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SWR2 Musikpassagen

„Good Vibrations“ statt „Bloody Troubles” und der Aufbruch der Punkbewegung in Nordirland

Von Arian Fariborz

Sendung: Sonntag, 18. Juni 2017, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017

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Musik 1 : „Alternative Ulster“, LP „Inflammable Material“ (B 4), Länge: 2:41, Label: Celluloid, keine LC-Nummer, Song bereits kurz unter vorangegangenen Autor als Musikbett legen, dann bis Ende ausspielen.

O-Ton 1 Jonny Tiernan (engl.) (Track 1 / 0:30 – 0:50/ 3:18-Ende) Der Song “Alternative Ulster” sagt alles darüber, was uns damals in Nordirland bewegte, dass es hier sehr viel zu tun gibt, wir etwas verändern wollten. Dass hier eine Musikszene, eine lebendige Kultur existiert und hier sehr viel los ist – von dem viele Leute nur leider nichts wissen. Als „Stiff Little Fingers“ und die „Undertones“ erstmals auftraten, gab es in Nordirland keine Punkszene – diese Bands waren Pioniere des nordirischen Punk. Erst danach tauchten „The Outcasts“ oder „“ auf und man kann seitdem von einer wirklichen Punkband-Kultur in Nordirland sprechen. Vor 1978 war das nicht der Fall, es gab längst nicht so viele Konzerte und qualitativ gute Gruppen.

Autor Der nordirische Musikjournalist Jonny Tiernan hat die Entstehung der Punkszene in Belfast hautnah miterlebt – als DJ und Moderator der unabhängigen Radio-Show „Alternative Ulster“ berichtete er jahrzehntelang über die neuesten Entwicklungen und Trends in der alternativen Rockmusikszene. Heute ist er Geschäftsführer des „Oh Yeah Music Centre“ in Belfast, ein Veranstaltungszentrum mit Proberäumen, Aufnahmestudios und musikhistorischem Museum in einem. Das Ziel: jungen, unbekannten Bands aus Nordirland eine Plattform für ihre Musik zu geben und ihre Musik gezielt zu fördern. Anders als im benachbarten England, wo die Punkrevolution mit den „Sexpistols“, „The Clash“ oder „Damned“ bereits Mitte der 70er einsetze, entstand erst Jahre später in Nordirland eine eigenständige Punkbewegung. Und das nicht ohne Grund: Während der sogenannten „Troubles“, dem Bürgerkrieg zwischen Unionisten und Republikanern, gerieten auch Künstler in den 70er Jahren zwischen die Fronten: Schießereien paramilitärischer Gruppen, Bombenanschläge, Checkpoints…

Musik 2 Ruefrex: „One by One“, CD „Capital Letters – the best of“, Cherry Red Records, CDM Red 290, keine LC-Nummer, Länge: 4:06, Song bereits unter letzten Sprechertext legen, für ca. 15 sec. stehen lassen und unter nachfolgenden Sprecher legen dann langsam ausblenden.

Autor Nordirland in den 1970er Jahren – eine bleierne Zeit, die die künstlerische Freiheit über Jahrzehnte hinweg lähmte und Zusammenkünfte von Musikern in Städten wie Belfast fast unmöglich machte, berichtet Davy McLarnon, Gitarrist und Urgestein der Belfaster Punkrock-Band „Shock Treatment“.

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O-Ton 2 Davy McLarnon (Track 28 ab 10:31) Damals, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war Belfast um 6:00 Uhr abends quasi dicht. Es gab in dieser Zeit überhaupt keine Unterhaltung. Den Anfang machte Terri Hooley, was ja auch in seinem Film “Good Vibrations” dokumentiert ist. Er legte Platten in der „Harp Bar“ auf, wo anfangs ja niemand zuhörte oder dorthin ging. Aber dann eröffnete er seinen Plattenladen und die Kids fingen an, Punk- und Rock- Singles bei ihm zu kaufen. Allmählich bildete sich eine Punk-Szene um die “Harp Bar” und Terri Hooleys Plattenladen, die dann immer größer wurde. Sie war wirklich zu einer Oase im Leben vieler junger Leute geworden, wo es sonst wohl eine tote Wüste, umringt von Stahlzäunen geblieben wäre. Zeitweise haben sie sogar die Sicherheitszäune und Tore komplett dicht gemacht, so dass du in der Belfaster Innenstadt oder auch in anderen Städten Nordirlands völlig eingeschlossen warst.

Autor Es war Terri Hooley, Musikliebhaber, überzeugter Pazifist, Rebell und Langzeit- Hippie, der der totgesagten Musikszene in Belfast neues Leben einhauchte. Vom Terror der Paramilitärs ließ er sich nicht einschüchtern und eröffnete 1978 in der damals wie ausgestorben wirkenden Innenstadt von Belfast einen eigenen Plattenladen: „Good Vibrations“ – ausgerechnet in der „Great Victoria Street“, in unmittelbarer Nähe des berüchtigten Hotel Europa, wo fast täglich Bomben hochgingen. Wahnsinn und Genie gehen hier Hand in Hand, wie man auch in Terri Hooleys autobiographischen Film „Good Vibrations“, der vor Kurzem auch in deutschen Kinos lief erkennen kann.

Clip aus Terri Hooleys Film „Good Vibrations“ (1) 12:20, ca. 30 sec. ausspielen / Dialog Vermieter fragt Terri Hooley: “Say that again?!” –Hooley: “I wanna open a Record shop” – “On Great Victoria Street?! It’s a Bomb Alley! Do you know since when I had anyone here who wanted to open something?!”

Autor Terri Hooleys kühne Vision: Den „Troubles“ kulturell etwas entgegenzusetzen, Belfast vor allem für die jüngere Generation wieder lebenswert zu machen und sich dabei politisch von keinem der am Nordirlandkonflikt beteiligten Parteien vereinnahmen zu lassen.

Clip aus Terri Hooley-Film „Good Vibrations“ (2) /7:50-8:00: “What baffles me, is that Jamaica and Belfast got so much in common – cops and soldiers getting people day and day out, armed gangs wandering the streets, murder people for fuck all. But they’ve got Reggae – and what do we have? Shit!”…

Autor Doch als Platten- und Musiklabelbetreiber setzte Terri Hooley nicht nur ein Zeichen für Frieden und Verständigung im krisengeschüttelten und geteilten Belfast. Von vielen Kulturschaffenden wird er bis heute auch als „Godfather des nordirischen Punk“ verehrt – ausgerechnet ein Hippie, der Punk-Bands wie „“, „The Outcasts“ oder „Rudi“ entdeckte und damit einer damals für Belfast noch recht unbekannten subkulturellen Bewegung zum musikalischen Durchbruch verhalf. Fast alle lokalen Größen der Belfaster Punk-Szene kamen bei ihm unter Vertrag und konnten bei ihm ihre Platten herausgeben – wenn auch im überschaubaren Rahmen.

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Musik 3 The Outcasts: „Just Another Teenage Rebel“, Single A, Label: “Good Vibrations”, Länge: 3:15, bei 1:37 unter nachfolgenden O-Ton legen

O-Ton 3 Terri Hooley, Track 33 (0:53) Es gab damals viele Bombenanschläge in Pubs und viele unserer Freunde wurden auf ihrem Heimweg erschossen. Man verabschiedete sich und später bekamen sie eine Kugel in den Kopf oder ihre Kehlen wurden durchschnitten. Daraufhin haben wir damit angefangen, bei uns zu Hause Partys zu machen. Und ich fing an, aus der hintersten Ecke meines Schlafzimmers Platten zu verkaufen. Später kam dann der Plattenladen und mein Freund Bernie MacAnany kam eines Tages mit einem Demo- Tape von den „Undertones“ vorbei, die ich wirklich sehr mochte. Ich habe sie Freunden vorgespielt, die in den 60ern in Bands aktiv waren. Und niemand mochte sie. Aber ich liebte sie. Und dann kam Bernie an einem Freitag auf dem Weg nach Derry bei mir vorbei und fragte mich: ‚Hey, Terri! Was ist denn jetzt mit den „Undertones“?!‘ Kannst du sie unter Vertrag nehmen? Und ich antwortete: ‚Nun, ich hab nicht wirklich die Kohle dafür!‘ Und er: ‚Dann wollen die ihr Bandprojekt beenden.‘ Und ich darauf: ‚Oh nein, Bernie! Sag mir doch sowas bitte nicht!‘ Dann habe ich mich kurzerhand doch für die „Undertones“ entschieden und einer anderen Band, der ich eigentlich schon zugesagt hatte den Laufpass gegeben. (Musik 4) The Undertones: „“ NUR ALS LOOP ( gesangfreier Vorspann ca. 12 sec.) kurz stehen lassen und unter nachfolgendem O-Ton ausblenden.

O-Ton 4 Terri Hooley, Track 33 (2:35) Ich habe die Platte dann mit nach London genommen und bei Rough Trade und anderen großen unabhängigen Schallplattenfirmen vorgestellt. Rough Trade hatte gerade „Stiff Little Fingers“ unter Vertrag und ich war mir Hundertprozent sicher, dass sie den Song “Teenage Kicks” lieben würden. Ich spielte sie ihnen viermal vor und sie sagten mir, es sei die schlimmste Scheibe, die sie je gehört hätten. Dann bin ich zu EMI und den ganzen anderen Plattenfirmen in London gegangen, die mir genau das gleiche erzählten. Den letzten Termin hatte ich bei CBS an einem Freitag. Ich ging hin, spielte sie ihnen sechsmal vor, aber sie haben’s einfach nicht kapiert! Ich habe ihnen dann gesagt: ‚Schaut mal, diese Platte kostet weniger als die Kosten für die Designer, die die Plattencover für euch machen.‘ Aber es hat alles nichts gebracht. Ich habe dann in ihren Büroräumen randaliert und sie haben mich kurzerhand rausgeschmissen. Daraufhin nahm ich ein paar Scheiben und ging damit zur BBC, zu und ließ sie bei ihm im Verteilerfach, weil er nicht da war. Dann habe ich mich mit meinen Freunden aus Belfast betrunken. Als ich nach dem Wochenende nach Belfast zurückflog, machte meine Frau mir Hoffnungen: ‚Vielleicht spielt John Peel ja die Platte ja heute Abend?‘ Und tatsächlich! Genau an diesem Abend spielte er „Teenage Kicks“ tatsächlich – und er hat sie über alle Maßen gepriesen. Und dann sagte er auch noch: ‚Ich mache jetzt etwas, was ich bisher noch nie getan habe.‘ Und er spielte die Scheibe gleich noch ein zweites Mal!

Musik 4 The Undertones: “Teenage Kicks”, CD „The best of Undertones: Teenage kicks“, Song Label: Castle Music, Länge: 2:27, keine LC-Nummer, ganz ausspielen

Autor “Teenage Kicks“ – ein Song, in dem es um die erste Liebe geht –, wurde zum Hit und 4 machte die „Undertones“ schlagartig über die nordirischen Grenzen aus Stacheldraht und Beton weltweit bekannt. Stuart Baillie war Ende der 70er Jahre ein Teenager, als die Punk-Welle Nordirland erfasste und er - wie viele andere Youngsters - sein erstes Punk-Bandprojekt auf die Beine stellte. 1978 war er Sänger und Bassist von „Acme“, später nannte sie sich die Band „The Troubleshooters“.

O-Ton 5 Stuart Baillie (Track 27, ab 4:00) Der gesamte gesellschaftliche Zusammenhang von Punk war damals sehr spannend, weil wir uns als junge Menschen aufmachten, alte Bars und Hotels ausfindig zu machen, um dort Konzerte zu geben. Wir waren furchtlos und nicht konfessionsgebunden. Es war für uns Jugendliche eine echte Chance, aus allen Teilen der Stadt zusammenzukommen und über Musik, statt über Politik zu reden. Es war wirklich eine unfassbare Zeit. Ich spielte in Locations wie “The Pound” – ein Ort, wo man früher Rinder und andere Nutztiere gehalten hatte, die dann auf den Markt kamen. Dort roch es immer ziemlich streng, aber genau dort spielte sich die Rock’n Roll-Szene Nordirlands ab. Später kam dann noch die „Harp Bar“ in der Hill Street dazu, wo noch 1975 ein Bombenanschlag mit zwei Toten verübt wurde, weshalb man die Fenster und den Eingang mit Sicherheitsgittern und Stacheldraht abgeriegelt hatte. Unten gab es einen offiziellen IRA-Treff und einen Debattierclub für Marxisten, weiter oben gab es Striptease-Veranstaltungen und ganz oben waren wir Punks. Diese Mischung war völlig skurril und abenteuerlich, auch in dem Sinne, dass man sich dort frei fühlen konnte, fernab von der damals repressiven nordirischen Gesellschaft.

Musik 5 Rudi: „Big Time“, CD “Big Time – The Best of Rudi”, Anagram Records, keine LC- Nummer, Länge: 3:02 – Vorspann bereits unter Ende O-Ton Stuart Baillie legen

Clip aus Film (3) Terri Hooley „Good Vibrations“ (Dialog Terri Hooleys mit den Band- Mitgliedern von „Rudi“), (28:18-29:01): Terri Hooley: “Boys, where have you been all my life?!” / Rudi-Bandmitglieder: “Do we know you?!” / Hooley: “I run a record shop. And that song - Biiiiig Time… - I want that in my shop!…I put that record out…you’re making a record!!!”

Autor Und immer wieder war es Terri Hooley, der unverbesserliche Visionär einer neuen Jugendprotestkultur und Sprachrohr der nordirischen Punkbewegung, ein Grenzgänger, der Pioniere der lokalen Szene wie „Rudi“ mit ihrem Hit „Big Time“ unter Vertrag nahm, genau wie „The Outcasts“, „The Undertones“, „Shock Treatment“ und andere Newcomer-Bands. Und über Terri Hooley fanden die Debüt- Singles oft ihren Weg zu John Peel, der sie dann in seiner legendären Musiksendung bei BBC Radio 1 oft vorstellte. Das machte sie schlagartig auch in England und Kontinentaleuropa bekannt. Doch Nordirland blieb für sie ein vermintes Gelände, Gigs zu organisieren waren äußerst schwierig und riskant, erinnert sich der nordirische Punk-Musiker Davy McLarnon von „Shock Treatment“.

O-Ton 6 Davy McLarnon (Track 28 ab 11:36) Damals war Irland von einer Showband-Kultur geprägt. Diese Bands spielten im Grunde genommen irgendwelche Coverversionen von Songs, die in den Charts liefen. Sie waren ausgezeichnete Musiker und konnten überall in Irland touren, von Stadt zu Stadt, und fanden so ihr Auskommen. Wir haben uns dann mit einigen 5 anderen Punk-Bands wie den „Tearjerkers“ dazu entschlossen, diesen Showbands hinterherzufahren und dann nach ihren Konzerten unsere eigenen Punk-Songs zu spielen. Wir fuhren in wirklich abgelegene kleine Städte wie Castlederg und stellten uns dann mit unserem Bus hinter ihnen an, dann kamen Soldaten, öffneten die Sicherheitsschranken und ließen uns in die Stadt. Die Tore wurden daraufhin wieder geschlossen, damit niemand hereinkommen konnte, um eine Bombe unter deinem Auto zu platzieren. Dann haben wir gespielt und konnten so unsere Musik in Irland bekannt machen. Es war eine absolut merkwürdige Zeit.

Autor Doch nicht alle Musikern gelang dieser Spießrutenlauf. Einige rückten ins Visier paramilitärischer Gruppen, wie die „Miami Show Band“, die im Juli 1975 auf brutale Weise von der loyalistischen paramilitärischen„Ulster Volunteer Force“ ermordet wurde.

Musik 6 Shock Treatment: „Belfast Telegraph“, CD “The Punk Singles Collection”, Label Good Vibrations, keine LC-Nummer, Länge: 2:23

Autor „Shock Treatment“ mit ihrem Song „Belfast Telegraph“ aus dem Jahr 1980, der die damalige Boulevardisierung der Medienlandschaft in der Provinz Ulster kritisch hinterfragte. Während der Punk-Musikkultur in Nordirland enge Grenzen gesetzt wurden und es schwierig war, sich ein größeres Publikum außerhalb der informellen Clubs zu erspielen, stieß es im benachbarten England zunehmend auf Resonanz. Lange Zeit hatte die britische Musikindustrie das neue Punkphänomen ignoriert und als zu provinziell und dilettantisch abgetan. Das änderte sich spätestens 1977. Die britische Kult-Punk-Band „The Clash“ erkannte den eigenwilligen und genialen Charakter der nordirischen Punkszene – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Band um Frontmann Joe Strummer vielen nordirischen Punkbands als großes Vorbild galt, weniger Jonny Rotten von den Sex Pistols. Doch das große Event in der legendären „Ulster Hall“ von Belfast, wo The Clash spielen sollten, endete im Fiasko, berichtet der Singer-Songwriter Paul Kane vom „Oh Yeah Centre“ während einer „Music Bus Tour“ durch die nordirische Hafenstadt.

O-Ton 7 Paul Kane “Oh Yeah Belfast Music Bus Tour” Track 25 (1:28- 2:18): Atmo “The Clash song Should I stay or should I go”…Kane: “1977 – this place here was full of punk rockers, green hairs, needles, spitting at each other, because they liked each other…we had protestant punks and catholic punks, but they were here for the music, The Clash were singing their song ‘Should I stay or should I go’, unfortunately they had to go. The city fathers thought they were too anarchical, too left-wing, too anti-Thatcher, too pro-miners and they just said: no. What did these guys do? As Catholics and Protestants and Punks? Well, they got together and they wrecked the place, because they wanted to see their band…”

Autor Punk als authentisches und hedonistisches Ausdrucksmittel für politische Verweigerung und Protest in einem Klima der allgegenwärtigen Gewalt.

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Musik 7 Stiff Little Fingers: „Suspect Device“, Rigid Rough Trade, Single A-Seite, keine LC- Nummer, Länge: 2:37

Autor Mit wenigen Ausnahmen wie „Stiff Little Fingers“, hier mit ihrem Song „Suspect Device“ aus dem Jahr 1978, oder „Ruefrex“ thematisierte kaum eine Punk-Band die „Troubles“ in ihrer Musik. Erstens weil viele Bands gemischt waren und zweitens weil man lieber Leim schnüffelte oder ein Mädchen finden wollte, meint Terri Hooley. Mit ihren politisch ambitionierten Songs ernteten „Stiff Little Fingers“ in der Punk-Szene sogar Spott und Häme. Nicht zuletzt weil ihnen vorgeworfen wurde, das ihre Songtexte gar nicht von ihnen stammten, sondern aus der Feder eines befreundeten englischen Journalisten. Im Gegensatz dazu hatte die protestantische Punk-Band „Ruefrex“ um Paul Burgess und Alan Clarke mehr Erfolg: Ihnen gelang mit „The Wild Colonial Boy“ der Aufstieg in die britischen Top Singles Chart. Darin kritisieren „Ruefrex“, dass sich Iren, die in die USA ausgewandert waren, für die Militanz paramilitärischer Gruppen begeisterten und diese auch noch finanzierten: „It really gives me such a thrill to kill from far away!“

Musik 8 Ruefrex: „The Wild Colonial Boy“, Song 6, CD „Capital Letters – the best of“, Cherry Red Records, CDM Red 290, Länge: 4:42, bereits kurz unter letzten Sprechertext legen.

Autor Die sogenannten „Rebel Songs“ waren in der Szene ebenso wenig akzeptiert wie religiöse Bezüge in der Musik, meint Davy McLarnon, alias Davy Treatment von „Shock Treatment“, im Gespräch mit Sean o’Neill, Herausgeber des Belfaster Punk- Labels „Spit Records“.

O-Töne 8 Davy McLarnon & Sean o‘Neill, Track 28 (ab 6:10) Davy: Man ist eben Punk, und das war es. Da kam es nicht darauf an, ob du Katholik, Protestant, Hindu, Muslim oder was auch immer warst. Wenn man für diese Musik wirklich lebte, dann stellte auch keiner irgendwelche Fragen. Ich glaube daher, dass das die Leute in vielerlei Hinsicht definitiv zusammengebracht hat, was normalerweise sonst nicht der Fall gewesen wäre.

Sean: Religion war völlig nebensächlich für die gesamte Punk-Szene. Niemand hat sich damit beschäftigt. Man war zusammen, spielte in denselben Bands, las dieselben Fanzines und Musikzeitschriften …

Davy:…Es ging im Grunde ausschließlich um Musik und Klamotten…

Sean: Religion stand nicht auf der Agenda. Es hat einen nur dann interessiert, wenn man am Ende eines Abends bei irgendjemand aufschlug, der in einem anderen Viertel Belfasts lebte, in dem man sich nicht bewegen wollte. Aber das war’s auch schon. Ich wuchs in der Punk-Szene auf und war damit zu sehr beschäftigt, als dass ich wirklich etwas von den Hungerstreiks 1982 mitbekam. Es interessierte mich auch nicht. Erst jetzt schaue ich Dokumentationen über die Hungerstreiks, die damals an mir völlig vorbei gingen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl zurückblicken.

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Musik 9 The Lids: “Helicopter”, Song 3, CD “Shellshock Records Vol. 2”, Spit Records Label, Länge: 3:00, keine LC-Nummer

O-Ton 9 Stuart Baillie (Track 27, ab 9:22) Die jungen Leute machten Punk-Musik aus Spaß an der Freude und um sich damit selbst auszudrücken, nicht, weil sie glaubten, es dadurch zu irgendeiner großen Bekanntheit zu bringen. Es gab lokale Fanzeitschriften, genau wie in England, wo man auch über die eigene Musikszene berichtete. Alles spielte sich mehr oder weniger im kleinen, überschaubaren Rahmen ab. Ich glaube, dass änderte sich erst, als John Peel damit begann, auch die „Undertones“ und „Stiff Little Fingers“ in seinem Radioprogramm zu spielen. Und natürlich verhalf Terri Hooley mit seinem “Good Vibrations”-Plattenlabel der lokalen Szene zum Durchbruch. Es gab damals eine Menge Journalisten in Belfast, die ausschließlich über den Konflikt berichteten. Und dann trafen sie Terri und konnten eine ganz andere Geschichte schreiben. Er wurde dadurch recht berühmt, genau wie sein Plattenlabel. Und plötzlich wurde Belfast international bekannt. Die Plattenfirmen schickten ihre Leute dorthin, bisher unbekannte Gruppen wie “” oder “The Extremists” bekamen Plattenverträge und die Band “Ruefrex” erfuhr wegen ihrer wütenden politischen Botschaften auch im Ausland jede Menge Anerkennung.

Musik 10 Ruefrex: „The fightin’ 36th”, CD „Capital Letters – the best of“, Cherry Red Records, CDM Red 290, keine LC-Nummer, Länge: 3:10

O-Ton 10 Terri Hooley, Track 33 (7:40) Ich glaube es war Kurt Cobain, der einmal gesagt hatte: Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, wo Punk wirklich seine existentielle Berechtigung hat, dann ist es Belfast. Und das stimmt. Weil es damals sehr schwierig war, Punk in Belfast zu sein. In einer Stadt, in der die Paramilitärs die Viertel kontrollierten und niemand nachts in die Stadt ging. (8:40) Die Paramilitärs konnten uns nicht leiden, weil sie uns nicht alle in Schach halten konnten. Ich glaube der Film “Good Vibrations” könnte genauso gut auch in Beirut oder irgendwo in Lateinamerika spielen – überall, wo es bewaffnete Konflikte gibt. Wir hatten einfach genug davon. Und deshalb sind die Punks meine persönlichen Helden. Sie sind die wirklich Tapferen in diesem Krieg gewesen. Wir haben uns gegen diese Leute, die uns das Leben schwer machten, erhoben!

Clip aus Film (4) Terri Hooley „Good Vibrations“ (Terri Hooley ruft von der Bühne ins Publikum (1:28:16) für ca. 15 sec. einblenden: “When it comes to Punk: New York got the haircuts, London has git the trousers, but Belfast has the reason!!!” (Begeisterter Applaus und Rufe) “Good Vibrations is not a record shop, it’s not a label, it’s a way of life!!!”

Autor Spätestens Mitte der 80er Jahre hatte der Punk-Rock in Nordirland seinen Zenit überschritten, berichtet Stuart Baillie.

O-Ton 12 Stuart Baillie (Track 27, ab 10:35) In den 80er Jahren ging es vor allem um Style & Präsentation, um Videos und Geld. Und in Manchester gab es dieses postmoderne Phänomen mit „Joy Division“ und „New Order“ – in Belfast gab es nichts davon, so dass wir von einer ziemlich 8 aufregenden Zeit in eine sehr ruhige Periode übergingen. Und in dieser Zeit hielten die Konflikte in Nordirland weiter an, so dass kaum noch etwas ging. Die Situation war ziemlich hoffnungslos, weshalb viele Leute auswanderten – nach London, Dublin oder New York. Eine Generation hatte wirklich ihren großen historischen Moment und danach verlief alles wieder im Sande.

Autor Erst mit dem Karfreitagsabkommen zwischen den Konfliktparteien im April 1998 verbesserte sich auch das kulturelle Klima in Nordirland. Mit Rockbands wie „Ash“, „Therapy“ und „Snow Petrol“ feierte die nordirische Musikszene Ende der 90er Jahre schließlich ihr Comeback. Vor allem in der nordirischen Hauptstadt Belfast verbesserten sich die Arbeitsbedingungen junger Musikschaffender: Die Barrieren und Sicherheitszäune wurden abgebaut, es gab mehr Auftrittsorte, Pubs und Kulturzentren, und Künstler konnten sich freier bewegen als noch ein Jahrzehnt zuvor.

Trotz immer neuartiger musikalischer Trends ist das Punkrock-Phänomen der 70er und 80er Jahre nicht in Vergessenheit geraten. Wohl auch deshalb, weil man in Nordirland sehr genau weiß, was die Punk-Rocker für die Menschen getan haben: Jugendliche trotz unterschiedlicher Konfessionen zusammenzubringen, ideologische Gräben zuzuschütten, den Hass abzubauen und jungen Menschen eine Perspektive zu eröffnen. Und das ist auch der Grund dafür, weshalb die Punk-Nostalgie noch immer in vielen alternativen nordirischen Pubs und Clubs zu spüren ist. Doch damit nicht genug: Die Punk-Veteranen von einst stehen heute wieder auf der Bühne: „The Undertones“, „Shock Treatment“, „The Outcasts“, „Protex“. Und werden auch von der jüngeren Generation gefeiert, erzählt Aiden Murtagh, Lead-Sänger und Songwriter der Punk-Band „Protex“.

O-Ton 13 Aiden Murtagh Track 34 (ab 3:50) Wir sind jetzt natürlich älter geworden, haben aber die gleiche Haltung wie damals. Ich glaube unsere Einstellung hat sich in den letzten zehn Jahren mit unserer Punk- Musik nur weiterentwickelt. Es ist großartig, alle diese Songs wieder zu spielen und zu sehen, dass das Publikum darauf anspricht. Ein Grund für diese Punk-Nostalgie ist vielleicht auch, dass es nicht soviel wirklich gute Musik gibt. Die Menschen suchen mehr nach dem ursprünglichen Charakter, dem besonderen musikalischen Reiz von damals und der Rauheit. Und das ist gut so!

Musik “Shock Treatment”, live, Track 41 Song “Future Plans” (ab 1:03-4:50) Angeteasert von Terri Hooly: „Here is Shock Treatment!…”

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