Plenarprotokoll 16/18

Deutscher

Stenografischer Bericht

18. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: , Staatsminister BK ...... 1273 B Befragung der Bundesregierung: Entwurf ei- (Köln) (BÜNDNIS 90/ nes Gesetzes zur Umsetzung der neu DIE GRÜNEN) ...... 1273 B gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie; Föde- Bernd Neumann, Staatsminister BK ...... 1273 C ralismusreform; Luftsicherheitsgesetz Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Tagesordnungspunkt 2: BMF ...... 1267 B Fragestunde (CDU/CSU) ...... 1268 C (Drucksache 16/611) ...... 1273 D Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 1268 D Mündliche Frage 3 (DIE LINKE) ...... 1269 A Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Auswirkungen eines Einstiegs des russi- BMF ...... 1269 B schen Energiekonzerns Gasprom in das (CDU/CSU) ...... 1269 C Endkundengeschäft in Deutschland und des Erwerbs von Anteilen an Stadtwerken Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin auf den Wettbewerb im deutschen Gas- BMF ...... 1269 D markt Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) ...... 1270 B Antwort Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 1270 B BMWi ...... 1274 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 1271 A Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 1274 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 1271 B Mündliche Frage 4 Dr. (DIE LINKE) ...... 1272 A Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Vermeidung von nachfrage- und witte- BMF ...... 1272 B rungsbedingten Engpässen bei der Versor- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 1272 C gung mit Erdgas in Deutschland Bernd Neumann, Staatsminister BK ...... 1272 D Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin (DIE LINKE) ...... 1272 D BMWi ...... 1274 D Bernd Neumann, Staatsminister BK ...... 1273 A Zusatzfrage Diana Golze (DIE LINKE) ...... Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 127573 AB II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Mündliche Frage 6 Mündliche Frage 10 Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) DIE GRÜNEN) Anhörungs- und Einspruchsrechte der Un- Verhinderung der Schließung von Callcen- ternehmen im Zusammenhang mit dem ge- ter-Standorten der Telekom planten Verbraucherinformationsgesetz Antwort Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär BMWi ...... 1275 B BMELV ...... 1278 B Zusatzfrage Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 1275 C Mündliche Frage 11 (FDP) Ausgestaltung eines allgemein verständli- Mündliche Frage 7 chen Verbraucherinformationsgesetzes Hans-Michael Goldmann (FDP) Antwort Regelungen zur Schaffung von unabhän- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär gigen und verlässlichen Informationen für BMELV ...... 1278 C Verbraucher in einem Verbraucherinfor- mationsgesetz Zusatzfragen Marina Schuster (FDP) ...... 1278 D Antwort Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 1279 A Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ BMELV ...... 1275 D DIE GRÜNEN) ...... 1279 C Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 1276 A DIE GRÜNEN) ...... 1279 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 1280 B

Mündliche Frage 8 Hans-Michael Goldmann (FDP) Mündliche Frage 13 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Unabhängige und verlässliche Informatio- DIE GRÜNEN) nen für Verbraucher bei gleichzeitigem Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheim- Erhebung oder Einforderung fehlender nisse von Unternehmen durch ein Verbrau- toxikologischer Daten zur möglichen Ge- cherinformationsgesetz sundheitsgefährdung durch Isopropylthio- xanton Antwort Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär Antwort BMELV ...... 1276 D Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 1281A Zusatzfragen Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 1277 A Zusatzfrage Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 1277 C DIE GRÜNEN) ...... 1281 B

Mündliche Frage 9 Mündliche Frage 14 Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verankerung eines unmittelbaren Aus- kunftsanspruchs von Verbrauchern gegen Eventuelle Rückrufaktion bei durch Iso- Unternehmen im geplanten Verbraucher- propylthioxanton belasteten Säften informationsgesetz Antwort Antwort Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 1281 C BMELV ...... 1277 D Zusatzfragen Zusatzfragen Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 1278 A DIE GRÜNEN) ...... 1281 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 III

Mündliche Frage 12 Mündliche Frage 28 Marina Schuster (FDP) Cornelia Hirsch (DIE LINKE)

Vermeidung von durch Herauslösung aus Auswirkungen fehlender Zahlungen aus dem Zusammenhang entstehenden miss- dem so genannten Verbändetitel auf die verständlichen Informationen Arbeit der Seminare politischer Studieren- denorganisationen Antwort Antwort Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 1282 B BMBF ...... 1284 C Zusatzfragen Mündliche Frage 15 Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 1284 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Aktivitäten der Bundesregierung in diesem Mündliche Frage 29 Jahr anlässlich des Internationalen Frauen- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) tages Orientierung der Zuweisung der Mittel für Antwort den Hochschulbau an den abgerufenen Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Mitteln der Jahre 2000 bis 2003 BMFSFJ ...... 1282 C Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Zusatzfragen BMBF ...... 1285 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 1282 C Zusatzfragen Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 1285 C Mündliche Frage 20 Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Fragen 32 und 33 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Fertigstellung des vierspurigen Ausbaus DIE GRÜNEN) der Bahnstrecke zwischen Augsburg und München Ausweichreaktionen auf die geplante Ab- gabenerhöhung um 5 Prozent auf Minijobs Antwort im gewerblichen Bereich bei Senkung der Karin Roth, Parl. Staatssekretärin Lohnsumme um 15 Prozent; dadurch be- BMVBS ...... 1283 B wirkte Mehreinnahmen Antwort Zusatzfragen , Parl. Staatssekretär Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ BMAS ...... 1286 A DIE GRÜNEN) ...... 1283 C Zusatzfragen Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 21 DIE GRÜNEN) ...... 1286 C Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 1287 B DIE GRÜNEN)

Ausbau der Bahnstrecke zwischen Ulm Mündliche Frage 34 und Oberstdorf, insbesondere des Teil- Petra Pau (DIE LINKE) stücks von Neu-Ulm nach Memmingen Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Schutz Antwort von Arbeitnehmerdaten Karin Roth, Parl. Staatssekretärin Antwort BMVBS ...... 1284 A Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 1287 B Zusatzfragen Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) 1284 A Petra Pau (DIE LINKE) ...... 1287 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Mündliche Frage 35 rung im Auswärtigen Amt und Nachfolge- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) regelung Charakter der am drittletzten Bankarbeits- Antwort tag jedes Monats zu erbringenden Bei- , Staatsminister AA ...... 1290 B tragsschuld als Abschlagszahlung Zusatzfragen Antwort Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Gerd Andres, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 1290 C BMAS ...... 1288 A Petra Pau (DIE LINKE) ...... 1290 D Zusatzfragen Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 1288 A Mündliche Frage 41 Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Gründe gegen einen UN-geführten Einsatz Mündliche Frage 36 zur Sicherung der Parlamentswahlen in Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) der Demokratischen Republik Kongo Vorgehensweise bei der Berechnung des Antwort Beitragssolls der Krankenkassenversiche- Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1291 B rungsbeiträge am drittletzten Bankarbeits- tag jedes Monats für den letzten Entgeltab- Zusatzfragen rechnungszeitraum Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 1291 C Antwort Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 1288 D Mündliche Frage 42 Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Zusatzfragen Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 1288 D Gründe für eine Beteiligung der Bundes- wehr an einem Militäreinsatz zur Siche- rung der Parlamentswahlen in der Demo- Mündliche Frage 37 kratischen Republik Kongo Dr. (FDP) Antwort Veranschlagung der deutschen Beiträge an Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1292 A UNICEF im Einzelplan 05 oder im Einzel- Zusatzfragen plan 23 Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 1292 B Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1289 C Mündliche Frage 43 Zusatzfragen Sevim Dagdelen (DIE LINKE) Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 1289 C Situation des nach Togo abgeschobenen togoischen Oppositionellen A. M. Mündliche Frage 38 Dr. Karl Addicks (FDP) Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1292 D Eventuell geplante Änderung bei der Ver- anschlagung der deutschen Beiträge an Zusatzfragen UNICEF im Einzelplan 05 Sevim Dagdelen (DIE LINKE) ...... 1293 B Petra Pau (DIE LINKE) ...... 1293 D Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1290 A Zusatzfragen Mündliche Frage 44 Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 1290 A Sevim Dagdelen (DIE LINKE) Sicherheitslage abgelehnter Asylbewerber bei einer Abschiebung nach Togo Mündliche Frage 39 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1294 A Bewertung der Arbeit der bisherigen Men- Zusatzfragen schenrechtsbeauftragten der Bundesregie- Sevim Dagdelen (DIE LINKE) ...... 1294 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 V

Mündliche Frage 45 Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 1306 B Dr. (DIE LINKE) Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 1307 C Anhebung der gesunkenen Investitionszu- weisungen seitens des Bundes und der Län- Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU) . . . . 1309 A der an die Kommunen (SPD) ...... 1310 A Antwort Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 1310 C , Parl. Staatssekretär BMF ...... 1295 A Wolfgang Grotthaus (SPD) ...... 1311 D Zusatzfragen Rolf Stöckel (SPD) ...... 1312 D Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) ...... 1295 C Nächste Sitzung ...... 1313 D

Mündliche Frage 46 Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Anlage 1 Anstieg der Ausgaben der Kommunen für Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1315 A soziale Leistungen und eventuelle Entlas- tung von Städten, Gemeinden und anderen Landkreisen Anlage 2 Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 1 BMF ...... 1296 B Christoph Waitz (FDP) Zusatzfragen Zuordnung des Verlagssektors zum Be- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) ...... 1296 C reich der audiovisuellen Medien (DIE LINKE) ...... 1297 A Antwort Bernd Neumann, Staatsminister BK ...... 1315 B Mündliche Frage 49 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Anlage 3 DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 5 Haushaltsrechtliche Grundlage für 19 neue Christoph Waitz (FDP) Stellen im Leistungsbereich des Bundes- ministeriums für Arbeit und Soziales Haltung der Bundesregierung zur Auffas- Antwort sung der Kommission zur Ermittlung der Karl Diller, Parl. Staatssekretär Konzentration im Medienbereich hinsicht- BMF ...... 1297 C lich marktbeherrschender Stellungen im Anzeigenmarkt Zusatzfragen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 1297 D Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi ...... 1315 D

Zusatztagesordnungspunkt 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Anlage 4 der LINKEN: Zu den von der Bundesregie- rung geplanten Kürzungen bei Hartz IV Mündliche Fragen 18 und 19 zulasten junger Erwachsener Patrick Döring (FDP) Elke Reinke (DIE LINKE) ...... 1298 B Maßnahmen zur Beseitigung von Schwie- rigkeiten bei der Versicherung von Flug- Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) ...... 1299 C zeugen europäischer Luftfahrtunterneh- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 1301 A men gegen terroristische Angriffe sowie mögliche Schritte gegen Wettbewerbsver- Franz Müntefering, Bundesminister zerrungen infolge kostengünstiger Policen BMAS ...... 1302 B für einheimische Fluglinien Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 1303 C Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär (CDU/CSU) ...... 1305 A BMVBS ...... 1316 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Anlage 5 Anlage 9 Mündliche Frage 22 Mündliche Frage 30 (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Erlass einer Verordnung zur Kennzeich- Dokumentation der Zahl von Bewerbern nung von Fahrzeugen, insbesondere Diesel- für Studienplätze in Deutschland fahrzeugen, hinsichtlich ihrer Partikel- Antwort emissionen Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF ...... 1317 B Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 1316 C Anlage 10 Mündliche Frage 31 Krista Sager (BÜNDNIS 90/ Anlage 6 DIE GRÜNEN) Mündliche Fragen 23 und 24 Dokumentation über ohne Studienplatz ge- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ bliebene Studienbewerber DIE GRÜNEN) Antwort Verabschiedung eines Vorschlags für die Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Abgasnorm Euro V für PKW und Euro VI BMBF ...... 1317 C für LKW; Unterstützung der Forderung einiger Bundesländer bezüglich einer Anlage 11 Absenkung der seit 1. Januar 2005 gelten- den Partikelgrenzwerte auf europäischer Mündliche Frage 40 Ebene Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Antwort Haushaltstitel zur eventuellen Zahlung von Michael Müller, Parl. Staatssekretär Lösegeldern für entführte deutsche Staats- BMU ...... 1316 C bürger Antwort Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 1317 D Anlage 7 Mündliche Frage 25 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Anlage 12 DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 47 Auflösung der seit September 2005 ent- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ standenen Staus bei der Bewilligung von DIE GRÜNEN) Forschungsförderungsmitteln Vorlage eines Gesetzes zur steuerlichen Antwort Förderung der Nachrüstung von Diesel- , Parl. Staatssekretär fahrzeugen mit Partikelfiltern BMBF ...... 1316 D Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär Anlage 8 BMF ...... 1317 D Mündliche Fragen 26 und 27 Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ Anlage 13 DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 48 Entwicklung des Mittelabflusses in den Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Forschungsförderprogrammen der Bun- DIE GRÜNEN) desregierung seit Herbst 2005 und mögli- che Gefährdungen von wichtigen For- Zukünftige Verfahren zur Besteuerung von schungsvorhaben Biokraftstoffen Antwort Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMBF ...... 1317 A BMF ...... 1318 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 VII

Anlage 14 Anlage 15 Mündliche Fragen 50 und 51 Mündliche Fragen 52 und 53 (CDU/CSU) Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eventuelle Abschwächung des Partner- Ausgleich der Ausfälle bei den EU-Struk- schaftsprinzips im Rahmen der kommuna- turfondsmitteln ab 2007 über den Solidar- len Strukturfondsverordnungen pakt II; Aufstockung der Fondsmittel Antwort Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF ...... 1318 B BMF ...... 1318 D

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(A) (C) Redetext

18. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident : Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- Bundesminister der Finanzen: zung ist eröffnet. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegten Entwurf Befragung der Bundesregierung eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Ban- Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- kenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanz- binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur richtlinie beschlossen. Den vorangegangenen Prozess Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und zur grundlegenden Modernisierung der bankaufsichts- der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie. rechtlichen Eigenkapitalvorschriften für Banken und Wertpapierfirmen, bekannt unter dem Stichwort Basel II, Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht haben wir seit Beginn der Diskussionen vor knapp sie- hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundes- ben Jahren auf internationaler Ebene begleitet und mit- (D) (B) minister der Finanzen, Dr. Barbara Hendricks. Bitte gestaltet. Auch der Deutsche Bundestag hat diesen Pro- schön. zess stets begleitet.

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Auf dem Gebiet der Finanzmarktpolitik sieht die Bun- Bundesminister der Finanzen: desregierung eine zentrale Aufgabe in der neuen Legisla- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- turperiode darin, den Inhalt von Basel II eins zu eins in gen! Bitte erlauben Sie, dass ich mich kurz an unsere Zu- Verwaltungsvorschriften zu überführen, welche für die hörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne wende – ich beaufsichtigten Institute praktikabel, für die Kunden und sehe, dort sitzen vor allem Gruppen von jungen Men- die übrigen Marktteilnehmer akzeptabel und für den Fi- schen –: Der Sachverhalt, den ich gleich darlegen werde, nanzdienstleistungssektor insgesamt stabilitätsfördernd ist ziemlich schwierig. Im Wesentlichen geht es um die sind. Dies soll eine weiterhin reibungslose Versorgung Frage, wie viel Geld eine Bank oder Sparkasse über- der Wirtschaft und vor allem der mittelständischen Be- haupt haben muss, damit sie an andere Geld verleihen triebe und Unternehmen mit Bankkrediten zu attraktiven darf. Das ist eigentlich ein ziemlich einfacher Sachver- Konditionen sicherstellen. halt. Aber die Materie insgesamt ist schwierig. Ich bitte Darüber hinaus werden die neuen bankaufsichtsrecht- dafür um Verständnis. Sie müssen nicht denken, Sie wä- lichen Regelungen wettbewerbsneutral für die Banken ren dumm, wenn Sie gleich nicht mehr so viel verstehen. und Sparkassen und außerdem benutzerfreundlich für (Heiterkeit – Roland Claus [DIE LINKE]: Wa- die Kreditinstitute und deren Kunden ausgestaltet. rum war das nicht auch an uns gerichtet? – Ge- genruf der Abg. Petra Ernstberger [SPD]: Das Lassen Sie mich die vorrangigen Ziele im Zusam- hat sie sich nicht getraut! – Weiterer Zuruf: menhang mit diesem Gesetzgebungsprojekt verdeutli- Man muss dazu sagen, den meisten Abgeord- chen: Das Kreditgewerbe, aber auch die Kredit nehmen- neten geht es auch so!) den Unternehmen und Haushalte sollen von der Neufassung der bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapi- – Ein Kollege hat gerade gesagt: Den meisten Abgeord- talanforderungen profitieren. Die künftig differenziertere neten geht es auch so. Das will ich nicht kommentieren. Erfassung der Risiken aus dem Kreditgeschäft ermög- licht den Instituten eine exaktere Berechnung der bank- Vizepräsident Wolfgang Thierse: aufsichtsrechtlich verursachten Kapitalkosten. Damit Wir hoffen ganz auf Sie, Frau Staatssekretärin, dass wird die Voraussetzung für eine risikogerechtere Gestal- wir hinterher vollständig informiert sind und alles ver- tung der Kreditkonditionen geschaffen. Nach dem neuen stehen. Nun aber los! Regelungswerk steht sämtlichen Instituten grundsätzlich 1268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) die Möglichkeit offen, die modernisierten Verfahren zur hen, neben dem vorliegenden Gesetzentwurf auch zwei (C) Risikoanrechnung zu nutzen. Der Anreiz zur Anwen- Rechtsverordnungen in Kraft zu setzen, die die neuen dung ausgefeilter, fortgeschrittener Verfahren besteht in Regelungen im Kreditwesengesetz um notwendige tech- der Aussicht auf Erleichterungen bei den bankaufsichts- nische Bestimmungen ergänzen sollen: Zum einen wird rechtlichen Eigenkapitalanforderungen. eine Solvabilitätsverordnung zur Festlegung von Aus- führungsbestimmungen zu den Eigenkapitalanforderun- Die Sorge vor allem kleinerer Institute, die neuen Ei- gen erlassen – diese Verordnung wird den bisherigen genkapitalregelungen könnten unverhältnismäßig hohe Grundsatz I im Kreditwesengesetz ersetzen –, zum ande- Hürden für sie darstellen, wird im Bundesfinanzministe- ren werden die Großkredit- und Millionenkreditverord- rium sehr ernst genommen. Einseitige Belastungen oder nung überarbeitet und ergänzt. überzogene Anforderungen sind nicht beabsichtigt. Mit dem heutigen Beschluss des Kabinetts ist die Vo- Die im Rahmen der Baseler und Brüsseler Verhand- raussetzung für eine gründliche Befassung des Parla- lungen bei der Mittelstandsfinanzierung erzielten Er- ments mit dem vorgelegten Gesetzentwurf geschaffen folge werden nun im deutschen Bankenaufsichtsrecht worden. Nun besteht Gelegenheit zur vertieften Erörte- festgeschrieben. Sämtliche in der neuen EU-Richtlinie rung dieses wichtigen Vorhabens. Das Bundesministe- enthaltenen Wahlrechte zugunsten von Mittelstandskre- rium der Finanzen wird Ihnen hierfür gerne zur fachli- diten sollen ausgeübt werden. Dies betrifft sowohl die chen Beratung zur Verfügung stehen. genauere Berücksichtigung von risikomindernden Port- folioeffekten bei kleinvolumigen Krediten, den so ge- Herzlichen Dank. nannten Retailportfolios, als auch die Anerkennung von Kreditsicherheiten. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Ganz generell ist die Umsetzung strikt an den Min- Danke schön. – Ich bitte, zunächst Fragen zu dem destvorgaben aus den neu gefassten EU-Richtlinien aus- Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet gerichtet worden. Eine Überregulierung wäre uner- wurde. wünscht. Allerdings müssen wir einräumen, dass allein Als erster hat sich Kollege Leo Dautzenberg, CDU/ die Mindestvorgaben aus Brüssel bereits einen beträcht- CSU-Fraktion, gemeldet. lichen Umfang aufweisen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellt die Bun- Leo Dautzenberg (CDU/CSU): desregierung die Weichen für eine mittelstandsfreundli- Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Die EU-Richt- che Umsetzung von Basel II. Die internationalen Ver- linien, um die es geht, sind vom Finanzministerium rela- handlungen über Basel II sind aus deutscher Sicht (B) tiv schnell umgesetzt worden. Wenn ich Sie richtig ver- (D) erfolgreich gestaltet worden und es ist ein Mittelstands- standen habe, haben Sie gesagt, dass auch die paket zur fairen Behandlung von Mittelstandskrediten vorhandenen Wahlrechte genutzt werden. Schließlich vereinbart worden. Nunmehr kommt es darauf an, diesen war es ja auch das Verdienst der parlamentarischen Be- Erfolg endgültig zu sichern. gleitung dieser Maßnahmen, dass die Mittelstandskom- Lassen Sie mich auf das im Rahmen der Basel-II-Ver- ponenten realisiert werden konnten. handlungen vereinbarte so genannte Mittelstandspaket Meine Frage an Sie lautet: Werden die Verordnungen, eingehen: Es beinhaltet zum Beispiel eine Senkung des die Sie gerade genannt haben – ich meine zum einen die Anrechnungssatzes für Kredite an kleine und mittlere Solvabilitätsverordnung und zum anderen die Großkre- Unternehmen, wenn es um einen Kreditbetrag von bis zu dit- und Millionenkreditverordnung –, zeitgleich zur par- 1 Million Euro geht. Diese Zuordnung zum so genannten lamentarischen Beratung vorliegen, damit wir sie in das bankaufsichtsrechtlichen Retailportfolio, auf das ich be- Beratungsverfahren einbeziehen können? reits eingegangen bin, bedeutet, dass man solche kleine- ren Kredite bis zu 1 Million Euro auch dann ausreichen Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim kann, wenn man bei den Banken 25 Prozent weniger Si- Bundesminister der Finanzen: cherheiten bzw. Eigenkapital hat. Herr Kollege, derzeit liegen lediglich Entwürfe dieser Außerdem hat das Mittelstandspaket niedrigere An- Verordnungen vor. Es wäre zwar möglich, dass sie dem rechnungssätze für Kredite an Unternehmen mit einem Parlament informell zur Kenntnis gegeben werden. Aber Umsatz von bis zu 50 Millionen Euro zum Inhalt. In Be- im Grunde handelt es sich hier um ein exekutives Ver- zug auf diese Unternehmen kann es Abschläge bei den fahren. Um diese Verordnungen zu erlassen, ist, soweit Eigenkapitalanforderungen von maximal 20 Prozent ge- ich weiß – allerdings bin ich mir nicht sicher; da bin ich ben. Darüber hinaus ist enthalten, dass es keine Risiko- im Moment überfragt –, die Zustimmung des Bundesra- zuschläge für langfristige Kredite an Unternehmen mit tes erforderlich. Selbstverständlich werden wir auf infor- einem Jahresumsatz und einer Bilanzsumme von jeweils mellem Wege über ihren Inhalt berichten. Aber das ist maximal 500 Millionen Euro gibt. Die Kreditsicherhei- nicht Gegenstand der Abstimmungen in diesem Haus ten, die in Deutschland üblich sind, werden stärker als oder im Finanzausschuss. bisher berücksichtigt; hier lautet das Stichwort: Pfand- Herr Kollege, der Hinweis, den Sie eingangs gemacht briefe. haben, ist richtig: Trotz wechselnder Mehrheiten hat die- Zur Umsetzung der neuen EU-Eigenkapitalregelun- ses Haus den Basel-II-Prozess immer einvernehmlich gen in das deutsche Bankenaufsichtsrecht ist vorgese- sehr positiv begleitet. Sie werden sich daran erinnern, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1269

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) dass wir bereits im Sommer 2000 und im Sommer 2001 Gruppen bewertet werden müssen: ob dafür viel oder (C) einvernehmlich zwei Entschließungen gefasst haben, die wenig Eigenkapital zugrunde gelegt werden muss. Da ist sehr positive Wirkungen hatten, weil sie die Position un- es uns gelungen, im Interesse der Sparkassen und auch serer Verhandlungsführer auf internationaler Ebene ge- der Volksbanken die so genannten Intergruppenforde- stärkt haben. Denn dieser Richtlinie der Europäischen rungen zu minimieren. Das war uns aus dem Grund Union sind ja Verhandlungen auf der internationalen möglich, weil die Sparkassen bzw. die Volksbanken un- Ebene vorausgegangen, im Baseler Ausschuss für Ban- tereinander einen Haftungsverbund bilden. Wir haben kenaufsicht. Dort ist die Position unserer Verhandler von dafür sorgen können, dass ein solcher Haftungsverbund der Deutschen Bundesbank und von der Bundesanstalt von Brüssel genauso gewertet wird, als wenn die jeweili- für Finanzdienstleistungsaufsicht durch die Entschlie- gen Banken zu einem Konzern gehörten. Dadurch ist ßungen, die der Deutsche Bundestag im Hinblick auf die eine mögliche Benachteiligung der Sparkassen oder Mittelstandskredite gefasst hatte, sehr gestärkt worden. Volksbanken ausgeräumt worden und die besondere Sonst hätte das von mir eben angesprochene und darge- Struktur des deutschen Bankenwesens hat Berücksichti- stellte so genannte Mittelstandspaket innerhalb des gung gefunden. Richtlinienvorschlages so nicht ausgestaltet werden kön- nen. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Danke schön. – Nun erteile ich Kollegen Fahrenschon Vizepräsident Wolfgang Thierse: das Wort. Bitte. Danke schön. – Ich erteile das Wort zu einer Frage Kollegen Roland Claus, Linkspartei. Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen, Roland Claus (DIE LINKE): dass es sich bei Basel II um einen internationalen Rah- Frau Kollegin, ich beziehe mich auf Ihre Koalitions- men für Bankgeschäfte handelt und dass die Bundesre- vereinbarung, in der Sie in der Rubrik „Aufbau Ost gierung vorschlägt, die nationale Umsetzung des europäi- voran bringen“ angekündigt haben, Mitte 2006 neue schen Rahmens schnellstmöglich voranzutreiben. Rahmenbedingungen für Kredite an kleine und mittel- ständische Unternehmen sowie Existenzgründer zu In den Vereinigten Staaten hat die Debatte über schaffen. In welchem Zusammenhang stehen die heuti- Basel II dazu geführt, dass dort die Umsetzung dieses gen Entscheidungen des Kabinetts mit dieser Ankündi- Regelwerks verschoben wurde. Vor diesem Hintergrund gung und inwiefern berücksichtigen Sie mit dem Gesetz- möchte ich wissen, wo das Bundeskabinett die Vorteile entwurf die besondere Verantwortung der Sparkassen? einer schnelleren Umsetzung für den Finanzmarkt (B) Welche Nachteile entfallen für die Sparkassen und was Deutschland sieht. Dabei würden mich auch zwei (D) wird sich für sie verbessern? Details interessieren: Am Anfang waren zwei Wahl- rechte mit sektoralen Auswirkungen in der Diskussion. Zum einen war angedacht, die Energiehändler von den Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Eigenkapitalanforderungen auszunehmen, zum anderen, Bundesminister der Finanzen: die Wertpapierhandelsfirmen von den speziellen Unter- Zu Ihrer ersten Frage, Herr Kollege Claus: Das steht legungen für operationelle Risiken auszunehmen. Inwie- nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Was in der Ko- weit sind diese Punkte im Gesetzentwurf berücksichtigt alitionsvereinbarung zur Überarbeitung von Kreditkon- worden? ditionen angekündigt worden ist, bezieht sich auf Mittel- standskredite, zum Beispiel durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das ist ein anderes Thema, mit dem wir Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim uns, wie angekündigt, bis Mitte des Jahres befasst haben Bundesminister der Finanzen: wollen. Herr Kollege Fahrenschon, bezüglich der nicht zeit- gleichen Umsetzung in den Vereinigten Staaten ist die Zu Ihrer zweiten Frage. Es ist nicht so, dass die Spar- Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission kassen in besonderer Weise bevorteilt oder benachteiligt der Auffassung – die EU-Kommission wird dies in den würden. Entscheidend ist, dass die Frage der so genann- Gesprächen mit der amerikanischen Seite mit Nachdruck ten Intergruppenforderungen auch zugunsten der Spar- vortragen –, dass Basel II möglichst rasch auch in den kassen gelöst worden ist. Das war, auch auf der europäi- USA eingeführt werden sollte. Das sehen nicht nur wir schen Ebene, zunächst sehr fraglich. Sie müssen wissen, und die EU-Kommission, sondern auch unsere europäi- dass die Banken in Deutschland in drei Säulen organi- schen Partner so. siert sind: Wir haben zum Ersten die Privatbanken, die als Konzerne strukturiert sind, zum Zweiten die Sparkas- Unabhängig von der Umsetzung in den Vereinigten sen und zum Dritten die Volksbanken, die als Genossen- Staaten bleibt es bei dem Zeitplan, dass nämlich die schaften organisiert sind. Nun sind die jeweiligen Spar- neuen Eigenkapitalregelungen für die Kreditinstitute und kassen wie auch die Genossenschaftsbanken in ihrem die Wertpapierfirmen in der Europäischen Union zum Verbund zunächst jeweils selbstständig. Bei einer Kon- 1. Januar 2007 eingeführt werden. Es liegt im Interesse zernstruktur hingegen gibt es natürlich keine eigenstän- der Europäer, dass die in den USA tätigen EU-Banken dige X-Bank in Y-Stadt; vielmehr ist jede Bank dem die Vorteile aus den neuen EU-Eigenkapitalregelungen Mutterkonzern – dessen Sitz meist Frankfurt ist – zuge- von Beginn an ohne Einschränkung nutzen können. Die ordnet. Die Frage war, wie Kredite innerhalb dieser europäischen Institute haben sich darauf eingestellt, ihre 1270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) neuen Systeme weltweit einzusetzen. Auch wenn sie ren eine weitere Million Euro aufnehmen. Wenn er die (C) Niederlassungen in den Vereinigten Staaten haben, wer- Bonität nachweist, werden ihm die beiden Banken das den die europäischen Institute das also zum 1. Januar wohl leihen. Man hat ja häufig eine Kreditstreuung über 2007 tun. mehrere Institute. Sie hatten noch nach den Energiehändlern und ande- Dieser Kredit in der Größenordnung von bis zu rem gefragt. Moment, ich habe mir die Einzelheiten dazu 1 Million Euro fällt unter die so genannten Privatkredite notiert. Ich habe es jetzt nicht im Kopf. oder auch unter das Retailportfolio. Im Zusammenhang mit dem Finanzmarkt werden ja immer englische Be- (Georg Fahrenschon [CDU/CSU]: Energie- griffe verwendet. – Für diese Kredite von nicht so um- händler und Wertpapierhandelsfirmen! – Leo fangreicher Größe – also bis zu 1 Million Euro – wird es Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr ist die Energie zukünftig sogar weniger Anforderungen an die Höhe des ausgegangen!) Eigenkapitals der kreditgebenden Banken geben, und Zur Ausübung von Wahlrechten. Wir üben ungefähr zwar wird die Erleichterung etwa ein Viertel betragen. 100 Wahlrechte aus. Insgesamt gibt es etwa 120 Wahl- Wenn die Bank also nach noch geltendem Recht einen rechte. Für uns sind davon 100 interessant, die wir auch Kredit in der Größenordnung von 1 Million Euro ver- ausüben. 30 davon üben wir wiederum zugunsten des gibt, dann muss sie mehr Eigenkapital dafür haben, als Mittelstandes aus. Wir üben praktisch alle aus, die von sie zukünftig dafür haben muss. Das heißt, das, was zu- Interesse für uns sind. künftig bankaufsichtsrechtlich dabei zu tun ist, führt bei Eine der wichtigsten davon ist die Ausnahme von der den Banken zu einer Erleichterung bei der Kreditver- Überwachung des Eigenkapitals beim einzelnen Institut, gabe. Es geht jetzt nur um bankaufsichtsrechtliche Fra- was bei der Aufsicht über die Bankengruppe zu Erleich- gen. In Bezug darauf wird es zu einer Erleichterung terungen beim Meldeaufwand führt. Außerdem haben kommen. wir – danach haben Sie gerade gefragt – die Ausnahme Unabhängig davon muss die Bonität des einzelnen für die Energiehändler in Anspruch genommen. Dane- Kreditnehmers durch die Bank natürlich geprüft werden. ben nehmen wir auch die Ausnahme für die Wertpapier- Das ist nicht anders, als es bisher schon war. Es ist nicht handelsfirmen im Hinblick auf die Eigenkapitalunterle- so, dass man einen Anspruch auf eine Kreditvergabe gung von operationellen Risiken in Anspruch. hätte; vielmehr handelt es sich um ein zweiseitiges Ge- Die beiden Fragen, die Sie gerade gestellt haben, schäft zwischen einem, der einen Kredit haben möchte, kann ich deswegen mit Ja beantworten. und einem, der einen Kredit vergibt oder aber auch nicht. (B) Niemand hat einen Anspruch auf einen Kredit; viel- (D) Vizepräsident Wolfgang Thierse: mehr muss eine ausreichende Bonität vorhanden sein. Kollege Jochen-Konrad Fromme, bitte. Das hat sich durch die bankaufsichtsrechtlichen Vor- schriften nicht geändert. Aber vonseiten der Banken Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): wird die Kreditvergabe in der Größenordnung von bis zu Frau Staatssekretärin, die Kreditversorgung ist für die 1 Million Euro zunächst erleichtert. Mittelstandsbetriebe ja ein besonderes Problem. Die (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Darf Diskussion über Basel II hat zunächst einmal zu einer ich nachfragen, Herr Präsident?) großen Verunsicherung geführt, weil viele Kredite mit Bezugnahme auf Basel II im Vorfeld versagt worden sind. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Kollege Fromme. Damit es jeder versteht: Können Sie noch einmal ganz einfach darstellen, wie zum Beispiel ein Kredit von bis zu 1 Million Euro – einen Kredit in einer solchen Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Höhe brauchen Handwerksbetriebe ja häufig – behandelt Das heißt im Grunde genommen: Weil die Bank we- wird und was Sie tun werden, um jetzt in der Öffentlich- niger Eigenkapital hinterlegen muss, kann sie – eine aus- keit Aufklärungsarbeit zu betreiben, damit durch dieses reichende Bonität vorausgesetzt – den Kredit wirtschaft- komplizierte Gebilde keine Verunsicherung geschaffen, licher und damit preiswerter vergeben? sondern die notwendige Sicherheit wiedergegeben wird? Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Bundesminister der Finanzen: Richtig. Sie kann im Verhältnis zu ihrem Eigenkapital Herr Kollege, ich bin Ihnen dankbar für die Frage und mehr Kredite vergeben, als sie das bisher tun konnte, ich will gerne noch einmal versuchen, das mit einfachen wenn die Kredite sich in dem Volumen von bis zu Worten auszudrücken. 1 Million Euro bewegen. Bei sehr vielen kleineren Insti- tuten mit lokaler Bedeutung macht dies fast das ganze Gehen wir von einem Kredit in der Größenordnung Geschäft aus. von bis zu 1 Million Euro je Kreditinstitut aus. Jemand, der genügend Bonität hat, könnte sich also bei dem einen (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Kreditinstitut 1 Million Euro leihen und bei einem ande- Danke!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1271

(A) Vizepräsident Wolfgang Thierse: lungen wirken diesen systemischen Risiken entgegen. (C) Ich erteile das Wort Kollegen Gerhard Schick von den So ist es angelegt. Grünen. Mit den prozyklischen Effekten hat sich das Bundes- kabinett in seiner Beratung im Einzelnen nicht befasst. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber das Kreditgeschäft reagiert auf Konjunkturschwan- Danke schön. – Frau Staatssekretärin, meine Fragen kungen grundsätzlich empfindlich; das ist nicht zu ver- gehen in Richtung der Diskussion, die ganz am Anfang meiden. Prozyklische Effekte durch Basel II sind selbst- stand, nämlich in Richtung der Systemrisiken. verständlich nicht beabsichtigt und sollten möglichst Meine erste Frage ist: Kann man jetzt davon ausge- vermieden werden. Andererseits ist nicht von der Hand hen, dass durch diese Regelungen, die wir in Deutsch- zu weisen, dass das Kreditgeschäft auf Konjunktur- land übernehmen, das Risiko, das wir im Zusammen- schwankungen empfindlich reagiert und infolgedessen hang mit der Asienkrise diskutiert haben, zurückgeht? eine Tendenz aufweist, sich prozyklisch zu verhalten. Das wird aber durch Basel II nicht verstärkt. Meine zweite Frage bezieht sich auf die prozyklische Wirkung, die die Eigenkapitalunterlegung haben kann. Die Institute sind angehalten, durch eine vorausschau- Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland gemerkt, ende Steuerung der Kreditvergabe einem bloßen zykli- wie gefährlich es ist, wenn sich die Versorgung gerade schen Kreditvergabeverhalten entgegenzuwirken. Das ist des Mittelstandes mit Krediten in der Phase eines kon- die Aufgabe der Institute selbst. junkturellen Abschwungs verschlechtert. Es besteht die Der gesamte Basel-II-Prozess hat auch dazu geführt, Gefahr, dass aufgrund einer Eigenkapitalunterlegung dass in den Bankengruppen in Deutschland eine vertiefte nach Risikokomponenten dann, wenn im Abschwung Kenntnis über die Risikoadäquanz erworben wurde, weil das Risiko zunimmt, eine prozyklische Wirkung auftritt. sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Banken Mich interessiert, ob im Kabinett diskutiert worden schon seit Jahren – intensiver als früher – mit diesem ist, wie man damit umgeht und, da man in Deutschland Thema befassen. Insofern ist die intellektuelle Kapazität nicht mehr das gesamte System umgestalten kann – das der handelnden Personen in den letzten Jahren erweitert ist klar –, welche entsprechenden Vorkehrungen man worden, sodass man in dieser Hinsicht guten Mutes sein treffen kann, um eine mögliche prozyklische Wirkung zu kann. Gleichwohl lassen sich Risiken nie ganz ausschlie- kompensieren. ßen.

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Vizepräsident Wolfgang Thierse: (B) Bundesminister der Finanzen: Ihre Nachfrage, bitte. (D) Zu Ihrer ersten Frage, Herr Kollege Schick. Sie haben Recht, Ausgangspunkt der ganzen Überlegungen zu Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Basel II waren die Finanzkrisen insbesondere in Asien. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es bei dem Davor gab es aber auch schon eine Krise in Mittel- und Systemrisiko um die Risikoposition im Gesamtsystem Südamerika. Es ging um die Begrenzung der so genann- aufgrund der Interaktion zwischen den verschiedenen ten systemischen Risiken. Kreditinstituten, Währungsräumen etc. Die Basel-II-Re- gelungen beziehen sich aber auf die Kreditvergabe an ein Vereinfacht ausgedrückt: In einigen Regionen in der einzelnes Unternehmen und reduzieren das Insolvenz- Welt wurden Kredite zu leichtfertig vergeben. Anschlie- risiko des einzelnen Kreditinstituts, können aber – so ßend drohte ein Crash, der nur durch die Weltbank ge- habe ich es der wissenschaftlichen Diskussion entnom- meinsam mit anderen Institutionen aufgefangen werden men – das Systemrisiko gerade dadurch noch erhöhen. konnte. Dies sollte für die Zukunft möglichst vermieden Ich habe Ihre Antwort so verstanden, dass Sie auf das werden. Das war der Ausgangspunkt der gesamten Über- Risiko der Insolvenz des einzelnen Instituts eingegangen legungen. Es ist gut, dass Sie daran noch einmal erin- sind. nern.

Soweit man das beurteilen kann, helfen die Basel-II- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Regelungen, ein solches Szenario zu vermeiden. Seither Bundesminister der Finanzen: haben wir solche Krisen nicht mehr erlebt. In der Tat Nein, Herr Kollege. Das ist zwar einerseits der Fall, sind die Banken vorsichtiger geworden. Soweit wir das aber auf der anderen Seite ist bei der jeweiligen Kredit- einschätzen können, wirken diese Vereinbarungen, die vergabe die Risikobehaftetheit des geforderten Kredites durch Basel II getroffen worden sind und über eine EU- genauer zu betrachten, sodass es, vereinfacht ausge- Richtlinie deutsches Recht werden, den systemischen drückt, nicht mehr so einfach ist, schlechtem Geld im- Risiken entgegen, weil die Risikogewichtung in den mer weiter gutes Geld hinterherzuwerfen, wie es manch- Vordergrund tritt. Kredite werden nicht mehr schema- mal der Fall ist. Das sind natürlich Fehlentscheidungen. tisch vergeben; vielmehr werden je nach Risiko unter- schiedlich teure Kredite – vereinfacht ausgedrückt – ver- In einigen Fällen empfiehlt es sich, einen Kreditneh- geben. Die Zinslast wird also höher, wenn das Risiko mer mit einem weiteren Kredit zu stärken, wenn zu er- steigt, oder aber es wird gar kein Kredit vergeben. Das warten ist, dass er damit bestehende Turbulenzen über- ist nicht neu, das hat es auch früher schon gegeben. Nach winden kann. In manchen Fällen wird aber lediglich unserer Kenntnis kann man sagen: Die Basel-II-Rege- schlechtem Geld gutes Geld hinterhergeworfen. Das liegt 1272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) zwar in der Verantwortung der einzelnen Institute – das In diesem von Ihnen angesprochenen Fall, wenn also (C) lässt sich nicht leugnen –, aber wenn die Risikoadäquanz die Bilanz hervorragend ist, sollte der Betreffende natür- im Einzelnen stärkere Berücksichtigung findet, dann lich einen Kredit bekommen, wenn nicht bei der einen, wird auch das systemische Risiko insgesamt vermindert. dann bei einer anderen Bank; das ist gar keine Frage. Andererseits müsste man den einen oder anderen deut- Vizepräsident Wolfgang Thierse: schen Mittelständler auffordern – damit will ich jetzt Danke schön. – Nun hat Kollege Axel Troost, Frak- nicht den Stab über alle brechen –, die Offenlegung ge- tion Die Linke, Gelegenheit zu einer Frage. genüber seiner Bank zu verbessern. Ich selber komme aus dem ländlichen Raum. Wenn dort ein Schreinermeis- ter zu seiner Sparkasse geht und sagt: „Was willst du al- Dr. Axel Troost (DIE LINKE): les von mir wissen? Du hast doch schon meinem Vater Frau Staatssekretärin, Sie hatten noch einmal den ei- Kredite gegeben“, dann reicht das heutzutage einfach gentlichen Anlass der Basel-II-Regelungen dargestellt. nicht mehr aus. Er wird wohl die Fragen, die ihm seine Ich meine aber, dass Sie die Auswirkungen auf die Mit- Bank stellt, beantworten müssen, auch wenn ihm das läs- telstandsfinanzierung ein bisschen bagatellisieren. Tat- tig ist. Daran muss sich der eine oder andere – insbeson- sächlich hatte man noch nie Anspruch auf einen Kredit. dere kleinere – deutsche Mittelständler noch gewöhnen. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass Unternehmen, die keinen Kredit brauchen, einen bekommen, während die- In der Tat ändert sich die Kultur der Kreditvergabe, jenigen, die einen brauchen, keinen bekommen. Durch aber nicht wegen Basel II, sondern zeitgleich mit die Rankingverfahren und vieles andere mehr ist die Si- Basel II. tuation entstanden, dass nicht mehr allein der individu- elle Tatbestand zugrunde gelegt wird. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Danke schön, Frau Staatssekretärin. Ich bin im Rahmen der Betriebsräteberatung relativ viel herumgekommen und habe mit einem absolut ge- Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka- sunden Unternehmen – das ergibt sich aus der Bilanz- binettssitzung? – Zuerst Kollegin Cornelia Hirsch und analyse des vergangenen Jahres – zu tun, dessen völlig dann Kollegin Petra Pau. verängstigte Geschäftsführung mir jetzt dargelegt hat, dass ihr die Werte aus der Vergangenheit in diesem Jahr Cornelia Hirsch (DIE LINKE): wenig nutzen; das Kreditinstitut gibt ihm kein Geld Ich möchte mich erkundigen, was heute zur geplanten mehr. Ich habe in der Textilbranche zu tun. In diesem Föderalismusreform beraten wurde. Bereich werden eben keine Kredite mehr vergeben bzw. nur in Verbindung mit enormen Auflagen. (B) Vizepräsident Wolfgang Thierse: (D) Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll Wer von den anwesenden Staatssekretären möchte wäre, zu untersuchen, welche Konsequenzen sich aus antworten? – Der Vertreter des Bundeskanzleramtes, den Basel-II-Regelungen für die Finanzierung des Mit- Herr Staatsminister Neumann, wird antworten. telstands ergeben haben und ob andere Wege gefunden werden müssen, um die Kreditversorgung des Mittel- Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- standes sicherzustellen. kanzlerin: Im Bundeskabinett wurde dieses Thema heute kurz Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim angesprochen. Wir haben uns über den Stand der Gesprä- Bundesminister der Finanzen: che informieren lassen. Es ist für morgen erneut eine Herr Kollege Troost, durch die bankaufsichtsrechtli- Runde vorgesehen, die versuchen wird, die Dinge, die chen Vorschriften der Basel-II-Regelungen ergibt sich zwischen Bund und Ländern strittig sind, auszuräumen. keine schwierigere Situation für den deutschen Mittel- Ich gehe davon aus, dass das gelingt. Das Ziel der Bun- stand. Im Gegenteil wird es – wie ich eben bereits ausge- desregierung ist, zu demselben Ergebnis wie in den von führt habe – bei Krediten bis zu 1 Million Euro für die der großen Koalition verabschiedeten Texten zu kom- Institute sogar prinzipiell leichter, Kredite zu vergeben, men. Von unserer Seite ist also nicht vorgesehen, Ände- weil sie selber diese Kredite mit weniger Eigenkapital rungen herbeizuführen. Das deckt sich auch mit der Mei- unterlegen müssen. Insofern bedeutet unser Vorhaben nung der beiden Koalitionsfraktionen. Ziel ist, auf der eine Verbesserung bei der Vergabe von Krediten in einer Grundlage der Ergebnisse der damals vorzeitig beende- Größenordnung von bis zu 1 Million Euro. Das sind fast ten Föderalismuskommission einen gemeinsamen Ent- 90 Prozent aller bundesweit vergebenen gewerblichen wurf vorzulegen und dann einen gemeinsamen Beschluss Kredite. zu fassen. Gleichwohl will ich nicht von der Hand weisen, dass es bei manchen Instituten – das ist manchmal fälschlich Vizepräsident Wolfgang Thierse: mit Basel II begründet worden – Vorsichtsprinzipien Kollegin Pau, bitte. gibt, die im Einzelfall übertrieben sein mögen. Das hat sich allerdings schon wieder geändert. Im Moment gibt Petra Pau (DIE LINKE): es keine Kreditrestriktionen, sondern eine verhältnismä- Da in die Zeit der heutigen Kabinettssitzung die Ver- ßig geringe Kreditnachfrage. Tatsächlich sind die Ver- kündung des lang erwarteten Urteils des Bundesverfas- hältnisse nun wieder anders als vor einem Jahr. sungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz fiel, interes- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1273

Petra Pau (A) siert mich eine erste Stellungnahme der Bundesregierung Verfassung anzubringen, sondern dass es allenfalls da- (C) dazu bzw. die Antwort auf die Frage, auf welches weitere rum gehen kann, für schwere Unglücksfälle in der Luft Vorgehen Sie sich verständigt haben. einen entsprechenden Kompetenztitel für den Bund zu schaffen, oder gehen die Überlegungen der Bundesregie- Vizepräsident Wolfgang Thierse: rung über diese Frage hinaus? Wer kann darauf antworten? – Bitte, Herr Staats- minister Neumann. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Staatsminister. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- kanzlerin: Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- Frau Kollegin, wir haben diese Nachricht über das kanzlerin: Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Laufe der Ka- Die Bundesregierung hatte nicht die Zeit, diese Fra- binettssitzung erhalten. Wir haben das kurz besprochen gen im Einzelnen zu erörtern. Deswegen wiederhole ich und sind zu folgender Feststellung gelangt: Die Bundes- das, was ich als letzten Satz bezogen auf die Erklärung regierung respektiert die heutige Entscheidung des Bun- gesagt habe. Wir wollen das Urteil in Ruhe prüfen und in desverfassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz. Ziel Ruhe bewerten. Ich finde, das Verfahren ist angemessen. der Bundesregierung bleibt jedoch, im Rahmen der Ver- Wenn einem durch die Presse bzw. durch Anruf ein sol- fassung alles Menschenmögliche zu tun, um das Leben cher Beschluss zukommt, unserer Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen An- schlägen, auch vor solchen aus der Luft, zu schützen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Wir werden prüfen, wie der Schutzzweck des Luftsicher- GRÜNEN]: Der stand im Internet!) heitsgesetzes in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz dann muss man sich erst einmal die Texte ansehen und und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ver- die Ausführungen im Einzelnen lesen. Das haben wir wirklicht werden kann. uns vorgenommen. Deswegen haben wir über den Text, den ich Ihnen vorgetragen habe, hinaus keine weiteren Vizepräsident Wolfgang Thierse: Bewertungen vorgenommen. Kollegin Golze, Sie haben sich zu einer Frage gemel- det. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie können doch politisch die Frage beantwor- Diana Golze (DIE LINKE): ten, ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang (B) Ich habe eine Frage zur Föderalismusreform: Inwie- jenseits der Frage eines Einsatzes der Bundeswehr im (D) weit wurde bei der heutigen kurzen Ansprache dieses Rahmen der Luftsicherheit die Absicht hegt, die Verfas- Themas auf die von der SPD geäußerten Bedenken beim sung in diesem Punkt zu ändern oder nicht. Dazu muss Thema Bildungspolitik eingegangen? man das Urteil nicht kennen; dazu muss man eine politi- sche Auffassung haben. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Herr Staatsminister. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- kanzlerin: Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- Ich muss hier für die Bundesregierung sprechen. Die kanzlerin: Bundesregierung hält daran fest, dass sie sich, bevor sie Ich wiederhole das, was ich gesagt habe. Wir haben weitere Entscheidungen trifft bzw. weitere Schritte vor- nicht im Einzelnen Bedenken und Anregungen, die hier sieht, vorbehält, erst die Konsequenzen dieses Urteils im und dort aus den unterschiedlichsten Richtungen vorge- Einzelnen zu prüfen und zu bewerten. Deswegen, aber tragen worden sind, erörtert, sondern wir haben einmütig auch weil das nicht erörtert worden ist, bin ich nicht be- vereinbart, was die Bundesregierung angeht, alles dazu reit, darüber hinaus weitere Mitteilungen zu machen. beizutragen, dass die inzwischen vorliegenden Texte in diesem Sinne eingebracht und verabschiedet werden. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Somit haben Einzelheiten zu dem von Ihnen erfragten Herzlichen Dank. Ich beende damit die Regierungs- Punkt keine Rolle gespielt. befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Vizepräsident Wolfgang Thierse: Kollege Beck, bitte. Fragestunde – Drucksache 16/611 – Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wollte etwas zu dem von Frau Pau angesproche- Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich der nen Komplex nachfragen: Teilt die Bundesregierung die Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Auffassung, dass dieses Urteil eine klare Absage an ei- Die erste Frage wird schriftlich beantwortet. nen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist, und teilt sie auch die Auffassung, dass es nicht notwendig ist, in die- Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis- sem Zusammenhang grundsätzliche Korrekturen an der teriums des Innern auf. 1274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Vizepräsident Wolfgang Thierse (A) Wir kommen zur zweiten Frage, der Frage der Kolle- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): (C) gin . Da sie nicht anwesend ist, wird Ich nehme das gerne zur Kenntnis. Trotzdem möchte verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. ich noch einmal nachhaken. Die Marktsituation ist durch eine Verflechtung der großen Gasversorger in Bezug auf Wir kommen zur Frage 3 des Abgeordneten Hans- die Netze gekennzeichnet. Ich wage zu bezweifeln, dass Kurt Hill: dies zum Vorteil der Verbraucher sein wird. Ich glaube Welche Auswirkungen auf den Wettbewerb im deutschen nicht, dass das Kartellamt ausreichend Kontrolle aus- Gasmarkt erwartet die Bundesregierung von der Tatsache, üben kann, um die Gaslieferanten davor zu schützen, ei- dass der russische Energiekonzern Gasprom, der bereits eine nem neuen Monopol ausgesetzt zu sein. Auch Sie sagen, dominierende Marktstellung bei der Förderung, der Vertei- dass man dieses neue Monopol mit den jetzigen Mög- lung und dem Handel von Erdgas innehat, in Deutschland in das Endkundengeschäft einsteigt und dazu Anteile an Stadt- lichkeiten kaum stoppen kann. Wie wollen Sie dem ent- werken erwerben will (vergleiche „Frankfurter Allgemeine gegenwirken? Zeitung“ vom 16. Dezember 2005)? Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staats- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- sekretärin Wöhrl zur Verfügung. Bitte schön. minister für Wirtschaft und Technologie: Herr Hill, Sie sind der Erste, von dem ich höre, dass er behauptet, in diesem Bereich entstehe in Deutschland Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ein neues Monopol. Das widerspricht Ihrer Forderung, minister für Wirtschaft und Technologie: zu kostengünstigen Energiepreisen zu kommen. Wir Herr Kollege Hill, Vorhaben von Zusammenschlüs- wollen mehr Wettbewerb, gerade beim Netzzugang. Wir sen, auch wenn ausländische Unternehmen beteiligt haben das Energiewirtschaftsgesetz auf den Weg ge- sind, sind eine Angelegenheit des Bundeskartellamts, bracht. Sie sagen einerseits: Wir wollen mehr Wettbe- das diese im Rahmen der Fusionskontrolle bewertet. Es werb; wir wollen, dass der Verbraucher seinen Gaspro- gibt in Deutschland keine Möglichkeit, ausländische Ka- duzenten künftig frei wählen kann. Auf der anderen pitalbeteiligungen zu verhindern, weil wir die Freiheit Seite sagen Sie: Den einen wollen wir nicht und den an- des Kapitalverkehrs haben. Die Bundesregierung steht deren wollen wir auch nicht. So geht das nicht. grundsätzlich Beteiligungen und Investitionen von aus- ländischen Unternehmen positiv gegenüber. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Vielen Dank. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Vizepräsident Wolfgang Thierse: (B) Sie haben die Gelegenheit zur Nachfrage, Kollege (D) Hill. Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Hans-Kurt Hill: Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesre- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): gierung zu treffen, um die aktuellen nachfrage- und witte- Vielen Dank. – Frau Staatssekretärin, ich möchte rungsbedingten Engpässe bei der Versorgung mit Erdgas in nachhaken. Die deutsche Tochter der Gasprom, die ZGG Deutschland zukünftig zu vermeiden? GmbH, ist bereits mit 35 Prozent an der Wingas GmbH und mit 50 Prozent an der Wintershall Erdgas Handels- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- haus GmbH beteiligt. 40 Prozent der Gasversorgung minister für Wirtschaft und Technologie: kommen aus Russland. Gasprom agiert außerhalb der Herr Kollege Hill, wir haben das Energiewirtschafts- Wettbewerbsregeln. Ich erinnere nur an die Probleme der gesetz auf den Weg gebracht. Der Versorgungsauftrag Ukraine. Wie will die Bundesregierung im Interesse der betrifft in erster Linie die Gasversorgungsunternehmen. Verbraucher konkret dem entgegenwirken, dass es auf Ich glaube hier sagen zu können, dass sie der Versor- dem deutschen Markt durch die Vorgaben von Gasprom gungsverpflichtung bis jetzt in vollem Umfang gerecht zu einer verstärkten Abhängigkeit von den russischen geworden sind. Gaslieferungen kommt? Es gab nachfrage- und witterungsbedingte Engpässe. Das wissen wir. Aber die Lage war beherrschbar. Der Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Speichereinsatz ist sehr hoch. Wir haben in Deutschland minister für Wirtschaft und Technologie: allein 40 Gasspeicheranlagen mit 100 Milliarden Kubik- metern, in denen ein Fünftel des jährlichen Bedarfs ge- Hinsichtlich unserer Abhängigkeit von Russland gilt: speichert werden kann. Momentan beziehen wir 36 Prozent unseres Gases aus Russland. Was Sie dazu gesagt haben, stimmt also. Man Außerdem gibt es eine Diversifikation des Gasbe- kann aber nicht sagen, dass die deutsche Tochter von zugs: Bestimmte Kunden haben Gasminderlieferungen Gasprom gegen Wettbewerbsrecht verstößt; sonst wäre vertraglich vereinbart. Es gibt verschiedene Verträge mit das Bundeskartellamt schon tätig geworden. Sie wissen Kunden, die die Möglichkeit vorsehen, statt Erdgas an- ganz genau, dass wir durch das neue Netzzugangsmodell dere Energieträger einzusetzen. Aufgrund vertraglicher mehr Wettbewerb auf dem Gasmarkt schaffen wollen. Vereinbarungen können die Lieferungen reduziert wer- Das heißt, der Verbraucher soll den Gasproduzenten den. Die entsprechenden Verträge beinhalten also Alter- künftig leichter wechseln können, um so zu günstigeren nativen, weswegen Gas zu günstigeren Konditionen ge- Preisen zu kommen. liefert wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1275

(A) Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Das klingt sehr NEN): beruhigend. Ich habe dazu noch eine Nachfrage. Wie ich aus Ihren Ausführungen heraushören kann, betrachten Sie es Trotzdem möchte ich eine Nachfrage stellen: Ist der schon als Chance für strukturschwache Gebiete, dass Bundesregierung bekannt, dass einzelne Energieversor- solche Teilzeitarbeitsplätze, egal ob für Männer oder gungsunternehmen planen, die Kapazität der Gasspei- Frauen, gefördert werden. Wenn die Bundesregierung chersysteme auszubauen? Hält die Bundesregierung das das als Chance sieht, dann würde mich interessieren, wie momentane Reservevolumen für ausreichend? die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Telekom abgestimmt haben, als es um den angekündig- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ten Stellenabbau bzw. um die Verlagerung der Callcenter minister für Wirtschaft und Technologie: aus strukturschwachen Gebieten in Ballungsgebiete Mir liegen momentan keine Angaben dazu vor. Aber ging. ich kann Sie darüber schriftlich unterrichten. (Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Vielen Dank!) Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: – Bitte. Dazu kann ich Ihnen keine Angaben machen; ich habe keine Kenntnis von dem Abstimmungsverhalten. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Ich habe aber schon darauf hingewiesen, dass aufgrund Die Frage 5 wird schriftlich beantwortet. des Aktiengesetzes keine Einflussnahme möglich ist. Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Scharfenberg auf: (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE Betrachtet die Bundesregierung den Erhalt von wohnort- GRÜNEN]: Danke!) nahen Arbeitsplätzen, von dem insbesondere in Teilzeit arbei- tende Frauen profitieren, wie zum Beispiel bei der Telekom, als Chance für strukturschwache Regionen und was wird die Vizepräsident Wolfgang Thierse: Bundesregierung als größter Anteilseigner der Telekom tun, Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- um Schließungen von Callcenterstandorten der Telekom, zum nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Beispiel in Oberfranken, zu verhindern und damit die dro- hende Arbeitslosigkeit von Frauen abzuwenden, die auf cherschutz. Der Parlamentarische Staatssekretär Peter wohnortnahe Arbeitsplätze angewiesen sind? Paziorek beantwortet die Fragen hierzu. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Goldmann von der Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (B) FDP-Fraktion auf: (D) minister für Wirtschaft und Technologie: Durch welche Regelungen will die Bundesregierung das Frau Scharfenberg, zu Ihrer Frage ist zu sagen, dass Bedürfnis nach unabhängigen und verlässlichen Informa- es die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- tionen der Verbraucherinnen und Verbraucher in einem Ver- nalen Wirtschaftsstruktur“ gibt – Sie kennen sie auch –, braucherinformationsgesetz – wie unter anderem im Zehn- die besonders in strukturschwachen Gebieten zum Tra- punkteprogramm vom Bundesminister für Ernährung, gen kommt. Die GA-Förderung ist zwar nicht ge- Landwirtschaft und Verbraucherschutz, , ange- kündigt – befriedigen? schlechtsspezifisch ausgerichtet, aber nichtsdestoweni- ger können in Ländern, die strukturschwache Regionen haben, Investitionen gefördert werden, die gezielt Ar- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- beitsplätze für Frauen schaffen, und dafür die Höchstför- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- derbeträge gewährt werden. cherschutz: Herr Kollege Goldmann, um die Informationsmög- Dann fördert die GA auch Investitionen zur Schaf- lichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher nach- fung von Telearbeitsplätzen, wenn das mit Erziehungs- haltig und wirksam zu stärken, wird sich die Bundesre- bzw. Pflegeaufgaben in der Familie zusammenhängt. gierung für die Schaffung einer effektiven und Teilzeitarbeitsplätze werden bei der GA-Investitionsför- praktikablen gesetzlichen Regelung zur Verbesserung derung anteilig berücksichtigt. Darüber hinaus kann der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation ein- auch die Neuerrichtung von Callcentern, deren Arbeits- setzen. Neben einer Erleichterung der Befugnis der Be- plätze überwiegend mit Frauen besetzt werden, mit GA- hörden zur Information der Öffentlichkeit soll den Ver- Zuschüssen gefördert werden. braucherinnen und Verbrauchern ein auf die Produkte Nun noch zu Ihrer speziellen Frage zu den Callcen- des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs sowie tern der Telekom. Sie wissen, dass die Telekom eine bör- des Weingesetzes bezogenes Zugangsrecht zu Informa- sennotierte Aktiengesellschaft ist. Eine Einwirkung der tionen eröffnet werden, die bei Behörden vorhanden Bundesregierung ist nach dem Aktiengesetz nicht zuläs- sind. sig; denn nach dem Aktiengesetz werden die Geschäfte Dies, Herr Goldmann, sollte heute Nachmittag im vom Vorstand des Unternehmens in alleiniger Verant- Bund-Länder-Gespräch detailliert erörtert werden. Wie- wortung geführt. weit dies aber aufgrund der aktuellen Entwicklung im Zusammenhang mit der Vogelgrippe tatsächlich der Fall Vizepräsident Wolfgang Thierse: sein wird, kann von mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht be- Kollegin Scharfenberg, bitte. urteilt werden. 1276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Vizepräsident Wolfgang Thierse: Antworten verwundert bin. Wir haben darüber hinaus (C) Kollege Goldmann, bitte. nämlich auch Informationen, dass Sie konzeptionelle Vorstellungen bezüglich der Gesetzesformulierungen Hans-Michael Goldmann (FDP): schon an andere Institutionen herausgegeben haben. Vor Herr Staatssekretär, zunächst einmal möchte ich Ver- diesem Hintergrund halte ich es nicht für korrekt, dass ständnis für den Teil Ihrer Antwort zum Ausdruck brin- Sie mich als Parlamentarier – jedenfalls empfinde ich es gen. Wir haben uns heute Vormittag im Ausschuss aus- so – jetzt so auflaufen lassen. giebig mit dem Fall der Vogelgrippe beschäftigt. Nur, in (Zuruf von der SPD: Oh!) Ihrem Hause gibt es konzeptionelle Überlegungen. Die wollten Sie heute Nachmittag der Verbraucherschutz- Ich versuche es aber trotzdem noch einmal: Ist die ministerkonferenz vorstellen. Ich hatte nun gefragt, Bundesregierung weiterhin der Auffassung, dass ein durch welche Regelungen Sie den Konflikt, der hier an- Verbraucherinformationsgesetz präventiv gegen Krimi- gesprochen worden ist, befrieden oder die Chance, die nalität wirkt? Vielleicht kann ich an dieser Stelle gleich nach Ihrer Auffassung in dem Zehnpunkteprogramm den Streit zwischen der Staatsanwaltschaft und den liegt, nutzen wollen. Vielleicht können Sie an der einen Ministerien in Bayern einbinden, den es im Zusammen- oder anderen Stelle doch noch etwas konkreter werden; hang mit dem dortigen Wildfleischskandal gibt. Sind Sie das, denke ich, darf ich als Parlamentarier von einer leis- nicht auch der Auffassung, dass schon nach der jetzigen tungsfähigen Regierung erwarten. Regelung die Staatsanwaltschaft die Ministerien darüber informieren muss, dass Schaden für Menschen entstehen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- kann, und dass es deshalb eigentlich gar keiner Neurege- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- lung in Form eines Verbraucherinformationsgesetzes cherschutz: mehr bedarf? Herr Goldmann, ich habe Verständnis dafür, dass Sie sehr hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Regierung stellen. Das ist auch grundsätzlich richtig so. desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Man muss nur sehen, dass wir im Augenblick dabei sind, cherschutz: die praktischen Fragen mit den zuständigen Ländern zu Herr Goldmann, zunächst einmal muss ich an dieser erörtern. Bei den Fragen, ob ein eigenständiges Verbrau- Stelle klar und deutlich sagen, dass wir zurzeit in unse- cherinformationsgesetz aufgelegt und was im Lebens- rem Hause einen ersten Referentenentwurf erstellen. mittel- und Futtermittelgesetzbuch geregelt werden soll, Eine Kabinettsabstimmung hat also noch gar nicht statt- kommen wir, wie Sie wissen, in den Bereich der Zustän- gefunden. Wir sind vielmehr dabei, die nach den ver- digkeit der Länder. Deren Antworten müssen also in der schiedenen Verfahrensbestimmungen notwendigen An- (B) (D) Tat abgewartet werden. Deshalb kann ich zum jetzigen hörungen und Gespräche zu führen. Wir sind dabei, mit Zeitpunkt nur sagen, dass wir die gesamte Palette der den Ländern Detailfragen abzustimmen; auch Sie rekur- Möglichkeiten erst einmal noch mit den Ländern erör- rieren ja mit Ihrem Hinweis auf Bayern auf die beste- tern müssen. hende Gesetzeslage. Auch ich bin ja lange Zeit Opposi- tionspolitiker gewesen und weiß, dass man als Vizepräsident Wolfgang Thierse: Parlamentarier in einer solchen Situation gerne wissen Kollege Goldmann, noch einmal. möchte, wie der Sachstand zu einem bestimmten Zeit- punkt im Ministerium ist. Ich muss an dieser Stelle aber Hans-Michael Goldmann (FDP): klar und deutlich sagen, dass wir uns in Abstimmungs- Danke, Herr Präsident. – Ich ahne jetzt schon, wie gesprächen mit den zuständigen Stellen befinden, und Sie, Herr Staatssekretär, die weiteren Antworten ausge- bitte um Verständnis, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt stalten werden. Wir haben ja, wie Sie sicherlich zur eine Position des Hauses aufgrund der Gesprächslage Kenntnis genommen haben, einen ganzen Fragenkom- nicht vortragen kann. plex an Sie gerichtet, weil wir uns für diesen Sachverhalt ganz besonders interessieren. Und erst gestern Abend, Vizepräsident Wolfgang Thierse: als wir, Herr Staatssekretär, gemeinsam beim Abendes- Damit sind wir bei der Frage 8, ebenfalls vom Kolle- sen waren, ist der Fall von Vogelgrippe aufgetreten. gen Goldmann: (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Beim Essen?) Wie will die Bundesregierung zugleich den durch unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung garantierten Schutz der Be- – Ich rede von dem Fall auf Rügen, nicht von unserem triebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen sicher- Abendessen. stellen? (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dazu kann Vizepräsident Wolfgang Thierse: er jetzt ja auch nichts sagen!) Da sind wir beruhigt. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Hans-Michael Goldmann (FDP): desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie die Ant- cherschutz: worten auf die sechs Fragen, die wir gestellt haben, erst Ich gebe wenigstens eine Antwort in einem Satz, Herr heute Morgen entwickelt haben. Lassen Sie mich des- Goldmann. – Mit der von mir in der Antwort zur vorigen halb zum Ausdruck bringen, dass ich ein wenig über Ihre Frage genannten gesetzlichen Regelung soll nach unse- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1277

Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek (A) ren Vorstellungen ein umfassender Schutz von Betriebs- sonderes Anliegen; so haben Sie sich, Herr Goldmann, (C) und Geschäftsgeheimnissen gewährleistet werden. Be- in der letzten Legislaturperiode auch bezüglich des Ver- triebs- und Geschäftsgeheimnisse – das ist eine Grund- mittlungsausschusses immer eingelassen – als ein wich- satzposition unseres Hauses – sollen nicht offenbart wer- tiges Kriterium sehen. Ich muss aber ganz klar und deut- den. lich sagen: Bei Rechtsverstößen ist es natürlich eine spannende Frage, wie in diesem Fall der Informationsan- Vizepräsident Wolfgang Thierse: spruch gestaltet werden kann. Wir sind im Augenblick Nachfragen dazu? dabei, diesen Sachverhalt im Zusammenhang mit der Er- stellung des Gesetzentwurfes zu prüfen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Ja, selbstverständlich, Herr Präsident. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Bitte schön, Kollegin Höfken. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön. Auch ich bin brennend daran interessiert, Näheres dazu zu erfahren. Herr Staatssekretär, ist der Tatbestand Hans-Michael Goldmann (FDP): der wirtschaftlichen Täuschung auch im Verbraucherin- Ich habe eine Nachfrage zu dem Verbraucherinforma- formationsgesetz erfasst und gibt es in diesem Bereich tionsgesetz, das die Bundesregierung auf den Weg brin- ein aktives und passives Informationsrecht bzw. eine ak- gen will. Wie wollen Sie, Herr Staatssekretär, denn die- tive und passive Informationspflicht? ses Verbraucherinformationsgesetz – vielleicht gibt es dazu ja schon Vorstellungen – in bestehende gesetzliche Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Regelungen wie zum Beispiel die Informationsfreiheits- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- gesetze, die es auf Bundes- und Länderebene gibt, inte- cherschutz: grieren oder wollen Sie auch das erst mit den Länderver- tretern besprechen? In der Tat wird im Augenblick bei uns geprüft, ob bei der anstehenden Novellierung von Gesetzen zum Le- bensmittelrecht und eventuell bei einem eigenständigen Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Entwurf zum Verbraucherinformationsgesetz die Fragen desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- der aktiven und der passiven Rolle ausgewogen gestaltet cherschutz: werden müssen. Beim aktiven Recht geht es ja um die Hier geht es in der Tat um die äußerst spannende Fragen: Was kann die Behörde selbst im Rahmen eines (B) Frage, ob im IFG abschließende Regelungen für diesen bestimmten Falles tun? Wie kann sie informieren? Das (D) Fall vorgesehen sind oder ob die Rechtsmeinung zutrifft, passive Recht beinhaltet die Frage: Welche Fragen kön- dass tatsächlich noch Formulierungen zum Schutze von nen die Bürger im Laufe eines Verfahrens den zuständi- Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eingefügt werden gen Behörden stellen und welche Antworten müssen müssen, die über die jetzige Rechtslage hinausgehen. dann von den Behörden gegeben werden? Das alles ist Diese Rechtsfrage wird im Augenblick geprüft. Aus die- eng miteinander verwoben. Wir werden das in dem Ge- sem Grunde kann ich Ihnen nicht mehr als den Hinweis setzentwurf, den wir im Augenblick vorbereiten, mitei- auf diesen Rechtsstreit mitteilen. nander abstimmen und harmonisiert in einem Artikelge- setz, das dann zum Beispiel Regelungen zu einem Vizepräsident Wolfgang Thierse: bestimmten Gesetz beim Lebensmittelrecht und zum Noch einmal. Verbraucherinformationsgesetz enthält, zusammenfas- sen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht andeu- Vizepräsident Wolfgang Thierse: tungsweise darlegen, welche Absichten Sie verfolgen Jetzt kommen wir zu den Fragen des Kollegen – ich nehme an, dass Sie präventiv gegen Fleischskan- Geisen, zunächst zur Frage 9: dale wirken wollen – und was bisher konzeptionell im Plant die Bundesregierung, in dem vom Bundesminister Hause angedacht ist, um konsequenter gegen Fleisch- für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst skandale vorzugehen? Seehofer, vorgeschlagenen Verbraucherinformationsgesetz ei- nen unmittelbaren Auskunftsanspruch von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen Unternehmen zu verankern, und, Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- falls ja, aus welchen Gründen? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Herr Goldmann, ich habe großen Respekt vor der Art desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- und Weise, in der Sie immer wieder versuchen, zu einem cherschutz: internen Beratungsstand Informationen zu bekommen. Herr Kollege Geisen, Herr Bundesminister Seehofer Ich kann an dieser Stelle nur auf den augenblicklichen hatte die Absicht, am heutigen Tag in einem Gespräch Sachstand hinweisen. Ich habe schon angedeutet – das mit den Wirtschaftsverbänden und einzelnen Unterneh- möchte ich noch einmal positiv erwähnen –, dass wir das men die Möglichkeit der Einbeziehung der Wirtschaft in Betriebs- und Geschäftsgeheimnis – Ihnen ist es ein be- eine verbesserte Verbraucherinformation zu erörtern, um 1278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek (A) eventuell Vorschläge aus der Praxis bei dem jetzt anste- gelung zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen (C) henden Erarbeitungsverfahren zu diesem Gesetzeswerk Verbraucherinformation auch berechtigte Belange be- einzubeziehen. Leider musste das Gespräch aufgrund troffener Dritter bei der Bearbeitung eines Auskunftsbe- der aktuellen Entwicklung im Zusammenhang mit der gehrens insbesondere durch verfahrensmäßige Absiche- Vogelgrippe kurzfristig abgesetzt werden. Es besteht rungen zu berücksichtigen sind. aber die Absicht aller Beteiligten, dieses Gespräch bald- möglichst nachzuholen, weil diese Fragen für die Ausge- Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): staltung eines Regierungsentwurfs von großer Bedeu- tung sind. Vielen Dank.

Vizepräsident Wolfgang Thierse: Vizepräsident Wolfgang Thierse: Nachfrage. Danke schön. – Wir kommen damit zur Frage 11 der Kollegin Schuster, FDP-Fraktion: Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Wie will die Bundesregierung ein angekündigtes Verbrau- Herr Staatssekretär, wenn ich eine Nachfrage stellen cherinformationsgesetz ausgestalten, damit komplexe und darf: Plant die Bundesregierung den Ausschluss der In- fachspezifische Daten in allgemein verständlicher und für die formationsweitergabe bei Daten, die Gegenstand eines Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbarer Weise herausgegeben werden? laufenden Verwaltungsverfahrens sind, und, falls ja, wa- rum, falls nein, warum nicht? Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: cherschutz: Frau Kollegin Schuster, die Bundesregierung wird Dazu kann ich noch nichts sagen, weil die Planungs- sich dafür einsetzen, dass die genannte gesetzliche Rege- absicht in unserem Hause noch nicht endgültig zum Ab- lung eine Bestimmung enthält, wonach die an die Ver- schluss gebracht worden ist. braucherinnen und Verbraucher herauszugebenden In- formationen verständlich dargestellt werden sollen. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Eine zweite Frage: Wird die Bundesregierung die SES 90/DIE GRÜNEN) Weitergabe und Veröffentlichung von in der Vergangen- (B) heit liegenden Sachverhalten, insbesondere von Verstö- (D) ßen gegen das Lebensmittelrecht, bei denen aber keine Vizepräsident Wolfgang Thierse: Gefahr mehr für die Verbraucherinnen und Verbraucher Bitte, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage. besteht, künftig zulassen, auch wenn dadurch die Gefahr der Berufsschädigung für Unternehmen besteht, und, Marina Schuster (FDP): falls ja, aus welchen Gründen hält die Bundesregierung dies insbesondere für mit der Verfassung vereinbar? Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, meine Nachfrage betrifft die Verbraucherinnen und Verbrau- cher. Plant die Bundesregierung, die Auskunftserteilung Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- durch die Behörden gegenüber den Verbrauchern kosten- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- pflichtig zu gestalten? Falls ja: In welchem Rahmen sol- cherschutz: len sich die Gebühren bewegen? Mich interessiert, ob Auch dazu, Herr Kollege Geisen, muss ich Ihnen mit- sich die Höhe dieser Gebühren an dem Informationsfrei- teilen, dass die endgültige Entscheidung in unserem heitsgesetz oder dem Umweltinformationsgesetz orien- Hause zu diesem Gesetzentwurf noch nicht getroffen ist, tieren wird. sodass ich Ihnen hierzu im Detail keine Antwort geben kann. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Wolfgang Thierse: desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Dann kommen wir zur Frage 10 des Kollegen Geisen: Wie will die Bundesregierung die Unternehmen allgemein Auch dazu muss ich klar und deutlich sagen, dass eine an dem Prozess der Information und Auskunft durch die Be- endgültige Entscheidung darüber noch nicht getroffen hörden, die ein Auskunftsbegehren eines Verbrauchers gemäß worden ist. Die Problemlage, auf die sich auch Ihr be- dem geplanten Verbraucherinformationsgesetz bearbeiten, be- rechtigter Hinweis bezogen hat, ist bekannt. Es ist sinn- teiligen, insbesondere durch Anhörungs- und Einspruchs- voll, hier eine Abgleichung vorzunehmen. Aber ich kann rechte? noch nicht sagen, wie die endgültige Entscheidung aus- sehen wird. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Vizepräsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Geisen, die Bundesregierung wird dafür Jetzt zunächst der Kollege Goldmann mit seiner Zwi- Sorge tragen, dass bei der geplanten gesetzlichen Re- schenfrage. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1279

(A) Hans-Michael Goldmann (FDP): ist oder nicht, dann muss der Sachverhalt so aufbereitet (C) Herr Staatssekretär, können Sie in groben Zügen dar- werden, dass der interessierte Internetbenutzer erkennt, stellen, was Inhalt dieser „verständlichen Aufbereitung“ dass es viele Meinungen und nicht eine einzige Meinung sein soll und welcher personelle – und damit kostenmä- gibt. Dieses Problem ist bekannt. Mit den Ländern muss ßige – Aufwand nach Ihrer Meinung nötig ist, um diese erörtert werden, wie man praktikabel vorgehen kann. sicherzustellen? Sie können dazu einmal ins Internet schauen. Da sind konzeptionelle Vorstellungen Ihres Vizepräsident Wolfgang Thierse: Hauses zu finden. Wie Sie sicherlich wissen, ist einer der Kollegin Höfken hat auch noch eine Nachfrage. Juckepunkte, wie sich der Kostenrahmen beim Verbrau- cherinformationsgesetz entwickelt. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben heute im Ausschuss auch schon ein wenig Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- über dieses Thema diskutiert. Sie konnten leider nicht desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- anwesend sein. Daher ist es ein bisschen gemein, wenn cherschutz: Sie jetzt gefragt werden. Aber so ist es nun einmal. Herr Goldmann, Sie haben in der letzten Legislatur- periode monatelang an den Beratungen teilgenommen. Wir haben uns ausführlich mit dem Wildfleischskan- Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die Länder zu dal beschäftigt und haben, wie ich denke, im Großen und dieser Verpflichtung immer eine gewisse reservierte Hal- Ganzen übereinstimmend festgestellt, dass es sich um ei- tung einnahmen. Denn diese Vorgehensweise ist perso- nen unsäglichen Skandal handelt, der die Landwirtschaft nal- und damit kostenaufwendig. Ich weiß nicht, wie Sie und die gesamte Lebensmittelbranche in Verruf bringt. damals im Vermittlungsverfahren abgestimmt haben Aus diesem Skandal muss eine Vielzahl von Konsequen- zen gezogen werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir waren dagegen! Sie damals auch!) In diesem Zusammenhang ist das Verbraucherinfor- mationsgesetz von besonderer Bedeutung. Meine Frage – Sie waren also dagegen; jetzt verstehe ich Ihre Frage –, dazu lautet: Gedenken Sie aus dem Wildfleischskandal aber jedenfalls ist seinerzeit vereinbart worden, dass die – wie Umetikettierung und Neudeklaration, Auftauen Informationen für die Verbraucherinnen und Verbrau- von Tiefkühlware und Verkauf als frische Ware – ent- cher verständlich dargestellt werden sollen. Das war sprechende Konsequenzen für das Verbraucherinforma- Konsens im Vermittlungsausschuss. Niemand in der tionsgesetz zu ziehen? Bundesregierung und in diesem Hohen Hause käme doch auf die Idee, eine andere Forderung zu erheben. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- (B) desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- (D) Vizepräsident Wolfgang Thierse: cherschutz: Ich gebe jetzt Kollegin Schuster die Gelegenheit zu Frau Höfken, alle Vorkommnisse und alle Tatbe- ihrer zweiten Nachfrage. stände, die Sie gerade angesprochen haben, müssen vom Sachverhalt her beurteilt und gewichtet werden. Daraus Marina Schuster (FDP): müssen dann Konsequenzen hinsichtlich der Praktikabi- Danke, Herr Präsident. – Auch auf die Gefahr hin, lität der neuen gesetzlichen Regelungen gezogen werden. dass es aus den bekannten Gründen jetzt keine Antwort Aus diesem Grunde ist es eine dringende Notwendigkeit, gibt, möchte ich fragen: Will die Bundesregierung die diese Fragen in den Gesprächen mit den Ländern, die Behörden zu weiter gehenden Veröffentlichungen, also teilweise die allein zuständigen Vollzugsbehörden sind, auch ohne konkretes Auskunftsbegehren eines Verbrau- zu erörtern und darüber nachzudenken, welche Konse- chers, insbesondere unter der Nutzung des Internets ge- quenzen für die Formulierung der Gesetzesbestimmun- setzlich verpflichten? Aus welchen Gründen sieht die gen gezogen werden müssen. Daher kann ich nur sagen: Bundesregierung den bestehenden § 40 des Lebensmit- Wir sind bereit, alle Vorkommnisse in die Überprüfung tel- und Futtermittelgesetzbuches als nicht ausreichend einzubeziehen. an? Vizepräsident Wolfgang Thierse: Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dann der Kollege Beck. desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe Verständnis dafür, dass Sie Kenntnis über Herr Staatssekretär, über den Diskurs, den wir zu den die genauen Formulierungen haben wollen. Aber es Fragen der FDP-Fraktion im Zusammenhang mit dem existiert noch nicht einmal ein Referentenentwurf. Ihre Verbraucherinformationsgesetz führen, bin ich insge- Fragen sind zwar berechtigt – damit treffen Sie den Kern samt etwas verwundert. Denn im Wesentlichen sagen Sie der Probleme, Hochachtung! –, aber sie werden etwas zu uns: Informationen müssen verständlich sein. Über alles früh gestellt, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben muss geredet werden. – Das sind sehr pauschale Aus- darf. künfte. Wie erklären Sie es sich, dass man in dieser Fra- Ich muss klar und deutlich sagen: Die Probleme sind gestunde den Eindruck gewinnen muss, dass die Bun- bekannt. Wenn es wissenschaftlichen Streit in der Frage desregierung nicht weiß, was sie im Zusammenhang mit der Bewertung gibt, zum Beispiel ob etwas genotoxisch dem Verbraucherinformationsgesetz will, bzw. Sie uns 1280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Volker Beck (Köln) (A) dies nicht sagen dürfen, angesichts der Tatsache, dass ein Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) Entwurf dieses Gesetzes für Ende Januar angekündigt desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- war und seit Dezember ein Gesetzentwurf unserer Frak- cherschutz: tion dem Ausschuss vorliegt? Es steht Ihnen frei, von Den ersten Aspekt Ihrer Frage kann ich bejahen. Ich diesem Gesetzentwurf abzuschreiben, wenn Sie selber will ausdrücklich betonen, Frau Wolff, dass aktuell Ge- nicht mehr weiterwissen. Können Sie mir, falls Sie dem spräche mit den betroffenen Bereichen der Wirtschaft, Eindruck widersprechen wollen, dass Sie hier nur sehr den zuständigen Behörden und den Ländern geführt wer- allgemein und an der Sache vorbei antworten, im Gegen- den, um abzuchecken, ob uns eine Gesetzesformulie- zug, um mich vom Gegenteil zu überzeugen, sagen, in rung, die wir eventuell vorschlagen wollen, auch tatsäch- welchen Punkten sich die Vorstellung der Bundesregie- lich in der Praxis einen Schritt weiterbringen würde. Das rung vom Gesetzentwurf der Grünen, der schriftlich vor- ist ein ganz normales Verfahren, das in Gesetzesverfah- liegt, unterscheidet? ren bei der Erarbeitung von Entwürfen immer ange- wandt wird. In der Praxis gibt es da kein Abweichen. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Ich kann also feststellen: Gespräche mit interessierten desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Kreisen sind fest terminiert. Nach Abschluss dieser Ge- cherschutz: spräche werden wir einen Referentenentwurf erstellen. Darüber hinaus wird es so sein, dass wir, wie es nach der Zunächst einmal muss ich mit aller Entschiedenheit Geschäftsordnung die Pflicht unseres Hauses ist, in ei- den Vorwurf zurückweisen, die Bundesregierung in mei- nen engen Dialog mit dem Gesetzgeber, nämlich mit die- ner Person rede an der Sache vorbei. Ganz im Gegenteil: sem Hohen Hause, treten, das dieses Gesetz letztlich ver- Ich habe Ihnen den Beratungsbedarf und den Arbeits- abschieden wird. stand innerhalb der Bundesregierung bzw. des Ministeri- ums exakt geschildert. Ich bin der Ansicht – das ist der Sachverhalt –, dass Informationen umfassend und kor- Vizepräsident Wolfgang Thierse: rekt erfolgen müssen. All die Punkte, die hier inhaltlich Nun noch Kollege Goldmann. angesprochen worden sind, müssen in der Tat bei der rechtlichen Ausformulierung besonders berücksichtigt Hans-Michael Goldmann (FDP): werden. Wenn der Referentenentwurf in unserem Hause Herr Staatssekretär, nach meiner Einschätzung haben fertig gestellt sein wird, wird das Verfahren so ablaufen, die Ungereimtheiten beim Fleischskandal sehr viel mit wie Gesetzgebungsverfahren bei allen Bundesregierun- „regionaler Verfilzung“ zu tun. Ist in Ihren Vorstellun- gen – auch zu Ihrer Zeit, als Sie in der Regierung waren – gen, die Sie heute Morgen Vertretern von Verbänden und abgelaufen sind: Dann wird der Referentenentwurf so- Parteien dargelegt haben und die Sie heute Nachmittag (B) wohl der Bundesregierung als auch dem Ausschuss und den Verbraucherschutzministern zur Kenntnis geben, der (D) den interessierten Kreisen für eine breitere Diskussion Gesichtspunkt einer fachlichen, informativen Meinungs- zur Verfügung gestellt. führerschaft des Bundes gegenüber den Ländern berück- sichtigt, oder ist das von Ihnen nicht angedacht? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zu den Differenzen können Sie nichts Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- sagen?) desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- – Herr Beck, ich kenne keine Differenzen in der Sache. cherschutz: Generell ist zu sagen, dass wir im Rahmen des Bund- Länder-Verhaltens von dem Grundsatz der Kooperation Vizepräsident Wolfgang Thierse: ausgehen. Es muss ein gemeinsames Vertrauensverhält- Jetzt Kollegin Wolff und dann Kollege Goldmann. nis geben. Das ist sogar ein tragender Grundsatz der Ver- Dann sollten wir die Frage 12 abschließen und zur fassung. Unter diesem Gesichtspunkt beantworte ich nächsten übergehen. Ihre Frage nicht positiv. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Also keine Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Taskforce?) Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme – Das ist durchaus nicht ausgeschlossen. Auch eine – auch ich bin im Übrigen der Meinung, dass wir diese Taskforce ist im Gespräch. Hierzu gibt es aber noch Frage abschließen sollten –, dass das, was in der Bundes- keine verbindliche Entscheidung. regierung jetzt vorbereitet wird, mit allen Betroffenen besprochen wird? Soweit mir bekannt ist, ist das bisher Vizepräsident Wolfgang Thierse: der Fall gewesen. Vielleicht könnten Sie den Parlamen- tariern noch erklären, dass, wenn ein Gesetzentwurf auf Wenn ich richtig aufgepasst habe, kommen wir jetzt zur Frage 12 der Kollegin Schuster. – War die schon be- den Tisch kommt, das Parlament gefragt ist und alle Kol- antwortet? – Entschuldigung, dann zur Frage 13 der Kol- leginnen und Kollegen – jedenfalls kenne ich das so aus legin Höfken: den sieben Jahren meiner Parlamentsarbeit – dann die Möglichkeit haben, an diesem Gesetz mitzuarbeiten. Wird die Bundesregierung die fehlenden toxikologischen Daten, die für eine Gesamtbewertung der Gesundheitsgefähr- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dung durch Isopropylthioxanton, ITX, erforderlich sind, erhe- ben oder von der Verpackungsindustrie einfordern, um zu ei- NEN]: Ein Gesetzentwurf liegt ja auf dem ner abschließenden Empfehlung für die Verwendung dieser Tisch! Aber nicht von Ihnen!) Chemikalie zu kommen? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1281

(A) Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Wolfgang Thierse: (C) desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Haben Sie eine weitere Nachfrage dazu? – Dann kön- cherschutz: nen wir zur Frage 14 der Kollegin Höfken übergehen: Frau Höfken, in ihren Stellungnahmen kommen die Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass angesichts europäischen Behörden für Lebensmittelsicherheit und der ungeklärten toxikologischen Bewertung der Chemikalie ITX das Bundesinstitut für Risikobewertung zu dem Schluss, in Kartonsäften und den von der Deutschen Umwelthilfe ge- dass die ITX-Rückstände in Lebensmitteln nach dem jet- fundenen Belastungen in Höhe von bis zu 447 Mikrogramm zigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht geno- pro Kilogramm in einzelnen Säften, die den österreichischen Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kilogramm erheblich toxisch sind. Für eine vollständige gesundheitliche Be- überschreiten, eine Aktion des Rückrufs der belasteten Säfte wertung sind zusätzliche Daten zur toxischen Wirkung, durch die Behörden und Unternehmen durchzuführen ist? zur Bioverfügbarkeit und zur Toxizität dieses Stoffes er- forderlich. Es obliegt der Industrie, diese weiteren Daten zur Verfügung zu stellen. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Das BMELV ist mit den Ländern und den beteiligten cherschutz: Wirtschaftskreisen bezüglich eines nationalen Orientie- Nach Angaben der österreichischen Regierung ist rungswertes für ITX im Gespräch. In Kontakt mit der vorgesehen, zum Vorkommen von ITX eine Empfehlung Wirtschaft sollen tragfähige Lösungen entwickelt wer- zu erarbeiten. Einen Grenzwert für ITX gibt es in Öster- den, die dem Problem gerecht werden. Wie bekannt ist, reich nicht. hat unter anderem Tetra Pak angekündigt, die Belastun- gen deutlich zu minimieren. In diesem Zusammenhang Für die Überwachung des Verkehrs mit Lebensmitteln wird aber geprüft, ob ein EU-weites Vorgehen, zum Bei- sind in der Bundesrepublik Deutschland die Länderbe- spiel die Festlegung einheitlicher Beurteilungskriterien hörden zuständig. Das Bundesinstitut für Risikobewer- einschließlich der eventuellen Schließung von Datenlü- tung hat in seiner Empfehlung im Rahmen der Bewer- cken, auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist. tung von ITX dargelegt, dass die bisher von der Industrie vorliegenden toxikologischen Daten zum Ausschluss der Es war vorgesehen, Frau Höfken, auch diesen Sach- Genotoxizität für die Bewertung mit einem maximalen verhalt in dieser Woche zu erörtern. Die Termine waren Übergang von 50 Milligramm pro Kilogramm in Le- schon vereinbart, sowohl mit Vertretern der Wirtschaft bensmitteln ausreichen. Zu diesem Schluss kommt auch als auch mit Vertretern der zuständigen Länder. Inwie- die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit in weit sich die beiden Termine in dieser Woche aufrechter- ihrer Bewertung. Diese Empfehlungen der beiden Stel- halten lassen, kann ich heute nicht beurteilen. len liegen den zuständigen Länderbehörden vor. (B) (D) Vizepräsident Wolfgang Thierse: Vizepräsident Wolfgang Thierse: Bitte, Kollegin Höfken. Bitte schön. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das In- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): strument REACH, das es ermöglicht, Aufschluss über Ich würde gerne noch wissen, ob Sie in dem Zusam- die Daten solcher Altlasten zu geben? Sind Sie nicht menhang nicht eine Rückrufaktion für erforderlich hal- auch der Auffassung, dass es völlig ungerechtfertigt ist, ten, weil der Wert doch sehr hoch ist. Ganz allgemein wenn die Bundesregierung die Bestimmungen in kann man doch sagen: Druckereierzeugnisse gehören REACH in Brüssel derart massiv einschränkt und hier wohl kaum in Säfte. nicht die notwendigen Informationen über möglicher- weise gefährliche Altlasten gibt? Wann rechnen Sie – das ist meine zweite Frage – mit dem Abschluss der Datenerhebung? Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- cherschutz: desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Gefährliche Altlasten müssen – das ist unbestritten cherschutz: und war immer Position der Bundesregierung – eindeu- Zunächst einmal kann ich für die Bundesregierung sa- tig benannt werden. Dazu bedarf es eines entsprechen- gen, dass wir Ihrer Meinung sind: Solche Druckermittel den Prüfverfahrens. dürfen natürlich nicht in Lebensmitteln anzufinden sein. Wir werden auch alles tun und die Wirtschaft darauf hin- Die entscheidende Frage in der letzten Legislaturperi- weisen, dass Verfahren geändert werden müssen, damit ode war ja, ob all die Verfahrensbestimmungen, die im solche Gefahren von vornherein ausgeschaltet sind. Es ersten Entwurf zu REACH von der Kommission ange- hat bereits Mitte Dezember Gespräche zwischen Vertre- dacht waren, tatsächlich notwendig sind, um Gefahrensi- tern unseres Hauses und denen der betroffenen Wirt- tuationen zu beschreiben. Es gab unterschiedliche An- schaft dazu gegeben. Diese hat in den Gesprächen zuge- sichten darüber. Wir sind der Ansicht, dass das, was jetzt sagt, die Verfahren sofort zu verändern. auf europäischer Ebene zu REACH vereinbart worden ist, ausreicht, um Gefahrenlagen, wie sie jetzt bei ITX (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben aufgetreten sind, zu beschreiben. das auch gemacht!) 1282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Parl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek (A) – Das wollte ich gerade sagen. Das ist erfolgt, sodass wir Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der (C) jetzt davon ausgehen können, dass die Verfahren, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- zum Eintrag der Stoffe geführt haben, nicht mehr ange- gend: wandt werden. Wir wollen in dieser Woche mit der Wirt- Konkret aus Anlass des Internationalen Frauentages schaft sprechen, ob das Verfahren, das wir angestrebt ha- wird die Bundesregierung am Vorabend in Berlin ein ben, in der Sache auch ausreichend ist oder ob noch bundesweites Frauen-Business-Mentoring mit dem Titel weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wir ste- „Von Vorbildern lernen“ durchführen lassen. Die Mento- hen also in Kontakt mit der Wirtschaft, um mögliche Ge- ringfachtagung wird von der Käte-Ahlmann-Stiftung or- fahrenquellen von vornherein zu beseitigen. ganisiert. Es ist die Abschlussveranstaltung eines sehr erfolgreichen Modellprojektes, das vom Ministerium fi- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nanziert wurde. Die Käte-Ahlmann-Stiftung als Organi- Sind denn jetzt alle Verfahren geändert? satorin setzt damit das erste bundesweite Mentoringpro- gramm von Unternehmerinnen für Unternehmerinnen erfolgreich um. Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Über den konkreten Anlass des Internationalen Frau- cherschutz: entages hinaus sind im weiteren Verlauf der Legislatur- Soweit ich das im Augenblick beurteilen kann – das periode zahlreiche Projekte und Initiativen im Bereich muss ich an dieser Stelle etwas vorsichtig sagen –, sind der Gleichstellungspolitik vorgesehen. deutliche Minderungen eingetreten. Man hat mir gesagt, man könne nach dem jetzigen Stand davon ausgehen, Vizepräsident Wolfgang Thierse: dass fast alle Verfahren geändert worden sind. Wir wer- Kollegin Lötzsch, bitte. den auch dazu in dieser Woche eine Information seitens der Wirtschaft bekommen. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vizepräsident Wolfgang Thierse: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Die Kollegin Schuster hat mir signalisiert, dass ich dankenswerterweise haben Sie in Ihrer Antwort den di- doch Recht hatte und die Frage 12 der Kollegin Schuster rekten Bezug auf den Internationalen Frauentag genom- noch nicht beantwortet ist. Ich rufe sie daher auf: men. Ich habe auf der Homepage Ihres Ministeriums den Suchbegriff „Frauentag“ eingegeben. Dort erschien je- Wie will die Bundesregierung insbesondere vermeiden, dass Informationen dadurch missverständlich werden, dass sie doch kein Stichwort. Vielleicht können Sie eine entspre- aus dem Zusammenhang gerissen an die Öffentlichkeit oder chende Änderung veranlassen, damit das der Öffentlich- (B) an einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher herausgege- keit bekannt gegeben wird. (D) ben werden? Sie haben gesagt, Sie planen zahlreiche Initiativen. Herr Staatssekretär. Mich würde interessieren, welche Initiativen die Bun- desregierung noch in diesem Jahr plant, um die Gleich- Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- stellung von Frauen und Männern zu fördern. Können desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Sie Beispiele nennen? cherschutz: Frau Schuster, die in der Antwort auf eine vorherge- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der hende Frage – ich weiß nicht, ob es eine von Ihnen war – Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- genannte Bestimmung kann im Einzelfall natürlich auch gend: erfordern, dass herauszugebende Informationen aufbe- reitet, mit Erläuterungen versehen oder im Zusammen- Ja. Zunächst einmal vielen Dank für die Anregung zur hang dargestellt werden. Gestaltung der Homepage. Ich werde das im Haus ent- sprechend weitergeben. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Konkret planen wir – auch gemäß Koalitionsvertrag – Bitte. einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Män- nern. Die Bundesregierung wird dazu eine Stellung- Marina Schuster (FDP): nahme abgeben. Es ist eine Regierungserklärung vorge- Ich habe keine Nachfrage, danke. sehen. In dieser sollen weitere Fortschritte aufgezeigt werden. Die verbliebenen Defizite sollen offen gelegt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen gezogen Vizepräsident Wolfgang Thierse: werden. Die Grundlage für diesen Bericht wird der kom- Danke schön. mentierte Datenreport sein, der 2005 im Auftrag des Dann kommen wir zum nächsten Geschäftsbereich, BMFSFJ durch das Deutsche Jugendinstitut erstellt wor- und zwar dem des Bundesministeriums für Familie, Se- den ist. nioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Als weiteren Punkt – neben vielen anderen – möchte Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung. ich nennen: Es wird einen Bericht zu den Auswirkungen Wir kommen zur Frage 15 der Kollegin Lötzsch: des Prostitutionsgesetzes geben, beispielsweise zur Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung in diesem Frage, ob die damit verbundenen Erwartungen erfüllt Jahr anlässlich des Internationalen Frauentages? wurden. Eine Frage, über die viel diskutiert wurde und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1283

Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues (A) die in diesem Zusammenhang auch erörtert werden Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) muss, ist, welche Konsequenzen sich aus dem Prostitu- Frau Staatssekretärin, vielen Dank für Ihre Antwort. tionsgesetz für die Strafverfolgung von Menschenhandel Ich habe eine Nachfrage. Es mag zwar sein, dass für ein ergeben haben. Dazu gibt es verschiedene Hypothesen solches Ausbauvorhaben die Daten – 2008 und 2010 – und Behauptungen. Dies soll untersucht werden. ganz gut sind, aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Fertigstellung damals von Herrn Waigel für 2004 ange- Des Weiteren soll der Aktionsplan zur Bekämpfung kündigt wurde, ist es trotzdem zu spät. Wenn jetzt die von Gewalt gegen Frauen fortgeschrieben werden. Trasse zwischen München und Ingolstadt in Betrieb Als Letztes will ich eine bundesweite Helpline „Ge- kommt, fallen 50 Prozent aller ICE-Verbindungen über walt gegen Frauen“ nennen. Augsburg aus. Über 27 000 Pendler sind davon betrof- fen. Welche Ratschläge werden Sie vonseiten der Bun- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): desregierung an die Pendler geben, wenn die Verbindung Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich komme noch nicht mehr gewährleistet ist? einmal auf Ihre ursprüngliche Antwort zur Frage zurück. Sie erwähnten das Mentoringprogramm. Welche weite- Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ren Initiativen plant die Bundesregierung, um Frauen zu minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: unterstützen, Führungspositionen in Wirtschaft und an- Eine zügige Fertigstellung ist geplant. Sie wissen, deren Bereichen der Gesellschaft zu erreichen? dass die Höhe der Haushaltsmittel hierbei eine Rolle ge- spielt hat. Die Planung und die Durchführung müssen Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der stringent durchgeführt werden. Wir haben schon einige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- fertig gestellte Abschnitte. Wir wissen, dass das notwen- gend: dig ist. Deshalb bauen wir den Schienenverkehr aus. Wir werden das Mentoringprogramm, das erfolgreich durchgeführt wurde, auswerten und dann in der Regie- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rungserklärung zum Gleichstellungsbericht die notwen- Darf ich noch eine Nachfrage stellen? digen Konsequenzen aufzeigen. Das werden wir mit den anderen Ressorts abstimmen, damit es handfest wird. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Ja. Vizepräsident Wolfgang Thierse: Danke schön. – Die Fragen 16 und 17 der Kollegin Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lenke werden schriftlich beantwortet, da sie nicht im (B) Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie guten Willens sind. (D) Saal ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung Aber während die Kürzungen der Bahn auf dieser Stre- vorgesehen. cke, jetzt im Februar angekündigt, zum nächsten Fahr- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- planwechsel kommen werden, dauert es bis zur Fertig- desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. stellung des Ausbaus noch ein paar Jahre. Für die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth steht zur Region Schwaben ist das ein großes Desaster, weil sie so Beantwortung bereit. auch wirtschaftlich abgehängt wird. Wie übernimmt die Bundesregierung ihre Verantwortung, dieses wirtschaft- Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Döring werden liche Defizit, das durch den Wegfall der ICE-Verbindung schriftlich beantwortet. entstehen wird, wettzumachen? Ist Ihnen in der Bundes- Damit sind wir bei der Frage 20 der Kollegin Ekin regierung dieses Problem bewusst und gibt es schon Ge- Deligöz: genmaßnahmen? Welche Informationen hat die Bundesregierung über den Abfluss der Mittel für die Fertigstellung des vierspurigen Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Ausbaus der Bahnstrecke zwischen Augsburg und München minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: und gibt es Informationen darüber, wann die Fertigstellung endgültig erfolgen soll? Es ist eine Hypothese, zu sagen, dass die Verzögerung des Ausbaus Nachteile für die Region mit sich bringt. Wir gehen davon aus, dass die Planungen, die vonseiten Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- des Bundes vorgenommen wurden, notwendig und rich- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: tig waren und den dortigen Wirtschaftsraum unterstützen Verehrte Kollegin Deligöz, ich habe eine für Sie si- und beflügeln werden. Wir denken aber nicht, dass diese cherlich erfreuliche Antwort. Die Fertigstellungen und Maßnahme negative Auswirkungen auf die gesamte Inbetriebnahmen sind wie folgt vorgesehen: für den Ab- Wirtschaft haben wird. schnitt Augsburg–Mering bis Ende 2008, für den Ab- schnitt Mering–Olching Ende 2010 bzw. Anfang 2011. Der Mittelabfluss der DB Netz AG und der DB Station Vizepräsident Wolfgang Thierse: & Service AG beträgt inklusive der Planungskosten bis Damit sind wir bei der Frage 21 der Kollegin Ekin einschließlich November 2005 249,9 Millionen Euro. Deligöz: Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich der Berücksichtigung in der Bedarfsplanung zum Ausbau des Vizepräsident Wolfgang Thierse: Schienennetzes über den Bahnstreckenausbau zwischen Ulm Nachfragen zur Frage 20? und Oberstdorf, insbesondere zum geplanten Ausbau des Teil- 1284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Vizepräsident Wolfgang Thierse (A) stücks von Neu-Ulm nach Memmingen, und welche finanziel- Vizepräsident Wolfgang Thierse: (C) len Mittel des Bundes sind für die Realisierung des Projekts Danke schön. – Die Fragen zum Geschäftsbereich des eingeplant? Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit – Frage 22 des Kollegen Winfried Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Hermann sowie die Fragen 23 und 24 der Kollegin minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sylvia Kotting-Uhl – werden schriftlich beantwortet. Der Ausbau der Strecke Ulm–Memmingen–Oberst- dorf wurde in der Bedarfsplanung zum Ausbau des Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes- Schienennetzes nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Er- ministeriums für Bildung und Forschung. arbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2003 wurde Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekre- zum Ausbau der Strecke Ulm–Memmingen–Oberstdorf tär Andreas Storm zur Verfügung. Die Fragen 25 des eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt. Diese er- Kollegen Hans-Josef Fell sowie die Fragen 26 und 27 gab, dass aus Sicht des Schienengüterverkehrs und des der Kollegin Priska Hinz werden schriftlich beantwortet. Schienenpersonenverkehrs für diese Strecke kein Aus- baubedarf besteht. Ich rufe die Frage 28 der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke, auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass zur- Vizepräsident Wolfgang Thierse: zeit aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Haushaltsver- Kollegin Deligöz. handlungen keine Auszahlungen über den so genannten Ver- bändetitel, über den unter anderem Seminare politischer Studierendenorganisationen – Jungsozialisten, Ring Christ- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich-Demokratischer Studenten, bei der Gewerkschaft Erzie- Da Sie die Nachfrage, die ich vorhin gestellt habe, hung und Wissenschaft der Bundesausschuss der Studentin- nicht zufrieden stellend beantwortet haben, muss ich nen und Studenten, Freier Zusammenschluss von Student/inn/- enschaften usw. – gefördert werden, erfolgen, womit die Mög- darauf zurückkommen: Wenn 50 Prozent aller ICE-Ver- lichkeiten zur politischen Arbeit für die Betroffenen deutlich bindungen, die auf einer Strecke abgewickelt werden, eingeschränkt werden? gestrichen werden, aber nur durch sie die Anbindung an die Flughäfen und Großstädte in der Region gewährleis- Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- tet werden kann, dann hat das wirtschaftliche Nachteile. ministerin für Bildung und Forschung: Um diese Feststellung treffen zu können, braucht man Frau Kollegin, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: keine großartigen Expertisen durchzuführen; denn das Die Bundesregierung begrüßt die Arbeit der studenti- ist schon bekannt, und zwar auch bei der Bahn. schen Verbände auf dem Gebiet der politischen und kul- turellen Bildung. Im Jahr 2006 wird das Haushaltsgesetz (B) Inwieweit wird die Bundesregierung auf die Deutsche (D) Bahn AG und die Bayerische Staatsregierung Einfluss erst nach Beginn des Haushaltsjahres verkündet. Bis zu nehmen, damit Maßnahmen wie der Ausbau der Regio- diesem Zeitpunkt richtet sich die vorläufige Haushalts- nalstrecken eingeleitet werden, durch die insbesondere führung zur Wahrung der Budgethoheit des Parlamentes diese Region wieder gestärkt wird? nach Art. 111 Grundgesetz. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- betrachtet in dieser Zeit die geltenden verfassungsmäßi- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: gen Vorgaben. Danach können Ausgaben, zu denen be- Frau Kollegin, seit der Bahnreform sind die Länder, sagter Art. 111 Grundgesetz nicht ermächtigt, nur unter hier der Freistaat Bayern, für den regionalen Verkehr Beachtung sehr enger Voraussetzungen, nämlich einem bzw. den Schienenpersonennahverkehr zuständig, nicht unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnis, mit die Bundesregierung. Zustimmung des Bundesministers der Finanzen geleistet werden. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese engen Voraussetzungen für die Bewilligung Angesichts der Tatsache, dass CDU und CSU im von Zuwendungen sind nach Einschätzung der Bundes- Deutschen Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft bil- regierung im Falle der Förderung der Studentenverbände den, frage ich Sie: Inwieweit wird die Bundesregierung nicht erfüllt. Im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten im Interesse der Förderung der regionalen Wirtschaft ih- wird das Bundesbildungsministerium bemüht sein, nach ren Einfluss geltend machen? Oder werden Sie hier In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes 2006 etwaige Be- überhaupt nichts unternehmen? willigungsrückstände aufzuholen.

Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Vizepräsident Wolfgang Thierse: minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Kollegin Hirsch. Was Ihre Frage hinsichtlich unseres Einflusses auf den Freistaat Bayern betrifft, so muss ich Ihnen sagen: Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Wir gehen davon aus, dass die in der Region vorhande- Ich habe eine konkrete Nachfrage zu dem, was Sie zu- nen Bedarfe und Bedürfnisse bekannt sind. Über die letzt gesagt haben: Zahlreiche Vertreterinnen und Vertre- Verteilung der Regionalisierungsmittel entscheidet der ter der genannten Organisationen haben uns ihre Be- Freistaat Bayern aus seiner regionalen Sicht. Dabei soll fürchtung mitgeteilt, dass durch die faktische Verkürzung es auch bleiben. des Bewilligungszeitraums – die Haushaltsgesetzgebung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1285

Cornelia Hirsch (A) ist ja noch nicht erfolgt – insgesamt weniger Mittel für Vizepräsident Wolfgang Thierse: (C) die Seminarförderung zur Verfügung stehen werden. Nachfrage. Wird über so etwas diskutiert bzw. wie wird damit umge- gangen? Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Von den finanzschwächeren Bundesländern wurde Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Kritik an dieser Verfahrensweise geäußert, weil sie im ministerin für Bildung und Forschung: Zeitraum 2000 bis 2003 weniger Mittel zur Verfügung Die großen, leistungsstarken Verbände in diesem Be- gestellt bekommen haben und daher befürchten, dass reich sind bereits mit Schreiben vom 8. September 2005 sich diese Diskriminierung verfestigen wird. Inwieweit darüber unterrichtet worden, dass im Haushaltsjahr 2006 sieht die Bundesregierung hier im Zuge der geplanten diese besondere Situation besteht. Sie sind darüber hi- Föderalismusreform Nachbesserungsbedarf, beispiels- naus aufgefordert worden, zu überlegen, ob langfristig weise durch Änderung des Verteilungsschlüssels – Aus- eine zeitliche Verlagerung ihrer förderfähigen Maßnah- richtung an der Studierendenzahl oder ähnlichen Punk- men möglich wäre, zum Teil in das Jahr 2005 oder in das ten –, und inwieweit sieht die Bundesregierung die Jahr 2006. Im Übrigen wird sich die Situation dann erge- Notwendigkeit, diese Diskriminierung abzubauen? ben, wenn konkret Mittel bewilligt sind, also voraus- sichtlich im Frühsommer 2006. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung: Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Frau Abgeordnete Hirsch, ich darf auf meine vorhe- Ich verstehe nicht, warum Sie gesagt haben, dass nur rige Antwort verweisen: Der Verteilungsschlüssel ist von die Finanzstarken angeschrieben sind. Gerade die fi- den Ländern in der Föderalismuskommission so vorge- nanzschwächeren Organisationen haben doch besonde- schlagen und von uns akzeptiert worden. Die Bundesre- ren Bedarf: Sie sind darauf angewiesen, ihre Seminarför- gierung beabsichtigt nicht, auf eine Veränderung des derung, ihre politische Arbeit durch das BMBF zu Schlüssels hinzuwirken, weil dieser eine Angelegenheit finanzieren. der Länder ist.

Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): ministerin für Bildung und Forschung: Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die Frau Kollegin Hirsch, Sie waren in der Vergangenheit Studierendenquote deutlich steigern. Inwieweit sieht sie selbst in diesem Bereich aktiv. Man kann nicht sämtliche die Möglichkeit, nach einem Wegfall der Gemein- (B) Verbände anschreiben. Aber die Ihnen bekannten großen schaftsaufgabe „Hochschulbau“ eine Art gesamtstaat- (D) Verbände wie RCDS, Jusos, fzs oder GEW, die regelmä- liche Bildungsplanung vorzunehmen, damit die Hoch- ßig von der Förderung profitieren, sind mit diesem schulen ausreichend ausgebaut werden, um die größeren Schreiben vom September des Jahres 2005 informiert Studierendenzahlen aufzufangen? worden. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Vizepräsident Wolfgang Thierse: ministerin für Bildung und Forschung: Damit zur nächsten Frage der Kollegin Hirsch, Frau Abgeordnete, wenn, wie im Koalitionsvertrag Frage 29: vorgesehen, die Vorschläge der Föderalismuskommis- Aus welchen Gründen orientiert sich nach Kenntnis der sion umgesetzt werden, sind investive Maßnahmen im Bundesregierung die Zuweisung der Mittel für den Hoch- Bereich der Hochschulen Aufgabe der Länder. Im Übri- schulbau gemäß den im Koalitionsvertrag niedergeschriebe- gen darf ich darauf verweisen, dass die Bundesbildungs- nen Pläne zur Föderalismusreform an den abgerufenen Mit- teln der Jahre 2000 bis 2003? ministerin mit den Ministern der Länder Gespräche über die Vorbereitung eines möglichen Hochschulpaktes 2020 führt, der genau diese Punkte zum Gegenstand hat. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung: Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie Vizepräsident Wolfgang Thierse: folgt: Im Koalitionsvertrag ist auf der Basis der Vor- Danke schön. – Die Fragen 30 und 31 werden schrift- schläge der Föderalismuskommission eine Folgerege- lich beantwortet. lung für die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“, die Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- abgeschafft werden soll, vorgesehen: Ab dem 1. Januar desministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen be- 2007 sollen den Ländern jährliche Beträge aus dem antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Haushalt des Bundes als Ausgleich für den Wegfall sei- Andres. ner Finanzierungsanteile zustehen. Die Regelung zur Ich rufe zunächst die Frage 32 der Kollegin Brigitte Aufteilung des daraus resultierenden Betrages unter den Pothmer auf: Ländern beruht auf einer Verständigung zwischen den Ländervertretern in der Föderalismuskommission: Maß- Mit welchen konkreten Ausweichreaktionen auf die ge- geblich ist der Durchschnittsanteil eines jeden Landes an plante Erhöhung der Abgaben auf Minijobs im gewerblichen Bereich um 5 Prozent rechnet die Bundesregierung, wenn sie den allen Ländern tatsächlich zugewiesenen Bundesmit- unterstellt, dass durch die Erhöhung die Lohnsumme aus ge- teln im Zeitraum 2000 bis 2003. ringfügiger Beschäftigung um 15 Prozent sinken wird? 1286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Vizepräsident Wolfgang Thierse: (C) nister für Arbeit und Soziales: Bitte, Sie haben Gelegenheit zu Zusatzfragen. Herr Präsident! Frau Kollegin Pothmer, wenn Sie ein- verstanden sind, würde ich die Fragen 32 und 33 gerne Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zusammen beantworten. Geht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass der Herr Professor Friedrich Schneider, der auch gerne Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der „Papst der Schwarzarbeit“ genannt wird, in seinem letzten Report noch einmal darauf hingewiesen hat, dass Ich bin einverstanden. der Rückgang der Schwarzarbeit sowohl im Jahre 2004 als auch im Jahre 2005 mit der derzeitigen Regelung der Vizepräsident Wolfgang Thierse: Minijobs zu tun hat, nicht auch davon aus, dass eine Neuregelung zu einer erneuten Abwanderung der Inha- Dann rufe ich zusätzlich noch die Frage 33 auf: ber von Minijobs in die Schwarzarbeit führen würde? Mit welchen Nettomehreinnahmen für den Bundeshaus- halt durch die geplante Erhöhung der Abgaben auf Minijobs im gewerblichen Bereich um 5 Prozent rechnet die Bundesre- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- gierung, wenn nach eigenen Annahmen durch diese Erhöhung nister für Arbeit und Soziales: die Lohnsumme aus geringfügiger Beschäftigung um Frau Kollegin, wie ich Ihnen in meiner Antwort schon 15 Prozent sinken wird? gesagt habe: Es kann sein, es kann aber auch nicht sein. Bitte schön. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ja. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Sehr verehrte Frau Kollegin, offensichtlich beziehen minister für Arbeit und Soziales: Sie sich bei Ihren Fragen auf einen Arbeitsentwurf, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rah- Ich habe die Frage beantwortet. – Ich glaube, Sie wa- men der Vorbereitung des Haushaltsbegleitgesetzes dem ren in der vorletzten Woche auf einer ähnlichen Veran- Bundesminister der Finanzen zur Verfügung gestellt hat. staltung wie ich. Dort haben diejenigen, die sich mit den Dieser auf Arbeitsebene entwickelte Entwurf, der die Minijobs auseinander setzen, den Verlauf dargestellt. Im Umsetzung der von der Bundesregierung in Genshagen letzten Dreivierteljahr sank die Zahl der Minijobs um beschlossenen Erhöhung der Pauschalabgaben für ge- etwa 500 000. Dieses Instrument wird relativ flexibel ge- (D) (B) ringfügige Beschäftigungen im gewerblichen Bereich handhabt: Wenn es einen entsprechenden Bedarf gibt, von bisher 25 Prozent auf künftig 30 Prozent zum Ziel dann erhöht sich die Zahl, wenn nicht, dann geht sie wie- hat, basiert auf einer Modellrechnung, wie sich die Erhö- der zurück. hung der Beiträge um 5 Prozentpunkte und der Ansatz Ich kenne die aktuellen Zahlen von Herrn Schneider bestimmter Annahmen mathematisch auf die gesamte nicht. Deswegen will ich mich darauf auch nicht bezie- Lohnsumme auswirken könnten, wenn man Ausweich- hen. reaktionen unterstellt. Es ist nicht vorhersehbar, ob es überhaupt zu Aus- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): weichreaktionen kommen wird. Die Bundesregierung Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung. – Ich frage rechnet daher auch nicht mit einem Rückgang der Lohn- Sie: Warum stellen Sie eigentlich Modellrechnungen an, summe aus den Minijobs in Höhe von 15 Prozent. Die wenn Sie die Ergebnisse der Modellrechnungen doch für von Ihnen genannte Quote stellte lediglich den Wert ei- so beliebig halten? ner beispielhaften Modellrechnung und nicht die Ein- schätzung der Bundesregierung dar. Die Bundesregie- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- rung geht, netto betrachtet, insgesamt von deutlichen minister für Arbeit und Soziales: Mehreinnahmen in der Sozialversicherung durch die An- Nein, ich halte sie nicht für beliebig. Ich sage: Es hebung der Pauschalabgaben aus, selbst wenn es zu Aus- kann passieren, es kann sein. weichreaktionen kommen sollte. Diese Mehreinnahmen schaffen Spielraum für eine Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entlastung des Bundeshaushaltes, indem Zuweisungen Ah, ja. Wenn der Hahn kräht auf dem – – an die Sozialversicherung entsprechend reduziert wer- den. Die Höhe der nach Auffassung der Bundesregie- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- rung zu erwartenden Mehreinnahmen wird aktuell durch minister für Arbeit und Soziales: das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Ab- Mit einer Erhöhung der Abgaben kann in bestimmten stimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen Branchen das Sinken der Zahl der Beschäftigten einher- noch geprüft. Eine Bezifferung wird im Rahmen der gehen. Diese Branchen argumentieren auch damit, dass Vorlage des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes das passieren würde, und sagen: Dann werden wir die erfolgen, das nach derzeitiger Planung am 22. Februar Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich reduzieren. – 2006 im Bundeskabinett behandelt werden soll. Der DEHOGA und andere sagen das gegenwärtig. Ob Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1287

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) sie das dann real auch tun, ist noch einmal eine ganz an- Bundestag in seiner Entschließung zum 19. Tätigkeits- (C) dere Frage. Man kann das berechnen. bericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz ge- sehen, indem er auf die Überlegungen der Kommission Sie können sich vielleicht an die Erhöhung der Tabak- für einen solchen Gemeinschaftsrahmen hingewiesen steuer erinnern. hat. Dies ist in der Bundestagsdrucksache 15/4597 nach- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Allerdings kön- zulesen. Die Sachlage ist insoweit unverändert. nen wir das!) Es wurde gesagt: Wenn man sie erhöht, dann kommt das Vizepräsident Wolfgang Thierse: und das heraus. – Wenn es aber teurer wird und ganz Bitte schön, Kollegin Pau. viele das Rauchen einstellen, dann kommt gar nichts da- bei heraus. Man muss sich also anschauen, wie das ist. Petra Pau (DIE LINKE): Es ist schwierig, das vorherzusagen bzw. zu prognosti- Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Ihnen ist zieren. genau wie allen anderen Mitgliedern des Hohen Hauses sicherlich bekannt, dass ein Arbeitnehmerdatenschutz- Ich kann Ihnen sagen, wie das auf der Arbeitsebene gesetz seit 1986 aussteht und dies seitdem in Entschlie- gemacht wird. Wenn Sie das genauer kennen, wissen ßungen des Deutschen Bundestages an die wechselnden Sie, dass die jeweiligen Häuser mit dem Finanzminister Bundesregierungen regelmäßig gefordert wird. Deshalb verhandeln, wie viel oder wie wenig eingestellt werden interessiert mich der von der Bundesregierung in Aus- muss. Wenn man von einer relativ vorsichtigen An- sicht genommene Zeitrahmen. Wann, denken Sie, wer- nahme ausgeht, dann ist man umso freudiger überrascht, den wir in der Bundesrepublik ein Arbeitnehmerdaten- wenn die Einnahmen höher ausfallen als das, was man schutzgesetz haben? angenommen hat. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- NEN]: Das ist der Hintergrund Ihrer Modell- minister für Arbeit und Soziales: rechnung! Ich danke Ihnen, Herr Staatssekre- Ich kann Ihnen nicht sagen, wann wir ein solches Ge- tär!) setz haben werden. Wenn ich das könnte, ginge es mir – Bitte sehr. Das war kein Problem, Frau Kollegin. wahrscheinlich viel besser. Ich kann nur das wiederho- len, was ich Ihnen eben schon geantwortet habe: Wir warten auf das, was die Europäische Kommission dazu Vizepräsident Wolfgang Thierse: machen wird. Die Bundesregierung hält weiterhin an Eine Nachfrage dazu vom Kollegen Kolb. dem Vorhaben, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu (B) machen, fest. Dies wird nicht aufgegeben. Aber wir wol- (D) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): len doch sehen, was dazu auf europäischer Ebene pas- Herr Staatssekretär, ich möchte Sie gerne fragen, ob siert. Das hatte ich Ihnen in meiner Antwort schon mit- Ihnen Fälle bekannt sind, bei denen der Preis einer Ware geteilt. oder Dienstleistung erhöht wurde und sich infolge dieser Preiserhöhung die Nachfrage nach dieser Ware oder Petra Pau (DIE LINKE): Dienstleistung erhöht hat. Das könnte für das Hohe Haus Es tut mir Leid, dass es Ihnen offensichtlich nicht so anschaulich sein. gut geht, wie es sein sollte.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Mich interessiert dann noch, ob die Bundesregierung minister für Arbeit und Soziales: beabsichtigt, auf europäischer Ebene initiativ zu werden, um diesen Prozess vielleicht zu inspirieren oder gar zu Solche Fälle sind mir bekannt, Herr Kolb. beschleunigen, damit wir auch national weiterkommen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gut!) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsident Wolfgang Thierse: minister für Arbeit und Soziales: Damit sind wir bei der Frage 34 der Kollegin Petra Wir haben Erfahrungen damit, wie bestimmte Dinge Pau: beschleunigt werden können. Wir haben in Brüssel unser Beabsichtigt die Bundesregierung, im Laufe dieser Legis- Interesse bekundet. Wir werden das gerne wieder tun. laturperiode dem Parlament den Entwurf eines Gesetzes zum Aber, wie gesagt, wir wollen gerne abwarten, was die Schutz von Arbeitnehmerdaten zuzuleiten? Kommission dazu für Vorstellungen hat. Diese soll sie Kollege Staatssekretär, bitte sehr. erst einmal vorlegen.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsident Wolfgang Thierse: minister für Arbeit und Soziales: Damit kommen wir zu der Frage 35 des Kollegen Frau Kollegin Pau, nach Auffassung der Bundesregie- Kolb: rung ist es sinnvoll, vor einer nationalen Kodifikation Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verbandes die Überlegungen der Europäischen Kommission für ei- der Angestellten-Krankenkassen und des Verbandes der Ar- beiterersatzkassen aus dem Schreiben vom 6. Januar 2006 an nen Gemeinschaftsrahmen zum Schutz der Arbeitneh- die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände merdaten abzuwarten. Diesen Punkt hat auch der Deutsche und die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung aus 1288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Vizepräsident Wolfgang Thierse (A) dem Schreiben vom 12. August 2005, dass es sich bei der am schuld mit den Abrechnungsläufen für die Lohnabrech- (C) drittletzten Bankarbeitstag jedes Monats zu erbringenden Bei- nung des vergangenen Monats zusammengefasst werden tragsschuld nicht um einen bloßen Abschlag handelt, sondern die zu erbringende Leistungsschuld der endgültigen Beitrags- können. Dazu ist es notwendig, einmalig in den Entgelt- schuld nahezu entsprechen soll? unterlagen die Faktoren zu dokumentieren, mit denen die voraussichtliche Beitragsschuld jeweils errechnet Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- wird. minister für Arbeit und Soziales: Wird ein solches Verfahren zusammen mit der gesetz- Herr Kollege Kolb, die Frage 35 – das gilt auch für lichen Erleichterung, dass nur noch einmal im Monat ein die Frage 36 – könnte ich so, wie sie gestellt ist, schlicht Beitragsnachweis abzugeben ist, eingesetzt, ist mit kei- mit Ja beantworten. Ich will aber meine Antwort doch nem nennenswerten Mehraufwand zu rechnen. Es ist ein bisschen ausführlicher formulieren. doch klar, dass von der Zahl der Beschäftigten auszuge- In der gesetzlichen Regelung zur Neuordnung der hen ist. Änderungen hinsichtlich der Zahl der Beschäf- Fälligkeit der Gesamtsozialversicherungsbeiträge wird tigten haben schließlich weitere Auswirkungen. Auch ausdrücklich von der voraussichtlichen Beitragsschuld Einmalzahlungen und Beitragssatzänderungen bei den gesprochen, nicht von einer Abschlagsregelung. Von da- Sozialkassen ziehen Änderungen nach sich. Das sind im her teilt die Bundesregierung in vollem Umfang die Auf- Wesentlichen die zu berücksichtigenden Punkte. fassung der Spitzenverbände der Sozialversicherung, Es gibt sehr viele Unternehmen – darin werden Sie dass die voraussichtliche Beitragsschuld in der Weise zu mir sicherlich zustimmen, Herr Kolb –, in denen die ermitteln ist, dass der im Folgemonat fällige Restbeitrag Zahl der Beschäftigten konstant ist. Beitragssatzände- so gering wie möglich ausfällt. Dabei können Arbeitge- rungen erfolgen häufig zum Jahreswechsel. Auch wird ber allerdings nur verpflichtet werden, Daten zu berück- das Weihnachtsgeld bzw. die Jahresabschlussprämie sichtigen, die ihnen zum Zeitpunkt der Ermittlung der – wie auch immer Sie es nennen wollen; sofern es über- voraussichtlichen Beitragsschuld bekannt sind. haupt noch gezahlt wird – nicht einmal im Juni und ein- mal im Mai fällig; auch dies ist absehbar. Insofern Vizepräsident Wolfgang Thierse: glaube ich, dass sich das Verfahren administrativ bewäl- Kollege Kolb. tigen lässt, auch ohne ein zusätzliches Abrechnungsbüro zu eröffnen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Staatssekretär, das trifft aber für eine Reihe der Vizepräsident Wolfgang Thierse: von mir in Frage 36 genannten Aspekte zu. Die Zahl der Damit kommen wir zu Frage 36 des Abgeordneten (B) Kalendertage und Mitarbeiter variiert. Beitragssatzände- Kolb: (D) rungen der Einzugsstellen, das heißt der verschiedenen Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Spitzen- Krankenkassen, sind auch bekannt. Im Ergebnis läuft organisationen der Sozialversicherung und der Verbände der das darauf hinaus, dass ein Unternehmen faktisch eine Angestellten-Krankenkassen und der Arbeiterersatzkassen, eigene Lohn- und Gehaltsabrechnung zur Ermittlung der wie sie sich aus den in Frage 35 genannten Schreiben ergibt, dass daher für die Berechnung des Beitragssolls am drittletz- voraussichtlichen Beitragsschuld durchführen muss. ten Bankarbeitstag jedes Monats für den letzten Entgeltab- Stimmen Sie mir in dieser Einschätzung zu? rechnungszeitraum die jeweils im letzten Monat eingetretenen Änderungen in der Zahl der Beschäftigten, der Arbeitstage bzw. Arbeitsstunden sowie der einschlägigen Entgeltermitt- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- lungsgrundlagen und Beitragssätze aktualisiert werden müs- minister für Arbeit und Soziales: sen und daher alle Vorgehensweisen mit dem Gesetz vereinbar Nein. sind, die diesem Anliegen gerecht werden?

Vizepräsident Wolfgang Thierse: Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Nächste Nachfrage. minister für Arbeit und Soziales: Herr Kolb, die Bundesregierung teilt die Aussage der Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 6. Januar Wenn es keiner eigenständigen Lohn- und Gehalts- 2006, dass alle Vorgehensweisen mit dem Gesetz verein- überschlagsrechnung bedarf, dann möchte ich gerne wis- bar und von den Ausführungen des gemeinsamen Rund- sen, Herr Staatssekretär, wie ein Unternehmen sonst das schreibens getragen sind, die darauf abzielen, eine mög- Kunststück zustande bringen soll, die voraussichtlich be- lichst genaue Vorausberechnung der Beitragsschuld zu stehende Beitragsschuld abzuschätzen. erreichen.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsident Wolfgang Thierse: minister für Arbeit und Soziales: Kollege Kolb. Herr Abgeordneter Kolb, die Bundesregierung hat be- wusst darauf gedrungen, dass es jedem Unternehmen Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): möglich sein muss, eine Vorausberechnung nach den in- Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Äußerungen Ihres dividuellen Gegebenheiten des jeweiligen Unterneh- Kollegen Schauerte aus dem Bundesministerium für mens vorzunehmen. Dadurch wird es möglich, dass die Wirtschaft und Technologie bekannt, der darauf verwie- Berechnungsläufe für die voraussichtliche Beitrags- sen hat, dass man, um eine weitgehend einfache Hand- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1289

Dr. Heinrich L. Kolb (A) habung der Beitragsberechnung zu ermöglichen, eine Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in der Verantwor- (C) Beitragsschuld in Höhe des Vormonats anmelden und tung des Auswärtigen Amts liegen, also im Einzelplan 05 des Bundeshaushalts geregelt werden, obwohl die Aufgaben von abführen könne? Eine solche Praxis müsste der von Ih- UNICEF als Entwicklungsorganisation in den Bereich der nen hier gegebenen Antwort zufolge eigentlich unzuläs- Entwicklungszusammenarbeit fallen und somit in dem sig sein. Einzelplan 23 geregelt werden müssten?

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: minister für Arbeit und Soziales: Herr Kollege Addicks, in der Arbeit von UNICEF flie- Die Überlegungen von Herrn Kollegen Schauerte ßen menschenrechtliche, humanitäre und entwicklungs- sind mir bekannt. Wir haben darüber auch korrespon- politische Gesichtspunkte zusammen. Die institutionelle diert. Zuständigkeit des für die internationale Menschenrechts- In der Sozialversicherung gilt nicht das Zuflussprin- politik sowie die humanitäre Hilfe zuständigen Auswär- zip, sondern das Entstehungsprinzip bezogen auf den je- tigen Amtes für UNICEF ist daher gegenwärtig in der weiligen Monat. Insofern stellen wir ausdrücklich fest, Bundesregierung trotz des auch entwicklungspolitischen dass zwar auf die Lohn- und Gehaltsabrechnung oder auf Charakters der Arbeit von UNICEF unstrittig. Insbeson- die Unterlagen des Vormonats Bezug genommen werden dere findet eine enge Abstimmung zwischen dem AA kann, aber mögliche Änderungen berücksichtigt werden und dem BMZ statt, sofern Aspekte mit entwicklungs- müssen. Auch muss das in dem Monat realisiert werden, politischem Bezug berührt sind. Der freiwillige Regel- in dem die Sozialversicherungsbeiträge fällig werden. beitrag erfolgt aus dem Einzelplan 05 – Auswärtiges Insofern unterscheidet sich das Sozialrecht leider von Amt – und zweckgebundene entwicklungspolitische anderen Rechtsgebieten. Beiträge erfolgen aus dem Einzelplan 21, Bundesminis- terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Ich habe, wie gesagt, mit Herrn Schauerte sowohl wicklung. über das Thema gesprochen als auch mit ihm korrespon- diert. Ich stelle Ihnen die Unterlagen gerne zur Verfü- Vizepräsident Wolfgang Thierse: gung, wenn Sie möchten. Bitte schön, Kollege Dr. Addicks. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das würde mich sehr interessieren. Dr. Karl Addicks (FDP): Danke sehr, Herr Staatssekretär. – Teilen Sie bzw. die (B) Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Bundesregierung meine Besorgnis, dass es dem Ansehen (D) minister für Arbeit und Soziales: Deutschlands in der Welt schadet, dass wir uns, was die Beiträge zu UNICEF betrifft, auf einem beschämenden Das mache ich gern. 16. Rang befinden, und dies vor dem Hintergrund, dass wir uns normalerweise bei den Beiträgen zu solchen Or- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): ganisationen auf Platz drei oder vier befinden? Ich würde gerne noch eine zweite Zusatzfrage stellen. Wenn ich die Antworten auf die beiden Fragen und die Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Zusatzfragen resümiere, dann stelle ich fest – ich bitte Sie um Ihre Einschätzung, ob das zutrifft –, dass die Herr Kollege Addicks, Sie haben Recht, wenn Sie Bundesregierung gegenüber dem Rundschreiben des darauf hinweisen, dass sich die Regelbeiträge in den VdAK, das auch im Namen aller anderen relevanten Trä- letzten Jahren eher reduziert haben. Der Regelbeitrag lag ger der gesetzlichen Krankenversicherung verfasst 2005 etwas unter 5 Millionen Euro, genau bei 4,75 Mil- wurde, keinen Handlungsbedarf sieht und dass nicht ge- lionen Euro. Damit belegt Deutschland in der Tat keinen plant ist, eine Initiative zu ergreifen, wie sie von dem sehr prominenten Platz in der Reihenfolge der Länder, Kollegen Schauerte angedacht wurde. Können Sie das die Regelbeiträge leisten. Aber der Gesamtbeitrag, der bestätigen? geleistet wird, setzt sich aus verschiedenen Komponen- ten zusammen. Dazu gehört auch der Beitrag, der vom nationalen Komitee von UNICEF geleistet wird. Hier Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sieht die Sache völlig anders aus. Dieser jährliche Bei- minister für Arbeit und Soziales: trag ist sehr hoch. Er lag 2005 bei 172 Millionen Euro. Das kann ich so bestätigen. Damit belegen wir im internationalen Vergleich nach Ja- pan den zweiten Platz. Wenn man den Regelbeitrag und Vizepräsident Wolfgang Thierse: das, was das nationale Komitee – insbesondere durch Danke schön. – Dann kommen wir zum Geschäftsbe- viele Spenden, die aus der Öffentlichkeit kommen – leis- reich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen beantwortet tet, zusammennimmt, dann stellt man fest, dass wir auf Staatsminister Gernot Erler. einen sehr anerkennenswerten Beitrag zu UNICEF kom- men. Ich rufe zunächst die Frage 37 des Kollegen Addicks auf: Dr. Karl Addicks (FDP): Wie begründet und bewertet die Bundesregierung, dass die Beiträge der Bundesrepublik Deutschland an UNICEF, das Danke. 1290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Vizepräsident Wolfgang Thierse: Amtes einen anerkannten Beitrag zur Menschenrechts- (C) Damit kommen wir zu Frage 38 des Kollegen politik der Bundesregierung geleistet. Die Position des Dr. Addicks: Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechts- Sieht sich die Bundesregierung veranlasst, diesen Sach- politik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt sollte verhalt in absehbarer Zeit zu ändern? mit einer Persönlichkeit besetzt werden, die dieses Amt optimal ausfüllt. Die Bundesregierung führt daher ent- Herr Erler, bitte. sprechende Konsultationen mit dem Ziel einer möglichst schnellen Nachbesetzung dieses wichtigen Amtes. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Addicks, aus den schon genannten Vizepräsident Wolfgang Thierse: Gründen gibt es derzeit keine Absicht, die Zuständigkeit Kollege Beck. zu verändern.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Wolfgang Thierse: Darf ich nachfragen? – Ich hatte danach gefragt, wann Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Addicks. dieses vakante Amt endlich besetzt wird. Ich meine, dass es dem Ansehen dieses Amtes nicht dient, wenn man Dr. Karl Addicks (FDP): wochenlang in der Presse über parteipolitisches Scha- Danke, Herr Präsident. – Nun werden die deutschen chern um dieses Amt liest. Bislang ist keine Besetzung Beiträge zu UNICEF immerhin auf die ODA-Quote an- vorgenommen worden. Ich würde gerne wissen, wann gerechnet. Diese Quote bezieht sich im Wesentlichen auf Sie damit rechnen, dass das Amt spätestens besetzt ist. Mittel aus dem Einzelplan 23. Wäre es vor diesem Hin- tergrund nicht folgerichtig, wenn auch die Beiträge zu Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: UNICEF aus dem Einzelplan 23 und nicht aus dem Wir sind überhaupt nicht daran interessiert, dass Einzelplan 05 kämen? durch öffentliche Äußerungen oder Diskussionen in der Öffentlichkeit das Amt, dessen Inhaber eine wertvolle Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Arbeit leisten, beschädigt wird. Wir müssen eine sorgfäl- Das wäre in der Tat folgerichtig. Auf jeden Fall lassen tige Auswahl treffen. Es gebietet die Achtung vor der wir uns diese Beiträge gerne auf die ODA-Quote anrech- Bedeutung des Amtes, dass hier keine große Eile an den nen; denn wir verfolgen – international und von der EU Tag gelegt, sondern eine sehr sorgfältige Auswahl ge- unterstützt – die ehrgeizige Zielsetzung, die ODA-Quote troffen wird. Wir sind zwar intensiv auf der Suche, ich heraufzusetzen. Der Grund dafür, dass eine Änderung kann Ihnen aber im Augenblick nicht sagen, zu welchem (B) der Zuständigkeit nicht vorgenommen wurde, liegt in ei- Zeitpunkt diese Suche abgeschlossen sein wird. (D) ner Veränderung der Aufgabenstellung von UNICEF. Wir beobachten, dass sich die Arbeit von UNICEF in Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den letzten Jahren zunehmend auf die rechtliche Stellung Müssen wir also damit rechnen, dass das Auswärtige von Kindern konzentriert hat. Es gibt zwar nach wie vor Amt in diesem Jahr ohne eine Besetzung dieses Amtes sozusagen bedürfnisorientierte Arbeiten. Aber vor allen wird arbeiten müssen, oder können Sie sagen, ob eine Dingen nach der Kinderrechtskonvention von 1990 und Vorentscheidung nach dem Parteibuch gefallen ist? In dem Weltkindergipfel von 2002 müssen wir feststellen, der Zeitung liest man, es müsse zwingend jemand von dass der Hauptschwerpunkt der Tätigkeit von UNICEF der Union sein. Überraschen Sie mich und sagen Sie mir, auf der rechtlichen Stellung von Kindern liegt. Das dass es nicht jemand von der Union ist! rechtfertigt weiterhin die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Beck, ich teile Ihre pessimistische Dr. Karl Addicks (FDP): Prognose nicht, dass wir noch sehr lange ohne eine Be- Vielen Dank. setzung dieses Amtes arbeiten werden. Ganz im Gegen- teil: Wir sind auf einem guten Weg. Sie werden verste- Vizepräsident Wolfgang Thierse: hen, dass ich jetzt hier keine personalpolitischen Damit kommen wir zu Frage 39 des Kollegen Volker Angaben zu dieser Frage machen kann. Beck: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeit der bisheri- gen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung im GRÜNEN]: Sie können aber einen Monat nen- Auswärtigen Amt seit der Einrichtung dieser Funktion und nen! Das ist keine personalpolitische Angabe!) wann soll ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Tom Koenigs in dieser Funktion die Arbeit aufnehmen? Vizepräsident Wolfgang Thierse: Herr Erler, bitte. Eine Nachfrage zu diesem Thema von Kollegin Pau.

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Petra Pau (DIE LINKE): Herr Kollege Beck, die Beauftragten der Bundes- Danke schön, Herr Präsident. – Ich habe eine inhaltli- regierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre che Nachfrage. Nun haben uns wie auch die europäische Hilfe im Auswärtigen Amt haben seit Schaffung des Öffentlichkeit in den letzten Wochen, wenn nicht gar Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1291

Petra Pau (A) Monaten, Menschenrechtsfragen bzw. die Aufklärung Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): (C) von schweren Vorwürfen zu Menschenrechtsverletzun- Herr Staatsminister, lieber Kollege Erler, trifft es denn gen auf oder über dem Territorium der Bundesrepublik zu, dass in der Vergangenheit eine Aufstockung bzw. beschäftigt. Hat sich denn Herr Koenigs an der Aufklä- eine Verstärkung von MONUC im Rahmen der Verein- rungsoffensive der Bundesregierung, die nächste Woche ten Nationen blockiert wurde, und befinden sich eventu- in einen Bericht sowohl an den Europaratssonderermitt- ell EU-Mitgliedsländer unter denen, die das blockiert ha- ler als auch in einen Bericht an den Bundestag münden ben? soll, beteiligt und können Sie die Frage des Kollegen Beck nach der Bewertung der Qualität der Arbeit des Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Menschenrechtsbeauftragten anhand dieser Aufklärung Herr Kollege Schäfer, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu und seiner Beteiligung daran beantworten? nehmen, dass MONUC mit einer Gesamtstärke von 16 700 Mann im Augenblick in der ganzen Geschichte Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: des Peacekeepings die umfangreichste und auch die kos- Frau Kollegin Pau, Sie wissen, dass die Arbeit von tenträchtigste Mission ist, sodass man hier keinesfalls Tom Koenigs beendet ist. von einer Verweigerung irgendeiner Seite bei der Bereit- stellung der notwendigen Mittel und Kräfte sprechen (Petra Pau [DIE LINKE]: Ich gehe davon aus, kann. dass er bis gestern gearbeitet hat!) Das Problem ist ganz anders gelagert: MONUC ist Er hat bis zum letzten Moment seiner Beschäftigung alle schwerpunktmäßig im Ostteil des Landes aktiv; dort sind seine Aufgaben zur vollen Zufriedenheit der Bundes- nämlich 15 000 der 16 700 Kräfte stationiert. Dement- regierung erfüllt und damit zu dem hohen Ansehen die- sprechend ist die Hauptstadt Kinshasa in der entschei- ses Amtes wesentlich beigetragen. denden Phase der Wahlkämpfe, was das internationale Peacekeeping angeht, zu schwach abgesichert.

Vizepräsident Wolfgang Thierse: (Vorsitz: Vizepräsidentin ) Die Frage 40 wird schriftlich beantwortet. Ich rufe Die Ängste des Beauftragten der UN bestehen darin, Frage 41 des Kollegen Paul Schäfer auf: dass die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen – das sind der amtierende Präsident Kabila und zwei sei- Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundes- regierung gegen einen UN-geführten Einsatz zur Sicherung ner Stellvertreter, die auch über bewaffnete Einheiten der Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik verfügen – das Wahlergebnis vielleicht nicht anerken- Kongo? nen, was den ganzen Friedensprozess, der am 30. Juni zu (B) (D) einem Abschluss kommen kann, gefährden könnte. Das Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: ist der Hintergrund der Nachfrage an die EU, ob im Rah- men der ESVP vorübergehend eine zusätzliche Siche- Herr Kollege Schäfer, zum Mandat des Sicherheits- rung dieses Wahlprozesses stattfinden kann. rats der Vereinten Nationen für die VN-Operation in der Demokratischen Republik Kongo, MONUC, gehört die Aufgabe, für ein sicheres Umfeld für die Parlaments- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und Präsidentschaftswahlen zu sorgen. Der Leiter des Ihre zweite Zusatzfrage. Department for Peacekeeping Operations der Vereinten Nationen, Jean-Marie Guéhenno, hat Ende 2005 die EU- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Ratspräsidentschaft schriftlich um EU-Unterstützung für Danke, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Erler, wäre MONUC während des Wahlzeitraums gebeten. In sei- in den Augen der Bundesregierung eine vorübergehende nem Schreiben brachte er die Sorge der Vereinten Natio- Aufstockung der UNO-geführten MONUC eine realisti- nen zum Ausdruck, dass es bei den Parlaments- und Prä- sche Option, um den Wahlprozess zu stabilisieren? sidentschaftswahlen zu neuerlichen Ausbrüchen von Gewalt kommen könnte, die weder MONUC noch die Gernot Erler (SPD): kongolesischen Streitkräfte und Polizeikräfte eindäm- Das könnte überhaupt nur dann in Betracht gezogen men könnten. Eine Deterrent Force, die, falls nötig, wäh- werden, wenn die Vereinten Nationen darum bitten wür- rend der Wahlen in die Demokratische Republik Kongo den. Aber es ist nicht irgendeine andere Organisation, verlegt werden könnte, solle die Reaktionsfähigkeit von sondern das Department for Peacekeeping Operations MONUC stärken. der Vereinten Nationen, das sich mit dem Brief vom Diese Einschätzung wurde seitens der Vereinten Na- 27. Dezember von Jean-Marie Guéhenno an die EU ge- tionen in New York wie seitens MONUC in Kinshasa wandt hat und etwas ganz anderes wollte. gegenüber den beiden Erkundungsmissionen des EU- Ratssekretariats bestätigt, als diese dort in der vorver- Hintergrund ist sicherlich, dass man hofft, dass die gangenen Woche sondierende Gespräche führten. Die Autorität der EU und die Verfügung der EU über schnell Bundesregierung nimmt diese Einschätzung ernst. einsetzbare Kräfte tatsächlich eine entmutigende Wir- kung auf eventuelle Störer dieses Wahlprozesses aus- üben; Guéhenno nennt das eine Deterrent Force. Die Vizepräsident Wolfgang Thierse: MONUC – sie ist ausreichend stark vertreten; ich habe Kollege Schäfer, bitte. Zahlen genannt – ist genau dazu nicht in der Lage. 1292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Gernot Erler (A) Insofern gibt es gute Gründe dafür, dass die Nachfrage ist auch wichtig, zu wissen und zu klären: Was sollen (C) eben nicht auf eine Erweiterung der MONUC zielt, son- denn die eigentlichen Aufgaben sein? In dem Optionen- dern auf eine vorübergehende Zurverfügungstellung ei- papier, das gestern Grundlage der Beratung des PSK ner Deterrent Force durch einen anderen Organisator, in war, sind sieben verschiedene Einsatzmöglichkeiten ge- diesem Fall durch die EU. nannt, aber zum Teil noch nicht klar definiert. All diese Dinge soll jetzt das Sicherheitskomitee der EU dort klä- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ren, um dann die Mitgliedstaaten zu beraten bzw. ihnen Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Schäfer auf: eine Empfehlung zu geben. Welche besonderen militärischen Gründe sprechen für eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Militäreinsatz zur Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sicherung der Parlamentswahlen der Demokratischen Repu- Ihre zweite Zusatzfrage. blik Kongo?

Gernot Erler (SPD): Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herr Kollege Schäfer, in den Brüsseler Gremien wird Habe ich Sie richtig verstanden, dass nach Meinung derzeit die Frage eines militärischen Einsatzes im Rah- der Bundesregierung eine Zustimmung der kongolesi- men der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs- schen Regierung für eine eventuelle EU-Militärmission politik, ESVP – ich habe es gerade angesprochen –, zur unverzichtbar ist? Bislang hörte man nur, Präsident Unterstützung von MONUC bei den Wahlen in der De- Kabila habe aus der Zeitung erfahren, dass so etwas dis- mokratischen Republik Kongo behandelt. Eine Entschei- kutiert wird. dung darüber ist noch nicht getroffen worden. Gestern hat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: EU, PSK, darüber beraten. Dabei hat es beschlossen, den Dies ist ein Zustand, den wir schon überwunden ha- EU-Militärausschuss als das zuständige militärische ben. Das heißt, es hat Kontakte gegeben und es hat von Gremium der EU zu beauftragen, einen Ratschlag auf der Präsidentschaft Äußerungen gegeben, die schon we- der Basis des vorgelegten Optionenpapiers zu geben. sentlich freundlicher waren. Besonders freundlich hat Dieser Ratschlag wird die weitere Entscheidungsfindung sich der Außenminister geäußert. Auch hat ein Telefon- der EU prägen. gespräch zwischen Javier Solana und dem kongolesi- Sollte ein ESVP-Einsatz nach umfassender Abwä- schen Präsidenten stattgefunden. Aber es ist schon sehr gung, wozu neben der Einschätzung der Lage in der De- wünschenswert, dazu eine noch deutlichere Äußerung mokratischen Republik Kongo auch das in der europäi- des Präsidenten zu haben; denn in der Regel ist es natür- (B) schen Sicherheitsstrategie niedergelegte Bekenntnis der lich eine wichtige Basis, zu wissen, ob man bei einer sol- (D) EU zur Stärkung der Vereinten Nationen gehört, be- chen Maßnahme – um es einmal unwissenschaftlich aus- schlossen werden, wäre es ein Gebot europäischer Soli- zudrücken – erwünscht ist oder nicht. Dabei ist natürlich darität, die Verantwortung und die Kosten auf mehrere klar, dass in dieser Region – das ist eine Region, in der Mitgliedstaaten zu verteilen. Das ist die Auffassung der seit 1994 Krieg bzw. Bürgerkrieg geherrscht hat, und Bundesregierung. zwar mit einer unvorstellbaren Zahl von Opfern, näm- lich von 3,8 Millionen Menschen – allein durch Initia- tiven aus der Region heraus ein solcher Friedensprozess Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht hätte in Gang gebracht werden können. Für uns ist Ihre Zusatzfrage. es, wie gesagt, sehr wünschenswert, wenigstens eine klare Antwort auf diese Frage zu bekommen. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Danke. – Sie haben das Kriterium „europäische Soli- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: darität“ genannt. Welche anderen Kriterien müssten Ih- Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Dagdelen auf: rer Meinung nach erfüllt sein, um einen Einsatz der Bun- deswehr als zwingend und unabweisbar erscheinen zu Ist der Bundesregierung bekannt, dass der in der Nacht zum 31. Januar 2006 nach Togo abgeschobene togoische Op- lassen? positionelle A. M. direkt nach seiner Ankunft am Flughafen in Lomé von der Polizei festgehalten und bedroht wurde und Gernot Erler (SPD): sich später einer Inhaftierung durch vermutlich zivile Milizen nur durch Flucht entziehen konnte (Pressemitteilung der Inter- Herr Kollege Schäfer, ich möchte noch einmal beto- nationalen Kampagne gegen die Diktatur in Togo und anderen nen, dass wir mitten in einem Klärungs- und Entschei- Afrikanischen Ländern vom 5. Februar 2006), und wie bewer- dungsprozess sind. Ich wiederhole ausdrücklich: Es gibt tet die Bundesregierung diese Inhaftierungsversuche in Bezug noch keine Entscheidung dieser Art. Wichtig sind Klä- auf die Sicherheit des Betroffenen? rungen der Rahmenbedingungen. Zum Beispiel wäre es wichtig, zu wissen: Wie verhält sich eigentlich die am- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: tierende Regierung, der so genannte Espace présidentiel, Frau Kollegin Dagdelen, der Bundesregierung sind also der Präsident des Kongo und seine Stellvertreter, zu die Behauptungen in der Pressemeldung, die Sie ange- diesem Vorschlag der Vereinten Nationen? Ist man be- sprochen haben, bekannt. Das Innenministerium des reit, eine solche Mission zu akzeptieren? Es sind noch Landes Mecklenburg-Vorpommern ist an das Auswär- wichtige Fragen der Sicherheit vor Ort zu klären: Wie ist tige Amt mit der Bitte herangetreten, in Amtshilfe den eigentlich das Gefährdungspotenzial einzuschätzen? Es vorgetragenen Behauptungen nachzugehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1293

Staatsminister Gernot Erler (A) Die Prüfung des Sachverhalts dauert derzeit noch an. gen, die dort unter dem jetzigen Regime immer noch (C) Bislang liegen folgende Erkenntnisse vor: stattfinden, einschätzen. Die Rückführung von Herrn M. wurde der Botschaft Lomé am 26. Januar 2006 für den 31. Januar 2006 ange- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: kündigt. Eine Unterstützung durch die Auslandsvertre- Frau Kollegin, ich hatte gesagt, dass ich in meiner tung wurde nicht erbeten. Antwort eine Art Zwischenbilanz der bisherigen Nach- forschungen gezogen habe. Natürlich haben auch wir ge- Der Leiter der Einreisestelle, also der Chef d’Immi- sehen, dass diese in Widerspruch zu den Angaben und gration, am Flughafen Lomé wurde von der Botschaft Erklärungen von Menschenrechtsorganisationen, die Lomé über die Ankunft informiert. Er ist für die Rou- auch wir kennen, steht. Dieser Widerspruch ist aller- tinebefragung der rückgeführten Personen zuständig. dings nur sehr schwer aufzuklären, wenn uns Doku- Falls Schwierigkeiten bei der Rückführung auftreten, in- mente vorgelegt werden, die von Herrn M. und seinem formiert er die Botschaft umgehend telefonisch. Im Cousin, der ihn abgeholt hat, gegengezeichnet worden Fall M. berichtete er von keinen Problemen. sind. In der Tat gestehe ich, dass hier noch weiterer Klä- rungsbedarf besteht. Naturgemäß kann die Botschaft Die Botschaft hat am 9. Februar 2006 den Leiter der durch Befragung des Flughafenpersonals und der zustän- Einreisestelle persönlich zu den Umständen der Rück- digen Stellen nicht ermitteln, was später geschehen ist. führung von Herrn M. befragt. Er zeigte sich über die er- Das ist klar. Deswegen habe ich Ihnen auch gesagt, dass hobenen Vorwürfe erstaunt. weitere Ermittlungen über den Sachstand erfolgen wer- den. Die Botschaft Lomé ist damit beauftragt. Bestätigt durch das in Kopie vorgelegte und von Herrn M. unterzeichnete Befragungsprotokoll hat die Botschaft folgende Auskünfte erhalten: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zweite Zusatzfrage? Es seien Herrn M. keinerlei Fragen hinsichtlich seiner politischen Aktivitäten im Ausland gestellt worden. Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Ebenfalls habe er keine polizeilichen Meldeauflagen er- Ja, die habe ich. – Es gibt auf der Homepage von der halten. Herr M. sei am 31. Januar 2006 um 21 Uhr in die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl eine Pressemitteilung Obhut seines Cousins entlassen worden. Dieser sei am vom 8. Februar, in der konstatiert wird, dass es in dem Flughafen persönlich anwesend gewesen und habe eine relativ kleinen Togo sehr schwierig bzw. kaum möglich schriftliche Bestätigung abgegeben, dass er den Rückge- ist, sich der Überwachung durch das Regime zu entzie- führten bei sich aufnehme. hen. Vor diesem Hintergrund möchte ich gerne wissen, (B) Nach Angaben des Leiters der Reisestelle waren wäh- wie hoch die Bundesregierung die Wahrscheinlichkeit (D) rend des Aufenthalts von Herrn M. am Flughafen keine einschätzt, dass abgeschobene togolesische Flüchtlinge Vertreter von Menschenrechtsorganisationen anwesend. von Sicherheitskräften nicht inhaftiert werden bzw. ihr Erst nach Abschluss der Befragung von Herrn M. sei ein Leben nicht gefährdet ist. Mitglied der Ligue Togolaise des Droits de l’Homme er- schienen, um sich nach ihm zu erkundigen. Ob er Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herrn M. außerhalb des Flughafens noch angetroffen Die Bundesregierung kann sich natürlich nur nach habe, sei ungewiss. den Erfahrungen richten, die sie bisher gemacht hat. Ich hatte Ihnen schon in der Fragestunde vom 18. Januar Die Botschaft Lomé ist mit der weiteren Sachver- mitgeteilt, dass uns Meldungen, in denen im Einzelfall haltsaufklärung beauftragt. belegt wird, dass so ein Vorgehen, wie Sie es eben be- schrieben haben, gegenüber zurückgekehrten Asylbe- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: werbern erfolgt ist, nicht vorliegen. Auf diese Erkenntnis Haben Sie eine Zusatzfrage? muss sich natürlich die Bundesregierung stützen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Staatsminister, es scheint, dass da widersprüchli- Eine Zusatzfrage der Kollegin Pau. che Angaben bzw. Aussagen gemacht werden. Es gibt zig Presseerklärungen von Menschenrechtsorganisatio- Petra Pau (DIE LINKE): nen, auch der Menschenrechtsorganisation aus Togo, Herr Staatsminister, vor dem Hintergrund der Debatte dass es bereits in der kurzen Zeit, nachdem A. M. nach vom 18. Januar, auf die Sie ja selbst hier schon verwie- Togo abgeschoben worden war, zwei Versuche gab, ihn sen haben, der darauffolgenden Auseinandersetzung und zu inhaftieren. Der erste Versuch, der am Flughafen sel- Ihrer Feststellung, dass zumindest in diesem Einzelfall ber stattgefunden hat, konnte durch die Anwesenheit von Aufklärungsbedarf besteht, frage ich: Sieht die Bundes- Menschenrechtlern verhindert werden; der zweite Ver- regierung eventuell die Notwendigkeit, den derzeitigen such, den frühmorgens zivile Milizen vor seiner Haustür aktuellen Lagebericht, der innenpolitischen Entschei- unternahmen, schlug deshalb fehl, weil er sich bereits dungen Deutschlands zugrunde liegt, zu überarbeiten auf der Flucht befand. Mich würde als Erstes interessie- bzw. die Botschaft mit der Prüfung zu beauftragen, in- ren, wie die Bundesregierung und das Auswärtige Amt wieweit dieser Lagebericht noch den Tatsachen ent- die Glaubwürdigkeit einer offiziellen Stelle aus Togo be- spricht und dessen Informationen für die Behörden der sonders im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzun- Bundesrepublik Entscheidungsgrundlage sein können? 1294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: richt des Auswärtigen Amtes aktualisiert werden müsse. (C) Frau Kollegin Pau, ich kann Ihnen dazu sagen, dass Meine Frage richtet sich auf die Eilbedürftigkeit des La- wir eine routinemäßige Überarbeitung dieser Berichte, geberichts. Sie sagen selber, aktuell werde an diesem La- die ja für alle Asylentscheidungen wichtig sind, vorneh- gebericht gearbeitet. Mich interessiert: Bis wann beab- men. In der Tat ist der Lagebericht zu Togo gerade in sichtigen die Bundesregierung und das Auswärtige Amt, Überarbeitung. Sollten sich die Berichte bestätigen, die den Lagebericht vorzulegen? uns im Fall M. erreichen, dann würde natürlich dieser Fall in eine Fortschreibung dieses Lageberichtes einge- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: hen. Ich hatte hier schon dazu gesagt, dass im Augenblick die Überarbeitung dieses Lageberichtes im Gange ist. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das erfolgt nach einem bestimmten Turnus. Wenn ich Ich rufe die Frage 44 der Kollegin Dagdelen auf: Ihr Anliegen richtig verstanden habe, müssten Sie daran Sieht die Bundesregierung die Einschätzung von Flücht- interessiert sein, dass erst der Fall M. geklärt wird, damit lings- und Menschenrechtsorganisationen bestätigt, dass bei er noch in diesen Lagebericht eingehen kann. Insofern einer Abschiebung nach Togo das Leben abgelehnter Asylbe- wäre vielleicht eine vorschnelle Fortschreibung des La- werber bedroht ist, und beabsichtigt die Bundesregierung, der geberichts gar nicht so zielführend. Aufforderung von Amnesty International vom 20. Juli 2005 zu folgen, sich dafür einzusetzen, dass Asylsuchende nicht zur Rückkehr nach Togo gezwungen werden, wenn sie dort Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schwere Menschenrechtsverletzungen zu befürchten haben? Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Frau Kollegin Dagdelen, aufgrund der Ereignisse im Ja. – Ich hoffe sehr, Herr Erler, dass Sie mein Anlie- Zusammenhang mit der Wahl im April hat Amnesty In- gen richtig verstanden haben. Es geht mir nämlich nicht ternational mit seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2005 nur um die über 300 von Abschiebung bedrohten Men- die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen – jetzt schen in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch um zitiere ich wörtlich –, die in den anderen Bundesländern. Mich würde interes- darauf zu achten, dass Asylsuchende nicht zur sieren, ob es wahrscheinlich ist, dass der Lagebericht bis Rückkehr nach Togo gezwungen werden, wenn sie zur Innenministerkonferenz am 4. und 5. Mai vorliegt, dort schwere Menschenrechtsverletzungen zu be- sodass andere Bundesländer ebenfalls einen Abschie- fürchten haben, und sicher zu stellen, dass Asylbe- bestopp erlassen könnten. (B) gehren … gründlich und unparteiisch geprüft wer- (D) den. Amnesty International ermahnt die Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: ausländischen, vor allem die europäischen Regie- Es ist die Absicht des Auswärtigen Amtes, bei der rungen, Asylanträge im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Lageberichtes möglichst noch Menschenrechtslage in Togo zu prüfen. aktuelle Informationen einfließen zu lassen. Insofern gibt es hier einen Zusammenhang mit der Klärung dieses Diesen an die internationale Gemeinschaft ge- Falls, die, wie ich Ihnen geschildert habe, im Gange ist. richteten Forderungen entspricht das Asylverfahren in Wenn eine rechtzeitige Klärung erfolgt, müsste der Zeit- Deutschland. Auch bei dem Herkunftsland Togo prüft plan einhaltbar sein. Wie Sie wissen, ist es dann Angele- das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in jedem genheit der Bundesländer, ihre Schlüsse aus dem neuen Einzelfall individuell, ob dem Asylbewerber bei seiner Lagebericht zu ziehen und unter Umständen über einen Rückkehr tatsächlich asylrelevante Gefahren oder sons- Abschiebestopp zu entscheiden. tige Gefahren drohen, die einen Anspruch auf subsidiä- ren Schutz begründen. Ist das der Fall, wird Asyl bzw. Abschiebeschutz gewährt. Die zuständigen Länderbe- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: hörden prüfen darüber hinaus vor einer Abschiebung, ob Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des im Einzelfall Abschiebungshindernisse bestehen, die Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister, ich danke Ih- sich nicht auf drohende Gefahren im Heimatstaat bezie- nen für die Beantwortung der Fragen. hen, zum Beispiel gesundheitliche Probleme. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Parlamentarische Staatssekretär Herr Karl Diller zur Ihre Zusatzfrage, bitte. Verfügung. Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Dr. Dagmar Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Enkelmann auf: Auch hier danke ich. – Ich möchte an die Frage mei- Wie bewertet die Bundesregierung, dass trotz steigenden ner Kollegin Pau anknüpfen. Wie Sie wissen, ist im ver- Investitionsbedarfs der Kommunen – so rechnet die Banken- gangenen Monat in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund gruppe KfW mit einem Schulsanierungsbedarf von des öffentlichen Drucks ein Abschiebestopp verhängt 60 Milliarden Euro bis 2009 – laut den jüngsten Angaben der worden, der auch in diesem Monat noch andauert. Es ist kommunalen Spitzenverbände (Bericht „Kommunalfinanzen 2004 bis 2006“) die jährlichen Investitionszuweisungen von begrüßenswert, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende, Bund und Ländern an die Kommunen von 8 Milliarden Euro Struck, sich in der Weise geäußert hat, dass der Lagebe- in 2004 auf 7,5 Milliarden Euro in 2006 zurückgehen, und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1295

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die In- rung fort. Dazu findet sich im Übrigen im Koalitionsver- (C) vestitionszuweisungen seitens des Bundes und der Länder an trag ein klares Bekenntnis. die Kommunen wieder anzuheben?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Ihre Zusatzfrage, bitte. der Finanzen: Frau Kollegin Dr. Enkelmann, ich möchte aufgrund Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): der in Ihrer Frage enthaltenen Formulierung „die Investi- Wegen des enormen Investitionsbedarfs der Kommu- tionszuweisungen seitens des Bundes … an die Kommu- nen, der beispielsweise im Bereich der Schulen bei über nen wieder anzuheben“ vorausschicken, dass es keine 60 Milliarden Euro liegt, möchte ich fragen: Ist die Bun- direkte Zuweisung von Mitteln des Bundes an die Kom- desregierung angesichts der offensichtlich geplanten zu- munen gibt. Das ist verfassungsrechtlich gar nicht mög- sätzlichen Steuereinnahmen, die für die nächsten Jahre lich. mit etwa 80 Milliarden Euro beziffert werden, bereit, die Insbesondere durch die Maßnahmen bei der Gewer- Kommunen in höherem Maße als bisher an diesen Ein- besteuer und die Entlastung im Rahmen von Hartz IV nahmen beispielsweise durch ein kommunales Investi- hat die Bundesregierung die Voraussetzung geschaffen, tionsprogramm zu beteiligen? die Investitionsfähigkeit der kommunalen Ebene zu fes- tigen und wieder zu verbessern. Durch die verbesserte Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Gewinnsituation der Unternehmen, aber insbesondere der Finanzen: durch unsere gesetzlichen Änderungen bei der Gewerbe- Frau Dr. Enkelmann, das Thema Schulbausanierung steuer und bei der Abführung der Gewerbesteuerumlage wird von den Bundesländern entsprechend den landesge- durch die Kommunen an die Länder und den Bund, gibt setzlichen Bestimmungen höchst unterschiedlich gere- es eine sehr erfreuliche Entwicklung, die ich Ihnen in Er- gelt. Ob und in welchem Umfange die Länder dafür Zu- innerung rufen möchte. In den neuen Bundesländern be- schüsse geben, ist von Land zu Land verschieden. trug das Nettogewerbesteueraufkommen im Jahre 2003 1,54 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr wird es auf Ich will außerdem darauf aufmerksam machen, dass 2,586 Milliarden Euro geschätzt, mithin 75 Prozent von den gesetzlichen Maßnahmen, die die Bundesregie- mehr. rung bereits beschlossen hat – beispielsweise der Ab- schaffung der Eigenheimzulage –, auch die Kommunen Die erfolgreiche Trendwende kommt im Übrigen profitieren. Denn es gibt einen Mehrertrag bei der Lohn- auch im jüngsten Bericht des Deutschen Städtetages zur und Einkommensteuer. Die Kommunen haben einen An- (B) Investitionsentwicklung bei den Kommunen zum Aus- teil in Höhe von 15 Prozent an dem Mehraufkommen (D) druck, in dem für das Jahr 2006 eine leichte Belebung originär; die Länder haben einen Anteil in Höhe von der kommunalen Investitionen in den alten Bundeslän- 42,5 Prozent an dem Mehraufkommen originär. Da die- dern erwartet wird. Diese Zahlen ebenso wie die zu den ses Mehraufkommen in die kommunale Verbundmasse Investitionszuweisungen stellen für das Jahr 2005 eine des jeweiligen Landes eingeht und in Höhe des Verbund- Schätzung und für das Jahr 2006 eine Prognose der kom- satzes an die Kommunen weitergeleitet wird, profitieren munalen Spitzenverbände dar. Sie sind deshalb zurück- je nach Höhe dieses Satzes auch die Gemeinden. Den haltend zu bewerten. Kommunen kommen dadurch zusätzlich rund 8 Prozent des Gesamtertrages zugute. Der kommunale Anteil wird Wie gesagt: Direkte Zuweisungen von Mitteln an die also bei etwa 23 bis 24 Prozent – das ist von Bundesland Kommunen durch den Bund gibt es nicht. Die Einnah- zu Bundesland je nach Verbundsatz unterschiedlich – men der Kommunen aus Investitionszuweisungen kom- liegen. men ausschließlich von den Ländern bzw. sie fließen ih- Was die Bundesregierung tun kann, tun wir. Wir sor- nen über die Länder zu. Der Bund ist beispielsweise im gen dafür, dass es einen fairen Anteil der Kommunen an Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen und im den perspektivisch geschätzten Steuermehreinnahmen Falle der neuen Bundesländer im Rahmen der Sonderbe- gibt. darfs-Bundesergänzungszuweisungen engagiert. Auf die Höhe und Verwendung dieser Mittel hat der Bund aber keinen Einfluss. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre zweite Zusatzfrage. Die Bundesregierung wird auch weiterhin eine Viel- zahl von Investitionsprogrammen fortführen, von denen Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): die Gemeinden in besonderem Maße profitieren. Ich Trotz allem ist das nach wie vor für die Kommunen nenne in diesem Zusammenhang die Gemeinschaftsauf- zu wenig. Aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. gaben, die Fortsetzung unseres Ganztagsschulpro- gramms sowie die KfW-Programme. Wenn der Haushalt Sie haben unter anderem das Ganztagsschulpro- 2006 in Kraft getreten ist, Frau Dr. Enkelmann, wird der gramm angesprochen. Nun beklagt die Bundesregierung KfW beispielsweise durch das neu aufgelegte CO2-Pro- ab und zu, dass die Mittel für dieses Programm nicht in gramm ermöglicht werden, stark zinsverbilligte Kredite dem Maße abgerufen werden, wie es mit Blick auf die an die Kommunen für die energetische Gebäudesanie- Schulen notwendig wäre. Was will die Bundesregierung rung zu vergeben. Wir setzen auch die Städtebauförde- tun, um die Lage der Länder bei der Kofinanzierung zu 1296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Dr. Dagmar Enkelmann (A) verbessern – man könnte beispielsweise den Anteil der gegen der in Ihrer Frage enthaltenen Intention sogar um (C) Kommunen an der Kofinanzierung senken –, damit ein mehr als die ihnen zugesagten 2,5 Milliarden Euro ent- Zugriff auf die Mittel dieses Programms erfolgen kann? lastet. Wir schätzen: Sie bekommen zusätzlich 1,3 Mil- liarden Euro zu den 2,5 Milliarden, die ihnen zugesagt Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister worden sind. der Finanzen: Frau Kollegin, ich füge aber hinzu: Die Bundesregie- Nach meinem Eindruck besteht das Problem weniger rung ist bereit, Landes- und Kommunalhaushalte zu in dem fehlenden Interesse bzw. Desinteresse seitens der entlasten, wenn sie durch die Umsetzung bundesgesetz- Kommunen, sondern eher in dem fehlenden Interesse licher Regelungen belastet werden. In all den Program- bzw. Desinteresse der Länder. Ich kann Ihnen berichten, men, die wir schon vor dem Jahreswechsel auf den Weg dass mein Bundesland, Rheinland-Pfalz, den Gemeinden gebracht haben – und noch bringen werden –, achten wir die Möglichkeit bietet, von diesem Bundesprogramm immer darauf, dass nicht nur die Bundesseite entlastet massiv zu profitieren. Allein in meinem Wahlkreis Trier wird, sondern auch die Länder und die Kommunen beispielsweise werden zurzeit Bundesmittel in Höhe von parallel dazu eine Entlastung erhalten. Wir werden beim mehr als 11 Millionen Euro in entsprechende Projekte Abbau von Standards und Bürokratiekosten vorangehen. investiert. Das ist eine Frage, die sich an das jeweilige Die Länder haben zugesagt, dem Bund entsprechende Bundesland richtet. Vorschläge vorzulegen, die wir umzusetzen bereit sind. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sieht in Brandenburg ganz anders aus!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ihre Zusatzfrage, bitte. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Die erste Frage: Wie bewertet die Bundesregierung Ich rufe die Frage 46 von Frau Dr. Enkelmann auf: die Tatsache, dass die Kommunen durch Hartz IV unter Wie bewertet die Bundesregierung die laut den jüngsten anderem zusätzlich mit den Kosten für die Obdachlosen- Angaben der kommunalen Spitzenverbände (Bericht „Kom- betreuung, die Schuldnerberatung, Suchtberatung usw. munalfinanzen 2004 bis 2006“) von 31,93 Milliarden Euro in 2004 auf 36,60 Milliarden Euro ansteigenden Ausgaben der belastet werden? Kommunen für soziale Leistungen, und was will die Bundes- regierung tun, um die Städte, Gemeinden und Landkreise hier Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister zu entlasten? der Finanzen: (B) All das ist in die Gespräche mit den kommunalen (D) Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Spitzenverbänden, die vor der Einführung von Hartz IV der Finanzen: stattgefunden haben, mit einbezogen worden und hat sei- Frau Kollegin Dr. Enkelmann, die in der Gemein- nen Niederschlag im Rechenwerk gefunden. schaftsprognose der kommunalen Spitzenverbände dar- gestellten Ausgaben für soziale Leistungen – dies betrifft Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: die Jahre 2004, 2005 und 2006 – sind nicht miteinander Nun Ihre zweite Zusatzfrage. vergleichbar. Mit Hartz IV wurden die Kommunen näm- lich ab dem Jahre 2005 einerseits um die Sozialhilfeaus- gaben für Erwerbsfähige entlastet. Andererseits tragen Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): sie nun die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose, Ist die Bundesregierung angesichts Ihrer Erklärung, wobei ihnen aber der Bund 29,1 Prozent der Kosten er- dass der Bund bereit ist, für zusätzliche Kosten, die auf- stattet. Dazu kommen bei den Ländern die durch grund der Umsetzung von Bundesgesetzen entstehen, Hartz IV eingesparten Wohngeldausgaben in Höhe von eine Entlastung vorzusehen, bereit, im Grundgesetz eine 2,1 Milliarden Euro, die diese Länder jeweils an ihre Klausel im Sinne des Konnexitätsprinzips aufzunehmen, Kommunen weiterzugeben haben. Dadurch stehen den das heißt, im Grundgesetz zu sichern, dass Kosten, die durch die Unterkunftskosten gestiegenen kommunalen Kommunen und Ländern durch die Umsetzung von Bun- Sozialausgaben höhere kommunale Einnahmen gegen- desgesetzen zusätzlich entstehen, entsprechend finan- über. Das muss man zusammen sehen. ziell ausgeglichen werden? Fairerweise sagt dies auch der Deutsche Städtetag Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister selbst – ich zitiere ihn –: der Finanzen: Ihre Höhe ist aber mit dem Vorjahr nicht vergleich- Verehrte Frau Kollegin, ich hatte darauf hingewiesen, bar, da sich bei den Einnahmen der Kommunen dass die Gesetze, die wir vorbereiten, nicht ausschließ- auch die Bundesbeteiligung an den Unterkunftskos- lich im Bundesinteresse liegen, was die finanziellen ten niederschlägt. Auswirkungen angeht, sondern auch im Interesse der Länder und der Kommunen. Sie werden entsprechend Durch Festhalten an der Beteiligungsquote des Bun- ihrem Anteil an den Steuereinnahmen davon profitieren. des von 29,1 Prozent nicht nur für das Jahr 2005, son- dern auch für das Jahr 2006 werden die Kommunen im Zu Ihrer zweiten Frage. In jedem Gesetzentwurf, den Übrigen nach Überzeugung der Bundesregierung – Kol- der Bundestag berät und beschließt, gibt es einen Teil, lege Andres und ich können ein Lied davon singen – ent- der sich mit den Kosten befasst. Darin gibt es eine Auf- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1297

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) stellung darüber, in welchem Umfang die Kommunen die Kosten der Unterkunft künftig geregelt werden. Dies (C) eventuell belastet oder entlastet werden. Es ist immer am bedarf aber noch sorgfältiger Beratungen. Gesetzgeber, also an Ihnen, darauf zu achten, dass die Kommunen nicht über Gebühr belastet werden. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Frage 47 des Kollegen Hermann und die Frage 48 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet. Herr Staatssekretär, es gibt noch eine Zusatzfrage der Dann kommen wir zur Frage 49 des Kollegen Volker Kollegin Bluhm. Beck: Wie erklärt sich die Zusage des Bundesministeriums der Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Finanzen, dass trotz der angespannten Haushaltslage dem Herr Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales „19 neue Stellen im Leitungsbereich zur Verfügung gestellt“ werden (Rund- Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung für die schreiben des Personalrats des Bundesministeriums für Arbeit Jahre 2005 und 2006 den Bundesanteil an den Kosten und Soziales 01/2005 vom 8. Dezember 2005), und auf wel- der Unterkunft auf 29,1 Prozent jährlich festgelegt hat. cher haushaltsrechtlichen Grundlage beruht sie? Die kommunalen Spitzenverbände haben sich zwar auf diesen Kompromiss mit der Bundesregierung eingelas- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sen, sind aber nach wie vor der Auffassung, dass der der Finanzen: Kostenausgleich durch die Sozialhilfe, wie versprochen, Herr Kollege Beck, das Bundesministerium der Fi- nicht stattgefunden hat und dass der Bundesanteil im nanzen hat auf Grundlage von § 13 Abs. 1 Satz 2 des Durchschnitt 34,4 Prozent hätte betragen müssen, um Haushaltsgesetzes 2005 in den Abschluss von 19 Ar- diesem Erfordernis Rechnung zu tragen. Meine Frage: beitsverträgen des neu gegründeten Bundesministeriums Hat die Bundesregierung schon eine Vorstellung dazu, für Arbeit und Soziales eingewilligt, damit der Leitungs- wie der Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft ab bereich des neuen Ministeriums arbeitsfähig werden dem Jahr 2007 gestaltet werden soll, um den von den konnte. Mit dieser Einstellungsermächtigung wurde aber kommunalen Spitzenverbänden bezifferten Anstieg der noch keine Entscheidung über neue Stellen getroffen. kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen von Diese Entscheidung bleibt dem Parlament vorbehalten. 32 auf 36,6 Milliarden Euro zu kompensieren?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Ihre Zusatzfrage, bitte. der Finanzen: (B) (D) Verehrte Frau Kollegin, wir haben während der Ent- wicklung der Hartz-Gesetzgebung mit den kommunalen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spitzenverbänden viele Stunden um die Frage gerungen, Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine wie wir alles festzurren können. Auf Drängen der kom- Ausweitung der Stellen zur Erledigung der üblichen Auf- munalen Spitzenverbände wurde dem Gesetz ein An- gaben der Bundesregierung angesichts der gegenwärtig hang zugefügt. In diesem Anhang sind alle Parameter angespannten Haushaltslage unangemessen wäre? Plant aufgeführt, die in das Rechenwerk eingehen sollen, um sie, diese 19 Stellen gegebenenfalls anderweitig zu er- die Belastung bzw. Entlastung zu ermitteln. wirtschaften, und können Sie mir sagen, um was für Stel- len es im Einzelnen geht? Das BMWA hat in der letzten Wahlperiode aufgrund des Rechenwerks entsprechend der Anlage zu diesem Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Gesetz festgestellt, dass man eigentlich einen deutlich der Finanzen: niedrigeren Satz als gerechtfertigt ansehen müsste. Das ist von den Kommunen bestritten worden; ich kenne Herr Kollege Beck, wie Sie selber wissen, ist das alte aber kein Rechenwerk der Kommunen, das das Gegen- Wirtschafts- und Arbeitsministerium 2003 neu konzi- teil beweist. Deswegen ist in den Gesprächen mit den piert worden und wurde in der neuen Wahlperiode erneut kommunalen Spitzenverbänden, um die sich Bundes- anders zusammengesetzt. Deswegen ist dieser Mehrbe- minister Müntefering persönlich sehr bemüht hat, keine darf an Stellen vorhanden. Diesem Bedarf wird so Rech- Einigung zustande gekommen. Die Kommunen haben nung getragen, dass von den 19 Stellen 14 auf Dauer be- darauf beharrt, unser Rechenwerk stimme nicht und ihr willigt und auf die Fusionsrendite angerechnet werden. Rechenwerk – das sie aber nicht im Detail aufgeschlüs- Fünf der neuen Stellen sollen mit kw-Vermerken verse- selt vorlegen wollten – sei richtig. Ich hatte den Ein- hen werden. druck, dass die kommunalen Spitzenverbände am Sie haben nach der Wertigkeit der Stellen gefragt: Im Schluss der Gespräche, als wir gesagt haben, dass keine Bereich der A-Besoldung sind es neun Stellen, im Be- Rückzahlung der Beträge des Jahres 2005 erfolgt und es reich der B-Besoldung fünf Stellen, im Bereich der An- für das Jahr 2006 zu dieser Einigung kommt, erleichtert gestellten drei Stellen und im Bereich der Arbeiter zwei waren. Lassen Sie mich das einmal deutlich festhalten. Stellen. Zum Zweiten. Wir werden noch in diesem Jahr festle- gen – das wird das Parlament noch beschäftigen, weil Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dies Niederschlag in einem Gesetz finden muss –, wie Ihre weitere Zusatzfrage, bitte. 1298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aktuelle Stunde von allen Oppositionsfraktionen ge- (C) Wie erklären Sie sich den zusätzlichen Bedarf – wenn meinsam gestellt worden wäre. Hartz IV bewegt noch man die kw-Stellen einmal außer Acht lässt – an 14 Stel- immer sehr viele Menschen – und das zu Recht. Ich war len angesichts dessen, dass nicht die Arbeit der Bundes- doch sehr erstaunt, dass die Fraktionen von Union und regierung zugenommen hat, sondern nur – was den SPD quasi über Nacht diesen Änderungsantrag einge- Steuerzahler ebenfalls schon belastet – die Zahl der Bun- bracht haben. Wollen Sie das Parlament möglichst desministerien zugenommen hat? Halten Sie es nicht für schnell und unbemerkt über die Hartz-IV-Verschlechte- angemessen, diese Stellen zu erwirtschaften? Denn zu- rungen abstimmen lassen? sätzliche Arbeit gibt es nicht. Man muss zusehen, dass (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Haben man sich umorganisiert. So würde das auch ein Unter- Sie die Koalitionsvereinbarung gelesen?) nehmen machen, das eine Umstrukturierung vornimmt und dabei nicht mehr Aufträge und nicht mehr Einnah- Wollen Sie damit den gesellschaftlichen Debatten und men hat und weiterhin die gleichen Aufgaben zu bewäl- öffentlichen Protesten ausweichen? Ich kann Ihnen nur tigen hat. empfehlen, die Menschen auf der Straße ernst zu neh- men. Demokratie darf nicht an den Wahlurnen aufhören. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister (Beifall bei der LINKEN) der Finanzen: Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass die Entwicklung Auch Sachverständige haben bei der letzten Anhö- der Personalkosten eine Erfolgsgeschichte der Bundesre- rung des Ausschusses für Arbeit und Soziales verfas- gierung ist, auch der früheren Bundesregierung – wir ha- sungsrechtliche Bedenken geäußert. ben es erreicht, dass die Personalkosten seit 1994 relativ In dem von Ihnen vorgelegten Änderungsantrag sieht konstant geblieben sind, obwohl es dazwischen Tarif- das Ministerium von Herrn Müntefering Kürzungen in steigerungen gab, obwohl dazwischen die Dienstalters- Höhe von 600 Milliarden Euro zulasten junger Erwerbs- sprünge in der A-Besoldung zu Buche schlugen –, und loser und ihrer Familien vor. zwar deswegen, weil wir seit 1994 jedes Jahr 1,5 Prozent aller Stellen streichen und die Mittel plafondiert sind. Es ( [CDU/CSU]: Das ist ordent- kommt also für ein Haus nicht nur darauf an, dass es lich!) Stellen hat, sondern auch darauf, dass es das Geld dafür Erinnern Sie sich: Junge Menschen sind in der Bundes- hat, die Stellen zu besetzen. Ich habe Ihnen deutlich ge- republik mit 18 Jahren volljährig. Wir verlangen von ih- macht, dass wir einen Teil der Stellen mit Einsparaufla- nen Eigenverantwortung und sie haften rechtlich für ihr gen bzw. mit kw-Vermerken versehen haben. Handeln. Nicht die jungen Erwerbslosen sind für diese (B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teure Arbeitsmarktreform ohne Wirkung verantwortlich, (D) NEN]: Das war die alte Regierung!) sondern die politischen und wirtschaftlichen Entschei- dungsträger. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege, Sie hatten zwei Zusatzfragen. In der Begründung des Änderungsantrags wird argu- Die Fragen 50 und 51 der Kollegin Bellmann sowie mentiert, die Kürzungen der Regelleistungen seien zu- die Fragen 52 und 53 des Kollegen Rainder Steenblock mutbar, weil Jugendliche unverzüglich in Arbeit, Aus- werden schriftlich beantwortet. bildung oder Arbeitsgelegenheiten vermittelt werden sollten. In der Realität sieht das aber leider anders aus. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Die Vermittlungsversprechen werden nicht eingelöst. Bundesministeriums der Finanzen. Herr Staatssekretär, Jährlich bekommen circa 100 000 Jugendliche keinen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ausbildungsplatz. Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde. Im bisherigen SGB II wurde wenigstens die Eigen- Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: ständigkeit der jungen Erwachsenen mit einer abge- schlossen Berufsausbildung anerkannt. Aktuelle Stunde Jetzt beseitigen Sie noch die letzten Reste des För- auf Verlangen der Fraktion der LINKEN derns. Zu den von der Bundesregierung geplanten Wenn Sie meinen, ich argumentiere einseitig, dann Kürzungen bei Hartz IV zulasten junger Er- empfehle ich Ihnen, die „Frankfurter Rundschau“ von wachsener gestern zu lesen. Dort wurde die Situation junger Men- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der schen in der Bundesrepublik treffend zusammengefasst: Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke. Sie dürfen wählen. Sie dürfen Kredite aufnehmen (Beifall bei der LINKEN) … Sie dürfen, nein müssen, notfalls Krieg führen. Nur aus dem heimischen Kinderzimmer ausziehen, dürfen sie nicht – jedenfalls nicht, sofern sie ar- Elke Reinke (DIE LINKE): beitslos sind. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher Antrag für eine (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1299

Elke Reinke (A) Was sollen diese jungen Menschen machen, damit sie Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): (C) vom Amt das Recht zugesprochen bekommen, in einem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eigenen Haushalt für sich selber Verantwortung zu über- Frau Kollegin Reinke, über Ihre Aufregung muss ich nehmen? mich schon ein bisschen wundern. Sie haben gesagt, wir hätten unsere Änderungsanträge quasi über Nacht einge- (Manfred Grund [CDU/CSU]: So viel Sozia- bracht. lismus gab es nicht einmal in der DDR!) (Elke Reinke [DIE LINKE]: Ja, das haben Sie Die Zustimmung für einen Auszug erfolgt nur, wenn ja auch!) schwerwiegende soziale Gründe vorliegen. Wie viel Ge- walt oder Alkoholkonsum in der Familie reicht aus, um – Ja, ja. das Recht auf eine eigene Wohnung zu haben? Können die Angestellten in den Agenturen für Arbeit das ange- Erstens empfehle ich Ihnen einen Blick in die Koali- messen entscheiden? Ich meine, sie sind schon jetzt tionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD, die überfordert. Die Erfahrung von vielen Hartz-IV-Betrof- auch Ihnen zugänglich ist. Auf Seite 27 sind genau die fenen zeigt: Ermessungsspielräume werden selten zu ih- Vorschläge genannt, die wir in der letzten Woche in das ren Gunsten ausgelegt. Frau Ministerin von der Leyen Parlament eingebracht haben. sprach von Kindern, die auf der Schattenseite des Le- Zweitens empfehle ich Ihnen, sich die Sitzung des bens geboren werden. Mit diesem Antrag sorgen Sie da- Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom für, dass ein großer Teil dieser Kinder sie nie verlassen 18. Januar dieses Jahres zu vergegenwärtigen, in der kann. Herr Bundesminister Franz Müntefering sein Ar- (Beifall bei der LINKEN) beitsprogramm mündlich vorgetragen hat. Auch in der schriftlichen Ausarbeitung, die damals ebenfalls vorge- Sie nehmen ihnen mit Ihrem Änderungsantrag die Mög- legt worden ist, findet sich auf Seite 12 der Hinweis auf lichkeit, mit einem selbstständigen Leben auf unterstem unsere Änderungsanträge. Niveau zu beginnen. Das jetzige Arbeitslosengeld II reicht nicht für eine Existenzsicherung und das Recht auf In der letzten Woche haben wir unsere Anträge in den eine gesellschaftliche Teilhabe. Das muss ich Ihnen Ausschuss für Arbeit und Soziales, der federführend ist, nicht noch einmal vorrechnen. Gerade jungen Menschen eingebracht. Am vergangenen Montag haben wir eine darf man nicht noch 69 Euro wegnehmen. Wir fordern Anhörung zu diesem Themenbereich durchgeführt. eine armutsfeste Grundsicherung als individuelles Heute früh fand im zuständigen Ausschuss die abschlie- Recht. ßende Beratung statt. Am Freitag dieser Woche wird es (B) im Plenum des Deutschen Bundestages zur zweiten und (D) (Beifall bei der LINKEN) dritten Lesung des Gesetzentwurfs kommen. Es hätte also genügend Möglichkeiten für eine Aussprache gege- Das Thema „arbeitsscheue Jugendliche“ lässt sich ben. Der heutigen Aktuellen Stunde hätte es jedenfalls hervorragend an Stammtischen besprechen. Wer diese nicht bedurft. Zwangsmaßnahmen begrüßt, der sollte sich überlegen, woher das Ministerium von Herrn Müntefering den Rest (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Elke der 3 Milliarden Euro Etatkürzungen nimmt. Bisher Reinke [DIE LINKE]: Für Sie vielleicht nicht! müssen nur junge Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter Für uns schon!) 25 Jahren mit Leistungskürzungen rechnen, wenn sie Arbeitsangebote nicht annehmen. Der Deutsche Indus- Angesichts des Verlaufs dieses Gesetzgebungsverfah- trie- und Handelskammertag fordert unter anderem diese ren und angesichts der verschiedenen Möglichkeiten zur Sanktionen für alle Langzeitarbeitslosen, sollten sie An- Aussprache, die es gegeben hätte, sage ich noch einmal: gebote für Arbeit, für die ihnen 3 Euro Stundenlohn ge- Diese Aktuelle Stunde ist völlig überflüssig. Ihnen geht zahlt werden, ablehnen. es überhaupt nicht um eine sachliche Diskussion – denn es hätte genügend Diskussionsmöglichkeiten gegeben –, Herr Minister, werden Sie, um die geplanten Kürzun- sondern Sie betreiben pure Polemik, weil Sie sich davon gen durchführen zu können, auf die Vorschläge des Vorteile bei den anstehenden Landtagswahlen erhoffen. DIHK zurückgreifen? Ich als Abgeordnete kann den Bürgerinnen und Bürgern nur empfehlen, diese Debatte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – sehr aufmerksam zu verfolgen und ihre demokratischen Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rechte wahrzunehmen, bevor es zu spät ist. NEN]: Sagen Sie doch auch mal was zur Sa- che!) Ich danke. Ich verstehe gar nicht, dass Sie sich über Hartz IV so (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Em- sehr aufregen. Denn wäre Hartz IV in der letzten Legis- mendingen] [CDU/CSU]: Können Sie auch laturperiode nicht auf den Weg gebracht worden, würden was zur Sache sagen?) Sie heute nicht hier sitzen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller, CDU/ der SPD – Lachen bei der LINKEN – CSU-Fraktion. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na, sehen Sie! 1300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Stefan Müller (Erlangen) (A) Dann hatte Hartz IV ja auch für die Linken eine Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle hat und sein eige- (C) wenigstens ein paar Vorteile!) nes Geld verdient, der aber zu viel verdient, um noch zu- sätzlich staatliche Hilfeleistungen in Anspruch nehmen Nun zur Sache. zu können, und der eine eigene Wohnung haben möchte, (Anhaltende Zurufe von der LINKEN) aber nicht genug Geld hat, um sie selber zu finanzieren? Wie sieht es hier mit freier Entfaltung aus? Warum muss die Solidargemeinschaft in dem einen Fall die Kosten für Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: die Wohnung übernehmen, in dem anderen Fall aber Darf ich Sie bitten, dem Redner zuzuhören? nicht? Ist das Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit? (Zuruf von der LINKEN: Das ist schwierig!) Meines jedenfalls ist es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): neten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Wir Im Wesentlichen geht es jetzt um zweierlei: brauchen einen Mindestlohn!) Erstens. Wir wollen die Gleichbehandlung von min- Für manch einen jungen Menschen unter 25 Jahren derjährigen Kindern bzw. Jugendlichen und volljährigen mag es zwar eine Zumutung sein, noch bei seinen Eltern Jugendlichen in einer Familie. Diesen Schritt halten wir zu wohnen. Aber es ist nicht unzumutbar, wenn wir ver- für vertretbar; denn diese Differenzierung im Gesetz ist langen, dass ein junger Hilfebedürftiger noch bei seinen nicht einsichtig. Eltern wohnt. Zweitens. Ein 18- bis 25-Jähriger, der zu Hause aus- Ich will festhalten: Es wird auch in Zukunft die Mög- zieht, bekommt gegenwärtig nicht nur Arbeitslosen- lichkeit geben, dass ein junger Mensch von zu Hause geld II, sondern es werden auch die ihm entstehenden auszieht: wenn er eine Ausbildungsstelle an einem ande- Kosten für Miete und Heizung und für die Erstausstat- ren Ort antritt oder wenn es schwer wiegende soziale tung seiner Wohnung übernommen. Gründe gibt; Sie haben ja davon gesprochen. Dann muss der kommunale Träger seine Zustimmung geben – und (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unglaub- das wird er, wenn diese Gründe vorliegen: weil er es lich! So etwas gibt es vielleicht im Sozialis- nach dem Wortlaut des Gesetzes muss. mus!) Ich bin der Meinung, wir sollten, anstatt die Zeit mit Ursprünglich hat man beabsichtigt, durch diese Rege- solchen Aktuellen Stunden zu verplempern, lung Hilfebedürftige zu unterstützen, die aus bestimmten Gründen nicht mehr zu Hause wohnen können, zum Bei- (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) (B) spiel weil sie an einem anderen Ort eine Arbeits- oder ernsthaft darüber diskutieren, wie wir die Beschäfti- (D) Ausbildungsstelle angenommen haben. Darüber hinaus gungsmöglichkeiten für junge Menschen verbessern hatte man Jugendliche im Blick, die aus verschiedenen können. sozialen Gründen nicht mehr bei ihrer Familie leben konnten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Nach Einführung dieser Regelungen mussten wir feststellen, dass sie massiv in Anspruch genommen wur- Wir sollten darüber reden, wie wir die jungen Menschen den, und zwar auch von solchen Personen, angesichts in Lohn und Brot bekommen, deren Situation man sich schon die Frage stellen musste, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann ob sie tatsächlich hilfebedürftig sind; aus der massiven tun Sie das doch endlich!) Inanspruchnahme dieser Regelungen resultieren im Übrigen auch die hohen Kostensteigerungen in diesem wie sie eine Arbeitsstelle oder eine Ausbildungsstelle Bereich. Nun wollen wir verhindern, dass Bedarfsge- bekommen; dann brauchen wir über staatliche Fürsorge meinschaften in Zukunft nur gegründet werden, um und die Zustimmung kommunaler Träger nicht zu reden. Arbeitslosengeld II und andere staatliche Transferleis- Stattdessen sprechen wir hier über irgendwelche The- tungen in größerem Umfang in Anspruch nehmen zu men, die Sie aus purer Polemik aufbringen; jede Woche können. versuchen Sie mit einer Aktuellen Stunde irgendein Thema aufzubauschen. Ich würde mir wünschen, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es wir die Zeit effizienter nutzen. Aber wenn nicht, dann handelt sich lediglich um die Wiederherstellung der könnten wir wenigstens über andere, interessante The- Rechtslage vor Hartz IV. Denn es gab schon früher die men sprechen: Wir könnten zum Beispiel eine Aktuelle Regelung, dass der kommunale Träger bzw. der Sozial- Stunde zu den Vorkommnissen in Ihrer Fraktion machen. hilfeträger zustimmen musste. Letztendlich stellen wir nur diesen Rechtszustand wieder her; denn er hat sich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: seinerzeit bewährt. Auch das ist eine Erkenntnis aus Hartz IV. Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Da Sie immer von Gerechtigkeit und persönlicher Mich würde zum Beispiel eine Aktuelle Stunde zu Entfaltung sprechen, will ich Ihnen folgenden Fall schil- den Vorkommnissen in den letzten Tagen in Ihrer Frak- dern: Was sagen Sie einem jungen Berufstätigen, der tion interessieren – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1301

Stefan Müller (Erlangen) (A) (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) auch die vorgesehene Beschränkung, dass unter 25-Jäh- (C) rige nur noch im Ausnahmefall aus der elterlichen Woh- die Allgemeinheit mit Sicherheit auch. nung ausziehen und eine geförderte Bedarfsgemein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schaft gründen können. neten der SPD) Allerdings haben wir in diesem Zusammenhang ei- nige Bedenken: Erstens. Es kann nach unserer Auffas- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sung nicht so sein, dass zum Stichtag – dem 17. Februar Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb, 2006 – vorhandene Bedarfsgemeinschaften einen wei- FDP-Fraktion. testgehenden Bestandsschutz genießen und diese Ände- rungen nur für neu einzurichtende Einpersonenbedarfs- (Beifall bei der FDP) gemeinschaften gelten sollen. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass im Rahmen der alle sechs Monate Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): stattfindenden Überprüfungen der Anspruchsvorausset- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zungen dort, wo es möglich und sinnvoll ist – es wird Bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreformen zu nicht überall möglich und sinnvoll sein –, auf die Rück- Hartz IV wurden von Rot-Grün, mit Duldung der Union, eingliederung in die familiäre Bedarfsgemeinschaft ge- gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Diese hand- drungen wird; wenn erforderlich – auch mit Blick auf werklichen Fehler sind eine, wenn auch zugegebenerma- bestehende Mietverträge – auch mit Toleranzfristen. ßen nicht die einzige Erklärung dafür, dass statt der vo- Aber der Grundsatz muss klar sein. Ansonsten käme es rausberechneten 14 Milliarden Euro im ersten Jahr der zu einer dauerhaften Belohnung der Findigen. Das darf Anwendung von Hartz IV rund 26 Milliarden Euro auf nicht sein. Denn wie wollen Sie einem Sozialhilfeemp- der Ausgabenseite gebunden wurden. fänger klar machen, dass er seine Wohnung wegen Fehl- Gleich als diese Fehler erkennbar wurden, wurde der belegung räumen soll, wenn ein unter 25-Jähriger auf Ruf nach Korrekturen laut. Das galt insbesondere für die Dauer in einer solchen leben darf? Hier gibt es aus unse- zahlreichen Fälle, dass Hilfebedürftige unter 25 Jahren rer Sicht Handlungsbedarf. mit Unterstützung der Träger einen eigenen Hausstand (Beifall bei der FDP) gegründet haben. Dafür, dass so etwas tatsächlich statt- gefunden hat, haben wir in der Anhörung am Anfang Zweitens. Die vorgesehene Genehmigungsregelung, dieser Woche Belege geliefert bekommen. Unter den wonach der Betroffene aus schwer wiegenden sozialen 2,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines nach SGB II beziehen, sind rund 2,2 Millionen Einper- Elternteils verwiesen werden kann, wird in der Verwal- (B) sonenbedarfsgemeinschaften, was 78 Prozent entspricht. tungspraxis sehr schwer zu handhaben sein und die (D) Mitarbeiter der Bundesagentur und der Arbeitsgemein- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaften erneut vor Probleme stellen. Das gilt auch dann, NEN]: Es gibt doch keine verlässlichen Zah- wenn, wie wir heute im Ausschuss gehört haben, darauf len, Herr Dr. Kolb!) verwiesen wird, dass die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung der Sozialge- Der Vertreter der Bundesagentur hat bei uns unter Beru- richte, zum Beispiel zum Sozialhilferecht, ausgeformt fung auf Stellungnahmen und Aussagen der Arbeitsge- seien. meinschaften sehr offen von Fehlanreizen gesprochen. Er sagte wörtlich: Diese Fehlanreize entsprechen für Es bleibt das Problem, dass die Mitarbeiter in der mich auch fast der Lebenswirklichkeit. Wenn ein junger Agentur und in den Arbeitsgemeinschaften die vorge- Mensch die Möglichkeit hat, zulasten der Allgemeinheit brachten Gründe nachprüfen müssen, wofür sie aber aus dem elterlichen Haushalt auszuziehen, und seine nicht ausgebildet sind. Bei der ohnehin bereits bestehen- Haushaltsgründung auch noch von der Allgemeinheit fi- den hohen Arbeitsbelastung der Mitarbeiter werden auch nanziert wird, dann wird das wahrscheinlich von vielen wohl kaum die Möglichkeit und die Zeit gegeben sein, in Anspruch genommen worden sein. hier entsprechende Nachschulungen vorzunehmen. Im Ergebnis würde hier eine Prozessflut ausgelöst werden. Das heißt für uns: Es gibt Missbrauch. Die FPD-Bun- Dem Ziel, Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, dient destagsfraktion unterstützt die Zielsetzung, diesen Miss- man damit auf jeden Fall nicht. brauch zurückzuführen, nachdrücklich. Das dritte Problem, das wir ansprechen, ist der Zeit- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten punkt des In-Kraft-Tretens der neuen Regelung. Bei der der CDU/CSU) Frage, ob das bereits am 1. Juli 2006 oder erst am Es geht also darum, Fehlanreize auszuräumen. Es kann 1. Januar 2007 möglich ist, ist die Kakophonie in den nicht sein, dass, wie nach der bestehenden Rechtslage Reihen der Koalition komplett. möglich, unter 25-Jährige relativ wahllos die elterliche (Dr. Uwe Küster [SPD]: Keine Beleidigung!) Bedarfsgemeinschaft verlassen, eine eigene Bedarfsge- meinschaft gründen und für Unterkunft und Heizung zu- Die Union will wohl ein schnelles In-Kraft-Treten. Herr sätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld II Ansprüche geltend Müntefering, die Sprecherin des Bundesarbeitsministe- machen können. Wir begrüßen daher im Grundsatz die riums hat gestern erklärt, das Gesetz könne erst zum vorgesehene Einbeziehung arbeitsloser Jugendlicher un- 1. Januar 2007 umgesetzt werden; früher sei die Umset- ter 25 Jahren in die elterliche Bedarfsgemeinschaft und zung nicht möglich. 1302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Da auch die Bundesagentur darauf hinweist, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C) Umgehungslösungen bezüglich der nicht anwendbaren Es gibt aber auch andere Punkte, bei denen wir versu- Software in diesem Fall wohl nicht möglich sein werden, chen müssen, einzusparen. Die Erfahrung des kann man hier nur sehr deutlich vor zu viel Optimismus Jahres 2005 war, dass die Bestimmungen des Gesetzes warnen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gedehnt worden sind. Ich gebrauche ausdrücklich nicht erlebt, dass man sehr optimistisch an Dinge herangegan- das Wort „missbraucht“; denn das, was da passiert ist, gen ist und dass die Verfahren in der Praxis dann nicht war nach dem Gesetz möglich. Wir als Gesetzgeber sauber durchgeführt werden konnten. Das alles klingt für müssen sagen, dass wir uns da korrigieren und darauf uns nicht sonderlich ermutigend. achten müssen, dass die entstehenden Kosten nicht über Schließlich warnen wir auch noch vor Missbrauchs- Gebühr über das Ziel hinausschießen. tatbeständen, die sich aus der Zusicherung nach § 22 Was waren die Probleme? Es haben sich neue Be- Abs. 2 a des Entwurfs ergeben könnten. Hier gibt es ein darfsgemeinschaften gebildet, und zwar in erheblichem großes Interesse der abgebenden Träger, einen Umzugs- Maße durch die ganz jungen Menschen, die 18-, 19- und kostenzuschuss zu gewähren. Ich sage: Wenn sich der 20-Jährigen, die aus ihrem elterlichen Verbund ausgezo- Arbeitslose an seinem neuen Wohnort wohl fühlt, dann gen und in eine eigene Wohnung gezogen sind. Damit wird es nur sehr schwer möglich sein, einen Rückumzug waren sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft und erhielten auf den Weg zu bringen. Das hätte für die verschiedenen 100 Prozent ALG II. Auch die Einrichtung für ihre Woh- Träger aber dauerhafte Folgen in der einen und in der an- nung wurde in hohem Maße bezuschusst und dazu wer- deren Weise. den natürlich auch die Wohnkosten finanziert. Insgesamt stellen sich hier also viele Fragen. Wir sind Es hat sich herausgestellt, dass dies eine große aber bereit, an dem grundsätzlichen Ziel der Korrektur Gruppe ist und dass an dieser Stelle eine Menge Kosten der Fehlanreize mitzuwirken. entstanden sind, die wir nicht gewollt haben. So war das Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nicht gemeint. Das kann auch nicht im Sinne des Erfin- ders sein; denn die Kosten, die dort entstehen, müssen (Beifall bei der FDP) natürlich von den Steuerzahlern insgesamt getragen wer- den. Diese Situation nehmen wir auf, um sie zu korrigie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ren. Für die Bundesregierung hat nun der Herr Bundesmi- Wir haben im Verlauf des Jahres auch festgestellt: Die nister Franz Müntefering das Wort. Tatsache, dass jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jah- ren, die zu Hause wohnen bleiben, 100 Prozent statt (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) 80 Prozent des Regelsatzes gezahlt wird, ist mit deren Situation nicht vereinbar; denn in einer Familie gibt es Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und keine doppelten Haushaltskosten. Deshalb können an Soziales: dieser Stelle Korrekturen stattfinden. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man ein großes Gesetzgebungswerk wie die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schaffung der Grundsicherung in Bewegung setzt, dann Wenn man das so macht, wird man im Jahr der vollen ist ganz klar, dass man beobachtet, was daraus wird, und Wirksamkeit 500 bis 600 Millionen Euro sparen. dass man dann auch Konsequenzen daraus zieht und Veränderungen vornimmt, wenn sich dies als nötig er- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wann kann es weist. denn losgehen?) Das tun wir. Ich gehe davon aus, dass wir am Freitag Es wird dann so sein, dass die Bedarfsgemeinschaften, dieser Woche das SGB-II-Änderungsgesetz im Deut- die sich durch Umzug bilden, nur noch möglich sind, schen Bundestag beschließen werden. Es gibt einige wenn es dafür gute Gründe gibt. Das kann die Notwen- Punkte darin, die ich ansprechen möchte. digkeit sein, in eine andere Stadt umzuziehen. Das kön- nen aber auch schwerwiegende soziale Gründe sein, Punkt 1 des Gesetzes ist eine Mehrausgabe. Es geht etwa Verwerfungen in der Familie, die zwangsläufig dort um die Anhebung der im Osten zu zahlenden ALG- dazu führen, dass der junge Mensch auszieht. Das hat es II-Beträge auf das Westniveau. Das steht darin. Das tritt im Bereich der Sozialhilfe schon gegeben. Diese Ent- zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Dadurch entstehen in scheidungen muss man vor Ort individuell treffen. Sol- diesem Jahr Kosten in Höhe von 220 Millionen Euro. Im che Ausnahmesituationen gibt es. Aber es darf eben nächsten Jahr gilt das dann voll. nicht mehr die Regel sein, dass 18- oder 19-Jährige von zu Hause ausziehen, sich eine eigene Wohnung nehmen Nun bin ich ganz gespannt, was Sie am Freitag tun und die Kosten dafür von der Gemeinschaft aller getra- werden, ob Sie dem Gesetz zustimmen oder nicht; denn gen werden, wie wir das im Jahre 2005 erlebt haben. ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diese Anhebung des Betrages vom Ostniveau auf das Westniveau nicht Es gibt also diese Regel und es gibt Ausnahmen von wollen. Ehe man sich hier also derart zu Wort meldet, dieser Regel. Es wird auch in Zukunft so sein, dass die- sollte man sich überlegen, welcher Zusammenhang da jenigen, die im elterlichen Verbund wohnen bleiben, eigentlich besteht. Wir warten also gespannt darauf, was nicht 100 Prozent, sondern 80 Prozent des ALG II be- am Freitag passiert und wie Sie sich dabei verhalten. kommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1303

Bundesminister Franz Müntefering (A) Die Frage ist: Wann wird das umgesetzt? Aufgrund mit sich auch da das eine oder andere Gerücht ein biss- (C) von technischen Problemen hat die BA mitgeteilt, dass chen relativiert. Im europäischen Vergleich stehen wir so dies vernünftigerweise erst zum 1. Januar des nächsten schlecht nicht da. Deutsche Jugendliche in der Alters- Jahres umgesetzt werden könne. Dies hat sich auch in klasse zwischen 18 und 25 Jahren sind im Schnitt den Zeitungsmeldungen vom heutigen Tag niederge- 4,4 Monate arbeitslos. Das muss an vielen Stellen besser schlagen. Aber darüber kann man ganz offen sprechen. werden – das wissen wir –, aber ich sage Ihnen: Das Geld, das wir einsparen wollen, geht den Jugendlichen Wir in der Koalition haben heute im Ausschuss ent- nicht verloren. Wir werden es dafür einsetzen, diesen Ju- schieden: Wir wollen diese Regelung ab dem 1. Juli um- gendlichen noch stärker als bisher zu helfen, um in ver- setzen. Mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages nünftiger Weise Qualifizierung, Ausbildung und letztlich am Freitag wollen wir der Agentur signalisieren, Druck eine Arbeit zu bekommen. Insofern bin ich ganz sicher: zu machen und sich zu beeilen, da die Umsetzung dieser Das, was wir machen, ist ein vernünftiger Weg in die Regelung nicht unnötig lange dauern soll. Ich glaube, richtige Richtung. dass diese Entscheidung vertretbar und richtig ist. Nun muss man versuchen, diese Regelung ab dem 1. Juli um- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. zusetzen. Dies kann auch dadurch geschehen, dass man sich überlegt, mit welcher anderen Methode als nur mit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der vorhandenen Technik diese Dinge umgesetzt werden können. Wir wollen, dass dies so schnell wie möglich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: realisiert wird. Ich erteile das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Wichtig ist – da stehe ich im Widerspruch zu dem, was Herr Kolb von der FDP gesagt hat –: Diejenigen, die auf legale Weise eine Bedarfsgemeinschaft gegründet Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben und in eine eigene Wohnung gezogen sind, wer- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr den wir dort lassen. Es macht überhaupt keinen Sinn, so Müntefering, dass jetzt auch ein sozialdemokratischer zu tun, als ob diese Menschen diese Regelung miss- Arbeitsminister junge ALG-II-Empfänger zumindest als braucht hätten. Das Gesetz bot diese Möglichkeiten. potenzielle Schmarotzer ansieht Dies wird korrigiert. Aber die jungen Menschen, die be- ( [SPD]: Das hat er doch nicht reits eine eigene Wohnung haben, werden in ihrer Be- gesagt! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Popanzpoli- darfsgemeinschaft bleiben können. tische Sprecherin! Was soll denn das? – Stefan Man kann sich hier viele Tausend Einzelfälle vorstel- Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Dummes (B) len. Darüber haben wir in den letzten Tagen in allen Zeug!) (D) Fraktionen hinreichend diskutiert. Einen Teil dieser Ein- und damit relativ umstandslos an die Töne des nord- zelfälle wird man vor Ort zu klären haben. Die große rhein-westfälischen Sozialministers Karl-Josef Laumann Menge derer, die bereits in einer eigenen Bedarfsge- anknüpft, finde ich enttäuschend. meinschaft leben, wird da bleiben. Aber in der Zukunft wird das anders gehandhabt werden. Ich glaube, es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vernünftig, hier etwas zu ändern. Letzterer hat schon im Herbst vergangenen Jahres Ich will abschließend sagen: Mindestens so wichtig festgestellt – das sage ich an die CDU/CSU gewandt –, wie das Thema, das wir hier jetzt behandeln, ist, dass wir es gehe nicht an, dass ganze Schulklassen eigene Woh- die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, noch konzen- nungen anmelden, um Anspruch auf ALG II zu bekom- trierter und energischer dafür einsetzen, den jungen men. Menschen eine Chance zu geben, in Ausbildung, Quali- (Dr. [CDU/CSU]: Genau so fizierung oder Beschäftigung zu kommen. ist es! Gucken Sie sich doch mal um, was im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Land los ist!) Wir in der Koalition haben uns vorgenommen, zu er- – Das ist Ihre Auffassung; so betrachten Sie diese jungen reichen, dass junge Menschen maximal drei Monate ar- Leute. – In der Grobfassung dieser Rede wird dann von beitslos sind und dass sie in den Argen oder in den optie- Missbrauch geredet. Für die Feinnervigen – dazu gehö- renden Gemeinden so intensiv betreut werden, dass sie ren sicherlich Sie, Herr Müntefering – wird dann davon innerhalb dieser drei Monate Ausbildung, Qualifizierung gesprochen, dass die große Koalition die Familie als oder Beschäftigung finden. Wenn man das erreicht, be- Verantwortungsgemeinschaft stärken will. antwortet das übrigens auch einen Großteil der Frage: Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Was passiert mit denen, die arbeitslos sind, und wie wird sich die vorgesehenen Änderungen nicht auf Kinder be- deren Lebensweg aussehen? Es ist nicht gut, wenn wir ziehen. Es geht dabei um junge Staatsbürger, von denen als Staat jungen Menschen Arbeitslosengeld-II-Karrie- wir auch ziemlich viel verlangen. ren finanzieren, sondern es ist besser, wenn wir das Geld dafür einsetzen, diesen Menschen eine Chance zu geben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den Arbeitsmarkt zu kommen. Sie sind volljährig. Sie müssen die Wehrpflicht ableis- Die Dauer der Arbeitslosigkeit junger Menschen be- ten. Sie sind voll geschäftsfähig. Sie sind straffähig und trägt zurzeit in Deutschland im Schnitt 4,4 Monate – da- – auch daran will ich Sie erinnern – sie haben Gott sei 1304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Brigitte Pothmer (A) Dank das Wahlrecht. Diese jungen Leute sollen sich jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) wieder in die Haushalte ihrer Eltern einfügen. Widerspruch bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch Stellen Sie sich einmal vor, ein junger Mensch aus gar nicht!) den neuen Bundesländern zieht nach Stuttgart, weil er dort einen Arbeitsplatz gefunden hat. Wenn er diesen Ich will gar nicht leugnen, dass auch wir einen gewis- wieder verliert und sich deshalb eine billigere Wohnung sen Handlungsbedarf sehen. suchen will, dann braucht er dafür wieder eine Genehmi- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: gung. Dann hat der kommunale Träger erneut das Recht, Also doch! – Dr.Uwe Küster [SPD]: So viel ihm die eigene Bedarfsgemeinschaft zu verweigern. Das dummes Zeug auf einem Haufen! Aus einem bedeutet eine Rückabwicklung zum Einchecken in das Mund!) Hotel Mama. Vielleicht hat das Hotel Mama aber in der Zwischenzeit längst dichtgemacht, weil sich die Eltern Wenn junge Leute im Haushalt ihrer Eltern leben, bin bereits auf die neue Situation eingestellt haben und eine ich ebenfalls der Auffassung, dass die Generalkosten kleinere Wohnung genommen haben. nicht mehrfach anfallen und anders aufgeteilt werden (Dr. Uwe Küster [SPD]: Reden Sie doch noch können wie bei anderen Erwachsenen auch. ein bisschen lauter!) (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Das, was Sie hier machen, stärkt in keiner Weise die Aber dann frage ich Sie: Warum bekommen diese Verantwortungsgemeinschaft. Sie überfordern die Fami- jungen Leute unter 25 nicht wie andere Erwachsene auch lie als Solidargemeinschaft. 90 Prozent der Regelleistung? Es gibt schließlich nicht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ mehr den Haushaltsvorstand, der 100 Prozent bekommt, DIE GRÜNEN) während alle anderen 80 Prozent bekommen. Das SGB II sieht eine gleichberechtigte Behandlung vor. Das Das vertreibt die jungen Leute eher aus den Haushalten bedeutet dann eben auch 90 Prozent der Regelsätze für der Eltern, also genau von dort, wo Sie sie halten wollen. beide Partner. Das sollte dann auch für unter 25-Jährige Das, was Sie hier anzetteln wollen, nenne ich eine Stu- gelten. benhockerkampagne. Sie wollen eine Renaissance der Heimschläfer einleiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Laumann, den ich bereits zitiert habe, hat von ei- Lachen bei der CDU/CSU) (B) ner Auszugslawine gesprochen, die angeblich unter den (D) 18- bis 25-Jährigen stattgefunden hat. Das ist gefühltes Um Ihr Vorhaben sollte man ein großes Schild hängen, Wissen. Das möchte ich ausdrücklich festhalten. Belast- auf dem steht: Ins Leben eintreten verboten; Eltern haf- bare Daten gibt es dafür nicht. ten für ihre Kinder! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Die Landratsämter sagen Dr. Uwe Küster [SPD]: Heute ist doch noch etwas anderes!) nicht Rosenmontag! Die Rede hätten Sie bes- ser woanders üben sollen! – Weiterer Zuruf Im Gegenteil: Es gibt deutliche Indizien für eine Ent- von der SPD: So ein Unsinn!) wicklung in die umgekehrte Richtung. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Spre- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: chen Sie mal mit einer Arbeitsagentur vor Frau Kollegin, kommen Sie allmählich zum Schluss. Ort!) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Bedarfsgemein- Ich komme zum Schluss. schaften, in denen nur eine Person lebt, vom Februar bis zum September 2005 um 0,2 Prozent zurückgegangen. Herr Müntefering, das Versprechen, jungen Men- schen umgehend einen Ausbildungs- oder einen Arbeits- (Andrea Nahles [SPD]: Sie ist aber bei den Ju- platz anzubieten, ist nicht eingelöst worden. gendlichen gestiegen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist nicht das politische Ziel der Grünen, 18-Jährigen Das ist das Kernproblem; dieses sollten Sie lösen. Aber aus Steuermitteln ihre erste eigene Bude zu finanzieren, Sie zetteln hier Scheindebatten an, die niemandem nut- wenn dazu keine Notwendigkeit besteht. Das ist auch zen, auch nicht den Jugendlichen. nicht unser Ziel. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Aber die von Ihnen in dem Gesetzentwurf vorgesehe- nen Korrekturen widersprechen jeder Vernunft. Denn Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende. nach Ihren Vorstellungen müssen junge Menschen nicht nur ihren Erstauszug genehmigen lassen; vielmehr müs- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen sie in der Folge jeden Umzug genehmigen lassen. Ich danke Ihnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1305

Brigitte Pothmer (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das war bislang der Fall und das wird weiterhin so (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf sein. Auch zukünftig übernimmt die Allgemeinheit die von der CDU/CSU: Kein gescheites Wort!) Kosten der Unterkunft, wenn ein Grund für einen Erst- wohnungsbezug vorliegt. Aber zukünftig muss die Ar- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: beitsgemeinschaft oder die optierende Kommune vorher zustimmen. Die jungen Arbeitslosen, die bei den Eltern Ich erteile das Wort der Kollegin Gitta Connemann, wohnen bleiben, erhalten nur noch 80 Prozent der Regel- CDU/CSU-Fraktion. leistung. Das ist leicht zu berechnen; denn die Kosten ei- (Beifall bei der CDU/CSU) ner gemeinsamen Wohnung sind nun einmal nicht so hoch wie die mehrerer Haushalte. Gitta Connemann (CDU/CSU): Die Gegner dieser Pläne hatten ihr Urteil schnell ge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim fällt. Wenn man im Internet chattet, dann stellt man fest, Zuhören der Rede der Kollegin Pothmer – man konnte ja dass dort die Rede vom Aushungern junger Hartz-IV- nicht weghören – Empfänger sowie von Jugendlichen zweiter Klasse ist. Meine Damen und Herren von der Linken, das ist aus (Heiterkeit bei der CDU/CSU) meiner Sicht Pathos pur. Große Worte, aber ohne jede fiel mir ein Satz unseres ehemaligen Bundeskanzlers Substanz! Konrad Adenauer ein, der einmal sagte: „Wir leben alle (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle den- selben Horizont.“ Frau Pothmer, Sie hätten sich ebenso wie ich mir die Mühe machen sollen, sich vor Ort zu informieren. In den (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Ämtern hätten Sie gehört, dass es auch Mitnahmeeffekte wie bei Abgeordneten der SPD) gibt. Beispielsweise kursieren an den Gymnasien in mei- nem Landkreis inzwischen Formulare mit dem Titel Jedenfalls habe ich die Rede von Herrn Bundesminister „Das Recht auf eine kostenfreie Bude“. Diese Formulare Müntefering vollkommen anders verstanden, Frau Pothmer. Man kann aber auch mit dem Bonmot eines werden bei den Ämtern vorgelegt. Sie hätten gehört, dass der Abschluss von Mietverträgen in Familien auf Schriftstellers sagen, dass häufig diejenigen, die laut einmal Konjunktur hat. Da wird schon einmal die Einlie- schreien, heiser sind, wenn sie bekennen müssen. Ich glaube, auch darum geht es heute. gerwohnung von den Eltern an die Kinder vermietet. Die Versuche der Kommunen, auf die Unterhaltsverpflich- Frau Pothmer, im Gegensatz zu Ihnen kann ich bestä- tung der Eltern hinzuweisen, scheitern spätestens vor (B) tigen, was der Bundesminister gesagt hat. Ich lebe in ei- Gericht. Es gilt die Überleitung: Der Staat soll doch ver- (D) nem ländlichen Raum. Bei uns waren bislang gemein- suchen, sich die Miete bei den Eltern zu holen. Deshalb same Haushalte die Regel. Aber im letzten Jahr ist auch wünschen sich zum Beispiel die Landkreise in meinem bei uns die Zahl der Singlehaushalte schlagartig explo- Wahlkreis die beabsichtigte Gesetzesänderung, sorgt sie diert. Es war, als hätte die ganze Welt auf einmal die doch auch für Klarheit bei den Sozialgerichten. Freuden des Alleinlebens entdeckt. Das betraf vor allem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Haushalte, die ALG II beziehen. Nicht nur im Land- kreis Leer – aus diesem komme ich und dort habe ich Das Angebot zum Alleinwohnen auf Kosten der Steu- mich informiert; das hätte Ihnen sicherlich ebenfalls gut erzahler findet reißenden Absatz, allerdings mit uner- angestanden – wünschten Nebeneffekten. Die Kosten explodieren. Aber es geht um mehr als Geld. Es geht hier auch um die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frage, was sich der Sozialstaat noch leisten kann und neten der SPD) soll. stieg ihre Zahl um mehr als 40 Prozent. Vielmehr war (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ landauf, landab die Geschichte von der wundersamen DIE GRÜNEN]: Welche Gymnasiasten be- Vermehrung der Bedarfsgemeinschaften zu hören. kommen denn Arbeitslosengeld II, Frau Kolle- (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) gin?) Da waren nicht nur die nicht ehelichen Lebensgemein- Ist es die Aufgabe der Solidargemeinschaft, den Start schaften, in denen zwar die Liebe nicht endete, die aber in ein eigenständiges Leben zu finanzieren? Werden seltsamerweise ihre gemeinsamen Haushalte auflösten. Volljährige, die bei ihren Eltern wohnen, zu Erwachse- Vielmehr gab es auch Jugendliche, die ihre Sachen pack- nen zweiter Klasse? Wohl kaum. Der staatlich finan- ten, und zwar auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist gut zierte Auszug von zu Hause ist kein Menschen- oder so, Frau Kollegin, wenn es um die Eingliederung in den Bürgerrecht. Es geht hier übrigens auch um Fragen der Arbeitsmarkt geht. Das ist gut so, wenn das Familienle- Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn Jugendliche, die ben zu Hause unerträglich ist. In diesen Fällen ist der nicht arbeiten, genauso viel erhalten wie Jugendliche in Staat, ist die Allgemeinheit gefordert, den betroffenen der Ausbildung? Der ALG-II-Satz von 345 Euro liegt Jugendlichen zu helfen; denn sie sind dann hilfsbedürf- über dem, was in vielen Ausbildungsberufen verdient tig. wird. Ein Bauzeichner in Ostfriesland bekommt im ers- ten Lehrjahr 311,88 Euro, eine Floristin 321 Euro. Wer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ist denn jetzt der Jugendliche zweiter Klasse, meine 1306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Gitta Connemann (A) Damen und Herren von der Linken? Keiner mehr als der (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Em- (C) andere. Das Signal ist für beide verheerend, sowohl für mendingen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – den jugendlichen Arbeitslosen als auch für den Auszu- Dr. Uwe Küster [SPD]: Wunderling!) bildenden, nämlich dass sich Arbeit nicht mehr lohnt. – Hören Sie mir einmal zu! Es wird noch besser. Ist es gerecht, dass die ursprünglich gedachte Unter- stützung inzwischen zum Blankoscheck geworden ist, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Es kann nicht besser der von den einen ausgegeben, aber von den anderen ge- werden!) zahlt werden muss? Ich spreche hier von vielen Millio- Die Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaft auf die un- nen Normalverdienern. Ich selbst habe eine Lehre als ter 25-Jährigen und die Einschränkungen beim Erst- Einzelhandelsverkäuferin gemacht. Nach dem aktuellen wohnbezug sind völlig überzogen. Das sagt übrigens Tarifvertrag beträgt das Monatsgehalt einer Vollzeitver- auch der DGB. Ich weiß nicht, wer von Ihnen bei der käuferin in Sachsen-Anhalt nach sieben Berufsjahren Expertenanhörung war. Ich war dabei und habe sie mir 1 987 Euro Brutto. Meine früheren Kolleginnen stehen angehört. Es wird seitens der Regierung von ständigem dafür bei Wind und Wetter auf und arbeiten. Ist es ge- und massivem Missbrauch dieser Altersgruppe gespro- recht, dass die Eigenständigkeit junger Menschen staat- chen und mit Zahlen herumgeworfen. Woher kommen lich finanziert wird und nicht mehr von der Familie? diese Zahlen? Diese Zahlen gibt es überhaupt nicht. In (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Expertenrunde ist gesagt worden, dass es keine be- NEN]: Sie würden gerne früher aufstehen und legbaren Zahlen gibt. Ich war bei den Arbeitsgemein- arbeiten gehen! Was ist das für eine Unterstel- schaften bei mir zu Hause im Kreis. Auch dort ist gesagt lung?) worden: Wir haben keine Zahlen. – Es gibt keine Hin- weise auf Missbrauch durch diese Altersgruppe. Das ist Hier geht es nicht um die Frage der Emanzipation erstunken und erlogen. junger Menschen, sondern auch um die Frage der Entso- lidarisierung von Familien. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie haben als hehres Ziel benannt, junge Arbeitslose unter 25 keine drei Monate in der Arbeitslosigkeit zu be- Wenn Sie meinen, Eltern könne man nicht zumuten, für lassen. Daran sollten Sie arbeiten; das ist das Ziel. Sie ihren 20-jährigen Sohn aufzukommen, dann haben Sie sollten die Betroffenen aber nicht weiter schröpfen und aus meiner Sicht ein ganz merkwürdiges Verständnis bluten lassen. von einer solidarischen Gesellschaft. Von der Schaffung von Arbeitsplätzen wird hier über- (B) Am Ende dieser Aktuellen Stunde bleibt für mich ein haupt nicht mehr gesprochen. Es geht doch nur um die (D) schaler Beigeschmack. Verwaltung von Arbeitslosen bei gleichzeitiger Kosten- dämpfung. Bestes Beispiel ist die Senkung der Bemes- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es kommen sungsgrundlage für die Beitragsberechnung der Renten noch ein paar Beiträge!) von ALG-II-Empfängern. Wenn seitens der CDU festge- Denn Ihre fragwürdige Fähigkeit – sowohl bei der Lin- stellt wird – ich zitiere –, „dass die Kosten so explodiert ken als auch leider bei der Kollegin von den Grünen –, sind, dass gehandelt werden muss“, dann ist es endlich größte Worte zu machen, hilft allenfalls Ihnen bei Land- an der Zeit, zuzugeben, dass die Berechnungen zur tagswahlen, aber nicht den Betroffenen. Ich bitte Sie: Pa- Hartz-Gesetzgebung verfehlt waren. Aber diese Größe thos eignet sich nur für das Theater, aber nicht für das fehlt der Koalition. Plenum. Wie gehabt, sollen diese Fehler auf dem Rücken der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Betroffenen ausgeglichen werden, und das durch weitere bei Abgeordneten der FDP) Eingriffe in Bürgerrechte. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Welches Bürgerrecht?) Das Wort hat nun der Kollege Jörn Wunderlich, Frak- tion Die Linke. Das heißt, es kommt wieder zu Leistungsbeschneidun- gen, Verdrängungseffekten und Repressionen. Aber was (Beifall bei der LINKEN) kümmert das unseren Arbeitsminister? In diesem Zusammenhang möchte ich einmal an das Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Godesberger Programm erinnern, in welchem es unter Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und anderem heißt – ich zitiere –: Kollegen! Ich bin froh, dass ich nicht mehr in Ostfries- land lebe, wo es so schlimm ist. Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit ent- Zwangsfamilie. Wir alle in diesem Hohen Haus spre- falten und als dienendes Glied der Gemeinschaft chen uns gegen Zwangsehen bzw. Zwangverheiratungen verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und aus und Sie wollen durch die Novellierung des Gesetzes kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann. für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt durch die Hintertür wieder Zwangsfamilien einführen. Sieht so (Rolf Stöckel [SPD]: Richtig! Da steht nichts die Förderung von Familie aus? über Transferleistungen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1307

Jörn Wunderlich (A) Noch im Berliner Programm von 1989 heißt es: Das Modell des Mehrgenerationenhauses hat sich dann (C) automatisch erledigt. Die Sozialdemokratie führt die Tradition der demo- kratischen Volksbewegungen des neunzehnten Der Kollege Dobrindt hat hier am 10. Februar erklärt Jahrhunderts fort und will daher beides: Demokra- – Zitat –, „dass junge Menschen mehr Freiheit und tie und Sozialismus, Selbstbestimmung brauchen“. – hört! – (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da hat er Recht!) Selbstbestimmung der Menschen in Politik und Ar- beitswelt. – Da hat er Recht –. Das ist hoffentlich nicht so zu ver- (Beifall bei der LINKEN – Rolf Stöckel stehen, dass junge Menschen ab 18 wählen dürfen oder [SPD]: Ja, keine Diktatur der Arbeit! Demo- als Soldaten ins Ausland geschickt werden können. kratie und Arbeit!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Zurück zum SGB II. Aus meiner Sicht will die Koali- Es lebe der Sozialstaat! tion das SGB II nur aus fiskalpolitischen Erwägungen ändern. Lebenslagen von Betroffenen werden überhaupt Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. nicht berücksichtigt. (Beifall bei der LINKEN) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Hier wird doch wieder nach dem Motto verfahren: Rech- Ich erteile das Wort der Kollegin Angelika Krüger- net sich das überhaupt? Eine solche Politik ist weder kin- Leißner, SPD-Fraktion. der- noch familienfreundlich; sie kann es nicht sein. Das habe ich bereits Anfang Dezember in diesem Hause an Angelika Krüger-Leißner (SPD): diesem Pult gesagt und dazu stehe ich noch immer. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Gerd Andres [SPD]: Donnerwetter!) Kollegen! Ich muss daran erinnern, dass wir die Frage, wie wir Jugendliche unter 25 künftig fördern werden, in Dass es auch andere Stimmen dazu gibt, vornehmlich ein Paket der Änderungen an Hartz IV eingebettet ha- die der Arbeitgeberverbände, wundert mich gar nicht. ben. Manche vergessen das. Ich bin froh, dass der Minis- Vorrangig scheinen sie von dieser Änderung keine Vor- ter zu Beginn seiner Rede gesagt hat: Es ist ein sehr po- (B) teile zu haben. Denkt man aber einmal weiter und ver- sitives Gesetz – das hat überhaupt nichts mit Kürzungen (D) liert man die Gesamtzusammenhänge nicht aus den Au- zu tun –, zum Beispiel für die Menschen in Ostdeutsch- gen, stellt man schnell fest, dass sich alles zu einem land. Die jetzt vollzogene Angleichung des Arbeitslo- bestimmten Bild zusammenfügt: Wenn junge Menschen sengeldes in Ost und West ist ein Gewinn, auch für die ohne Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen jungen Leute. Arbeitsplatz finanziell so weit drangsaliert werden, dass sie auch bereit sind, im Niedriglohnsektor zu arbeiten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dann entlastet dies letztlich die Statistik der BA. CDU/CSU) (Gerd Andres [SPD]: Aha, jetzt haben Sie es Da frage ich mich: Wie können hier einige allein von erkannt!) Kürzungen reden? Und: Die Arbeitgeber stehen nicht mehr so sehr unter Die Frage der Förderung junger Menschen ist ein zen- dem Erfolgsdruck – Sie waren dabei, als all diese Pro- traler Punkt der Sozialreform. Gerade durch die Zusam- gramme aufgelegt wurden –, ihrem nicht eingelösten menlegung des Fürsorgesystems haben wir für alle Ar- Versprechen aus dem Bündnis für Arbeit nachzukom- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch für die jungen men, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Im Gegenteil: Leute, bessere Chancen erreicht, auf den Arbeitsmarkt Die Arbeitgeber werden in die Lage versetzt, die Löhne zu kommen. Wir haben die Grundsicherung eingeführt. noch weiter zu drücken. Alles das dürfen wir nicht vergessen. Wir sind im 14. Monat der Umsetzung eines sehr weit reichenden In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage – ich Gesetzes, das vielleicht sogar ein Jahrzehnt braucht, um warte wirklich auf eine Antwort –: Wann kommt endlich seine volle Wirkung zu entfalten. Wir stecken noch in der Vorschlag der Regierung, die Senioren ab 65 oder den Kinderschuhen. Es hat sich gezeigt, dass es Fehlent- demnächst ab 67 wieder in die Haushalte der Kinder zu wicklungen gibt und dass wir gewünschte Effekte nicht integrieren, natürlich unter Anrechnung der Einkommen erreichen können. Also ist es doch nur richtig, wenn wir der Familie auf die Rente? rechtzeitig darangehen, das zu ändern. (Beifall bei der LINKEN) Ich will auch noch einmal an Folgendes erinnern: Wir Das spart Renten und Wohnkosten, schafft gegebenen- haben schon im Herbst darüber diskutiert. Das ist über- falls auch kostenlose Kinderbetreuung. haupt kein neues Thema. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja sind aber lange fünf Minuten!) und?) 1308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Angelika Krüger-Leißner (A) Dieses Thema war in den Kommunen gegenwärtig. darfsgemeinschaften Einpersonenhaushalte sind. Der (C) Wenn Sie in eine Arge oder in eine Optionskommune Anstieg der Zahl dieser Haushalte ist wesentlich gravie- gegangen sind, haben Sie gehört, welche Veränderungen render als der der Zahl der Mehrpersonenhaushalte. Das sich da ergeben haben und dass die Kosten enorm gestie- lässt die Kosten natürlich explodieren. Wenn wir da gen sind. nicht eingreifen, setzen wir weiterhin Geld ineffektiv ein und werden dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten (Dr. Uwe Küster [SPD]: Welche Fehlsteuerun- können. gen da sind!) Den Kritikern der vorgesehenen Regelung kann ich – Ja. nur sagen: Gehen Sie vor Ort! Aus diesem Grunde sind wir an die Analyse gegan- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Richtig! Ge- gen, haben diesen Änderungsvorschlag eingebracht und nau!) handeln auch. Wir korrigieren die Fehlentwicklung, ohne dabei Härten zu schaffen. Gehen Sie in die Verwaltungen, in die Optionskommu- nen, in die Argen! Wenn Sie mit den Leuten dort reden, Was die bisherige Regelung für junge Erwachsene un- werden Sie von denen die Erwartung hören, dass wir ge- ter 25 Jahre angeht, so haben wir eine Situation geschaf- gensteuern. Sie wollen das. Auch die öffentliche Debatte fen, die in hohem Maße Mitnahmeeffekte zur Folge hat läuft so. Die Menschen verstehen Ihr Anliegen über- – meine Vorrednerin aus der Union hat dazu gesprochen –, haupt nicht. Wahrscheinlich sind Sie so weit weg von übrigens in Ost und West; hierbei gibt es keine Unter- der Lebenswirklichkeit, dass Sie das nicht mehr wahr- schiede. nehmen können. Falsch ist meiner Meinung nach, von Missbrauch zu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) reden. Das tun wir auch überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass wir den Mitarbeitern vor Ort (Widerspruch der Abg. Dr. Dagmar vertrauen können. Sie haben bisher sehr sachgerecht ent- Enkelmann [DIE LINKE]) schieden. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit dem Das war ganz legal. Die Regelungen sind von den jun- Sozialrecht. Ich glaube, dass wir mit der Regelung, die gen Leuten genutzt worden. Aber das Nutzen der Mög- wir vorsehen, um Härtefälle auszuschließen, also mit der lichkeiten des SGB II hat hohe Kosten für die Allge- Stichtagsregelung, in der Zukunft vernünftig umgehen meinheit mit sich gebracht. Die Gelder dafür sollten aus können. Klar ist: Es wird keine Zwangsräumung geben. meiner Sicht für andere Dinge zur Verfügung stehen. Es wird keinen Zwangsumzug geben. Die jungen Leute, (B) die einen eigenen Hausstand gegründet haben, werden (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ihn auch behalten können. Bei künftigen Härtefällen CDU/CSU) wird es wie in jedem anderen Sozialfall zu einer Einzel- Für mich ist es wichtiger, dass wir Ausbildung und fallentscheidung kommen. Es wird nach wie vor junge Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Das ist die Leute geben, die aufgrund einer solchen Entscheidung Hauptaufgabe. Ich habe die Sorge, dass wir dieses Ziel einen eigenen Hausstand gründen, in eine eigene Woh- nicht erreichen, wenn wir die vorgesehene Änderung nung umziehen und 100 Prozent des Regelsatzes erhal- nicht vornehmen. Wir sind auf dem Weg, das Ziel zu er- ten. reichen, innerhalb von drei Monaten Jugendlichen ein Angebot zu machen und sie in den Arbeitsmarkt zu inte- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: grieren. Aber wir haben es noch nicht erreicht. Mit der Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Umsteuerung sind wir auf einem besseren Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Angelika Krüger-Leißner (SPD): CDU/CSU) Ja. – Und das gilt einheitlich in Ost und West. Das wollte ich zum Schluss nur noch einmal sagen. Das ist Was die Förderung junger Menschen betrifft, müssen nämlich eigentlich der wichtigste Punkt in unserem Ge- wir wie in jedem anderen Politikbereich ganz selbstver- setz. ständlich sagen: Wir müssen Prioritäten setzen. Wir kön- nen zwar alles wünschen – wir haben hier auch die Ich denke, wenn wir zukünftig jungen Menschen Wunschpartei –, aber wir können nicht alles leisten. Ich echte Chancen geben wollen – darauf sollten wir uns möchte, dass wir denjenigen helfen, die Hilfe brauchen, konzentrieren –, dann müssen wir effektiver in Ausbil- die bedürftig sind. dungsmöglichkeiten und Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt investieren. Das ist zukunftsorientiert. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Danke. Sie sollen unsere Unterstützung bekommen. Das ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) währleistet die vorgesehene Regelung. Dass der Schritt notwendig ist, zeigt der Blick auf die Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zahlen. Wir können hier nicht von Einzelfällen spre- Das Wort hat nun der Kollege Karl Schiewerling, chen. Wir haben festgestellt, dass 58 Prozent der Be- CDU/CSU-Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1309

(A) Karl Richard Schiewerling (CDU/CSU): – oder wie sie auch immer heißen – schon einmal in vol- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ler Lautstärke ertragen müssen. Leistungen des SGB II sind eine Grundsicherung, nicht mehr und nicht weniger. Sie wollen Menschen fördern (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der und fordern, nicht mehr und nicht weniger. Davon sind FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Stimmung! Mal auch junge Menschen betroffen. Wir gehen davon aus, ein bisschen vorsingen!) dass an diejenigen Kinder, die bereits vor Vollendung – Als Familienvater ist man ja nicht ganz aus der Welt. – des 18. Lebensjahres im Haushalt ihrer Eltern gelebt ha- Das ist noch lange kein Grund, eine eigene Bedarfsge- ben, nicht plötzlich mit Vollendung des 18. Lebensjahres meinschaft zu beantragen. Es kann nicht sein, dass junge höhere Ansprüche von ihren Eltern gestellt werden, in- Menschen bei den Leistungsträgern erscheinen und den dem sie an den Generalkosten des Haushaltes, beispiels- Anspruch auf eine eigene Wohnung geltend machen, nur weise für Miete, Versicherung und Haushaltsgeräte, be- weil seit ein paar Tagen dicke Luft im Elternhaus teiligt werden. Deswegen wollen wir ihre Ansprüche auf herrscht. Der Automatismus dieses Anspruchsdenkens 80 Prozent der Regelleistungen reduzieren. muss gestoppt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Meine Damen und Herren, man darf – das ist vorhin Wir wissen, dass es im SGB II Ausnahmen von die- schon angeklungen – den Regelsatz nicht isoliert be- sem Grundsatz geben muss. Diese haben wir ausdrück- trachten, sondern muss die Gesamtheit der Hilfen sehen, lich im § 22 Abs. 2 a so geregelt. Wir verschließen ja die der Staat jungen Menschen gewährt. Dazu zählen nicht die Aufgaben vor außergewöhnlichen Konfliktla- zum Beispiel Integrationshilfen wie berufsvorbereitende gen in Familien. Wenn junge Erwachsene aus Schutz- Bildung, Möglichkeiten zum Erwerb von Einstiegsquali- gründen aus dem Elternhaus heraus müssen, sei es fikationen usw. Wir wollen, dass junge Menschen in wegen häuslicher Gewalt, Missbrauch oder Drogenab- Ausbildung und dann in Arbeit kommen. Dass die Ein- hängigkeit, dann kommt der Staat auch weiterhin seiner gliederungsmaßnahmen fruchten, belegt übrigens auch Fürsorgepflicht nach. die Zahl arbeitsloser jungen Menschen. Diese ist näm- lich gesunken. Nachdem der statistische Sondereffekt Wir haben im Gesetzentwurf die Entscheidung über durch Hartz IV ihre Zahl in den ersten Monaten des letz- den Auszug von unter 25-Jährigen, die in einer Bedarfs- ten Jahres noch um etwa 74 000 hat ansteigen lassen, er- gemeinschaft mit ihren Eltern nach SGB II leben, den leben wir nun durch bessere Betreuung und verstärkten kommunalen Stellen und Arbeitsgemeinschaften zuge- (B) Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen einen wiesen. Dabei werden die Jugendämter einbezogen. (D) Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit. Damit bekommen Diese werden im Rahmen der Gesetze die Rechte der mehr junge Menschen eine Perspektive. jungen Menschen schützen. Was ist denn im Übrigen daran so schlimm, wenn Natürlich wollen wir, dass junge Menschen mobil junge Menschen bis zu ihrem 25. Lebensjahr bei ihren sind. Wer in Kiel mit seinen Eltern in einer Bedarfsge- Eltern leben, vor allem dann, wenn der unter 25-Jährige meinschaft wohnt und einen Ausbildungsplatz in Kon- nicht für sich selbst sorgen kann? Gerade dann muss die stanz bekommt, der wird unterstützt; das steht doch Familie einspringen. Die Familie muss sich ihrer sozia- überhaupt nicht infrage. len Verantwortung für sich selbst und für die eigenen Fa- milienmitglieder bewusst sein. Dieser selbstverständli- Ich halte es für notwendig, einen ganz wesentlichen che Grundsatz muss in der Praxis auch gelebt werden. Es Punkt in den Blick zu nehmen, nämlich die Frage: Hat gilt: Erst die Familie und dann der Staat. sich eigentlich etwas verschlechtert? Wir haben im SGB XII die Regelung, dass diejenigen, die mit ihren El- Allerdings haben Familien dann, wenn sie ihre Auf- tern zusammenleben und einen Anspruch auf Sozialhilfe gaben nicht alleine bewältigen können, ein Anrecht auf haben, einen Satz von etwa 238 Euro bekommen. Der Unterstützung. abgesenkte Satz im SGB II beträgt 276 Euro. Das sind, (Zuruf von der SPD: So ist es!) wenn ich das richtig sehe, knapp 40 Euro mehr als das, was das SGB XII an Sozialhilfe vorsieht. Ich kann da Das geschieht auch auf Basis der Regelungen im SGB II. keine Verschlechterung erkennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der SPD) Ich bitte Sie sehr herzlich, den Blick auch darauf zu Wir kommen nicht weiter, wenn bei jedem Konflikt nach richten, wer das bezahlen muss. Hier sind eindeutige und dem Staat gerufen wird. Konflikte zwischen Eltern und gute Beispiele genannt worden. Wir müssen daran den- jungen Erwachsenen sind das Normalste der Welt. Ich ken, dass die Erzieherin und die Krankenschwester ge- kenne keine Familie, in der es keine Reibereien und nauso wie der Arzt und alle anderen, die im Erwerbsle- Auseinandersetzungen gibt und in der sich die Heran- ben stehen, über Steuern die Beiträge finanzieren wachsenden nicht auf diesem Weg profilieren. Es gehört müssen, die wir als Transferleistungen an andere weiter- nun einmal zu einem Miteinander, dass der Sohnemann geben. die Musik des Vaters ertragen muss und im Gegenzug die Eltern die neueste CD von 50 Cent oder von Eminem (Beifall bei der CDU/CSU) 1310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Karl Richard Schiewerling (A) Ich halte es für notwendig, das in den Blick zu nehmen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dem Versuch ist (C) und dafür zu sorgen, dass auch in dieser Hinsicht soziale die SPD noch nie erlegen!) Gerechtigkeit herrscht. Mit dieser Mathematik kann man Volkswirtschaften in Herzlichen Dank. den Ruin treiben; aber es lässt sich keine verantwor- tungsvolle Arbeitsmarktpolitik machen. Unser Ziel ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) es, Menschen aus der Sackgasse von Sozialhilfe und Ar- beitslosigkeit herauszuführen, damit jeder selbstbe- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: stimmt leben kann. Das ist nicht nur richtig, sondern Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Amann, auch sozial gerecht. Das ist vor allem wichtiger, als an SPD-Fraktion. den Symptomen des Einkommensmangels herumzudok- (Beifall bei der SPD) tern. Ich glaube, es ist zumutbar, wenn junge Erwachsene Gregor Amann (SPD): ohne eigenes Einkommen, die bis zum 18. Geburtstag Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und bei ihren Eltern gelebt haben, vorübergehend weiterhin Herren! Liebe Kollegen von der Linkspartei, Sie zeich- dort wohnen müssen, wenn wir alles dafür tun, dass sie nen ein Zerrbild der Realität. Wir Sozialdemokraten so schnell wie möglich in Brot und Arbeit kommen. Das – und ich vermute, dass ich hier auch für unseren Koali- ist das Ziel unserer Politik. tionspartner sprechen kann – wollen, dass alle volljähri- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gen Menschen frei entscheiden können, ob sie bei ihren Eltern wohnen bleiben oder in eine eigene Wohnung zie- hen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Jetzt hat der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) das Wort. Aber die Voraussetzung für eine eigene Wohnung ist doch, dass man über ein ausreichendes Einkommen ver- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): fügt, um sich diese leisten zu können. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) gen! Ich finde es geradezu unglaublich, wie Linke und Grüne gemeinsam hier verkehrte Welt spielen und den Deswegen muss unser oberstes Ziel sein, allen Men- Sozialstaat schlichtweg auf den Kopf stellen. schen dieses Einkommen zu verschaffen, und zwar in- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (B) dem wir Arbeitslosigkeit, speziell Jugendarbeitslosig- (D) keit, abbauen. Das muss für uns Priorität haben. LINKEN: Das erzählen Sie mal den Betroffe- nen!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Fakt ist: In Deutschland kann jeder junge Mensch, der Diese Koalition tut auch einiges dafür. In der Aktuel- volljährig ist, von zu Hause ausziehen, eine eigene Woh- len Stunde bleibt mir nicht die Zeit, Ihnen das Investi- nung beziehen und einen eigenen Hausstand gründen. tionsprogramm, das wir in Genshagen beschlossen haben Bis zum Jahre 2005 wäre keiner der vielen Jugendlichen, und über das 25 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt die dies mit Recht gemacht haben, auf die Idee gekom- werden, im Einzelnen vorzustellen. Sie können im Koa- men, dass ihm der Staat die Wohnung finanzieren müsse. litionsvertrag nachlesen, welche Maßnahmen wir für die nächsten Monate zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau!) vorgesehen haben. Unser Ziel ist es – der Herr Bundes- Selbst in der alten DDR, der Sie von der PDS so sehr minister hat bereits darauf hingewiesen –, dass kein jun- hinterhertrauern, wäre kein Jugendlicher auf die Idee ge- ger Erwachsener länger als drei Monate ohne Arbeit kommen, dass ihm der Staat die Wohnung bezahlen oder Ausbildung bleibt. Das ist das Ziel unserer Arbeits- müsse, wenn er von zu Hause auszieht. marktreformen – nicht Gängelei, wie Sie unterstellen. (Zuruf von der LINKEN: Es gab ja auch keine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wohnungen dafür, mein Guter! – Heiterkeit der CDU/CSU) bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wenn uns dies gelingt, ist jedem eine freie Entscheidung – Gott sei Dank sprechen Sie es auch noch wahrheitsge- möglich, wo und wie er wohnt. Deshalb sollten wir alle mäß aus. Kräfte und Ressourcen darauf konzentrieren. (Zuruf von der FDP: So kann man das Pro- Ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern blem auch lösen!) bedeutet nicht die Garantie einer eigenen Wohnung ab dem 18. Geburtstag. Ich glaube, hier hat Ihnen die Droge Weil das mit der Finanzierung der eigenen Wohnung des Populismus die Sinne vernebelt. so eine Sache ist, bleiben viele Jugendliche auch nach ihrem 18. Geburtstag zu Hause wohnen: viele Tausende (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auszubildende, Studenten und junge Berufstätige, die Sie wollen die Menschen glauben machen, dass man je- sich noch keine eigene Wohnung leisten können. Jetzt den Euro zweimal ausgeben kann und anschließend noch frage ich: Warum soll ausgerechnet der arbeitslose Ju- ein drittes Mal. gendliche im Gegensatz zu den vielen anderen Tausend Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1311

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Jugendlichen nach Ihrer Auffassung einen Rechtsan- SGB II die Finanzierung ihrer Wohnung vom Staat ver- (C) spruch darauf haben, dass ihm der Staat eine Wohnung langen können. kostenlos zur Verfügung stellt? Wer die Dinge so ver- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau! – dreht, der handelt nicht solidarisch, sondern entsolidari- Zuruf von der LINKEN: Das ist gelogen!) siert diese Gesellschaft. Man muss in diesem Zusammenhang an Folgendes (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der erinnern: Das Sozialgesetzbuch II wurde gemacht, damit FDP) Langzeitarbeitslose eine Grundsicherung fürs Leben und Man muss einmal daran erinnern: Die Leistungen eine Chance auf Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nach dem Sozialgesetzbuch II werden aus Steuermitteln erhalten. Es wurde aber nicht gemacht, um eine Aus- finanziert. Diese Steuern müssen die Arbeitnehmerinnen zugswelle noch nicht verdienender Jugendlicher auszu- und Arbeitnehmer von ihrem sauer verdienten Lohn an lösen. Deshalb ist es dringend geboten, durch eine den Staat abzweigen. Deshalb sind wir Abgeordnete auf- Gesetzesänderung das eigentliche sozial- und arbeits- gerufen, mit diesen Geldern sorgsamst umzugehen. marktpolitische Ziel des Sozialgesetzbuches II wieder- herzustellen (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum lasst ihr das dann weiter- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber richtig!) laufen?) und dafür zur sorgen, dass das Geld nicht für andere Dinge ausgegeben wird. Ich muss auch prinzipiell daran erinnern: Sozialstaat bedeutet, dass wir mit staatlichen Mitteln dem helfen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der sich nicht selber helfen kann, aber nicht dem, der das neten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Geld gar nicht braucht. Warum macht ihr es nur halbherzig? Sagen Sie mal dazu etwas!) (Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD]) Meine Damen und Herren von der Linken, der PDS, Deswegen besagt die gesetzliche Regelung, die wir ha- ben und mit diesem Gesetz fortschreiben: Wenn ein jun- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: SED ger Mensch, der bislang arbeitslos ist, einen Job oder geht auch!) eine Ausbildungsstelle findet oder wenn es, wie es im und von den Grünen, wer so argumentiert wie Sie heute Gesetz heißt, „zur Eingliederung in die Arbeitswelt“ not- Nachmittag, betreibt nichts anderes als linkspopulisti- wendig ist, dann zahlt ihm der Staat die Wohnung. Wenn sche Stimmungsmache. der junge Mensch – auch das steht im Gesetz – „aus (B) schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Woh- (Zuruf von der LINKEN: Das ist ja eine (D) nung der Eltern ... verwiesen werden kann“, dann zahlt richtige Pointe!) der Staat ihm die Wohnung. Ich finde, das ist ein großzü- Er redet nicht vom Sozialstaat. In Wahrheit führen Ihre giges Angebot. Aber da, wo gar keine Notwendigkeit für Argumente dazu, dass Sie sich zum Totengräber des einen Auszug von zu Hause besteht, da kann es keinen Sozialstaates machen. Dies wollen wir mit einer Geset- Hilfeanspruch an den Staat geben. zesänderung verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Vielen Dank. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist gefragt worden, warum wir das Gesetz über- haupt ändern. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: weiß nicht, mit welcher Aufmerksamkeit Sie das, was Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang bei Ihnen im Wahlkreis passiert, verfolgen. Die Städte Grotthaus, SPD-Fraktion. und Landkreise, die für die Finanzierung der Wohnungs- kosten von ALG-II-Empfängern zuständig sind, haben (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter sich geradezu mit einem Hilferuf an uns, den Bundesge- Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) setzgeber, gewandt, Wolfgang Grotthaus (SPD): (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Zuruf Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und von der SPD: Das muss man einmal zur Herren! Ich möchte der PDS bzw. den Linken bestäti- Kenntnis nehmen!) gen: Ja, mit dem geplanten Gesetz wird der bisherige endlich zu handeln. Besitzstand eingeschränkt. Besser gesagt: Es wird eine Rückführung einer nicht gewollten Entwicklung stattfin- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum handelt den. ihr nicht konsequent? Ihr lasst es doch einfach weiterlaufen! Nur für die Zukunft ändert ihr!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Diese nicht gewollte Entwicklung ist schon von einigen Sie mussten nämlich im vergangenen Jahr feststellen, Kolleginnen und Kollegen dargestellt worden. dass junge Leute, die früher nie auf die Idee gekommen wären, von zu Hause auszuziehen, nur deswegen scha- Ich bin doch erstaunt darüber, dass Sie von Basisnähe renweise ausziehen, weil sie mit dem Verweis auf das sprechen. Sie scheinen nicht in den Arbeitsgemeinschaf- 1312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

Wolfgang Grotthaus (A) ten vor Ort, in den Arbeitsagenturen, den Jobcentern Die erste Form der Solidargemeinschaft ist die Familie. (C) oder wo auch immer gewesen zu sein. Informieren Sie (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!) sich! Dann werden Sie von dort zu hören bekommen, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften explosionsartig Es geht insgesamt um Hilfeleistungen für Personen, die gestiegen ist. Wir haben das Empfinden, dass Sie bei nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, ihren Unterhalt diesem Beispiel den Sozialstaat retten wollen. Er wird zu erwirtschaften. Ich sage noch einmal: Da ist Solidari- hier bestimmt nicht zu retten sein. Wir sehen vielmehr tät gefragt, und zwar Solidarität von allen: vom Staat die Notwendigkeit, dass dieser Gesetzentwurf tatsäch- dort, wo die Familie aus unterschiedlichen Gründen lich zu einem Gesetz wird. nicht helfen kann, und von der Familie dann, wenn Hilfe tatsächlich möglich ist. Wie war die Situation bisher? Unabhängig davon, ob junge Menschen unter 25 Jahre zu Hause oder in einem Aus diesem Grund schränken wir das Recht des Erst- eigenen Haushalt wohnten, bekamen sie 100 Prozent der bezugs einer Wohnung für junge Menschen unter 25 ein. Regelleistung nach Hartz IV. Dies hatte zur Folge, dass Dies bedeutet, Frau Kollegin Pothmer: Unter 25-Jährige, eine beträchtliche Anzahl junger Leute aus dem Eltern- die bis zum Stichtag 17. Februar aus dem Elternhaus haus auszog und einen eigenen Hausstand gründete und ausgezogen sind, werden nicht gezwungen, in das El- dass vom Staat die Ersteinrichtung der Wohnung, die ternhaus zurückzukehren. Ich bin sehr erstaunt darüber, Miete und die Hilfe zum Lebensunterhalt finanziert wur- Frau Kollegin Pothmer, dass Sie heute im Ausschuss den, und dies – ich sage das bewusst – unabhängig vom drei- bis viermal nachgefragt haben, finanziellen Status der Eltern. Tatsächlich ist es – das (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, will ich noch einmal betonen – zu einer explosionsarti- weil der Text nicht eindeutig ist!) gen Vermehrung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften gekommen. Ich habe das Empfinden, dass Sie nach dem der Staatssekretär Ihnen das drei- bis viermal dargestellt Motto handeln: Was nicht sein darf, kann nicht sein. hat und Sie hier wiederum eine verkehrte Behauptung Aber die Zahlen sprechen für sich. aufstellen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Zahlen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) möchte ich sehen!) Es wird keiner gezwungen, auszuziehen. Sie sollten den – Machen Sie sich in Ihrem Wahlkreis sachverständig! Text noch einmal lesen. Wir erläutern ihn Ihnen auch im Detail. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habe ich! Da ist aber genau das Gegenteil herausgekom- Zu den Ausnahmeregelungen ist schon Stellung bezo- (B) men!) gen worden. Festzuhalten bleibt, dass dieses Gesetz (D) nicht unsozial ist. Es sichert den Besitzstand derjenigen, Dann könnten wir die Zahlen einmal miteinander ver- die schon einen eigenen Hausstand gegründet haben, gleichen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum Wie gesagt, man kann der Auffassung sein, dass der eigentlich?) Staat diese Kosten zur Selbstverwirklichung junger Menschen zu tragen hat. Wir sind aber nicht dieser Auf- und gewährt weiterhin denjenigen Hilfe, die hilfsbedürf- fassung. Die persönlichen Lebenswünsche sind nicht tig sind. In diesem Fall besteht aber die Notwendigkeit vom Steuerzahler zu bezahlen. Der Steuerzahler hat viel- – das ist auch gut und richtig so –, die Zustimmung der mehr nur dann einzugreifen, wenn tatsächlich Not be- kommunalen Träger einzuholen. steht, wenn Hilfe notwendig ist und die Gesellschaft in Ich darf festhalten: Bei Hartz IV geht es um die Inte- dieser Situation auch helfen kann. Denn alle Mittel, die gration von jungen Menschen in den Beruf und nicht um bisher in diesem Zusammenhang aufzubringen waren, die Alimentierung von Wünschenswertem außerhalb des sind Steuergelder. Das muss man auch denjenigen Men- Berufes. schen gegenüber vertreten, die einen Job haben, einen Beruf ausüben, teilweise nur mit 800 Euro nach Hause (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kommen und sich dann wundern. An anderer Stelle aber werden mit der Finanzierung der Miete, der Ersteinrich- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tung der Wohnung und dem ALG-II-Geld Leistungen er- Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat nun bracht, die fast so hoch sind wie der Verdienst einer Ver- das Wort der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion. käuferin. Ob das sozial gerecht ist, darüber sollten Sie aus meiner Sicht einmal nachdenken. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es ist schon alles gesagt, aber nicht vom Kollegen Stöckel!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In diesem Fall ist meines Erachtens die Familie gefor- Rolf Stöckel (SPD): dert, wenn es möglich ist. Ich bin sehr erstaunt darüber, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wie man mit dem Begriff „Solidarität“ umgeht und die In der Tat sind viele Argumente genannt worden. Des- Familie dabei ausklammert. wegen möchte ich mich darauf besinnen, was eigentlich der wesentliche Beitrag der Zusammenlegung von Ar- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Wohl beitslosenhilfe und Sozialhilfe im SGB II für jugendli- wahr!) che Arbeitslose war. Noch vor 13 Monaten galt für einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1313

Rolf Stöckel (A) jugendlichen Arbeitslosen, der nach der Schule – auch aber bekommen. Andererseits wollen Sie den Sozialstaat (C) ohne Schulabschluss – arbeitslos war und nach dem lange leben lassen. Das ist ein Widerspruch in sich, liebe SGB III keine Ansprüche hatte, dass er weder einen An- Kolleginnen und Kollegen, spruch auf eine erhöhte Leistung hatte, wenn ein Auszug (Zuruf von der LINKEN: Das ist doch kein nicht finanzierbar war, noch einen Anspruch auf Ver- Widerspruch!) mittlung oder Qualifizierung. Die Programme, die es gab, basierten mehr oder weniger auf Freiwilligkeit. und hat mit linker Politik wirklich nichts zu tun. Das hat Hunderttausende Jugendliche erhalten nun durch das weder etwas mit der Kenntnisnahme der Realität zu tun SGB II Leistungs- und Vermittlungsansprüche. Die Tat- noch mit der Emanzipation und der Förderung der freien sache, dass Jugendliche unter 25 Jahren nach drei Mona- Entfaltung von Jugendlichen. ten – wenn die Umsetzung des Gesetzes vor Ort rund läuft – einen Rechtsanspruch auf Qualifizierung, das (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hat sich doch Nachholen eines Schulabschlusses, eine Berufsausbil- gelohnt, zuzuhören, Herr Kollege!) dung oder eine Beschäftigung haben, kann als Fortschritt Dies geschieht nämlich durch eine ordentliche Förde- für die Jugendlichen bezeichnet werden. rung im Elementarbereich, durch eine umfassende Bil- Sie diskutieren hier über die Höhe von Transferleis- dung an weiterführenden Schulen, durch Berufsausbil- tungen, darüber, ob es einen individuellen, staatlich ga- dung oder durch ein Studium. Dies ist wesentlich, nicht rantierten Rechtsanspruch auf Armutsvermeidung gibt. die Frage, ob jemand 80 oder 100 Prozent des Regelsat- Ich finde, da wird in der Tat ein unterschiedliches Ver- zes bekommt. Das hat mit freier Entfaltung nichts zu ständnis von Sozialstaat, aber auch von Solidarität bei tun – und auch nicht mit einem linken Anspruch. den linken Parteien deutlich. Wir könnten natürlich den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anspruch aufgeben, an erster Stelle zu prüfen – das ist der CDU/CSU) seit 1962 bei der Sozialhilfe so und das war auch bei der ergänzenden Sozialhilfe zur Arbeitslosenhilfe so –, ob Das ist Populismus, wenn auch vor dem Hintergrund der jemand aus eigener Kraft dazu beitragen kann, sich zu- Landtagswahl in Sachsen-Anhalt – das ist schon gesagt mindest zum Teil selbst zu helfen, und an zweiter Stelle worden – ein verständlicher. Sagen Sie dann aber, dass zu prüfen, ob Unterhaltsverpflichtungen von Eltern ge- Sie eine Transferleistungsgewerkschaft sind, und verges- genüber ihren Kindern bzw. von Kindern gegenüber ih- sen Sie Ihren gesellschaftspolitischen Anspruch auf ren Eltern bestehen. Wir können natürlich auch darüber Emanzipation, Aufklärung und soziale Gerechtigkeit. diskutieren, ob wir eine Unterstützung ab dem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 18. Lebensjahr ganz abschaffen. Dann müssen Sie aber (B) einmal erklären, wie Sie etwa Rechtsansprüche wie das Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (D) einkommensunabhängige BAföG oder Berufsbildungs- Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde und beihilfen finanzieren wollen. Sie sprechen in diesem auch am Schluss der heutigen Tagesordnung. Zusammenhang die Wiedereinführung der Vermögen- steuer an und sagen, das könnten die Unternehmen be- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- zahlen. destages auf morgen, Donnerstag, den 16. Februar 2006, 9 Uhr, ein. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Die Sitzung ist geschlossen. Je höher die Lohnnebenkosten und die Steuern werden, desto mehr Bedarfsfälle und Bedürftige werden Sie dann (Schluss: 16.55 Uhr)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Ausmaß audiovisuellen Medien zugeordnet werden, weil das Internetangebot der Verlage, welches zur Gewinnung von An- Liste der entschuldigten Abgeordneten zeigenkunden diene, nunmehr strengeren rundfunkrechtlichen Maßstäben und Bewertungskriterien unterliegen solle, und welche Begründung führt die Bundesregierung für ihre An- sicht an? entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Die Bundesregierung unterstützt das Ziel der Europäi- Albach, Peter CDU/CSU 15.02.2006 schen Kommission, für den audiovisuellen Sektor einen kohärenten europäischen Rechtsrahmen zu schaffen. Die Bätzing, Sabine SPD 15.02.2006 geltende Fernsehrichtlinie basiert auf ordnungspoliti- schen Konzepten der 80er-Jahre. Seitdem haben sich die Burgbacher, Ernst FDP 15.02.2006 Rahmenbedingungen für das Fernsehen gravierend ver- ändert. Die digitale Konvergenz der Kommunikations- Granold, Ute CDU/CSU 15.02.2006 netze sowie der Medieninhalte und Geräte führt dazu, dass praktisch alle Dienste auf allen Endgeräten genutzt Haustein, Heinz-Peter FDP 15.02.2006 werden können. Der Vorschlag der Europäischen Kom- mission trägt dieser Konvergenz Rechnung, indem er Hilsberg, Stephan SPD 15.02.2006 gleiche Arten von audiovisuellen Diensten, unabhängig vom Übertragungsweg, den gleichen Grundregeln unter- Hintze, Peter CDU/CSU 15.02.2006 werfen will. Höger-Neuling, Inge DIE LINKE 15.02.2006 Für den Verlagssektor entstehen dadurch keine Nach- teile. In dem Vorschlag der Europäischen Kommission Hofbauer, Klaus CDU/CSU 15.02.2006 zur Revision der Fernsehrichtlinie sind elektronische Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften ausdrücklich Hovermann, Eike SPD 15.02.2006 vom Anwendungsbereich ausgenommen. Das gleiche gilt für Internetangebote, mit denen die Verlage Anzei- Klug, Astrid SPD 15.02.2006 genkunden für ihre Zeitungen gewinnen wollen. Die Richtlinie will nicht das Internet regeln. Sie soll aus- (B) Kramme, Anette SPD 15.02.2006 (D) schließlich für audiovisuelle Massenmedien mit beweg- Kühn-Mengel, Helga SPD 15.02.2006 ten Bildern gelten. Es ist nicht erkennbar, dass damit der Verlagssektor betroffen sein könnte. Selbst wenn die Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 15.02.2006 Verlage in ihren Anzeigen animierte grafische Elemente DIE GRÜNEN oder sogar kleine Werbespots verwenden, sind sie von der Richtlinie nicht erfasst. Nitzsche, Henry CDU/CSU 15.02.2006

Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 15.02.2006 Anlage 3 Claudia DIE GRÜNEN Antwort Schmidt (Nürnberg), SPD 15.02.2006 der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Frage Renate des Abgeordneten Christoph Waitz (FDP) (Druck- Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 15.02.2006 sache 16/611, Frage 5): DIE GRÜNEN Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kommis- sion zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich Wolff (Rems-Murr), FDP 15.02.2006 (KEK), dass eine marktbeherrschende Stellung im Anzeigen- markt durch Zusammenziehung unterschiedlicher Medien aus Hartfrid dem Print- und audiovisuellen Bereich erreicht werden kann, und welche Begründung liegt der Ansicht der Bundesregie- rung zugrunde? Anlage 2 Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) ist eine durch Rundfunkstaatsver- Antwort trag von den Landesmedienanstalten geschaffene Einrich- des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage des tung (§§ 35 ff. RfStV). Aufgabe der KEK ist es zu prüfen, Abgeordneten Christoph Waitz (FDP) (Druck- ob Fernsehsender über vorherrschende Meinungsmacht sache 16/611, Frage 1): verfügen (§ 26 RfStV). Die Bundesregierung ist für die Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen nicht zu- Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der von der Initiative der EU-Kommission betroffenen Verbände und Un- ständig. Sie kann zu dem Auslegungsprozess der KEK ternehmen, der Verlagssektor würde in bisher unbekanntem daher nicht Stellung nehmen. 1316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Anlage 4 Anlage 5 (C) Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Fragen des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ des Abgeordneten Patrick Döring (FDP) (Druck- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Frage 22): sache 16/611, Fragen 18 und 19): Wann wird die Bundesregierung eine Verordnung zur Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus, dass Kennzeichnung von Fahrzeugen, insbesondere Dieselfahrzeu- es für europäische Luftfahrtunternehmen zunehmend schwie- gen, hinsichtlich ihrer Partikelemissionen erlassen, zur Durch- riger wird, ihre Flugzeuge gegen terroristische Angriffe zu setzung von Fahrverboten bei Überschreitung von Grenzwer- versichern, und inwieweit sieht die Bundesregierung diesbe- ten, und wie sieht diese Regelung aus? züglich Handlungsbedarf? Die Bundesregierung wird in Kürze den Entwurf ei- Trifft es zu, dass in den USA die Luftfahrtbehörden ein- ner Kennzeichungsverordnung vorlegen. heimischen Fluglinien eigene, kostengünstige Policen zur Absicherung dieses Risikos anbieten, und wie gedenkt die Bundesregierung auf die entsprechenden Wettbewerbsverzer- Anlage 6 rungen zu reagieren? Antwort Zu Frage 18: des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Fragen der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Die Entwicklung auf dem Luftfahrt-Versicherungs- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Fragen 23 und 24): markt wird von der Bundesregierung aufmerksam ver- Wird die Bundesregierung sich auf der europäischen folgt. Bislang können sich die Luftfahrtunternehmen an- Ebene dafür einsetzen, dass baldmöglichst ein vollständiger gemessen gegen Kriegs- und Terrorrisiken versichern, Vorschlag für die Abgasnorm Euro V für PKW und Euro VI soweit dies gesetzlich gefordert wird. Soweit Versiche- für LKW verabschiedet wird? rungsschutz in Bezug auf Schäden am Luftfahrzeug Unterstützt die Bundesregierung die Forderung einiger (Kaskoversicherung) nur noch eingeschränkt erhältlich Bundesländer nach einer Absenkung der seit 1. Januar 2005 geltenden Partikelgrenzwerte auf europäischer Ebene? sein sollte, wird kein Handlungsbedarf gesehen, zumal es sich um eine Versicherungsart handelt, die nicht ge- Zu Frage 23: setzlich vorgeschrieben ist. Dagegen unterliegt die Haf- tung für Passagier- und Drittschäden nach EG-Recht und Die Bundesregierung setzt sich seit mehreren Jahren nationalem Recht in bestimmter Höhe einer Versiche- intensiv dafür ein, dass die Abgasvorschriften Euro V (B) (D) rungspflicht. Sollte es zu einem Marktversagen im Be- (PKW) und Euro VI (LKW) schnellstmöglich auf euro- päischer Ebene verabschiedet werden. Sie hatte deshalb reich der Passagier- und Drittschadenshaftpflichtver- die Kommission mehrfach schriftlich aufgefordert, end- sicherung kommen, wäre das weitere Vorgehen auf EU- lich die Vorschläge zu den künftigen Abgasstufen vorzu- Ebene abzustimmen. Ein isoliertes Vorgehen auf natio- legen. Die Kommission ist der Aufforderung bezüglich naler Ebene kommt aus Gründen des EG-Wettbewerbs- der PKW-Grenzwerte am 21. Dezember 2005 gefolgt. und Beihilferechts nicht in Betracht. Zu Frage 24: Zu Frage 19: Der Bundesregierung sind Forderungen nach einer In den USA ist das dortige staatliche Versicherungs- Absenkung des Anforderungsniveaus nicht bekannt. Sie programm zunächst bis zum 31. August 2006 verlängert nimmt die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub sehr ernst. Sie hat deshalb die im Vorschlag der EU-Kommis- worden. Es bietet Risikoschutz zu kostengünstigen Prä- sion vom 21. September 2005 über eine „Richtlinie des mien an, die Kriegs- und Terrorrisiken in den Bereichen Europäischen Parlaments und des Rates zur Luftreinhal- Kasko, Passagierschäden und Drittschadenshaftpflicht tung und für saubere Luft in Europa“ enthaltene unver- abdecken. Ob allein daraus bereits ein Wettbewerbsun- änderte Fortschreibung der geltenden Partikelgrenzwerte gleichgewicht zulasten der europäischen Luftfahrtunter- begrüßt. Diese anspruchsvollen Werte haben in ganz Eu- nehmen folgt oder ob bei der Beurteilung der Wettbe- ropa zur Intensivierung der Anstrengungen zur Minde- werbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtunternehmen rung der Feinstaubemissionen beigetragen. noch weitere Gesichtspunkte – zum Beispiel die Markt- struktur, das Nachfrage- und Konkurrenzverhalten und die gesamten regulatorischen Rahmenbedingungen – he- Anlage 7 ranzuziehen sind und welche Konsequenzen aus tatsäch- Antwort lichen Wettbewerbsverzerrungen zu ziehen wären, kann nur EU-einheitlich beantwortet werden. Aus Sicht der des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage Bundesregierung kommt allerdings keine Lösung in Be- des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE tracht, die Förderungen in diesem Bereich dauerhaft GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Frage 25): international zementiert und keine Anreize für eine aus- Bis wann wird die Bundesregierung den seit September 2005 entstandenen Stau in der Bewilligung von Forschungs- schließliche Absicherung auf dem privaten Versiche- förderungsmitteln, der unter anderem aus der vorläufigen rungsmarkt bietet. Haushaltsführung sowie den noch zu klärenden Zuständigkei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1317

(A) ten zwischen dem Bundesministerium für Bildung und For- Eine solche bundesweite bzw. länderübergreifende (C) schung und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Tech- Statistik wird derzeit nicht erstellt. Pläne der Bundeslän- nologie resultiert und der Auswirkungen auf die Umsetzung beabsichtigter Forschungsvorhaben von Universitäten sowie der, eine solche in Zukunft zu erstellen, sind der Bundes- von kleinen und mittleren Unternehmen hat, auflösen? regierung nicht bekannt. Unabhängig von organisatorischen Detailfragen bei Soweit der Bereich der bundesweit zulassungsbe- dem Übergang der Zuständigkeiten besteht Einverneh- schränkten Studiengänge betroffen ist, stellt die Zentral- men zwischen dem Bundesministerium für Bildung und stelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) fest, wie Forschung (BMBF) und dem Bundesministerium für viele Studienbewerberinnen und -bewerber sich um Stu- Wirtschaft und Technologie (BMWi), dass bis zur end- dienplätze in den bundesweit zulassungsbeschränkten gültigen Umsetzung der vorgesehenen Titel/Titelanteile Studiengängen beworben haben. Die Erhebung von Da- die administrative Betreuung bzw. die Mittelbewirt- ten zur Vergabe von Studienplätzen in nicht bundesweit schaftung in der Hand des BMBF verbleibt. Insofern gab zulassungsbeschränkten und zulassungsfreien Studien- und gibt es keine negativen Auswirkungen auf die Be- gängen obliegt in erster Linie den Hochschulen. Eine willigungspraxis von Forschungsförderungsmitteln. Im hochschulübergreifende statistische Erhebung der Zahl Jahr 2006 wird das Haushaltsgesetz erst nach Beginn des der Studienbewerberinnen und -bewerber erfolgt bisher Haushaltsjahres verkündet. Bis zu diesem Zeitpunkt nicht. richtet sich die vorläufige Haushaltsführung – zur Wah- rung der Budgethoheit des Parlaments – nach Art. 111 Grundgesetz. Die technische Umsetzung wird durch ein Anlage 10 BMF-Rundschreiben konkretisiert. Das BMBF beachtet in dieser Zeit die geltenden verfassungsmäßigen Vorga- Antwort ben. Da das Haushaltsgesetz 2006 voraussichtlich erst im des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage Laufe des Monats Juli verkündet wird, wird das BMBF der Abgeordneten Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE bemüht sein, Bewilligungsrückstände zu vermeiden. GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Frage 31): Wie und durch wen wird in Zukunft festgehalten und do- kumentiert, wie viele Studienbewerberinnen und -bewerber Anlage 8 letztendlich ohne Studienplatz in Deutschland bleiben? Antwort Eine solche bundesweite bzw. länderübergreifende des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen Statistik wird derzeit nicht erstellt. Pläne der Länder, der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ eine solche in Zukunft zu erstellen, sind der Bundes- (B) DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Fragen 26 und 27): regierung bekannt. Im Übrigen gilt entsprechend das zur (D) Frage 30 Ausgeführte. Wie hat sich seit Herbst 2005 der Mittelabfluss in den For- schungsförderprogrammen der Bundesregierung entwickelt, die durch den Wechsel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zum Bundesministerium für Wirtschaft und Anlage 11 Technologie betroffen waren? Kann die Bundesregierung anhand dieser Zahlen aus- Antwort schließen, dass wichtige Forschungsvorhaben von Hochschulen und von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) substan- des Staatsministers Gernot Erler auf die Frage der Abge- ziell gefährdet sind? ordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) (Druck- sache 16/611, Frage 40): Unabhängig von organisatorischen Detailfragen bei dem Übergang der Zuständigkeiten besteht Einverneh- Aus welchen Einzelplänen und Haushaltstiteln des Bun- men zwischen dem Bundesministerium für Bildung und deshaushalts werden gegebenenfalls Lösegelder für entführte deutsche Staatsbürger gezahlt? Forschung (BMBF) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), dass bis zur end- Bundeskanzlerin Dr. und Bundes- gültigen Umsetzung der vorgesehenen Titel/Titelanteile außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier haben sich die administrative Betreuung bzw. die Mittelbewirtschaf- klar geäußert: Die Bundesregierung lässt sich nicht er- tung in der Hand des BMBF verbleibt. Insofern gab und pressen. gibt es keine negativen Auswirkungen auf den Mittelab- fluss der betreffenden Bereiche. Anlage 12

Anlage 9 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage der GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Frage 47): Abgeordneten Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Drucksache 16/611, Frage 30): Wann wird die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag angekündigte Gesetz zur steuerlichen Förderung der Nachrüs- Wie und durch wen wird in Zukunft festgehalten und do- tung von Dieselfahrzeugen mit Partikelfiltern vorlegen, und kumentiert, wie viele Studienbewerberinnen und -bewerber es wie soll diese Förderung die Feinstaubemissionen vermin- für Studienplätze in Deutschland gibt? dern? 1318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006

(A) Die einer steuerlichen Förderung zugrunde liegenden Die Europäische Kommission strebt gegenüber der lau- (C) verkehrsrechtlichen Vorschriften über die technischen fenden Förderperiode eine weitere Verstärkung des Part- Anforderungen an nachgerüstete Partikelminderungs- nerschaftsprinzips an. Eine große Mehrheit der Mitglied- technik sind am 1. Februar 2006 im Bundesgesetzblatt staaten ist dagegen für die Beibehaltung der bisherigen verkündet worden. Auf dieser Basis wird in nächster Regelungen, die eine breite Beteiligung der verschiede- Zeit ein Entwurf zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuer- nen Partner – wie zum Beispiel der Wirtschafts- und So- gesetzes vorbereitet, der nach Abstimmung innerhalb zialpartner, Umweltverbände, Frauenbeauftragten sowie der Bundesregierung und mit den Ländern, denen das Vertreter der kommunalen Ebene vorsehen. Die Bundes- Kraftfahrzeugsteueraufkommen allein zusteht, in das regierung sowie die Bundesländer unterstützen diese Gesetzgebungsverfahren eingebracht wird. Da Diesel- Position. Ein zentraler Punkt ist aus Sicht der Bundes- PKW in hoch belasteten Innenstadtstraßen wesentlich regierung, dass die Beteiligung der Partner im Einklang zur Feinstaubbelastung beitragen, kann durch die Nach- mit den institutionellen Regelungen des jeweiligen Mit- rüstung mit Partikelminderungssystemen zur Lösung der gliedstaates erfolgen muss. So wäre es zum Beispiel Feinstaubproblematik beigetragen werden. nicht akzeptabel, wenn die Partner Parlamentsentschei- dungen blockieren könnten.

Anlage 13 Zu Frage 51: Antwort Es besteht nicht die Gefahr, dass das Partnerschafts- des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage des prinzip abgeschwächt wird. Die Bundesregierung wird Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE auch in der nächsten Förderperiode die Partner, zu denen GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Frage 48): auch der Deutsche Städtetag und der Landkreistag gehö- ren, intensiv beteiligen. So werden die Partner bei der Trifft es zu, dass die Bundesregierung Biokraftstoffe zu- künftig so besteuern will, dass ein Landwirt, der seinen Raps Erstellung des so genannten Nationalen Strategischen an eine Ölmühle verkauft und von dieser Ölmühle das aus sei- Rahmenplans konsultiert, der die Entwicklungsstrategie nem Raps ausgepresste Rapsöl bezieht, für dieses Pflanzenöl sowie die Förderbereiche festlegt. Hierzu ist für März Mineralsteuer zahlen muss? 2006 auf Bundesebene eine große Konferenz geplant, Der Vorschlag, Pflanzenöl bei einer Verwendung als auf der die Partner ihre Ideen hinsichtlich strategischer Kraftstoff künftig zu besteuern, ist Bestandteil des Ent- Entwicklungsziele, Förderschwerpunkte sowie Um- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Besteuerung setzung der Förderung in die Planungen einbringen kön- von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Strom- nen. steuergesetzes. Der Entwurf hat derzeit noch den Status (B) Bei der Vorbereitung der neuen Strukturfondspro- (D) eines Referentenentwurfs des Bundesministeriums der gramme für die Periode 2007 bis 2013 messen die Län- Finanzen. Das Abstimmungsverfahren innerhalb der der, die in Deutschland den überwiegenden Teil der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf ist noch nicht Strukturfondsmittel verwalten, der Einbeziehung der abgeschlossen. Erst danach wird der Entwurf der Geset- kommunalen Ebene einen hohen Stellenwert bei. In Ver- zesvorlage der Bundesregierung zur Beschlussfassung anstaltungen, Konferenzen und Workshops werden zur- vorgelegt werden. zeit die Konturen und Hauptrichtungen der künftigen Förderung mit den kommunalen Akteuren sowie den Wirtschafts- und Sozialpartnern auf kommunaler und re- Anlage 14 gionaler Ebene beraten. Darüber hinaus werden die Part- Antwort ner auch bei der Durchführung, Begleitung und Bewer- tung der Programme beteiligt. Von einer Abschwächung des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen der des Partnerschaftsprinzips in Deutschland kann also Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) (Druck- keine Rede sein. sache 16/611, Fragen 50 und 51): Ist der Bundesregierung bekannt, ob es Bestrebungen von- seiten der EU-Mitgliedstaaten gibt, das Partnerschaftsprinzip im Rahmen der kommunalen Strukturfondsverordnungen Anlage 15 (EU-Kommissionsentwurf der Allgemeinen Verordnung – KOM (2004) 492) abzuschwächen, und, wenn ja, welche Antwort Position nimmt die Bundesregierung zu diesem Vorhaben ein? des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des Existieren innerhalb der Bundesregierung Alternativüber- legungen, die die weitere Beteiligung der lokalen Ebene in Abgeordneten Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE Deutschland gewährleisten, falls das Partnerschaftsprinzip im GRÜNEN) (Drucksache 16/611, Fragen 52 und 53): Rahmen der kommunalen Strukturfondsverordnungen abge- Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aus- schwächt wird, und, wenn ja, welcher Art? fälle bei den EU-Strukturfondsmitteln ab 2007 über den Soli- darpakt II auszugleichen sind („Handelsblatt“, 7. Februar Zu Frage 50: 2006), und, wenn ja, welche politischen Handlungen leitete sie daraus ab? Die Bedeutung des Partnerschaftsprinzips wird von allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt. In den Ratsgremien Teilt die Bundesregierung die Auffassung, wonach die Mittel für die Strukturfonds insgesamt aufgestockt werden wird über die genaue Ausgestaltung dieses Prinzips be- sollten („Handelsblatt“, 7. Februar 2006), und, wenn ja, mit raten. Eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen. welcher Ausgestaltung (Höhe, Zielgebiete)? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Februar 2006 1319

(A) Zu Frage 52: Die Beschlüsse des Europäischen Rates über die Fi- (C) nanzielle Vorausschau ändern nicht den Inhalt der Zusa- Mit dem Solidarpakt II hat die Bundesregierung den gen der Bundesregierung im Rahmen des Korbs II. Im Aufbau Ost auf eine langfristige und verlässliche finan- Übrigen ist in der Koalitionsvereinbarung niedergelegt, zielle Grundlage gestellt. In diesem Rahmen erhalten die dass sich Bund und neue Länder über die für den Korb II ostdeutschen Länder vom Bund im Zeitraum 2005 bis relevanten Politikfelder abstimmen werden und dabei 2019 insgesamt 105 Milliarden Euro in Form von unge- dem Interesse der Länder an Planungssicherheit entspro- bundenen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisun- chen wird. Sie können davon ausgehen, dass dies ge- gen zum Abbau des infrastrukturellen Nachholbedarfs nauso umgesetzt wird. und zum Ausgleich der unterproportionalen kommuna- len Finanzkraft. Die Mittel knüpfen im Jahr 2006 mit 10,5 Milliarden Euro nahtlos an das bisherige Leistungs- Zu Frage 53: niveau an und werden bis zum Jahr 2019 degressiv abge- schmolzen (so genannter Korb I). Zusätzlich hat sich der Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Bund bereit erklärt, über die Laufzeit des Solidarpakts II Union haben sich auf dem Europäischen Rat im De- als Zielgröße weitere 51 Milliarden Euro als „überpro- zember 2005 auf die Höhe der Strukturfondsmittel für portionale Leistungen für die ostdeutschen Länder“ ein- die Periode 2007 bis 2013 verständigt. Für die EU- zusetzen (so genannter Korb II). Die Strukturfondsmittel Strukturpolitik werden damit für die Gesamtperiode sind Bestandteil des Korbes II. Die Bundesregierung rund 307 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Im steht zu ihren Finanzzusagen. Dies zeigt auch die – zu- Vergleich zur laufenden Förderperiode (2000 bis gunsten der neuen Länder – vereinbarte Verlängerung 2006) bedeutet dies eine Erhöhung um rund 30 Pro- der Investitionszulage. zent.

(B) (D)

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