Gesellschaft

KRIEG Die Schlachtenbummler Bagdads Bewohner rechnen mit dem Krieg, aber sie fürchten ihn nicht. Eine seltsame Gelassenheit beherrscht die Stadt, vor den Bomben kommen die Waffeninspektoren, die Journalisten und die Friedensengel – Überläufer aus dem Lager der Angreifer. Von Uwe Buse

athy Kelly war vor elf Jahren da, Das war nicht immer so. jugendliche Gangster herrschten, die ihre als die Wüste brannte. Sie war vor Ende der siebziger Jahre lebte die Meinungsverschiedenheiten nicht mit Kvier Jahren da, als Bomben auf Bag- Amerikanerin Kathy Kelly in einem Apart- Argumenten, sondern mit Kugeln aus- dad fielen. Und sollte die Stadt im kom- ment in einem angenehmen Viertel Chi- trugen. Hier arbeitete sie als Lehrerin. menden Jahr wieder zum Ziel amerikani- cagos. Damals war sie Mitte 20, arbeitete Aber Gandhi und King hatten mehr ge- scher Bomber werden, wird sie auch da tagsüber als Lehrerin und empörte sich wagt. sein. abends über die Ungerechtigkeiten der Ende der achtziger Jahre kletterte Kelly Kathy Kelly wird vor einem Zelt im Zen- Welt. Sie las Mahatma Gandhi, Martin über den Zaun einer militärischen Anlage trum der Stadt stehen, klein, schmal und Luther King und fragte sich irgendwann, im US-Bundesstaat . Vor ihr lag of- zerbrechlich. Sie wird die Einschläge der warum sie hier saß, las und diskutierte, fenes Gelände, aus der Erde ragten weiße Bomben sehen, die Explosionen hören, während Gandhi und King etwas getan Pfähle. Jeder Pfahl markierte einen Bun- und sie wird so etwas wie Glück empfin- hatten. ker, in dem eine Interkontinentalrakete den, weil sie weiß, dass ihr Leben einen Sie gab ihre Wohnung und ihren Job steckte. Kelly trug eine Tasche voller Mais- Sinn hat. auf und zog ins Zentrum der Stadt, wo körner mit sich, sie streute die Körner auf MARKUS MATZEL / DAS FOTOARCHIV / DAS MATZEL MARKUS Kämpfer der Republikanischen Garde in Bagdad: Mann gegen Mann kämpfen, wenn die Amerikaner den Mut dazu haben

158 der spiegel 50/2002 den Boden – als ein Symbol des Lebens, Zeichen zu setzen. Sie hatten kein Tele- Kelly ist mager, die Haut ihrer Hände ist das über den Tod siegt. fon, sie konnten mit niemandem Kontakt dünn wie Pergament. Sie fastet regelmäßig Nach wenigen Minuten nahmen Mi- aufnehmen, nicht mit ihren Familien und und ausdauernd, als wolle sie Buße tun für litärpolizisten sie fest, ihre Personalien Freunden. Nicht mit den Medien. Manch- die Tatsache, dass sie in einer privilegier- wurden aufgenommen, eine Anzeige er- mal kamen Einheimische aus dem Dorf, ten Ecke der Welt geboren wurde. stattet. um die verrückten Fremden zu besichtigen. Noch ist sie allein in Bagdad, aber in Kelly kletterte wieder über den Zaun. Schließlich zogen Flugzeuge über sie den nächsten Tagen und Wochen werden Und wurde festgenommen. hinweg, Bomben schlugen nicht weit von die Mitglieder ihres „ Peace Teams“ Sie kam wieder. Und wieder. Und wie- ihnen ein, und es erschien ein Bus, aus eintreffen. Sie kommen aus Italien, Frank- der. dem ein irakischer Soldat stieg. Der teilte reich, den USA, und es sind Männer und Ein Gericht verurteilte sie zu einem Jahr mit, dass er den Befehl habe, sie von die- Frauen wie Kelly, Fundamentalisten des Freiheitsstrafe. sem Ort fortzubringen, notfalls mit Gewalt. Friedens, die sich nicht mit der Tatsache Aber Gandhi und King hatten mehr ge- Kelly und ihre Freunde leisteten Wider- abfinden wollen, dass der Präsident der wagt. stand, gemäß ihren Überzeugun- Vereinigten Staaten von Ameri- Ende 1990 kam Kellys Ehemann in sei- gen. Sie malten ein Schild, auf Sie schreibt ka die ganze Welt zu seinem ne Wohnung, der Anrufbeantworter blink- dem stand in Englisch und Ara- Briefe gegen Hinterhof erklärt hat. te, er hörte die Stimme seiner Frau: „War- bisch: Wir haben uns entschlos- das Unrecht, Sie sind nicht einverstanden te nicht auf mich. Ich bin im Irak.“ sen, hier zu bleiben. Dann setzten mit der Rollenverteilung, die der Ihr Ziel war eine Ansammlung von Zel- sie sich in den Sand, hielten das das ihr Präsident vornahm, als er das ten in der Nähe des Dorfes Judajjidat an Schild hoch und ließen sich einer Präsident im Drehbuch des internationalen der irakisch/saudi-arabischen Grenze. Als nach dem anderen von den Sol- Irak begeht. Konflikts entwarf: Die Ameri- Kelly Mitte Januar aus dem Bus stieg, leb- daten in den Bus tragen. kaner spielen die Guten, die Ira- ten in dem Camp 71 Ausländer. Sie hatten Während sich Kathy Kelly an all das er- ker die Bösen. Kelly und ihre Freunde sind Klos in den Sand gegraben, Zelte aufge- innert, sitzt sie in der Lobby des „Fanar“- übergelaufen zum Feind. stellt, eine Platzordnung verfasst, dann Hotels in Bagdad und lächelt oft, weil sie Sie tun das, weil sie glauben, dass der ge- warteten sie auf den Krieg. weiß, wie seltsam und sinnlos diese Dinge waltlose Protest, der Indien die Unabhän- Sie planten ein Sit-in am Rande Iraks, klingen müssen für Ungläubige, die den gigkeit brachte und den Schwarzen in den um die Bomber zu behindern und um ein Sinn gewaltfreien Widerstands bezweifeln. USA die Bürgerrechte, auch die Menschen im Irak vor den amerikanischen Besatzern retten kann. Bis der Krieg beginnt, wird Kelly in ihrem Hotelzimmer sitzen und Briefe und Artikel gegen das Unrecht schreiben, das ihr Präsident im Irak begeht und das vom Rest der Welt toleriert wird. Unermüdlich wird sie das Embargo attackieren, das die Vereinten Nationen vor zwölf Jahren gegen den Irak verhängten. Kelly nennt es eine Massenvernichtungswaffe. Und damit die- ser Satz nicht nur eine Provokation ist, sondern ein Argument, zitiert sie die ame- rikanische Professorin Joy Gordon. Gordon habe ausgerechnet, dass der Irak – unter der Aufsicht der Uno – in den vergangenen sechs Jahren Erdöl im Wert von etwa 57 Milliarden Dollar verkauft habe. Ein Viertel dieser Summe floss als Kriegsentschädigung an Kuweit, ein Teil liegt auf den Konten der Uno, die das „Oil for Food“-Programm verwaltet. Importiert in den Irak wurden bislang Güter im Wert von 23 Milliarden Dollar. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl des Irak seien das pro Person und pro Jahr Waren im Wert von 170 Dollar. Gordon schreibe, dass dies weniger als die Hälfte des Pro-Kopf-Einkommens von sei, eines der ärmsten Staaten der westlichen Welt. Kriegsgegner und Ausländer wie Kelly sind zurzeit häufig in Bagdad unterwegs. Sie wollen sich ein Bild machen von der Krise, von der Stadt und von den Men- schen, die dort wohnen. Mit Bussen und Autos fahren sie durch eine intakte Stadt, in der nur noch Gedenkstätten an vergan- gene Kriege erinnern. 134 Brücken haben

AFP / DPA die Ingenieure Saddam Husseins nach dem Luftbild vom Sadschud-Palast in Bagdad: Während des Bombardements Hochzeiten gefeiert Golfkrieg wieder aufgebaut. Beschädigte

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Gebäude wurden abgerissen und trotzig schen Krieg lebten, die Fanatisierung der Österreicher Reinhard Eckert sind vor ein neu errichtet. Nahe dem Zentrum der Stadt Massen. Briten werden auf den Straßen paar Tagen mit einem Bus aus , wachsen zwei riesige Moscheen in den nicht verflucht als Kriegshelfer Amerikas, der Hauptstadt Jordaniens, eingetroffen. Himmel. Sie sollen Allah preisen und Sad- sie werden überschwänglich begrüßt wie Ihre Reise begann in Deutschland, sie sind dam Hussein stützen, der den starken Glau- wohlhabende und hoffentlich freigiebige die Abgesandten der deutschen Sektion ben der Iraker als politische Waffe nutzt. Verwandte, die sich viel zu lange nicht ha- des Internationalen Versöhnungsbundes, Während ihrer Spaziergänge durch die ben blicken lassen. Das gilt auch für Ame- einer kirchlichen Einrichtung. Eine Woche zwei wichtigsten Einkaufstraßen Bagdads rikaner, solange sie ihre Regierung und den lang haben sie sich freigemacht von ihren sehen die Ausländer Internet-Cafés, und in angekündigten Krieg nicht verteidigen. Die Berufen als Pfarrer und Drogenberater, den Auslagen der Geschäfte staunen sie einzige Gruppe, die offen verflucht wird, nun touren sie mit einem dicht gedrängten über Computer von Dell und sind die Israelis. Bin Laden hal- Programm durch Bagdad. Compaq, die identisch sind mit Keine ten viele nicht für einen Alliier- Morgens geht es zum Empfang ins Mi- denen, die in New York, Berlin Schlangen vor ten, sondern für einen gefährli- nisterium für religiöse Angelegenheiten, und Paris angeboten werden. Vor den Geschäften, chen Irren. dann zum Amarija-Bunker, in dem wäh- den Restaurants parken große Ein Amerikaner wird beson- rend des Golfkriegs eine Bombe einschlug BMW- und Mercedes-Limousinen. keine ders freundlich empfangen. Es und der heute eine nationale Gedenkstät- Die Besucher sehen keine Hamsterkäufe, ist Peter Arnett, der CNN-Kor- te ist. Dann weiter ins Kinderkrankenhaus Schlangen vor den Geschäften. keine Panik. respondent, der während des von Bagdad, zur Moschee der Hanafiten, Keine Hamsterkäufe, keine Pa- Golfkrieges vom Dach des „Ra- zum Erzbischof der Assyrer, und am Ende nik. Sie hören nur selten Gespräche, die schid“-Hotels sendete. Arnett ist in der des Tages laufen sie über den Markt, um um den Angriff der Amerikaner kreisen. Stadt, weil ein amerikanischer Sender ein „normale Iraker zu treffen“. Das einzig sichtbare Zeichen des an- Porträt über ihn produziert. Wie vor elf Schließlich sitzen sie an einem Tisch in gekündigten Krieges sind die Geschütze Jahren steht er in Bagdad, blickt in die Ka- ihrem Hotel, vor sich Wasser und Tee, und der irakischen Luftabwehr auf den Dä- mera und spricht mit seiner tiefen Stimme diskutieren über die Krise und die Mög- chern von Regierungsgebäuden. ein paar Sätze ins Mikrofon. Dann wird lichkeiten, sie zu lösen. Sie sind der Bewegen sich Irak-Touristen außerhalb die Kamera ausgeschaltet, und Arnett gibt Spähtrupp der deutschen Friedensbewe- des Zentrums, können sie die Armut se- sein Mikro einem Techniker: „Früher habe gung. Sie verabscheuen das Embargo, sie hen. Geschäfte sind nicht mehr als ein ich das für zehn Millionen Zuschauer ge- hoffen auf den Erfolg der Waffeninspekto- Schuppen mit ein paar Regalen, in denen macht. Heute muss ich mich über einein- ren, sie fordern eine OSZE für den Nahen Metallteile vor sich hin rosten oder ver- halb Millionen freuen.“ Arnett arbeitet Osten, und sie wollen dafür sorgen, „dass staubte Kekspackungen liegen. nicht mehr für CNN. Er vermisst den Golf- der Kollateralschaden, falls es doch zum Fünfmal am Tag rufen die Muezzine der krieg. Der Krieg war gut zu ihm. Er hat ihn Krieg kommt, ein Gesicht erhält“. Stadt zum Gebet, und die Einwohner fol- reich und berühmt gemacht. Arnett plant, Die vier am Tisch träumen von ei- gen dem Aufruf. Doch es scheint, als ver- zunächst einmal in der Hauptstadt seines ner Gegenöffentlichkeit, sie erinnern an hindere die Erinnerung an den westlichen Lebens zu bleiben. Studenten der sechziger Jahre, die eine Wohlstand, in dem die meisten Iraker vor Die Deutschen Matthias Engelke, Tho- bessere Welt herbeidemonstrieren woll- dem Embargo und vor dem iranisch-iraki- mas Krahe, Angelika Schneider und der ten. Diesmal sind die Haare kürzer, und das geschundene Volk sind nicht die Vietnamesen. Aber der Feind ist immer noch derselbe. In ein paar Tagen werden sie zurückreisen und in Deutschland Bericht erstat- ten. Den selbstmörderischen Pazifismus von Kathy Kelly nennen sie sinnvoll. Ob sie zum Krieg nach Bagdad zurückkehren, ob sie Teil des menschlichen Schutzschildes gegen amerikanische Bom- ben sein wollen, werden sie sich überlegen. Sollte es zu einem neuen Krieg kommen, wird Mo- hammed Jahja Abbas die Hauptstadt nicht verlassen. Er ist hier groß geworden, er erträgt das Landleben nicht, und er hat sich, wie viele Ira- ker, an den Krieg gewöhnt. Während der ersten An- griffe im Golfkrieg reagierte Abbas mit seiner Familie noch panisch, und sie alle rannten verwirrt umher. Doch schon wenige Tage

MARKUS MATZEL / DAS FOTOARCHIV / DAS MATZEL MARKUS später beherrschten sie die Amerikanische Pazifistin Kelly in Bagdad: Bomben schlugen nicht weit von ihr ein fatalistische Routine, der sie

160 der spiegel 50/2002 Gesellschaft AWAD AWAD / DPA AWAD AWAD Militärparade in Bagdad: Nach der Operation „Desert Fox“ begruben die Menschen 68 Leichen auch im kommenden Krieg folgen werden. um. Er führte ein bescheidenes Leben, da- temonnaie mit sich herum, sondern er Wenn die Sirenen losheulen, verteilten sie mals, vor dem Beginn des Embargos und transportiert es in einer Plastiktüte, manch- sich auf mehrere Zimmer und warteten. vor dem iranisch-irakischen Krieg, aber er mal auch in einem Karton zum Geld- Das ist ihre ganze Überlebensstrategie. Sie war zufrieden. Er besaß ein Auto, und er wechsler, der es nicht zählt, sondern wiegt. werden keine Wasservorräte anlegen, sie konnte es sich leisten, mit seiner Familie Seit kurzem druckt die irakische Bank werden keine Lebensmittel horten. vor der Sommerhitze in den Nor- statt der 250-Dinar-Scheine Abbas erzählt, dass während des 70- den des Irak zu fliehen, in ein Sie hören auch 10000-Dinar-Scheine, weil stündigen Bombardements im Dezember Ferienhaus in den Bergen. Da- Michael die Menschen es leid waren, ihr 1998 das Leben in der Stadt weiterging. mals fuhr er auch ins Ausland, wo Jackson und Geld in Tüten mit sich herum- Hochzeiten wurden gefeiert, Abendessen Iraker gern gesehene Gäste wa- zutragen. zubereitet, und nicht einmal der Strom fiel ren, denn der irakische Dinar war sehen im Kino 63 Jahre alt ist Abbas heute. aus. „Wir sind es gewohnt, von den Ame- hart wie die deutsche Mark. die „Titanic“ Vor drei Jahren ging er in Ren- rikanern bombardiert zu werden“, sagt Tauschte Abbas damals einen Di- untergehen. te, aber weil ihm der Staat kei- Abbas, und es klingt, als redete er über nar, erhielt er drei Dollar. Heute ne Pension zahlt und er zu we- eine Naturkatastrophe, die ihn und seine braucht er 2000 Dinar, um einen Dollar zu nig verdiente, um sich etwas fürs Alter Stadt regelmäßig heimsucht und die man besitzen. zurückzulegen, baute er sich einen Kar- einfach nur erdulden muss. Nach dem Wie viele andere Menschen in Bagdad ren, mit dem er in einer Geschäftsstraße Ende der Operation „Desert Fox“ begru- trägt Abbas sein Geld nicht in einem Por- Bagdads steht. Hier schmiert und verkauft ben die Menschen in Bagdad 68 Leichen. er Sandwichs. Zeigen mag er den Karren Abbas’ Haus liegt in einem Viertel ab- nicht. Es ist ihm peinlich. seits des Zentrums, das früher einmal Morgens um fünf beginnt er seinen Ar- kleinbürgerlich war und jetzt arm ist. Die beitstag, nach zwölf Stunden kehrt er Straßen sind eng, die Häuser schmal, die zurück, und an guten Tagen verdient er Fassaden spröde, und ein paar Jungs spie- 15 000 Dinar, etwa sieben Euro. Die Hälf- len zwischen ihnen Fußball. Die meisten te spart er, um am Monatsbeginn die Mie- sind barfuß, einer will ein zweiter Zé te für das Haus zahlen zu können, der Rest Roberto werden. reicht, zusammen mit den Lebensmittel- Abbas’ Haus ist zwei Stockwerke hoch, karten des Staates, zum Überleben. Zu in jedem sind drei Räume. Besucher wer- mehr allerdings nicht. Einen Wagen kann den in das Wohnzimmer im Erdgeschoss sich Abbas nicht mehr leisten, einen Urlaub geführt, in dem rot gemusterte Polstermö- schon gar nicht, und für die Medikamente, bel und ein Couchtisch kaum Platz zum die er braucht, reicht das Geld auch nicht. Gehen lassen. An einer Wand hängt eine Sein Sohn flieht vor diesem ärmlichen Neonröhre, in der Ecke neben der Tür Leben täglich in das Fitnessstudio des steht eine Kommode. Polizeisportclubs. In Deutschland wäre das der Platz für Das Studio liegt in der ersten Etage ei- den Fernseher, hier steht auf dem Möbel nes Einkaufszentrums, auf dem Weg zum ein großes Porträt von Saddam Hussein. Er Kraftraum hört man schon von weitem Ei- lacht wie auf vielen anderen Plakaten, mit sen auf Eisen schlagen. Wie Fadhil, Abbas’ denen er das Land tapezieren lässt, trägt ei- Sohn, arbeiten etwa ein Dutzend Männer nen schneeweißen Anzug und könnte ein an ihren Körpern, die irgendwann dem von schlechter Zauberer auf einer Betriebsfei- Arnold Schwarzenegger gleichen sollen.

er sein. FOTOARCHIV / DAS MATZEL MARKUS Ihr Idol posiert auf vergilbten Plakaten. Über 30 Jahre lang arbeitete Abbas als Deutscher Geschäftsmann Bröckel, Ehefrau Der Boss des Studios sitzt an einer Ru- Amtmann in einem irakischen Ministeri- Ein persönlicher Freund des Diktators dermaschine und sagt, er werde sich nicht

162 der spiegel 50/2002 vor den Amerikanern ver- welches Geschäft mit dem kriechen. Er werde gegen Irak machbar ist und wel- sie kämpfen, Mann gegen ches nicht. „Mehr machen Mann, wenn sie den Mut wir nicht, alles ist völlig le- dazu haben und nicht wie- gal“, sagt Bröckel und hebt der nur in ihren Flugzeugen unschuldig die Hände. hocken und ihn mit Bomben Er sitzt im Café des „Ra- bewerfen. schid“ vor einem Glas Tee, Die Bodybuilder wissen, die Ärmel seines Hemdes dass ihr Sport ein amerika- rutschen hinunter, und an nischer Sport ist. Und dass seinem linken Handgelenk ihr Vorbild in die Vereinigten ist eine goldene Uhr zu se- Staaten von Amerika aus- hen. Auf ihrem Zifferblatt wanderte, um dort Karriere steht Universal Genève, dar- zu machen. Sollten amerika- unter eine arabische Wid- nische Soldaten durch Bag- mung. „Ist ein Geschenk dads Straßen gehen, würde von meinem Freund da an der Studioboss versuchen, der Wand“, sagt Bröckel und so viele wie möglich zu tö- zeigt auf ein Porträt, das ei- ten. Sollten amerikanische nen jugendlichen Saddam Filmemacher ihm eine Rolle zeigt. „Die Uhr gibt es nicht in einem Hollywood-Film zu kaufen.“ Bröckels Frau anbieten, würde er sie an- trägt eine ähnliche Uhr. nehmen. Auch sie ist aus Gold, auch Und so denken auch die- sie gibt es nicht zu kaufen. jenigen Muskelprotze, die Auf ihrer Rückseite ist ein sich in diesem Studio stark Metallplättchen eingelassen. machen, weil sie zur Repu- „Das wurde gegossen aus blikanischen Garde Saddam den Gewehren der Märtyrer Husseins gehören. Sie sind des iranisch-irakischen Krie- in der seltsamen Lage, dass ges“, sagt Bröckel. Seine sie so sein wollen wie der Stimme klingt stolz. Feind. Sie träumen von Bröckel will den Präsi- Kühlschränken, so groß wie denten schon mehrmals ge- Vorratskammern, von einem troffen haben. Einmal be- Haus in der Vorstadt, und suchte der Deutsche einen den klapprigen Kia würden Freund, es klingelte, und

sie gern gegen einen glän- X / STUDIO GLADIEU / GAMMA STEPHAN Saddam stand vor der Tür. zenden Cadillac eintau- Überlebende im Amarija-Bunker: Sie folgen einer fatalistischen Routine Er fragte höflich, ob er her- schen. Sie hören Michael einkommen dürfe, setzte Jackson, sehen im Kino die „Titanic“ un- eine schnelle Kapitulation. Die amerikani- sich an einen Tisch und erkundigte sich tergehen und bejubeln die artistischen Prü- sche Pazifistin Kathy Kelly wagt nicht zu nach dem Befinden der Familie. „So ein geleien von Jackie Chan und die Sprüche sagen, ob die Menschen in Bagdad eher Kerl ist er“, sagt Bröckel und zeigt wieder von Mel Gibson. Sie haben nicht bemerkt, fliehen werden oder kämpfen. Der Deut- auf das Porträt an der Wand. dass die Amerikaner bereits in ihr Land sche Franz Bröckel dagegen glaubt zu wis- All die anderen Sachen, „die Ausländer einmarschiert sind. sen, was geschehen wird: „Die Iraker wer- über ihn sagen“, seien übertrieben, üble Vielleicht ist das zwiespältige Verhältnis den kämpfen.“ Nachrede oder Propaganda. Sicher würden der Iraker zu Amerika ein Grund, warum Bröckel ist Deutscher, sein Va- die Telefongespräche im Irak ab- sie weltoffen sind und die Uno-Waffen- ter war Iraker, und aufgewachsen Saddam gehört, sicher gebe es Wanzen in inspektoren willkommen heißen, die von ist er in einem Vorort von Bag- stand in der den Zimmern, Überwachungs- der Regierung als Spione Washingtons be- dad. Nach ihm benannte Bröckel Tür und fragte kameras auf den Fluren und Ge- schimpft wurden. seine Firma: Cobisa. Sie soll zur- heimdienste, die Verdächtige In den Tageszeitungen Bagdads wird zu- zeit die einzige deutsche Firma höflich, ob er überwachen. Aber all das gebe frieden berichtet, dass die Inventarisierung sein, die unter dem persönlichen hereinkommen es in Deutschland auch. des industriellen und militärischen Poten- Schutz des Präsidenten steht. Er dürfe. Wie die kriegserprobten Ira- zials des Irak ohne Probleme verläuft, dass sei der Waffenhändler Saddam ker verschwendet Bröckel nur die Inspektoren die Zusammenarbeit mit Husseins, vermuteten deutsche Boule- wenige Gedanken an den Krieg. Den kennt den irakischen Behörden loben. Und selbst vardmagazine, und Bröckel lässt offen, ob er. Als die Amerikaner 1998 die Stadt bom- wenn die Inspektoren im Konvoi durch die ihn das freut oder empört. Er behauptet, bardierten, saß Bröckel im Bunker des Stadt rasen wie es sonst nur die herr- ein persönlicher Freund des Diktators zu „Raschid“. Nach dem Ende der Angriffe schende Clique wagt, stehen die Iraker sein. Mit seiner Frisur, seinem Bart und trat er vor das Hotel und sah die Spitze ei- bloß ein wenig verwundert im Staub der seiner Brille sieht Bröckel aus wie ein ner Bombe. Er nahm sie mit als Souvenir. Kolonne und erzählen, dass Saddam zur entfernter Cousin des irakischen Führers. Bröckel beschäftigt die Frage, was nach Zeit nagelneue Geländewagen von Toyota Oder wie sein begeisterter Fan. diesem Krieg kommen wird. Uno-Pro- verschenkt. Er hofft, so Loyalität kaufen zu Mit seiner Firma hilft Bröckel deutschen tektorat? Amerikanische Besatzungszone? können. Unternehmen, Geschäftspartner im Irak Oder verwandelt sich der Irak in ein zwei- All das erschwert eine Voraussage über zu finden, und er leitet sie durch den büro- tes Somalia, in ein Land, in dem Warlords das Verhalten der Iraker im Krieg. Die kratischen Dschungel der Uno, deren Mit- regieren? Und was wird dann aus seinen amerikanischen Befehlshaber hoffen auf arbeiter in New York darüber entscheiden, Geschäften? ™

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