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SWR2 Musikstunde

Musiker auf Reisen (2) Sehnsuchtsland Italien: Mit Bartholdy auf Bildungsreise

Von Susanne Herzog

Sendung: Dienstag,19. Mai 2015 9.05 – 10.00 Uhr (Wiederholung von 2012)

Redaktion: Ulla Zierau

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SWR 2 Musikstunde Dienstag, den 19. Mai 2015 Mit Susanne Herzog

Musiker auf Reisen Sehnsuchtsland Italien: Mit Felix Mendelssohn Bartholdy auf Bildungsreise

„Ich kann die Zeit nicht erwarten, dass der Junge […] nach Italien kommt […].“ schrieb Carl Friedrich Zelter an seinen Freund Goethe: der „Junge“, das war Zelters Schüler Felix Mendelssohn Bartholdy, gerade 21 Jahre alt, kurz zuvor aus England und Schottland zurückgekehrt und schon wieder bereit zur Abreise. Im Mai 1830 machte sich Mendelssohn auf den Weg ins Sehnsuchtsland Italien: allerdings nicht ohne Station beim hochverehrten Goethe in Weimar zu machen. Der 80jähige diskutiert mit seinem jungen Freund über Literatur, der wiederum spielt dem deutschen Dichterfürsten an dessen Flügel Meisterwerke der Musik vor. Goethe lauscht interessiert. In das jugendliche Genie Mendelssohn ist er regelrecht vernarrt: lässt eine Kreidezeichnung von ihm anfertigen, schenkt ihm ein Blatt aus dem zweiten Teil seines Faust, erteilt ihm Ratschläge, wie man mit den Damen „schön thun“ solle und stellt sich dann dermaßen quer, als Mendelssohn abreisen möchte, dass der junge Musiker doch noch ein wenig in Weimar bleibt. Aber schließlich wächst Mendelssohns Ungeduld ins Unermessliche, er muss fort, in die Welt hinaus: Goethes „Italienische Reise“ ist im Gepäck verstaut, einige Gedichte ebenfalls. Es kann losgehen: über München, Salzburg und Wien nach Italien. Ein gutes Jahr dauert Mendelssohns Bildungsreise in den Süden: als er nach 3 weiteren Stationen in und London schließlich nach Berlin zurückkehrt, ist Goethe gestorben. 1‘20

Musik 1 Felix Mendelssohn Bartholdy Scheidend op. 9, Nr. 6 <7> 3‘08 Brigitte Fassbaender, Mezzosopran Erik Werba, Klavier Titel CD: Brigitte Fassbaender Lieder Vol. 3 Lieder von Mendelssohn & Schumann EMI Classics, 7243 5 58012 2 7, LC 06646 WDR 5116 660

„Scheidend“ ein Lied von Felix Mendelssohn Bartholdy. Es sang Brigitte Fassbaender, am Klavier begleitete sie Erik Werba.

Aus Goethes Weimar ging es weiter nach München: hier traf Mendelssohn am 20. Juni 1830 ein: besuchte verschiedene Kunstgalerien, spielte Klavier auf Soiréen und traf das Wunderkind Delphine von Schauroth, das er bereits in Paris kennengelernt hatte. Inzwischen war „das Kind“ siebzehn Jahre alt, schlank, blond, blauäugig und offenbar sehr anziehend für den jungen Mendelssohn. Delphine, für die er kurzerhand sein virtuoses Rondo capriccioso schrieb, Delphine begleitete Mendelssohn nach Italien, zumindest imaginär, im Herzen. Weiter ging es bald über Salzburg und Linz und von dort über die Donau nach Wien: in die Stadt von Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert. „Beethoven ist nicht mehr hier, Mozart und Haydn auch nicht.“ schrieb Mendelssohn nach Hause. Ihre Musik wurde nicht mehr gespielt in Wien: dafür leichte Oper und Musik wie vom Fließband von Carl Czerny & Co. „Die Leute um mich herum 4 waren so schrecklich lüderlich und nichtsnutzig,“ so Mendelssohn in einem seiner Briefe, „daß mir geistlich zu Muthe wurde, und ich mich wie ein Theolog unter ihnen ausnahm.“

Der „Theolog“ Mendelssohn, der Bachs Matthäuspassion im Jahr zuvor wieder ausgegraben und aufgeführt hatte: der schrieb im künstlerisch „scheintoten“ Wien etwas ganz „Bachisches“: eine Kantate über den zentralen Choral der Matthäuspassion, über „O Haupt voll Blut und Wunden“. Der Auslöser dazu war ein Bild: in der Alten Pinakothek in München hatte Mendelssohn ein Gemälde des Barockmalers Antonio del Castillo y Saavedra gesehen: „Maria und Johannes vom Kalvarienberg heimkehrend“. Die dunklen Farben, die düstere Stimmung dieses Bildes gab Mendelssohn durch die tiefen Streicher in seiner Kantate eindrucksvoll wieder1‘54

Musik 2 Felix Mendelssohn Bartholdy Chor aus: O Haupt voll Blut und Wunden Kantate für Bass, Chor und Orchester <5> 7’23 ausblenden bei 3‘23 Kammerchor Stuttgart Stuttgarter Kammerorchester Frieder Bernius, Ltg. Titel CD: F. Mendelssohn Bartholdy: Verleih uns Frieden - Kirchenwerke Vol 6 Carus, 83.204, LC 03989 WDR 5037 610

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Der Anfangd des ersten Chores der Kantate über „O Haupt voll Blut und Wunden“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Frieder Bernius leitete den Kammerchor Stuttgart und das Stuttgarter Kammerorchester.

„Ich hatte mir den ganzen ersten Eindruck von Italien, wie einen Knalleffekt, schlagend, hinreißend gedacht,“ gestand Mendelssohn etwas enttäuscht seinem Bruder Paul. Er war mit großen Erwartungen nach Italien gereist: und nun bei seiner Ankunft schien ihm die Landschaft zunächst recht gewöhnlich, beinahe schon ein wenig monoton. Dennoch: Italien strahle eine „Wärme, Milde und Heiterkeit“ aus, dass es unbeschreiblich sei. Mendelssohn fühlte sich trotz erster Enttäuschung wohl. Die erste italienische Stadt, die er erreichte, war Venedig und zwar mitten in der Nacht, wie er nach Berlin berichtete: „So gelangten wir gestern in finstrer Nacht nach Mestre, stiegen in eine Barke, und fuhren bei stillem Wetter nach Venedig ruhig hinüber. […] Nun ging es ohne Posthorn oder Wagenrasseln, oder Thorschreiber in die große Stadt, unter unzähligen Brücken durch; die Stege wurden belebter, viel Schiffe liegen umher, beim Theater vorbei, wo die Gondeln, wie bei uns die Wagen, in langen Reihen auf ihre Herrschaften warten, in den großen Canal bei dem Markusthurm, dem Löwen, dem Dogenpalast, der Seufzerbrücke vorüber. Die Undeutlichkeit der Nacht erhöhte nur meine Freude, als ich die wohlbekannten Namen hörte, und die dunkeln Umrisse sah, und da bin ich denn in Venedig.“ 1‘28

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Musik 3 Felix Mendelssohn Bartholdy Venetianisches Gondellied, Lied ohne Worte fis-moll, op. 30,6, <12> 3‘34 Roberto Prosseda, Klavier Titel CD: Felix Mendelssohn: Lieder ohne Worte Decca, 476 6797, WDR 5183 029

Ein Venetianisches Gondellied, ein „Lied ohne Worte“, das omnipräsente Wasser Venedigs in Töne gefasst von Mendelssohn. Dieses sehnsuchtsvolle Gondellied schickte er übrigens Delphine nach München. Die erhielt es allerdings nie, weil es unterwegs mit einigen anderen Noten von Metternichs Polizei konfisziert worden war. Klavier spielte Roberto Prosseda.

In Venedig sah sich Mendelssohn neben dem Markusdom natürlich zahlreiche Kirchen an, war aber in erster Linie von den Malern der Renaissance angetan: besonders Tizian ließ den jungen Musiker nicht los. „Tizian aber war ein Mensch, an dem muss man sich erbauen; und das will ich thun und mich freuen, dass ich in Italien bin.“ schrieb er nach Hause. Aus Florenz sollte er dem Bruder Paul, von „seiner“ Venus - Tizians Venus von Urbino - vorschwärmen, „von der man vor den Damen freilich nicht sprechen“ dürfe. In Venedig aber faszinierte ihn die „Assunta“ von Tizian, die Himmelfahrt von Maria: Damals in den Gallerie della Accademia zu finden, heute an ihrem ursprünglichen Ort, der Frarikirche. Begeistert tat Mendelssohn seine Meinung kund, „dass die Himmelfahrt der heiligen Maria ja das aller göttlichste ist, was Menschen malen können!“ 7

Und beschrieb dann genauer: „Wie die Maria da auf der Wolke schwebt, und ein Wehen durch das ganze Bild geht; wie man ihren Athem, und ihre Beklemmung und Andacht, und kurz die tausend Empfindungen alle in einem Bild sieht, - die Worte klingen nur alle so philiströs und trocken gegen das was es heißen soll!“ In Worte hat Mendelssohn seine Bewunderung vielleicht nicht wirklich fassen können, in Musik aber doch. Seine Motette „Ave Maria“ op. 23, bereits in Wien begonnen, könnte im Angesicht des Himmelfahrtsbildes von Tizian in Venedig vollendet worden sein. 1‘44

Musik 4 Felix Mendelssohn Bartholdy Ave Maria op. 23 Nr. 2 aus: Drei Kirchenmusiken, op. 23 <11> 6‘50 Hervé Lamy, Tenor La Chapelle Royale Ensemble Orchestral de Paris , Ltg. Titel CD: Mendelssohn-Bartholdy: Psaumes / La Chapelle Royale ; Collegium Vocale ; Philippe Herreweghe hmf, 901272, LC 07045 WDR 5003 101

„Ave Maria“, eine Motette für Tenor, Chor und Orgel, geschrieben von Mendelssohn, dem Verehrer von Tizians Assunta in Venedig. Es sang der Tenor Hervé Lamy. Philippe Herreweghe leitete La Chapelle Royale, das Collegium Vocale Gent sowie das Ensemble Orchestral de Paris. Die Kunstschätze Venedigs hielten Mendelssohn nicht auf: sein Ziel war Rom: dorthin drängte es den jungen Musiker genauso wie 8

Jahrzehnte vor ihm Johann Wolfgang von Goethe. Nach einer Zwischenstation in Florenz erreichte Mendelssohn am 1. November Rom – genau am gleichen Tag wie vierundvierzig Jahre zuvor der Weimarer Dichterfürst. Ähnlich wie dieser studierte Mendelssohn die Kunstwerke der Antike und der Renaissance der ewigen Stadt. „Nach dem Frühstück geht es an's Arbeiten,“ erklärte Mendelssohn „und da spiele und singe und componire ich denn bis gegen Mittag. Dann liegt mir das ganze unermeßliche Rom wie eine Aufgabe zum Genießen vor; ich gehe dabei sehr langsam zu Werke, und wähle mir täglich etwas Andres, Weltgeschichtliches aus, – gehe einmal spazieren nach den Trümmern der alten Stadt; ein andermal nach der Gallerie Borghese, oder nach dem Kapitol, oder nach St. Peter, oder dem Vatikan.“ Neben Besichtigungstouren trifft sich der Komponist mit verschiedensten Künstlern, die in Rom leben: etwa mit Horace Vernet, seit 1828 Leiter der Französischen Akademie in Rom, ein glühender Anhänger Napoleons und Maler von großen Schlachtenbilder. Bei Vernet lernte der Musiker Berlioz kennen, mit dem er einige Wochen in sehr engem Kontakt stand, gemeinsam durch Rom streifte, über Musik und Kunst sprach. Eines Abends hatte Mendelssohn ein besonders eindrucksvolles Erlebnis bei Vernet: „Später wurde getanzt,“ erzählte Mendelssohn seiner Familie zu Hause „und da hättet Ihr einmal sehen sollen, wie Louise Vernet mit dem Vater die Saltarella tanzte. Als sie nun gar einen Augenblick aufhören mußte, und gleich das große Tambourin nahm, und darauf los schlug, und uns, die wir die Hände nicht mehr rühren konnten, ablöste, da hätt' ich ein Maler sein mögen, – dann hätte es ein prächtiges Bild gegeben!“ 9

Obwohl Mendelssohn so einiges auf seiner Reise auch malend festhielt, diese Szene inspirierte ihn eher musikalisch. Der letzte Satz seiner „Italienischen Sinfonie“ ist ein feuriger „Saltarello“. 2‘11

Musik 5 Felix Mendelssohn Bartholdy Saltarello aus: Sinfonie Nr. 4 A-dur op. 90 „Italienische“ <4> 5‘25 Wiener Philharmoniker John Eliot Gardiner, Ltg. Titel CD: Mendelssohn Symphonies DG, 459 156-2, LC 0173 WDR 5034 764

Der letzte Satz aus Mendelssohns „Italienischer Sinfonie“: ein „Saltarello“. Es spielten die Wiener Philharmoniker unter John Eliot Gardiner und zwar eine Fassung aus dem Jahr 1834, bei der Mendelssohn die letzten drei Sätze noch einmal grundlegend überarbeitet hatte. So sehr Mendelssohn die heitere Lebensart, das meist gute Wetter und die Kunstschätze Italiens genoss, das Musikleben fand er wenig beeindruckend: „Die Orchester sind schlechter, als man es glauben sollte; es fehlt recht eigentlich an Musikern, und an rechtem Sinn. Die Paar Geiger greifen jeder auf seine Art, setzen jeder verschieden ein und an; die Blasinstrumente stimmen zu hoch, oder tief; […] das Ganze bildet eine wahre Katzenmusik, […]“ Und auch die päpstliche Kapelle blieb nicht vom harten Urteil Mendelssohns verschont: die „Kerls“ - wie Mendelssohn sie scherzhaft nannte- das 10 sei ein Trupp alter und unmusikalischer Sänger, die selbst bei einfachsten Stücken nie genau zusammen sängen. Auch wenn es an guter Musik in Rom und Italien überhaupt mangelte, ein paar musikalische Highlights gab es für Mendelssohn doch: er studierte die Musik Palestrinas, begeisterte sich während der Karwoche für Allegris „Miserere“ und komponierte in der katholischsten aller Städte eine Reihe von lutherischen Texten… Allerdings gab es da einige französische Nonnen, mit den „süßesten Stimmen der Welt“ – wie Mendelssohn sich ausdrückte. Und für eben diese Nonnen der Kirche Trinità de Monti - nahe seiner Wohnung an der spanischen Treppe gelegen - deren Gesang Mendelssohn so verzauberte, für diese Nonnen schrieb er drei Motetten auf katholische Texte. Ein besonderer Reiz bestand für Mendelssohn offenbar darin, dass man die Nonnen während ihres Gesangs nicht sah und er beschloss, ihnen unbekannterweise eine Komposition zu schicken, die er dann wiederum von ihnen zu hören hoffte, ohne sie zu sehen… 1‘40

Musik 6 Felix Mendelssohn Bartholdy Veni Domine aus: Drei Motetten op. 39 <7> 3’32 Kammerchor Stuttgart Frieder Bernius; Ltg. Sonntraud Engels-Benz, Orgel Titel CD: Felix Mendelssohn Bartholdy: Hebe deine Augen auf, Kirchenwerke VII Carus, 83.206, LC 3989 WDR 5136 832

Für „die süßesten Stimmen der Welt“ geschrieben von Felix Mendelssohn Bartholdy: das „Veni Domine“ für Frauenchor und 11

Orgel aus seinen Motetten op. 39 für die französischen Nonnen der Kirche Trinità de Monti in Rom. Gesungen vom Kammerchor Stuttgart unter Frieder Bernius, Orgel spielte Sonntraud Engels-Benz.

Im April 1831 reiste Mendelssohn mit einigen deutschen Malern von Rom nach Neapel und verbrachte dort fast zwei Monate. Eigentlich wollte er genau die gleiche Reiseroute nehmen wie seinerzeit Goethe und deshalb weiter nach Sizilien, sein Vater riet ihm aber ab. Und so blieb er in Neapel, genoss die Aussicht auf den Vesuv, malte viel und reiste mit seinen Bekannten umher: auf Capri faszinierte ihn die Blaue Grotte mit ihren Licht- und Wasserspielen. Und er vertiefte sich in die Gedichte, die Goethe damals in Neapel geschrieben hatte. Intensiv setzte er sich zudem mit einem anderen Text des Dichterfürsten auseinander und zwar mit seiner ersten Walpurgisnacht, einer Art Vorstudie zum Faust. Goethe hatte den Text an Zelter mit der Bitte um Vertonung geschickt. Der jedoch kam damit nicht wirklich zurecht und gab die Walpurgisnacht an seinen Schüler weiter. Mendelssohn hatte die Ballade Goethes nach Italien mitgenommen und als er von düsteren Nebelstimmungen während der Komposition seiner Schottischen Sinfonie und der Hebriden Ouvertüre unter der Sonne Italiens genug hatte, griff er Goethes Walpurgisnacht wieder auf, die er bereits in Wien als eine Kantate mit Orchester begonnen hatte. Aus Neapel berichtete Mendelssohn: „Ich muß aber zu meinen Hexen zurück; verzeiht, wenn ich für heut aufhöre. Der ganze Brief schwebt eigentlich in Ungewißheit; oder vielmehr schwebe ich 12 darin, ob ich die große Trommel dabei nehmen darf, oder nicht: »Zacken, Gabeln, und wilde Klapperstöcke« treiben mich eigentlich zur großen Trommel, aber die Mäßigkeit räth mir ab.“ 1‘38

Musik 7 Felix Mendelssohn Bartholdy „Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ aus: Die erste Walpurgisnacht, op. 60 <8> 3‘29 <9> bei 0’15 ausblenden Audi Jugendchorakademie Bayrische Staatsorchester Kent Nagano, Ltg. Titel CD: Felix Mendelssohn BArtholdy: Die Erste Walpurgisnacht Farao Classics, B 108059, LC 03740 WDR 5182 786

„Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ singt der Chor der Wächter der Druiden und des Heidenvolkes in Mendelssohns Vertonung von Goethes erster Walpurgisnacht. Und zur großen Trommel hat sich der Komponist dann doch hinreißen lassen. Es sang die Audi Jugendchorakademie, das Bayrische Staatsorchester wurde geleitet von Kent Nagano.

Anfang Juni kehrte Mendelssohn aus Neapel nach Rom zurück, jedoch nur kurz, dann stand nach fast acht Monaten in Italien die Abreise an: über Florenz und Genua ging es zunächst weiter nach Mailand. Dort vollendete er den ersten Entwurf seiner Walpurgisnacht. Und hier fand sein neues Werk einen ersten Hörer und zwar den ältesten der beiden Mozartsöhne: Carl Thomas Mozart. Für ihn spielte Mendelssohn – zu dessen großer Freude – 13 die Ouvertüren zu „Don Giovanni“ und der „Zauberflöte“ und eben Teile aus seiner neuen Kantate. Aber noch andere Personen aus dem Wien Mozarts und Beethovens traf er hier in Mailand: die Baronin Dorothea von Ertmann nämlich. Ihr hatte Beethoven seine A-Dur Klaviersonate op. 101 gewidmet. Sie war eine ausgezeichnete Pianistin und stand eine Zeit lang in engem Kontakt mit Beethoven. Für Mendelssohn spielte sie Klaviersonaten des Wiener Altmeisters, der wiederum spielte das B-Dur Trio, das sogenannte Gassenhauer Trio von Beethoven, für sie, an das sich Dorothea von Ertmann nicht mehr recht erinnern konnte. Sie erzählte ihm Anekdoten: wie Beethoven etwa einen Kerzenlöscher als Zahnstocher benutzt habe oder wie sie sich mit ihm „mit Tönen“ unterhalten habe, als sie eines ihrer Kinder verloren habe. Wie eine Insel aus einer vergangenen Welt erscheinen Mozarts Sohn und Beethovens Bekannte in Mailand für Mendelssohn. Die Musik Mozart, die Musik Beethovens, in Wien verstummt, in Mailand auf einer kleinen, kulturellen Insel der Vergangenheit bewahrt. 1‘34

Musik 8 Ausschnitt aus: Sonate Nr. 28 A-dur, op. 101 <1> 3‘32 Ronald Brautigam, Hammerflügel Titel CD: Beethoven: Klaviersonaten op. 101, op. 109, op. 110, op. 111 BIS; BIS-SACD-1613, LC 03240 WDR 5181 679

Ronald Brautigam am Hammerflügel mit dem Anfang von Beethovens A-dur Sonate op. 101, gewidmet Dorothea von 14

Ertmann, die Mendelssohn auf seiner Rückreise aus Italien in Mailand traf. Noch lagen die Alpen vor Mendelssohn: und in der Schweiz erwartete den Komponisten auf der Heimreise schreckliches Wetter: es stürmte und regnete so stark, dass große Teile der Wege überflutet waren, Brücken einstürzten, Geröll sich löste. Die Verwüstung war so schlimm, dass an eine Weiterfahrt per Kutsche nicht zu denken war. Mendelssohn reiste dennoch weiter: oftmals zu Fuß. Am 5. September 1831 erreichte er das bayrische Lindau und notierte in sein Reisetagebuch: „Mir gegenüber liegt die Schweiz mit ihren dunkelblauen Bergen, mit der Fußreise, den Stürmen, den geliebten Höhen und Thälern; hier ist wieder das Ende eines großen Theils der Reise.“ Italien hat er gesehen: das Land der Musik jedoch nicht entdeckt. Dafür das Land der Kunst und der Natur. Und vielleicht ist er sich mit seinen 22 Jahren in der Fremde selbst ein wenig näher gekommen, so wie auch Goethe in Rom die „Übereinstimmung“ mit sich selbst gefunden hatte. Bildung und Selbstfindung: das war die Reisemotivation für Mendelssohn. Um eine Erholungsreise geht es morgen in der SWR 2 Musikstunde: im Sommer 1928 flüchtete George Gershwin vor dem stressigen Leben am Broadway und wollte in Europa auf andere Gedanken kommen. Aber so ganz erholsam wurde die Reise dann doch nicht, denn das Naturtalent Gershwin war auf der Suche nach einem Lehrer: Und handelte sich jede Menge Absagen ein. Wen Gershwin so alles traf und wie ein Amerikaner durch Paris schlenderte und Musik daraus machte, dazu morgen mehr in der SWR 2 Musikstunde. 15

Zum Schluss noch ein Lied von Mendelssohn, auf der beschwerlichen Schweizer Rückreise komponiert: „Die Liebende schreibt“ nach einem Gedicht von Goethe. Ein Lied, das die Sehnsucht nach Delphine ausdrückt, jenes Klavierwunders, an das er während seiner Reise zuweilen sehnsüchtig gedacht hatte und das Mendelssohn bald in München wiedersehen sollte. Allerdings ist es bei der Freundschaft geblieben. Heiraten hat Mendelssohn sie dann doch nicht wollen. 2‘05

Musik 9 Felix Mendelssohn Bartholdy Die Liebende schreibt, op 86,3 <5> 2‘37 Brigitte Fassbaender, Mezzosopran Erik Werba, Klavier Titel CD: Brigitte Fassbaender Lieder Vol. 3 Lieder von Mendelssohn & Schumann EMI Classics, 7243 5 58012 2 7, LC 06646 WDR 5116 660

Musik ca. 39’45 Text ca. 15‘30