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DFB-Chef Mayer-Vorfelder, Trainer Klinsmann „Notwendige Beweglichkeit“

Chef des Stürmers Klinsmann, kenne „den Jürgen schließlich am besten“, findet Bun- destrainer-Intimus Eitel, der Anfang vori- ger Woche mit „MV“ die Lage sondierte. Der ehemalige CDU-Minister in Baden- Württemberg hat die „Eigenheiten und Eigenarten“ des schwäbischen Bäcker- sohns studiert und herausgefunden: „Im- mer, wenn er unter Druck etwas machen soll, reagiert er ablehnend.“ Da Klinsmann jedoch „die notwendige Beweglichkeit“ besitze, glaubt Mayer-Vorfelder einen Kompromiss gefunden zu haben. Trainer und Sachwalter von Bundesligis- ten, bei denen deutsche Nationalspieler ihr Geld verdienen, hatten den Wahl-Kalifor- nier zu vermehrter Anwesenheit aufgefor- dert. Scharfmacher wie Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß („Er soll nicht stän- dig in Kalifornien herumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen“), der die Nationalelf – ähnlich wie „das gesamte

WALTRAUD GRUBITZSCH / DPA GRUBITZSCH WALTRAUD Land“ – in „katastrophalem Zustand“ wähnte, wünschten zwar eine Dauerprä- senz des Bundestrainers spätestens fürs FUSSBALL kommende WM-Jahr. Doch inzwischen ist die Maximalforderung, ein Wechsel des Lebensmittelpunkts, schon vom Tisch. Fische ohne Wasser Klinsmann, bislang nach Länderspielen zumeist frühmorgens bereits wieder im Ein Gipfeltreffen soll für Entspannung zwischen Bundestrainer Transatlantik-Flieger, signalisierte die Be- reitschaft, seine Deutschland-Aufenthalte und sorgen. Im Streit um seine Präsenz wird künftig bei Bedarf tageweise zu verlängern Jürgen Klinsmann einlenken, bei den Trainingsinhalten nicht. – „aber es muss dann auch etwas anlie- gen“, sagt MV. Zudem böten die testspiel- ie sie es von großen Partien ge- tungen und Kommunikationsstörungen, freien Zeiten von Mitte November bis Fe- wohnt sind, spielten Protagonis- der eilige Kommentatoren schon die Frage bruar sowie im April 2006 ohnehin mehr Wten des Fußballs auch die wich- nach einem „Trainerwechsel kurz vor der Raum für Gespräche mit der Liga, wenn tigste Begegnung dieser Woche schon WM“ („Express“) erörtern ließ, ist nun der Nationaltrainer wie bisher zweimal pro einmal vorab im Kopf durch. besonderes Einfühlungsvermögen gefragt. Monat nach Deutschland reist. So erhofft der Liga-Präsident Werner Dem beinahe vergessenen Multifunktionär Klinsmann, der in Stuttgart-Botnang Hackmann von dem für Dienstag anbe- Gerhard Mayer-Vorfelder, 72, bietet der eine Vierzimmerwohnung hat, würde dann raumten Gipfeltreffen der Bundesliga-Ma- Konflikt ein ungeahntes Comeback auf der sogar häufiger kommen – allerdings nur nager mit Jürgen Klinsmann, dass an- Bühne der Diplomatie. freiwillig. Denn „je mehr man ihm vor- schließend „zumindest öffentlich Ruhe Der scheidende DFB-Präsident, einst als schreibt“, weiß Berater Eitel, „desto weni- herrscht“. Der Bundestrainer, prophezeit Vereinsboss des VfB Stuttgart fünf Jahre ger davon macht er“. Klinsmanns Berater Roland Mit Klinsmanns Entgegen- Eitel vor den Versöhnungsge- kommen hält Mayer-Vorfelder sprächen nach dem Krach um das Problem für gelöst. Für die die Nationalmannschaft, be- Turbulenzen dieses Monats komme dagegen „gleich die sieht er schließlich nur psycho- erste Krise, wenn die Frage auf logische Ursachen und eine die Tagesordnung rückt: Wie „Frage der Façon de parler“ verkünden wir es den Medien?“ verantwortlich. Ungeschickte Die Bedeutung der Außen- Wortwahl erweckte in der Tat darstellung ist nicht der einzige bei Bundesligatrainern wie dem Streitpunkt in der Debatte, die gekränkt wirkenden Bremer nach ernüchternden Länder- den Eindruck, spielen gegen die Türkei (1:2) ihre Arbeit werde despektier- und China (1:0) von einem lich beurteilt – etwa als Klins- „leichten Murren“ (WM-Orga- mann bekannt gab, er wolle mit nisator Franz Beckenbauer) zu Hilfe der beschäftigten US-Fit- einer vermeintlichen „Rebellion gegen Klinsmann“ (Sportinfor- * Fabian Ernst, Lukas Sinkiewicz, Tim mationsdienst) anschwoll. In / AP GILLIAR MARKUS Borowski, Marcell Jansen am 4. Oktober in dem Zwist um Trainingsbelas- Leistungstest der Nationalspieler*: „Auf den Punkt fit“ Hamburg.

132 der spiegel 43/2005 Sport nesslehrer bis zu „30 Prozent mehr“ aus seien mit vorher erhobenen Daten nicht seinen WM-Kandidaten herausholen. vergleichbar. Provokante Dickfelligkeiten des Klins- Noch vor zwei Wochen stand Klins- mann-Assistenten Joachim Löw („Wir müs- mann, die Hände entschlossen in die Hüf- sen uns nicht rechtfertigen; wir ziehen un- ten gestemmt, vor laufenden Kameras und sere Vorstellungen so durch, wie wir glau- unter prüfenden Blicken des Mannschafts- ben, dass es richtig ist“) brachten die psychologen Hans-Dieter Hermann auf Kampfhähne unter den Kritikern erst recht dem Trainingsplatz in Istanbul und rea- in Rage. Umgekehrt löste unbefugtes Be- gierte auf erste Kritik mit einer Sinnesver- treten von Hoheitsgebieten wie der Herr- irrung: „Wir sehen kein Murren“ – so, als schaft über die Mannschaftsaufstellung müsste er zu ihrer Wahrnehmung nicht Oh- bei Klinsmann allergische Reaktionen aus. ren, sondern die Augen aufsperren. Als etwa Dieter Hoeneß, Manager der Mittlerweile mehren sich jedoch in der Berliner Hertha, die Torwartfrage Oliver Liga vernehmbar die Zweifel, ob der Be- Kahn oder Jens Lehmann abschließend rufsanfänger Klinsmann von seinem An- geklärt wissen wollte, fragte der Bundes- satz her richtig liegt. Der Bundestrainer, trainer im Kreis seiner Vertrauten: „Dre- der ständig betont, dass er „jeden einzel- hen jetzt alle durch?“ nen“ der WM-Aspiranten etwa auf kon- ditionellem Sektor „besser machen“ will, bildet aus dem Blickwinkel seiner Kritiker allzu einseitig In- dividualisten aus – wäh- rend Anhänger der Fuß- ballmoderne zunehmend Mannschaften formen, die wie Maschinen funktio- nieren. Nach Rangnicks Mei- nung sollte der Arbeits- schwerpunkt der DFB-Trai- ner nicht bei Koordination und Schnellkraft, sondern „im taktischen Bereich lie- gen“. Die Fitness werde

CHRISTIAN FISCHER/GETTY IMAGES FISCHER/GETTY CHRISTIAN besser im Verein geschult. Klinsmann-Kritiker Hoeneß: „Katastrophaler Zustand“ Und hat sich nicht auch die Programmfolge der Hintergrund der Dissonanzen in Fragen zweijährigen WM-Vorbereitung schon als des Taktes ist jedoch eine handfeste Kon- Irrtum erwiesen? Klinsmann und seine troverse über Trainingsmethoden. Dem Mitstreiter lehrten fast ein Jahr lang nur die Schalker Trainer Ralf Rangnick, der sich Angriffskomponente des Fußballspiels – über hohe Belastung seiner gestressten schnelle, attraktive Züge, mit denen die Spieler bei Übungseinheiten der National- Gunst des Publikums rasch zu erobern war. mannschaft beschwerte („Die sind am Erst in einem zweiten Schritt soll seit ver- Limit wie Fische, die drei Stunden kein gangenem Sommer die Defensivarbeit ge- Wasser gesehen haben“), geht es „um ei- probt werden. Nur zeigen sich die Akteu- ne Fachdiskussion“. Gegen die Belange re seither über eigene Abwehrfehler derart des DFB-Teams, dessen Auswahlspieler verunsichert, dass ihnen für schnellen An- seit Monaten einer speziellen WM-Fit- griffsschwung nun der Mut fehlt. ness entgegengetrimmt werden, habe er Das Spektakel ist Vergangenheit, die Öf- nichts. Gegen Hausaufgaben, die auch fentlichkeit verweigert die erwartete Nach- Brasilianer von ihrem Nationalcoach auf- sicht. Das Fachblatt „Kicker“ stufte das gebürdet bekommen, sei ebenso wenig Gestocher in der Türkei als „taktische etwas einzuwenden, meint Rangnick. Die Bankrotterklärung“ ein. Frage sei bloß, wann und unter wessen In diesem Klima lässt Klinsmann die Ko- Obhut solches Zusatztraining absolviert ordinationsübungen der amerikanischen werden muss. Fitnesstrainer, einst Sinnbild seines Reform- Rangnick schlug dem Bundestrainer eifers, geflissentlich in den Hintergrund tre- schon bei einer Tagung im Juni in Nürn- ten. Fast verschämt verzogen sich die Vor- berg vor, die Konditionstrainer der Clubs turner zuletzt mitsamt ihren Isomatten und einzubinden – nur deren Detailwissen ihrer Klientel hinter die Werbebanden. könne helfen, „die WM-Spieler auf den Grundsatzdiskussionen über diese Er- Punkt fit zu bekommen“. In Zeiten hoher tüchtigungen muss Klinsmann diese Woche Wettbewerbsfrequenz durch Spiele der eher nicht fürchten. Für seine Stiftung Aga- Champions League etwa sei intensive pedia, die notleidenden Kindern hilft, reist Muskelbelastung nicht sinnvoll; Ergeb- er nach dem Liga-Gipfel über seine Er- nisse von Leistungstests, wie Klinsmann reichbarkeit erst einmal nach Moldawien sie zu Beginn dieses Monats anordnete, weiter. Jörg Kramer

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