Plenarprotokoll 16/100

Deutscher

Stenografischer Bericht

100. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007

Inhalt:

Gedenken an die in Afghanistan ums Leben – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo gekommenen Angehörigen der Bundeswehr 10125 A Hoppe, Ute Koczy, Jürgen Trittin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: nung ...... 10125 D Reformen für eine gerechte Globali- Absetzung des Tagesordnungspunktes 33 . . . 10127 A sierung – Deutsche G8-Präsident- schaft für Klimaschutz und nachhal- Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 10126 D tige Entwicklung nutzen Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Jörg-Otto Spiller und Wolfgang Gunkel 10127 A – zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Mitteilung der Kommis- sion EU-Entwicklungszusammenar- Tagesordnungspunkt 4: beit: Mehr, besser und schneller helfen KOM (2006) 87 endg.; Rats- a) Abgabe einer Erklärung durch die Bun- dok. 7067/06 deskanzlerin: zum G8-Weltwirtschafts- gipfel vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heili- (Drucksachen 16/4160, 16/2833, 16/4151, gendamm ...... 10127 A 16/1101 Nr. 2.16, 16/4880) ...... 10127 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- c) Beschlussempfehlung und Bericht des menarbeit und Entwicklung Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göt- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. tingen), , Christian Ruck, Anette Hübinger, (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- und der Fraktion der CDU/CSU sowie ordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gert der Abgeordneten Dr. , Weisskirchen (Wiesloch), , Gabriele Groneberg, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Frak- der SPD: Für eine Politik der gleichbe- tion der SPD: Die deutsche G8- und rechtigten Partnerschaft mit den afri- EU-Präsidentschaft – Neue Impulse kanischen Ländern für die Entwicklungspolitik (Drucksachen 16/4414, 16/5311) ...... 10127 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. , d) Beschlussempfehlung und Bericht des , weiterer Abgeordne- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag ter und der Fraktion der FDP: Die der Abgeordneten , deutsche EU-Ratspräsidentschaft , Dr. Uschi Eid, weiterer 2007 zur Reform der Entwicklungs- Abgeordneter und der Fraktion des zusammenarbeit der Europäischen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für Union nutzen eine Wiederbelebung des nuklearen Ab- VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun geordneter und der Fraktion der FDP: Bil- Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, dungsberichterstattung in Deutschland weiterer Abgeordneter und der Fraktion und deren Weiterentwicklung der FDP: Engpässe beim grenzüber- (Drucksache 16/5409) ...... 10284 C schreitenden Stromhandel abbauen – Wettbewerb auf dem Elektrizitätsmarkt intensivieren Tagesordnungspunkt 26: – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Kopp, , Jens Ackermann, wei- schusses für Menschenrechte und Humanitäre terer Abgeordneter und der Fraktion der Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundes- FDP: Mehr Wettbewerb für die deut- regierung: Bericht der Bundesregierung schen und europäischen Energiemärkte – über die deutsche humanitäre Hilfe im Europäischen Impuls aufnehmen Ausland 2002 bis 2005 (Drucksachen 16/3777, 16/5490) ...... 10284 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, und der Fraktion des Tagesordnungspunkt 27: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wett- bewerb auf den Energiemärkten stär- Beschlussempfehlung und Bericht des ken, eigentumsrechtliche Entflechtung Rechtsausschusses der Transportnetze umsetzen und Mög- lichkeiten zur Entflechtung bei markt- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. beherrschenden Stellungen schaffen Jürgen Gehb, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksachen 16/3346, 16/4187, 16/4557, der CDU/CSU sowie der Abgeordneten 16/5337) ...... 10283 C Fritz Rudolf Körper, Joachim Stünker, Dr. Carl-Christian Dressel, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Ächtung Tagesordnungspunkt 25: des Gesetzes zur Verhütung erbkran- ken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationaler Bildungsbericht 2006 – Bil- – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker dung in Deutschland Beck (Köln), Markus Kurth, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Stellungnahme der Bundesregierung GRÜNEN: Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheitsgesetzes (Drucksache 16/4100) ...... 10284 A (Drucksachen 16/3811, 16/1171, 16/5450) . . 10285 A b) Antrag der Abgeordneten , , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Tagesordnungspunkt 28: CSU sowie der Abgeordneten Dr. , Jörg Tauss, Nicolette a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Kressl, weiterer Abgeordneter und der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Fraktion der SPD: Bildungsbericht- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung erstattung fortführen und weiterentwi- des Rechts der Verbraucherinformation ckeln (Drucksache 16/5404) ...... 10285 C (Drucksache 16/5415) ...... 10284 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- c) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz schusses für Ernährung, Landwirtschaft (Herborn), , , und Verbraucherschutz zu dem Antrag der weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneten Dr. , Dr. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gesine Lötzsch, Dr. , wei- Bildungsforschung und Bildungsbe- terer Abgeordneter und der Fraktion der richterstattung stärken LINKEN: Bund-Länder-Staatsvertrag – (Drucksache 16/5412) ...... 10284 C Qualitätsmanagement Lebensmittelqua- lität (Drucksachen 16/2744, 16/3906) ...... 10285 D in Verbindung mit c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Zusatztagesordnungspunkt 5: schaft und Verbraucherschutz Antrag der Abgeordneten , – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Patrick Meinhardt, , weiterer Ab- Michael Goldmann, Jens Ackermann, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 XI

dung in Deutschland und Stellungnahme Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) ...... 10347 D der Bundesregierung Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – Antrag: Bildungsberichterstattung fortfüh- (FDP) ...... 10348 D ren und weiterentwickeln Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 10349 C – Antrag: Bildungsforschung und Bildungs- (Köln) (BÜNDNIS 90/ berichterstattung stärken DIE GRÜNEN) ...... 10350 A – Antrag: Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwicklung Anlage 18 (Tagesordnungspunkt 25 a bis c und Zusatzta- gesordnungspunkt 5) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Marcus Weinberg (CDU/CSU) ...... 10335 C – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) ...... 10336 B – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Cornelia Pieper (FDP) ...... 10338 C Antrag: Bund-Länder-Staatsvertrag – Qua- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 10339 B litätsmanagement Lebensmittelqualität Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem DIE GRÜNEN) ...... 10339 D Antrag: Verbraucherinformationsrechte stär- ken – Neues Verbraucherinformationsge- Andreas Storm, Parl. Staatssekretär setz zügig vorlegen BMBF ...... 10340 D – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Zweite Chance nutzen – Das Recht auf Verbraucherinformation grund- Anlage 16 legend neu gestalten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ursula Heinen (CDU/CSU) ...... 10350 D Bericht der Bundesregierung über die deut- Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 10351 D sche humanitäre Hilfe im Ausland 2002 bis 2005 (Tagesordnungspunkt 26) Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 10352 B Ute Granold (CDU/CSU) ...... 10341 D (DIE LINKE) ...... 10353 A Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) ...... 10343 B Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10354 B Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) ...... 10344 A Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 10345 A Anlage 19 Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 10345 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Anlage 17 eines Alkoholverbots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen (Tagesordnungspunkt 29) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu (CDU/CSU) ...... 10355 B den Anträgen: Heidi Wright (SPD) ...... 10356 B – Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erb- Patrick Döring (FDP) ...... 10357 D kranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 10358 D – Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheits- gesetzes Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10359 B (Tagesordnungspunkt 27) Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 10346 D BMVBS ...... 10359 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10285

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Burkhardt Müller-Sönksen seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5450, (C) Michael Leutert den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Volker Beck (Köln) auf Drucksache 16/3811 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Uns liegen die Reden der Kolleginnen und Kollegen Die Enthaltungen! – Die Beschlussempfehlung ist mit Ute Granold, Christel Riemann-Hanewinckel, Burkhardt den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stim- 1) Müller-Sönsken, Michael Leutert und Thilo Hoppe vor. men vom Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- der Linken angenommen. schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf dem Bericht der Bundesregierung über die deutsche Hu- Drucksache 16/5450 empfiehlt der Ausschuss die Ab- manitäre Hilfe im Ausland von 2002 bis 2005 auf den Drucksachen 16/3777 und 16/5490. Der Ausschuss emp- lehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die fiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung Grünen auf Drucksache 16/1171 mit dem Titel „Nichtig- anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- keitserklärung des Erbgesundheitsgesetzes“. Wer stimmt lung? – Die Gegenprobe! – Die Enthaltungen! – Die Be- für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition Die Enthaltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP und bei Zustimmung der Koalition, Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke angenommen. Bündnis 90/Die Grünen und der Linken sowie Enthal- tung der FDP angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 27 auf: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Ver- Gehb, Norbert Geis, Ute Granold, weiterer Ab- braucherinformation geordneter und der Fraktion der CDU/CSU so- wie der Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, – Drucksache 16/5404 – Joachim Stünker, Dr. Carl-Christian Dressel, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und SPD Verbraucherschutz (f) Innenausschuss (B) Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erb- Rechtsausschuss (D) kranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Köln), Markus Kurth, Britta Haßelmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheits- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten gesetzes Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Drucksachen 16/3811, 16/1171, 16/5450 – der LINKEN Berichterstattung: Bund-Länder-Staatsvertrag – Qualitätsma- Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb nagement Lebensmittelqualität Dr. Carl-Christian Dressel Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – Drucksachen 16/2744, 16/3906 – Wolfgang Nešković Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Heinen Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden der Kollege Elvira Drobinski-Weiß Dr. Jürgen Gehb, der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel, Hans-Michael Goldmann die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie Dr. Kirsten Tackmann 2) die Kollegen Jörn Wunderlich und Volker Beck (Köln). Ulrike Höfken Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechts- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- und der Fraktion der SPD mit dem Titel „Ächtung des schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Jens Ackermann, Dr. Karl 1) Anlage 16 Addicks, weiterer Abgeordneter und der Frak- 2) Anlage 17 tion der FDP 10346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007

(A) und deshalb ein größeres Stück vom Kuchen abbe- Notlagen sogar kontraproduktiv sein, regionale Märkte (C) kommt. Vielmehr muss es um die Frage gehen, welche zerstören und die Notleidenden noch tiefer in die Rolle Organisation in welchem Land für welche Aufgabe bes- reiner Almosenempfänger hineindrücken. ser geeignet ist, mehr Fachkompetenz mitbringt und/ oder durch Partnerschaften mit regionalen Akteuren bes- Ich bin froh, dass es jetzt Initiativen gibt, die Food- ser vernetzt ist. Aid-Konvention zu überarbeiten. Wir werden uns an die- sen Bemühungen beteiligen und Vorschläge einbringen. Die Beschlussempfehlung, die aus den Koalitions- In diesem Bereich ist Deutschland aber schon recht gut fraktionen kommt, wirkt zu defensiv, so als ob es nur da- aufgestellt. Unter Reformdruck müssen hier vor allem rum gehen würde, die Existenzberechtigung vieler, vie- die USA gesetzt werden. ler deutscher NGOs gegenüber den Begehrlichkeiten internationaler Organisationen – besonders aus dem Sys- Unser Beitrag muss es sein, sich sowohl national als tem der Vereinten Nationen – zu verteidigen. Auch viele auch international für eine bessere Koordinierung und kleine NGOs, die sich spezialisiert haben, leisten eine Arbeitsteilung in der humanitären Hilfe einzusetzen und engagierte und effektive Arbeit und sollten auch weiter- natürlich in die Zukunft zu investieren – in den Klima- hin Aufträge bekommen. Wichtig sind jedoch gute Ab- schutz, in die zivile Konfliktprävention, in Gerechtigkeit sprachen mit allen anderen Akteuren, sodass bei der Be- und in die strukturelle Überwindung von Hunger und ex- wältigung oder Verhütung einer Katastrophe alle tremer Armut, damit die Zahl der Katastrophen geringer Hilfsorganisationen und die Menschen vor Ort an einem wird. Strang ziehen – und zwar in die selbe Richtung! Beim Koordinierungskreis für humanitäre Hilfe, zu dem das Auswärtige Amt regelmäßig einlädt, sollten alle Akteure Anlage 17 an einem Tisch sitzen und ihre Arbeit gut koordinieren – Zu Protokoll gegebene Reden auch die VN-Organisationen, die in Deutschland eine Niederlassung haben. zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen Zum Schluss zu den Finanzen: Sowohl für die huma- nitäre Hilfe als auch für die Entwicklungszusammenar- – Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erb- beit brauchen wir mehr Geld. Eine Aufstockung der Mit- kranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 tel für die humanitäre Hilfe auf 100 Millionen Euro pro – Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheits- Jahr wird auch von uns unterstützt, ebenso wie ein ganz gesetzes kräftiger Aufwuchs der Mittel für die Entwicklungszu- sammenarbeit. (B) (Tagesordnungspunkt 27) (D) In der von den Koalitionsfraktionen erarbeiteten Be- schlussempfehlung wird jedoch eine unpassende Be- Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Hintergrund der heu- gründung für eine berechtigte Forderung gegeben: Der tigen abschließenden Beratung der beiden Anträge der Anteil der von Deutschland geleisteten humanitären Koalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/ Hilfe an den gesamten deutschen ODA-Leistungen, die Die Grünen ist ein Anliegen des Bundes der Euthanasie- für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit geschädigten und Zwangssterilisierten, das Gesetz zur erbracht werden, sei im Vergleich zu anderen Staaten Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ziemlich gering. Das wäre so, als ob man die Qualität ei- – das sogenannte Erbgesundheitsgesetz – „endlich und nes Gesundheitssystems daran messen würde, wie hoch nach über siebzig Jahren aufzuheben und für nichtig zu er- der Anteil der Kosten für chirurgische Eingriffe oder klären“. Das Erbgesundheitsgesetz war eines der ersten Krankenwagenfahrten am gesamten Gesundheitsbudget rassistischen Gesetze des NS-Staates. Es besteht seit län- wäre! Dann würden Staaten, die mit Erfolg viel in Prä- gerer Zeit kein Zweifel mehr daran, dass es sich dabei um vention und Rehabilitation investieren, schlechter ab- nationalsozialistisches Unrecht handelte. schneiden als Staaten, die sich nur auf Notfallmedizin Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat sich konzentrieren. das Anliegen des Bundes der Euthanasiegeschädigten Entscheidend ist, dass Deutschland seiner Wirt- und Zwangssterilisierten zu eigen gemacht und in ihrem schaftskraft entsprechend sowohl quantitativ als auch Antrag die Bundesregierung aufgefordert, „einen Vor- qualitativ gute Beiträge leistet, um Katastrophen zu be- schlag vorzulegen, wie der Gesetzgeber dem Anliegen wältigen und sie zu verhüten. Bei Naturkatastrophen und des Bundes der ‚Euthanasie‘-Geschädigten und Zwangs- in Kriegsfällen muss der notleidenden Bevölkerung so sterilisierten gerecht werden kann.“ Wir haben von An- schnell und effektiv wie möglich Soforthilfe gewährt fang an darauf hingewiesen, dass diese Forderung nach werden. Bei Katastrophen mit strukturellen Ursachen ist Aufhebung und Nichtigerklärung des Erbgesundheits- eine Verzahnung mit längerfristig angelegten Strategien gesetzes aus Rechtsgründen nicht erfüllbar ist. Entspre- der Entwicklungszusammenarbeit, die an die Ursachen chende Forderungen der Grünen sind bereits in mehreren geht, Hilfe zur Selbsthilfe bietet und eine Wiederholung parlamentarischen Beratungsverfahren zu der Thematik der Katastrophe verhindert, ganz wichtig. jeweils aus Rechtsgründen abgelehnt worden. Überzogene, entmündigende, fehlgeleitete humani- Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr in ihrer täre Hilfe – besonders in Form von planloser Verteilung Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke von Nahrungsmitteln – kann bei strukturell bedingten erneut auf diese Rechtslage hingewiesen. In der mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10347

(A) Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit über- Hinblick auf einige Vorschriften, die keinen Unrechtsge- (C) mittelten Antwort vom 10. August 2006, Bundestags- halt aufwiesen, zunächst der Fall war. Die Sterilisations- drucksache 16/2384, heißt es wörtlich: entscheidungen der damaligen Erbgesundheitsgerichte sind durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti- Nach Artikel 123 Abs. 1 GG gilt Recht aus der Zeit scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von vor dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesund- (7. September 1949) fort, soweit es dem Grundgesetz heitsgerichte vom 25. August 1998, BGBI. I, S. 2501, nicht widerspricht. Fortgelten können demnach nur aufgehoben worden. vorkonstitutionelle Rechtsnormen, die an diesem Tag gültig waren (BVerfGE 4, 115, 138). Rechtsnormen, Der Bewertungswandel fand auch seinen Nieder- die im Widerspruch zum Grundgesetz stehen, sind schlag in dem Beschluss des Deutschen Bundestages bereits bei dessen Inkrafttreten am 24. Mai 1949 au- vom 26. Januar 1988, Bundestagsdrucksache 11/1714. ßer Kraft getreten. Die Gültigkeit des Erbgesund- In diesem Beschluss wurde bereits eindeutig zum Aus- heitsgesetzes endete mit dem Inkrafttreten des druck gebracht, dass der Deutsche Bundestag nicht nur Grundgesetzes, soweit es dem Grundgesetz – insbe- die Durchführung von Zwangssterilisierungen in der sondere dem Artikel 2 Abs. 2 GG – widersprach. Die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch ihre gesetzli- wenigen als Bundesrecht fortgeltenden Regelungen che Verankerung für nationalsozialistisches Unrecht hält. über Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsab- Wörtlich heißt es hierzu: brüche mit Einwilligung bei Lebens- und Gesund- heitsgefahr sind endgültig durch Art. 8 NR. 1 des l. Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die in dem Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBI. l S. 1297) auf- Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom gehoben worden. Das Erbgesundheitsgesetz existiert 14. Juli 1933 vorgesehenen und auf der Grundlage nicht mehr. Der Forderung, das Gesetz durch rück- dieses Gesetzes während der Zeit von 1933 bis 1945 wirkenden Akt für nichtig zu erklären, kann der Bun- durchgeführten Zwangssterilisierungen national- desgesetzgeber nicht entsprechen. sozialistisches Unrecht sind. Diese Rechtslage ist natürlich auch den Grünen be- 2. Der Deutsche Bundestag ächtet diese Maßnah- kannt. Bezeichnend ist ja, dass die Forderung in den sie- men, die ein Ausdruck der inhumanen nationalsozia- ben Jahren, in denen die Grünen in der Bundesregierung listischen Auffassung vom „lebensunwerten Leben“ vertreten waren, von dort auch nicht mehr erhoben wor- sind. den ist. In Anbetracht dessen, dass sie nunmehr, wo die Grünen in der Opposition sind, erneut gestellt wird, kann In dem Bericht zu der Beschlussempfehlung, Bundes- (B) ich Ihnen den Vorwurf des Populismus wirklich nicht er- tagsdrucksache 11/1714, wird, worauf auch die Bundes- (D) sparen. Das Unrecht und das Leid, das den Betroffenen regierung in ihrer oben erwähnten Antwort hingewiesen mit dem Erbgesundheitsgesetz in der Zeit der national- hat, weiterhin ausdrücklich festgestellt, dass eine Fort- sozialistischen Gewaltherrschaft zugefügt worden ist, geltung des Erbgesundheitsgesetzes in der Bundesrepublik vertragen aber keine populistischen Spielchen. Deshalb Deutschland nach Art. 123 Abs. 1 GG ausgeschlossen haben wir mit unserem Antrag einen Weg beschritten, ist, weil dieses Gesetz mit dem Grundgesetz nicht zu mit dem erneut zum Ausdruck gebracht wird, dass das vereinbaren ist. Die Bewertung des Erbgesundheitsgeset- Erbgesundheitsgesetz in seiner Ausgestaltung und An- zes als nationalsozialistisches Unrecht ist danach noch in wendung typisches nationalsozialistisches Unrecht war mehreren weiteren Entscheidungen des Deutschen Bun- und deshalb keinen Eingang in die Rechtsordnung der destages bekräftigt worden, zuletzt in den Beratungen zu Bundesrepublik Deutschland gefunden hat. Ich sage „er- dem bereits erwähnten Gesetz zur Aufhebung national- neut“, weil der Deutsche Bundestag bereits in mehreren sozialistischer Unrechtsurteile im Jahre 1998. Beschlüssen unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat, Anträge der Grünen, die im Zusammenhang mit diesen dass er dieses Gesetz als mit rechtsstaatlichen Grundsät- parlamentarischen Beratungen jeweils eine förmliche zen absolut unvereinbar ansieht. Allerdings war die Nichtigerklärung des sogenannten Erbgesundheitsgeset- Frage des formalen Fortbestandes nach dem Kriege in zes durch den Deutschen Bundestag forderten, fanden der Tat leider lange Zeit unklar, weil sie ausschließlich aus den bereits genannten rechtlichen Gründen nicht die unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte und die Unterstützung der anderen Fraktionen. Der jetzt vorlie- Gesetzgebung anderer Staaten diskutiert wurde. Die gende Vorschlag der Koalition hat – und das ist besonders meisten Regelungen des Gesetzes waren bereits deshalb bemerkenswert – auch die Billigung des Bundes der Eu- gegenstandslos, weil die vorherigen Erbgesundheitsge- thanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten gefunden. richte nicht wieder errichtet wurden. Hinsichtlich der In einem im Laufe der Beratungen des Rechtsausschusses Frage der Fortgeltung hat sich erst im Laufe der Zeit ein durchgeführten erweiterten Berichtserstattergespräch ha- Bewertungswandel vollzogen, der auf neuere Forschungs- ben die Vertreter dieser Organisation ausdrücklich den ergebnisse und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Lösungsansatz der Koalition begrüßt. tatsächlichen Durchführung dieses Gesetzes zurückzu- führen war. Die Bundesregierung hat daher zu Recht darauf verwiesen, dass das Erbgesundheitsgesetz durch Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das Gesetz zur Art. 8 Nr. 1 des Strafrechtsreformgesetzes vom 18. Juni Verhütung erbkranken Nachwuchses war das erste Rasse- 1974, BGBI. I, S. 1297, auch förmlich außer Kraft ge- gesetz der Nationalsozialisten. Die Idee des Gesetzes setzt wurde, soweit es als Bundesrecht fortgalt, was im war durch und durch rassistisch. Ich zitiere: 10348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007

(A) Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Recht nur fort, „soweit es dem Grundgesetze nicht wider- (C) Rassenpflege ist: eine ausreichende Zahl Erbgesun- spricht“. Die Teile des Erbgesundheitsgesetzes, welche der, für das deutsche Volk rassisch wertvoller, kin- die Zwangsmaßnahmen legalisierten, sind dadurch be- derreicher Familien zu allen Zeiten. Der Zucht- reits mit Inkrafttreten des GG außer Kraft getreten. Ich gedanke ist Kerngehalt des Rassegedankens. Die will vor diesem Hintergrund ausdrücklich unterstreichen, künftigen Rechtswahrer müssen sich über das dass „außer Kraft getreten“ bedeutet, dass aufgrund des Zuchtziel des deutschen Volkes klar sein. Art. 123 GG dieses Gesetz seit Inkrafttreten des Grund- gesetzes in seinen verfassungswidrigen Teilen nicht Ziel dieses Gesetzes war es, psychisch und physisch mehr existiert. kranke Menschen zu sterilisieren. Später wurde die Unfruchtbarmachung auf sozial auffällige, nicht system- Daher nochmals die klare Botschaft an die Verbände konforme und politisch andersdenkende Menschen aus- und die durch sie vertretenen Opfer: Unter dem Grund- geweitet. Nach dem sogenannten Euthanasieerlass Hit- gesetz kann das Erbgesundheitsgesetz keinesfalls mehr lers ermordete man sie zunächst durch Gas, später durch in Kraft gesetzt werden. Injektionen und gezieltes Verhungernlassen. Unser Antrag ist in dieser Hinsicht unmissverständlich. Dieses Gesetz wollen wir mit dem vorliegenden Antrag Ich möchte die betreffende Stelle aus dem Antrag des- von SPD und CDU/CSU ächten! Der von uns einge- wegen zitieren: brachte Antrag umfasst fünf Punkte, in denen sich diese Ächtung manifestiert: Die Gültigkeit des „Gesetzes zur Verhütung erb- kranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 (RGBI. I Erstens. Eine klare und zweifelsfreie Erklärung, dass S. 529; geändert durch die Gesetze vorn 26. Juni das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nie- 1935, RGBI. l S. 773, und 4. Februar 1936, RGBI. I mals Bestandteil der materiellen Rechtsordnung der S. 119) endete mit Inkraftreten des Grundgesetzes, Bundesrepublik Deutschland war. Ich werde auf diesen soweit es dem Grundgesetz widersprach (Artikel 123 Sachverhalt später noch genauer eingehen. Abs. 1 GG). Die wenigen danach noch gültigen Zweitens. Eine erneute Bekräftigung, dass die in dem Vorschriften über Maßnahmen mit Einwilligung Gesetz vorgesehenen und auf der Grundlage dieses Ge- des Betroffenen wurden durch Artikel 8 Nr. 1 des setzes durchgeführten Zwangssterilisierungen national- Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBI. I S. 1297) auf- sozialistisches Unrecht sind. gehoben. Das Gesetz ist damit definitiv in keiner Weise mehr existent. Die Besorgnis mancher Op- Drittens. Diese Feststellung und die Ächtung soll laut ferverbände, das Gesetz könne wieder in Kraft ge- unserem Antrag ausdrücklich sowohl auf das Gesetz zur setzt werden, ist unbegründet. (B) Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (D) selbst, soweit dieses Zwangssterilisierungen rechtlich Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses absichern sollte, als auch auf die gesetzlich vorgegebene war seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ohne Handlungsanweisung und die aufgrund dieser Hand- Zweifel niemals Bestandteil der materiellen deutschen lungsanweisung durchgeführten Zwangssterilisationen Rechtsordnung. Auf diese für die Opfer so wichtige erstreckt werden. Aussage wird in der Beschlussempfehlung deshalb noch einmal explizit hingewiesen. Viertens. In unserem Antrag wird festgestellt, dass mit dem Erbgesundheitsgesetz ein Weg beschritten Ich denke, wir sind uns über die Parteigrenzen hinweg wurde, der in das Massenmordprogramm der National- darin einig, dass die Opfer ein Recht darauf haben, dass sozialisten führte. der Deutsche Bundestag eine eindeutige und einheitliche Position in dieser wichtigen Frage zum Ausdruck bringt. Fünftens. Mit unserem Antrag bezeugen wir den Opfern der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen erneut Die Position des Bundes der „Euthanasie“-Geschädig- Achtung und Mitgefühl in der Absicht, durch die nun er- ten und Zwangssterilisierten zum Antrag der Koalition folgte Ächtung des Erbgesundheitsgesetzes selbst jegli- ist eindeutig. In seiner Stellungnahme wirbt der BEZ che Zweifel hinsichtlich einer umfassenden Genugtuung ausdrücklich für den Antrag von SPD und CDU/CSU. und Rehabilitierung der Betroffenen beseitigt zu haben. Ich finde es daher sehr bedauerlich, dass die Abstim- Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Antrag in die- mung in der Ausschusssitzung nicht in diesem Sinne ser Form dazu geeignet ist, ein wichtiges und positives Si- ausgefallen ist, da sich die PDS enthalten hat. Der Ände- gnal an die Opfer auszusenden. Zum Antrag der Grünen: rungsantrag der PDS war in Nr. 1 widersprüchlich, in Dieser Antrag, der den Vorschlag für eine Nichtigerklä- Nr. 2 widersinnig. Ich rufe das Hohe Haus hiermit auf, rung des Erbgesundheitsgesetzes zum Ziel hat, ist nach einstimmig die Opfer zu achten und das verbrecherische meiner Auffassung keinesfalls sachgerecht. Er verfolgt Gesetz zu ächten. zweifellos ein richtiges Ziel, dass ich in seinem ideellen Sinne unbedingt unterstreichen möchte. Allerdings ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): dieser Antrag tatsächlich aus verfassungsrechtlichen Der Deutsche Bundestag hat in den Jahren 1988 und Gründen ungeeignet. 1994 in seinen Entschließungen wiederholt an das Leid Ich will dies begründen: Der Bundestag kann das soge- der Opfer erinnert und das Erbgesundheitsgesetz sowie nannte Erbgesundheitsgesetz nicht für nichtig erklären: die auf dessen Grundlage gefällten Urteile geächtet. In Gemäß Art. 123 Abs. 1 GG gilt vorkonstitutionelles dieser Bewertung ist sich der Deutsche Bundestag auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10349

(A) heute einig. Im Rahmen dieser Debatte hat die FDP- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Es geht heute um (C) Bundestagsfraktion betont, dass die Gültigkeit des die Achtung nationalsozialistischen Unrechts. Und es ist Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom an der Zeit. Endlich soll dem Ansinnen der Opferver- 14. Juli 1933 in weiten Teilen durch Inkrafttreten des bände Rechnung getragen werden, um auch den Opfern Grundgesetzes 1949, insbesondere soweit es Art. 2 Rechtssicherheit zu gewährleisten. Es geht hier immer Abs. 2 GG widersprach, außer Kraft gesetzt und in den noch um nationalsozialistisches Unrecht, welches nun verbleibenden Teilen endgültig durch Art. 8 Nr. 1 des endlich ein wirkliches Ende finden soll. Bedauerlich ist, Gesetzes vom 18. Juni 1974 aufgehoben wurde. Es gibt dass es in der Bundesrepublik Jahrzehnte gedauert hat, keinen Grund zur Befürchtung, das Erbgesundheitsge- um das abschließend in Angriff zu nehmen. Dass dieses setz könnte wieder in Kraft gesetzt werden, und ein nicht Gesetz als nationalsozialistisches Unrecht zu werten ist, existierendes Gesetz kann rechtssystematisch nicht für dürfte angesichts der Begründung zu diesem Gesetz au- nichtig erklärt werden. Daran bestehen keine Zweifel. ßer Frage stehen. Die menschenverachtenden Bemer- Die FDP-Bundestagfraktion unterstützt jedoch uneinge- kungen aus der Gesetzesbegründung möchte ich mir des- schränkt das Ansinnen, die Erinnerung an das unsägliche halb an dieser Stelle ersparen. Es handelt sich hierbei um Unrecht und Leid, das Menschen infolge des NS-Erbge- das erste Rassegesetz der NS-Diktatur. Dem steht auch sundheitsgesetzes angetan wurde, wachzuhalten. – wenn man die Biografien etlicher westdeutscher Juris- ten aus dieser Zeit berücksichtigt – nicht entgegen, dass Rund 350 000 bis 360 000 Menschen wurden seit 1933 das OLG Hamm 1952 dieses Gesetz als „mit rechtsstaat- auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erbkranken lichen Grundsätzen vereinbar“ bezeichnete und 1957 Nachwuchses zwangssterilisiert; 5 000 bis 6 000 Frauen festgestellt wurde, dass es sich nicht um ein typisches und ungefähr 600 Männer starben nach diesen Eingriffen. NS-Gesetz handele. Erst 1974 wurde das Gesetz, aller- Das Gesetz bildete zudem den Auftakt für die Verfol- dings auch nur halbherzig, außer Kraft gesetzt. Es geht gung behinderter Menschen, die schließlich zu der soge- hier und heute um die endgültige Feststellung, dass die- nannten Euthanasie führte. Mit dem Gesetz vom 25. Au- ses Gesetz in seiner Gänze aufgrund der Bestimmung gust 1998 wurden sämtliche eine Unfruchtbarmachung des Art. 23 Abs.1 Grundgesetz nie Bestandteil der anordnenden und noch rechtskräftigen Beschlüsse der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gewor- Erbgesundheitsgerichte aufgehoben. den ist, da es menschenverachtend und mit rechtsstaatli- Entschädigungsansprüche hat es für die Opfer der chen Grundsätzen unvereinbar war. Soweit es in weni- Zwangssterilisation jedoch praktisch nicht gegeben. gen Teilen als Bundesrecht fortbestand, wurde es zwar Diese waren davon abhängig, dass die Sterilisation ohne außer Kraft gesetzt, ist gleichwohl aber noch Bestandteil vorangegangenes Gerichtsverfahren erfolgte. der Rechtsordnung. Zwar geht die Bundesregierung da- von aus, dass das Gesetz nicht mehr existent sei, in die- (B) (D) Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen sem Punkt irrt die Regierung jedoch! Das Gesetz, soweit werden, dass nicht zuletzt die deutsche Gerichtsbarkeit es als Bundesgesetz fortgalt, ist nach wie vor Bestandteil mit der Einrichtung sogenannter Erbgesundheitsgerichte der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es an der Rassenpolitik des Dritten Reiches einen entschei- ist lediglich außer Kraft gesetzt. Es ist seinerzeit erlas- denden Anteil hatte. Bis heute ist auch in Juristenkreisen sen und in Kraft gesetzt worden. 1974 wurde es außer das Vorhandensein einer solchen Erbgesundheitsgerichts- Kraft gesetzt. Das Inkrafttreten betrifft jedoch nur die barkeit relativ unbekannt. Ab 1980 konnten Geschädigte, Anwendbarkeit der Vorschriften. Es handelt sich hier um das heißt zwangssterilisierte Personen, eine einmalige einen besonderen Fall, in dem allein das Außerkraftset- Entschädigungsleistung in Höhe von 5 000 DM beantra- zen der Vorschriften nicht ausreicht, da sie als früherer gen. Bis zum Jahr 2000 erhielten rund 16 000 Betroffene Bestandteil eines als solchen mit dem Grundgesetz un- diese Ausgleichszahlung. Ich habe bereits im Herbst vereinbaren Gesetzes vollständig aus der Rechtsordnung letzten Jahres angemahnt, dass für parteipolitische Profi- entfernt werden müssen. Dies kann aber eindeutig nur lierungsversuche dieses Thema denkbar schlecht geeignet mit deren Aufhebung geschehen. Dies entspricht der ist. Es ist jedoch ein legitimes und unterstützenswertes Forderung der Opferverbände. Von daher bedarf es der Interesse der Behinderten- und Opferverbände, die Erin- eindeutigen Beschlussfassung über die Aufhebung der nerung an das NS-Erbgesundheitsgesetz und das durch besagten Normen. Dies entspricht nicht nur der Ansicht dieses Gesetz ausgeübte Unrecht wachzuhalten und eine des heutigen, sondern wohl auch der eigentlichen Inten- aktive Auseinandersetzung der Gesellschaft und der Poli- tion des damaligen Parlaments tik mit diesem Thema zu fordern. Von daher ist die Bundesregierung aufgefordert, einen Bis in die 3. Generation haben die NS-Opfer und ihre Gesetzentwurf vorzulegen, nach welchem das „Gesetz Angehörigen von Zwangssterilisation und Euthanasie zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli noch heute unter der sogenannten nationalsozialistischen 1933, soweit es eben als Bundesrecht fortgalt und ledig- Erbgesundheitspolitik zu leiden. lich außer Kraft gesetzt worden ist, aufgehoben wird, um Es gilt, diesen Opfern und ihren Angehörigen erneut es endgültig aus der Rechtsordnung zu verbannen. Achtung und Mitgefühl zu bezeugen. Das Berichterstat- tergespräch mit Vertretern der Opferverbände hat mich Die Aussage der Koalition, das Gesetz zu ächten, ist in dieser Auffassung bestätigt. in jedem Falle unterstützenswert, wobei der Wortlaut in- soweit missverständlich ist, dass in dem Wort „selbst“ Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der aufgrund fehlender Interpunktion davor eine Einschrän- Koalitionsfraktionen deshalb zustimmen. kung bezogen auf das Gesetz liegen könnte. Zur eindeu- 10350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007

(A) tigen Klarstellung bedarf es weiterer Formulierungen im gesetzliche Klarstellung eingesetzt. Denn es braucht eine (C) Antrag der Koalition, welche eindeutig den Unrechtsge- zweifelsfreie Klarstellung, dass das menschenverach- halt dieses gesamten verbrecherischen Gesetzes darstel- tende „Erbgesundheitsgesetz“ zutiefst nationalsozialisti- len, welche die Ächtung des Gesetzes in Gänze klar und sches Unrecht war, als solches diametral dem Grundge- ohne Einschränkungen ausspricht. Von daher kann ich setz widersprach und somit nie Teil der bundesdeutschen nur um Unterstützung unseres Antrags bitten, um den Rechtsordnung war. Opfern, die bis heute unter den Folgen leiden, endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und nicht noch län- Daraufhin haben die Koalitionsfraktionen ihrerseits ger hinzuwarten, bis keines der Opfer mehr seine einen Antrag eingebracht. Der Antrag der Koalition wür- Stimme erheben kann. Ich denke, hier ist es an der Zeit, digt in Form einer Entschließung die Verbrechen als ty- ideologische Vorbehalte zurückzustellen und an die pisches NS-Unrecht und bekräftigt die Ächtung des Opfer zu denken: sowohl hinsichtlich der umfassenden „Erbgesundheitsgesetzes“. Das geht in die richtige Rich- Ächtung des Gesetzes als auch zur Prüfung einer Aufhe- tung, und daher kann dieser Entschließung selbstver- bung. ständlich zugestimmt werden. Uns geht es darum, klare Signale zu setzen, damit Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch die letzten Zweifel der Betroffenen an ihrer Reha- Die Opfer des sogenannten Erbgesundheitsgesetzes, die bilitierung und an der Anerkennung des ihnen zugefüg- Opfer von Zwangssterilisierungen, die Opfer des Mas- ten Unrechts ausgeräumt werden. Es ist von großer Be- senmordprogrammes der sogenannten Euthanasie und deutung, dass dieses Anliegen vom ganzen Haus deren hinterbliebene Angehörige erfuhren auch nach getragen wird. Wir unterstützen daher jeden Schritt, der Ende des Nationalsozialismus lange Zeit kaum Anerken- uns diesem Ziel näherbringt. nung und Würdigung. Erst sehr spät rückten diese Ver- Es geht darum, verfolgten, geschundenen und auch brechen und damit das Schicksal der Opfer des „Erbge- lange Jahre nach Ende des Nationalsozialismus weiter sundheitsgesetzes“ ins gesellschaftliche Bewusstsein. diskriminierten Menschen – soweit wir das vermögen – Ab den 80er-Jahren sprach man von „vergessenen Op- ihre Würde zurückzugeben. Das sind wir als Deutscher fern“. Das war gut gemeint, aber auch nicht ganz richtig. Bundestag den Opfern schuldig. In Wahrheit handelte es sich um ausgegrenzte Opfer, die auch nach 1945 statt Anerkennung weiterhin Demüti- gung und Diskriminierung erlebten. Anlage 18 Das Leid dieser Menschen wurde lange nicht als typi- Zu Protokoll gegebene Reden sches NS-Unrecht anerkannt. Dabei war das „Erbge- (B) sundheitsgesetz“ das erste Rassegesetz des NS-Staates. zur Beratung (D) Es wurde bereits am 14. Juli 1933 verabschiedet und trat im Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz war durch und – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des durch rassistisch und menschenverachtend. Rechts der Verbraucherinformation – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Auch von Entschädigung waren die Opfer des „Erb- Antrag: Bund-Länder-Staatsvertrag – Qua- gesundheitsgesetzes“ lange ausgegrenzt. Es sei noch- litätsmanagement Lebensmittelqualität mals daran erinnert: Erst in den 80er-Jahren wurden Här- teregelungen eingeführt, die auch Zwangssterilisierten – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem und „Euthanasie“-Geschädigten zugutekamen. In den Antrag: Verbraucherinformationsrechte Jahren 2004 und 2005 ist es gelungen, diese Härteleis- stärken – Neues Verbraucherinformations- tungen erheblich auszubauen. So wurden beispielsweise gesetz zügig vorlegen die Leistungen für Personen, die Opfer von Zwangssteri- lisierungen wurden, fast verdoppelt. Dennoch können – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem diese Härteleistungen kein wirklicher Ausgleich für das Antrag: Zweite Chance nutzen – Das Recht erlittene Unrecht sein. Sie sind eine Geste der Anerken- auf Verbraucherinformation grundlegend nung und Unterstützung. neu gestalten Erst 1988 und 1994 hat der Deutsche Bundestag in (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) Entschließungen das Unrecht ausdrücklich anerkannt, das „Erbgesundheitsgesetz“ und seine Anwendung ge- Ursula Heinen (CDU/CSU): Die Bundesregierung ächtet. Mit dem „NS-Aufhebungsgesetz“ von 1998 wur- verzögere die Neubefassung mit dem Verbraucherinfor- den die Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheits- mationsgesetz, heißt es im Antrag der FDP-Bundestags- gerichte pauschal aufgehoben. fraktion „Verbraucherinformationsrechte stärken – Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen“ Die Betroffenen fühlen sich aber noch nicht ausrei- (Drucksache 16/4447). Weiterhin fordert die FDP in die- chend rehabilitiert: Der Bund der „Euthanasie“-Geschä- sem Antrag die Bundesregierung auf, zügig, bis zum digten und Zwangssterilisierten e.V. ist mit einem Appell 30. Juni 2007 einen neuen Entwurf vorzulegen. an den Deutschen Bundestag herangetreten, das „Erbge- sundheitsgesetz“ für nichtig zu erklären. Der Antrag von Die Bundesregierung hat bereits am 4. April 2007 ei- Bündnis 90/Die Grünen hat dieses Anliegen aufgegriffen nen überarbeiteten Entwurf vorgelegt. Das ist wohl mehr und in den Bundestag getragen. Wir haben uns für eine als zügig. Um das Verfahren der Verabschiedung des