Plenarprotokoll 15/133

Deutscher

Stenografischer Bericht

133. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 19: tion der CDU/CSU: Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Drucksache 15/3805) ...... 12168 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Unterstützung (CDU/CSU) ...... 12168 C der Innovationsoffensive durch Abschaf- fung der Eigenheimzulage Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI ...... (Drucksachen 15/3781, 15/3972, 15/3975) . . 12153 B 12170 D Dr. (FDP) ...... Stephan Hilsberg (SPD) ...... 12153 C 12172 C Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . 12155 A Clemens Binninger (CDU/CSU) ...... 12173 D (BÜNDNIS 90/ Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 12156 A BMI ...... 12174 B Ina Lenke (FDP) ...... 12157 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12174 C Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 12157 D (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 12175 D , Bundesministerin BMBF ...... 12159 A Frank Hofmann (Volkach) (SPD) ...... 12177 C Jörg Tauss (SPD) ...... 12159 C Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) ...... 12161 C Tagesordnungspunkt 21: Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 12162 D Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Wolfgang Spanier (SPD) ...... 12163 C tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Klaus Minkel (CDU/CSU) ...... 12165 A Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Wolfgang Spanier (SPD) ...... 12166 B Einordnung des Sozialhilferechts in das So- zialgesetzbuch Klaus Minkel (CDU/CSU) ...... 12167 A (Drucksachen 15/3673, 15/3977) ...... 12179 C Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMGS . . 12179 D DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) 12167 D Verena Butalikakis (CDU/CSU) ...... 12181 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12183 B Tagesordnungspunkt 20: Verena Butalikakis (CDU/CSU) ...... 12184 B Antrag der Abgeordneten , Hartmut Koschyk, (Heil- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ bronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- DIE GRÜNEN) ...... 12184 C II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. , Freitag, den 22. Oktober 2004

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 12186 A BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Rolf Stöckel (SPD) ...... 12186 A Gesetzes zur Änderung der Vor- schriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Kranken- Tagesordnungspunkt 22: häuser und zur Änderung anderer Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Vorschriften (Zweites Fallpauscha- Dr. , Dr. Herta Däubler-Gmelin lenänderungsgesetz – 2. FPÄndG) und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- (Drucksachen 15/3672, 15/3974) . . . . 12200 B neten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, (Köln), weiterer Abgeordneter und der – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Bundesregierung eingebrachten Ent- NEN: Ernährung als Menschenrecht wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum dia- (Drucksache 15/3956) ...... 12187 B gnoseorientierten Fallpauschalen- system für Krankenhäuser und zur in Verbindung mit Änderung anderer Vorschriften (Zweites Fallpauschalenänderungs- gesetz – 2. FPÄndG) Zusatztagesordnungspunkt 9: (Drucksachen 15/3919, 15/3974) . . . . 12200 C Antrag der Abgeordneten Bernhard Schulte- b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drüggelte, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Ausschusses für Gesundheit und Soziale Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter Sicherung zu dem Antrag der Abgeordne- und der Fraktion der CDU/CSU: Welternäh- ten Dr. Hans Georg Faust, , rung sichern – eine globale Verantwortung Andreas Storm, weiterer Abgeordneter für die nationale und europäische Agrar- und der Fraktion der CDU/CSU:Versor- politik gungssicherheit für Patientinnen und (Drucksache 15/3940) ...... 12187 B Patienten durch sachgerechte Fallpau- Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . 12187 C schalen (Drucksachen 15/3450, 15/3974) ...... 12200 C Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 12188 D Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . 12189 B BMGS ...... 12200 D Reinhold Hemker (SPD) ...... 12190 B Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU) ...... 12201 D Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 12191 D Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 12204 A (CDU/CSU) ...... 12192 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 12205 A Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD) ...... 12205 D Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche- Tagesordnungspunkt 25: rung von Werkunternehmeransprüchen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- und zur verbesserten Durchsetzung von desregierung eingebrachten Entwurfs eines Forderungen (Forderungssicherungsge- Gesetzes zur Änderung des Versicherungs- setz – FoSiG) aufsichtsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 15/3594) ...... 12194 A (Drucksachen 15/3418, 15/3976) ...... 12207 C Dirk Manzewski (SPD) ...... 12194 A Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) ...... 12207 D Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) ...... 12195 C Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) ...... 12209 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12197 C

Rainer Funke (FDP) ...... Alfred12198 C Tagesordnungspunkt 26: Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Antrag der Abgeordneten , BMJ ...... 12199 B (Bayreuth), Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Lärmschutz ist Gesund- Zusatztagesordnungspunkt 10: heitsschutz – Fluglärmgesetz jetzt moder- a) – Zweite und dritte Beratung des von nisieren den Fraktionen der SPD und des (Drucksache 15/2862) ...... 12211 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 III

Michael Kauch (FDP) ...... 12211 D Anlage 2 (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung DIE GRÜNEN) ...... 12212 D des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Michael Kauch (FDP) ...... 12213 D des Versicherungsaufsichtsgesetzes und ande- rer Gesetze (Tagesordnungspunkt 25) Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 12214 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 12216 C DIE GRÜNEN) ...... 12219 C Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... 12220 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Anlage 3 über das Inverkehrbringen, die Rück- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: nahme und die umweltverträgliche Entsor- gung von Elektro- und Elektronikgeräten – Entwurf eines Gesetzes über das Inver- (Elektro- und Elektronikgerätegesetz – kehrbringen, die Rücknahme und die um- ElektroG) weltverträgliche Entsorgung von Elektro- (Drucksache 15/3930) ...... 12217 C und Elektronikgeräten (Elektro- und Elek- tronikgerätegesetz – ElektroG) in Verbindung mit – Antrag: Verwertung von Elektronik-Altge- räten ökologisch sachgerecht und unbüro- Zusatztagesordnungspunkt 11: kratisch gestalten Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatztagesord- , Michael Kauch, weite- nungspunkt 11) rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verwertung von Elektronik-Altgeräten Gerd Friedrich Bollmann (SPD) ...... 12221 C ökologisch sachgerecht und unbürokra- Werner Wittlich (CDU/CSU) ...... 12223 B tisch gestalten (Drucksache 15/3950) ...... 12217 D Birgit Homburger (FDP) ...... 12224 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 12225 C Nächste Sitzung ...... 12218 C

Anlage 1 Anlage 4 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12219 A Amtliche Mitteilungen ...... 12226 A

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12153

(A) (C) Redetext

133. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herzli- chen Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Prä- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem sident! – Beifall) Kollegen Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion.

– Nichts ist schöner, als einen Geburtstag mit Ihnen zu Stephan Hilsberg (SPD): verbringen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Kollegen! Wir diskutierenheute über ein wichtiges SPD – Dr. [FDP]: Wenn finanzpolitisches und gleichzeitig bildungspolitisches Sie das wirklich so meinen, haben Sie ein Pro- Vo r h ab e n . (B) blem!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wieder einmal!) (D) Die Sitzung ist eröffnet. – Richtig, wieder einmal. Dieser Hinweis von der Oppo- sition ist richtig, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes weil das ein wichtiger Punkt ist, an dem wir uns mehr zur finanziellen Unterstützung der Innova-Unterstützung von der Opposition wünschen, als wir bis- tionsoffensive durch Abschaffung der Eigen- her erfahren. Die Opposition verfährt so, wie sie das im- heimzulage mer tut: In allgemeinen Fragen werden wir unterstützt; wenn es aber konkret wird und ans Eingemachte geht, – Drucksache 15/3781 – wenn es gelegentlich einmal wehtut, wird uns die Unter- stützung entzogen. So kann man keine Politik machen. (Erste Beratung 129. Sitzung) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ausschusses (7. Ausschuss) Um es ganz klar zu sagen: Unsere Regierung verdient – Drucksache 15/3972 – jede Unterstützung, wenn es darum geht, mehr in Bil- dung zu investieren und weniger für Subventionen aus- Berichterstattung: zugeben. Zu der Frage, wofür das Geld bei der Bildung Abgeordnete Stephan Hilsberg ausgegeben werden soll, wird anschließend unsere Dr. Ministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus-Bulmahn, das Nötige sagen. Deshalb werde ich mich an schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung dieser Stelle, obwohl ich viel dazu sagen könnte, zurück- halten. Aus berufenem Munde wird das besser gesagt. – Drucksache 15/3975 – Ich will etwas zur Notwendigkeit der Senkung von Berichterstattung: Steuersubventionen erklären. Heute ist die Situation Abgeordnete Steffen Kampeter anders als noch vor zehn Jahren. Es geht nicht einfach Walter Schöler nur darum, die Ausgabendes Staates zu begrenzen. Nicht dasjenige Land ist ein gutes Land, das wenig Steu- ern verlangt, sondern dasjenige Land ist ein gutes Land, 12154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Stephan Hilsberg (A) das ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen nicht im Marktgeschehen zu verantworten hat. Ich(C) eingezogenen Steuern und dafür erbrachten Leistungen meine, das ist ein wichtiger Punkt. Deshalb muss das aufweist. auch gesagt werden. (Beifall bei der SPD) Interessanterweise kann man bei der Diskussion um Dieses Kriterium ist auch im europäischen und interna- die Zukunft der Eigenheimzulage – auch im Ausschuss – tionalen Standortwettbewerb wichtig. Deshalb geht es in keineswegs feststellen, dass die Opposition überhaupt der Frage der Notwendigkeit der Senkung der Subven- nicht an die Eigenheimzulage ran will. Es gibt beispiels- tionen nicht einfach nur darum, Ausgaben zu senken,weise Äußerungen, dass man im Rahmen einer generel- sondern darum, die Effizienz des Steuersystems insge- len und großen Steuerreform bereit sei, über die Zukunft samt zu verbessern; das ist der entscheidende Punkt. Wir der Eigenheimzulage zu reden. Es geht also gar nicht da- sind an dieser Stelle schon einen ganz erheblichenrum, dass man nicht bereit ist, hier etwas zu tun. Schritt vorwärts gekommen, an manchen Stellen auch Bei der entscheidenden Aufgabe, die wir heute haben, mit Unterstützung der Opposition – gar keine Frage –, nämlich Steuersubventionen abzubauen, um ein besseres auch wenn das Endergebnis ein bisschen dürftig war.Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuersystem insgesamt Beispielsweise war das berühmteKoch/Steinbrück- zu erreichen, verweigern Sie sich aus durchscheinenden Papier an manchen Stellen nicht zielgenau. Aber im-parteitaktischen Interessen, weil Sie Ihre eigenen Kon- merhin ist es gelungen, einige Subventionen abzubauen. zepte damit finanzieren wollen. Ihre eigenen Konzepte Es ist sehr gut, dass der berühmte Effekt, der noch vor sind nämlich dermaßen schlecht durchgerechnet, dass fünf oder sechs Jahren beklagt wurde, nämlich dass wir Sie Sorgen haben, wenn Sie an die Realisierung denken, Einkommensmillionäre haben, die keine Steuern zahlen, zu der es kommen würde, wenn Sie jemals die Chance inzwischen der Vergangenheit angehört. Eine ganzedazu hätten. Das ist doch der Hintergrund. Menge Steuerschlupflöcher wurden geschlossen. Das ist gut so und an dieser Stelle müssen und wollen wir wei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ termachen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Während Ihr Faktionsgeschäftsführer und der jetzt nicht mehr ganz so beliebte Teufel, der Mi- Es geht jetzt also nicht darum, Geschenke zu vertei- nisterpräsident von Baden-Württemberg, noch darüber len, sondern es geht um die Frage, wo Subventionen ge- reden, dass man das in eine allgemeine Steuerreform rechtfertigt sind und wo cht. ni In diesem Zusammen- einbauen könnte, wird im Ausschuss darüber geredet, hang komme ich auf die Eigenheimzulage zu sprechen. dass es vielleicht nicht falsch wäre, ein Konzept zu fin- Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik (B) den, in dem das Wohneigentum besser als bisher in eine (D) haben wir einen ausgeglichenen Wohnraummarkt, der es steuerlich begünstigte Altersvorsorge mit eingerechnet nicht mehr rechtfertigt, eine solche allgemeine Eigen- wird. Darüber könnte man auch reden. heimzulage zu gewähren. In einigen Regionen haben wir sogar katastrophale Leerstände; da kommen wir mit ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ner Eigenheimzulage überhaupt nicht weiter. In man- chen Regionen in der Bundesrepublik ist die Situation Sie müssen sich aber überlegen, was Sie eigentlich wol- ganz ohne Zweifel nach wie vor ein klein wenig ange- len und wofür Sie es verwenden wollen. Sie sind hier spannt. Aber das allgemeine Instrument einer Eigen-überhaupt nicht sortiert. heimzulage ist überhaupt nicht mehr angebracht. Wir werden unseren Weg gehen. Der Weg kann nur (Beifall bei der SPD) lauten: besseres Preis-Leistungs-Verhältnis im Steuer- system insgesamt für einen Standortvorteil und für bes- Natürlich haben wir es mit Besitzstandswahrern zu sere Standortbedingungen für unsere Unternehmen in tun; ist doch gar keine Frage. Was wäre das auch für ein Deutschland, für bei uns benötigte Arbeitsplätze sowie Lobbyverband, der sich dann, wenn es darum geht, in für eine hervorragende und sich gut entwickelnde Volks- seinem Bereich bestimmte Gelder einzusparen, nichtwirtschaft im europäischen Konzert. melden oder organisieren würde! Das ist doch völlig normal und damit kann man auch umgehen. Es muss Deswegen gehen wir auch an die schwierigen Punkte aber bewertet werden, obes im allgemeinen Interesse heran. Wir wissen nämlich, dass es für eine gute Zukunft liegt, dass so etwas gemacht wird. unseres Landes notwendig ist, heute auch schwierige Aufgaben zu meistern. Von Wirtschaftsverbänden lasse ich mir ungern sagen, dass wir zu wenige Subventionen zahlen, da sie die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ganze Zeit die Meinung vertreten haben, dass sich der Staat aus dem Marktgeschehen herauszuhalten habe. Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nau das ist doch der Punkt. Deutschland ist nicht um- DIE GRÜNEN) sonst eines der Länder mit den höchsten Baupreisen. Sie müssen sich einfach einmal überlegen, ob dieBauwirt- Präsident Wolfgang Thierse: schaft die Eigenheimzulage in Milliardenhöhe, wie sie Ich erteile Kollegen , CDU/ zurzeit gezahlt wird, nichtautomatisch in ihre Kosten CSU-Fraktion, das Wort. mit einrechnet und auf diese Art und Weise schon einmal Einnahmen hat, die sie vor niemandem und erst recht (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12155

(A) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): (Jörg Tauss [SPD]: Sagen Sie mal was zur Bil- (C) Herr Präsident! Auch von mir herzlichen Glück- dung, nicht zur Bildung von Wohneigentum!) wunsch zum Geburtstag! Der Bundesrat hat sich bei diesem Thema eindeutig po- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kol- sitioniert und fordert die Beibehaltung der Eigenheimzu- lege Hilsberg, es ist doch folgendermaßen:lage. Im Übrigens setzen sich nicht nur die CDU-, CSU- Dezember 2003 haben wir einen Kompromiss zwischen und FDP-Politiker in ihren Landesverbänden für die Ei- der Regierung und der Opposition erzielt, um die Zu-genheimzulage ein, vielmehr verstehen auch Ihre Leute kunft der Eigenheimzulage neu zu regeln. Allein die Tat- von der SPD den unehrenhaften Umgang mit den Betrof- sache, dass wir uns heute, keine zehn Monate später, er- fenen nicht. neut mit diesem Thema beschäftigen müssen, weil die Herr Tauss, Sie können so viel protestieren, wie Sie Regierung den betroffenen Bürgern gegenüber wortbrü- wollen. Ich kann auch konkret werden. chig werden will, ist der Skandal und zeigt die Unzuver- lässigkeit der rot-grünen Regierung und der in ihr han- (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) delnden Personen. Dazu möchte ich Ihnen keine Zitate von vor ein paar (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Jahren vorlesen, sondern nur ganz aktuelle. Der letzte Eichel, Bundesminister: Ach, Quatsch!) Landesparteitag der SPD hat am 9. Oktober 2004 in Hanau in Hessen stattgefunden, also vor gerade Wie war es denn? Sie von Rot-Grün wollten die Ei- 13 Tagen. Schauen wir doch einmal, Herr Finanzminis- genheimzulage im letzten Jahr vollständig abschaffen, ter Eichel, was Ihr eigener Landesverband zum Thema um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen. CDU/CSU undEigenheimzulage vor 13 Tagen beschlossen hat. auch die FDP wollten den Schwächeren unserer Gesell- schaft weiterhin den Erwerb von Wohneigentum ermög- (, Bundesminister: Mit knapper lichen. Mehrheit!) (Jörg Tauss [SPD]: Ach, jetzt kommen mir Mit Zustimmung des Präsidenten zitiere ich kurz den gleich die Tränen!) Beschluss der SPD Hessen vom 9. Oktober 2004. Da heißt es: Herr Tauss, dann haben wir uns auf Kürzungen in Höhe von 30 Prozent in den nächsten drei Jahren geeinigt. Ich Der SPD-Landesparteitag Hessen befürwortet die war von diesem Kompromiss nicht begeistert, aber es Beibehaltung der Eigenheimzulage. war ein Kompromiss. Er hat den Bürgerinnen und Bür- ( [CDU/CSU]: Hört! Hört!) gern eine Perspektive für die nächsten Jahre gegeben. (B) Junge Familien haben auf diese von uns gemeinsam ge- Er lehnt die Abschaffung der Eigenheimzulage ab … (D) machten Zusagen hin ihre Lebensplanungen ausgerich- (Jörg Tauss [SPD]: Leselüge!) tet. Der Landesverband unseres SPD-Finanzministers be- Und jetzt? Die Betroffenen fragen zu Recht, was denn gründet seinen Beschluss unter anderem mit folgenden nun gilt. Gibt es jedes Jahr wieder ein neues Theater. Sie Worten: wissen, mich persönlich können Sie nicht mehr so leicht enttäuschen. Was ich bei Ihnen in zwei Jahren chaosmä- Die Abschaffung der Eigenheimzulage erschwert ßiger Finanzpolitik an Unredlichkeit und Fehlplanung gerade jungen Familien ... den Erwerb von Wohn- erlebt habe, ist nicht mehr zu toppen. Heute belasten Sie eigentum deutlich. aber die Bürger und auch die Mitarbeiter in den Firmen. Weiter heißt es: Was können Ihnen die Mitarbeiter in den mittelständi- schen Bauunternehmungen und in den Bausparkassen Der Erwerb von selbstbewohntem Wohneigentum überhaupt noch glauben? bedeutet langfristig die Umwandlung von ansons- ten zu zahlender Miete in eigenes Vermögen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Anschließend haben die hessischen Landespolitiker [SPD]: Sie scheinen aber nicht viel Begeiste- nachgerechnet, dies dem Finanzminister zukommen las- rung zu entfachen! Ein etwas quälender Bei- sen und deswegen folgende Begründung in ihren Antrag fall!) aufgenommen – ich zitiere –: Auch fachlich liegen Sie völlig falsch. Wir brauchen Die Eigenheimzulage deckt bei einem durchschnitt- nicht weniger Bürger, die in ihre eigenen vier Wände in- lichen Eigenheim maximal die anfallende Mehr- vestieren können, sondern mehr Bürger, die in ihr Eigen- wertsteuer auf die erbrachten Bauleistungen ab. tum investieren, anstatt Miete zu zahlen. Das ist eine so- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) lide Alterssicherung und schützt vor dem Problem, vor dem Sie immer warnen: der Altersarmut. Weniger Bauleistung durch eine wegfallende Eigenheimzulage bedeutet somit Verzicht von Steu- Sie haben es bei der Einführung der so genannten ereinnahmen. Riester-Rente oder bei der Kürzung der neulich erst er- folgten Neuregelung der Alterseinkünftebesteuerung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg versäumt, die Bildung von Wohneigentum ausreichend Tauss [SPD]: So, jetzt entscheiden wir über die zu berücksichtigen. Annahme des Antrags!) 12156 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Christian Freiherr von Stetten (A) Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wenn es Ihnen (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das stimmt (C) noch nicht einmal gelingt, Ihre eigenen Leute von die- nicht!) sem falschen Weg zu überzeugen, dann frage ich mich, wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, sich hier im– Herr Seiffert, Sie können hundertmal behaupten, dass Bundestag hinzustellen, der Opposition Verweigerung dies nicht stimmt. Natürlich stimmt es: Der Wohnungs- vorzuwerfen markt ist gesättigt. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie dann noch die demografische Entwicklung bedenken, durch die der Bedarf langfristig noch weiter Nein, Verantwortungslosigkeit!) sinken wird, können Sie sich heute nicht hier hinstellen und von uns zu erwarten, dass wir Ihnen auf diesem Weg und fordern, über die Eigenheimzulage weiterhin den der Pleiten, Pech und Pannen bei den Finanzen folgen. Bau von Eigenheimen und die Schaffung von Wohn- So wie Sie Ihr SPD-Landesparteitag aufgefordert hateigentum zu finanzieren. Der Markt ist gesättigt. Das – wie mir Ihr Landesverband mitgeteilt hat, ist ein Brief müssen Sie endlich einmal anerkennen. an den Finanzminister diese Woche im Ministerium ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegangen –, kann auch ich Sie nur auffordern: Ziehen und bei der SPD) Sie Ihren Antrag zurück! Wir haben einen Gegenantrag gestellt. Jetzt sagen Sie, das Ziel sei nicht nur die Schaffung von Wohneigentum, sondern auch die Altersvorsorge. Herzlichen Dank. Ich sage Ihnen eines: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Ina Lenke [FDP]: Das wollen Sie auch nicht!)

Präsident Wolfgang Thierse: Die beste Altersvorsorge ist Bildung. Wir brauchen mehr Innovationen und mehr Bildung für eine vernünftige Al- Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Frak- tersvorsorge. tion des Bündnisses 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der SPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Natürlich hätten wir gerne einen größeren finanziel- Herren! Wir haben gestern über den Nachtragshaushalt len Spielraum; aber wir haben ihn nicht. Deswegen ha- debattiert. Wir wissen: Die Spielräume, die wir noch ha- ben wir uns dafür entschieden, in die Bildung zu inves- (B) ben, sind begrenzt und eng. tieren. Um diese Entscheidung geht es. Es geht um die(D) Entscheidung: Eigenheimzulage oder Bildung? Es geht (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir haben um die Entscheidung: Investition in einen gesättigten überhaupt keinen Spielraum mehr!) Wohnungsmarkt oder in Bildung? Der Haushalt enthält Ausgaben von 250 Milliarden (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist simpel! Euro. Wir wissen, dass 70 Prozent dieser Ausgaben für Panzer oder Kindergeld?) Zinsen und die Renten- und Pensionskasse verwendet werden. Das heißt, der Spardruck in Bezug auf denEs geht um die Entscheidung: Beton oder Bildung? Wir Haushalt ist sehr groß und unsere Spielräume sind ge- haben uns für die Bildung entschieden. Wenn wir die ring. Eigenheimzulage abbauen, haben wir bis zum Jahr 2008 3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Insgesamt haben Einer unserer Spielräume sind die Subventionen. Die wir dann 6 Milliarden Euro mehr für Kinderbetreuung, Frage bei eingesparten Subventionen ist: Sollen sie für für Bildung und für Innovationen. die Schuldentilgung verwendet werden oder sollen sie anderweitig eingesetzt werden? Wir haben uns dafür ent- (Ina Lenke [FDP]: Was ist denn mit Hartz IV? schieden, die Mittel aus dem Abbau der Eigenheimzu- Jetzt kommen Sie mit Kinderbetreuung!) lage für die Bildung zu verwenden, und zwar aus gutem – Genau, ich komme mit der Kinderbetreuung. Wissen Grund. Sie, warum ich mit der Kinderbetreuung komme? Weil (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir uns in Deutschland etwas leisten, was geradezu ab- und bei der SPD) surd ist. Wir leisten uns, dass junge, gut ausgebildete Frauen – meist mit einem besseren Abschluss als Män- Für Subventionen gilt Folgendes: Vernünftige Sub- ner – keinen Zugang zu hoch qualifizierten Berufen ha- ventionen sind degressiv. Irgendwann laufen sie aus und ben, weil wir keine flächendeckende gescheite Kinder- zwar dann, wenn das Ziel einer Subvention erreicht ist. betreuung haben. Wir brauchen Geld, damit wir solche Frauen in den Arbeitsmarkt vermitteln können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Ziel dieser Subvention war eine ausreichende und bei der SPD) Wohnraumversorgung. Dass dieses Ziel erreicht ist, sa- gen Ihnen alle Wissenschaftler, Gutachter und auch der Ich möchte Ihnen jetzt ein Zitat des Kollegen Minkel Städtetag. aus der Debatte vom 30. September vorlesen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12157

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Die Sachverständigen sagen in ihrem Gutachten, dass (C) Frau Kollegin, gestatten Sie vor dem Zitat eine Zwi- sich die Eigenheimzulage überlebt habe. Der Städtetag schenfrage der Kollegin Lenke? sagt, dass die Eigenheimzulage als flächendeckende und undifferenzierte Subvention der Wohneigentumsbildung (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Frau überholt sei. Lenke braucht Redezeit! Ich kenne sie schon! – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [FDP]: (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung Meine Frage kennen Sie aber noch nicht!) vom wahren Leben!) Es ist ganz klar: Die Eigenheimzulage fördert die Stadt- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): flucht. Die Eigenheimzulage hilft nicht, die Wohnungs- Ja. engpässe in Ballungsräumen zu beseitigen. Die Eigen- heimzulage fördert gerade diejenigen, die nicht mehr auf Ina Lenke (FDP): diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die ent- Sehr geehrte Frau Kollegin, glauben Sie nicht mehr scheidende Altersvorsorge für uns ist Bildung. Bildung daran, dass durch die Zusammenlegung von Arbeits-und Wettbewerb, Bildung und Innovationen sind der ent- losen- und Sozialhilfe die Betreuung von Kindern unter scheidende Schlüssel dafür, dass wir dieses Land vo- drei Jahren finanziert werden kann? Sie machen doch ranbringen können. Mit der Einstellung, die ich vorhin jetzt einen neuen Finanzierungstopf auf. Sie haben eben zitiert habe, bringen wir dieses Land nicht voran. davon gesprochen, dass Siedie Eigenheimzulage auch (Zuruf von der CDU/CSU: Da reicht aber für Kinderbetreuung und für Bildung im Kindergarten nicht nur Geld!) verfrühstücken wollen. Ich bitte Sie, die Lebenswirklichkeit anzuerkennen Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und sich in unserem Sinne zu entscheiden. Frau Kollegin, ich habe gesagt, dass wir durch den Vielen Dank. Abbau der Eigenheimzulage 3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2008 mehr für Bildung haben werden. Dann habe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich gesagt, dass das bedeutet, dass wir für Bildung, For- und bei der SPD) schung und Kinderbetreuung in der Summe 6 Milliarden Euro mehr haben. Natürlich glaube ich, Präsident Wolfgang Thierse: dass Hartz IV zur Finanzierung der Kinderbetreuung Ich erteile das Wort Kollegen Carl-Ludwig Thiele, beitragen wird. (B) FDP-Fraktion. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Jörg Tauss [SPD]: Mal sehen, ob heute was und bei der SPD) Neues kommt!) Aber wir bleiben noch etwas bei dem Thema Kinder- betreuung, weil mir das wirklich am Herzen liegt. Ich Carl-Ludwig Thiele (FDP): sagte, dass wir den jungen, gut ausgebildeten Frauen den Sehr geehrter Herr Präsident! Zunächst auch von mei- Zugang zu hoch qualifizierter Arbeit verwehren. Derner Seite herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Eine Kollege Minkel – ich kenne ihn nicht persönlich – solche Sitzung ist sicherlich dazu angetan, Ihnen mög- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: lichst häufig zu gratulieren. Das werden die nachfolgen- Ein guter Mann ist das!) den Redner wahrscheinlich auch tun. hat in der Debatte vom 30. September zum Abbau der Frau Kollegin Andreae, Ihr Redebeitrag erweckt den Eigenheimzulage Folgendes ausgeführt: Eindruck, dass das Streichen der Eigenheimzulage finan- zielle Spielräume eröffnen und in der Zukunft Ausgaben Es geht darum, ob unsere Menschen im Eigenheim ermöglichen wird, an die derzeit nicht zu denken ist. wohnen dürfen oder auf einer Etage eines Wohn- Wenn man Ihren Vorstellungen folgen würde, dann hauses wohnen müssen. könnte man mindestens dreimal so viele gute und wün- schenswerte Vorhaben benennen, die der Staat finanzie- (Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt ren sollte [Salzgitter] [SPD]: So war das! Ich war dabei! Das stimmt!) (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da muss man sich entscheiden!) – Ich bin noch nicht fertig. Es wird noch viel besser: und die dann mit den durch die von Ihnen geforderte Herr Eichel, mit dem Eigenheim fängt die Kinder- Streichung der Eigenheimzulage eingesparten Mitteln erziehung an. Beides hat etwas miteinander zu tun. finanziert werden könnten. Die Eigenheimzulage ist in Die Einstellung, dass Kindererziehung etwas damit zu diesem Zusammenhang der neue Jäger 90 der neuen rot- tun, ob man ein Haus hat, das einem selber gehört oder grünen Finanzpolitik! Das vermag ich nicht ganz einzu- nicht, ist unglaublich. sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und bei der SPD) der CDU/CSU) 12158 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Carl-Ludwig Thiele (A) Lassen Sie mich wieder ernst werden. Gestern Nach- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) mittag fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung NEN]: Ach ja!) des Nachtragshaushalts für das laufende Jahr statt. Der Haushalt läuft aus dem Ruder. Deutschland wird dieWenn sie aber gestrichen wird, dann müssen gleichzeitig höchste Neuverschuldung erleben, die es je gab. die Steuern gesenkt werden. Zum dritten Mal in Folge hat die Koalition einen ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fassungswidrigen Haushalt zu verantworten. Ihr Finanz- der CDU/CSU) minister erklärt, dass ersich weigert, zu sparen und Nur so kann sichergestellt werden, dass die Bürger und Sparvorschläge vorzulegen. junge Familien, die ein Eigenheim erwerben wollen, die- (Jörg Tauss [SPD]: Unverschämtheit!) sen Wunsch verwirklichen können. Erkundigen Sie sich einmal, wie viele Familien mit Kindern in die Neubau- – Dann beschweren Sie sich beim Finanzminister! Er hat gebiete ziehen und warum sie Eigentum bilden wollen. sich doch so geäußert. Ich zitiere Herrn Eichel doch nur. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ (Hans Eichel, Bundesminister: Quatsch!) DIE GRÜNEN]: Wie wollt ihr denn den Schuldenabbau betreiben? Sagt das doch mal!) – Sie haben doch erklärt, Sie könnten in diesem Haushalt keine weiteren Einsparungen vornehmen. Sie wollen das Wenn man die Eigenheimzulage streicht, ohne diesen nicht! Das Mindeste wäre, eine Haushaltssperre zu ver- Personenkreis an anderer Stelle zu entlasten, dann ist er hängen oder Ähnliches. Aber nicht einmal dazu sind Sie nicht mehr in der Lage, das notwendige Eigentum zu bil- in der Lage, Herr Finanzminister. den. Um diesen Zusammenhang geht es doch! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alle Ihre Vorschläge bedeuten eine simple Steuer- Joachim Poß [SPD]: Schwachsinn!) erhöhung, die als Subventionsabbau getarnt ist. Das leh- nen wir ab. Dafür stehen wir nicht. Wer so verantwortungslos mit den Staatsfinanzen um- geht, die höchste in Deutschland je erzielteNeuver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schuldung erreicht, damit die nachfolgenden Generatio- nen belastet und dann hier eine solche Shownummer Was die Begriffe angeht, die Sie der Eigenheimzulage abzieht, beweist, dass auch der letzte Rest Seriosität in gegenüberstellen, ist festzuhalten: Wir brauchen in der Finanzplanung auf der Strecke geblieben ist. Deutschland in der Tat Bildung. Dafür stehen wir. Wir haben entsprechende Konzepte vorgelegt, die von Ihnen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg abgelehnt wurden. (B) Tauss [SPD]: Das passt aber nicht zusammen!) (D) (Jörg Tauss [SPD]: Oh je!) Im vergangenen Jahr haben wir im Zuge des Vorzie- hens der nächsten Stufe der Steuerreform eine Diskus- Wir brauchen in Deutschland aber auch Eigentum. Wa- sion geführt. Auch wir von der FDP haben uns für die rum werden Bildung und Eigentum gegenübergestellt? Kürzung von Subventionen eingesetzt. Im Zuge dieser Unser Land kann sich nur dann entwickeln, wenn es Bil- Diskussion wurde die Eigenheimzulage grundsätzlich dung und Eigentum gibt. umgestaltet. Sie wurde um30 Prozent gekürzt. Das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Bereich, in dem am stärksten gekürzt wurde. Den der CDU/CSU) Subventionsabbau in anderen Bereichen hat der Finanz- minister nicht einmal vorgeschlagen; er wurde von den Das ist doch der entscheidende Punkt. Ländern gefordert. Wir haben den Subventionsabbau Wenn es darum geht, den Subventionsabbau anzuge- mitbeschlossen. hen, dann stellt sich dieFrage, warum in den nächsten Die Rahmenbedingungen sind also bereits verändert Jahren bis 2012 16 Milliarden Euro für die Steinkohle worden. Die Änderung der Eigenheimzulage ist mit den ausgegeben werden. Warum soll das erforderlich sein? Stimmen von Rot-Grün im Dezember beschlossen wor- Das ist eine Ausgabe, die vom Bundeshaushalt Jahr für den. Jetzt aber erklären Sie: Dieser Beschluss kann nicht Jahr geleistet wird. Hier kann man doch herangehen. länger gelten; die Eigenheimzulage muss komplett abge- Warum investieren Sie weiter in die Vergangenheit an- schafft werden. Das irritiert und verunsichert die Bürger statt in die Zukunft? Ihre Aufgabe ist es doch, in die Zu- am stärksten: In dieser Politik gibt es keine Planungs- kunft zu investieren. sicherheit und Verlässlichkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Mit dieser Planungsunsicherheit machen Sie die Kon- junktur und das Wirtschaftswachstum kaputt und legen Wir Liberale möchten, dass in die Zukunft investiert die Wurzeln dafür, dass Deutschland nicht in dem not- wird. Wir brauchen weniger Kohle für die Kohle, aber wendigen Maße vorankommt. mehr Kohle für die Bildung. Dafür werden wir werben. Das ist aber mit dem simplifizierten Steuererhöhungsge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) setzentwurf der Bundesregierung nicht möglich. Auch wir von der FDP sind der Auffassung, dass es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – keine Ewigkeitsgarantie für die Eigenheimzulage geben Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch der Meister kann. Simpel, der Simplizissimus!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12159

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Präsident Wolfgang Thierse: (C) Ich erteile das Wort der Bundesministerin Edelgard Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bulmahn. Kollegen Tauss?

(Beifall bei der SPD) Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Ja. und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Präsident Wolfgang Thierse: Damen und Herren! Herr Präsident, auch von mir einen Herr Tauss, bitte. ganz herzlichen Glückwunsch. Ich glaube, es wäre das schönste Geschenk für den Herrn Bundespräsidenten Jörg Tauss (SPD): (Heiterkeit im ganzen Hause) Frau Ministerin, nachdem die Opposition in ihren Zu- rufen auf die Zusammenhänge zwischen den von Ihnen – Entschuldigung, für den Herrn Bundestagspräsiden- genannten Zahlen bezüglich der Ausgaben für Bildung ten –, wenn wir heute den Beschluss fassen würden, die und Forschung und auf die Regierung verwies, könnten Eigenheimzulage abzuschaffen. Sie uns freundlicherweise einmal schildern, in welchem Zustand Sie den Bildungs- und Forschungshaushalt 1998 Wir alle – die Damen und Herren von der Opposition vorgefunden haben und wie sich die Situation heute dar- genauso wie von der Regierungskoalition – stehen heute stellt? Könnten Sie auch darauf eingehen, wie sich die vor der Aufgabe, zu beweisen, ob wir in der Lage sind, Situation in Niedersachsen nach der Regierungsüber- die Ausgaben der öffentlichen Hand in Zeiten knapper nahme durch Schwarz-Gelb darstellt, wie stark dort im Kassen auf die Bereiche zu konzentrieren, die für dieBereich von Bildung und Forschung gekürzt worden ist? Zukunft unseres Gemeinwesens von ganz besonderer Bedeutung sind. (Ina Lenke [FDP]: So ein Quatsch!)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Forschung: Von allen Parteien, von Wissenschaft und Wirtschaft Man muss sich ja mit der Wirklichkeit auseinander wird gefordert, mehr in Bildung und Forschung zu in- setzen. vestieren. Darin liegt unsere Zukunft. In Deutschland in- (Jörg Tauss [SPD]: So ist es!) (B) vestieren wir aber bisher zu wenig in Bildung und For- (D) schung. Die Wirklichkeit sieht so aus – da Sie das offensichtlich vergessen haben und da auch Erinnern zur Bildung ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist denn die hört, sage ich Ihnen allen das noch einmal –, dass die da- Bildungsministerin?) malige CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Kohl den Haushalt für Bildung und For- Laut Statistik liegt Deutschland beim Anteil der Bil-schung um 400 Millionen Euro gekürzt hat. Das war dungsausgaben an allen öffentlichen Ausgaben an zweit- Ihre Zukunftspolitik. letzter Stelle in Europa. An zweitletzter Stelle! (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wie lange sind Hört! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Er stellt Sie schon Ministerin?) Ihnen die Frage!) Heute stehen wir alle in diesem Hohen Haus vor der Na- Das Gleiche macht zurzeitim Übrigen die CDU-FDP- gelprobe, ob wir bereit sind, dies zu verändern und dafür geführte Landesregierung in Niedersachsen. Dass Sie Sorge zu tragen, dass unsere Kinder in den Kindergärten dort die Investitionen in die Hochschulen um 50 Millio- und unsere Jugendlichen an den Schulen, Berufsschulen nen Euro kürzen, ist genau die falsche Politik. Damit und Hochschulen eine Zukunfts- und Lebenschance er- zerstören Sie in Niedersachsen die Zukunftsoptionen, halten. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. die wir in den Jahren zuvor sinnvoller- und richtiger- weise aufgebaut haben. Damit schaden Sie der Zukunft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieses Bundeslandes, genauso wie Sie in den 90er-Jah- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren der gesamten Bundesrepublik Deutschland gescha- Herr Thiele, lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Es det haben. geht nicht an, sich ständig zum Subventionsabbau zu be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kennen, aber immer dann, wenn es konkret wird, Gründe DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle an den Haaren herbeizuziehen, die es vermeintlich recht- [FDP]: Würden Sie mal mit dem reden, der Ih- fertigen, warum man sich der notwendigen Entschei- nen die Frage gestellt hat? – Lebhafte Zurufe dung für den Subventionsabbau und damit für mehr In- von der CDU/CSU) vestitionen in Bildung und Forschung verweigert. Damit machen Sie sich völlig unglaubwürdig. Die rot-grüne Bundesregierung hat dagegen seit 1998 die Mittel für Bildung und Forschung um 35 Prozent er- (Beifall bei der SPD) höht. Das ist genau der Unterschied zwischen dieser 12160 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Regierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen Wir müssen auch deutlich mehr für Forschung tun;(C) auf der einen Seite und Ihrer Regierung auf der anderen denn neue Arbeitsplätze entstehen vor allem in den zu- Seite. kunftsträchtigen, in den forschungsintensiven Bereichen. Das gilt heute für alle Branchen. Das gilt für die Auto- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mobilbranche genauso wie für die chemische Branche, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – den Maschinenbau und den gesamten Dienstleistungs- Dr. [CDU/CSU]: Der Tauss ist sektor. ja gebrechlich!) Sie haben vonZuverlässigkeit gesprochen, Herr Sie reden in Sonntagsreden über die Bedeutung von Bil- Thiele. Das ist, finde ich, ein wichtiges Wort. dung und Forschung und haben nicht das Rückgrat und den Mut, dann auch die notwendigen Entscheidungen zu (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja, das stimmt!) treffen. Deshalb sind Sie unglaubwürdig. Es kommt genau darauf an, dass wir zuverlässig sind in (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Warum be- unseren Anstrengungen, Bildung wirklich zu verbessern, schimpfen Sie Ihren Kollegen so, Frau Minis- Bildungsangebote zu verbessern und allen Menschen terin, ohne Punkt und Komma?) Bildung zu ermöglichen. Wir haben die notwendigen Entscheidungen getroffen (Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: und haben den Mut, die Courage, dafür auch Subventio- Kürzen Sie doch bei der Steinkohle!) nen zu streichen, die uns allen sicherlich lieb und teuer Wenn Sie hier so tun, alsob die Menschen, die ihre geworden sind. – Vielen Dank. Bauplanung auf die Eigenheimzulage aufgebaut haben, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ enttäuscht würden, dann ist das falsch. Sie verdummen DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle die Leute. Sie wissen genauso gut wie ich, dass diejeni- [FDP]: Ich möchte, dass die Frage ausführli- gen, die die Zusage haben, natürlich auch ihr Geld be- cher beantwortet wird! – Dr. Peter Ramsauer kommen. [CDU/CSU]: Das ist wirklich Zeitschinderei, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist klar!) Herr Präsident!) Die Eigenheimzulage läuft aus – sie wird nicht abrupt Wir wissen, dass die Frage, wie wir in unserem Land gekappt –, damit genau diese Zuverlässigkeit gegeben Beschäftigung, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit auf bleibt. Dauer erhalten können, ganz eng mit der Frage ver- knüpft ist, (Beifall bei der SPD) (B) (D) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Herr Tauss, Deshalb finde ich es auch von der Sache her einfach Frage stellen!) nicht in Ordnung, wenn man so argumentiert. Da muss man sich mit den Fakten auseinander setzen. ob es uns gelingt, Menschen eine gute Bildung zu er- möglichen – und zwar beginnend im Kindergarten –, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) frühkindliche Betreuung auszubauen und vor allem zu Ich habe vorhin gesagt, dass das für uns die Nagel- verbessern, die schulische Bildung deutlich zu verbes- probe ist. Wir müssen hier im Bundestag heute Farbe be- sern und die Forschung zu stärken. Die Frage, vor der kennen. Das erwarten die Menschen von uns. Diese Er- wir stehen, ist also, ob uns dies wirklich gelingt. wartung sollten wir alle erfüllen. Es zeigt sich weltweit, in allen Ländern, dass die er- Vom Wegfall der Eigenheimzulage, die rund 10,4 Mil- folgreichste Strategie für Wohlstand, Beschäftigung und liarden Euro ausmacht und damit der größte Subven- wirtschaftliches Wachstum Investitionen in Bildung tionstitel im Bundeshaushalt überhaupt ist, profitieren und Forschung sind. Deshalb kommt es darauf an, dass vor allem die Länder. Die Länder sind es nämlich, die in wir bereit sind, in Köpfe zu investieren und die Innova- den letzten Jahren – das trifft gerade für die CDU-regier- tionsfähigkeit unserer Gesellschaft auch tatsächlich zu ten Länder zu – nicht mehr in dem notwendigen Maß in stärken. Bildung und Forschung investiert haben. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Kohlesubven- (Beifall bei der SPD – Christian Freiherr von tionen abbauen!) Stetten [CDU/CSU]: Die PISA-Studie kennen Sie?) Wir müssen noch mehr für frühkindliche Bildung, schulische Bildung und Hochschulausbildung tun. Das Es reicht eben nicht aus, dass der Bund die Mittel um ist auch von den Eltern gewollt; denn sie wissen, dass 35 Prozent erhöht, wenn gleichzeitig CDU-regierte Län- eine gute Ausbildung die beste Zukunftsinvestition und der ihre Haushalte kürzen und einige Länder ihre Haus- übrigens auch die beste Altersvorsorge ist. Wenn ich kei- halte plafondieren. nen Job habe, wenn ich keinen Arbeitsplatz finde, dann (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: kann ich mir kein Haus leisten und dann kann ich mir Schauen Sie sich das Ranking der PISA-Studie auch alles andere nicht leisten. Deshalb ist eine gute Bil- an!) dung eben auch die Voraussetzung für gute Beschäfti- gungschancen, für Teilhabe am Berufsleben und am ge- Wir müssen auf beiden Seiten erhöhen. Deshalb ist es sellschaftlichen Leben. sehr wichtig, dass die Länder durch eine Streichung der Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12161

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Eigenheimzulage in Zukunft in jedem Jahr 2,5 Milliar- Präsident Wolfgang Thierse: (C) den Euro zur Verfügung haben werden, Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die sie zum Beispiel zusätzlich für die Beschäftigung Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): von Lehrern einsetzen könnten. Herr Präsident! Ich darf mich dem Glückwunschrei- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: gen anschließen, wenngleich ich Ihnen das Geschenk, Wie viel ist es denn im nächsten Jahr?) dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen, wohl nicht machen kann. Ich denke, ich spreche da für meine Kolle- Wie wollen Sie eigentlich den Eltern in ganz Deutsch- gen von der CDU und der CSU. land gegenüber rechtfertigen, dass Sie nicht bereit sind, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zum Beispiel die Beschäftigung von rund 30 000 Lehrerinnen und Leh- Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Bundesbil- rern allein im Jahr 2008 ermöglichen würden? dungsministerin, Sie haben soeben mithilfe von Herrn Tauss – er will diese Debatte ganz offensichtlich zu einer (Beifall bei der SPD – Christian Freiherr von Regierungsbefragung machen – groß und breit ausge- Stetten [CDU/CSU]: Wie hoch ist es denn führt: Wir müssen dieses und jenes tun, wir müssen mehr 2005?) für Forschung, für Maschinenbau und für Kinderbetreu- ung ausgeben. Da stellt sich für mich schon die Frage, Das müssen Sie rechtfertigen! Wie wollen Sie rechtferti- wer in diesem Land seit sechs Jahren Bundesbildungs- gen, dass Sie den Kommunen 900 Millionen Euro ver- ministerin ist. weigern, die sie dringend für Investitionen in die frühkindliche Betreuung, für Investitionen in die Kinder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gärten und für den Ausbau der Schulen brauchen? der FDP) (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich frage mich doch, warum Sie das, was Sie hier ange- Wie viel sind es denn 2005?) sprochen haben, nicht schon sehr viel eher auf den Weg gebracht haben. Wie wollen Sie das eigentlich inhaltlich begründen? Sie reden hier immer wieder über die Zukunft der jun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gen Generation usw. Gestern ist der Nachtragshaushalt (B) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beraten worden. Herr Bundesfinanzminister, dieses Jahr (D) ist wahrscheinlich eine Nettoneuverschuldung von über Kurz gesagt: Wenn wir nicht den Mut haben, den40 Milliarden Euro nötig. Was Sie hier betreiben, das ist Schritt zu wagen, die finanziellen Ressourcen, die durch doch weder nachhaltig die Abschaffung der Eigenheimzulage frei werden, zur Verfügung zu stellen – ich bestreite überhaupt nicht, dass (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) das Mut erfordert –, dann handeln wir nicht verantwort- noch im Sinne der jungen Menschen. So geht es auf je- lich. Deshalb werden wir diesen Mut aufbringen. Ichden Fall nicht. werde gleich sehen, ob auch Sie diesen Mut zeigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Wolfgang Thierse: Der erneute Versuch der Bundesregierung, die Eigen- Frau Ministerin, kommen Sie bitte zum Ende. heimzulage abzuschaffen, ist ein weiterer Beleg für die Unberechenbarkeit dieser Bundesregierung. (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Die ist doch be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und reits am Ende!) der FDP) Sie hatten bereits im Haushaltsbegleitgesetz 2004 die Ab- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung schaffung der Eigenheimzulage vorgesehen. Das geschah und Forschung: damals zugegebenermaßen allerdings noch unter dem Ge- Ja. sichtspunkt der Haushaltskonsolidierung. Der Vermitt- lungsausschuss hat dann bekanntermaßen im Dezem- Ich will es zum Schluss noch einmal zugespitzt for- ber 2003 eine Kürzung um 30 Prozent empfohlen. Das ist mulieren: Wenn wir diesen Mut nicht haben und nicht in vom Bundestag und vom Bundesrat so beschlossen wor- Bildung und Forschung investieren, dann können wirden. Damit wurde Anfang 2004 die Eigenheimförderung morgen auch keine Häuser mehr bauen. Deshalb ent-auch im Hinblick auf eine Neuausrichtung unter bau-, scheiden wir heute über eine Frage der Zukunft. Da baue familien- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten re- ich auf die Vernunft. formiert. Vielen Dank. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Bundesbürger hätten eigentlich davon ausgehen DIE GRÜNEN) können, dass damit endlich wieder – zumindest bis 12162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Stefan Müller (Erlangen) (A) 2006 – Klarheit und Berechenbarkeit der Förderbe- Meine Damen und Herren, es ist doch geradezu fami- (C) dingungen geschaffen worden sind. Man muss jetztlien- und sozialpolitisch widersinnig, die Unterstützung feststellen: Das ist einmal mehr ein Trugschluss und von der Wohneigentumsbildung gegen Forschungs- und Bil- Berechenbarkeit kann überhaupt keine Rede sein. Wurde dungsinvestitionen ausspielen zu wollen. die Abschaffung noch vor einem Jahr mit dem Stopfen (Beifall bei der CDU/CSU) von Haushaltslöchern begründet, soll sie jetzt der Förde- rung von Bildung und Forschung dienen. Die Perspektiven von Familien mit Kindern werden Sie jedenfalls nicht dadurch verbessern, indem Sie ihnen die (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Unterstützung bei einer der wichtigsten Investitionen des Was stimmt denn nun: Haushaltskonsolidierung, Innova- Lebens, nämlich der Schaffung von Wohneigentum, ent- tionsförderung oder Subventionsabbau? Ich frage mich, ziehen. Ein innovationsfreundlicheres Klima werden wie oft Sie die Eigenheimzulage noch heranziehen wol- Sie im Übrigen auch nicht alleine dadurch schaffen, in- len. Mehr als einmal ausgeben können Sie sie dochdem Sie Gelder übers Land verteilen. Dazu gehört schon nicht. ein bisschen mehr. Ich bestreite ja nicht, dass Innovatio- nen, also die Entwicklung neuer Produkte, Verfahren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und Dienstleistungen, sowie erfolgreiches Vermarkten der FDP) von Technologien Grundlage für die Schaffung von Ar- beitsplätzen, für die Sicherung von Wachstum und Die Bundesregierung begründet ihre Vorstöße zur Ab- Wohlstand ist. Das wird hier im Hause niemand bestrei- schaffung der Eigenheimzulage immer damit, dass diese ten. Es gehört aber mehr als Geld dazu, um dieses Ziel Zulage nicht mehr zielführend sei, weil die Wohnraum- zu erreichen. versorgung in Deutschland ohnehin schon so gut wie nie zuvor sei; wegen der demographischen Entwicklung Dazu gehört zunächst ein umfassendes Programm, werde der Bedarf an Wohnraum ohnehin abnehmen usw. das verschiedene Politikfelder integriert. Dazu gehört Aber es waren doch genau diese Beweggründe, warum eine Bildungspolitik, die auf Wettbewerb und Leistungs- wir im Vermittlungsauschuss, in diesem Parlament und steigerung setzt, eine Forschungspolitik, die gezielt die im Bundesrat der Umstrukturierung der Eigenheimför- Anwendung von Spitzentechnologien fördert derung zugestimmt haben. Es waren doch genau diese Gründe, die zur Neuausrichtung der Förderbedingungen (Jörg Tauss [SPD]: Machen wir alles!) ab dem Jahr 2004 geführt haben. und die schnelle Umsetzung von Ergebnissen der Grund- lagenforschung sichert. Dazu gehört aber auch, Herr Sie werden doch nicht bestreiten, meine Damen und Tauss, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die erfolgrei- Herren von Rot-Grün – – (B) ches unternehmerisches Engagement belohnt und den(D) (Jörg Tauss [SPD]: Doch, doch, doch!) Aufbau von Kompetenzzentren fördert. Dazu gehört ge- nauso eine Arbeitsmarktpolitik, die mehr Flexibilität bei – Daran, dass Sie es bestreiten, Herr Tauss, habe ich kei- individuellen und betrieblichen Vereinbarungen erlaubt. nen Zweifel. Aber hören Sievielleicht zunächst einmal zu! – Sie werden doch nicht bestreiten, dass Deutschland (Jörg Tauss [SPD]: Machen wir auch!) beim Wohnungsneubau in Europa immer noch Schluss- – Das machen Sie nicht. – Kurzum: Wir benötigen ein licht ist: Mit 2,8 neu gebauten Wohnungen je 1 000 Ein- integriertes Politikprogramm, das die harten und die wohner liegt die Bundesrepublik am Ende aller europäi- weichen Standortfaktoren stärkt und die Wettbewerbsfä- schen Länder. Lediglich Schweden und die Slowakeihigkeit unserer Wirtschaft verbessert. Hierfür ist vor al- weisen eine niedrigere Quote auf. Mit knapp 41 Prozent lem die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen nötig. rangiert Deutschland bei der Eigenheimquote am unte- Davon kann bei Ihnen keine Rede sein. ren Ende der europäischen Länder. Die beste Innovationsförderung für unser Land wäre Wer die Eigenheimförderung aufgibt, entzieht einer der Rücktritt dieser Bundesregierung. ganzen Branche die Lebensgrundlage. Er gefährdet Ar- beitsplätze und die individuelle Altersvorsorge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- derspruch bei Abgeordneten der SPD) Wer die Eigenheimförderung aufgibt, ohne an anderer Stelle für finanzielle Entlastung zu sorgen, verhindert, Präsident Wolfgang Thierse: dass Menschen mit durchschnittlichem Einkommen pri- vates Wohneigentum erwerben können. Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Die Eigenheimzulage ist heute ein ganz wesentlicher Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Baustein einer privaten Altersvorsorge. Wenn ein Bau- ren! Wir wissen doch alle: Dieses Gesetz wird den Bun- williger heute um ein Darlehen nachsucht, ist die Ka- desrat nicht so verlassen, wie es der Bundestag heute be- pitaldienstfähigkeit nun einmal von entscheidender Be- schließt. Darum halte ich es für sinnvoll, heute über deutung. Für diese wiederum ist die Eigenheimzulage mögliche Veränderungen zu diskutieren. Wir als PDS oftmals ein unverzichtbarer Bestandteil. stimmen einer Veränderung, nicht aber einer Abschaf- fung der Eigenheimzulage zu. Wir schlagen eine Kon- (Jörg Tauss [SPD]: Jetzt hör auf!) zentration der Eigenheimförderung auf Familien mit Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12163

Dr. Gesine Lötzsch (A) Kindern vor. Wir wollen eine stärker nach dem Einkom- Präsident Wolfgang Thierse: (C) men und dem regionalen Bedarf differenzierte Förde- Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Spanier, rung. So brauchen zum Beispiel junge Familien mit ge- SPD-Fraktion. ringem Einkommen ein attraktives Angebot, um in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

(Stephan Hilsberg [SPD]: Wohnungen fehlen Wolfgang Spanier (SPD): da zu allerletzt! – Wilhelm Schmidt [Salzgit- Herr Präsident! Ich habe Ihnen schon im Herzen gra- ter] [SPD]: Sehr merkwürdig!) tuliert. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Wenn die Eigenheimzulage abgesenkt wird, dannsind uns einig, dass wir im Bund, in allen 16 Ländern muss es einen finanziellen Ausgleich für die Förderung und in allen Kommunen eine äußerst schwierige Haus- des Stadtumbaus, für die soziale Wohnraumförderung haltslage haben. Wir sind uns einig, dass unsere wich- und die Genossenschaftsförderung geben. tigste Aufgabe, sozusagen die Grundlagenaufgabe, die Konsolidierung ist. (Beifall der Abg. [fraktionslos]) (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Aber ihr macht Städte müssen ihre Funktion als Zentren des wirtschaftli- chen, sozialen und urbanen Lebens erhalten und aus- das Gegenteil!) bauen können. Das ist natürlich auch wichtig, um Bau- Selbstverständlich sind wir uns auch einig, dass eine handwerk, Bau- und Wohnungswirtschaft als stabileMöglichkeit, eine Chance, aus diesem Dilemma heraus- Wirtschaftsfaktoren in Kommunen und Regionen zu er- zukommen, die Überprüfung von Subventionen ist. halten, und dient dem Erhalt von Arbeitsplätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, um kommunale und ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nossenschaftliche Wohnungsunternehmen vor der Insol- venz zu retten, fordern wir dieTilgung der Altschul- Ebenso sind wir uns einig, dass – das wird zumindest den. keiner abstreiten können – die Eigenheimzulage trotz der Kürzung mit immerhin noch 6 Milliarden Euro eine der (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) größten Subventionen ist. Das Mindeste jedoch wäre, die Zinszahlungen auf abge- Wir sind uns auch einig, dass wir dringend notwen- rissenen bzw. langfristig leer stehenden Wohnraum zu dige Zukunftsinvestitionen noch stärker finanzieren erlassen. Das Programm „Soziale Stadt“ muss fortge- müssen als bisher. Dazu gehören – trotz all der Anstren- setzt und noch besser mit den Förderbereichen Wirt-gungen der vergangenen Jahre – Bildung und For- (B) schaftsansiedlung und Beschäftigungsförderung vernetzt schung. Das bereits Getane wird für die Zukunft nicht(D) werden. ausreichen. Hier werden wir einen Schwerpunkt setzen Die Behauptung des Gesetzentwurfs, dass die Eigen- müssen. heimzulage die steuerliche Einzelsubvention mit dem Ebenso werden wir – das sage ich als Wohnungspoli- höchsten Volumen im Bundeshaushalt sei, ist, wie ich tiker – angesichts der demographischen Entwicklung finde, doch einem Blick durch eine sehr stark rot-grün mehr für die Städtebauförderung, den Stadtumbau in Ost gefärbte Brille geschuldet. und West und die Weiterentwicklung und Fortführung (Jörg Tauss [SPD]: Thiele und Lötzsch Hand des Programms „Soziale Stadt“ tun müssen. in Hand!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn Sie sich den Haushalt genau anschauen, stellen Sie DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael fest, dass die höchsten Subventionen für Beschaffungen Goldmann [FDP]) bei internationalen Rüstungskonzernen, insbeson- dere für Auslandseinsätze, erfolgen. Meine Kollegin Da geht es uns wie jedem Bürger und jeder Bürgerin Petra Pau hat Ihnen das ja bereits gestern in der Debatte auch: Wenn wir in diese Zukunftsaufgaben kein zusätz- über den Jahresabrüstungsbericht ganz genau vorgerech- liches Geld investieren können, dann bleibt uns nur eines net. Wenn im nächsten Jahr die Ausgaben für denübrig, nämlich dieUmschichtung . Das Positive, die Eurofighter 2000 um weitere 130 Millionen Euro aufAufstockung, wird meist gern erwähnt. Dazu gehört aber 1,25 Milliarden Euro, für Unterstützungshubschrauber auch das Negative, dass nämlich die Mittel irgendwo auf 350 Millionen Euro und für den NATO-Hubschrau- weggenommen werden müssen. Ich bin, auch als Woh- ber 90 auf 440 Millionen Euro angehoben werdennungspolitiker, davon überzeugt, dass die Eigenheimzu- sollen, so würde ein Verzicht auf diese zusätzlichen Rüs- lage durchaus geeignet ist, um in die beiden genannten tungsausgaben den Kapitalstock für eine wirkliche Inno- Richtungen – Städtebauförderung und vor allem Bildung vationsoffensive, für Bildung, Forschung und Entwick- und Forschung – Mittel umzuschichten. lung bedeuten. Ich finde, dort sollte zuallererst angefasst (Beifall bei Abgeordneten der SPD) werden, Frau Ministerin Bulmahn. Bei all den Bekenntnissen, die Sie in den Bundestags- Zum Abschluss natürlich auch von mir, Herr Präsi- debatten zur Eigenheimzulage ablegen, bei all Ihrem dent, die besten Glückwünsche zu Ihrem heutigen Ge- Eintreten für den Erhalt der Eigenheimzulage wissen Sie burtstag! ganz genau, dass auch die Union die Eigenheimzulage (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) zur Disposition stellt. Noch am 15. September hat Frau 12164 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Wolfgang Spanier (A) Merkel – ich will Herrn Merz heute einmal nicht zitie- wegnehmen. Das ist, wie gesagt, schon wirklich aben-(C) ren – im Rundfunk Berlin-Brandenburg ausdrücklich er- teuerlich. klärt: Wir werden dem Steuerzahler die Eigenheimzu- lage nehmen, dafür werden wir ihmSteuersenkungen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So wird geben. an den Stammtischen der CSU diskutiert! – Joachim Poß [SPD]: Michelbach ist ein politi- Aber wenn Sie bei der Eigenheimzulage so viel Wert scher Exhibitionist!) auf die Schwellenhaushalte legen, die Familien mit Kin- dern, dann müssen Sie auch sehen, wie deren Steuerbe- Es ist richtig: Die Chance, dass der Bundesrat zustim- lastung derzeit aussieht und wie wenig ihnen das vonmen wird, ist sehr skeptisch einzuschätzen. Ich denke Herrn Merz und Frau Merkel entwickelte Steuerreform- aber, dass Sie sich Gedanken über die Alternativen, bei- paket an zusätzlicher Entlastung bringt. Sie wollen mit spielsweise im Rahmen der Riester-Rente, machen. der Abschaffung der Eigenheimzulage die Senkung des Möglicherweise gibt es in einem Vermittlungsverfahren Spitzensteuersatzes von 42 auf 36 Prozent finanzieren. doch die Chance, sich auf sinnvolle Alternativen zu eini- Dann müssen Sie das aber auch offen hier sagen. gen. Da ist die Opposition gefordert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es wurde heute vielfachsehr pauschal von „Kohle DIE GRÜNEN – Christian Freiherr von statt Bildung“ oder „Beton statt Bildung“ gesprochen. Stetten [CDU/CSU]: Jetzt machen Sie mal ei- Ich glaube, das bringt uns in der Sache überhaupt nicht nen Punkt!) weiter. Das selbst genutzte Wohneigentum – in Ostwest- falen nennen wir es die Quadratmeterrente – ist natürlich Interessant an dem Beitrag von Herrn von Stettenein Stück Altersvorsorge. fand ich, dass er auf die Einbeziehung der Wohneigen- tumsförderung in die Riester-Rente verwiesen hat. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!) (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Eben nicht!) Das ist unbestritten. Das ist ein interessanter Gedanke; das will ich gerne ein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) räumen. Aber Sie stellen sich doch wohl nicht vor, sozu- Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass wir an der Ei- sagen eine Doppelförderung anzustreben: einerseits die genheimzulage festhalten müssen. Das ist der entschei- Eigenheimzulage und andererseits obendrauf noch die dende Unterschied. Förderung über die Riester-Rente. Das kann angesichts (B) der Finanzsituation der öffentlichen Hand wohl niemand (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der (D) wollen. Wenn Sie das wollen, müssen Sie es deutlich sa- Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE gen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir GRÜNEN] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] die Verzahnung mit der geförderten privaten Altersvor- [SPD]: So ist es!) sorge überdenken und vorbereiten wollen. In Bezug auf junge Familien müssen wir aufpassen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Debatte über Denn jeder, der von der Sache etwas versteht, weiß: Wer die Eigenheimzulage wird hochstilisiert zu einer De- sein Eigenheim oder seine Eigentumswohnung nur batte, ob wir für oder gegen das Wohneigentum sind. durch Einrechnen der Eigenheimzulage finanzieren kann, der geht natürlich ein gewaltiges Risiko ein. (Zuruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/ CSU]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: – Ich bin Abgeordneter aus Ostwestfalen, HerrDas stimmt!) Michelbach. Bei uns hat das selbst genutzte Wohneigen- tum einen ganz hohen Stellenwert. Die Eigenheimzulage kann nur das Sahnehäubchen – an- gesichts des Finanzvolumens müsste man sagen: die (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Na Sahnehaube – obendrauf sein. Ich glaube, darüber sind also! – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Dann wir uns einig. gönnt es den anderen doch auch!) Präsident Wolfgang Thierse: Wir haben eine Eigentumsquote von weit über 50 Prozent. Es ist auch gut so, dass bei uns der Fachar- Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. beiter sein Häuschen bauen konnte. Wolfgang Spanier (SPD): (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das wollt ihr jetzt Ja, Herr Präsident. – Ich wünsche mir, dass wir end- wegnehmen! – Lachen bei der SPD) lich über die Sache diskutieren. Das sture Festhalten am – Ihre Zwischenrufe sind manchmal wirklich abenteuer- Status quo bringt uns überhaupt nicht weiter. lich. In der letzten Sitzungswoche haben Sie mir vorge- Herzlichen Dank. worfen, dass ich keine Krawatte tragen würde. Ich habe mich heute um Besserung bemüht. Aber jetzt unterstel- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ len Sie mir, wir wollten dem Facharbeiter das Häuschen DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12165

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Der Bundesfinanzminister beruft sich bei seiner Agi- (C) Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Minkel, CDU/ tation gegen die Eigenheimzulage ständig auf irgend- CSU-Fraktion. welche Autoritäten. Herr Eichel, ich habe in der Schule gelernt: Die Berufung auf Autoritäten ersetzt keine Ar- (Zurufe von der SPD: Oh! – Jörg Tauss [SPD]: gumente. Schauen wir uns doch einmal die Direktoren Jetzt kommt der Erziehungsfachmann!) der Bundesbank an! Die haben ihr Wohnungsproblem in prächtigen Dienstvillen bestens gelöst. Klaus Minkel (CDU/CSU): (Hans Eichel, Bundesminister: Welche Partei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bücher haben die denn? – Jörg Tauss [SPD]: bitte um Nachsicht, dass sich meine Rede nur sehr wenig Klassenkampf! Krieg den Palästen!) als Geburtstagsansprache eignet. Oder schauen Sie sich die Professoren mit ihren bemoos- (Zurufe von der SPD: Oh!) ten Häuptern an! Auch die sind doch nicht auf die Eigen- Ich habe vier Beweisstücke mitgebracht, von denen kein heimzulage angewiesen. einziges die Regierungskoalition erfreuen wird. (Jörg Tauss [SPD]: Die kriegen sie doch auch Bei der Abschaffung der Eigenheimzulage geht es Ih- nicht!) nen doch nur darum, an frisches Geld zu gelangen. Denn – Herr Tauss, ich persönlich empfinde es als höchst an- Sie sind pleite. fechtbar, wenn diejenigen, die im Trockenen sind, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Habenichtse davon abhalten wollen, selbst zu Eigentum und zu Besitz zu gelangen. Ihre wahre Auffassung zur Eigenheimzulage hat der Bundeskanzler unmittelbar vor der Wahl mit wohlge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – setzten Worten dargelegt. Ich darf das kurz vortragen: Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn!) Jährlich erfüllen sich rund 700 000 Haushalte mit Auch das ist unanständig. dem Erwerb einer eigenen Wohnung einen Her- zenswunsch. Vielen, insbesondere kinderreichen Wenn man schon den Worten des Kanzlers nicht Familien, wäre dies ohne Eigenheimzulage nicht trauen kann, so ist auch die Unterschrift des Kanzlers möglich. Das wissen wir und deshalb ist und bleibt null und nichtig. die Eigenheimzulage das entscheidende Mittel zur Förderung von Wohneigentum. Präsident Wolfgang Thierse: (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Minkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spanier? So Ihr Kanzler vor der Wahl. Wie Sie sich jetzt nach der Wahl verhalten, zeigt doch nur, dass einKanzlerwort Klaus Minkel (CDU/CSU): null und nichtig ist. Es ist nichts wert. Herr Spanier, im Anschluss an meine Rede sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gerne. Wenn Sie heute die Abschaffung der Eigenheimzu- (Lachen bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das lage beschließen, dann vollenden Sie einen Wahlbetrug. geht nicht! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Dies ist ein besonders großer Betrug an der jungen Ge- [SPD]: Auch das haben Sie nicht verstanden!) neration. – Herr Spanier, dann verzichte ich auf Ihre Zwischen- (Jörg Tauss [SPD]: Hör doch auf! – Wilhelm frage. Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was sagen Sie Ich komme zu einem weiteren Beweisstück. Ich habe denn zu den Äußerungen von Frau Merkel?) einen Vertrag mitgebracht, der zwischen dem Bundes- Nach Rente, Krankenversicherung und Staatsverschul- kanzler auf der einen Seite und der IG BAU und den dung wird die junge Generation einem weiteren Schnee- Verbänden der Bauwirtschaft auf der anderen Seite abge- ballsystem ausgesetzt, nach dem Motto: Die Letzten bei- schlossen worden ist. Dort widmet sich ein ganzes Kapi- ßen die Hunde. Junge Familien bekommen tel die dem privaten Wohneigentum und der Förderung Förderung, wenn es nach Ihnen geht, nicht mehr. Aber durch die Eigenheimzulage. Auch diese Unterschrift des sie haben in einer Zeit, in der sie selbst Hilfe bräuchten, Kanzlers hat sich im Nachhinein als null und nichtig er- noch für viele Jahre die alten Verbindlichkeiten aus vo- wiesen. Sie ist nichts wert. rangegangenen Zusagen zu finanzieren. ( [] [SPD]: Kommt (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha- Ihnen gerade irgendetwas peinlich vor? – La- ben das irgendwie missverstanden! – Weiterer chen bei Abgeordneten der SPD) Zuruf von der SPD: Das ist unredlich, was Sie In diesen Tagen berührt uns alle das Schicksal der da machen!) Arbeiter von Opel oder das der Verkäuferinnen bei Das ist unsozial, das ist ungerecht, das ist schäbig. Karstadt. Aber ich rufe in Erinnerung, dass draußen im Lande in der Bauwirtschaft und im Bauhandwerk tag- (Beifall bei der CDU/CSU) täglich solche Fälle stattfinden. Über das Jahr haben 12166 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Klaus Minkel (A) 10 Prozent der deutschen Bauarbeiter, nicht zuletzt dank (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber die (C) Ihrer Politik, ihren Arbeitsplatz verloren. Man kann eine Tüten sind von Ihnen!) gleiche Anzahl im Bauhandwerk hinzurechnen. Wir soll- Zur Sache haben Sie verdammt wenig gesagt. ten uns nicht nur für die Arbeiter bei Opel und die Ver- käuferinnen bei Karstadt interessieren. Auch die Bauar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beiter und die Bauhandwerker haben einen Anspruch DIE GRÜNEN) darauf, dass man sich um ihre Nöte kümmert Und was Sie zur Sache gesagt haben, war auch noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- falsch. Ich will Ihnen das gern belegen. Sie haben hier neten der FDP) vorhin den Eindruck erweckt, dass wir mit der Abschaf- fung der Eigenheimzulage die Finanzierung des Eigen- und dass der Kanzler Zusagen, die er abgegeben hat,tums, wie sie bisher erfolgt ist, in irgendeiner Weise ge- auch einhält. fährden, und haben an die Wand gemalt, dass wir damit Ein weiteres Beweisstück – deshalb ist der Finanzmi- die Häuslebauer in große Schwierigkeiten bringen. nister heute so schweigsam; Diese Darstellung ist völlig falsch. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wenn er redet, dann fallen Sie über ihn her! Wenn wir die Eigenheimzulage abschaffen, dann be- Das ist doch alles Unsinn!) deutet das, dass vom kommenden Jahr an keine neuen ich muss quasi für den Finanzminister in Geschäftsfüh- Anträge gestellt werden können. Aber selbstverständlich rung ohne Auftrag sprechen – ist der Beschluss der hes- wird die Eigenheimzulage, so wie es vereinbart ist, für sischen SPD, diejenigen, die sie jetzt in Anspruch nehmen, bis zum Schluss weiter gewährt. (Jörg Tauss [SPD]: Das hatten wir schon!) (Beifall bei der SPD) die Eigenheimzulage beizubehalten. Das erinnert ganz fatal an den Chef eines Quacksalberunternehmens, Herr Das haben Sie vorhin anders, zumindest missverständ- Eichel, der seine Ware anpreist, während die Belegschaft lich dargestellt. durch die Lande zieht und überall vor dem Produkt Ein Zweites. Ich habe nicht so ganz verstanden, was warnt. Sie mit dem Hinweis auf die Direktoren der Bundesbank (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) gemeint haben. Aber ich kann mich sehr wohl daran er- innern, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm die Einkom- So kann man eigentlich nur ein Pleiteunternehmen füh- mensgrenzen bei der Eigenheimzulage ganz abschaffen (B) ren. wollten; Sie wollten aus Gründen der Bedürftigkeit diese (D) Zulage auch noch den Einkommensmillionären zukom- (Beifall bei der CDU/CSU) men lassen. Daran möchte ich Sie erinnern. Herr Präsident, nun muss ich um Nachsicht (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin (Joachim Poß [SPD]: Die haben Sie aber Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schon reichlich genutzt!) Wenn Sie hier in glühenden, geradezu herzzerreißen- für den recht rüden Sprachgebrauch der Genossen von den Worten die jetzige Form der Eigenheimzulage ver- Hessen-Süd bitten, der Ihnen, Herr Eichel, bekannt ist. teidigen, dann kann ich Sie immer nur daran erinnern, So lädt man dort inzwischen auf Plakaten – jetzt kommt dass Ihre Fraktion in ihrem Steuerkonzept die Abschaf- dieses Wort – zu Kotztagen ein und verteilt Kotztüten. fung der Eigenheimzulage fordert. Wie passt das denn Man verteilt diese Kotztüten, weil man die Politik, die dazu, dass Sie hier in bewegenden Worten die familien- hier in Berlin betrieben wird, zum Rückwärtsfrüh-politische Bedeutung der Eigenheimförderung preisen? stücken empfindet. Das passt doch hinten und vorn überhaupt nicht zusam- men. Sie haben die Parole ausgegeben: Bildung statt Beton. Man könnte es besser formulieren: Bildung statt Stein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kohleförderung. Oder: Bildung statt dieser Bundesregie- DIE GRÜNEN) rung. Ich weiß nicht, wen es beeindruckt hat, dass Sie hier Vielen Dank. irgendwelche Zitate aus früheren Zeiten angeführt ha- ben. Sie selbst haben vor knapp einem Jahr mit uns ge- (Beifall bei der CDU/CSU) meinsam dafür gesorgt, dass das Finanzvolumen der Ei- genheimzulage um 30 Prozent gekürzt wurde. Präsident Wolfgang Thierse: (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion. Das haben Sie vor einem Jahr sicherlich völlig anders gesehen und hier im Bundestag auch völlig anders dar- Wolfgang Spanier (SPD): gestellt. Man kann angesichts der schwierigen Haus- haltslage seine Positionen ändern, ja, man muss es sogar. Herr Minkel, ich weiß aus eigener langjähriger Erfah- Es ist notwendig, Prioritäten anders zu setzen. rung: Wenn man, wie Sie, polemisiert, kriegt man dafür Beifall, aber natürlich nur in den eigenen Reihen. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12167

Wolfgang Spanier (A) Frau Bulmahn hat Recht: Dazu gehört manchmal Mut; darauf ankommt, wenigen Millionären zu einer Eigen-(C) da muss man manchmal über seinen eigenen Schatten heimzulage zu verhelfen; sie können ihr Haus selbst fi- springen. Tun Sie das endlich, nanzieren. Wir wollen den Millionen Menschen im Lande, die ein Eigenheim haben möchten, helfen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was die Abschaffung der Eigenheimzulage angeht, NEN]) sind wir völlig unterschiedlicher Auffassung. Sie wollen damit wir mit der sachlichen Diskussion anfangen kön- die Eigenheimzulage abschaffen, um Haushaltslöcher nen! zuzuschmieren. Das wollte ich, Herr Präsident – mit Verlaub –, hier (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- einmal gesagt haben. Ich bin gespannt, was Herrn NIS 90/DIE GRÜNEN) Minkel jetzt noch einfällt. – Doch, darum geht es und um nichts anderes. Bei der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten LKW-Maut war das genauso. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Die Union verfolgt ein völlig anderes Konzept. Herr Kollege Minkel, Sie haben das Wort zur Erwide- rung. (Wolfgang Spanier [SPD]: Sie wollen den Spitzensteuersatz senken!) Klaus Minkel (CDU/CSU): Wir wollen die Steuern allgemein und nachhaltig senken Kollege Spanier, mir fällt natürlich immer etwas ein. und die Eigenheimförderung synchron dazu abbauen. Es (Lachen bei Abgeordneten der SPD) bleibt aber auch dann ein Problem übrig, das gelöst wer- den muss: Die wirklich einkommenschwachen Familien, Was die Behandlung junger Familien betrifft, so haben die von einer Steuerreform nur begrenzt Vorteile haben, Sie wirklich nicht zugehört oder Sie haben es nicht ver- weil sie ohnehin nur wenig Steuern zahlen, müssen auch standen, obwohl ich es in einer früheren Rede schon ein- künftig in irgendeiner Form gefördert werden. mal vorgetragen habe. Sie verursachen folgendes Di- lemma: Im Falle des Wegfalls der Förderung zum (Zuruf von der SPD: Kopfpauschale!) 1. Januar 2005 werden ab diesem Zeitpunkt keine neuen Sie haben die im letzten Jahr vorgenommene Kürzung Förderfälle mehr angenommen. Unsere jungen Familien angesprochen. Den Wohnungsbaupolitikern wäre es lie- (B) erhalten dann keine Förderung mehr. (D) ber gewesen, wenn die Kürzung statt 30 Prozent nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 12 Prozent betragen hätte, siesich dann aber auch auf alle anderen Subventionen bezogen hätte. Diese Kür- Dieselben jungen Familien müssen aber für einen Zeit- zung war Teil eines Kuhhandels im Bundesrat, durch raum von rund zehn Jahren die Förderung der bereits be- den unter anderem die Bausparprämie erhalten werden willigten Fälle mit ihren Steuerzahlungen mitfinanzie- konnte, die Sie zu 100 Prozent abschaffen wollten. Das ren. war der tiefere Grund, warum sich die Union zu einer (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Kürzung um 30 Prozent bereit gefunden hat, obwohl uns diese Kürzung sehr weh tut. Das ist ein Schneeballsystem. Das empfinde nicht nur ich als grobes Unrecht. Vielen Dank. (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) – Ihre Reaktion beweist mir, dass meine Botschaft jetzt bei Ihnen angekommen ist. Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich Kol- Herr Spanier, Sie haben noch weitere Punkte ange- legin Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort zur Abgabe sprochen. Ich möchte Ihnen keine Antwort schuldig blei- einer Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der Ge- ben. Die B-Länder haben dem Kompromiss im Bundes- schäftsordnung. rat über die Einkommensgrenzen zugestimmt. Damit ist es auch für die Union verbindlich, dass die Einkom- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE mensgrenzen abgesenkt werden können. Insofern ver- GRÜNEN): stehe ich nicht, dass Sie hier alte Geschichten aufwär- Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen men. und Kollegen! Ich stimme dem Gesetz zu. Ich werbe auch sehr engagiert für die Abschaffung der Eigenheim- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zulage, weil sie angesichts der Tatsache, dass unser Ge- DIE GRÜNEN) meinwesen 1,3 Billionen Euro Schulden abzutragen hat, Die Entwicklung ist inzwischen fortgeschritten. Sie kön- weder wohnungspolitisch noch vermögenspolitisch noch nen dieser Tatsache entnehmen, dass es der Union nicht familienpolitisch wirklich sinnvoll und notwendig ist. 12168 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) In Richtung der Koalition möchte ich aber sehr deut- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C) lich sagen, dass ich mich gegen den Ausspruch „Bildung Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich statt Beton“ mit Entschiedenheit wehre. Es geht hierhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. nämlich sehr wohl auch um baupolitische Belange. Inso- fern ist es mir sehr wichtig, dass das, was in der Koali- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen tion im vorigen Jahr und in den HaushaltsberatungenClemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Konsens war, wieder ins Bewusstsein gerückt und künf- tig wieder in inhaltlicher Unterstützung zum Ausdruck Clemens Binninger (CDU/CSU): kommt: Es war Konsens, dass 25 Prozent der eingespar- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen ten Eigenheimzulage – dieses Geld wird dank der Ver- und Kollegen! Die Bedrohung durch islamistischen Ter- nunft des Bundesrats hoffentlich bald freigegeben – in rorismus und durch islamistische Fanatiker ist weltweit die Städtebauförderung, in Stadtumbauprogramme und unverändert hoch. In Deutschland halten sich 30 000 Is- in das Programm „Soziale Stadt“ fließen. Der Kollege lamisten auf, Spanier hat das vorhin angedeutet. Angesichts des de- mographischen Wandels und der Situation in unseren In- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE nenstädten und dicht bewohnten Stadtteilen brauchen GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?) wir nämlich sehr viele Anpassungsinvestitionen. Dafür die sich in etwa 24 Gruppen organisiert haben. Welche möchte ich hier deutlich werben. Die Forderung nach ei- Gefahr von diesem Potenzial ausgeht, kann man auch ner Abschaffung der Eigenheimzulage soll keine Aus- daran erkennen, bei wie vielen Attentaten leider immer sage gegen Innovation und Forschung – ich weiß, wir wieder Spuren auch nach Deutschland führen: bei den brauchen auch sie – sein. Außerdem brauchen wir einen Anschlägen vom 11. September, bei den Anschlägen auf Schuldenabbau. Ich bitte, in Zukunft auch diesen Aspekt Bali, auf Djerba, in Madrid sowie bei den Anschlägen in die Diskussion und in das Handeln einzubeziehen. auf das Musicaltheater in Moskau. Danke schön. Wir müssen uns schon fragen: Woher kommt es, dass (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sich offensichtlich Attentäter oder ihre Unterstützer in SES 90/DIE GRÜNEN) unserem Land aufhalten können oder nicht als gefährlich erkannt werden? Woher kommt es, dass man kaum in Präsident Wolfgang Thierse: der Lage ist, gegen diese Personengruppen richtig vorzu- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- gehen? Wir müssen uns auch fragen: Haben wir alles desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur finanziel- Notwendige getan? Haben wir die Sicherheitsbehörden len Unterstützung der Innovationsoffensive durch Ab- in die Lage versetzt, den Kampf gegen diese Gruppen (B) schaffung der Eigenheimzulage, Drucksachen 15/3781 führen und bestehen zu können? (D) und 15/3821. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Wenn ich mir die Bilanz unseres Innenministers – er Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3972, den Ge- kann heute leider nicht hier sein – anschaue, dann habe setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem ich meine Zweifel, ob er alles Notwendige getan hat. Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wieso zwei- Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den feln Sie am Bundesinnenminister? Das ist ja Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen unerhört, Herr Binninger!) die Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Ich will das an konkreten Beispielen deutlich machen: Dritte Beratung Die beiden von Minister Schily mit großem Pomp ange- kündigten Prozesse gegen Motassadeq und Abdelghani und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Mzoudi, Mitunterstützer der Täter um Mohammed Atta, setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer sind kläglich gescheitert. Der Deutschsyrer Darkazanli stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf – auch er bewegte sich im Umfeld der Attentäter um ist wiederum mit den Stimmen von SPD und Bünd-Atta – konnte sich mehrere Jahre hier in Deutschland nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hau- aufhalten, ohne dass die Bundesbehörden in der Lage ses angenommen. waren, ihm etwas nachzuweisen. Spanien – sehr viel Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: weiter weg – kann das offensichtlich. Nur wegen des eu- ropäischen Haftbefehls sind wir jetzt wenigstens davon Beratung des Antrags der Abgeordnetenbefreit, dass sich eine solche Person bei uns in Deutsch- Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas land aufhält. Denken Sie an die Informationspanne beim Strobl (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und Islamistenkongress: In Stuttgart wurden die Erkennt- der Fraktion der CDU/CSU nisse gewonnen, sie wurdennach Berlin transportiert, Gemeinsames Zentrum zur Terrorismus-aber dort blieben sie unbeachtet und Minister Schily hat bekämpfung schaffen mehr oder weniger zufällig von dritter Seite erfahren, dass hier in Deutschland ein Islamistenkongress geplant war. – Drucksache 15/3805 – Überweisungsvorschlag: Oder nehmen wir die lascheVisaerteilungspraxis Innenausschuss (f) des Ministeriums von Außenminister Fischer, Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Lasch ist gar kein Ausdruck!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12169

Clemens Binninger (A) die dazu geführt hat, dassSchleusungen nach Deutsch- Die Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden (C) land in noch nie gekanntem Ausmaß möglich waren und sagen: Wenn es uns nicht gelingt, diese Schwachstelle zu dass sogar – das ist besonders bitter – tschetschenische beseitigen, ist jede Maßnahme im Kampf gegen den Ter- Terroristen, bei denen später Bezüge zum Attentat auf rorismus zum Scheitern verurteilt. das Musicaltheater in Moskau erkennbar wurden, sich in Deshalb muss man genau dort ansetzen. Es ist doch Deutschland aufhalten konnten. Das sind nur die gravie- niemandem in diesem Land zu vermitteln, dass der In- rendsten Beispiele. formationsabgleich zwischen Sicherheitsbehörden über- Dazu passen die mangelhaften Fortschritte bei derwiegend nur auf Antrag und Anfrage erfolgt und die Be- Einführung biometrischer Merkmale in Pässen, die ver- antwortungszeit, bis die eine Behörde Nachricht von der spätete Einführung des Digitalfunks bei der Polizei anderen bekommt, zum Teilvier Wochen beträgt. Vier Wochen bei der Terrorismusbekämpfung – da denkt man (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das eher an die Lohnsteuererklärung, aber nicht an den liegt auch an den Ländern!) Kampf gegen den Terrorismus. Das müssen wir drin- und keinerlei Maßnahmen zur Verbesserung der Sicher- gend abstellen. heitsarchitektur. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss sagen: Wenn das die Bilanz dieses Innenmi- Wenn wir deshalb heute unseren Antrag hier vorstel- nisters für die letzten zwei Jahre ist, dann ist das keine len und über ihn debattieren, geht es genau um dieses Bilanz, dann sind das Pleiten und er sollte keine Sicher- Problem. Das gemeinsame Zentrum zur Terrorismus- heitspolitik machen, sondern zum Konkursrichter gehen. bekämpfung, Frau Sonntag-Wolgast, ist eben keine Mammutbehörde. Wir sagen: Wir bündeln die Informa- (Beifall bei der CDU/CSU) tionen der 37 Behörden in einem gemeinsamen Lage- Wenn einem nichts mehr einfällt wie Herrn Schily of- zentrum. Dieses Zentrum soll keine Ermittlungskompe- fensichtlich, wenn man keine Erfolge vorweisen kann, tenz bekommen. Es wird eine kleine, leistungsfähige dann schreit man nach Zentralisierung und Weisungs- Organisationseinheit sein mit vielleicht 200 Experten; recht. Herr Schily möchte gern, dass die Bundesbehör- das ist sicher keine Mammutbehörde, Frau Sonntag- den weisungsbefugt sind, und er möchte am liebsten al- Wolgast. les beim Bund zentralisieren. Damit geht er das(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ich be- eigentliche Problem nicht an. Das Problem besteht nicht nutze nur Ihren Ausdruck!) darin, dass wir bei den 37 Sicherheitsbehörden, die sich mit dem Terrorismus befassen, eine dezentrale und föde- Alle 37 Behörden können dann ihr gesamtes Wissen und (B) rale Struktur haben. Ganz im Gegenteil: Das Problem ihre Informationen direkt einbringen: im gleichen Ge-(D) besteht darin, dass die Informationsweitergabe und die bäude, in der gleichen Organisationseinheit, Schreibtisch -analyse zu schleppend, zu langsam und zu bürokratisch an Schreibtisch. Nur dann werden wir in der Lage sein, erfolgen. Erkenntnisse über Terrorismus kann man nicht Lagebilder zu erstellen, zeitnah und tagesaktuell dafür in Zentralen, in Mammutbehörden in Berlin oder Köln zu sorgen, dass Informationen ausgetauscht werden kön- gewinnen, nen und dass alle 37 Behörden in Deutschland über die Lageentwicklung Bescheid wissen und die richtigen (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Dafür Maßnahmen ergreifen können. Dann wird es zu solchen wollen Sie eine andere Behörde!) Pleiten, wie sie Herr Schily zu verantworten hat, nicht Erkenntnisse über den Terrorismus gewinnen Sie nur vor mehr kommen. Eine so strukturierte Behörde – um Ort. Deshalb ist der Ansatz von Herrn Schily – Zentrali- gleich einen Einwand der FDP aufzugreifen – macht da- sierung und Weisungsrecht – rundweg abzulehnen. tenschutzrechtlich keine Probleme. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der FDP: Das kann man lösen!) Es ist lösbar, weil jede Behörde nur ihren eigenen Daten- Wenn man wirklich etwas tun wollte, um den Kampf bestand einbringt, der Austausch durch die unmittelbare gegen den Terrorismus zu verbessern, dann müsste man Nähe aber jederzeit gewährleistet ist. Diese Behörde soll sich mit Praktikern unterhalten. Die Praktiker – egal ob auch keine Ermittlungskompetenz erhalten. Durch die vom BKA, einem LKA oder von den Nachrichtendiens- dezentralen Strukturen, die es heute gibt und die sich be- ten – würden einem sagen, was zu tun wäre. Nur, Minis- währt haben, wird vor Ortermittelt und Erkenntnisse ter Schily unterhält sich ja nicht mehr mit Praktikern. Er werden dort gewonnen. denkt lieber in ganz großen Linien, die meistens im Nichts enden, gelegentlich in Nordafrika. Wenn man mit (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE den Chefs der süddeutschen Verfassungsschutzbehörden GRÜNEN]: Vor Ort in Marokko!) spricht, sagen alle übereinstimmend: Das größte Pro- blem besteht darin, dass es nicht gelingt, die Informatio- Wir brauchen ein solches„Gemeinsames Zentrum“, nen der Sicherheitsbehörden zu bündeln, aktuell auszu- weil wir sonst nicht in der Lage sein werden,Kontroll- werten, kompetent auszuwerten, Lagebilder zu erstellen druck gegenüber der islamistischen Szene aufzubauen und damit auch Maßnahmen in die Wege zu leiten. und ihr Entdeckungsrisiko zu erhöhen. Machen wir uns doch nichts vor: Diese Gruppierungen lassen sich nicht (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE von Strafandrohungen und rationalen Argumenten be- GRÜNEN]: Wer sagt das?) einflussen. Diese Gruppierungen lassen sich bestenfalls 12170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Clemens Binninger (A) dadurch beeindrucken, dass sie damit rechnen müssen, – Nein, es war ja an Ihre Adresse gerichtet. Ich wollte es (C) dass jeder Schritt, den sie in Deutschland machen, kon- Ihnen noch einmal erklären. trolliert und überwacht wird, dass wir alles erfahren, was geplant wird, und dass wir alle Reisebewegungen und Sie müssen schon gute Argumente haben. Ich zitiere Aktivitäten kennen. Es muss für die Islamisten ungemüt- einmal Innenminister Schily, der vor etwa einem Jahr lich in Deutschland werden. Das muss unser Ziel sein. beim Umzug des gemeinsamen Zentrums, von dem ich vorhin gesprochen habe, nach Kehl über diese Einrich- (Beifall bei der CDU/CSU) tung gesagt hat: Es ist ein großer Schritt zu mehr Sicher- heit in Europa. – Er findet das also gut. Mit unserem Vorschlag zu einem „Gemeinsamen Zentrum“ – das sage ich auch an die Vorsitzende des In- (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Jeder findet nenausschusses, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast – be- das gut!) wegen wir uns nicht im theoretischen, luftleeren Raum. Ich glaube, das Gleiche müssen wir in Deutschland auch Wir haben uns dabei an eine Organisation angelehnt, die für die Sicherheit unseres Landes tun. Sie sollte es uns es seit fünf Jahren gibt, nämlich an das gemeinsame wert sein, diesen Schritt zu gehen. Deshalb werben wir Zentrum in Kehl. Ich gestehe zu, dass die dortige Ziel- so dringend dafür. richtung nicht der Terrorismus ist. Dort arbeiten aber deutsche und französische Polizei sowie deutscher und (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) französischer Zoll nach demgleichen Prinzip in einer Organisationseinheit, unter einem Dach, Schreibtisch an Ein wichtiger Baustein dieses gemeinsamen Zen- Schreibtisch zusammen. Die PCs sind natürlich mitei- trums wird natürlich eine gemeinsame Datenbank über nander vernetzt; alles ist hochmodern. Dadurch ist sie in die konkrete Zielgruppe, dieIslamisten, sein. Deshalb Lage, jeder beteiligten Behörde innerhalb kürzester Zeit werben wir auch dafür, dass Sie den Antrag von Nieder- alle Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie ermit- sachsen unterstützen. Wir werden insgesamt scheitern, telt nicht, aber sie wertet aus, erstellt Lagebilder, initiiert wenn Sie sich an dieser Stelle verweigern und kein „Ge- Maßnahmen und sorgt für einen Informationsgleich-meinsames Zentrum“ errichten wollen. Ich erinnere stand. noch einmal an das, was die Chefs der Nachrichten- dienste gesagt haben: Nur, wenn uns das gelingt, werden (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: In Deutsch- wir Erfolg haben. Wenn uns das nicht gelingt, werden land gibt es 30 davon!) wir scheitern. Dieses Prinzip wollen wir auf das „Gemeinsame Zen- Meine Bitte an die rot-grüne Koalition ist einfach: trum Terrorismusbekämpfung“ übertragen, damit alle, Prüfen Sie unseren Vorschlag vorurteilsfrei. Ich weiß aus (B) Bund und Länder, nicht nur im Wege von Erlassen oder vielen Vorgesprächen, dass Sie nicht grundsätzlich abge- (D) Dienstanweisungen am Informationsgeschehen teilha- neigt sind. Es geht nicht um parteipolitische Interessen, ben, sondern sich konkret mit Personal einbringen müs- sen. Insofern besteht meine Kritik auch darin, dass das (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Das haben Information Board, das es im Moment gibt, und die Er- wir bei Ihrer Rede gemerkt! – Silke Stokar von höhung der Anzahl turnusmäßiger Besprechungen zwar Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kleine Schrittchen in diese Richtung sein mögen, aber im lebt der eigentlich?) Endeffekt nur Hilfskonstruktionen sind. es geht um die Sicherheit dieses Landes und seiner Men- schen. Sie sollte Ihnen das wert sein. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut!) Herzlichen Dank. Nur dann, wenn es eine Organisation dauerhaft und nicht nur turnusmäßig gibt, in der jeden Tag Experten zusam- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. menarbeiten, werden Sie Erfolg haben. Dr. Max Stadler [FDP]) (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Sie haben das letzte Jahr völlig verschlafen, Herr Präsident Wolfgang Thierse: Binninger!) Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staats- sekretär Fritz Rudolf Körper. Alles andere ist eher konfus oder sind Hilfskonstruktio- nen; es ist eher Learning by doing. Ich muss bei diesem Fritz Rudolf Körper, Innenminister leider das Gefühl haben, dass er eher Parl. Staatssekretär beim Bun- Learning by doing betreibt. Er kann keine Erfolge vor- desminister des Innern: weisen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Binninger, den Beginn Ihrer Rede kann ich nur wie folgt (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Wo leben kommentieren: Das war eine platte Kritik, wie ich sie Sie denn?) von Ihnen nicht erwartet habe. und verschließt sich konzeptionell richtigen Dingen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber Herr Deshalb machen wir diesen Vorschlag. Staatssekretär!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das war eine Beleidigung der Sicherheitsbehörden in Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Zaghafter Deutschland, die bei der Bekämpfung des Terrorismus Beifall bei der CDU/CSU!) eine hervorragende Arbeit leisten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12171

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr Staats- Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das sind alte sekretär, das ist aber jetzt platt!) Sachen!) – Lieber Herr Koschyk, ich habe immer wieder den Ein- Voraussichtlich 100 Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes druck, dass Sie es nicht gut abhaben können, dass diese und circa zehn Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfas- Bundesregierung einen hervorragenden und erfolgrei- sungsschutz werden dann ihre Arbeit aufnehmen. chen Bundesinnenminister hat. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo sind da- ( [CDU/CSU]: Das musste bei die Länder?) einmal gesagt werden!) Die Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes, wei- Das scheint Ihnen täglich weh zu tun. Ich finde, das ist terer Sicherheitsbehörden des Bundes – jetzt komme ich nicht angemessen. Vielmehr sollten Sie sich darüberzu Ihren Zwischenrufen – sowie die Einbindung der freuen. Länder sind vorgesehen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist unter (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha!) Ihrem Niveau!) – Herr Koschyk, schauen Sie sich doch einmal an, wie Daher wird auch die kommende Innenministerkonferenz die Rede von Herrn Binninger angelegt war. das Prozedere der Länderbeteiligung erörtern. Dieser Punkt ist wichtig, weil vonseiten einiger Bundesländer (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das war eine zu den Themen „Stärkung des Informationsaustausches“ sachliche Rede gewesen!) und „Schaffung von Analysezentren“ zwar ständig For- derungen formuliert werden, aber entsprechende prakti- – Nein, der Beginn war nicht sachlich. – Beispielsweise sche Schritte ausbleiben. Das ist keine Haltung. läuft eine hohe Anzahl vonErmittlungsverfahren, die wir bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eingeleitet haben, und zwar von Bund und Ländern. Wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – können stolz darauf sein, diese Verfahren erfolgreich be- Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Welche Län- endet zu haben. Das ist ein Zeichen dafür, wie gut die der meinen Sie?) Arbeit funktioniert. – Ich glaube, Sie stammen aus diesem Land. Zu Ihrer Kritik muss ich Ihnen sagen: Leider hinken (B) Sie auch mit Ihren Vorstellungen, die Sie in Ihrem An- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie kritisie- (D) trag in sehr vager Art und Weise niedergeschrieben ha- ren Bayern? Das ist eine Frechheit!) ben, hinterher. Wir müssen sorgfältig und überlegt vorgehen. Die (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was? Das ist Schaffung der Analysezentren wird nach meiner Über- sehr konkret!) zeugung die Qualität der Zusammenarbeit der Sicher- heitsbehörden in Deutschland weiter erheblich verbes- Ich sage Ihnen auch, warum. sern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Bundesinnenministerium hat längst über die Ein- richtung eines polizeilichen und nachrichtendienstlichen Die Schaffung neuer Organisationsstrukturen, die im Er- Analysezentrums in Berlin-Treptow entschieden. gebnis zu einer Vermischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Befugnissen führen, würde da- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo sind da- gegen der Sache eher schaden als nützen. Das müssen bei die Länder?) Sie sich anhören. Mit der Einrichtung der beiden Analysezentren wird das Genau diese durch das Trennungsgebot vorhandene Analysepotenzial im Bereich des islamisti- schen Terrorismus personell und räumlich konzentriert, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo steht das um unter Achtung – das ist mir sehr wichtig – des Tren- Trennungsgebot? Wo ist das normiert?) nungsgebotes einen noch schnelleren und intensiveren Informationsaustausch zu ermöglichen. aus guten Gründen geschaffene Abgrenzung zwischen Polizei- und Nachrichtendiensten wird aber durch das Entsprechende konzeptionelle Planungen über dievon der Opposition geforderte gemeinsame Zentrum Verlegung von Organisationseinheiten dieser Behörden, Terrorismusbekämpfung offensichtlich ignoriert. In der den Personaleinsatz, Aufgaben und Organisationsstruk- Antragsbegründung wird hierzu ausgeführt, zum Aufga- tur der beiden Analysezentren sind weit gediehen und benspektrum des gemeinsamen Zentrums gehörten auch werden in Kürze abgeschlossen. Ich sage sogar: Ich er- die „Mitwirkung bei der Koordination von Einsätzen warte auf der Grundlage der mir vorliegenden Planungen und Überwachungsmaßnahmen“ und die „Unterstützung eine Arbeitsaufnahme der Analysezentren in den nächs- bei polizeilichen und nachrichtendienstlichen Ermittlun- ten Monaten. gen“. 12172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) Abgesehen von der problematischen organisatori- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Die Zeit (C) schen Zusammenlegung von Polizei- und Nachrichten- überzieht er auch noch!) diensten in einem gemeinsamen Zentrum läuft bereits ein intensiver Abstimmungsprozess mit den (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was ist daran Sicherheitsbehörden, bei dem auch die Länder über eine problematisch?) Arbeitsgruppe des Arbeitskreises II der Innenminister- konferenz eingebunden sind. Sie sehen, wir haben alles scheint mir auch bei den Befugnissen kaum noch eine im Griff. Abgrenzung möglich oder auch nur gewollt. Bei allem Verständnis für den guten Willen, meine Damen und (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie sind Herren von der Opposition: Es ist nicht ausreichend gut nicht überzeugt von dem, was Sie sagen! – überlegt, was Sie hier aufgeschrieben haben. Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das glaubt er selbst nicht!) Das Bundesinnenministerium lehnt gemeinsame Leit- oder Koordinierungsstellen für gemeinsame Einsätze Schönen Dank. von Polizei und Verfassungsschutz ab. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wiefelspütz DIE GRÜNEN) ist da schon viel weiter! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie haben den letzten Aufsatz Präsident Wolfgang Thierse: von Wiefelspütz nicht gelesen!) Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Frak- Stattdessen werden wir den Informationsaustausch und tion. die projektbezogene Zusammenarbeit in den bestehen- den Informations- und Analyseboards ausbauen. Diese Dr. Max Stadler (FDP): Boards haben sich als effiziente Plattformen für die Zu- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sammenarbeit erwiesen. ren! Die Grundlinie der FDP ist selbstverständlich dieje- (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger nige, dass der Staat alles Notwendige tun und alle not- [CDU/CSU]: In der Tat!) wendigen Vorkehrungen treffen muss, um den Terrorismus so effektiv wie möglich zu bekämpfen, dass Das ist der richtige Weg. er sich dabei aber selbstverständlich im rechtsstaatlichen Ein weiterer Punkt in der Begründung des Opposi- und grundgesetzlichen Rahmen bewegen muss. Ich tionsantrags ist schlichtweg falsch. So wird bemängelt, glaube, da sind wir alle in diesem Haus einig. es gebe kein „gemeinsames, für alle Sicherheitsbehörden (B) (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk (D) verfügbares, aussagekräftiges und aktuelles Lagebild“. [CDU/CSU]: Selbstverständlich!) Das Gegenteil ist richtig. Das Bundeskriminalamt er- stellt kontinuierlich seit Jahren sehr detaillierte Gefähr- Deshalb gehen wir an das Problem, das mit dem An- dungslagebilder. Dabei werden alle Erkenntnisse der trag der CDU/CSU aufgeworfen wird, mit folgenden Sicherheitsbehörden einbezogen. Überlegungen heran: Erstens. Wir brauchen natürlich ei- nen besseren Informationsfluss zwischen den Sicher- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da finden heitsbehörden. Sie in „Spiegel Online“ mehr als in den Lage- bildern!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die entsprechenden Berichte werden allen zuständigen Zweitens. Wir brauchen eine bessere Auswertung von Behörden, auch den Ländern, zur Verfügung gestellt.Informationen und drittens eine bessere Koordinierung Schaffen Sie also kein Problem, wo kein Problem ist. im Handeln. Zum verbesserten Informationsmanagement, das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wir durch die Einrichtung der Analysezentren ermögli- So gesehen nähern wir uns Ihrem Vorschlag eines ge- chen, gehört eine Unterstützung der Analysezentrenmeinsamen Lagezentrums durchaus mit Sympathie. durch gemeinsame Dateien. Die Informationssammlung, der Informationsaustausch und die gemeinsame Infor- Aber es sind auch zwei kritische Fragen zu stellen. mationsauswertung sind diedrei entscheidenden ele- (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Jetzt mentaren Eckpunkte eines effizienten Informations- gibt es das große „aber“!) managements. Wir wollen und wir werden alle Möglichkeiten eines verbesserten Datenaustausches zwi- Die erste Frage – das werden wir in den Ausschussbera- schen den Sicherheitsbehörden ausschöpfen, wo diestungen mit Praktikern gemeinsam zu erörtern haben – notwendig ist, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu lautet: Ist es wirklich notwendig, eine neueBehörde erleichtern und ihre Effizienz weiter zu erhöhen. oder eine neue Struktur zu schaffen? Wie steht es mit dem Informationsfluss innerhalb der bestehenden Behör- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Alles wird den? Wir alle haben beim NPD-Verbotsverfahren die gut!) traurige Erfahrung gemacht, dass innerhalb der Verfas- Auch hier sind die Planungen und Entwürfe bereits sungsschutzbehörden und zwischen dem Verfassungs- weit fortgeschritten. Unter Federführung des Bundes- schutz und beispielsweise dem Bundesinnenministerium innenministeriums der Informationsfluss nicht gewährleistet war. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12173

Dr. Max Stadler (A) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!) währten Grundsatz der Trennung von Polizei und Ge- (C) heimdienst, an dem wir festhalten wollen. Dieser Die rechte Hand wusste nicht, was die linke tat. Das war Grundsatz ist in der Verfassung verankert. Herr Kollege eine der Hauptursachen für das Scheitern dieses Verfah- Koschyk, Sie haben nach der Fundstelle gefragt. Der rens. Bevor neue Behördenstrukturen geschaffen wer- Grundsatz ist in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes den, muss also zunächst nmal ei der Informationsaus- formuliert. Genaueres können Sie in dem vorzüglichen tausch zwischen den bestehenden Behörden verbessert Aufsatz von Christoph Gusy in Heft 2/1987 der „Zeit- werden. schrift für Rechtspolitik“ nachlesen. (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk Ich erwähne das deswegen ausdrücklich, weil das [CDU/CSU]: Stimmt!) Trennungsprinzip neuerdings in Verruf geraten ist. In der Nächste Frage: Ist das, was in dem CDU/CSU-Antrag allgemeinen Debatte wird immer wieder angeführt, dass gefordert wird, nicht ohnehin längst Aufgabe des Bun- das Trennungsprinzip nicht länger notwendig ist. Wir als deskriminalamtes? FDP meinen: Es muss möglich sein, der terroristischen Bedrohung auch unter Wahrung der rechtsstaatlichen (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Theoretisch Grundsätze – dazu gehört das Trennungsprinzip – Wi- ja!) derstand zu leisten. Jedenfalls ist dies gesetzlich bereits so geregelt. Gegebe- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ nenfalls muss die gesetzliche Regelung nun zur Anwen- DIE GRÜNEN) dung kommen. Es geht schließlich nicht um Organisationsfragen, Eine weitere Frage: Gibt es nicht längst die Lagebe- sondern um die Wahrung von Grundrechten. Wir müss- sprechung im Kanzleramt mit den Geheimdienstchefs ten im Plenum keine langen Debatten mehr darüber füh- unter dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, der in ren, wann der große Lauschangriff zulässig ist und unter der Fachwelt und darüber hinaus hohes Ansehen ge-welchen Voraussetzungen Telefonüberwachungen statt- nießt, weil er dieser Aufgabe ausgezeichnet gerechtfinden können, wenn sowieso jede Behörde ohne Beach- wird? tung dieser Voraussetzungen jede Information erhalten Bei alledem stellt sich inder Tat die Frage, ob man könnte. wirklich eine neue Behörde braucht. Wir werden der Deswegen ist es der richtige Weg, das Trennungsge- Schaffung einer neuen Behörde nur dann zustimmen,bot aufrechtzuerhalten. Aber es ist durch die Pflicht zur wenn sie uns von den Praktikern als zwingend dargelegt Zusammenarbeit zu ergänzen. wird. (B) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (D) (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk GRÜNEN]: Das steht schon im Gesetz!) [CDU/CSU]: Sehr gut!) Die entsprechenden Regelungen existieren längst. Die Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der gesetzlichen Bestimmungen sind längst von diesem Ho- CDU/CSU und der Regierungskoalition, greift die Idee hen Hause geschaffen worden. Sie müssen nur noch in eines gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Län- die Tat umgesetzt werden. Die Behörden sollen die In- dern auch in Überlegungenein, die eigentlich Gegen- formationen bekommen, durch die sie in die Lage ver- stand der Beratungen derFöderalismuskommission setzt werden, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber wir hätten sein sollen. legen Wert darauf, dass dabei die traditionellen und be- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) währten Bestimmungen des Grundgesetzes beibehalten werden. Dort ist aber nichts zu diesem Thema eingebracht wor- Vielen Dank. den, auch nicht von der Bundesregierung im Zusammen- hang mit polizeilichen Aufgaben. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gar NEN]) nichts! Eine Nullnummer! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Frau Künast hat doch keine Ideen! – Gegenruf der Abg. Silke Stokar von Präsident Wolfgang Thierse: Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer Nachträglich erteile ich dem Kollegen Binninger das lehnt denn ab? Das ist doch Herr Beckstein!) Wort zu einer Kurzintervention. Ich hatte dies vorhin vergessen. Er will damit auf die Ausführungen von Das ist in der Tat ein Manko. Staatssekretär Körper eingehen. Ich komme jetzt zu einer Frage, die mir wichtiger ist als die organisatorischen Probleme; denn diese können Clemens Binninger (CDU/CSU): wir in den Griff bekommen. Seit dem 14. April 1949, Herr Präsident, vielen Dank für diese Gelegen- also seit 55 Jahren, gilt in der Bundesrepublik Deutsch- heit. – Herr Staatssekretär Körper, im Fußball gibt es den land der bewährte Grundsatz: Die Polizei darf keine Ge- Spruch „Knapp daneben ist auch vorbei“. Das gilt auch heimdienstkompetenzen bekommen; die Geheimdienste für Ihre Rede. Sie haben mir vorgeworfen, die Sicher- dürfen keine polizeilichen Kompetenzen bekommen.heitsbehörden beleidigt zu haben. Dazu sage ich: Ich Dabei handelt es sich um den allseits bekannten und be- habe nicht die Sicherheitsbehörden, sondern den 12174 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Clemens Binninger (A) Bundesinnenminister kritisiert. Das ist bestenfalls Ma- das setzt insbesondere in unserem föderalen System eine (C) jestätsbeleidigung. Aber die ist nicht mehr strafbar. Das entsprechende Bereitschaft der Länder voraus. Sie dür- ist der erste Punkt. fen sich nicht nur in Forderungen ergehen, sondern sie müssen auch mitmachen. Sorgen auch Sie dafür, dass (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der das geschieht. CDU/CSU) Schönen Dank. Zweiter Punkt. Sie haben gesagt – an dieser Stelle wird es ärgerlich –, der Bund richte bereits ein Lagezen- (Beifall bei der SPD) trum ein und wir seien der Entwicklung wieder einmal hinterher. Ich habe mich gestern noch einmal bei Bun- Präsident Wolfgang Thierse: des- und Landesbehörden informiert und muss Ihnen sa- Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar von gen: Das, was Sie in Treptow einrichten, betrifft zwei Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen. von 37 Behörden. Die anderen Behörden beteiligen sich personell nicht. Die Verbindung besteht lediglich im Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE Aushängen von Telefonadressen und Namen der An-GRÜNEN): sprechpartner. Das ist doch nicht professionell, wenn es Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Präsi- um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Da muss ich dent! doch sehr bitten! Sie machen noch nicht einmal im An- satz das, was notwendig wäre. (Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Das war der einzige wichtige Satz!) Dritter Punkt. Herr Körper, Sie sprechen genauso wie der Kollege Stadler ständig von einem verfassungsrecht- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre lich normierten Trennungsgebot. Man muss Art. 87 interessant, wenn der Herr Kollege Binninger einmal die Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes – diesen kennen auch Namen der Fachleute outen würde, mit denen er angeb- wir – schon sehr weit und mit sehr viel Fantasie ausle- lich in so gutem Kontakt steht. gen, um zu diesem Schluss zu kommen. Aber das ist si- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das habe cherlich nicht zwingend. Dabei wollen wir das Tren- ich doch!) nungsgebot gar nicht aufheben. Es geht vielmehr um die Zweitverwertung von Daten und das Bündeln von Wis- Ich weiß nicht – ich gehe allerdings davon aus –, ob die sen, weil wir sonst – das sagen die Praktiker, mit denen Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Möglichkeit hat, Sie offensichtlich nicht reden – nicht in der Lage sind, sich die Protokolle über die Sitzungen der Innenminis- den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. terkonferenz einmal näher anzuschauen. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbst- verständlich!) Präsident Wolfgang Thierse: – Herr Kollege Koschyk, wenn das so selbstverständlich Herr Staatssekretär Körper, wollen Sie die Gelegen- ist, dann sollten wir jetzt etwas Transparenz in diese De- heit zur Erwiderung nutzen? – Bitte schön. batte bringen. Über die Vorschläge des niedersächsischen Innen- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- ministers Uwe Schünemann und des bayerischen Innen- desminister des Innern: ministers Günther Beckstein ist in der Facharbeitsgruppe Herr Binninger, wenn Sie sich an uns gewendet hät- der Innenministerkonferenz diskutiert worden und sie ten, hätten Sie genaue und gute Informationen darüber sind dort verworfen worden. bekommen, was wir in Treptow einrichten. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Im Bundesrat (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir schützen haben sie die Mehrheit gefunden!) unsere Quellen!) Die Innenminister sind ausdrücklich gebeten worden, Das, was wir machen, ist auf jeden Fall der richtige Weg. die gemeinsamen Ergebnisse der Facharbeitsgruppe der Ich habe bereits skizziert, wie das Analysezentrum bzw. Innenministerkonferenz umzusetzen. Zu dem Bild, das die Analysezentren aufgebaut werden. Ihre Bundestagsfraktion momentan bietet, kann ich nur sagen: Sie übernehmen in keiner Weise bundespolitische Zu Ihrem Hinweis auf dieLänder sage ich Ihnen: Verantwortung, sondern die Außenseiterposition zweier Wir, der Bund, haben noch nicht – das wird auch nicht so Innenminister, die sich mit ihren Vorschlägen auf der In- schnell kommen – die Personalhoheit. Diese liegt bei nenministerkonferenz nicht durchsetzen konnten. den Ländern, wenn es um den Aufbau dieser Zentren geht. Selbstverständlich wird auch hier dafür Sorge ge- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Mehrheits- tragen, die Länder und insbesondere die Landesbehör- meinung im Bundesrat!) den möglichst weitgehend einzubinden; denn es ist Ich halte das, was das BMI macht, für völlig richtig, wichtig, dass wir nicht nurauf der Ebene des Bundes, nämlich die Vorschläge der Innenministerkonferenz kon- beispielsweise von Bundesamt für Verfassungsschutz sequent umzusetzen. und Bundeskriminalamt, sondern auch auf der Ebene von Bund und Ländern, beispielsweise von Bundeskri- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Heute loben minalamt und Landeskriminalämtern, tätig werden. Aber Sie Herrn Schily wieder einmal, was?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12175

Silke Stokar von Neuforn (A) Herr Kollege Stadler, wir richten gerade kein Lage- Hinweise bekommen wir von ausländischen Sicher- (C) zentrum ein. Bei einem Lagezentrum ginge es darum, heitsbehörden und von Verbindungsbeamten des BKA operative Maßnahmen zu koordinieren. Wir richten ein und des BND, die in 60 Ländern tätig sind. Wir bekom- Informations- und Analysezentrum ein, das sich exakt men solche Hinweise nicht aus den Bundesländern. Da an das hält, was BKA, BND und Innenministerkonferenz verkennen Sie die Bedrohungslage und die Situation völ- vorgeschlagen haben. Wir richten gerade keine zentrali- lig. Aus Ihrem Antrag spricht nichts anderes, als dass Sie sierte Mammutbehörde ein, wie Herr Binninger das noch den naiven Föderalismusbegriff von Herrn Beckstein einmal gefordert hat, weil wir eben die Erfahrung ge-und von Herrn Schünemann übernehmen. macht haben: Dezentral im Rahmen der eigenen Aufga- Wir halten die Fachergebnisse der Innenministerkon- ben und Strukturen zu arbeiten ist der Weg zum Erfolg in ferenz für richtig, die davon ausgehen – das teilen wir –, diesem Bereich. dass wir die Zentralstellenfunktion vom BKA und auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom Bundesamt für Verfassungsschutz stärken müssen. Wir werden die Fachvorschläge der Innenministerkonfe- Lassen Sie mich auch etwas zu dem Vorschlag von renz Schritt für Schritt umsetzen. Wir bitten die Union, Uwe Schünemann sagen, zumindest die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, darum, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Toller zur Fachauseinandersetzung zurückzukehren und nicht Minister!) die naiven Positionen von Schünemann und Beckstein zu übernehmen. Sie blockieren damit die Optimierung also zu der so genanntenIslamistendatei. So wie Sie der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Sie verzö- sich das vorstellen, mit den Zahlen, mit denen Sie da ar- gern die Umsetzung. Wir sind wirklich darauf gespannt, beiten – 30 000 Islamisten in Deutschland –, schaffen in welcher Form sich die Länder an dem Informations- Sie nichts anderes als Datenmüll. und Analysezentrum, das im Treptower Park eingerich- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Es tet wird, beteiligen. gibt auch Wortmüll!) Letzter Satz: Ich persönlich halte es für viel wichtiger, dass die Länder Verbindungsbeamte nach Berlin schi- Das sind keine effizienten Dateien; da haben Sie einfach cken und dass sie es dem Bund überlassen, Beamte in in- keine Ahnung. Wir brauchen Projektdateien, bezogen ternationale und europäische Gremien zu schicken, da- auf einzelne Ermittlungskomplexe, und Analysedateien. mit sie dort eine einheitliche Politik der inneren Solche Dateien werden wir einrichten, und zwar unter Sicherheit vertreten. Beachtung des Trennungsgebots und unter Beachtung weiterer verfassungsrechtlicher Grenzen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist Föde- (B) ralismus von Bundes Gnaden!) (D) Lassen Sie mich auch hierzu einen Hinweis geben. Es sind nicht Grüne, die dieseGrenzen setzen. Es ist der Darüber sollten wir uns im Innenausschuss unterhalten. Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, Danke schön. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinen Sie jetzt nicht ernst?) und bei der SPD) der in einem Gutachten sehr genau dargelegt hat, in wel- chen Grenzen das Trennungsgebot hierbei seine Gültig- Präsident Wolfgang Thierse: keit hat. Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer, CDU/ (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Können Sie CSU-Fraktion. uns das mal schicken?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das gilt auch im Zusammenhang mit dem Information- Board. Es gibt sogar eine Verpflichtung zur Weitergabe Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): von Informationen. Genau diese Arbeit, die Arbeit in Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Projekt- und Analysedateien, werden wir weiter optimie- Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn ich mir die ren. Reden des Herrn Staatssekretärs und der Kollegin Frau Stokar von Neuforn vergegenwärtige, dann fällt mir Es ist eine naive Vorstellung, die Herr Binningerwirklich nur ein Satz ein: Keine Panik auf der „Titanic“. übernommen hat, wenn er sagt: Der internationale Terro- Man denkt: Irgendwie machen wir das Boot schon flott, rismus wird an der Basis bekämpft. auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer Die Nonchalance, mit der der Herr Staatssekretär und redet denn hier von Naivität?) die Frau Kollegin Stokar von Neuforn dieses Thema be- Uwe Schünemann ist der Auffassung, dass der interna- handeln, lässt vollkommen außer Betracht, dass der Ter- tionale Terrorismus am besten durch die Polizeiinspek- rorismus, insbesondere der Terrorismus, der auf dem is- tion Cloppenburg in Niedersachsen bekämpft wird. lamistischen Extremismus basiert, für die pluralistische westliche Welt eine der größten Gefährdungen darstellt. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Er ist eine epochale Bedrohung, dem durch eine völlige SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nichts Skrupel- und Hemmungslosigkeit bei der Tatausführung gegen die cloppenburgische Polizei!) mit der bewussten Tötung und Verletzung unschuldiger 12176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Stephan Mayer (Altötting) (A) Menschen und durch genaueste strategische Vorberei- das Nebeneinander von 37 eigenständigen Behörden(C) tungen eine bisher unbekannte Dimension zukommt. auf Landes- und auf Bundesebene, die sich in irgendei- ner Form mit der Bekämpfung des Terrorismus beschäf- Nach den menschenverachtenden Anschlägen vom tigen. Beispielsweise war die Hamburger Terrorzelle um 11. September 2001 in New York und in Washington so- Mohammed Atta und Ramzi Binalshibh deutschen und wie am 11. März dieses Jahres in Madrid können poten- amerikanischen Sicherheitsbehörden bereits 1999 be- zielle Ziele von Terroranschlägen alle Staaten Europas, kannt. ja, alle Staaten der westlichen Welt sein. Gott sei Dank sind wir in Deutschland von derartig schrecklichen An- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!) schlägen bisher verschont geblieben. Ihre Gefährlichkeit konnte aber schon allein deshalb (Frank Hofmann [Volkach ] [SPD]: Auch durch nicht erkannt werden, weil vorhandene Teilinformatio- eigenes Tun!) nen in Deutschland, in Spanien und in den USA nicht zusammengeführt wurden. Aber auch Deutschland war und bleibt Teil des Gefah- renraums. Deutsche Staatsbürger waren bereits Opfer (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So war es!) von schrecklichen Anschlägen. Ich erinnere nur an die furchtbaren Vorkommnisse auf der Urlaubsinsel Djerba. Erkennbar gab es Fehler im nationalen und im internati- onalen Informationsaustausch. Mit dem Wissen, dass Deutschland bereits Rückzugs- und Vorbereitungsraum fürschlimmste terroristische Die Einführung einer besseren Vernetzung und einer Anschläge war und dass der internationale Terror spätes- besseren Abstimmung der Sicherheitsbehörden ist daher tens nach den schrecklichen Anschlägen am 11. März unumgänglich. dieses Jahres in Madrid auch in Europa angekommen ist, (Beifall bei der CDU/CSU) müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen wer- den, um dem Terrorismus bereits im Vorfeld Einhalt zu Der Informationsaustausch zwischen den von mir er- gebieten. wähnten 37 Behörden ist zubürokratisch, zu zäh flie- ßend und einfach zu selektiv. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU-Fraktion die Schaffung eines gemeinsamen Zentrums zur Terro- Gerade kleinere Behörden sind kaum in der Lage, opera- rismusbekämpfung. Ich möchte an dieser Stelle beto- tive Maßnahmen gegen Verdächtige durchzuführen, und nen: Es geht nicht um die Schaffung einer Mammutbe- sie beschränken sich deshalb schwerpunktmäßig auf Bü- hörde, ganz im Gegenteil. roaufklärung. (B) (D) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) Durch die Einführung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung soll aber – ich möchte dies Es geht um eine schlanke Behörde, die mit Spezialisten ganz deutlich betonen – keine Beschneidung derLän- perfekt ausgestattet ist und höchst professionell arbeitet. derkompetenzen erfolgen. Vielmehr sollen die Sicher- Ich möchte des Weiteren erwähnen, dass die von uns heitsbehörden der Länder, also die Landesverfassungs- erhobene Forderung bereits mit allen CDU- bzw. CSU- schutzbehörden sowie die Landeskriminalämter, die geführten Bundesländern abgestimmt ist, also auch im über die erforderlichen Orts- und Detailkenntnisse verfü- Bundesrat eine Mehrheit finden würde. gen und ihre „Pappenheimer“ vor Ort wirklich kennen, durch die neu zu schaffende Zentralstelle für Informa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – tionsaustausch und Informationsanalyse eine abgestimmte Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hö- und umfassende Gefährdungseinschätzung an die Hand ren Sie, Frau Stokar!) bekommen, um damit eine noch fundiertere und noch Wir können und dürfen uns nicht zurücklehnen und lückenlosere Vorfeldermittlung betreiben zu können. darauf vertrauen, dass in Deutschland schon nichts pas- Bestes Beispiel hierfür ist die Vernetzung und die Zu- sieren wird. Deshalb sind alle staatlichen Ebenen aufge- sammenarbeit zwischen den beiden Bundesländern Ba- fordert, alles nur Menschenmögliche zu tun, dass derden-Württemberg und Bayern. Terrorismus in Deutschland keine Basis hat und dass alle terroristischen Aktivitäten bereits im Keim erstickt wer- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: den, wenngleich man sich natürlich auch vor Augen füh- Vorbildlich!) ren muss, dass es die totale Sicherheit leider Gottes nun Sie haben bereits im Oktober 2002 eine besondere Auf- einmal nicht gibt. bauorganisation zur Aufklärung krimineller islamisti- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Leider wahr!) scher Strukturen, AKIS, eingerichtet. Diese Organisa- tionseinheiten haben sich bewährt und als äußerst Die größte strukturelle Schwachstelle bei der Terro- gewinnbringend erwiesen. rismusbekämpfung in Deutschland ist dabei neben den Lücken im materiellen Recht – sie sind nach der Verab- Der große Unterschied bei der Terrorismusbekämp- schiedung des Zuwanderungsgesetzes auf erheblichen fung im Gegensatz zur sonstigen Kriminalitätsbekämp- Druck der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwar nichtfung ist: Wir können uns in diesem Bereich keine Pan- mehr so groß, aber dennoch vorhanden; ich erinnere nur nen und Fehltritte erlauben; denn wenn ein Anschlag erst an die Sicherungshaft; sie fehlt nach wie vor noch – ist einmal passiert ist, sinddie Folgen katastrophal und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12177

Stephan Mayer (Altötting) (A) wahrscheinlich unabsehbar. Die betroffenen Bürgerin- Frank Hofmann (Volkach) (SPD): (C) nen und Bürger in Deutschland werden kein Verständnis Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe dafür aufbringen, wenn wir hätten handeln können, aber Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst eine Vor- es nicht getan haben. bemerkung machen: Ihr Antrag richtet den Blick nur auf den islamistischen Terrorismus. Ich bin der Meinung, (Beifall bei der CDU/CSU) wir sollten als Oberbegriff von internationalem Terroris- Wir dürfen nicht warten, bis aus „Schläfern“ Täter wer- mus sprechen. Das erlaubt Differenzierungen in islamis- den. Der Vorteil eines gemeinsamen Zentrums für Terro- tische und andere Formen des internationalen Terroris- rismusbekämpfung liegt darin, im Vorfeld die Informa- mus. tionen, Erkenntnisse und Bewertungen zu bündeln, damit (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: sich auf Terrorismusbekämpfung spezialisierte Fach- Wenn das der einzige Änderungsvorschlag ist, kräfte zügig, ohne zeitliche Verzögerung und umfassend den Sie haben!) ein realistisches Lagebild machen können und damit si- chergestellt ist, dass auf aktuelle Gefährdungslagen– Herr Strobl, Sie wissen genau, dass ich erst am Anfang schnell und zuverlässig reagiert werden kann. Zügiges meiner Rede bin, aber behaupten schon, das wäre mein und schnelles Handeln setzt ferner voraus, dass ein La- einziger Kritikpunkt. Es ist doch lächerlich, was Sie hier gezentrum rund um die Uhr ngerichtet ei ist, was bei- machen. spielsweise ein Landesamt für Verfassungsschutz in ei- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: nem kleinen Bundesland gar nicht leisten kann. Nein, darüber kann man reden!) Sicherlich werden sich bei der Forderung nach einem Es sprechen auch außenpolitische Gründe dafür, eher mit gemeinsamen Zentrum für Terrorismusbekämpfungdem Begriff des internationalen Terrorismus zu arbeiten. schnell die Gralshüter desTrennungsgebotes und des Das erlaubt meiner Meinung nach bessere Differenzie- Datenschutzes auf den Plan gerufen fühlen. rung und verhindert ein Scheuklappendenken. (Dr. Max Stadler [FDP]: Bin schon da!) Mit Blick auf den Anhang des Antrages, der, wenn ich es richtig sehe, den Gesetzesantrag des Landes Nie- Ich möchte dazu nur in aller Kürze sagen, dass es sehr dersachsen enthält, frage ich mich, weshalb Sie die streitig ist, ob das Trennungsgebot in der Verfassunggemeinsame Datei beim BfV einrichten wollen. Die normiert ist. Da gehen die Meinungen der Rechtsgelehr- Begründung der Niedersachsen lautet, dort habe man ten auseinander. Sie kennen ja den Spruch: zwei Juris- vielfältige Erfahrungen mit gemeinsamen Dateien und ten – drei Meinungen. Das Trennungsgebot, das nur his- mit dem Schutz von Nachrichtenzugängen. Ich meine, (B) torisch bedingt ist – das möchte ich noch einmal beto- die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes ar- (D) nen –, sollte also hierfür keinen Hinderungsgrund dar- beitet nicht anders. Warum gibt man diese Aufgabe dann stellen. Zum Datenschutz möchte ich sagen: Daten-nicht in die Zuständigkeit der Polizei, also des Bundes- schutz in allen Ehren, aber übertriebener Datenschutz kriminalamtes? Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist muss hinter einer effizienten und Erfolg versprechenden Beobachtung, die Aufgabe der Polizei ist Bekämpfung Terrorismusbekämpfung zurückstehen; denn nicht nur im Sinne von Verfolgung und Verhütung. Bei der Polizei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung istsind die Handlungszwänge am größten. Zudem geht die grundgesetzlich geschützt, es gibt auch das Grundrecht europäische und internationale Einbindung über die na- auf Leben und körperliche Unversehrtheit. tionalen Polizeibehörden, in diesem Falle also über das Bundeskriminalamt. Wir alle wissen: Die internationale (Beifall bei der CDU/CSU) Zusammenarbeit wird zunehmend wichtiger. Auch wir, Dies überwiegt meines Erachtens in der unmittelbaren die Mitglieder des Innenausschusses, fordern einen euro- Abwägung. päischen Informationsverbund. Last but not least: Der Schwerpunkt liegt hier beim Terrorismus, nicht beim Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Extremismus. Folglich gibt es viele vernünftige Gründe, zum Schluss kommen. Die Einrichtung eines gemeinsa- die gemeinsame Datei beim BKA einzurichten. men Zentrums für Terrorismusbekämpfung wird weder Steckt also eher der Gedanke dahinter: Wenn man die Verfassungsschutzbehörden noch die Polizei schwä- schon etwas zentral machen muss, dann meinetwegen chen, sondern sie – ganz im Gegenteil – stärken und im sonstwo, aber nicht beimBundeskriminalamt? Im An- Kampf gegen den Terrorismus schlagkräftiger machen. trag der CDU/CSU-Fraktion ist nur noch davon die In diesem Sinne appelliere ich an Sie, gemeinsam mit Rede, dass der Bund diese Datei einrichten will. uns beim Kampf gegen den Terrorismus an einem Strang zu ziehen und unserem Antrag zuzustimmen. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU-Op- (Beifall bei der CDU/CSU) position, was wollen Sie nun? Zu Ende gedacht haben Sie das nicht. Präsident Wolfgang Thierse: Ein zweiter Punkt. Nachdem erklärten Willen der Ich erteile das Wort Kollegen Frank Hofmann, SPD- niedersächsischen Regierung soll dieDatei Misch- Fraktion. bestände enthalten: Volltext auf der einen Seite, auf der 12178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Frank Hofmann (Volkach) (A) anderen Seite dort, wo das aus Gründen des Quellen- (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger (C) schutzes nicht möglich ist, nur Aktenfundstellen. Mir [CDU/CSU]: Da steht in „Spiegel Online“ scheint, auch das ist nicht zu Ende gedacht. Sie müssen, mehr drin!) um Maßnahmen ergreifen zu können, sowieso in die Ak- ten schauen und können nicht allein mit den Dateien ar- Es gibt ein tägliches Lagebild beim polizeilichen Staats- beiten. Deswegen geben auch datenschutzrechtlicheschutz, es gibt wöchentliche Lagebilder, es gibt Gefähr- Überlegungen der Indexdatei den Vorzug. Auch da soll- dungslagebilder über den islamistischen Terrorismus. ten Sie zu Ende denken. Herr Binninger, wenn Sie sagen, wie Sie es vorhin getan haben, „So ein Lagebild mache ich Ihnen auch“, dann Zum Dritten bitte ich zu überlegen, ob Sie die gegen- zeigt das Ihre Überheblichkeit. seitige Information immer so weit treiben wollen, dass (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ jeweils alle unterrichtet werden müssen. Ich meine, bei CSU]: Nein! Das ist leider die Realität!) sensiblen Daten sollte man besser stufenweise vorgehen und zum Beispiel das jeweilige Landeskriminalamt mit Es ist grob fahrlässig, solche falschen Informationen, der Prüfung beauftragen, ob Polizeibehörden in ihrem wie Sie sie bringen, in einen Antrag aufzunehmen und Land unterrichtet werden sollen und welche das sein sol- zu verbreiten. len. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das sagen Jetzt zu Ihrem eigentlichen Antrag. Als Schwach- die Länderbehörden!) punkte machen Sie einen mangelnden Informationsaus- tausch und eine unzureichende Koordination der einzel- Ihr Antrag zielt im Kern darauf ab, dasGebot der nen Maßnahmen aus. Sie haben alle gemerkt, wie sich Trennung zwischen den Diensten und der Polizei aufzu- Herr Binninger aufgepumpt und den Bundesinnenminis- lösen. ter persönlich dafür verantwortlich gemacht hat. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nein!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wenn er Nachdem ich jetzt Herrn Binninger und Herrn Mayer ge- den Erfolg für sich verbucht, muss er auch die hört habe, kann ich nur sagen: Sie sollten sich abstim- Kritik ertragen können!) men. Aber das können Sie nicht. Sie liefern ein Beispiel dafür, wie es im Moment zwischen der CDU und der Weshalb müssen Sie eigentlich alles schlechtreden? Die Sicherheitsbehörden sind ständig auf dem Weg der CSU, zwischen Merkel und Stoiber aussieht. Optimierung. Gerade die Polizei und die anderen Sicher- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie müssen ja heitsbehörden haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich alles abgedeckt haben!) (B) durch Umstrukturierung der Aufbau- und Ablauforgani- (D) sation und durch Zusammenarbeitsregeln auf die jeweili- Sie können sich nicht einmal in diesen kleinen Dingen gen Erfordernisse der Sicherheitslagen einzustellen. absprechen. Man ist hier immer auf dem Weg und nie am Ende und Die Auflösung des Trennungsgebotes wird es mit uns stets abhängig von der Kriminalitätsentwicklung. nicht geben. Wir zielen darauf ab, die Arbeitsprozesse zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verbessern, statt neue Schnittstellen zu schaffen, einen DIE GRÜNEN) Informationsverbund unter Beachtung des Trennungsge- botes herzustellen Es gibt auf allen Seiten das permanente Gefühl der In- formationsunterversorgung. Sie tragen mit Ihrem Antrag (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wie denn?) und mit Ihrer Rede, Herr Binninger, ohne Not und durch und die Kooperation zu stärken, statt neue Organisatio- falsche Darstellung eine Mitschuld an dieser „gefühlten“ nen zu schaffen. Ich sage Ihnen: Das, was Sie als Aufga- Situation. benspektrum eines gemeinsamen Zentrums zur Terroris- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Was war musbekämpfung beschreiben, muss in großen Teilen in falsch?) Angriff genommen werden, ohne dass wir das Tren- nungsgebot, wie Sie es wollen, schleifen. Grundsätzlich ist Deutschland bereits jetzt gut gerüstet. Ihre größte Sorge scheint zu sein: Wie umgehe ich es, (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ das Bundeskriminalamt mit den notwendigen Befug- CSU]: Man sieht es an den Pannen!) nissen auszustatten? Lieber nehmen Sie eine Verletzung des Trennungsgebotes in Kauf, Das heißt aber nicht, dass man nichts verbessern könnte. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wo denn?) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, den Vorwurf, es gebe kein gemeinsames aktuelles La- statt dem BKA das benötigte rechtliche Instrumentarium gebild, kann ich auf den Sicherheitsbehörden nicht sit- an die Hand zu geben. zen lassen. Ihr Vorschlag eines gemeinsamen Zentrums zur Ter- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Kein aus- rorismusbekämpfung ist zudem rein innenpolitisch aus- sagekräftiges!) gerichtet und hier nicht ausgereift. Völlig außer Acht lassen Sie eine Einbindung in die europäische und inter- Das weisen wir entschieden zurück. nationale Terrorismusbekämpfung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12179

Frank Hofmann (Volkach) (A) (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Sehr Ein wenig Hoffnung habe ich, dass sich bei Ihnen die (C) richtig!) Sachpolitiker langsam durchsetzen. Denn ich lese in Ih- rem Antrag: Was Sie hier abliefern, ist ein Torso, aber kein Konzept. ... eine Kompetenz des BKA für Vorfeldermittlun- (Beifall bei der SPD) gen allein würde keine grundlegende Verbesserung der Situation mit sich bringen. Sie klagen, der Austausch von Informationen über Gefährder, Bedrohungen und neue Entwicklungen sei zu Das kann ja wohl nur bedeuten, dass Sie Vorfeldermitt- bürokratisch, zu langsam und zu selektiv. Wer legt denn lungen für das BKA befürworten, sie aber alleine nicht fest, wer als Gefährder einzustufen ist? Das Bundeskri- für ausreichend halten. minalamt? Nein! Herr Mayer sagte vorhin, Sie würden im Bundesrat eine Mehrheit finden, weil der Bundesrat den Antrag der (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU unterstützen würde. Das ist das Neue und ei- GRÜNEN]: Die CDU!) gentlich Erfreuliche an Ihrem Antrag. An diesem Punkt Warum nicht? Weil das BKA keine Zuständigkeit für die lohnt es sich, dass wir miteinander ins Gespräch kom- Gefahrenabwehr und keine Befugnisse hat. Polizei sei men. Ländersache; das Hohelied von der föderalen Struktur, Ich danke Ihnen. die sich bewährt habe; das Totschlagsargument „Wir wollen kein deutsches FBI“: Da wird von interessierter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Seite gekeult und gekeilt. Die Landesfürsten, die mal im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) größeren, mal im kleineren Chor singen, wie wichtig ih- nen die Sicherheit sei, versagen, wenn es um umfas- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sende, den Aufgaben entsprechende polizeiliche Befug- Ich schließe die Aussprache. nisse für das Bundeskriminalamt geht. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Was jedes Bundesland seinem Landeskriminalamt an Drucksache 15/3805 an die in der Tagesordnung aufge- Befugnissen gibt, um seineAufgaben zu bewältigen, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- kann man dem Bundeskriminalamt doch nicht vorenthal- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung ten. Tatsache ist: Jeder Polizeibeamte eines Bundeslan- so beschlossen. des hat zur Verbrechensbekämpfung mehr Befugnisse Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: als ein Polizeibeamter des Bundeskriminalamtes. Natür- (B) lich hat auch der Polizeibeamte in einem LKA Befug- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- (D) nisse der Gefahrenabwehr und nicht nur der Strafverfol- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE gung. Das Bundeskriminalamt dagegen mit seiner GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- umfassenden Verantwortung als Dreh- und Angelpunkt zes zur Änderung des Gesetzes zur Einord- der internationalen Verbrechensbekämpfung muss diese nung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetz- Kriminalitätsform wie ein Einarmiger bekämpfen. Das buch kann doch nicht Ihr Wille sein. – Drucksache 15/3673 – Wer hier Vergleiche mit dem FBI anstellt, redet dum- (Erste Beratung 121. Sitzung) mes Zeug. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Buß aus Schleswig-Holstein, hat Ende September Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- dieses Jahres in einem Interview mit dem Deutschland- ses für Gesundheit und Soziale Sicherung funk ausgeführt: (13. Ausschuss) – Drucksache 15/3977 – Der internationale Terrorismus ist eine so schwere Bedrohung unseres Landes, dass wir über diese Berichterstattung: Hürde springen sollten und dem Bundeskriminal- Abgeordneter Rolf Stöckel amt diese Möglichkeiten ähnlich wie den Landes- Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der kriminalämtern auf ihrer Zuständigkeitsebene ein- FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist räumen sollten. für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich Ich sage Ihnen: Springen Sie mit! höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (Beifall bei der SPD) ner dem Kollegen Franz Thönnes für die Bundesregie- Die AG Kripo hat im April dieses Jahres festgestellt, rung das Wort. dass die dem Bundeskriminalamt zugewiesenen Befug- nisse nicht in jedem Fall ausreichen, um die dringend ge- Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- botenen Verdichtungen von Sachverhalten, die auf eine ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: Gefahr durch terroristische Aktivitäten hindeuten, vor- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zunehmen. Sie sehen: Unter den Fachleuten herrscht hier ren! Die Bundesregierung begrüßt den Gesetzentwurf große Übereinstimmung. der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Gesetzes zur 12180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Parl. Staatssekretär Franz Thönnes (A) Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetz- Dieser Zusatzbarbetrag hat seinen Ursprung in einer (C) buch, weil mit zwei sehr wesentlichen Änderungen des Entscheidung des Deutschen Bundestages, die am ursprünglichen Gesetzentwurfs Erleichterungen für die 18. Januar 1974 vor dem Hintergrund einer sehr kriti- Menschen im Land geschaffen werden, insbesondere für schen Debatte über das ständige Anwachsen der Pflege- diejenigen, die Sozialhilfe beziehen. kosten im Heim getroffen worden ist. Es wurde darge- legt, dass das eigene Einkommen, das die Betroffenen Wir haben in diesem Haus gemeinsam eine Gesund- aufwenden, durch diese Kosten zunehmend aufgezehrt heitsreform verabschiedet, die mehr Eigenverantwor- wird. Damals ist entschieden worden, den eigenen Bei- tung gewährleisten soll, durch die die Beiträge gesenkt trag anzuerkennen und zu würdigen. Deswegen hat man werden sollen und die mehr Qualität ins Gesundheitswe- die Gewährung eines Zusatzbarbetrages beschlossen. sen bringt. Wir haben aber auch gesagt: Die Sozialhilfe- berechtigten sollen in die Krankenversicherung, in die Wir haben aber 1995/1996 diePflegeversicherung Pflegeversicherung und in die Rentenversicherung ein- eingeführt, bezogen werden. Vor dem Hintergrund ist auch deutlich (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben!) gesagt worden, dass es für Sozialhilfeempfänger keine generelle Befreiung vonZuzahlungen geben soll. weil wir gesagt haben: Das Pflegerisiko muss abge- Gleichwohl hat man sich darauf verständigt,Belas- sichert werden. Im Kommentar von Schellhorn zum So- tungsobergrenzen einzuziehen: 1 Prozent des Einkom- zialrecht liest man dazu, dass die Reduzierung der ver- mens für Menschen mit chronischen Erkrankungen und fügbaren Einkünfte in solchen Fällen auf einen normalen 2 Prozent des Einkommens für alle anderen. Bei den So- Barbetrag und damit die Gleichstellung mit Personen zialhilfeberechtigten wurde anstelle des Einkommensohne wesentlich eigenes Einkommen eine Härte bedeu- die Sozialhilfe als Grundlage genommen. tete. Nachdem die vollstationäre Pflege nun ab Juli 1996 mit in die sozialversicherungsrechtliche Pflegeversiche- Dies bedeutet, dass für Menschen, die in Heimen le- rung einbezogen worden sei, sei das wichtigste Argu- ben und überwiegend chronisch krank sind, eine maxi- ment für den Zusatzbarbetrag entfallen. Das war der male monatliche Belastung von gut 3 Euro vorgesehen Hintergrund der Entscheidung, die Ende letzten Jahres war. Wir alle hielten das für vertretbar, haben dann aber bei der Reform des Sozialhilferechts von allen hier im Anfang des Jahres bei der Umsetzung festgestellt, dass Bundestag vertretenen Parteien, die sich in Regierungs- nicht alle Kassen und Sozialhilfeträger so flexibel wa- verantwortung befinden, im Vermittlungsverfahren ak- ren, die tatsächliche monatliche Belastung der Betroffe- zeptiert wurde. nen auf 3 Euro zu begrenzen. Vielmehr sind durch Zu- zahlungen Belastungen in Höhe von 20, 30 oder auch Wir haben uns nach Erklärungen der Behindertenver- (B) 40 Euro angefallen. Damit war gleich im ersten Monat bände und der Sozialverbände in der Anhörung noch(D) die Belastungsgrenze überschritten und die Grenze zur einmal ernsthaft mit diesem Komplex auseinander ge- Zuzahlungsbefreiung erreicht. Es war nicht verträglich, setzt. Mit dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, soll dass von einem Barbetrag in Höhe von 88 Euro 40 Euro gewährleistet werden, dass der Zusatzbarbetrag für die- für Gesundheitsleistungen bezahlt werden müssen. jenigen Menschen, die in Heimen sind und sich bislang in ihrer Lebensgestaltung auf diesen Betrag eingerichtet Um dies für die Zukunft auszuschließen, sind in dem haben, nicht zum 31. Dezember dieses Jahres auslaufen vorliegenden Gesetzentwurf Regelungen vorgesehen,wird, sondern für diejenigen Heimbewohner, die ihn zu die gewährleisten, dass beim Übergang vom Jahr 2004 diesem Zeitpunkt erhalten,auch weiterhin ausgezahlt zum Jahr 2005 für die Sozialhilfeträger und die Kassen wird. Das entspricht auch der Lebens- und Haushaltspla- die Verpflichtung besteht, sofort ab dem ersten Monat nung dieser Menschen. die Betroffenen von der Zuzahlung freizustellen und diese Beträge als Darlehen zu gewähren. Ich glaube, dass über diesen Weg die guten Beispiele, die wir beim Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: letzten Jahreswechsel bei der AOK Rheinland und der Herr Kollege Thönnes, denken Sie bitte an die Zeit. AOK Rheinland-Pfalz erlebt haben, bundesweit Praxis werden. Damit werden nichtzu verantwortende Belas- Franz Thönnes, tungen im ersten bzw. zweiten Monat eines Jahres ver- Parl. Staatssekretär bei der Bundes- mieden. Dies ist etwas, wasmit dazu beiträgt, dass die ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: Gesundheitsreform noch mehr Akzeptanz findet, wie das Diese Regelungen hinsichtlich des Zusatzbarbetrages auch schon in anderen Bereichen der Fall ist. sollen aber nicht mehr für Neufälle gelten. Die betreffen- den Personen können sich auch darauf einstellen. Wir er- Der zweite wichtige Punkt betrifft den Zusatzbarbe- reichen damit, dass diejenigen, die ambulant, zu Hause, trag. Nach dem Sozialhilferecht können Menschen, die betreut werden, nicht mehr anders behandelt werden, in Heimen leben und mit einem Teil ihres Einkommens weil für diesen Personenkreis der Zusatzbarbetrag nicht dazu beitragen, die Kosten zu decken, neben ihrem Bar- gezahlt wird. Das war auch schon der Hintergrund für betrag, dem so genannten Taschengeld, das sich in der die Entscheidung vom 18. Januar 1974. Damals ist die Größenordnung von circa 88 Euro bewegt, noch einmal gleiche Debatte geführt worden, wie sie wahrscheinlich einen maximalen Zusatzbarbetrag in Höhe von 44 Euro jetzt geführt werden wird. Auch damals hat die CDU/ bekommen, mit dem anerkannt werden soll, dass sieCSU einen Freibetrag gefordert. Ein solcher Freibetrag selbst dazu beitragen, ihre Kosten im Heim zu decken. entspricht nicht der Philosophie des Sozialhilferechts. Er Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12181

Parl. Staatssekretär Franz Thönnes (A) ist damals schon abgelehnt worden und die bisherigegebrachte Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII(C) Praxis hat sich bewährt. Im Übrigen hätten Sie, meine vor. Zwei im Gesetz vom Bundesministerium verges- Damen und Herren von der CDU/CSU, 16 Jahre langsene klarstellende Festlegungen sollten nachgetragen Zeit gehabt, Ihre Vorstellungen umzusetzen, sodass ich werden. Gegen dieses formale Anliegen ist grundsätz- sagen muss: Auch CDU und CSU haben sich mit denlich nichts einzuwenden. Wir hatten deshalb hier im bisherigen Regelungen abgefunden. Von daher ist IhrHause auch gar keine Debatte in der ersten Lesung die- Antrag ein Stück weit unverständlich und die in ihm ent- ses Gesetzentwurfes. haltenen Vorschläge würden in der Zukunft neue Unge- Bei den weiteren Beratungen im Ausschuss zeigte rechtigkeiten bewirken. sich dann aber recht schnell, dass von rot-grüner Seite Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. gar kein Interesse daran bestand, ein gemeinsam be- schlossenes Gesetz auch gemeinsam zu ändern. Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mündlich vorgetragene Anliegen der CDU/CSU-Frak- DIE GRÜNEN) tion, weitere redaktionelle und klarstellende Änderungen in das Gesetz mit aufzunehmen, wurde abgelehnt. Statt- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dessen brachte die rot-grüne Regierungskoalition einen Das Wort hat jetzt die Kollegin Verena Butalikakis Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf ein, der von der CDU/CSU-Fraktion. eine inhaltliche Änderung vorsah, nämlich eineStich- tagsregelung für den so genannten Zusatzbarbetrag. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Zusatzbarbetrag – der Staatssekretär hat schon Verena Butalikakis (CDU/CSU): darauf hingewiesen – ist im derzeit noch gültigen Bun- dessozialhilfegesetz festgeschrieben. Er soll sicherstel- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be- len, dass Menschen, die in einer stationären Einrichtung schäftigen uns heute mit Änderungen an einem Gesetz, leben und sich mit ihrem eigenen Einkommen an den das erst am 1. Januar 2005 in Kraft treten wird. Wir be- Kosten dieser Unterbringung beteiligen, einen geringen handeln ein wichtiges Recht, das Sozialhilferecht. Da ei- Anteil ihres Einkommens zusätzlich zur eigenen Verfü- nige Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem gung haben. Bündnis 90/Die Grünen in den Beratungen in den letzten Wochen – wie ich gerade festgestellt habe, trifft das auch (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller auf den Staatssekretär zu – offensichtlich Erinnerungs- [CDU/CSU]: Das ist auch richtig so!) lücken haben, will ich ganz kurz auf dieVorgeschichte Dabei handelt es sich um einen Betrag von höchstens dieses Gesetzes eingehen. 44 Euro im Monat. (B) (D) Vor genau einem Jahr, im Oktober 2003, beschloss Diesen kleinen Betrag hatte Rot-Grün – nicht etwa die rot-grüne Regierungsmehrheit im Bundestag in zwei- der Vermittlungsausschuss – für 2005 gestrichen, näm- ter und dritter Lesung das nach ihren Vorstellungen ge- lich im Entwurf der Regierungskoalition zum SGB XII. änderte Bundessozialhilfegesetz, das neue SGB XII. Sie erinnern sich, das war der „schlechte“ Entwurf vom Rot-Grün beschloss damals ein Gesetz, obwohl in der Oktober des letzten Jahres, der korrigiert werden musste. vorangegangenen öffentlichen Anhörung der Entwurf Dort wurde der Zusatzbarbetrag gestrichen. In der Be- auf verheerende Weise verrissen worden war und die Ex- gründung dazu heißt es: Der nicht bedarfsbezogene Zu- perten viele Punkte bemängelt hatten. satzbarbetrag zum Barbetrag entfällt, um eine Ungleich- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja nicht behandlung von Leistungsberechtigen in und außerhalb neu!) von Einrichtungen zu beenden. Diese Forderung von Rot-Grün hatte im Vermittlungsausschussverfahren Be- Der Bundesrat hat das Gesetz dann abgelehnt; so lan- stand. dete der Entwurf für das neue Sozialgesetzbuch XII mit einer Anzahl weiterer Gesetze und Gesetzesentwürfe zur Angesichts der zahlreichen Proteste, die uns wahr- Beratung im Vermittlungsausschuss. Dort konnten durch scheinlich alle erreicht haben, und natürlich zeitgleich gemeinsame Bemühungen etliche von den Fachleuten mit der Endphase des Kommunalwahlkampfes in Nord- benannte Mängel behoben werden, außerdem wurden in- rhein-Westfalen wollten sich SPD und Grüne als Retter haltliche Korrekturen angebracht. Die gesetzestechni- des Zusatzbarbetrags aufspielen sche Umsetzung oblag dem Bundesministerium für Ge- ( [CDU/CSU]: Erst abschaffen, sundheit und Soziale Sicherung. Das Ergebnis war ein dann einführen! So sind Sie!) von allen Seiten getragener Kompromiss. Am 19. De- zember 2003 wurde das Sozialgesetzbuch XII als neues und verfielen auf eine Stichtagsregelung, die bedeutet: Sozialhilferecht von allen Fraktionen im Bundestag be- Nur derjenige, der am 31. Dezember 2004 einen An- schlossen und fand die Zustimmung des Bundesrates. spruch auf den Zusatzbarbetrag hat, erhält diesen Betrag auch weiterhin unbegrenzt. Nun sollte es nicht üblich sein, dass man ein beschlos- senes Gesetz bereits vor seinem In-Kraft-Treten ändert. An die Menschen und ihre Gefühle wird dabei nicht Aber es kann durchaus sinnvoll sein, wenn man erkannte gedacht. Auch die Darstellung des Staatssekretärs ging Unzulänglichkeiten korrigieren will. Eine solche Fehler- darauf nicht ein. Wie fühlt man sich denn, wenn man im korrektur sah das zunächst von den rot-grünen Regie- Januar 2005 in eine stationäre Einrichtung kommt, das rungsfraktionen am 3. September in den Bundestag ein- eigene Einkommen für die Unterbringung einsetzen 12182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Verena Butalikakis (A) muss und dann erfährt, dass man nie mehr als das Ta- sung gekommen, die keine der beiden Alternativen auf- (C) schengeld in Höhe von 88 Euro bekommen wird, wäh- greift, die von den Sachverständigen in der Anhörung rend Mitbewohner, die etwas länger – vielleicht nur ei- präferiert wurden. nen Monat, nämlich seit Dezember 2004 – in dieser Einrichtung leben, auf unbegrenzte Zeit über den Zu- (Rolf Stöckel [SPD]: Nicht wahr!) satzbarbetrag verfügen können? Ihre Regelung kann nämlich zu dem absurden Ergebnis (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind über führen, dass Menschen im Einzelfall für ihre Unterbrin- 10 Prozent!) gung in einer Einrichtung mehr zahlen müssen, als der Lebensunterhalt in der Einrichtung tatsächlich kostet. Man fühlt sich doch ungerecht behandelt. Wie man das den Menschen erklären will, bleibt offen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, dass beim In der am 30. September 2004 durchgeführten öffent- notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen der zu lichen Anhörung wurde diese Regelung von Rot-Grün berücksichtigende Anteil am Investitionsbetrag durch von den Sachverständigen einhellig abgelehnt. Die Re- Verordnung des Landes festzusetzen ist. Dies entspricht gelung führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Un- einer der beiden von den Sachverständigen präferierten gleichbehandlung der Heimbewohner, die insbesondere Alternativen. Diese Festlegung berücksichtigt die in den in Behindertenwohnheimen über Jahrzehnte anhaltenLändern sehr unterschiedlichen rahmenvertraglichen Re- würde, so lautete das Fazit der Experten. gelungen. Auch die pauschale Aussage, der stationäre Bereich Wie im Ausschuss möchte ich unsere Zustimmung zu werde mit dieser Regelung generell gegenüber dem am- einem weiteren Punkt, nämlich dem Vorhaben von Rot- bulanten Bereich besser gestellt, hält nach Meinung von Grün, eine Verfahrensregelung einzuführen, die für Fachleuten einer Überprüfung nicht stand; denn im am- Heimbewohner eine deutliche Erleichterung im Hinblick bulanten Bereich – Herr Staatssekretär, Sie haben ver- auf die zu leistenden Zuzahlungen nach dem GMG gessen, das zu erwähnen – wird ab einer gewissen Ein- bringt, signalisieren, zumindest grundsätzlich. Natürlich kommenshöhe ebenfalls ein Teil des Einkommensführt das zu einem erhöhten Bürokratieaufwand, den wir freigestellt. durchaus sehen und kritisieren. Eine offene Frage bei dieser Regelung bleibt aus meiner Sicht auch, wieso in Für die CDU/CSU-Fraktion wird mit dem Zusatzbar- diesem Fall der Sozialhilfeträger der Risikoträger ist, ob- betrag der eigenverantwortlichen Vorsorge der Men-wohl wir eigentlich über das Gesundheitsmodernisie- schen für das Alter Rechnung getragen. Wir meinen:rungsgesetz reden. Eigenvorsorge muss sich lohnen, (B) (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Der bezahlt (D) (Beifall bei der CDU/CSU) auch die Heizkosten!) gerade angesichts der massiven Senkungen, die es durch Als letzten Punkt möchte ich das Verfahren zum Än- Rot-Grün in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt. derungsgesetz selbst aufgreifen. Der Staatssekretär hat Deshalb unterstützen wir den Vorschlag von Experten, gerade begrüßt, dass die rot-grüne Regierungskoalition den Zusatzbarbetrag – rechtssystematisch richtig als Ein- dieses Änderungsgesetz in den Bundestag eingebracht kommensfreibetrag – auch in das SGB XII aufzuneh-hat. Vorausgegangen ist aber etwas ganz anderes: Das men. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Siche- Weil der Staatssekretär gerade darauf hingewiesen hat rung hat bereits im Frühsommer viele aufgefordert, den und weil ich es aus der Diskussion im Ausschuss weiß, notwendigen Änderungsbedarf zum Sozialgesetz- möchte ich hier noch einmal klarstellen, liebe Kollegin- buch XII zu benennen. Es kamen dann Rückmeldungen nen und Kollegen von SPD und Grünen: Es geht hiervon den Ländern, den örtlichen und überörtlichen Trä- nicht um eine juristische Diskussion, deshalb bitte keine gern der Sozialhilfe, von den kommunalen Spitzenver- Scheingefechte an dieser Stelle. Wir können gern eine bänden, den Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen. andere Gesetzesstelle finden, in der der Zusatzbarbetrag Das Bundesministerium hat alle Änderungswünsche ge- festgelegt werden kann. Die entscheidende Frage für uns sammelt und einen Teil davon ausgewählt; die zugrunde ist nämlich nicht, wie, sondern dass der Zusatzbarbetrag gelegten Kriterien sind leider unbekannt. Entschieden auf Dauer erhalten bleibt. hat sich das Ministerium dann für circa 15 notwendige Änderungen. Diese 15 Änderungen wurden aber nicht (Beifall bei der CDU/CSU) etwa in einen Regierungsentwurf zur Änderung des Ein weiterer wichtiger Punkt im Änderungsgesetz ist SGB XII eingebracht. Vielmehr hat das BMGS diese die Definition des notwendigen Lebensunterhalts in Änderungen in den Entwurf eines anderen Gesetzes, Einrichtungen. Unbestritten muss hier die Formulierung nämlich des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes, ge- im beschlossenen Gesetz geändert werden. Bei der Um- schrieben. setzung wurde jedoch die mangelnde rot-grüne Gesetz- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Da soll sich ein- gebungskompetenz deutlich; denn eingebracht wurde ein mal jemand durchfinden!) Vorschlag, der von allen Sachverständigen in der schon genannten Anhörung als völlig untauglich beschrieben Dieses Verwaltungsvereinfachungsgesetz beschloss die wurde. Daraufhin wurde wieder ein ÄnderungsantragBundesregierung dann am 1. September. Nun ist es zur von Rot-Grün eingebracht. Jetzt sind Sie zu einer Lö- Beratung im Bundesrat. Zwei Tage später, also am Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12183

Verena Butalikakis (A) 3. September, bekamen wir hier im Bundestag den Ent- Bundesländer anschauen, denn dieser Gesetzentwurf(C) wurf eines Änderungsgesetzes zum SGB XII von dermuss ja durch den Bundesrat. Ich stelle fest: Hessen rot-grünen Regierungskoalition auf den Tisch gelegt. kürzt das Blindengeld, Herr Wulff in Niedersachsen streicht es vollständig, Baden-Württemberg sucht nach (Maria Michalk [CDU/CSU]: Da weiß die Wegen, sämtliche Leistungen für Behinderte auf den rechte Hand nicht, was die linke tut!) Bund zu übertragen, und Herr Stoiber in Bayern schießt Heute wird nun dieses Änderungsgesetz hier beschlos- mit seinem kommunalen Entlastungsgesetz, KEG, den sen und an den Bundesrat weitergeleitet. Der Gesetzent- Vogel ab. Ich will nur einige Punkte nennen: Beseitigung wurf jedoch, der derzeit im Bundesrat ist, also der Ent- des Rechts der Pflegebedürftigen, den Leistungsanbieter wurf mit den 15 Änderungen, kommt wahrscheinlichauszuwählen, Ausweitung der Aufrechnungsmöglich- Ende Oktober zur ersten Lesung zu uns in den Bundes- keiten für den Sozialhilfeträger, Behindertenhilfe künftig tag. nur noch nach Kassenlage und nicht mehr als Rechtsan- spruch. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stichwort Ent- bürokratisierung!) Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass bei einer sol- Meine Damen und Herren, dies ist wie eine politische chen Aufstellung der von Ihnen regierten Bundesländer Satire. Ich glaube nicht, dass man das den Bürgerinnen – und ich will nicht verhehlen, dass auch einige rot-grün und Bürger in unserem Land erklären kann. regierte kürzen und sparen müssen – ein neu einzufüh- render Einkommensfreibetrag – verstetigt! – auch nur (Beifall bei der CDU/CSU) den Ansatz einer Chance hat. Sie können das hier nur Deshalb zum Schluss: Wir werden den rot-grünenvorschlagen, weil Sie genau wissen, dass wir das aus ge- Änderungsentwurf ablehnen. Die CDU/CSU-Fraktion samtstaatlicher Verantwortung und auch deshalb, weil hat mit vier Änderungsanträgen ihre Alternativen aufge- systematisch kein Platz mehr für den Zusatzfreibetrag zeigt. Wir glauben, dass es notwendig und richtig ist, ein ist, ablehnen müssen und es damit im Bundesrat gar Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII einzubrin- nicht erst zu Verhandlungen kommt. gen, damit sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch für die Anwendung in der Praxis ein schlüssiges sowie bei Abgeordneten der SPD) Gesetz vorliegt. Ich befürchte nur, mit Rot-Grün ist das nicht zu erreichen. Das ist natürlich prima. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sie machen sich dabei einen schlanken Fuß. Es geht Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) hier nicht darum, sozialpolitische Wunschlisten zu verle- (B) sen; das würde ich auch gerne tun; dann wäre ich noch(D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bis heute Nachmittag beschäftigt. Man müsste Ihrem Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth vomÄnderungsvorschlag eigentlich glatt zustimmen, um zu Bündnis 90/Die Grünen. sehen, was dann damit im Bundesrat passiert. Ich will mich auf den so genanntenInvestitionsbe- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trag beschränken. Die Wohlfahrtsverbände haben darauf Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!hingewiesen, dass die Beteiligung an den Unterkunfts- Liebe Frau Butalikakis, ich glaube, die einzelnen Verfah- kosten in den Heimen zu unbilligen Härten bei Ehepaa- rensschritte dürften den Besucherinnen und Besuchern ren führen kann, bei denen ein Partner im Heim lebt und auf der Tribüne in der Tat nur schwer klar zu machender andere noch in der gemeinsam genutzten Wohnung, sein. Wichtig ist aber, was am Ende herauskommt, wel- wenn zukünftig die so genannten Hotelkosten, also die che Veränderungen wir vornehmen. Hier sind die Geset- Unterbringungskosten im Heim, anders als bisher stärker zesänderungen im Sozialhilferecht durchaus ein Beispiel auf das Einkommen – etwa eine Rente – desjenigen, der für eine lernende Gesetzgebung. Wir machen die Zuzah- zu Hause lebt, angerechnet werden. lungen für Heimbewohner praxistauglich – woher die Zuzahlungen kommen, wissen wir ja –, indem wir die Der zweite Kritikpunkt war, dass man gesagt hat, die Beteiligung an den Unterkunftskosten im Heim vereinfa- Investitionskosten in den Heimen sind sehr unterschied- chen: durch die Vereinheitlichung und die Anlehnung an lich, obwohl im Prinzip die Bedingungen für die Bewoh- die Grundsicherung, durch die Schaffung eines Ermes- nerinnen und Bewohner gleich sind. Da freue ich mich sensspielraums für die Sozialhilfeträger und nicht zuletzt sehr, dass es in Abstimmung mit den Trägern der Sozial- durch die Übergangsregelung für den Zusatzbarbetrag hilfe gelungen ist, hier eine eindeutige und praktikable der Heimbewohner. Lösung zu finden. Die Höhe der Wohnkosten wird jetzt an die Grundsicherungsleistungen angelehnt, das heißt Bevor ich einige zusätzliche inhaltliche Anmerkun- also, die durchschnittlichen Mietkosten der Sozialhilfe- gen mache, Frau Butalikakis: Ich finde, Sie machen es träger sind die Grundlage. Dadurch wird mehr Rechtssi- sich zu einfach, Sie machen sich einen schlanken Fuß cherheit und Planungssicherheit für diejenigen geschaf- – und das ist nicht in Ordnung –, wenn Sie jetzt sagen, fen, die in Zukunft unter diese Regelung fallen. Sie wollen einen Einkommensfreibetrag einführen und das verstetigen. Es ist ja nicht so, dass Sie das in den Frau Butalikakis, ich glaube nicht, dass man mit so ei- 16 Jahren Ihrer Regierungszeit nicht hätten tun können. ner Regelung in einen Bereich kommt, in dem die tat- Wir müssen uns auch die Positionen der unionsregierten sächlichen Unterbringungskosten stark differieren. 12184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Markus Kurth (A) (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Das gibt es macht: Wenn das juristisch nicht gehen sollte – bisher(C) schon jetzt! Da irren Sie sich! Kann ich Ihnen haben wir das noch nicht schriftlich vorliegen –, dann zeigen! Nachweisbar!) können wir diesen Zusatzbarbetrag auch gerne an jeder anderen Stelle im SGB XII festschreiben. Ich wollte das Es ist eine Näherung. Man muss immer abwägen zwi- noch einmal sehr deutlich sagen. Tun Sie also bitte nicht schen einer Einzelfallregelung und einer pauschalen Re- so, als ob wir einen zusätzlichen Tatbestand einführen gelung. Unsere Regelung führt zu mehr Planungssicher- wollen. heit. In der Konstellation, dass ein Ehepartner im Heim Es ist natürlich klar, dass die CDU/CSU-Fraktion im lebt, der andere zu Hause ist und höhere Auslagen für Deutschen Bundestag in Zeiten, in denen die Kassen der den Partner hat, haben wir dafür gesorgt, dass eine Rege- Kommunen gerade aufgrund der Regierungstätigkeit lung aus dem Bundessozialhilfegesetz übernommen von Rot-Grün besonders leer sind, einen solchen Vor- wird, die dem einzelnen Sozialhilfeträger einen zusätzli- schlag nicht unabgestimmt macht. Sie ist sich natürlich chen Ermessensspielraum verschafft. Ich appelliere an sicher, dass die von CDU, CSU und FDP geführten bzw. die Sozialhilfeträger, diesen Ermessensspielraum in Här- mitgeführten Bundesländer eine solche gerechte Lösung tefällen auch in Anspruch zu nehmen, also dafür zu sor- für notwendig halten. gen, dass die zusätzliche Belastung des zu Hause blei- (Beifall bei der CDU/CSU – Gudrun Schaich-Walch benden Ehepartners nichtdazu führt, dass auch er [SPD]: Dann machen wir es doch dort!) eventuell noch ins Heim muss. Denn dann werden die Kosten für die öffentliche Hand insgesamt höher und das ist auch mit entsprechenden Beschädigungen der Le- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bensqualität der Betroffenen verbunden, die sich auf ihre Herr Kurth zur Erwiderung, bitte. Situation eingestellt haben. Ich denke, hier können die Sozialhilfeträger ihrer Verantwortung vor Ort gerecht Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werden. Wir haben als Bundesgesetzgeber die Voraus- Ich bin gespannt, ob Sie Ihre Länderregierungen dazu setzungen dafür geschaffen. bringen. Das erwarte ich mit Spannung. Noch einmal: Mit diesendrei angesprochenen und hier diskutierten Regelungen haben wir ein gutes Bei- (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Wieso, Sie spiel für eine lernende Gesetzgebung. Sie sollten uns da- lehnen das jetzt doch ab!) bei eigentlich unterstützen und zustimmen. Zunächst einmal: Nicht jede Heimbewohnerin und je- der Heimbewohner hat denZusatzbarbetrag erhalten. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Ich glaube, das muss man zur Klarstellung für die Zuhö- „Lernende Gesetzgebung“ wird das Unwort rerinnen und Zuhörer hier noch einmal sagen. Das hing des Jahres!) ja vom Einkommen ab. Nur diejenigen, die über einen relativ hohen eigenen Renten- oder Einkommensanteil verfügten, haben ihn erhalten. Die meisten haben ihn Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nicht bekommen. Ich wiederhole auch noch einmal das, Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kolleginwas der Parlamentarische Staatssekretär Thönnes gesagt Butalikakis das Wort. hat: Diejenigen, die im ambulanten Bereich versorgt wurden, also zu Hause waren, haben ihn überhaupt nicht Verena Butalikakis (CDU/CSU): erhalten. Herr Kurth, der Begriff „schlanker Fuß“ hat mich na- türlich animiert, mich noch einmal zu Wort zu melden. Indem Sie den so genannten Zusatzbarbetrag in einen Einkommensfreibetrag umwidmen, entsteht von der (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Wir gehen da- Rechtsform her natürlich schon eine neue Leistung. Das von aus, dass Sie einen haben!) ist von der Systematik des Gesetzes her so nicht vorgese- hen. Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung ist ein Sie haben in Ihren Ausführungen so getan, als ob wir Zusatzbarbetrag von der Systematik her nicht vorgese- einen neuen Freibetrag einführen wollen. Das wollen hen. Die Sozialhilfe richtet sich nach dem Bedarf. wir nicht. Ich hatte gehofft, das sehr deutlich gemacht zu haben. Wir reden über den Zusatzbarbetrag, den jeder (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Das steht Heimbewohner derzeit nach dem Bundessozialhilfege- seit vielen Jahren im SGB so drin!) setz erhält. Wir wollen, dass dieser Zusatzbarbetrag auch im neuen Sozialgesetzbuch XII festgeschrieben wird. Es Man muss das den 2,4 Milliarden Euro, die jährlich an geht also nicht um einen neuen Tatbestand bzw. einen Hilfe zur Pflege anfallen und die von den Steuerzahlerin- neuen Betrag. nen und Steuerzahlern aufgebracht werden, einmal ge- genüberstellen und schauen, ob ein Zusatzbarbetrag vor Wir sind den Experten gefolgt und haben gesagt, dass diesem Hintergrund und bei dieser Konstellation noch man ihn wie andere Regelungen im Übrigen auch – bei- eine Berechtigung hat. spielsweise dann, wenn es um die Freistellung beim Ar- beitseinkommen geht – sinnvollerweise als einen Ein- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum machen kommensfreistellungsbetrag im Gesetz festschreiben Sie denn dann eine Übergangsregelung? Das sollte. Ich hatte in meiner Rede auch sehr deutlich ge- verstehe ich nicht!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12185

Markus Kurth (A) Es wäre sicherlich sinnvoll und würde viel mehr brin- dürftige Heimbewohner, wie dies auch bis zum In-Kraft- (C) gen, im nächsten Jahr eine Reform der Pflegeversiche- Treten der von Rot-Grün und der Union beschlossenen rung anzugehen. Zum Beispiel sollten die Leistungen für Gesundheitsreform Gesetzeslage war. Demenzkranke aufgenommen werden. Außerdem sollte dieser ganze Bereich dynamisiert werden. Dadurch (Zustimmung bei der FDP) könnten wir für die betroffenen Bewohnerinnen und Be- Zweitens. Der Gesetzentwurf sieht einen Bestands- wohner der Heime in der Regel viel mehr tun als über schutz für den Zusatzbarbetrag für sozialhilfebedürf- den Zusatzbarbetrag. tige Personen vor, die Ende dieses Jahres in Heimen le- (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Das haben ben. Es ist in der Anhörung deutlich geworden, dass eine Sie uns schon so lange versprochen!) solche Übergangsregelung systemfremd ist und auf sehr lange Zeit zu Ungleichbehandlungen zwischen Heimbe- wohnern führen wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von Wir fordern daher die Abschaffung des Zusatzbarbe- der FDP-Fraktion. trages für alle Heimbewohner ohne Übergangsregelung. Das ist aus unserer Sicht swegen de sozialverträglich möglich, weil – das hat auch Staatssekretär Thönnes aus- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): geführt – zwischenzeitlich mit der Pflegeversicherung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die ursprüngliche Begründung für den Zusatzbarbetrag diesen Tagesordnungspunkt wurde nur eine sehr kurze entfallen ist; denn wie ich unter Punkt eins meiner Aus- Debattenzeit angesetzt, sodass ich nur eine sehr kurze führungen vorgetragen habe, wir wollen alle Betroffenen Redezeit habe. Deswegen will ich mich auf drei Punkte von der Zuzahlung vollständig befreien und werden da- konzentrieren, die für die FDP-Fraktion notwendigenmit entsprechende Entlastungen erzielen. Dadurch wird Schlussfolgerungen aus der Anhörung sind und die sie – das ist gleichfalls ein sehr wichtiger Aspekt – eine als Entschließungsantrag heute vorlegt. Gleichstellung von ambulanter und stationärer Behand- lung bzw. Unterbringung erreicht. Erstens. Alle Politiker reden sonntags über Bürokra- tieabbau. Nur die FDP handelt aber auch den Rest der Drittens. Die Unterbringung in stationären Einrich- Woche danach. tungen verursacht, wie wir in der Anhörung lernen konn- ten, einen erheblichen Verwaltungsaufwand, ohne dass (Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: davon die Leistungsempfänger maßgeblich profitieren Oh! – Ulrich Heinrich [FDP]: Jetzt wachen die würden. Es ist so, dass im Ergebnis in nahezu allen Fäl- (B) wieder auf!) (D) len der tatsächliche Bedarf in stationären Einrichtungen Die Darlehensregelungen, die Sie, liebe Kolleginnen und durch die Grundsicherung nicht gedeckt wird und da- Kollegen von der Koalition, als Vorschlag zurAbwick- mit am Ende Leistungen der Sozialhilfe fast immer er- lung der Zuzahlung von sozialhilfebedürftigen Heim- forderlich sind. bewohnern vorlegen, ist jedenfalls ein sehr beredtes Bei- spiel dafür, warum in Deutschland alles so furchtbar Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass kompliziert ist. Hier tobt sich rot-grüne Regulierungswut das Festhalten an der einheitlichen Anwendung der wieder einmal nach Herzenslust aus. Herr KollegeGrundsicherung für alle Personengruppen nicht zum Kurth, Sie sollten sich schämen, diese Regelung als pra- Selbstzweck werden darf. xistauglich zu bezeichnen. Sie ist schlichtweg ungeeig- (Beifall bei der FDP) net. Gesetze müssen den Menschen dienen. Deswegen wol- Die Fakten sind: Nach Angaben des AOK-Bundes- len wir, dass der Gesetzgeber von vornherein klarstellt: verbandes gibt es bundesweit circa 232 800 sozialhilfe- Sozialhilfebedürftige in stationären Einrichtungen erhal- berechtigte Heimbewohner in vollstationären Einrich- ten bedarfsorientierte Sozialhilfe. Die parallele Berech- tungen. Diese Personen sind fast alle anerkanntnung von Grundsicherung und Sozialhilfe wird damit chronisch krank, haben also eine Belastungsgrenze von abgeschafft. 1 Prozent. Das heißt, bei rund 36 Euro jährlich ist die Zuzahlungsgrenze erreicht. Den somit geschätzt etwa Aus den vorgetragenen Gründen können Sie erken- 8,4 Millionen Euro möglichen Einnahmen stehen die er- nen, warum wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen heblichen Aufwendungen bei den Krankenkassen und können. Sie aber sollten die Gelegenheit nutzen, noch betroffenen Leistungsempfängern, bei Heimen und/oder vor dem Wochenende wirklich etwas für die in Heimen Sozialhilfeträgern gegenüber, zum Beispiel sich jährlich lebenden sozialhilfebedürftigen Menschen zu tun und wiederholende Prüfungen von Einkommenssituationen gleichzeitig einen Beitrag zum Abbau der Bürokratie in und der geleisteten Zuzahlungen, Prüfung des Chroni- Deutschland zu leisten. Ich fordere Sie auf, dem Antrag kerstatus, Verrechnung zwischen den Akteuren. der FDP zuzustimmen. Besonders problematisch ist, dass dieser Aufwand Vielen Dank. jährlich immer wieder aufs Neue entsteht. Aus Sicht der FDP gibt es daher nur eine richtige Lösung, nämlich die (Beifall bei der FDP – Ulrich Heinrich [FDP]: Abschaffung der Zuzahlungspflicht für sozialhilfebe- Die sind ja nicht lernfähig!) 12186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Hilfen für Pflegebedürftige in besonderen Lebenslagen (C) Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt klar machen wollen. erteile ich das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel von der Die persönlichen Ausgaben über die Grundversor- SPD-Fraktion. gung hinaus können von allen Sozialhilfeberechtigten mit dem Grundbarbetrag gedeckt werden. Wir schlagen Rolf Stöckel (SPD): eine Übergangsregelung vor, weil wir die Meinung der Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Frau Betroffenen und der Heimbeiräte eingeholt haben, wo- Butalikakis, richtig ist, dass dieses Änderungsgesetz not- nach die Streichung den bisher Berechtigten nicht zu- wendig ist, weil der Vermittlungsausschuss das In-Kraft- mutbar sei. Es gibt allerdings auch andere Beispiele für Treten der Neuregelungen des SGB XII um sechs Mo- Übergangs- und Stichtagslösungen im SGB. Wir mei- nate verschoben hat. Uns zu unterstellen, dass wir Ände- nen, dass wir das Ziel der Gleichbehandlung aller So- rungen vorlegen müssten, weil der Gesetzentwurf mit zialhilfeberechtigten sukzessive erreichen. Die meisten der heißen Nadel gestrickt sei, und so die üblichen Kli- Sozialhilfeberechtigten in Heimen bekommen nämlich schees vom rot-grünen Chaos wieder aufzuwärmen, ist kein zusätzliches Taschengeld. einfach nur Show und wird der Sache nicht gerecht. Ich frage Sie, Herr Kolb: Warum hat die FDP einen Es ist sinnvoll – das ist zwischenzeitlich in der Praxis solchen Antrag nicht bei der Einführung der Pflegeversi- angemahnt worden –, einen bundeseinheitlichen Maß- cherung gestellt? Es ist ziemlich durchsichtig, zu stab für den notwendigen Lebensunterhalt in statio- fordern, einerseits einen Einkommensfreibetrag zu nären Einrichtungen zu schaffen. Ich glaube, den Be- schaffen, andererseits die sozialhilfeberechtigten Heim- darf entsprechend der Grundsicherung im Alter und bei bewohner von sämtlichen Zuzahlungen des GMG zu Erwerbsminderung zu definieren ist aus Gründen derbefreien. Verwaltungsvereinfachung einfach die beste und gerech- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen eine tere Lösung. Darin waren sich die Experten einig, so- Zuzahlungsbefreiung!) wohl die Sozialhilfeträger als auch die Bundesarbeitsge- meinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Ich bin der Meinung, dass die Regelung, dass wir die Sozialhilfeträger – die sind dafür zuständig – bundesweit Bisher gab es im Bundesgebiet und den Ländernverpflichten, die Zuzahlungen der Heimbewohner selbst als Investitionsbeitrag unterschiedliche Kostenan- teile von 2 bis 24 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es geht um Ihr Vorschlag, dass die Länder durch Rechtsverordnung 8 Millionen Euro! Das rechnet sich hinten und Pauschalen festsetzen können, wäre nicht nur aufwendi- vorne nicht!) (B) (D) ger, sondern würde den unterschiedlichen lokalen Märk- aufgrund des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes dar- ten und Trägersituationen nicht gerecht und es wäre da- lehensweise über ein Jahr sozialverträglich zu strecken, durch zu 16 unterschiedlichen Regelungen gekommen. einen Sinn ergibt. Wir sind auch den Hinweisen – das hat der Kollege Es geht Ihnen im Grunde nicht um die Betroffenen. Kurth bereits angesprochen – der Experten in der Anhö- Es geht Ihnen eigentlich um die OTC-Produkte und da- rung hinsichtlich der Ehepartner gefolgt, rum, dass Ihre Klientel, nämlich die Unternehmen, die diese verkaufen, ein Einfallstor bekommen, damit sie (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Das sind un- staatlich garantierte Gewinne mit Sozialhilfemitteln ma- terschiedliche Rahmenverträge!) chen können. Darum geht es. Ich bin der Meinung, dass die gezwungen sind, aufgrund der stationären Pflege ei- das im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Positionen nes Partners in zwei Haushalten zu leben. Die Unter-der FDP im Sozialhilferecht steht. haltsfreistellung des BSHG wurde in das neueDie begrenzten Zuzahlungen, auch von Sozialhilfebe- SGB übernommen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass rechtigten, sind für ein wirtschaftliches Gesundheitssys- das eine sinnvolle Regelung ist. tem und auch mit Blick auf die Geringverdiener und die Einigkeit, Frau Butalikakis und Herr Kolb, herrschte ei- überall vorhandene Neigung zur Mitnahme auf Kosten gentlich auch auf allen Seiten darüber, dass derZusatz- der Betroffenen sachlich und sozial gerechtfertigt. Des- barbetrag zum Taschengeld fürsozialhilfeberechtigte halb stehen wir auch dazu. Der Lebensunterhalt der Be- Heimbewohner systemwidrig ist. Das hätte zu der Zeit, troffenen wird mit der Sozialhilfereform besser ange- als Sie an der Regierung waren, geändert werden kön- passt und gesichert. Die Verwaltung wird vereinfacht nen. Es gab bereits 1974 von Ihnen den Vorschlag, einen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Verwaltung Einkommensfreibetrag für Rentnerinnen und Rentner wird wirklich kompliziert!) oder für Behinderte mit einem entsprechenden Einkom- men zu schaffen. Ich habe 15 Jahre während Ihrer Regie- und die Hilfen zur Selbsthilfe werden wie der Grundsatz rungszeit in einem Sozialamt gearbeitet. Ich frage mich, „ambulant vor stationär“ gestärkt. Dazu haben Sie über- warum Sie es nicht im Bundesrat und im Bundestag ge- haupt nichts gesagt. schafft haben, diese Regelung einzuführen. Ich bin ge- (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Doch! Sie nauso wie der Kollege Kurth gespannt, wie Sie und die haben nicht zugehört!) unionsgeführten Länder das den Kommunen vor dem Hintergrund der Kostensteigerung von 9,7 Prozent für Sie sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12187

Rolf Stöckel (A) Deswegen unterstützen Sie, liebe Kolleginnen und (Nordstrand), Dr. Christian Ruck, weiterer Abge- (C) Kollegen, unseren Gesetzentwurf, damit mit diesem Än- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU derungsgesetz der Weg für eine notwendige und umfas- sende Reform des Sozialhilferechts zum 1. Januar 2005 Welternährung sichern – eine globale Verant- frei gemacht wird. wortung für die nationale und europäische Agrarpolitik Herzlichen Dank. – Drucksache 15/3940 – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Überweisungsvorschlag: DIE GRÜNEN) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ich schließe die Aussprache. Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Geset- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dage- zes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozial- gen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so gesetzbuch, Drucksache 15/3673. Der Ausschuss für Ge- beschlossen. sundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3977, den Ge- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich nerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort. bitte diejenigen, die demGesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei- Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/ ren Abgeordnete! In dieser Debatte geht es um das Recht CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. auf Nahrung. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Dritte Beratung Versorgung mit ausreichender und angemessener Nah- rung zu den grundlegenden Menschenrechten gehört. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wie aber stellt sich die gegenwärtige Situation dar? Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschafts- (D) (B) ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die organisation der Vereinten Nationen, der FAO, leiden Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion ange- weltweit noch immer fast 900 Millionen Menschen an nommen. Unterernährung. Die Ursachen des Hungers sind viel- schichtig. Sie reichen von Unruhen und bewaffneten Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-Konflikten bis hin zu Naturkatastrophen, Armut und schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-Krankheit. Umso mehr kommt es auf den politischen sache 15/3996. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Willen aller an, Erfolg versprechende Schritte einzulei- trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der ten. Wichtig ist es, dass sich alle darum bemühen, dem Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Hunger strukturell den Kampf anzusagen. Koalitionsfraktionen und den Stimmen der CDU/CSU- Fraktion bei Zustimmung der FDP-Fraktion. Ich messe den internationalen Leitlinien zum Recht auf Nahrung eine große Bedeutung bei. Die Verhand- Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 9 lungen dazu wurden Ende September in Rom erfolgreich auf: abgeschlossen. Das Entscheidende ist dabei, dass erst- 22 Beratung des Antrags der Abgeordnetenmals in der Geschichte der Vereinten Nationen eine sol- Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta che zwischenstaatliche Rahmenvereinbarung zu einem Däubler-Gmelin und der Fraktion der SPD sowie UN-Recht zustande gekommen ist, in der für die einzel- der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, nen Länder definiert worden ist, was als „gutes Regie- Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und rungshandeln“ gegenüber der eigenen Bevölkerung an- der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- zusehen ist. NEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ernährung als Menschenrecht und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) – Drucksache 15/3956 – Überweisungsvorschlag: Das in der Geschichte der Vereinten Nationen bisher Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und einmalige Instrument ist in einen umfassenden Entwurf Landwirtschaft (f) zur Hungerbekämpfung integriert, dessen menschen- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und rechtliches Instrumentarium es den Betroffenen erlaubt, Entwicklung die Erfüllung der politischen Verpflichtungen vor Ge- ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordnetenricht einzuklagen. Mit solchen und weiteren Maßnah- Bernhard Schulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen men werden praktische Wege aufgezeigt, wie das Recht 12188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Bundesministerin Renate Künast (A) auf Nahrung schrittweise für alle Menschen verwirklicht Vergessen wir nicht, dass ungefähr 70 Prozent aller(C) werden kann. Menschen auf der Welt hungern. 70 Prozent von über 800 Millionen leben auf dem Lande, arbeiten teilweise Ich freue mich, dass dasBundesverbraucherministe- sogar in der Landwirtschaft für den Export und haben rium – nachdem der Bundestag die erforderlichen Mittel trotzdem nicht das Geld bzw. produzieren nicht genü- zur Verfügung gestellt hat – die Möglichkeit hatte, die- gend Lebensmittel, um sich selbst und ihre Familien zu sen Prozess mit zu initiieren und finanziell zu unterstüt- ernähren. Wir dürfen nicht nur international Gerechtig- zen. Es waren ein starker politischer Wille und auch Be- keit üben und etwas implementieren, sondern wir müs- harrlichkeit notwendig, um die Leitlinien zu erarbeiten. sen auch in Europa etwas bewegen, zum Beispiel eine Auch die G-77-Staaten und der Vorsitzende der zwi- Zuckermarktreform durchzuführen. schenstaatlichen Arbeitsgruppe, der iranische FAO-Bot- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schafter, haben bemerkenswerte Beiträge geleistet. An und bei der SPD) dieser Stelle möchte ich mich besonders bei dem Gene- raldirektor der FAO, Herrn Diouf, bedanken, den wir üb- Bei einer solchen Reform müssen wir sowohl die Situa- rigens heute in diesem Haus begrüßen dürfen. Er sitzt tion der Menschen in den Produzentenländern als auch zusammen mit Herta Däubler-Gmelin auf der Tribüne. die Arbeitsplätze bei uns im ländlichen Raum im Blick Herzlich willkommen! behalten. Die Aufgabe wird sein, diese Reform so intelli- gent und kreativ zu machen, dass die Menschen sowohl (Beifall im ganzen Hause) in den Produzentenländern als auch bei uns nach einer Übergangsphase eine Zukunft haben. Ich möchte ebenfalls herausstellen, dass NGOs, zum Beispiel die Menschenrechtsorganisation FIAN Interna- Mit den Leitlinien zum Recht auf Nahrung haben wir tional, einen großen Teil der Arbeit geleistet haben, ge- einen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt geht es darum, nauso wie viele Abgeordnete dieses Hauses, die diesen diese Leitlinien umzusetzen und bei der WTO aktiv zu Prozess begleitet haben, sowie Mitarbeiterinnen undwerden. Jeder Mensch hat das Recht auf ausreichende Mitarbeiter meines Hauses, der UN, des Auswärtigenund gesunde Nahrung. Wir stehen zwar erst am Anfang, Amtes und der GTZ. aber ich freue mich, dass die hier Anwesenden auch in Zukunft an der Erreichung dies es Zieles arbeiten wollen. Die Leitlinien sind etwas Besonderes. Sie haben näm- lich das Potenzial, den Teufelskreis aus Hunger und Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mut aufzubrechen und im Zusammenhang mit bestimm- und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael ten Regierungsformen und -maßnahmen und einer Goldmann [FDP]) (B) anderen Verteilung des Profits innerhalb eines Landes (D) dafür Sorge zu tragen, dass Armut bekämpft wird und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass die betroffenen Menschen Zugang zu Wasser, Land, Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Saatgut und Bildung haben und sich Perspektiven erar- Bernhard Schulte-Drüggelte von der CDU/CSU-Frak- beiten können. Bevor im kommenden November die of- tion. fizielle Verkündung erfolgt, wissen wir schon jetzt – das ist der nächste Schritt –, dass es darum geht, das Recht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf Nahrung in den einzelnen Ländern durchzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass internationale Organisa- Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): tionen in dieses Konzept eingebunden werden. Deutsch- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- land wird diesen Prozess nach Kräften weiter unterstüt- gen! Stellen Sie sich einmal eine Tageszeitung im Jahre zen. 2015 vor. Die Schlagzeile wird wahrscheinlich lauten: Das Ziel der Vereinten Nationen wurde verfehlt; eine Vor zwei Tagen haben wir hier in Berlin die dritte Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahre 2015 Konferenz „Politik gegen Hunger“ eröffnet. Nachdem wurde nicht erreicht. Im Fließtext könnte man lesen: wir im letzten Jahr über Nahrungsmittelhilfen geredet Schon auf einer Konferenz in Berlin im Oktober 2004 haben, geht es in diesem Jahr um die WTO-Verhandlun- wurde vorausgesagt, dass man dieses Ziel verfehlen gen in Genf. Auch die WTO-Verhandlungen müssen wird, wenn nicht gehandelt wird und wenn die Agrar- sich an ihrem Erfolg bei der strukturellenHungerbe- wirtschaft in den Entwicklungsländern nicht gestärkt kämpfung messen lassen. Es darf nicht einfach nur um wird. Wir wollen nicht bis 2150 warten, wie es der Ge- Liberalisierung gehen nach dem Motto: Der Stärkste, neraldirektor der FAO, Dr. Jacques Diouf, heute Morgen also derjenige, der am meisten exportiert, wird gewin- in einem Gespräch gesagt hat. Auch ich freue mich sehr, nen. Vielmehr muss man sich fragen, ob das den Hun- dass Jacques Diouf die heutige Debatte von der Tribüne gernden, den Landlosen und den Arbeitslosen weltweit aus mitverfolgt. hilft und ihren Zugang zu Finanzmitteln erleichtert. Des- halb muss die WTO einen makroökonomischen Rahmen (Beifall im ganzen Hause) schaffen, der gerade den Menschen im ländlichen Raum Perspektiven gibt. Die Leitlinien zu einem Recht auf Nahrung und der Aktionsplan 2015 sind wichtige Ziele. Die Regierungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Entwicklungsländer werden sich künftig an der Ein- und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael haltung dieser Leitlinien messen lassen müssen. Das Goldmann [FDP]) Problem ist jedoch, dass die Maßnahmen ihre volle Wir- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12189

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) kung kaum entfalten können, wenn sie nicht mit einer das wird von Ihnen auch nicht bestritten –, ist die andere (C) kohärenten Entwicklungspolitik der Industrieländer ein- Seite. Wenn die Zuckermarktordnung in Europa verän- hergehen. dert wird, dann – der Meinung bin ich ganz entschie- den – müssen auch die Interessen der AKP-Staaten Die deutsche Entwicklungspolitik ist insofern keinberücksichtigt werden; insbesondere müssen Übergangs- Vorbild. Die Entwicklungshilfe betrug 2003 gerade ein- fristen geschaffen werden. Das entspricht den Forderun- mal 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach ei- gen der AKP-Staaten, wie sie zumindest mir bekannt ge- nem EU-Beschluss soll sie 2006 schon 0,33 Prozent be- worden sind. tragen. Die Bundesrepublik hält ihre Verpflichtungen nicht ein, wenn sie die gegenwärtige Politik fortsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung leistet auf diese Weise keinen Das Problem ist, dass die Wachstumsrate der Welt- glaubwürdigen Beitrag zur Verwirklichung der Millenni- bevölkerung bei 1,3 Prozent pro Jahr liegt. Das ent- umsziele. spricht einem Zuwachs um 80 Millionen Menschen jähr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. lich. Dieses Wachstum der Weltbevölkerung findet Hans-Michael Goldmann [FDP]) hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern statt. Die damit einhergehende rapide steigende Nach- Derzeit sind über 800 Millionen Menschen unterer- frage nach Nahrungsmitteln trifft auf nur begrenzt vor- nährt, davon sind 180 Millionen Kinder. Wie wir heute handene Ressourcen an Ackerland und insbesondere an Morgen noch einmal eindringlich gehört haben, sterben Wasser. 14 000 Kinder am Tag an Unterernährung. Diese Zahl Die Konsequenzen sind ausmeiner Sicht ganz klar: muss uns doch erschrecken und zum Umdenken bewe- Bei wachsender Weltbevölkerung ist es notwendig, die gen. Produktivität landwirtschaftlicher Flächen nachhaltig zu Die Hauptproblemregionen sind Südasien und Afrika erhöhen. Die Studien der FAO belegen, dass die Mehr- südlich der Sahara. Rund 70 Prozent dieser Menschen produktion von Nahrungsmitteln zu 80 Prozent aus hö- leben auf dem Lande; da bestätige ich die Aussage der heren Flächenerträgen resultieren muss. Die nachhaltige Ministerin. Sicherung der Ernährung und die Reduzierung der Ar- mut wird die vordringliche Aufgabe dieses und des (Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD] nächsten Jahrhunderts sein. DieHerausforderungen meldet sich zu einer Zwischenfrage) sind Produktivitäts- und Leistungssteigerung, Verbesse- – Bitte, Frau Wolff. rung der Nahrungsmittelqualität, Reduktion der Kosten landwirtschaftlicher Erzeugung, Schutz der Umwelt und (B) der natürlichen Ressourcen sowie Zugang zu Märkten(D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und Technologien. Aber dieser Weg ist forschungs- und Herr Kollege, Sie haben die Frage, ob Sie die Zwi- wissensintensiv. Die Agrarforschung, insbesondere die schenfrage zulassen, schon beantwortet. Grüne Biotechnologie, hat das Potenzial, entscheidend zur Lösung dieses Problems beizutragen. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Entschuldigung. neten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dieser Weg erfordert verstärkt Investitionen und An- strengungen in angewandter Agrarforschung und in der Das macht nichts. Innovationsentwicklung. In diesem Land sollte die Dis- Bitte schön, Frau Wolff. kussion daher möglichst sachgerecht und nicht nur auf ideologischer Basis geführt werden. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Schulte-Drüggelte, Sie reden so voll- Als wesentliche Ursachen für die Schwierigkeiten in mundig davon, dass die Bundesregierung ihrem Ziel den Entwicklungsländern gelten neben Instabilität und nicht gerecht werden kann. Wir alle hier im Saal wissen Naturkatastrophen – FrauMinisterin, Sie sprachen doch, dass sich die Erreichung der Ziele vorrangig im gerade gutes Regierungshandeln an – schlechtes Re- Bereich der Agrarpolitik entscheidet. Ich nenne bloß ein gierungshandeln. Wir wissen ja – um es noch einmal Beispiel: Zuckermarktordnung. Darf ich davon ausge- anzusprechen –, dass ein lches so Verhalten nicht auf hen, dass Ihre Fraktion bereit sein wird, mit Blick auf die Entwicklungsländer beschränkt ist. WTO insofern entscheidende positive Schritte mitzuge- hen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das wird fast in jeder Rede angesprochen!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ja. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Zudem sollte es ein Ziel europäischer Handelspolitik Ich habe gerade die Daten genannt, wie sie im Haus- sein, dass die fortschreitende Liberalisierung der Welt- halt abzulesen sind. Welche Vorstellungen die Regierung agrarmärkte auch den Entwicklungsländern Vorteile hat, ist eine Seite; was sie tatsächlich tut – das ist Fakt; bringt, ohne das europäische Agrarmodell zu gefährden. 12190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) Die Agrarwirtschaft in den Entwicklungsländern braucht Mir ist wichtig, klar zu machen, dass uns aufgrund (C) jedoch ausreichende Unterstützung, um am internationa- der seitens der FAO erarbeiteten Richtlinien seit 1999 len Handel erfolgreich teilnehmen zu können. eine Sie Definition dessen vorliegt, was eigentlich das braucht einen fairen Wettbewerb. Recht auf Nahrung ist. Das muss nun in alle Politikbe- reiche Eingang finden, nicht nur in den von uns vertrete- Wie wir auf der jetzt in Berlin stattfindenden Tagung nen Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und gehört haben, fördert der Handel Produktivitätssteige- Landwirtschaft, sondern auch in die Bereiche wirtschaft- rungen. Produktivitätssteigerungen fördern das Wachs- liche Zusammenarbeit, Umwelt, Soziales, Wirtschaft tum. Wachstum steigert das Einkommen und reduziert usw. Hunger und Armut. Das heißt, die Bundesregierung muss der Agrarentwicklungshilfe insgesamt einen deut- Ich rufe in Erinnerung, was wir in der Debatte am lich höheren Stellenwert beimessen. 29. Januar gesagt haben. Damals standen wir am Anfang der Diskussion. Wir haben gesagt: Menschen müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weltweit jederzeit durch Eigenproduktion und/oder Kauf Das Motto lautet: Agrarforschung bei der Entwicklungs- ausreichend Zugang zu angemessener Nahrung haben. zusammenarbeit verstärken und globale Verantwortung Wir haben zum Ausdruck gebracht: Diese Nahrungsmit- für die Welternährung übernehmen. tel dürfen keine schädlichen Inhaltsstoffe haben. Vor al- lem müssen die Nahrungsmittel ausgewogen, gesund Ich darf noch einmal Jacques Diouf zitieren: und der jeweiligen Kultur angemessen sein. Was die Staaten, die sich an diesen Richtlinien nun neu orientie- Eine Welt mit weniger Armut und weniger Hunger ren, angeht, ist dabei von drei Grundverpflichtungen ist auch eine stabilere Welt mit mehr Frieden. auszugehen: Erstens muss der bereits jetzt bestehende Wir tragen auch Verantwortung, wenn wir nicht han- Zugang zu Nahrungsmitteln respektiert werden; das ge- deln. lingt nicht überall. Er muss zweitens geschützt und drit- tens langfristig gewährleistet werden. Danke. Ausgehend von dieser Definition beschreiben die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Leitlinien im Sinne einerSelbstverpflichtung – das muss noch einmal betont werden – die Handlungsfelder Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und die Rahmenbedingungen, die zu schaffen sind. Heute Morgen hat eine Kollegin nach der lokalen Zu- Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhold Hemker von ständigkeit gefragt. Dieser Ansatz ist richtig. Der Rah- der SPD-Fraktion. men geht von den Local Governments über die regio- (B) (D) nale, nationale und internationale bis hin zur globalen Reinhold Hemker (SPD): Ebene. Von daher gesehen ist die Wahrnehmung von Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verantwortung gemäß der lokalen Agenda, über die wir Zunächst einmal möchte auch ich meinen Dank all den- seit der Rio-Konferenz bei uns diskutieren – viele deut- jenigen aussprechen, die an der Erarbeitung der Leitli- sche Gemeinden nehmen sie ja schon wahr –, eine ganz nien zum Recht auf Nahrung mitgewirkt haben;wichtige Angelegenheit, die auch vonseiten der Bundes- Dr. Diouf ist namentlich schon genannt worden. Frauregierung zu unterstützen ist. Das geschieht ja auch, Frau Ministerin, ich richte meinen Dank aber auch an diejeni- Ministerin. gen, die insbesondere auf deutscher Seite ihren Beitrag Darüber hinaus besteht in den beiden heute vorliegen- geleistet haben, nicht nur finanziell, sondern über mitt- den Anträgen, sowohl im Antrag der Koalitionsfraktio- lerweile zwei Jahre auch inhaltlich. Wir können nun froh nen als auch im Antragder CDU/CSU, Konsens auch sein, dass uns seit etwa vier Wochen das Ergebnis vor- bezüglich der Notwendigkeit der Einbindung in andere liegt. Herzlichen Dank! global ausgerichtete Politikbereiche. In der in beiden (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Anträgen vorgenommenen Bewertung wird dies deut- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ lich. Natürlich ist die jeweilige Schwerpunktsetzung in CSU und der FDP) mancher Hinsicht unterschiedlich. Es wird ja auch Ge- genstand der Fachdebatten in den Ausschüssen sein, Die dieser Debatte vorausgegangene Ausschusssit- welche Schwerpunkte denn nun in den nächsten Jahren zung heute Morgen hat noch einmal deutlich gemacht, prioritär gesetzt werden sollen. Ich verweise vor diesem wie komplex die jeweiligenWechselwirkungen zwi- Hintergrund auf die notwendige Einbindung von The- schen Handelsliberalisierung und Ernährungssiche- menfeldern, die wir schon in früheren Debatten hier im rung ist. Die Bedeutung von Infrastruktur – ich denke an Bundestag, nicht zuletzt auch auf Basis der in einem gro- die Verteilung von Produktionsmitteln in den jeweiligen ßen Kompendium zusammengefassten Arbeitsergeb- Ländern und weltweit, an Dünger und an den Zugang zu nisse und Empfehlungen derEnquete-Kommission Wasser, Stichwort Produktionssteigerung – wird uns – „Globalisierung der Weltwirtschaft“ formuliert ha- das ist zumindest mir und den Teilnehmern der Sitzung ben. Wir sind dabei, die von dieser Kommission be- vor dem Hintergrund der Ausführungen von Dr. Diouf schlossenen Empfehlungen abzuarbeiten, so zum Bei- klar geworden – in den ächstenn Jahren immer wieder spiel, Frau Ministerin, die Schaffung einer nachhaltigen neu beschäftigen. Auch für diese Ausführungen sage ich Agrar- und Ernährungswirtschaft im Zuge der EU- an dieser Stelle herzlichen Dank. Agrarreform, die Förderung fairer Bedingungen bei Pro- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12191

Reinhold Hemker (A) duktion und Handel, wobei hier insbesondere die Verant- hin massenhaft zu Vergiftungen, insbesondere auf den(C) wortung der Konsumenten in den reichen Ländern, die Blumenplantagen. Man muss wissen, dass ungefähr die Produkte der ärmeren Länder kaufen, eine Rolle30 Prozent der Schnittblumen, die bei uns verkauft wer- spielt, und, was ganz wichtig ist, die Schaffung tragfähi- den, von solchen Plantagen kommen. ger Rechtsverhältnisse im Sinne der Prinzipien von Auf der einen Seite werden Frauen als Förderinnen Good Governance und vieles mehr. Hierzu enthalten die und Trägerinnen von Entwicklung insbesondere in der Leitlinien auch sehr deutliche Aussagen. Nahrungsmittelproduktion angesehen, auf der anderen Vor dem Hintergrund unserer eigenen Arbeit in die- Seite aber werden Frauenweltweit durch unsichere sem Parlament, die vielfältige Anregungen auch für die Rechtsstellung und die Verweigerung von Eigentums- Arbeit der Bundesregierung gegeben hat, sind wir mit rechten, zum Beispiel bei Besitz von Grund und Boden dem in Rom im letzten Monat erzielten Arbeitsergebnis für die Bewirtschaftung von Land, diskriminiert. zufrieden, aber natürlich nur, wie das der KollegeDiese und andere Beispiele zeigen: Es ist noch ein Schulte-Drüggelte schon angedeutet hat, vorerst zufrie- weiter Weg bis zur Herstellung der politischen Rahmen- den. Wir können heute nämlich zunächst einmal nur von bedingungen für die Überwindung des Grundwider- einer Willenserklärung sprechen. Gemäß dem Verständ- spruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dem nis der Leitlinien kann Ernährung nun allerdings ganz von uns heute debattierten Bereich. explizit als Menschenrecht bezeichnet werden; denn da- rauf haben sich mehr als 120 Staaten dankenswerterweise Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, mit den Leitlinien geeinigt. Das wird dazu führen, dass die verschiedenen zum Recht auf Nahrung gibt es einen neuen Hebel auf Politikbereiche noch besser als in der Vergangenheit mit- nationaler und internationaler Ebene zur Durchsetzung einander abgestimmt werden müssen. Auch darauf wird der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte ja im Antrag von CDU/CSU verwiesen. von Menschen. 38 Jahre nach dem damaligen Pakt zu diesen Rechten, der zu wenig Anwendung fand, gibt es Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es um jetzt vielleicht einen Erfolg versprechenden Neuanfang. die Anwendung des Kohärenz- und Nachhaltigkeits- Alle in den Anträgen gemachten Vorschläge werden in prinzips in allen Bereichen und Ebenen der Politik; in den Fachberatungen vieler Ausschüsse eine, wie ich unserem Fall heute geht es um die fast zwei Milliarden hoffe, wichtige Rolle spielen. hungernden und verelendenden Menschen vorwiegend in den armen Ländern der Welt. Mitarbeiter von Men- Dem Generalsekretär der FAO möchte ich von dieser schenrechts- und Solidaritätsaktionen haben die Leitli- Stelle aus sagen: Das deutsche Parlament – nicht nur die- nien wegen des Menschenrechtsansatzes schon in ver- jenigen, die heute Morgen als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker hier sind, sondern alle –, ja Deutschland (B) schiedenen Veröffentlichungen der letzten Wochen als (D) starken Hebel zur Bekämpfung des Hungers bezeichnet. wird ein guter Partner derjenigen sein, die gemeinsam Das zeigt ihren Stellenwert für die Arbeit derjenigen, die mit der FAO für die Verbesserung der Welternährungssi- sich Tag für Tag für die Ärmsten der Welt einsetzen. tuation eintreten. Ich bin sicher, dass wir, wenn wir zu- sammenstehen, Schritt für Schritt weiterkommen. Wenn man beide Anträge genau studiert, stellt man fest, dass sie auf den Grundwiderspruch zwischenAn- Herzlichen Dank. spruch und Wirklichkeit verweisen. Da wird zwar im- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mer wieder Freiheit, Land nd u Brot zum Beispiel für DIE GRÜNEN) landlose Bauern gefordert, aber die Wirklichkeit ist weit davon entfernt. Diejenigen, die Land bewirtschaften Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wollen, werden nach wie vor in vielen Ländern dieser Als nächster Redner hat der Kollege Hans-Michael Welt vom Land vertrieben. Mit Blick auf die ILO-Ver- Goldmann von der FDP-Fraktion das Wort. einbarungen wird zwar immer wieder eine angemessene Bezahlung von geleisteter Arbeit gefordert, aber noch (Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: immer werden in einem großen Teil, wenn nicht im Agrardiesel!) größten Teil der Entwicklungsländer Löhne von unter 1 US-Dollar pro Tag gezahlt und nicht nur in freien Pro- Hans-Michael Goldmann (FDP): duktionszonen sind Menschen nicht selten gezwungen, Ich wollte eigentlich mehr auf das Miteinander zu sogar ohne Bezahlung zu arbeiten. Das ist nach wie vor sprechen kommen, als über Agrardiesel reden. Über ein internationaler Skandal. Agrardiesel reden wir dann, wenn das Thema Agrardie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sel ansteht. Jetzt geht es um Welternährungsprobleme DIE GRÜNEN) und deshalb reden wir auch darüber. Sozialstandards werden verweigert. Es wird verlangt, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dass der Mutterschutz weltweit berücksichtigt wird, aber Kollegen! Ich finde es gut, dass wir uns heute in einem in vielen Ländern – im Übrigen auch in den von mir ge- parlamentarischen Einstieg über diese Dinge austau- nannten freien Produktionszonen – werden schwangere schen. Die Kollegen, die hier schon geredet haben, ha- Frauen sofort entlassen. Das ist ein weiterer Skandal. ben ihre intensiven Kenntnisse und die Qualität, die sie bei diesem Thema zu bieten haben, zum Ausdruck ge- Das Verbot des Sprühens von hochgiftigen Pestiziden bracht. Ich habe großen Respekt vor dem, was die ein- wird zwar als notwendig erachtet, aber es kommt weiter- zelnen Redner hier ausgeführt haben. 12192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Hans-Michael Goldmann (A) Ich glaube, dass wir uns bei diesem Thema an keiner sätzlich genutzt werden. Dabei müssen wir immer im(C) Stelle auseinander dividieren sollten, sondern ernst ma- Auge behalten, dass dies alles auf nachhaltige Weise ge- chen sollten mit unserem politischen Willen, das Recht schieht. Dazu sind wir gerne bereit. auf Nahrung für die Menschen zu realisieren, die von Bitte nicht den Produktionsfortschritt diskreditieren, den Welternährungsproblemen betroffen sind. sondern durch ein kluges Miteinander in diesen Berei- Wir haben eine generelle Pflicht; ich glaube, die bei- chen die Leistungsfähigkeit stärken, die Nachhaltigkeit den Anträge bringen das zum Ausdruck. Ich muss ehr- im Auge haben und die Realisierung der Maßnahmen lich sagen: Nachdem ich den CDU/CSU-Antrag gelesen vor Ort! hatte, sah ich für meine Fraktion keinen Bedarf mehr für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einen eigenen Antrag. Es ist ein exzellenter Antrag, der der CDU/CSU) die Bereiche abdeckt, die hier zu diskutieren sind. Wir werden das im Ausschuss tun und dann die richtigen Natürlich ist gutes Regierungshandeln dafür eine Schlüsse ziehen. Grundvoraussetzung. Aber auch wir können etwas dafür Richtig ist: Für viele Menschen ist die Ernährungssi- tun, indem wir zum Beispiel die Grüne Gentechnik für tuation höchst dramatisch. Aber wir dürfen nicht nur ein diesen Bereich als Chance begreifen. Wir sollten sie in Schreckensszenario aufzeigen, sondern wir müssen auch unserem hoch qualifizierten Land erproben und weiter- die vielen Chancen erkennen. Dazu muss der eine oder entwickeln. Aus diesen Erkenntnissen heraus können andere – ich werde es auf jeden Fall tun – seinen Infor- Lösungen erarbeitet werden, die den Betroffenen vor Ort mationsstand verbessern. Als wir in Rom bei der FAO helfen. waren, war ich von der Leistungsfähigkeit der Mitarbei- Wir sollten uns darin einig sein, dass nicht alles ka- ter und von der Aussagekraft der Materialien, die uns an puttgemacht und zerstört werden darf. Wir müssen die die Hand gegeben wurden, sehr beeindruckt. Kräfte bündeln, um diesemProblem insgesamt zu be- So dramatisch die Situationauch ist, so gut ist die gegnen. In diesem Sinne werden wir die Ausschussbera- Perspektive, wenn man das macht, was notwendig ist. tungen begleiten. Ich hoffe, dass wir da ein Stück weiter- Wir haben große Chancen, dem Hunger in der Welt aktiv kommen. zu begegnen, wenn wir die richtigen Weichenstellungen Herzlichen Dank. vornehmen. Die Zuckermarktreform ist ein Baustein. Aber es geht um viel mehr. Es geht im Grunde genom- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) men darum, in allen Bereichen das Miteinander zu stär- ken und das „Fördern und Fordern“ umzusetzen. Wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (B) müssen auf der Grundlage der Erkenntnisse der FAO Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von (D) konkret handeln, damit die Hilfe wirksam wird. Ichder CDU/CSU-Fraktion. glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich war sehr beeindruckt, als ich feststellte, dass aus diesem gesamten Komplex auch Chancen für Bereiche Marlene Mortler (CDU/CSU): entstehen, die wir immer wieder kritisch hinterfragen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ge- Die Weltbevölkerung und damit der Lebensmittelbedarf neraldirektor Diouf! Meine sehr geehrten Damen und wachsen auch in den nächsten Jahren. Wir können aber Herren! Jede Gesellschaft, ob in den Industrienationen große Schritte unternehmen, damit mehr Lebensmittel oder in den Entwicklungsländern, wäre ohne die Arbeit bereitgestellt werden. Wir müssen durch Anreize undund den Einsatz ihrer Bäuerinnen und Bauern ein ganzes wirtschaftliche Hilfe zunächst dafür sorgen, dass diejeni- Stück ärmer. Es gibt wohl keine andere Berufsgruppe, gen, die kein Geld haben, in die Lage versetzt werden, die so stark vom Wetter, vom Markt und von der Politik sich etwas zu kaufen. Wir müssen dieEigenkräfte der abhängig ist. Deshalb brauchen alle Bauern auf der Welt Menschen stärken und den betreffenden Ländern den faire Rahmenbedingungen statt idyllischer Scheinkulis- Marktzugang ermöglichen. Da heißt es demnächst:sen. Butter bei die Fische. Das weiß jeder von uns, der sich mit dem Thema Zuckermarktreform beschäftigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen aber auch die Angebotsproblematik im Was nutzen Bilder von strahlenden Ökobauern, wie Auge haben. Die Erträge müssen gesteigert werden. Wir sie bei der Ministerreise in China präsentiert wurden? müssen damit aufhören, dieintensive Landwirtschaft Sie helfen nicht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. zu diskriminieren. Wenn ich weiß, dass die Ressourcen Ackerland und Wasser begrenzt vorhanden sind, wenn ich weiß, wie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wichtig die eigene Wirtschaft und die Landwirtschaft für der CDU/CSU) den Lebensstandard und die Lebensqualität im Land Intensive Landwirtschaft, die Grüne Gentechnik, inten- sind, brauche ich andere Lösungsansätze. sive Formen der sachgerechten Düngung, kluge Bewäs- (Beifall bei der CDU/CSU) serung und Einsatz von moderner Technik werden dazu beitragen, die Erträge zusteigern. Wir müssen die Er- Hungerkrisen sind komplex. Aber Tatsache ist, dass träge steigern, weil dieWeltbevölkerung wächst. Die die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt steigt. eine oder andere Fläche muss möglicherweise noch zu- Ob Naturkatastrophen, Armut, weit verbreitete Krank- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12193

Marlene Mortler (A) heiten oder die angesprochenen menschengemachtendie Bauern und die bäuerlichen Organisationen und(C) Ursachen wie Krieg, Misswirtschaft und politische Fehl- nicht, wie von Frau Künast praktiziert, die NGOs im Be- entscheidungen korrupter und diktatorischer Regime, sie reich Umwelt und Entwicklung. sprechen eine deutliche Sprache. Traurige Beispiele der jüngsten Zeit sind Sudan, Haiti und Simbabwe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Eine Gegenüberstellung von Getreideernte und Ge- treidebedarf der von der Hungersnot 2002/2003 am Ich begrüße die Aussage von Frau Künast, die gestern stärksten betroffenen Staaten verdeutlicht dies: In Sim- und heute gesagt hat: Deutschland wird die treibende babwe wurden in diesem Jahr 2 Millionen Tonnen Ge- Kraft bei der Zuckermarktreform sein. treide geerntet. Theoretisch benötigt die eigene Bevölke- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat sie nur rung nur 500 000 Tonnen Getreide. Trotzdem hungerten gesagt!) dort die Menschen, weil das Getr eide sie nie erreicht hat. Wir sollten uns nach wie vor vor Augen halten, dass die Vor diesem Hintergrund können und müssen die im Nutznießer einer ungezügelten Liberalisierung wenige September verabschiedeten Leitlinien der FAO zur Hun- Zucker produzierende Familien in Brasilien sind. Feuda- gerbekämpfung mit ihrer Forderung nach einem guten listische Strukturen und großflächige Plantagenwirt- Regierungshandeln an Bedeutung gewinnen. Diese schaften haben dazu geführt, dass Brasilien bereits der Selbstverpflichtungen, die mehr als 120 Länder unter- weltgrößte Zuckerexporteur ist. Niedrige Löhne, weitge- schrieben haben, richten sich an die jeweiligen Regie- hend rechtlose Landarbeiter und eine massive Belastung rungen und machen deutlich, wo als Erstes die Verant- der Umwelt konnten dazu führen, dass Brasilien als wortung bei der Hungerbekämpfung liegt. Nur in Weltzuckerlieferant einen ungehemmten Verdrängungs- Ländern mit ausreichenden rechtsstaatlichen und markt- wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann die interna- wettbewerb betreiben konnte. tionale Staatengemeinschaft bei der Sicherung der Er- Ich begrüße ausdrücklich die weitere Aussage von nährung wirklich und nachhaltig helfen. Dies geschieht Frau Ministerin, die gesagt hat: Wir müssen auch auf die sicherlich immer wieder kurzfristig durch Nahrungsmit- Arbeitsplätze in unserem Land schauen. Auch das ist ja telhilfe. Aber langfristig muss in den hungergefährdeten eine wichtige Forderung der Gewerkschaft Nahrung- Ländern die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion Genuss-Gaststätten. Die zentrale Forderung in unserem im Vordergrund stehen. Antrag lautet ja, dass die fortschreitende Liberalisierung Leistungsfähige landwirtschaftliche Produktions- der Weltagrarmärkte so gestaltet werden sollte, dass sie besonders den ärmsten Entwicklungsländern zugute (B) systeme, die die Kriterien der achhaltigkeit N erfüllen, (D) müssen weiterentwickelt werden. Hier gibt es verschie- kommt, dass andererseits unser europäisches Agrar- dene Mittel, die zum Ziel führen. Aber auch ich unter- modell mit seinen hohen Standards in Bezug auf Um- stütze die Aussage von Herrn Hemker, der deutlich ge- welt-, Tier- und Verbraucherschutz nicht gefährdet wird. macht hat, wie wichtig es ist, dass sich die Menschen vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ort aus eigener Kraft helfen Hans-Michael Goldmann [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die Zukunft war früher auch besser, hat Karl Valentin neten der FDP) einmal gesagt. Aus Sicht der Entwicklungsländer wäre oder dass wir beim Aufbau kleiner landwirtschaftlicher eine Entwicklung, wenn sie in der von mir beschriebe- Einheiten unterstützend mitwirken. nen Richtung verlaufen würde, eine Katastrophe. Des- halb gibt es keine Alternative zu verantwortungsvollem Vor allem aber sollten die Ergebnisse der modernen Handeln. Agrarforschung genutzt werden, wie wir in unserem Antrag – Stichwort: Biotechnologie – fordern. Im Ge- Vielen Dank. gensatz dazu steht der Antrag der Regierungskoalition, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) über den – ich zitiere Bundesminister Schily: „Ein sol- cher Unfug rettet keinen einzigen Erdenbürger vor dem Hungertod“ – in Ihren Reihen wohl sehr unterschiedlich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: diskutiert wird. Ein zweiter Satz von ihm lautete: Ich Ich schließe die Aussprache. verstehe manchmal wirklich nicht mehr, was wir hier ei- gentlich machen. – Das lasse ich einmal so im Raume Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf stehen. Drucksache 15/3956 wie folgt zu überweisen: zur feder- führenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucher- Die immer größer werdende Schere zwischen Arm schutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitbe- und Reich wird auch der vorliegende Antrag nichtratung an den Ausschuss für wirtschaftliche schließen. Ich stehe voll hinter Aussagen des Weltbau- Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Vorlage auf ernverbandes, der sagt: Wenn man Hunger und Armut Drucksache 15/3940 soll an die in der Tagesordnung auf der Welt beseitigen will, muss man mit denjenigen aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es reden und zusammenarbeiten und diejenigen stärken, die dazu weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Nahrungsmittel produzieren. Ich füge hinzu: Das sind sind die Überweisungen so beschlossen. 12194 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Danach gab es ein weiteres Gesetz, das von Sachsen- (C) Anhalt eingebracht wurde: das Vorleistungssicherungssi- Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten cherungsgesetz, das dann relativ schnell aufgegeben Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung von wurde. Dort sollte das Instrument der Fertigstellungsbe- Werkunternehmeransprüchen und zur ver- scheinigung, ein Ungetüm, noch weiter ausgebaut wer- besserten Durchsetzung von Forderungenden. (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) Dann kam die erste Version des Forderungssiche- – Drucksache 15/3594 – rungsgesetzes der Union. Wir haben damals gemeinsam Überweisungsvorschlag: eine Anhörung durchgeführt. Sie werden mir Recht ge- Rechtsausschuss (f) ben, wenn ich sage, dass das ein Debakel für den Gesetz- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen entwurf war. Daher ist dieser Gesetzentwurf nicht wei- terverfolgt worden. Mir liegen widersprüchliche Informationen dazu vor, ob die Reden zu Protokoll genommen werden sollen Ich erinnere daran, dass damals die Idee des verlän- oder ob sie gehalten werden sollen. gerten Eigentumsvorbehalts an eingebauten Sachen dis- kutiert wurde. Es wurde relativ schnell deutlich, dass sie (Dr. Uwe Küster [SPD]: Es wird gesprochen!) weder in die Systematik des Sachenrechts passte noch in irgendeiner Form praktikabel war. Auch in anderen Be- Jeder, der sprechen will und als Redner gemeldet ist, reichen, unter anderem im prozessualen Teil, beim so ge- kann natürlich sprechen. nannten Voraburteil, zeigte sich relativ schnell, dass das Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen DirkGesetz nicht die erhoffte Wirkung erzielen würde. Manzewski von der SPD-Fraktion das Wort. Das zeigt deutlich – aus diesem Grund sage ich das, damit ist keine Häme verbunden, schließlich muss man Dirk Manzewski (SPD): selbstkritisch sein –, wie schwierig es auf gesetzgeberi- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir scher Ebene ist, das Problem dermangelnden Zah- debattieren heute über einen Gesetzentwurf des Bundes- lungsmoral zu lösen. Wir reden immer davon, dass wir rates, den Entwurf eines so genannten Forderungssiche- zu viele Gesetze haben. Ich meine, dass wir Gesetze nur rungsgesetzes. Ziel dieses Gesetzes soll es sein, berech- dann verabschieden sollten, wenn wir der Auffassung tigte Forderungen von Handwerkern schneller undsind, dass diese auch tatsächlich zielführend sind. leichter zu sichern. So löblich ich persönlich dieses An- liegen des Bundesrates finde, so deutlich muss ich aller- Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf habe ich Beden- ken. Kernstück des Gesetzentwurfs ist § 302 a, die so ge- (B) dings auch sagen, dass ich erhebliche Bedenken habe, ob (D) mit diesem Gesetzesentwurf das damit verbundene Ziel nannte vorläufige Zahlungsanordnung. Er soll ermög- tatsächlich erreicht wird. Es ist ja nun nicht das erstelichen, dass aufgrund einer fundierten Prognose das Mal, dass wir uns hier über diese Thematik unterhalten. Gericht schon vor Eintritt einer Entscheidungsreife einen Ich erinnere daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit Zahlungsanspruch titulieren kann. Angedacht ist das vor das so genannte Gesetz zur Beschleunigung fälliger allem für die Fälle, bei denen zum Beispiel eine notwen- Zahlungen beschlossen haben. Man muss ehrlicher-dige Beweisaufnahme noch aussteht und die Verfahren weise eingestehen – das war auch das Ergebnis dergegebenenfalls in die Länge gezogen werden. Die Idee Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zah-klingt zunächst nicht schlecht. Aber was sollen das für lungsmoral“, die daraufhin eingesetzt worden ist –, dass Fälle sein, in denen einerseits noch keine Entscheidungs- es eben nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Wir reife, wohl aber eine hohe Erfolgsaussicht vorliegen waren uns allerdings darin einig – wenn ich einmal von soll? der Fertigstellungsbescheinigung absehe –, dass die Er- Welcher Richter – ich bin jahrelang Richter gewesen – wartungen ohnehin nicht so hoch waren. Es hat auchwird eine hohe Erfolgsaussicht bei einer noch ausstehen- noch weitere Gesetzesentwürfe gegeben. Frau Voßhoff, den Beweisaufnahme bejahen? Gerade weil sich der ich erinnere an das von der Union vorgeschlagene Bau- Richter unsicher fühlt, wird auswärtiger Sachverstand vertragsgesetz, das damals im Grunde genommen schon durch einen Gutachter eingeholt. Kleine Feuchtigkeits- an seinem ersten Paragraphen scheiterte, in dem es hieß, schäden können ihre Ursache in einer fehlerhaften Dach- dass dieses Gesetz nur für Gewerke an einem Bau gelten konstruktion haben; ein welliges Parkett kann nicht nur solle. Relativ schnell wurde allerdings deutlich, dass all durch eine falsche Verlegung, sondern auch durch ein diejenigen Handwerker nicht berücksichtigt wurden, die nicht winterfestes Fundament verursacht sein. All das Gewerke für einen Bau liefern. Sie erinnern sich auch, kann der Richter nicht sofort abschätzen und er kann die dass der gesamte Einfamilienhausbau von den Regelun- Schäden nicht sofort kalkulieren. gen ausgeschlossen werden sollte. Die Handwerker rea- gierten dementsprechend wütend, weil sie an dieses Ge- Der Bundesrat meint nun, als Hilfestellung für die Be- setz ganz andere Erwartungen hatten. Damals hieß die urteilung einer Erfolgsaussicht könne zum Beispiel ein prozessuale Wunderwaffe Vorabentscheidung; die Bau- qualifiziertes Privatgutachten dienen, wenn dieses Gutach- handwerkersicherungshypothek sollte abgeschafft wer- ten von einem renommierten Wissenschaftler stamme. den. Auch das Gesetz zur Sicherung von Bauforderun- Mal ganz ehrlich: Ich möchte den Richterkollegen sehen, gen sollte – bis auf die Vorschriften, die ins BGBder sich von einem Privatgutachten beeindrucken lässt übernommen werden sollten – aufgehoben werden. Sie und auf dessen Grundlage eine Entscheidung fällt. Wir werden sich sicher daran erinnern. wissen doch alle, wie wir solche Privatgutachten zu be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12195

Dirk Manzewski (A) werten haben: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Eine gesamte Konfliktpotenzial, das sich im Grunde auf das (C) hohe Erfolgsaussicht soll auch dann bestehen, wennVerhältnis zwischen Generalunternehmer und Subun- zwar schon ein gerichtliches Gutachten vorliegt, aber ternehmer reduziert, im Werkvertragsrecht zu regeln – vielleicht gerade deshalb – noch die Einholung eines oder ob wir uns nicht grundsätzlich Gedanken darüber weiteren Gutachtens notwendig ist. machen sollten, eine andere Lösung vielleicht in Form Ich wundere mich übrigens, dass heute kein Vertreter eines gesonderten Gesetzes zu finden. Ich würde mich des Bundesrates hier ist, um den Entwurf zu verteidigen. freuen, wenn Sie sich andieser Diskussion beteiligen Welche Vorstellung hat man? Ein Richter, der noch ein würden. Wir sollten uns ein wenig unabhängiger von weiteres Gutachten für notwendig erachtet, weil er das Vorschlägen, die aus demBundesrat kommen, machen erste für nicht ausreichendhält, wird kaum eine fun- und uns zusammensetzen, um zu einer überfraktionellen dierte Prognose über den bisherigen Sachstand treffen. gemeinsamen Lösung zu kommen. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Instrument der Ich danke Ihnen. vorläufigen Zahlungsanordnung wird nicht so erfolg- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ reich sein, wie es der Bundesrat hofft. Es wird schon DIE GRÜNEN) deshalb nicht erfolgreich sein, weil sich die Richter- schaft nicht vorschneller Fehlentscheidungen aussetzen wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Im Gegenteil: Ich gehe eher davon aus, dass das In- Voßhoff von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. strument die Verfahren vor Gericht noch verlängern wird; denn der Druck aus der Bauwirtschaft auf die An- waltschaft, Herr Kollege Funke, wird enorm sein, zu- Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): mindest einen solchen Antrag zu stellen. Die Rechtsan- Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! wälte werden dementsprechend gezwungen sein, zuInsbesondere Ihre letzten Worte, Herr Manzewski, haben reagieren. Das wird die Konsequenz beinhalten, dassmich sehr erfreut. Ihre Anregung, dass wir uns unabhän- sich der Richter außerhalb der Reihe noch einmal mit der gig von diesem Gesetzentwurf mit der Frage beschäfti- Sache beschäftigen muss, um eine – wenn auch ableh- gen sollten, ob wir vielleicht ein individuelles Bauver- nende – Entscheidung zu treffen. tragsrecht gebrauchen könnten, kann ich nur begrüßen. Gleiche Bedenken habe ich im Übrigen auch bezüg- Dazu komme ich aber noch. lich des Teilurteils. Auch bei den beabsichtigten Verän- Dass wir uns heute wieder einmal mit dem Thema derungen zur Abschlagszahlung habe ich erhebliche (B) „Sicherung von Werklohnforderungen“, bekannt auch(D) Bedenken, ob Bauen dann nur noch mit Baubetreuern unter der Überschrift „Bekämpfung mangelnder Zah- bzw. Architekten möglich ist. lungswilligkeit insbesondere im Bauhandwerk“, in die- Ich komme zum Schluss. Wir sollten darüber nach- sem Hohen Hause befassen müssen, war eigentlich zu denken, ob dieser Gesetzentwurf die tatsächlichen Ursa- erwarten. Mit der Gesetzesinitiative des Bundesrates für chen des Problems bekämpft. Meiner Auffassung nach ein Forderungssicherungsgesetz steht also wieder einmal haben wir es mit etwas anderem zu tun. Ich habe unzäh- die Frage nach Änderungen des Werkvertragsrechts auf lige solcher Verfahren als Richter erlebt und die Diskus- der Tagesordnung des Bundestages. sionen zur Beschleunigung fälliger Zahlungen mit den Dies hätte nicht sein müssen, wenn Sie, meine Damen Betroffenen geführt. Dabei wurde schnell deutlich, wo und Herren von Rot-Grün, in dieser Frage bereits im die Probleme, und zwar auch die, die man gegebenen- Jahre 1999 konsequenter gehandelt hätten. Alarmiert falls auf Landesebene durch den Einsatz von mehr Rich- durch eine insbesondere Ende der 90er-Jahre stetig stei- tern und Verbesserungen bei der Gutachtenerstellung lö- gende Zahl an Handwerkerinsolvenzen speziell im Bau- sen könnte, liegen. Die Probleme haben damit zu tun, bereich, deren Ursache nachweislich oftmals hohe For- dass die Handwerker ihre rechtlichen Möglichkeiten oft derungsaußenstände waren, hat die CDU/CSU-Fraktion nicht kennen. Dieses Problem werden wir gesetzgebe- im Jahr 1999, also bereits vor fünf Jahren, mit dem Ge- risch nicht lösen können. Die Probleme haben aber auch setzentwurf zur Verbesserung der Durchsetzung von damit zu tun, dass sich mancher überreden lässt, die For- Forderungen der Bauhandwerker und erneut im derung nicht geltend zu machen, weil zum Beispiel Fol- Jahr 2002 gesetzgeberischen Handlungsbedarf ange- geaufträge in Aussicht gestellt werden. mahnt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, haben Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. seinerzeit unter dem politischen Druck unseres damali- gen Gesetzentwurfes, aber wohl auch auf Druck vieler Dirk Manzewski (SPD): Handwerksverbände, also mehr getrieben als überzeugt, das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen in Zwei Sätze noch, Herr Präsident. – Auch das werden den Bundestag eingebracht und mit Ihrer Mehrheit wir niemals gesetzgeberisch lösen. Deswegen habe ich durchgesetzt. Dieses Gesetz ist bekanntermaßen seit erhebliche Bedenken. dem Jahr 2000 in Kraft. Mit einigen, in der Wirkung lei- Für mich stellt sich auch die Frage – damit komme der nur minimalen Stellschrauben im Werkvertragsrecht ich zum Schluss –, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieses glaubten Sie sich einer stigen lä Pflicht entledigen zu 12196 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Andrea Astrid Voßhoff (A) können. Ergebnis ist: Sie haben etwas getan, ohne viel guter Schleifstein, um das stumpfe Schwert Ihres Geset- (C) bewirkt zu haben. zes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen aus dem Jahr 2000 zu schärfen. Herr Manzewski, Sie verwandten heute im Zusam- menhang mit der Fertigstellungsbescheinigung zu Recht Dass die Frage, inwieweit die mangelnde Zahlungs- den Begriff „Ungetüm“. Das war es von Anfang an. Sie willigkeit scharfer rechtlicher Instrumente bedarf, unter erinnern sich vielleicht auch noch an die damalige Anhö- Juristen nicht unumstritten ist, ist mir bewusst; Sie haben rung, in der schon darauf hingewiesen wurde, dass sie so eingangs die Diskussionslage erwähnt, Herr Manzewski. nicht praktikabel ist. Sie haben dieses Instrument mit Die Justizministerin hat – ich sagte es gerade – den Er- vielen Vorschusslorbeeren versehen. Dieses Konstrukt kenntnisprozess vollzogen: Sie lobt seit einiger Zeit bei sollte ein prozessualer Hebel sein, um dem Handwerker verschiedensten Veranstaltungen der Wirtschaft und einen Zahlungsanspruch schneller zuzusprechen. Heute auch in Pressemitteilungen die wesentlichen Inhalte die- sind wir uns in diesem Hause offenbar einig, dass dieses ses Gesetzentwurfes aus dem Bundesrat. In einer Rede Instrument wirkungslos geblieben ist. Man kann auch vor dem Bund Deutscher Inkassounternehmen wies Frau sagen: Es war ein Flop. Zypries vor wenigen Monaten darauf hin, dass derzeit Im damaligen Beratungs- und Anhörungsverfahren nur zwei von drei Firmen des deutschenMittelstandes haben Sie sich auch hinsichtlich anderer Punkte als rela- ihr Geld fristgerecht erhalten. Frau Zypries weiter: tiv beratungsresistent erwiesen, meine Damen und Her- Deswegen ist effektiver und professioneller Forde- ren von Rot-Grün, und viele Vorschläge abgelehnt, die rungseinzug nicht nur justizentlastend, sondern er sich im Übrigen heute im Bundesratsentwurf wiederfin- trägt auch dazu bei, Unternehmen vor dem Konkurs den, weil Sie wohl erkannt haben, dass sie an vielen Stel- zu retten. len positiv und wirkungsvoll sein können. Sie sind in vielen Punkten deckungsgleich mit unseren Forderun- – „Wohl wahr, Frau Ministerin!“, würde ich sagen, wenn gen, die wir in die vorhin erwähnten Gesetze eingebracht sie hier wäre. Zu spät komm t diese Erkenntnis. Auf diese haben. Einsicht haben viele Handwerker seit Jahren gewartet, manche von ihnen vergebens. Ich denke, wir werden in Wir hatten bereits in unserem Entwurf eines Forde- den anstehenden Beratungen genügend Gelegenheit ha- rungssicherungsgesetzes aus dem Jahr 2002 Korrek- ben, über die sinnvollen Detailvorschläge des Entwurfs tur-, Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge zu Ihrem aus dem Bundesrat und ihre Wirkungsweise ausführlich Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen gemacht. zu diskutieren. Sie haben sie damals nicht übernommen. Sicherlich ent- hielt auch unser Gesetzentwurf strittige Themenfelder. Dabei sollten wir uns aucheinmal mit der sprachli- (B) Sie haben einige erwähnt. Das ist immer so, wenn man chen Ausgestaltung der vorliegenden Änderungsvor-(D) juristisches Neuland betritt. Das ist außerordentlichschläge auseinander setzen. schwierig. ( [FDP]: Das kann man wohl (Dirk Manzewski [SPD]: Dann machen Sie sagen!) uns das nicht zum Vorwurf!) Der eine oder andere Mammut- oder Schachtelsatz, den Mit dem Instrument der vorläufigen Zahlungsanord- man beim Studium des Entwurfes las, aber auch Formu- nung soll jetzt eine Rechtsschutzlücke bei Prozessen, die lierungen wie „verdiente Vergütung“ in § 648 a des Ent- durch eine umfangreiche Beweislage langwierig sind, wurfes bergen Interpretationsprobleme und schaffen ge- geschlossen werden, wie es übrigens auch das Vorab-gebenenfalls neue Rechtsunsicherheiten. Ich sage dies urteil wollte. auch im Lichte der Diskussion, die wir bei der Sitzung des Rechtsausschusses in Bonn aus Anlass des Deut- In der Pressemitteilung der Justizministerin Zypries schen Juristentages mit Herrn Professor Kirchhof ge- steht zur vorläufigen Zahlungsanordnung zudem etwas führt haben. anderes, als Sie hier vorgetragen haben, Herr Manzewski. Die Bundesregierung ist offenbar jetzt end- Ich würde mich im Übrigen auch freuen – insofern lich zu der Erkenntnis gelangt, dass gehandelt werden nehme ich Ihre Schlussworte dankend auf, Herr muss und dass das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Manzewski –, wenn wir uns einmal mit der Grundfrage Zahlungen nicht das gebracht hat, was man sich davon auseinander setzen würden, ob das Werkvertragsrecht in versprochen hat. seiner Grundstruktur den Besonderheiten des Baurechts ausreichend Rechnung trägt. Wir wissen, dass die Ver- (Dirk Manzewski [SPD]: Sie gestehen mir aber zu, tragsgestaltung im Bereich des Bauvertrages außeror- dass ich die gleiche Meinung habe!) dentlich komplex ist; er gehört zu den so genannten Auch die vom Bundesrat jetzt geforderte erleichterte komplexen Langzeitverträgen. Wir fragen uns immer Ausgestaltung von Abschlagszahlungen sowie die Mo- wieder: Reichen die Instrumente des Werkvertragsrech- dernisierung des Gesetzes zur Sicherung von Bauforde- tes für die spezifische Form des Bauvertrages aus? Die rungen und die weiteren Maßnahmen zur besserenBesonderheit des Werkvertragsrechtes liegt – auch wenn Durchsetzung titulierter Forderungen begrüßen wir dem es an einer Stelle durch die Änderungen durch das Grunde nach, haben wir sie doch – ich sagte es bereits – Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen durch- in unserem Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes brochen wurde – immer noch darin, dass es nicht nur bereits gefordert. Insofern ist der Bundesratsentwurf ein eine große Typenvielfalt von Werkvertragsgestaltungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12197

Andrea Astrid Voßhoff (A) unter einem Dach vereint, sondern dass es wegen derund mittelständischen Wirtschaft immer wieder auf die (C) großen Vorleistungspflicht ein hohes Risiko für denparlamentarische Tagesordnung gebracht haben. Werkunternehmer beinhaltet. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die guten Vorschläge in Auch der unzweifelhafte Vorzug der Abstraktheit der diesem Gesetz umzusetzen. Normen des Werkvertragsrechts hat wegen der auffälli- Vielen Dank. gen Besonderheiten des Baurechts ein mehr als beacht- liches Ausmaß an Richterrecht in den vergangenen Jah- (Beifall bei der CDU/CSU) ren ausgelöst. Ferner stellt sich die Frage, ob die VOB, die ja eigentlich für die speziellen Belange der öffentli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen Hand gedacht war, nicht zunehmend die Funktion Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von eines Ersatzrechtes übernommen hat. Bündnis 90/Die Grünen. (Rainer Funke [FDP]: Ist doch gut!) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Das muss man nicht kritisieren; aber man kann es ein- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- mal thematisieren. In seiner rechtlichen Grundstruktur lege Manzewski hat bereits die Vorgeschichte dieses hebt das Werkvertragsrecht doch im Wesentlichen auf Gesetzentwurfs des Bundesrates, der uns erreicht hat, den einmaligen, punktuellen Leistungsaustausch ab. Der dargestellt. Wir haben es schon in der letzten Legislatur- Bauvertrag aber gehört zu den komplexen Langzeitver- periode mit einem Gesetzentwurf zu einem Forderungs- trägen – ich sagte es – mit einer Vielzahl von Änderun- sicherungsgesetz zu tun gehabt. Dieser Gesetzentwurf ist gen und zusätzlichen Leistungen: Kaum ein Bauwerkauf erhebliche Kritik gestoßen. Er war einseitig ausge- wird so ausgeführt, wie es ursprünglich geplant bzw. be- richtet und in ihm wurden die Verbraucherinteressen stellt war. Sind wir deshalb nicht vielleicht aufgefordert, nicht berücksichtigt. Die Vorschläge waren einerseits un- in den anstehenden Ausschussberatungen nicht nur die praktikabel und andererseits rechtlich unhaltbar. Deswe- Details dieses Entwurfes zu beraten, sondern nochmals gen war es völlig richtig, dass dieser Gesetzentwurf der Grundfrage nachzugehen, ob der Gesetzgeber das nicht Gesetz geworden ist. Bauvertragsrecht nicht innerhalb des BGB auf geeigne- Über das Instrument des vorgeschlagenen Eigentums- tere gesetzliche Grundlagen stellen sollte? Ist Justitias vorbehalts für eingebaute Sachen als ein Beispielfall der Waagschale bei der – zwar durch die Übernahme dermissglückten Vorschläge hat Herr Kollege Manzewski Abschlagszahlungsregelung aus der VOB durchbroche- bereits berichtet. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir nen, aber im Kern immer noch bestehenden – Pflicht des allesamt – ich nehme an, auch die Opposition – diesen Unternehmers zu hohen Vorleistungen noch im Gleich- (B) Gesetzentwurf sehr kritisch überprüfen und nicht einfach (D) gewicht? Ich stelle diese Frage weniger im Hinblick auf nur loben, dass wieder ein Gesetzentwurf in dieser Sache das Verhältnis des privaten Häuslebauers zu seinem Bau- vom Bundesrat kommt. Wir müssen genau schauen, wel- unternehmer, eher mit Blick auf das Verhältnis eines Ge- che Vorschriften das sind und was sie bringen können. neralunternehmers zu seinem Subunternehmer. Ist es dem Vertrauen in den Rechtsstaat dienlich, wenn viele Ich finde die Problembeschreibung in dem Gesetzent- Handwerker den Eindruck haben, dass dieser Rechts-wurf zwar richtig, aber äußerst einseitig. Es werden zwar staat ihnen das Recht verweigert und den Schuldnern ge- die Situation der Werkunternehmer, der Handwerker, der stattet, sich hinter Vorschriften zu verstecken? mittelständischen Unternehmen, die zunehmende An- zahl an Insolvenzen, die langen Streikdauern und Forde- In der Rechtsgeschichte des Werkvertragsrechtes ge- rungsausfälle bekannt gemacht; auf die andere Vertrags- hen Bestrebungen in dieser Frage bis in das Jahr 1909 partnerseite, nämlich die Besteller und Auftraggeber, zurück, wie durch das damals zwar unvollständige, aber sowie auf ihre Rechte wird in diesem Gesetzentwurf heute noch geltende Gesetz über die Sicherung von Bau- aber weder im Vorwort noch in der Begründung, noch in forderungen deutlich wird. Die Bundesregierung hat in den Vorschriften irgendwie eingegangen. Deswegen ihrer Stellungnahme zum Bundesratsentwurf darauf hin- denke ich, dass wir uns auch genau diesem Problem zu- gewiesen, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe beab- wenden müssen, weil ich nicht einsehe, dass der Ver- sichtigt, sich auch weiterhin mit der Überprüfung desbraucher, der private Häuslebauer, wegen Pfusch am Bauvertragsrechtes – auch unter Verbraucherschutzge- Bau und wegen einer schlechten Werkleistung immer sichtspunkten – befassen zu wollen. Ich würde mir wün- mehr ins Nachsehen kommen soll. schen, meine Damen und Herren Kollegen, dass wir in diesem Hause das Thema ebenso aufnehmen und es (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) nicht allein der Länder-Bund-Arbeitsgruppe überlassen. Wir können die Verschiebung der grundlegenden Mir erscheint eine Befassung des Parlaments – konkret: Normen des Werkvertragsrechts, nach denen der Werk- des Rechtsausschusses – mit diesem Thema geboten und unternehmer in Vorleistung zu treten hat und die Bezah- sinnvoll. lung des Werkes erst dannerfolgt, wenn es mängelfrei abgeliefert worden ist, nicht fortwährend scheibchen- Ich darf an dieser Stelle abschließend der Bund-Län- weise verschieben, ohne zu bedenken, dass der Besteller der-Arbeitsgruppe für ihre bisherige Arbeit in der Frage damit in eine nachteilige Situation gerät. der Verbesserung der Sicherung von Bauforderungen danken. Mein Dank gilt sbesondere in aber auch den Für mich wäre die Nichterwähnung dieser Vertrags- Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bran- partnerseite in dem Gesetzentwurf kein so großes Pro- denburg, die dieses Thema im Interesse unserer kleinen blem gewesen, wenn mir nicht gleichzeitig die auch in 12198 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Jerzy Montag (A) dem Entwurf enthaltene Frage nach der angeblichen Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Zahlungsmoral – dieser Begriff wird aber auch ander- Dann will ich es dabei bewenden lassen. – Wir wer- weitig verwendet – aufgestoßen wäre. Ich glaube nicht, den diesen Gesetzentwurf in den Beratungen des Rechts- dass die Tatsache, dass es Insolvenzen und lange Streik- ausschusses ganz genau studieren, uns in einer Anhö- dauern gibt, damit zu tun hat, dass die Moral bei denrung die Auffassung der beteiligten Kreise anhören und Vertragspartnern brüchig ist, und dass es lediglich darauf dann zu einer vernünftigen Lösung kommen. ankommt, die Moral der einen Seite zu heben, damit sie fällige und berechtigte Forderungen anerkennt und be- Danke. zahlt. Die Vorschriften, die der Bundesrat als Vorschläge formuliert, sind nicht geeignet, die Moral der einen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tragsseite zu heben. und bei der SPD)

In dem Gesetzentwurf wird behauptet, dass gerade die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Das Wort hat der Kollege Rainer Funke von der FDP- die strukturellen Schwächen des Werkvertragsrechts zu Fraktion. diesen Problemen in der Praxis führen. Schauen wir uns diese Vorschläge einmal an. Rainer Funke (FDP): Ich muss Ihnen sagen, dass mir das bei lediglich einer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vierein- Vorschrift unmittelbar einleuchtet: Es ist der neue § 641 halb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Be- Abs. 2 BGB, bei dem es um das Problem des Subunter- schleunigung fälliger Zahlungen müssen wir feststellen, nehmers geht. Der Subunternehmer hat einen fälligen dass die von der Bundesregierung damals mit dem Ge- Anspruch in dem Moment, in dem der Besteller den Ge- setz angestrebten Ziele nicht erreicht wurden. Uns liegt neralunternehmer bezahlt hat. Da er aber von der Bezah- heute der Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes lung nichts weiß und nicht einmal einen Auskunftsan- nun schon zum zweiten Mal vor, nachdem wir ihn in der spruch hat, ist der Subunternehmer – das ist faktisch in letzten Legislaturperiode – wohlgemerkt aus gutem vielen Fällen so – in einer benachteiligten Position. Inso- Grund, Frau Kollegin Voßhoff – gegen die Wand haben fern finde ich, dass diese Neuregelung durchaus diskus- fahren lassen, indem wir uns mit diesem unfertigen Ge- sionswürdig ist. Aber bei den anderen Vorschlägen habe setzentwurf nicht befasst haben. ich Zweifel, ob sie die Zahlungsmoral heben und den Werkunternehmern helfen werden. Werkunternehmer – auch das muss man allerdings feststellen –, insbesondere die der Baubranche, leiden (B) Zu der Frage der vorläufigen Zahlungsanordnungnoch immer unter Forderungsausfällen. Die Bemühun- (D) durch einen neuen Titel in der Zivilprozessordnung, eine gen zur Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedin- Art vorweggenommene vorläufige Vollstreckbarkeit,gungen zur Durchsetzung von Forderungen und zur Stär- aber mit Sicherheitsleistung und Abwendungsbefugnis, kung der Zahlungsmoral können wir zwar vor allem im hat der Kollege Manzewski schon das Nötige gesagt. Ich Hinblick auf die bisherigen unzureichenden Reformen kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland viele der Bundesregierung begrüßen. Die angeschlagene und Richter geben wird, die eine hohe Erfolgsaussicht attes- immer schlechter werdende wirtschaftliche Lage der Un- tieren, bevor das Verfahren Entscheidungsreife erlangt ternehmen, insbesondere in der Bauwirtschaft, muss hat. Dann aber ist ein Endurteil fällig. aber gestützt und aufgefangen werden. Im materiellen Recht kommt auf uns der Vorschlag zu (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. ) – damit will ich meine Darstellung der Punkte Im Handwerk führen – darauf hat die Bundesjustizmi- schließen –, nicht mehr Abschlagszahlungen für in sich nisterin zu Recht hingewiesen – die Forderungsausfälle abgeschlossene Werkteile, sondern für jegliche Werk- sogar dazu, dass zwei von drei Insolvenzen unter ande- teile einzuführen, die der anderen Seite in nicht entzieh- rem auf die mangelnde Zahlungsmoral ihrer Kunden zu- barer Weise zur Verfügung gestellt werden. Man kann rückzuführen sind. Der rliegende vo Gesetzentwurf das auch so verstehen, dass der Gastwirt in Zukunft die erfüllt aber nicht die Voraussetzungen, um diesen Tatbe- Suppe löffelweise abrechnen kann, weil er sie dem Gast, stand zu beseitigen. Herr Kollege Montag und Herr Kol- wenn dieser sie heruntergeschluckt hat, nicht mehr ent- lege Manzewski haben eben schon ausführlich darauf ziehen kann. Beim Hausbau wäre jeder Ziegel abrechen- hingewiesen, welche Bedenken gegen diesen Gesetzent- bar, sobald der Mörtel hart geworden ist. Ich glaube,wurf vorliegen. Wir haben ebenfalls große Zweifel an dass solche Regelungen die Zahlungsmoral nicht heben diesem Gesetzentwurf, auch wenn die Bundesjustiz- werden und dadurch das Vertrauensverhältnis der Werk- ministerin den Gesetzentwurf des Bundesrates lobt. vertragspartner nicht gestärkt wird. Ich glaube, dass zunächst einmal die Bundesländer Ich komme noch zu drei Punkten im Gesetzentwurf. selber aufgerufen sind, den unhaltbaren Zuständen bei den Gerichten durch bessere Personalausstattung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Nein, Herr Kollege Montag, ich habe Ihnen schon der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE sehr viel mehr Redezeit eingeräumt. GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12199

Rainer Funke (A) und durch bessere Besoldung der Sachverständigen ent- liche Verbesserung der Situation hängt davon ab, dass(C) gegenzutreten, um so zu schnelleren Verfahren zu kom- die Handwerker von den heute schon zur Verfügung ste- men. Damit wäre auch der Bauwirtschaft geholfen. henden Instrumentarien tatsächlich Gebrauch machen. Den Bauhandwerkern ist das eine oder andere Recht, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das sie heute schon haben, nicht hinreichend bekannt. Dazu bedarf es aber keines neuen Gesetzes, sondern All das sollte uns aber nicht davon abhalten, weiter an dazu bedarf es der Aufklärung durch die jeweiligen Lan- möglichen, wenn vielleicht auch nur kleinen Verbesse- desregierungen rungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Der Bundesrat hat dafür den Entwurf eines Forderungs- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag sicherungsgesetzes beschlossen, der im Wesentlichen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auf die Arbeitsergebnisse der beim Bundesministerium und es bedarf der Aufklärung durch die Handwerker-der Justiz eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe schaft selbst oder durch die Bauindustrie. Wir haben ge- „Verbesserung der Zahlungsmoral“ zurückgeht. Diese nügend gesetzliche Möglichkeiten, hier Abhilfe Arbeitsgruppe zu hat den ursprünglichen Gesetzentwurf der schaffen. Also: mehr Eigenhilfe, anstatt immer gleich Länder Thüringen und Sachsen deutlich verbessert. So nach dem Gesetzgeber zu rufen! konnte beispielsweise der systemwidrige Eigentumsvor- behalt der Bauhandwerker an eingebauten Materialien Wir werden uns dieses Gesetz des Bundesrates genau verhindert werden. ansehen. Wir werden sehr kräftig nacharbeiten müssen, wenn wir dieses Gesetz überhaupt passieren lassen. Die Das Forderungssicherungsgesetz in seiner jetzigen Frage eines großen Werkvertragsrechts ist zwar eine sehr Form ist ein guter Ausgangspunkt für die parlamentari- ambitionierte Angelegenheit, ich glaube aber, dass wir schen Beratungen. Ziel müssen Regelungen sein, die jetzt zwei Jahre Zeit haben, das noch ins Werk zu setzen. dazu beitragen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Wenn alle mitarbeiten, Herr Manzewski, Herr Montag die Handwerker zu verbessern, ohne dabei berechtigte und Frau Voßhoff, dann können wir es schaffen. Verbraucherinteressen zu vernachlässigen. Die geplan- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ten Änderungen sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozessrechts zielen nach Auffassung der Bundesre- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie des gierung in die richtige Richtung. Sie sollen vor allem Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- handwerkliche Betriebe in die Lage versetzen, fällige NEN]) Zahlungen gegenüber ihren Auftraggebern in deutlich kürzerer Zeit durchzusetzen. Die Bundesregierung be- (B) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: fürwortet aus diesem Grund den Entwurf als einen guten (D) Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ansatz, steht aber auch Verbesserungsvorschlägen un- Hartenbach. eingeschränkt aufgeschlossen gegenüber. Ich will aus der Vielzahl der Vorschläge nur zwei Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Punkte herausgreifen. desministerin der Justiz: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Erstens die vorläufige Zahlungsanordnung: Dabei liebe Kollegen! Ich darf zunächst einmal auch meiner handelt es sich um ein neues Rechtsinstitut in der ZPO, Enttäuschung darüber Ausdruck verleihen, dass keinmit dem eine Lücke im Rechtsschutz geschlossen wer- Vertreter der hoch gelobten Länder Sachsen und Sach- den soll. So gibt es bestimmte Prozessarten, in denen das sen-Anhalt und wie sie alle heißen mögen heute hier ist. Gericht typischerweise Sachverständigengutachten zu einzelnen Fragen einholen muss. Ich denke hierbei nicht (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy nur an Bauprozesse, sondern auch an Miet- und Scha- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und denersatzklagen. des Abg. Otto Fricke [FDP]) Es genügt nicht – das sage ich fürAuch wenndie nach der Durchführung eines Teils der Bundesregierung –, dass man ein solches Gesetz imBeweisaufnahme mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Bundesrat einbringt, man muss es auch dort, wo es ver- davon auszugehen ist, dass die Klageforderung zumin- abschiedet wird, vorstellen. dest zum Teil berechtigt ist, muss der Kläger nach der- zeitiger Rechtslage häufig noch lange auf sein Geld war- Bestimmt weiß jeder von Ihnen, liebe Kolleginnenten. Ich möchte das anhand eines Beispiels erläutern. und Kollegen, von Handwerkern zu berichten, denen trotz gar nicht schlechter Auftragslage das Geld ausgeht, Ein Kläger ist durch einen Verkehrsunfall, der von bei denen „Feuer unterm Dach“ ist. Immer wieder ist da- mehreren Beteiligten verursacht worden ist, schwer ver- bei die Klage über die schlechteZahlungsmoral der letzt worden. Wenn das Gericht von der Haftung zumin- Kunden zu hören. Ich verstehe das gut, muss aber an die- dest eines der Schädiger überzeugt ist, aber hinsichtlich ser Stelle auch in Ihre Richtung, verehrte Frau Kollegin der anderen Beteiligten noch Aufklärungsbedarf besteht, Voßhoff, eines betonen: In der Praxis hat sich gezeigt, dann kann gegen diesen Schädiger in der Regel kein dass die Schwierigkeiten handwerklicher Betriebe imTeilurteil ergehen – es sei denn, er erkennt an –, weil die Kern gerade nicht auf eine Unzulänglichkeit der zivil- theoretische Möglichkeit besteht, dass sich Teil- und rechtlichen Vorschriften zurückzuführen sind. Eine wirk- Schlussentscheidung widersprechen. 12200 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Ich halte es für gerechtfertigt, in solchen Fällen dem rer Vorschriften (Zweites Fallpauschalenände- (C) Gericht die Möglichkeit zu bieten, dem Kläger die Kla- rungsgesetz – 2. FPÄndG) geforderung, die dafür eine hohe Aussicht auf Erfolg ha- ben muss, zuzusprechen und eine vorläufige Zahlungs- – Drucksache 15/3672 – anordnung zur Abwendung besonderer Nachteile, die (Erste Beratung 121. Sitzung) sich aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer ergeben, zu erlassen. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem Denken Sie bitte an Ihre Redezeit! für Krankenhäuser und zur Änderung ande- rer Vorschriften (Zweites Fallpauschalenände- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- rungsgesetz – 2. FPÄndG) desministerin der Justiz: Selbstverständlich, verehrte Frau Präsidentin. Ich – Drucksache 15/3919 – komme gleich zum Ende. Gestatten Sie mir nur noch (Erste Beratung 131. Sitzung) wenige Sätze. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (Widerspruch bei der CDU/CSU) ses für Gesundheit und Soziale Sicherung – Hört doch zu! Ihr könnt dabei nur lernen. (13. Ausschuss) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Na, na, na!) – Drucksache 15/3974 – Zweitens soll auch bei den so genannten Druck- Berichterstattung: zuschlägen eine Stellschraube verändert werden. Wir Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust halten zwar den Druckzuschlag für ein wichtiges Mittel für den Verbraucher, aber wir meinen, dass – auch im In- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- teresse der Handwerker – künftig vermieden werden richts des Ausschusses für Gesundheit und So- sollte, dass Auftraggeber mit dem Ziel, fällige Zahlun- ziale Sicherung (13. Ausschuss) zu dem Antrag gen hinauszuzögern, sozusagen ins Blaue hinein Mängel der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Horst behaupten. Darin sollten Sie mir eigentlich zustimmen. Seehofer, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich bedanke mich Versorgungssicherheit für Patientinnen und (B) auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ih- (D) ren Großmut, mir zugehört zu haben. Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen Die Vorlage ist ein guter Ansatz für die Beratungen. – Drucksachen 15/3450, 15/3974 – Ich bin sicher, dass wir mit der Hilfe der Fachleute, die alle Richter oder Rechtsanwälte waren bzw. sind und die Berichterstattung: vielleicht auch schon selbst gebaut haben oder zumin- Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust dest Ahnung vom Bauen haben, zu einem guten und ver- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nünftigen Gesetz kommen. Wir laden auch diejenigen Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe zur Zusammenarbeit ein, die keine Rechtspolitiker sind, keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. sich aber ständig kritisch äußern. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Vielen Dank und ein schönes Wochenende! die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Merk. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: Ich schließe die Aussprache. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Krankenhäuser in Deutschland bricht eine neue Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Zeit an. Künftig werden die Leistungen nicht mehr nach wurfs auf Drucksache 15/3594 an die in der Tagesord- den Liegezeiten der Patientinnen und Patienten abge- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es rechnet. Die Vergütung richtet sich vielmehr nach Fall- andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die pauschalen, die eine leistungsorientierte Vergütung er- Überweisung so beschlossen. möglichen. Ich rufe die Zusatzpunkte 10 a und b auf: Wir haben das neue Vergütungssystem als lernendes a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- System geplant. Die ersten Erfahrungen im Zusammen- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEhang mit der Umstellung spiegeln sich zwar im Budget GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten noch nicht wider, aber wir hatten von Anfang an vorge- Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum sehen – das ist zugunsten von Effizienzgewinnen im diagnoseorientierten FallpauschalensystemKrankenhausbereich notwendig –, dass die Umstellung für Krankenhäuser und zur Änderung ande- des Systems in Etappen erfolgen muss. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12201

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (A) Die Umsetzung unseres Vorhabens steht jetzt an. Für dieser Stelle noch einmal an alle: Seien Sie konsensbe- (C) die Krankenhäuser bedeutet das einen großen Umbruch. reit! Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie braucht ihre Zeit und muss mit der nötigen Sorgfalt (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie lange hal- vollzogen werden. Gerade deshalb haben wir auf die ten denn die Konsense mit Ihnen? Das ist das vonseiten der Krankenhausträger vorgebrachten Beden- Problem!) ken reagiert und in dem Entwurf eines Zweiten Fall- pauschalenänderungsgesetzes vorgesehen, dass den– Herr Kollege Zöller, da Sie im Moment mit dem Streit Krankenhäusern mehr Zeit für die Umstellung auf Fall- in Ihrer eigenen Fraktion so beschäftigt sind, sehe ich Ih- pauschalen bleibt. Wir wollen die Übergangsphase um nen diesen Zuruf nach. Bei uns halten Konsense relativ ein Jahr verlängern. lange. Die jetzt gefundene Regelung betreffend den Zahnersatz, die wir gegen Sie durchsetzen mussten, ha- Ein Teil der Krankenhäuser hat die Zeichen der Zeit ben wir beispielsweise schon immer vertreten. erkannt. Diese Krankenhäuser haben den Wandel bereits vollzogen und machen positive Erfahrungen mit dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des neuen Vergütungssystem. Sie gehören zu den Gewinnern BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang der Reform. Ich möchte ihre Anstrengungen ausdrück- Zöller [CDU/CSU]: Das verstehe ich nicht un- lich loben und den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter Konsens!) tern, für die die Umstellung eine große Herausforderung Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Wir glau- ist, meine Anerkennung aussprechen. ben, dass die vorhandenen Bedenken mit dem Gesetz- (Beifall bei der SPD) entwurf ein Stück weit entkräftet werden. Wir wissen, dass eine Einigung mit den Ländern in den anstehenden Für einen anderen Teil der Krankenhäuser ist die Um- Verhandlungen relativ nahe ist. setzung mit Schwierigkeiten verbunden. Dazu gehören insbesondere solche Krankenhäuser, die Leistungen der Ich möchte aber auch sagen, wo ich noch Handlungs- Maximalversorgung anbieten, also zum Beispiel Leis- bedarf sehe. Wir müssen etwas zur Verbesserung der Si- tungen der Intensivmedizin bei Verbrennungen oder der tuation der Kinderkrankenhäuser tun. Hier müssen wir Onkologie, die mit besonders hohen Kosten verbunden ebenfalls über Einigungsmöglichkeiten reden, genauso sind. Diese Krankenhäuser fordern eine längere Über- wie bei den Kappungsgrenzen. Wir sind zwar gesprächs- gangsphase. Mit unserem Gesetzentwurf haben wir auf bereit. Aber wir werden das, was Sie in Ihrem Antrag ihre Sorgen reagiert. Und können das Gesetzgebungsver- fordern, auf keinen Fall mittragen. Sie wollen die Uni- fahren heute abschließen. versitätsklinika herausnehmen und im Prinzip alle ande- ren Krankenhäuser, die ebenfalls spezialisierte Leistun- (B) Wie verhält sich aber die größte Oppositionsfraktion? gen anbieten, nicht berücksichtigen. Das würde zu neuer (D) Sie verhält sich wie immer in den letzten Wochen in der Ungerechtigkeit führen. Das will niemand. Interessanter- Gesundheitspolitik. Es gibt eine tiefe Kluft sowohl in- weise halten selbst die unionsgeführten Länder diese nerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch zwi- Forderung nicht mehr aufrecht. schen der Unionsfraktion im Bundestag und den unions- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geführten Ländern. Während Sie einen Antrag einbringen, der darauf abzielt, die ganze Umstellungs- Sorgen Sie dafür, dass klar wird, wohin die Union in phase um ein Jahr zu verkürzen, fordern die unionsge- der Gesundheitspolitik will, und zwar nicht nur beim führten Länder eine Verlängerung dieser Phase. Thema Fallpauschalen, sondern auch beim Thema Kopf- pauschale. Auch hier befinden Sie sich ja noch in der (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was sagen Diskussion. Immer wenn der Begriff „Pauschale“ fällt, denn eure Länder?) gibt es Wirrwarr in Ihren Reihen. Sorgen Sie für Klar- Was gilt denn nun in Ihrer Gesundheitspolitik? Wir ha- heit! Wir sind einigungsbereit. ben dagegen eine klare Richtung eingeschlagen und sind (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gesprächsbereit. Wir haben mit den SPD-geführten Län- DIE GRÜNEN) dern mögliche Einigungslinien vorbesprochen. Bei Ihnen geht es dagegen noch um die grundsätzli- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: che Auseinandersetzung. Bis vor kurzem haben Sie Fall- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hans Georg pauschalen vollständig abgelehnt. Ich bin sehr froh, dass Faust. sich der Kollege Dr. Faust auch öffentlich für die Fall- (Beifall bei der CDU/CSU) pauschalen stark gemacht hat, wie man lesen konnte. Ich glaube, dass Sie in diesem Punkt einen ganz entschei- denden Lernfortschritt erzielt haben. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wir fordern von Ihnen auf der einen Seite Klarheit in Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Früher bekam den Positionen und auf der anderen Seite die Bereit- ein Krankenhaus für jeden Tag, den ein Patient im Bett schaft zur Einigung im Vermittlungsverfahren, das be- lag, das gleiche Geld. Da konnte es schon einmal passie- reits angekündigt worden ist. Eines ist klar: Sollten wir ren, dass jemand erst am Montag statt schon am Freitag uns nicht einigen, dann wäre das in der Tat eine schwere entlassen wurde, weil das dem Krankenhaus natürlich Last für die Krankenhäuser. Deswegen appelliere ich an zusätzliche Einnahmen gebracht hat. Aus meiner Zeit als 12202 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Dr. Hans Georg Faust (A) Assistenzarzt kann ich mich daran noch gut erinnern. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Fragen über Fra- (C) Das war für die Krankenhäuser gut, aber für das finan- gen und keine Antworten! – Gegenruf des zielle Fundament des Gesundheitswesens schlecht. Wer Abg. Klaus Kirschner [SPD]: Sie sind doch so etwas nicht wollte, musste sich ein neues Finanzie- immer für Wettbewerb, Herr Kolb! – Gegenruf rungsinstrument überlegen. Das Instrument waren da- des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber für mals die Fallpauschalen. richtigen Wettbewerb!) Fallpauschalen sind richtig. – Ich würde gern weiterreden, meine Herren. – Mark Twain hat die Situation einmal treffend wie folgt be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schrieben: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hat- Weil das so ist, haben die CDU/CSU und die FDP 1992 ten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen. die Fallpauschalen eingeführt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kolb [FDP]: Da passt auch: Gestern standen Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) wir vor dem Abgrund, heute sind wir einen Sie haben die Fallpauschalen allerdings mit anderen Ver- Schritt weiter! – Gegenruf von der SPD: Aus gütungsformen kombiniert. der rhetorischen Mottenkiste! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Karneval in Gos- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erklä- lar!) ren Sie Ihr Einverständnis, dann fahren wir nach Hause!) – Aber nicht vor dem Abgrund. Fallpauschalen sind für mehr Konstellationen richtig, Der zweite Webfehler ist die Zeitschiene. Liebe Kol- als wir 1992 dachten. Deswegen sprechen wir uns für leginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind an der eine sinnvolle Weiterentwicklung des Fallpauschalen- Regierung. Sie haben sich damals – ebenfalls gegen un- systems aus. sere Vorstellungen – für die Einführung eines umfassen- den Fallpauschalensystems in einer Dreistufenlösung (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) mit einem Konvergenzende, das heißt für eine Anglei- Fallpauschalen sind aber auch heute nicht für alles rich- chung für alle in einem Bundesland, im Jahr 2007 ent- tig. schieden. Darauf haben sich die Krankenhäuser einge- richtet. Die schnellen und innovativen haben sich darauf (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gut eingerichtet. Die anderen haben abgewartet, blo- Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) ckiert, keine Daten geliefert. Das war vorherzusehen, (B) Weil das so ist und Sie, meine Damen und Herren von wurde aber trotzdem forsch angegangen. (D) Rot-Grün, das erst in einem schmerzlichen Erkenntnis- Ich erinnere mich noch an viele Gespräche, in denen prozess lernen wollen, sitzen wir heute schon wieder zu- von Ihrer Seite gesagt wurde, es müsse Druck erzeugt sammen und diskutieren nun über ein Zweites Fallpau- werden, und zwar Druck auf Veränderungen, welche schalenänderungsgesetz. auch immer das sein mögen: Effizienzsteigerung, Res- Das Ganze hat drei entscheidende Webfehler: sourceneinsparung usw. Ein verschwommenes Bild ist da im Fadenkreuz. Ohne ein Ziel kann man aber nicht ar- Der erste ist ganz grundsätzlicher Natur. Sie haben beiten. uns, den Krankenhäusern, den Patienten, den Ärzten und auch wohl sich selbst nicht klar gemacht, zu welchem (Beifall der Abg. [CDU/ Zweck, mit welchem Ziel Sie das umfassende Fallpau- CSU]) schalensystem einführen wollen. Bauen Sie ein Klassifi- Das merken Sie jetzt. Die deutschen Krankenhäuser kationssystem für Patienten in ein Preissystem um, merken es auch schmerzvoll. Die Kommunen und die (Erika Lotz [SPD]: Das ist eine Argumenta- Länder sowie die Verbände und alle anderen, die Interes- tion!) sen haben, melden in dieser unübersichtlichen Gemen- gelage ihre Forderungen an. „Verlängerung der Konver- damit ein Markt, ein Pseudomarkt, ein Wettbewerb, ein genzphase“ und „Veränderung des Einstiegswinkels“ Verdrängungsdruck unter den Krankenhäusern entsteht? sind die Schlagworte. Ist das der Grund? Soll damit die Verweildauer im Kran- kenhaus verkürzt werden? Sollen Betten abgebaut wer- Zum dritten Webfehler. Dabei geht es um das Instru- den? Sollen Krankenhäuser geschlossen werden? Sollen mentarium. Statt unserem Vorschlag zu folgen und das Konkurrenz, Kooperation, Konzentration oder Konkurs Fallpauschalensystem da, wo es sinnvoll ist, zügig ein- beschleunigt werden? Soll die Transparenz bei den Leis- zuführen und den Rest außen vor zu lassen, versuchen tungen zur Erhöhung der Planungssicherheit für die Län- Sie, mit einer Verlängerung der Einführungsphase und der verbessert werden? Oder stehen am Ende, wann auch einem schonenderen Einstieg die Probleme zu kaschie- immer, feste, harte Preise, auf die sich ein Krankenhaus ren und zu entschärfen. einstellen muss? Was sind das dann für Preise: Fest- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. preise, Höchstpreise, Richtpreise? Alle diese Fragen sind Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) nicht beantwortet. Damit gibt es keine Planungssicher- heit und wir basteln am Zweiten Fallpauschalenände- Ich kenne die Vorschläge, die unterbreitet werden. rungsgesetz. Dabei wird der Fortschritt zur Schnecke. Sie tun das in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12203

Dr. Hans Georg Faust (A) der Hoffnung, dass Sie so viel Zeit gewinnen, dass ver- nicht: gar nicht – adäquat vergütet werden. Dies gilt zum (C) besserte Kalkulation den Aufprall auf die Wirklichkeit Beispiel für implantierbare Defibrillatoren zur Abwen- für die Krankenhäuser überlebbar macht. Damit verprel- dung des plötzlichen tödlichen Kammerflimmerns im len Sie all die Krankenhäuser, die sich seinerzeit auf Ihre Herzen, eine Maßnahme, die – das kann man auf jedem politischen Aussagen verlassen haben, die sich schnell Kardiologenkongress erfahren – nach medizinischer Er- umgestellt haben und die im Wettbewerb leistungsfähig kenntnis immer häufiger indiziert wird. Auf diesem Ge- sind. Mit anderen Worten: Da die Politik nicht für die biet sind deutliche Veränderungen notwendig. nötige Planungssicherheit sorgt, werden sie jetzt wieder enttäuscht. Überhaupt ist die Möglichkeit, medizinische Innova- tionen in den Krankenhäusern einzuführen, durch büro- (Klaus Kirschner [SPD]: Wofür sprechen Sie kratische Hemmnisse so erschwert, dass Verzögerun- sich jetzt aus, Herr Dr. Faust?) gen von drei bis vier Jahren einkalkuliert werden müssen. Meine Erfahrung als Anästhesist im Kranken- – Sie kennen doch unseren Antrag. Ich kann daraus noch haus ist, dass diese Innovation bei dem heutigen medi- einmal zitieren. zintechnologischen Fortschritt nach drei bis vier Jahren Was Sie vorhaben, ist mit der CDU/CSU-Bundestags- überholt ist, weil schon die nächste Generation von Pro- fraktion nicht zu machen. Ein dauerndes Nachbessern dukten auf dem internationalen Markt ist. führt nur dazu, dass wir die Lösung der Probleme auf Dennoch: Nicht alles an esem di Gesetzentwurf ist den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Ich sehe schon schlecht. Die Abkehr von Pauschalregelungen im Be- das Dritte und Vierte Fallpauschalenänderungsgesetz reich der Ausbildung begrüßen wir. Wir glauben, dass kommen. Das gilt aber nicht nur für mich, sondern auch den Erfordernissen mit der vorgesehenen Vereinbarung für alle anderen, die an ihre besonderen Interessenlagen der Vertragsparteien über ein krankenhausindividuelles denken: Landkreise und Städte, die privaten Träger, die Ausbildungsbudget besser Rechnung getragen wird. Universitätskliniken, die kirchlichen Einrichtungen und Auch die Regelung zu den finanziellen Vergütungen von die Länder. Alle haben unterschiedliche Interessen; alle Kalkulationskosten und zur vertraglichen Vergütungs- bewerten die von Ihnen ins Spiel gebrachten Werkzeuge vereinbarung für Hebammen halten wir für richtig. unterschiedlich; alle basteln die Komponenten inzwi- schen unterschiedlich zusammen und führen, wenn sie Über allem steht aber der aus unserer Sicht vollkom- können, sogar neue Instrumente ein, die den auch von men verkehrte Umgang mit dem Fallpauschalensystem Ihnen – das konzediere ich Ihnen gerne – gefordertenbei ungeklärter Zielsetzung. Hier hat die rot-grüne Re- Fortschritt so lähmen, dass am Ende herzlich wenig pas- gierung Probleme unterschätzt, die Anpassungsfähig- siert. Das werden wir alle gemeinsam erleben. keit des Systems überschätzt, die Zeitabläufe nicht rich- (B) (D) Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus tig kalkuliert und den Zielpunkt nicht sauber markiert. möchte ich ausdrücklich in Schutz nehmen. Es geht um die Verteilung von viel Geld im Kranken- hausbereich. Damit sind alle Interessierten auf den Plan (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gerufen. Das Ende des Gesetzgebungsverfahrens wird in der FDP) seinen Wirkungen zunehmend schwer abschätzbar. Ein Weg über vier Jahre bis 2008 ist mühsam zu beschreiten. Bei den Kalkulationen für den neuen Fallpauschalen- Wie es danach weitergeht, ist heute unklar. katalog 2005 hat es Bemerkenswertes geleistet. Es hat das System mit ebendiesen Kalkulationen und den auch Gut, dass es spätestens 2006 eine Bundestagswahl von uns begrüßten Ausgliederungen und Anpassungen gibt. entscheidend optimiert. Auch in den nächsten Jahren sind solche Veränderungen in der Tat zu erwarten. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist vor allen Dingen für Sie nicht gut!) Sosehr sich dieses Institut auch anstrengt: Der Ent- wicklungsweg ist von den Rahmenbedingungen vorge- – Das werden wir noch sehen, Herr Schmidt. – Ich zeichnet, unter denen das Institut arbeiten muss. Dieser würde mich freuen, wenn ich danach noch aktiv Gesund- Rahmen ist durch die bisherigen rot-grünen Gesetzes- heitspolitik machen kann. Für heute stellt sich die aktu- vorgaben und die Folgen aus dem Zweiten Fallpauscha- elle Situation des Krankenhauses im Harz, in dem ich lenänderungsgesetz – wenn dieser Gesetzentwurf denn noch hin und wieder arbeiten darf, so dar, wie Heinrich so verabschiedet wird – einfach schief. Heine seine eigene nach einer Brockenbesteigung be- schrieben hat: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden die- sem Gesetz nicht zustimmen. Wir betonen noch einmal, Müde Beine, dass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess unter spitze Steine Zuhilfenahme der verbesserten Kalkulationen und der saure Weine, Ausgliederung der nicht sachgerecht abgebildeten Leis- Aussicht keine. tungen mit anderen Vergütungen der bessere Weg wäre. Heinrich Heine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Der vorliegende Gesetzentwurf hat weitere schwer- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das gilt wiegende Mängel: Mehrmengen von Leistungen mit ho- aber nur für Goslar! – Heiterkeit bei der SPD hem Sachkostenanteil können nur sehr schwer – ich sage und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12204 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Klaus Kirschner [SPD]: Der dritte Mann!) (C) Es passiert immer freitagmittags, dass Gedichte kom- – Das mag wohl sein. men. – Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Selg. Ein weiterer Punkt, den wir ebenfalls für wichtig hal- Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ten, ist die Finanzierung der Krankenpflegeausbildung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ihrer in Zukunft. Fest steht, dass wir ab 2005 endlich eine Rede hat sich ja vieles super gereimt, aber ihre Logik hat wettbewerbsneutrale Ausbildungsfinanzierung haben wer- sich mir nicht ganz erschlossen. den. Hierzu gibt es aber zwei unterschiedliche Positio- nen: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft gibt dem An diesem Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetz Ansatz des vorliegenden Gesetzentwurfs, also der indi- haben ja bisher eigentlich alle Beteiligten ziemlich kon- viduellen Aushandlung eines Ausbildungsbudgets vor struktiv und, wie ich denke, sachorientiert gearbeitet.Ort, den Vorzug. Ihrer Ansicht nach gibt es noch keine Beim Prozess der Umstellung auf die DRGs war dasverlässliche Datengrundlage für die Aufstellung einheit- weitgehend genauso der Fall. Ich denke, auch das sollte licher Pauschalen. Dagegen sprechen sich natürlich die man einmal positiv anmerken. Wir gehen davon aus, lie- gesetzlichen Krankenkassen und der Deutsche Pflegerat ber Herr Faust, dass die sachorientierte Diskussionskul- aus. Ich denke, auch deren Einwände sollte man ernst tur auch bei den Verhandlungen mit den Ländern in den nehmen. Sie fordern nämlich, das geltende Recht beizu- nächsten Wochen vorherrscht. Ich sehe diesen ziemlich behalten und einen gemeinsamen Ausbildungsfonds zu positiv entgegen und hoffe, Sie von der Opposition wer- bilden. Aus diesem Fonds würde die Ausbildung nach den sich so einbringen, dass wir zügig zu einem Konsens einheitlichen Pauschalen finanziert werden. kommen; denn nichts brauchen die Krankenhäuser der- zeit mehr als Planungssicherheit. Ich persönlich halte die Fondslösung prinzipiell und konzeptionell für eine gute Variante, die wir in unserem Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei einem so jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zumindest mittelfristig wichtigen Thema Kontroversen gibt. In der Anhörung nicht ausschließen. Die Pflegeausbildung sollte nämlich haben sich zwei Punkte herauskristallisiert, bei denen Sache aller Träger sein, weil alle von ihr profitieren. Es Schwierigkeiten bestehen: So geht es bei der Ausgestal- kann nicht im Interesse einer qualitativ hochwertigen tung der Konvergenzphase um die Frage, ob das Sys- Pflegeausbildung sein, dass sie weiterhin am Finanzie- tem schon reif genug ist, einen so schnellen Umstieg zu rungstropf der Krankenkassen hängt. Egal wie man sich bewältigen. Wir haben allerdings immer gesagt, dass wir entscheidet, beide Seiten haben gute Argumente. Priori- das Fallpauschalensystem als ein lernendes System anse- tät sollte bei dem noch zu findenden Umsetzungsmodell (B) hen. Ein hundertprozentiges Funktionieren wird es mit dem Ziel eingeräumt werden, den bereits zu beobachten- (D) Sicherheit nie geben. Man darf aber nicht immer nur da- den Rückgang von Ausbildungsplätzen zumindest zu rauf abheben, was alles nicht geht, sondern muss wirk- stoppen. Da sind sich alle Beteiligten einig. Es wäre lich auch einmal sagen, was geht. Da haben sich, wie ich reichlich absurd, wenn einerseits Ausbildungsplätze ver- glaube, in den letzten Wochen Entwicklungen ergeben, loren gingen, während andererseits der „Süssmuth-Rat“ die zeigen, dass man auf einem guten Weg ist. in seinem jüngsten Bericht vorschlägt, im Pflegebereich Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Der im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Vor- schlag, die Konvergenzphase von drei auf vier Jahre zu Insgesamt bleibe ich dabei: Bei den Problemen, die es verlängern und die Konvergenzschritte entsprechend an- bei diesem Gesetz noch zu lösen gibt, sind sich alle Ak- zupassen, ist deshalb sehr vernünftig. Unser Eindruck teure grundsätzlich einig, dass mit der Umstellung auf ist, dass man den Anpassungsdruck der Häuser dadurch das DRG-System ein guter Weg zu mehr Effizienz, Ef- erheblich mindert. Ich glaube auch, dass dadurch weder fektivität, Transparenz und vor allem mehr Patientenori- der Einstieg ins System infrage gestellt wird noch dass entierung beschritten wurde. Deshalb bin ich überzeugt, sich die vollständige Umstellung zu sehr verzögert. dass wir zu einer guten Lösung kommen werden. Auch wir haben 2006 natürlich im Blick. Aber wir verlieren Jetzt haben der Bundesrat – daran waren viele unions- nie das Ziel aus den Augen. geführte Länder beteiligt – und die Deutsche Kranken- hausgesellschaft deutlich gemacht, dass sie eine Verlän- (Otto Fricke [FDP]: Sie müssen es auch gerung der Konvergenzphase auf fünf Jahre sowie die erreichen!) Einführung einer Kappungsgrenze für notwendig halten. – Wir werden das Ziel auch erreichen. – Sie sind jetzt Es gibt diesbezüglich also anscheinend noch Diskus-aufgefordert, zügig zu einem Kompromiss zu kommen, sionsbedarf innerhalb von CDU/CSU. Sie von der Union denn nichts ist schlimmer als Unsicherheit, wie Sie sie fordern – darauf sind Sie nicht eingegangen, Herr Faust – zurzeit unter die Bevölkerung streuen. Wir brauchen im in Ihrem heute ebenfalls vorliegenden Antrag, die Kon- Sinne der Krankenhäuser Planungssicherheit. Darum vergenzphase bei drei Jahren zu belassen. Jetzt frage ich fordere ich Sie auf: SetzenSie sich zügig an den Tisch mich schon, an wem dieser dritte Webfehler, von dem Sie und kommen Sie zu einer Einigung! Dann sind wir auf gesprochen haben, liegt. An uns liegt es mit Sicherheit einem guten Weg. nicht. Einigen Sie sich also erst einmal mit Ihren Partei- freunden in den Ländern, die angeblich ganz anderer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meinung sind als Sie. und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12205

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dass wir uns hier nicht missverstehen, Herr Kollege (C) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb. Dreßen: An dem Anpassungsprozess selbst führt kein Weg vorbei. Es gibt unzweifelhaft Unwirtschaftlichkei- (Klaus Kirschner [SPD]: Jetzt wollen wir ein- ten bei Krankenhäusern. Aber die betroffenen Kranken- mal etwas zur Marktwirtschaft hören!) häuser müssen die Chance haben, den notwendigen An- passungsprozess zu vollziehen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): (Beifall bei der FDP) Aber sicher! – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat die Einführung diagnoseori- Fünfter Punkt. Es fehlt – das ist ganz entscheidend – entierter Fallpauschalen im Grundsatz immer begrüßt. nach wie vor eine Aussage seitens der Bundesregierung Allerdings war uns auch immer klar, dass man ein sol- und der Koalition darüber, wie es nach derBeendigung ches System sorgfältig implementieren muss. Deswegen der Konvergenzphase weitergehen soll. Das aber ist für wäre uns eine schrittweise Weiterentwicklung der Fall- die Planung der Krankenhäuser von ganz entscheidender pauschalen lieber gewesen als die Komplettumstellung, Bedeutung. Fallen dann die Budgets tatsächlich weg? die die Bundesregierung jetzt vorgenommen hat. Aber Wie soll denn so ein wettbewerbliches Preissystem, das die Entscheidung ist getroffen und es ist müßig, darüber Sie wollen, im Einzelnen aussehen? Professor Neubauer zu reden. Jetzt kommt es darauf an, dieRahmenbedin- beispielsweise hat in der Anhörung darauf hingewiesen, gungen so zu schaffen, dass die Krankenhäuser, die für dass es gerade keinen Sinn macht, einheitliche Preise die medizinische Versorgung notwendig sind, erhalten vorzusehen und dann von Wettbewerb zu reden. Hierzu bleiben, und die Anreize so zu setzen, dass die Behand- müsste es eine Aussage im Gesetz geben. Das ist bisher lungseffizienz gesteigert wird. nicht der Fall. Zweitens. Die Anhörung hat ergeben, dass noch lange (Beifall bei der FDP) nicht alle DRGs das Kosten-Leistungs-Geschehen kor- Die FDP lehnt den Gesetzentwurf in der vorliegenden rekt abbilden können. Das ist zum einen auf die man-Fassung ab. Wir hoffen aber, dass unseren hier angespro- gelnde Datenlage zurückzuführen. Es besteht die Hoff- chenen Bedenken im Vermittlungsausschuss, dem wir nung, dass dieses Problem jetzt durch die vorgesehene mit viel Zuversicht entgegensehen, Rechnung getragen Refinanzierung gelöst werden kann. Zum Teil ist es aber wird. auch darauf zurückzuführen, dass – das hat der Kollege Faust schon angesprochen – sich bestimmte Leistungen Danke schön. gar nicht oder nur sehr schwer in einer Pauschale abbil- (Beifall bei der FDP) den lassen. Das trifft zum Beispiel auf die Rheumatolo- gie, die Palliativmedizin, die Onkologie, die Behandlung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (B) (D) seltener Krankheiten und Spezialleistungen der Hoch- Jetzt hat der Abgeordnete Horst Schmidbauer das schulmedizin zu. Problematisch wird es immer dann,Wort. wenn die Behandlung eine hohe Variabilität aufweist. Dem muss durch spezifische Regelungen Rechnung ge- (Beifall bei der SPD) tragen werden. Das kann ein Fallpauschalensystem, Herr Vorsitzender, nur um den Preis einer hohen Unübersicht- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): lichkeit leisten. Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ausge- rechnet in einer Zeit, in der die Krankenhäuser Pla- Drittens. Der Gesetzentwurf sieht eine Verlängerung nungssicherheit brauchen, erleben wir heute eine gespal- der Konvergenzphase vor. Allerdings halten wir diese tene Opposition, wie es „schöner“ nicht mehr geht. Die Verlängerung vor dem Hintergrund der noch bestehen- CDU/CSU ist sich nicht einig. Vor einem halben Jahr hat den Unsicherheiten für nicht ausreichend. Auch im Hin- man in Bayern gehört, dass es keine Verlängerung der blick darauf, dass die Krankenhäuser zurzeit nicht nur Konvergenzphase geben soll. Jetzt hört man, dass es eine mit der Umsetzung der Fallpauschalen zu kämpfen ha- Verlängerung um zwei Jahre geben soll. Wie sollen so, ben, sondern sich auch mit einer Vielzahl von anderen bitte schön, die Krankenhäuser Planungssicherheit be- Regelungen herumschlagen müssen – ich nenne hier als kommen? Beispiele nur die integrierte Versorgung und die Di- sease-Management-Programme –, reicht dieses eine Jahr Aus dem, was die FDP heute sagt, kann man erken- in unseren Augen nicht aus. nen, dass sie Angst hat, dass marktwirtschaftliche Prinzi- pien endlich für den Krankenhausbereich eingeführt (Beifall bei der FDP) werden. Vierter Punkt. Wir brauchen eineKappungsgrenze, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unsinn! Wir die dafür sorgt, dass sich die Verluste von Krankenhäu- wollen schon Wettbewerb!) sern bei der Umstellung unterhalb einer klar definierten Obergrenze halten. Sie gehen der Marktwirtschaft aus dem Weg, wenn Sie weiterhin auf Budgets basierte Lösungen herbeiführen (Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD]) wollen. Ich denke, niemandem ist damit gedient, Herr Kollege (Otto Fricke [FDP]: Herr Schmidbauer, das ist Dreßen, wenn die Krankenhäuser, die für die Versorgung keine Gewerkschaftsversammlung!) der Bevölkerung benötigt werden, aufgeben müssen, weil sie in der Kürze der Zeit den notwendigen Anpas- Das macht Angst für die Zukunft. Es ist das Gegenteil sungsprozess nicht vollziehen können. von dem, was wir brauchen, nämlich verlässliche Daten 12206 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Horst Schmidbauer (Nürnberg) (A) hinsichtlich der Zeiträume für Krankenhäuser, damit sie Ausdifferenzierung setzen. Die Selbstverwaltung(C) diese schwierige Umstellung schaffen. – sprich: alle Krankenhäuser und alle Krankenkassen – haben diesen Katalog einstimmig gebilligt. Was ist dort (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ enthalten? Es ist eine Vergütung für Langlieger vorgese- DIE GRÜNEN) hen. Es ist richtig, dass die Krankenhäuser, die schwe- Wir liegen mit unserem Vorschlag exakt in der Mitte. rere Fälle und ältere Menschen behandeln müssen, ihre Den Langsamläufern unter den Krankenhäusern kom- Leistungen entsprechend vergütet bekommen. men wir entgegen, indem wir die Konvergenzphase um (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ein Jahr verlängern. Aber dann muss es wirklich funktio- nieren. 75 Zusatzentgelte werden eingeführt. Wenn in einem Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Zeit der Be-besonderen Fall hohe Arzneimittelkosten anfallen, dann denkenträger und der Kleingeister, die so empfindlich werden sie separat vergütet, sodass das Krankenhaus auf diese Umstellung reagiert haben, vorbei ist. Ich war nicht benachteiligt wird. Weil Sie nicht wissen, was Aus- heute aber sehr erstaunt, als ich an den Ausführungen differenzierung bedeutet, sage ich Ihnen: Wir haben in von Herrn Dr. Faust erkennen konnte, dass diese Zeitder Onkologie 40 neue Fallpauschalen eingeführt, um noch nicht überwunden ist. möglichst stark differenziert nach dem Grad der Behand- lung eine Abbildung zu ermöglichen. Im Gegenteil: Man versucht jetzt, eine neue Legende zu stricken. Wir wehren uns mit allem Nachdruck dage- (Beifall bei der SPD) gen. Denn es steht nirgendwo im Gesetz und es ist durch Bei den Kindern haben wir drei neue Alterssplits ein- keinerlei Äußerung belegbar, dass wir von einer hundert- geführt, um auch hier differenzieren zu können und um prozentigen Fallpauschalenregelung gesprochen oder sie gerade im Bereich der Kinderkliniken eine korrekte Ab- beabsichtigt haben. bildung der Leistung zu ermöglichen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sondern?) Wir dürfen allerdings nicht verschweigen, dass alle Ich sage Ihnen: Unterlassen Sie in Zukunft solche Unter- Vorschläge, die zurzeit im Lande kursieren – wir haben stellungen! Wir sind nie in Richtung einer hundertpro- heute gehört: weitere Verlängerung der Konvergenz- zentigen Fallpauschalenregelung gegangen. phase, Einführung von so genannten Kappungsgren- zen –, dazu führen würden, dass die Guten bestraft und (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie viel?) die Langsamen belohnt würden. Ich glaube, das kann Wir haben vielmehr gesagt: Was durch Fallpauschalen nicht in unserem Sinn sein. Man muss sehr Acht geben, (B) abzubilden ist, wird mit Fallpauschalen kalkuliert, und dass keine Ausweitung stattfindet. (D) zwar nach deutscher Krankenhauskultur. Die deutsche Einen Punkt möchte ich noch ansprechen: die Ausbil- Krankenhauskultur wird sich in einem deutschen Fall- dungskosten in der Krankenpflege. Ich bin stolz da- pauschalensystem wiederfinden und nichts anderes. rauf, dass wir im Januar nächsten Jahres mit einem Um- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lageverfahren in der Krankenpflege anfangen; denn es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geht nicht an, dass sich manche Krankenhäuser aus ihrer Verpflichtung davonstehlen und dass diejenigen Kran- Wir müssen akzeptieren, dass es sich um ein lernen- kenhäuser, die ausbilden, zahlen müssen. Da muss Ord- des System handelt. Das heißt, wir stülpen den Kranken- nung hinein. Diejenigen Krankenhäuser, die ausbilden, häusern nichts über. Wir nehmen vielmehr auf, was bei müssen unterstützt werden. den Krankenhäusern läuft. (Beifall bei der SPD) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sehen die Krankenhäuser aber anders!) Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Kran- kenhäuser umgekehrt Transparenz herstellen. Ich habe Es gibt bei uns kein Dogma. Da wir für ein lernendesmich in den letzten Tagen bemüht, von den Krankenkas- System sind, ist unser Ziel, dass bei der Abbildung von sen zu erfahren, was sie zurzeit für die Ausbildung in der Krankheitsverläufen und bei der Erstattung der Behand- Krankenpflege aufwenden. Ich konnte keine präzise lungskosten ausdifferenziert und nicht ausgegliedertZahl erfahren, weil sich die Ausbildungskosten nach wie wird. Der entscheidende Punkt ist also, dass wir für eine vor in einer Art Dunkelkammer befinden bzw. in einem Ausdifferenzierung sind. Wo es keine exakte Abbil-Art Basarbetrieb gehandelt werden. Da besteht Nachhol- dung gibt und wo ein falscher Preis herauskommenbedarf. Wir müssen dafür sorgen, dass die Krankenkas- könnte, muss es eine Ausdifferenzierung geben. Aber sen, die Geld für die Ausbildung ausgeben, erfahren, man darf nicht einfach sagen, dass man diesen Teil bes- was die einzelnen Krankenhäuser für die Ausbildung ser ausgliedern sollte. Das würde dem Aspekt, den ich aufwenden. Wir müssen sicherstellen, dass die Beitrags- gerade genannt habe, nicht Rechnung tragen. gelder – wir sprechen hier nämlich über Beitragsgelder – (Beifall bei der SPD) dann auch tatsächlich in der vorgesehenen Höhe in der Ausbildung landen und nicht zum Stopfen irgendwel- Herrn Dr. Faust kann ich nur empfehlen, dass er ein- cher Löcher herangezogen werden. Da müssen wir nach- mal in den Katalog 2005 hineinschaut. Dieses ganze Ge- bessern. rede, das wir heute gehört haben, würde dann verstum- men, weil der Katalog 2005 genau aufzeigt, dass wir auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12207

Horst Schmidbauer (Nürnberg) (A) Im Hinblick auf die Länder sage ich: Dieser Bereich Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit (C) ist sehr wichtig; wir reden hier nicht über Peanuts. Für und Soziale Sicherung unter Buchstabe c seiner Be- die Ausbildung werden Beitragsgelder in Höhe vonschlussempfehlung, Drucksache 15/3974, die Ableh- 1 Milliarde Euro aufgewendet. Ich denke, aufgrund des- nung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU, Drucksa- sen besteht ein Anspruch auf Klarheit und Offenheit.che 15/3450, mit dem Titel„Versorgungssicherheit für Daher sollten wir an den Bundesrat bzw. die Länder ap- Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpau- pellieren: Nehmt die Ausbildungsfrage bitte schön ernst! schalen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung Sorgt mit uns dafür, dass Klarheit und Transparenz her- des Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – gestellt wird! Wir können es aber nicht zulassen, dass die Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD Situation entsteht, dass sich die Kassen provoziert fühlen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen und sagen: Wir verabschieden uns von den Ausbildungs- der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro. Dann hätten näm- lich die Länder diesen Klotz von 1 Milliarde Euro am Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Bein. Davor kann man nur alle warnen. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes Man sollte versuchen, einen Konsens zwischen den zur Änderung des Versicherungsaufsichtsge- Pflegeorganisationen, den Gewerkschaften und den Krankenkassen zu finden. setzes und anderer Gesetze – Drucksache 15/3418 – Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Erste Beratung 118. Sitzung) Herr Kollege. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- schusses (7. Ausschuss) Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ich glaube, es ist wichtig, dass wir diesen Konsens er- – Drucksache 15/3976 – reichen. Berichterstattung: In diesem Sinne haben wireine gute Chance, etwas Abgeordnete Dr. Hans-Ulrich Krüger nach vorn zu bringen. Ich glaube, die Menschen haben Klaus-Peter Flosbach dies verdient. Kerstin Andreae Carl-Ludwig Thiele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Abgeordneten Kerstin Andreae und Carl-Ludwig (B) Thiele haben gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu (D) 1) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: dürfen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Ich schließe damit die Aussprache. Dann kann ich jetzt die Aussprache für die beiden Wir kommen zur Abstimmung über den von deneinzigen gemeldeten Redner eröffnen. – Zunächst ein- Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mal der Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger. eingebrachten Entwurf eines Fallpauschalenänderungs- gesetzes. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Si- cherung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): empfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, Ende des Jahres 2003 gab es in Deutschland mehr als um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-92 Millionen Lebensversicherungsverträge mit Beiträ- gen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koa- gen von über 65 Milliarden Euro. Es gab mehr als litionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und 8 Millionen Vollversicherungsverträge in der Kranken- der FDP in zweiter Beratung angenommen. versicherung mit Beiträgen von über 21 Milliarden Euro. Das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Form der Dritte Beratung Vorsorge ist, wenn man sich für das Alter eine finan- und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn zielle Absicherung aufbauen will bzw. wenn man sich Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gegen-bei Erkrankung einen wirksamen Schutz verschaffen stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit will. Es ist ferner ein Zeichen dafür, wie wichtig diese den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- Branche für den Finanzplatz Deutschland im Allgemei- nen gegen die Stimmen der CDU/CSU und FDP in drit- nen ist. ter Lesung angenommen. Aber – daran besteht kein Zweifel – all diese circa 100 Millionen Verträge besitzen zurzeit keinen ausrei- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- chenden Schutz gegen eine Insolvenz des Versiche- fiehlt der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Siche- rungsunternehmens. Gerade die Entwicklung der letzten rung, den Entwurf eines Fallpauschalenänderungsgeset- Jahre – ich erinnere nur an die Erfahrungen beim Zusam- zes der Bundesregierung auf Drucksache 15/3919 für menbruch der Mannheimer Lebensversicherungs AG – erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be- schlussempfehlung ist angenommen worden. 1) Anlage 2 12208 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Dr. Hans-Ulrich Krüger (A) hat gezeigt, wie unsicher einzelne Mitglieder dieserteres Promille, also weitere 500 Millionen Euro, vorge- (C) Branche sein können. Zwar gibt es in dieser Branchesehen. auch die freiwillig ins Leben gerufenen Gesellschaften Es sind also 500 Millionen Euro im Sicherungsfonds; Protektor bzw. Medicator, die nicht selber am Markt dazu kommen 500 Millionen Euro in Form von Sonder- auftreten, aber bestehende Versicherungsverträge über- beiträgen. Das werden die Leistungen der Assekuranz nehmen sollen, damit Kunden von Not leidenden Versi- im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens cherungen einen Schutz erhalten. Im Falle einer Unter- sein. Reicht dies beides nicht aus, hat die BaFin die nehmensschieflage stößt diese Selbstverpflichtung der Möglichkeit, die Verträge der Versicherten – das ist ein Versicherungswirtschaft jedoch an ihre Grenzen. ausgewogenes Pendant – um 5 Prozent zu kürzen. Wir haben daher gehandelt und werden heute eine Ein Fazit: All dies gibt den Unternehmen im Hinblick Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes beschlie- auf eine Maximalbelastung Planungssicherheit. Die Ein- ßen, eine gute und richtige Änderung. zahlungen sind akzeptabel und beruhigend für die Versi- (Beifall bei der SPD) cherten. Erstmals besteht also ein gesetzlich garantierter Rechtsanspruch auf Insolvenzschutz. Diese Änderung ist im Wesentlichen auf drei Säulen auf- gebaut: Das ist erstens die Einführung einer Sicherungs- Dieser Rechtsanspruch des Versicherten gilt erstmals einrichtung, zweitens sind das Änderungen im Bereich auch im Bereich derprivaten Krankenversicherung. der Rückversicherungsaufsicht und drittens ist das die Hier jedoch ist die Situation etwas anders. Auch hier ist Normierung von Kontroll- und Eingriffsbefugnissen der ein Sicherungsfonds notwendig. Im Vergleich zu Le- BaFin gegenüber Holdinggesellschaften bzw. Erwerbern bensversicherungen besitzen Krankenversicherungen je- einer wesentlichen Beteiligung. doch eine geringere Risikoanfälligkeit. Daher kann hier auf eine vorrangige Finanzierung – hier haben sich die Im Einzelnen bedeutet das: Alle in Deutschland an- Fraktionen des Deutschen Bundestages zusammenge- sässigen Lebensversicherer werden Mitglied eines vorfi- rauft, das möchte ich an dieser Stelle in aller Offenheit nanzierten Sicherungsfonds. Damit wird sichergestellt, sagen – verzichtet werden. Erst im Falle einer möglichen dass sich a) alle Unternehmen solidarisch beteiligen Insolvenz eines Krankenversicherers wird der Siche- müssen und b) im Schadensfall die Mittel so schnell wie rungsfonds mit 1 plus 1, sprich: 2 Promille in Anspruch möglich mobilisiert werden können. Sollte eine Insol- genommen. Er beträgt bei Krankenversicherungen nicht venz erfolgen – was niemand will –, kann die BaFin alle 1 Milliarde Euro, sondern circa 160 Millionen Euro. Versicherungsverträge auf den Fonds übertragen, der dann die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt und Eine weitere Abweichung der Lebens- von den Kran- die Verträge letztlich auf ein anderes Versicherungsun- kenversicherungen besteht darin, dass es bei Kranken- (B) (D) ternehmen überträgt. versicherungsverträgen nicht zumutbar und vertretbar ist, die Versicherten nach Verbrauch der Nettorückstel- Die Summe der Jahresbeiträge aller dem Sicherungs- lungen mit einer generellen Kürzung ihrer Leistungen zu fonds angehörigen Assekuranzunternehmen beträgt belasten. Sollten sowohl bei der Lebens- als auch bei der 0,2 Promille, bis eine Höhe von 1 Promille der versiche- Krankenversicherung all diese Beiträge nicht ausrei- rungstechnischen Nettorückstellung erreicht ist. Das chend sein, gelten – wie bislang – die bestehenden frei- heißt, dass die Gesamtheit der deutschen Lebensversiche- willigen Solidaranstrengungen der Versicherungswirt- rer circa 500 Millionen Euro in diesen Sicherungsfonds schaft. einzahlt, damit die Interessen des Verbraucherschutzes ge- wahrt bleiben können. Die Höhe des individuellen Jahres- Mein Fazit: Diese Regelungen sind ein angemessener beitrages jedes Lebensversicherungsunternehmens – das und vertretbarer Weg, der das Vertrauen in die Bestands- ist ein wichtiges Detail dieses Gesetzes – wird jährlich kraft der abgeschlossenen Verträge stützt und stärkt. neu ermittelt und am Risikoprofil des Unternehmens ausgerichtet. Das heißt: Solide wirtschaftende Unterneh- Neben dieser ersten Säule waren auch Maßnahmen men zahlen geringere Beiträge als Unternehmen, die ris- im Bereich der Rückversicherungsaufsicht notwendig, kanter vorgehen. wie die Belastungen der Finanzmärkte des Jahres 2001 gezeigt haben. Ich nenne Ihnen nur beispielhaft die An- (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) griffe auf das World Trade Center, die Flutschäden 2002 und den Lipobay-Skandal mit seinen Schadensersatzfor- Somit erreichen wir einen positiven Nebeneffekt: Die derungen. Wichtig ist es im Rückversicherungsaufsichts- Bemühungen der Versicherer um ein effektives Risiko- fall, jedes Risiko zu vermindern, das die Leistungsfähig- und Kapitalmanagement werden verstärkt und jeder Ver- keit des Erstversicherers beeinträchtigen und damit sicherer weiß, wo er im Vergleich zu seinen Mitbewer- indirekt die Ansprüche der Versicherungsnehmer gefähr- bern steht. Das kann nur im Sinne aller Versicherten und den könnte. Insofern hat selbst der Internationale Wäh- letztlich auch aller Versicherer sein. rungsfonds der deutschen Rückversicherungswirtschaft (Beifall bei der SPD) eine deutliche Verstärkung der Aufsicht empfohlen. Zusätzlich zu diesem Fonds werden bei den Lebens- Auch hier haben wir wieder richtig gehandelt, indem versicherern gegebenenfalls Sonderbeiträge erhoben bei den Rückversicherungsunternehmen eine behördli- werden, dann nämlich, wenn die vorhandenen Mittel des che Zulassung eingeführt und eine Mindestausstattung Fonds, 500 Millionen Euro, wider Erwarten nicht ausrei- mit Eigenmitteln vorgeschrieben wird. Mit diesen neuen chend sein sollten. Hierfür ist im Gesetzentwurf ein wei- Bestimmungen wird ein internationaler Wettbewerbs- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12209

Dr. Hans-Ulrich Krüger (A) nachteil im Bereich der Rückversicherung ausgeräumt. arbeit an diesem Gesetzentwurf, den wir heute einver-(C) Die deutsche Versicherungsaufsicht entspricht damitnehmlich beschließen werden. künftig nicht nur den internationalen Standards, sondern wird auch den neuen Herausforderungen des Marktes Herzlichen Dank. gerecht. Vor allen Dingen – das ist für uns besonders (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wichtig – wird die gute Marktposition der deutschen DIE GRÜNEN) Rückversicherer weltweit gefestigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: DIE GRÜNEN) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Peter Ferner wird die Eingriffsbefugnis der BaFin, der Bun- Flosbach. desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, gegenüber Holdinggesellschaften und Inhabern einer wesentli- Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): chen Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! erweitert. Ziel ist die bessere Bekämpfung bei Umge- Nach langer, intensiver und auch kontroverser Diskussion hung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Hier ist verabschieden wir heute gemeinsam mit allen Fraktio- unter anderem aufgrund der Genesis des Gesetzes zu be- nen des Deutschen Bundestages Änderungen betreffend achten, dass eine Rechnungslegung jedes Holdingsunter- die Aufsicht über Versicherungen und Versicherungsun- nehmens gegenüber der Aufsichtsbehörde nicht erfolgen ternehmen. Diese gemeinsame Position ist möglich ge- muss, auch wenn dies die Arbeit der BaFin erleichtert worden, weil an dem ursprünglichen Regierungsentwurf hätte. Hierauf ist auch imLichte der Sachverständigen- deutliche Änderungen vorgenommen wurden und auch anhörung verzichtet worden, um Kosten bei den betrof- die Vorschläge der Opposition dazu geführt haben, dass fenen Unternehmen zu vermeiden. Der Kritik, einen zu der Gesetzentwurf deutlich an Qualität gewonnen hat. hohen Bürokratieaufwand zu betreiben, wird damit der Wind aus den Segeln genommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Forderung hingegen, Zwischenholdings von der Worum geht es? Es geht um die Sicherstellung der Aufsicht auszunehmen, wird eine klare Absicht erteilt. privaten langfristig angelegten Altersversorgung der Be- Kein Konzern in Deutschland wird von irgendjemandem völkerung und des privaten Krankenversicherungsschut- gezwungen, Zwischenholdings zu gründen. Machen die zes. Konkret – diese Zahlen hat Herr Dr. Krüger bereits Konzerne hingegen von dieser Konstruktion Gebrauch, genannt – geht es um über 90 Millionen private Lebens- so muss selbstverständlich die Möglichkeit einer ver-und Rentenversicherungen, um 8 Millionen private (B) nünftigen Aufsicht gegeben sein. Diese hat nunmehr die Krankenvollversicherungsverträge sowie zusätzlich um (D) BaFin in ihren Händen. 39 Millionen Krankenzusatzversicherungen. Diese Ver- träge sollen im Falle der Insolvenz eines Versicherungs- Bei der vorgesehenen Verschärfung der Eingriffsmög- unternehmens geschützt und gerettet werden. lichkeiten gegenüber Personen, die eine wesentliche Be- teiligung an einem Versicherungsunternehmen erworben Es ist wichtig, dass wir heute in einer Phase der allge- haben, hat die Aufsichtsbehörde ferner die Befugnis, den meinen Unsicherheit durch dieses Gesetz ein Stück Ver- Erwerb einer wesentlichen Beteiligung unter bestimmten trauen schaffen können; denn die Lebensversicherungen, Umständen – gedacht ist hier insbesondere an den Wil- die Rentenversicherungen und die Krankenversicherun- len, ein Unternehmen zu zerschlagen – zu untersagen. gen sind wichtige Bausteine der Lebensplanung eines je- Ein Beispiel: Ein Investor erwirbt ein angeschlagenes den Menschen und somit von ungeheurer Bedeutung. Versicherungsunternehmen und will dieses zu seinem Vorteil und zulasten der Versicherungsnehmer zerschla- Man kann heute sagen, dass die Versicherungswirt- gen. Das machen wir nicht mit. Wir haben mit diesem schaft in weiser Vorausschau gehandelt hat, als sie vor Gesetzentwurf einen Riegel davor geschoben. gut zwei Jahren die beiden Auffanggesellschaften – die Protektor AG für den Lebensversicherungsbereich und Sehr geehrte Damen und Herren, das Vertrauen in die die Medicator AG für den Bereich der Krankenversiche- Versicherungswirtschaft wird mit diesem Gesetzentwurf rungen – gegründet hat. Schon ein Jahr, nachdem diese geschützt. Wir bauen weiter darauf auf. Derjenige, der Auffanggesellschaften gegründet worden sind, kam es einen Großteil seiner Lebensplanung einer privaten Le- zum ersten Insolvenzfall mit der Mannheimer Lebens- bensversicherung anvertraut, derjenige, der sich einer versicherung. Sicherlich kam in der Branche keine privaten Krankenversicherung anvertraut, genießt durch große Begeisterung auf, als immerhin etwa 200 Millio- diesen Gesetzentwurf Schutz und Vertrauen auf den Be- nen Euro bereitgestellt werden mussten, um diese Mann- stand seiner Verträge auch im Alter. heimer Lebensversicherung aufzufangen. Unsicherheiten durch mögliche Insolvenzen oder Wir sollten aber nicht vergessen: Dieser Fall wurde wirtschaftliche Schieflagen haben wir sachgerecht, an- ohne gesetzliche Grundlage gelöst; denn die Branche gemessen und in einem für alle Beteiligten verträglichen war bereit, sich dieses Themas anzunehmen. Sie hatte Maße geregelt. Der Verbraucherschutz und der Finanz- die Notwendigkeit erkannt, dass sichere Altersvorsorge markt Deutschland werden durch diese Regelung weiter und garantierte Krankheitsversorgung zentrale Qualitäts- gestärkt. Ich danke daher auch meinen Kolleginnen und merkmale ihres eigenen Angebots sind und sich der fi- Kollegen von der Opposition für ihre konstruktive Mit- nanzielle Einsatz und das damit gewonnene Vertrauen 12210 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Klaus-Peter Flosbach (A) der Kunden für die gesamte Branche entsprechend be- Finanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, hat dazu in der (C) zahlt machen. Anhörung Folgendes ausgeführt: Die Erfahrungen mit der ersten Insolvenz, der Mann- Denn das gebundene Vermögen ist mehr als ge- heimer Lebensversicherung, haben aber auch uns allen danklich nicht mehr das Vermögen des Unterneh- die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage aufge- mens, sondern der Versicherungsnehmer. zeigt. Es kann jedoch nicht sein – so ist auch die Position der Opposition –, dass die Versicherungsunternehmen Ich erinnere an diese Anhörung. Da gab es noch Mei- derart in die Haftung genommen werden, dass durch die nungen, dass die 500 Millionen Euro, die in diesen Si- Insolvenz eines oder mehrerer Unternehmen die gesamte cherungsfonds eingezahlt werden, als echte Kosten, als Branche in eine Schieflage gerät oder die Versicherungs- Aufwand betrachtet werden sollten. Eine Pflicht zum un- nehmer, also die Kunden der gesunden Unternehmen, begrenzten Nachschießen wurde gefordert. Das wäre ein letztendlich dafür zahlen müssen, dass andere große Ri- massiver Eingriff in den Wettbewerb gewesen. Es wäre siken eingehen. eine Strangulierung der Versicherungswirtschaft gewe- sen: Sogar intakte Unternehmen wären in einen Strudel In diesem Punkt haben wir uns von den Regierungs- hineingeraten. Wir als Opposition hätten das nicht mit- parteien unterschieden, haben uns letztendlich aber auch getragen. geeinigt. In einer erstenStufe wurde zunächst eine rechtliche Grundlage geschaffen. Die Probleme zwi- Nun könnte es sein, dass die eingezahlten 500 Millio- schen dem Insolvenzrecht und dem Aufsichtsrecht wur- nen Euro im Sicherungsfonds beim Eintritt eines Insol- den beseitigt: Jetzt kann eine Bestandsübertragung der venzfalls nicht ausreichen.Deshalb besteht in einem Verträge angeordnet werden, ein Sonderbeauftragterzweiten Schritt die Pflicht, weitere 500 Millionen Euro kann eingesetzt werden und die so genannten Dienstleis- nachzuschießen, die über die Einzahlung in den Siche- tungsverträge können auch von externen Unternehmen rungsfonds hinaus bereitgestellt werden müssen. Die Re- übernommen werden. gierungsparteien hatten 1 Milliarde Euro gefordert. Wir haben diesen Betrag für zu hoch gehalten und uns im In einer zweiten Stufe musste finanzielle eine Rahmen einer Kompromissfindung auf den Betrag von Grundlage geschaffen werden. Nun muss man wissen, 500 Millionen Euro geeinigt. Erst wenn dieses Kapital dass die Insolvenz eines Versicherungsunternehmensnicht ausreicht, können anschließend die Versicherungs- kein Liquiditätsproblem des Augenblicks ist. Es ist also nehmer des insolventen Unternehmens zur Eigenleistung nicht so, dass das Versicherungsunternehmen nicht inherangezogen werden, aber mit einem überschaubaren der Lage wäre, die Krankenversicherungsleistungen zu Satz von 5 Prozent der garantierten Versicherungsleis- (B) zahlen oder die Auszahlungen von Lebensversicherun- tung. Bedenken wir bitte: Wenn sie nicht mit 5 Prozent (D) gen vorzunehmen. Wir können das am Beispiel derherangezogen würden, würden die gesamten Kosten für Mannheimer Lebensversicherung sehr deutlich sehen: die Insolvenz von den Kunden der gesunden Unterneh- Die Insolvenz dieser Gesellschaft ist darauf zurückzu- men getragen; denn mit ihren Beiträgen wird der Siche- führen, dass sie in der Boomzeit der Aktien bis an die rungsfonds letztendlich gefüllt. Und es kann nicht sein, äußerste Grenze der Anlagemöglichkeiten gegangen ist, dass für die Kunden, die ein hohes Risiko eingehen, in- also bis an 35 Prozent. Sie hat Aktien zu hohen Preisen dem sie sich für eine Versicherung entscheiden, die mit gekauft, zu Höchstpreisen, im falschen Moment. Nach hohen Renditen besonders aggressiv wirbt, diejenigen dem Absturz im Jahre 2000 mussten diese Aktien in den Kunden, die vorsichtig waren, letztendlich alles bezah- folgenden Jahren neu bewertet werden. Es geht hier also len und der risikobereite Kunde einen Vollkaskoschutz um eine bilanzielle Unterdeckung langfristiger Verbind- genießen kann. lichkeiten; das ist der Unterschied. Ich will es anders ausdrücken: Es ist eine Momentaufnahme und es geht Wichtig war für uns die Unterscheidung zwischen Le- um den vorübergehenden Ausgleich der Unterdeckung bensversicherung und Krankenversicherung. Kranken- der den Versicherten langfristig zugesagten Leistungen. versicherungsleistungen fallen in der Praxis etwa sieben- Das Ziel ist und bleibt für alle, die Verträge fortzuführen. mal pro Jahr an. Es müssen also laufend Zahlungen für Darauf musste die Finanzierung abgestimmt werden. solche Leistungen erbracht werden. Man kann den Be- stand also nicht bei einem Krankenversicherungsunter- Jetzt zahlen die Lebensversicherungsgesellschaften in nehmen parken und ein halbes Jahr lang liegen lassen, einem ersten Schritt 500 Millionen Euro in einen Siche- bis alles geregelt ist. Es kommt darauf an, dass man eine rungsfonds ein. Dieses Geld bleibt allerdings – das ist in andere Versicherungsgesellschaft findet, die die Verträge der Diskussion ein sehr wichtiger Punkt gewesen – ge- sofort übernimmt, sie betreut und die Rechnungen für bundenes Vermögen der Versicherungsgesellschaften, es die Versicherten bezahlt. Eine solche Sicherungseinrich- ist also eine Kapitalanlage, es ist eine Beteiligung. Wa- tung ist also gerade bei der Krankenversicherung nur ein rum ist das so wichtig? Wenn das Geld nicht für denkurzer Zwischenschritt. Es gibt bei den privaten Kran- Ernstfall gebraucht wird, wenn also keine Insolvenz ein- kenversicherungen bisher übrigens noch keinen Insol- tritt, stehen die Erträge aus dieser Kapitalanlage zu über venzfall. Wir konnten in der Diskussion durchsetzen, 90 Prozent den Versicherten zu, also den Versicherungs- dass die Krankenversicherungsunternehmen erst im Kri- nehmern, den Kunden. Gerade um die Überschüsse fin- senfall zu Sicherungszahlungen herangezogen werden. det ja der Wettbewerb der deutschen Versicherungswirt- Für die Lebensversicherungen war das leider nicht schaft statt. Der Sachverständige der Bundesanstalt für durchsetzbar. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12211

Klaus-Peter Flosbach (A) In einem weiteren Bereich, nämlich in derHolding- in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- (C) aufsicht, hatten wir erhebliche Bedenken. Wir habengen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- aber auch nicht verkannt,dass finanzielle Risiken in stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Holdinggesellschaften verschoben werden können. Das men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in gilt gerade für diejenigen, die nicht der Versicherungs- zweiter Beratung angenommen. aufsicht unterliegen. Das war auch eines der Probleme Dritte Beratung der Mannheimer Lebensversicherung. und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, Es gab weitere Bedenken, dass die neue Aufsicht er- wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – heblich gegen das Gesellschaftsrecht verstößt, weil die Stimmt jemand dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafterentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig an- missachtet wurde. Auch dieGefahr einer versteckten genommen worden. Durchgriffshaftung wurde gesehen, die gerade im inter- nationalen Bereich erhebliche Haftungsrisiken für die Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Unternehmen birgt. Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Wir kommen immer wiederauf ein Thema zurück, Kauch, Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit das wir auch in den nächsten Wochen und Monaten sehr Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak- intensiv diskutieren werden. Ich will es am Beispiel der tion der FDP zahlreichen EU-Richtlinien ansprechen. Es stellt sich Lärmschutz ist Gesundheitsschutz – Flug- die Frage, ob wir europäische Vorschriften immer im lärmgesetz jetzt modernisieren Verhältnis eins zu eins in nationales Recht umsetzen oder ob wir in der Kontrolle immer noch etwas oben – Drucksache 15/2862 – drauflegen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Sie kennen die Diskussion um die Eigenkapitaldefini- Rechtsausschuss tion bei den Rückversicherern, die einem scharfen inter- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung nationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Ich warne davor, Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Deutschland schärfere Bestimmungen durchzusetzen, Nach interfraktioneller Vereinbarung haben wir für als sie international üblich sind. Wir entzögen den deut- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die schen Unternehmen damit die Geschäftsgrundlage. Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. – Wider- Wir unterstützen die Rückversicherungsaufsicht, da spruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. (B) sie internationaler Standard ist. Wir müssen alles tun, um Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst(D) den deutschen Unternehmen die besten Rahmenbedin- der Abgeordnete Michael Kauch. gungen zu geben; denn es geht letztlich um die Arbeits- plätze in Deutschland und unsere Chancen im internatio- Michael Kauch (FDP): nalen Wettbewerb. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lärm- Herr Kollege Dr. Krüger, ich möchte Ihnen und auch schutz ist Gesundheitsschutz. Jüngste Studien haben er- den Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von der geben, dass eine dauerhaft hohe Lärmbelastung das FDP für die Zusammenarbeit gerade in den letzten Ta- Herzinfarktrisiko signifikant erhöht. Über diese Punkte gen danken. sind wir uns alle einig. Nachdem wir gestern bei der Be- ratung des Umweltgutachtens wieder festgestellt haben, Ich will ein Fazit ziehen. Die Versicherten in Deutsch- dass beim Lärmschutz mehr geschehen muss, würde ich land gewinnen durch dieses Gesetz Vertrauen zurückaber gerne einmal Taten sehen, anstatt immer nur schöne und wissen, dass sie sich auf ihren Krankenversiche-Worte zu hören. rungsschutz und auf ihre private Altersversorgung ver- lassen können. Ich denke, dass auch die Versicherungs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gesellschaften wissen, dass sie mit der Unterstützung Wenn Lärm an der Quelle nicht zu reduzieren ist, dieses Gesetzes ihre eigene Wettbewerbsposition stär- dann müssen die Verursacher für die Betroffenen passi- ken; denn das Vertrauen ihrer Kunden ist ihre Geschäfts- ven Lärmschutz bereitstellen. Dies zu regeln ist Aufgabe grundlage. des Fluglärmgesetzes. Das aktuell geltende Fluglärmge- Ich danke Ihnen. setz stammt aus dem Jahr 1971 und ist seitdem nahezu unverändert geblieben. Auch nach sechs Jahren Umwelt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) minister Trittin und trotz aller Lippenbekenntnisse ist dies so. All diese Lippenbekenntnisse sind für die An- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wohner nichts wert. Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache. (Jürgen Koppelin [FDP]: Er fliegt eben so gerne!) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Mit seinen durch die Lärmwirkungsforschung über- rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und andererholten Grenzwerten wird das Fluglärmgesetz dem Schutz- Gesetze, Drucksache 15/3418. Der Finanzausschussinteresse der Anwohner schon lange nicht mehr gerecht. empfiehlt auf Drucksache 15/3976, den Gesetzentwurf Die Grenzwerte sind so veraltet, dass sie beispielsweise 12212 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Michael Kauch (A) am Flughafen meiner Heimatstadt Dortmund auf der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg (C) Startbahn gerade noch erreicht werden. EineModerni- Tauss [SPD]: Sie sagen doch immer, wir sollen sierung des Gesetzes ist also überfällig. Doch was sparen!) macht diese Bundesregierung? Für die Gesundheit der Anwohner ist es aber egal, (Jörg Tauss [SPD]: Gutes!) wer den Lärm verursacht. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Für die FDP-Fraktion wird es beim Lärmschutz Seit dem Jahr 2000 versprechen Sie den Anwohnern keine Bürger erster, zweiter oder dritter Klasse geben. in den Einflugschneisen in wunderbaren Vereinbarungen ein modernes Fluglärmgesetz. Aber bisher – das muss (Beifall bei der FDP) ich erneut feststellen – gibt es keinen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag. Wir haben in unserem Antrag die liberalen Eckpunkte für ein modernes Fluglärmgesetz formuliert. Wir fordern (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den hier nicht anwesenden Minister Trittin auf, dem der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wir for- Bundestag endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf schen an leisen Triebwerken! Das ist doch zuzuleiten und nicht nur nett mit den Verbänden über noch viel besser! Wir wollen nicht immer nur Referentenentwürfe zu sprechen. Gesetze machen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Nun wurde zum zweiten Mal – die Staatssekretärin ist ja der CDU/CSU) da – ein Referentenentwurf des Umweltministeriums vorgelegt. Aber er steckt wie schon der erste Entwurf in Die FDP steht für einen fairen und angemessenen der Abstimmung zwischen den Ministerien. Die Bundes- Ausgleich zwischen den Interessen der Anwohner, der regierung ist in diesem Bereich heillos zerstritten. Luftfahrtgesellschaften und der Flughafenbetreiber. Des- halb fordern wir, dass die Grenzwerte dem aktuellen (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – Stand der Lärmwirkungsforschung entsprechen, dass es Jörg Tauss [SPD]: Na, na!) gleiche Grenzwerte für bestehende, neue, auszubauende Der Staatssekretär des Finanzministeriums ist schon ge- und militärische Flughäfen gibt, dass eine Nachtschutz- gangen; das ist wahrscheinlich Absicht. zone für all diese Flughäfen vorgesehen wird, dass wir realistische Berechnungsmethoden und nicht die so ge- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kann nannte „100 zu 100“-Regelung zugrunde legen und dass man sich ja auch wirklich nicht anhören!) es schließlich keine Ausnahmeregelungen zum Bauver- Ich fordere die Koalition auf, im Interesse der Anwohner bot in der Schutzzone 1 geben darf. und der Flughäfen: Kommen Sie bei diesem Gesetz end- (B) (Beifall bei der FDP) (D) lich zu einer Einigung! Das sind die Kriterien, an denen sich ein Gesetzent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wurf, der den Namen wert ist, messen lassen muss. Der der CDU/CSU) Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums ist Was steht in dem Referentenentwurf des Umweltmi- von diesen Kriterien leider immer noch viel zu weit ent- nisteriums? fernt. (Jörg Tauss [SPD]: Sagen Sie es uns!) Ich danke Ihnen. Knapp gesagt: Es soll beim Lärmschutz zu einer Klas- (Beifall bei der FDP) sengesellschaft kommen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Klas- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: senkampf à la FDP!) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann. An neuen und auszubauenden Flughäfen gibt es schon bei niedrigeren Grenzwerten Schallschutzmaßnahmen als an bestehenden. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Jörg Tauss [SPD]: Das war bei Ihnen so!) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Anwohner an Militärflughäfen – jetzt hören Sie gut zu – Sie haben Recht: Wir brauchen dringend eine Novelle sollen erst bei Grenzwerten geschützt werden, die diedes Fluglärmgesetzes. Das sagen inzwischen übrigens Lärmwirkungsforschung einhellig als gesundheitsge-alle. fährdend ablehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Der Grund dafür – das ist die einzige überzeugende bei der SPD und der FDP – Horst Kubatschka Erklärung – ist, dass hier der Bund die Maßnahmen, die [SPD]: Endlich auch die FDP!) er beschließt, bezahlen muss, während bei normalen Ver- Aber wenn es Ernst wird, wenn die Umsetzung ansteht kehrsflughäfen die Gemeinden, die Länder oder Private und es um Geld geht, dann hat man ziemlich viele Geg- bezahlen müssen. Hier macht sich der Bund wieder ein- ner: die Eigentümer, die Flugwirtschaft, zum Teil auch mal einen schlanken Fuß: Immer wenn es an die eigene die Länder, sogar die eigenen Länder. Tasche geht, ist man mit dem Fortschritt plötzlich zu- rückhaltend. (Jürgen Koppelin [FDP]: Die Grünen!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12213

Winfried Hermann (A) Auf der Seite der Wirtschaftsinteressen steht meistens einem Etat von rund 25 Milliarden Euro 20 Millionen(C) die FDP. Ich freue mich außerordentlich, dass Sie sich Euro pro Jahr in 10 Jahren nicht zu viel sind, als auch für explizit nicht auf die Seite der Wirtschaft gestellt haben, die zivile Flugwirtschaft, weil sie die Summe umlegen kann. Wir sind für das Verursacherprinzip. Wer fliegt, (Jörg Tauss [SPD]: Da haben die Lobbyisten noch der hat Vorteile und der kann 1 bis 2 Euro pro Ticket für nicht angerufen, sonst wäre das anders!) den Lärmschutz derer bezahlen, die den Fluglärm aus- sondern gesagt haben, dass Sie einen ambitionierten Ent- halten müssen, weil sie in der Nähe von Flughäfen woh- wurf wollen. Wir freuen uns, wenn Sie uns da unterstüt- nen. Das ist finanzierbar. zen. (Jürgen Koppelin [FDP]: Flüge von Trittin und Meine Damen und Herren von der FDP, wir haben in- Künast!) zwischen gehandelt. Sie haben zu Recht festgestellt, dass Jetzt komme ich zu einem Bereich, den Sie nicht an- es mühsam vorangeht. Aufgrund der zahlreichen Gegner gesprochen haben. Sie haben ganz auf den Fluglärm- geht es tatsächlich mühsam voran, aber es gibt den Refe- schutz im Fluglärmgesetz abgehoben. Wir sind über- rentenentwurf, der nicht einfach so mit den Verbänden zeugt, dass das nur eine Baustelle zur Bekämpfung des „beschwätzt“ worden ist, wie Sie gesagt haben; vielmehr Lärms ist. Eine weitere ist die EU-Richtlinie über handelte es sich um eine ordentlicheVerbändeanhö- Betriebsbeschränkungen. Dort wird von einem ausge- rung. Wie Sie wissen, gab es auf der einen Seite starken wogenen Ansatz angesprochen. Das heißt, es geht auch Druck von der Wirtschaft, der der Gesetzentwurf viel zu darum, ob wir die Möglichkeit eröffnen, in Deutschland weit ging, auf der anderen Seite von den Umweltverbän- Nachtflugverbote einzuführen, oder darum, dass wir be- den, denen der Gesetzentwurf nicht weit genug ging. Ich stimmte Flugzeugtypen verbieten. Das ist mittels eines kann nur sagen: Ein Gesetzgeber ist gut beraten, wenn er ausgewogenen Ansatzes machbar. zwischen diesen beiden Interessen die Balance findet. Das ist die Aufgabe des Fluglärmgesetzes. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich meine, der Entwurf des Umweltministeriums Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sucht diese Balance. Wirwollen aufgrund der For- Kollegen Kauch? schungsergebnisse den Lärmschutz für die Menschen aus gesundheitlichen Gründen klar verbessern. Wir wol- Winfried Hermann len die Siedlungsplanung einschränken. Es soll nicht (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mehr möglich sein, dass man direkt an die Flughäfen he- Wenn ich meinen Satz ausgesprochen habe, ja. ranbaut. Wir wollen, dass sich zivile und militärische Wir wollen auch freiwillige Verfahren wie das Media- (B) Flughäfen an der Finanzierung beteiligen. tionsverfahren, das etwa in Frankfurt erfolgreich prakti- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ziert wird. So etwas wollen wir zur Reduzierung des und bei der SPD) Lärms gerne befördern. Der Anwendungsbereich wird erweitert werden. Es (Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommt die Rubrik sind nicht nur die großen Flughäfen, sondern alle Flug- „lebensbegleitendes Lernen“!) häfen und Landeplätze, die über 25 000 Starts und Lan- dungen pro Jahr haben. Wir wollen auch, dass diesmal Michael Kauch (FDP): der militärische Fluglärm einbezogen wird. Es war ein Herr Hermann, wenn Sie die Umsetzung der EU- Kampf mit dem Verteidigungsministerium auszufechten, Richtlinie zu Betriebseinschränkungen an Flughäfen an- aber die Koalition hat sich darauf verständigt, den Mili- sprechen und diese für so bedeutsam halten, können Sie tärlärm ebenfalls in das Gesetz aufzunehmen. mir dann erklären, warum die Bundesrepublik Deutsch- Wir werden strengere Grenzwerte einführen. Wirland diese Richtlinie nicht innerhalb der gesetzten Frist werden Nachtschutzzonen einführen und wir werden das bis 2003 umgesetzt hat? Messverfahren modernisieren, ganz wie Sie es in Ihrem Antrag gefordert haben. Wir werden Baubeschränkun- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen in dieses Gesetz aufnehmen, damit die Kommunen Das kann ich Ihnen erklären. Es gibt dazu in der Tat nicht zulassen, dass an die Flughäfen herangebaut wird, unterschiedliche Meinungen, auch innerhalb der Bun- und sich dann anschließend die Anwohner darüber be- desregierung. Das Verkehrsministerium ist der Meinung, klagen, dass es dort laut ist. Das soll verhindert werden. dass die Umsetzung in deutsches Recht schon weitge- hend abgeschlossen ist, während Ökologen wie auch das Kommen wir nun zum spannenden Teil, den Kosten. Umweltministerium meinen, dass die Richtlinie weiter Teile der Flugwirtschaft sagen, dass das alles nicht be- geht als das deutsche Recht nach derzeitigem Stand. Sie zahlbar sei. Seriöse Berechnungen des Umweltbundes- umfasst zum Beispiel Nachtflugregelungen, die es im amtes gehen davon aus, dass für Schallschutzmaßnah- deutschen Recht in dieser Form noch nicht gibt. men ungefähr 500 Millionen Euro vom zivilen Flugverkehr und etwa 100 Millionen bis 200 Millionen Wir werden uns bemühen. Wir werden aber des Flug- Euro vom militärischen Flugverkehr aufgebracht werden lärms nicht Herr werden, wenn wir ein Fluglärmgesetz müssen. Wenn man bedenkt, dass die Summe verabschieden, auf das nur auf passiven Schallschutz setzt, 10 Jahre gestreckt wird, ist das absolut zumutbar, und ohne gleichzeitig ein Gesetz zur aktiven Beschränkung zwar sowohl für den Verteidigungsminister, für den bei des Fluglärms auf den Weg zu bringen. 12214 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Winfried Hermann (A) (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Ist das ein Streit (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE (C) in der Bundesregierung?) GRÜNEN]: Es werden täglich mehr!) – Ich entnehme Ihrer Frage, dass wir mit der breiten Un- Tatsächlich aber ist nichts passiert. Bereits vor gut zwei terstützung der Opposition rechnen können. Dafür danke Jahren hat Ihre frühere Staatssekretärin Gila Altmann bei ich Ihnen. einer Veranstaltung der Grünen in Freising angekündigt, dass die Menschen in der Umgebung des Flughafens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN München von der Novelle des Fluglärmgesetzes keine sowie bei Abgeordneten der SPD) nennenswerten Verbesserungen gegenüber dem heutigen Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen. Zustand zu erwarten haben. Es gibt einen gewissen Harmonisierungsbedarf. Das Wer geglaubt haben mag, dass sich das grüne Element haben Sie in Ihrem Antragauch festgestellt. Zurzeit der Koalition wenigstens zum Segen der Umwelt aus- stimmen die Messverfahren der Umgebungslärmrichtli- wirken würde, sieht sich maßlos getäuscht. nie einerseits und des Fluglärmgesetzes andererseits noch nicht eins zu eins überein. Wir werden vermutlich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist in einem parlamentarischen Verfahren prüfen müssen, denn die Position der Bayerischen Staatsregie- inwieweit die Messverfahren zusammenpassen. rung?) Abschließend fasse ich zusammen: Um endlich zu ei- Im Jahr 1998 wurde uns von Herrn Bundesumweltminis- ner Lösung zu kommen, müssen wir einen fairen Kom- ter Trittin und anderen vollmundig die Novellierung des promiss zwischen den Interessen der Wirtschaft und der Fluglärmgesetzes versprochen. Seit Mai 2000 kann man Anwohner hinsichtlich der Gesundheit und des Lärm- auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums ein schutzes finden. Flugverkehr ist in Deutschland aufpaar Eckpunkte als Ankündigungsbaustelle nachlesen. Dauer nur dann möglich, wenn wir einen solchen Kom- Wir warten seit sage und schreibe sechs Jahren, aber bis promiss erzielen. heute gibt es noch nicht einmal einen abgestimmten Re- ferentenentwurf. Ich appelliere nochmals an die Flugwirtschaft und an all diejenigen, die eventuell gegen ein solches Gesetz (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihr hät- opponieren wollen: Wir brauchen dieses Gesetz, wenn tet in Bayern einen vorlegen können!) der Flugverkehr in Deutschland auf Dauer Akzeptanz Das Bundesumweltministerium und das Bundesver- finden soll. kehrsministerium liegen – wie auch Herr Hermann eben Vielen Dank. bestätigt hat – im Streit. Von der Bundesregierung ist in (B) dieser Angelegenheit nichts zu erwarten. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wenn Sie wider Erwarten noch dieses Jahr einen abgestimmten Referentenentwurf zustande bringen wür- den, Herr Hermann, wäre das für mich wie ein Weih- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nachtsgeschenk. Unterdessen findet nämlich rund um Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier. die Flughäfen weiterhin eine mehr oder weniger unge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordnete Siedlungsentwicklung statt. Manche Gemeinden weisen immer noch zu viele Baugebiete in Flughafen- nähe aus. Bauwillige lassen sich guten Glaubens dazu Franz Obermeier (CDU/CSU): überreden, dort ihr Eigenheim zu errichten. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der FDP-Antrag zeigt uns vor allem eines: Die Bundes- (Jörg Tauss [SPD]: Sehen Sie! Deswegen wollen regierung ist Ankündigungsweltmeister im Umwelt- wir auch die Eigenheimzulage streichen!) schutz. Angesichts der problematischen Immobilienlage in der (Horst Kubatschka [SPD]: Etwas anderes habe Region ist das verständlich. Die Menschen denken: ich nicht erwartet!) Wenn die Kommune das empfiehlt, dann kann es sicher- lich nicht so schlimm werden. Später dann – angesichts Ob es um die Endlagerung von radioaktivem Abfall geht der prognostizierten Entwicklung der Flughäfen ist das oder um Fluglärm: In Wahrheit geschieht nichts. ja verständlich – ist der Fluglärm so stark, dass ein ver- (Werner Wittlich [CDU/CSU]: Null! So ist nünftiges Wohnen in den betroffenen Gegenden nicht es!) mehr angebracht erscheint. Eben konnten wir verfolgen, wie Herr Hermann in epi- Wir brauchen eine vernünftige Siedlungssteuerung scher Breite geschildert hat, was alles getan werdenund eine vernünftige Schutzgebietsfestsetzung. Lärmbe- müsste. In Wahrheit aber geschieht, wie gesagt, nichts. troffene Bürger müssen für jeden Einzelfall die Gerichte bemühen. Wer das Risiko scheut, krank ist oder zu we- Aus der Umgebung des Flughafens München ist mir nig Geld hat, der hat aufgrund Ihrer Politik das Nachse- eine Reihe von Schicksalen von Menschen bekannt, die hen. Es geht aber auch um Planungssicherheit für Inves- vor zwei bzw. sechs Jahren den Grünen ihre Stimme ge- titionsentscheidungen, Wirtschaftsansiedlungen und die geben haben in der Hoffnung, dass endlich etwas ge-Schaffung von Arbeitsplätzen; denn wir stehen im glo- schieht. balen und europäischen Wettbewerb. Man kann es nicht Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12215

Franz Obermeier (A) oft genug sagen: Rund 750 000 Beschäftigte sind direkt Rechtsprechung zum Fluglärm. Damit haben Sie einen (C) oder indirekt vom Luftverkehr abhängig. In absehbarer tragfähigen Rahmen, aufgrund dessen Sie neue Schutz- Zeit ist die Schaffung von weiteren 100 000 Arbeitsplät- zonen und niedrigere Grenzwerte festlegen können. zen denkbar. Am Flughafen München lässt sich die Ent- Wichtig ist auch ein ausreichender Schutz derNacht- wicklung gut ablesen. Mit jeder Million, um die die Zahl ruhe. Das liegt mir ganz besonders am Herzen; denn ich der Flugpassagiere steigt, nimmt auch die Anzahl derhabe festgestellt – ich selber bin zwar kein unmittelbarer Arbeitsplätze zu. Dies ist im Übrigen völlig unstrittig. Anrainer, wohne aber in der Nähe eines Flughafens –, Ihr Kollege Bruckmann hat erst vor kurzem diese Zahlen dass die Bürgerschaft wohl am meisten unter dem bestätigt. Dafür müssen wir aber unsere Rolle in derNachtfluglärm leidet. Außerdem hat die Lärmwirkungs- Mitte Europas flugverkehrsmäßig voll annehmen. In der forschung bewiesen, dass Nachtlärm zu erheblichen Be- Zeit von Karstadt und Opel wird wohl niemand mehreinträchtigungen führt. Allerdings hatte ich erwartet, solche Aussichten leichtfertig aufs Spiel setzen. dass es der Bundesregierung gelingt, innerhalb der Euro- päischen Union eine vernünftige Regelung gerade hin- Kurzum: Der jetzige Schwebezustand ist unerträglich. sichtlich des Nachtfluglärms auf den Weg zu bringen. Fakt ist: Hier und heute gilt noch immer das Fluglärmge- Wenn wir scharfe nationale Nachtflugregelungen treffen, setz von 1971 mit völlig überholten Werten, mit Werten, besteht nämlich die Riesenproblematik – die sehen auch die weder das heutige Verkehrsaufkommen noch diewir –, dass es zuWettbewerbsverzerrungen kommt. technischen Möglichkeiten und auch nicht die gesund- Der Nachtflugbetrieb auf unseren Flughäfen würde ver- heitlichen Aspekte der Lärmbelastungen nach unserem mutlich geringer, aber er würde ins benachbarte Ausland derzeitigen Kenntnisstand berücksichtigen. Der Flugver- abwandern. kehr wird sich nach den Prognosen bis 2015 mit hoher Wahrscheinlichkeit verdoppeln. Da tröstet es wenig, National wären neue Nachtschutzzonen ein geeigne- wenn die Gerichte über die Jahre mit ihren Entscheidun- tes Mittel. Aber bitte nicht gleich das Kind mit dem gen zu etwas zeitgemäßerem Umgang mit der Fluglärm- Bade ausschütten! Realistische Betrachtungen und Be- problematik beigetragen haben. Das ist sozusagen ein rechnungen sind ein absolutes Muss. Die „100 zu 100“- Zustand permanenter Nothilfe. Es ist nicht Aufgabe der Regelung aus dem Referentenentwurf zum Beispiel Richter, überholte Gesetze oder eklatante Gesetzeslü- cken jahrzehntelang mit Rechtsprechung zu stopfen. (Jörg Tauss [SPD]: Immerhin, wir haben einen Entwurf! Das wollen wir einmal fürs Protokoll (Horst Kubatschka [SPD]: Was haben Sie festhalten!) während Ihrer Regierungszeit gemacht? Sie haben noch nie regiert, was? Nichts haben Sie sollte den tatsächlichen Verhältnissen des Flugbetriebs gemacht!) angepasst werden. (B) (D) Es ist vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, allgemein (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Interes- gültige Regeln mit der notwendigen Klarheit aufzustel- sant, dass Sie auf Einzelheiten eines nicht vor- len, beispielsweise in Form von Gesetzen. Es ist auch lo- handenen Entwurfs eingehen!) benswert und schön, wenn manche Flughafenbetreiber Das leuchtet doch sicherlich ein. Es müsste auch den rei- Entgegenkommen zeigen und passiven Schallschutz fi- sefreudigen Regierungsmitgliedern einleuchten. Der nanzieren oder sich sonst Gedanken über die Minimie- Herr Bundesumweltminister ist heute nicht hier, aber die rung der Schallbeeinträchtigungen machen. Aber in die- Frau Staatssekretärin ist hier. Ich weiß nicht, ob sie auch sen Genuss kommt nicht jeder Lärmbetroffene, der es so reisefreudig ist wie ihr Minister. Angesichts der Rei- nötig hat. sefreudigkeit des Ministers jedenfalls wäre es sicherlich Der Kern ist doch: Wir können uns nicht länger um angebracht, ein wenig schneller zu vernünftigen Ergeb- eine grundsätzliche Abwägung herumdrücken. Wir müs- nissen zu kommen. sen einen angemessenenAusgleich zwischen Klima- (Ulrike Mehl [SPD]: Wie wollen Sie denn schutz, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und An- heute nach Hause? – Horst Kubatschka [SPD]: wohnerinteressen finden. Das ist keine leichte Aufgabe; Herr Kollege, treffen wir uns im Flieger?) das gebe ich gerne zu. Aber Sie müssen doch endlich einmal anfangen, meine Damen und Herren auf der Re- Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir gierungsbank. Das ist Ihre Arbeit. Dafür sind Sie ge-natürlich einheitliche Messmethoden und Standards wählt worden, gerade Sie, verehrte Kolleginnen undauf europäischer und internationaler Ebene brauchen, Kollegen von der grünen Front. Wir von der Union sind ähnliche Methoden, wie sie für Straßen-, Schienen- und gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen. Gewerbelärm bereits zur Anwendung kommen. Das scheint mir außerordentlich wichtig zu sein. Vom fairen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Interessenausgleich zwischen Flughafenbetreibern und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Anwohnern war schon mehrfach die Rede. Legen Sie uns einmal etwas Vernünftiges vor! Dann Eines möchte ich noch sagen; das kann ich Ihnen können wir mit Ihnen sprechen. nicht ersparen. Ich stelle fest, dass sich bei sämtlichen Damit nichts offen bleibt, möchte ich Ihnen noch ein Diskussionen über Infrastrukturmaßnahmen im Ver- paar Dinge mit auf den Weg geben. Beginnen Sie mitkehrsbereich eine Gruppe in der Bundesrepublik den vorliegenden Erkenntnissen der Lärmwirkungsfor- Deutschland besonders hervortut. Das sind die Grünen schung! Hinzu kommt noch die höchstrichterlicheund ihre Anhänger vor Ort. 12216 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Franz Obermeier (A) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) DIE GRÜNEN]: Täglich mehr!) Als letzte Rednerin erhält jetzt die Abgeordnete Petra Bierwirth das Wort. Ganz egal, was wir diskutieren, ob wir Schienenverkehr, S-Bahn oder den Transrapid diskutieren – die Grünen Petra Bierwirth sind immer dagegen. (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich NEN]: Die Zeiten sind längst vorbei!) kann Sie beruhigen: Wir wollen ebenfalls ein neues Fluglärmgesetz. Wir haben bei uns am Flughafen vor einigen Jahren eine schöne Sache diskutieren können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sind rührig, HerrIch bin auch sehr optimistisch, dass wir uns demnächst Obermeier!) an dieser Stelle wiedertreffen und über die Novelle des Fluglärmgesetzes sprechen, Die Grünen haben die Behauptung aufgestellt, der Flug- hafen sei übererschlossen. Jetzt haben wir zwei S-Bahn- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD], zur Linien, eine erweiterte Autobahn und es reicht immer CDU/CSU gewandt: Da können Sie im Bun- noch nicht. Trotzdem wehren sich die Grünen gegen al- desrat zustimmen!) les, was in Richtung Fortschritt im Verkehrsbereich geht. Die Bürgerinnen und Bürger vor Ort erkennen dieseszumal Sie über den Referentenentwurf, zwielichtige Spiel natürlich sehr gut. (Jörg Tauss [SPD]: Den es nicht gibt!) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den es an und für sich noch gar nicht gibt, schon so gut ) NEN: Deshalb wählen Sie uns! informiert sind. Ich denke, Sie teilen meine Auffassung Sie zeigen bei verschiedensten Veranstaltungen auch,dazu. was man von einer derart scheinheiligen Politik zu hal- (Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt ten hat. [Salzgitter] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Auch wir wissen, dass Lärm inzwischen zu den gra- der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) vierendsten Umweltproblemen in unserem hoch tech- (D) NEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: nologisierten und dicht besiedelten Land gehört. Auch Nachher treffen Sie sich wieder mit anderen wir wissen, dass durch Lärm verursachteGesundheits- Fluggästen im Flugzeug nach München!) beeinträchtigungen, zum Beispiel Schwerhörigkeit, Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Antrag Schlafstörungen und Stresserscheinungen, die Menschen selbst sagen. in erheblichem Maße belasten. Das Hauptproblem ist hier nun einmal Verkehrslärm und vor allen Dingen (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Fluglärm. Neueste Umfragen besagen, dass sich circa ein Drittel der Bevölkerung durch Fluglärm belästigt Selbstverständlich schließt sich die CDU/CSU-Bundes- fühlt. tagsfraktion dem flehentlichen Wunsch der Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Bundestagsfraktion voll und Man muss natürlich auch feststellen, dass derLuft- ganz an, der da schlicht und einfach lautet: Bitte legen verkehr in Deutschland inzwischen ein bedeutender Sie jetzt so schnell wie möglich einen vernünftigen Ge- Verkehrsträger geworden ist. Ich denke, das wissen Sie, setzentwurf zur Novellierung des geltenden Fluglärmge- liebe Kollegen und Kolleginnen, die Sie nachher sicher- setzes vor. lich wieder ins Flugzeug steigen und nach Hause fliegen, am besten. Das Flugzeug gehört heute zu den wichtigs- (Jörg Tauss [SPD]: Den haben Sie doch gerade ten Transportmitteln im Güter- und Personenverkehr. schon zitiert! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Der Luftverkehr und die Luftverkehrswirtschaft ver- [SPD]: Eine sehr zwiespältige Rede!) zeichnen rasant zunehmende Leistungen. Die Branche Das parlamentarische Beratungsverfahren – das wird lei- ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Deutschland der oft vergessen – ist eigentlich dazu da, im gemeinsa- geworden. Aber man muss natürlich klar sagen: Mit die- men Ringen die bestmögliche Lösung zu erzielen. Wir sem Aufwärtstrend gehen höhere Belastungen der Um- stehen jederzeit für Gespräche bereit. Wir stehen sozusa- welt einher. gen vor dem Ring und warten auf Ihre Signale. Richtig ist – das ist heute schon von allen angespro- Herzlichen Dank. chen worden –, dass das Fluglärmgesetz von 1971 nicht mehr den aktuellen Erkenntnissen der Lärmwirkungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – forschung entspricht. Ich verstehe aber gar nicht Ihre Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und da- Aufregung darüber, dass bisher noch keine Novelle zum für gibt’s noch Beifall!) Fluglärmgesetz vorliegt. Ich kann mich erinnern, dass Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12217

Petra Bierwirth (A) Sie hier eine ganze Reihe von Jahren Regierungsverant- Mobilität von Mensch und Fracht zukünftig weiter aus- (C) wortung getragen haben. Mir ist nicht bekannt, dass in gebaut werden müssen. Dazu gehören natürlich wirk- Ihren Reihen dieses Problem zum damaligen Zeitpunkt same nachhaltige Maßnahmen zur Fluglärmreduzierung, diskutiert worden ist. um einen ausreichenden Schutz der Bürger und Bürge- rinnen vor unerwünschtem Fluglärm zu gewährleisten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Kubatschka [SPD]: Die Novellierung des Fluglärmgesetzes muss sowohl Die haben halt bloß gesessen und nichts ge- dem erforderlichen Schutz der Bevölkerung vor Lärm macht! – Gegenrufe von der CDU/CSU: Und als auch den Bedürfnissen der Betreiber von Flugplätzen Sie streiten sich! – Wie die Kesselflicker!) gerecht werden. Ich gehe ganz fest davon aus – ich sage das hier noch einmal –, dass wir demnächst gemeinsam Wir nehmen diese Entwicklungen sehr ernst und disku- an dieser Stelle über dieNovelle zum Fluglärmgesetz tieren schon darüber. Wie ich schon gesagt habe, werden diskutieren werden. Ich hoffe, wir werden konstruktiv wir demnächst über einen konkreten Vorschlag gemein- darüber beraten, wie wir diese Ziele erreichen können. sam sprechen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Fluglärmgesetz von 1971 entfaltet kaum noch DIE GRÜNEN) Wirkungen, da dieLärmschutzzonen oftmals kaum über das Flughafengelände hinausreichen. Das hat natür- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: lich auch mit der Entwicklung leiserer Flugzeuge zu tun, Vielen Dank, auch für die kurze und knappe Rede, bei durch die der durchschnittliche Lärmpegel, von dem die der Sie uns allen sogar noch ein bisschen Zeit geschenkt Größe der Lärmzone abhängt, niedriger ist. Für die Men- haben. schen aber, deren Wahrnehmung vom tatsächlich beste- henden Pegel bestimmt wird, ist der Fluglärm mit seiner Ich schließe damit die Aussprache. besonderen Ausbreitungsdynamik nach wie vor eine Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf sehr große Belastung. Drucksache 15/2862 an die in der Tagesordnung aufge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- DIE GRÜNEN) verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Eine gesetzliche Anpassung an die heutigen Erforder- Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatz- nisse ist aus unserer Sicht dringend erforderlich. punkt 11 auf: (B) (D) Mit der Neufassung des Fluglärmgesetzes soll der 27 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Anspruch der Flughafenanwohner auf effektiven Lärm- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- schutz gestärkt werden. Dazu gehört unter anderem brachten Entwurfs eines Gesetzes über das In- – auch das ist heute schon angesprochen worden – eine verkehrbringen, die Rücknahme und die um- vorausschauende Siedlungsplanung in lärmbelasteten weltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Bereichen um den Flughafen herum, um zukünftig auch Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronik- Lärmkonflikten besser vorbeugen zu können. gerätegesetz – ElektroG)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 15/3930 – DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Eine Novelle sollte aucheine Ausweitung des An- Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit wendungsbereiches auf weitere Flugplätze vorsehen. Hiermit ist eine Gleichbehandlung materiell vergleich- ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit barer Fluglärmsituationen zu erreichen. Außerdem sind Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael wir der Auffassung, dass auch Flugplätze der Bundes- Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion wehr in die Reichweite einer Novelle zum Fluglärmge- der FDP setz einbezogen werden sollen. Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökolo- Auch dem Schutz der Nachtruhe müssen wir mit der gisch sachgerecht und unbürokratisch gestal- anstehenden Novellierung besondere Bedeutung beimes- ten sen. Zum Beispiel kann die Ausweisung von Nacht- – Drucksache 15/3950 – schutzzonen den Anforderungen gerecht werden. Unser Überweisungsvorschlag: aller Ziel muss es sein, gesundheitlich bedenkliche Stö- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) rungen der Nachtruhe zu verhindern. Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union In Deutschland als modernem, technisch hoch ent- Hier haben die Abgeordneten Bollmann, Wittlich und wickeltem Land wird das Angebot einer nachhaltigen Homburger sowie der Bundesminister Trittin gebeten, 12218 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie da- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-(C) mit einverstanden? – Dann verfahren wir so. ordnung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Drucksachen 15/3930 und 15/3950 an die in der Tages- destages auf Mittwoch, den 27. Oktober 2004, 13 Uhr, ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt ein. es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Die Sitzung ist geschlossen.

1) Anlage 3 (Schluss: 14.41 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12219

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Adam, Ulrich CDU/CSU 22.10.2004* Dr. Schwanholz, Martin SPD 22.10.2004

Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 22.10.2004 Schwanitz, Rolf SPD 22.10.2004

Brüderle, Rainer FDP 22.10.2004 Strebl, Matthäus CDU/CSU 22.10.2004

Carstens (Emstek), CDU/CSU 22.10.2004 Stübgen, Michael CDU/CSU 22.10.2004 Manfred Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 22.10.2004 Dött, Marie-Luise CDU/CSU 22.10.2004 Welt, Jochen SPD 22.10.2004 Flach, Ulrike FDP 22.10.2004 Wissmann, Matthias CDU/CSU 22.10.2004 Friedrich (Mettmann), SPD 22.10.2004 Lilo Wülfing, Elke CDU/CSU 22.10.2004

Griefahn, Monika SPD 22.10.2004 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union Ibrügger, Lothar SPD 22.10.2004

Jonas, Klaus Werner SPD 22.10.2004* Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden (B) Kumpf, Ute SPD 22.10.2004 (D) zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Letzgus, Peter CDU/CSU 22.10.2004* Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 25) Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 22.10.2004 Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Merkel, Petra-Evelyne SPD 22.10.2004 Wir diskutieren heute das Versicherungsaufsichtsände- rungsgesetz. Zwar hat die Versicherungswirtschaft ins- Neumann (Bremen), CDU/CSU 22.10.2004 gesamt die Krise der Kapitalmärkte der vergangenen Bernd Jahre gut überstanden, doch hat sich in einigen Punkten Bedarf an einer besseren Regulierung gezeigt. Rauber, Helmut CDU/CSU 22.10.2004 Wir sehen uns in der Verantwortung, Anleger und Verbraucher im Falle von Unternehmenskrisen besser zu Reichard (Dresden), CDU/CSU 22.10.2004 schützen und ihre erworbenen Ansprüche für die Alters- Christa vorsorge und ihren Krankenversicherungsschutz zu si- chern. Die Versicherungswirtschaft hat mit den Einrich- Ronsöhr, Heinrich- CDU/CSU 22.10.2004 tungen „Protektor“ und „Medicator“ schon eine gute Wilhelm Grundlage geschaffen. Wir wollen nun eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit künftig alle in Deutschland Scharping, Rudolf SPD 22.10.2004 ansässigen Lebens- und Krankenversicherer Mitglied ei- nes Sicherungsfonds sind, der durch Mitgliedsbeiträge Schauerte, Hartmut CDU/CSU 22.10.2004 der Versicherungswirtschaft gespeist wird. Die Beiträge orientieren sich am Risikoprofil der Unternehmen. Der Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 22.10.2004 Fonds stellt im Falle einer Unternehmensinsolvenz die Andreas erforderlichen Mittel zur Verfügung, um die Erfüllung der garantierten Leistungen aus den Verträgen so weit Schönfeld, Karsten SPD 22.10.2004 wie möglich zu gewährleisten. Der Sicherungsfonds ori- entiert sich im organisatorischen Bereich an den Siche- Schultz (Everswinkel), SPD 22.10.2004 rungssystemen im Bankenbereich. Die Durchführung Reinhard soll auf private Einrichtungen wie die bereits bestehenden 12220 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Anstalten „Protektor“ (Lebensversicherer) und „Medica- Krise der Kapitalmärkte sind sie verstärkt in den öffent- (C) tor“ (Krankenversicherer) übertragen werden können. lichen Fokus geraten. Die in dem Gesetzentwurf vorlie- Der Sicherungsfonds übernimmt die bestehenden Ver- genden Regeln orientieren sich eng an denen der Erst- träge und überträgt sie möglichst rasch auf ein anderes versicherer. Rückversicherungsunternehmen müssen Versicherungsunternehmen. nun eine Mindestausstattung an Eigenmitteln vorweisen und eine Zulassungsgenehmigung erhalten. Vor allem stehen bei uns die Stabilisierung des Ver- trauens in die private Altersvorsorge sowie der Verbrau- In diesem Zusammenhang soll auch die Aufsicht über cherschutz im Vordergrund. Wir haben darauf gedrängt, die Versicherungsholdings verbessert werden. Die Mög- dass die Eingriffsmöglichkeiten in die bestehenden Ver- lichkeiten der Aufsichtsbehörden, Maßnahmen gegen tragsansprüche der Versicherten so weit wie möglich be- Versicherungsunternehmen zu ergreifen, waren bisher grenzt werden. Dabei haben wir auch an die Versicherten eingeschränkt. Sie kann nun auch auf Holdinggesell- in den „gesunden“ Versicherungen gedacht, damit diese schaften zugreifen, die selbst kein Versicherungsunter- nicht über Gebühr für die „Sünden“ zum Beispiel von nehmen sind, aber möglicherweise die Risiken und Billiganbietern, Anbietern mit unseriösen Renditever- Eigenkapitalmittel ihrer untergeordneten Versicherungs- sprechen und ihren Managern im Versicherungsbereich unternehmen antizipiert haben. büßen müssen. Im Laufe der Legislaturperiode haben wir hier schon Natürlich haben auch die Versicherten ein Stück Ei- etliche Gesetze behandelt, die den Finanzplatz Deutsch- genverantwortung zu tragen, wenn es um die Wahl des land stärken. Dieses Gesetz ist ein weiterer Baustein. geeigneten Versicherungsunternehmens zur Abdeckung Der Finanzmarktsektor in Deutschland ist von zentraler der individuellen Risiken geht. So haben wir uns umBedeutung für die wirtschaftliche Stabilität von Staat ausgewogene Regelungen hinsichtlich der Interessenund Gesellschaft und erreicht einen Anteil von 4,6 Pro- von Versicherungsunternehmen und ihren Versicherten zent der Bruttowertschöpfung. Die Finanzbranche stellt bemüht. in Deutschland rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze zur Verfügung. Im Bereich der Lebensversicherung werden von den Versicherungsunternehmen ein Promille der Summe der Wir müssen der Internationalisierung der Kapital- versicherungstechnischen Nettorückstellungen aller Un- märkte, der Mobilität des Kapitals Rechnung tragen. ternehmen in den Sicherungsfonds gespeist, sodass bei Kernpunkte sind hierbei: mehr Transparenz auf den Eintritt einer Krise eine respektable Größe schon vor- Finanzmärkten, mehr Anlegerschutz sowie Modernisie- handen ist. rung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen. (B) Dann haben wir erreicht, dass für die Versicherten des (D) betroffenen Unternehmens das Eingriffsrecht in ihre Carl-Ludwig Thiele (FDP): Zunächst möchte mich Verträge in einem angemessenen Rahmen bleibt. Es darf vorab bei den Berichterstattern der anderen Fraktionen, bei den Lebensversicherungen nur bis maximal 5 Pro- Herrn Dr. Krüger, Herrn Hans-Peter Flosbach und Frau zent unterhalb der garantierten Leistungen gekürzt wer- Andreae, sowie bei Herrn Abteilungsleiter Asmussen den. und seinem Stab vom Finanzministerium sehr herzlich für die konstruktive Arbeit bedanken, die wir bei dieser Im Krisenfall also kann Soforthilfe über den Siche- komplizierten Materie in den notwendigen Berichterstat- rungsfonds (1 Promille) geleistet werden. Dann haben tergesprächen geleistet haben. sich die Unternehmen mit einem Sonderbeitrag von ei- nem Promille zu beteiligen, bis dann bei besonders gro- Seit Beginn der Beratungen gab es ein Bemühen aller ßem Ausmaß erst die Versicherten beteiligt werden. beteiligten Fraktionen, möglichst im Finanzausschuss und damit auch im Bundestag zu einer einvernehmlichen Die privaten Krankenkassen unterscheiden sich in ih- Lösung zu kommen. Ich freue mich, dass es heute zu ren Leistungen grundlegend von den Lebensversicherun- diesem überparteilichen Konsens im Deutschen Bundes- gen. Hier ist es die Aufgabe des Sicherungsfonds, mög- tag kommt. lichst sofort die laufenden Leistungen weiterführen zu können. Aus diesem Grund muss der Sicherungsfonds Ursache für dieses Gesetz war die Krise der Kapital- kein Vermögen vorhalten. Sollte es zu einem Kapital- märkte der vergangenen Jahre. Hierin haben sich Lücken mangel kommen, beteiligen sich die Versicherungsunter- und Schwächen des gegenwärtigen Regulierungsinstru- nehmen mit 2 Promille an dem Fonds. Die Versicherten mentariums gezeigt. Dies gilt für den Bereich der Rück- haben keine Sonderbeiträge zu leisten. versicherung für den Schutz der Versicherten im Fall von Unternehmenskrisen, dieses gilt für die betroffenen Ver- Ein weiterer wichtiger Punkt des Gesetzes für diesicherungen sowie auch für die Aufsicht über Versiche- Verbraucher und die Attraktivität und Stabilität des Fi- rungs-Holdinggesellschaften. nanzstandorts Deutschland ist die verbesserte Aufsicht über Rückversicherungsunternehmen. Der Internationale Als FDP begrüßen wir zunächst, dass es zukünftig Währungsfonds hat in seinem Bericht das Fehlen not- mehr Rechtssicherheit für Bürger gibt, die ihr Geld in wendiger Aufsichtsregeln bemängelt. Deutsche Rück- Lebensversicherungsverträgen anlegen. Die FDP be- versicherungsunternehmen halten einen Weltmarktan- grüßt, dass der Schutz für diese Versicherungsnehmer teil von fast einem Drittel und sind für einen stabilendeutlich gestärkt wird. Es war gut, dass in der Krise ei- Finanz- und Versicherungsmarkt unerlässlich. Seit der nes Unternehmens eine freiwillige Lösung durch die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12221

(A) anderen Versicherungen gefunden wurde. Die FDP ist Anlage 3 (C) allerdings der Auffassung, dass es einen gesetzlichen Zu Protokoll gegebene Reden Rahmen geben muss, weil eine solche Lösung nicht von einem Verband intern auf freiwilliger Ebene durchge- zur Beratung: führt werden sollte. Hier bedarf es einer gesetzlichen Re- – Entwurf eines Gesetzes über das Inverkehr- gelung, die allerdings möglichst unbürokratisch sein bringen, die Rücknahme und die umwelt- soll. verträgliche Entsorgung von Elektro- und Bezüglich der Lebensversicherungen erhält die Auf- Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronik- fanggesellschaft Protektor einen gesetzlichen Rahmen. gerätegesetz – ElektroG) Wir begrüßen für die FDP, dass es auch nach der Anhö- – Antrag: Verwertung von Elektronik-Altge- rung gelungen ist, das für die Sicherungseinrichtungen räten ökologisch sachgerecht und unbüro- erforderliche Kapital als Aktivtausch vornehmen zu kön- kratisch gestalten nen. Das heißt, hierdurch wird weder die Bilanz des Un- ternehmens noch werden die Verträge der Versicherten (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) belastet. Wir freuen uns auch darüber, dass es gelungen ist, den in der Sicherungseinrichtung einzulegenden Be- trag auf 1 Promille der versicherungstechnischen Rück- Gerd Friedrich Bollmann (SPD): Ich begrüße, dass stellungen zu begrenzen.Sollte eine Krise eintreten, die nunmehr ein Gesetzentwurf zur Entsorgung von Elektro- dieses Risiko übersteigt, so wären die Versicherungen und Elektronik-Altgeräten vorliegt. Mit dem heute ein- verpflichtet, ein weiteresPromille einzuzahlen. Erst gebrachten Gesetz regeln wir die Sammlung, Rück- dann würden die Versicherungsnehmer des betroffenen nahme, Behandlung und Verwertung von Elektro- und Versicherungsunternehmens mit 5 Prozent ihrer Einla- Elektronik-Altgeräten in Deutschland. Wir setzen damit die europäischen Richtlinien über Elektronik-Altgeräte gen zur Haftung herangezogen. und zur Beschränkung der Verwendung bestimmter ge- Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz den Rahmen fährlicher Stoffe in elektronischen Geräten fristgerecht dafür geschaffen haben, dass eine solche Krise nicht ein- und europarechtsfest in bundesdeutsches Recht um. treten kann. Sollte sie allerdings tatsächlich einmal uner- Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf ergänzen wartet eintreten, so glaube ich schon, dass mit dieser Re- wir die bereits vorhandenen Produktverordnungen. Wir gelung eines Sicherungsfonds die Risiken erheblichkommen damit unseren abfallwirtschaftlichen Leitlinien reduziert worden sind und die Versicherungsnehmer er- wieder ein Stück näher. Ressourcenschonung, Vermei- (B) heblich besser als bisher geschützt werden. dung von Abfällen, Minimierung der Restabfälle und die (D) Verbesserung des Gesundheits- und Umweltschutz- Bei Krankenversicherungen besteht eine gänzlich an- niveaus werden vorangebracht. ders gelagerte Situation. Sollte ein Unternehmen in Schwierigkeiten kommen, so werden zuerst die Beiträge Mit diesem Gesetz soll die Abfallmenge durch Ver- der Mitglieder erhöht. Dies ist auch der Grund dafür, wa- meidung und durch Wiederverwendung reduziert wer- rum bisher keine Krankenversicherung in selbst verur- den. Diesem Ziel wird unser Gesetzentwurf gerecht. Die sachte Schwierigkeiten geraten ist. Wir hoffen, das bleibt Sammelquote von 4 Kilogramm Altgeräten aus privaten so. Haushalten pro Einwohner und Jahr wird in Deutschland statistisch zwar bereits jetzt erreicht. Dies ist aber kein Deshalb freuen wir uns als FDP, dass diese Andersar- Grund, gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung tigkeit der Krankenversicherung auch dadurch ihrenzu unterlassen. In Gebieten, in denen es bis jetzt keine Ausdruck findet, dass für die Auffanggesellschaft „Me- Getrenntsammlung von Elektro-Altgeräten gibt, muss dicator“ kein Kapital der Unternehmen zur Verfügung sie ab dem 13. August nächsten Jahres eingeführt wer- gestellt werden muss. Ebenso wenig muss Personal zur den. Verfügung gestellt werden. Der Vorstand der Siche- Wichtiger ist noch, dass es jetzt klare Regelungen für rungseinrichtung hat allerdings dafür Sorge zu tragen, Verwertung und Recycling gibt. Diese werden zu einer dass kurzfristig Personal im Risikofall zur VerfügungErhöhung der Wiederverwertungsquoten im Bereich der steht. Ebenso halten wir es für notwendig, dass für einen Elektrogeräte führen. Das Leitziel der Produktverant- solchen Risikofall die versicherungstechnischen Rück- wortung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallge- stellungen der Krankenversicherungen in Höhe vonsetz, wonach Produkte langlebig, reparierbar, demontier- 2 Promille kurzfristig zur Verfügung gestellt werden.bar, recyclingfähig und schadlos zu beseitigen sein Gerade weil wir davon ausgehen, dass ein solcher Fall sollen, spiegelt sich in diesem Gesetzentwurf wider. Das nicht eintreten wird, ist hier lediglich der Rechtsrahmen wurde mir auch bei einem Besuch des Recyclingwerkes für eine Auffanglösung geschaffen worden, der abervon Fujitsu-Siemens in Paderborn bestätigt. Innovative keine weiteren Kosten verursacht. Unternehmen der Elektro- und Elektronikbranche, wel- che bereits heute auf die Wiederverwertung ihrer Pro- Ich möchte mich nochmals für die konstruktive Zu- dukte setzen, werden in ihrem aus ökologischer Sicht sammenarbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg und verantwortungsbewussten Handeln gestärkt. Wettbe- auch mit dem Bundesfinanzministerium bedanken. Die werbsnachteile gegenüber „Wegwerfprodukten“ werden FDP stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. verringert. Dem Ziel, dass bereits beim Design der 12222 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Produkte die spätere Wiederverwertung und Demontage zu bürokratisch. Wir sindjedoch durchaus bereit, über (C) berücksichtigt wird, nähern wir uns weiter an. mögliche Änderungen im Einzelfall zu reden. Ich ver- weise hier auf die im Umweltausschuss des Bundesrates Teilweise wird uns vorgeworfen, dass der vorliegende angenommenen Anträge, über die wir verhandeln kön- Gesetzentwurf zu bürokratisch und unpraktikabel sei so- nen. An der grundsätzlichen Ausrichtung des Gesetzes wie die betroffenen Unternehmen unverhältnismäßig be- bezüglich der Organisation halten wir jedoch fest. laste. Diesen Vorwurf in seiner generellen Form kann ich Ebenso werden die Unternehmen nicht unverhältnismä- nicht unwidersprochen stehen lassen. Ich befasse mich ßig belastet. Im Gegenteil stellt sich eher die Frage, ob inzwischen seit vielen Monaten mit dieser Thematik. In nicht die Anlastung der Kosten für die Sammlung bei dieser Zeit habe ich zahlreiche Gespräche mit Vertretern den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern eine fi- betroffener Unternehmen und besonders mit den führen- nanzielle Belastung für die Kommunen und die Abgaben den Verbänden ZVEI und Bitkom geführt. Beide Unter- zahlenden Bürger ist. Die geteilte Produktverantwortung nehmensverbände waren, insbesondere in der Frage der kommt den Herstellern entgegen und entlastet sie finan- organisatorischen Umsetzung der europäischen Richt- ziell. Von einer übermäßigen Belastung von Unterneh- linie, von Beginn an beteiligt. In den entsprechenden Pa- men kann also keineswegs die Rede sein. ragraphen des Gesetzes sind die Vorstellungen und Vor- schläge der betroffenen Wirtschaft eingeflossen. Das Wir haben erreicht, dass die finanzielle Belastung der betrifft die Organisation der „Gemeinsamen Stelle“, die Kommunen bzw. der öffentlich-rechtlichen Entsor- Dokumentations-, Melde- und Finanzierungspflichten gungsträger möglichst gering ausfällt. Kommunen und sowie die Abholung der gesammelten Altgeräte. Kreise, welche bereits jetzt Elektroschrott sammeln und entsorgen, werden zukünftig von den Kosten der Entsor- Diese Vorschläge erschienen mir anfangs sehr kom- gung befreit. Zugunsten der Öffentlich-Rechtlichen sind pliziert, das will ich durchaus zugeben. Aber warumdie Anforderungen bei der Sammlung auf das ökolo- sollten wir das Angebot der betroffenen Wirtschafts-gisch und abfallwirtschaftlich Notwendige beschränkt. zweige, bei der Organisation mitzuarbeiten, ablehnen? Die Zahl der Gruppen, in denen Altgeräte gesammelt Wenn ZVEI und Bitkom diesem Gesetzentwurf zustim- werden, wurde auf sechs reduziert. Die Hersteller stellen men, sehe ich keine unverhältsmismäßige Belastung der die Behältnisse dafür unentgeltlich zur Verfügung. betroffenen Unternehmen. Ebenso halte ich das Gesetz insgesamt keineswegs für zu bürokratisch. Wir haben Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Belastung für versucht, zusätzliche Bürokratie auf das notwendigedie entsorgungspflichtigen Körperschaften nicht zu hoch Minimum zu beschränken. Daher haben wir in Abspra- ist. Eine nochmalige Überprüfung dieses Punktes würde che mit den Unternehmensverbänden Regelungen ge- ich begrüßen. Eine vollständige Übertragung der Kosten troffen, welche die Umsetzung weitgehend in die Ver- auf die Hersteller im Sinne einer ungeteilten Hersteller- (B) (D) antwortung der Privatwirtschaft legen. Ich und binProduktverantwortung halte ich nicht für durchsetz- überzeugt, dass die beteiligten Wirtschaftskreise ihr Bes- bar. Eine weitere Entlastung der Kommunen und Kreise tes geben werden, damit das Gesetz zu einem Erfolgsollte geprüft werden. wird. In diesem Zusammenhang halte ich den im Unteraus- Im Übrigen sind im Gesetz Sicherungen eingebaut, schuss des Bundesrates angenommenen Antrag Bayerns, welche bei einem Scheitern der „Gemeinsamen Stelle“ nach zehn Jahren zu überprüfen, ob nach weitestgehen- greifen und den Vollzug des Gesetzes sichern. dem Wegfall so genannter historischer Altgeräte die Hersteller die Kosten auch für die Sammlung und Bereit- Die Organisation der Sammlung durch die öffentlich- stellung der Elektro- und Elektronik-Altgeräte überneh- rechtlichen Entsorgungsträger folgt ebenso unseremmen sollten, für überlegenswert. Sinnvoller noch ist mei- Ziel, die Rücknahme und umweltverträgliche Entsor-nes Erachtens der im Umweltausschuss des Bundesrates gung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten unbürokra- angenommene Antrag Hamburgs, dass die Hersteller ab tisch umzusetzen und bewährte Strukturen zu erhalten. 2015 die Kosten für die Sammlung übernehmen müssen. In zahlreichen Städten, Gemeinden und Kreisen gibt es bereits heute erfolgreiche Systeme zur getrenntenSie können aus meinen bisherigen Verweisen erken- Sammlung von Elektro-Altgeräten. Die vorhandenennen, dass es bei einzelnen Punkten des komplexen Ge- Systeme der öffentlich-rechtlichen Entsorger haben be- setzes Änderungswünsche gibt. Diese Änderungswün- wiesen, dass sie am bestengeeignet sind, die getrennte sche sind jedoch meist nicht parteipolitisch motiviert. Sammlung des Elektroschrotts durchzuführen und die Die Abstimmungen über die Änderungsanträge im Um- Altgeräte einer umweltverträglichen Entsorgung zuzu- weltausschuss des Bundesrates zeigen, dass über alle führen. Wir wollen diese Infrastruktur nutzen und erhal- Parteigrenzen hinweg nach sachlichen Gesichtspunkten ten. Ich bin überzeugt, dass die getrennte Sammlungabgestimmt wird. Ich bitte Sie, meine Damen und Her- durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger die in ren, sachdienliche Änderungen in den Verhandlungen im jeder Beziehung beste und sinnvollste Methode ist, die Umweltausschuss einzubringen. Ich glaube, es ist dann Sammlungsquoten zu erreichen. Gleichzeitig ist die ge- möglich, einen breiten Konsens zu finden. trennte Sammlung derzeit das einzige Verfahren, die an- Schließlich möchte ich noch auf einige weitere Vor- schließende umweltverträgliche Entsorgung, Demon- teile und Verbesserungen, die dieses Gesetz bewirkt, hin- tage, Recycling und Wiederverwertung sicherzustellen. weisen. Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ha- Aus all diesen genannten Gründen ist der Gesetzent- ben die Möglichkeit, einzelne Gruppen der gesammelten wurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen keineswegs Altgeräte für ein Jahr selber zu entsorgen. Damit haben Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12223

(A) die entsorgungspflichtigen Körperschaften die Möglich- fälle zu vermeiden und eine Steigerung der Verwertungs- (C) keit, Sozialbetrieben und zum Beispiel Behinderten-raten mit sich bringen wird. Wir fordern aber auf der werkstätten mit der Demontage, Wiederverwertung und anderen Seite, dass sich die Maßnahmen zur Erreichung Entsorgung von Elektro-Altgeräten zu beauftragen. Uns dieser Ziele im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewe- Sozialdemokraten ist es sehr wichtig, dass Sozialbe- gen. Insbesondere dürfen keine unnötigen bürokrati- triebe, welche bereits jetzt im Bereich der E-Schrott-Ver- schen Hemmnisse aufgebaut werden, die keinen wesent- wertung tätig sind, erhalten bleiben. Diese Sozialbe-lichen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Hierzu gehört triebe leisten in dem Bereich eine oftmals ökologischzum Beispiel, dass keine überzogenen Dokumentations- vorbildliche Arbeit und vor allem bieten sie den Betrof- und Melde- und Registrierungspflichten festgeschrieben fenen eine sinnvolle Tätigkeit. Sie sind aus sozialenwerden dürfen, die die Betroffenen unnötig belasten. Gründen unseres Erachtens unverzichtbar. Kritisch zu hinterfragen ist zum Beispiel die Rege- Mit der beschriebenen Regelung ermöglichen wir den lung zur Zertifikaterteilung in § 11 Abs. 4 des vorgeleg- Fortbestand der Sozialbetriebe auf dem Gebiet der Alt- ten Gesetzentwurfs. Die dort gewählte Formulierung geräte-Verwertung. Trotzdem halte ich hier Verbesse-läuft auf eine erhebliche Bürokratisierung und Verteue- rung noch für möglich. Ausdrücklich begrüße ich hier rung des Überwachungsverfahrens für die Entsorgungs- die Bereitschaft einzelner Unternehmen, Sozialbetriebe betriebe hinaus, die sich mit der Behandlung von Altge- mit der umweltverträglichen Entsorgung der Elektro-räten beschäftigen. Die betroffenen Industrieverbände Altgeräte zu beauftragen. haben sich bereits zu Wort gemeldet. Zu Recht haben sie darauf hingewiesen, dass jeder Euro, der in die Entsor- Weiterhin verbessern SPD und Bündnis 90/Die Grü- gung fließt, von den Herstellern zuvor hart auf dem teil- nen mit dem eingereichten Gesetzentwurf durch die Ver- weise gesättigten Markt erkämpft werden muss. ringerung des Schadstoffgehaltes und das Verbot be- stimmter Schadstoffe den Gesundheitsschutz derCDU und CSU nehmen diese Sorgen sehr ernst und Verbraucher. Diese Verbesserung gegenüber dem jetzi- werden darauf achten, dass den Unternehmen keine un- gen Zustand darf meines Erachtens nicht gering geachtet nötigen bürokratischen Hemmnisse in den Weg gelegt werden. werden. Gleichzeitig müssensich die Hersteller aber auch bewusst sein, dass sie zukünftig eine zusätzliche Ich bin überzeugt, dass der Gesetzentwurf von SPD Verantwortung tragen. Sie dürfen sich nicht verleiten und Bündnis90/Die Grünen eine gute Lösung ist. Wir lassen, die Verwertung ohne weitere Kontrolle und ohne Sozialdemokraten sind jedoch durchaus bereit, nach der Definition von Standards nur über den Preis zu regeln. öffentlichen Anhörung im Rahmen der Verhandlungen CDU und CSU warnen auch davor, bei der nationalen im Umweltausschuss Änderungen vorzunehmen. Umsetzung über das Ziel der EU-Vorgaben hinauszu- (B) (D) Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. schießen. Denn die EU-Richtlinien eröffnen zum Teil er- hebliche Spielräume bei der Umsetzung in das jeweilige nationale Recht der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Werner Wittlich (CDU/CSU): Zu dieser Entwick- lung tragen auch rasantetechnische Innovationen und Eine Verschärfung der europarechtlichen Vorgaben die damit einhergehende kurze Nutzungsdauer der Ge- würde die Unternehmen in Deutschland gegenüber ihren räte bei. Besonders im Bereich der Computer-Hard- und Mitbewerbern in den anderen europäischen Staaten er- Software haben die Produkte häufig nur eine kurze Le- heblich benachteiligen, den Standort Deutschland belas- bensdauer. ten, Arbeitsplätze gefährden und zu Wettbewerbsverzer- rungen führen. Auch die komplexe Konstruktion der Geräte und die Verwendung gefährlicher Substanzen in einzelnen Bau- Die nationale Umsetzung sollte sich deshalb auf eine teilen wie zum Beispiel Blei, Quecksilber Eins-zu-eins-Umsetzung oder der europarechtlichen Vorga- Cadmium machen es nötig, dass eine Grundlage für eine ben beschränken. praxisgerechte und wettbewerbskonforme Regelung der Als grundsätzlich positiv beurteilen wir die klare Zu- Rücknahme und Entsorgung von Altgeräten geschaffen weisung der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten für wird. Auf der anderen Seite haben wir in den vergange- Rücknahme und Entsorgung. nen Jahren erhebliche Fortschritte in der Technik unserer Sortier- und Verwertungsanlagen erzielt. Auch diesen Für die Erfassung und Sammlung sind die öffentlich- neuen Entwicklungen müssen wir Rechnung tragen. rechtlichen Entsorgungsträger zuständig. Demgegenüber erstreckt sich die Verantwortung der Hersteller auf die Nach jahrzehntelangen Diskussionen über einen Re- Wiederverwendung, Behandlung, Verwertung und auf gelungsrahmen für die Entsorgung von Elektronikschrott die Übernahme der Kosten für die Entsorgung. Dadurch sind im Februar des vergangenen Jahres die so genann- wird eine effiziente und faire Gestaltung der Rücknahme ten Elektro-Altgeräte-Richtlinien in Kraft getreten. Der von Elektro- und Elektronikgeräten ermöglicht. heute vorgelegte Gesetzentwurf soll diese Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Durch die eigenverantwortliche Sammlung der Elek- trogeräte durch die öffentlich-rechtlichen Entsorger Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt eine Re- bleibt auch die kommunale Selbstverwaltung gewähr- gelung auf europäischer und deutscher Ebene, die das leistet. Die Kommunen verfügen zudem über den erfor- Prinzip der Herstellerverantwortung stützt, den Schad- derlichen Sachverstand zur Sammlung der Geräte. Die stoffgehalt der Geräte verringern hilft, dazu beiträgt, Ab- Rücknahme von Elektro- und Elektronikgeräten lässt 12224 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) sich über die bewährten kommunalen Sammelstrukturen und daher zu missverständlichen Deutungen führen(C) zudem ohne Verzögerungen und bürgernah organisieren. kann. Mit dieser Formulierung wird die im Interesse des Denn hier kann man an bisherige Rücknahmesysteme Kunden entwickelte „Smart Printing“-Technologie mit anknüpfen, die auf kommunaler Ebene bereits aufgebaut einem rechtlichen Bann belegt, obwohl sie die Wieder- sind und an die sich die Bürger bereits gewöhnt haben. verwendung nicht behindert. Selbst Hersteller wiederbe- Vom Verbraucher gelernte und akzeptierte Sammelstruk- füllbarer Kartuschen, die ihrerseits einen Austauschchip turen bieten auch die Sicherheit, die Rücknahme der Alt- verwenden, könnten genau wie die Originalhersteller geräte ohne Verzögerung bürgernah zu organisieren. Es durch eine unklare Auslegung behindert werden. Hier ist gibt kommunale Gebietskörperschaften, die bereits sehr unseres Erachtens eine rechtliche Klarstellung nötig. Die fortschrittlich in diesem Bereich sind. Andere wiederum gesetzgeberische Zielsetzung, die Wiederverwendung haben erheblichen Nachholbedarf. nicht durch besondere Konstruktionsmerkmale verhin- dern zu lassen, ist durch den Begründungstext zu § 4 des In meinem Heimatlandkreis beispielsweise hat sich neuen Gesetzes voll erfüllt. Wir schlagen vor, den Klam- die Sammlung von Elektroschrott in den vergangenen merzusatz ganz wegzulassen. Damit wäre gewährleistet, Jahren erheblich fortentwickelt. Im Rahmen eines Ab- dass der Einsatz von und die Entwicklungen weiterer, in- fallwirtschaftskonzeptes hat sich die getrennte Erfassung novativer Zusatzfunktionen im Interesse des Verbrau- von gebrauchten Elektro- und elektronischen Geräten chers nicht blockiert wird, ohne andererseits die Ziele schon in den frühen 90er-Jahren entwickelt. Bereits 1990 des Umweltschutzes zu gefährden. wurden zunächst die Kühlgeräte als einzelne Fraktion und Herde, Waschmaschinen und Wäschetrockner zu- Besonders vor dem Hintergrund des relativ kurzen sammen mit dem Schrott entsorgt. 1995 haben wir inner- Zeitraums stellt uns sowohl die Umsetzung der recht- halb der Sperrmüllsammlung die so genannte „braune lichen Rahmenbedingungen als auch die Schaffung eines Ware“ – Fernsehgeräte, Radios etc. – als eigenständige effizienten Rücknahmesystems vor besondere Heraus- Fraktion hinzugewonnen. 1996 wurden Elektrogeräte, forderungen. Wir denken, dass der vorgelegte Gesetzent- die von der Größe her in die Wertstofftonne passten, mit wurf in den weiteren Beratungen noch überarbeitet wer- der DSD- und PPK-Fraktiongesammelt, sortiert und den muss. Auch der von der FDP-Fraktion vorgelegte verwertet. Im Jahr 1987 wurde zudem die Problem-Antrag weist auf eine Reihe von kritikwürdigen Punkten abfallsammlung eingeführt, mit der auch die Erfassung hin, über die wir diskutieren sollten. Insbesondere müs- der quecksilberhaltigen Leuchtmittel erfolgte. Sperrige sen wir den Rotstift dort ansetzen, wo verzichtbarer Ver- E-Geräte wurden zu 60 Prozent in einem Holsystem und waltungs-, Kontroll- und Bürokratieaufwand Einzug in zu 40 Prozent in einem Bringsystem erfasst. Dieses über den Gesetzestext gefunden hat. Wir werden deshalb in den Gebührenhaushalt finanzierte System können pri- den kommenden Wochen die Diskussion mit den Betrof- (B) vate Haushalte, Elektrofachgeschäfte, aber auch Gewer- fenen suchen. Sicherlich werden wir auch im Rahmen(D) bebetriebe kostenfrei nutzen. einer Anhörung die Schwachstellen des Gesetzentwurfs genau ausloten können. Gerade in Gebieten, in denen bereits solch komplexe und funktionierende Sammelstrukturen bestehen, müs- sen wir darauf achten, dass gut funktionierende Systeme Birgit Homburger (FDP): Der heute vorliegende nicht wieder zerschlagen werden. Vielerorts wurden in Gesetzentwurf zur Rücknahme und zur umweltverträg- Projekten mit sozialverträglicher Arbeit Verwertungska- lichen Verwertung und Entsorgung von Elektro- und pazitäten geschaffen, die nicht infrage gestellt werden Elektronikgeräten dient der Umsetzung zweier europäi- sollten. Ungelöste Fragen sehen wir auch auf der Kos- scher Richtlinien. Es geht darum, den Abfall aus Elek- tenseite. Nach Schätzungen des Deutschen Städte- und tro- und Elektronikgeräten zu vermeiden und – soweit Gemeindebundes werden den Kommunen mit der Ein- dies nicht möglich ist – deren Verwertung zu fördern. führung des Elektrogesetzes für die Einsammlung von Elektroaltgeräten aus privaten Haushalten und für die Die FDP begrüßt die abfallwirtschaftlichen Ziele zur Bereitstellung kommunaler Sammelstellen jährlich zu- Schonung der Ressourcen, zur Minimierung der zu de- sätzliche Kosten in Höhe von bis zu 300 Millionen Euro ponierenden Abfälle sowie zum Erhalt und zur Weiter- entstehen. Diese Kosten müssten auf die allgemeine Ab- entwicklung des erreichten Gesundheits- und Umwelt- fallgebühr umgelegt werden. Der Deutsche Städte- und schutzniveaus. Dies gilt auch mit Blick auf den Bereich Gemeindebund rechnet mit einer jährlichen Mehrbelas- der Elektro- und Elektronikaltgeräte. tung von 4 Euro je Einwohner. Hier muss genau darauf Zwei Dinge dürfen aber auch in diesem Bereich der geachtet werden, dass der organisatorische AufwandAbfallwirtschaft nicht vergessen werden, beide sind eng sich in einem vernünftigen Rahmen hält und nicht außer verbunden mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verhältnis zu den umweltpolitischen Zielen und zum er- der Mittel. Zunächst geht es darum, dass der finanzielle zielbaren Umweltschutz gerät. und bürokratische Aufwand, der den Bürgerinnen und Handlungsbedarf sehen CDU und CSU auch in einem Bürgern und den betroffenen Unternehmen durch die weiteren Punkt, nämlich beim Sonderproblem Drucker- aufwendige Getrenntsammlung von Elektroschrott zuge- patronen. mutet wird, so gering gehalten wird, wie möglich. Es geht also um eine kostenminimale, einfache, schlanke Der Klammerzusatz in der Begründung des Gesetzes- und unbürokratische Realisierung dessen, was durch die textes zu § 4 enthält mit „Clever Chips“ einen Begriff, europäische Richtlinie vorgegeben ist. Die Betroffenen der weder technisch fassbar noch rechtlich definiert ist sollen nicht unnötig und übermäßig belastet werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12225

(A) Um es gleich offen zu sagen: Der von der Bundesre- Die FDP plädiert dafür, auch und gerade in der Um- (C) gierung vorgelegte Gesetzentwurf weist in genau dieser weltpolitik neuere technische Entwicklungen zur Kennt- Hinsicht zahlreiche Schwächen auf. Die betroffenen Un- nis zu nehmen. Nur so können neue und nachhaltig trag- ternehmen werden mit zum Teil erheblichem bürokrati- fähige Wege erschlossen werden, um Umwelt und schem Aufwand belastet, der unangemessen und vor al- Gesundheit wirkungsvoll zu schützen und zugleich die lem eben nicht unumgänglich ist. Der Gesetzentwurfbürokratischen und finanziellen Belastungen für die nutzt nicht alle Spielräume, die die europäische Richtli- Menschen so gering wie möglich zu halten. Es gibt be- nie bietet, um den bürokratischen und finanziellen Auf- achtliche Spielräume, um die Bürgerinnen und Bürger wand bei betroffenen Unternehmen zu minimieren und von unnötigen Kosten und abfallpolitischen Anachronis- damit auch die Belastung für Bürgerinnen und Bürger so men zu entlasten. Die FDP macht in ihrem Antrag dazu gering wie möglich zu halten. konkrete Vorschläge. Jeder durch unnötigen bürokratischen Aufwand ver- plemperte Euro wird aber letztlich an genau diese Stelle Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- weitergereicht. Für unnötige Bürokratie müssen also die schutz und Reaktorsicherheit: Wer nicht blöd sein will Bürgerinnen und Bürger letztlich geradestehen und ge- – so die zahllosen Prospekte in unseren Zeitungen –, nau deshalb legt die FDP heute einen Antrag vor, der die braucht dringend: eine neue Waschmaschine, eine neue in dieser Hinsicht wichtigsten Schwächen des Gesetzent- Kaffeemaschine, einen Computer, iPod statt CD-Player wurfs benennt und auf Abhilfe dringt. und vor allem eine neue digitale Kamera. Kaum ein Markt in Europa wächst so schnell wie der für Elektro- Im Einzelnen geht es dabei beispielsweise um denund Elektronikgeräte. Markenbezug als verpflichtendes Registrierungsele- ment, die Verknüpfung von Registrierungsantrag und Doch wohin mit dem alten Gerät? Genauso schnell Garantienachweis oder die vorgesehene Mehrfachzertifi- wächst der Müllberg von Altgeräten. Experten erwarten zierung von Entsorgungsbetrieben. Außerdem werden ab 2005 bis zu 1,8 Millionen Tonnen Altgeräte pro Jahr. durch undifferenzierte Vorgaben ohne ökologische Not- Elektroschrott ist nicht ohne Probleme. Er enthält wendigkeit auch Hersteller von elektronischen Geräten große Mengen gefährlicher Schadstoffe, zum Beispiel belastet, deren Anteil an der Gesamtmenge von Elektro- Schwermetalle wie Kadmium und Quecksilber, sowie und Elektronikaltgeräten vernachlässigbar gering oder wertvolle Ressourcen, etwa Metalle – sogar Edelmetalle null ist. Solange diese Schwächen nicht ausgeräumt sind, wie Silber und Gold – und sortenreine Kunststoffe. Um wird es eine Zustimmung der FDP zu diesem missglück- Umweltgifte zu mindern und wertvolle Ressourcen zu ten Versuch einer praxisgerechten Umsetzung der EG- schonen, haben wir in der Europäischen Union 2003 die (B) Richtlinien nicht geben. Produktverantwortung auch für Elektro- und Elektronik- (D) Es gibt aber noch einen zweiten Punkt, der nicht aus geräte eingeführt. dem Blickfeld geraten darf, wenn es um eine vernünftige Mit der von Rat und Parlament beschlossenen Richt- Sammlung, Verwertung und Entsorgung von Elektronik- linie zu Elektronik- und Elektoabfällen wird erstens schrott geht. Es ist nicht damit getan, eine europäische sichergestellt, dass Hersteller besonders gefährliche Richtlinie, die die Getrenntsammlung alter Elektrogeräte Stoffe wie zum Beispiel Blei und einige bromhaltige vorschreibt, praxisgerecht, kostenminimal und unbüro- Verbindungen nicht mehr verwenden, eine umweltge- kratisch umzusetzen. Eine umweltpolitisch kompetente rechte Entsorgung für neue und alte Geräte garantieren, und verantwortungsvoll handelnde Bundesregierungfestgelegte Recycling- und Verwertungsquoten einhal- müsste mehr leisten. Sie müsste sich die Frage stellen, ten, sich zur Kontrolle in einem Register erfassen lassen. ob das, was die Richtlinie vorschreibt, noch dem Stand der Technik entspricht. Ob es also wirklich immer noch Zweitens ist sichergestellt, dass Nutzerinnen und Nut- unumgänglich ist, dass nicht nur der Elektroschrott vom zer sich bei der Wahl eines Neugeräts umweltgerecht übrigen Abfall getrennt wird, sondern dass der Elektro- verhalten können, ihr Altgerät, sei es ein Fön, eine schrott als solcher nochmals von Hand in sage undWaschmaschine oder eine Stereoanlage, kostenlos zu- schreibe sechs unterschiedliche Elektroabfall-Fraktionen rückgeben können und es nicht mehr einfach in die graue getrennt werden soll. Es geht also um die Frage, ob die Tonne werfen. in den Richtlinien vorgesehenen Stoffverbote und Ge- trennthaltungspflichten aus ökologischen oder gesund- Wir haben hier eine geteilte Produktverantwortung: heitlichen Gründen tatsächlich immer noch zwingend er- Die Kommunen sind zur kostenlosen Annahme ver- forderlich sind. pflichtet. Die Wirtschaft ist für die Verwertung aller Alt- geräte verantwortlich, auch jener, für die heute kein Her- Es gibt gute Gründe, dies zu bezweifeln. Der techni- steller mehr festgestellt werden kann. Ich appelliere an sche Fortschritt bei Sortier- und Verwertungsanlagen hat die Kommunen, umweltverantwortlich denkende Bürge- die Ausgangsbedingungen für die Abfallwirtschaftspoli- rinnen und Bürger bei der Getrenntsammlung zu unter- tik auch mit Blick auf dieElektronikaltger äte erheblich stützen. Sonst landen etliche alte Telefone doch wieder verändert. Wenn es technisch möglich und wirtschaftlich in der Restmülltonne. Die Bürgerinnen und Bürger fi- darstellbar ist, die gemischten Kunststoffabfälle maschi- nanzieren die Getrenntsammlung schließlich über ihre nell zu sortieren und von Schadstoffen zu befreien, dann Abfallgebühren. Die werden übrigens sinken, wenn in wäre das vorzugswürdig vor der jetzt vorgeschlagenen Zukunft die Hersteller die Abfallverwertung überneh- Regelung. men. 12226 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Da viele Altgeräte, vonder Espressomaschine bis vermittler dadurch ein noch stärkerer Anreiz als bis- (C) zum CD-Player, nur „out off fashion“ sind, aber gut her entsteht, sich bei den Vermittlungsaktivitäten auf funktionieren, gehören sie gar nicht in den Müll, sondern beschäftigungslose Arbeitnehmerinnen und Arbeit- in andere Hände. Viele Kommunen sammeln daher seit nehmer mit relativ günstigen Vermittlungschancen zu Jahren Elektro- und Elektronikgeräte getrennt und be- konzentrieren. Gerade ältere beschäftigungslose Ar- auftragen karitative Einrichtungen mit der Verwertung. beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gegenwärtig Das ist – ökologisch und sozial – die sinnvollste Ver- noch vergleichsweise ungünstige Vermittlungschan- wendung. Sie bleibt natürlich auch künftig möglich. cen haben, würden damit weitgehend aus dem Blick- feld privater Arbeitsvermittler verschwinden. Dies Was nicht mehr genutzt werden kann, soll recycelt, konterkariert insofern das Ziel, die Beschäfti- verwertet und umweltgerecht entsorgt werden. Das ge- gungschancen Älterer zu ve rbessern. Mit einem höhe- schieht unter der Fachaufsicht des Umweltbundesamtes, ren Ausstellungsbetrag des Vermittlungsgutscheines wird aber finanziell getragen von den Herstellern und in Höhe von 3 000 Euro für ältere Arbeitnehmerinnen Importeuren. Im August 2004 haben 30 namhafte Her- und Arbeitnehmer könnten die Potenziale der priva- steller hierfür die Stiftung „Elektro-Altgeräte-Register ten Arbeitsvermittler gerade auch für die Vermittlung (EAR)“ in Fürth gegründet. dieser Altersgruppe genutzt werden. Eine Herabset- Hersteller und Kommunen teilen die Verantwortung zung des Wertes des Vermittlungsgutscheines auf zum Nutzen aller. Das sollte Grund genug für Bundestag 1 800 Euro für die übrigen Arbeitnehmerinnen und und Bundesrat sein, dem Elektrogesetz zuzustimmen. Arbeitnehmer würde einen finanziellen Ausgleich schaffen. 2. Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Dritten Anlage 4 Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze führt Amtliche Mitteilungen die Bundesregierung das Erfordernis eines geprüften Geschäftsplans auch für die Ich-AGs ein. Dies ist ein Der Bundesrat hat in seiner 804. Sitzung am 15. Ok- richtiger Schritt, der vom Bundesrat unterstützt wird. tober 2004 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Damit existieren künftig zwei Instrumente zur Förde- zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 rung der Selbstständigkeit von Arbeitslosen nach Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge- dem SGB III, die sich in den Voraussetzungen nicht mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: mehr unterscheiden. Die finanzielle Förderung und – Gesetz zur Änderung des Fleischhygienegesetzes sozialrechtliche Behandlung ist unterschiedlich aus- und der Fleischhygiene-Verordnung gestaltet. Beim Überbrückungsgeld wird in der Regel (B) mehr Geld für eine kürzere Zeit gezahlt, bei der Ich- (D) – Erstes Gesetz zur Änderung des Postpersonal- AG geringere Summen für einen längeren Zeitraum. rechtsgesetzes Der Bundesrat fordert dieBundesregierung auf, ei- – Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen der Welt- nen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Existenzgrün- gesundheitsorganisation vom 21. Mai 2003 zur dungsförderung von Arbeitslosen neu ordnet und so- Eindämmung des Tabakgebrauchs (Gesetz zu wohl das Überbrückungsgeld als auch die Ich-AG- dem Tabakrahmenübereinkommen) Subventionen zu einem einheitlichen Förderinstru- ment zusammenführt. – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 19. August 1985 über Gewalttätigkeiten und 3. Überbrückungsgeld bzw. Existenzgründungszu- Fehlverhalten von Zuschauern bei Sportveran- schuss bieten nur eine (teilweise) Sicherung des Le- staltungen und insbesondere bei Fußballspielen bensunterhalts in der Anfangsphase der Selbststän- digkeit für den Gründer und seine Familie. Darüber – Gesetz zur Änderung des VN-Waffenübereinkom- hinaus benötigen viele Gründungen zusätzliches Ka- mens pital für Investitionen und/oder Betriebsmittel. Ge- – Gesetz zur wirkungsgleichen Übertragung von rade bei Gründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus Regelungen der sozialen Pflegeversicherung in kommt der Bankensektor als Kapitalgeber nur in Aus- das Dienstrecht und r zu Änderung sonstiger nahmefällen in Frage (hohes Risiko, fehlende Sicher- dienstrechtlicher Vorschriften heiten, geringer Kapitalbedarf etc.). Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, Möglichkei- – Viertes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches ten zur Ergänzung der Instrumente „Überbrückungs- Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze geld“ und „Ich-AG“ um entsprechende funktionsfä- hige Instrumente zur Kreditvergabe an erwerbslose Gründungswillige zu prüfen. Die hier bislang beste- Der Bundesrat hat ferner die folgenden Entschließun- henden Möglichkeiten (insbesondere KfW-Mikrodar- gen zum Vierten Gesetz zur Änderung des Dritten lehen) erreichen schon auf Grund des Hausbankprin- Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ge- zips die Zielgruppe kaum. fasst: 4. Viele Kommunen verfügen über umfangreiche Erfah- 1. Die Pauschalierung des Ausstellungsbetrages für Ver- rungen in der finanziellen und der beratenden Förde- mittlungsgutscheine auf einheitlich 2 000 Euro lässt rung von Gründungen gerade aus Erwerbslosigkeit völlig unberücksichtigt, dass für die privaten Arbeits- (unter anderem durch Nutzung des zum Jahresende Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004 12227

(A) auslaufenden § 30 BSHG für Gründungen aus Sozial- sage zur Rechtsform, in der die Arbeitsgemeinschaft (C) hilfebezug). Der Bundesrat fordert die Bundesregie- die Aufgaben der Agenturen wahrnehmen kann. Auf rung auf, sich an dieser Schnittstelle von Wirtschafts- die grundlegenden Bedenken gegen diese Unzuläng- förderung/Arbeitsmarktpolitik künftig stärker zu lichkeit der Regelung wurde die Bundesregierung engagieren. Als geeigneten Weg hierzu sieht der Bun- wiederholt und von verschiedenen Stellen hingewie- desrat unter anderem ein entsprechendes KfW-Kom- sen, wie auch darauf, dass es insoweit – anders als munalkreditprogramm, das Kommunen zinslose Kre- bei der Wahrnehmung der Aufgaben der kommuna- dite für diesen Verwendungszweck zur Verfügung len Träger – nicht allein in der Gesetzgebungskom- stellt. Ein bundesweites Kreditvolumen von circa petenz der Länder liegt, diese rechtlichen Vorausset- 50 bis 100 Millionen Euro wird für erforderlich und zungen zu schaffen. In den Ländern besteht die realistisch gehalten. begründete Sorge, dass es aus diesem Grund beim Aufbau der Arbeitsgemeinschaften zu Rechtsunsi- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Förder- cherheit und zu Verzögerungen zum Nachteil der Be- möglichkeiten des SGB III für Gründungen aus Er- troffenen kommen kann. werbslosigkeit auch den künftigen Leistungsbezie- hern im Rahmen des SGB II in gleichwertiger Form Für ein weitgehend komplikationsloses Funktionie- zur Verfügung gestellt werden sollten. Er fordert die ren der Zusammenarbeit von Arbeitsverwaltung und Bundesregierung auf, hierfür unverzüglich geeignete kommunaler Seite muss chergestellt si sein, dass Vorschläge vorzulegen, durch Bundesrecht die Errichtung einer Organisa- tionseinheit des öffentlichen Rechts präzisiert wird; 6. Der Bundesrat hält es für erforderlich, im SGB III dadurch der reibungslose Aufbau der erforderlichen eine Vergütungsregelung für die Inanspruchnahme Strukturen unterstützt wird und; den Arbeit suchen- der Integrationsfachdienste vorzusehen. Die Integra- den Menschen die Sicherheit einer zeitgerechten und tionsfachdienste stellen im Sozialgesetzbuch Neun geordneten Betreuung garantiert wird. (§§ 109 ff.) spezialgesetzlich verankerte besondere Der Bundesrat bedauert, dass mit dem vorliegenden Dienstleister für die Integration arbeitsloser schwer- Gesetzentwurf keinerlei esbezügliche di rechtliche behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt Klarstellung vorgenommen wird. dar. Zum 1. Januar 2005 geht die Strukturverantwor- tung für das Vorhalten entsprechender Dienste und Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, ihrer deren Dienstleistungen von der Bundesagentur für Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Er- Arbeit (BA) auf die Integrationsämter der Länder richtung der Arbeitsgemeinschaften gerecht zu wer- über. So wie in der Vergangenheit die Haushaltsmit- den und durch Ergänzung des § 44 b SGB II die (B) tel der BA zur Finanzierung der Inanspruchnahme Errichtung einer Organisationseinheit öffentlichen(D) der von den Diensten angebotenen Dienstleistungen Rechts zu präzisieren. nicht auskömmlich waren, werden auch die Integra- tionsämter allein nicht in der Lage sein, ab 1. Januar 2005 im Rahmen ihrer Strukturverantwortung die In- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben tegrationsfachdienste aus den zugewiesenen Mitteln mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- der Ausgleichsabgabe zu finanzieren. Eine Mitfinan- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische zierung derjenigen, die die gesetzlich beschriebenen Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Dienstleistungen der Integrationsfachdienste – insbe- tung abgesehen hat. sondere im Vermittlungsbereich – nutzen, ist deshalb unverzichtbar. Weder das Neunte noch das Dritte So- zialgesetzbuch enthält eine entsprechende Vergü- Auswärtiger Ausschuss tungsregelung, obwohl die Inanspruchnahme der Drucksache 15/3266 Nr. 1.10 Dienste dem gesetzgeberischen Willen entspricht. Drucksache 15/3266 Nr. 1.11 Die Bundesregierung wird daher gebeten, kurzfristig Drucksache 15/3266 Nr. 2.19 Vorschläge vorzulegen, die im Rahmen des SGB III die Möglichkeit schaffen, erfolgreiche Integrationen Finanzausschuss in Arbeit durch die Integrationsfachdienste finanziell zu fördern. Drucksache 15/3403 Nr. 2.22 Drucksache 15/3403 Nr. 2.71 7. Der Bundesrat stellt fest: Die Zusammenführung von Drucksache 15/3403 Nr. 2.72 Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kann organisato- Drucksache 15/3403 Nr. 2.101 risch und funktionell nur gelingen, wenn die zweige- Drucksache 15/3546 Nr. 2.2 teilte Trägerschaft zwischen den kommunalen Trä- Drucksache 15/3546 Nr. 2.3 gern und der Bundesagentur für Arbeit durch eine Drucksache 15/3546 Nr. 2.6 klare, rechtlich einwandfreie und einheitliche Form der Zusammenarbeit der Träger sichergestellt wird. Drucksache 15/3546 Nr. 2.9 Die Regelung in § 44 b SGB II beschreibt zwar den Drucksache 15/3546 Nr. 2.10 Wirkungskreis der Arbeitsgemeinschaft und eröffnet Drucksache 15/3696 Nr. 2.3 einen Spielraum für die organisatorische Ausgestal- Drucksache 15/3696 Nr. 2.34 tung; es fehlt aber an einer hinreichend klaren Aus- Drucksache 15/3696 Nr. 2.39 12228 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Oktober 2004

(A) Haushaltsausschuss Drucksache 15/858 Nr. 2.6 (C) Drucksache 15/3403 Nr. 2.37 Drucksache 15/1041 Nr. 2.8 Drucksache 15/3403 Nr. 2.93 Drucksache 15/1041 Nr. 2.10 Drucksache 15/1041 Nr. 2.11 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung Drucksache 15/1280 Nr. 2.45 und Landwirtschaft Drucksache 15/1547 Nr. 2.8 Drucksache 15/103 Nr. 2.24 Drucksache 15/1765 Nr. 2.6 Drucksache 15/103 Nr. 2.40 Drucksache 15/1765 Nr. 2.9 Drucksache 15/103 Nr. 2.71 Drucksache 15/1765 Nr. 2.20 Drucksache 15/103 Nr. 2.75 Drucksache 15/1765 Nr. 2.22 Drucksache 15/103 Nr. 2.81 Drucksache 15/1834 Nr. 1.2 Drucksache 15/103 Nr. 2.86 Drucksache 15/1834 Nr. 2.3 Drucksache 15/103 Nr. 2.89 Drucksache 15/3403 Nr. 2.42 Drucksache 15/103 Nr. 2.90 Drucksache 15/3403 Nr. 2.60 Drucksache 15/103 Nr. 2.106 Drucksache 15/3546 Nr. 2.13 Drucksache 15/103 Nr. 2.110 Drucksache 15/3546 Nr. 2.14 Drucksache 15/103 Nr. 2.115 Drucksache 15/3696 Nr. 2.17 Drucksache 15/103 Nr. 2.129 Drucksache 15/3696 Nr. 2.18 Drucksache 15/103 Nr. 2.131 Drucksache 15/3696 Nr. 2.36 Drucksache 15/173 Nr. 2.11 Drucksache 15/3696 Nr. 2.37 Drucksache 15/173 Nr. 2.16 Drucksache 15/3696 Nr. 2.38 Drucksache 15/173 Nr. 2.25 Drucksache 15/173 Nr. 2.52 Drucksache 15/173 Nr. 2.65 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 15/173 Nr. 2.66 Drucksache 15/3403 Nr. 2.43 Drucksache 15/268 Nr. 2.17 Drucksache 15/3696 Nr. 2.24 Drucksache 15/339 Nr. 2.29 Drucksache 15/339 Nr. 2.43 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Drucksache 15/392 Nr. 2.17 Reaktorsicherheit (B) Drucksache 15/713 Nr. 2.25 Drucksache 15/2636 Nr. 2.5 (D) Drucksache 15/858 Nr. 1.5 Drucksache 15/2793 Nr. 2.6 Drucksache 15/858 Nr. 2.5 Drucksache 15/3023 Nr. 2.9

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