meilensteine der republik

Österreich in der Europäischen Union 25 JAHRE ÖSTERREICH IN DER EUROPÄISCHEN UNION

Mit Beiträgen von Ernst Bruckmüller, Michael Gehler, Thomas Pankratz, Paul Schmidt, Barbara Schrank und Herbert Vytiska

Herausgegeben von der Parlamentsdirektion DAS BRUTTOINLANDSPRODUKT (BIP) DER EU – DIE LEISTUNGSSTÄRKSTEN VOLKSWIRTSCHAFTEN Das Bruttoinlandsprodukt beschreibt den Gesamtwert aller im Inland hergestellten 76,9 Güter und Dienstleistungen und ist dem- INHALT Billionen € nach ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft. 2018 erweist sich BIP weltweit Deutschland als leistungsstärkste Volks- wirtschaft der EU, gefolgt vom Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien und Spanien. Österreich erreicht EU-weit Rang zehn. Rund ein Viertel der österreichischen Wirt- schaftsleistung wird in der Hauptstadt Wien erbracht. Europa muss die Herzen der Menschen erreichen 6 Wolfgang Sobotka, Präsident des Nationalrats

Die EU ist ein einzigartiges Friedensprojekt 9 , Zweite Präsidentin des Nationalrats

25 Jahre Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 11 Norbert Hofer, Dritter Präsident des Nationalrats

AT 386 Mrd. € RÜCKBLICK BIP AT 30 Jahre Fall der Berliner Mauer und 16 ES: 1 202 Milliarden € das Ende des Kalten Kriegs in Europa Michael Gehler IT: 1 765 Milliarden € Die Geschichte des Eisernen Vorhangs 20 Herbert Vytiska FR: 2 353 Milliarden € So kam es zum Fall der Berliner Mauer 40 Herbert Vytiska

Österreichs Weg in die EU 48 UK: 2 419 Milliarden € Herbert Vytiska

DE: 3 344 Milliarden € VORAUSSCHAU Europa 2020 – Ein schwieriges Jahr 80 Ernst Bruckmüller

25 Jahre Österreich in der Europäischen Union – 84 Gekommen, um zu bleiben 15,9 Paul Schmidt Billionen € Der Beitritt Österreichs zur EU – 88 BIP EU28 Die sicherheitspolitische Dimension Thomas Pankratz

Von „EU-Momenten“ und was sie uns lehren – 96 Sichtweisen einer jungen Europäerin Barbara Schrank

Kurzbiografien 101

4 5 WOLFGANG SOBOTKA Präsident des Nationalrats

Europa muss die Herzen der Menschen erreichen

Das Jahr 2020 ist in mehrfacher Hinsicht ein Jahr der Jubi- tinents, ist nicht nur eine politisch und wirtschaftlich kon- Das Friedensprojekt Europa ist erst dann vollständig, läen und somit auch ein Chance zur Orientierung und zur notierte Gemeinschaft, sondern auch ein Lebensmodell wenn auch der Westbalkan Teil der Europäischen Uni- Standortbestimmung in unserem Land: Es sind dies vor mit den damit verbundenen Emotionen. on ist. Österreich ist den Ländern der Region sowohl in allem der Beitritt zur Europäischen Union (1. Januar 1995), wirtschaftlicher, aber auch in sicherheitspolitischer Hin- Europa ist wesentlich mehr als die Erklärung der Unabhängigkeit der Zweiten Republik Man kann versuchen, die Europäische Union als sicht ein verlässlicher Partner und genießt dort seit vie- (27. April 1945) und schließlich das 100-jährige Bestehen Kulturraum über ihre wesentlichen Narrative zu beschrei- len Jahrzehnten, nicht zuletzt durch die unermüdlichen eine vertraglich der österreichischen Bundesverfassung (1. Oktober 1920). ben. Diese Zugänge erheben meist weder Anspruch auf Bestrebungen zur Heranführung von Außenminister Vollständigkeit, noch sind sie taxativ zu sehen. Vielmehr a. D. , einen Ruf der besonderen und nach- begründete Gemeinschaft Diese Jubiläen sind Meilensteine in der Entwicklung geht es um eine Annäherung über prägende Themen- haltigen Anerkennung. unseres Landes in den letzten einhundert Jahren. Sie komplexe wie zum Beispiel Wirtschaft, Bildung, Währung von Staaten oder sind äußere Zeichen einer wechselvollen Geschichte, die und auch Sport. Der Prozess der Annäherung und die Aufnahme ein gemeinsamer Markt. einerseits das Fundament unseres Landes betrifft, ande- von Beitrittsverhandlungen mit den Staaten des West- rerseits auch die wesentlichen Entwicklungsschritte, die Was diese Publikation nun ausmacht, ist der ge- balkan sind von höchster Dringlichkeit. Hierbei geht es Es ist vor allem seit dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherr- meinsame Blick einer Reihe von Autoren auf die österrei- um geopolitische Überlegungen, vielmehr jedoch um schaft geschafft wurden. chische Mitgliedschaft in der Europäischen Union, wobei die Annäherung eines Raums, der unzweifelhaft ein Teil auch ein Kulturraum, der nicht dabei ganz unterschiedliche Perspektiven eingenommen der Geschichte Europas und damit auch seiner Zukunft Die vorliegende Publikation versucht, den Beitritt werden. Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist. Das Wesen der Europäischen Union ist ihre Fähigkeit nur in den Köpfen, Österreichs zur Europäischen Union aus verschiedenen am 1. Januar 1995 bildete den Endpunkt einer über Jah- zur Weiterentwicklung. Sie ist kein statisches System, sondern auch in den Herzen Perspektiven zu beleuchten. Sie soll die künstlerische re andauernden Annäherung, die mit Fortschritten und sondern ein Prozess, der von Generation zu Generation Installation ergänzen, die am Wiener Heldenplatz seit auch Rückschlägen verbunden war. weiter gestaltet werden muss. der Menschen Jahresbeginn zu sehen ist und die im Laufe des Jahres um die Themen 75 Jahre Zweite Republik und 100 Jahre Europa ist kein statischer Zustand, sondern einer Als Präsident des Nationalrats wünsche ich mir, dass verankert sein muss. Bundesverfassung erweitert werden wird. Vielzahl von Einflüssen unterworfen. Es steht vor Her- die vorliegende Publikation einen Beitrag dazu leistet, ausforderungen multikausaler Art. Zu den gegenwärtig den europäischen Weg Österreichs in den vergangenen Die Europäische Union, ohne Zweifel das größte größten Aufgaben zählt neben dem Brexit vor allem der 25 Jahren nachzuzeichnen, und dass wir einen von Zu- Friedensprojekt in der Geschichte des europäischen Kon- Erweiterungsprozess um die Staaten des Westbalkans. versicht geprägten Blick in die Zukunft wagen.

6 7 DER INDUSTRIESEKTOR DER EU – AUTOMOBILINDUSTRIE DORIS BURES Im Industriesektor, dem größten Wirtschaftszweig der EU (rund Zweite Präsidentin des Nationalrats 15,9 21,87 % des EU-weiten Bruttoin- Billionen € landsprodukts), kommt der Auto- mobilindustrie eine Schlüsselrolle BIP EU zu. Auf sie gehen 7 % des EU-wei- ten Bruttoinlandsprodukts zurück Europa: Eine Erfolgsgeschichte weiterdenken und die Beschäftigungszahl von gut 14 Millionen Menschen in die- sem Sektor stellt 6 % der EU-wei- Kaum ein Ereignis in der Geschichte unseres Landes hat und ihrer Wertegemeinschaft basierend auf Freiheit, De- ten Beschäftigungszahl dar. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Vernetzung unsere Zukunft in dem Ausmaß verändert wie der Beitritt mokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Men- 7 % mit anderen Industriesektoren wie Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995. Im schenrechte. etwa Stahl, Chemie oder Textilien Jahr 2020 blicken wir auf eine 25-jährige Erfolgsgeschichte Automobilindustrie gilt die Automobilindustrie als Wachstumsmultiplikator. Einen zurück, ein Jubiläum, das Österreich zu Recht begeht und Die Fragen, die sich stellen, sind: Wohin entwickelt sich immer wesentlicheren Stellenwert das gleichzeitig Verpflichtung ist, unseren Blick in die Zu- die EU und was können wir positiv dazu beitragen? Dabei innerhalb der EU-Automobilindus- kunft zu richten. sind das Europäische Parlament, die nationalen Parlamen- trie nehmen alternativ betriebene Autos wie Elektro- und Hybridau- te und ihre Abgeordneten in besonderem Maße gefordert. tos ein, wobei allein im Jahr 2018 Die EU ist ein einzigartiges Friedensprojekt. Wir schät- Gerade heuer, wenn wir auf 25 Jahre Österreich in der E U ein Anstieg der Registrierungen zen die Reisefreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die zurückblicken, müssen wir unseren Blick unweigerlich nach um 30,4 % erreicht werden konnte. Annehmlichkeiten einer europäischen Währung. Ergebnis- vorne richten. Wenn wir über unsere Zukunft nachdenken, se einer gemeinsamen europäischen Politik, die uns heute dann müssen wir uns über die Zukunft der Europäischen selbstverständlich erscheinen. Auch die Bilanz der Ökono- Union Gedanken machen. Es liegt an uns europäischen De- mInnen könnte nicht positiver ausfallen: Die Kaufkraft und mokratInnen, die wahre Idee hinter der Europäischen Union 127 806 46 081 die Wirtschaftsleistung stiegen und Österreich hat wirt- wieder in Erinnerung zu rufen: Nach dem Zweiten Weltkrieg Milliarden € Milliarden € schaftlich stark von der EU-Osterweiterung profitiert. beginnt mit der Montanunion die Idee der Zusammenarbeit Export Import der europäischen Staaten über Grenzen hinweg – den physi- Doch viele Entwicklungen der EU werden auch kri- schen Grenzen, den ökonomischen und kulturellen Grenzen tisch betrachtet: Brüssel wird von vielen als „Bürokratie- sowie über sprachliche Barrieren hinaus. Es ist die Idee der monster“ gesehen. Die Wirtschaftskrise, die weitgehend Überwindung dessen, was uns trennt. Die europäischen Ins- ohne tief greifende Konsequenzen geblieben ist, offen- titutionen bilden den demokratischen Rahmen für diese Idee. barte die Führungskrise der europäischen Institutionen. Diese sollten für einen fairen Ausgleich zwischen großen und Die Migrationsbewegungen zeigten die Lösungsunwillig- kleinen, wirtschaftlich starken und schwächeren Ländern sor- keit vieler Regierungen, solidarisch und entschlossen zu gen. Dahinter steht die Überzeugung, gemeinsam mehr zu handeln. Auch die soziale Dimension kommt in den Au- schaffen und allen Menschen in Europa ein gutes Leben zu gen vieler politischer Beobachter zu kurz. Dazu kommt in ermöglichen. Zeiten der zunehmenden Unsicherheiten das Gefühl des Souveränitätsverlusts und der Fremdbestimmtheit von ei- Ich bin überzeugt, dass sich die Menschen für die- ner scheinbar entfernten und unbekannten europäischen se Idee nach wie vor begeistern. Wenn wir sie beherzigen, Macht. Ängste, die von Nationalisten in vielen europäi- dann ist die Zukunft der EU eine Zukunft nicht des Abbaus schen Ländern populistisch verstärkt werden. Anstatt die- der Demokratie, sondern von mehr Demokratie, nicht der 14 sen Ängsten mit einer kritischen Auseinandersetzung und Beschneidung der Rechte der Parlamente, sondern von Millionen der Erarbeitung sinnvoller Lösungen zu begegnen, werden mehr Parlamentarismus. Eine Zukunft nicht in nationaler EuropäerInnen sie durch eine Wir-gegen-die-anderen-Politik zur Schuld- Isolation, sondern der Weiterentwicklung des europäischen frage minimiert. Gerade rechtspopulistische und nationa- Einigungsprozesses. Dazu braucht es Mut, der scheinbaren listische Parteien betreiben neben einer Entsolidarisierung nationalstaatlichen Idylle, dem Isolationismus und Protek- unserer Gesellschaft auch eine, wie der Historiker Jürgen tionismus entgegenzutreten und Fehlentwicklungen der Habermas es nennt, Phase des Abbaus an Demokratie. In EU zu korrigieren. Es braucht mehr Einsatz für ein Gleichge- Österreich waren und sind die BefürworterInnen der EU in wicht zwischen ökonomischer Freizügigkeit, sozialer Absi- 6 % der klaren Mehrheit, einen Austritt aus der Europäischen cherung und ökologischer Nachhaltigkeit. Die Europäische der EU-weiten Beschäftigungszahl Union können sich hierzulande nur die wenigsten vorstel- Union muss auch zukünftig das Bollwerk für multilaterale len. Doch zwischen wirtschaftspolitischer Notwendigkeit Zusammenarbeit, für Demokratie, Menschenrechte und und Begeisterung für die Union liegt ein weiter Weg. Wie Rechtsstaatlichkeit sein. Alles andere würde der Zukunft schnell außerdem Populismus und Nationalismus die Stim- Europas und Österreichs keinen Dienst erweisen. mung in der Bevölkerung drehen können und politische Entscheidungen beeinflussen, sehen wir nicht nur in Groß- Die vorliegende Publikation bietet einen guten histo- britannien, sondern auch in Ungarn, Polen und in vielen rischen Überblick über den Weg Österreichs in die Europäi- anderen Ländern. Uns soll suggeriert werden, es gäbe eine sche Union. Bei allen Feierlichkeiten und historischen Rück- Alternative zu unserem demokratischen Gefüge, zur libe- schauen auf die letzten 25 Jahre sollten wir aber vor allem ralen Demokratie und eben auch zur Europäischen Union über die Zukunft reden, gerade im Jahr 2020.

8 9 30 JAHRE ERASMUS+ EINE EUROPÄISCHE ERFOLGSGE- SCHICHTE (1987–2017) NORBERT HOFER 2017 feierte die einzigartige europäi- sche Erfolgsgeschichte Erasmus+ ihr Dritter Präsident des Nationalrats 30-jähriges Jubiläum. Das Austausch- programm, an dem Österreich seit 1992 beteiligt ist und das seit 2014 mit anderen Bildungsprogrammen zu Erasmus+ verschmolzen ist, macht es jährlich Millionen jungen Euro- päerInnen möglich, sich im Jugend-, 25 Jahre Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Bildungs-, und Sportbereich inner- halb und außerhalb Europas weiterzu- entwickeln, im Ausland zu studieren, Berufserfahrung zu sammeln oder In der österreichischen Bundeshymne heißt es in der zwei- immer im Kopf. Mehr noch: Ich kenne gar nicht wenige, die 83 % Freiwilligenarbeit zu leisten. Nicht der Alumni fühlen sich mit Europa zuletzt aufgrund der kontinuierlich ten Strophe: „Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Euro-Preise überschlagsmäßig im Kopf noch immer in Schil- stark verbunden steigenden Fördersummen waren Erdteil du inmitten“. Und es war auch ein heißer Kampf ling zurückrechnen. Das ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, in diesen 30 Jahren rund 9 Millionen im Vorfeld der Volksabstimmung am 12. Juni 1994, dass dass in all den 25 Jahren die Europäische Union von unseren EuropäerInnen mobil, angefangen 1987 mit nur 3 244 Studierenden in das in der Mitte Europas liegende Land auch in der Mit- Bürgerinnen und Bürgern ambivalent betrachtet wird. Bei 11 Programmländern. Dass Erasmus+ te der Europäischen Union ankommt – neben der Frei- regelmäßig durchgeführten Umfragen rund um das Image Die vorliegende Publikation bietet einen guten histo- jedoch nicht nur Fähigkeiten und heitlichen Partei waren auch die Grünen damals gegen der EU gab es von den Österreicherinnen und Österreichern rischen Überblick über den Weg Österreichs in die Europäi- Kompetenzen für das zukünftige Berufsleben, sondern vor allem auch einen EU-Beitritt Österreichs. Die damaligen Regierungs- sehr oft keine allzu guten Noten. Unser Land wurde in den sche Union. Bei allen Feierlichkeiten und historischen Rück- ein internationales und europäisches schauen auf die letzten 25 Jahre sollten wir aber vor allem Gemeinschaftsdenken fördert, bestä- parteien SPÖ und ÖVP warben für ein Ja der Österreiche- Euro-Barometer-Umfragen oft als Land mit einer gehörigen tigen 83 % der Erasmus-TeilnehmerIn- rinnen und Österreicher zum EU-Beitritt. Stolze 82,3 % Portion EU-Skepsis ausgewiesen. über die Zukunft reden, gerade im Jahr 2020. nen, die sich nach ihrem Auslandsauf- enthalt noch mehr als EuropäerInnen der Stimmberechtigten machten von ihrem Recht Ge- fühlten. brauch und nahmen an dieser Volksabstimmung teil – In den Köpfen vieler Menschen ist die EU weit weg.

am Ende des Tages setzten sich die Befürworter eines EU-Kommission und EU-Parlament residieren in Brüssel und EU-Beitritts mit 66,6 % durch. Straßburg, die dort getroffenen Entscheidungen und Hand- lungen kommen in Österreich oft nicht an. Das ist eines der 9 Millionen Seit dem 1. Jänner 1995 ist Österreich Teil der Euro- Hauptprobleme der EU in der öffentlichen Wahrnehmung. Gesamtzahl der TeilnehmerInnen päischen Union, die sich auch in den nächsten Jahren stets Daran müssen die Europäische Union und ihre politischen 1987–2017 vergrößerte. Nach dem Ende des Kommunismus in den Län- Vertreter arbeiten, um die EU auch für die Zukunft attrak- dern Osteuropas wurden viele von ihnen Mitglieder. Drei- tiv zu machen. Zwei Jahrzehnte lang war es nicht denkbar, mal (1998, 2006 und 2018) hatte Österreich den Ratsvorsitz dass ein Land dem Bündnis den Rücken kehren würde – mit

in der Europäischen Union inne – beim dritten Vorsitz durfte dem Brexit-Referendum ist es dann passiert, dass ein Land ich als Infrastrukturminister diese Arbeit im Verkehrs-, Tele- diese EU verlässt. Das anschließende jahrelange Ringen um kom- und Forschungsbereich begleiten. Die sechs Monate einen Brexit-Deal hat das Ansehen und die Handlungsfähig- des zweiten Halbjahrs 2018 bedeuteten für die gesamte keit der Europäischen Union nicht gerade erhöht. Hier muss damalige Regierung ein Höchstmaß an Einsatz – alleine im für die Zukunft angesetzt werden, um die EU in den Köpfen

Bereich des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, der Menschen positiver zu verankern – denn eines ist un- Innovation und Technologie wurden mehr als 150 Rats-Ar- widerlegbar: Die Europäische Union hat unserem Kontinent beitssitzungen abgehalten. Insgesamt wurde der österrei- Frieden gebracht. Gleichzeitig haben wir aber erlebt, dass 100.000 100.000 Erasmus-Mundus Studierende und Angestellte und Erasmus-Mundus Studierende 100.000 Europäische Freiwillige chischen Bundesregierung aus Brüssel ein gutes Zeugnis für in einem Mitgliedsland öffentlich die Fahne eines anderen *

* die Vorsitzführung attestiert. Mitgliedslands verbrannt wurde oder dass gefordert wurde, dass ganz bestimmte Mitglieder aus der Union geworfen Die Europäische Union brachte den Menschen werden. Diese Entwicklung erfüllt uns mit Sorge. in Österreich viel Veränderung. Wer rund um die Jahr- tausendwende geboren wurde, hat den Schilling nicht Ich wünsche unserem Land weitere erfolgreiche mehr miterlebt. Am 1. Jänner 2002 wurde in Österreich Jahre als selbstbewusstes und selbstbestimmtes Mitglieds- der Euro eingeführt – eine unmittelbare Folge des EU-Bei- land der Europäischen Union. tritts Österreichs vor 25 Jahren. Ein Euro entspricht 13,7603 Schilling – diesen Wechselkurs haben viele von uns auch 18 Jahre nach dem Ende der österreichischen Währung noch * 4.400.000 als Hochschulstudierende 1.300.000 Auszubildende als 1.400.000 1.800.000 Lehrkräfte und Jugendbetreuer * Jugendaustausch

10 11 HABEN SIE IN DEN LETZTEN 12 MONATEN…? POLITISCHE PARTIZIPATION DER JUGEND IM INTERNET (16–26 JAHRE) Das politische Engagement der Jugendlichen spielt sich heutzu- tage maßgeblich online, das heißt über das Internet und in sozialen Netzwerken, ab. Dies umfasst gemäß der Jugendstudie „Junges Europa 2019“ etwa Klicks in sozia- len Netzwerken, Onlinepetitio- nen, das Teilen politischer Beiträ- ge oder die Erstellung derselben in Form eines Blogs. Formen des 49 % Engagements, die eine höhere aktive Beteiligung erfordern, neh- der Befragten haben bei politischen Beiträgen in men dennoch tendenziell einen sozialen Medien „Gefällt mir“ gedrückt. eher geringen Stellenwert ein. So gaben 49 % der Befragten an, bei politischen Beiträgen in sozialen Medien „Gefällt mir“ gedrückt zu haben, gefolgt von 42 %, die sich an Onlinepetitionen/Unterschrif- 42 % tenaktionen im Internet beteilig- ten. Während 31 % der Befragten Anlässlich des Beitritts Österreichs in die Europäische Union vor 25 Jahren am 1. Jänner 1995 er- der Befragten haben sich in Onlinepetitionen/ politische Beiträge anderer Unterschriftenaktionen im Internet beteiligt. Personen in sozialen Medien ge- zählt das Parlament ab 1. Jänner 2020 bis Jahresende 2020 in einer künstlerischen Installation über teilt oder weitergeleitet haben, spielt das aktive Verfassen von diesen wichtigen Meilenstein in der österreichischen Zeitgeschichte. In der frei zugänglichen Kommentaren zu politischen Bei- Ausstellung des Parlaments beim Erzherzog-Carl-Reiterdenkmal am Wiener Heldenplatz werden trägen sowie das Posten eigener 31 % Beiträge mit 20 % bzw. 18 % eine Schlaglichter auf die Entwicklung der Europäischen Union geworfen. Das Leitmotiv der Installa- untergeordnete Rolle. Lediglich der Befragten haben politische Beiträge anderer 11 % gaben an, Politikerinnen und tion beruht auf den Farben der EU-Mitgliedsstaaten: Die Farben der Flaggen dieser Länder sind – Personen in sozialen Medien weitergeleitet/geteilt. Politiker über das Internet kon- taktiert zu haben. 32 % betrieben nach ihrer Häufigkeit gewichtet – für diese Installation zu einer temporären Fahne komponiert. Die kein Onlineengagement. Reihenfolge des Abdrucks in dieser Publikation entspricht der Abfolge der Stelen in der Ausstellung. 20 % Die Installation wurde von Alexander Kada grafisch gestaltet mit Inhalten von Universitäts- der Befragten haben Kommentare zu politischen Beiträgen, Artikeln und Sendungen verfasst. professor Ernst Bruckmüller sowie der Historikerin Barbara Schwarz.

18 % der Befragten haben eigene politische Beiträge in sozialen Medien gepostet oder per E-Mail verschickt. Seit Oktober 2018 nutzt das Parlament den Heldenplatz für Ausstellungen und künstlerische Installationen. Die bisher gezeigten Ausstellungen „100 Jahre Erste Republik – Tage der Entscheidung“, „100 Jahre Frauenwahlrecht“ und „30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs“ zogen mehr als 160.000 interessierte Menschen an. 11 % der Befragten haben PolitikerInnen über das Internet kontaktiert.

32 % der Befragten: keine Online-Partizipation

12 13 RÜCKBLICK

14 15 Repressionen, die sich in Regierungsausschlüssen und die erste organisierte Massenopposition. Im Jahr da- MICHAEL GEHLER Berufs- sowie Parteiverboten äußerten. Neben enormen rauf galt Kriegsrecht. Die Streikbewegung wurde un- Ressourcenvergeudungen und Staatsausgaben auf dem tersagt. Lech Wałeşa erhielt den Friedensnobelpreis, Rüstungssektor trug der Kalte Krieg maßgeblich zur Ver- den er infolge eines Ausreiseverbots nicht persönlich tiefung der politisch-ökonomischen Spaltung Europas entgegennehmen konnte. 1988 wurden landesweite bei. Außerhalb des Kontinents führte er im Zuge der Ent- Streiks eingestellt, nachdem Solidarność wieder zuge- kolonialisierung zur Angst vor der Ausbreitung des Kom- lassen worden war. 1989 gab es Gespräche zwischen 30 JAHRE FALL DER BERLINER MAUER munismus (Dominotheorie) und zur Stärkung korrupter, neuer Regierung, Kirche und Opposition am Runden undemokratischer Militärregime, z. B. in Lateinamerika. Tisch, an dem die Kommunisten Polens die Macht ab- UND DAS ENDE DES Der Kalte Krieg basierte vielfach auf wechselseitigen geben mussten. Der katholische Oppositionspolitiker Fehlwahrnehmungen, Überschätzungen gegnerischer Tadeusz Mazowiecki wurde erster frei gewählter nicht Potenziale und Ängsten vor dem Risiko eines direkten kommunistischer Regierungschef, die führende Rolle KALTEN KRIEGS IN EUROPA militärischen Zusammenstoßes sowie dem Vernich- der Arbeiterpartei wurde aus der Verfassung gestri- tungspotenzial nuklearer Waffen. Das Gleichgewicht chen und die Staatsbezeichnung Republik eingeführt. des Schreckens trug allerdings auch zur weitgehenden In Ungarn kam die Transformation auch durch Pakte Vermeidung eines heißen Kriegs bei, der den Europäern zwischen Regierung und Opposition zustande. Der allerdings nicht nur im Zeichen der Kubakrise, sondern Übergang zum Verfassungsstaat verlief so geräusch- auch noch Anfang der 1980er-Jahre drohte. los, dass er einer stillen Revolution glich. Am 27. Juni Die hier einzuführenden beiden Texte von Herbert stützung von Putschversuchen und Staatsstreichen im 1989 folgte die symbolische Durchschneidung des Ei- Vytiska bieten zwei zentrale europäische Erzählungen. gegnerischen Lager. Die zeitlichen Anfänge des Kalten sernen Vorhangs durch die Außenminister Die eine handelt vom Eisernen Vorhang als dem Kennzei- Kriegs werden unterschiedlich angesetzt, z. T. schon mit Das Jahr 1989, seine Ursachen (Ungarn) und Alois Mock (Österreich). Das Bild ging um chen des Kalten Kriegs. Die andere Geschichte berichtet dem Zerwürfnis der zerfallenden Anti-Hitler-Koalition und die Folgen die Welt und wurde zur Ikone des ausklingenden Kal- vom Ende dieses Symbols, das mit einem denkwürdigen während des Zweiten Weltkrieges. Die Interessenkonflik- ten Kriegs. Das beförderte eine Flüchtlingswelle von in Tag verbunden ist. Es ist die Öffnung des Grenzüber- te entstanden ausgehend vom US-Atomwaffenmonopol Nun zur zweiten von Herbert Vytiska sehr lebhaft vor- Ungarn urlaubenden Ostdeutschen. Die Urlaubsrevo- gangs an der Bornholmer Straße am 9. November 1989 in (1945–1949), der kommunistischen Gleichschaltung in getragenen Erzählung: Das Jahr 1989 und die folgen- lution ging Hand in Hand mit einer Feierabendrevolu- Berlin, vielfach zitiert als der sogenannte Fall der Mauer, Mittel- und Osteuropa (1946–1948) und der Gründung den Jahre standen im mittleren und südlichen Osten tion in der DDR. Die Deutschen folgten den Polen und die noch einige Wochen stehen bleiben sollte, um dann des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) Europas im Zeichen dramatischer politischer, gesell- Ungarn. Die gewaltfreien Demonstrationen waren von aber systematisch geschleift zu werden. Dieser Tag wur- 1947 in Nachfolge der im Krieg durch Stalin aufgelösten schaftlicher und ökonomischer Umwälzungen. Die westlichen Fernsehberichten getragen, deren Sender de jedenfalls zum Symbol für das Ende eines Systems und Kommunistischen Internationale (Komintern) 1943 so- kommunistischen Herrschaftssysteme gaben alle ihre als Produzenten und Multiplikatoren der Informatio- dessen Ideologie. wie der Festigung der sowjetischen Machtstellung im Macht ab und lösten sich in atemberaubender Rasanz nen agierten. Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag Mittelmeerraum und in Asien. Demgegenüber standen nacheinander auf. Nicht zuletzt deshalb wird das Jahr der ostdeutschen Staatsgründung waren von massen- das amerikanische European Recovery Program (ERP) 1989 von Vytiska in seiner weltgeschichtlichen Bedeu- haften Protestaktionen begleitet. SED-Chef Erich Ho- Der Begriff des Marshallplans und die Politik der Eindämmung (con- tung begriffen. Der 9. November steht seines Erachtens necker trat in der Folge zurück. Der 9. November war des Kalten Krieges tainment) des Kommunismus, verknüpft mit wirtschaft- daher auch für eine Zeitenwende. Zahlreich waren sei- dann Anfang vom Ende des SED-Staats. In Prag trugen lichen und militärischen Hilfsangeboten an westeuro- ne Ursachen: die ökonomische Dauerkrise des büro- studentische Demonstrationen zu Massenprotesten Beginnen wir mit dem Begriff des Kalten Kriegs zur Ein- päische Staaten und Kommunistenverfolgungen in den kratischen Staatssozialismus, die Folgen der Entspan- bei, die zu einem Generalstreik und schließlich zum führung der Thematik: Er umfasst allgemein Rivalitäten USA (McCarthyismus) selbst. Kristallisationspunkte des nungspolitik durch die KSZE-Schlussakte von Helsinki Einlenken der Regierung führten. Die samtene Revolu- und Konfrontationen zwischen Staaten oder Staaten- Kalten Kriegs waren die Berlinblockade (1948/49) und (1. August 1975), das Anwachsen von Zivilgesellschaf- tion bewirkte die rasche Umgestaltung des politischen gruppen, die durch wirtschaftliche Beziehungen, poli- die Berlin- und Kubakrise (1958–1961 bzw. 1962). Die ten und die Entstehung von Schattenwirtschaften in Systems. In Rumänien wurde Ceauşescu nach Massen- tische oder militärische Bündnisse untereinander ver- zeitliche Dauer des Kalten Kriegs wird bis zum Zerfall der den Bruderstaaten, ein erster polnischer Papst (1978), demonstrationen von einer parteiinternen Gegenelite bunden sind. Im engeren Sinne handelt es sich um den UdSSR und ihres Satellitensystems 1989–1991 angesetzt, Karol Wojtyła (Johannes Paul II.), als antikommunisti- im Zuge eines Putsches gestürzt und mit seiner Frau unterschiedlich intensiv ausgetragenen Gegensatz zwi- wobei dieser durch die Abrüstungsverhandlungen mit scher Akteur im Kalten Krieg, die Überdehnung des Elena verhaftet; beide wurden von einem Militärge- schen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion so- den USA 1986/87 schon früher festzulegen ist. Der Kalte sowjetischen Machtbereichs in Afghanistan (1979), die richt verurteilt und hingerichtet. Es blieb eine unvoll- wie die Beziehungen der von ihnen geschaffenen „Blö- Krieg war auch begleitet von Phasen der semi-détente NATO-Nachrüstung (1982), die Reaktionsschwäche endete Revolution mit ungeklärten Hintergründen. In cke“. Heute wissen wir, dass diese weit weniger homogen (1953–1955) und der Entspannungspolitik der Konferenz des Ostens auf die Entwicklung der Kommunikations- Jugoslawien brach der Bürgerkrieg aus, der zu „ethni- als angenommen und von Fragmentierungen und Rissen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) technologie im Westen, die Niederlage gegen das Er- schen Säuberungen“ ungeahnten Ausmaßes führte. geprägt waren. Der Kalte Krieg äußerte sich insbesonde- 1975–1989. Er hinterließ prägende Spuren: In Ost- und folgsmodell der Europäischen Gemeinschaften und Dem Ende der Sowjetunion 1991 folgte die Gemein- re durch Auf- und Wettrüsten, Propaganda, Druck durch Mitteleuropa verschärfte sich der Stalinismus trotz kurz- die Wettbewerbsunfähigkeit des kommunistischen schaft Unabhängiger Staaten (GUS). Diplomatie und Politik, Kriegsdrohungen, Wirtschafts- fristiger Abschwächungen im Zuge des Tauwetters nach Ostens im weltwirtschaftlichen Kontext. Hinzu ka- Ohne den seit 1985 amtierenden KPdSU-Generalse- embargos und Militärinterventionen in Regionalkonflik- Stalins Tod am 5. März 1953 und der Entstalinisierung men die schleichende ideologische Erosion sowie die kretär Michail S. Gorbatschow und seine Reformen wären ten. Erinnert sei an die Kriege in Indochina (1946–1954), nach Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Partei- Selbsterneuerungsunfähigkeit der kommunistischen die Umstürze in Mittel- und Osteuropa nicht möglich ge- Korea (1950–1953) oder Vietnam (1959–1975), ideologi- tag der KPdSU am 25. Februar 1956. In westlichen Staa- Einparteiensysteme. Im Herkunftsland des Papsts wesen. Verursacher des Wandels, konnte er diesen weder sche Infiltration, Geheimdienstaktivitäten und Unter- ten gab es antikommunistische Gesinnungszwänge und gründete sich 1980 mit der Gewerkschaft Solidarność steuern, noch dessen Resultate verhindern: die deutsche

16 17 Einigung im Rahmen des atlantischen Bündnisses, das Fünf Fakten für die Zwischenfazit: Der Erfolg der Freiheitsrevolution zu halten. Daraus erwuchsen Stabilisierungs-, Konsolidie- Ende der UdSSR und die NATO-Mitgliedschaft der vorma- der Ostdeutschen und die deutsche Einheit sind dem rungs- und Identitätskrisen. Vor einer Mythologisierung ligen „Bruderstaaten“, gleichwohl ihr EU-Beitritt noch 15 deutsche Einigung Zusammenwirken verschiedenster innersowjetischer so- und Überhöhung des Jahres 1989 und des 9. November Jahre auf sich warten ließ. zialistischer Systemdefizite, dem Glaubwürdigkeits- und ist daher abzuraten: Dem Systemwechsel folgte nicht Die Ereignisse in Deutschland um den 9. November, Die schwierigste Frage, die sich nach dieser Benennung Loyalitätsverlust des SED-Regimes, den daraufhin einset- zwangsläufig ein Elitenwechsel. Die Umorganisation der auf die Herbert Vytiska ebenfalls gekonnt eingeht, stan- von Multifaktoren für den Historiker stellt, ist die ihrer zenden Massendemonstrationen sowie der Unterstüt- Ökonomien von einer Kommandowirtschaft zum Ka- den von der zeitlichen Abfolge gesehen in der Mitte: Die Analyse und Gewichtung. Hier wird man nach akziden- zung der USA und nicht zuletzt der Entschlusskraft und pitalismus legte mentale Probleme offen. 1989 bedeu- Deutschen machten bei den Umsturzbewegungen nicht tiellen, punktuellen, situativen, strukturellen und tempo- Willensstärke Helmut Kohls zu verdanken. tete zwar die Wiederentdeckung Mitteleuropas, seine den Anfang, sondern folgten erst Polen und Ungarn, was rären Faktoren Überlegungen anstellen, aber auch die Rückkehr nach Europa und den Beginn einer gesamt- für die Akzeptanz des späteren deutschen Einigungspro- Eigendynamik als eigenen Faktor sowie die Kombination europäischen Neufindung. Westeuropa legte jedoch mit zesses nicht unerheblich war. Der 9. November mit der und die Multiplikation der Faktoren heranziehen müssen. Folgen und Wirkungen der EG-Kommissionspräsident Jacques Delors die Priorität unbeabsichtigten Selbstauflösung des Einparteienstaats Von diesen verschiedensten Befunden sind meines Er- mittel-osteuropäischen Umbrüche zunächst klar auf die Vertiefung des Integrationsprozes- (Hermann Hertle) entwickelte dann jedoch die entschei- achtens fünf Faktoren für den 9. November und die deut- ses (Binnenmarkt und Wirtschafts- und Währungsunion) dende Schubkraft für die Umwälzungen in der Tschecho- sche Einigung besonders entscheidend gewesen, wobei Die Folgen und Wirkungen der mittel-osteuropäischen vor der Osterweiterung. Der dagegen erteilte doppelte slowakei und in Rumänien im Dezember 1989. sich über die Auswahl trefflich streiten ließe: Umbrüche fallen im Historikerurteil gemischt und zwie- Ratschlag zur Einführung der Demokratie und zum Auf- Für das Geschehen um den 9. November spiel- spältig aus: Die revolutionären Ereignisse bewirkten ins- bau der Marktwirtschaft für die Mittel- und Osteuropä- te eine Reihe von Faktoren eine Rolle: erstens die sich 1. Die Dauerkrise und Erosion des Staatssozialismus gesamt eine Kettenreaktion. Die Gewerkschaftsbewe- er war alles andere als leicht realisierbar. Die politische immer deutlicher abzeichnende Niederlage der UdSSR wirkten langfristig. Die These lautet hierbei: Die Sowjet- gung in Polen und die Liberalisierungspolitik in Ungarn Transformation war von ökonomischem Niedergang be- in Afghanistan und der militärische Rückzug Anfang union hatte den Wettbewerb mit dem westlichen Kapita- fungierten als Vorläufer. Rumänien eilte der Entwicklung gleitet. Dem wundervollen 1989 folgten miserable Jahre. 1989; zweitens die Entlassung der alten Politikergarde lismus spätestens seit den 1970er-Jahren verloren. gewaltsam nach. DDR und ČSSR erlebten demokrati- Demokratie und Marktwirtschaft liefen selbst Gefahr, zur im Kreml unter Leonid Breschnew und dessen Nach- 2. Der imperial overstretch war für das Sowjetreich sche Revolutionen mit nationaler Dimension: Einigung realitätsfernen Empfehlung zu gerinnen, das definitive folgern; drittens ein schleichender ideologischer Ero- mit der Überdehnung des eigenen Machtbereichs in mit der Bundesrepublik und Sezession. Auf der einen Ende der Machbarkeitsideologie zu signalisieren. 1989 sionsprozess, der zum Glaubwürdigkeitsverlust führte; Afghanistan gegeben. Die These in diesem Zusammen- Seite gab es substanzielle Hilfe, auf der anderen fehlte bedeutet daher auch die Entzauberung der demokrati- viertens das Entstehen zweiter oder sogenannter Schat- hang lautet, dass sich ohne das Desaster der Intervention ein helfender großer Bruder. Die Freiheitserringung be- schen Fortschrittsidee. Die Grenzen des Parteien- und tenwirtschaften in den verbündeten sozialistischen am Hindukusch und ohne Gorbatschow die Wahrschein- deutete nicht automatisch Demokratiesicherung und Sozialstaats wurden deutlicher denn je. Bruderstaaten; fünftens die verstärkte Integration lichkeit eines militärischen Eingreifens in der DDR 1989 Rechtsstaatsgarantie: Das Dilemma zwischen rascher ins- Nach der Durchschneidung des Eisernen Vorhangs, Mittel- und Osteuropas in das westlich-kapitalistische erhöht hätte. In Litauen ließ Gorbatschow bekanntlich titutioneller Reform im staatlichen Bereich und zäher De- der Öffnung des Ostens und der Überwindung der Wirtschaftssystem mit Zunahme des Handels und der noch im Januar 1991 Truppen militärisch intervenieren. mokratisierung des politischen Lebens tat sich auf. Wie Mauer in Berlin sowie dem Ende der seit 1989 bereits Auslandsschulden; sechstens die gescheiterten Versu- 3. Der Frust mit den Systemmängeln und die Un- Polen befreite sich Ungarn selbst, ohne dass durch die in Auflösung befindlichen Sowjetunion eröffneten sich che, noch Mitte der 1980er-Jahre die von der dritten fähigkeit des SED-Regimes, auf den Reformbedarf zu Machtverschiebungen politische Stabilität erzielt wurde. neue friedens- und integrationspolitische Möglichkei- industriellen Revolution ausgehenden Innovationen reagieren, führten zu einem massiven Glaubwürdig- Die Revolutionen fraßen ihre Kinder: Solidarność zer- ten. Die Charta von Paris für ein neues Europa stand für der Mikroelektronik nachzuvollziehen, und siebtens keitsverlust aufgrund von Kommunikations- und Legi- brach in Einzelparteien, das Bürgerforum zerfiel noch vor die Schaffung einer neuen friedlichen Ordnung in Euro- das Anwachsen einer civil society als zweite Gesell- timationsdefiziten. Hinzu kamen die Attraktivität des der Trennung der Slowaken von den Tschechen und das pa nach der Einigung Deutschlands und der Einstellung schaft. All das führte zu einem Problemstau, der sich in D-Mark-Westens und der wirtschaftliche Konsum. Die Neue Forum der DDR verkam zur Marginalie. In der Besei- der Ost-West-Konfrontation. Sie wurde am 21. November den politischen Umstürzen 1989 äußerte. Achtens hatte These lautet hier, dass die DDR-Bürgerinnen und -Bürger tigung alter, nicht aber in der Herstellung neuer Macht- 1990 in Paris als Schlussdokument der KSZE-Sondergip- die blutige Unterdrückung der Demokratiebewegung die rasche Einheit erzwangen und die Politik in Ost- wie verhältnisse bestand ihre Leistung. Verbindlich war das felkonferenz von 32 europäischen Ländern sowie den in Peking am 4. Juni 1989 gezeigt, wie eine kommu- Westdeutschland 1989/90 vor sich hertrieben. Ende der russischen Hegemonie über Mittel- und Osteu- USA und Kanada unterschrieben. Die Staats- und Regie- nistische Führung auf Opposition und die Gefahr einer 4. Der Faktor Vereinigte Staaten von Amerika zur ropa. Insofern wurde das Jahrhundert des Kommunismus rungschefs der Teilnehmerstaaten erklärten die Spaltung Spaltung des sozialistischen Lagers reagierte. In Mittel- Unterstützung der deutschen Vereinigungspolitik war abgewählt. Der Kalte Krieg ging zu Ende, doch der Friede Europas für beendet, verpflichteten sich zur Demokratie europa blieb eine „chinesische Lösung“ aus, weil die ganz wesentlich, jedenfalls mitentscheidend. Die These brach nicht aus: Anstelle des alten Sozialismus trat ein als einziger Regierungsform und sicherten ihren Völkern Sowjettruppen in den Kasernen blieben, aber auch weil lautet: Ohne die Unterstützung der US-amerikanischen neuer Nationalismus, der scheinbar vom Sowjetuniver- die Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfrei- sich Opposition und Machthaber in diesen Ländern – Politik unter Präsident George H. W. Bush und Außen- salismus überwunden worden war. Nach Ausbleiben ra- heiten zu. Das Ende des Kalten Kriegs und der Teilung anders verliefen die Umstürze in Rumänien, Bulgarien minister James Baker wäre der westeuropäische Wider- scher Freiheitserfolge mündete vieles in die nicht einfach Europas waren damit offiziell dokumentiert. und Albanien (von Jugoslawien ganz zu schweigen!) – stand gegen die deutsche Einheit, der von November einlösbare Gleichheitsforderung. Diese doppelte Enttäu- Fazit: Herbert Vytiska hat als langjähriger sachkundi- über die Notwendigkeit eines friedlichen Übergangs im 1989 noch bis zum März 1990 (der ersten freien Volks- schung führte in den postkommunistischen Gesellschaf- ger Beobachter das Geschehen des Kalten Kriegs mit dem Wesentlichen einig waren. Diese Vorgänge markierten kammerwahl in der DDR am 18. März, die ein Plebiszit für ten zu neuer politischer Gleichgültigkeit und Agonie dazugehörigen Eisernen Vorhang sowie die historischen auch Unterschiede der politischen Kulturen und ihres die Einheit darstellte) angehalten hatte, nicht so rasch zu sowie zur Wiederentdeckung der Nische des Privaten, Ereignisse vor und nach dem 9. November 1989 hautnah Umgangs mit Konflikten zwischen (östlichem) Mitteleu- brechen gewesen. nationaler Rückbesinnung und sozialistischer Nostalgie. miterlebt, mit zahlreichen Zeitzeugeneinschätzungen er- ropa und dem (südöstlichen) Balkanraum. Neuntens wa- 5. Letztlich entscheidend war als Ak- Die in der Fritteuse erfolgte Demokratisierung der kom- gänzt und damit sehr nachdrücklich in Erinnerung gerufen. ren die kommunistischen Diktaturen von „Selbsterneue- teur und Entscheidungsträger. Die These lautet hier: munistischen Gesellschaften reichte nicht aus, um die im Der Text bietet eine sehr authentische und persönliche rungsunfähigkeit“ (Ludger Kühnhardt) gekennzeichnet: Ohne Kohl – bzw. anders gewendet: mit Oskar Lafontaine real existierenden Sozialismus bestehenden Gewohnhei- Darstellung der Erfahrungen und Erlebnisse des Autors, Mit permanenten Systemdefiziten waren mittelfristig als SPD-Kanzler – hätte es keine so rasche deutsche Ein- ten zu überwinden, die Legitimation neuer Institutionen die lesenswert sind. Ich wünsche der Publikation viele Inte- Systemkrisen und langfristig Systemzerfall verbunden. heit gegeben. zu gewährleisten und das konstitutionelle Gleichgewicht ressenten und damit den entsprechenden Erfolg!

18 19 5,4 Prozent der KPÖ gaben. Zwar musste noch eine Kon- man nie geführt, zum Austreten nur um sechs Uhr früh HERBERT VYTISKA zentrationsregierung aller drei Parteien gebildet werden, […]; am Abend nie. Auf jeden Block zu sieben Zellen die KPÖ verließ diese allerdings bereits nach zwei Jahren. kommen zwei Aufseher, deswegen blickt dich das Entscheidend war aber der Zusammenhalt der beiden Guckloch in einem fort an [...]. Darin liegt die Absicht großen politischen Lager. Nach dem Gegeneinander in [...]: dir keinen Schlaf zu lassen und keinen fürs Eigen- der Zwischenkriegszeit fanden sich viele ihrer politischen leben gestohlenen Augenblick; dich stets im Auge zu Repräsentanten in den KZs wieder – und schworen sich behalten und stets im Griff.“ DIE GESCHICHTE DES dort auf ein Miteinander nach Kriegsende ein. So kam es zur Gründung der Sozialpartnerschaft, in der Arbeitneh- Es dauert bis zum Ende der 1990er-Jahre, ehe mit der Auf- mer und Unternehmer gemeinsam vertreten sind und an arbeitung begonnen werden kann. Das 1997 vom fran- EISERNEN VORHANGS einem Tisch sitzen. zösischen Historiker Stéphane Courtois herausgegebene „Schwarzbuch des Kommunismus“ liefert die erste welt- weite Gesamtbilanz von 80 Jahren Kommunismus, die insbesondere das Terrorregime von Josef Stalin schwers- ter Menschenrechtsverletzungen anklagt: Als erstmals von einem die Rede war „Hinrichtung mit verschiedenen Mitteln (Erschießen, Erhängen, Ertränken, Prügeln; in bestimmten Fällen Nicht nur Europa, chisch-steirischen Grenze bis zum südlichen . Kampfgas, Gift, Verkehrsunfall), Vernichtung durch Hun- Für das Passieren war eine sogenannte Identitätskarte Die Geschichte des Eisernen Vorhangs begann bereits ger (Hungersnöte, die absichtlich hervorgerufen und/ auch Österreich war geteilt (I-Karte) nötig, ausgestellt von den vier Besatzungsmäch- mit dem Oktoberputsch. Am 7. November 1917 ergriffen oder nicht gelindert wurden), Deportation (wobei der ten. Während die westlichen Besatzungsmächte schon die kommunistischen Bolschewiki die Macht in Russland. Tod auf Fußmärschen oder im Viehwaggon eintreten alsbald Lockerungen erließen, hoben die Sowjets erst im Schon damals taucht erstmals der politische Begriff des konnte oder auch am Wohnort und/oder bei Zwangs- Bis vor 30 Jahren nannte man das Gebiet entlang der Juni 1954 diese Kontrollen auf. Eisernen Vorhangs auf. So nutzte die britische sozialisti- arbeit durch Erschöpfung, Krankheit, Hunger, Kälte).“ Grenze von Österreich zur Tschechoslowakischen Sozia- Diese Demarkationslinie ist mit vielen, meist unbe- sche Politikerin Ethel Snowden den Begriff Iron Curtain listischen Republik (ČSSR) und zur Volksrepublik Ungarn kannten Schicksalen von Menschen verbunden, die aus 1920 in einem allerdings positiven Reisebericht über das Die Brutalität des Vorgehens wird zum System gemacht: noch tote Grenze. Der Grund war damals, dass der so- dem Zug, aus dem Auto herausgeholt, verhaftet und in „bolschewistische Russland“. genannte Eiserne Vorhang das Gebiet zum Nachbarland die Sowjetunion deportiert wurden. Eines dieser Schick- Was sich in der Zeit bis zu Beginn des Zweiten Welt- „Jede Region, jeder Bezirk mußte einen bestimmten hermetisch abgeriegelt hatte. Ein Stacheldraht, ein breit sale schrieb Geschichte. Es betraf eine Beamtin des Mi- kriegs in der Sowjetunion abspielt, dringt kaum an die Prozentsatz von Personen verhaften, deportieren oder gepflügter Streifen mit vergrabenen Tretminen, Wach- nisteriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftspla- Öffentlichkeit. Im Westen wird dem Terrorregime in der erschießen, die ,feindlichen‘ Gesellschaftsschichten türme, von denen der Grenzverlauf eingesehen werden nung in Wien, Margarethe Ottillinger. Sie wurde am 5. Sowjetunion keine Aufmerksamkeit geschenkt. Man er- angehörten. Diese Prozentsätze wurden zentral von konnte und von dem aus auf Menschen, die diese Grenze November 1948 an der Ennsbrücke aus dem Auto geholt, fährt auch wenig über die Säuberungsaktionen quer der Parteileitung festgelegt.“ zu überwinden versuchten, geschossen wurde – all das verhaftet, verhört, als Spionin verdächtigt, nach Russland durch das Land von 1918 bis 1922, die absichtlich herbei- markierte die Trennung von zwei Ideologien: dem westli- gebracht und landete in sowjetischen Kerkern. Erst 1955 geführte Hungersnot 1932/1933 in der Ukraine, die über Im Kampf gegen die nationalsozialistische Herrschaft chen System parlamentarischer Demokratien von jenem kam sie wieder frei und kehrte zurück nach Österreich. sechs Millionen Menschen das Leben kostete, oder die von Adolf Hitler, die sich über Europa breitmacht, kommt der östlichen kommunistischen Volksdemokratien. Sie machte schließlich eine beachtliche Karriere und wur- Deportation und zum Teil Liquidierung ganzer Volks- es während des Zweiten Weltkriegs ab 1941 zu einer Al- Die Teilung Europas geht auf die Konferenz von Jal- de Generaldirektorin der OMV. gruppen (wie etwa der Donkosaken und Kulaken). lianz zwischen den Truppen der Westmächte und der ta zurück, die noch während des Zweiten Weltkriegs, von Mit dem 1973 erscheinenden „Archipel Gulag“, einem sowjetischen Armee. Der Krieg ist noch nicht einmal zu 4. bis 11. Februar 1945, stattfand. Für Josef Stalin, Franklin aufrüttelnden literarischen Werk des russischen Schriftstel- Ende, da werden die Partner allerdings schon wieder zu D. Roosevelt und Winston Churchill ging es um die Auf- lers Alexander Solschenizyn, wird die Dramatik des Lebens Gegnern. So schreibt am 12. Mai 1945, wenige Tage nach teilung Deutschlands und die Machtverteilung in Euro- hinter dem Eisernen Vorhang, wenn man zu den Regime- der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehr- pa. Ziel Stalins war es, vor allem den Machtanspruch der Der östlichste Vorposten gegnern und Klassenfeinden zählt, offenkundig. macht, der britische Premier Winston Churchill in einem Sowjetunion auf die ost- und südosteuropäischen Länder der freien Welt Telegramm an US-Präsident Truman: zu fixieren, was auch so gelang. Damit aber wurde auch – „Die Zellen messen anderthalb zu zwei Meter. [...] was Churchill alsbald als Fehler eingestand – ein Graben In den Steinboden sind zwei runde Schemel einge- „An iron curtain is drawn down upon their front. We do zwischen West und Ost gezogen, der die Geschichte der Österreich war, wie es Außenminister bei schweißt, wie Baumstümpfe, und wenn der Aufseher not know what is going on behind.“ zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz entscheidend seinem Besuch 1952 in Großbritannien und den USA in der Wand das Vorhängeschloss aufsperrt, dann prägte und Europa in zwei Welten teilte. wörtlich formulierte, als er für den Abschluss eines Staats- kippt für die sieben Nachtstunden [...] aus der Wand Am 5. März 1946 lässt Churchill bei seiner Rede in Fulton, Österreich wurde in vier Besatzungszonen auf- vertrags und für die demokratische Reife des neuen Ös- ein Brett heraus und eine winzige Strohmatte, für ein USA, bereits den herannahenden Kalten Krieg durchklingen: geteilt: Die sowjetische im Osten war von den amerika- terreich warb, der „östlichste Vorposten der freien Welt“. Kind gerade recht. Am Tag sind die Schemel frei, aber nisch, britisch und französisch verwalteten Zonen durch Die Basis dafür hatten die Wählerinnen und Wähler darauf sitzen darf man nicht. [...] Die Lüftungsklappe „Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat die Demarkationslinie getrennt. Diese verlief vom ober- bei den ersten freien Wahlen gelegt, indem sie 49,8 Pro- im Fenster ist immer zu, am Morgen nur wird sie für sich ein Eiserner Vorhang auf Europa herabgesenkt. österreichischen Mühlviertel entlang der niederösterrei- zent der Stimmen der ÖVP, 44,6 Prozent der SPÖ und nur zehn Minuten aufgesperrt. [...] Zum Spaziergang wird Dahinter liegen all die Hauptstädte der alten Staaten

20 21 Mittel- und Osteuropas. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Eine entscheidende Weichenstellung kommt dabei einer cken, die sich im ersten Jahrzehnt nach 1945 bilden. naus auszudehnen, erfuhr Österreichs Verteidigungsmi- Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia. Diese berühm- Initiative von US-Außenminister George C. Marshall zu. Er Beide Seiten befürchten einen Übergriff der jeweils nister Werner Fasslabend bei Gesprächen nach dem Fall ten Städte und die Bevölkerung ringsum liegen alle im lässt ab Mai 1947 für das von den Kriegsschäden so schwer anderen Seite – und beide Seiten trachten, ihre je- des Eisernen Vorhangs: sowjetischen Wirkungskreis“. getroffene Europa eine Wirtschaftshilfe in der Höhe von weiligen Einflusszonen zu konsolidieren. Dabei geht 12,4 Milliarden Dollar entwickeln, was schließlich im Ap- es nicht zuletzt um einen ideologischen Wettbewerb: „Interessant waren die Gespräche mit führenden Poli- Und tatsächlich, Jugoslawien ist bereits seit 1944 unter ril 1948 zur Gründung der Organisation für europäische Beide Seiten halten ihr Modell einer Gesellschafts- tikern und Funktionären der Tschechoslowakei, etwa kommunistischem Einfluss. Der Umbau der mittel- und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) führt. Ein wich- ordnung für besser und gerechter. Sowohl das mar- mit Ján Čarnogurský. Als wir zum ersten Mal darüber osteuropäischen Staaten zu Volksdemokratien ist in vol- tiger Schritt auch in Richtung eines Zusammenwachsens xistische bzw. kommunistische Modell (in seiner von diskutierten, eine Brücke über die March zu schlagen lem Gang. Im Sommer 1948 werden in Ungarn und der der Europäer, der mit der Gründung des Europarats im Mai Lenin und Stalin geprägten Variante der Diktatur der um die Verkehrsverbindungen zwischen Österreich Tschechoslowakei die demokratischen Parteien verbo- 1949 seine Fortsetzung findet. In Anspruch genommen Partei) wie das westliche Modell einer freien Markt- und der Slowakei zu verbessern, sagte Čarnogurský ten, sogenannte Volksdemokratien werden geschaffen. wird dieses wirtschaftliche Belebungsprogramm aber nur wirtschaft gehen davon aus, das bessere und letztlich ganz offen: Das ist mit Sicherheit kein Problem, denn Österreich bleibt dieses Schicksal erspart. von den westeuropäischen Staaten, so auch von Öster- auch siegreiche zu sein.“ wenn es nur darum geht, dass eine Brücke gebaut wird, reich. Die Sowjetunion untersagt ihren Satellitenstaaten so liegen in der Slowakei Brückenteile für alle Flüsse in eine Teilnahme. Damit beginnt auch die wirtschaftliche Es kommt zu einer Aufrüstung, politisch (Krieg der Wor- Österreich. Die Tschechoslowakei, insbesondere der Entkoppelung von West- und Osteuropa. te), militärisch (NATO versus Warschauer Pakt) und wirt- slowakische Bereich, hatte vor allem eine Pionierauf- schaftlich. Ausgehend von der Marshallplanhilfe, mit der gabe im Rahmen des gesamten Warschauer-Pakt-Sys- Westeuropa beginnt, die USA ab 1948 12,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung tems, nämlich für die Voraussetzungen für die Über- sich neu zu erfinden stellen, gelingt Westeuropa der große Wirtschaftsauf- querungen von Donau, aber auch von March, Enns schwung. 1957 wird die Europäische Wirtschaftsge- usw. zu sorgen, um einen raschen Vorstoß der War- Der Kalte Krieg dauert meinschaft (EWG) gegründet, die sich zu einem Erfolgs- schauer-Pakt-Kräfte, die im Wesentlichen aus der heu- Nach zwei verheerenden Weltkriegen und jahrhunderte- über 40 Jahre modell für wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickelt. tigen Ukraine, dem südlichen Teil des Sowjetterrito- langen kriegerischen Auseinandersetzungen um Macht Der 1949 von Moskau gegründete Rat für gegenseitige riums, gekommen wären, in den süddeutschen Raum und Einfluss von Herrscherhäusern und Völkern setzt im Wirtschaftshilfe, der COMECON (Council on mutual eco- hinein zu gewährleisten. Das war von der Planung her Westen Europas ein Umdenkprozess ein. Fast nahtlos gleitet die Welt von einer in die nächste Kon- nomic assistance), hat keine Chance, mitzuhalten. Wäh- relativ klar. Es war auch so, dass man im Warschauer Am 19. September hält Churchill übrigens noch frontation. Es ist das Zeitalter des Kalten Kriegs, das mit rend militärisch in etwa Parität zwischen Osten und Wes- Pakt nicht nur für alle deutschen, sondern auch für die eine Rede, und zwar in Zürich, in der er sich mit der Zu- den Ereignissen des Jahres 1989 endgültig Geschichte ist. ten herrscht, wird wirtschaftlich und industriell Ost- von westeuropäischen Großstädte bereits Namensschilder kunft Europas beschäftigt. Es ist eine Rede, die einen Ein- Geht es nach dem heutigen Forschungsstand, so endet Westeuropa abgehängt. für die wichtigsten Straßenzüge parat hatte, um dort druck von der damaligen Dramatik vermittelt, aber auch der Kalte Krieg schon zwei Jahre früher. einfach die logistischen Voraussetzungen zu schaffen, bereits jene Perspektive aufzeigt, die in den folgenden Es kommt zwar zu keiner direkten Auseinander- dass man sich entsprechend rasch orientieren konnte. Jahrzehnten bestimmend werden soll: setzung der Weltmächte USA und Sowjetunion, aber zu Diese Ausrichtung auf einen raschen terrestrischen Stellvertreterkriegen und krisenhaften Konfrontationen. Vorstoß bis an den Atlantik, die Inbesitznahme des „Augenblicklich leben wir in seltsamer und bedenkli- Die sogenannte Truman-Doktrin, verkündet am 12. Die Demarkationslinie Territoriums und zu warten, wie die Amerikaner re- cher Weise unter dem Schild, und ich will sogar sagen März 1947 von US-Präsident Harry S. Truman, wird als ein war in den Köpfen der Sowjets agieren, war das strategische Konzept Moskaus.“ (1) Schutz, der Atombombe. [...] Aber es ist wohl möglich, Markstein für den Kalten Krieg bezeichnet. Damit ver- dass dieses ungeheuerliche Zerstörungsmittel in ein pflichteten sich die USA angesichts der Expansionsbe- paar Jahren weitverbreitet sein wird, und die Katastro- strebungen der Sowjetunion, „freien Völkern beizustehen, Wenngleich die innerösterreichische Demarkationslinie phe, die seinem Gebrauch durch verschiedene kriegs- die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete keine scharfe Grenze war, so hatte sie für die Machthaber führende Nationen folgen würde, bedeutete nicht nur Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen“. Für im Kreml bis zuletzt eine wichtige strategische Bedeutung, Langsam senkt sich das Ende all dessen, was wir Zivilisation nennen, son- den Militärhistoriker Erwin A. Schmidl greift diese Fest- und das trotz des neutralen Status der Alpenrepublik, be- der Eiserne Vorhang dern könnte wahrscheinlich sogar den Erdball selbst stellung zu kurz: stand doch die Möglichkeit, dass man den östlichen Teil zerstören.“ Daher plädiert er dafür, „die Vereinten Österreichs besetzt und so gewissermaßen einen Lücken- Nationen aufzubauen und zu festigen. Unter- und in- „Mehrere Daten werden für den Beginn des Kalten schluss bis hin zur Grenze Jugoslawiens vollzieht. Dessen Kaum war der Zweite Weltkrieg vorüber, begann auch nerhalb dieser weltumfassenden Konzeption müssen Krieges genannt: die kommunistischen Machtüber- Staatschef Josip Broz Tito führte zwar ein straffes kom- schon der sogenannte Kalte Krieg, ausgelöst durch die wir die europäische Völkerfamilie in einer regionalen nahmen in Ungarn und der Tschechoslowakei 1948 munistisches Regime, hatte sich aber sehr zum Missfal- sowjetische Führung, die nach der totalen Besitznahme Organisation neu zusammenfassen, die man vielleicht oder die Berliner Blockade und die Luftbrücke 1948/49, len des Kreml 1948 vom Diktat der sowjetischen Führung Osteuropas, von der Ostsee bis an die Adria, auch einen die Vereinigten Staaten von Europa nennen könnte. die Bürgerkriege in Griechenland und China 1946–49, losgesagt. Eine solche Besetzung hätte zwar zu Protesten politischen Zugriff auf Griechenland, die Türkei und den Der erste praktische Schritt wird die Bildung eines Eu- die Bildung der beiden deutschen Staaten 1949 oder der USA und der Westmächte geführt, mit einem echten Iran versuchte. US-Präsident Harry S. Truman stellte sich roparates sein. [...] Bei all diesen dringenden Aufgaben der Koreakrieg 1950–53. Einschreiten wäre aber nicht wirklich gerechnet worden. dieser Herausforderung. Am 12. März 1947 gab er vor müssen Frankreich und Deutschland zusammen die Für jeden dieser Zeitpunkte lassen sich plausible Argu- Das Interesse Washingtons galt damals nur der Nord-Süd- dem US-Kongress die bereits vorhin im Text erwähnte Er- Führung übernehmen“ – allerdings ohne Großbritan- mente finden – insgesamt illustrieren sie das langsame Route, um eine Verbindung zwischen den NATO-Truppen klärung ab (Truman-Doktrin), wonach es ein außenpoliti- nien: Dieses sowie „das britische Commonwealth, das Hinübergleiten der Alliierten von der Kriegskoalition in Deutschland und Italien sicherzustellen. scher Grundsatz der Vereinigten Staaten von Amerika sei, mächtige Amerika [...] sollen die Freunde und Förderer gegen das Deutsche Reich und Japan in eine neue Wie ernsthaft man es jenseits der österreichischen „freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unter- des neuen Europa sein“. Konstellation, in die Rivalität zwischen den beiden Blö- Grenze nahm, die Macht über Mittel- und Osteuropa hi- werfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äuße-

22 23 ren Druck widersetzen“. Es ist dies die Kampfansage an die se Sperrlinien schloss eine Grenzzone, die nur mäßig trationszug in Richtung Innenstadt bewegte. Vor- Studenten am 23. Oktober 1956 schließen sich tau- Expansionsbestrebungen des Kommunismus. Washing- bewachsen sein durfte, damit die Grenzwachen freie bei ging es an einer Schuhfabrik. Die Frauen sollen sende Hauptstädter an. Als der Zug das staatliche ton übernimmt die Rolle eines Weltpolizisten zum Schutz Sicht auf Flüchtende hatten. Die Gemeinden des als runterkommen!, wurde gerufen. Aber sie konnten Rundfunkgebäude passiert, wird er aus dem Kom- und zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Grenzgebiet bezeichneten Hinterlandes, das bis zu 20 nicht, denn die Betriebsleitung hatte die Tore zuge- plex heraus beschossen. [...] Am Abend versammeln Österreich bekommt die Aufteilung Europas in Kilometer ins Landesinnere reichte, unterlagen der be- schlossen. Daraufhin brachen die Arbeiter die Türen sich 200.000 Menschen vor dem Parlament. Sie zwei Machthälften voll zu spüren. Die Grenze zwischen sonderen Kontrolle der Staatssicherheitsorgane. Mili- auf. Viele Frauen haben sich gleich mit der Arbeits- fordern Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen West- und Osteuropa wird mit Kriegsende schrittweise tär- und Grenzwacheeinheiten waren in den Dörfern kleidung dem Demonstrationszug angeschlossen. Es und die Unabhängigkeit von der Sowjetunion.“ Imre dicht gemacht. des Grenzgebietes stationiert.“ (2) herrschte richtig Euphorie. Parolen wurden gerufen: Nagy wird zum Ministerpräsidenten berufen. In den Das erfährt ein Kriegsheimkehrer, der als Zollbeam- Freie Wahlen! Der Spitzbart muss weg! – Gemeint war folgenden Tagen überschlagen sich die Ereignisse: ter zum Dienst an der österreichisch-ungarischen Grenze damit Walter Ulbricht. „Am 30. Oktober verkündet Ungarns Ministerpräsi- bei Rattersdorf-Liebing eingeteilt wird. In seinem Tage- Dann kamen wir an einem großen Parteigebäude am dent das Ende der Einparteienherrschaft. [...] Am 1. buch findet sich dazu diese Aufzeichnung: Rosenthaler Platz vorbei – ein sehr bewegender Au- November proklamiert Nagy sogar die Neutralität Aufbegehren in der DDR genblick. Der Demonstrationszug blieb zunächst mal Ungarns und kündigt die Mitgliedschaft seines Lan- „Ein guter Platz. Während in Wien Lebensmittel ratio- gegen das Diktat Moskaus stehen. Vor den zahlreichen Glastüren waren Stahl- des im Warschauer Vertrag auf.“ niert sind oder nur im Schleich zu überhöhten Preisen gitter runtergelassen. Ein Mann, der im Krieg ein Bein erworben werden können, lässt es sich hier schon bes- verloren hatte und auf Krücken ging, war enorm auf- Man glaubt in Budapest, mit Österreich im Westen und ser leben. Der Kontakt mit den ungarischen Grenzern Die Trennung von West und Ost markiert der Eiserne Vor- geregt. Er nahm immer wieder eine Krücke und stach dem blockfreien Jugoslawien im Süden eine Art Friedens- ist sehr freundlich. Wir können nach drüben zu den hang. Er ist in der Praxis länger als von Churchill erwähnt, durch das Rollgitter hindurch. Jede der Glastüren ging zone mitten in Europa bilden zu können – eine Fehlein- Bauern hamstern gehen. Eines Tages bittet man uns zu reicht er doch von der Barentssee im Norden Norwegens in die Brüche. schätzung, wie der erste demokratisch gewählte Außen- einem Dienstgespräch nach Kőszeg. Dort teilt man uns bis hinunter in den Süden an das Schwarze Meer. Petra Wir kamen schließlich auf den Marx-Engels-Platz. Der minister der Regierung Antall, Géza Jeszenszky, resümiert: mit, dass man schon bald wieder mit dem Grenzver- Mayrhofer vom Demokratiezentrum Wien beschreibt ganze Platz war voller Menschen. Es ging nicht weiter. kehr beginnen möchte. Allerdings ist man in Budapest dessen Ausgestaltung: Irgendwann war ein ganz leises, dumpfes Dröhnen zu „Ende Oktober/Anfang November gab es so eine freu- noch dagegen. Die Russen würden Druck machen, die hören. Plötzlich riefen die Leute: Die Russen, die Panzer dige, eine Aufbruchsstimmung. Egal wen man ange- Grenze geschlossen zu halten. In den nächsten Wochen „Der Eiserne Vorhang als hochgerüstete Grenzsperre kommen! Und schon kam der erste Panzer aus der Rat- troffen hat, alle waren glücklich und haben Freude merkt man, dass Änderungen passieren. Einige Beamte wurde ab Ende der 1940er-Jahre an den Grenzen Un- hausstraße um die Ecke gebogen. Er fuhr einfach in die ausgestrahlt. In den Zeitungen konnte man aber auch werden abgezogen und durch neue ersetzt, die kaum garns zu Österreich, der damaligen Tschechoslowakei Menschenmenge hinein. Die Menschen versuchten, so lesen, dass einige Gefahren lauern. Zu diesem Zeit- mit uns sprechen. Der Kontakt mit den Kollegen von zur damaligen BRD und zu Österreich, Bulgariens zu schnell wie möglich auseinanderzufliehen. Wir hatten punkt war aber noch die Hoffnung vorhanden, dass in drüben beginnt einzufrieren. Aus Wien erfahren wir, Griechenland und zur Türkei und an der damaligen in- eine fürchterliche Angst und sind so schnell wie mög- Ungarn eine freiere Gesellschaft möglich ist. Ich habe dass der österreichische Posten aufgelassen wird.“ nerdeutschen Grenze der DDR errichtet. In Skandina- lich nach Hause gerannt.“ (2) mich mit diesem Thema, ob die USA und überhaupt vien war die Grenze zwischen der damaligen Sowjet- der Westen damals Fehler begangen hätten, später als Von 66 Grenzübergängen zu Österreich sind am 10. Juni union und Norwegen beziehungsweise Finnland zwar Historiker beschäftigt. Ich bin jedenfalls der Meinung, 1949 nur noch 13 passierbar. Viele Straßenverbindungen geschlossen und streng bewacht, es gab aber keine dass mit einer besseren diplomatischen Tätigkeit sei- sind blockiert und Eisenbahnstrecken unterbrochen. Grenzanlagen wie in Mittel- und Südosteuropa.“ tens Ungarns eventuell hätte vermieden werden kön- 1948 – in allen osteuropäischen Hauptstädten ha- Als Ungarn von nen, dass die Sowjetunion erneut eingreift. ben die Kommunisten die alleinige Macht übernommen Etwas anders war die Situation betreffend Jugoslawien. der Neutralität träumte Im Nachhinein stellte sich freilich heraus, dass es damals – beginnen die spätere DDR, die Tschechoslowakei und Dort gab es zu Österreich zwar eine scharf bewachte, in den Vereinigten Staaten Persönlichkeiten wie Dwight Ungarn mit dem Aufbau einer Grenzsicherung, die das aber nicht mit Stacheldrahtverhau gesicherte Grenze. D. Eisenhower gab, die sich mit der Idee hätten anfreun- Passieren der Grenze unmöglich macht. Panzer und Bag- Dafür aber gab es – bedingt durch das Ausscheren aus Eineinhalb Jahre nach dem Abschluss des Staatsvertrags den können, dass hier in der Mitte, im Herzen von Eu- ger fahren auf, Häuser in unmittelbarer Grenznähe wer- dem Diktat Moskaus – Grenzbefestigungen zu Albanien, hat Österreich bereits die erste internationale Bewäh- ropa eine große neutrale Zone geschaffen wird, sogar den niedergerissen. Eine Schneise von Nord nach Süd Bulgarien und Rumänien. rungsprobe zu bestehen. Es beginnt zunächst mit einer mit Deutschland, der Tschechoslowakei und Polen. Aus wird in Europa geschlagen. Das Diktat Moskaus, die Unterdrückung der Bevöl- Art Tauwetter. Nach dem Tod Stalins rechnet der neue strategischen Gründen konnten der Westen und die Ver- Dieter Szorger, Referent in der burgenländischen kerung und eine katastrophale wirtschaftliche Versor- Kremlchef Nikita Chruschtschow auf einem Parteitag mit einigten Staaten diese Lösung nicht unterstützen. Man Landesregierung, beschreibt den Aufbau des Eisernen gungslage schufen alsbald den Nährboden für Aufstän- den Verbrechen seines Vorgängers ab. In den Satelliten- muss auch bedenken, dass diese Revolution 1956, nur Vorhangs: de, so auch am 17. Juni 1953. Joachim Rudolph (Jahrgang staaten sieht man die Chance gekommen, Reformen ein- ein Jahr nach der Unterzeichnung des österreichischen 1938) erlebt diesen als Schüler in Berlin. Bereits am Vor- zuleiten. In Ungarn wird der verhasste Altstalinist Rákosi Staatsvertrages, geschah. Die Sowjetunion hätte nie „Zuerst wurden Wachtürme, danach zwei Reihen tag hatte man über den Westberliner Radiosender RIAS zum Rücktritt gezwungen. Unter den Bauern und Arbei- akzeptiert, dass Ungarn neutral wird.“ (1) Stacheldrahtzäune errichtet, die auf 1,5 Meter hohen erfahren, dass Bauarbeiter auf der Stalinallee spontan tern, vor allem aber unter den Intellektuellen wächst die Holzpfeilern fixiert waren. Anschließend wurde mit die Arbeit niedergelegt hatten. Weil man ihnen aber kein Unzufriedenheit mit dem Regime weiter. In einem Artikel Die Sowjets lassen die Panzer rollen, walzen die Revolu- dem Verlegen von Minen begonnen. Der Minengürtel Gehör schenkte, beschlossen sie, für den 17. Juni einen des MDR heißt es: tion nieder. Die NATO vermeidet eine direkte Konfron- war ca. 4 Meter breit und bestand aus hölzernen Tret- Generalstreik auszurufen: tation. Ausschlaggebend dafür ist Washington, das kein und Kontaktminen. Dem Minengürtel folgten zuerst „Die Universitäten entwickeln sich in dieser Zeit zu- Interesse hat, die Nachkriegsordnung in Europa zu ver- ein weiterer Stacheldrahtzaun, dann ein Spurstreifen, „Ich hatte mich mit einem Freund verabredet. Bereits nehmend zu Zentren des kritischen Diskurses und ändern. Als die Sowjettruppen einmarschieren, ergreifen der täglich auf Fußspuren untersucht wurde. An die- unterwegs sahen wir, dass sich ein großer Demons- des Protests. [...] Der Demonstration der Budapester 180.000 Ungarn die Flucht. Österreich ist zu diesem Zeit-

24 25 DIE GEMEINSAME AGRARPOLITIK (GAP) DER EU ALS SÄULE DER EUROPÄISCHEN LANDWIRTSCHAFT Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) stellt das Steuerungs- und Finanzierungs- 28 % 27 % instrument für die europäische Landwirt- schaft dar und gilt als einer der ältesten Hoffnung Vertrauen und wesentlichsten Politikbereiche der EU. Mit einem Gesamtbudget von 58,537 Milliarden € im Jahre 2018 sind rund 39 % des EU-Budgets (gemäß EU-Finanzrahmen GEFÜHLE IM ZUSAMMENHANG 2014–2020) für die Agrarpolitik vorgese- MIT DER EU hen. Ihr wesentliches Ziel besteht heute darin, die EU-LandwirtInnen auf dem Ein zentrales Merkmal der EU stellt das internationalen Markt wettbewerbsfähig europäische Gemeinschaftsgefühl dar, – zu halten und die Bewahrung der hohen das Gefühl einer gemeinsamen Identität. Standards zu fördern. Die Gemeinsame Jüngste Befragungen zu den Wohl- Europäische Agrarpolitik beruht auf zwei fühlwerten innerhalb der EU ergaben, Säulen, wobei die erste (Europäischer dass mehr als die Hälfte aller EU-Bürger Garantiefonds für die Landwirtschaft) positive Assoziationen mit der EU ver- primär Direktzahlungen an LandwirtInnen bindet, wobei 28 % Hoffnung und 27 % und Agrarunternehmen (je Hektar) leistet Vertrauen empfinden. Lediglich 33 % der sowie Marktordnungen für bestimmte Befragten hegen Zweifel, 5 % verspüren Agrarerzeugnisse umfasst. Die zweite Angst und 4 % hegen keinerlei Asso- Säule (Europäischer Landwirtschaftsfonds ziation. Bei den Geschlechtern lassen für die Entwicklung des ländlichen Raums) sich kaum Unterschiede feststellen. leistet etwa Zahlungen an LandwirtInnen, Männer (57 %) sind gegenüber Frauen Kommunen, Verbände, Bürgerinitiativen (54 %) leicht positiver gegenüber der und Unternehmen. 2018 wurden 71 % des EU gestimmt. Während besonders die Agrarbudgets aufgewandt, um Landwirt- jüngere Alterskohorte (15–24 Jahre) zur Innen und Agrarunternehmen in Form EU tendenziell mehr Vertrauen hat (31 von Direktzahlungen zu unterstützen, 5 % %), verbinden Befragte über 55 Jahre wurden wiederum in die Marktordnungen eher Hoffnung mit ihr. Bemerkenswert für bestimmte Agrarerzeugnisse investiert. ist, dass die Wohnsituation die Gefühle Fast ein Viertel des Budgets (24 %) wurde in Bezug auf die EU stark beeinflusst. Wie für die Entwicklung des ländlichen Raums die Befragung ergab, erweckt die EU bei aufgewendet. Großstadtbewohnern tendenziell mehr Vertrauen und Hoffnung als bei Bewoh- nern ländlicher Gebiete, wo Angst (6 %) und Zweifel (37 %) als Gefühlsregungen dominieren.

5 % 4 % 3 % Angst Nichts Weiß nicht 39 % des EU-Gesamtbudgets

33 % = 58,5 Milliarden €

Zweifel

Marktordnungen % % 71 Direktzahlungen an Landwirte und Agrarunternehmen 5 % 24 Entwicklung des ländlichen Raumes

26 27 punkt ein freies, aber noch armes Land und erhält keine Dem Tauwetter folgt nicht gegen uns ist, ist mit uns.“ Jeszenszky findet noch auf die Person von Alexander Dubček geeinigt. Resü- Hilfe aus dem Westen. Die Bevölkerung hilft spontan, die einen anderen zutreffenden Vergleich: „Der Hund war im- mee: Zu 1968 führten drei Linien: die wirtschaftliche, sogenannte B-Gendarmerie (noch gibt es kein eigenes der Bau der Berliner Mauer mer noch an der Leine, er durfte aber bellen.“ (1) die intellektuelle und die innenparteiliche. Dazu ist Bundesheer) hilft den Flüchtlingen beim Überqueren letztlich auch die Beziehung Tschechen–Slowaken zu der Grenze. Die Alpenrepublik ist erstes Asylland. Die ös- Wort gekommen. Alle diese Faktoren zusammen ha- terreichischen Behörden agieren völlig unbürokratisch. In Ungarn beginnt mit der Niederschlagung des Auf- ben zu der Idee der Demokratisierung geführt.“ Viele ungarische Flüchtlinge finden in Österreich ein stands zunächst eine Zeit der Säuberungen. Mehr als neues Zuhause, so auch die Familie Vécsei, die in Sopron 300 Funktionäre und Politiker, die an der Revolution be- Prager Frühling: Eine Am 5. April 1968 (daher der Name Prager Frühling) wird lebt. Der älteste Sohn, Vilmos, erlebt mit, wie man zur teiligt waren, werden hingerichtet. Indessen zeichnet Diktatur ist nicht reformierbar von der Regierung das neue Aktionsprogramm vor- Flucht aufbricht: sich in Moskau ein Kurswechsel ab. Nach dem Tod Stalins gestellt, das insbesondere auf Wirtschaftsreformen, im März 1953 wird Nikita Chruschtschow neuer starker Meinungs- und Informationsfreiheit und eine Neuaus- „Meine Mutter weckt uns um halb 6 in der Früh auf. Sie Mann an der Spitze der KPdSU. Auf einem Parteitag im Gegen Ende der 1960er Jahre gibt es auch in der Tschecho- richtung der Rolle der Kommunistischen Partei in der Ge- hat Radio gehört und sagt: ,Die Russen kommen, jetzt Jahr 1956 rechnet er in einer Geheimrede mit den Ver- slowakei Bestrebungen, die Fesseln zu lockern. Das Jahr sellschaft abzielt. Dubčeks Absicht ist es, einen „Sozialis- gehen wir nach Österreich.‘ Wir gehen los, mit Tante, brechen Stalins ab. Es ist der Beginn eines Umdenkens im 1968 hat eine Vorgeschichte, wie Václav Klaus, Ministerprä- mus mit menschlichem Antlitz“ zu prägen. Und er vertraut, Onkel, vier Kinder. Innerhalb einer Strecke von maxi- Kreml, das ein Tauwetter einleitet. Einen Höhepunkt die- sident der Tschechischen Republik innerhalb der CSFR ab wie sein Sohn Pavel heute erzählt, dabei unter anderem mal einem Kilometer waren wir bereits ein Zug von ses Tauwetters bildet das Treffen mit US-Präsident John 1992, erläutert, der zu dieser Zeit am Volkswirtschaftlichen auch auf die Freundschaft zu Leonid Breschnew, der nach 50 Leuten. Wir sind in die Felder hineinmarschiert. Es F. Kennedy am 3. und 4. Juni 1961 in Wien. Die Welt hofft Institut der Akademie der Wissenschaften studierte: Chruschtschow in Moskau die Macht übernommen hat – war furchtbar schwer, zu gehen, weil der Boden lehmig auf ein Ende des Kalten Kriegs. für Alner eine Rechnung, die nicht aufgehen konnte: war, dazu kam der viele Schnee. Jeder Schritt bedeute- Unabhängig und unbeeindruckt davon verfolgen „Die Ereignisse des Jahres 1968 sind nicht vom Himmel te eine Kraftanstrengung. Walther Ulbricht und seine rechte Hand, Erich Honecker, gefallen. Alles begann bereits am Anfang dieses Jahr- „Walter Ulbricht hat sich in Moskau mit aller Kraft Vom Ende unserer Gasse konnte man den Kirchturm einen Geheimplan. Während an der innerdeutschen, fast zehnts mit den ökonomischen Schwierigkeiten, der da- gegen den Reformkurs in Prag engagiert. Er wusste: von Schattendorf sehen. Wir sind also immer in diese 1400 Kilometer langen Grenze der Eiserne Vorhang die maligen Wirtschaftskrise, die für uns alle – für die nor- Wirtschaftsreform geht ohne Investitionen von der Richtung gegangen, haben geheult, aber auch hin Flucht vom Osten in den Westen zu einem lebensbedroh- malen Menschen, aber auch für die kommunistischen Bundesrepublik nicht. Das wäre das Ende der DDR. und wieder gelacht, um den Mut nicht zu verlieren. lichen, ja tödlichen Unterfangen macht, besteht in Berlin Eliten – eine totale Überraschung war. In der zentral So sind mehrere Ultimaten seitens des Kreml, von Ber- Als wir bereits in Richtung Grenze kommen, stehen noch ein offener Grenzverkehr. Dies hat zur Folge, dass geplanten Wirtschaft durfte per Definition keine Krise lin, aber auch von Warschau gekommen – und (nicht plötzlich zwei Wachsoldaten vor uns und fragen, seit 1949 an die 2.6 Millionen Menschen die Möglichkeit entstehen. Das stand in allen Lehrbüchern. Diese Krise überraschend) auch die Panzer. Diese Entwicklung hat was wir wollen. Meine Mutter hatte Angst, trotzdem nutzten, der DDR den Rücken zu kehren und in die BRD zu hat schon in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre eine gezeigt, dass eine Diktatur nicht reformierbar ist.“ sagte sie forsch: ,Wir wollen nach Österreich, Ungarn flüchten – ein schwerer Aderlass für die DDR-Wirtschaft. relativ seriöse Debatte über die notwendigen grund- ist verloren.‘ – ,Ihr könnt doch Ungarn nicht verlas- Dazu kommt, dass die Offenheit zwischen West- und sätzlichen Veränderungen unseres ineffizienten Wirt- Am 21. August marschieren Truppen des Warschauer Pakts sen!‘ – ,Wir gehen aber.‘ – ,Ihr könnt nicht gehen, wir Ostberlin auch dazu führt, dass die westliche Pop-Kul- schaftssystems hervorgerufen. Die Reform wurde in in Prag ein und verhaften die Führung von Partei und Re- haben Schießbefehl.‘ tur Einfluss auf die ostdeutsche Jugend ausübt, den die der Mitte der Sechzigerjahre formuliert und bereits am gierung. Sie müssen eine Kapitulationserklärung unter- Darauf meine Mutter: ,Wo ist euer Kommandant?‘ Staatsführung unbedingt unterbinden will. In Absprache 1. Januar 1966 eingeführt.“ schreiben und alle Reformprojekte werden zurückgenom- Wie aus dem Nichts heraus taucht auf einem wei- mit Chruschtschow wird daher der Bau einer 168 Kilome- men. Der Prager Frühling ist zu Ende. Dubček und seine ßen Pferd der Major auf: ,Was wollt ihr? Wir schie- ter langen Mauer vorbereitet. – überfallsartig. Selbst das Ihre Umsetzung scheiterte vorerst an der von Antonín No- politischen Weggefährten kommen mit dem Leben davon, ßen! Ich bin dafür verantwortlich, dass kein Mensch Politbüro der SED und alle Minister erfahren davon erst votný neostalinistisch geführten Kommunistischen Partei. weil ein Aufstand in der Tschechoslowakei ausbleibt. Ungarn verlässt und kein Mensch von Österreich am Abend des 12. August. Für Juraj Alner, einen führenden slowakischen Schriftstel- hereinkommt!‘ Die Situation spitzt sich zu und die Bereits in den frühen Morgenstunden des 13. Au- ler und Dissidenten, reicht diese Argumentation nicht: beiden Soldaten nehmen wirklich ihre Waffen, rich- gust 1961 wird mit dem Bau der Mauer begonnen und ten sie auf die Gruppe der Flüchtenden. Der Major Berlin so zu einer geteilten und abgeriegelten Stadt. Ent- „Für die Beurteilung, die zum sogenannten Prager zu den Soldaten: ,Ich sage euch, ihr habt Schießbe- lang dieser Mauer, die in den nächsten Jahren zu einer Frühling führte, muss man noch andere Entwicklun- Als das Hören westlicher fehl! Schießt!‘ Da löst sich meine Mutter aus dieser schwer befestigten Anlage mit Wachttürmen, Sprengmi- gen in Betracht ziehen. Man hat nicht nur geglaubt, Sender gefährlich war Menge heraus, geht auf die beiden zu, drückt deren nen und einem so genannten Todesstreifen ausgebaut dass nach Stalins Tod und in der Ära Chruschtschow Waffen hinunter und sagt: ,Ihr werdet doch nicht wird, herrscht Schießbefehl. Mit der Berliner Mauer er- Wirtschaftsreformen machbar sind, sondern es hat auf Ungarn schießen?‘ fährt die Trennung Europas durch den Eisernen Vorhang sich auch die Kulturfront zu Wort gemeldet. Das war Die Zensur der Medien stand im Mittelpunkt der Des- Wir sind dann alle schrittweise durchgegangen. Der eine besondere Symbolkraft. z. B. die Kafka-Konferenz, die sich mit der modernen informationspolitik in den Volksdemokratien; freilich war Major saß auf dem Pferd und hat seinen Kopf abge- Die Abkehr vom Stalinismus wird in zwei Satelliten- Kunst und der Wirkung des damals noch weitgehend in den Grenzregionen zu Westeuropa eine Durchbre- wendet. Wenige Meter später haben wir die rot-weiß- staaten aufgegriffen. So lockert ab 1963 das KP-Regime verbotenen Prager Schriftstellers Franz Kafka beschäf- chung nicht zu verhindern. So gehörte der Sender RIAS, roten Fähnchen gesehen, die hingesteckt worden sind, in Ungarn seine Zügel. Es beginnt eine Periode, die in tigte. Die dritte Linie war der innenparteiliche Druck, dessen Sendestation sich im Herzen der Stadt befand, um die österreichische Grenze zu markieren. Auf der die Geschichtsbücher als sogenannter Gulaschkommu- der in der Forderung gipfelte: Novotný muss weg! Im zur ersten Informationsquelle der Ostberliner. Trotz tech- anderen Seite standen Menschen, ein paar Soldaten, nismus eingeht. Nach mehreren Jahren äußerster Härte Sommer 1967 begann der Streit in der Partei: Kann nischer Störversuche konnte nicht verhindert werden, und sie alle haben gewunken: ,Hier kommt her!‘ Wir entschließt sich die Regierung, vor allem die wirtschaft- man Novotný ausschalten? Wer soll an seinen Posten? dass Nachrichten so in den Osten gelangten und jenem sind auf sie zugelaufen, sie haben heißen Tee gereicht. lichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Bevölke- Man hat hauptsächlich in den Reihen der Technokra- Bild widersprachen, das die Propagandasender, die unter Wir waren in Freiheit.“ rung soll so ruhiggestellt werden, nach dem Motto: „Wer ten gesucht, erst kurz nach Neujahr 1968 hat man sich totaler Regimekontrolle standen, vermittelten. Das be-

28 29 traf schließlich auch die Fernsehsender ARD und ZDF, die König ging es aber um mehr. Er bemühte sich vor allem lassen. Gleichzeitig begannen die Kommunisten aber, Über die Hintergründe, die zu dieser Wahl geführt haben, authentisches Geschehen aus der Welt in Bild und Wort um den Kontakt zur Kirche hinter dem Eisernen Vorhang etwas dagegen zu unternehmen. So versuchte man, gibt es viele Spekulationen. Tatsächlich wird Johannes ausstrahlten. Aufgrund der Topografie konnten diese und galt als einer der wichtigsten Protagonisten der Ost- zu unterbinden, dass Priester sich mit jungen Men- Paul II. zu einem Hoffnungsträger für die Menschen hin- aber nicht im Raum Dresden empfangen werden, was zur politik. schen beschäftigen. Man war der Meinung, dass wenn ter dem Eisernen Vorhang. Er hat Signalwirkung, beson- Bezeichnung „Tal der Ahnungslosen“ führte. Priester, Ordensschwestern und Gläubige gehörten immer weniger Leute religiös sind, die Kirche dann ir- ders in seiner Heimat Polen. In den Grenzgebieten zur Tschechoslowakei und zu zu den ersten Opfern der kommunistischen Machthaber. gendwann ganz ausstirbt.“ (1) Ungarn spielte der Österreichische Rundfunk eine zen- 1948 wird der Fürstprimas von Ungarn, Kardinal József trale Rolle, so auch während des Prager Frühlings. Der Mindszenty, verhaftet und in einem Schauprozess ver- neue, unabhängige ORF nahm die Gelegenheit wahr, um urteilt, 1950 wird der tschechische Erzbischof Josef Beran mit Radioreportagen und offenen TV-Diskussionen die interniert. In die Internierung muss 1953 auch der polni- Von der KSZE Zuseher und Zuhörer dies- und jenseits des Eisernen Vor- sche Kardinal Stefan Wyszyński. Die Kirche lässt sich aber Der Papst aus dem Osten, der zur Charta 77 hangs Zeugen eines ideologischen Umbruchs werden zu nicht bezwingen und wird zu einem wichtigen Teil des zum Hoffnungsträger wurde lassen. Im August sorgte er für besondere Authentizität Widerstands. bei der Berichterstattung über die sich überstürzenden Das zeigt sich am Beispiel von Kardinal Mindszenty. Der Kalte Krieg nervt. In den 1970er-Jahren wächst in Ost politischen Ereignisse – legendär die Berichte von Hugo Mitten im Volksaufstand wird er aus dem Gefängnis be- 16. Oktober 1978: Es ist dies der dritte Tag, da das Kon- und West das Interesse an einer weitreichenden Verstän- Portisch, die Stadtgespräche von Helmut Zilk. General- freit und in einem Triumphzug nach Budapest gebracht. klave in Rom tagt, um einen neuen Papst zu wählen. Die digung. Am 3. Juli 1973 wird in Helsinki die Konferenz intendant Gerd Bacher veranlasste sogar, die Sendestär- Als die Rote Armee den Aufstand niederwirft, flieht er in Katholische Nachrichtenagentur KNA schreibt: über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ke in Richtung Osten zu erhöhen, um so möglichst weit die US-Botschaft, wo er Asyl erhält. Kardinal König hält eröffnet. Sieben Staaten des Warschauer Pakts, so auch hinter den Eisernen Vorhang senden zu können, was zu im Auftrag des Vatikans Kontakt zu ihm und setzt sich „Die Kirche musste einen Mann zum Papst wählen, die ČSSR, 13 neutrale Länder und die 15 NATO-Staaten einer Intervention seitens der russischen Seite bei der Re- massiv für seine Freilassung ein. Im Oktober 1971 lässt der sie mit Schwung bis zum Jahr 2000 führen konnte. nehmen daran teil. Zwei Jahre später, am 1. August 1975, gierung in Wien führte. er sich überreden, ins Exil nach Wien zu gehen – eine Art Nach den ersten Wahlgängen sah es allerdings nicht unterzeichnen sie die Schlussakte. Die Staaten verpflich- Darüber hinaus hatte vor allem der in München an- politischer Deal, wie Géza Jeszenszky schildert: so aus, als hätten die 111 Kardinäle die ganze Tragwei- ten sich darin zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur fried- sässige Sender Radio Freies Europa in den osteuropäi- te ihrer Entscheidung begriffen. Es zeichnete sich ein lichen Regelung von Streitfällen, zur Nichteinmischung in schen Ländern ein aufmerksames Publikum. Der 1950 „Die ungarische Regierung hätte es gerne gesehen, Patt ab. In dieser Situation brachte der Wiener Kardi- die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zur von einem US-Komitee gegründete Sender strahlte näm- dass Mindszenty ganz aus Ungarn verschwindet. Er nal Franz König einen Namen ins Spiel, den bis dahin Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Was lich ein mehrsprachiges Programm aus. Dessen Empfang war aber nicht zum Verzicht bereit und auch nicht be- nur wenige auf dem Zettel hatten: Karol Wojtyla, Erz- zunächst nach geduldigem Papier aussieht, motiviert vor war allerdings mit einem gewissen Risiko verbunden. Vil- reit, das Land zu verlassen. Als Paul VI. Papst wurde, bischof von Krakau. Der 58-Jährige galt aber als Au- allem die Untergrundbewegungen, die Intellektuellen, mos Vécsei schildert einen solchen Fall: europaweit eine Zeit der Lockerung zu sehen war, wur- ßenseiter – unter anderem, weil er aus Polen kam und Dissidenten und Oppositionellen im Ostblock. Das be- de ihm nahegelegt, das Land zu verlassen, würde doch noch nie ein Osteuropäer Papst war. trifft vor allem jenes Kapitel, in dem von der „Achtung der „Zu Hause habe ich von meinen Eltern immer wieder dann, so der Papst, die kommunistische Regierung Den Fortschrittlichen schien Wojtyla vor allem des- Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der gehört, was ich in der Schule, in der Öffentlichkeit nicht ein etwas freieres Agieren der katholischen Kirche er- halb wählbar, weil er vom liberalen Kardinal König Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungs- sagen darf, nämlich zum Beispiel, dass sie Radio Free lauben. Kardinal König übernahm eine sehr bedeutsa- empfohlen wurde, und die Konservativen sahen den freiheit“ die Rede ist. Europe gehört haben. Das war zwar stark gestört, aber me Vermittlerrolle in diesem Fall. Ich persönlich habe polnischen Katholizismus als eine der letzten Hoch- Im Gegensatz zu den kommunistischen Machtha- man erfuhr, dass das ganze Regime eine Scheiße ist. Nur Mindszenty sehr dafür respektiert, dass er nicht bereit burgen des wahren Glaubens in Europa, in der die bern nahmen die Regimekritiker diese Formulierungen durfte man das niemals irgendjemandem verraten. Ei- war, aus persönlichem Interesse einen Kompromiss allgemeine Verunsicherung durch die Moderne noch sehr ernst, zeigte sich doch, dass eine tiefe Kluft zwischen ner meiner Mitschüler ist am Morgen aufgestanden und mit den Kommunisten zu schließen.“ (1) nicht angekommen war. Für den Kandidaten Wojtyla den auf Papier gedruckten Paragrafen und der gelebten hat erklärt: ,Ich möchte jetzt wirklich vor allen sagen, zahlte sich zudem seine gute Vernetzung mit anderen Alltagspraxis bestand. Mit der Niederschlagung des Prager dass meine Eltern Radio Freies Europa gehört haben.‘ Nach seinem Tod am 6. Mai 1975 wird er in der Basilika Kardinälen aus. Mit seinem Kirchenbau in der Arbei- Frühlings war für alle Regimekritiker eine harte Zeit an- Und die sind dann tatsächlich schwer verhört worden.“ von Mariazell beigesetzt, um schließlich 1991, nach dem tersiedlung Nowa Huta bei Krakau, den er gegen den gebrochen. Jeder, der sich nur irgendwie verdächtigt ge- Abzug der russischen Truppen aus Ungarn, im Dom von Willen der kommunistischen Machthaber durchsetzen macht hatte oder denunziert wurde, stand unter Beobach- Esztergom seine letzte Ruhe zu finden. Bis heute ist Maria- konnte, hatte er ein Symbol gesetzt, das ihm in vielen tung, wurde verhört, kam vor Gericht oder ins Gefängnis. zell ein wichtiger Wallfahrtsort für ungarische Gläubige. Ländern Bewunderung einbrachte. Nur ein Jahr nach Unterzeichnung der KSZE- Der Versuch des Vatikans, mit den kommunistischen Wie schwer sich die Kardinäle aber taten, einen Schlussakte schließen sich Künstler und Intellektuel- Die Kirche als wesentlicher Regimes in Osteuropa einen Weg der Verständigung Mann von jenseits des Eisernen Vorhangs zu wäh- le, aber auch Arbeiter und Geistliche zusammen, um Teil des Widerstands zu suchen, wird nicht honoriert. So trachtet man in der len, lässt sich auch daran ablesen, dass erst im ach- auf die permanenten Menschenrechtsverletzungen Tschechoslowakei und in Ungarn, die kirchliche Einheit ten Wahlgang die erforderliche Mehrheit von mehr aufmerksam zu machen. Am 1. Januar 1977 wird die zwischen Katholiken und römisch-katholischer Weltkir- als zwei Drittel der Stimmen zusammenkam. Als der Charta 77 veröffentlicht. 242 Personen stehen für die- Kardinal König sorgte sich um die bedrängte Kirche im che zu zerstören, indem eine Organisation sogenannter Neugewählte am Abend des 16. Oktober auf den sen Protest mit ihrem eigenen Namen, so Pavel Ko- Osten. Am 4. November 1964 kam es in Wien auf Initiative Friedenspriester gefördert wird. Balkon der Petersbasilika tritt, läuten wenig später hout, Václav Havel, Zdeněk Mlynář, Jan Patočka und Jiří von Kardinal König zur Gründung der Pro-Oriente-Stif- in ganz Polen die Glocken. Dienstbier. In diesem Dokument wird unter anderem tung. Im Vordergrund stand die Überwindung der Spal- „Diese Friedenspriester waren regimetreu. Man hatte In der Woche darauf verkündet er in seiner Antrittspre- darauf verwiesen, dass „das Recht auf freie Meinungs- tung zwischen der römisch-katholischen Kirche sowie zwar akzeptiert, dass bei Beerdigungen ein Priester digt sein theologisch-politisches Programm mit den äußerung völlig illusorisch sei, Hunderttausenden von den orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Kirchen. dabei sein soll, dass die Familien ihre Babys taufen Worten: ,Habt keine Angst!‘“ Bürgern die Freiheit von Furcht, das Recht auf Bildung

30 31 verweigert wird“, Hunderttausende von Jugendlichen wird Walesa wegen seines Eintretens für die Bildung falten. Es gibt viele Anläufe, den Dialog mit „drüben“ zu tung der CDU werden wichtige Gesprächsplattformen wegen ihrer Ansichten oder der Ansichten ihrer Eltern Freier Gewerkschaften von der Leninwerft mit der Be- pflegen. In den Gebieten entlang der tschechischen und mit den im Osten heranwachsenden Oppositionskräf- nicht zum Studium zugelassen werden. gründung ,präventive Maßnahme‘ entlassen [...] vier ungarischen Grenze sucht man die Zusammenarbeit, ten. Mock selbst nimmt jede Gelegenheit wahr, um bei Für die Unterzeichner der Charta 77 hat dieser Pro- Jahre lang [...] war Lech Walesa ohne feste Arbeit und wenn es zum Beispiel um Notfälle im Grenzgebiet geht, Auslandsbesuchen – sehr zum Missmut der kommu- test, ja Aufschrei persönliche Folgen – so auch für Jiří mußte seine Familie [...] mit Gelegenheitsjobs und der wenn etwa schnelle Hilfe durch die Feuerwehr gefragt nistischen Gastgeber – mit Oppositionspolitikern und Dienstbier, einen der führenden oppositionellen Jour- Unterstützung von Freunden durchbringen. [...] ist. Man beginnt aber auch mit dem Austausch auf kul- Kirchenvertretern zusammenzutreffen. Eine solche nalisten, und dessen Familie. Seine Tochter Monika, der Was den arbeitslosen Elektromonteur freilich von sei- turellem Gebiet, wie Niederösterreichs späterer Landes- Szene schildert sein Pressesekretär Gerhard Ziegler im wegen der politischen Tätigkeit ihres Vaters das Studium nen Nachbarn unterschied, war sein verbissener Kampf hauptmann Erwin Pröll schildert: Außenamt: in der Heimat verboten wird, schildert die Situation: für gewerkschaftliche Rechte. Das brachte ihn in Kon- takt zu dem 1976 von Warschauer Intellektuellen ge- „Ich habe mit aller Leidenschaft nach Strohhalmen ge- „Wir waren auf einem offiziellen Besuch in Prag, alle „Als die Charta 77 geboren wurde, wurde die Repres- gründeten ,Komitee zur Verteidigung der Arbeiter‘ [...], sucht: Wie kann man in einer derartigen Grenzregion Nochkommunisten waren da und Mock bestand dar- sion noch schlimmer – Vater war dann auch Sprecher das sich unter der anhaltenden Repression der Geheim- einfach einen Weg nach vorne finden? Mir ist bewusst auf, auch Havel zu treffen. Man suchte nach Ausreden, von Charta 77. Da wurden gleich zehn Personen verhaf- polizei schnell zu einer Keimzelle wachsender Opposi- geworden: Wenn man den Eisernen Vorhang überwin- aber die halfen nichts. Nach langem Hin und Her kam tet. Havel, mein Vater, Václav Malý, der Prager Bischof tion gegen die Partei entwickelte. den will, dann kann man dies am ehesten tun, indem ein armselig gekleideter, schmaler Mann in der Früh in und weitere. Ihnen wurde ein großer Prozess gemacht. Als am Vorabend des 1. Mai 1978 in Danzig die ,Freie man auf der Ebene der Kultur einen Austausch von die Österreichische Botschaft und wurde dann dort de- Václav Havel hat vier Jahre bekommen, mein Vater drei Gewerkschaft des Küstengebiets‘ gegründet wurde, Menschen zustande bringt.“ (1) monstrativ empfangen: Václav Havel – ein bewegen- Jahre. Diese haben sie auch voll abgesessen.“ (1) war Walesa auch dabei. [...] der Augenblick. Nach dem Frühstück entschieden wir Ganze 17 Tage und Nächte hält Walesa sein bis auf Mit der Entstehung der unabhängigen Gewerkschafts- uns: So, jetzt setzen wir noch einen drauf und wollen Havel und Dienstbier werden zu tragenden Figuren der 200 000 Streikende anwachsendes Arbeiterheer gegen bewegung Solidarność können so manche westliche Kardinal Tomášek treffen.“ (1) Wende Ende 1989. Drohungen und Verlockungen diszipliniert zusam- Gewerkschaften zunächst gar nichts anfangen. Man men. Dann sind die Forderungen der Streikenden -- an bangt um die Beziehungen zu den kommunistischen Was auch so geschah. Eine besondere Rolle als Brücken- deren Erfüllung vorher niemand gedacht hatte, von Staatsgewerkschaften, die oftmals ein Türöffner für bauer spielt Karel Schwarzenberg. 1937 in Prag geboren, der verunsicherten Parteiführung angenommen, und Aufträge mit den Oststaaten sind. Die christlichen Ge- muss er im Dezember 1948 mit seinen Eltern das Land Walesa ist der Sieger.“ werkschafter in Österreich nehmen die Solidarität aber verlassen. In Wien schließt er seine Schulbildung ab und Die Solidarność leitet das sehr ernst, setzen sich massiv für die Unterstützung der beginnt, sich politisch zu engagieren, steht in engen Kon- Ende des Kommunismus ein Am 31. August 1980 unterschreibt die Regierung das soge- polnischen Kollegen ein. Daraus erwächst eine Fülle takten mit den Bundeskanzlern und später nannte Danziger Abkommen. Es ist dies das erste Abkom- persönlicher Kontakte, die auch zu einem intensiven , mit Alois Mock und . Nach der men, in dem eine kommunistische Regierung die Opposi- politischen Meinungsaustausch über die Grenzen hin- Niederschlagung des Prager Frühlings engagiert er sich Nach der DDR 1953, Ungarn 1956 und der Tschechoslo- tion legalisiert. weg führt. Spielt bei FCG-Sekretär Günther Engelmay- auf internationaler Ebene für die Menschenrechte. 1984 wakei 1968 kommt es im Sommer 1980 in Polen zu einer Die neue Gewerkschaft wird aber zur Herausforde- er die gewerkschaftliche Schiene eine Rolle, so sind es wird er Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation Streikbewegung, aus der die erfolgreichste unabhängige rung für Moskau. Lech Wałęsa ist der Bannerträger der beim Wiener ÖVP-Obmann Erhard Busek seine Wurzeln für Menschenrechte. Seine Rolle beschreibt Schwarzen- und freie Gewerkschaft im ehemaligen Ostblock entste- neuen Revolution. Wissend um die starke Rolle der Kir- in der katholischen Jugend- und Hochschulbewegung. berg besonders zurückhaltend: hen sollte. Sie trägt schließlich am Ende des Jahrzehnts che in Polen, die im Papst eine ganz besondere Symbol- Er baut sich ein Netzwerk mit der Intellektuellenszene entscheidend zum Zusammenbruch des kommunisti- figur hat, wagt sich die UdSSR-Führung aber nicht, direkt von Polen bis nach Jugoslawien auf. Eine Begegnung „Ich habe mich immer auf die Funktion des Wasser- schen Systems, zum Fall des Eisernen Vorhangs und der einzugreifen. So wird zwar 1981 das Kriegsrecht verhängt mit Freunden in Prag, nur kurz nach dem Einmarsch der trägers beschränkt. Ich versuchte, Artikel in westlichen Berliner Mauer bei. An die Spitze dieser polnischen Ge- und General Wojciech Jaruzelski Ministerpräsident, 6.000 Sowjettruppen, ist für ihn besonders prägend: Zeitschriften unterzubringen. Ansonsten habe ich mich werkschaftsbewegung tritt, fast aus dem Nichts kom- Gewerkschafter, unter ihnen die Leitfigur Lech Wałęsa, sehr zurückgehalten. Es gebührte mir nicht, dass ich mend, ein gewisser Lech Wałęsa (ausgesprochen: Wau- werden verhaftet. Schon ein Jahr später muss der Gewerk- „Als ich da nun unmittelbar deren Depression, Leiden mich in der Tschechoslowakei einmischte. Ich habe be- enssa), der binnen weniger Wochen zur Leitfigur der schaftsführer aber wieder freigelassen werden. 1983 erhält und Aussichtslosigkeit der Lage erlebt habe, schwor obachtet. Meine Aufgabe war, zu helfen, aber den Mund Solidarność wird und der kommunistischen Staatsfüh- er den Friedensnobelpreis. Die Solidarność lebt in den Köp- ich mir: Für die musst du etwas machen.“ (1) zu halten. Der große Erfolg der Helsinki-Föderation war, rung die Stirn bietet. Ein „Spiegel“-Journalist beschreibt fen der Menschen und im Untergrund weiter. dass zunächst einmal die westlichen Länder unsere diesen Aufstieg: In der österreichischen Politik zeichnet sich ein Unterlagen, die wir geliefert haben, akzeptierten. Das Schwerpunktwechsel ab. Alois Mock, zunächst noch war wertvolles Material. Zum Schluss haben auch die „Nach der Grundschule sucht er sich eine Lehrstelle als als Oppositionschef, legt dann als Vizekanzler und Ungarn und Polen mitgearbeitet. Dann kam die Einla- Elektromonteur [...], bekommt [...] 1967 auf der Danziger Außenminister, mehr Gewicht auf die Pflege der Nach- dung für die Sowjetunion. Die Helsinki-Föderation war Leninwerft einen Job und wird schon ein Jahr später als Österreich als Brückenbauer über barschaftspolitik – gerade auch zu den östlichen und wichtig, um die Informationen aus den Staaten hinter 24jähriger für den Betriebsrat vorgeschlagen. Ein Kol- den Eisernen Vorhang hinweg südöstlichen Staaten. Durch seine Tätigkeit als Präsi- dem Eisernen Vorhang in den Westen zu bringen.“ (1) lege von damals: ,Er konnte gut reden und hatte keine dent des Dachverbands der christdemokratischen und Angst vor großen Tieren.‘ Zentrumsparteien (EDU, European Democrat Union) Im Dezember 1970, beim Arbeiteraufstand in den Küs- In den 1980er-Jahren hat man sich weitgehend mit der gelingt es ihm, auch in deren Kreisen für eine entspre- tenstädten, ist [...] Walesa Mitglied des Arbeiterrats auf Berliner Mauer, mit dem Eisernen Vorhang, mit zwei Eu- chende Bewusstseinsbildung für die Situation hinter der Leninwerft. Aber der Aufstand wird von Polizei und ropas abgefunden. Wien ist so etwas wie der Endbahn- dem Eisernen Vorhang zu sorgen. Die Politische Aka- Miliz blutig niedergeschlagen [...]. Im Frühjahr 1976 hof des freien Westens, sucht aber, neues Leben zu ent- demie der ÖVP, aber auch die Konrad-Adenauer-Stif-

32 33 ------deren Drama der jüngeren europäischen Geschichte. wiens beginnt, eine Bürgerkriegsfront in Europa Der Zusammenbruch des 1989 entsteht. kommunistischen Ostblocks ------19. August Paneuropafrühstück: Mehr als 600 DDR-Bürger 6. Februar Die sowjetische KP verzichtet auf den Führungs- 5. April Regierung und Opposition in Polen einigen sich können nach Österreich fliehen. anspruch und beschließt den Übergang zu einer auf politische Reformen, freie Wahlen und die 24. August Tadeusz Mazowiecki wird erster nicht kommu- pluralistischen Gesellschaftsordnung. Die Einschätzungen sowohl was den inneren Zustand Anerkennung der Solidarność. nistischer Ministerpräsident Polens nach dem 11. März Litauen erklärt seine Loslösung von der Sowjet- des Sowjetimperiums und seiner Satellitenstaaten als 2. Mai Ungarn beginnt mit einem Abbau der Grenz- Zweiten Weltkrieg. union. auch das Tempo des Auflösungsprozesses an sich betraf sperren. 23. Oktober Ungarn erklärt sich am Jahrestag der 1956er-Re- 18. März In den ersten freien Wahlen seit 40 Jahren stim- wurden letztlich von der Realität überrollt. Die Entwick- volution zur Republik, zu einem freien, demokra- men die Bürger der DDR für die konservative Alli- anz für Deutschland. lung, die Gorbatschow ausgelöst hatte, bekam nicht nur Auf einem mittlerweile aufgelassenen Autobahnparkplatz tischen Rechtsstaat. eine Eigendynamik, sondern widersprach fast allen Er- 8. November Das Politbüro der DDR-Führung tritt zurück. Am 25. März In Ungarn erzielt bei den Wahlen die konserva- unmittelbar vor dem Grenzübergang Hegyeshalom be- tive MDF die parlamentarische Mehrheit. József wartungen. Univ.-Prof. Stefan Karner dazu: darauffolgenden Tag fällt die Berliner Mauer. findet sich eine heute kaum noch bekannte Gedenkstätte. Antall wird Ministerpräsident.  17. November Die Bürgerbewegung gegen das kommunisti- Der Abgeordnete Leopold Helbich ließ einen Gedenkstein sche Regime in Prag weitet sich aus. 4. Mai Lettland erklärt die Unabhängigkeit. „Ich nehme an, dass Gorbatschow 1988 das System errichten, in der Bodenplatte findet sich dieser Text: 10. Dezember Ankündigung des Rücktritts des kommunisti- 8. Mai Estland erklärt sich zur unabhängigen Republik. retten wollte. Recht bald musste er aber einsehen, dass schen Staatspräsidenten in der Tschechoslowakei. 8. Juni Das Bürgerforum und deren Koalitionspartner ihm das misslingen wird. Es gibt CIA-Prognosen über „Freiheit und Demokratie haben über Unterdrückung 17. Dezember Nachdem am 11. Dezember bereits bei Wullo- gewinnen die Wahlen in der Tschechoslowakei. die Entwicklung im Ostblock. Man war der Meinung, und Kommunismus gesiegt. Als ich am 27. Juni 1989 witz an der Grenze zwischen Oberösterreich 3. Oktober Wiedervereinigung Deutschlands. dass es, wenn Gorbatschow so weitermacht, also eine mit meinem ungarischen Amtskollegen den Eisernen und der Tschechoslowakei mit dem Abbau des Unordnung im System erzeugt, zumindest zwei bis Vorhang durchschnitt, begann für Europa eine neue Eisernen Vorhangs begonnen wurde, folgt nun Über die Situation in der DDR war man sich nicht wirk- fünf Jahre dauern würde, bis eine Situation entsteht, Phase der Geschichte. Alois Mock“. Niederösterreich. Am Übergang von Laa/Thaya lich im Klaren. in der die USA handeln müssen, denn dann werde das nach Hevlín setzt Außenminister Mock ein Zei- System Jalta zu Ende gehen, dann müsse man die Ost- 4. / 18. Juni Aus den Parlamentswahlen in Polen geht das chen des Zusammenrückens in Europa. „Was uns zuerst auffiel“,so der CDU-Politiker Her- blockstaaten aus dem Warschauer Pakt herauslösen Bürgerkomitee Solidarność als Sieger hervor. mann Kroll-Schlüter, der mit Kurt Biedenkopf als und Einzelverträge mit ihnen abschließen.“ 27. Juni Die Außenminister von Ungarn und Österreich, Es ist dies übrigens ein sehr emotionales Ereignis, Staatssekretär in die Regierung nach Sachsen ging, Horn und Mock, durchschneiden in einem Wald- etwa für Landeshauptmann Siegfried Ludwig, wurde „war die sehr geringe Kenntnis von den Verhältnissen Über 40 Jahre lang bestimmte an der Ostgrenze Öster- stück an der Grenze zwischen Sopron und Klin- er doch 1926 jenseits der Grenze in Vlasatice geboren in der DDR. Was wir uns zuerst auferlegten: Zurückhal- reichs ein Bedrohungsszenario den politischen Alltag genbach offiziell den Eisernen Vorhang. und musste 1945 mit seinen Eltern im Zuge der Vertrei- tung bei der Beurteilung einzelner Lebensläufe, denn Europas. Dann bricht dieses System des Schreckens wie bung der Sudetendeutschen seine Heimat verlassen, keiner will 40 Jahre seines Lebens so einfach beiseite- ein Kartenhaus in sich zusammen. Eine Zeittafel macht Eine der Geschichten, die heute erzählt werden, lautet, aber auch für den neuen tschechischen Außenminis- legen, um neu zu beginnen. Ich persönlich habe mich dies deutlich: dass an dieser Stelle der Eiserne Vorhang bereits abge- ter Jiří Dienstbier. Augenzeuge Charles Bohatsch be- oft gefragt: Wenn du hier gelebt hättest, wo wärst du rissen war und nachträglich noch schnell aufgebaut wer- schreibt die Szene: politisch gelandet?“ ------den musste. Wolfgang Bachkönig, der sich mit burgen- 1988 ländischer Lokalgeschichte beschäftigt, schreibt dazu: „Ohne die Personen zu beachten, die da rund um den Es ist eine mehr als schwierige Aufgabe, vor die man sich ------Grenzzaun standen, ging er spontan auf ein Mädchen gestellt sieht: 1. Juli Die 19. Parteikonferenz der KPdSU beschließt „Aufgrund eines Wolkenbruches konnten die Vertreter zu und schloss es in seine Arme. Es war seine Tochter, ein Programm politischer Reformen. Dazu ge- der Medien zu dem vorgesehenen Ort, an dem sich die in Wien studierte und der das Regime die Rückkehr „Die tägliche Arbeit hat uns praktisch vor Augen ge- hört auch das Ende der sogenannten Bresch- noch ein Stück Zaun befand, nicht zufahren, weil der in die Heimat verweigert hatte.“ führt, wie groß die Erblast ist, welcher Berg von Auf- new-Doktrin. Fortan können die sogenannten Boden zu tief war. Daher entschloss man sich, an einer Bruderstaaten selbst über ihr politisches Schick- gaben von den Bürgern unseres Landes bewältigt wer- anderen – in unmittelbarer Nähe befindlichen Stelle – 22. Dezember Zusammenbruch des KP-Regimes in Rumänien. sal entscheiden. den muss. So erschließt sich uns erst allmählich der ca. 30 Meter Zaun kurzerhand wieder zu errichten. Das Drei Tage später wird Ceaușescu mit seiner Frau 31. August Auf Vermittlung von Intellektuellen und der ka- ganze Umfang der Umweltzerstörung. Kein politisches war kein Problem, weil ja die Pfähle noch im Boden vor ein Militärgericht gestellt und standrechtlich tholischen Kirche kommt es zu einem ersten Ge- System hat Menschen und Natur so ausgebeutet wie erschossen. spräch zwischen Regierung und Opposition in verankert waren.“ 29. Dezember Václav Havel wird zum Präsidenten der Tsche- das kommunistische Regime.“ Polen. Nach einer TV-Diskussion zeigt sich, dass Dieser 27. Juni ist übrigens einer von drei hintereinander- choslowakei gewählt. eine Reform ohne Einbeziehung der Solidarność 15. Oktober Gorbatschow erhält den Friedensnobelpreis. liegenden Schicksalstagen – nicht nur für Österreich. Am nicht möglich ist. 9. Dezember Polen wählt Lech Wałęsa zu seinem Präsidenten. 26. Juni einigt sich die SPÖ-ÖVP-Koalition – übrigens un------8. Oktober An der Spitze der polnischen Kommunistischen 1990 11. Dezember Die KP Albaniens verzichtet auf die Einparteien- Partei vollzieht sich schrittweise ein System- beeinflusst von den Auflösungstendenzen des kommu------diktatur und lässt Oppositionsparteien zu. nistischen Ostblocks – nach einem gut zweijährigen Dis- wechsel. Die Opposition wird zugelassen und 15. Jänner Die bulgarische Regierung schafft das Macht- nimmt am runden Tisch zu Gesprächen über die kussionsprozess darauf, um Beitrittsverhandlungen mit monopol der KP ab. ------Zukunftsgestaltung teil. der EG anzusuchen. 23. Jänner Die slowenische und kroatische Delegation ver- 1991 Am 28. Juni gedenkt das (noch) kommunistische Jugo- lassen aus Protest gegen das Vorgehen der ser------slawien am Amselfeld im Kosovo des 6oo. Jahrestages der bischen Delegation, die ein Diktat ausüben will, 28. Juni Der COMECON, der Rat für gegenseitige Wirt- Schlacht gegen das Osmanische Reich. Es ist dies die Initial- den außerordentlichen Parteitag des Bundes der schaftshilfe, wird beendet. zündung zum Auflösungsprozess am Balkan, einem beson- Kommunisten Jugoslawiens. Der Zerfall Jugosla- 1. Juli Der Warschauer Pakt wird offiziell aufgelöst.

34 35 EINSTELLUNG DER EUROPÄERINNEN ZUM UMWELTSCHUTZ Deutschlands und der neuen geopolitischen Situation be- Österreichs Auftrag Seit der Pariser Gipfelkonferenz 1972 schäftigt ist, erweist sich die österreichische Wirtschaft und den folgenden Verträgen von als ein entscheidender und wichtiger Impulsgeber. Öster- Maastricht (1993), Amsterdam (1999) in Europa und Lissabon (2009) kommt der reich gehört bis heute zu den wichtigsten Investoren. EU-Umweltpolitik auf internationaler Im Zuge der Auflösung von Ex-Jugoslawien und Ebene eine Schlüsselposition zu. Die 94 % Schwerpunkte der EU-Umweltpolitik Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Österreich wie- dem damit verbundenen Bürgerkrieg engagierte sich liegen in den Bereichen Luftreinhal- der vom östlichen Rand Europas in die Mitte gerückt. Mit Österreich unter der Federführung von Außenminister tung, Abfallwirtschaft, Gewässer- so- wie- Naturschutz, wobei nahezu alle dem Beitrittsansuchen vom 14. Juli 1989 an die Europäi- Alois Mock ganz besonders für die Respektierung des 87 % Bereiche durch Gemeinschaftsrecht sche Gemeinschaft soll die Mitarbeit am Zukunftsprojekt Völkerrechts sowie die Achtung der Menschenrech- erfasst sind. Die EU-Umweltpolitik des neuen, gemeinsamen Europa ermöglicht und gesi- te. Mit eine Rolle spielte dabei, dass bedingt durch die erweist sich in diesem Sinne als ein Vor- 83 % zeigebeispiel supranationaler Politik. chert werden. Geschichte, aber auch aufgrund vieler kultureller, ja Gemäß den Befragungen des Euro- Erinnerungen an Bundeskanzler Josef Klaus werden persönlicher Beziehungen Österreich mehr als andere barometer Spezial 2017 erkennen 94 % aller EU-BürgerInnen die Wichtigkeit wach, der 1965 in einer Rede vor dem Europarat festhielt, europäische Länder Verständnis für diese Region – von des Umweltschutzes an. 83 % der Euro- „Europa endet nicht an den östlichen Grenzen meines Lan- Schlesien über die Bukowina bis nach Bosnien – hat und päerInnen gaben die EU als Garant für die Umsetzung der Umweltgesetze an. des“, das europäische Projekt sei ohne die Einbeziehung daher auch ein besonderer Fürsprecher im Zuge der 67 % der EuopäerInnen sind der Über- osteuropäischer Staaten unvollständig. Vizekanzler und noch fälligen EU-Erweiterung ist. zeugung, dass Maßnahmen und Ent- scheidungen betreffend Umweltschutz Außenminister Alois Mock hat sich immer wieder diesem Verständnis zu zeigen gilt es aber auch für den de- gemeinsam getroffen werden müssen. Auftrag verpflichtet gefühlt. mokratiepolitischen Nachholprozess, den die neuen De- 87 % der EuropäerInnen gaben an, sich 67 % auch persönlich für den Umweltschutz Am 31. Juli 1991 kommt aus Brüssel das Avis zu den mokratien vollziehen müssen. Karel Schwarzenberg hat zu engagieren, etwa durch Trennung Beitrittsanträgen Österreichs. Die EG-Kommission emp- dies in einem Interview mit dem Hinweis darauf begrün- 65 % der Abfälle für die Wiederverwertung fiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und ver- det, dass Österreich und Deutschland nach dem Ende (65 %), den Konsum lokaler Produkte (43 %) oder das Bestreben, Energie zu bindet damit eine wichtige Aufgabe: des Zweiten Weltkriegs wieder an die alte demokratische sparen (35 %). Tradition anschließen konnten, die Volksdemokratien „Der Beitritt Österreichs wäre für die Gemeinschaft glo- aber noch über 40 Jahre lang unter einer Diktatur leben bal ein Gewinn [...]. Der Gemeinschaft werden [...] die mussten. Anschaulich beschreibt dies der Journalist Paul Erfahrungen eines Landes zum Vorteil gereichen, das Lendvai, 1956 im Zuge des Ungarnaufstandes nach Ös- wie Österreich aufgrund seiner geographischen Lage, terreich geflüchtet, in einem „Kurier“-Interview: seiner Vergangenheit, der ererbten und neu hinzuge- wonnenen Verbindungen genau im Mittelpunkt des „Wie reden über Länder, wo es keine Demokratie gab. Geschehens Iiegt, aus dem das neue Europa entsteht.“ Die Erziehung, die Schulen, die Bücher [...] Ralf Dah- rendorf hat sehr klug geschrieben, man kann in sechs 43 % Österreich kommt beim Aufbau der Strukturen in Ost-, Monaten ein Regime stürzen, in sechs Jahren die Wirt- Mittel- und Südosteuropa eine wichtige Rolle zu. Zu einem schaft verändern, aber es braucht 60 Jahre, um die Sit- Zeitpunkt, da Europa vor allem mit der Wiedervereinigung ten, die Einstellungen zu ändern.“ 35 % an

QUELLENHINWEIS Die Zitate stammen weitgehend aus Interviews, die der Autor in den letz- ten zwölf Monaten persönlich geführt bzw. auch aktuell eingeholt hat. Dazu kommen einige Originalzitate aus Reden sowie bereits veröffent- lichten und belegten Beiträgen. Die mit (1) ausgewiesenen Zitate stammen aus einer Publikation des Alo- is-Mock-Instituts mit dem voraussichtlichen Titel „Grenzen überwinden“.

Die mit (2) gekennzeichneten Zitate wurden dem öffentlich zugängigen Umweltschutz von Erkennen Wichtigkeit sehen beste als EU Garantie für die korrekte der EU-Umweltgesetze Anwendung sind der Überzeugung, Entscheidungen dass Umweltschutz zum müssen werden getroffen gemeinsam Engagement persönliches zeigen Wiederverwertung die für Abfälle trennen kaufen lokale Produkte sind bestrebt, Energie sparen zu Zeitzeugenportal der Stiftung Haus der Geschichte (Bonn) entnommen.

36 37 Führungskräfte in der EU 36 % Frauen = 3,4 Mio.

27 2016 ,3 g % in cl 2006 M cy ü e ll R 52 d ,5 e % p % o n % i 1 e Männer: 64 % (6 Mio.) , ,1 1 9 3

1

Vorstandsmitglieder in börsen- 2 notierten Unternehmen 4 8 27 % 1 , , 4 6 % % E n e rg ie rü EU UND RECYCLING ckg ewinnung 2016 produzierte Europa 27,1 Millio- nen Tonnen Plastikmüll. Mit einer Quote von 31,3 % gelang es im sel- ben Jahr erstmals, einen höheren Anteil an Plastikmüllverarbeitung durch Recyceln als durch Entsor- gung auf der Mülldeponie (27,3 %) zu erzielen. Die Verwertung durch Recyceln gelangte somit nach der Energierückgewinnung durch Ver- brennung (41,6 %) auf Platz 2 der Höhere Führungspositionen häufigsten Verarbeitungsformen von Plastikmüll. Verglichen mit 17 % dem Jahr 2006 lässt sich innerhalb NUR JEDE DRITTE FÜHRUNGSKRAFT dieser zehn Jahre ein Anstieg des IN DER EU IST EINE FRAU Recyclings um 79 % erkennen. Dank zahlreicher EU-Maßnahmen, Für die EU stellt die Gleichberech- wie etwa der jüngst beschlosse- tigung zwischen Mann und Frau nen Europäischen Strategie für einen zentralen Wert und eine der Kunststoffe, die sowohl die Ver- wesentlichen Herausforderungen des meidung von Kunststoffabfällen 21. Jahrhunderts dar. Anlässlich des (z.B. Einwegkunststoff) als auch ihr Internationalen Frauentags am 8. März kosteneffizientes Recyceln forciert, 2019 verlautbarte Eurostat, das statisti- schreitet die sinnvolle Verwertung sche Amt der EU, dass nach aktuellem von Plastik in der EU zunehmend Stand nur rund ein Drittel (36 %) aller voran. Führungspositionen (9,4 Millionen) in Europa von Frauen bekleidet werden. In Österreich werden 42 % der Füh- 24,5 Mio. t 27,1 Mio. t rungspositionen von Frauen beklei- det. Lettland steht EU-weit mit einer Plastikmüll 2006 Plastikmüll 2016 Quote von 56 % an erster Stelle. In den börsennotierten Unternehmen der EU sind Frauen innerhalb des Vorstands mit 27 % deutlich unterrepräsentiert, auch in höheren Führungspositionen, auf Ebene der Geschäftsführung, be- läuft sich ihr Anteil nur auf knapp ein 38 Fünftel. 39 : durch Berlin eine Todesmauer errichten. Das machte HERBERT VYTISKA „Am 13. August 1961 – wenige Wochen nach meiner die Unberechenbarkeit des Ostblocks deutlich. Promotion – war ich in London, wo ich bei der Fir- 1989 hatte zwar Ungarn mit dem Abbau des Eisernen ma Churchill and Sim arbeitete, um mein Englisch zu Vorhangs begonnen, Polen den Übergang zu einem verbessern. Die Nachricht über den Bau der Berliner demokratischen Regime eingeleitet, dass aber die Mauer machte mich fassungslos und ich flog über ein Berliner Mauer so schnell fällt, damit hatte niemand Wochenende von London nach Berlin, um mit eigenen gerechnet. Es gab auch keine Informationen, die da- SO KAM ES ZUM FALL Augen zu sehen, was ich nicht fassen konnte, und mit rauf hindeuteten, weder seitens der Diplomaten noch Berliner Freunden darüber zu sprechen. seitens der Geheimdienste. Mit dem Mauerfall wurde Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war uns erst so richtig bewusst, dass ein neues politisches DER BERLINER MAUER der logische und doch unerwartete Höhepunkt im Zer- Zeitalter in Europa angebrochen war. Trotzdem gab es fallsprozess des europäischen Kommunismus. Ich hat- aber auch noch Ungewissheit, wussten wir doch nicht, te an diesem Abend (zufällig) ein Abendessen mit dem wie es nun weitergehen wird.“ amerikanischen Botschafter und am nächsten Tag ein Mittagessen mit Paul Lendvai. Wir taten uns schwer, Robert Lichal: die Konsequenzen dieser Ereignisse richtig einzuschät- „Am 13. August war ich bereits Landesbeamter und zen. Für mich steht fest, dass der Bau einer Mauer, um für die Gemeinden in der Grenzregion im Weinviertel Menschen an der Ausreise als Flüchtlinge zu hindern zuständig. Als ich im Radio hörte, dass in Berlin eine Der Hype im wetter einzuleiten. Davon ließ sich DDR-Staatsratsvor- oder um Menschen an der Einreise als Asylsuchende zu Mauer errichtet wird, fragte ich mich zunächst: Und sitzender Walter Ulbricht aber nicht beeindrucken. Nach- hindern, keine gute Idee ist.“ was bedeutet das für unsere Region an der toten Gren- Schicksalsjahr 1989 dem seit 1949 an die 2,5 Millionen Menschen die offene ze? Haben wir auch hier mit einer Verschärfung der Si- Grenze zwischen West- und Ostberlin genützt hatten, um Andreas Khol: tuation zu rechnen? Das Wetter am 9. November 1989 klingt wie eine politi- den Weg in die Freiheit zu wählen, ließ er die Straßen und „Ich studierte gerade in Innsbruck an der Universität. Beim Fall der Berliner Mauer fiel einem sprichwört- sche Ansage: Nachdem am Morgen noch die Kaltfront Häuserzeilen mit einer Mauer aus Steinen und Stachel- Der Mauerbau erschien mir damals als ein Verzweif- lich ein Stein vom Herzen. Das war ein großer Schritt, eines Sturmtiefs Berlin überquert hatte, beruhigte sich draht verbarrikadieren. lungsschritt eines grausamen Unrechtsstaats, dem mit dem die Teilung Europas aufgehoben wurde. Man das Wetter tagsüber und es stellte sich eine milde West- seine Bürger davonliefen. Wir hatten damals ganz konnte sich mit den Berlinern so richtig mitfreuen. Ich wetterlage ein. klare Feindbilder, eines war der real existierende So- habe mich damals sofort mit Alois Mock in Verbin- In den Abendstunden passiert das Unerwartete: zialismus, den wir ja auch an unseren Grenzen stehen dung gesetzt, denn es war uns beiden klar, dass damit der Fall der Berliner Mauer – von den Kommunisten als hatten. Meine Hoffnung klammerte sich an unsere ein Krisenherd in Europa wegfällt, aber ein weiterer antifaschistischer Schutzwall bezeichnet, im Westen als Zeitzeugen Neutralität und die Vereinigten Staaten von Amerika, in unserer unmittelbaren Nähe lauert. Es war die Ent- Todesmauer (mindestens 100 Menschen verloren beim erinnern sich die wir Jungen als Verteidiger von Menschenrechten wicklung in Jugoslawien, die Sorge bereitete, aber von Überwinden dieser Grenze ihr Leben) gebrandmarkt. und Freiheiten erlebten. vielen unterschätzt, ja bagatellisiert wurde.“ Zwar wurde in öffentlichen Reden noch immer Ingrid Taegner, Jahrgang 1936, wohnte in einem Haus im Am 10. November 1989 schrieb ich in mein Tagebuch: die Vision von der Wiedervereinigung Deutschlands Ostteil Berlins direkt an der Zonengrenze: Die Mauer in Berlin fällt, ganz Europa im Freudentau- erwähnt, der Glaube daran war freilich kaum noch vor- mel! Ich dachte sofort an meine wenige Monate zuvor 30 Jahre danach: Was blieb vom handen. Frank Elbe, Kabinettschef bei Außenminister „Es ist frühmorgens, und doch klingt schon Baulärm verstorbene Mutter – sie kam aus Berlin – und kränkte Traum der Wiedervereinigung? Hans-Dietrich Genscher: von der Straße. Da gucke ich vom Balkon und sehe am mich, dass sie das nicht erleben konnte. Die Überwin- Ufer des Landwehrkanals Soldaten mit Stahlhelm und dung der Zweiteilung Europas an unseren eigenen Ost- Vor 29 Jahren, am 3. Oktober 1990, kam es zur Wieder- „1989 hat keiner drauf gehabt, dass es so kommen Maschinengewehren. Es war ein Menschenauflauf auf grenzen und die Zurückdrängung der Sowjetunion an vereinigung Deutschlands. Am 30. Jahrestag, da die Ber- würde.“ Es gab auch kaum diesbezügliche Informa- beiden Seiten. Man konnte nicht mehr über die Brü- die ukrainische Grenze machte unsere Neutralität für liner Mauer barst und der Weg dafür frei gemacht wurde, tionen der Geheimdienste, denn dort hat man sich cke. Auf der Ostberliner Seite sind einige ins Wasser die Russen militärisch wertlos – wir würden Spielraum diskutiert man in Deutschland, wie es um die Gemein- „mehr mit persönlichen Verfehlungen von Mitgliedern gesprungen, rübergeschwommen, wurden von hel- und auch unsere volle Handlungsfreiheit gewinnen. samkeit zwischen West und Ost wirklich steht. Da zeigt des Politbüros beschäftigt, wer mit wem ein Verhältnis fenden Menschen auf der Kreuzbergseite in Empfang Unser Ziel, der Europäischen Gemeinschaft beitreten sich, dass eine über Jahrzehnte getrennte Geschichte hatte, als dass man über die Stimmung der Menschen genommen. Dann habe ich meinen Vater auf der an- zu können, rückte näher. So war der 9. November ein Spuren hinterlässt. Bescheid wusste und sich Mühe gegeben hätte, die deren Seite erkannt, er lebte mittlerweile drüben. Wir Freudentag auch für uns Österreicher!“ Geht es nach einer Umfrage der Körber-Stiftung, so Lage genau zu erkunden“. (1) konnten uns nur noch über den Landwehrkanal und fühlen sich 70 Prozent der im Osten lebenden Bürger als mit der Zeichensprache verständigen.“ (2) : Gewinner der Wiedervereinigung, im Westen dagegen Und so wurde die Berliner Mauer zum Hype im Schicksals- „In beiden Fällen war es eine totale Überraschung, zu- ist es nur eine knappe Mehrheit von 53 Prozent. Was den jahr 1989, genauso wie auch der Mauerbau am 13. August Bundespräsident a. D. Heinz Fischer, Landesverteidi- nächst im negativen und dann im positiven Sinn. Im Ist-Zustand der innerdeutschen Einheit betrifft, so sagen 1961 ein Höhepunkt im Kalten Krieg war. Dabei hatten gungsminister a. D. Robert Lichal, Nationalratspräsident Juni 1961 hatten sich noch Kennedy und Chruscht- 71 Prozent der Ost- und 66 Prozent der Westdeutschen, sich erst am 3. und 4. Juni 1961 in Wien US-Präsident John a. D. Andreas Khol und Bundeskanzler a. D. Franz Vranitz- schow in Wien getroffen. Man hatte die Hoffnung, dass sich ihre Hoffnungen erfüllt hätten. Doch gleichzei- F. Kennedy und der Regierungschef der Sowjetunion, ky erlebten den Mauerbau und den Mauerfall. Welche Er- dass eine Entspannung im Verhältnis der beiden Welt- tig sehen 69 Prozent der West- und 74 Prozent der Ost- Nikita Chruschtschow, getroffen, um ein Ost-West-Tau- innerungen verbinden sie mit diesen beiden Tagen? mächte eintritt. Zwei Monate später lässt Ulbricht quer deutschen immer noch große Unterschiede zwischen

40 41 Ost und West. Optimistischer sieht es Christian Hirte, der Die ‚blühenden Landschaften‘, die Helmut Kohl ver- der Stadt wie ein Stachel im roten Fleisch. Sie war mehr die Bundesrepublik ein. Am 30. September durften an Ostbeauftragte der deutschen Bundesregierung: sprochen hatte, gibt es in der Tat. Aber viele Menschen noch als der Eiserne Vorhang zum Sinnbild für den Kon- die 5.000 DDR-Bürger, die in der Botschaft der Bundes- darin fühlen sich vergessen. West und Ost werden auch flikt zwischen Ost und West geworden. republik in Prag Zuflucht genommen hatten, ausreisen. „Der ökonomische, soziale und gesellschaftliche Zu- durch Sonntags- und Jubiläumsreden nicht schneller Der Sommer 1989 hatte einige Erwartungen ge- In einem Artikel der Zeitung Welt heißt es: stand im Osten ist viel besser, als wir uns das vor 30 Jah- zusammenwachsen.“ weckt. Trotzdem traute man der sich da möglicherwei- ren alle gemeinsam erwartet und vorgestellt hätten.“ se abzeichnenden Entwicklung noch nicht wirklich. In „Es herrscht eine gespenstische Atmosphäre, als Gorba- Wie sehr Dichtung und Wahrheit über den Zustand der Polen und Ungarn verhandelte die herrschende kommu- tschow am 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin eintrifft.“ Erich Faktum ist freilich auch, dass seit der Wiedervereinigung DDR vor und nach der Wende auseinanderklafften, welch nistische Nomenklatura mit der Opposition über einen Honecker und Genossen „erhoffen sich Rückendeckung vier Millionen Menschen vom Osten in den Westen und hoher Einsatz geleistet wurde, um die Teilung Deutsch- Übergang zu einem demokratischen System. Am 2. Mai von dem Besuch aus Moskau. [...] Als der KPdSU-Chef nur zwei Millionen in umgekehrte Richtung gezogen lands zu überwinden, zeigt sich allein daran, dass die begann Ungarn, den Eisernen Vorhang abzubauen, da in der Berliner Gedenkstätte Neue Wache einen Kranz sind, die Arbeitslosigkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch knapp vor der Wende im Jahre 1989 offiziell zu man kein Geld hatte, um für dessen Erhaltung zu sorgen. für die Opfer des Faschismus niederlegt, geschieht Un- DDR höher ist, es an großen Wirtschafts- und Industrie- den zehn bedeutendsten Industrieländern der Welt zähl- Für die Fotos von diesem Ereignis fand sich so gut wie gewöhnliches: Der Russe [...] steuert die westdeutschen unternehmen mangelt. te. Ein Jahr später wusste man, dass Staat und Wirtschaft kein mediales Interesse. Daraufhin fiel bei Außenminis- Kamerateams an“ und spricht den Satz: „‚Ich glaube, Allerdings gesteht auch die Regierung ein, dass viele bankrott waren. Wolfgang Bergsdorf, einer der engsten ter Alois Mock die Entscheidung, den ungarischen Amts- Gefahren lauern nur auf jene, die nicht auf das Leben Menschen im Osten veränderungsmüde sind und sich als Mitarbeiter von Helmut Kohl: kollegen Gyula Horn anzurufen und ihm einen gemein- reagieren.‘“ Fortan machte die Runde, dass Gorbat- Bürger zweiter Klasse fühlen. Sie sind noch immer von der samen offiziellen Akt vorzuschlagen. So ging am 27. Juni schow in einem Vieraugengespräch mit Honecker ge- kommunistischen Ideologie geprägt, ihre Erwartungen an „Als Hans Modrow, der letzte Vorsitzende des DDR-Mi- ein Foto um die Welt, das heute mit dem Fall des Eisernen sagt haben soll: „‚Wer zu spät kommt, den bestraft das den Staat sind größer als jene der Menschen im Westen. nisterrates im Februar 1990 in Bonn war, sagte er uns, Vorhangs identifiziert wird und mit dem damals signali- Leben.‘ [...] Was er damals wirklich zu Honecker sagte, Sie sehen sich als Opfer, weil sie „das Pech hatten, 40 Jahre die DDR sei ökonomisch 500 Milliarden DM wert. Ein siert wurde, dass man eine Bresche in die Geschichte ge- lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.“ auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben“. halbes Jahr später, als die Regierung de Maizière dran schlagen hatte. Mock drückt bei diesem Festakt in seiner Der Österreicher Ewald König war 1989 als in der BRD war, hat sich das auf 50 Milliarden DM reduziert. Dann Rede nicht nur ein persönliches Gefühl aus: Sicher ist nur, dass Gorbatschow eine ganz entscheiden- und in der DDR akkreditierter Journalist (damals für „Die kam die Treuhandgesellschaft und es hat sich heraus- de Rolle beim Auflösungsprozess des kommunistischen Presse“) live dabei, heute lebt er noch immer in Berlin: gestellt, dass die DDR-Wirtschaft minus 500 Milliarden „Man tut gut daran, mit dem Begriff historischer Au- Ostblocks zukommt, beginnend mit seinem Aufstieg zum DM wert ist.“ (1). genblick sparsam umzugehen. Wenn es aber einen Generalsekretär der KPdSU im März 1985. Die Sowjet- „Die 30 Jahre sind verflogen wie ein Gedanke – die historischen Augenblick gibt, dann ist es das heutige union und ihre Satellitenstaaten waren gewissermaßen historische Pressekonferenz des Günter Schabowski Heute werden die Gesamtkosten der deutschen Einheit Ereignis, und zwar für die Ost-West-Beziehungen in konkursreif. Gorbatschow verordnete eine grundlegende vom 9. November 1989 (‚Das tritt nach meiner Kennt- von der FU Berlin einschließlich der Übernahme von Ver- ihrer Gesamtheit, denn heute wird offiziell ein Teil einer Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die mit nis ... ist das sofort, unverzüglich‘), die darauffolgende bindlichkeiten, Sozialtransfers etc. auf etwa zwei Billio- anachronistischen tödlichen Grenze beseitigt; heute den Schlagworten Glasnost (Offenheit) und Perestroika Wahnsinnsnacht des Mauerfalls und das Tempo bei nen Euro geschätzt. wird sie wiederum zu einer menschlichen Grenze. Über (Umgestaltung) verbunden ist – ähnlich wie beim Prager der deutschen Einheit. Und heute frage ich mich: Was eine Strecke von fast 2.000 Kilometern trennte der Sta- Frühling, allerdings unter dem Deckmantel eines sozia- ist aus der Begeisterung, den Hoffnungen geworden? cheldraht etwa 40 Jahre lang die Menschen in Europa, listischen Gesellschaftssystems. Die Entwicklung entfal- Ist das alles für die Koreaner, die für ihre geteilte Halb- Am Anfang steht die Öffnung die eigentlich viel mehr miteinander gemeinsam hat- tete freilich eine Eigendynamik. Univ.-Prof. Stefan Karner insel aus der deutschen Wiedervereinigung lernen des Eisernen Vorhangs ten, als sie tatsächlich voneinander unterschied. zieht diese Schlussfolgerung: wollen, abschreckend? Zurückblickend wird dies in der europäischen Ge- Vieles hat Deutschland richtig gemacht, obwohl es Um den 9. November 1989 in seiner ganzen Dimension schichte eines Tages als schwerer Irrtum gesehen wer- „Ich nehme an, dass Gorbatschow zunächst das Sys- keine historischen Vorbilder gab. Es wurden aber begreiflich zu machen, muss man in der Geschichte zu- den. Die Öffnung, die wir in der Absperrung zwischen tem retten wollte. Recht bald musste er aber einsehen, auch viele Fehler gemacht. Medien analysieren die rückblicken. Der Eiserne Vorhang war in den 1980er-Jah- Ost- und Westeuropa vornehmen, ist nur klein; sie ist dass ihm das misslingen wird.“ AfD-Empfänglichkeit im Osten, erinnern an Fehl- ren bereits zur Gewohnheit geworden. Man hatte sich mit aber gleichzeitig ein Fenster in die Zukunft, ein Fenster entwicklungen in der Treuhandanstalt und zitieren der Teilung Europas in zwei unterschiedliche ideologische der Hoffnung, dass eines Tages die Trennung in ihrer Letztlich rechtfertigte Gorbatschow sein Vorgehen: immer wieder die – teilweise auch zutreffenden – Hemisphären mehr oder weniger abgefunden. Das zeigt ganzen Länge der Vergangenheit angehört.“ Klischees von Besserwessis und Jammerossis. allein dieser Dialog, als es um die Kontaktpflege von zwei „Dass wir in der Sowjetunion mit der Perestroika be- Aber es gibt weitere Gründe, die im Mainstream nicht österreichischen Politikern mit Dissidenten und Opposi- Und tatsächlich: Von da an setzte sich eine Bewegung im gonnen haben, war der erste und wichtigste Schritt. aufgegriffen werden. Ich erinnere an den verheerenden tionellen in einem kommunistischen Nachbarland ging: gesamten Ostblock in Trab, die auch das so starre Regime Wir sind aus einer totalitären Gesellschaft zur Freiheit, Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung, der Westdeut- in der DDR zu erschüttern begann. zur Demokratie übergegangen“. schen zur Restitution ihres früheren Immobilienbesitzes „Was du da in Mitteleuropa machst, ist nett, aber gib es Zwei Monate nachdem signalisiert wurde, der Eiser- verhalf, womit sie doch nicht mehr gerechnet hatten, auf, denn das bringt nichts, dieser Eiserne Vorhang ist ne Vorhang sei nicht für die Ewigkeit bestimmt, fand bei Davon ziehen auch Moskaus Satellitenstaaten Nutzen. und viele Ostdeutsche, ohnehin arbeitslos geworden, da und er wird immer da sein.“ „Immer gibt es nicht, es Sankt Margarethen ein sogenanntes Paneuropafrühstück 1988 wird vom Kremlchef die alte sogenannte Bresch- auch aus ihren Wohnungen und Datschen vertrieb. wird viel schneller kommen, als wir denken, wir wissen statt. Durch ein Gatter konnten mehr als 600 DDR-Touris- new-Doktrin aufgehoben. Die Staaten des Warschau- Ein anderes Beispiel, kaum diskutiert: die kaltgestell- nicht genau, wann oder wie, aber es wird kommen.“ ten, ohne dass ungarische Soldaten eingriffen, in die Frei- er Pakts können über ihren eigenen Weg entscheiden. te Elite mancher Bereiche der DDR. DDR-Diplomaten heit flüchten. Polen und Ungarn sind die Ersten, die davon Gebrauch wurden fast ausnahmslos ohne jede individuelle Über- Das erhoffte man sich auch in Westberlin. Die Berliner Am 11. September 1989 öffnete Ungarn die Gren- machen: Die Opposition führt Gespräche mit den noch prüfung kaltgestellt; Bonn verzichtete auf deren um- Mauer, die auf 155 Kilometern Länge eine ganze Stadt ze zu Österreich für DDR-Bürger. Zehntausende reisten herrschenden Kommunisten und vereinbart einen Über- fangreiches Wissen und vor allem auf deren Netzwerke. isolierte, wirkte mit den 2,1 Millionen Bürgern im Westteil in den folgenden Tagen und Wochen über Österreich in gang zu einem demokratischen System.

42 43 erwacht wie aus einer Trance. Tausende DDR-Bürger bre- sich nicht nehmen lassen, dass er selber nach Moskau Der Mauerfall chen zu Fuß oder mit ihren Trabis auf und fahren zum Gorbatschow und die fliegt. Und der Premierminister hat mehr oder min- im Zeitraffer Grenzübergang an der Bornholmer Straße. Die Grenz- Auswirkungen für Österreich der im Sinne von Gorbatschow und Schewardnadse soldaten sind noch völlig ahnungslos, wissen von nichts gesagt: ‚Schauen Sie, wir sagen jetzt schon den War- Noch wird die DDR von der Nomenklatura regiert, und und haben auch noch keine Weisung bekommen. An- Kohl hatte in Michail Gorbatschow, Eduard Scheward- schauer-Pakt-Mitgliedstaaten: Was ihr machten wollt, dennoch überwinden die Menschen ihre Angst vor den gesichts der anstürmenden Massen bleibt ihnen nichts nadse, Boris Jelzin und George Bush auch jene Partner das macht ihr. – Warum sollten wir uns einmischen, Unterdrückern. Das Regime wird auf die Probe gestellt. anderes übrig, als die Grenzbalken zu öffnen. Beim Be- auf der Weltbühne, die die Zusammenführung der bei- wenn Österreich diesen Weg geht?‘ Vranitzky ist dann Am 9. Oktober 1989 ziehen 70.000 Menschen ausgehend treten des Westberliner Bodens hört man von den vor den Deutschlands unterstützten. mehr oder minder mit der Überzeugung zurückge- von der Nikolaikirche in Leipzig bei der Montagsdemons- Freude strahlenden Menschen immer wieder Sätze wie: Besonders wichtig war freilich, dass Gorbatschow kommen, dass wir von der sowjetischen Seite kein Veto tration friedlich und ungehindert über den Ring, vorbei „Das ist die Stunde unserer Freiheit.“ Und am Ku’damm und Kohl miteinander konnten. Dabei stand, so Bergs- zu erwarten hätten.“ (1) an der Stasizentrale. Es liegt eine ungeheure Spannung feiert man an diesem Abend bis weit in die Nacht hinein dorf, der deutsche Kanzler seinem russischen Visavis an- in der Luft, aber alles verläuft ruhig; ein Schießbefehl das Fest des Miteinander. fänglich noch etwas reserviert gegenüber, was sich aber Damit war der Weg für das Beitrittsansuchen Österreichs wäre nicht unvorstellbar gewesen. Kaum einen Monat Die Überraschung des Falls der Berliner Mauer schließlich änderte. Das Verhältnis der beiden Staats- frei. Die Regierung beschloss noch am 26. Juni, also einen später, am 4. November, versammeln sich über eine hal- macht auch vor den Politikern nicht halt. Gerhard Ziegler, männer beschreibt Joachim Bitterlich: Tag bevor der offizielle Akt für den Abbau des Eisernen Vor- be Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Pressesprecher von Außenminister Alois Mock, sitzt da- hangs stattfand, den Brief nach Brüssel zu schreiben. Eich- Man skandiert: „Wir sind ein Volk“. An der Spitze der SED heim vor dem Fernseher. „Kohl und Gorbatschow haben sich verstanden, weil tinger macht auf einen wichtigen Zeitablauf aufmerksam: wird nur kurz überlegt, ob man die Demonstration ver- Gorbatschow sehr russisch denkt und auch über län- hindern soll. Die Idee wird aber fallen gelassen. „Ich schaue mir die ZIB 2 an und sehe plötzlich, was gere Linien hinweg denken kann. Das zeigte die Unter- „Schweden und Finnland hatten sich in dieser Zeit Der 9. November bricht an. Anlässlich der Tagung sich so alles in Berlin abspielt. Mock war gerade in redung Kohl-Gorbatschow über die deutsche Frage, nicht getraut, den Beitrittsantrag zu stellen – Finnland des ZK-Plenums der SED hat das Politbüro den Auftrag Brüssel auf Besuch und wohnte in der Botschaftsresi- über die europäische Frage. Da gab es letztlich Annä- aufgrund der Kriegserfahrung und der Grenze mit der gegeben, eine neue Ausreiseregelung zu entwerfen. Die- denz. Ich rufe sofort Botschafter Weinberger an: ‚Herr herungen, und die führten dazu, dass ein Kohl und ein Sowjetunion. Die haben erst nach dem Fall der Berli- se sieht zunächst nur die ständige Ausreise direkt aus der Botschafter, entschuldige diesen Anruf zu so später Gorbatschow sich nahestanden. Kohl hat aufrichtig ner Mauer den Beitrittsantrag gestellt. Österreich war DDR, aber keine Rückkehr in die DDR vor. Von Sitzung zu Stunde, da spielt sich was ab in Berlin. Ich muss un- versucht, den Russen zu helfen, immer wieder, und das der absolute Vorreiter, weil wir von den Neutralen die Sitzung erfährt der Text eine Änderung, schließlich sollen bedingt den Außenminister sprechen.‘ Er meinte: ‚Ich hat sich dann übertragen auf Jelzin. Ersten waren, die offen erklärten: Wir wollen in die EG, alle Einschränkungen wegfallen. Es ist mittlerweile Abend weiß nicht, der Herr Bundesminister hat sich schon zu- Kohl war der entscheidende Wegbereiter, dass Jel- trotz bestehender Sowjetunion.“ (1) geworden: Um 17.45 Uhr erhält Günter Schabowski – er rückgezogen.‘ Daraufhin sage ich: ‚Dann gib mir bitte zin auch von anderen wahrgenommen wurde, oder ist in diesen Tagen Sprecher des SED-Zentralkomitees – den Sekretär‘ – das war damals Martin Eichtinger – dass Russland wahrgenommen wurde; auch dass ein den Auftrag, zur Pressekonferenz zu gehen, um über die ‚Mock schläft ohnedies noch nicht. Wie ich ihn kenne, Clinton Jelzin wahrnahm. Für mich ist nur bis heute Ergebnisse der Politbürositzung zu informieren. Kurz vor liest er bis 2 Uhr morgens. Ich brauche den Minister.‘ die Rolle von Jelzin und dem Apparat nicht klar. Der Ende der Pressekonferenz, es ist exakt 18.57 Uhr, stellt der Als ich dann endlich Alois am Apparat hatte, berich- Apparat war der alte kommunistische Apparat, etwas italienische Journalist Riccardo Ehrman noch eine Frage tete ich ihm von der aktuellen Entwicklung: ‚Herr Bun- modernisiert, wenn man so will, aber: War da neues nach dem Entwurf des Reisegesetzes. Daraufhin greift desminister, es brennt der Hut in Berlin, bitte dreh den Denken wirklich da? – Ich habe dieses große Fragezei- Schabowski zu einem Papier und liest diesen Text vor: Fernseher auf und mache ein Statement.‘“(1) chen bis heute.“ (1)

„Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute Den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl ereilt die Übrigens profitierte auch Österreich von dieser politi- eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR Nachricht bei einem Staatsbesuch in Warschau, den er schen Konstellation, die von Moskau ausgegangen war. möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR übrigens unterbricht, um für einen Tag nach Berlin zu flie- Bereits 1988, im Zuge der Diskussionen über ein Beitritts- auszureisen. [...] Also, Privatreisen nach dem Ausland gen, wenngleich ihm damals vor dem Schöneberger Rat- ansuchen Österreichs an die – wie sie damals noch hieß – können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reise- haus ein unfreundlicher Empfang bereitet wurde. Noch Europäische Gemeinschaft, reisten sowohl Bundeskanz- anlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt war das Thema Wiedervereinigung nicht in den Köpfen ler Vranitzky wie auch Außenminister Mock unabhängig werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“ der Menschen. Kohl hingegen sah, dass sich nun ein his- voneinander nach Moskau, um die Stimmungslage im torisches Fenster öffnen würde. Kohl-Berater Wolfgang Kreml zu sondieren. Nach Rückfrage des Journalisten Peter Brinkmann ab Bergsdorf weiß um dessen Traum: Martin Eichtinger begleitete Mock auf der Reise wann das in Kraft tritt, antwortet Schabowski: nach Moskau. Dabei traf man auch mit Außenminister „Es gab 1989 einen Parteitag in Bremen, dort sollte ein Schewardnadse und Gorbatschow zusammen: „Das tritt nach meiner Kenntnis, ähh, ist das sofort, neues Parteiprogramm verabschiedet werden. Hei- unverzüglich.“ ner Geißler hat einen solchen Entwurf gemacht und „Mock hat dort präsentiert, was Österreich vorhat, QUELLENHINWEIS in diesem Entwurf die Wiedervereinigung gestrichen. nämlich dass wir einen Beitrittsantrag stellen wollen. Die Zitate stammen weitgehend aus Interviews, die der Autor in den letz- ten zwölf Monaten persönlich geführt bzw. auch aktuell eingeholt hat. Eine kurze sprachlose Stille herrscht im Raum, um dann Kohl hat daraufhin ein Riesentheater gemacht und ihn Es kam kein Widerspruch. Sie gaben keine negativen Dazu kommen einige Originalzitate aus Reden sowie bereits veröffent- die Journalisten sofort in Hektik ausbrechen zu lassen. gezwungen, das Thema Wiedervereinigung wieder hi- Stellungnahmen ab. Als Alois Mock nach Österreich lichten und belegten Beiträgen. Um 19.05 Uhr verbreitet AP die Eilmeldung: „DDR öffnet neinzunehmen. Damals glaubten wir alle noch nicht, zurückgekommen ist und dies Vranitzky mitgeteilt hat, Die mit (1) ausgewiesenen Zitate stammen aus einer Publikation des Alo- is-Mock-Instituts mit dem voraussichtlichen Titel „Grenzen überwinden“. Grenze“. Es wird die Hauptmeldung in den Nachrichten- dass die Wiedervereinigung innerhalb von zwei Jah- ist er dort auf relativ ungläubige Ohren gestoßen. Sie Die mit (2) gekennzeichneten Zitate wurden dem öffentlich zugängigen sendungen quer über den ganzen Kontinent. Ostberlin ren stattfinden würde.“ (1) fragten: ‚Wirklich?‘ – ganz erstaunt. Vranitzky hat es Zeitzeugenportal der Stiftung Haus der Geschichte (Bonn) entnommen.

44 45 VIELFALT DER SPRACHEN Mehrsprachigkeit sowie die För- derung der sprachlichen Vielfalt stellt eines der Grundprinzipien 85 % der EU dar. 2013 erhöhte sich die Zahl der Amtssprachen mit dem Übersetzung Beitritt Kroatiens zur EU auf 24. Mitgliedsländer außerhalb des Zwar dominieren in der Kommu- Währungsgebiets nikation die Sprachen Englisch, 7 Französisch und Deutsch, den- noch werden sämtliche offizielle Dokumente in alle 24 Amts- sprachen übersetzt sowie nach Wunsch gedolmetscht, das heißt mündlich übersetzt. Innerhalb 15 % der Europäischen Kommission Verdolmetschung dominiert mit knapp 85 % das Stammpersonal für Übersetzung gegenüber 15% für Verdol- metschung. Mit 2 252 050 in EU-Amtssprachen übersetzten Seiten erreichte die Generaldi- rektion Übersetzung 2018 einen neuen Rekord. Die Übersetzun- gen in Nicht- EU-Sprachen be- laufen sich auf 2 704 Seiten und damit auf nur 0,1 % der Gesamt- EU-Länder mit anzahl. 2 Nichtbeteiligungsoption

Stammpersonal DG Translation (Europäische Kommission)

19 VERSUS 28 – DIE EUROZONE IN DER EU 2.252.050 99,9 % Der Euro gilt als Inbegriff der euro- Seiten päischen Identität. Die nunmehr am zweithäufigsten verwendete Währung der Welt wurde 1999 als Buchgeld und 2002 als Bargeld eingeführt. Heute verwenden 19 der 28 Mitgliedsländer den Euro als gemeinsame Währung und bilden gemeinsam den Euroraum, auch Eurozone genannt. Hinsichtlich der neun verbleibenden Länder gilt es, zwischen jenen zu unter- scheiden, bei denen die Einführung des Euros bislang aussteht (Bulga- rien, Kroatien, Polen, Rumänien, 2.704 0,1 % Schweden, Tschechien, Ungarn) Seiten und jenen (Dänemark, Vereinigtes Königreich), die eine Nichtbeteili- gungsoption ausgehandelt haben. Während Erstere die Einführung des Euros nach Erfüllung der so- genannten Konvergenzkriterien Mitgliedsländer verwenden den € anstreben, vereinbarten Dänemark 19 als offizielle Währung und das Vereinigte Königreich für sich Ausnahmeregelungen, die sie Anzahl an übersetzten Seiten der nicht zur Einführung des Euros ver- DG Translation (Stand Dez. 2018) pflichteten.

46 47 und Förderer des neuen Europa sein und dessen Recht, den eingeladen, am Marshallplan zu partizipieren. Die- HERBERT VYTISKA zu leben und zu leuchten, beschützen. Darum sage ich sem Ansinnen wird aber von Moskau ein Riegel vor- Ihnen: Lassen Sie Europa entstehen!“ geschoben. Im Grunde genommen beginnt damit die wirtschaftliche Auseinanderentwicklung von West- und Er spricht von einem vereinigten Europa unter dem Osteuropa, denn auch die 1949 durch die Sowjetunion Schutz der USA, aber noch ohne das Vereinigte König- erfolgte Gründung des COMECON, des Rates für gegen- reich. Das hat zu diesem Zeitpunkt auch seinen Grund seitige Wirtschaftshilfe, als sozialistisches Pendant zum ÖSTERREICHS WEG IN DIE EU darin, dass 1931 das Commonwealth gegründet wurde, Marshallplanverschärft die Zweiteilung Europas nur. So- das insgesamt 53 Staaten eng an das Britische Empire zialistische Planwirtschaft hat letztlich keine Chance ge- band; in London verstand man sich daher als ein eige- gen das Konzept einer sozialen Marktwirtschaft, das sich ner Staatenverbund. von Deutschland ausgehend ab Ende der 1940er-Jahre zu entwickeln beginnt. Dafür wird die Umsetzung des Marshallplans eine Erfolgsgeschichte, wie übrigens das Beispiel Öster- 1947 reich zeigt. So berichtete später Botschafter Heinrich Haymerle, der als junger Diplomat die Verhandlungen Der Marshallplan wird zum verfolgte, dass aufgrund der dramatisch schlechten Ge- Erfolgsrezept für Westeuropa samtlage bei Österreich Zweifel bestanden, ob das Land „Jeder Österreicher auch mit mehr Ernsthaftigkeit verfolgt. So wird bereits überhaupt in der Lage sei, die Auflagen des Marshall- am 26. Juni 1945 auf der Konferenz von San Francisco die plans zu erfüllen. sollte darauf stolz sein, Charta der Vereinten Nationen von 50 Staaten, darunter Europa ist von den Kriegsfolgen schwer gezeichnet. Quer Mit Vorbehalten wurde die Förderung gewährt. alle Weltmächte, unterzeichnet. durch viele Staaten ziehen sich die Spuren der Bomben- Tatsächlich gehörte Österreich zu jenen Staaten, die dass die Europäische teppiche, die Häuser, Industrieanlagen, Verkehrswege dank des Wiederaufbauwillens der Bevölkerung, des Einigungsbewegung und viele Kulturdenkmäler zerstört hatten. Der Wieder- ge- und entschlossenen Agierens der Regierung und in Wien geboren wurde.“ aufbau kommt nur langsam in Schwung. Die Versor- der Sozialpartnerschaft, die zum Garant für ein beson- 1946 gungslage der Bevölkerung gibt vor allem in Deutsch- ders stabiles soziales Klima wurde, einen der nachhal- land und Österreich noch Anlass zu großer Sorge. tigsten Erfolge erzielten. Dieser Satz mag überraschen, entspricht aber dennoch Churchill auf den Spuren Das darniederliegende Europa veranlasst, ein Wirt- der Realität. Verfasst hat ihn Richard Coudenhove-Kaler- Coudenhove-Kalergis schaftsbelebungsprogramm auszuarbeiten. Am 3. April gi. Er, der österreichische Schriftsteller und Philosoph, 1948 wird es vom Kongress der Vereinigten Staaten ver- hatte nämlich bereits 1923 – geprägt von den Schwierig- abschiedet und am selben Tag von US-Präsident Harry S. 1949 keiten der Nachkriegszeit – das sogenannte „Paneuro- Die Vision eines vereinten Europas, die Coudenhove-Ka- Truman in Kraft gesetzt. Mit diesem auch Marshallplan päische Manifest“ verfasst. Für ihn stand fest, dass die lergi vor dem Krieg formuliert hatte, ist aber noch nicht genannten Programm leisten die USA den Teilnehmer- Die Gründung Entwicklung der Nationalstaaten an einem toten Punkt ganz verges­sen. Seine Idee greift der britische Opposi- staaten Hilfen im Wert von insgesamt 12,4 Milliarden des Europarats angelangt sei. Würden die Staaten Europas nicht ihre tionsführer Winston Churchill auf. Am 19. September Dollar (entspricht heute rund 125 Milliarden Dollar). Drei Streitigkeiten beilegen, dann müssten sie damit rech- 1946 plädiert er bei einem Vortrag in Zürich für ein Zu- Ziele werden damit vorrangig verfolgt: nen, von den USA und der Sowjetunion überflügelt zu sammenrücken Europas: Westeuropa rückt zusammen. Am 5. Mai 1949 wird in werden, ja es bestehe sogar die Gefahr, sich in einem • Hilfe für die Not leidende und teilweise hungernde London der Europarat gegründet. Zehn Staaten, näm- erneuten Weltkrieg gegenseitig zu vernichten. Seine „Und doch gibt es [...] ein Mittel, das [...] in wenigen Bevölkerung Europas lich Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Lu- Schlussfolgerung ist der Abschluss eines Paneuropäi- Jahren ganz Europa [...] frei und glücklich machte [...] • Eindämmung des Einflusses der Sowjetunion und xemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden und schen Pakts, das heißt der Abbau der Grenzen zwischen Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa des Kommunismus sowie Großbritannien schließen sich zur ersten internationalen den europäischen Staaten und die Schaffung eines euro- errichten. Nur auf diese Weise werden Hunderte von • Verhinderung eines wirtschaftlichen Einbruchs mit europäischen Vereinigung zusammen. Deutschland und päischen Staatenbunds. Millionen sich abmühender Menschen in die Lage ver- Auswirkung auf die Absatzmärkte der USA.1 Österreich dürfen noch nicht teilnehmen. Die Bundesre- Coudenhove-Kalergi kann eine Reihe europäischer setzt, jene einfachen Freuden und Hoffnungen wieder- publik Deutschland wird 1951 Mitglied. Österreich folgt Persönlichkeiten für seine Idee gewinnen, so unter ande- zuerhalten, die das Leben lebenswert machen. Das Verwaltet werden die zur Verfügung gestellten finan- 1956. Wie schon beim Marshallplan untersagt die sow- rem den deutschen Außenminister Gustav Stresemann, Vorgehen ist einfach. Das einzige, was nötig ist, ist der ziellen Mittel von der Organisation für europäische wirt- jetische Führung den Volksdemokratien auch eine Mit- den französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand, Entschluss Hunderter von Millionen Männer und Frau- schaftliche Zusammenarbeit (OEEC), die am 16. April 1948 gliedschaft beim Europarat. die österreichischen Politiker und Ignaz Sei- en, recht statt unrecht zu tun und dafür Segen statt ihre Arbeit aufnimmt. Ihr Ziel ist es, ein gemeinsames Bei der Gründungssitzung darf Österreich nur durch pel, aber auch Albert Einstein und Thomas Mann. Fluch als Belohnung zu ernten. [...] Konzept zum wirtschaftlichen Wiederaufbau und zur einen Beobachter vertreten sein. Der ÖVP-Abgeordne- Die Idee bleibt, wie die Geschichte belegt, eine Il- Bei all diesen dringenden Aufgaben müssen Frank- Zusammenarbeit in Europa zu erarbeiten sowie umzu- te Eduard Ludwig, bereits seit 1945 Mitglied der Union lusion. Der prophezeite Zweite Weltkrieg legt Europa in reich und Deutschland zusammen die Führung über- setzen, und zwar unter Einbeziehung der europäischen Parlamentaire Européenne, deponiert aber bereits bei weiten Teilen in Schutt und Asche. Die Sehnsucht nach nehmen. Großbritannien, das britische Common- Länder in den Entscheidungsprozess. dieser Gelegenheit, dass man, wo immer möglich, an der einem dauerhaften Frieden bleibt aufrecht und wird wealth, das mächtige Amerika […] sollen die Freunde Auch die Satellitenstaaten der Sowjetunion wer- Realisierung einer Friedenspolitik mitwirken wird.

48 49 Der Europarat hat zwar keine politische Macht – er genüber Drittländern handelspolitisch autonom bleiben. versteht sich vor allem als ein Forum für Debatten über 1953 1957 Die britische Initiative zur Schaffung eines paral- allgemeine europäische Fragen, seine Satzung sieht Figls Vision von einem Die Geburtsstunde lelen Wirtschaftsbündnisses hatte zwei Aspekte. Einer- eine allgemeine Zusammenarbeit der Mitgliedstaa- seits sah man die Notwendigkeit einer Freihandelszone ten zur Förderung von wirtschaftlichem und sozialem vereinten Europa der EWG zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit (ohne dabei Fortschritt vor –, er setzt aber Maßstäbe; so wird 1950 einen allzu engen europäischen Schulterschluss an- die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und In Österreich und vor allem in Wien bestimmen noch Der Erfolg der Montanunion beflügelt die Politiker, über zustreben), andererseits ging es aus damaliger Sicht Grundfreiheiten verabschiedet. immer die vier Besatzungsmächte das Bild in der Öf- weitere Modelle der Zusammenarbeit in Europa nach- auch darum, zu verhindern, dass Westeuropa vielleicht fentlichkeit. Ein Staatsvertrag, der das Land in die er- zudenken. Die Schaffung einer Europäischen Verteidi- in zwei Wirtschaftsblöcke zerfallen könnte, wenn die sehnte Freiheit und Unabhängigkeit führt, ist noch nicht gungsunion scheitert zwar am Einspruch der französi- große Freihandelszone nicht zustande kommt. Gerade in Sicht. Außenminister Leopold Figl denkt aber bereits schen Nationalversammlung, bei einer Konferenz 1955 unter dem zweiten Aspekt ist es verständlich, dass die 1951 an die Zukunft und macht dabei auch deutlich, wo der in Messina verständigt man sich allerdings auf eine Zu- britische Initiative von Dänemark, Norwegen, Öster- Platz Österreichs in der Welt ist. Bei einer Reise zu den sammenführung der Volkswirtschaften. Der belgische reich, Portugal, Schweden und der Schweiz unterstützt Die Montanunion – drei westlichen Besatzungsmächten, nach Paris, London Politiker Paul-Henri Spaak wird zum Vorsitzenden einer wurde. Für die Neutralen war außerdem die Nähe der Startrampe für die EWG und Washington, bei der er für den Staatsvertrag und die Kommission bestellt, die einen entsprechenden Vor- EWG zum westlichen Verteidigungsbündnis NATO ein demokratische Reife des Landes wirbt, stellt er unmiss- schlag auszuarbeiten hat. Der sogenannte Spaak-Bericht fast unüberwindliches Beitrittshindernis. verständlich klar: ist gewissermaßen die Geburtsurkunde der heutigen Am 20. November 1959 einigt man sich in Stockholm Die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Union. Folgende Kernziele werden formuliert: auf die Gründung der EFTA, der Europäischen Freihandels- Stahlproduktion, die bislang jedenfalls Basis für die „Österreich ist der östlichste Vorporsten der freien Welt.“ assoziation, in Kraft treten die Verträge aber erst am 3. Mai Schaffung von Kriegsgütern bildete, soll einer gemeinsa- • Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten 1960. Die Verträge werden von Großbritannien, Däne- men Kontrolle unterstellt werden. Am 7. Mai 1950 unter- Bei den Alpbacher Hochschulwochen 1953 spricht Figl, • Einführung eines gemeinsamen externen Zolltarifs mark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und der breitet der französische Außenminister Robert Schuman wie „Volksblatt“-Chefredakteur Peter Klar in späteren • Einführung einer gemeinsamen Politik in den Be- Schweiz unterzeichnet. Finnland folgt 1961, Island 1970. (der zusammen mit dem Franzosen Jean Monnet und Ita- Jahren recherchieren wird, erstmals von reichen Landwirtschaft und Verkehr, Handelsminister (ÖVP), der für Österreich liens Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi zu den trei- • Errichtung eines Europäischen Sozialfonds, die Verhandlungen führt, hätte übrigens viel lieber einen benden Kräften eines europäischen Schulterschlusses „einem vereinigten Europa nach dem Vorbild der USA“. • Errichtung einer Europäischen Investitionsbank, Beitritt zur EWG angepeilt. Dagegen allerdings hat Mos- zählt) diesen Plan dem deutschen Bundeskanzler Konrad • Förderung engerer Beziehungen zwischen den kau Einwände, wie dies Außenminister Andrej Gromyko Adenauer. Dieser stimmt sofort zu, einerseits, weil dies Daheim gibt es noch andere Probleme. So etwa muss Mitgliedstaaten. immer wieder artikuliert. Auch der Koalitionspartner SPÖ zu diesem Zeitpunkt eine Aufwertung der Bundesrepub- sich Bundeskanzler in Zusammenhang mit ist dagegen. Zeitzeuge Bock: lik Deutschland bedeutet, und andererseits, weil es dem den laufenden Verhandlungen mit den vier Besatzungs- Am 25. März 1957 werden die Römischen Verträge unter- Ruhrgebiet die Chance für einen Neubeginn und für eine mächten immer wieder verteidigen und klarstellen, er zeichnet – zunächst noch ohne Großbritannien, das erst „Von sowjetischer Seite wurde immer wieder behaup- wirtschaftliche Weiterentwicklung gibt. sei „weder russophil noch amerikaphil sondern einfach aus- 1973 zur Gemeinschaft stößt. Die Montanunion wird um tet, dass eine Teilnahme Österreichs an der westeuro- Robert Schumans Rede am 9. Mai, der heute als trophil“. Durch das Verhandlungsgespür des Kanzlers und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die päischen Wirtschaftsintegration die Neutralität des Europatag gefeiert wird, geht mit einem Zitat in die seines Außenministers gelingt es jedenfalls, ein Mond- Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) erweitert. Landes verletzen würde. Wir haben diesen Stand- Geschichte ein: fenster für Österreich zu nutzen. Mit dem Tode Stalins am Brüssel und Luxemburg werden die Hauptsitze. punkt energisch zurückgewiesen. Dass das auch in 5. März 1953 kommt Bewegung in die Gespräche Öster- Österreich nicht reibungslos vor sich gehen würde, ist „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen reichs mit Moskau. Raab und Figl gelingt ein diplomati- bekannt. Man darf nicht vergessen, dass die Sozialisti- und auch nicht durch eine einfache Zusammenfas- sches Meisterstück. Am 15. Mai 1955 (tags zuvor wurde sche Partei sogar lange Zeit eine Kampagne gegen die sung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, der Warschauer Pakt gegründet) unterschreiben die vier 1959 EWG führte. Ich erinnere mich da an den Ausspruch die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Ver- Besatzungsmächte den Staatsvertrag. Figl spricht die be- Bruno Pittermanns, dass Österreich ‚diese kapitalisti- einigung der europäischen Nationen erfordert, dass rühmten bewegenden Worte: EFTA: Die Gründung sche Gesellschaft der EWG‘ gar nicht brauche.“ der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich einer „Soft-EWG“ und Deutschland ausgelöscht wird. [...] Die französi- „Österreich ist frei!“ Im Gegensatz dazu prescht die FPÖ vor. Deren Abgeord- sche Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der fran- neter Willfried Gredler bringt im Parlament einen Initia- zösisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer Es sind dies Worte, die sich später Außenminister Alois Die Gründung der EWG war auch für andere westeuro- tivantrag ein, mit dem der Beitritt Österreichs zur EWG gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Mock zu Herzen nimmt und beim Abschluss der Bei- päische Länder, die daran nicht teilnehmen bzw. teilneh- gefordert wird. Er findet keine Mehrheit. Die Koalitions- Organisation, die den anderen europäischen Ländern trittsverhandlungen mit der EU in einer modifizierten men können, eine Herausforderung. treue und das russische Njet sind starke, unüberwind- zum Beitritt offensteht.“ Form ausspricht: Schon vor dem Inkrafttreten der Römischen Ver- bare Gegenargumente. träge löst die britische Regierung eine innereuropäische Das Ziel der EFTA, eine starke Verhandlungsposition Auch Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg „Österreichs Weg in die EU ist frei.“ Diskussion über das Konzept einer europäischen Wirt- gegenüber der EWG zu schaffen, wird nicht erreicht. Es gibt machen mit. Am 18. April 1951 wird die Europäische Ge- schaftseinheit aus. Ohne Preisgabe nationaler Souverä- daher 1960 und 1961 gleich mehrere Versuche, mit der EWG meinschaft für Kohle und Stahl, kurz EGKS oder Montan- nität möchte London eine große europäische Freihan- Verhandlungen über eine Zusammenarbeit aufzunehmen. union genannt, gegründet. Sie ist der erste und ein rich- delszone errichten, bei der zwar die Zölle zwischen den Insbesondere in Großbritannien hatte man erkannt, dass tiger Schritt in Richtung eines neuen Europas. Mitgliedern abgebaut werden, die Mitglieder aber ge- sich das wirtschaftliche Wachstum in den EWG-Staaten

50 51 schneller und stärker entwickelt. Im Juli 1961 entschließt Diese aktive Ostpolitik wurde von der SPÖ sogleich 1979 finden erstmals Europawahlen statt. Mit der „Mir schwebt die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft sich London daher, den EWG-Beitritt zu beantragen. Die- als eine Ostlastigkeit der Regierung Klaus angepran- Unterzeichnung der Römischen Verträge kam es zwar aller am Strom liegenden Länder mit klar formulierten sem Antrag schließen sich auch Dänemark und Norwegen gert. Übersehen wurde dabei nur, dass auch Initiativen zur Einrichtung eines Europäischen Parlaments, jedoch Zielsetzungen vor. [...] Sie soll bereits bestehenden Ins- an. Die neutralen EFTA-Staaten Österreich, Schweden und in Richtung Westen gesetzt wurden. Klaus ist es näm- wurden die 142 Abgeordneten zunächst nicht von der titutionen, vor allem der internationalen Donaukom- die Schweiz wählen einen anderen Weg und beantragen lich auch, der es 1965 erreicht, dass die EWG Assoziie- Bevölkerung gewählt, sondern nur von den nationalen mission, keine Konkurrenz machen. Sie soll sich nicht die Assoziierung mit der EWG. Die Bemühungen bleiben rungsverhandlungen mit Österreich beginnt. Zwei Jahre Parlamenten entsandt. Bei den Wahlen zum Europäi- die Fertigstellung des Rhein-Main-Donaukanales zum erfolglos. Schon damals gibt es innerhalb der Gemein- später werden diese allerdings abgebrochen, einerseits schen Parlament von 7. bis 10. Juni 1979 in allen neun Ziel setzen, so sehr wir auch die Verwirklichung dieses schaft immer wieder Meinungsverschiedenheiten, etwa aufgrund eines Vetos Italiens, bedingt durch den schwe- Mitgliedstaaten werden die Sozialdemokraten mit 113 Projektes wünschen und fordern. Sie soll sich nicht pri- über eine mögliche Erweiterung. Dazu kommt in der Ära lenden Konflikt in Südtirol, andererseits aber auch durch Mandaten die stärkste Partei. Dahinter folgen mit 107 mär mit wirtschaftlichen Problemen, wie etwa mit der von Charles de Gaulle ein politisches Spannungsverhältnis Frankreich, weil für Paris eine Teilnahme an der Gemein- Sitzen die Europäische Volkspartei, mit 64 die Konserva- Errichtung neuer Kraftwerke oder dem Bau neuer Ha- zwischen London und Paris. Die EWG blockt die Begehr- samen Außen- und Sicherheitspolitik nur durch eine tiven (den Schwerpunkt bildet die britische Conservative fenanlagen beschäftigen. [...] Die Donau ist nämlich lichkeit des Vereinigten Königreichs ab. Erst 1973 wird es Vollmitgliedschaft möglich ist. Party, die nicht Mitglied der EVP werden wollte, aber in nicht nur eine der Lebensadern unseres Kontinents, daher zum Beitritt kommen, der nur zwei Jahre später be- Im Kabinett von Bundeskanzler Klaus ist auch Alois der EDU vertreten ist), mit 44 die Kommunisten und mit sondern auch ein einigendes Band für viele Völker Eu- reits wieder infrage gestellt werden soll – diesmal von der Mock als Kabinettschef vertreten. Er beginnt dort, nach- 40 die Liberalen. 410 direkt gewählte Abgeordnete tre- ropas. Daher wäre es nur logisch, wenn sich alle diese Labour Party. Die Volksabstimmung am 5. Juni 1975 endet dem er zuvor schon kurz bei der OECD in Paris tätig ten am 17. Juli zur ersten Sitzung in Straßburg zusammen. Völker dazu aufrafften, quer durch den Kontinent eine allerdings mit einem proeuropäischen Votum. war, seine politische Laufbahn. Wendelin Ettmayer, bei Seither gibt es alle fünf Jahre Wahlen zum Europäischen echte Friedenszone zu schaffen.“ Staatssekretär Heinrich Neisser tätig, wird sein Bürolei- Parlament. Seit 1999 ist nicht mehr die sozialdemokrati- ter im ÖAAB und verfolgt als Nationalratsabgeordneter sche Fraktion, sondern die EVP die Nummer eins. Daher soll ein Gesprächsforum gegründet werden, an und Botschafter seine politischen Aktivitäten. Für ihn In Westeuropa kommt es der Reihe nach in drei dem sich neben Niederösterreich, Bayern, Oberöster- 1965 ist Mock „ein Politiker, der nicht nur Ideale hatte, sondern der südlichen Länder zum Ende der Diktaturen und zur reich und Wien die an der Donau liegenden Regionen auch an diese glaubte und sie mit aller Konsequenz verfolg- Etablierung eines parlamentarischen demokratischen der Tschechoslowakei, Ungarns, Jugoslawiens, Rumäni- Josef Klaus: Vergesst den te“. Das betraf die Auseinandersetzung mit neuen ge- Systems. Die Folge ist, dass 1981 Griechenland EG-Mit- ens, Bulgariens und der Sowjetunion beteiligen sollten. sellschaftlichen und sozialen Entwicklungen ebenso wie glied wird. Fünf Jahre später folgen noch Spanien und Noch im Sommer 1982 wurden erste Sondierungs- östlichen Flügel Europas nicht! sein Engagement im Balkankonflikt und vor allem in der Portugal. Damit ist die sogenannte Süderweiterung der gespräche begonnen, um die Vertreter der an der Donau Europapolitik, wo es ihm gelang, jene Kreise, auch in der EG abgeschlossen. gelegenen Länder und Regionen östlich von Österreich 1964 kommt es an der Spitze der österreichischen Regie- Hochbürokratie, die der Neutralität fast bedingungslos 1983 erhält die EG gewissermaßen auch ein Logo. in geeigneter Weise ansprechen zu können. Noch aber rung zu einer Wachablöse. Mit Josef Klaus wird ein Re- anhingen, davon zu überzeugen, dass ein Beitritt zur EG Genau genommen wird dieses vom Europarat übernom- ist der kommunistische Ostblock nicht willens, über die formpolitiker Bundeskanzler. Auch bei der Europapolitik sehr wohl möglich ist. men. Es handelt sich dabei um jene Flagge, die 1955 für Grenzen zu springen. setzt Klaus neue Initiativen und will es nicht beim Status den Europarat geschaffen und 1983 vom EU-Parlament Erst am 6. November 1989 ist es so weit: Die ARGE quo belassen. übernommen wurde. Die zwölf Sterne haben nichts mit Donauländer wird formell gegründet. Sie umfasst mitt- Die Präsidentin der Parlamentarischen Versamm- der damaligen Zahl der Mitgliedsländer der EG zu tun, lerweile 41 Regionen aus dem Donauraum Europas. lung des Europarats, Liliane Maury Pasquier, würdigt 1972 sondern stehen für die Werte Einheit, Solidarität und Har- anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Europarats die monie zwischen den Völkern Europas. Rolle Österreichs, gerade auch in der Zeit der Teilung Aus der EWG Europas. Wien habe stets eine vermittelnde Funktion im wird die EG 1984 Europarat eingenommen. Seit 1956 Mitglied, habe die Re- publik fortwährend am Ausbau des Europarats gearbei- Österreich will Karas, Hahn und Leitl initiieren tet, besonders in Richtung Osteuropa. Pasquier zitierte Mit der Wahl von Georges Pompidou zum französischen Diskussion über EG-Beitritt dabei Josef Klaus, der 1965 in einer Rede vor dem Europa- Staatspräsidenten endet die Zeit des Stillstands in der EG. grenzüberschreitende­ rat festhielt: „Europa endet nicht an den östlichen Grenzen Diese firmiert seit 1967, nachdem die drei Institutionen Kooperation der Donauländer meines Landes“, das europäische Projekt sei ohne die Ein- EGKS, also Montanunion, EWG und EURATOM zusam- Für die österreichischen Politiker war immer klar, dass die beziehung osteuropäischer Staaten unvollständig. Klaus mengeführt wurden, unter dem Namen Europäische Ge- vier Signatarmächte des Staatsvertrages, insbesondere hatte dabei, was die tatsächlichen Möglichkeiten des Eu- meinschaften, kurz EG genannt. Österreich gibt sich mit dem Status quo, Grenzland und die UdSSR, bei einer Veränderung der außenpolitischen roparats betraf, eine sehr realistische Einschätzung: Der europäische Integrationszug nimmt Anfang der vor allem Endstation des freien Westeuropas zu sein, Position ein gewaltiges Wort mitzureden haben. Aber so 1970er-Jahre weiter Fahrt auf. Jetzt geht es um die soge- nicht zufrieden. Bereits 1982 wird der Versuch unter- wie man es entgegen dem politischen Zeitgeist in der „Der Europarat stand bei den Regierungen im Westen nannte Westerweiterung. Am 22. Jänner 1972 werden die nommen, eine Zusammenarbeit aller Länder entlang ersten Hälfte der 1950er-Jahre geschafft hatte, mit den nie hoch im Kurs und fand bei den Oststaaten eisige Verträge über den Beitritt Großbritanniens, Dänemarks, der 2.400 Kilometer langen Donau zu initiieren. Es ist Sowjets ihren Abzug aus Österreich auszuverhandeln Ablehnung. Und doch erwies er sich als Stätte der Be- Irlands und Norwegens zur EWG unterzeichnet. Der of- der Landeshauptmann von Niederösterreich Siegfried und damit die volle Souveränität des Landes von frem- gegnung und der Diskussion neuer Initiativen.“ fizielle Beitritt erfolgt am 1. Jänner 1973, allerdings ohne Ludwig, der am 1. Juni 1982 in Anlehnung an die schon den Mächten zu erreichen, so war man auch überzeugt, Norwegen, da dessen Bevölkerung sich in einer Volksab- bestehende Alpen-Adria-Region die Gründung einer Do- mit den Russen letztlich zu einem Agreement betreffend Eine dieser neuen Initiativen betraf eine aktive Ostpolitik, stimmung, wenn auch nur knapp, dagegen entscheidet. nauregion angeregt: eine intensive Beziehung mit der EWG zu kommen. Die die die Rolle des neutralen Österreichs als Brücke zwischen Am 22. Juli 1972 wird zudem ein Freihandelsabkom- Angsthasen saßen in den westlichen Staatskanzleien und Ost und West verstärken und ausbauen helfen sollte. men zwischen der EWG und der EFTA abgeschlossen. Pompidou machte deutlich, dass die Westmächte „den

52 53 russischen Bären nicht reizen“ wollten – jedenfalls nicht, gik überschattete gemeinsame Geschichte allzu jäh auch schon Unterstützung, es gibt aber auch Stimmen Nach 17 Jahren kehrt damit die ÖVP zurück an den wenn es bloß darum geht, dass Österreich stärker in die abgebrochen und weil die Wiederanknüpfung freund- wie jene des Doyen unter den Außenpolitikern Ludwig Ballhausplatz und wird ein neues Kapitel in der Geschich- EWG miteinbezogen wird. schaftlicher Beziehungen durch die Spaltung Europas Steiner, die auf die Problematik mit der Neutralität ver- te Österreichs aufgeschlagen. Die SPÖ-ÖVP-Koalition Unabhängig davon beginnt in der ÖVP die Dis- besonders schwer gemacht worden ist. Auf den Abbau weisen und eine Konfrontation mit Moskau vermeiden stellt innerhalb einer Legislaturperiode die Weichen für kussion über eine aktive Teilnahme Österreichs am von Barrieren, die zwischenmenschliche, geistige, kul- wollen. Parteiobmann Mock selbst ist bemüht, eine in- die Teilnahme am Integrationsprozess. europäischen Integrationsprozess. Bereits 1978 wird im turelle Begegnung behindern [...], muß Österreich mit nerparteiliche Diskussion zu vermeiden, lässt aber seine Bei den Regierungsverhandlungen herrscht Einig- Parlament ein Antrag bezüglich einer neuen Schwer- aller Kraft hinarbeiten.“ Sympathie durchblicken: keit darüber, dass die EG-Frage nicht ausgeklammert punktsetzung in der Außenpolitik eingebracht, wo unter werden darf, man geht aber mit Vorsicht ans Werk. Von anderem wörtlich von „einem Ausbau der Mitarbeit in der Es sind die Jungen in der Volkspartei, die sich aus der „Aus vielen Gesprächen in der Partei, mit führenden einem EG-Beitritt ist noch nicht direkt die Rede. Man europäischen Integration“ die Rede ist. Deckung wagen. Im September 1984 verlangt der Ob- Funktionären, mit Abgeordneten wusste ich, dass es in sucht einen „global approach“, das heißt die Teilnahme 1984 arbeitet die ÖVP an einem Zukunftsmanifest. mann der JVP, , endlich: der ÖVP zwar eine positive Grundhaltung zur EG gab, Österreichs am geplanten EG-Binnenmarkt, denn, „eine Das Kapitel Europa darf nicht fehlen, es sind drei Absät- aber doch die Skepsis überwog, dass man so etwas der Hauptbarrieren der österreichischen Wirtschaft ist die ze, in denen darauf Bezug genommen wird. Dabei fin- „neue Formen der EG-Mitgliedschaft zu suchen“, mehr jetzt realistischerweise noch nicht verlangen könne. Enge des Binnenmarkts“. In der Regierungserklärung vom den sich wieder zwei wichtige Motive: Einerseits sucht noch: „langfristig darf ein EG-Beitritt Österreichs nicht Die Nähe der EG zum westlichen Verteidigungsbünd- 28. Jänner 1987 heißt es dazu aber noch zurückhaltend: Österreich seinen besonderen Platz in Mitteleuropa, an mehr ausgeschlossen sein.“ nis NATO, die über gemeinsame wirtschaftliche Anlie- der Demarkationslinie zwischen Ost und West, als ein gen längst hinausgehende politische Zielsetzung der „Durch konsequente Integrationsbemühungen sicher- Land, das unzweifelhaft prowestlich orientiert ist, aber Karas wird zum Bannerträger der Bewegung, die Dyna- EG-Politik schien vielen mit unserer Position als neut- zustellen, dass österreichische Unternehmen an der auch als akzeptierter Nachbar und Gesprächspartner im mik in den innerösterreichischen Diskussionsprozess rales Land nicht vereinbar. Dynamik des großen europäischen Marktes und der kommunistischen Osten gilt. Andererseits versucht sich bringt. Mitstreiter findet er beim Obmann der Wiener Mich hat aber auch diese Hartnäckigkeit von Karas Technologie der EG teilnehmen können“. Österreich Schritt für Schritt, der EG zu nähern, wenn- Jungen ÖVP und bei Christoph Leitl, dem sehr beeindruckt, weil man in der Politik ohnedies oft gleich zu dieser Zeit noch klar ist, dass es eine lange Zeit Vorsitzenden der Jungen Industrie. geneigt ist, um des lieben Friedens willen einem Kon- Im Lager der beiden Koalitionsparteien beginnt ein mehr als geschickter Überredungskunst bedürfen wird, Hahn, auch internationaler Sekretär der JVP, ist vor al- flikt auszuweichen und anstatt ein Anliegen durch- Öffnungsprozess: um der UdSSR das Njet auszureden. Im Originaltext liest lem von den Möglichkeiten des Bildungsaustausches inner- zukämpfen, es vorzeitig an den Nagel zu hängen. Ich Erstens ist es der ewige Kronprinz von Wirtschafts- sich das so: halb der EG-Staaten beeindruckt. Er wünscht sich, daran zu habe mich daher dafür ausgesprochen, die Jugend kammerpräsident Rudolf Sallinger, der Abgeordnete Ro- partizipieren, und veranstaltet sogenannte Euro-Hearings. doch gewähren zu lassen. Schließlich ist für sie ein bert Graf, der sehr offen meint, dass Österreich letztlich „Österreichs Geschichte ist immer europäische Ge- Vor allem Persönlichkeiten wie Fritz Bock, und Europa mit neuen Bildungs- und Arbeitsplatzchancen einen Weg zur EG suchen muss, um nicht von diesem schichte gewesen. Mit ihren Höhen und Tiefen hat sie Lujo Toncic-Sorinj motivieren die Jungen bei ihrer Initiative. eine Hoffnung und ein Zukunftsziel.“ großen wirtschaftlichen Markt ausgeschlossen zu sein: an den Höhen und Tiefen dieses Kontinents teilgehabt. Anders als in manchen Teilen der Wirtschaft ist Allen übernationalen Einigungsbestrebungen, die man aufseiten der Industrie schon frühzeitig an einem „Die Mitgliedschaft wäre der Eintritt in eine schonungs- nicht seiner Neutralität widersprechen, weiß Öster- Schulterschluss mit der Europäischen Gemeinschaft lose Wirtschaftsgesellschaft, möglicherweise würden reich sich mit Hirn und Herz verbunden. Der Prozeß interessiert. Man hat sich auch das Gutachten eines 1986 zehn Prozent der Firmen hopsgehen. Ein Nichtbeitritt der europäischen Integration darf daher nicht an den Völkerrechtlers besorgt, das in der Neutralität kein Bei- kommt aber trotzdem nicht in Frage, denn dann wäre Grenzen der Europäischen Gemeinschaft enden; er trittshindernis sieht. Die Junge Industrie mit Christoph Im Wahlkampf ist Europa die österreichische Wirtschaft ohnedies kaputt.“ muß in der jeweils geeigneten Form alle im Europarat Leitl an der Spitze gehört zu den treibenden Kräften. vereinigten europäischen Demokratien umfassen. Es Bei der Bundestagung der Jungen Industrie im No- kaum ein Thema Zweitens ist es der SPÖ-Abgeordnete , steht außer Frage, daß es für Österreich lebenswichtig vember 1986 – anwesend ist unter anderem der frü- der entgegen der Partei- und Gewerkschaftslinie keine ist, innerhalb dieses europäischen Integrationsraumes here EG-Kommissionspräsident Gaston Thorn – fordert Ein Machtkampf in der FPÖ führt zum Ende der kleinen Berührungsängste mit der EG erkennen lässt: den ihm entsprechenden Platz zu finden. Die erforder- Leitl den Vollbeitritt Österreichs zur EG. Der Präsident Koalition. Nachdem Vizekanzler auf ei- lichen Initiativen müssen rasch erfolgen, z. B. durch der Industriellenvereinigung gibt ihm das Placet. Beim nem Parteitag von Jörg Haider gestürzt wird, beendet „Die österreichische Europapolitik darf sich nicht in Teilnahme österreichischer Unternehmungen an der ÖVP-Wirtschaftsbund, bei dem die Achse von Präsi- Bundeskanzler Franz Vranitzky die Koalition. Vorzeitige rituellen Bekenntnissen zu einem vielleicht noch in europäischen Industrieforschung, beim Umwelt- dent Rudolf Sallinger zu ÖGB-Präsident Anton Benya Nationalratswahlen werden für den 23. November an- ferner Zukunft liegenden Beitritt erschöpfen, sondern schutz, durch Öffnung der Grenzen, in der Verkehrs- eine Rolle spielt, steht man dagegen noch auf der gesetzt. Aus lauter Begeisterung, dass die Rückkehr der muss schon heute alle Möglichkeiten einer engeren Zu- politik, beim europäischen Binnenmarkt.“ Bremse und hält wenig von diesem Vorstoß der jungen Großen Koalition bevorstehen könnte, vergisst die ÖVP, sammenarbeit mit den Gemeinschaften aufspüren.“ Generation bei der großen Oppositionspartei. Leitl den notwendigen Kurswechsel in den Vordergrund der Zudem gibt es eine deutliche Adresse an die Staaten hin- muss dafür auch so manche Kritik von Wirtschaftskam- Wahlwerbung zu stellen. Auch das Thema einer Teilnah- Auf Oppositionsseite sind es Haider und die FPÖ, die zu ter dem Eisernen Vorhang: merseite einstecken. me am europäischen Integrationsprozess wird nur vor- diesem Zeitpunkt die Regierung sogar drängen, mehr Während man in der SPÖ gegenüber einem EG-Bei- sichtig angesprochen. Die Volkspartei muss sich weiter Tempo zu machen, um den Anschluss an die EG nicht zu „Österreich ist ein Bestandteil der westlichen Welt. Als tritt noch vorwiegend negativ eingestellt ist – es gibt mit dem zweiten Platz hinter der SPÖ begnügen. Kurzzei- verlieren. Die Grünen dagegen stehen – etwa Johannes immerwährend neutraler, demokratischer, sozialer keine der JVP vergleichbare Pro-EG-Bewegung, und tig überlegt der ÖVP-Obmann auch, mit der FPÖ in Koali- Voggenhuber, der später zu einem überzeugten EU-Par- Rechtsstaat sind wir vielen Staaten Ost- und Mittel- man ist vor allem in Hinblick auf den Arbeitsmarkt in Sor- tionsverhandlungen einzutreten, findet aber dafür keine lamentarier wird – nicht nur auf der Bremse, sie sind europas Vorbild und Hoffnung. Österreich fühlt sich ge vor offenen Grenzen und einem freien Wettbewerb Mehrheit im Parteivorstand. Am 21. Jänner 1987 wird die schlichtweg gegen einen Beitritt. heute den Völkern Mittel- und Osteuropas doppelt –, sind die Meinungen in der ÖVP geteilt. An sich findet neue Regierung mit Vranitzky als Bundes- und Mock als Kaum im Amt lässt Mock erkennen, wie wichtig für nah, weil eine jahrhundertelange, oft genug von Tra- das Anpeilen einer Mitgliedschaft viel Verständnis und Vizekanzler sowie Außenminister angelobt. ihn gerade in der Europapolitik ein neuer Kurs ist. Er wird

54 55 zum Träger und Motor des Europazuges. Bereits in der „Wichtig ist es in einem Binnenmarkt, dass die natio- lich ist zu diesem Zeitpunkt noch damit beschäftigt, die In Österreich setzt die ÖVP auf das Ticket Europa. Auf zweiten Ministerratssitzung am 3. Februar kommt es zur nale Sozialpartnerschaft durch eine gesamteuropäi- Partei zu überzeugen. Uneinigkeit besteht vor allem da- Initiative des Vorarlberger Landeshauptmannes Martin Einsetzung einer Arbeitsgruppe für Europäische Integra- sche ergänzt wird.“ rin, ob man nur am Binnenmarkt teilnehmen oder den Purtscher wird im Mai ein Europamanifest beschlossen: tion unter der Leitung von Manfred Scheich. vollen Beitritt ansteuern will. Es sind gewissermaßen Der Zug nach Brüssel gewinnt eine Art Eigendynamik. zwei Geschwindigkeiten, mit denen die Regierungspar- „Europa ist eine kulturelle, geschichtliche, wirtschaft- So werden im März 1987 zwischen Österreich und der teien unterwegs sind. Es geht aber trotzdem Schritt für liche Größe, ist Ausdruck einer Lebensform. [...] Ös- EG-Kommission sogenannte High Level Talks vereinbart. Schritt weiter. terreich wird sich in der Zukunft als Nation, als Kul- Die Rolle der Das heißt, parallel zur Experten- und Beamtenebene gibt turraum, als Volkswirtschaft, als Gemeinschaft der es auch Gespräche zwischen Spitzenpolitikern. Der hohe „Immer vor Ministerratssitzungen hat es“, so Mock, Österreicher durch Mitgestaltung in der Europäi- Sozialpartner und Stellenwert einer Aufnahme in den Klub der EG-Mitglie- „Vieraugengespräche zwischen mir und dem Bundes- schen Gemeinschaft besser verwirklichen können. der ist damit von beiden Seiten dokumentiert. kanzler gegeben. Im März berichtete ich ihm über mei- Das gemeinsame Europa bedeutet mehr Freiheit und der Landeshauptleute Innerösterreichisch kommt beim Meinungs- und ne Informationen aus der EG zu den bisherigen Ver- mehr Chancen für seine Bürger. Auch wenn wir sehen, Willensbildungsprozess auch der Landeshauptleutekon- handlungen, die sich auch mit dem deckten, was ihm dass der Integrationsprozess manchmal nur mühsam An dieser Arbeitsgruppe für Europäische Integration ferenz eine besondere Rolle zu. An sich spielen die Bun- bekannt war. Der Schluss, den wir daraus zogen, war voranschreitet, wollen wir nicht Zuschauer bleiben, nehmen alle Bundesministerien mit Ausnahme des Ver- desstaatlichkeit und damit das Prinzip des Föderalismus eindeutig und rasch gefasst: Wir einigen uns darauf, sondern am Ausbau des europäischen Freiheitsrau- teidigungsministeriums teil. Darüber hinaus sind die Ver- eine tragende Rolle bei der Entscheidungsfindung. Die dass ab jetzt das Ziel Beitritt zur EG und nicht nur zum mes mitwirken. bindungsstelle der Bundesländer, die Österreichische Landeshauptleute sind sich ihrer starken Position auch EG-Binnenmarkt heißt.“ Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemein- Nationalbank und die Sozialpartner eingebunden. gegenüber der Bundesregierung durchaus bewusst. Dazu schaft kann seine traditionelle Rolle im Donauraum Wie sehr an einem gemeinsamen Strang gezogen kommt, dass vor allem die westlichen Bundesländer einen Der Zeitpunkt, also März 1988, zeigt freilich, dass die Ent- langfristig sichern. [...] Das Werk der europäischen In- wird, zeigt nicht nur die Einbindung der Sozialpartner durch stärkeren Zug in puncto Zusammenarbeit mit der EG ent- scheidung noch unabhängig von den Entwicklungen in tegration ist ein Friedenswerk: Staaten, die über Jahr- die Regierung, sondern auch deren Agieren. Um für Öster- wickeln als die östlichen. Es war daher zweifellos ein guter Russland getroffen worden ist. Man legt vielmehr Wert hunderte immer wieder in europäische Bruderkriege reich zu werben, reisen die vier Präsidenten der in der So- Schachzug, dass die ÖVP den Vorarlberger Landeshaupt- auf die Feststellung, dass zu der Entscheidung, aufs Ganze verstrickt waren, sind heute im Frieden vereint. [...] Sein zialpartnerschaft vertretenen Interessenvertretungen nach mann Martin Purtscher zu ihrem Europasprecher nomi- zu gehen, „fälschlicherweise behauptet wird, dies hänge mit [Anm.: Österreichs] Beitrag zu diesem Friedenswerk ist Brüssel zu Jacques Delors, der völlig überrascht ist, dass nierte. Er fand den richtigen Ton im Umgang mit seinen der Glasnostbewegung von Michail Gorbatschow zusam- seine immerwährende Neutralität. [...] Vertreter der Arbeitnehmer und Unternehmer gemeinsam Kollegen, auch mit jenen drei von der SPÖ, vor allem mit men. Dies ist absolut nicht der Fall“, so Mock. Weiter sagt er: Die Österreichische Volkspartei hat sich zum Ziel ge- auftreten und gemeinsam für ein und dasselbe Anliegen Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, der damals bereits weit- setzt, Österreich in das Europa der Zukunft zu führen. kämpfen. Einer der vier, ÖGB-Vize Fritz Verzetnitsch: aus offener gegenüber Europa als die SPÖ war. „Als Vranitzky und ich die Entscheidung für die EG-Mit- [...] Die Österreichische Volkspartei fordert deshalb die Am 13. November 1987 kommt es daher zu einem gliedschaft trafen, dachte noch niemand an die revo- Bundesregierung auf, bereits im nächsten Jahr den „Ich bin überzeugt davon, dass dieser Besuch sowohl einstimmigen Beschluss der Landeshauptmännerkonfe- lutionären Entwicklungen, die in den nächsten Mona- Antrag auf Mitgliedschaft an die Europäische Gemein- in Österreich als auch bei den damaligen EU-Mitglied- renz. Die Bundesregierung wird ersucht, ten im Ostblock folgen sollten. Uns war aber klar, dass schaft zu richten. staaten die Stimmung für einen Beitritt maßgeblich man durch eine entsprechende Festigkeit in den Ver- 1989 muss Österreich den historischen Schritt setzen, beeinflusst hat. Die volle Einbindung der Sozialpartner „die Teilnahme Österreichs am gemeinsamen Markt handlungen, durch entsprechende Interpretationen der unserem Land die europäische Dimension und in die Beitrittsverhandlungen sowohl in Österreich als mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft Österreichs in der letztlich auch die Regierung der UdSSR dazu bringen eine neue Basis für unsere Zukunft eröffnet.“ auch in Brüssel hat wesentlich zu einer positiven Hal- EG so rasch wie möglich anzustreben“. werde, keinen Einspruch gegen jenen Weg zu erheben, tung gegenüber einem möglichen Beitritt geführt.“ (1) für den sich das souveräne Österreich nun einmal ent- Noch vor der Sommerpause ist der Bericht der Arbeits- schieden hat. Schließlich könnte ja ein Neutraler in der gruppe für Europäische Integration fertig. An der Die Reise war also gewissermaßen eine Art Visitenkarte, EG auch ein gewisses Signal darstellen“. 600 Seiten starken Expertise haben 600 Experten aus die man abgab, hat doch die Sozialpartnerschaft in Euro- 1988 den Ministerien, den Interessenvertretungen und den pa durchaus Modellcharakter, da es in keinem europäi- Das ist freilich nicht mehr nötig. Michail Gorbatschow, Ländern gearbeitet. Die Fakten, was der gemeinsame schen Land diese Form der institutionalisierten Zusam- Startschuss beim 1985 als neuer Generalsekretär der KPdSU an die Macht Markt der EG-Staaten mit seinen 320 Millionen Einwoh- menarbeit von Wirtschaft, Industrie, Landwirtschaft und Dreikönigstreffen gekommen, beginnt sukzessive, die Sowjetunion zu re- nern bedeutet, sind eindeutig: Arbeitnehmern gibt. Bereits 1987 stellen die Sozialpart- formieren. Durch Glasnost (Offenheit) will er eine offene Österreich liegt im Herzen dieses Europas. Ein ner in ihrem Bericht an die Bundesregierung durchaus Diskussion über die krisenhafte Entwicklung der sow- großer Teil des Nord-Süd-Transitverkehrs läuft durch selbstbewusst fest: Waren es 1984 die Jungen in der ÖVP, die erstmals offen jetischen Wirtschaft auslösen und so eine Zustimmung Österreich. 42 Millionen Tonnen Güter überqueren die einen Beitritt zur EG als das große Ziel Österreichs pro- für die 1987 eingeführte Reformpolitik der Perestroika Grenzen Österreichs in einem Jahr auf dem Straßenweg, „Die wesentliche Funktion der Sozialpartner bei der pagierten, so sind es 1988 die Landeshauptleute bezie- (Umgestaltung) erreichen. Entscheidend ist dabei auch zehn Millionen per Bahn. Die vorerst nur wirtschaftspo- Lösung wirtschafts- und sozialpolitischer Probleme hungsweise Landesparteiobmänner der ÖVP, die vorpre- das Jahr 1988. Gorbatschow hebt die im November 1968 litische Aufbruchsstimmung im Ostblock lässt auch eine im Konsenswege hat insgesamt durch die Erhaltung schen. Beim sogenannten Dreikönigstreffen der ÖVP im beschlossene Breschnew-Doktrin („Die Souveränität der rapide Zunahme des West-Ost-Transits über die Alpen- des sozialen Friedens der österreichischen Wirtschaft Jänner ist Schluss mit dem Sondieren. Gemeinsam mit einzelnen Staaten findet ihre Grenze an den Interessen der republik erwarten. einen echten Wettbewerbsvorteil verschafft.“ der Parteispitze wird das Stellen eines Antrags auf Beitritt sozialistischen Gemeinschaft“), mit der die Niederschla- zur EG erklärtes Ziel. gung des Prager Frühlings gerechtfertigt wurde, auf. Das Die volle Teilnahme Österreichs an der Substanz Und sie verbinden diesen stolzen Blick zurück mit einer Der Vizekanzler und Außenminister geht damit ge- ist für die Ungarn übrigens eine Art Freibrief, Gespräche des Binnenmarktes wirft keine unüberwindlichen Pro- sehr realen Zukunftshoffnung: stärkt in die Gespräche mit dem Bundeskanzler. Der frei- mit der Opposition zu beginnen. bleme auf.

56 57 Der Ministerrat genehmigt am 5. Juli 1988 den Bericht ger durch die Lande zieht, um für die ökosoziale Markt- Schließlich kommt es auch zu einem Bericht an hinweg auf Entspannung, Vertrauensbildung und Zu- der Arbeitsgruppe für Europäische Integration. Bundes- wirtschaft, noch mehr aber um Verständnis für einen die Bundesregierung. Dieser beurteilt die Fragen, die sammenarbeit hinzuwirken und auf diese Weise auch kanzler Vranitzky und Außenminister Mock vereinbaren, EG-Beitritt unter den Bauern zu werben. Der ÖGB be- sich bei einem EG-Beitritt stellen würden, durchwegs zur Stabilität in Europa beizutragen. Die Aufrechter- dass sich die Regierung nicht mehr durch Zwischenru- tont in einem Memorandum am 6. Dezember 1988: „Es als lösbar. Das Hauptaugenmerk gilt jedenfalls der haltung der Neutralität liegt somit nicht nur im eige- fe beirren lässt und auf EG-Kurs geht. Die Kardinalfrage ist unerlässlich, dass Österreich an der Dynamik, die dieser Neutralität. Und hier kommen die Experten zunächst nen, sondern [...] im gesamteuropäischen Interesse.“ lautet zu diesem Zeitpunkt: Wie steht die Staatsvertrags- Prozess auslösen wird, teilhaben kann.“ Die Vereinigung zur Erkenntnis, dass das sogenannte Moskauer Memo- macht UdSSR zu einem EG-Beitritt Österreichs? österreichischer Industrieller will, dass der Brief mit dem randum vom 15. April 1955 bloß eine Verwendungs- Im Herbst reisen Bundeskanzler Vranitzky sowie Beitrittsansuchen so schnell wie möglich abgesandt zusage der damaligen Regierungsdelegation darstellt, Vizekanzler und Außenminister Mock unabhängig von- wird und die Bundeswirtschaftskammer ist präzise „für der „jedoch nicht die Stellung eines Vertrages“ zukommt. Der Brief einander nach Moskau, um sich einen persönlichen Ein- einen Beitrittsantrag Mitte 1989“. Daher wird geschlussfolgert: „Das Moskauer Memoran- an Brüssel druck zu verschaffen. Beide kommen mit einer ziemlich Am 12. Dezember beschließt daraufhin der Minis- dum hat die österreichische Neutralität rechtlich nicht be- identen Einschätzung zurück. terrat das weitere Vorgehen in der EG-Frage. Bis Anfang gründet.“ Und wie verhält es sich mit der Mitwirkung In der Kremlbürokratie sind noch einige der alten April sollen die Entscheidungsgrundlagen noch vervoll- Österreichs an EG-Maßnahmen, etwa der Wirtschafts- Mitten in die Verhandlungen zwischen den Regierungs- Hardliner vertreten, für die die Neutralität ein Beitritts- ständigt werden, damit das Parlament mit dieser Frage politik, in Krisenfällen? – „Für einen dauernd neutralen parteien platzt eine Personalrochade bei der ÖVP. Schon hindernis darstellt. So äußert im Mai 1988 noch vor den befasst werden kann und die weiteren Schritte gesetzt Staat gibt es keine allgemeinen Pflichten zu wirtschaftli- seit Längerem läuft intern eine Diskussion, Alois Mock Sondierungsgesprächen der österreichischen Regie- werden können. Vervollständigen heißt, der Bundes- cher Neutralität“, aber „es besteht Übereinstimmung dar- nach bald zehnjähriger Obmannschaft und einer sich ab- rungsspitze in Moskau der Sprecher des sowjetischen kanzler möchte zum Expertenbericht noch eine ganze über, dass ein dauernd neutraler Staat keine dem Haager zeichnenden Krankheit abzulösen. Niederlagen bei drei Außenministeriums Gennadi Gerassimow Bedenken Reihe von Zusatzstudien, zum Beispiel, welche budgetä- Übereinkommen widersprechenden Bindungen eingehen Landtagswahlen geben dazu den letzten Anstoß. Mock betreffend der Vereinbarkeit der Neutralität mit einem ren Auswirkungen ein EG-Beitritt bei einem Wirtschafts- darf, die es ihm im Neutralitätsfall unmöglich machen selbst erklärt am 16. April 1989 seine Bereitschaft zum EG-Beitritt. Vranitzky hingegen macht klar, dass die Ver- wachstum von x oder y Prozent haben würde. Im Außen- würden, seine Neutralitätspflichten zu erfüllen.“ Zu die- Rücktritt, besteht aber darauf, Außenminister zu bleiben. pflichtung zur Neutralität nicht im Staatsvertrag steht. ministerium sehen die befassten Beamten in diesem sen Pflichten zählt unter anderem, sich an keinem Josef Riegler wird sein Nachfolger als Vizekanzler. Tatsächlich ist im Kreml eine Sprachregelung erst Begehren eine „Verzögerungstaktik“. Krieg zwischen dritten Staaten zu beteiligen, schon in Mock treibt unabhängig davon das Bewerbungs- im Gange. Und diese hängt auch damit zusammen, dass Friedenszeiten keinen militärischen Allianzen beizu- schreiben an die EG voran. Bereits einen Tag nach Mocks es im Laufe des Jahres 1988 zur offiziellen Aufhebung der treten und keine militärischen Stützpunkte auf seinem Erklärung, am 17. April, trifft der Ministerrat die Entschei- sogenannten Breschnew-Doktrin kommt. Damit kann Hoheitsgebiet zuzulassen. dung, dass die Bundesregierung die für einen EG-Bei- nun jeder Ostblockstaat über seinen politischen Weg 1989 Was die Europäische Politische Zusammenarbeit trittsantrag Österreichs erforderlichen Schritte in die selbst entscheiden und hat sich nicht mehr an das Dik- (EPZ) betrifft, so steht das offizielle Österreich auf dem Wege leiten will. Der Bericht wird dem National- und tat Moskaus zu halten. Polen und Ungarn leiten darauf- Ein Schicksalsjahr für Standpunkt, dass „eine Mitwirkung eines dauernd neut- dem Bundesrat zur Beschlussfassung zugeleitet, worauf hin sofort den Demokratisierungsprozess ein. Letztlich, ralen Staates in der EPZ neutralitätsrechtlich unbedenk- am 26. Juni offiziell beschlossen wird, Verhandlungen wenngleich nicht direkt vergleichbar, ist damit auch für Österreich und Europa lich“ sei. Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass bisher über einen EG-Beitritt aufzunehmen und einen Beitritts- Österreich eine neue Situation gegeben. das Ausmaß der Übereinstimmung der Außenpolitik antrag zu stellen. Bei Gorbatschow, Außenminister Eduard Scheward- In Brüssel gibt es nicht unerhebliche Bemühungen, den der einzelnen EG-Mitglieder „oft nicht sehr hoch gewe- Der 26. Juni 1989 ist einer von drei hintereinander- nadse und schließlich auch Ministerpräsident Nikolai EFTA-Staaten, vor allem jenen wie Österreich, die dekla- sen sei“. Zum Beispiel haben bei der Generalversamm- liegenden historischen Tagen, die nicht nur für Öster- Ryschkow merkt man, dass eine neue Zeit angebrochen riert zur EG wollen, eine Zusammenarbeit statt einem lung der Vereinten Nationen 1988 die EG-Mitglieder reich von großer Bedeutung sind. ist. Sie erheben keinen Einwand gegen einen EG-Beitritt Vollbeitritt schmackhaft zu machen. EG-Kommissions- nur in weniger als der Hälfte der Fälle eine gemeinsa- Am 27. Juni wird nämlich vor den Augen der Welt- Österreichs. Man legt nur Wert darauf, dass sich Österreich präsident Jacques Delors lädt daher am 14. und 15. März me Haltung eingenommen. Zusammenfassend wird öffentlichkeit von den Außenministern Österreichs und an seine Verpflichtungen hält. Als einige Tage nach der 1989 zu einem umfassenden und offenen Dialog. Nach daher festgestellt, Ungarns, Alois Mock und Gyula Horn, der Eiserne Vor- Abreise Mocks aus Moskau, der Sprecher des Außenminis- diesem Treffen fühlt sich die österreichische Delegation hang an der Grenze zwischen Sopron und Klingenbach teriums in Moskau wiederum meint, die Neutralitätsver- in ihrem Kurs aber mehr als nur bestätigt: „Aufgrund des „dass eine EG-Mitgliedschaft unter dem Gesichts- durchschnitten. Es ist ein Foto, das um die Welt geht und pflichtung sei mit einem EG-Beitritt unvereinbar, wird die- geringen Konkretisierungsgrades der neuen Ideen für eine punkt der Aufrechterhaltung seiner dauernden Neut- vor allem den Menschen jenseits der Grenze Hoffnung ser sofort vom russischen Botschafter in Wien korrigiert. verstärkte EG-EFTA-Kooperation ist nicht abzusehen, ob ralität grundsätzlich möglich wäre, wenn [...] entspre- gibt, dass damit eine Bresche in eine Grenze geschlagen Die guten Nachrichten aus Moskau beflügeln die diese überhaupt zu einer Verwirklichung des Integrations- chende rechtliche Vorkehrungen bzw. Klarstellungen wurde, die seit über 40 Jahren Europa in zwei Teile trennt, Diskussion in Österreich. Die Landeshauptleutekon- zieles führen kann.“ Ja, dies sei sogar „unwahrscheinlich, zur Absicherung der österreichischen Neutralität ge- Menschen das Leben gekostet hatte, die vor einem dikta- ferenz bekräftigt am 25. November 1988 bereits zum als die dafür notwendige Umstrukturierung der EFTA nicht troffen werden“. torischen System in die Freiheit flüchten wollten. dritten Mal, dass „die Teilnahme Österreichs am gemein- von allen EFTA-Staaten mitgetragen werden könnte“. Da- Am 28. Juni schließlich hält der kommunistische samen Markt mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft in der EG her lautet die Schlussfolgerung: „Zur Verwirklichung ei- Die Neutralitätsfrage wird nicht nur defensiv, sondern jugoslawische Staatspräsident Slobodan Milošević jene so rasch wie möglich anzustreben“ sei. Obwohl gerade ner umfassenden und vollen Teilnahme am Binnenmarkt sehr offensiv gesehen, nämlich als ein wichtiger Beitrag Rede am Amselfeld im Kosovo, die zur Initialzündung die Landwirtschaft mit besonders vielen Anpassungs- sieht die Bundesregierung unter den gegebenen Umstän- zur europäischen Politik: für den Bruderkrieg am Balkan wird und kein Ruhmes- schwierigkeiten und Strukturproblemen zu kämpfen den die bessere Chance in der Antragstellung auf Mitglied- blatt für Europa und die EG darstellt. Die Welt ist in den haben wird, steht für die Präsidentenkonferenz der schaft in der EG.“ „Für Österreich ist die immerwährende Neutralität ein nächsten Monaten und Jahren so sehr mit dem Zerfall Landwirtschaftskammern fest, es gebe „mehr Chancen Es gibt nicht nur Ablenkungsmanöver, sondern spezifischer Beitrag unseres Landes zu Frieden und des Ostblocks, dem Ende des Warschauer Pakts, dem als Nachteile“. Es ist übrigens insbesondere Landwirt- auch ein Drängen von Staatschefs, wie etwa seitens des Sicherheit in Europa. Sie ermöglicht es Österreich in Entstehen neuer Demokratien anstelle der kommunis- schaftsminister Josef Riegler, der wie ein Wanderpredi- deutschen Kanzlers Helmut Kohl. besonderem Maße, über die bestehenden Grenzen tischen Volksdemokratien und der Wiedervereinigung

58 59 EU ALS GRÖSSTER HANDELSPARTNER IN DEN WESTBALKANSTAATEN (2018) 522 Mio. 500 € Noten 2 % Die Europäische Kommission und 256 Mio. 200 € Noten 1 % eine große Mehrheit der EU-Mit- 31,8 Mrd. € gliedstaaten befürworten die 2 804 Mio. Export zukünftige Mitgliedschaft der 12 % sechs Westbalkanstaaten Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Al- banien, Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo. Während Montene- gro bereits seit 2012 und Serbien seit 2014 als Beitrittskandidaten Verhandlungen mit der EU führen, haben Albanien und Nordmaze- 10 447 Mio. donien (im Gegensatz zu Bosnien 46 % und Herzegowina sowie Kosovo) bislang lediglich Kandidatensta- tus. Mit einem Handelsvolumen VERBREITUNG DER KURSIERENDEN von 54,4 Milliarden € stellt der BANKNOTEN IN DER EU (2018) Westbalkan nicht nur in Fragen der Sicherheit, sondern auch in Per 31. Dezember 2018 betrug der wirtschaftlicher Hinsicht einen zen- Wert des sich im Umlauf befind- tralen Partner der EU dar. An erster lichen Bargelds 1,26 Billionen €, Stelle rangiert hierbei Serbien mit davon 22,62 Milliarden Banknoten 24 Milliarden € Handelsvolumen, im Gesamtwert von 1,23 Billionen gefolgt von Nordmazedonien € und 130,72 Milliarden Münzen mit 11,9 Milliarden €, Bosnien und im Wert von 29 Milliarden €. Die Herzegowina (10,7 Milliarden €), Aufschlüsselung der sich im Umlauf Albanien (4,9 Milliarden €), Kosovo befindlichen Banknoten ergab, dass (1,5 Milliarden €) und Montenegro die am häufigsten kursierende Note (1,4 Milliarden €). Sowohl im Export der 50-€-Schein mit 46 % Anteil als auch im Import dominiert der am Gesamtumlauf der Banknoten Handel mit Industrieerzeugnissen. darstellte. An zweiter Stelle ran- gierte die 20-€-Note, die 18% aller kursierenden Banknoten darstellte. Gleichauf kursierten 100-€- und 10-€-Noten mit je 12 % Anteil, gefolgt von 5-€-Noten, die 9 % An- teil am Gesamtumlauf aufwiesen. Während nur 2 % der Banknoten 500-€-Scheine darstellten, befand sich die 200-€-Note mit nur 1 % am seltensten im Umlauf. Montenegro: 1,4 Milliarden € Milliarden 1,4 Montenegro: Serbien: Milliarden 24 € Milliarden € Mazedonien: 11,9 MilliardenAlbanien: 4,9 € Bosnien Milliarden u. Herzegowina: € 10,7 Milliarden 1,5 € Kosovo:

4 020 Mio. 20 € Noten 18 %

54,4 Mrd. € Gesamthandel

2 630 Mio. 10 € Noten 12 %

22,6 Mrd. € 1 936 Mio. Import 5 € Noten 9 %

60 61 Deutschlands beschäftigt, dass man die Probleme auf Gegensatz zur politischen Führung noch immer köchel- rungs- und Konsultationsrechte anbietet, jegliche Teil- Österreich hat daher seit dem Ende des Zweiten Welt- dem Gebiet von Jugoslawien verdrängt beziehungswei- te, und das wollte niemand. Eyskens konnte rechtzeitig nahme an der Entscheidungsfindung aber ablehnt. Die krieges von Anbeginn an den Bemühungen zur euro- se nicht wahrhaben will. Österreich ist einer der wenigen überzeugt und von seiner Idee abgebracht werden, und österreichischen Verhandler kommen daher zu einem päischen Zusammenarbeit und zur Integration der Staaten, die sich von Anbeginn für die Achtung des Völ- damit nahm das Beitrittsansuchen seinen Lauf. klaren Schluss: westeuropäischen Demokratien teilgenommen. Dies kerrechts, der Menschenrechte und dem Streben nach geschah bereits zu einem Zeitpunkt, als ein solches Be- Freiheit und Unabhängigkeit der Völker auf dem Gebiete „Die bisherigen Bemühungen haben gezeigt, dass kenntnis des vierfach besetzten Landes Mut und Ent- Jugoslawiens engagiert. der Oslo-Brüssel-Prozess einen österreichischen schlossenheit erforderte. Am 17. Juli 1989 überreicht Mock in Brüssel dem Vorverhandlungen EG-Beitritt nicht ersetzen kann. Österreich wird den Seit der Wiedererlangung seiner Freiheit nach dem damaligen Ratspräsidenten der EG, dem französischen mit Brüssel Oslo-Brüssel-Prozess jedoch auch weiterhin voll Zweiten Weltkrieg hat sich Österreich aufgrund seines Außenminister Roland Dumas, die Beitrittsanträge. Der unterstützen und entschieden für umfassende Lö- politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Brief selbst trägt das Datum 14. Juli. Es ist der französi- sungen eintreten. Österreich wird unabhängig da- Systems immer als integraler Teil der Familie der west- sche Nationalfeiertag, eine Referenz an die Franzosen, Bereits am 28. Juli, also elf Tage nachdem das Beitrittsan- von die Verwirklichung seines Beitrittsantrages mit europäischen Demokratien verstanden. die gerade die Ratspräsidentschaft innehaben. suchen in Brüssel übergeben worden ist, geben die zwölf allem Nachdruck verfolgen. Der positive Ausgang Auf dieser Grundlage hat Österreich mit seinem Antrag In dem Schreiben (das in dreifacher Ausfertigung, EG-Mitgliedstaaten ihre Zustimmung zur Einleitung aller von EWR-Verhandlungen böte jedoch die Chance, auf Mitgliedschaft in der EG unter Berufung auf Buch- nämlich an die EG, die EGKS und EURATOM gerichtet wird, notwendigen und vorgesehenen Prüfungsverfahren. Die einen sich am EG-Binnenmarkt orientierenden Eu- staben und Geist der Gemeinschaftsverträge seinen da es erst mit dem Vertrag von Maastricht zur Zusammen- Anträge Österreichs werden an die EG-Kommission wei- ropäischen Wirtschaftsraum mit Teilnahme von 18 politischen Anspruch geltend gemacht, gleichberech- führung dieser drei Institutionen kommt) heißt es: tergeleitet und diese wird mit der Ausarbeitung einer Stel- Staaten zu schaffen und dadurch zusätzliche Integ- tigtes Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Damit hat lungnahme, in der Fachsprache Avis genannt, beauftragt. rationseffekte zu erzielen.“ es der Bereitschaft Ausdruck gegeben, die Rechte und Herr Präsident! Am 19. Oktober kommt der Vizepräsident der Euro- Pflichten, die hieraus erwachsen, zu übernehmen.“ päischen Kommission Frans Andriessen nach Wien, um Im Namen der Republik Österreich habe ich die Ehre, mitzuteilen, dass die EG-Kommission drei Tage zuvor die Die Umwälzungen im Osten haben die österreichi- unter Bezugnahme auf Artikel 237 des Vertrages zur Einsetzung einer interdirektionalen Gruppe beschlossen 1990 schen Motive für den EG-Beitritt nicht verändert. – Im Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat. Unter der Leitung der Generaldirektion für die aus- Österreich macht Druck Gegenteil, man ist der Überzeugung, sich gerade von den Antrag auf Mitgliedschaft Österreichs in der Euro- wärtigen Beziehungen wird das Gutachten zu den öster- der gesicherten Plattform einer EG-Mitgliedschaft aus päischen Wirtschaftsgemeinschaft zu stellen. reichischen Beitrittsanträgen vorbereitet. In einer ersten den neuen Herausforderungen noch besser stellen zu Österreich geht bei der Stellung dieses Antrages von Factfindingphase werden die verschiedenen Sachgebie- Um nicht in der Warteschleife hängenzubleiben, können. Bedingt durch die traditionellen Bindungen, der Wahrung seines international anerkannten Status te einer Evaluierung unterzogen. schickt die Bundesregierung zu Jahresbeginn 1990, die von Wien nach Warschau, Krakau, Prag, Pressburg, der immerwährenden Neutralität, die auf dem Bun- Der schnelle Beginn macht in Österreich Hoffnung, im Februar, ein Memorandum an alle Mitgliedstaaten Budapest, Laibach und Agram bestehen, die ihre Wur- desverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 beruht, dass die Beitrittsverhandlungen rasch beginnen könn- und Spitzenorgane der EG, um dem österreichischen zeln in der Monarchie haben, die nie abgerissen sind sowie davon aus, daß es auch als Mitglied der Europäi- ten und ein Verhandlungsabschuss bereits 1993 denk- Beitrittsansuchen Nachdruck zu verleihen. Diese vom und auch in der Zeit des Ost-West-Konfliktes Tragfä- schen Gemeinschaften aufgrund des Beitrittsvertrages bar wäre. Das war eine verfrühte Hoffnung. Tatsächlich Außenministerium ausgearbeiteten Memoranden, die higkeit bewiesen haben, kommt Österreich erst recht in der Lage sein wird, die ihm aus seinem Status als im- sind die Mitgliedstaaten nicht nur mit Österreichs Bei- den Verhandlungsprozess begleiten, sind ein wichti- wieder eine Schlüsselfunktion im neuen Europa zu – merwährend neutraler Staat erfließenden rechtlichen trittsansuchen, sondern mit einer Vielzahl anderer Prob- ges Instrument der Meinungsbildung in den EG-Mit- eine Schlüsselfunktion, die man auch in der EG erkann- Verpflichtungen zu erfüllen und seine Neutralitätspoli- leme beschäftigt, so auch mit einer Reform der EG. Dazu gliedstaaten und werden sehr bewusst eingesetzt. Sie te. Das Memorandum Österreichs fand dementspre- tik als spezifischen Beitrag zur Aufrechterhaltung von kommt, dass man relativ viel Zeit in den sogenannten zeigen die österreichischen Positionen auf und stellen chend eine sehr positive Aufnahme. Frieden und Sicherheit in Europa fortzusetzen. Oslo-Brüssel-Prozess investiert, bei dem es um die zudem auch in wichtigen Fragen, etwa in der Außen- Genehmigen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und Sicherheitspolitik, ein Mittel zur Konsensbildung Im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rats a vorzüglichen Hochachtung. geht, das heißt um die Teilnahme am Binnenmarkt ohne zwischen Bundeskanzler Vranitzky und Außenminister 28. April, die in Dublin stattfindet, werden in allen Mitgliedschaft in der EWG. Dahinter steckt auch das In- Mock dar. Sie unterstreichen den erklärten Willen Ös- EG-Hauptstädten Demarchen durchgeführt, um sicher- Ihr Alois Mock teresse einiger EG-Mitgliedstaaten, durch Kooperatio- terreichs, EG-Vollmitglied zu werden. Sie deponieren zustellen, dass die österreichische Zielsetzung einer nen eine Erweiterung hintanzuhalten. den Standpunkt Österreichs zu wesentlichen Fragen, vollen Teilnahme am europäischen Integrationsprozess Für Aufregung hat unmittelbar bevor noch der belgische Zu diesem Zeitpunkt ist Österreich das einzige Land auch zu neuen Positionen, die die EG ergreift, und sie auch entsprechend bewusst gemacht wird. Die Reaktio- Außenminister Mark Eyskens gesorgt. In einem Interview der EFTA-Familie, das bereits ein Beitrittsansuchen nach stellen auch ein Mittel dar, um auf das Verhandlungs- nen spiegeln abermals die günstige Entwicklung der Bei- mit dem Brüsselkorrespondenten der „Presse“, Otmar La- Brüssel übermittelt hat. Österreich arbeitet aber voll und tempo zu drücken. Die Botschaften lassen an Deutlich- trittsbemühungen wider. hodynsky, lässt er mit der Idee aufhorchen, mit der So- konstruktiv an den Verhandlungen zur Realisierung eines keit nichts vermissen: Dies zeigt sich auch in den offiziellen Besuchskon­ wjetunion Verhandlungen für bessere Handelsbeziehun- Europäischen Wirtschaftsraumes mit, auch weil bereits „Österreich ist ein europäisches Kernland; sein von der takten der Fünfergruppe aus Bundeskanzler, Vizekanzler, gen aufzunehmen, um im Gegenzug eine Einwilligung zu diesem Zeitpunkt klar ist, dass dieser bei einer erfolg- Geschichte geprägtes Selbstverständnis ist untrennbar Außenminister, Wirtschaftsminister und Landwirtschafts- Moskaus zu einem Beitritt Österreichs zur EG zu erhalten. reichen Umsetzung einen teilweisen Vorgriff auf einen verbunden mit der Idee übernationaler europäischer minister: Es herrscht allerorten große Aufgeschlossen- Das lässt in Wien die Alarmglocken läuten, denn an sich EG-Beitritt bedeuten würde. Lösungen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das be- heit gegenüber Österreich. Besonderes Gewicht hat die hatten sowohl Vranitzky als auch Mock bei ihren Besu- Die Verhandlungen, die im Herbst 1989 laufen, sondere Engagement des österreichischen Volkes für brillante Verhandlungsführung von Wirtschaftsminister chen in Moskau 1988 das stille Placet von Gorbatschow zeigen aber auch die Schwächen auf, die eine alleinige die Idee und die Ideale der europäischen Integration, Schüssel namens der EFTA mit der EG. und Schewardnadse erreicht. Jetzt kam noch einmal das Angehörigkeit zum EWR mit sich bringt. Unterm Strich welche auch die Gründungsverträge der Europäischen Beim Europäischen Rat zeigt sich freilich auch, dass Thema Neutralität hoch, das bei der Kremlbürokratie im steht jedenfalls fest, dass die EG der EFTA nur Anhö- Gemeinschaften inspiriert haben. Abstriche bei den Terminvorstellungen vorgenommen

62 63 werden müssen. Mehrere Gesprächspartner gehen da- Länder erweitern, die über genügend Leistungskraft ver- von aus, formelle Beitrittsverhandlungen mit Österreich 1991 Grünes Licht fügen, um die Wirtschafts- und Währungsunion rasch nicht vor 1993 aufzunehmen. Allerdings besteht zuneh- Dämpfer durch das abgesagte aus Brüssel voranzubringen. Der Gemeinschaft werden ferner die mend Bereitschaft, die bis dahin zur Verfügung stehende Erfahrungen eines Landes zum Vorteil gereichen, das Zeit zur Behandlung von beitrittsrelevanten Themen so Expo-Projekt Wien–Budapest wie Österreich aufgrund seiner geographischen Lage, zu nutzen, dass eine möglichst rasche Abwicklung der In der Bundesregierung geht man rasch zur Tagesordnung seiner Vergangenheit, der ererbten und neu hinzuge- eigentlichen Verhandlungen sichergestellt wird. Für die politische Führung in Wien beginnt das Jahr mit über und konzentriert sich auf das, was in Brüssel vorgeht. wonnenen Verbindungen genau im Mittelpunkt des Ge- Innerhalb der EG rückt die Frage einer Vertiefung einem Dämpfer. Die für die Zeit von 14. bis 16. Mai 1991 Das Avisverfahren geht seinem Ende entgegen. schehens Iiegt, aus dem das neue Europa entsteht.“ vor einer Erweiterung in den Vordergrund. Die Verwirk- angesetzte Volksbefragung über die erstmalige Veran- Gleichzeitig erfolgt eine weitere Intensivierung der Kon- lichung einer Wirtschafts- und Währungsunion hat Vor- staltung einer grenzüberschreitenden Weltausstellung, takte auf politischer wie auf Beamtenebene und zum Nur auf drei Problembereiche wird noch explizit hinge- rang. Österreich muss warten. nämlich von Wien und Budapest, bringt ein negatives Europäischen Parlament. Die für Österreich zuständige wiesen, nämlich Neutralität, Transit und Landwirtschaft, Routinemäßig nach vier Jahren stehen in Öster- Votum für die Durchführung der Weltausstellung. Nur parlamentarische Kontaktgruppe stattet dem österrei- die einer Klärung bedürfen. Dafür wird besonders auf die reich am 7. Oktober Nationalratswahlen an. Im Wahl- 5,59 Prozent aller stimmberechtigten Österreicher neh- chischen Nationalrat einen Besuch ab. Schlüsselrolle Österreichs an der Nahtstelle zu den neuen kampf selbst spielen die EG-Verhandlungen kaum men daran teil. Mit Nein stimmen 64,85 Prozent, mit Ja Ergebnis dieser Beratungen ist eine vom Europäi- Demokratien hingewiesen. eine Rolle. Die ÖVP bekommt für ihren Einsatz in der nur 35,15 Prozent – und das, obwohl im Vorfeld 63 Pro- schen Parlament am 15. Mai 1991 verabschiedete Ent- Das Einschwenken der Regierung, jetzt konsequent Europapolitik auch keinen Dank der Wähler. Sie muss zent der Österreicher die Veranstaltung als sehr gut oder schließung. Danach soll den Weg nach Brüssel zu verfolgen, führt zu einem Kurs- vielmehr – im Gegensatz zur SPÖ – schwere Stimmen- gut bewertet und 58 Prozent schon vier Jahre vor dem wechsel bei der FPÖ. Deren Parteiobmann Jörg Haider verluste hinnehmen. Nutznießer ist die FPÖ, die unter Eröffnungstag den Besuch der Weltausstellung in Wien „die Gemeinschaft zur Wahrung und zur weiteren Stär- verlässt die Proeuropalinie seiner Partei, die bis in das Jörg Haider zur Mittelpartei aufsteigt. Die Zeiten, da als fix eingeplant haben. Trotz der niedrigen Wahlbetei- kung des politischen Zusammenhalts unter den Staaten Jahr 1957 zurückreicht. Er wird zum EU-Kritiker. Dabei die beiden Großparteien von den Stammwählern ge- ligung – Folge einer missglückten Informationsarbeit – Europas unverzüglich mit anderen europäischen Staa- spielt reines Machtkalkül eine Rolle. Nachdem nun SPÖ tragen wurden, sind vorbei. Die Wechselwähler wer- wird das Ergebnis respektiert und das Projekt abgesagt. ten Verhandlungen aufnehmen [...], die den Europäi- und ÖVP in der Europafrage wohl die Mehrheit der Wäh- den fortan zum bestimmenden Faktor bei den Wahlen. Die Initiative, die Brücke über die Landesgren- schen Gemeinschaften beitreten wollen, wenn sie die ler hinter sich sammeln werden, will er auf Stimmenfang Vier Jahren später, 1994, bekommt auch die SPÖ diese zen zu bauen, war bereits herangereift, als es für den erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Voraus- bei den europakritischen Wählern gehen. Entwicklung zu spüren. Fall des Eisernen Vorhangs noch keine Anzeichen gab, setzungen erfüllen und bereit sind, aktiv zur Verwirkli- Der Kurswechsel wird Mock freilich nicht davon abhal- Im Gegensatz zu den Wahlprogrammen wird man Ungarn aber um eine wirtschaftliche Öffnung bemüht chung der Ziele der politischen Union beizutragen“. ten, bezüglich einer Aussprache mit dem FPÖ-Parlaments- im am 17. Dezember 1991 vorgestellten Regierungspro- war. Budapest hatte die Initiative ergriffen und sein In- klub vorstellig zu werden, um der Partei aus erster Hand gramm in puncto EG deutlicher: teresse bekundet, um die Jahrtausendwende eine Welt- Bei der Parlamentsdebatte wird deutlich, dass unter den im Detail über die Verhandlungsfortschritte mit Brüssel zu ausstellung veranstalten zu wollen. Der seinerzeitige für einen Beitritt infrage kommenden Staaten nach An- berichten. Ähnliches beantragt er auch bei den Grünen, die „Vorrangige Aufgaben der Außenpolitik sind der Wiener Kulturstadtrat und engagierte Mitteleuropäer sicht der Abgeordneten des Europäischen Parlaments noch auf Neinkurs sind, nach der Volksabstimmung aber ehestmögliche Beitritt zur EG und die Mitarbeit an Jörg Mauthe war davon höchst angetan und griff die vi- Österreich an erster Stelle steht. auf einen Pro-EU-Kurs wechseln werden. Sowohl FPÖ wie einer gesamteuropäischen Friedensordnung. [...] Ein sionäre Idee auf, das Wiener Weltausstellungsabenteuer Am 1. Juli 1991 überreicht übrigens Schweden seine Grüne stimmen dem Dialog mit dem Außenminister zu. EG-Beitritt bedeutet den Eintritt in eine politische Wer- gemeinsam mit Budapest als „Tandemfahrt in eine frei- Anträge für einen EG-Beitritt. Es folgen noch Finnland am tegemeinschaft, die durch eine sich vertiefende Integ- ere Zukunft“ zu unternehmen. 18. März 1992 und Norwegen am 25. November 1992. ration gekennzeichnet ist. Das Projekt einer Politischen Zwei Jahre dauerte die Prüfung des österreichi- Union ist als positiver Beitrag zur Verwirklichung der Zur Vorgeschichte: Am 29. September 1987 kommt schen Beitrittsansuchens. Am 31. Juli kommt das Avis zu 1992 Einheit Europas zu sehen. Das neutrale Österreich wird es zu einer Regierungserklärung von Bundeskanzler den Beitrittsanträgen Österreichs. Die EG-Kommission Aus der EG wird die EU an einem zukünftigen europäischen Sicherheitssystem Franz Vranitzky und dem Vorsitzenden des ungarischen empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. innerhalb der Gemeinschaft und über diese hinaus so- Ministerrats, Károly Grósz, auf Durchführung der gemein- In den politischen Ausführungen des Avis hebt die lidarisch mitarbeiten. Die Bundesregierung begrüßt samen Weltausstellung 1995. Im Mai 1988 kommt es zur EG-Kommission die österreichische Integrationsbereit- Am 7. Februar wird vom Europäischen Rat der sogenann- die Bemühungen um eine demokratischere und wir- offiziellen Bewerbung der beiden Städte. Am 14. Dezem- schaft hervor. Österreich habe als einziger EFTA-Staat te Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Er stellte den bis kungsvollere Ausstattung der internen EG-Strukturen, ber erfolgt im Rahmen der Generalversammlung des in immer Integrationskurs gehalten. Die Geschichte der Be- dahin größten Schritt der europäischen Integration seit eine Wirtschafts- und Währungsunion und eine Vertie- Paris angesiedelten Weltausstellungsbüros die Vergabe ziehungen zwischen Österreich und der Gemeinschaft der Gründung der EWG dar. Dieses Vertragswerk tritt an fung der sozialen Dimension. Bis zu seinem EG-Beitritt der Weltausstellung 1995 an Wien und Budapest. Man in den letzten 30 Jahren zeige, dass die österreichische die Stelle der Römischen Verträge des Jahres 1957. Damit kommt Österreich den EFTA-Verpflichtungen bei den sieht darin einen zusätzlichen Motor für die neue Ent- Regierung immer wieder Integrationsinitiativen ergriffen geschaffen wird die Europäische Union (EU), die die EG, EWR-Verhandlungen und sonstigem Arbeitsvorhaben wicklung, die gerade in Europa stattfindet. Der Eiserne habe. Die 1989 mit der Überreichung der Beitrittsanträge die EGKS und EURATOM zusammenfasst. Beschlossen loyal nach“. Vorhang zwischen Österreich und Ungarn ist bereits seit getroffene Entscheidung, sich endgültig der europäischen werden bei dieser Gelegenheit auch die Stärkung der de- einem halben Jahr gefallen, jener zwischen Österreich Integration zuzuwenden und das Schicksal Österreichs mit mokratischen Elemente in der Gemeinschaft, eine Aus- und der Tschechoslowakei fällt gerade, was noch dazu einer Gemeinschaft zu verbinden, erfolgte zu einem Zeit- weitung der Rechte des Parlaments (so müssen sich zum führt, dass zu Beginn der Projektarbeiten auch die Idee punkt, zu dem der völlige Zusammenbruch der Systeme Beispiel neue Kommissare einem Hearing stellen) und die ventiliert wird, Bratislava miteinzubeziehen. in Mittel- und Osteuropa noch nicht vorherzusehen war. Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung. Eine misslungene Volksabstimmung macht die- Operationelles Kernstück der Bestimmungen über sem auch für Europa wegweisenden Projekt einen Strich „Der Beitritt Österreichs wäre für die Gemeinschaft glo- die erste Säule, die Wirtschafts- und Währungsunion durch die Rechnung. bal ein Gewinn, denn damit würde sich der Kreis jener (WWU), sind diese Rahmenbedingungen:

64 65 • Die Inflation des betroffenen Mitgliedstaats darf den EWR unterzeichnet. Dabei zeigt sich, dass die EFTA Schweizer Stimmbürger lehnt eine Teilnahme am EWR tung. Die Gemeinschaft hat damit ihre Handlungsfä- im Jahr vor der Prüfung um nicht mehr als 1,5 Pro- zwar „mitschwimmen“ darf, aber von Brüssel keinen Son- ab. Das Referendum in Liechtenstein bringt dagegen higkeit unter Beweis gestellt. zentpunkte über der durchschnittlichen Rate der derstatus erhält. Für Österreich hat daher der Beitritt zur nur eine Woche später eine Zustimmung der Bevölke- Für uns wohl am wichtigsten: Die Staats- und Re- drei Mitgliedstaaten liegen, die die niedrigsten EU unverändert Priorität. rung zum EWR. gierungschefs haben in Edinburgh beschlossen, An- Preissteigerungen aufweisen. Unterschrieben wird in Porto übrigens auch der fang 1993 Beitrittsverhandlungen mit Österreich, • Der öffentliche Schuldenstand darf nicht mehr als Transitvertrag zwischen Österreich und der EG, der in Ab- Schweden und Finnland aufzunehmen – eine Ent- 60 Prozent des Haushaltsdefizits und nicht mehr schlussverhandlungen zum EU-Beitritt noch eine wichti- scheidung, die uns mit Befriedigung erfüllt. In unse- als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. ge Rolle spielen wird. 1993 rem seit fast fünf Jahren konsequent verfolgten Be- • Die Bandbreite des Europäischen Währungssystems Die Beitrittsverhandlungen selbst werden durch den mühen um die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft von +/-2,25 Prozent muss seit mindestens zwei Jah- EWR wesentlich erleichtert und beschleunigt. Gut zwei Offizielle Eröffnung der haben wir damit ein neues Stadium, ich möchte sa- ren ohne Abwertung gegenüber der Währung eines Drittel des gesamten Vertragskonvoluts sind damit be- gen, die Zielgerade erreicht.“ anderen Mitgliedstaats eingehalten worden sein. reits abgehandelt. Das Abkommen hat für Österreich eine Beitrittsverhandlungen politische und wirtschaftliche Bedeutung: Die EWR-Ver- Am 26. Jänner 1993 definiert die Bundesregierung die Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens handlungen stellen nämlich auch einen wichtigen Lern- Wenngleich das Avis nun schon seit Mitte des Jahres 1991 grundsätzlichen Verhandlungspositionen. Und so liest von Maastricht erfüllen nur Frankreich, Dänemark und prozess für die Europäische Gemeinschaft ebenso wie für vorliegt, lässt der offizielle Start der Beitrittsverhandlun- sich das im offiziellen Kommuniqué: Luxemburg, von den EFTA-Staaten nur Österreich und die EFTA-Staaten dar, wie es in einem Bericht dazu heißt: gen auf sich warten. Der Grund dafür sind – wie so oft Norwegen diese Kriterien. und deshalb nichts Neues – Differenzen zwischen den „Auf Ministerebene wird die österreichische Delega- Die zweite Säule des Maastrichter Vertragswerks ist „Das ursprüngliche, von Präsident Jacques Delors ent- Mitgliedstaaten, die noch ausgeräumt werden müssen. tion vom Bundesminister für auswärtige Angelegen- die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Kernstück wickelte Konzept, unterschied sich beträchtlich vom Die Ratifizierungsverfahren in den einzelnen Ländern heiten Dr. Alois Mock geleitet. Zum Stellvertreter und der Bestimmungen ist die vertragliche Verankerung einer nunmehr vorliegenden Ergebnis. Zu Beginn war der gestalten sich schwieriger als erwartet. Maastricht bringt Leiter der Verhandlungen auf Beamtenebene wird der erstmals systematisch konzipierten Zusammenarbeit der EWR nicht zuletzt auch als Alternative zu einer Erwei- eine Fülle von Souveränitätsverschiebungen – und man österreichische Botschafter bei den Europäischen Ge- Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Außenpolitik, wobei terung der Gemeinschaft gedacht. Die EFTA-Staaten hat es im Vorfeld verabsäumt, entsprechend zu informie- meinschaften, Dr. Manfred Scheich, bestellt; ein Be- in Bereichen wichtiger gemeinsamer Interessen gemeinsa- sollten an den Vorteilen des Rechtsbestandes teil- ren. In Frankreich und Dänemark führen die Referenden schluss der Bundesregierung vom 14. Juli 1992 sieht me Aktionen vorgesehen sind, die über die bisherige zwi- haben und über Mitwirkungsmöglichkeiten bei der nur zu knappen positiven Ergebnissen, in Großbritanni- ferner je einen vom Bundeskanzler bzw. vom Bundes- schenstaatliche Zusammenarbeit hinausgehen können. Schaffung neuen EU-Rechts verfügen. Die Hoffnung, en sind es die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher und ihr minister für auswärtige Angelegenheiten zu nominie- Der Unionsvertrag bringt ferner eine Weiterentwick- dass dadurch weitere Beitrittswünsche abgewendet Nachfolger John Major, die Schwierigkeiten machen. renden stellvertretenden Leiter der Delegation auf Be- lung der sicherheitspolitischen Dimension der Gemein- werden könnten, hat in der Anfangsphase des Prozes- Wieder einmal bedarf es eines Gipfels, um einen ge- amtenebene vor.“ schaft. Zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ses eine beträchtliche Rolle gespielt. meinsamen Nenner zu finden; dieser findet am 11. und  soll auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsa- Im Laufe der Verhandlungen erwies sich diese Kon- 12. Dezember 1992 in Edinburgh statt. Zugleich werden gewissermaßen die Pfosten für die Ver- men Verteidigungspolitik gehören, „die zu gegebener Zeit zeption als nur teilweise realisierbar. Was noch viel Er bringt auch ein Aufatmen für Österreich und die tragsverhandlungen eingeschlagen: zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“. Inzwi- wichtiger ist: Auch in der Europäischen Gemeinschaft drei skandinavischen Beitrittskandidaten. Die Staats- und schen wird die Westeuropäische Union (WEU) als „Vertei- selbst hat sich – nicht zuletzt als Folge des EWR-Pro- Regierungschefs der EU geben grünes Licht für die Auf- „Österreich wird als neutraler Staat den Europäischen digungskomponente der Europäischen Union“ entwickelt. zesses – die Haltung zur Frage der Erweiterung geän- nahme der abschließenden Beitrittsgespräche. Gemeinschaften beitreten. Im Rahmen der Europäi- Die dritte Säule des Maastrichter Vertrags sieht eine dert. Das Modell der konzentrischen Kreise, das heißt Vor dem Parlament in Wien gibt dazu der Außenmi- schen Union bietet sich die Chance, eine europäische intensivierte Zusammenarbeit in den Bereichen Asyl- und einer abgestuften Teilnahme an der Integration, wird nister eine Erklärung ab, die auch das durchaus schwieri- Sicherheitsordnung zu schaffen; die Entwicklung wirk- Einwanderungspolitik, Bekämpfung der Drogenabhän- als Übergangsregime, aber nicht mehr als permanente ge Umfeld beschreibt, mit dem die EU damals kämpfte: samer Instrumentarien für die Abhaltung und Sank- gigkeit und der internationalen Kriminalität, Zusammen- Ordnungsstruktur angesehen. Auch von der Europäi- tionierung von Aggressionen und Rechtsverletzungen arbeit der Justiz- und Polizeibehörden sowie die Schaf- schen Union wird akzeptiert, dass jenen Staaten, die „Der Edinburgher Gipfel hat unter den denkbar liegt im vitalen eigenen Sicherheitsinteresse Österreichs. fung einer europäischen Polizeistelle (Europol) vor und die wirtschaftlichen Voraussetzungen mitbringen und schwierigsten Bedingungen begonnen. Selten war In der Umweltpolitik ist darauf zu achten, dass die ho- verankert eine neue gemeinschaftliche Zuständigkeit im die bereit sind, sich mit den Zielsetzungen der Europäi- der Europäische Rat mit einer solchen Menge heikler hen umweltpolitischen Standards Österreichs bei einer Bereich der Visapolitik. In Kraft tritt der Maastrichter Ver- schen Gemeinschaft zu identifizieren, die EG-Mitglied- und dazu noch eng miteinander verknüpfter Proble- Mitgliedschaft in der Europäischen Union gewahrt trag am 1. November 1993. schaft nicht vorenthalten werden darf.“ me konfrontiert. Selten war der Erfolgsdruck größer, werden können. denn ein Scheitern von Edinburgh hätte zu einer ge- Im Bereich der gemeinsamen Verkehrspolitik muss ge- Am 22. September 1992 wird vom Nationalrat die Ra- fährlichen Zuspitzung der Krise in der Gemeinschaft währleistet sein, dass der gesamte Inhalt des Transitab- tifizierung des Abkommens über den Europäischen führen und das in den letzten Jahrzehnten an euro- kommens zwischen Österreich und den Europäischen Der EWR als Wirtschaftsraum (EWR) genehmigt. Österreich hat da- päischer Einheit Erreichte gefährden können. Auf dem Gemeinschaften für die volle Laufzeit gewahrt bleibt. „Zwischenlager“ mit als erster EFTA-Staat das parlamentarische Geneh- Spiel standen und stehen unser aller wirtschaftlicher Weiters ist auf die besonderen Bedürfnisse einer flä- migungsverfahren abgeschlossen und auch als erstes Wohlstand und die soziale und politische Stabilität, chendeckenden, bäuerlich geprägten Land- und Land die Ratifikationsurkunde am 14. Oktober 1992 in denn trotz aller Schwierigkeiten bleibt die Europäische Forstwirtschaft, insbesondere auf die Sicherung der Die EU schließt aber noch ein weiteres Vertragswerk ab. Brüssel hinterlegt. Gemeinschaft der Stabilitätsanker für die zukünftige bäuerlichen Familienbetriebe ausreichend Bedacht Drei Monate nach Maastricht wird im portugiesischen In der Schweiz (am 6. Dezember 1992) und in Entwicklung des gesamten Kontinents. zu nehmen. Der bäuerlichen Bevölkerung muss auch Porto zwischen Österreich und den übrigen EFTA-Staa- Liechtenstein (am 13. Dezember) finden Volksabstim- Der unbestreitbare Erfolg des Edinburgher Treffens ist nach dem Beitritt eine Teilnahme an der allgemeinen ten sowie der Europäischen Union das Abkommen über mungen über das Abkommen statt. Die Mehrheit der von höchster – nicht zuletzt psychologischer – Bedeu- Wohlstandsentwicklung gesichert sein.“

66 67 Der Countdown 22. Juli 1993 Sicherheitsinteressen der EU eine Schlüsselrolle zu. Da- Vertrag über die Europäische Union und seinen Ent- Abschluss des Kapitels 3 (Freizügigkeit der Arbeit- her spricht sich Mock für einen Beobachterstatus aus. wicklungsperspektiven bekannt und Österreichs Be- nach Brüssel beginnt nehmer): Einigung über eine gemeinsame Erklä- Vranitzky will davon zunächst noch nichts wissen, lässt reitschaft erklärt, am Werden und Funktionieren eines rung Österreichs und der EG über eventuell auftre- sich aber überzeugen und stimmt letzten Endes zu. solchen Systems solidarisch teilzunehmen.“ tende Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Der Außenminister war sich übrigens die ganze Die offizielle Eröffnung der Verhandlungen findet am 1. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Zeit sehr wohl bewusst, dass das Neutralitätsthema Für die EU ist damit das Thema Neutralität mehr oder we- Februar 1993 in Brüssel statt. Außenminister Mock, Wirt- sensibel ist. Daher wurde alles getan, um für eine ent- niger abgehakt und spielt auch in den noch folgenden schaftsminister Schüssel, Staatssekretärin Ederer, der 29. September 1993 sprechende Interpretation zu sorgen und das Thema Verhandlungsrunden keine Rolle mehr. Jetzt rücken ganz Vorarlberger Landeshauptmann Purtscher und der Wie- Abschluss der Kapitel 10 (Statistik), 21 (Industrie- nicht zu sehr hochzuspielen. Und sie wurde leichter andere Themen in den Vordergrund. ner Landeshauptmannstellvertreter Mayr sind zur Minis- politik) und 14 (Energie), Annahme der von Öster- und smoother gelöst, wozu vor allem viele Gespräche tertagung angereist. Der Startschuss für die eigentlichen reich geforderten gemeinsamen Erklärung zum auf allen Ebenen beitrugen, in denen auf die Einwände EU-Verhandlungen fällt. Der amtierende Ratspräsident, EURATOM-Vertrag. und Bedenken, aber auch auf die geschichtliche Ent- der Däne Helge Petersen, bringt es auf den Punkt: wicklung Bezug genommen wurde: Für und Wider in der Frage 5. Oktober 1993 der Balkanpolitik „Wir haben ein neues Kapitel in der Geschichte Zwischenbilanz über bisherigen Verhandlungs- „Österreichs Neutralitätsoption im Jahre 1955 war un- unseres Kontinents aufgeschlagen. Die Errichtung verlauf (neun Kapitel abgeschlossen); Impulse auf bestritten richtig. Sie war damals das Mittel, wohl das der Europäischen Union bildet nur die letzte Stufe politischer Ebene, wonach ein Abschluss der Bei- einzige Mittel, um das latente Risiko der Teilung des Im Hintergrund köchelt freilich auch ein wenig Öster- des europäischen Aufbauwerks, mit dem nach dem trittsverhandlungen bis spätestens Anfang März besetzten Landes zu beenden und unsere Unabhän- reichs Rolle im Balkankonflikt, und vor allem das Außen- Krieg, der unseren Kontinent in Trümmer legte, be- 1994 erfolgen soll, um die Zielvorgabe (Beitritt am gigkeit wiederherzustellen. Unabhängigkeit wozu? amt in Wien hätte sich wahrscheinlich leichter getan, die gonnen wurde.“ 1. Jänner 1995) zu erreichen. – Ganz einfach um das Schicksal und die Position des europäische Staatengemeinschaft zu mobilisieren, wäre Landes frei bestimmen und sichern zu können, näm- man nicht nur Antragssteller, sondern bereits Mitglied Es folgen nun neun Verhandlungsrunden auf Minister- 4. November 1993 lich als westliche Demokratie und Marktwirtschaft. der – wie sie damals noch hieß – EG gewesen. ebene, 130 Treffen zur sogenannten Acquisprüfung, 72 Lösung einer der zentralen Fragen zum Kapitel 18 Zur Zeit der Ost-West-Spaltung Europas hat uns die Der Zerfall von Ex-Jugoslawien infolge des von Slo- Gespräche mit den Fachressorts, 25 davon betreffen al- (Außenhandelsbeziehungen): gemeinsame Erklä- Neutralität zusätzlich politische Funktionen im Sinne bodan Milošević erhobenen serbischen Machtanspruchs, lein die Landwirtschaft. Die wichtigsten Termine: rung über Schutzmaßnahmen im Zusammenhang guter Dienste für die Staatengemeinschaft gegeben. die Unabhängigkeitserklärungen vor allem von Slowe- mit den sogenannten Europaverträgen der Gemein- Als eigentliches sicherheitspolitisches Instrument im nien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina und die darauf 2. Februar 1993 schaft mit den Staaten Zentral- und Südosteuropas. Ernstfall ist sie – Gott sei Dank – nicht auf die Probe folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen haben – Ablauf und Organisation der Verhandlungen; Er- gestellt worden.“ wiewohl es sich um einen Konflikt mehr oder weniger stellung der Liste mit den 29 Verhandlungskapiteln; mitten in Europa handelte – viele Staatskanzleien nicht Festlegung der Verhandlungsprinzipien; Prüfungs- Manfred Scheich, seit 1993 Leiter der Ständigen Vertre- wirklich aufgerüttelt. Da spielten alte historische Bande beginn des EG-Sekundärrechts (Acquisprüfung). Das heikle Thema tung Österreichs bei der Europäischen Union, erhält den ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass man der Neu- Neutralität Auftrag, bei der Kommission für eine entsprechende ordnung Europas viel mehr Aufmerksamkeit schenkte als 11. März 1993 Klarstellung der österreichischen Position zu sorgen. In den Vorgängen am Balkan. Tatsächlich hatte Österreich Treffen der Außenminister der EG-Mitgliedsstaa- seinem Referat erklärt er unter anderem: als Nachbarland von der Inanspruchnahme des KSZE-Me- ten und der drei Beitrittskandidaten zu einem Mei- Mitten während der Verhandlungen mit der EU bricht in chanismus Gebrauch gemacht, um die Vorgänge zu- nungsaustausch in Luxemburg. Österreich wieder einmal eine Neutralitätsdebatte los. „Die sicherheitspolitische Landschaft in Europa hat nächst im Kosovo, später in Slowenien, Kroatien und Bos- Sieben bereits im EWR-Abkommen geregelte Ver- So wollen SPÖ-Kreise eine sehr strenge Interpretation sich seit 1989 fundamental verändert. Die Stabilität nien-Herzegowina aufs internationale Tapet zu bringen. handlungskapitel werden als unproblematisch an- des Neutralitätsbegriffs. Damit aber besteht die Gefahr, des – wenn auch riskanten und prekären – Gleichge- Innerhalb der Regierung hatte Mock mit seinem gesehen; exploratorische Diskussion über die Berei- dass es zu einer Verzögerung bei den Verhandlungen, wichts des Schreckens ist verschwunden, eines Gleich- Diplomatenteam den aufkeimenden Balkankonflikt zur che Landwirtschaft, Regional- und Strukturpolitik, ja sogar des Beitrittstermins kommen könnte. Es ist dies gewichts, in dem auch die Sicherheit des neutralen Chefsache erklärt, was wiederum beim Koalitionspart- Außenhandelsbeziehungen, Zollunion. übrigens der einzige Moment, in dem Mock mit der Euro- Österreich verankert war. ner SPÖ auf einen gewissen Widerstand stieß. Das stand pa-staatssekretärin Brigitte Ederer (sie hatte 1992 Peter Heute stehen wir vor neuen Bedrohungsszenarien, die auch damit in Verbindung, dass an der Wende von 1989 28. Mai 1993 Jankowitsch in dieser Funktion abgelöst) in Konflikt kam, neue Antworten erfordern. Wir haben in Europa aber zu 1990 die kommunistische zu einer sozialistischen Par- Einigung auf Übergangsfristen bezüglich Einrichtung nachdem sie Sympathie für diese Bewegung zeigte. auch die Chance, ein umfassendes, kooperatives, kol- tei mutierte und um Kontaktnahme mit der europäischen des Zahnarztstudiums, Nachtarbeitsverbots für Frau- Im Hintergrund der Neutralitätsdiskussion stand lektives, gemeinsames und solidarisches Sicherheits- Sozialdemokratie bemüht war. en; Nachtlandeverbot für lärmreiche Kapitel-2-Flug- die Frage eines Beitritts zur WEU, der westeuropäi- system zu schaffen. Einen wortgewaltigen Verteidiger für sein Vor- zeuge auf österreichischen Regionalflughäfen. schen Verteidigungsgemeinschaft, und noch eine Es ist keine Frage, dass Österreich, das nach wie vor gehen fand Milošević im Schriftsteller Peter Handke, Etappe dahinter verbarg sich die NATO-Frage – jene sehr nahe an politischen Verwerfungslinien liegt, ein der von sich selbst sagte, wäre er nicht österreichischer 9. Juni 1993 NATO, mit der die neuen Demokratien Osteuropas, die vitales Interesse am Werden und Funktionieren eines Staatsbürger, würde er sich als Jugoslawen sehen. In sei- Abschluss von Kapitel 7 (Konsumenten- und Ge- ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, Bündnisse ab- solchen Systems hat. Wollen wir aber Nutznießer seines nem Buch „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, sundheitsschutz), Kapitel 9 (allgemeine und berufli- zuschließen suchten. Schutzes und seines Solidaritätsbonus werden, dann Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ che Bildung), Kapitel 11 (Gesellschaftsrecht), Kapitel An einen NATO- und WEU-Beitritt war nicht zu den- wird auch von uns Solidarität gefordert. attackierte er massiv die österreichische Politik bezüglich 12 (Sozialpolitik), Kapitel 16 (Fischerei). ken. Bei der WEU hingegen kommt bei der Wahrung der Aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung zum der Parteinahme für die mittlerweile unabhängig gewor-

68 69 denen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Ein nien 18 Tote gefordert. Über den Kosovo existieren keine Zweitwohnsitze, des Transitverkehrs und vor allem der Interview, das er 20 Jahre später Christian Seiler („Profil“) genauen Zahlen. „Hier sieht es ja aus Eingliederung der Landwirtschaft in das EU-System als gibt, vermittelt einen Eindruck jener Denkweise, die ab Internationale Unterstützung fand Mock für seine wie in Wallensteins Lager“ die harten Brocken. 1989 zum Krieg am Balkan führte. diplomatischen Aktivitäten von Beginn an bei Deutsch- Bei der Zweitwohnsitzfrage geht es um die Sorge Im Grunde genommen sieht Handke im Staatsge- land sowie bei Ungarn und Italien. Gegen Schluss gelang vor allem der westlichen Bundesländer, dass nun EU-Bür- bilde der Föderation Jugoslawien jenen Traum verwirk- es auch, Washington gewissermaßen an Bord zu holen, Am 25. Februar beginnt die Schlussrunde der Verhand- ger scharenweise ins Land drängen, um in den schönen licht, den die Serben seit Jahrhunderten verfolgen, näm- nachdem man zu Beginn im Weißen Haus und im State lungen in Brüssel im Rahmen eines sogenannten Jum- alpinen Regionen Zweitwohnsitze zu erwerben und in lich die führende Rolle am Balkan zu spielen. Das war mit Department der Meinung war, dass die Europäer selbst bo-Ministertreffens unter dem Vorsitz des griechischen die Gestaltung der Landschaft einzugreifen. Relativ rasch dem Zerfall von Jugoslawien vorbei: diesen Konflikt lösen sollten. Europaministers und Ratsvorsitzenden Theodoros gelingt es, zu erreichen, dass in Österreich bis zum Jahr Mocks persönliche Parteinahme für die Beachtung Pangalos. Verhandelt wird auf allen Ebenen, und zwar 2000 alle derzeit vorgesehenen Regeln zur Kontrolle und „Es sind die, die nach Titos Tod ein ganz anderes Jugo- des Völkerrechts hat nicht bei allen EU-Staaten volle Zu- nicht nur personell (zwischen den Politikern, zwischen Beschränkung des Zweitwohnungsmarktes unverändert slawien wollten, ein drittes Jugoslawien wollten, nicht stimmung erhalten, man zollte ihm aber Respekt und den Experten), sondern auch auf allen Stockwerken im aufrechtbleiben. Auch nach diesem Zeitraum wird sicher- das königliche, nicht das kommunistische. Das dritte vor allem wurde bewusst, dass Österreich auch in Zu- EU-Ratsgebäude. Es wird ein Verhandlungsmarathon gestellt, dass der Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung Jugoslawien war auf dem Weg.“ kunft eine Art Scharnierrolle in Bezug auf den Balkan mit 103 Stunden, wobei zum Schluss noch die Uhr an- an Wohnraum zu angemessenen Preisen vorrangig ab- spielen könnte. gehalten wird, um termingemäß abzuschließen. In der gedeckt wird und dass die österreichische Landschaft im Kein Wort davon, dass 1989 mit der Machtübernahme Pressekonferenz vor Verhandlungsbeginn erklärt noch Interesse des Umweltschutzes vor der Gefahr der Zersie- durch Slobodan Milošević in Serbien begonnen wur- der Delegationsleiter: delung geschützt wird. de, die Rechte der Teilrepubliken zu beschneiden, was Beim Transitthema muss Verkehrsminister Viktor zum Bruch der Konföderation führte. Für ihn sind die 1994 „Wir sitzen im Boot, das Österreich heißt. Wir steuern Klima den starken Mann spielen. Er spekuliert sogar mit Slowenen und Kroaten die Aggressoren. Damit gerät mit voller Kraft in eine Richtung. Die Parteien spielen seinem Rücktritt, sollte er mit seinen Vorstellungen nicht bei Handke Österreich ins Visier, das sich für die Beach- So wird Österreichs Weg dabei keine Rolle mehr.“ durchkommen. Nachdem Österreich 1992 in harten Ver- tung der Völkerrechts und der Unabhängigkeitsbestre- handlungen mit der EG einen Transitvertrag abgeschlos- bungen starkmachte: in die EU frei gemacht Und tatsächlich, so sehr es seit Bildung der SPÖ-ÖVP-Koali- sen hatte, erwartete man eigentlich nun etwas weniger tionsregierung interne und öffentliche Diskussionen über Widerstand. Der Widerstand in der Transitdiskussion kam „Mit den ersten Anzeichen eines zerfallenden Jugosla- Zur Jahreswende 1993/94 steht vor allem die Frage im einen Beitritt zur EU gegeben hat: Jetzt herrscht völlige dabei in erster Linie von den Franzosen. Dabei ging es vor wiens ging es in Österreich unisono los. Und ordentlich Raum, ob die Verhandlungen noch rechtzeitig abge- Einigkeit. Wenn man in den letzten gut 100 Stunden das allem um deren Sorge, dass sie, würde die Schweiz ein- wurde da mitgetan am Zerfall von Jugoslawien. Un- schlossen werden können. Dabei geht es nicht nur um Agieren der österreichischen Delegation beobachtet, so mal die Transitstraßen dicht machen, einen Großteil des verzeihlich, für ewig unverzeihlich.“ den Europa-, sondern auch um den Österreichfahrplan. kann man fürwahr sagen: In diesem Lager steht Österreich. Nord-Süd-Verkehrs zu tragen hätten. Letztlich gelingt es, Werden die EG-Verhandlungen nämlich bis spätestens An- Wiens Vizebürgermeister Hans Mayr charakterisiert das Transitregime aufrechtzuerhalten, die 60-prozentige Die Schuldzuweisung richtet sich an Medien, an Politiker, fang März abgeschlossen – daher die Deadline 1. März –, Optik wie Stimmung wohl am besten. Als er einmal in das Schadstoffabsenkung dauerhaft sicherzustellen und die an die österreichische Regierung: kann das Europaparlament, das 1994 neu zu wählen war, Zimmer tritt, in dem sich auf engem Raum die Beamten, Finanzierung des Brennerbasistunnels und der Unterinn- das Verhandlungsergebnis noch im Frühjahr absegnen. die Politiker, die Fachleute aufhalten, Informationen aus- taltrasse zu erreichen. „Das war eine äußerst aggressive, eine atavistische Damit gibt es noch vor den Sommerferien die Volksab- tauschen, Strategien besprechen und ein wenig Abspan- Beim Kapitel Landwirtschaft wird Österreich frei- Politik [...] es ist Gewalt, was die österreichische Re- stimmung und ein Beginn der Mitgliedschaft mit 1. Jän- nung bei einer Zigarette, einem Schluck Kaffee suchen, lich mit einer unangenehmen Tatsache konfrontiert. gierung unter der Verantwortung des Herrn Mock ner 1995 wird möglich. sagt er angesichts dieses Haufens, der beisammensitzt: Der amtierende Landwirtschaftskommissar, der am Ver- und auch des Franz Vranitzky gemacht hat, ist eine Am 21. Jänner, 3. und 17. Februar sind Verhandlun- handlungstag plötzlich auch nicht erreichbar war, hat- faulere Gewalt, die aus dem Sumpf der Generatio- gen auf Stellvertreterebene, am 8. und 22. Februar auf „Hier sieht es ja aus wie in Wallensteins Lager.“ te die Österreicher in der falschen Hoffnung gewiegt, nen kam. [...] Ministerebene angesetzt, und wie es sich schon bisher nicht sofort mit dem Beitritt die Agrarregelungen der EU Das wäre nicht nur der Moment des Franz Vranitzky in abgezeichnet hat, stellen sich drei Materien als heikel Österreich stellt von den vier Beitrittskandidaten mit übernehmen, den Markt öffnen und in den Wettbewerb seinem geschichtlichen Leben gewesen, sondern auch heraus: der gesamte Komplex der Landwirtschaft, die fast 90 Mitgliedern die größte Delegation. Neben Mock treten zu müssen, sondern eine mehrjährige Übergangs- der Moment des österreichischen Sozialismus ganz Zweitwohnsitzfrage sowie das Transitproblem. als Leiter der Delegation sind dies vor allem Finanzmi- frist gewährt zu bekommen. Die Interessenvertreter der und gar anders zu handeln. Da hat der Sozialismus in Zuvor kontaktieren der Bundeskanzler und der Au- nister Ferdinand Lacina, Wirtschaftsminister Wolfgang Landwirtschaft, so Rudolf Schwarzböck, Vorsitzender der Österreich entsetzlich versagt. [...] ßenminister ihre wichtigen und gewichtigen Gesprächs- Schüssel, Landwirtschaftsminister Franz Fischler, Ver- Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, wa- Auch der Einspruch der deutschen Sozialdemokra- partner bzw. Parteifreunde, um noch einmal Stimmung kehrsminister Viktor Klima, Staatssekretärin Brigitte Ede- ren schlichtweg aus dem sprichwörtlichen Häuschen und ten, die nicht an der Macht waren, hätte klar stattfin- für Österreich zu machen, Erklärungen zu den einen oder rer, die Landeshauptmänner Martin Purtscher und Josef nicht gewillt, dieses Diktat hinzunehmen, zumal es da- den müssen. Sie wussten alles besser und haben alles anderen offenen Fragen zu geben. Krainer, Wiens Vizebürgermeister Hans Mayr sowie die heim der Bauernschaft nicht verständlich zu machen ge- schlechter gemacht.“ Alois Mock fliegt nach Paris, um mit Europaminister Präsidenten Leopold Maderthaner (Wirtschaftskammer), wesen wäre. Landwirtschaftsminister Franz Fischler war Alain Lamassoure und Außenminister Alain Juppé offene Fritz Verzetnitsch (ÖGB) und Rudolf Schwarzböck (Land- es dann, der sich eine Nacht lang mit seinen Experten da- Geht es nach einer von mehreren Statistiken, so hat der Verhandlungspunkte zu besprechen. Auch mit Bundes- wirtschaftskammer). Bundeskanzler Vranitzky und Vize- ran machte, basierend auf dem System der EU-Agrarpoli- von Milošević ausgelöste Krieg – und das ist die Faktenla- kanzler Helmut Kohl trifft er noch vor der alles entschei- kanzler Busek halten die Stellung in Wien. Vranitzky be- tik eine für Österreich praktikable Lösung auszuarbeiten ge – in Bosnien und Herzegowina aufseiten der Soldaten denden Runde zusammen. arbeitet unter anderem Frankreichs Präsident Mitterand, und die bäuerlichen Leistungen finanziell abzusichern. und der Zivilbevölkerung 97.207 Tote und Vermisste, in Busek die niederländischen Parteifreunde. Dies gelang auch, nachdem sich Finanzminister Lacina Kroatien 12.131 Tote und 2.251 Verschollene, in Slowe- Erwartungsgemäß erweisen sich die Fragen der bereit erklärt hatte, auch aus dem Budget einen Beitrag

70 71 zu leisten. Fischler beschreibt die Problematik, mit der er Österreich auch die Tür zur vollen Teilnahme an Europa g’mahte Wies’n“ sei. Die Regierungsparteien werben für zu kämpfen hatte: geöffnet. Bei dieser Pressekonferenz kommt es zu einer ein Ja zum EU-Beitritt. Auch in ihren Reihen gibt es noch 2030 berührenden Szene, als sich Mock zu der auf seiner rech- einige Skeptiker, die Angst vor der Zukunft in einem gro- „Meine Aufgabe war es, die österreichischen Bauern, ten Seite sitzenden Staatssekretärin Ederer neigt und ihr ßen Europa haben. Und wie sieht die Vision der EU für das neue Jahrzehnt den gesamten österreichischen Agrarsektor für den ein Busserl auf die Wange drückt. Später einmal sagt sie, Von der Opposition sind die Liberalen für, FPÖ und aus? Zu guter Letzt machen wir einen Sprung von der Beitritt zu gewinnen. Das war alles andere als einfach, dass sie diese Szene als einen Dank des Außenministers Grüne gegen den Vertragsabschluss. Vergangenheit in die Zukunft. Bereits 2017, anlässlich weil im Durchschnitt zwischen österreichischen und an die ganze Delegation empfunden habe. 12. Juni 1994: Wahlberechtigt sind 5.790.578 Per- des 60-jährigen Bestehens des EU, wurde eine Reihe von EU-Agrarprodukten ein Preisunterschied von ca. 30 Manfred Scheich, Mastermind der österreichischen sonen. 66,58 Prozent – fast zwei Drittel der Bevölke- Interviews mit österreichischen Politikerinnen und Politi- Prozent vorhanden war, wir praktisch kaum einen Zu- Verhandlungen mit Brüssel, resümiert den Werdeprozess rung – sprechen sich für den Beitritt aus – ein überwäl- kern zur EU geführt– und zum Schluss die Frage gestellt: tritt zu den EU-Märkten hatten und befürchtet wurde, der österreichischen EU-Präsidentschaft: tigendes Ergebnis. Was ist Ihre Vision für 2030? Die Antworten sind unver- dass die EU-Nachbarn die österreichischen Märkte mit Am 24. Juni wird im Rahmen eines Festaktes auf ändert aktuell. ihren Lebensmitteln überfluten würden. Die Bergbau- „Auf Initiative von Alois Mock wurde zu Beginn des Jah- Korfu die Beitrittsurkunde unterzeichnet. Neben Öster- ern fürchteten, gegenüber der EU-Konkurrenz nicht res 1987 die ,volle Teilnahme Österreichs an den vier reich sind es auch noch die Schweden und die Finnen, bestehen zu können, was auch mit negativen Auswir- Freiheiten des EG-Binnenmarktes‘ in das Regierungs- die jetzt unter den Schutz der Europäischen Union gelan- , Bundeskanzler: kungen für Umwelt und Sicherheit in den alpinen Räu- programm der Großen Koalition als Ziel der österreichi- gen. Norwegen, das die Verhandlungen ebenfalls erfolg- Union muss vom Global Payer zum Global Player werden men verbunden gewesen wäre.“ schen Europapolitik aufgenommen. Die institutionelle reich abgeschlossen hatte, muss vom Beitritt zurücktre- Form, also Beitritt oder eine andere Konstruktion, wurde ten, nachdem die Bevölkerung sich ganz knapp dagegen Wir sind offen gesprochen in der Vergangenheit mehr- Unterstützung erfährt Österreich auch von ausländischen vorerst offengelassen. Das war auch klug, die Notwen- ausgesprochen hatte. Die EU wird von einer Zwölfer- zu mals falsch abgebogen. Wir brauchen eine stärkere EU Freunden, so vor allem von Helmut Kohl, der den FDP-Au- digkeit des Beitrittes, wollte man das Ziel erreichen, er- einer 15er-Gemeinschaft. in den großen Fragen, etwa mehr Zusammenarbeit im ßenminister Klaus Kinkel nach Brüssel gesandet hatte, um gab sich bald aus der politischen Logik. Jedenfalls hatte Wie schon bei der Überreichung des Avis erinnert Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs- gewissermaßen Flankenschutz zu gewähren und zu ver- Mock erkannt, dass sich in den Achtzigerjahren ein poli- übrigens der österreichische Außenminister die versam- politik oder beim ordentlichen Schutz der EU-Außen- mitteln, wenn es nötig wäre, vom belgischen Außenmi- tischer Paradigmenwechsel in dem Verhältnis zwischen melte Riege der EU-Spitzenrepräsentanten daran, dass grenzen. Zugleich müssen wir das Subsidiaritätsprin- nister Willy Claes und vom EU-Ratsvorsitzenden Pangalos, Brüssel und Moskau ergeben hatte, nämlich von der sich Brüssel nun den neuen Demokratien im Osten Euro- zip stärken. Die EU muss also in den großen Fragen der viel Sympathie für Österreich zeigte. Die Ernsthaftig- früheren Konfrontation zur Kooperation. Diesen wollte pas zuwenden müsse. groß und in kleinen Fragen wieder kleiner werden. keit der Situation beschreibt auch Mock selbst: Mock nutzen. Noch aber ist einiges zu erledigen. So müssen der Damit Ersteres geschieht, muss es einen gemeinsamen Die österreichische Neutralität und ihre Vereinbarkeit National- und Bundesrat im November den EU-Vertrag Willen der Mitgliedstaaten geben, in diesen Bereichen „Da war ich wirklich daran, zu sagen: So nicht!, und die mit der EU-Mitgliedschaft stellte die qualifizierte Prob- ratifizieren. Nun kommt auch Bundespräsident Thomas gemeinsam voranzugehen. Zur Stärkung der Subsidia- Gespräche abzubrechen. lematik der Verhandlungen dar. Mock war sich dieses Klestil zu seinem Auftritt, den er in Korfu nicht hatte. rität wiederum müssen die Europäische Kommission, Aber dann habe ich mir doch gesagt, Österreich darf Stellenwertes der Neutralität sehr bewusst, und verges- Höchst offiziell hinterlegt er am 24. November in der itali- aber auch die Mitgliedstaaten darauf verzichten, in sich nicht mit einem Schicksal als europäisches Land sen wir nicht, dass die österreichische Außenpolitik jahr- enischen Hauptstadt die Ratifikationsurkunde und unter- Bereichen, in denen bereits gut zusammengearbei- zweiter Klasse abfinden. Wir müssen den Weg ins ge- zehntelang unter der Prämisse der Unvereinbarkeit von schreibt das Protokoll (Processo verbale) gemeinsam mit tet wird oder in denen Lösungen besser auf nationa- meinsame Europa jetzt gehen. Und die Unterstützung, Neutralität und EG/EU-Mitgliedschaft gestanden war. dem italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro. ler oder regionaler Ebene gefunden werden können, die uns aus vielen europäischen Hauptstädten signa- Noch im August 1989, also schon nach der Überrei- In Rom erfolgt dieser Akt deshalb, weil seit Unterzeich- überzuregulieren. Die Union muss vom Global Payer, lisiert wurde, war ein zusätzlicher Anstoß. In dem Au- chung des Beitrittsantrages an Brüssel, erhielten wir ein nung der Römischen Verträge, mit denen 1957 die EG aus der sie jetzt schon ist, zum Global Player werden. genblick, da sich die Haltung der EG zum Agrarpreis- Aide-Mémoire des sowjetischen Außenministeriums, in der Taufe gehoben wurde, alle Vertragswerke der EG und system und zum Transitvertrag flexibler gestaltete, welchem nochmals die Frage der Neutralität und der der EU hier deponiert sind. war der Durchbruch erzielt. Mitgliedschaft in einer Organisation aufgeworfen wur- Am 1. Jänner 1995 beginnt für Österreich ein neuer Othmar Karas, Vizepräsident des Europ. Parlaments: In der allerkritischsten Phase der Verhandlungen war de, ,welche auf dem Wege zu einer Gemeinsamen Au- Lebensabschnitt. Es ist Vollmitglied der Europäischen Uni- EU muss entschlossener und mutiger werden es auch notwendig, Ruhe und Entschlossenheit zu be- ßen-, Sicherheits- und mit der Zeit Verteidigungspolitik on. Es ist dies ein politisches Lebenswerk von Alois Mock. wahren. Schüssel, Lacina, Mayr und Scheich kam in sei‘. Auch der Fall der Berliner Mauer sollte die Neutrali- Josef Höchtl, der ihn von dessen Beginn als Ineffiziente Entscheidungsprozesse bringen uns an dieser Phase eine Schlüsselrolle zu. Sie sorgten für den tätsproblematik nicht lösen. Zugleich sahen wir uns mit ÖAAB-Obmann im Jahre 1971 bis zu seinem Lebensen- die Grenzen der Handlungsfähigkeit der EU. In zu vie- Zusammenhalt im Finish.“ Bedenken auf EU-Seite konfrontiert. Dort fürchtete man, de 2017 als Politiker und vor allem Freund begleitet hat, len Bereichen gilt unter den Mitgliedstaaten das Ein- dass ein neutrales Mitgliedsland, dessen Neutralität weist auf seinen Platz in der Geschichte hin: stimmigkeitsprinzip, und dadurch geben die Zögerer Und das war am 1. März 1994 kurz nach 22 Uhr erreicht. noch dazu verfassungsmäßig verankert war, die Union und Blockierer das Tempo vor. Das wiederum erzeugt Die gesamte Delegation stellt sich den Medien. Mocks auf ihrem Weg zu einer Gemeinsamen Außen-und Si- „Es gibt in einem Land und in einer Generation immer bei vielen Bürgern den Eindruck, dass die EU die Pro- erste Worte lauteten: cherheitspolitik behindern könnte. Es bedurfte großer nur ganz wenige Persönlichkeiten, die in des Wortes bleme nicht löst, was wiederum zu einem Anstieg bei Überzeugungsarbeit, die Widerstände und Zweifel in wahrster Bedeutung maßgeblich sind, die ihren Mit- EU-Gegnern, den rechten wie linken Populisten führt, „Österreichs Weg zur EU ist frei.“ Brüssel und in einigen Hauptstädten zu überwinden.“ menschen einen Maßstab vorgeben, an dem sie sich die dann wiederum die EU in ihren Entscheidungen orientieren und nach dem sie sich richten können. behindern. Dabei ist Europa heute gefragt wie nie. Der Satz ist von ihm sehr bewusst gesetzt. Er erinnert Noch aber gibt es nach der Rückkehr aus Brüssel eine Und gerade in der Politik sind diese Persönlichkeiten Europa müssen wir daher stärker, handlungsfähiger, an die Worte, die Leopold Figl bei der Unterzeichnung Zitterpartie, muss doch der ausverhandelte Vertrag im nicht unbedingt in der Funktion des höchsten Regie- effizienter, innovativer und nachhaltiger machen. Die des Staatsvertrags 1955 sprach, mit der Österreich seine Rahmen einer Volksabstimmung genehmigt werden. rungsamtes maßgeblich und prägend geworden. Alois Mitgliedstaaten müssen sich der Wirklichkeit und den Freiheit und Unabhängigkeit erhielt. Jetzt hatte sich für Vranitzky spricht wörtlich davon, dass ein Ja noch „keine Mock war eine solche Persönlichkeit.“ globalen Herausforderungen stellen. Europas Anteil

72 73 an der Weltbevölkerung und an der Weltwirtschaft Christoph Leitl, Präsident von Eurochambres: und nach mehr qualitativem Wachstum oder – mit an- Benita Ferrero-Waldner, EU-Kommissarin a. D.: schrumpft jeden Tag. Keine der großen Fragen kann Trumpismus ist kein Rezept für Europa deren Worten – nach mehr Nachhaltigkeit zu streben. Das Ziel muss ein Bundesstaat Europa sein ein Land für sich alleine lösen. Deshalb müssen wir in Nur so können wir der wachsenden Arbeitslosigkeit be- zentralen Bereichen die Kräfte Europas viel mehr bün- Im Jahr 2020 oder 2030 sollte die EU nicht nur unter gegnen, die steigende soziale Ungleichheit reduzieren, Die EU ist zuallererst dafür zu beglückwünschen, dass deln und Europa wettbewerbsfähiger machen. Wir den drei wichtigsten Wirtschaftsmächten der Welt, den Klimawandel bekämpfen und den Ressourcenver- sie über 62 Jahre in Europa Kriege verhindert hat und müssen die Lehren aus den Krisen ziehen und die EU sondern auch mit entsprechendem politischem Ge- brauch eindämmen. Wir dürfen auch nicht mehr län- für Frieden, Wohlstand und Solidarität steht, auch mutig weiterentwickeln, um nicht vor den Problemen wicht versehen sein. Nur wer politisches Gewicht auf ger die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein wenn das jüngere Generationen heute zum Teil ver- unserer Zeit zu kapitulieren. die Waage bringt, kann bei den großen Themen unse- intergouvernementales Randthema bleiben lassen. gessen haben. rer Zeit, die nur mehr global zu lösen sind, mitentschei- Ich war immer eine Verfechterin eines Bundesstaates den. Die Welt hat nur zwei Möglichkeiten: Freihandel Europa. Angesichts der aktuellen Vertrauenskrise ist Johannes Hahn, EU-Kommissar: oder Protektionismus. Wer gegen Freihandel auftritt, , dies nicht durchsetzbar. Trotzdem muss die EU voran- Krisen zu bewältigen ist Stärke des Kontinents macht das Geschäft des . Europa aber EU-Parlamentarier der ersten Stunde: gehen. Deshalb sollten wir einer EU zustimmen, die in

muss mehr sein. Trumpismus ist kein Rezept für Euro- Rolle Österreichs als Brückenbauer fortführen konzentrischen Kreisen, in Form einer variablen Geo- Die Europäische Kommission hat im März 2017 ein pa! Europa steht für großartige Werte und müsste metrie, vorangeht. Diese Möglichkeit besteht bereits Weißbuch zur Zukunft der Europäischen Union vor- diese umso mehr wahrnehmen, als die USA in diesem Die Europäische Union soll ein von der Welt anerkann- im Lissabonner EU-Vertrag für eine Gruppe von Staa- gestellt. Wir legten darin auf Basis einer Analyse des Bereich an Leuchtkraft verliert. Das ist die Chance Eu- ter, starker und verlässlich agierender Partner sein, ein ten, die in der sogenannten verstärkten Zusammen- Istzustandes und der sich abzeichnenden globalen ropas in unserer Zeit! Partner, der stolz darauf ist, mehr als 500 Millionen arbeit vorangehen, immer dann, wenn die Staaten, Entwicklungen fünf Szenarien vor, die darlegen, wo Menschen friedlich zu vereinen, ein Partner, der stolz die anfangs bewusst zurückbleiben, in den ersten Kreis die Europäische Union 2025 stehen könnte. Im We- auf die europäischen Werte und Standards ist, in so- vorrücken können, wenn sie dazu bereit und fähig sind. sentlichen geht es dabei um die Frage, ob wir die eu- Fritz Verzetnitsch, ÖGB-Präsident a. D.: zialer Hinsicht, in Fragen der Ökologie und Menschen- Ich trete auch für eine verkleinerte EU-Kommission ein, ropäische Integration als Gesamtes oder in einzelnen Wir haben keine zweite EU im Kofferraum rechte sowie kulturell und technologisch führend. Zu- die ähnlich wie der UN- Sicherheitsrat funktioniert. Bereichen vertiefen oder ob wir die Zusammenarbeit sätzlich soll die Europäische Union in der Lage sein, auf die Kernaspekte des Binnenmarktes beschränken Ausgehend von der Gründeridee wäre eine Rückbesin- ausbalancierte Migrationsströme steuern zu können, sollen. Ich bin ganz klar ein Verfechter der verstärkten nung auf die gemeinsamen Werte mehr denn je ange- auch indem sie die wirtschaftliche Entwicklung in den Hannes Swoboda, EU-Parlamentarier und Integration in Bereichen, in denen eine gesamteuro- bracht, denn wir haben keine zweite EU im Kofferraum. Herkunftsländern unterstützt und vorantreibt. Öster- Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion a. D.: päische Vorgangsweise Sinn macht. Dabei wäre es na- Überlegenswert ist eine Aufwertung der EU-Bürgerini- reich hat dabei seine historische und aktuelle Verbin- Die EU müsste von Grund auf neu durchdacht werden türlich optimal, wenn es uns gelingt, diese verstärkte tiativen. Ich kann der Idee, dass eine erfolgreiche Bür- dung zu den Ländern des Westbalkans als Brücken- Zusammenarbeit gemeinsam zu erreichen. Nur wenn gerinitiative (z. B. gegen die Privatisierung des Wassers) bauer in die EU einzubringen. Die EU sollte sich spätestens 2030 neu etabliert und wir die Einheit innerhalb der Union wahren und ge- automatisch zu gesetzlichen Initiativen der Kommissi- aufgestellt haben. Die Länder des Balkans sollten voll- meinsam bereit sind, dieses Projekt, das uns so viel on führen muss, viel abgewinnen. Wer besorgt die Ein- wertige und aktive Mitglieder sein. Mit Ländern wie Wertvolles gebracht hat, weiterzuentwickeln, können stellung der Bürger zur EU beobachtet, darf nicht an Ursula Stenzel, EU-Abgeordnete a. D.: der Ukraine, der Türkei – und wenn das Vereinigte Kö- wir die Globalisierung als aktiver Player mitgestalten. der Frage der Kommunikation Bürger versus EU-Insti- Europa der ,Verzwergstaatlichung‘ wäre ebenso ver- nigreich nicht schon wieder beigetreten ist, auch mit tutionen vorbeigehen. Wie berichten Print- oder elek- hängnisvoll wie ein zentralistischer Superstaat diesem – sollte eine enge Partnerschaft zu beidersei- tronische Medien über die EU? Wie wäre es mit einer tigem Wohl bestehen. Auch die östliche und südliche Botschafter a. D. Manfred Scheich, Übertragung aus dem EU-Parlament? Ohne dass man Wolfgang Schüssel hat mich als parteiunabhängige Nachbarschaft sollte durch ein enges Arbeitsverhält- Mastermind der österreichischen EU-Verhandlungen: zum Arzt geschickt wird – meine Visionen sind: starke Kandidatin in die für Österreich erste Direktwahl zum nis mit der EU verknüpft werden. Die Außengrenzen Mangel an innerer Kohäsion ist zentrales Problem der EU Demokratien, humane Gesellschaften, fairer Handel, Europäischen Parlament geschickt. Er hatte eine klare wären gut geschützt – durch eine gemeinsame euro- gleichberechtigtes Miteinander, Schutz einer lebens- Vorstellung von der politischen Architektur Europas und päische Grenzschutztruppe. Dennoch wäre Europa Der Mangel an innerer Kohäsion ist heute das zen- werten Umwelt! Österreichs Platz in ihr, und ich teilte diese Vorstellung keine Festung, sondern eine offene Region, aber mit trale Problem der EU. Er kann nicht wegdiskutiert und teile sie bis heute. Österreichs Platz ist innerhalb und kontrolliertem Zugang. Europa hätte eine enge wirt- oder gar wegdekretiert werden. Er setzt der Weiter- nicht außerhalb der EU. Die Europäische Union befindet schaftliche und politische Verbindung mit einem lang- entwicklung des europäischen Projektes politische Franz Fischler, sich in einer Krise, durch den Austritt Großbritanniens ist sam, aber stetig aufstrebenden Afrika, unserem Nach- und institutionelle Grenzen. Auch die oft gesuchten Österreichs erster EU-Kommissar von 1995 bis 2004: sie amputiert und weder die Euro- noch die Migrations- barn im Süden. und beschworenen großen Führungspersönlich- Europa zurück auf den Wachstumspfad führen krise sind ausgestanden. Ich bin vorsichtig mit Patent- keiten können daran nichts ändern. Vielleicht sollte rezepten, ein Europa der Verzwergstaatlichung wäre man sich an eine neue Bescheidenheit gewöhnen, Wir verdanken den größten Teil unseres Wohlstands- ebenso verhängnisvoll wie ein zentralistischer europäi- Ulrike Lunacek (Grüne), das Errungene konsolidieren und pflegen – es ist wachstums der letzten 25 Jahre unserer Mitgliedschaft scher Superstaat. Der Weg muss dazwischenliegen, und Vizepräsidentin des EU-Parlaments a. D., Staatssekretärin: nicht wenig. Auf neue Herausforderungen sollte die in der EU. Wir müssen daher ein allergrößtes Interesse es muss ein Weg der Behauptung unserer Werte und Er- Vormachtstellung der nationalen Regierungen brechen Union pragmatisch reagieren, im Wesentlichen durch daran haben, dass Europa prosperiert und funktio- rungenschaften sowie des Selbstschutzes sein. Zusammenarbeit der Regierungen, gestützt auf die niert. Prosperieren heißt ein Mehrfaches: Wir müssen Den fünf technischen Szenarien von Präsident Juncker gemeinsamen Institutionen, in der Suche nach ge- endlich die große Delle des Jahres 2008 ausbügeln und fehlt eine Vision für eine echte europäische Demokratie. meinsamen Antworten, allenfalls in Form von soge- auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkeh- Um die Unterstützung für Europa zurückzugewinnen, nannten Koalitionen der Willigen. ren. Das bedeutet, unsere Innovationskraft zu stärken muss die EU den BürgerInnen aber echte Beteiligungs-

74 75 WESTBALKANSTAATEN: ENORMES HANDELSPOTENZIAL FÜR DIE EU (2003–2008) möglichkeiten bieten. Nur ein Europa, in dem die Bürg- Werner Fasslabend, Präsident des Sowohl im Export (72 %) als auch im erInnen mehr beteiligt werden, hat eine Zukunft – nicht Institut für Europa und Sicherheitspolitik: Import (58 %) erweist sich die EU für 2018 umsonst fordern wir Grüne schon lange einen Konvent die sechs Westbalkanstaaten Serbien, Rückbesinnung auf die eigene Sicherheitsvorsorge Montenegro, Nordmazedonien, Alba- mit breiter Beteiligung der Zivilbevölkerung. Das heißt, nien, Bosnien und Herzegowina sowie das Szenario 5: ‚Viel mehr gemeinsames Handeln‘, be- Die österreichische Neutralität hat aufgrund der Auf- Kosovo als der wichtigste Handelspart- 31,8 ner. Die Entwicklung der Handelsströ- Mio. € reichert um demokratische, soziale und ökologische lösung der Paktkonfrontation des Kalten Krieges ihren me zwischen dem Westbalkan und der Positionen, ist meine Präferenz. Aus der EU muss eine ursprünglichen Zweck verloren und ist zu einer Kern- EU verdeutlicht nicht nur den massiven Anstieg von Exporten und Importen effektive und vielschichtige Demokratie werden. neutralität geworden: keine Mitgliedschaft in einer zwischen den Jahren 2013 und 2018, militärischen Allianz (sehr wohl aber intensive Ko- sondern auch den kontinuierlichen EU-Handelsbilanzüberschuss, der sich operation wie im Rahmen der NATO-Partnerschaft für 2018 bereits auf 9,2 Millionen € belief. Südtirolers Landeshauptmann Arno Kompatscher: den Frieden seit 1995) und keine dauerhaften fremden Die EU bedarf einer revolutionären Veränderung Truppenstützpunkte auf österreichischem Boden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an sicherheitspolitischen Meine persönliche Vision ist jene, dass wir imstande Aktivitäten der Europäischen Union wurde durch eine sind, aus unserer Geschichte als Region Südtirol zu dem Neutralitätsgesetz gleichberechtigte Solidaritäts- lernen, um über die Europaregion, die Makroregion bestimmung in der österreichischen Bundesverfassung Alpen und schließlich innerhalb der EU für jene Werte geschaffen. Österreich muss allerdings teilweise noch zu stehen, die allem zugrunde gelegen sind: Frieden lernen, seine vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten und Freiheit, ein funktionierender Binnenmarkt, Mit- politisch optimal umzusetzen und seine volle Solida- 2013 gliedstaaten, die bereit sind, sehr vieles an nationaler rität für eine gemeinsame europäische Sicherheit und Souveränität abzugeben, um gemeinsam für das eu- Verteidigung einzubringen. Die geopolitische Situa- 22,6 ropäische Ideal zu kämpfen, EU-Mitglieder, die einen tion Österreichs erfordert dies im eigenen Interesse. 22,1 Export Mio. € anderen Mitgliedstaat nicht mit seinen Problemen Mio. € alleinlassen, um lediglich die eigenen Interessen aus politischen Gründen zu wahren, eine EU, in welcher Wolfgang Sobotka, Nationalratspräsident: Klein- und Mittelunternehmen, Landwirte, Studieren- Neue Maßstäbe in der Handlungsfähigkeit setzen de, Rentner, Arbeitslose sowie Forscher usw. spüren, dass es einen gemeinsamen Geist gibt, der Wille, als Ich bin überzeugt, dass wir – mit den richtigen Rah- Europäische Union weltweit wettbewerbsfähig zu menbedingungen – den europäischen Gedanken sein, mit der Überzeugung, dass das Gemeinsam wei- wie­der näher zu den Menschen und die europäische ter bringen kann als das Alleine. Integration voranbringen werden. Dies ist zum einen eine inhaltliche Herausforderung – zum anderen aber muss es uns gelingen, die Beitrittsperspektive, die in Walter Schwimmer, Generalsekretär des Europarats a. D.: den Ländern des Westbalkans Reformprozesse ange- Der Europarat ist für das Europa der 47 zuständig stoßen und beschleunigt hat, zu einem erfolgreichen Ziel zu führen und die Länder, die schon historisch im- Nachdem mit der Aufnahme des selbstständig ge- mer Teil unseres Europas waren, zu integrieren. Wenn 13,8 wordenen Montenegros die Erweiterung des Europa- es der Europäischen Union auch in den vergangenen Mio. € Import rates praktisch abgeschlossen wurde (fehlt nur noch Jahren nicht gelungen ist, die Herzen der Bürgerin- Weißrussland, und vielleicht klopft eines Tages auch nen und Bürger zu erobern, so soll sich immerhin in Kasachstan, das zu etwa 5 Prozent in Europa liegt, an), unser aller Denken breit etablieren, dass wir ohne EU muss die politische Verantwortung des Europarates wirtschaftlich, sozial und sicherheitspolitisch um Jahr- stärker herausgestrichen werden. Um seine Wahr- zehnte zurückgeworfen wären! nehmbarkeit im Besonderen bei den politischen Ent- scheidungsträgern zu verstärken, sollten die an sich gut eingeführten und bewährten Fachministerkonfe- Bilanz 9,2 renzen als Organ des Europarates, ähnlich dem Rat Mio. € der Europäischen Union/Ministerrat der EU, tätig wer- 8,3 den. Auf parlamentarischer Ebene wäre eine stärkere Mio. € Verflechtung mit den nationalen Parlamenten durch eine Berichterstattung im Europaausschuss des natio- nalen Parlaments wünschenswert.

76 77 VORAUS- SCHAU

78 79 ERNST BRUCKMÜLLER

EUROPA 2020 – EIN SCHWIERIGES JAHR

Am 31. Jänner 2020 um 23 Uhr Londoner Zeit wird der sen – im Hinblick auf die komplexen Materien zeitlich äu- würden die Katalanen ebenfalls daherkommen und ein dards angepasst hat, in der Durchführung ein wenig Brexit in Kraft treten. Das heißt: formal ja, aber noch nicht ßerst knappen Termin hat sich der britische Premier Boris gleiches Modell haben wollen. Und die Spanier haben hapert – wie sieht es erst weiter südlich aus? Anderer- in Wirklichkeit, denn jetzt beginnt erst die Übergangszeit Johnson festgelegt; er verglich eine Verlängerung dieser den Briten wegen Gibraltar im Falle des Brexits sowieso seits hat die Europäische Union ein reges Interesse an bis zu einem neuen Übereinkommen zwischen dem Ver- Frist mit einer „Folter“. Das heißt aber umgekehrt, dass, bereits Ungemach in Aussicht gestellt … ruhigen Verhältnissen in dieser Region, samt deutlicher einigten Königreich und der Europäischen Union. falls der neue Vertrag nicht bis Jahresende 2020 unter Verbesserung des Lebensstandards für breite Bevölke- Dach und Fach ist, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Auf Europa kommt also einiges zu. Die Konzentrati- rungsschichten. Aber wie dies bewerkstelligen? Ein Bei- Bis Ende 2020 bleiben daher im Verkehr der Waren und der EU und Großbritannien auf WTO-Bestimmungen ba- on auf das Vereinigte Königreich ermöglicht es auch, an- tritt einiger oder aller dieser Länder – es handelt sich im- Dienstleistungen zwischen Großbritannien und der sieren werden. deres bis auf Weiteres zu ignorieren, etwa das Pulverfass merhin um Albanien, Bosnien-Herzegowina, Crna Gora Union alle geltenden Regeln in Kraft. Großbritannien Balkan. Bulgarien ist zurzeit das einzige „echte“ Balkan- (Montenegro), Kosovo, Nordmazedonien und Serbien wird bis Ende Dezember 2020 auch die Urteile des Euro- Nun ist ja die gute alte Welthandelsorganisation land, das Mitglied der EU ist. Niemand behauptet, dass – würde eine Fülle ungelöster Konflikte in die Union päischen Gerichtshofs anerkennen und weiterhin den seit der Regierung Trump auch nur mehr ein Schatten das frühere Zentrum einer blühenden Gartenkultur in- hereinbringen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass verhassten Mitgliedsbeitrag zahlen. Freilich werden die ihrer selbst, aber dass sich die beiden europäischen Par- zwischen ökonomisch und mental bereits wirklich in der schon das vergleichsweise winzige Problem der See- britischen Agrarier auch noch der Segnungen des ge- teien im schlimmen Fall einer Nichteinigung auf diese EU angekommen sei. Ein zweites Mitgliedsland, Kroatien, grenze zwischen Slowenien und Kroatien in der Bucht meinsamen Agrarmarkts und der besonders für große Basis zurückziehen werden, gebietet schon der Hausver- hat durch seine lange Adriaküste und deren Hinterland von Piran – soll die Grenze die Bucht genau teilen oder Grundbesitzer recht üppigen Förderungen teilhaftig stand. Aber auch die WTO-Bestimmungen erlauben ge- Anteil am Balkan, aber ebensowenig wie Bulgarien ein der größere Teil der kleinen Bucht unter slowenischer bleiben. Der lebhafte Handel zwischen der Union und wisse Zollsätze – auf Automobile 10 Prozent, auf Lebens- besonders herzliches Verhältnis zur dortigen Nachbar- Hoheit stehen? – Aufgrund der Weigerung Kroatiens, Großbritannien wird daher auch noch keinen Einbruch mittel wie Milchprodukte bis zur 35 Prozent. Sollte es also schaft. Außerdem bescheinigt ein Artikel in der „Presse“ den Schiedsspruch eines einvernehmlich eingesetzten erleiden: Immerhin exportiert Großbritannien Waren im bis Jahresende 2020 keine Einigung geben, können sich vom 12. 1. 2012 diesem EU-Mitgliedsland ein erhebliches Schiedsgerichts anzuerkennen, bis auf Weiteres nicht Wert von fast 351 Milliarden Pfund nach Europa, aber die Exporteure und Importeure, die den Handel zwischen Problem mit der Korruption. Das Wahlplakat eines Kan- gelöst werden kann, dann kann man sich leicht vorstel- Importe sind erheblich höher, besonders im Bereich der den Inseln und Europa betreiben, auf einiges gefasst ma- didaten wurde von unbekannter Hand mit der großen len, welche Flut von Problemen etwa zwischen Serbien Agrarprodukte. Die britische Handelsbilanz mit Europa chen – vor allem auf einen ordentlichen Schuss Bürokra- roten Beschriftung „KRADEM“ versehen – was klar und und Kroatien, Serbien und Kosovo, Bosnien und Serbien ist deutlich negativ. tie, denn selbstverständlich benötigt man dann für jede deutlich sagt: „Ich stehle“. Das mag auch die stockende plötzlich EU-interne Fragen wären. Fracht hin oder her über den Kanal zunächst einmal zahl- ökonomische Entwicklung wenigstens miterklären, die Nun wollen sowohl die EU wie auch Großbritan- reiche Formulare. noch durch das Phänomen einer starken Abwanderung Europa hat sich seit 1991 in der ganzen Region nien nach dem Austritt ein Freihandelsabkommen, das gerade der jüngeren und aktiveren Arbeitskräfte ver- nicht eben mit Ruhm bedeckt. Die Kompetenz, die beiden Seiten eine Fortsetzung des überaus regen Wa- Das ist das Mindeste. Aber weitere Unsicherheiten schärft wird. Dieser Verlust an aktiveren Bevölkerungstei- Balkannationalisten zu bekehren oder zumindest ru- ren- und Dienstleistungsaustauschs ermöglichen würde. folgen: Ist das Problem der offenen Grenze zwischen dem len wird auch aus allen anderen Staaten der Balkanregion higzustellen, darf man der Union ruhig absprechen. Für das Königreich sind die Dienstleistungen besonders britischen Nordirland und der Republik Irland tatsächlich gemeldet – Zeichen einer allgemein eher stagnierenden Es wäre aber auch ein Wunder, würde irgendjemand interessant, denn London ist immer noch eines der ganz schon gelöst? Oder wird doch irgendeine Grenzkontrolle Wirtschaftsentwicklung, die ihrerseits offensichtlich als auf der Welt diese ebenso komplexe wie zerstrittene großen Finanzzentren der Welt, die dort angebotenen kommen und damit die Spannungen auf der Insel aufs eine Folge der zögernden Haltung internationaler Inves- Region zu einem neuen Einvernehmen führen können. Dienste werden besonders auch im kontinentalen Euro- Neue schüren? Und wie werden die europafreundlichen toren anzusehen ist. Man sollte die Frage einer Erweiterung der Europäi- pa konsumiert. Alles wird davon abhängen, ob die Union Schotten reagieren? Eine unendliche Zahl von Weiterun- schen Union in Südosteuropa jedenfalls mit äußerster und Großbritannien wirklich bis Jahresende 2020 den gen wird da möglich: Angenommen, die Schotten wollen Wenn es nun schon in Kroatien, das wenigstens Vorsicht behandeln. Der Brexit wird Europa genug auf- neuen Freihandelsvertrag fertig haben werden. Auf die- ein unabhängiges Schottland als Mitglied der EU; sofort formal seine Gesetzgebung an die europäischen Stan- zulösen geben.

80 81 EINKOMMENSUNGLEICHHEIT IM VERGLEICH: EU – USA – CHINA (2016) Der Gini-Koeffizient ist ein statis- tisches Maß zwischen 0 und 100 China Punkten, das zur Darstellung von Ungleichverteilungen dient, wobei 46 Mrd. € 0 absolute Gleichheit bedeutet. In Ausfuhren der vorliegenden Grafik wird die Einkommensschere, das heißt der Einkommensunterschied zwischen Arm und Reich in der EU, den USA und China, verglichen. Mit einem Wert von 30,5 ist diese Einkom- mensungleichheit hierbei in der EU Brasilien am geringsten. China weist 2016 mit einem Punktwert von 46,5 die 72 Mrd. € höchste Ungleichheit auf, gefolgt Ausfuhren Kanada von den USA mit 41,5. 20 Mrd. € Ausfuhren

EU USA 138 Mrd. € 128,1 Mrd. € Ausfuhren Ausfuhren

USA 41,5 EU 30,8 China 46,5

FÜHRUNG DER EU IM WELTWEITEN AGRAR- UND LEBENSMITTELEXPORT (2018) Mit einer Summe von rund 138 Milliar- den € für das Jahr 2018 kann die EU ihre Position als weltweit größter Exporteur von Agrarund Lebensmittelerzeugnissen erneut behaupten. Weitere große Player Schweiz: 6 % stellen hierbei die USA mit 128,1 Milliar- den €, Brasilien (72 Milliarden €), China (46 Milliarden €) und Kanada (20 Milliar- den €) dar. Im Export dominieren hierbei China: 8 % die Waren Wein, Wermut, Spirituosen und Liköre, Babynahrung, Mehl sowie sonstige Lebensmittelerzeugnisse. Wäh- rend die Gesamtsumme der Ausfuhren 71 % des Werts aller EU-weiten Exporte beträgt, sind die top drei Exportmärkte der EU für Agrar- und Lebensmitteler- zeugnisse die USA (16 %), China (8 %) und

TOP 3 ExportmärkteTOP der EU USA: 16 % die Schweiz (6 %).

82 83 zur Geburt von teils bis heute wirkenden (Vor-)Urteilen plizit mitgestalten zu wollen. Die eigene Verantwortung PAUL SCHMIDT gegenüber der Union führte. Die im Rahmen der Bei- und die Beteiligung an europäischen Beschlüssen wer- trittskampagne versprochenen Vorteile erwiesen sich den ungern thematisiert. Umso lautstarker zeigen sich als oft zu allgemeingültig formuliert, eine schwächelnde dagegen desintegrative Stimmen, die, unterstützt von Konjunktur ließ die wirtschaftlichen Effekte zu Beginn Boulevard und virtuellen Echokammern, die Themenfüh- geringer ausfallen als erwartet. Das Referendum weck- rerschaft übernehmen. te Erwartungen, die nicht leicht zu erfüllen waren. Er- In der Diskussion um europäische Handelsabkom- 25 JAHRE ÖSTERREICH nüchterung und Indifferenz stellten sich ein. EU-kritische men etwa verabsäumte es die Politik, frühzeitig einen Stimmen füllten die Kommunikationslücke, die von der faktenbasierten Diskurs vorzugeben. Das entstandene IN DER EUROPÄISCHEN UNION – Politik offen gelassen wurde. Während laut Eurobarome- Informationsvakuum verstärkte ein diffuses Gefühl des ter im November 1994 noch 42 Prozent Vorteile und 31 Unbehagens in der Öffentlichkeit und trug zu verfestig- Prozent Nachteile durch die Mitgliedschaft erwarteten, ten Standpunkten bei. GEKOMMEN, UM ZU BLEIBEN hatte sich dieses Bild kaum ein Jahr später praktisch ge- Bei der Bewältigung der Herausforderung von Flucht dreht (Oktober 1995: 34 zu 44 Prozent). und Migration führte die gefühlte Überforderung in Ver- Die bilateralen Maßnahmen der EU-14 nach dem suchung, gemeinsame europäische Verantwortung durch Regierungseintritt der FPÖ im Jahr 2000 versetzten der nationalen Aktivismus und verschärfte Sicherheitsrhetorik EU-Stimmung einen weiteren Dämpfer, besonders da sie zu ersetzen und die Union als handlungsschwachen Ge- der Union und ihren Institutionen generell zugeschrie- genpol darzustellen. Der Teilnahme Österreichs an der europäischen Integra- Die stärksten Befürworter fanden sich im Burgen- ben wurden. Die selektive Wahrnehmung „Brüssels“ als Österreichs Stellung als Nettozahler – eigentlich tion waren infolge der Nachkriegsordnung lange Jahre land, wo sich fast drei Viertel für die EU-Mitgliedschaft Widerpart heimischer Interessen wirkt bis heute nach. aber als Nettogewinner – lässt seit jeher die Wogen Grenzen gesetzt. Erst mit der Annäherung von Ost und aussprachen, am wenigsten begeistert zeigten sich mit Das offizielle Österreich hat sich trotzdem über hochgehen. Die Kosten-Nutzen-Debatte wird allzu eng West – symbolisiert durch die Öffnungspolitik Michail knapp über 56 Prozent die Tiroler. Die hohe Zustimmung weite Strecken seiner Mitgliedschaft als Unterstützer geführt, eine Opposition zwischen heimischen und euro- Gorbatschows – konnte ein Beitritt zur damaligen Euro- war damals alles andere als selbstverständlich, der Ab- des Integrationsprozesses verstanden und war bei allen päischen Interessen konstruiert. päischen Wirtschaftsgemeinschaft realistisch in Erwä- stimmungsausgang bis zuletzt unsicher. Noch zu Beginn maßgeblichen Einigungsschritten von Anfang an dabei. Traditionell muss auch der viel zitierte „Regulie- gung gezogen werden. Mit dem sogenannten Brief nach des Jahres 1992 „erscheint die Europäische Gemeinschaft Dies führte zum einen zu einer intendierten Stärkung des rungswahn“ der EU für innenpolitische Profilierung her- Brüssel, der von Außenminister Alois Mock im Namen der im allgemeinen Stimmungsbild der Bevölkerung als etwas, europäischen Identitätsgefühls, bewirkte aber – gerade halten. Plakative Beispiele und die sie umgebenden My- Bundesregierung am 17. Juli 1989 an den Präsidenten des das außerhalb Österreichs liegt. Die Bevölkerung sieht kei- in der Implementierungsphase – in skeptischeren Bevöl- then sind fest im kollektiven Bewusstsein verankert, hoch EG-Ministerrats, Roland Dumas, gesandt wurde, startete nen unmittelbaren Einfluss und keine Vorteile in ihrem kerungsgruppen auch einen gegenteiligen Effekt. So war emotionalisiert und werden bei sich bietender Gelegen- ein Prozess, der nicht nur zu einem tief greifenden struk- individuellen Leben durch eine EU-Mitgliedschaft“, wie die Einführung des Euro – eigentlich eine Phase hoher heit gerne wiederholt. Dass diese Regelungen eigentlich turellen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftli- aus einer Dokumentation des Außenministeriums zum Zustimmung zur EU – auch von einer Teuerungsdebatte von den Mitgliedstaaten oftmals selbst initiiert wurden chen Wandel führte, sondern gleichzeitig auch von den Beitrittsprozess hervorgeht. In Meinungsumfragen ent- geprägt. Die Erweiterungsrunde 2004, die hierzulande und dahinter auch relevante ökonomische, umweltpoli- Österreicherinnen und Österreichern eine Neubewer- schieden sich damals 38 Prozent für eine EU-Mitglied- zwar mehrheitlich begrüßt wurde, nährte auch Zweifel tische oder soziale Überlegungen stehen könnten, findet tung der Stellung ihres Landes in Europa und der Welt schaft, 30 Prozent dagegen, während ein Drittel unent- über die faire Verteilung des wirtschaftlichen Mehrwerts selten Eingang in die öffentliche Auseinandersetzung. verlangte – ein notwendiger, wenn auch kein leichter schlossen war. Nur 16 bis 18 Prozent der Österreicher der EU-Mitgliedschaft und Sorgen vor erhöhtem Wettbe- Schritt, war doch das Bild Österreichs als einer Insel der fühlten sich „als Europäer“. werb vor allem im Niedriglohnsektor, was dann mit Ende Seligen, als eines neutralen, von den Unbilden des Welt- Den Ausschlag gab schlussendlich, dass sich so- der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit Austritt aus der Europäischen geschehens kaum berührten Landes in der Mitte Euro- wohl Regierungsparteien als auch Sozialpartner einhellig nochmals zum Thema wurde. Auch die Diskussion über Union nicht vorstellbar pas, fest im heimischen Selbstverständnis verankert. für den Beitritt zur EU eingesetzt hatten. Mit dem Motto die Einführung der letztlich gescheiterten EU-Verfassung „Besser gemeinsam als einsam“ wurde die Identifikation bzw. des Vertrags von Lissabon sowie die Öffnung der Bei aller Kritik an der Funktionsweise der Union: Einen mit Europa bewusst thematisiert. Der Wunsch, eine Ab- Grenzen im Zuge der Schengenerweiterung sind Teil die- Austritt aus der EU kann sich die überwiegende Mehr- Ergebnis der seitsstellung Österreichs zu verhindern, zählte zu den ses ambivalenten Bilds. heit der Österreicherinnen und Österreicher dennoch EU-Volksabstimmung wichtigeren Motiven, für den Beitritt zu stimmen. Haupt- nicht vorstellen. 59 bundesweite Befragungen der Ös- beweggrund für ein Ja war jedoch unbestritten die Er- terreichischen Gesellschaft für Europapolitik seit Juni Dennoch ergab die am 12. Juni 1994 abgehaltene EU-­ wartung wirtschaftlicher Vorteile. Im Gegenzug machten Europaidentifikation 1995 zeigen, dass – trotz Schwankungen – die Befür- Volksabstimmung einen deutlichen Ausschlag zuguns- Beitrittskritiker Nachteile für Landwirtschaft und Um- der Österreicher worter der EU-Mitgliedschaft stets in der Mehrheit wa- ten der Mitgliedschaftsbefürworter. Zwei Drittel (66,58 welt, eine höhere Transitbelastung und die Gefährdung ren. Im Durchschnitt lag ihre Zahl bei rund 70 Prozent, Prozent) gaben ihre Zustimmung, bei einer Wahlbetei- der Neutralität geltend. Die Frage nach der Europaidentifikation der Österreicher die Zahl jener, die sich für den EU-Austritt aussprachen, ligung von 82 Prozent. Damit stieß der Beitritt letztlich Aufgrund der Tragweite der Entscheidung be- ist untrennbar mit der heimischen Europadiskussion ver- dagegen bei 22 Prozent. Die höchste Zustimmung fand auf deutlich positivere Resonanz als in anderen Ländern, herrschten Emotionen und eine Polarisierung des Mei- bunden. Symptomatisch für den EU-Diskurs hierzulande sich im Juni/Juli 2002 (80 Prozent), der stärkste Wunsch die sich ebenfalls um die Mitgliedschaft bewarben – in nungsbilds die öffentliche Debatte – und haben seit da- sind sein oftmals defensiver Charakter, das Kokettieren nach einem Austritt im Juni/Juli 2008 (33 Prozent), als Schweden stimmten 52,3 Prozent, in Finnland 56,9 Pro- mals den heimischen EU-Diskurs nicht verlassen. mit EU-Skepsis und der Fokus auf die nächste Schlagzei- Irland den Vertrag von Lissabon ablehnte und im Zuge zent dafür, die Norweger lehnten mit 52,2 Prozent den Mit dem Tag der Volksabstimmung fand auch die le. Lange galt es als riskant, sich offen proeuropäisch zu dessen der Union von der heimischen Politik ein Demo- EU-Beitritt ihres Landes ab. umfassende Information über die EU ein jähes Ende, was positionieren und den Anspruch zu erheben, Europa ex- kratiedefizit und mangelnde Transparenz vorgeworfen

84 85 und überlegt wurde, bei künftigen EU-Vertragsände- DAS EUROPÄISCHE Die Vielfalt der europäischen Die europäische Kultur wird rungen auf Volksabstimmungen zurückzugreifen. Ein Festigung einer KULTURERBE Kultur macht ihre Einzigartig- durch die Globalisierung noch IN DER WAHRNEHMUNG ähnliches Niveau erreichte die Austrittsbefürwortung europäischen Identität keit und ihren besonderen dynamischer werden und sich DER EU-BÜRGER im Zuge der griechischen Staatsschuldenkrise (2012) Wert aus. weiter in der Welt ausbreiten. Ziel der europäischen Kul- sowie als Folge der im Herbst 2015 einsetzenden Die Festigung einer europäischen Identität ist ein turpolitik ist, das kulturelle Flucht- und Migrationsbewegungen nach Mitteleuro- Prozess, der nicht von heute auf morgen stattfindet. Die Erbe Europas zu erhalten sowie das Kunst- und pa und dem damit verbundenen Erstarken rechtspo- vielfältige Geschichte Europas belegt, dass ihre Ausbil- Kulturschaffen in seiner pulistischer Strömungen. dung aus einer weiteren Perspektive betrachtet werden 80 % 62 % Vielfalt zu fördern und für alle EuropäerInnen zugäng- Aktuell wünschen sich drei Viertel der Österreicher, muss. Helfen könnte jedoch ein konstruktiveres Europa- lich zu machen. Eine Studie dass unser Land EU-Mitglied bleibt, gerade ein Zehntel narrativ, das überzeugende, gemeinsam getragene und hinsichtlich der Bedeutung der europäischen Kultur plädiert dafür, die Union zu verlassen. Der Stimmungs- selbstbewusste Antworten auf jene Fragen gibt, die für und des Kulturerbes ergab, umschwung ist eng mit dem 23. Juni 2016, dem Tag der die Bevölkerung ganz oben auf der Prioritätenliste stehen: dass ebendiese Vielfalt Brexitabstimmung, verbunden, die Wahl von Donald Klimaschutz, Sicherheit, Wohlstand. Dafür braucht es nicht für 80 % der Befragten die Einzigartigkeit der euro- Trump einige Monate später tat ihr Übriges. Eine Euro- zwangsläufig neue Verträge, sondern politischen Gestal- Das Leben in der Nähe von Das europäische Kulturerbe päischen Kultur ausmacht, barometer-Umfrage des EU-Parlaments von Juni 2019 tungswillen in den Regierungsvierteln Europas und gene- wobei ein ebenso hoher Orten, die mit dem Weltkultur- ist für sie persönlich wichtig. Anteil bestätigte, dass das kommt zu dem Ergebnis, dass das Ansehen der EU das rations- und grenzübergreifendes Denken und Handeln. erbe Europas in Zusammen- europäische Kulturerbe für höchste Niveau seit dem Jahr 2000 erreicht, dass sich Auch für Österreich ist die Europäische Union we- hang stehen, kann Menschen die EU wichtig sei (80 %). 70 % sind überdies davon drei Viertel als EU-Bürger fühlen und dass sich die Hälf- der Gegensatz noch Außenfeind, sondern eine Chance, das Gefühl der Zugehörigkeit überzeugt, dass das Leben te auch persönlich mit der Union identifiziert. Doch das neue politische Spielräume zu nutzen und mit proakti- zu Europa geben. in der Nähe von Orten, die Meinungsbild differiert teils deutlich nach einzelnen Be- ver Politik unser Land und Europa weiterzuentwickeln. mit dem Kulturerbe Europas 84 % in Zusammenhang stehen, völkerungsgruppen: Ältere Befragte und Personen am Angesichts der demografischen Entwicklungen und 70 % Menschen das Gefühl der Land stehen der Union kritischer gegenüber, was auch wirtschaftlichen Verflechtungen kann Österreich nur im Zugehörigkeit zu Europa gibt. Gleichzeitig bestätigen für jene Österreicher gilt, die sich eher rechts im politi- EU-Rahmen weltweit bestehen. Das gilt ebenso für die 62 % der Befragten, dass die schen Spektrum ansiedeln. vermeintlich Großen in der EU, von denen manche nach europäische Kultur durch die Globalisierung dynami- Alleine der verbesserten Performance der EU die wie vor nicht registriert zu haben scheinen, dass sie glo- scher wird und sich weiter grundsätzlich positivere Entwicklung zuzuschreiben bal gesehen auch ziemlich klein aussehen. in der Welt ausbreiten wird. 84 % der Befragten gaben wäre vermessen, denn die Meinungsunterschiede zwi- Vor einem Vierteljahrhundert haben die Österreiche- Das europäische Kulturerbe an, dass das europäische schen den Mitgliedstaaten nehmen nicht ab, die Inte- rinnen und Österreicher über ihren künftigen Integrations- ist wichtig für die EU. Kulturerbe für sie persönlich wichtig sei, während 87 % grationsrichtung ist weiter umstritten. Das abschre- weg entschieden – ein nicht immer einfacher, doch ein sich der Meinung sind, dass die ckende Beispiel des Brexits hat jedoch, ebenso wie die lohnender Weg, insbesondere wenn statt Polarisierung Kultur eine wichtige Rolle aggressive Rhetorik aus Washington, dazu beigetragen, und Konflikt Selbstvertrauen, eine stärkere Identifikation für ihre Region spielt. Mit 91 % ist die überwiegende dass die Zugehörigkeit zur EU wieder stärker geschätzt und Sachlichkeit in den Vordergrund gestellt werden. Ein Mehrheit der Überzeugung, wird. Auch der Anstieg der Beteiligung an den Europa- nachhaltig positives EU-Image ist kein Selbstläufer, aber dass das Kulturerbe für das 80 % eigene Land von großer Be- wahlen gegenüber 2014 – EU-weit um mehr als 8, in Ös- mit politischem Willen, vermehrt eigenen Akzenten sowie deutung ist. terreich um 14 Prozentpunkte – weist in diese Richtung Dialogbereitschaft kann die gefühlte Distanz zur EU nur und zeigt zudem ein gestiegenes Interesse an europäi- geringer werden. Es zahlt sich aus, sich dafür einzusetzen. schen Entwicklungen. Österreich ist gekommen, um zu bleiben.

Das europäische Kulturerbe Das europäische Kulturerbe ist wichtig für die eigene Re- ist wichtig für das eigene gion. Land.

87 % 91 %

86 87 wirtschaftliche Landesverteidigung angesprochen wird, cherheitssystem als auch zu einer Neuinterpretation des THOMAS PANKRATZ die in unterschiedlichen Anlassfällen in unterschied- Neutralitätsbegriffs. Mit dem Beitritt Österreichs zur EU licher Qualität zum Tragen kommen sollten. Ein zwei- begann eine neue Phase der Sicherheitspolitik. Mit der ter zentraler Eckpfeiler war und ist die immerwährende EU-Mitgliedschaft ab 1. Jänner 1995 übernahm Öster- Neutralität, wie sie im Bundesverfassungsgesetz vom 26. reich sämtliche politischen und rechtlichen Verpflichtun- Oktober 1955 festgehalten wurde. Diese war zunächst im gen, auch in Bezug auf die sich abzeichnende Gemein- DER BEITRITT ÖSTERREICHS ZUR EU – Zuge der Verhandlungen zum Staatsvertrag ein Mittel, same Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Gleichzeitig um die Souveränität Österreichs wiederzuerlangen und mit dem EU-Beitritt erhielt Österreich den Beobachter- in weiterer Folge, auch über die sogenannte aktive Neu- status in der Westeuropäischen Union (WEU), die in der DIE SICHERHEITSPOLITISCHE DIMENSION tralitätspolitik der 1960er- und 1970er-Jahre, die Sicher- Sicherheitspolitik kontinuierlich mit der Europäischen heit Österreichs im Ost-West-Konflikt zu gewährleisten. Union verknüpft wurde. Seit 1995 beteiligt sich Öster- Parallel entwickelte sich die Neutralität als identitätstif- reich an der Partnerschaft für den Frieden der NATO (PfP). tendes Momentum, verlor aber mit der Zeit ihre Funktion Ebenfalls 1995 schloss sich Österreich dem Schengener als Mittel und wurde immer mehr zum eigentlichen poli- Übereinkommen an, womit es durch die damalige lange tischen Ziel.6 Die österreichische Sicherheitspolitik war EU-Außengrenze eine besondere sicherheitspolitische jedoch nie ausschließlich rein national ausgerichtet. Der Aufgabe erfüllte. bereits im Dezember 1955 erfolgte Beitritt zur UNO, die Teilnahme an UN-Friedenseinsätzen (ab 1960), die akti- 1. Einleitung1 Dazu werden zunächst diese Grundparameter un- ve Neutralitätspolitik sowie auch der ausgeprägte Multi- tersucht. In weiterer Folge werden die sicherheitspoliti- lateralismus spiegeln die Idee wider, die österreichische 3. Die sicherheitspolitische sche Dimension des Beitritts selbst und die Entwicklung Sicherheitspolitik zu internationalisieren. Und letztlich Dimension des Beitritts zur Von der österreichischen Öffentlichkeit und Politik der österreichischen Sicherheitspolitik im Rahmen der EU – spätestens seit Mitte der 1970er-Jahre – ist durch die wurde und wird der Beitritt zur EU (der damaligen EG) behandelt.5 Exemplarisch wird hierbei auf die Dimension aktive Mitwirkung im Rahmen des KSZE-Prozesses auch EU und der Mitgliedschaft 1995 als wichtigstes politisches Ereignis seit dem öster- der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) das Interesse an der Mitgestaltung einer europäischen 9 reichischen Staatsvertrag bewertet. Mittlerweile ist die bzw. Europäischen/Gemeinsamen Sicherheits- und Ver- Sicherheitspolitik zu bemerken. in der EU Mitgliedschaft in der EU eine Selbstverständlichkeit, teidigungspolitik (ESVP/GSVP) eingegangen; dies nicht Die österreichische Sicherheitspolitik ist aber auch hat im Grunde alle Lebens- und Politikbereiche durch- zuletzt, da hier das besondere Spannungsverhältnis mit dadurch gekennzeichnet, dass oftmals eine Diskrepanz Nachdem in Österreich lange Zeit der Konsens herrschte, drungen und wird trotz aller möglichen oder auch nur der österreichischen Neutralität zum Tragen kommt. In zwischen guten Konzepten und der realen Umsetzung zu dass eine Mitgliedschaft in der EG vor allem aus außen- vermuteten Nachteile prinzipiell nicht infrage gestellt. einem kurzen Exkurs werden Beitritt und Mitwirkung in bemerken ist.7 Ein Grund hierfür ist sicherlich das kaum politischen und neutralitätsrechtlichen Gründen unmög- Eine Nichtmitgliedschaft Österreichs in der EU ist heute der EU unter strategischen Gesichtspunkten dargestellt. spürbare Interesse sowie auch Verständnis sowohl der lich sei10, wurde ab Mitte 1985, spätestens ab 1986 die kaum noch vorstellbar.2 Letztlich wird in einer Zusammenfassung und Bewer- heimischen Politik als auch der Bevölkerung an sicher- Diskussion über einen EG-Beitritt doch zu einem, wenn Mehrheitlich wird die Mitgliedschaft in der Europäi- tung Resümee gezogen. heitspolitischen Themen. Dies steht auch in engem Zu- nicht dem zentralen politischen Thema. Maßgeblich hier- schen Union von den im Parlament vertretenen Parteien sammenhang mit dem Umstand, dass Sicherheit, trotz für waren u. a. der sich abzeichnende Abschwung der ös- durchaus positiv gesehen. Auch wenn die österreichische des offiziellen Bekenntnisses zu einem umfassenden terreichischen Wirtschaft, aber auch verschiedene innen- Bevölkerung zu den eher EU-kritischen Bevölkerungen Verständnis, oftmals nur segmenthaft wahrgenommen politische Entwicklungen sowie eine Dynamisierung des innerhalb der Union zählt, hält eine große Mehrheit die 2. Grundparameter und bzw. verstanden wird. Sicherheit und Sicherheitspolitik Integrationsprozesses der Europäischen Gemeinschaft.11 Mitgliedschaft in der EU für wichtig. 74 Prozent der Ös- werden sowohl von Bevölkerung als auch Politik oftmals Letztlich eröffneten auch die 1989 sich fundamental ver- terreicher gaben in einer Befragung der Österreichischen Phasen der österreichischen mit Landesverteidigung, innerer Sicherheit, Bundesheer, änderten weltpolitischen Rahmenbedingungen die reale Gesellschaft für Europapolitik von September 2019 an, Polizei, Kriminalität, Migration und Terrorismus (um nur Chance, den Beitritt Österreichs zur EU zu beantragen. dass Österreich Mitglied der EU bleiben solle, lediglich Sicherheitspolitik einige Schlagworte zu nennen) gleichgesetzt. Diese sind Der sogenannte Brief nach Brüssel mit dem Bei- 10 Prozent plädierten für einen Austritt. 16 Prozent be- zwar zentrale Elemente bzw. Themen, spiegeln aber trittsansuchen Österreichs wurde am 17. Juli 1989 an den zogen keine Stellung. Insgesamt 59 österreichweite ÖG- Betrachtet man die österreichische Sicherheitspolitik, so nicht das ganze Spektrum von Sicherheit, insbesondere Außenministerrat der Europäischen Gemeinschaft über- fE-Befragungen seit Juni 1995 zeigen, dass trotz Schwan- lassen sich einige Grundparameter ableiten: Sicherheit nicht von Sicherheitspolitik, wider. geben. Bereits knapp eineinhalb Jahre nach formeller kungen die Befürworter der EU-Mitgliedschaft stets wurde konzeptionell bereits sehr früh nicht nur unter Die Entwicklung der österreichischen Sicherheits- Aufnahme der Beitrittsverhandlungen am 1. Februar 1993 überwiegend in der Mehrheit waren.3 militärischen Gesichtspunkten, sondern umfassend ge- politik kann grob in drei Phasen unterteilt werden: wurden diese am 12. April 1994 abgeschlossen.12 Am 12. Der Beitritt zur EU und die Mitgliedschaft berührte sehen. Dies lässt sich aus den Erfahrungen des Zweiten Während der Phase 1945 bis 1955 bzw. 1955 bis Juni 1994 sprachen sich rund zwei Drittel (66,58 Prozent) selbstverständlich auch die österreichische Sicherheits- Weltkrieges sowie aus der Erkenntnis heraus erklären, 19898 war das Ziel der österreichischen Sicherheitspoli- der österreichischen Bevölkerung in einer Volksabstim- politik.4 Die nun folgenden Gedanken widmen sich der dass sich ein neutraler Kleinstaat im Spannungsfeld zwi- tik zunächst die Wiedererlangung der Souveränität. Seit mung für die Mitgliedschaft Österreichs in der EU aus; dies Frage, ob und inwieweit sich die österreichische Sicher- schen zwei rivalisierenden Blöcken nicht alleine militä- der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 war sie vom war damals die höchste Zustimmungsrate aller Kandida- heitspolitik seit dem EU-Beitritt vor allem entlang zentra- risch verteidigen kann, sondern alle seine Kräfte bündeln Ost-West-Konflikt geprägt und durch die Neutralität ge- tenländer. Österreich trat schließlich am 1. Jänner 1995 der ler Grundparameter geändert hat. Gab und gibt es eine muss. Dieses Denken manifestierte sich im Konzept der kennzeichnet. Die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts EU bei. Die Anzahl der EU-Mitgliedsländer wuchs somit Kontinuität oder muss man von einer grundsätzlichen ULV von 1975 bzw. im Landesverteidigungsplan 1985, in geänderten Rahmenbedingungen führten ab 1989 (Pha- von zwölf auf 15, denn neben Österreich traten 1995 auch Neuorientierung sprechen? dem neben der militärischen auch die zivile, geistige und se 2) sowohl zu einer Annäherung an das westliche Si- Schweden und Finnland der Europäischen Union bei.13

88 89 Zu den Themen, die im Vorfeld des Beitritts disku- Die Situation im ehemaligen Jugoslawien, die Ge- Durch den Vertrag von Nizza 2001 wurde die Euro- und zu den dieser zugrunde liegenden Absichten steht tiert und die auch im Rahmen einer breit angelegten In- fahr einer Eskalation und eines möglichen Übergreifens päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) als oder die EU keine gemeinsame Position bezieht. Öster- formationskampagne der Bundesregierung thematisiert auf Österreich und die damit einhergehende Diskussion, integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und reichs Neutralität wurde somit nicht nur der Charta der wurden, zählten sicherheitspolitische Aspekte eher am ob das österreichische Bundesheer in der Lage wäre, das Sicherheitspolitik eingeführt. Durch den Vertrag von UNO32, sondern auch den Bestimmungen der GASP und Rande. Sicherheit wurde vor allem in Kontext mit der sich Land im Falle einer Aggression zu verteidigen, führten Lissabon 2007 wurde diese in Gemeinsame Sicherheits- der GSVP untergeordnet. Daher spricht man heute nicht entwickelnden Gemeinsamen Außen- und Sicherheits- dazu, dass die Neutralität an Popularität verlor. Dennoch und Verteidigungspolitik (GSVP)26 umbenannt und zur mehr von einer integralen, sondern von einer differen- politik thematisiert.14 In diesem Zusammenhang wurde kann angenommen werden, dass die Mehrheit der Bevöl- gleichen Zeit reformiert und erweitert. Zielsetzung war, tiellen Neutralität. darauf hingewiesen, dass bei der Entwicklung der GASP kerung auf einen Beitritt zur EU verzichtet hätte, wenn ein Instrument der EU zur Bewältigung der neuen Sicher- „auf die sicherheitspolitischen Traditionen der einzelnen dies eine Aufgabe der Neutralität bedeutet hätte.19 heitsbedrohungen zu schaffen. Zu den ersten Schritten Mitgliedsländer auf jeden Fall Rücksicht genommen werden Um im Hinblick auf den Neutralitätsstatus etwaige auf diesem Weg zählten eine Effizienzsteigerung des Ver- soll“.15 Zudem wurde betont, dass „sich Österreich nach Probleme zu vermeiden, wurde mit der Ratifizierung des teidigungssektors in der EU und eine bessere gegenseiti- 4. Ein kurzer Exkurs: EU-Beitritt dem erfolgten Beitritt in allen internationalen Belangen mit EU-Vertrags der Artikel 23f20 in die Bundesverfassung ein- ge Abstimmung unter den EU-Staaten. Ziel ist auch, Vor- aus strategischer Perspektive den übrigen Mitgliedstaaten abstimmen wird, um eine ge- gefügt. Dieser bestimmt, dass die Mitwirkung an der Ge- bereitungen einer möglichen zukünftigen gemeinsamen meinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu ermöglichen“. meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verfassungs- europäischen Verteidigung zu treffen. Aus der Teilnahme an der gemeinsamen Außenpolitik rechtlich nicht durch das Neutralitätsgesetz beschränkt In der Österreichischen Sicherheitsstrategie von Interessant scheint, den Beitritt Österreichs zur EU bzw. würden sich keine großen Veränderungen ergeben, da wird. Möglich wurde dies auch dadurch, dass die Außen-, 2013, die die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin ab- die Rolle der EU für Österreich durch die „strategische sich die Positionen in den vergangenen Jahren ohnehin Sicherheits- und später die Verteidigungspolitik seit ih- löste, wird betont, dass „Österreich seine sicherheitspoli- Brille“ zu betrachten. Zentrale Frage hierbei ist, welche kaum unterschieden hätten.16 rer Entstehung streng intergouvernemental strukturiert tischen Gestaltungschancen in erster Linie im Rahmen der Rolle die EU in der Gesamtstrategie Österreichs spielt. Eine der zentralen sicherheitspolitisch relevanten sind sowie durch das in diesen Bereichen geltende Ein- VN, der EU, der OSZE, von Partnerschaften mit der NATO und Ein Rückgriff auf die Grundprinzipien strategischen Fragen, die heftig diskutiert wurde, war, ob der Beitritt stimmigkeitsprinzip.21 des Europarats, darüber hinaus in Kooperation mit regiona- Denkens kann hier eine Klärung bringen. Die Strategie Österreichs zur EU mit der immerwährenden Neutralität Mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam im len Partnern sowie gegebenenfalls in Kooperation mit wei- in einem modernen Verständnis kennt drei zentrale Ele- vereinbar wäre. Juni 1999 wurde die GASP schließlich um die sogenann- teren geeigneten Akteuren [wahrnimmt]“.27 Die EU bildet mente: Ziel, Mittel und die strategisch-relevante Umwelt. Als 1989 im Nationalrat der Antrag auf Mitgliedschaft ten Petersberg-Missionen erweitert. Diese sehen neben als „umfassende Friedens-, Sicherheits- und Solidargemein- Strategisch-relevante Umwelt bezieht sich auf die für in der Europäischen Gemeinschaft (EG) beschlossen wur- humanitären Aufgaben, Rettungseinsätzen und frie- schaft […] den zentralen Handlungsrahmen für die österrei- den jeweiligen Akteur relevante Umwelt, wie diese sich de, geschah dies mit dem Vorbehalt, dass auch bei einer denserhaltenden Maßnahmen auch die Möglichkeit für chische Sicherheitspolitik. Österreich wird sich an der Sicher- real abbildet und wie der jeweilige Akteur letztere wahr- vollen Integration in die Staatengemeinschaft an der Neu- Kampfeinsätze, einschließlich friedensschaffender Maß- heitspolitik der EU in allen ihren Dimensionen beteiligen“.28 nimmt und interpretiert, sowie auch, wie er selbst wahr- tralität festgehalten werden müsse. Im Beitrittsgesuch nahmen, vor. Österreich hat diesbezüglich keine Vorbe- Dies inkludiert auch die aktive Beteiligung an der Weiter- genommen werden will.33 vom 17. Juli 1989 findet sich folgende Formulierung: halte vorgebracht und wirkt in vollem Umfang mit. entwicklung der GSVP, an der Österreich vollumfänglich Strategische Ziele sind als die übergeordneten Die Entwicklungen im Bereich der Sicherheitspolitik und ohne Vorbehalte teilnimmt. Dies bezieht sich auch Ziele eines jeden Akteurs zu verstehen und können in „Austria submits this application on the understan- der EU fanden auch Niederschlag in der im Jahr 2001 vom auf die in Art. 42 Abs. 2 festgelegte Bestimmung des Lis- weiterer Folge in Macht34- und Gestaltungsziele35 unter- ding that its internationally recognized status of per- Nationalrat verabschiedeten Sicherheits- und Verteidi- sabonner Vertrages, die zu einer gemeinsamen Vertei- teilt werden. Geht man vom Staat als zentralem Akteur manent neutrality […] will be maintained and that, as gungsdoktrin. In dieser werden die grundlegenden Prin- digung führen kann.29 Um diesem Umstand Rechnung der internationalen Beziehungen aus, so sind dessen a member of the European Communities by virtue of zipien, nach denen die Sicherheitspolitik gestaltet werden zu tragen, wurde Art. 23j in die Bundesverfassung ver- übergeordnete strategische, d. h. politische36 Ziele das the Treaty of Accsession, it will be able to fulfill its legal soll, dargelegt. Dementsprechend soll den zivilen und ankert. Diese Position führte in weiter Folge auch dazu, Überleben an sich bzw. die Existenzsicherung von Staat obligations arising out of its status as a permanently militärischen Aspekten der Sicherheit entsprechende Be- dass Österreich an der im Dezember 2017 ins Leben ge- und Gesellschaft, das reibungslose Funktionieren und neutral State and to continue its policy of neutrality deutung beigemessen werden (umfassende Sicherheit), rufenen Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit ohne die Weiterentwicklung des Staats und der Gesellschaft, as a specific contribution towards the maintenance of die Chancen im präventiven Krisenmanagement genutzt Vorbehalte teilnimmt. Stabilität und Einheit und gegebenenfalls auch die Be- peace and security in Europe“.17 (präventive Sicherheit) und die europäische Solidarität Die Vereinbarkeit mit der Neutralität wird durch hauptung des eigenen gesellschaftspolitischen Systems einer nationalen Sicherheitspolitik vorgezogen werden.22 Art. 41 Abs. 2 des EU-Vertrags (EUV) gewährleistet, dem- (Souveränität nach außen und innen) sowie der zugrun- Zur gleichen Zeit bekannte sich die Große Koalition je- Abgeleitet wird dies vom geänderten Bedrohungsbild zufolge „die Politik der Union nach diesem Abschnitt […] de liegenden Werte. Im Kern geht es um Macht, die Be- doch vollinhaltlich zu den Zielsetzungen der Gemein- und den veränderten geopolitischen Rahmenbedingun- nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Ver- wahrung der Deutungs- und Handlungshoheit und letzt- samen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen gen.23 Dies führte zu der Erkenntnis, dass Sicherheit im 21. teidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten [berührt]“.30 lich Sicherheit. Als Mittel sind hierbei sowohl Wege als Union. In der Informationsbroschüre „Europa. Das Buch“ Jahrhundert nicht mehr von Staaten allein, sondern nur Durch den Vertrag von Lissabon wurde auch eine gegen- auch Instrumente zu verstehen. Zu den Instrumenten wird argumentiert, dass man aufgrund der Beschlüsse mehr im Verbund gewährleistet werden könne. Die EU seitige Beistandsverpflichtung aller EU-Mitgliedstaaten können Diplomatie, wirtschaftliche Faktoren aber auch von Maastricht davon ausging, dass die Neutralität Öster- wird hier ganz eindeutig als zentraler Sicherheitsrahmen im Falle eines bewaffneten Angriffs verankert. Aber auch Gewaltmittel (z. B. Streitkräfte) u. dgl. gezählt werden. reichs mit den zukünftigen Zielsetzungen der Gemein- Österreichs beschrieben: „Die Sicherheit Österreichs und in diesem Fall stellt die sogenannte irische Klausel31 die Wie diese Mittel eingesetzt werden, um die Ziele zu er- schaft in Einklang gebracht werden könne; dies umso der EU sind untrennbar miteinander verbunden. Österreich theoretische Vereinbarkeit mit der Neutralität sicher. reichen, bezeichnet man als Weg. Ein solcher kann z. B. mehr, als die Neutralitätspolitik in Inhalt und Funktion verwirklicht seine Sicherheitspolitik heute im Wesentlichen Obwohl Österreich formal immer noch neutral ist, ein institutionalisierter oder anomischer Machtprozess den neuen Gegebenheiten in Europa Rechnung tragen im Rahmen der EU“.24 In der Doktrin wird auch die Funk- hat die sich weiterentwickelnde EU-Mitgliedschaft die ebenso wie die Teilnahme an (oder auch Nichtteilnah- müsse. Explizit wird darauf verwiesen, dass die EG bei der tionalität der Neutralität thematisiert und bemerkt, dass Rolle der österreichischen Neutralität dennoch maßgeb- me oder Austritt von) Bündnissen, Allianzen, der Beitritt Entwicklung der GASP den besonderen Charakter der der völkerrechtliche Status Österreichs im internationalen lich beeinflusst. Die Möglichkeit einer autonomen Neu- zu einer Gemeinschaft sowie auch Kooperative oder ein Sicherheitspolitik einzelner Mitgliedstaaten berücksich- Vergleich nicht mehr dem eines neutralen, sondern dem tralitätspolitik kann im Grunde nur mehr dann zum Tra- konfrontativer Ansatz oder ein Alleingang sein. Ideal- tigen werde.18 eines allianzfreien Staats entsprechen würde.25 gen kommen, wenn sie nicht im Gegensatz zur EU-Politik typisch sind diese drei zentralen Elemente (Ziel, Mittel,

90 91 Umwelt) in einer staatlichen Gesamtstrategie festgelegt, (EPAC) besteht eine gewisse Nähe zur NATO, ohne aber krepanz zwischen politischer Willenserklärung und real- politik oder dem Politikbereich der inneren Sicherheit woraus sich in Folge entsprechende Handlungsoptionen Vollmitglied zu sein. Dieser Kurs findet bislang innen- wie politischem Engagement zu erkennen ist. gleichgesetzt. Für das große Ganze ist leider wenig ableiten lassen. außenpolitisch überwiegend Akzeptanz, auch wenn es Möglicherweise ist 1995 eine Chance vertan wor- Verständnis vorhanden. Es besteht die Gefahr, dass der Aus dieser strategischen Interpretation lässt sich klar immer wieder Kritik gibt. Österreichs Neutralität, auch den. Hierauf machte die ehemalige Bundesministerin Be- vorhin erwähnte Friedens- und Sicherheitsraum als zu ableiten, dass der Beitritt zur EU und die Mitgliedschaft in wenn sie sich selbst geändert hat und letztlich auch nita Ferrero-Waldner in der Informationsbroschüre „Die selbstverständlich wahrgenommen wird. Friede und dieser kein Ziel an sich war (auch wenn es so empfunden sehr „dynamisch“ interpretiert wird, wird wohl noch lan- österreichische Informationskampagne zum EU-Beitritt“ Sicherheit entstehen nicht von alleine, an diesen muss wird) bzw. ist, sondern ein Mittel zum Erreichen der über- ge eine sicherheitspolitische Konstante darstellen. Dies aufmerksam, indem sie darauf verwies, dass die Informa- permanent gearbeitet werden! geordneten strategischen Ziele Österreichs. Das Gleiche nicht zuletzt, da diese stark, auch emotional, in der Be- tionskampagne der Bundesregierung am Tag der Volks- gilt im Übrigen auch für die Neutralität. Auch wenn diese völkerung verankert ist.39 Dies zeigt eine Umfrage, die abstimmung endete. „Sie hätte aber über diesen Tag hin- oftmals als (Staats-)Ziel gesehen wird, ist sie doch letzt- im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für Euro- aus weiter fortgeführt werden sollen, um die Bevölkerung lich ein Mittel zum Erreichen des Ziels, d. h. der Sicherheit papolitik im Februar 2019 durchgeführt wurde: Dem- auch weiter über Europa und die wichtigsten Entwicklungen Österreichs. Und als solche sollte sie auch diskutiert und nach geben 56 Prozent der Befragten an, dass ihnen zu informieren.“43 Dies trifft auch – oder vielmehr in be- gesehen werden. die österreichische Neutralität persönlich „sehr wichtig“ sonderem Maße – auf den Bereich der Sicherheitspolitik Die Formulierung einer staatlichen Gesamtstrategie und 24 Prozent „eher wichtig“ ist. Die Zahl jener, die der zu. Es wäre dies die Chance gewesen, zum einen die EU ist die grundsätzlichste Aufgabe der obersten politischen Neutralität persönlich weniger Bedeutung zumessen, ist als wesentliches Element der österreichischen Sicherheit Führung. Von dieser Gesamtstrategie ist alles weitere Pla- dagegen gering (11 Prozent: „eher nicht wichtig“ bzw. 4 zu vermitteln, zum anderen aber auch die Notwendigkeit nen und Führen abzuleiten, wobei die übergeordneten Prozent „gar nicht wichtig“).40 Die Österreichische Sicher- adäquater Sicherheitspolitik in Bevölkerung wie auch Ziele in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen sind. heitsstrategie 2013 stellt gleich zu Beginn fest, dass eine Politik zu verankern. Diese Gesamtstrategie kann auch als Orientierungspunkt Eine solche Chance ist auch 2013 vertan worden. für die Bevölkerung gesehen werden, da hier die Ausrich- „moderne Sicherheitspolitik ein Querschnittsthema Hier wurde im Vorfeld zur Verabschiedung der Österrei- tung des Staats und die erforderlichen Mittel festgehal- ist, das in beinahe allen Lebens- und Politikbereichen chischen Sicherheitsstrategie postuliert, dass eine breite ten sind. Dies schafft zum einen Vertrauen in die Politik mitgedacht werden muss. Sie muss umfassend und in- sicherheitspolitische Diskussion geführt werden sollte. und hilft zum anderen, zu erkennen, dass die EU bzw. die tegriert angelegt, aktiv gestaltet und solidarisch um- Eine solche Diskussion, die vor allem auch die Bevöl- Sicherheitspolitik der EU nicht Selbstzweck sind37, son- gesetzt werden“.41 kerung hätte involvieren müssen, fand nicht statt. Dies dern Mittel zum Erreichen eines hohen Grades an Sicher- ist bedauerlich, denn die Sicherheitsstrategie gibt die heit für Staat und Bevölkerung. Das konzeptionelle Verständnis von Sicherheit und Grundlinie der österreichischen Sicherheitspolitik vor. Sicherheitspolitik ist im Grunde gleich geblieben, hat sich Und umso bedauerlicher ist es, dass dieses Grundsatz- aber weiter ausdifferenziert. Der umfassende, aber auch dokument kaum bekannt ist, weder in der Bevölkerung der proaktive Gedanke wurden im Laufe der letzten Deka- noch in der Politik. 5. Zusammenfassung den mehr betont. Dies findet letztlich Ausdruck im Begriff Getragen von einer Informationskampagne des und Bewertung und dem dahinterliegenden Konzept der Umfassenden Bundesministeriums für Landesverteidigung wird zur- Sicherheitsvorsorge, in dessen Rahmen die Sicherheits- zeit versucht, eine Diskussion um den dramatischen Zu- politik verwirklicht werden soll. Die Mitgliedschaft in der stand des österreichischen Bundesheers zu initiieren. Die österreichische Sicherheitspolitik hat sich seit dem EU spiegelt sich im Begriff „solidarisch“ wider: Es geht hierbei zwar in erster Linie um den Zustand des Beitritt zur EU kontinuierlich weiterentwickelt. Zu fragen Bundesheers, doch diese Diskussion wäre auch eine ist nun, ob sich an der grundsätzlichen sicherheitspoli- „Solidarische Sicherheitspolitik trägt dem Umstand Möglichkeit, Sicherheitspolitik an sich zu diskutieren tischen Konzeption, d. h. an den einleitend erwähnten Rechnung, dass die Sicherheit des neutralen Österreich und der Bevölkerung ein umfassendes, integriertes, Grundparametern, etwas geändert hat. und der EU heute weitestgehend miteinander verbun- proaktives sowie solidarisches Verständnis von Sicher- Die ganz große Veränderung – ohne diese an dieser den sind“.42 heit zu vermitteln. Und in diesen Diskurs müsste auch Stelle bewerten zu wollen – erfolgte nicht: So hätte Ös- die Rolle der EU als wesentliches Element der österrei- terreich theoretisch – sei es im Rahmen des Beitritts zur Auch wenn vieles zu kritisieren ist, überwiegen doch die chischen Sicherheitspolitik thematisiert werden. EU oder auch im Laufe der Mitgliedschaft – das Konzept Vorteile, die die Mitgliedschaft in der EU Österreich ge- Die gegebenen und vor allem künftigen Erfor- der Neutralität mit der Mitwirkung an der GASP und GSVP bracht hat. Die wohl größte Errungenschaft der EU ist die dernissen aber auch politischen Gestaltungsmöglich- aufgeben oder durch eine NATO-Vollmitgliedschaft38 er- Schaffung eines Friedens- und Sicherheitsraums, eines keiten stellen Politik und Gesellschaft vor erhebliche setzen können. Beide Varianten wurden zwar diskutiert, Raums, in dem Konflikte zwischen den Staaten nicht Herausforderungen und würden ein grundsätzliches es gab aber weder parteipolitisch noch in der Bevölke- gewaltsam mit militärischen Mitteln ausgetragen wer- Um- bzw. Neudenken von Sicherheitspolitik erfordern. rung eine entsprechende und überzeugende Mehrheit den. Es ist dies eine Tatsache, die, blickt man nur wenige Dies müsste zu einem Einstellungswandel zur Sicher- hierfür. Österreich hat einen Mittelweg gewählt, indem Jahrzehnte in die europäische Geschichte zurück, nicht heitspolitik und der zur Verfügung stehenden Mitteln, es an der Sicherheitspolitik der EU vollumfänglich teil- selbstverständlich ist. Durch die Mitgliedschaft in der EU d. h. auch den eigenen Streitkräften, führen. Dies ist nimmt, aber immer mit dem Verweis auf die Neutralität. hat Österreich die Möglichkeit, seine Interessen und Vor- aber bislang ausgeblieben, das Interesse, aber auch Hierzu wurden entsprechende gesetzliche Rahmenbe- stellungen einzubringen und aktiv mitzugestalten – wo- Kenntnisse in diesem Bereich bleiben eher begrenzt.44 dingungen geschaffen. Über die Partnerschaft für den bei Möglichkeit nicht gleich mit Umsetzen zu verstehen Sicherheit und Sicherheitspolitik werden nach wie vor Frieden und den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat ist und auch im Rahmen der EU immer eine gewisse Dis- oftmals lediglich punktuell nur mit Verteidigungs-

92 93 QUELLENHINWEISE 18 Bundeskanzleramt, Europa. Das Buch, Wien 1992; S. 124-125. 19 Vergl. Luif, On the Road to , Wien 1995; S. 241 bzw. 244. 824 Mio. € 455 Mio. € 1 Der Beitrag gibt die ausschließliche Meinung des Verfassers wieder. 20 Seit 2010: Artikel 23j. 2 Es wäre natürlich ein interessantes, wenn auch sehr kontrahistorisches 21 Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es allerdings die Möglichkeit, dass Sub-Programm MEDIA Sub-Programm Kultur Gedankenexperiment, zu überlegen, wie sich Österreich entwickelt hät- einzelne Mitgliedstaaten freiwillig eine sogenannte Ständige Strukturier- te, wäre es nicht der EU beigetreten. Interessant wären auch Überlegun- te Zusammenarbeit (SSZ; Permanent Structured Cooperation/PESCO) gen, wie die Diskussion ablaufen würde, würde Österreich heute das Bei- einrichten und in einigen Bereichen intensiver zusammenarbeiten. trittsansuchen stellen. 22 Bundeskanzleramt, Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin-Analyseteil, 3 Im Durchschnitt lag ihre Zahl bei rund 70 Prozent, die Zahl jener, die Wien 2001; S. 5-6. sich für den EU-Austritt aussprachen, dagegen bei 22 Prozent. Die Um- 23 So würden nicht mehr zwischenstaatliche Konflikte dominieren. Risi- frage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft vom ken, Gefahren und Bedrohungen entstehen vielmehr aus ungelösten 55 % 45 % 6. bis 13. September 2019 im Auftrag der ÖGfE durchgeführt. Siehe: innerstaatlichen Konflikten, transnationalem Terrorismus, organisierter https://oegfe.at/2019/10/29_umfrage_eumitgliedschaft (Abruf am 30. Kriminalität, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und regio- November 2019). nalen Konflikten. 4 Sicherheitspolitik wird hier zum einen als Grundaufgabe des Staats 24 Bundeskanzleramt, Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin – Allgemei- und zum anderen sehr umfassend verstanden: „diejenige Politik, die die ne Erwägungen, Wien 2001; S. 2. Gemeinwesen in die Lage versetzen soll, den Sicherheitsbedrohungen 25 Bundeskanzleramt, Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin – Allgemei- erfolgreich zu begegnen, sei es durch die Fähigkeit zur Risikovorsorge ne Erwägungen, Wien 2001; S. 8. oder zur präventiven Verhinderung, zur Abwehr, durch Schutzmaßnah- 26 Sie umfasst zivil-militärische, militärische und polizeiliche Maßnahmen. men oder zumindest durch die Fähigkeit zu einem ‚Folgemanagement‘“. Nationale Truppen können von den Mitgliedstaaten für gemeinsame Ein- Stefan Böckenförde, „Sicherheitspolitik“, in: Wichard Woyke/Johannes sätze zur Verfügung gestellt werden. Daneben gibt es seit 2004 aber auch Warwick, Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn 2016; S. 444. das Konzept der EU-Battlegroups. 5 Nicht nachgezeichnet wird hier die generelle Entwicklung der EU. 27 Bundeskanzleramt, ÖSS, Wien 2013; S. 7. 6 Anzumerken ist hier, dass die österreichische Neutralität im Grunde 28 Bundeskanzleramt, ÖSS, Wien 2013; S. 12. immer eine militärische Neutralität war und nie eine politische oder gar 29 Bundeskanzleramt, ÖSS, Wien 2013; S. 13. ideologische. Österreich fühlte sich immer dem „Westen“ zugehörig und 30 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union (März wurde auch als westlicher Staat gesehen. 2010): Artikel 41 Absatz 2. 7 So wurde der Landesverteidigungsplan 1985 aus unterschiedlichsten 31 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union (März Gründen in vielen Bereichen kaum umgesetzt. 2010): Artikel 42 Absatz 7. CREATIVE EUROPE 8 Zur Entwicklung der österreichischen Sicherheitspolitik bis 1989 siehe 32 Im Zuge des Golfkriegs 1991 wurde von Österreich unter Berufung auf u. a. Anselm Skuhra, Österreichische Sicherheitspolitik, in: Herbert Dachs/ Artikel 103 der UN-Charta die Vorrangigkeit der UN‐Charta vor der Neut- Das Programm Creative Europe Peter Gerlich/Herbert Gottweis et al. (Hg.), Handbuch des politischen ralität anerkannt. stellt eine der wichtigsten Säulen Systems Österreichs, 1991; S. 658-673. Bemerkenswerterweise findet sich 33 Dies könnte beispielsweise auf Österreich bezogen die Interaktion der des Kultur-und Kreativsektors der dieser Beitrag unter dem Abschnitt „Außenpolitik“. anderen Mitgliedstaaten zueinander und mit Österreich, die Interaktio- EU dar. Mit einem Gesamtbudget 9 Sehr ausführlich zur Vorgeschichte des EU-Beitritts auch unter sicher- nen der Organe der EU, Bedrohungen, Gefahren usw. sein. von 1,5 Milliarden € für die Lauf- heitspolitischen Aspekten siehe: Heinrich Schneider, Österreich als Mit- 34 Z. B. die eigene Positionierung gegenüber anderen Akteuren. zeit 2014–2020 soll die kulturelle glied der Europäischen Union: Sicherheitspolitik zwischen Neutralität 35 Z. B. Vorstellungen hinsichtlich des gesellschaftspolitischen Systems. und sprachliche Vielfalt sowie die und Allianzbeitritt, in: Michael Gehler/Anton Pelinka/Günter Bischof 36 Als „politisch“ sind hierbei sehr umfassend alle Angelegenheiten, die die Wettbewerbsfähigkeit der Kul- turschaffenden vorangetrieben (Hg.), Österreich in der Europäischen Union. Bilanz seiner Mitgliedschaft, Einrichtung und Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen betref- werden. Auch die Verbesserung des Wien/Köln/Weimar 2003; S. 333- 376 sowie Paul Luif, On the Road to Brus- fen, zu verstehen. Umfasst werden dabei alle Aufgaben, Fragen und Pro- Zugangs zu Kultur sowie die supra- sels, Wien 1995; insbesondere S. 185-199 bzw. S. 238-243. bleme, die den Aufbau, den Erhalt sowie die Veränderung und Weiterent- nationale Zusammenarbeit wird 10 Als im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ge- wicklung der öffentlichen und gesellschaftlichen Ordnung anbelangen. forciert. Während mit 824 Millionen gründet wurde, wurde sowohl innenpolitisch als auch von anderen Staa- 37 Dies gilt selbstverständlich auch für die anderen Politikbereiche der EU. € 55 % des Gesamtbudgets für ten, insbesondere der damaligen Sowjetunion, argumentiert, dass Ös- 38 In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist auch der sogenannte Opti- die Entwicklung, Verbreitung und terreich wegen seines Status als neutrales Land nicht daran teilnehmen onenbericht, der im Herbst 1998 bereits an der Frage, ob eine NATO-Voll- Vermarktung europäischer Filme könne. mitgliedschaft grundsätzlich eine Möglichkeit für Österreich darstellen im Rahmen des Sub-Programms 11 Vergl. Luif, On the Road to Brussels, Wien 1995; S. 188ff könnte, scheiterte. MEDIA investiert werden, sind 30 % 12 Heinrich Schneider verweist auf den zumeist kaum beachteten Um- 39 Dies obwohl anzunehmen ist, dass ein Großteil der Bevölkerung unter- (455 Millionen €) des Gesamtbud- 121 Mio. € stand, dass die „Union“, mit der nun Beitrittsverhandlungen geführt schiedliche oder gar falsche Vorstellungen darüber hat, was die österrei- gets für das Sub-Programm Kultur wurden, letztlich etwas anderes war als die „EG“, deren Mitgliedschaft an- chische Neutralität im Kern bedeutet. vorgesehen. Dies umfasst den Garantiefonds zustreben man 1989 beschlossen hatte. Heinrich Schneider, Der sicher- 40 Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesell- gesamten Kunst- und Kultursektor, heitspolitische Optionenbericht der österreichischen Bundesregierung: schaft vom 14. bis 28. Februar 2019 im Auftrag der Österreichischen wobei hier die Realisierung von Ein Dokument, das es nicht gibt – und ein Lehrstück politischen Schei- Gesellschaft für Europapolitik durchgeführt. Siehe: https://oegfe. Kooperationsprojekten im Fokus steht. Der mit 121 Millionen € (8 %) terns, in: Landesverteidigungsakademie, Die sicherheitspolitische Ent- at/2019/03/eu_armee_umfrage/ (Abfrage am 30. November 2019). ausgestattete Garantiefonds zielt wicklung in Österreich und der Schweiz, Wien 1999; S. 27-96; hier S. 40. 41 Bundeskanzleramt, ÖSS, Wien 2013; S. 4. 13 42 darauf ab, im Kreativsektor tätigen Die norwegische Bevölkerung lehnte einen EU-Beitritt nach 1972 zum Bundeskanzleramt, ÖSS, Wien 2013; S. 4. Unternehmen Bankkredite leichter zweiten Mal ab. 43 Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Die österreichi- zu ermöglichen. Im Sinne der Inter- 30 % 14 So findet sich auch in der Informationsbroschüre der Bundesregierung sche Informationskampagne zum EU-Beitritt“, Wien, o.J.; S. 6. nationalisierung des europäischen „Europa. Das Buch“ kein Eintrag zum Thema Sicherheit. Bei Sicherheits- 44 In diesem Zusammenhang soll ein Detailaspekt erwähnt werden, der Kultur-und Kreativsektors werden politik erfolgt der Verweis auf „Außen- und Sicherheitspolitik“. aber diese Situation trotzdem gut charakterisiert. Sicherheitspolitik in außerdem 63 Millionen € (4 %) in 63 Mio. € 15 kulturpolitische 4 % Bundeskanzleramt, Europa. Das Buch, Wien 1992; S. 60. strukturierter Form wird an österreichischen Universitäten und auch die kulturpolitische Zusammen- Zusammenarbeit 16 Bundeskanzleramt, Europa. Das Buch, Wien 1992; S. 60. Fachhochschulen kaum bzw. nicht unterrichtet (dies gilt im Übrigen auch arbeit investiert. 17 Vergl. Luif, On the Road to Brussels, Wien 1995; S. 198. für das Thema Strategie). Ausnahmen bilden die Akademien des BMLV.

Sonstiges 3 %

94 95 dar, ein Netzwerk des Wissenstransfers, des Dialogs, der Zusammenhalts infrage gestellt wird. Im Austausch mit BARBARA SCHRANK Freundschaft zwischen den europäischen Universitäten meinen ehemaligen britischen Erasmuskolleginnen und und ihren Studierenden. Die Teilnahme am Erasmuspro- -kollegen vernahm ich nicht nur Ratlosigkeit, sondern gramm ermöglichte es mir, in Paris neue Wissenszugänge auch eine Spur traurige Überraschung, wie gering die sowie neue akademische Traditionen kennenzulernen. Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der EU Es eröffnete sich mir aber vor allem ein zweites Zuhau- oftmals ausgeprägt ist. Zum ersten Mal war auch ich mit VON EU-MOMENTEN UND se, dessen Sprache und Kultur ich verinnerlichte, in dem dem Gedankenspiel konfrontiert, was es heißen würde, ich verstehen lernte, was europäische Integration und plötzlich nicht mehr Teil der EU zu sein. Ein Dasein Ös- europäische Vielfalt bedeutet. Denn nicht nur musste ich terreichs außerhalb der Europäischen Union ist für mich WAS SIE UNS LEHREN – SICHTWEISEN mich in ein neues Land und in eine andere Kultur integ- nicht denkbar, denn die Weichen für die Zukunft Euro- rieren, gleichzeitig fungierte ich selbst als Botschafterin pas werden jetzt gestellt. Wir leben in einem Zeitalter meiner eigenen Kultur, Sprache, Universität. der Brüche, des rasanten gesellschaftlichen Wandels – EINER JUNGEN EUROPÄERIN die Warnsignale gesellschaftlicher Konflikte sind auch Im Austausch mit meinen Erasmuskolleginnen und in der EU omnipräsent. Um den Herausforderungen ge- -kollegen nahm die Auseinandersetzung mit der EU, mit wachsen zu sein, gilt es, über die Grenzen der National- ihren Meriten, aber auch ihren Herausforderungen einen staaten hinweg eine europäische Handlungsstrategie großen Stellenwert ein. Die Bandbreite dieser Gesprä- zu entwickeln, tief greifende Reformen durchzusetzen, che reichte von begeisterten Praktikumserfahrungen in eine gemeinsame Stimme nach außen zu entwickeln. Die EU ist, wie auch Österreich, Teil meines Lebens. Ich reisenden, schloss neue Freundschaften. In diesen drei diversen EU-Institutionen, Reiseberichten, EU-Fernbe- Um es mit den Worten von Helmut Kohl zu sagen: fühle mich beides – österreichisch und europäisch. Mei- Wochen lernte ich die Charakteristika verschiedenster ziehungen bis hin zu intensiven Diskussionen über die nem Geburtsjahr 1994 geschuldet, blicke ich anders auf Nationen kennen und setzte mich mit der Geschichte Eu- Zukunft unserer Union. Nicht zuletzt bei gemeinsamen „Wir alle brauchen die Europäische Union vor allem die EU als meine Eltern, Großeltern, ja sogar als meine äl- ropas und der EU auseinander. Ich lernte neue Perspekti- Abenden pflegten wir ungezwungen den europäischen deshalb, weil wir anders nicht oder nur unzureichend teren Geschwister. An ein Österreich ohne die EU kann ven zu unserem Kontinent, unserer Union kennen, erfuhr Dialog, offerierten uns gegenseitig neue Perspektiven, den Herausforderungen von heute und morgen be- ich mich nicht erinnern. Ich bin mit ihr aufgewachsen, von Menschen aus aller Welt die Begeisterung für die EU, lernten die Sorgen und Herausforderungen anderer gegnen können. Nur wenn Europa mit einer Stimme gehöre der Generation EU an, für die die Union ein stän- begriff, welches Privileg sie für uns darstellt. Ich über- EU-Bürgerinnen und -Bürger kennen. spricht und seine Kräfte bündelt, kann es sein Gewicht diger Lebensbegleiter, eine Selbstverständlichkeit ist. Ich querte dank Schengen mühelos die innereuropäischen angemessen zur Geltung bringen.“ 1 genoss den Schengenraum, wuchs seit meinem achten Grenzen, und mir wurde bewusst, welche Errungenschaft Mein Aufenthalt in Paris hat mich selbstständig, Lebensjahr mit dem Euro auf, erlebte, wie Österreich in die Freizügigkeit und der ihr zugrunde liegende Aufbau ja ein Stück weit erwachsener gemacht, meinen politi- der EU florierte. Kurzum, die Errungenschaft, Teil dieser des gegenseitigen Vertrauens der Länder nach zwei schen Blick auf die EU und Europa bereichert. Er hat mir Union zu sein, stand für mich nie infrage. Und dennoch: Weltkriegen darstellte. Deutlicher als je zuvor wurde mir Freundschaften in Paris, aber auch in ganz Europa be- Überzeugte, ja Vergleiche ich meine jetzige Bindung zur EU mit jener klar, warum die EU ein einzigartiges Friedensprojekt ist. schert, mein europäisches Netzwerk erweitert. Er hat glühende Europäerin vor meiner Studienzeit, so stelle ich fest, dass mein heu- Im selben Jahr, 2012, wurde ihr der Friedensnobelpreis mir gezeigt, dass das Europamotto „In Vielfalt geeint“ tiges Verhältnis zu ihr ein intensiveres, ja näheres ist als zugesprochen. Ich erinnere mich, dass viel diskutiert war, nicht treffender gewählt sein könnte, denn die EU macht je zuvor. Denn dank zahlreicher Erfahrungen, EU-Mo- ob sie, in Anbetracht der Krisen und Herausforderungen, räumliche, physische wie mentale Distanzen in Europa Komme ich nun wieder zu meiner anfangs postulierten mente wie ich sie im Folgenden nennen will, identifizie- eine derartige Auszeichnung verdient hätte. Ja, hat sie; geringer, sie erzeugt ein Gefühl von Gemeinschaft zwi- These zurück, nämlich, dass diese EU-Momente mein re ich mich heute nicht nur rational, sondern zuvorderst denn blickt man zurück, gab es in der Geschichte Europas schen den europäischen Staaten, gibt ein bestandssi- Verhältnis zur Union nachträglich geprägt und intensi- stark emotional mit der Europäischen Union. Lassen Sie noch nie so lange Frieden. cheres Fundament. viert haben, so möchte ich ihre Auswirkungen auf meine mich in den folgenden Zeilen drei meiner prägendsten Wahrnehmung nochmals pointieren: EU-Momente schildern. Neue Wissenszugänge Brexit – Gefühl des Zusammen- Diese positiven wie durch Erasmus halts infrage gestellt negativen Momente haben mich Europa bereisen heißt nicht nur verstehen, sondern Europa kennenlernen Der zweite prägende EU-Moment in meiner Studienzeit Der dritte, für mich ebenso prägende EU-Moment vor allem aktiv spüren lassen, stellt mein Erasmussemester in Paris dar: In der Überzeu- stellte der Ausgang des Brexitreferendums am 23. Juni was es heißt, Als Maturageschenk erhielt ich von meinen Eltern eine gung, dass ein Auslandsaufenthalt nicht nur eine sprach- 2016 dar: Mit der knapp mehrheitlichen Entscheidung Teil dieser Gemeinschaft, Interrailreise – ich solle etwas über die Länder Europas liche, sondern vor allem auch eine persönliche Bereiche- der Briten, nicht mehr Teil der EU sein zu wollen, wurde lernen, verstehen, was die EU ausmache, meinte meine rung für einen jungen Menschen darstellt, kam ich im die Union in ihren Grundfesten erschüttert. Europaweit dieser europäischen Idee zu sein. Familie. Drei Wochen fuhr ich also mit Freunden durch Alter von 21 Jahren erstmals mit dem Erasmusprogramm grassierte Bestürzung und ein Gefühl der Unsicherheit Sie haben mich zu einer Europa, besuchte sieben EU-Länder, zahlreiche Städte der EU in Berührung. Schnell verstand ich, dass die Be- –der drohende Brexit verdeutlichte so stark wie nie zu- und unzählige Monumente. Ich schlief im Zug und in sonderheit dieses Programms nicht nur in seinen finan- vor, was es heißt, wenn eine Gemeinschaft im Inneren noch überzeugteren, Hostels, führte nächtelang Gespräche mit fremden Mit- ziellen Förderungen liegt, vielmehr stellt es ein Netzwerk bröckelt, wie sehr die EU leidet, wenn das Gefühl des ja glühenden Europäerin gemacht.

96 97 DER WIRTSCHAFTLICHE EINFLUSS DES SPORTS – EXTRA-EU-EXPORT VON SPORTARTIKELN (2017) Diese Erfahrungen haben mich zu der festen Überzeu- Neben der gesellschaftlichen gung gebracht, wie wichtig es ist, dass die Bürgerinnen und integrativen Rolle des Sports und Bürger eine Begeisterung, eine emotionale Identifi- innerhalb der EU erweist sich Sport auch auf internationaler Ebene 12% zierung mit der EU verspüren. Dass die EU nicht nur als als wertvoller Beitrag zur EU-Wirt- Sonstiges zweckdienliche Wirtschaftsunion, sondern zuvorderst als schaft. 2017 wurde der Gesamt- Other handel der EU mit Sportartikeln Wertgemeinschaft gesehen wird. auf 21,3 Milliarden € bewertet, Hierin resultiert meines Erachtens gleichzeitig auch auf den Import entfiel hierbei ein Anteil von 12 Milliarden €, auf den eine der großen Herausforderungen der EU, sowohl für 6 % Export ein Anteil von 9,3 Milliarden Sportschuhbekleidung ihre Institutionen als auch für ihre Politikerinnen und €. 33 % dieser Exportartikel wur- den hierbei aus der EU ausgeführt. Sport shoes Politiker, denn in der Wahrnehmung vieler Bürgerinnen Innerhalb dieser Extra-EU-Ausfuh- und Bürger dominiert oftmals ein emotionsfreier, resig- ren dominiert mit 65 % der Handel 6 % Skiausrüstung nierter, ja gleichgültiger Zugang zur EU. Es gilt, ihre Be- mit Boot- und Wassersportartikeln (nicht zuletzt bedingt durch die Skiing equipment geisterung für die EU zu stärken, ihnen das Gefühl zu hohen Bootpreise), gefolgt von geben, ihre Interessen bzw. Anliegen seien hinreichend 11 % Ausfuhr an Gymnastik-, Ath- letik- und Schwimmausrüstung. 11 % vertreten. Ziel muss es sein, ein europäisches Band zu Der Export der Skiausrüstung und Gymnastik-, Athletik- und knüpfen, in dem alle Länder an einem gemeinsamen Sportschuhbekleidung weltweit beträgt 6 %. Schwimmausrüstung Strang ziehen.2 Gym, athletics and Eine 2017 durchgeführte Standard-Eurobarome- swimming equipment ter-Umfrage ergab, dass sich 68 Prozent der Befragten als EU-Bürgerinnen und Bürger fühlen. 56 Prozent ste- hen der Zukunft der EU mit Optimismus gegenüber – die Einstellung der Europäerinnen und Europäer ist somit wieder im Aufschwung, der Glaube an die EU wächst. Es gilt, diese Dynamik zu nutzen, die Erfolge der EU ange- sichts der Präsenz euroskeptischer Parteien umso mehr herauszustreichen und nicht nur den Verstand, sondern vor allem auch das Herz der Bürgerinnen und Bürger für die EU einzunehmen. Besonders meiner Generation obliegt es, den euro- päischen Gedanken nicht nur passiv zu leben, sondern aktiv zu kultivieren, die Errungenschaften der Union stets 65 % hochzuhalten und in einer gesamteuropäischen Öffent- Boot- und Wassersportartikel lichkeit für ihre demokratische Legitimität zu kämpfen. Boat- and water sport accessoires Kein EU-Staat ist in unserer globalisierten Welt mit ihren Herausforderungen groß genug, um sich alleine zu be- haupten und unseren Werten Geltung zu verschaffen. Denn die EU ist nicht nur Straßburg oder Brüssel. Die EU sind nicht die anderen, sondern wir alle.

33 % Extra-EU-Ausfuhren Extra-EU-exports

12 9,3 Milliarden € Milliarden € Import Export

QUELLENHINWEISE billion € billion € 1 Vortrag im St. Antony’s College in Oxford, 11. November 1992. Import Export 2 Europäische Kommission, Standard-Eurobarometer 87, 2017.

98 99 WIE SPORTLICH IST EUROPA? (2014/15) Sport, sowohl in aktiver als auch in passiver Form, Kurzbiografien scher am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der fungiert innerhalb der EU Zahl der Europäer (ab 15 Jahren), die sich mindestens Landesverteidigungsakademie. als zentrales verbindendes Merkmal der Identität, das einmal die Woche sportlich körperlich ertüchtigen Univ.-Prof. i. R. Dr. phil. Ernst Bruckmüller Umfangreiche Lehrtätigkeit im Rahmen des BMLV sowie nicht nur zur Verbesserung * 1945 Lehrbeauftragter an FH Wr. Neustadt, Universität Wien so- der Lebensqualität und Ge- (Number of Europeans (from 15 years of age) who do sports sundheit beiträgt, sondern at least once a week. wie Universität für Bodenkultur. auch ein wesentliches Instru- Studium der Geschichte und Germanistik in Wien, 1969 Zahlreiche Publikationen mit den Schwerpunkten Strategie mentarium im Kampf gegen Rassismus, Ausgrenzung Dr. phil., 1976 Habilitation, 1977–2010 ao. Prof. bzw. Univ.- und Sicherheit/Sicherheitspolitik. und Ungleichheit darstellt. Prof. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Wiener Im Vertrag von Lissabon (2009) erstmals verankert, Universität. Seit 1991 Vors. d. Inst. für Österreichkunde, Paul Schmidt erfolgt die EUSportpolitik zu seit 2003 korr., 2006 wirkl. Mitglied der Österreichischen * 1975 großen Teilen im Rahmen Akademie der Wissenschaften; 2009–2013 Direktor des des Programms Erasmus+. Umfassende Befragungen Instituts Österreichisches Biographisches Lexikon der Ist seit September 2009 Generalsekretär der Österreichi- zum sportlichen Verhalten ÖAW. Forschungsgebiete: Sozialgeschichte, Agrarge- schen Gesellschaft für Europapolitik. Davor war er für die der EuropäerInnen ergaben, EU average schichte, Geschichte des Bürgertums, historische Bio- Oesterreichische Nationalbank in Wien und in Brüssel tätig. dass sich im Durchschnitt / 44 % der EuropäerInnen min- grafik, Geschichte der Nationsbildung, Geschichte Öster- Schmidt studierte Internationale Beziehungen, Politikwis- destens einmal die Woche sportlich betätigen, wobei reichs. senschaften und Publizistik an Universitäten in Österreich, der Anteil der Sport treiben- Spanien und den USA und ist Alumnus der Diplomatischen den Männer mit rund 47 % geringfügig höher ist als Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Gehler Akademie in Wien. jener der Frauen (rund * 1962 in Innsbruck 42 %). Mit knapp einem Drit- Mag.a Barbara Schrank, MA tel (30 %) im EU-Schnitt fällt die Zahl an Zusehern, die im Leiter des Instituts für Geschichte an der Stiftung Univer- * 1994 EU-Durchschnitt / women Frauen / men Männer kein kein Sport / no sports

Jahr mindestens einmal ein sität Hildesheim und Jean-Monnet-Chair (seit 2006); For- Livesportevent besuchen, schungsschwerpunkte: Geschichte Tirols und Südtirols, Barbara Schrank studierte Geschichtswissenschaften und % gering aus. Mit 39 % ist % % hierbei der Schnitt bei den Österreichs, Deutschlands, Europas und der europäischen Romanistik an der Karl-Franzens-Universität Graz und am Männern deutlich höher als bei den Frauen (23 %). 47 44 % 42 11 Integration. Publikationen u. a.: „The Revolutions of 1989. Institut d’études politiques de Paris (Sciences Po) in Paris. A Handbook“ (2015), gem. m. Wolfgang Mueller und Ar- Sie forschte an der Karl-Franzens-Universität Graz unter nold Suppan; „Europa und die deutsche Einheit“ (2017), anderem zur Medien- und Kommunikationsgeschich- Zahl der Europäer (ab 16 Jahren), die mindestens gem. m. Maximilian Graf te Europas ab dem 16. Jahrhundert. Derzeit ist sie in der einmal im Jahr ein Live-Sport-Event besuchen Steiermärkischen Landesregierung im Kulturbereich tätig.

Number of Europeans (from 16 years of age), who visit Alexander Kada (Kadadesign/Kadaconcept) a live-sport event at least once a year. * 1968 Mag. Herbert Vytiska * 1944 in Wien Designer, Ausstellungsgestalter, Markenentwickler, Lehr- beauftragter an der FH Joanneum Graz (Ausstellungsde- Noch während des Studiums (Mathematik und Dar- sign, Industrial Design), zahlreiche Ausstellungsprojekte stellende Geometrie) Beginn journalistischer Tätigkeit. im Kunst- und Kulturbereich (Auswahl): (Steirischer Herbst, Die berufliche Laufbahn startet 1968 beim ORF. An- Universalmuseum Joanneum, Graz2003 Kulturhauptstadt schließend 1970 bis 1972 Österreichkorrespondent von Europas, Biennale di Venezia, Berlinale, Berlin, regiona- „Stern“ und „Eltern“. Von 1972 bis 1988 Pressesprecher le08-Steiermark, Steiermark Schau, Austrian Cultural Forum, von ÖAAB-Bundes-, ÖVP-Klub- und schließlich ÖVP-Bun- EU average

/ New York, Österreichische Nationalbibliothek, Österreichi- desparteiobmann Alois Mock. 1988 bis 1994 Aufbau sches Staatsarchiv, Österreichisches Parlament...); Design- des privaten Rundfunks mit Blickrichtung Österreich. projekte für die Industrie (MAGNA, BMW, Vola, Komp- 1995 bis 2014 Medien- und Politikberatung (internatio- tech, u.a.), Editorial Design-Buchgestaltung (Auswahl): (Der nale Lizenzverhandlungen, EU-Wahlkampfbetreuung). Marshall-Plan, Der Erste Weltkrieg, 300 Jahre Freimaurer, 2009 bis 2019 Korrespondent für das Nachrichtenportal 650 Jahre Universiät Wien, 10 Jahre Design Week, „EurActiv“ sowie Gastkommentator in österreichischen Österreich in 99 Dokumenten und Urkunden, Der Wiener und deutschen Medien. Generalsekretär des „Vereins zur / women Frauen EU-Durchschnitt keine Sport / no sports / men Männer Kongress), mehrere Staatspreise für Gestaltung. Dokumentation der Zeitgeschichte“. 2003 Gestaltung der

Erst-Ausstellung „Schauplatz Eiserner Vorhang“ (Weitra) % % % % Dr. Thomas Pankratz Publikationen u. a.: „Der logische Nachfolger“ (1983), * 1967 „Himmelfahrtskommando“ (1989), „Heimat Europa“ 39 30 23 38 (1994), „Das Balkan-Dossier“ (1997), „Sein Einsatz für Studium der Politikwissenschaft, Zeitgeschichte und Philo- Österreich“ 2016), „Vision Österreich in Europa“ (2017), sophie. Leiter Referat Strategie, Hauptlehroffizier und For- „1989-Europa verändert sein Gesicht“ (2019)

100 101 Impressum Herausgeberin, Medieninhaberin und Herstellerin: Parlamentsdirektion Adresse: Dr.-Karl-Renner-Ring 3, 1017 Wien Redaktion: Prof. Dr. Andreas Pittler, Mag. Susanne Roth Grafische Gestaltung (Layout): New Vienna Grafiken: © Parlamentsdirektion/softworks/Alexander Kada Korrektorat: Mag. Johanna Axmann, Aida Besirevic, BA MA Druck: Parlamentsdirektion

Wien, im Februar 2020