen verstært zurçcklieû, militårischen ¹Blitzsiegeª,seine Architektur-, Anfang und Aufstieg dieser vielleicht bedeu- Technik-und Wagner-Begeisterung,die Wie- tendsten Unperson der Epoche sind dasdeut- ner Jahre und die Weltkriegserfahrung,seine sche Thema.Daswird in Der Untergang væl- Leit-und Feindbilder und nicht zuletzt sein lig verkannt.Sprecher der Nation konnte Hit- Verhåltnis zu Frauen sowie seine immer wie- ler nur werden,weil er weitgehend daswar, der strapazierte Tierliebe.¹Hitler wie keiner waservorgab zu sein:ein typischer Vertreter ihn kenntª,so wurde er frçhvolkstçmlich seines Volkes.Dessen Sehnsçchte,Ressenti- mit Schåferhund auf dem Obersalzberg ins ments und Weltkriegserfahrungen kannte er Bild gesetzt.AuchimFilm spielt Blondi eine sehr genau,denn es waren die seinen.Und was Rolle ±als der letzte wahrhaft ¹treue Freundª den epochalen Verbrecher irritierend groûer- Hitlers.Hermann (Gæring)und der ¹treue Heinrichª (Himmler)sind långst als ¹Ver- råterª verstoûen.Entstehung und Verfall 17 Zit.nachPeter Reichel,Der schæne Schein des Dritten Reiches.Faszination und Gewalt des Faschis- des Fçhrer-Mythos und seine gesellschaftli- mus,Mçnchen und Wien 1991, S.143. chen Grundlagen kann dieses brutale Rçhr-

APuZ44/2005 21 stçckeiner Big-Bunker-und Suizidgesell- wæhnlichpopulårer Sprecher seiner Zeit,der schaft nicht verståndlichmachen.Stattdessen dies aber dochnur werden und eine Zeit lang zieht es dasPublikum effektvoll mit Terror sein konnte,weil ihn groûeTeile der damals und Intimitåtinseinen Bann ±halb(selbst-) lebenden Deutschen dazu gemacht haben,bis mærderisches Schlachtfest,halbWalpurgis- in die frçhen Kriegsjahre hinein in wachsen- nacht,halbFamilienidyll. der Zahl.Der neue Film-Hitler ist ein Fçhrer, dem sein Volk weitgehend abhanden gekom- Hitler ist zu den Deutschen von auûen ge- men ist,der aber auchvon seinem exorbitan- kommen.Und von auûen ist er ihnen auch ten Zerstærungswerk getrennt wird,daser wieder genommen worden.Wirklichbefreit uns hinterlassen hat,und dasuns immer wie- haben wir uns bis heute nicht von ihm.Daran der mit diesen Fragen konfrontiert:Wie war åndert auch Der Untergang nichts.Die ¹ge- dies mæglichund warum konnte Hitler nicht wisse angewiderte Bewunderungª,die schon verhindert werden? 19 ThomasMann fçrdieses ¹Lebensphånomenª empfand und als ebenso beschåmend wie un- Dabei verspricht uns Der Untergang,zu vermeidlichansah,dauert bis heute an.Es erklåren,¹wasdas,Dritte Reich`mæglich geht in Deutschland heute sehr viel weniger machteª.Aber er kann es nicht,denn er pro- um daspolitische Interesse ander so lange ge- duziert lediglichspektakulåre Bilder von den genwårtig gebliebenen,weil kontrovers ge- letzten Tagen im ¹Fçhrerbunkerª.Wer aber deuteten Vergangenheit.Als Legitimation fçr vom Untergang des ¹Dritten Reichesª die politische Ordnung und die nationale spricht,darf von der Architektur des Unter- Identitåtsbildung der Deutschen hatsie of- gangs nicht schweigen.Soheiûtnicht zufållig fenbarausgedient. einer der besten Filme çber die Zeit des Na- tionalsozialismus.Peter Cohen (Stockholm) Die Vermarktung der Vergangenheit und hatihn 1989 gedreht und dasWesentliche des ihres bloûen Unterhaltungswertes steht jetzt Nationalsozialismus thematisiert:daskonsti- im Vordergrund.Daserlebnishungrige Kino- tutive Verhåltnis von Schænheitskult und Bar- publikum fragt nachdem Privaten und Inti- barei,von Gewalt und schænem Schein. 20 men der historischen Figuren. Der Untergang Der viel gelobte Bruno Ganz spielt darin soll Geld in die Kinokassen bringen,dasdie çbrigens ±ohne gequetschte Stimme ±als Constantin-Film AG, die ihn produzierte Sprecher aus dem Off eine sehr viel çberzeu- und deren Aufsichtsratsvorsitzender Bernd gendere Rolle.Manhåtte sichgewçnscht, Eichinger ist,dringend benætigt.Als der Film dass die Programmkinos,die sichmancher- fçrden Oscarnominiert war,durfte sie zu- orts weigerten,den Untergang zu zeigen,Co- mindest zeitweilig hoffen,dass er in den lu- hens Film als Alternative angeboten håtten. krativen internationalen Vertriebkommen Aber er ist wohl nur nochwenigen bekannt. wçrde. Der Untergang sollte indes nicht nur ein kommerzielles,sondern auchein Kultur- Die Herrschaftslogik des ¹Dritten Rei- ereignis sein.Einige der meinungsmachenden chesª,die auf der Erzeugung einer schænen Medien haben sichdabei kråftig ins Zeug ge- Scheinwirklichkeit und der Entfesselung von legt.Selbst die Frankfurter Allgemeine Zei- Gewalt beruhte,wird in Der Untergang nur tung sprachvon einem ¹Meisterwerkª. in ihrer letzten,selbstzerstærerischen Konse- quenz ins Bild gebracht.Aber die gewalttåti- Gewalt und schæner Schein gen und åsthetisierenden Zçge im Doppelge- sicht des ¹Dritten Reichesª kommen nicht Ob Hitler,wie in der frçhen Nachkriegszeit, von ungefåhr,sondern aus der nationalsozia- als einer der græûten Verbrecher der Mensch- listischen Weltanschauung und Rassenlehre heitsgeschichte dåmonisiert wurde,oder ob selbst.Diese verlangte nachVeranschauli- er,wie in den gegenwårtigen Filmen,als Pri- vatperson gezeigt wird ±esgelingt uns offen- 19 Wohltuend in ihrer energischenund subtilen Kritik barweiterhin nicht oder nur schwer,diesen andem neuen Film-Hitler:GustavSeibt,Eine unan- genehme Person,in:SZ vom 9. 9. 2004; Georg Seeûlen, ¹Niemand aus Wienª als eine historisch-poli- Mensch,Hitler,in:Berliner Zeitung vom 7. 9. 2004; tische Figur zu begreifen. 18 Erwarein unge- Gætz Aly,Ichbin dasVolk,in:SZ vom 1. 9. 2004; Willy Winkler,Weil es reicht,in:SZ vom 12./13. 4. 2003. 18 Vgl.Joseph Peter Stern,Hitler.Der Fçhrer und das 20 Ausfçhrlicherwird dieser Zusammenhang unter- Volk,Mçnchen 1978. sucht und dargestellt in:P.Reichel (Anm.17).

22 APuZ44/2005 chung,obim Bild des ¹nordischen Men- Auschwitz çberlebthatte,der mit dem Ster- schenª oder der ethnischhomogenen ¹ari- ben lebte,der gegen dasSterben schriebund schen Volksgemeinschaftª,im Volkskærper, den dasSchreiben dochnicht im Leben hielt, in der Volksgesundheit.Sie wareine sichim prophezeite:Schlieûlichwird dasReichHit- Bilde darstellende Ideologie mit einer schar- lers ¹Geschichte schlechthin sein,nicht besser fen,visuell fixierten Wir-Ihr-Trennung zwi- und nicht çbler als es dramatische historische schen den ¹Hochwertigenª und den ¹Min- Epochen nun einmalsind,blutbefleckt viel- derwertigenª,den deutschen ¹Volksgenos- leicht,aber dochauchein Reich,dasseinen senª und den ¹Fremdvælkischenª,den Familienalltaghatte (. ..). Hitler,Himmler, ¹Gesundenª und den ¹Krankenª. Heydrich(. ..), daswerden Namen sein wie Napoleon,Fouch,Robespierre und Saint- Aber auchdasHerrschaftssystem selbst Just (. ..)(und)die von einem hochzivilisier- warauf Visualisierung angewiesen.Der Un- ten Volk mit organisierter Verlåsslichkeit (. ..) rechtsstaatkonnte sichnicht allein auf die vollzogene Ermordung von Millionen wird Mittel seiner terroristischen Ordnungsstif- als bedauerlich,dochkeineswegs einzigartigª tung und militårischen Zerstærungsmacht dastehen.¹Alles wird untergehen in einem stçtzen.Wollte er nicht nur Angst und (. ..),Jahrhundert der Barbarei`.Als die wirk- Schrecken verbreiten,sondern breite Akzep- lichUnbelehrbaren,Unversæhnlichen (. ..) tanz gewinnen,warerdeshalbzugleichzur werden wir dastehen,die Opfer (. ..).ª 21 permanenten Produktion von schænem Schein und symbolischer Gratifikation ge- Ehrenrettung zwungen.Die åsthetisierende Ûberformung der Weimarer Klassengesellschaft im Leitbild Fçreine gewisse Ehrenrettung des deutschen der ¹Volksgemeinschaftª konnte den Ein- Films hatVolker Schlændorff gesorgt.In Der druckerwecken,der NS-Staatwçrde die so- neunte Tag geht es einmalnicht um dasPriva- ziale Frage læsen,ohne Bçrgerkrieg und ohne te und Allgemein-Menschliche der verun- die verhassten Parteien.Die politisch-reli- glçckten NS-Græûen.Der Film folgt dem Ta- giæse Mystifizierung der Macht des Dikta- gebuchdes luxemburgischen Paters und zeit- tors,die architektonische Monumentalisie- weiligen Dachauhåftlings JeanBernard.Im rung seiner Herrschaft und schlieûlichdie Mittelpunkt steht der AbbHenri Kremer. forcierte Aufrçstung und machtpolitischde- Seinem gemarterten Kærper,seiner Einsam- monstrative,vertragsbrçchige Ûberwindung keit und SeelenqualgibtUlrichMatthes (in des ¹Versailler Diktatfriedensª ±sie verspra- dieser Rolle sehr viel çberzeugender als in chen die Læsung der nationalen Frage.Und dem missglçckten Untergangs- Goebbels) die verheiûungsvoll erlebten,vielfåltig insze- schmerzgebeugte Gestalt.Hier geht es um nierten Bilder einer modernen Industrie-und dasErleiden der Folter,um den Verlust des Wohlstandsgesellschaft mit Massenkonsum, Mensch-und Heimischseins in der Welt,wie Massenkommunikation,Massenmotorisie- es JeanAmry und Primo Levi beschrieben rung und Massentourismus suggerierten,dass haben.Ein schwaches,ein symbolisches Ge- der NS-Staatauchdie Zukunftsfrage wçrde gengewicht zu den filmischvermenschlichten læsen kænnen.Wer konnte,wer mochte daer- Lebensgeschichten unserer geschichtspromi- kennen,dass dies alles zum Zwecke eines gi- nenten Massenmærder.Aber immerhin. gantischen Weltanschauungs-, Raumerobe- rungs-und Vælkervernichtungskrieges ge- schah?Dass dieser Groûkrieg,dass dieses Groûverbrechen dem Untergang Hitlers und des Deutschen Reiches vorausging,scheint aber fçrdie Filmemacher,die uns mit Hitlers letzten Tagen ein paarunterhaltsame Kino- stunden bereiten wollen,eine nicht weiter er- wåhnenswerte Lappalie zu sein.

Beståtigt Der Untergang amEnde also nur, 21 JeanAmry,Jenseits von Schuld und Sçhne.Be- wasJeanAmry schon in den sechziger Jahren wåltigungsversuche eines Ûberwåltigten,Mçnchen 1966, S.127 f. vorausgesagt hat?Der jçdische Schriftsteller und Philosoph,der die Folter erfahren und

APuZ44/2005 23 JanDistelmeyer hafte Revolverheld English Bob(Richard Harris), der in Clint Eastwoods Western Er- barmungslos (1992) den Unterschied zwi- Landesvåter und schen dem alten Europaund Amerika±¹ein sehr wildes Land,mçssen Sie wissenª ±an dem beklagenswerten Mangel eines aristokra- Staatskærper: tischen Herrscherhauses festmacht:¹Ich denke,dieses Land sollte sicheinen Kænig leisten oder nochbesser eine Kænigin anstatt Pråsidenten- eines Pråsidenten.Niemand schieûtsoleicht auf einen Kænig oder eine Kænigin ±auf Ma- Bilder aus jeståten von kæniglichem Blut.ª Als pråsidiale Demokratie ¹leistenª sich Hollywood die USAeinen Pråsidenten,der die Funktion des Staatsoberhaupts und die des Regierungs- chefs in sichvereint.Diese zentrale Rolle sist in etwaso wie bei dem Sprichwort eines einzigen Mannes als Repråsentant und E von dem Wald,der vor lauter Båumen Entscheidungstråger gleichermaûen fçhrt unsichtbarwird:Natçrlichherrscht in Kinos, dazu,dass Spielfilme,in denen es um den US- Videotheken und Fernsehsendern alles andere Pråsidenten oder die -Pråsidentschaft geht, als ein Mangel anUS- immer zugleichauchdaspolitische System amerikanischen Spiel- selbst thematisieren.Der Machtinhaber re- JanDistelmeyer filmen ±ein Gesamt- pråsentiert nicht nur ¹dasLandª,¹die Nati- Dr.des.phil., geb.1969; bild eines Film-Ame- onª oder ¹dasamerikanische Volkª (was Filmwissenschaftler und freier rikasist anHand immer dassein mag), sondern zugleichein Journalist,Kollwitzstraûe12, dieser Filme jedoch System,dasganz auf ihn ausgerichtet ist.Als 10405 Berlin. kaum zu gewinnen. ein Kærper,in dem Zeichen-und Machtfçlle [email protected] Die Suche nach¹dem zusammenkommen,setzt die Figur des US- USA-Bildª,dassich Pråsidenten eine Symbolgeschichte Amerikas durchzeitgenæssische Hollywood-Produk- fort,in der dasLand selbst als ganzer Kærper tionen vermittele,ist von Anfang anzum begriffen worden ist. Birth of anation ±die Scheitern verurteilt.Zugroûwarund ist die Rede von der ¹Geburt der Nationª ±ist als Masse anFilmen,die mit unterschiedlichen geflçgeltes Wort fçrdie Entstehung der Ver- Perspektiven,Schwerpunkten und Interessen einigten Staaten bis heute Teil der US-ameri- ein Land bebildern,dasinnerhalbder Erzåh- kanischen Legenden-und Geschichtsschrei- lungen die verschiedensten Rollen spielt:vom bung.Nochimmer wird der 4. Juli 1776 als Hintergrund fçrHorrorfilme,Komædien ¹Geburtstagder Nationª gefeiert.¹Nationale oder Dramen bis hin zur Hauptrolle,indem Kulturenª,betont der Sozial-und Kulturwis- die Verfassung der Vereinigten Staaten zum senschaftler Stuart Hall,¹werden nicht nur Themawird.Der Marktanteil US-amerikani- aus kulturellen Institutionen,sondern auch scher Filme amVerleihumsatz in Deutschland aus Symbolen und Repråsentationen gebil- laginden letzten Jahren bei weit çber 70 Pro- detª, 1 und im Falle der USAist dasKærper- zent,kaum anders verhålt es sichmit dem symbol von besonderer Bedeutung.Diese Gesamtmarktanteil in allen 25 EU-Mitglied- Einheits-Metapher,dasBild der US-amerika- staaten:Wir leben mit einer Fçlle von USA- nischen Nation als zur Welt gekommener Bildern,sie sind Teil unserer alltåglichen Um- Kærper,hatder franzæsische Philosoph welt ±jede systematische Annåherung ansie Jacques Ranci re als ¹Amerikasdominante ist immer schon ein Produkt unserer Auswahl Fiktionª beschrieben.¹The dominant Ameri- und unserer Perspektive. canfiction,the fiction of ,the birth of anati- on`,canrepresent the codes asthe result of a Die wohl naheliegendste Mæglichkeit,sich history,and replaythe conflicts of thathis- mit der Frage der Repråsentation der Verei- nigten Staaten zu befassen,besteht darin,sich 1 Stuart Hall,Kulturelle Identitåtund Globalisierung, auf den Repråsentanten,den Pråsidenten der in:Karl H. Hærning/Rainer Winter (Hrsg.),Wider- USA, zu konzentrieren ±sowie der dandy- spenstige Kulturen,Frankfurt/M.1999, S.416.

24 APuZ44/2005 tory in different ways:whites versus Indians; entschlossener Anfçhrer,der zur Rettung der North versus South;Lawversus Outlaw, Menschheit vor den Auûerirdischen auchden etc.ª 2 Einsatz der Atombombe±¹Let'snuke the bastards!ª±nicht scheut.Dass dieser Pråsi- Der groûeBeschçtzer dent darçber hinaus auchals erstklassiger Bomberpilot und als ganz natçrliche Fçh- Inden vergangenen 15 Jahren ist eine auûer- rungs-und Rednerpersænlichkeit trium- gewæhnlichgroûeAnzahl anPråsidenten-Fil- phiert,rundet dasBild der tadellosen ¹Num- men produziert worden.¹Inkeiner Dekade mer 1ªab. der Filmgeschichteª,betont der Filmpublizist Franz Everschor,¹gab es so viele Filme,in Von hier aus waresnur ein Schritt zu denen ein (realer oder fiktiver)Pråsident eine einem Film-Pråsidenten,der sichbei der Ab- Rolle gespielt hat,wie im letzten Jahr- wehr des Bæsen selbst im Nah-und Faust- zehnt.ª 3 Besonders auffållig erscheinen dabei kampf bewåhrt.Harrison Ford vereint in zwangslåufig jene Filme,in denen Pråsiden- Wolfgang Petersens Air ForceOne (1997) per- ten als Haupt-bzw.Heldenfiguren installiert fekt die månnliche Virilitåtdes groûen Be- werden.Mitte der neunziger Jahre wanderte schçtzers mit den Bedenken und Zweifeln dasStaatsoberhaupt als leading man von eines weitsichtigen,verantwortungsbewuss- einem Genre zum anderen ±als hinge die ten Landes-und Familienvaters:Als Terroris- Pråsenz der Kino-Pråsidenten nicht zuletzt ten dasFlugzeug von Pråsident James Mar- mit dem Wechsel von George Bush sr.zu Bill shall entfçhren und seine Familie als Geisel Clinton 1992 zusammen:Der neue,jçngere, nehmen,mutiert der ebenfalls anBord be- dynamischere,telegene Mann mit dem (nicht findliche Politiker und Ex-Soldatzuseinem erst seit der Lewinsky-Affåre)bekannterma- eigenen Sondereinsatzkommando.AmEnde ûen aktiven Liebesleben schien sichwesent- wird unter dem Motto ¹Get off my plane!ª lichbesser fçrallerlei Projektionen zu eignen erbarmungslos aufgeråumt. als seine Vorgånger. Derart auf den Pråsidenten als Heldenge- 1995 durfte der von Michael Douglasge- stalt fokussierte Blockbuster bildeten zwar spielte US-Pråsident Andrew Shepherd aus- (çberaus erfolgreiche)Ausnahmen,doch giebig alle Seiten charmanter Menschlichkeit auchmit kleineren Rollen bliebin den letzten pråsentieren.InRobReiners Hallo,Mr.Pre- Jahren Gelegenheit fçrVerbeugungen vor sident (1995) verliebtersichineine selbstbe- dem Staatsoberhaupt.Als treu sorgender und wusste Vertreterin einer Umweltorganisation darin vielleicht garzuperfekter Familienvater (Annette Bening). Der hochangesehene wird er in Coming-of-Age-Komædien wie Staatsmann zeigt jede Menge Gefçhle,schrei- Andy Cadiffs Chasing Liberty (2004) und tet hæchstselbst zum Blumenkauf,und damit Forrest Whitakers Ein Date mit Hindernissen auchvor Gott mit Fug und Recht geflirtet (2005) zur geliebten Last.Weil seine Tæchter (und anschlieûend auchdie Welt verbessert) ohne Secret-Service-Aufsicht erwachsen wer- werden kann,ist Pråsident Shepherd bereits den wollen (in Chasing Liberty wird Europa verwitwet. besucht,in Ein Date mit Hindernissen geht es aufs College), schickt der protektive Pråsi- Den Sprung von der romantischen Komæ- Papa(in Chasing Liberty von Mark Harmon, die zur ScienceFiction gelang dem Staatschef in Ein Date mit Hindernissen von Michael in Roland Emmerichs IndependenceDay Keaton verkærpert)jeweils einen kompati- (1996). Pråsident ThomasJ. Whitmore (Bill blen Undercover-Agenten hinterher.Dass Pullman)zeigt sichhier im Angesicht der sichstets beide,Beschçtzer und Beschçtzte, Alien-Invasion als integrer,selbstloser und ineinander verlieben,sorgt zwarzunåchst fçr Irritationen,erfçllt aber letztlichdochnichts 2 Jacques Ranci re,Interview:The Image of Brother- anderes als den Masterplandes Obersten Be- hood,in:EdinburghMagazine Nr.2 (History/Pro- fehlshabers. duction/Memory), 1977, S.28. 3 Franz Everschor,Kino Macht Politik:Der amerika- InMichael Bays Pearl Harbor (2001) wird nische Pråsident im Hollywood-Film von einst und jetzt,in:ders., Brennpunkt Hollywood:Innen- der Zweite Weltkrieg als Identitåtsstiftung ze- ansichten aus der Filmmetropole der Welt,Marburg lebriert,und neben den Protagonisten ist es 2003, S.209. Amerikaselbst,dasinGestalt seines Pråsi-

APuZ44/2005 25 Der amerikanische Pråsident zieht persænlichinden Krieg gegen die Auûerirdischen. Szene aus Roland Emmerichs IndependenceDay. Quelle: 20th CenturyFox,PSM&WKommunikation (Frankfurt/M.). denten Roosevelt (Jon Voight)zu sichals Als junger Anfçhrer,als Artus-Gestalt im Kåmpfer zurçckkommt.Seiner Erkenntnis, Kreise weniger,aber fester Getreuen,meistert ¹långst im Ringª zu sein,låsst er mit dem dieser JFK die Herausforderung.Wovon Kriegseintritt der USAentsprechende Taten Thirteen Days somit aucherzåhlt,ist die folgen.Jede Bombeund jedes Opfer bringen Wirksamkeit der Camelot-Metapher,die seit ein StçckIdentitåtzurçck,bis Roosevelt wie den sechziger Jahren zu einem stehenden Be- zum Beweis aus seinem Rollstuhl aufersteht, griff fçrdie ØraKennedy geworden ist,zu um mit der fast verlorenen Kraft seiner Beine einem Ideal,andem neue Pråsidenten und Entschlossenheit und Standhaftigkeit zu be- der Zustand der USAgemessen werden. 4 zeugen: Standing bythe flag . Auf seine Weise unternimmt Thirteen Days nicht weniger als die filmische Ûbersetzung Roger Donaldsons Thirteen Days erzåhlt eines berçhmten Úlgemåldes von Aaron aus der Perspektive des Pråsidentenberaters Shikler,ein Portråtdes in Gedanken versun- Kenny O'Donnell (Kevin Costner)von jenen kenen John F. Kennedy:Ûber die nachdenk- dreizehn Tagen,die 1962 als Kubakrise in die lichund wehrhaft verschrånkten Arme hin- Geschichtsbçcher eingegangen sind:Geheime weg richtet sichder Pråsidentenblicknach russische Mittelstreckenraketen auf Kuba, unten und damit eigentlichnachinnen,hin Zwischenfålle im kubanischen Luftraum und zu den Problemen,fçrderen Læsung Kenne- vor der berçhmten Schweinebucht,und die dy sorgen wird. US-Fçhrung erwågt den pråventiven Nukle- ar-Erstschlag.Dreizehn Tage lang eskaliert die Bedrohung,nur durcheine Einigung in Der groûeLçgner letzter Minute kann der Dritte Weltkrieg ab- gewendet werden.In Thirteen Days sind Sichauf diese verhåltnismåûig eindimensio- diese Tage zuallererst die Bewåhrungsprobe nalen Bilder von US-Pråsidenten zu konzen- von Robert (Steve Culp)und vor allem John trieren,hieûejedoch,ein ebenso eindimensio- F. Kennedy (BruceGreenwood)als bedåchti- nales Bild der Pråsidentschaft im US-Kino zu ge Retter,als weise Jçnglinge wider alle bæsen konstruieren.Denn gerade die in den neunzi- Måchte aus Russland,Kuba und dem altein- ger Jahren einsetzende Welle von Filmen um gesessenen US-Militårkomplex.¹Sie mægen Pråsidenten und Kandidaten zeigt,dass auch Unrecht haben,ªbezeugt der treue O'Donnel 4 seine Liebezubeiden,¹sie mægen Fehler ma- Vgl.dazu Ernest Giglio,Here'sLooking atYou: Hollywood,Film and Politics,New York 2000, S.94; chen.Aber sie sind nicht schwach!Niemand James Combs,AmericanPoliticalMovies,New York± treibtjeeinen Keil zwischen uns!ª London 1990, S.58.

26 APuZ44/2005 im populåren Kino eine ganz andere Perspek- bei Bier und Rippchen amerikanische Volks- tive zu finden ist. weisen singt.

Schon IvanReitmans Dave (1993) stellt das Vom ersten Augenblickanist dasSpiel,die Idealvom unbestechlichen,menschlichen Inszenierung JackStantons,leicht zu durch- und aufrechten Staatslenker als eine Wunsch- schauen.Und docherscheint dieser nicht nur vorstellung dar,die nur um den Preis des Ver- als der einzige Mann fçrden Posten,als kon- schwindens der realen Verhåltnisse zu haben sequentes Ergebnis der Anforderungen an ist.Hier entwickelt sichder Kleinstådter jeden Kandidaten,sondern darin auchauf Dave Kovic(Kevin Kline)vom Pråsidenten- eine seltsame Weise anrçhrend wahrhaftig. double ±der echte ist durcheinen Herzanfall Wasdiese Ausstrahlung ausmacht,ist schwer beim auûerehelichen Sex auûer Gefecht ge- zu sagen.Klarist nur,dass sie direkt mit dem setzt ±fçreine kurze Zeit zum liebenswçrdi- einhergeht,waswir als Heuchelei,Show und gen,besseren Politiker und Ehemann der Lçge erkennen kænnen.Auf der Suche nach First Lady (Sigourney Weaver). Schon hier ist dem Richtigen im Falschen bleibtsomit dasWeiûeHaus weniger ein heiliger oder Henry Burton vielleicht nur der Schluss,dass mythischer als vielmehr ein undurchsichtiger der richtige Weg eben nicht nur steinig,ver- Ort;ein Zentrum der Intrigen,der falschen baut oder verboten ist:Erhatschlichtweg Spiele und der Manipulation. niemals wirklichexistiert.Sobekannt die These vom geringeren Ûbel ist,so unmæglich Zahlreiche andere Filme untermauerten wird es hier,sichdem ganzen Ausmaûdieses dieses Bild,zum Beispiel Barry Levinsons Sa- Problems zu entziehen.Mehr und mehr ge- tire Wagthe Dog (1997) oder Tim Burtons winnt dasGeståndnis anBedeutung,das Mars Attacks,in dem JackNicholson eine de- Henry Burton amAnfang des Films formu- rangierte Karikatur des Pråsidenten darstellt. liert hatte:¹Ichwill anetwasglauben.ª DasWeiûeHaus wird in Dwight Littles MordimWeiûen Haus (1997) zum blutbe- Angesprochen auf Wagthe Dog und Mit fleckten Tatort eines Mordes,und Clint East- aller Macht hatWarren Beatty mit einer kur- woods Thriller Absolute Power (1997) ent- zen Frage geantwortet:¹Glauben Sie,dass larvt den amtierenden Pråsidenten (Gene dies politische Filme waren?ªSein eigenes Hackman)selbst als promiskuitiven Mærder. Werk zum Thema, Bulworth,beginnt mit JonathanDemmes Remake The Manchurian dem Zusammenbruchdes demokratischen Candidate (2004) verwandelt den Plot des Senators JayBulworth (Warren Beatty). Die- Verschwærungsthrillers von John Franken- ser ist çber seine sinkenden Chancen bei der heimer aus dem Jahr 1962 in ein Problem im bevorstehenden Wahl und den Verlust der ei- Innern des Systems:Die Bedrohung durch genen linken Ideale so verzweifelt,dass er einen manipulierten,¹ferngesteuertenª Pråsi- einen Killer auf sichselbst ansetzt,um qua dentschaftskandidaten entspringt den Ver- Lebensversicherung zumindest seiner Tochter strickungen der politischen Fçhrung mit eine Hilfe zu sein.Der Anfang zeigt den Se- spåtkapitalistischen Konzernen. nator anseinem SchreibtischinTrånen aufge- læst.Und nachdem wir uns angesichts Warren Vom Preis der Pråsidentschaft,dem Weg an Beattys Image ±als dem prominentesten die Spitze eines in sichproblematischen Ap- Schauspiel-und Regie-Stardes ¹linkenª Hol- parats,erzåhlen Mike Nichols' Mit aller lywood ±fçrSekunden in dem Gedanken Macht (1998) und Warren Beattys Bulworth verlieren kænnen,obBeatty hier vielleicht (1998). In Mit aller Macht avanciert der junge çber unpolitische Politfilme weint,demons- Lehrer Henry Burton (AdrianLester)zum triert Bulworth,worum es geht:Die Kamera Wahlkampfmanager des Pråsidentschaftskan- fåhrt Fotos aus der Vergangenheit des Kandi- didaten JackStanton (John Travolta), der daten ab,zeigt Bulworth ander Seite Robert deutlichBill Clinton nachempfunden ist.Mit Kennedys,mit dem Black-Panther-Anfçhrer Henry Burton sehen wir die Affåren von Jack Huey Newton,mit Malcolm Xund Martin Stanton,seine schmierige Art,Menschen zu Luther King,wåhrend die Tonspur dasJetzt çberzeugen und zu Trånen zu rçhren.Wir be- zurçckbringt.Die Bilder sind unterlegt mit obachten schmutzige Kampagnen,erkennen der Wischi-Waschi-Rede seiner neuen kon- die zentrale Rolle seiner FrauSusan(Emma servativen Kampagne,die uns (oder zumin- Thompson), die Politik macht,wåhrend Jack dest ihr Anfang)nochæfter begegnen wird:

APuZ44/2005 27 Ein Senator offenbart die verlogene Seite der Politik.Szene aus Warren Beattys Film Bulworth.

Quelle: 20th CenturyFox,PSM&WKommunikation (Frankfurt/M.).

¹Westand on the doorstep of anew millenni- pay,I'll do whatyou say!ª,und schockiert um (. ..).ª die versammelten Finanziers seiner Wahl- kampagne ±¹Let me hearthe dirty word:So- Diese çber Ton und Bild aufgemachte cialism!ª±mit unerwarteten Reimen.¹Iam Spannung offenbart hier schon die dialekti- JayBulworth and I'mhere to say:only the sche Struktur,die Bulworth bis zum Ende socialist medicine cansave the day.ªSein raci- prågen wird.Die Differenz ±ganz gleichob aldeconstruction programm sieht vor,alle zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ethnischen Unterschiede langfristig sexuell Schwarz und Weiûoder Ober-und Unter- aufzuheben,um den Blickauf den Problem- schicht ±dient dabei nicht dazu,eins gegen kern,die Besitzverhåltnisse,freizulegen. dasandere auszuspielen,sondern einer Ana- lyse der Verhåltnisse,aus der heraus erst Ver- Spielerischleicht æffnet Bulworth damit ånderungen mæglichwerden.Der Senator Jay ein Diskursfeld zu Rassismus und kapitalisti- Bulworth von 1998 ist selbst dasProdukt scher Úkonomie,dasinseiner Komplexitåt einer solchen Differenz,und nachder Er- alle anderen US-Polit-und Pråsidentenfilme kenntnis folgt die Bewegung.Denn in Erwar- der vergangenen Jahre hinter sichlåsst.¹You tung des baldigen Todes beginnt Bulworth, are my nigger!ª,sagt NinaamEnde zu Jay rçcksichtslos ¹die Wahrheitª auszupacken. Bulworth und dabei spiegelt sichdasPrinzip Einer afroamerikanischen Gemeinde erklårt der Spannung des Film in diesem einen Satz, er zum Schrecken seines Wahlkampfmanagers dessen Bedeutung zwischen Liebeserklårung Dennis (Oliver Platt), sie håtten natçrlich und Todesurteil die Waage hålt. nichts von Politikern zu erwarten,solange sie nicht eine finanzkråftige Lobbybesitzen:¹If you don'tput down thatbucket of chicken Der Offenbarungseid wings and don'tget behind alinebacker who stabshis wife in the back,you'll never get rid Tatsåchlichist dasWeiûeHaus in der Mehr- of somebody like me.ªWenig spåter beginnt heit der US-Produktionen seit 1990 alles an- der 60-Jåhrige,begeistert und mehrfachbe- dere als ein Camelot,eine Wiederkehr des lehrt von der schwarzen Wahlhelferin Nina Hofes der Artus-Sage.Eher schon ist diesen ( Berry)sowie begleitet von einem un- Filmen ein deutliches Misstrauen gegençber glåubigen TV-Team,zu rappen.Sospricht er der staatlichen Fçhrung und den politischen æffentlichçber Korruption,¹Aslong asyou Institutionen eigen.ImWeiûen Haus wird

28 APuZ44/2005 gelogen,betrogen,manipuliert,gemordet und politischen (Spitzen-)Klasse beståtigt.Als gnadenlos intrigiert.Verbrechen werden ver- US-Pråsident Jackson Evans (Jeff Bridges) tuscht,Affåren geheim gehalten,Kriege in- mit Laine Hanson erstmals in der Geschichte szeniert.Pråsidenten erscheinen als heucheln- der Vereinigten Staaten eine FraufçrdasAmt de,skrupellose Machtmenschen,Kandidaten des Vizepråsidenten nominiert,tritt sein kon- als bemitleidenswerte Selbstdarsteller,die servativer Gegenspieler auf den Plan.Der sichfçrdasAmt von allen Idealen verab- Kongressvorsitzende Sheldon Runyon (Gary schieden mçssen.Umso dringender artikulie- Oldman)inszeniert eine in alle Winkel des ren sichin Dave und Mit aller Macht die Kongresses reichende Schmutzkampagne: Wçnsche nachanderen Leitfiguren ±nach Fotos,auf denen die Kandidatin als Studentin jenen,die die Probleme çberwinden kænnten, beim Gruppensex zu sehen ist,sollen ihr und welche so eng mit diesem Machtkomplex und dem Pråsidenten dasGenickbrechen.Dass seinen Protagonisten verbunden scheinen. dies letztlichverhindert wird,magein Hoff- nungsschimmer sein.Wie es verhindert wird, Eine satirische Læsung hatdazu Headof belegt indes jenes Problem,von dem schon State (2003) anzubieten.ImRegiedebçtdes Mit aller Macht handelte:Sheldon Runyon Stand-Up-Komikers Chris Rockwird der wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen. StadtratMays Gilliam(Chris Rock)erst aus Vergeblichwehrt sichdie integre und stolze Imagegrçnden und reinem Machtkalkçlals Kandidatin ±¹Dann wåren wir auchnicht schwarzer (Schein-)Kandidatfçrdie Pråsi- besser als er!ª±gegen diesen Planihres Pråsi- dentenwahl aufgestellt und feiert dann doch denten.DochimOvalOfficegibtesdarauf ungeplante Erfolge.Ungeachtet von Proto- nur eine Antwort:¹Wir sind auchnicht bes- koll und Wahlstrategien beginnt er,seine ei- ser als er!ª genen Ansichten zu verbreiten ±Kontrast- mittel fçrdie symbolische Ordnung des Wei- Diese Erkenntnis hatihre eigene Kinoge- ûen Hauses:¹You show me agrown man schichte.Mit der Demontage des Traums that'snever said shit and I'll show you vom Richtigen im Falschen variieren Filme somebody that'sfull of shit!ª wie Rufmord , Mit aller Macht, Wagthe Dog, The ManchurianCandidate oder Bulworth Gene Hackmanverkærpert diese symboli- eine Vorstellung,die seit den sechziger Jahren sche Ordnung in Mooseport (2004). Als Ex- in Hollywood-Filmen durchaus nicht unbe- Pråsident Monroe Cole haterdem Weiûen kannt ist.Auf einen Satz gebracht lautet sie: Haus zwarden Rçcken gekehrt ±zugunsten Die US-amerikanische (Spitzen-)Politik ist eines Kaffs im Bundesstatt Maine.Den gan- ein schmutziges Geschåft,in dem jeder schul- zen Sicherheits-, Show-und Verschleierungs- dig werden muss,der nachoben kommen apparataber hatermit nachMooseport ge- will. Der Kandidat (1964) markierte als Ver- nommen und bringt ihn gnadenlos ins Spiel, filmung des gleichnamigen Dramasvon Gore als es gilt,sichgegen den leutseligen Klemp- Vidaljenen Wendepunkt,der sichimKino ner Handy Harrison (RayRomano)im bereits 1962 in Sturm çber Washington ange- Kampf um dasAmt des Bçrgermeisters kçndigt hatte. durchzusetzen.Dafçrsollen wenn nætig die ganz harten Bandagen ausgepackt werden. Die Logik von Frank Capras Mr.Smith Und dass der Klempner eine Sorte Gegner geht nachWashington ( 1939) gilt seither nicht darstellt,mit dem ¹wir es nochnie zu tun mehr in allen Filmen:Der Einzelne kann in hattenª,nåmlicheinen ¹von Grund auf ehrli- der Politik nicht långer gegen Korruption, chen Mannª,entlockt Cole hæchstens amç- Mauschelei und Intrigen gewinnen,weil Kor- sierten Realismus:¹Ach,ichbitte Sie!Dasbe- ruption,Mauschelei und Intrigen dasWesen deutet nur,dass er nochnie fçrein æffentli- der Politik bestimmen.Bill Russel (Henry ches Amt kandidiert hat.ª Fonda)kann in Der Kandidat gerade deshalb nicht Pråsident werden,weil er zu klug,zu Genauindiesem Sinne machen wir mit integer und nicht skrupellos genug ist.Diese JoanAllen als Senatorin Laine Hanson in Vorstellung eines Sumpfes,eines korrupten Rod Luries Rufmord (2000) eine zweiteilige und korrumpierenden Systems,dasseine Mit- Erfahrung:Indem hier all ihre politischen glieder wie in Bill McKay±der Kandidat und moralischen Ideale negiert werden,wird (1972) gleichsamzuverschlingen droht,er- zugleichunsere traurige Vorstellung von der hielt durchdie Watergate-Affåre neue Nah-

APuZ44/2005 29 rung. Die Unbestechlichen (1976), die filmi- keine eindeutigen Bilder oder Worte anbie- sche Aufarbeitung der Affåre,wurde zu ten.Inwiefern Lyndon B. Johnson,Kennedys einem der erfolgreichsten Politthriller çber- Nachfolger im Amt des US-Pråsidenten,und haupt.¹Hollywood movies about political J. EdgarHoover,Chef des FBI, konkret an machinesª,hatErnest Giglio dazu bemerkt, der Ermordung beteiligt gewesen sind,wie ¹usually depicttwo very different attitudes Mafiaund staatliche Einrichtungen koope- about politics:either the films portraythe rierten ±diese und weitere Fragen zur Ermor- machine asamonolithicforcethatcontrols dung Kennedys bleiben hier auf eine Weise votes and remains in power through corrupt im Dunkeln,die den Ausflçchten des Ver- deals made byself-serving politicians and dåchtigen David Ferrie (Joe Pasci)letztlich justified on grounds of politicalnecessity or Recht geben:¹Scheiûe,Mann,dasist ein Ge- the existing machine becomes the target of re- heimnis.Dasist ein Geheimnis,versteckt in form politicians who overthrow it only to einem Råtsel,dasineinem Geheimnis succumbto the temptations provided byab- steckt.ª solute power.ª 5 Und genaudarauf kommt es bei einer Ver- Die Verschwærung schwærung schlieûlichan:dass sie im Dun- keln bleibt,aber dochweit genug ans Licht Wenn es um die ¹politische Maschineª der kommt,um sie zumindest benennen zu kæn- USAgeht,ist im Hollywood-Kino der ver- nen.Der Kulturwissenschaftler FredricJame- gangenen Jahre also weniger ein Bild als eine son hatinseiner Auseinandersetzung mit Bewegung auszumachen.Esist ein Pendeln Verschwærungserzåhlungen der siebziger und zwischen Unbehagen und Hoffnung,bei dem achtziger Jahre den ¹conspiratorialplotª als dasWeiûeHaus und die politische Fçhrung Mæglichkeit bezeichnet,auf die wachsenden einem offenen Geheimnis,einer transparen- Anforderungen einer Realitåtzuantworten, ten Undurchsichtigkeit gleichkommen.In die durchfortschreitende Spezialisierungen Oliver Stones JFK ±Tatort Dallas (1990) und sichpermanent erneuernde Technologien wird diese Bewegung besonders anschaulich. immer undurchschaubarer wird. 6 Der conspi- Der erschçtternden Verschwærungstheorie ratorialplot,die Verschwærungs-Bilder und zum Attentatauf John F. Kennedy vom No- -Erzåhlungen,kænnen gerade in ihrer Eigen- vember 1963, die von Staatsanwalt Jim Garri- art,dasgroûeGanze irgendwie zu umreiûen son (Kevin Costner)entwickelt wird,stehen und dabei zugleichstets unscharf zu bleiben, zu jeder Zeit die uneingeschrånkte,stabilisie- wie eine persænliche Landkarte funktionie- rende Verehrung des ermordeten Pråsidenten ren:wie ein im Kopf zurechtgelegter Schalt- gegençber.Der gemeuchelte ¹Kænigª,den plan,mit dem mandasnicht mehr Ûberblick- Garrison in seinem Schlussplådoyer be- bare nocheinigermaûen erfassen kann. 7 schwært,ist als Erinnerung nochimmer die Antwort auf alle Fragen. Vielleicht låsst sichindiesem Sinne des conspiratorialplot ambesten çber die US- Sogewiss Kennedy in JFK die USAvor Spitzenpolitik(er)im Hollywoodkino der dem Vietnamkrieg und anderen Verfehlungen letzten Jahre sprechen:Die Filme oszillieren bewahrt håtte,so unbewiesen bleiben hier die zwischen Hoffnung auf ¹den Einenª und der genauen Umstånde seines Todes.Sicher ist Gewissheit,dass die ¹politische Maschineª Staatsanwalt Garrison allein darin,dass ¹ein ganz offensichtlichundurchsichtig und un- Staatsstreichª John F. Kennedy dasLeben ge- zweifelhaft zweifelhaft ist.Dem System ist kostet hat±eine Verschwærung,¹gedeckt nicht zu trauen,oder besser:Sichtbarund und vertuscht von Gleichgesinnten im Poli- verståndlichist es nur insofern,als es seine zeiapparatvon Dallas,vom Secret Service, verborgenen Tçcken hat,Menschen korrum- vom FBI und sogarvom Weiûen Haus bis in piert und nie ganz zu durchschauen ist.So die hæchsten Spitzen,bis J. EdgarHoover sieht Macht aus. und Lyndon B. Johnsonª.Wie genauindes die einzelnen Veråstelungen dieser Verschwæ- rung aussehen,wer wie in diesem Staats- 6 FredricJameson,The GeopoliticalAesthetic:Cine- streichagiert hat,dafçrwill und kann JFK maand Spaceinthe World System,Bloomington± London 1992, S.9. 5 E. Giglio (Anm.4), S.100. 7 Vgl.ebd., S.7±10.

30 APuZ44/2005 Explizit ausgesprochen wird dies in Oliver Ralf Schenk Stones Pråsidentenfilm Nixon (1995). Das ¹schmutzige Geschåftª der Politik erhålt hier eine Art Eigenleben,dem gegençber selbst Die DDRim der Pråsident ohnmåchtig erscheint.Dieser Richard Nixon ist nicht der skrupellose Kopf unlauterer oder krimineller Vorgånge wie deutschenFilm etwanochCliff Robertsons Charakter in Der Kandidat ,sondern selbst ein Opfer.¹Sie kæn- nen ihn nicht stoppen,nicht wahrª,reagiert nach1989 eine Gegnerin des Vietnamkrieges auf Nixons Beteuerung,er wolle den Vietnamkrieg been- den:¹Selbst wenn Sie es wollten.Weil Sie das mJuni 1990, sieben Monate nachdem nicht entscheiden kænnen,sondern das I Mauerfall und vier Monate vor der Wie- System.DasSystem will nicht,dass Sie ihn dervereinigung Deutschlands,wurde einer 1 stoppen!(...) Sie sind machtlos!ªNein,er sei der letzten DEFA-Filme uraufgefçhrt: Die nicht machtlos,entgegnet der Pråsident,weil Architekten.Regisseur Peter Kahane und er dasSystem verstehe:¹Vielleicht kann ich Autor ThomasKnauf beschrieben darin den es nicht vællig kontrollieren,aber es so zåh- Alltagund Seelenzustand jçngerer Intellek- men,dass es uns von Nutzen ist.ª¹Dasklingt tueller in der DDR,die gehofft hatten,einen soª,erwidert die Demonstrantin,¹als wçrden eigenen,unverwechselbaren Platz im Ge- Sie von einem wilden Tier sprechen.ªWenig samtgefçge der real- spåter wird Nixon die Wahrhaftigkeit dieser sozialistischen Gesell- Erkenntnis bekråftigen:¹Sie hatesbegriffen, schaft zu finden. Ralf Schenk Bob,ein neunzehnjåhriges College-Mådchen. Dochdie Architek- geb.1956; freier Autor und Film- Sie hatesbegriffen,und ichhabe25 Jahre in tengruppe,andie der publizist,Mitherausgeber des der Politik zugebracht,um es zu verstehen. Auftragherangetra- Jahrbuchs der DEFA-Stiftung Die CIA, Mafia,Wall-Street-Mistkerle ±die gen worden war,eine (apropros:Film), Unter den Bestie.Eine Neunzehnjåhrige!Ein wildes neue Stadtteilsiedlung Eichen 7a,15537 Erkner. Tier hatsie es genannt!ª zu konzipieren,schei- [email protected] terte sowohl anmate- Ein verschwommenes Bildnimmt Konturen riellen Zwången als auchanden Eingriffen an,um siegleichwiedereinzubçûen:Worin ihrer auf eingefahrenen Gleisen denkenden sichFilme wie Nixon, Rufmord , Mit aller und handelnden Vorgesetzten.Dieses Schei- Macht, Dave, JFK,Absolute Power, Wagthe tern stand im Film çber den konkreten Fall Dog, The ManchurianCandidate, Bulworth hinaus als Metapher fçrden Verlust von (undauf seine Art auch Thirteen Days)åhneln, Hoffnungen und Illusionen nicht nur junger liegt in der Øhnlichkeit der ¹politischen Ma- DDR-Bçrgerinnen und -Bçrger.Nie zuvor schineª der USAmit einer Verschwærung. hatte es eine DEFA-Produktion gewagt,die Mægenimmer wiedereinzelne Fålle±wie Wa- Agonie der Gesellschaft,dasVerschwinden tergate oder der Mordin Absolute Power ± der Utopie in starren Strukturen so eindring- aufgeklårt werden,erhæht sichjedochdamit lichvor Augen zu fçhren wie hier ±bis hin gleichzeitigdasUnheimliche der Machtzen- zu jener Schlussszene,in der der vællig ausge- tren,dasUnbehageninder politischen Kultur. laugte Held,der Leiter der Architektengrup- Manrichtet sichein in dem offenenGeheimnis pe (Kurt Naumann), ander Tribçne nachder çber ¹diedaobenª.Auchdasist eine Ord- Einweihungsfeier zusammenbricht. nung.Gerade in diesem konspirativen Klima kann dieHoffnung gedeihen,dass docheiner Knauf und Kahane hatten,ermuntert von wie JFK oder ThomasJ. Whitmore aus Inde- Michael Gorbatschows Perestroika-Politik, pendenceDay kommen mæge,um sichendlich schon 1986/87 damit begonnen,amBuchzu dagegenzubehaupten.Diesjedoch±auchdas den Architekten zu arbeiten.Wåre der Film zeigendie Pråsidentenfilme±bleibtein Stoff nochvor dem November 1989 in die Kinos fçrErinnerungen oder Mårchen. 1 DEFAsteht fçrDeutsche Film AG, die Filmfirma der DDR,die dasMonopol fçrsåmtliche Kinospiel-, -dokumentar-und -trickfilme besaû. Sie wurde 1946 gegrçndet und 1992/93 abgewickelt.

APuZ44/2005 31 gekommen,wåre ihm eine auûerordentliche rische,gemeinsamgegen die Auûenseiter von Aufmerksamkeit sicher gewesen.Inden Mo- der Stasi agierende Bevælkerung hatte. naten der ¹Wendeª spielte er jedochnur noch eine untergeordnete Rolle.Die Zuschauer,die zum Zeitpunkt der Premiere gerade mit dem Vergessene Filme Umtauschihrer DDR-Mark ins heiûersehnte Westgeld befasst waren,interessierten sich Die wichtigeren deutschen Spielfilme,die nur wenig fçreinen wenn auchnochsokriti- çber dasInnenleben der DDRund die Pro- schen Rçckblickauf den untergehenden deut- zesse der Wiedervereinigung Auskunft gaben, schen Staat. entstanden bereits in den ersten Jahren nach 1990. Heute sind sie weitgehend vergessen, Esbrauchte rund zehn Jahre,bis die DDR weil sie,wie Die Architekten,zu einem Zeit- den Hintergrund fçreinen auchander Kino- punkt erschienen,als dasThemafçrviele un- kasse hæchst erfolgreichen Film abgeben interessant war.Und dochbeanspruchen sie sollte.Inzwischen hatten die schwierigen, Aufmerksamkeit nicht nur schlechthin als hi- durchkeinerlei Erfahrung abgefederten Pro- storische Dokumente,sondern auchals zesse des Zusammenwachsens zu ækonomi- kçnstlerischwagemutige Versuche.Beispiels- schen,geistigen und psychischen Verwerfun- weise drehten Regisseur Jærg Foth und die gen gefçhrt.Manche Beobachter sahen zu- Liedermacher Steffen Mensching und Hans- mindest die mentale Einigung als misslungen Eckardt Wenzel mit Letztes aus der DaDaeR an.Die Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher (1990) ein clowneskes Abschiedsspektakel, mit dem,wassie in und ander Bundesrepu- dasdie DDRauf markant-allegorische Schau- blik vorfanden,schlug sichunter anderem in plåtze reduzierte:ein Gefångnis,ein Schlacht- einem verklårenden Blickzurçck,einer vom hof,ein Mçllplatz,ein Zementwerk,in dem Wende-Zorn långst abstrahierten,freundli- dasMaterialfçrdie Mauer hergestellt wurde, cheren Sicht auf die DDRnieder.Indieser Si- oder der Brocken,jener Berg im Harz,der tuation kamLeander Hauûmanns und Tho- DDR-Bçrgern nicht zugånglichwar,weil er masBrussigs Film Sonnenallee (1999) gerade sichinGrenznåhe befand.Indiesem DEFA- recht.Zum ersten Malwaren heiter gelæste Film ist die ¹alteª DDRein heruntergekom- Reminiszenzen andie DDRzu erleben. menes Universum;dasAmbiente erstickt alle Volkspolizisten und Staatssicherheitsmånner Mæglichkeiten der Entfaltung:¹eine Topo- wirkten wie trottelige Mårchenfiguren,die graphie der Verschmutzung,Unterdrçckung, Verfolgung,Kollaboration und Ûberwa- mit ein bisschen Geschickleicht auszutrick- 2 sen waren.Sogardie Mauer hatte etwasvon chungª. Der Abschied ist çberfållig,wobei ihrem Schrecken verloren. Sonnenallee,of- nochnicht feststeht,wohin die Ankunft fçh- fensichtlicheine der letzten filmischen Entåu- ren wird. ûerungen der deutschen Spaûgesellschaft,be- schwor die Tatsache,dass auchhinter dem InEgon Gçnthers Stein (1991) mçndet ¹Eisernen Vorhangª geflirtet,gefeiert und diese Zukunft ins Jenseits:Der Held des von Rockmusik gehært wurde.Øhnlichwie in der HelgaSchçtz und dem Regisseur verfassten klassischen Feuerzangenbowle (1944), dem Films,ein Schauspieler,verlåsst in den letzten Paradestçckdes deutschen Kleinbçrgers,zog Szenen sein Haus bei Berlin und verliert sich der aus der Pennålerperspektive erzåhlte Film in den ræmischen Katakomben ander Via seinen Lustgewinn aus der vorgefçhrten Appia.Wie Foth in Letztes aus der DaDaeR Dummheit von Lehrern,uniformierten nutzt auchGçnther die realexistierende Staatsdienern und anderen ¹fçhrenden Ge- DDRals Folie fçreine absurde Tragikomæ- nossenª.Obwohl der Erkenntnisgewinn von die:Stein,die Hauptfigur (Rolf Ludwig), Sonnenallee gegen Null tendierte,begannen hatte sichnachdem Einmarschder War- deutsche Fernsehredakteure schon kurz nach schauer-Pakt-Truppen in Prag1968 rigoros dem Film,çber Nostalgieshows speziell fçrs von der Bçhne verabschiedet und sichin ostdeutsche Publikum nachzudenken.Diese seine Villazurçckgezogen.Innere Emigrati- wiederum zogen Kinoproduktionen wie on,so zeigt Gçnther,warfçreinen ostdeut- Carsten Fiebelers verlogene Verwechslungs- 2 Reinhild Steingræver,Narren und Clowns.Abschied komædie Kleinruppin forever (2004) nach von der DDRin zwei spåten DEFA-Filmen,in:apro- sich,in der die DDRzwargrauund herunter- pos:Film 2005. DasJahrbuchder DEFA-Stiftung, gekommen aussah,aber im Kern eine solida- Berlin 2005.

32 APuZ44/2005 In¹Stalinaª,einem fiktiven DDR-Dorf in den fçnfziger Jahren,wird der Stalin-Kult zu einer grotesken Gætzenanbetung.Szene aus Herwig Kippings satirischem DEFA-Film DasLand hinter dem Regenbogen. Quelle: FilmmuseumPotsdam, Foto:DEFA-Jaeger E schen Intellektuellen durchaus mæglich,doch etwain Horst Seemanns plakativem,amerika- sie fçhrte auchzuSelbsttåuschung und Schi- freundlichgewendetem Fçnfziger-Jahre-Por- zophrenie.Als Stein amEnde von zwei Jahr- tråt Zwischen Pankow und Zehlendorf (1991). zehnten der Zurçckgezogenheit nachBerlin Vielmehr nutzten die Filmemacher die ge- aufbricht,um eine junge Freundin zu suchen, wonnene Freiheit,um sichRechenschaft çber strudelt er ausgerechnet in die Unruhen des eigene einstige Ideale und Illusionen zu geben, Oktobers 1989. Seiner Verhaftung verweigert den Gradeigener Verstrickungen ins DDR- er sich,indem er einen Polizisten in Trance System zu erkennen und sichletztlichGewiss- versetzt:Die Welt ist ein Traumspiel gewor- heit darçber zu verschaffen,wie sehr die Uto- den.Egon Gçnther selbst hatte sich,nachdem pie,andie sie selbst lang geglaubthatten,von es ihm unmæglichgemacht worden war,in der Wirklichkeit verformt worden war.Die der DDRGegenwartsfilme zu drehen und filmischen Totentånze,die Heiner Carow in auchihm nur nochdie Flucht nachinnen zu- Verfehlung (1991) oder Herwig Kipping in mindest als zeitweilige Læsung erschien,1978 DasLand hinter dem Regenbogen (1991) zele- in die Bundesrepublik verabschiedet.Fçr brierten,stellten zugleichganz persænliche Stein warernocheinmalanden Ort seiner Teufelsaustreibungen dar. græûten Erfolge,ins Babelsberger Filmstudio, zurçckgekehrt. Verfehlung skizziert die Geschichte einer nicht mehr jungen ostdeutschen Frau(Ange- Aber aucheinige derjenigen DEFA-Regis- lica Domræse), die sichineinen westdeut- seure,die den Schritt in den Westen aus unter- schen Arbeiter (Gottfried John)verliebtund schiedlichen Grçnden nicht gegangen waren, gegen den Bçrgermeister ihres Dorfes (Jærg legten nun heftige filmische Abrechnungen Gudzuhn), der sie selbst besitzen will,um mit der DDRvor.Dasgeschahjedochnur sel- diese Liebekåmpft.Hæhepunkt des Films ist ten aus Grçnden der Anbiederung andie ein Festumzug zum Jahrestagder Ortsgrçn- neuen gesellschaftlichen Verhåltnisse,wie dung,der unweigerlichandie Feierlichkeiten

APuZ44/2005 33 zum 750. JahrestagBerlins 1987 denken låsst. seinem Jugendfilm mit dem bezeichnenden Ingrellen Szenen verabschiedet Carow die Titel Abschiedsdisco (1990) den Zuschauer in Geschichte als Farce:Der Sozialismus-Ver- einen verlassenen Ort amRande der Braun- suchinder DDRstrandet bei ihm in einem kohle fçhrte.Die kçnstlerischbedeutendste exzentrischen Panoptikum,wobei die Hæhe- Arbeit vor diesem Hintergrund inszenierte punkte des Festes,gerade auchdie CanCan freilichUlrichWeiû, einer der wichtigsten, tanzenden Båuerinnen,durchund durchpro- vom Dokumentarfilm kommenden jçngeren vinziell gezeichnet sind.Der staatlicherseits Regisseure der DDR,der in den achtziger inszenierte Rauschçberdeckt die Grauheit Jahren politischbeargwæhnt und bespitzelt und Dumpfheit,in der dasDorfleben vor sich und dem dasDrehen weitgehend verweigert hin dçmpelt.Wåhrend vor der Tribçne ein worden war. Massenspektakel gefeiert wird,bricht dahin- ter ein einzelner Menschzusammen ±ein Sein bislang letzter Spielfilm Miraculi Motiv,dasschon Die Architekten fçrihr (1991) umreiûtdie Legende eines jungen Man- DDR-Bild genutzt hatten. nes (Volker Ranisch), der nacheiner verlore- nen Wette und einem missglçckten Einbruch Nochradikaler grenzte sich DasLand hin- zur Strafe Fahrkarten in der Straûenbahn kon- ter dem Regenbogen vom fehlgeschlagenen trollieren muss und schlieûlichineine Ge- Versuchdes DDR-Sozialismus ab.Herwig meinschaft amRande der Stadt geråt,die sich Kipping versetzte sichgleichsaminseine ei- auf ihren Wochenendgrundstçcken vergnçgt. gene Kindheit zurçck,wåhlte die subjektive, AmMorgen nacheinem abendlichen Fest ist naive Perspektive eines Heranwachsenden in plætzlichder See,andem dasGelånde liegt, den frçhen fçnfziger Jahren.Inseinem Dorf spurlos verschwunden.Auf den Gesichtern ¹Stalinaªrauchen die Schlote und stehen der Figuren spiegeln sichblankes Entsetzen nochdie Denkmåler fçrJosef Stalin.Vor die- çber die ±immetaphorischen Sinne ±unge- sem Såulenheiligen kniet der gçtige Groûva- wollte Vollendung der jçngsten Vergangenheit ter,dargestellt von dem polnischen Schau- und Angst vor der Zukunft.Dabei handelt es spieler Franciszek Pieczka,nieder und betet sichbei ihnen nicht nur um blasse Angestell- ihn an.Mit Bildern wie diesem rekurriert der ten-Typen,denen bloûnochdasParteiabzei- Regisseur sowohl auf die familiåren als auch chen amJackettkragen fehlt;die Mehrzahl der auf die auûenpolitischen Bindungen zum Sys- Klagenden sind Kçnstler und Intellektuelle, tem:Der Sozialismus,so zeigt der legenden- die es sichmit all ihren Privilegien gemçtlich haft çberhæhte Film,kaminder Ausprågung gemacht hatten.Ûber die schreienden,wei- des sowjetischen Stalinismus ins Land und nenden,die hilf-und sprachlosen Gestalten wurde in dieser Form auchandie jçngere Ge- legte der Regisseur den Gesang tibetanischer neration ±zuder auchKipping gehærte ± Mænche,wasinVerbindung zum Ende der weitergegeben.Vielleicht bildete erst ein sati- DDRnur spættischgemeint sein konnte.In rischverzerrter Film wie DasLand hinter den Spott mischte sichaber auchNachdenk- dem Regenbogen den endgçltigen,unwider- lichkeit und Trauer,lieûsichdie Endzeit-Alle- ruflichen Bruch:Unter die Trånen des La- gorie dochçber die unmittelbare zeitbezogene chens mischten sichauchsolche der Trauer Deutung hinaus auchals Warnung vor dem çber die verlorene Utopie. Ende der Zivilisation interpretieren,als Mah- nung aneine Menschheit,die den Konsum und dasungebremste Ausbeuten der Natur AmAbgrund çber alle Vernunft stellt.Gerade diese Mehr- deutigkeit der Bilder macht Miraculi mit sei- Auf der Suche nachmarkanten szenischen nen grandiosen szenischen Tableaus zu einem Motiven fçreine Gesellschaft im Untergang bleibenden,wenn auchnicht leicht entschlçs- stieûen die Filmemacher der DEFAimmer selbaren Kunstwerk,dasseiner Wiederent- wieder auf stillgelegte Tagebaue.Nichts deckung harrt. schien dasEnde besser widerspiegeln zu kæn- nen als die braunschwarzen,baumlosen Ein weiterer Film,der den Abgrund der kçnstlichen Gruben und Aufschçttungen in Braunkohlentagebaue zur Metapher fçrdie der Lausitz oder in der Gegend um Halle und DDRmachte,war Die Vergebung (1994) von .Kipping nutzte diese Szenerie eben- AndreasHæntsch.Neben der Grube,auf einer so wie Carow oder wie Rolf Losansky,der in grçnen Wiese,feiert eine Familie Hochzeit,

34 APuZ44/2005 wobei zwischen drei Menschen,die sichunter sche Psychodramen,Krimis und auchKomæ- den Feiernden befinden,eine Mauer aus Leid dien wie Helden wie wir (1999): Darin sugge- und Verzweiflung,Hass und Misstrauen steht. riert ein kleiner Stasispitzel,der sichdie Welt Daist ein Lehrer (Sylvester Groth), der einst schon immer nachseinem Gusto zurechtge- auf den Halden des Tagebaus Båumchen legt hat,er allein habedie Mauer geæffnet ± pflanzte,deswegen von der Staatssicherheit ein heiter-abgrçndiges filmisches Pamphlet verfolgt und aus dem DDR-Schuldienst ent- çber die Ausblendung der Wirklichkeit,gro- lassen wurde.Sein eigener Schwager (Erik tesk falsche Selbstbilder und Schizophrenie. Roûbander)arbeitete bei der Spitzelbehærde und glaubtauchnachdem Ende der DDR, Die meisten anderen Filme suchten die Ge- immer nur seine Pflicht getanzuhaben.Die fåhrlichkeit der Stasi vor allem dadurchzu Fraudes Lehrers (LenaStolze)erkennt zu belegen,dass deren Protagonisten mæglichst spåt,dass sie selbst ihren Mann unwissentlich brutalund hinterhåltig vorgefçhrt wurden. aneinen freundlichlåchelnden Spitzel (Chris- Differenziert ausbalancierte Charaktere gab tianSteyer)verriet.NachRoland Gråfs Tan- es unter ihnen so gut wie keine,Abziehbilder gospieler (1990) und Frank Beyers Der Ver- von Film-Bæsewichtern dagegen mehr als dacht (1991) wardasein weiterer Film eines genug.Sobesetzte Margarethe von Trottadie ehemaligen DEFA-Regisseurs,der sichdem Stasi-Figur in ihrer Ost-West-Tragædie Das Themaund TraumaStaatssicherheit annahm. Versprechen (1995) mit Hark Bohm,der Anders als seine ålteren Kollegen bevorzugte einen Bilderbuch-Schurken mit schneidender Hæntsch,dessen Kreativitåtbei der DEFA Stimme und zusammengekniffenen Augen çber viele Jahre unterdrçckt worden war,al- ablieferte.Auchdie Szene in einem DDR- lerdings nicht die kammerspielhafte Form, Gefångnis,bei der ein Wachhabender den sondern inszenierte mit opernhafter Opulenz. Satz ¹Nicht husten!ªindie Zelle bellt,war DochdasPathos und die penetrante Symbo- eine von vielen Ûbertreibungen,die den ge- lik,einschlieûlichJudaskuss und einer verwe- samten Film,jedenfalls fçr¹gelernteª DDR- senden Mæwe,ander die Maden nagen,trugen Bçrger,so falschmachten. kaum zur Aufklårung çber den Charakter der DDR,ihrer Mitlåufer und -tåter bei.AmEnde DasVersprechen erzåhlt eine Kænigskin- des Films erschlågt der kleine Sohn des Stasi- der-Geschichte zwischen 1961 und 1989. mannes die kleine Tochter des Umweltschçt- Nochkurz nachdem Mauerbauflieht das zers:Schuld,die nicht aufgearbeitet wird,ver- Mådchen Sophie in den Westen;ihr Freund erbtsichvon Generation zu Generation.So Konradbleibtzurçck.ImLaufe der Jahr- konnte mandasFinale lesen ±dasauf diese zehnte sehen sichdie beiden ein paarMal Weise dochnur in einem vagen pseudophilo- wieder,dochstets bricht die groûeWeltpoli- sophischen Allgemeinplatz gefangen blieb. tik,zum Beispiel der Einmarschindie C Ï SSR, in ihr kleines Menschenschicksalein.Auch çber die Figur des Stasi-Beamten hinaus in- Stasi undRotwein szenierte Margarethe von Trottadiesen weit gespannten Bilderbogen wie eine Sammlung Inden Medien konzentrierte und reduzierte bequemer Klischees.Die DDRerlebte ihre sichdie Aufarbeitung der DDR-Vergangen- filmische Reinkarnation als ein dunkles,grau- heit çber weite Strecken auf die Analyse des es Land ohne Freude,in dem rund um die Wirkens der Staatssicherheit.Dastrug dazu Uhr geknechtet und bespitzelt wurde.Folge- bei,die Masse der DDR-Bçrgerinnen und richtig tritt in den Szenen vom Mauerfall eine -Bçrger,die sichnicht in die Dienste dieses namenlose Ostdeutsche (BarbaraDittus)mit Ministeriums gestellt hatte und die manjetzt, dem Satz auf,sie sei dreiûig Jahre in einen in der Demokratie,unter anderem als Wahl- Kåfig gesperrt gewesen und nun nicht mehr volk dringend brauchte,weitgehend zu ent- imstande zu fliegen.Solche Sentenzen spie- schulden.Damit zusammenhångend mar- gelten nicht nur westliche Mitleidsgefçhle, kierte die Stasi den ±von einigen SED-Obe- sondern unterschwellig auchein Missbehagen ren abgesehen ±alleinigen Sçndenbockfçr çber die neu in der Bundesrepublik angekom- Unfreiheit,Unterdrçckung und Verbrechen menen Deutschen,denen nun erst einmaldas in der DDR.Auchder deutsche Kinofilm Fliegen,ergo das¹richtigeª Verhalten in De- griff immer wieder auf Spitzelfiguren zurçck mokratie und Freiheit,beigebracht werden und nutzte sie fçrmehr oder weniger realisti- muss.Die Zeichnung der DDRund ihrer Be-

APuZ44/2005 35 wohner geriet im Versprechen als ¹Projekti- sen.Wie DasVersprechen warauch Apfel- onsflåche fçrallerlei Øngste und als negative båume eine Liebes-und Dreiecksgeschichte, Folie vorteilhafter Selbstwahrnehmungª. 3 in der die Liebenden durchpolitische Um- stånde auseinander gerissen werden.Politi- InSilvanaAbbrescia-Raths Wiederkehr sche Umstånde wurden çber private Bezie- (1994), einer spræderen,dialoglastigen Variati- hungen erklårt,DDR-Geschichte entfaltete on von DasVersprechen,lagdie Sympathie sichals Sagazerbrochener Familien. der Regisseurin dagegen eindeutig auf ost- deutscher Seite:Nachdem Mauerfall begeg- Existentielle Zusammenstæûevon Spitzeln nen sichhier eine åltere Dame (Dagmarvon undBespitzeltennachder ¹Wendeªbildeten Thomas)und ein ebenso alter Herr (Chris- dasSujet kammerspielhafter Filme wie Ab- toph Engel), die sicheinst ±um1961 ±als Stu- schied vonAgnes (1993) oder Der Blaue (1993). denten liebten.Sie wohnte im Westen,er im WåhrendLienhard Wawrzyns Der Blaue mit Osten.Spåter etablierte sichder Mann in der ManfredKrugals IM¹Brandenburgerª nur DDRals Professor fçrVolkskunde mit dem populistische Oberflåchlichkeitenund einen Spezialfachsåchsische Dachkonstruktionen ewig schwitzenden Fçhrungsoffizier im Ruhe- des 17. Jahrhunderts;die Frauheiratete nach stand (Klaus Manchen)zu bietenhatte,erwies Paris.Mit der Broschçre ¹Ethnos und sichMichael Gwisdeks Abschied vonAgnes als Demosª im Gepåckbetritt sie nun æstlichen partiell beångstigende Psychostudie çber die Boden ±ein Detail,dasdie Tonlage des ganzen Totalçberwachung einesIndividuums unddie Films beschreibt.Wåhrend der Mann erklårt, staatlichsanktionierte Kontrolle seiner inneren er sei inzwischen zu alt,¹um zu lernen,wie Welten:Hierdrang einehemaligerStaatssicher- maneine Colabçchse æffnetª,erwidert sie: heitsoffizier(Sylvester Groth)in dieWohnung ¹Mansollte sowieso lieber Rotwein trinken.ª eineseinsamenWitwers (Michael Gwisdek) Rçckblenden fçhren in die Jugendzeit,in der ein,derseinWissenumden Tod seiner Frau mansichwenigstens nochçber dasVerhalten stetsfçrsichbehalten hatte. der franzæsischen Intellektuellen gegençber dem Algerienkrieg stritt.Esgibt,so suggeriert Eher positiv çberraschte schlieûlichauch der Film,auchnachdem Ende der deutschen Die Stille nachdem Schuû (2000), fçrden sich Teilung keine Hoffnung fçreine gemeinsame ein westdeutscher Regisseur (Volker Schlæn- Zukunft dieses Paares.Vielleicht sahdie Re- dorff)und ein ostdeutscher Autor (Wolfgang gisseurin ihre Figuren,den stillen,nachdenkli- Kohlhaase)zusammenfanden.Ihr Versuch, chen Ostler und die kçhle,sarkastische West- dasGeschehen um ehemalige Mitglieder der lerin,jaauchals Prototypen fçrdie Intellek- terroristischen Rote-Armee-Fraktion zu tuellen auf beiden Seiten,deren kçnftiges durchleuchten,die in der DDRmit Billigung Zueinanderfinden sie bezweifelte. der Staatssicherheit und ErichHoneckers Unterschlupf gefunden hatten,geriet zu einer Aufschlussreichist,dass DDR-Kinoge- psychologischreifen und auchszenischsiche- schichten nach1990 oft von westdeutschen ren Arbeit.Martin Wuttke in der Rolle eines Regisseurinnen und Regisseuren erzåhlt wur- Staatssicherheitsoffiziers gab diese Figur den,die sichselbst einst als Linke verstanden nicht einer vordergrçndigen Dåmonisierung und nun ihren endgçltigen,radikalen Bruch preis,sondern portråtierte sie als RadimGe- mit der sozialistischen Ideologie filmischzu triebeeiner zwanghaften Sicherheitsdoktrin, manifestieren suchten.Dabei wirkte nicht der seine Funktion mit tiefer innerer Ûber- nur DasVersprechen in den Details ungenau zeugung,spåter aber auchmit einigen Zwei- und grob.AuchHelmaSanders-Brahms in- feln ausçbt.DasDDR-Bild orientierte sich terpretierte die DDRin Apfelbåume (1992) sichtlichander semidokumentarischen Ge- als ein Land ohne Lachen,in dem ein Um- nauigkeit frçherer DEFA-Filme,ohne ins weltschçtzer sarkastische Såtze von sichgibt Klischee zu verfallen. wie ¹Dreimalhochunser antifaschistischer Schutzwall,der die Menschen in ihre Koben zwingt,bis sie schlachtreif sindª,um sich Die DDRals schæner Schein dann dochzum Stasispitzel zwingen zu las- Inder Gunst des deutschen Publikums domi- 3 Richard Schræder,Wasist mit dem Osten los?, in: nierten weniger die ernsthaften Versuche, FrankfurterAllgemeine Zeitung vom 25. 8. 2005. DDR-Geschichte und die Folgen der DDR

36 APuZ44/2005 bis in die unmittelbare Gegenwart filmischzu beschreiben.Eine herausragende Arbeit wie AndreasKleinerts Wege in die Nacht (2000) wurde daher nur von einem eher kleinen Zu- schauerkreis wahrgenommen.Mit der Figur eines ehemaligen Werkdirektors (Hilmar Thate), der nachder ¹Wendeª mit seinem Sta- tusverlust hadert,sichçberflçssig fçhlt und seinem Leben ein Ende setzt,gelang dem Re- gisseur daseindringliche Psychogramm einer ganzen Schicht von Ex-DDR-Bçrgern,die långst nicht in der Bundesrepublik angekom- men sind,vielleicht nie in ihr ankommen wer- den.Zueiner Schlçsselszene wurde die Be- gegnung des Mannes mit ehemaligen Genos- sen und Freunden wåhrend einer Party. Wåhrend Kleinert die Råume des Geschehens fast ganz ins Dunkel hçllt,låsst er die Månner fast flçsternd,im Ton einer Geheimgesell- schaft,çber ihre neuen Karriereschritte reden.Die Hauptfigur sieht darin allerdings nur opportunistisches Gehabeund ergreift die Flucht.

Wege in die Nacht gehærte zu jenen Fil- men,die ¹Ostler als Verlierer pråsentieren, egalinwelchbegrenzten sozialen Kreisen sie verkehren mægen.Fast ståndig sind sie Aus- gestoûene,die in der Isolation leben;sie Quelle: Basis-Film Verleih (Berlin); Ú-Filmproduktion (Berlin). haben keinen Platz in der Gesellschaft und keine groûen Familien.Esscheint,als unter- grabedie Einfçhrung der Marktwirtschaft im von ostdeutschen Regisseuren.Weitere Ar- Osten und die neue soziale Ordnung jegli- beiten,so von Jens Becker ( Adamski,1993), chen Gemeinschaftssinn.ª 4 Genaudaswarin Helke Misselwitz ( Engelchen,1996) oder An- Abschied von Agnes zu erleben,aber auchin dreasDresen ( Nachtgestalten,2000), lieûen Burning Life (1994), in dem Peter Welz zwei sichanschlieûen. auf Gerechtigkeit pochende Frauen (Anna Thalbachund MariaSchrader)auf der Flucht Neben solchen ernsthaften Versuchen nå- vor der bundesdeutschen Polizei zeigt,oder herte sichder deutsche Nachwende-Film von in Peter Kahanes Bis zum Horizont und wei- Anfang anauchinKomædien und Lustspie- ter (1998), in dem ein arbeitsloser Kranfçhrer len der DDR-Vergangenheit.Wolfgang (Wolfgang Stumph)eine Staatsanwåltin (Co- Stumph durfte in Peter Timms GoTrabigo rinnaHarfouch)entfçhrt und mit ihr in sei- (1991) als einer der ersten DDR-Bçrger die nen stillgelegten Braunkohletagebau(ausge- halbverfallenen Fabriklandschaften des rechnet!) zurçckkehrt. Ostens (auchdasein immer wiederkehrendes Motiv)hinter sichlassen und mit seinem Tra- bant in Richtung Sçden aufbrechen.Dieter Alle diese sozialintendierten Filme,die Hallervorden verkærperte in Heiko Schiers sichmit dem Verlorensein ehemaliger DDR- Alles Lçge (1992) einen ostdeutschen Enter- Bewohner in der neuen,westlichen Gesell- tainer,dessen gewinnbringendste Idee ein schaft auseinandersetzen,stammen çbrigens DDR-RevivalimBerliner Palast der Repu- blik ist,einschlieûlichPionierchæren,Grenz- polizisten,Honecker-Bildern und bårbeiûi- 4 Leonie Naughton,Wiedervereinigung als Siegerge- schichte.Beobachtungen einer Australierin,in:apro- gen Zollbeamten.AuchinPeter Timms Der pos:Film 2000. DasJahrbuchder DEFA-Stiftung, Zimmerspringbrunnen (2002) mutiert ein Berlin 2000. stiller,arbeitsloser Mann zum zeitweiligen

APuZ44/2005 37 ¹Wendegewinnerª,nachdem er seine Vertre- Becker die Dimension der Figur:Erlieûes ter-Ware,eben jene Zimmerspringbrunnen, nicht zu,dass sein Film ±zum ersten Malim mit Ost-Berliner Fernsehturm und DDR- deutschen Kino nach1990! ±eine ehrlich Hymne aufpeppt und auf groûes Interesse çberzeugte Sozialistin zu einer Art positiver von Leuten stæût,die sichanalte,vermeint- Heldin machte.Vielleicht trug der Knickin lichbeschaulichere Zeiten erinnern wollen. ihrer Biografie dazu bei,den Film kompatib- Schon 1992 hatte Vadim Glownaerkannt, ler fçrein Westpublikum zu machen.Eine womit sichDDR-Bçrger ambesten in die Anpassung anden Zeitgeist,der ein Festhal- deutsche Einheit einbringen kænnten:Insei- ten ander Utopie einer gerechten Gesell- nem Film Der Brocken behauptete er augen- schaft ausschlieûlichals rçckwårtsgewandt zwinkernd,amBesten wåre es,dasganze aburteilt,wardieser Kunstgriff in jedem Fall. Halbland zum Úko-Paradies mit entspre- chender Vermarktungsstrategie fçrLebens- Dass dasdeutsche Kino auchanderthalb mittel und Urlaubsreisende umzubauen. Jahrzehnte nachder Wiedervereinigung viel- fåltige Stoffe aus vierzig Jahren DDR-Ge- Die DDRals Traum,Refugium oder Fake schichte filtert und weiterhin filtern wird,ist ±damit spielte nicht zuletzt der erfolgreichste angesichts der Herbst-und Winterpremieren ¹Wendefilmª çberhaupt: Good bye,Lenin 2005/06 gewiss:Nachder Militårgroteske von Wolfgang Becker (2002). Sein bestechen- NVA ,mit der sichThomasBrussig und Lean- der Grundeinfall bestand darin,dass eine der Haussmann nocheinmallachend von der treue DDR-Bçrgerin und Lehrerin vor dem Vergangenheit verabschieden,legt Florian Ende der Mauer ins Komafållt und erst lange Henckel von Donnersmark mit DasLeben danachwieder erwacht.Umihre Gesundheit der Anderen einen weiteren Stasi-Film vor. zu stabilisieren,spielen ihr der eigene Sohn Die Hauptfiguren sind Kçnstler der Ost-Ber- und einige Freunde dasWeiterbestehen des liner Theaterszene in den achtziger Jahren, realen Sozialismus vor.Zuden ambesten er- die sichzwischen Anpassung,innerer Emi- fundenen Szenen gehært eine gefålschte Aus- gration,Westflucht und Suizid bewegen.Do- gabeder DDR-Nachrichtensendung Aktuelle minik Grafportråtiert in Der rote Kakadu Kamera ,in der eine gelåuterte DDRGesicht nacheinem Buchvon Michael Klier junge und Gestalt bekommt:Der Fliegerkosmonaut Jazzfans in Dresden im Jahr des Mauerbaus Sigmund Jåhn,demokratischgewåhlter 1961 und ihren Zusammenprall mit der Nachfolger von Staatschef ErichHonecker, Staatsmacht.Weitere Filmfabeln çber das postuliert Freiheit fçralle,wåhrend die realen Leben in der DDRbefinden sichimEntwick- Bilder vom Mauerfall so umgedeutet werden, lungsstadium.Esbleibtzuwçnschen,dass es dass nunmehr Tausende Westdeutsche çber ihnen gelingt,differenziert und gerecht çber den ¹antifaschistischen Schutzwallª in die Menschen zu erzåhlen,die in Aufstieg,Stabi- DDRkåmen,um hier,im nunmehr wahren lisierung und Verfall jenes Halb-Landes inte- Paradies der Werktåtigen,zu leben. griert waren,in dessen Mauern nicht nur Konflikte zwischen Gut und Bæse ausgetra- Solche Szenen entbehrten besonders fçr gen wurden,sondern Individuen mit ihren ostdeutschsozialisierte Zuschauer nicht einer Zweifeln und Kçmmernissen,mit groûen gewissen Melancholie,entwarf der Film doch und kleinen Glçcksmomenten lebten.Filmi- eine DDR,wie sie vor der ¹Wendeª von vie- sche Abbilder der DDR,die weniger auf Øu- len,nicht zuletzt von den Bçrgerrechtlern, ûerlichkeiten und Klischees zurçckgreifen, gewçnscht und ersehnt worden war.Ineiner sondern innere Prozesse des Landes und sei- anderen Beziehung versagte aber auch Good ner Bewohner subtil rekonstruieren,haben bye,Lenin:Wolfgang Becker gestattete der weiterhin Seltenheitswert. von Katrin Sass gespielten weiblichen Haupt- figur letztlichnicht,aus ehrlicher Ûberzeu- gung ander sozialistischen Idee festgehalten zu haben.Auchihre DDR-Treue,so offen- bart der Film,warLçge und Selbsttåuschung, denn nachder Westflucht ihres Mannes hatte sie zunåchst ernsthaft mit dem Gedanken ge- spielt,dasLand zu verlassen.Mit einem sol- chen inhaltlichen Kunstgriff verkleinerte

38 APuZ44/2005 Herausgegeben von der Bundeszentrale fçrpolitische Bildung Adenauerallee 86 53113 Bonn.

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Rainer Rother 3-6 Die wichtigste aller Kçnste? Der Film,dasMassenmedium des 20. Jahrhunderts,reagiert auf die Konkurrenz von Fernsehen und DVDmit Differenzierungen der Verwertungsstrategie.Er hatdamit gute Chancen,sichals die åsthetischprågende audiovisuelle Form zu behaupten und auchseine gesellschaftliche Relevanz nicht einzubçûen.

Georg Seeûlen 7-15 Die Lust und Last des Sehens Die Geschichte des lustvollen Blickes im Kino ist aucheine Geschichte des schuldigen Vergnçgens.Imscholastischen Wettstreit der Bilder ± Alles zeigen, oder Nichts zeigen?±gibteskeinen moralischen Sieger.Die unkontrollierte Bil- derwelt des aktuellen Mainstream-Kinos låsst den lustvollen Blickzueiner Uto- pie werden.

Peter Reichel 15-23 ¹Onkel Hitler und Familie Speerª ±die NS-Fçhrung privat Neuere Filme çber die Zeit des Nationalsozialismus zeigen die fçhrenden NS- Funktionåre verstårkt als Privatpersonen.Filme wie ¹Der Untergangª oder ¹Speer und Erª verkçrzen dabei den gesellschaftspolitischen Hintergrund zu- gunsten einer unterhaltsamen Inszenierung.Die damit einhergehende Trivialisie- rung des historischen Stoffes macht die Filme åuûerst fragwçrdig.

JanDistelmeyer 24-31 Landesvåter und Staatskærper:Pråsidenten-Bilder aus Hollywood DasBild,dasHollywood-Filme von der amerikanischen Staatsmacht erzeugen, oszilliert zwischen Heldenverehrung,politischer Inkompetenz und Verschwæ- rungstheorien.Die filmische Stilisierung von ¹politischer Machtª hatinden USAinsbesondere in den vergangenen 15 Jahren rapide zugenommen.

Ralf Schenk 31-38 Die DDRim deutschen Film nach1989 Zahlreiche Filme ±von pathetischen Dramen bis hin zu verklårenden Komædien ±haben nach1989 ein widersprçchliches DDR-Bild entworfen.Filme,die weni- ger auf Øuûerlichkeiten und Klischees zurçckgreifen,sondern die inneren Pro- zesse der Gesellschaft rekonstruieren,haben demgegençber Seltenheitswert.