Cansei de ser sexy.

Queere Räume zwischen Ereignis und Alltag im Film Shortbus

Polysexfolie

7 Shortbus ist der Name eines Clubs der Bohème im 0 .

1 Post-AIDS-Krisen- und Post-9/11-New York. Shortbus

s ist auch der Titel eines US-Independentfilms von John u

k Cameron Mitchell, der Ende 2006 hierzulande in den s i

d Kinos zu sehen war. Obwohl der Film vor allem im 22 Feuilleton gefeiert und sich zum schwullesbischen Szeneerfolg gemausert hat, sind sowohl die begei - sterte als auch die verwerfende Rezeption durch mo - ralische Fragestellungen gekennzeichnet, die in der »Internet Movie Database« gar zu kurzfristiger Zensur führten. Stein des Anstoßes sind die Verhandlungen einer ganzen Bandbreite von Sexdiskursen und vor allem die expliziten Darstellungen von Sexpraktiken, wie sie das Kino zuvor nicht kannte: sich selbst einen blasen, den SM zwischen einer prekär arbeitenden Do - mina und einem verzogenen Jungen, einen schwulen Dreier, Voyeurismus, superneurotische Zweierbezie - hungen, Analsex, Masturbation, Performance Art mit Menstruationsblut, Prostitution, digitales Dating und vor allem polysexuelle Orgien. Doch so konstitutiv die Darstellung und Diskursivierung von Sex für den Film sind, so sehr verpasste eine einseitige Fokussierung darauf die eigentliche Pointe von Shortbus . Grundsätz - lich gilt für das ästhetische Urteil über Filme, dass nicht die nackten Fakten als solche entscheidend sind, sondern die Art und Weise ihrer wahrnehmbaren Dar - stellung. Dies mag zunächst banal erscheinen, doch immer noch schlägt sich die US-Filmindustrie mit Codes und Gesetzen herum, die akribisch genau fest - legen, was gezeigt werden darf und was als pornogra - fisch gilt. Im Falle von Shortbus hat man es aber weder mit Pornografischem zu tun, bei dem das Dargestellte funktionalisiert wird, noch mit der Problematisierung von Sex als Ausdruck einer erstarrten sozialen oder Gefühlswelt, wie man es beispielsweise in Michael Hanekes Klavierspielerin zu s ehen bekam. In Shortbus , so die leitende These, ist das Panorama des Sexuellen nur die notwendige Folie, auf der sich ein queerer Raum konstituiert, in der eine andere Lebensweise als mögliche aufscheint. Sexualität ist dabei nicht der Hö - hepunkt, sondern lediglich die Ausgangsstellung für raums zu jenen bürgerlichen Dichotomien. 2 das Erzeugen eines polysexuellen Zusammenhangs. Gleich zu Beginn des Films erleben wir also eine Die visuelle Evidenz des Sexakts wird hier immer kleine Einführung in die Politik des Raums: Außen wieder durch dramaturgische und narrative Finten ge - herrscht imaginäre Transparenz und uneingeschränk- stört. Neben den Dialogen und dem Einsatz der eher te Bewegungsfreiheit – wie sie einzig der filmische einnehmenden als anturnenden Filmmusik, die die se - Raum als dynamischer Bewegungskorridor kennt –, xuelle Spannung unterläuft, sind es zudem Handlun - während der Sex dem privaten Wohnraum zugewie - gen der Darsteller_innen selbst, die das Sexuelle ins sen wird. Wie müsste nun ein Raum beschaffen sein, Komödiantische kippen lassen: Während einer Sex- der die Dichotomie von öffentlich und privat selbst szene zwischen drei Männern fordert einer seinen unterläuft und einen anderen, queeren Raum schafft? Hintermann auf, beim Arschlecken etwas in sein Loch zu sprechen, woraufhin letzterer lauthals die US- Hymne grölt und die beiden anderen die gelutschten Heteronormative Raumpolitiken erigierten Schwänze zu imaginierten Mikros umfunk - tionieren und mit einstimmen. Sex is comedy. Wenn im Folgenden von queeren Räumen die Rede ist, In der Darstellung des Sexes, die ihren eigenen Dis - dann sind damit nicht einfach Partyclubs gemeint, in kurs subvertiert, verweist Shortbus auf eine Sphäre jen - denen die Leute nicht so einfältig aufgebrezelt ausse - seits des sexuellen oder sonstigen stark affektiv be - hen wie sonstwo. Der materielle Raum einer Partylo - setzten Ereignisses: auf das Alltagsleben. Der Alltag ist cation ist gerade nicht identisch mit dem, was queere der Ort, an dem man realisiert, wie anstrengend es auf Räume auszeichnet. Ein queerer Raum ist eine Archi - Dauer ist, sexy zu sein. Ausgehen und Sex haben, das tektur, die in einem dialektischen Verhältnis zum he - ist das Ereignis. Nach der Party ist vor dem Kater, der gemonialen Raumkonzept steht. Das heißt ersterer ist Transitschleuse zum Alltag. Müde davon, sexy zu sein sowohl Abgrenzung wie Effekt des letzteren. Grund - – oder: »Cansei de ser sexy«, wie der vollständige sätzlich ist Räumlichkeit dem Subjekt nicht einfach ge - Name des brasilianischen Musikprojekts CSS lautet – geben, erst durch das soziale Handeln wird Raum er - davon weiß man mehr als ein Lied zu singen. zeugt. Dieser Prozess ist wiederum abhängig von s u

Im Folgenden möchte ich Shortbus genau auf die - Machtverhältnissen, denn der Handlungsraum ist b t r

sem Feld zwischen Ereignis und Alltag diskutieren: immer schon auf vielfältige Weise vorstrukturiert und o h

Zunächst wird der Club als ein queerer Ereignisraum produziert Ein- und Ausschlüsse von Subjektpositio - s eingeführt, der dann eine Verbindungslinie öffnet hin nen: »Da nicht alle die Räume schaffen können, die 23 zu einer anderen alltäglichen Lebensweise, die im Er - ihnen entsprechen, tragen diejenigen Räume, die sich eignis und aus ihm heraus entstehen kann. dauerhaft institutionalisieren, die sozialen Spuren der - jenigen, denen es möglich ist, Raum nicht nur zu kon - stituieren, sondern dauerhaft zu institutionalisieren.« Zwischen öffentlicher und privater Sphäre (Hark 2005) Während sich die einen in identitären Räumen bewegen, werden die anderen gleichsam in Shortbus beginnt mit einem Close-up, einem visuellen einen alteritären Zustand zurückgeworfen. Abtasten eines anthropomorphen Körpers, der wie Ein zentrales Prinzip dieser Form der Raumkonsti - aus Pappmaché wirkt. Wenn sich die Kamera von ihm tution stellt die Heteronormativität dar. Diese ist nicht entfernt, erkennen wir ihn als eine Nachbildung der einfach synonym mit der entsprechenden sexuellen Freiheitsstatue. Vom symbolisch-politischen Körper Orientierung oder mit Normen als solchen. Sie um - fliegen wir nun in der Vogelperspektive über das – fasst alle Formen des sozialen und kulturellen Lebens, ebenfalls pappartig digitale – Stadtpanorama New die äußeren Institutionen ebenso wie die intimen, ver - Yorks hinweg. Nun werden wir vier Mal durch ein meintlich inneren Gefühle, insbesondere Vorstellun - Fenster in ein Wohn- bzw. Schlafzimmer gebracht, wo gen von romantischer Liebe. Heteronormative Raumpo - uns die Hauptcharaktere in einer Parallelmontage bei litiken zeichnen sich durch die bereits genannte sexuellen Handlungen vorgestellt werden. Hierbei räumliche Separierung des sozialen Lebens nach Öf - verfährt die Kamera nicht im Modus des Eindring - fentlichkeit, Politik, Ökonomie und Lohnarbeit ei - lings vom symbolischen – weil nachgestellten – und ner seits und Privatsphäre, Intimität, Haushalt und öffentlichen Raum in den intimen privaten, vielmehr Freizeit andererseits aus, ferner durch die Festschrei - wird der Bruch mit den zwei Raumsphären über einen bung dieser räumlichen Zuweisung über entspre - sanft überblendenden Schuss-Gegenschuss inszeniert. chende Institutionen wie Familie, Ehe etc., durch die Nähern wir uns im ersten Kameraschuss, physikali - Verhinderung alternativer nicht-heteronormativer schen Beschränkungen trotzend, zu Jazzsound aus dem Lebensweisen sowie durch die Naturalisierung ihrer Off den jeweiligen Fenstern der Fassade, führt der dar - eigenen Praktiken. Die heteronormative Topografie auf folgende Gegenschuss von diesen Fenstern in die stellt dabei eine stillschweigende Voraussetzung kapi - vorgefundene fotofilmische Szenerie. (Diese Technik talistischer Produktionsweise dar. des Vorher/Nachher wird im weiteren Verlauf des Heteronormativität zeichnet sich des Weiteren Films in jeder Szene verwendet, die das sukzessive durch ein Paradoxon aus: Wie bereits ausgeführt, ist sie Eintauchen in die queere Welt symbolisiert.) 1 Der be - zwar omnipräsent, dennoch ist sie niemals vollends hutsame Wechsel markiert hier die Dialektik von realisierbar. Grund für dieses partielle Scheitern ist ihr Innen und Außen, Privatheit und Öffentlichkeit. In ambivalenter Status als Ideal: einerseits materialisiert dieser Er-Öffnungsszene erhalten wir bereits einen es sich in den Praktiken der Subjekte, andererseits ver - er sten Hinweis auf die Verfasstheit eines Zwischen- mögen ihm die gelebten Handlungen und Erfahrungen hat sie die Eingangstür passiert – auch hier wird der Eintritt im Schuss-Gegenschuss gezeigt, der den Grenzübertritt markiert –, als ein Typ im Donutko - stüm brüllend an ihr vorbeizieht und von Justin Bond rausgeschmissen wird (»I hate carbs!«). Sofia wird von ihm aufgefordert, ihren Namen zu nennen und wird mit ihrer Verunsicherung in der Schwebe gelassen. Dann jedoch ändert sich die Stimmung schlagartig, etwas entspannter erhält sie eine persönliche Führung durch die einzelnen Räume. Nach dem ersten Schock ist dies die Phase der Verwunderung, in der sie sich langsam auf die Situation einzulassen beginnt. Auch wenn sie nicht am Sex der anderen teilnimmt, findet der Einzelnen nie ganz zu entsprechen. Trotz dieser Di - sie immer mehr Gefallen an der Offenheit und Wärme vergenz von Idealität und Realität erscheint die Hete - all der Gestalten dieser anderen Welt. ronormativität dermaßen dominant und ubiquitär, Bei Shortbus handelt es sich zwar um einen priva - dass keine Alternative sichtbar und erfahrbar wird und ten Club, eine Form, die aus dem Misstrauen gegen - sie weiterhin affirmiert wird. Allerdings: In ihrem über der Außenwelt gewählt wurde, welche anson - grundsätzlichen ideellen Status liegt bereits die prakti - sten im Film keinerlei Rolle spielt. Doch erst diese sche Voraussetzung für ihre subversive Verqueerung scheinbar privatistische Abgrenzung ist die Bedin - begründet, die ein anderes Leben denkbar und mög - gung, im Hier und Jetzt eine abweichende Welt her - lich macht. In Shortbus wird etwas von ebendiesem an - vorbringen zu können, in der alle ihren Platz finden, deren Leben wahrnehmbar. 3 ohne sanktioniert oder ausgeschlossen zu werden. Das ›richtige‹ Leben im Falschen, das im Salon Short -

7 bus verdichtet wird, ist die audiovisuelle Deskription 0 .

1 Eingänge ins Wunderland eines queeren Raums, wie sie im Medium der Theorie

s beschrieben wird: »Unter queerer Kultur verstehen u

k In einzelnen Szenen, die sich während des ersten Be - wir ein Projekt der Welterzeugung, wobei sich ›Welt‹, s i

d suchs im Club Shortbus ereignen, wird die Konzeption ebenso wie ›Öffentlichkeit‹, von Gemeinschaft oder 24 eines queeren Raums extrapoliert. In der ersten Szene Gruppe unterscheidet, weil sie notwendigerweise betritt eine der Hauptfiguren, die Sex-Therapeutin mehr Menschen einschließt als benannt werden kön - Sofia (»I prefer the term ›couples counselor‹«), erstma - nen, mehr Räume umfasst als abgesehen von ein paar lig den legendären Club, in dem neben einem Perfor - Bezugspunkten auf der Karte verzeichnet werden manceraum, einem Kinoraum, einem Spielplatz und können, Gefühlsweisen beinhaltet, die erlernt werden einer Musikbühne vor allem der »Sex Not Bombs«- können, statt als Geburtsrecht erlebt zu werden. Die Room die Hauptattraktion darstellt. In diesem größten queere Welt ist ein Raum der Eingänge und Aus - Raum haben alle den von ihnen bevorzugten Sex; und gänge, ein Raum nicht-systematisierbarer Bekannt - bevor ich mich anschicke, die Variationen aufzulisten, schaftslinien, projizierter Horizonte, typisierender verweise ich auf das sichtbare Bemühen des Films, Beispiele und alternativer Routen, ein Raum der Blok - verschiedenste Körper, Geschlechter, Altersgruppen kierungen und inkommensurablen Geografien« (Ber - und Praktiken zu repräsentieren. »It’s like in the Six - lant/Warner 2005, 92). ties – only with less hope«, kommentiert später die Queere Räume entstehen aus der Einsicht, sich »Mistress of Shortbus « Justin Bond das Geschehen. selbst in einer untergeordneten Stellung zu befinden. Als Sofia einem ihrer Klientenpaare gesteht, noch Als minoritäre Abweichung von der Norm können sie nie einen Orgasmus gehabt zu haben, wird sie dorthin sich nicht dauerhaft institutionalisieren, sondern blei - eingeladen. Über die chinesische Kanadierin Sofia ben oftmals mobile, fragile und kurzlebige Orte. Sie werden die Zuschauer_innen in den Hand - lungsraum eingeführt (während in den meisten Filmen das identifikatorische Medium ein wei - ßer Mann ist). Dieses zögerliche Vortasten in eine neue, ungewohnte Umgebung zeigt an, dass die Welt von Shortbus , dem »salon for the gifted and challenged«, Sofias Leben verän - dern wird. Eine der ersten Figuren im Inneren des Clubs ist entsprechend ein dicker Mann auf einer Schaukel – eine kleine Reminiszenz an Alice im Wunderland . Sofias Weg in die andere Welt verläuft in mehreren Schritten und ist zu - nächst mit einigen Hindernissen und Unsicherheiten sind experimentell und besitzen dadurch Ereignischa - belegt. Sie muss sich auf der Treppe zum Eingang an rakter. Sie bedeuten also immer ein Stück weit die einem sich leidenschaftlich küssenden Paar vorbei - Aushebelung des Alltags. Diese Attribute unterstrei - schieben, das offensichtlich keine Notiz von ihr chen den prozessualen Charakter queerer Räume, in nimmt. (Später werden es genau diese beiden sein, mit dem hegemoniale Normen immer wieder zur Disposi - denen sie ihren ersten Orgasmus haben wird.) Kaum tion gestellt werden, ohne zu einem Abschluss kom - men zu können. Das heißt jedoch auch, dass diese Räume gerade keine Häfen endgültiger Sicherheit vor heteronormativen und sexistischen Sanktionierungen sind, vielmehr kann sich der Anspruch einer radikalen Infragestellung einer bestimmten Normativität selbst in ihr Gegenteil kehren und stark normierend wirken, was in queeren Szenen immer wieder verhandelt wer - den muss. Ein solches Konfliktpotenzial ist allerdings dezi - dierter Bestandteil von queeren Räumen, entschei - dend ist der in ihnen geltende Maßstab, Heteronorma - tivität auszuklicken und anders zu leben. Wie dies geschieht, obliegt dabei der gelebten Praxis und ihrer jeweiligen Reflexion – ohne Netz und doppelten tiert. Sie reden über Sofias Problem, sie hören zu und Boden. teilen ihre Erfahrungen. Auch an dieser Stelle geht es um Sex, der für Sophia aber nicht selbst Intimität, son - Queere Räume sind fragile Möglichkeitsräume, die in dern im Gegenteil einen diskursiven Druck erzeugt. der Polarität von Ereignis und Alltag zwar den Cha - Sex ist hier lediglich das Thema eines Gegendiskur - rakter des ersteren besitzen, doch gerade weil im so - ses, über den eine kollektive Intimität hergestellt zialen Alltag Queers mit Ausschlüssen oder zumin - wird. dest Einschränkungen zu leben haben, kann das Obwohl es in dem Film auch lesbische Sexszenen queere Ereignis indirekt gerade umso engere Banden gibt, bekommt man nicht zuletzt durch dieses Setting zum Alltag knüpfen. Daher möchte ich nun zwei eher den Eindruck, die Sexdiskurshoheit liegt eher bei nebensächliche Filmszenen vorstellen, in denen so Frauen, während es deutlich längere und explizitere etwas wie eine andere Lebensweise aufscheint. Sexakte mit Männern gibt. Die konventionelle Erzähl -

weise, die den Mann als rationalen, diskursiven Blick s u

und die Frau als sexualisiertes Bild inauguriert, wird b t r

»Pussy Paradise«. Identität und Intimität in diesem Film verqueert und auf den Kopf gestellt . o h s Auf der Flucht vor einem lauten Gekabbel flieht Sofia 25 durch die nächste Tür und landet unversehens in Gegengeschichte und Vergebung einem FrauenLesben-Raum. Mit Sofias Eintritt in den geschlossenen Raum erstummt der Lärm von außen Unmittelbar an die Verhandlung lesbischer Identität ebenso wie die Gespräche innerhalb. Die Hektik schließt eine Sequenz an, in der die Auseinanderset - scheint jäh unterbrochen. Durch das plötzliche Ein - zung mit schwuler Gegengeschichte gesucht wird. Was dringen besteht für einen kurzen Moment Unsicher - diese Szene zunächst heraushebt, ist die sehr präsente heit in Bezug auf das jeweilige Gegenüber, erst das melancholische Livemusik im Hintergrund, die Zwi - übereinstimmende Urteil, draußen sei es einfach voll schenschnitte der anderen Hauptcharaktere in drama - von Männern, bricht das Eis und Sofia wird als »Si - turgisch bedeutsamen Momenten sowie die Umkeh - ster« in den Kreis aufgenommen. Sie ist einen weite - rung des narrativen Verlaufs, die im Komödiantischen ren Schritt in die queere Welt gegangen. Die ge - beginnt und im Intimen endet: Ceth ist der everybo - dämpfte Beleuchtung stiftet eine intime Atmosphäre. dy’s darling des Films, ein gut aussehender unbeküm - Auch das Set Design trägt zu einer Stimmung der Ver - merter Twentysomething, der Dates über seinen Pok - trautheit bei, denn der vergleichbar enge Raum, der in ketcomputer sucht. Mit diesem löst er merkwürdige warmen Farben gehalten ist, gleicht einer kokonarti - Vibrationen bei Tobias aus oder vielmehr: bei seinem gen Hippiehöhle, in der alle – Butches und Femmes, Herzschrittmacher. Denn Tobias ist bestimmt über achtzig und war einst der mächtige Bürgermei - ster von New York. So beginnt ein inniges Ge - spräch zwischen alt und jung, das auf nicht mehr und nicht weniger gerichtet ist als auf Verge - bung. Es ist eine Kristallisation schwuler Bewe - gungsgeschichte, die bekanntlich in New York City ihren Ausgang nahm. »New York is where everyone comes to be forgiven«, sagt jene Filmfi - gur, die recht unverhohlen dem tatsächlichen langjährigen schwulen Stadtoberhaupt Ed Koch nachempfunden wurde. Koch wurde in der Hochphase schwuler Subkultur 1977 gewählt Afroamerikaner_innen, Latinas, Asiat_innen und und blieb in der großen AIDS-Krisenzeit bis 1989 im Weiße – den Sitzkreis bilden. Das Hippie-Zitat wird in Amt. Machte er zuvor eine schwulen- und lesben - ihrem Gespräch über den besten Orgasmus ihres Le - freundliche Politik, die u. a. ein Antidiskriminierungs - bens noch einmal hervorgekehrt, wenn JD Samson (Le gesetz beinhaltete, reagierte er auf die zahlreichen Tigre! !) beschreibt: »there was no war«, was Infizierungen in der gay-community mit der Schlie - eine Freundin nonchalant mit dem Peacezeichen gou - ßung der Schwulensaunen. In dem ansonsten hand - Dabei bleibt jedoch weitgehend unklar, ob sie dazu beitragen, das Leben von Queers und gesellschaftli - ches Leben überhaupt ›besser macht‹, was immer auch darunter zu verstehen ist. Die beiden zuletzt dis - kutierten Filmszenen weisen jedoch in eine Richtung, in der der queere Raum Fluchtlinien ins alltägliche Leben zieht, in der also das Ereignis Folgen für den Alltag hat. Lernen kann man hier von früheren femi - nistischen Kritiken der Frauenbewegung: Hausarbeit, Kindererziehung oder männliche Gewalt, aber auch das heimliche Ins-Kino-gehen oder der Nachmittag mit der Soap Opera – all das waren und sind Themen, die dezidiert auf den Alltag von Frauen jenseits be - zahmen Doku-Spielfilm And The Band Played On wird sonderer Ereignisse gerichtet waren und die Forde - implizit unterstellt, Koch habe so wenig bzw. falsch rung nach einem besseren Leben explizierten. reagiert, da er sich nie geoutet hatte und sich mit ho - Was nun queere Lebensweisen betrifft, so führen mophoben Angriffen seiner politischen Gegner_innen die Fluchtlinien zum Alltag paradoxerweise zu einem konfrontiert sah: »Home can be very unforgiving. Beziehungsmodell, das in Shortbus zumindest explizit People said I didn’t do enough to help to prevent the nicht vorkommt und vielleicht deswegen gerade den AIDS-crisis because I was in the closet. That’s not true. Dreh- und Angelpunkt bildet: Freundschaft. Im Kon - I did the best I could. I was scared and impermeable. text von Michel Foucaults späten Überlegungen zur Everybody knew so little then. I know even less now.«, »Freundschaft als Lebensweise« zeichnet er eine Ge - erklärt Tobias stellvertretend. Der Ältere beichtet ge - schichte der Freundschaft unter Männern von der An - genüber dem Jüngeren und bittet um Vergebung, die tike bis zur frühen Moderne, um aufzuzeigen, dass sie

7 ihm durch Ceths Kuss auf den Mund und eine Umar - an einem bestimmten Punkt als kulturelle Gefahr be - 0 .

1 mung gewährt wird. Die eigentliche Gegenüberstel - trachtet wird, wenn beispielsweise eine Freundschaft

s lung ist jedoch nicht die von Alt und Jung oder Schuld unter Soldaten im homosozialen Kontext des Mili- u

k und Unschuld, sondern, wie sie selbst in ihrem Ge - tärs »wehrzersetzend« wirkt. Das Gefährliche an der s i

d spräch erwähnen, die zwischen Alt und Neu – zwi - Freundschaft ist die Subversion vom Innenraum pa - 26 schen zwei historischen schwulen Lebensweisen, die triarchaler Herrschaft aus (vgl. Foucault 1999, 41 f.). kaum noch etwas miteinander zu tun haben. Die hoch Foucault argumentiert an dieser Stelle aus der Posi - symbolisch aufgeladene Filmszene ist der Versuch, tion der Geschlechterdifferenz. Dass er hier dezidiert eine schwule Identität herzustellen, allerdings eine, die die männliche Freundschaft untersucht, bedeutet je - sich nicht über eine als natürlich empfundene sexuelle doch nicht die bloße Reproduktion patriarchaler Orientierung, sondern über geschichtliche Kämpfe, Ver - Ausschlüsse. Die Freundschaft unter Frauen wird luste und Ängste definiert. dabei explizit nicht ausgeschlossen, nur besitzt sie in Shortbus ist nicht nur ein Film über Sexualität, son - der Geschichte einen anderen Stellenwert. dern ebenso einer über den queeren Signifikanten Ziel einer solchen subalternen Geschichte männli - New York City. Auch wenn Ed Koch alles andere als cher Freundschaft ist es letztlich, diese Form unserer ein Linker war und ebenso für eine rigide »Law and Gegenwart als mögliche Lebensweise vor Augen zu Order«-Politik steht, die seinen erzkonservativen führen: In jener Zeit, als die Leichtigkeit der polyga - Nachfolgern den Weg ebnete: Nach 9/11, das als Su - men Sexpraktiken langsam in einer geistig-morali - perereignis einen weiteren ständigen Hintergrund des schen Wende zum letalen Ernst unter dem Paradigma Films bildet, und der illiberalen Ära von »Rude Rudy« der »Schwulenseuche« AIDS überzugehen scheint, er - Giuliani, der die Schließung von Sexorten und Crui - klärt Foucault in einem Interview mit einer schwulen singplätzen, Zensurpolitik uvm. zu verantworten hat, Szenezeitschrift die Homosexualität zu einer »Frage ist der Verweis auf Koch im Nexus von Schuld und der Existenz«. Homosexualität ist demnach nicht als Vergebung eine bewusste Erinnerungspolitik an eine eine Form des Begehrens zu verstehen, die auf eine andere Zeit, die in der bisherigen Dichotomie von he - feste Identität zurückgeht, sondern etwas Begehrens - teronormativen und queeren Raum eine dritte Sphäre wertes: » Wir müssen darauf hinarbeiten, homosexuell zu eröffnet. werden , und wir dürfen uns nicht hartnäckig darauf versteifen, daß wir es schon sind. Das Problem der Homosexualität entwickelt sich mehr und mehr zu »Von der Freundschaft als Lebensweise« einem Problem der Freundschaft« (Foucault 1984, 86). Nicht der sexuelle Akt unter Männern, auch nicht be - Der Begriff queerer Räume ist der Versuch, einen er - stimmte subkulturelle Praktiken wie anonymer Sex an fahrbaren Lebenszusammenhang von Queers zu den - öffentlichen Plätzen (von dem man auf den ersten ken. Doch, wie bereits ausgeführt wurde, sind queere Blick annehmen könnte, er stehe im Mittelpunkt von Räume notwendig liminale Ereignisräume, da sie im Shortbus ) interessieren Foucault, sondern eine be - dauernden Alltag einer heteronormativen Kultur nicht stimmte Beziehungsform jenseits tradierter, familiali - vorgesehen sind. Dies umfasst nicht nur, aber doch stischer Vor stellungen: die Freundschaft, das heißt häufig die begrenzte Zeit auf Partys, in politischen »die Summe all dessen, womit sie [Männer] einander oder künstlerischen aktivistischen Gruppen u.ä. Freude bereiten können.« (87) Dies schließt selbstver - Queere Räume entstehen jenseits des Alltäglichen. ständlich den Sex mit ein, versteht ihn aber nicht bloß als intimes Intermezzo mit eingespielter Dramatur - queere Raum sukzessive entfaltet, so gilt dies analog für den filmi - gie. Etwas anderes, anders lustvolles steht im Vor - schen. dergrund: »Der Begriff der Lebensweise erscheint #2 Gegenüber dem Außenraum zeigt die geografische Auswahl der mir wicht ig. Sollte man nicht eine feinere Unter - Innenräume bereits soziale Unterschiede an: nach den ersten beiden scheidung einführen, die nicht mehr nach sozialen Räumen, bei denen es sich um Mietwohnungen handeln mag, sind die Klassen, Berufsgruppen oder Kulturniveaus verfährt, folgenden beiden symbolisch hoch besetzt: ein Hotelzimmer direkt am Ground Zero, in das wir rücklings hineingezogen werden, sowie sondern sich an einer Beziehungsform, d. h. an der ›Le - ein schickes Parterreapartment direkt am Central Park. Die Bewe - bensweise‹ orientiert? Eine Lebensweise kann von In - gungsfreiheit stößt hier auf erste Anzeichen von Klassenschranken. di viduen geteilt werden, die sich in Bezug auf Alter, Status und soziale Tätigkeit unterscheiden. Sie kann #3 Während queere Subversionspraktiken die hegemoniale Norm zu intensiven Beziehungen führen, die keiner institu - wiederholen und an einem entscheidenden Punkt resignifizieren, also die Frage der Zeitlichkeit im Vordergrund steht, vermag das hier dis - tionalisierten Beziehung gleichen. Und eine Lebens - kutierte räumliche Modell den Aspekt einer erfahrbaren Positivität weise kann, glaube ich, zu einer Kultur und einer Eth- queerer Lebensweisen herauszustellen, ohne davon ausgehen zu kön - ik führen. ›Schwul‹ sein heißt nicht, sich mit den nen, einen endgütigen Bruch, gewissermaßen einen ›queeren Zu - psychologi schen Zügen und den auffälligen Masken stand‹ erreicht zu haben. Zur Kritik des vor allem im deutschsprachi - gen akademischen Kontext verorteten Parodie- und des Homosexuellen zu identifizieren, sondern Subversionsmodells vgl. die Einleitung »The Places That We Love heißt, eine Lebensweise zu bestimmen und entwik - Best« von Matthias Haase, in: Ders. / Marc Siegel / Michaela Wünsch keln versuchen« (89). (Hg.), Outside. Die Politik queerer Räume, Berlin 2005, 10 f. Freundschaft ist die alltägliche Lebensweise, die aus dem Potenzial eines queeren Ereignisraums erwach - *.txt sen kann. Dass ein solcher, der in dem Salon und dem Film Shortbus seinen lebendigen Ausdruck findet, ¬ Lauren Berlant / Michael Warner, Sex in der Öffentlichkeit, in: Mat - nicht bloß eine urbane Variante eines Swin ger clubs ist, thias Haase / Marc Siegel / Michaela Wünsch (Hg.), Outside. Die Po - sollte hier herausgehoben werden. Die litik queerer Räume, Berlin 2005. ¬ Michel Foucault, Sex, Macht und die Politik der Identität. Interview experimentelle Offenheit, die einer solchen Lebens - mit Michel Foucault (1982), in: diskus. Frankfurter StudentInnen Zeit - weise inhärent ist, wird gerade dadurch im Film ge - schrift, 48. Jg., Nr. 3, 12/1999. s u steigert, dass sie nicht als das ganz Andere ¬ Ders., Von der Freundschaft als Lebensweise. Gespräch mit J.P. Jo - b t

ecker, M. Ouerd und A. Sanzio, in: Ders., Von der Freundschaft, Berlin r

beschworen wird, sondern lediglich den unausge - o

1984. h

sprochenen, aber geradezu evidenten Fluchtpunkt s ¬ Matthias Haase, The Places That We Love Best, in: Ders. / Siegel / bildet. Wünsch 2005. 27 Chris Tedjasukmana ¬ Sabine Hark, Inside/Out: Interventionen in Raum, in: Querelles- Net, Nr. 17, 11/2005.

*.notes *.film #1 Das zeitliche Eintreten in den queeren Raum innerhalb der Filmer - zählung korrespondiert mit den medialen Möglichkeiten des Films: ¬ And The Band Played On, USA 1993, R: Roger Spottiswoode. Denn der filmische Raum konstituiert sich über die Bildfolgen in der ¬ La Pianiste, D/PL/F/A 2001, R: Michael Haneke. Zeit als dynamischer Bewegungskorridor. Im Film heißt Raum 24 Mal ¬ Shortbus , USA 2006, R: . pro Sekunde Veränderung in der Zeit. Wenn sich mit der Zeit der