Plenarprotokoll 16/46

Deutscher

Stenografischer Bericht

46. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Inhalt:

Begrüßung des indischen Verteidigungsminis- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ ters Pranab Mukherjee ...... 4554 C DIE GRÜNEN) ...... 4518 D (SPD) ...... 4520 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Rainer Brüderle (FDP) ...... 4520 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Einzelplan 05 zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr Auswärtiges Amt 2007 (Haushaltsgesetz 2007) Dr. Frank-Walter Steinmeier, (Drucksache 16/2300) ...... 4477 B Bundesminister AA ...... 4522 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. (DIE LINKE) ...... Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 4523 D (Drucksache 16/2301) ...... 4477 B Dr. (FDP) ...... 4526 A Dr. (CDU/CSU) . . . . 4527 D Einzelplan 04 Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 4531 A Bundeskanzleramt Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Rainer Brüderle (FDP) ...... 4477 B DIE GRÜNEN) ...... 4532 B Dr. , Bundeskanzlerin ...... 4479 A (Wiesloch) (SPD) ...... 4534 A (DIE LINKE) ...... 4485 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 4534 D Dr. Peter Struck (SPD) ...... 4490 B Dr. (FDP) ...... 4535 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 4494 B (Berlin) (CDU/CSU) ...... 4537 A (CDU/CSU) ...... 4499 A (DIE LINKE) ...... 4538 C Dr. (FDP) ...... 4502 C Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Elke Ferner (SPD) ...... 4507 B DIE GRÜNEN) ...... 4539 C (CDU/CSU) ...... 4510 A (SPD) ...... 4540 D Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) ...... 4512 A Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) ...... 4541 B , Staatsminister BK ...... 4514 B (SPD) ...... 4541 C Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 4515 C Markus Löning (FDP) ...... 4543 B (SPD) ...... 4517 B (CDU/CSU) ...... 4544 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. (DIE LINKE) ...... 4545 D Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 4572 D (SPD) ...... 4547 A Jörn Thießen (SPD) ...... 4574 B Joachim Hörster (CDU/CSU) ...... 4548 A Einzelplan 23 Lothar Mark (SPD) ...... 00004549 AB Bundesministerium für wirtschaftliche (CDU/CSU) ...... 4551 A Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul, Einzelplan 14 Bundesministerin BMZ ...... 4575 B Bundesministerium der Verteidigung Hellmut Königshaus (FDP) ...... 4577 A Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 4578 D Dr. , Bundesminister BMVg 4552 B Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 4580 D Birgit Homburger (FDP) ...... 4554 D () (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 4556 C DIE GRÜNEN) ...... 4582 C Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 4559 D Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 4582 D (BÜNDNIS 90/ Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4583 A DIE GRÜNEN) ...... 4562 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 4584 B Hans Raidel (CDU/CSU) ...... 4564 B Hellmut Königshaus (FDP) ...... 4585 C (FDP) ...... 4565 D Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 4586 D Johannes Kahrs (SPD) ...... 4567 B (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 4588 C DIE GRÜNEN) ...... 4569 C Susanne Jaffke (CDU/CSU) ...... 4570 B Anlage Andreas Weigel (SPD) ...... 4571 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4589 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4477

(A) (C) Redetext

46. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Sitzung ist eröffnet. NEN]: Können Sie das auch singen? Pippi Langstrumpf würde das singen!) Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, und wünsche uns gute, intensive, gelegentlich Stillstand verkaufen Sie uns als „Bewegung in die rich- auch fröhliche Beratungen. Ich erinnere daran, dass wir tige Richtung“. gestern für die heutige Aussprache insgesamt neunein- Am Anfang haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der halb Stunden beschlossen haben. Außenpolitik eine gute Figur gemacht. Die Außenpoli- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So wenig?) tik lenkt vielleicht ein wenig von den Problemen ab, die unser Land hat. Nur, das funktioniert nicht auf Dauer. – Der Wunsch des Kollegen Kampeter, die Beratungszeit Als Bundeskanzlerin, Frau Merkel, sollten Sie die Rich- auszudehnen, ist vermutlich nicht mehrheitsfähig. tung vorgeben. Doch Ihre Richtlinienkompetenz ist zu einer Schlangenlinienkompetenz geworden, mit der Sie (B) Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- (D) nungspunkt 1 – fort: die Politik betreiben. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Beifall bei der FDP) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Die Koalition hat nach eigenem Bekunden erhebli- Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das chen Diskussionsbedarf – bei jedem Thema und über Haushaltsjahr 2007 Monate hinweg. Doch irgendwann muss selbst diese (Haushaltsgesetz 2007) große Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners – Drucksache 16/2300 – Entscheidungen treffen, damit man weiß, was Sie denn überhaupt wollen. Nehmen wir einmal die Gesundheits- b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- reform: Nach Monaten konnte sich die Bundesregie- regierung rung zu „Eckpunkten“ durchringen; doch schon diese Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 ließen erheblich zu wünschen übrig. Statt mehr Freiheit und Wahlfreiheit gibt es mehr Gängelung und mehr Bü- – Drucksache 16/2301 – rokratie. Jetzt geht der Streit weiter über Details dieses Kassensozialismus, der da offenbar betrieben wird. Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Ein- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) zelplan 04. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Brüderle für die FDP-Fraktion. Mit der Rückendeckung der Kanzlerin arbeitet das Ge- sundheitsministerium an einer Art VEB Gesundheit. (Beifall bei der FDP) Nur über eines war sich die Koalition erstaunlich schnell klar und einig: Es wird teurer, die Krankenkas- Rainer Brüderle (FDP): senbeiträge steigen. Beim Schröpfen der Bürger herrscht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- bei Rot und Schwarz schnell Einigkeit. Was sonst noch deskanzlerin, Sie regieren das Land mittlerweile nach herausgekommen ist, sind bürokratische Monster, zum dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mache mir die Beispiel der Gesundheitsfonds und der Morbiditätszu- Welt, wie sie mir gefällt!“ schlag. Die Morbidität der Bundesregierung schreitet (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe unaufhaltsam voran. Es schreit an jeder Ecke und an je- von der CDU/CSU: Oh!) dem Ende nach Knatsch und es kracht in manchen Berei- chen. Die Auflösungserscheinungen sind schon mit Hän- Steuererhöhungen heißen bei Ihnen „Reformen“. den greifbar. Möglicherweise gibt es die Regierung gar 4478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Rainer Brüderle (A) nicht mehr, wenn der neue Risikostrukturausgleich Recht hat Herr Struck! Nur getan haben Sie es nicht. (C) zwischen den Krankenkassen in Kraft tritt. Dazu fehlte Ihnen der Mut. In der Politik der Bundeskanzlerin sind weder Linie (Beifall bei der FDP) noch Kompetenz zu erkennen. Die Kanzlerin tritt jetzt als Duo mit dem Vizekanzler auf. Frau Merkel und Herr Nicht nur die Sozialdemokraten üben sich im Geld- Müntefering sind am Ende der Sommerpause gemein- ausgeben, auch einige Ministerpräsidenten der Union sam und in trauter Eintracht vor der Presse erschienen. machen sich auf die Suche nach neuen Ausgabenpro- Es war eine Art Hochamt des neuen politischen Traum- grammen, um zu sehen, wie man die Überschüsse der paares der Republik. Bundesagentur für Arbeit verteilen kann. Machen Sie sich doch endlich ans Sparen! Was tut jeder Bürger, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein Neid! – wenn er mehr ausgibt, als er einnimmt? Er streckt sich Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach der Decke. Das Auto wird ein Jahr länger gefahren NEN]: Hochamt zusammen mit Pippi Lang- und die Anschaffungen werden ein Jahr hinausgescho- strumpf!) ben. Frau Merkel, dabei haben Sie gesagt, die Richtung in Ih- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt wollen rer Regierungsarbeit stimme. Eine Richtung ist aber weit auch Sie von der FDP uns noch den Urlaub und breit nicht erkennbar. Wo wollen Sie denn wirklich vermiesen!) hin? Nur der Staat tut das Gegenteil dessen, weil er sich (Beifall bei der FDP) zwangsweise refinanzieren kann. Er langt bei den Bür- gern zu und spart nicht. Sie müssen Vorbild sein. Die Wer sich bei Rekordschulden, bei explodierenden Treppe kehrt man von oben nach unten und nicht umge- Sozialbeiträgen und bei drastischen Steuererhöhungen kehrt. Das gilt auch für die Politik. auf dem richtigen Weg sieht, der lebt in einer anderen Welt. (Beifall bei der FDP) Die erste Kabinettsitzung nach der Sommerpause Den Konzernen wollen Sie dadurch etwas Gutes tun, kam mir wie ein Treffen von Traumtänzern vor. dass die Körperschaftsteuer kräftig reduziert wird. Eine solche Unternehmensteuerreform nützt den Personen- (Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?) gesellschaften und den Einzelunternehmen nichts. Für die Mittelständler und die Arbeitnehmer wäre eine Ein- Vizekanzler Müntefering findet es unfair, an dem gemes- kommensteuerreform viel wichtiger. (B) sen zu werden, was in den Wahlkämpfen gesagt wurde. (D) Die Bundeskanzlerin sitzt neben ihm und nickt zustim- Ich frage mich: Wie wollen die Sozialdemokraten mend. Das steht in der adenauerschen Tradition: Was in- dies ihren Wählern erklären? Bei höheren Steuern, höhe- teressiert mich mein Geschwätz von gestern! Das ent- ren Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträ- spricht aber nicht einem fairen Umgang mit den gen und höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu er- Bürgern. Deshalb dürfen wir uns über die Politikver- warten, dass eigenverantwortlich mehr Vorsorge für das drossenheit nicht wundern. Alter getroffen wird, ist wirklich irreal. Die Bürger auf- zufordern, auf den Urlaub zu verzichten, um so Vorsorge (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten treffen zu können, aber selber beim Haushalt nicht zu der LINKEN) sparen, ist schon zynisch. So wird man die Probleme Woran, wenn nicht an ihren Wahlkampfaussagen, soll nicht lösen können, sondern dazu gehört mehr Mut. die Regierung denn bitte schön gemessen werden? Dafür (Beifall bei der FDP) ist sie ja gewählt worden. Der wenig ambitionierte Koalitionsvertrag ist eben nicht die Messlatte, Herr Offensichtlich spielt die Ökonomie in der Regierung Müntefering. Die Messlatte für die Bürger ist vielmehr, keine Rolle. Auf die Idee einer Besteuerung der Kosten ob die Regierung eine gute Politik macht. Das ist offen- von Unternehmen – eine unsinnige Debatte – muss man sichtlich nicht der Fall. Das ist keine gute Politik. erst einmal kommen. Der Einfall, Kosten zu besteuern, muss schleunigst vom Tisch. Das ist absoluter Schwach- (Beifall bei der FDP) sinn. Es ist unfair, den Bürgern das Geld aus der Tasche zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ziehen. Der private Konsum ist nach wie vor der Hemmschuh für die Konjunkturentwicklung. Wenn man Die SPD entdeckt die Leistungsträger und die CDU sich einmal die Strukturen unserer Volkswirtschaft an- ist jetzt die Partei der Lebenslüge. Zum 30. Geburtstag sieht, dann erkennt man, dass er über 60 Prozent der der Mitbestimmung haben Sie sich, Frau Bundeskanzle- Nachfrage in diesem Land ausmacht. Sie nehmen den rin, von Reformüberlegungen verabschiedet. Aber die Bürgern das Geld weg. Selbst Herr Struck hat einge- paritätische Mitbestimmung noch heute als große Er- räumt, dass man auf die Mehrwertsteuererhöhung hätte rungenschaft und Standortvorteil zu feiern, ist eine Le- verzichten können. Er sagte: benslüge und eine völlig falsche Einschätzung, Frau Merkel. Es wären knallharte Einsparungen in jedem Ressort nötig gewesen, aber es wäre gegangen. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4479

Rainer Brüderle (A) Die Bundesregierung verkündet Fahrpläne zu allen wissen: Videoüberwachung braucht man, um Terroristen (C) möglichen Bereichen, wie etwa Gesundheit, Unterneh- identifizieren zu können. Eine solche Maßnahme ist not- mensteuerreform und Arbeitsmarkt. Aber das Ziel dür- wendig. fen keine Fahrpläne sein, sondern das Ziel muss eine konsistente Politik für die Menschen in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sein. Sie sprachen auf Ihrer Pressekonferenz vom Ge- neten der SPD) meinwohl; das ist richtig. Aber das Gemeinwohl ist nicht Ich möchte allen danken, zuvörderst dem Bundes- das Wohl dieser Bundesregierung, sondern das Wohl der innenminister und auch der Bundesjustizministerin, die Bürger, der Steuerzahler; daran mitgearbeitet haben, dass wir uns jetzt auf eine (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Antiterrordatei einigen konnten. Das ist ein riesiger Er- folg, ein Erfolg der großen Koalition und ein Erfolg der sie müssen im Zentrum der Politik stehen. Zusammenarbeit mit den Ländern. Es ist eine Antwort auf das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwar- Die Steuererhöhung hilft vielleicht dem Finanzminis- ten. ter, aber sie hilft nicht dem Bürger im Land. Deshalb ist Ihre Politik grottenfalsch und führt in die falsche Rich- Es ist eben so, dass uns im 21. Jahrhundert Kleinstaa- tung. terei alleine nicht mehr voranbringt. (Beifall bei der FDP) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Es muss eine Kurskorrektur geben. Sie sind falsch pro- GRÜNEN]: Sie haben doch die Föderalismus- grammiert. Ändern Sie Ihre Politik für die Bürger im reform gemacht!) Land! (Beifall bei der FDP) – Das haben wir doch bei der Föderalismusreform ge- meinsam besprochen. – Es ist ein riesiger Erfolg, dass die Antiterrordatei jetzt auf den Weg gebracht werden Präsident Dr. Norbert Lammert: kann. Das erwarten die Menschen von uns. Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich glaube, der Staat darf niemals den Eindruck erwe- cken, er könne 100 Prozent Sicherheit garantieren. Aber Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: der Staat darf sich auch niemals dem Vorwurf aussetzen, (B) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt er hätte nicht alles versucht, um die Sicherheit der Bür- (D) immer wieder Tage, die unsere Welt verändern. Sie gerinnen und Bürger zu garantieren. Es geht nicht um zeichnen sich dadurch aus, dass sich jeder Einzelne von Freiheit statt Sicherheit, es geht nicht um Freiheit oder uns genau daran erinnern kann, was er an einem solchen Sicherheit, sondern es geht im 21. Jahrhundert um Frei- Tag gemacht hat. Der 9. November 1989 war ein solcher heit und Sicherheit in unserem Land. Dafür müssen wir Tag: Die Mauer fiel und der Kalte Krieg war zu Ende. uns einsetzen. Der 11. September 2001, dessen Jahrestag sich in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nächsten Woche zum fünften Mal jähren wird, war eben- neten der SPD) falls ein solcher Tag. Dieser Tag hat die Welt erschüttert und er hat sie auch verändert. Manche haben gesagt: Wenn ich sage, wir brauchen neue Antworten, weil Nach dem 11. September ist nichts mehr so, wie es ein- wir vor neuen Bedrohungen stehen, warum halte ich mal war. – Ich halte das für falsch. Richtig ist, dass wir dann den Satz „Nach dem 11. September ist nichts ist mit dem 11. September eine völlig neue Art der Bedro- mehr so, wie es einmal war“ für falsch? Ich halte ihn hung kennen gelernt haben – eine asymmetrische Bedro- deshalb für falsch, weil sich das Motiv, der Grund unse- hung, wie wir das nennen –, eine Bedrohung, bei der wir res außen- und sicherheitspolitischen Handelns nicht den Gegner nicht richtig fassen können, weil er bereit ist, verändert hat, weder nach dem 9. November gegenüber sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Auch ist er als vor dem 9. November noch nach dem 11. September ge- Staat nicht genau erkennbar, obwohl Staaten solche ter- genüber vor dem 11. September. Denn seit Gründung der roristischen Attacken unterstützen. Bundesrepublik Deutschland ist klar: Wir haben eine Verantwortung vor der Geschichte – vor der deut- Daraus hat sich ein neues Verständnis von Sicher- schen Geschichte und der europäischen Geschichte –, ei- heitspolitik ergeben, bei dem mehr als jemals zuvor in- ner Geschichte jahrhundertelanger Kämpfe, einer Ge- nere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu schichte von Erbstreitigkeiten, Kriegen, politischem trennen sind. Das hat uns vor die Aufgabe gestellt, neue Versagen und Nationalismus. Dass die deutsche und die Antworten zu finden. Die Bundesregierung hat solche europäische Geschichte seit 1945 anders gestaltet wer- Antworten gefunden. Wir alle in diesem Land sind uns den, das gehört zu den großen Leistungen der Vorgänger inzwischen einig – das hat der großartige Aufklärungser- der jetzt politisch Aktiven. folg bezüglich der Kofferbomben gezeigt –, dass Video- überwachung, zwar nicht flächendeckend, aber dort, wo Der Impuls zur Gründung europäischer Institutionen, viele Menschen zusammenkommen, notwendig ist. Ich von unseren Vorfahren richtig in Gang gesetzt, war, dass bin froh, dass dieser Streit ausgestanden ist und dass wir man plötzlich zu der Erkenntnis kam – ich kann auch 4480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) sagen: endlich zu der Erkenntnis kam –, dass man nicht nent Europas ist. Wer nach Spanien und insbesondere (C) am allerbesten dasteht, wenn man nur an sich denkt, son- nach Teneriffa schaut, der weiß, dass dorthin jeden Tag dern dass man selber besser dastehen kann, wenn man Hunderte Flüchtlinge kommen. Wir müssen im Interesse auch an die Interessen anderer denkt. Man hat endlich der Afrikaner, aber auch im Interesse derjenigen, die in begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszu- Europa davon betroffen sind, einen Beitrag zur Lösung schauen. Man hat das, was man früher als Zumutung des Problems leisten und Entwicklungsmöglichkeiten, empfand – sich mit dem Denken anderer auseinander zu Teilhabe, Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglichen. setzen, zum Beispiel unserer Nachbarn –, als eigene Be- reicherung empfunden. Man hat erkannt: Was dem ande- Es gibt Fragen, auf die wir noch keine abschließende ren dient, ist auch richtig und gut für mich. Das war das Antwort haben. Damit müssen wir uns befassen. Die eigentlich Neue. Das sind die zwei Seiten der Medaille Bundesregierung hat gemeinsam mit anderen europäi- unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat die Euro- schen Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika, päische Union möglich gemacht. Diesem Motiv und die- Russland und China dem Iran ein Angebot gemacht. sem Grund fühlen wir uns weiterhin genauso verpflich- Wir erhofften uns von diesem Angebot, aus dem Kreis- tet. lauf von nuklearen Aktivitäten und zunehmenden Ver- härtungen herauszukommen. Die Antworten des Iran (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sind aber nicht zufriedenstellend. Wir werden zwar die Deshalb haben sich die Ereignisse, die Herausforde- Tür zu Verhandlungen nicht zumachen. Aber wir werden rungen geändert. Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir stehen als internationale Staatengemeinschaft nicht tatenlos zu- heute vor völlig neuen Aufgaben. Aber diese Aufgaben sehen können, wie der Iran Regeln der Internationalen sind genauso konkret, genauso fassbar und erfordern ge- Atomenergiebehörde verletzt. Es geht hierbei nicht da- nau die gleiche Motivation, wie dies auch vor uns der rum, dem Iran nicht das zuzugestehen, was ihm zuge- Fall war. standen werden muss. Vielmehr geht es darum, dass der Iran immer wieder Regeln verletzt hat. An dieser Stelle (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ist für uns, die Bundesregierung, ganz wichtig, die Ge- Jetzt mal konkret!) schlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft zu erhalten. Die militärische Option ist keine Option im – Es wird ganz konkret, Herr Kuhn. Iran. Deshalb geht es um Entschlossenheit und Ge- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schlossenheit. Aber ich sage auch: Nichtstun kann nicht die Antwort auf die Ablehnung des Iran sein. Das stellt Deshalb haben wir uns entschieden: im Kosovo ge- uns vor große Herausforderungen. nauso wie in Bosnien-Herzegowina. Es gab in diesem (B) Hause lange Debatten darüber, dass wir nicht tatenlos (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) zusehen können, sondern bei der Lösung dieser Kon- bei Abgeordneten der FDP) flikte mitmachen müssen, und zwar weil es besser ist für die Menschen vor Ort genauso wie für uns, die wir mit Wir haben erlebt, auf welche Art und Weise die Fra- Flüchtlingen und vergewaltigten Frauen konfrontiert gen den Iran betreffend mit der Situation im Nahen wurden und die wir gefragt wurden: Wie vereinbart ihr Osten zusammenhängen. Wir haben im Sommer dieses mit euren Werten, dass ihr tatenlos zuseht? Jahres eine Situation erlebt, in der plötzlich schreckliche, gewalttätige Auseinandersetzungen auftraten und in der So haben wir uns nach dem 11. September – auch in die internationale Staatengemeinschaft vor der Frage sehr schwierigen Debatten – entschieden, in Afghanis- stand, wie man eine Waffenruhe erreichen und Stabilität tan mit dabei zu sein, Verantwortung zu übernehmen, in dieser Region herstellen kann. Daraus ist die Resolu- damit sich ein Volk besser entwickeln kann und gleich- tion 1701 des UN-Sicherheitsrates entstanden. Die Bun- zeitig unsere Sicherheit besser garantiert ist. desregierung ist – genauso wie wir alle – vor die Frage Wir werden in diesem Herbst über Afghanistan zu gestellt, was wir tun wollen und können, um bei der Um- sprechen haben. Wir wissen zwar, dass nicht alles so setzung dieser Resolution mitzuhelfen. Wir haben sehr läuft, wie wir uns das wünschen. Aber die Alternative, schnell gesagt: Insbesondere aus historischen Gründen ein Vakuum zu hinterlassen und Terroristen wieder freie steht für uns die Frage nach der Stationierung deutscher Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, ist für mich keine Kampftruppen an der libanesisch-israelischen Grenze Alternative, weil es weder für die Menschen vor Ort nicht zur Debatte. richtig ist noch unseren Sicherheitsinteressen dienen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt. Wenn es Wir haben gemeinsam um eine Antwort auf die Frage aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das Existenz- gerungen, ob wir uns in Afrika engagieren sollen. Wir recht Israels zu gewährleisten, dann können wir nicht haben uns mehrheitlich im Bundestag – genauso wie die einfach sagen: Wenn in dieser Region das Existenzrecht Bundesregierung – dafür entschieden, Verantwortung im Israels gefährdet ist – und das ist es –, dann halten wir Kongo zu übernehmen, und zwar über die politisch-hu- uns einfach heraus. Wenn wir uns an dem notwendigen manitäre Verantwortung im Rahmen der Entwicklungs- humanitären und politischen Prozess beteiligen wollen, hilfe hinaus mit einer militärischen Komponente. Auch dann wird es sehr schwer sein, zu sagen: Die militärische das halte ich für richtig, weil Afrika der Nachbarkonti- Komponente sollen bitte schön andere übernehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4481

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Deshalb haben wir ein Angebot unterbreitet. Bei die- sischen Staat einschließt. Wir müssen auch für ein gutes (C) sem Angebot kommt es für uns darauf an, dass wir ein Verhältnis zwischen Israel und Libanon sorgen. robustes Mandat haben, mit dem wir das Ziel, den Waf- fenschmuggel zu beenden, erreichen können. Es kommt Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen des des Weiteren für uns darauf an – über diesen Punkt ver- Bundesaußenministers, auch mit Syrien Kontakte zu handeln wir nun bzw. verhandelt der Libanon mit der pflegen, wenn auch nicht um jeden Preis. Er hat neulich UN –, dass dieses Mandat gewollt ist. Das ist wieder Teil eine vollkommen richtige Entscheidung getroffen. Es ist des politischen Prozesses. aber wichtig, alle Akteure in der Region zu berücksichti- gen, damit wir sehen, was wir dazu beitragen können, Es ist besser, zwei Tage zu warten und das Mandat im um einen Friedensprozess in Gang zu bringen. Einvernehmen mit allen Akteuren und sorgfältig vorzu- bereiten, als auf Schnelligkeit zu setzen. Wir werden un- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sere Soldaten nicht unnötigen Risiken aussetzen. Das bei Abgeordneten der FDP) macht keine Bundesregierung; das wird auch diese Bun- Auch wenn es noch so schwierig erscheint: Es gibt desregierung nicht tun. Wir werden aber alles daranset- keine Alternative. Deshalb muss es versucht werden: mit zen, dass das Mandat in der Region gewollt ist. Dazu Leidenschaft und aus Überzeugung. werden die entsprechenden Schritte im Augenblick ein- geleitet. Nun fragen viele: Ist das nicht ein Fass ohne Boden? Wo sollen wir uns noch überall engagieren? Was sind die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kriterien, nach denen wir das tun? – Dazu will ich eine Es wird in der Öffentlichkeit diskutiert, in welcher Bemerkung machen: Wir können so lange, wie wir wol- Reihenfolge die Maßnahmen zu treffen sind: Sollen erst len, nach Kriterien suchen, die Welt wird sich nicht da- das Embargo zur See und die Blockade des Flughafens nach richten, welche Art von Konflikten auftritt. Vor der Beirut aufgehoben und dann die UNIFIL-Truppen statio- Sommerpause hat keiner von uns gewusst, dass wir uns niert werden? Wir brauchen noch etwas Zeit. Wir sollten heute mit UNIFIL und mit der Resolution 1701 aus- uns die Zeit nehmen. Die Gründlichkeit der Entschei- einander setzen. Trotzdem wäre es unverantwortlich, zu dung geht vor Schnelligkeit. Ich bitte auch um Verständ- sagen, wir beschäftigen uns nicht damit, weil wir das nis für die Urteilsfindung der Akteure in der Region. Wir nicht auf dem Plan hatten. Wir müssen uns der Realität können uns manchmal nur schwer in die Lage im Liba- stellen und gleichzeitig nach unseren Möglichkeiten non und in Israel versetzen. So wie wir von anderen schauen. Respekt erwarten, wenn sie über uns urteilen, sollten wir Wir haben uns für ein Engagement im Kongo ent- anderen Respekt zukommen lassen. (B) schieden und wir leisten beispielsweise in Darfur Logis- (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tikhilfe. Ich sehe aber im Augenblick keine Möglichkeit, dass wir neben unserem Engagement im Kongo ein zu- Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die sätzliches Engagement in Darfur übernehmen. Gespräche mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen bedanken. Wir informieren Sie und sind miteinander im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gespräch. Wir werden selbstverständlich intensiv disku- der SPD) tieren, wenn es um die parlamentarische Zustimmung Wir müssen schauen, was die Welt tut. Daraus ergibt geht. sich die Notwendigkeit der europäischen Kooperation. Es wird im Augenblick in Bezug auf den Nahen Os- Es zeigt sich: Wenn wir unseren Interessen dienen wol- ten zu wenig über den politischen Prozess und zu viel len, dann können wir alleine sie nicht bedienen; das über die militärischen Aktionen gesprochen. schaffen wir nicht. Deshalb ist es gut und richtig, in Si- cherheitspartnerschaften, in Gemeinschaften, in der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Europäischen Union und in der NATO, gemeinsam Akti- LINKEN) vitäten zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und Deshalb ist die Parallelität der Aktionen von äußerster sich Verantwortung zu teilen. Anders werden wir unsere Wichtigkeit. Der Bundesaußenminister und ich und viele Interessen nicht mehr durchsetzen können. Auch das ist andere wie zum Beispiel die Bundesentwicklungshilfe- eine Lehre aus den Bedrohungen und Gefahren der heu- ministerin, wir alle werden Initiativen ergreifen und sind tigen Welt. zum Teil in Vorgesprächen, um den politischen Prozess (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wieder in Gang zu bringen. Wir dürfen nicht weg- schauen. Im Zusammenhang mit den Resolutionen 1559 Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit einer und 1680, als es darum ging, ob die libanesische Armee handlungsfähigen, einer starken Europäischen Union. die Gewalt über ihr gesamtes Territorium bekommt, ha- Deutschland wird im ersten Halbjahr 2007 die Präsident- ben wir uns nicht genug darum gekümmert. Wenn ich schaft haben. Wir werden darüber diskutieren. Aber „wir“ sage, dann meine ich die gesamte internationale eines kann man schon voraussagen: Die außen- und Staatengemeinschaft. Das Ergebnis haben wir gesehen. sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines gemein- Deshalb darf man keinesfalls denken, mit der Stationie- schaftlich agierenden Europas haben in den letzten Jah- rung von UNIFIL-Truppen sei das Problem gelöst. Wir ren zugenommen und nicht abgenommen. Wenn man müssen das Existenzrecht Israels sichern und wir müssen eine Begründung für Europa jenseits des Binnenmarktes eine Zweistaatenlösung erreichen, die einen palästinen- braucht, dann ist es das gemeinsame europäische 4482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Interesse an Frieden und Freiheit, an Stabilität und sen Sie uns dann diskutieren, ob wir noch Spielräume (C) Wohlstand auf der Welt. haben! Ich sehe das im Augenblick nicht. Wir wollen sa- nieren. Wir wollen dafür sorgen, dass wir die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht verbrauchen. Dem müssen wir uns verpflichtet Dieses Europa kann und wird nur stark sein, wenn es fühlen. nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaft- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lich stark ist. Deshalb ist es gut, dass der haushaltspoliti- sche Befund zu dieser Debatte uns ermöglicht, zu sagen: Wir könnten über Zuschüsse der Bundesagentur für Deutschland macht seine Hausaufgaben. Wir können Arbeit nur reden, wenn sie auf Nachhaltigkeit ausge- zum ersten Mal seit Jahren wieder die Maastrichtkrite- richtet wären. rien erfüllen. Der Bundesfinanzminister hat gestern da- (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) rüber Bericht erstattet. Wir haben gute Wachstumsraten. Ich möchte die prognostizierten Kurven von hoch gelob- Dazu brauchen wir erst einmal eine Endabrechnung. ten Wirtschaftsinstituten jetzt nicht aufzeigen. Man weiß Man muss sich anschauen, was im nächsten Jahr anfällt. nie, ob in acht Wochen alles nicht wieder ganz anders ist. Auch an diesem Punkt bin ich der Meinung: Man soll Wir sollten darauf nicht zu viel vertrauen. Aber es ist so, nicht über neue Programme diskutieren, sondern erst dass wir sagen können: Es geht im Augenblick in die einmal verfolgen, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit richtige Richtung. Es gibt keinen Abbau der sozialversi- passiert. cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse mehr, es (Beifall des Abg. [Erfurt] gibt weniger Insolvenzen und zum ersten Mal seit 1988 [SPD]) gibt es einen Überschuss bei der Bundesagentur für Ar- beit. Weil wir die Zukunft nicht verbrauchen wollen, refor- mieren wir. Wir reformieren im Sinne der Gesundheits- (Jürgen Koppelin [FDP]: Weil Sie abkassiert reform. Jeder, der sich einmal mit Gesundheitspolitik haben!) beschäftigt hat – hauptsächlich macht es die Bundesge- Das zeigt nicht mehr und nicht weniger, als dass es sundheitsministerin; aber viele andere tun es auch – – aufwärts geht. Aber das zeigt natürlich auch, dass wir (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU uns mit 4,3 Millionen Arbeitslosen, mit vielen jungen und der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Menschen, die keinen Ausbildungsplatz haben, nicht zu- Das ist das Problem!) frieden geben können. Wir dürfen auf gar keinen Fall die Hände in den Schoß legen; vielmehr müssen wir die – Sie versuchen hier, das der Lächerlichkeit preiszuge- ben. Aber die Frage, ob die überwiegende Mehrzahl der (B) richtigen Lehren auch aus den Fehlern vieler – ich be- (D) tone: vieler – vergangener Jahre ziehen. Menschen in Deutschland den Eindruck hat, dass sie an dem medizinischen Fortschritt teilhaben kann, wird zu Diese Lehre heißt für mich: Wir haben in den vielen der entscheidenden Frage werden. Es geht darum, ob die letzten Jahren die Dimension der Zukunft zu sehr in den soziale Marktwirtschaft und das Gerechtigkeitsempfin- Hintergrund gedrängt. Wir haben uns immer wieder da- den in einer hoch entwickelten Gesellschaft überhaupt mit abgefunden oder wir haben es zumindest nicht the- noch einen Platz haben. Deshalb ist das aller Mühe wert. matisiert, dass wir von der Substanz leben. Deshalb ist Ich sage das aus voller Überzeugung, weil das die diese Bundesregierung ganz bewusst angetreten, um das schwierigste Aufgabe ist. In vielen anderen europäi- Leben von der Substanz schrittweise zu beenden. Das ist schen Ländern können Sie sehen, dass es auch dort eine genau das, was man mit dem sperrigen Begriff der schwierige Aufgabe ist. Nachhaltigkeit beschreibt. Deshalb sage ich es etwas anders, nicht ganz so sperrig: Es ist ganz einfach so, dass Weil das so ist, sollten wir diese Diskussion mit gro- wir unsere Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Das ist die ßer Ernsthaftigkeit führen, aber ohne die Interessen der Leitlinie, das ist der Maßstab, an dem wir unsere ge- einzelnen Besitzstandsgruppen im Auge zu haben; es samte Politik ausrichten. gilt, im Interesse der Versicherten zu handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE NISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bravo! Dann fangen Sie doch Wir dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Das leitet mal an damit!) uns bei all unseren Entscheidungen. Deshalb sanieren wir den Haushalt. Wir sind nämlich dem Gemeinwohl verpflichtet (Jürgen Koppelin [FDP]: Wie bei der Mehr- Ich möchte den Bundesfinanzminister ausdrücklich wertsteuer! – Zuruf von der LINKEN: Das ha- unterstützen. Kaum dass eine Steuermehreinnahme ben wir erlebt!) verkündet wird – unbeschadet der Frage, ob sie im Haus- haltsansatz nicht schon längst eingepreist ist –, gibt es und nicht den Krankenkassen oder den Ärzten allein. eine breite Debatte darüber, was man damit machen Wir sind natürlich jedem einzelnen Akteur mit seinen In- könnte. Lassen Sie uns erst einmal Geld haben! Wenn teressen, aber zum Schluss eben dem Gemeinwohl ver- das der Fall ist, können wir über Schuldenabbau reden. pflichtet. Genau daran wird sich die Bundesregierung Die Neuverschuldung in diesem Jahr ist sehr hoch. Las- orientieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4483

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hartz IV bis hin zu Niedriglohn und Mindestlohn – ori- (C) NEN]: Dann müssen Sie ja Ihre Vorlage um- entieren. schreiben! – Weitere Zurufe) (Beifall bei der CDU/CSU) Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, darf sich So werden wir weitere Beschäftigungspotenziale frei- einmal fragen, ob die Selbstverwaltung der Krankenkas- legen können. Der Bundesarbeitsminister hat hierfür die sen immer so prima funktioniert hat und wie viel Besitz- notwendigen Arbeitsgruppen eingesetzt und die Arbeit standswahrung in dem ganzen System ist. Es geht da- begonnen. Wir werden natürlich alle Sachverständigen- rum, den Menschen das zu geben, was sie brauchen. gutachten und Weiteres mit Interesse zur Kenntnis neh- Daran werden wir uns ausrichten. men und einbeziehen. Aber ganz zum Schluss wird die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Politik ihre Entscheidung fällen müssen. Den Grundsatz und die Linie habe ich genannt. Deshalb werden wir die Eckpunkte umsetzen. Darüber wird es natürlich Diskussionen geben. Wenn Neuland be- Um die Zukunft nicht zu verbrauchen, investieren treten wird, gibt es immer Diskussionen. Aber eine sol- wir. Wir investieren zum Beispiel mit der Hightechstra- che Reform ist notwendig – genauso wie im nächsten tegie. In dem Rahmen stehen in dieser Legislaturperiode Jahr eine Reform der Pflegeversicherung, genauso wie 6 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Mittel eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund werden aber nicht einfach an die verschiedenen Akteure und Ländern mit einer Föderalismusreform II, nachdem verteilt, sondern mit einem Ziel vergeben: In Deutsch- die Föderalismusreform I jetzt in Kraft getreten ist. land müssen aus Ideen wieder verstärkt Produkte wer- den. Wir führen Strukturreformen wiederum deshalb durch, weil wir die Zukunft nicht verbrauchen, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gestalten wollen. Es hat keinen Sinn, wenn wir ein schönes Patent haben und anschließend das Geld mit dem Produkt irgendwo in (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: der Welt verdient wird. Unser Anspruch lautet: von der Wann denn?) Idee bis zum Produkt. Dafür sind die Weichen gestellt. Dazu gehört die Unternehmensteuerreform. Auch das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ist ein Vorhaben für den Herbst. Es geht uns nicht darum, langfristig Unternehmen per se zu entlasten. Es geht uns Wir werden deshalb vor allem die Forschungsaktivi- darum, Unternehmen in Deutschland zu halten. Deshalb täten mittelständischer Unternehmen stärken; denn der wird es am Anfang ein Entlastungsvolumen geben. Aber Mittelstand in Deutschland forscht zu wenig, insbeson- (B) Ziel ist, die Unternehmen in Deutschland auf Dauer wie- dere der in den neuen Bundesländern. Die entsprechen- (D) der zu Steuerzahlern zu machen. den Maßnahmen sind in dieser Hightechstrategie enthal- ten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir werden ein nationales Energiekonzept entwi- Das muss auch so sein. Es hat keinen Sinn, zuzusehen, ckeln. Das wird eine anstrengende Aufgabe sein. In ein- wie Unternehmen in einer globalen Welt woanders hin- zelnen Fragen gibt es durchaus unterschiedliche Mei- gehen, weil sie dort besser dastehen. Wir müssen ein nungen innerhalb der Koalition; aber die große Koalition wettbewerbsfähiger Standort sein – mit dem Ziel, dass würde versagen, wenn sie sich dem zentralen Thema auch der Staat von den Gewinnen der Unternehmen pro- Energie nicht widmen würde. Wir werden das auch in fitiert. Dabei darf nicht die Substanz der Unternehmen, der EU-Präsidentschaft in ganz besonderer Weise mit sondern muss der Gewinn der Unternehmen besteuert Blick auf die europäische Dimension miteinander disku- werden. Es darf nicht so sein, dass der woanders ver- tieren. rechnet wird. Wir haben uns dem Thema Integration gestellt, weil (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir wissen, dass Deutschland nur eine Zukunft hat, wenn Wir werden Bürokratie abbauen. Es gibt bereits ein die, die dauerhaft bei uns leben, auch dauerhaft die glei- Mittelstandsentlastungsgesetz. Es wird an einem zweiten chen Chancen haben. Wenn Menschen die deutsche gearbeitet. Wir werden im Bereich der Hartz-IV-Refor- Sprache nicht beherrschen oder Schüler nicht am Sport- men zu überlegen haben, wie wir angesichts von unterricht in der Schule teilnehmen, wenn wir keine Ge- 4,3 Millionen Arbeitslosen Anreize so setzen, dass unser meinsamkeiten im Zusammenleben entwickeln, sondern Grundziel wieder erreicht wird: Wir wollen die Men- Parallelgesellschaft zulassen, dann werden wir das Ziel schen in Arbeit bringen. Wir wissen, das gelingt nur, der Chancengleichheit nicht erreichen. Deshalb ist das wenn wir sicherstellen, dass jemand dann, wenn er arbei- Thema Integration eines der zentralen Themen. Ich bin tet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet. froh, dass wir hier über alte Gräben hinweggekommen sind. An diesem Grundsatz werden sich alle Entscheidun- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gen orientieren müssen. Wir wollen, dass sich Arbeit lohnt, dass die, die in dieser Gesellschaft etwas leisten Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit wollen, sehen: Die Leistungsanstrengung trägt auch ihre der Gestaltung der Zukunft ist auch das Elterngeld ein Früchte. Daran müssen sich alle Diskussionen – das geht wichtiges Projekt. Es wird am 1. Januar 2007 in Kraft von Kombilohn über Hartz IV und Organisation von treten. Dieses Elterngeld ist die Konsequenz aus der 4484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf tuellen Diskussionen sind ein guter Grund, das zu for- (C) und Familie. Die Unterstützung der Entscheidung für dern. Wenn in dieser Hinsicht Einvernehmen zwischen Kinder durch die Gesellschaft soll stärker in den Mittel- uns besteht und wir mit den Ländern reden, dann kann punkt gestellt werden. das Gesetz auch im Bundesrat verabschiedet werden. Ich sage, weil darüber eine breite Debatte stattfindet, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ausdrücklich: Wir schreiben den Menschen nicht vor, neten der SPD) wie sie leben sollen. Für uns ist jeder Lebensentwurf richtig und wichtig. Die Menschen sollen das alleine ent- Wir werden uns in diesem Herbst im Rahmen des scheiden. Aber wenn wir der Wahlfreiheit nahe kommen Ausbildungspaktes noch einmal sehr intensiv damit wollen, dann müssen wir für diejenigen, die Beruf und auseinander setzen müssen, wie wir den jungen Men- Familie vereinbaren wollen, auch die entsprechenden schen in diesem Lande eine Chance auf einen Ausbil- Bedingungen schaffen. Darum geht es; es geht nicht um dungsplatz geben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich halte das Richten über Lebensentwürfe, sondern um das Er- nichts von dauernd neuen Ausbildungsprogrammen. Erst möglichen von gewünschten Lebensentwürfen. müssen wir – da hat die Bundesregierung vieles gemacht – die Rahmenbedingungen für den Mittelstand (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie so gestalten, dass dort die notwendigen Entscheidungen des Abg. Dr. [DIE LINKE]) für Lehrlinge und Auszubildende gefällt werden können. Wenn sich die Bedingungen dadurch verbessern, dass Wir haben uns damit auseinander zu setzen, wie wir das Wachstum verstetigt wird, dass Bürokratie abgebaut in einer globalen Welt, die immer mehr zusammen- wird, dass durch die Hightechstrategie Forschung und wächst, in der einzelne Regionen gar nicht mehr unter- Entwicklung in den Betrieben ermöglicht werden, dann schieden werden können, Menschen Vertrauen in einen werden die Betriebe auch wieder stärker an ihre Zukunft vernünftigen Verbraucherschutz geben können. Ich glauben und Auszubildenden wieder eine Chance geben. spreche das angesichts der Fleischskandale an. Meine Damen und Herren, der Bundestag – insbesondere die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bundesregierung, die in die Verantwortung genommen werden wird, und in ganz besonderer Weise der Bundes- Ich glaube, die Bundesbildungsministerin, der Wirt- landwirtschaftsminister, schaftsminister und der Bundesarbeitsminister werden noch einmal – auch mit den Ländern – darüber reden (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: müssen, ob die vielen kleinen Zwischenprogramme ziel- So ist es!) führend sind oder ob sie nicht letztlich zu praxisfern der für Verbraucherschutz zuständig ist – wird sich dazu sind. Deshalb treten wir dafür ein, dass wir durchaus mit (D) (B) äußern müssen, wie wir in einer vernetzten Gesellschaft, den Ländern reden, aber nicht sofort wieder neue Pro- einem vernetzten Land vorgehen wollen. Wir brauchen, gramme auflegen, sondern versuchen, die Mittel, die wir auch wenn die Länder zuständig sind, allgemeine, glei- haben, effektiv im Sinne der jungen Leute einzusetzen; che Standards für die gesamte Bundesrepublik Deutsch- denn wir wollen jedem jungen Menschen eine Chance land; an dieser Stelle kann man heute nicht mehr lokal geben, auf dem Ausbildungsmarkt einen Platz zu be- agieren. kommen. Das ist entscheidend für seine persönliche Zu- kunft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das heißt nicht, dass die Bundesregierung die Kon- Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat trollen übernimmt. Aber es hieße schon, dass sich die eine Vielzahl von Entscheidungen gefällt. Die Folgen Länder bereit erklären müssten, auf einer gemeinsamen vieler dieser Entscheidungen sind für die Menschen Informationsplattform die vorhandenen Informationen nicht einfach. auszutauschen. Es kann nicht sein, dass jeder sein Wis- (Jürgen Koppelin [FDP]: Das kann man wohl sen für sich behält und sich anschließend wundert, wenn sagen!) flächendeckend Verfehlungen auftreten. Ich plädiere ausdrücklich für eine solche Informationsplattform und Wir haben erlebt, dass Sparen – der Bundesfinanzminis- unterstütze den Bundeslandwirtschaftsminister in dieser ter hat darauf hingewiesen, dass 60 Prozent unserer Forderung. Haushaltsveränderungen auf Sparen zurückzuführen sind – nicht einfach für die Menschen ist, sondern zum (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Teil sehr schmerzhaft. Dies können wir den Menschen Meine Damen und Herren, ich fordere die Länder nur zumuten, weil wir uns davon leiten lassen, dass wir auch von dieser Stelle aus auf, das Verbraucherinfor- glauben, alle sind zum Schluss davon überzeugt: Wir mationsgesetz jetzt endlich zu verabschieden. dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Wir werden diesen Konsolidierungskurs fortsetzen. Wir werden da- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bei Erfolge haben. Ach! Vier Jahre haben Sie gebraucht!) Ich muss feststellen: Von der Opposition ist wenig bis Es hat keinen Sinn, länger darauf zu warten. Wir haben gar nichts zu hören. dieses Gesetz im Kabinett verabschiedet und jetzt soll es im Bundesrat verabschiedet werden. Ich glaube, die ak- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4485

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Realitätsverweigerung, Einfallslosigkeit, ein großes Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) Stück Selbstgerechtigkeit und ein Hang, dieses Land ne- Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für gativ zu reden: Das halte ich nicht für verantwortbar. die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU: Oh!) NEN]: Gerade Sie wagen es! Sie haben es doch jahrelang schlecht geredet! Sie sind doch die Hohepriesterin des Schlechtredens! – Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja wohl der Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Gipfel!) ren! Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öf- fentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik – Frau Künast, wenn Sie, was unsere Oppositionstätig- der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in keit betrifft, der Meinung sind, die Sie gerade geäußert Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob haben – ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht; denn die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist, wir haben im Bundesrat bei der Agenda 2010 viele, viele Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu Entscheidungen mitgetragen und ihnen eine Handschrift fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion gegeben, die wirklich in die richtige Richtung gewiesen Die Linke Stellung nehmen. hat –, (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie mal ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht über- dem Verbraucherinformationsgesetz zuge- rascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpoli- stimmt hätten, bräuchte Ihr Minister heute tik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem nicht auf Eiern zu laufen!) Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus dann gibt es nun gar keinen Grund, in die gleichen Feh- den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und ler zu verfallen, meine Dame. Das ist nämlich der Punkt: Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffent- Zeigen Sie doch, dass Sie besser sind, als Sie denken, lichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzle- dass wir es waren. Diesem Anspruch werden Sie doch rin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr har- nicht gerecht. sches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hätte haben sollen. Wir als Regierung sagen nicht, dass wir unsere Ziele (Beifall bei der LINKEN) schon erreicht haben; das wäre vollkommen falsch. Aber (B) Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innen- (D) ich bin der festen Überzeugung: Wir haben die Grund- lage für eine dauerhafte Entwicklung nach oben gelegt. minister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Nach außen hat die Koalition das Ansehen Deutschlands Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland in der Welt gemehrt. Deutschland ist wieder in der Mitte erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch und Deutschland hat Gestaltungsspielräume, bei den gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als großen Konflikten dieser Welt wieder mithelfen zu kön- sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt nen. nicht über die Außenpolitik diskutiert werden. Nach Innen haben wir die Wende zum Besseren ein- (Beifall bei der LINKEN) geleitet. Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik. Wir nehmen uns bei allen Entscheidungen – auch das Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten will ich sagen – die Zeit, die wir brauchen. Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engage- (Jürgen Koppelin [FDP]: Drei Stunden!) ment am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet Wir lassen uns nicht treiben, sondern wir durchdenken ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu min- die Konzepte vernünftig. Wir handeln mit Entschlossen- dern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses heit für das, was wir für richtig und wichtig halten, für militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische das, was den Menschen dient, für das, was endlich damit Anschläge auch hier in Deutschland unternommen wer- Schluss macht, dass wir die Zukunft verbrauchen. den, immer weiter steigt. Wir haben das Ziel, dass Deutschland in den nächsten (Beifall bei der LINKEN) zehn Jahren wieder unter die ersten drei kommt bei Wachstum, bei Beschäftigung und bei Innovation. Das Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis. steckt in den Menschen dieses Landes. Das sind wir die- Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich sem Land schuldig. Auf diesem Weg werden wir uns schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat. nicht beirren lassen. Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen und die klassischen Traditionen der deutschen Außen- Herzlichen Dank. politik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu ver- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und nachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit der SPD) in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der 4486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Oskar Lafontaine (A) Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant ge- (Beifall bei der LINKEN) (C) gen Ihren Auftrag. und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu er- (Beifall bei der LINKEN) klären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie die- Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob sen Terrorismus bekämpfen wollen. es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie, Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal man das Völkerrecht ignoriert. Sie tun das in ununter- sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind brochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier ein- hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht mal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Au- in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus ßenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawien- nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der krieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Af- Terrorismus bekämpft werden kann. ghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das (Beifall bei der LINKEN) gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Prä- immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das sidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen ge- durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen kommen ist. Ich zitiere: von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mit- Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist, telbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und sich in einem terroristischen Kontext bewegen: man kann darüber nicht hinweglächeln und hinweg- wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist, reden. „die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchset- (Beifall bei der LINKEN) zung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewalt- Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, anwendung unterstützen, befürworten oder durch zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache, ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“. dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völker- recht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Ter- im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören rorismus. (B) mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat (D) Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsge- brauchen – so haben Sie das hier wieder formuliert – und richtes sagt hierzu weiter: dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas was kann man nicht alles unter „international aus- abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik gerichteten politischen oder religiösen Belangen“ Deutschland Israel Waffen liefert – und zwar U-Boote, begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie subsumieren, der die Absetzung eines Diktators nuklear bewaffnet werden können –, dann ist das so wi- zum Ziel hat? dersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und ergreifend niemals Erfolg haben kann. Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in (Beifall bei der LINKEN) sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man nicht in der Lage ist – Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist, nicht –, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf inter- das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage be- nationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten gründet worden: Wir können uns in der Welt nicht he- von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so raushalten; wir haben eine größere Verantwortung und lautet auch die Definition in dem angesprochenen Ge- diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. – setzentwurf. Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung ge- führt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpoli- Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldi- tik war, der weit über die deutschen Belange an der ger Menschen ums Leben bringt. Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts, (Beifall bei der LINKEN) die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4487

Oskar Lafontaine (A) möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon (C) Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutra- auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit gen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird. man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls euro- warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen päische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war, für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: „Einem der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen“? So hinaus hatte. wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals errei- chen können und so wird man nicht zum Frieden beitra- Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außen- gen. politik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und sol- (Beifall bei der LINKEN) che konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt habe, nicht verfolgt wurden. Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich (Beifall bei der LINKEN) zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren zwei weitere Bemerkungen. – auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition – wurde immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt, Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bun- weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewir- desregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz ken. von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten Wie gefährlich militärische Interventionen sind, ha- abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein ben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völ- kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzle- kerrechtes erinnert. rin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehema- lige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die (Beifall bei der LINKEN) an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie ge- vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Solda- genüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigerma- ten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am ßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde. Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort (B) (D) keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen haben wir nun wirklich nichts zu suchen. nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaf- (Beifall bei der LINKEN) fensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genom- men nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden, wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betrei- ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen ben. – Was meine ich damit? Der Atomwaffensperr- verwickelt werden. vertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinwei- Nuklearwaffen in der Welt haben. sen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Pla- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bun- Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen desregierung keine militärischen Optionen gegen den sollen, aber das heißt auch – das wird weitgehend ver- Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hi- gessen –, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben, neinschlittern. In den letzten Monaten konnte man be- verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrie- obachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter ben. Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offen- (Beifall bei der LINKEN) sichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsen- dung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und Vertrag in Permanenz. Dieser Punkt ist eine Grundlage in welchem Auftrag – wenn überhaupt – Truppen in die- des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andern- ses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofes- falls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man sionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist. kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Na- (Beifall bei der LINKEN) tionen dürfen keine haben. Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Au- Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die ameri- ßenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde kanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidun- möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen gen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terro- produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage auf- rismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu zuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden 4488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Oskar Lafontaine (A) soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig Strukturfehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bald (C) interpretiert und wenn man die guten Traditionen der werden Sie sich streiten können, wem der Abschwung deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik zu verdanken ist: der Vorgängerregierung oder der jetzi- verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen gen Regierung. Für die Betroffenen ist das aber irrele- setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht vant. Angesichts der hohen Zahl an Arbeitslosen und der zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die vielen jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden, schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer handeln Sie schlicht und einfach falsch. sich überall einlässt – und zwar so einlässt wie Sie hin- sichtlich des Libanon –, der erhöht die Gefahr für Terror- (Beifall bei der LINKEN) anschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie Die Behauptung, die Arbeitsmarkreform sei die hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen Grundlage des Aufschwungs, wird durch die Statistiken Volk abzuwenden. widerlegt. Es gibt keinen Aufschwung, der nicht mit ei- (Beifall bei der LINKEN) ner besseren Situation auf den Gütermärkten unterlegt ist. Der jetzige Aufschwung basiert auf einer besseren Ich möchte mich nun der zweiten Fragestellung zu- Situation auf den Gütermärkten. Das „Fummeln“ am wenden, ob Ihre Wirtschaftspolitik geeignet ist, den be- Kündigungsschutz, am Arbeitslosengeld II oder an den ginnenden Aufschwung zu unterstützen. Natürlich wer- Tarifverträgen führt überhaupt nicht zum Aufschwung. den die Regierenden für sich immer in Anspruch Es ist nun einmal so – das zeigen die aktuellen Zahlen –, nehmen – das kennen wir ja und das ist wohl unvermeid- dass der Aufschwung von den Gütermärkten und nicht lich –, der Aufschwung sei ihr Werk. Amüsiert haben vom Arbeitsmarkt induziert wird. Deshalb muss man al- wir den Streit verfolgt, ob der Aufschwung ein Auf- les tun, damit der Aufschwung auf den Gütermärkten schwung Schröders oder ein Aufschwung Merkels ist. erhalten bleibt. Das geht nur durch die Stärkung des pri- Es wäre allerdings gut, einmal in die deutsche Presse zu vaten Verbrauchs. Die Bundesregierung hat das offen- schauen. Auch heute kann man darüber Kommentare le- sichtlich nicht verstanden. sen, in denen eine andere Meinung vertreten wird und in denen darauf hingewiesen wird, dass die Wirtschafts- (Beifall bei der LINKEN) politik der jetzigen Regierung überhaupt nicht geeignet Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt – – ist, den Aufschwung zu unterstützen. Das ist die Wahr- heit. (Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Bundesministerin Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass Ihre Heidemarie Wieczorek-Zeul auf der Regie- Wirtschaftspolitik nichts mit dem Aufschwung zu tun rungsbank) (B) hat. Im zweiten Quartal gibt es gegenüber dem ersten (D) Quartal 2006 folgende Bilanz: Die Bauinvestitionen – Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zu – überwiegend Wirtschaftsbauinvestitionen – wachsen unterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäre um 4,6 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen mit einem sicherlich etwas Gutes. Wachstum von 2,5 Prozent machen den Löwenanteil des (Beifall bei der LINKEN) Aufschwungs aus. Die Exporte wachsen nur noch schwach. Unter Berücksichtigung des Vorquartals sind Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, der es 0,7 Prozent. Die Importe sind um 0,5 Prozent gestie- arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse als der- gen. Aber dann kommt das Entscheidende: Die Staats- jenige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant ge- ausgaben sinken um 0,2 Prozent und der private Konsum gen diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle kei- um 0,4 Prozent. Die beiden Schwachpunkte des Wirt- nen gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nicht schaftsaufschwungs sind also die Staatsausgaben und begriffen haben, was Sie hier vortragen. der private Konsum. Wer in einer solchen Situation die Mehrwertsteuer erhöht und soziale Leistungen kürzt, (Beifall bei der LINKEN) zeigt, dass er das Einmaleins der Wirtschaftspolitik nicht In der Praxis liegt der Mindestlohn – zumindest in Ost- verstanden hat. deutschland – bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, der (Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken [CDU/ arbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geld CSU]: Sie haben es nicht kapiert!) zur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistun- gen bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeu- Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich die tet. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindest Statistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wo – ebenso wie andere europäische Staaten – einen ange- wir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwas messenen Mindestlohn einführen, damit sichergestellt tun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regie- ist, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohnt rung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zu wird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eine verschärfen. Dimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern soll- ten. In größeren Industriestaaten ist – in kleineren kann das anders sein – in den letzten Jahren kein Aufschwung Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöne beobachtet worden, der nicht wesentlich vom privaten Worte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habe Konsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich große den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie Mühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist der hier eigentlich vorgetragen haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4489

Oskar Lafontaine (A) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben es schaft wenig Sinn. Dort muss es eine staatliche Energie- (C) nicht kapiert!) preiskontrolle geben. Ich begrüße es, dass drei CDU-ge- führte Länder das jetzt erkannt haben, entsprechende Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern. Initiativen machen wollen und unseren Ansatz insoweit Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Wer aufgreifen. klatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: „Wir müssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen, (Beifall bei der LINKEN) die Sie widerlegen: Die öffentliche Investitionsquote Deutschlands ist – das gilt auch für diesen Haushalt, Dasselbe gilt – damit bin ich wieder beim geschätzten Herr Bundesfinanzminister – nur halb so hoch wie die Bundesfinanzminister – hinsichtlich der Entwicklung der europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vie- der Mietpreise. Sie beglücken die deutsche Öffentlich- len Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaat keit immer wieder mit der Absicht, die REITs auch in denn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so viel Deutschland zuzulassen, also private Immobilienfonds, investieren wie die Konkurrenz? Wir brauchen mehr öf- die hohe Renditen erwirtschaften. Verehrter Herr Bun- fentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravie- desfinanzminister, glauben Sie mir, die hohe Renditen render Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. kommen nicht vom lieben Gott. Sie kommen woanders her, (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnen der Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und For- und zwar von den Mieterinnen und Mietern. Anders ist schungsausgaben nach wie vor – das zeigt die OECD- das nicht zu machen. Irgendjemand muss für diese ho- Statistik – weit zurückliegen? Sie offenbaren einen Wi- hen Renditen zahlen. Das heißt, Ihre Kritiker in der eige- derspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkün- nen Fraktion und die ehemalige Ministerin det, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land, haben völlig Recht, wenn sie sagen, dass die Einführung das eine französische Dichterin früher einmal „das Land solcher Fonds nur dazu geeignet ist, die Mietpreise an- der Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zu- steigen zu lassen, was insbesondere für sozial schwä- kunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann. chere Schichten unakzeptabel ist. Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher und (Beifall bei der LINKEN) ein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war. Wenn man also diese Kombination sieht – auf der ei- Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen, nen Seite stagnierende Löhne, auf der anderen Seite stei- wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der gende Energiepreise und steigende Mietpreise; alles ver- Länder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinen (B) ursacht durch das Handeln dieser Regierung –, dann (D) Weg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben an stellt sich tatsächlich die Frage, welche Vernunft der Ar- das internationale Niveau angeglichen werden kann. beit dieser Regierung zugrunde liegt. (Beifall bei der LINKEN) Ein Letztes. Wenn ich jetzt wieder lese, dass zum Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen, 1. September gemeldet worden ist, dass die Zahl der jun- wie man den privaten Konsum unterstützen kann. Die gen Menschen, die noch keine Lehrstelle haben, weiter Situation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahren im Anstieg ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass stagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist, das ein eklatantes Versagen Ihrer Regierung ist. wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiter (Beifall bei der LINKEN) verschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärkte haben Sie wesentlich dazu beigetragen. Es hat doch keinen Sinn, über Zukunft zu reden, wenn wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen. Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Mo- natsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreise Nun mögen die Ansätze für Lösungen, die hier vorge- bezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangige tragen werden, natürlich da oder dort auf Einwendungen Leistung, zu erreichen, dass die Energiepreise in stoßen. Die Lösung, eine Ausbildungsplatzabgabe ein- Deutschland nicht weiter so steigen können und dass auf zuführen – sie wurde jahrzehntelang in der SPD mit gro- Monopolmärkten nicht weiter so abgezockt werden ßen Mehrheiten befürwortet –, funktioniert ja beispiels- kann, wie es derzeit geschieht. weise in der Bauwirtschaft und auch in den nordischen Staaten. Warum sind wir nicht in der Lage, auch in (Beifall bei der LINKEN) Deutschland eine solche Lösung zu finden? Ich plädiere Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzept im Namen meiner Fraktion nachhaltig für eine solche im Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verän- Lösung. dern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundes- (Beifall bei der LINKEN) kanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie die steigenden Energiepreise in den Griff bekommen wol- Ich begrüße es ausdrücklich, dass ein Ministerpräsident len? Mittlerweile haben einige Länderregierungen den der CDU, Herr Koch aus Hessen, sagt: Wenn die Situa- Vorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfach tion so eng ist, wie sie derzeit ist, dann braucht es ein öf- vorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatliche fentliches Programm zur Bereitstellung von Ausbil- Energiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, bei dungsplätzen. Auch dieser Ansatz wird von unserer monopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirt- Fraktion nachhaltig unterstützt. 4490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Oskar Lafontaine (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) uns, der internationalen Staatengemeinschaft, zu verdan- (C) ken, aber nicht solchen Sprüchemachern wie Ihnen. Ich fasse zusammen. Die zwei Fragen, die ich aufge- worfen hatte, lauteten: Trägt die Außen- und Sicherheits- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem politik der Bundesregierung dazu bei, die Sicherheit in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- unserem Lande zu erhöhen? Trägt die Wirtschaftspolitik geordneten der FDP) dazu bei, das Wachstum zu fördern und die Arbeitslosig- keit abzubauen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass beide Herr Lafontaine, wir kennen uns schon lange. Wir Fragen verneint werden müssen. waren sogar einmal über unsere politische Zusammenar- beit hinaus befreundet; das ist bekannt. Aber ich halte es (Widerspruch des Abg. Axel E. Fischer [Karls- für unglaublich, was für eine politische Entwicklung Sie ruhe-Land] [CDU/CSU]) genommen haben. Dafür habe ich überhaupt kein Ver- ständnis. – Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarer der CDU/CSU – Oskar Lafontaine [DIE Weise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutsch- LINKE]: Dieses Kompliment kann ich zurück- land. geben!) (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ Meine Damen und Herren, die Attentate von London, CSU]: So ein Blödsinn!) Madrid und Ankara und natürlich auch der 11. Septem- Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft die ber 2001 sind zu Synonymen für die Verletzbarkeit der Ungleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauer- westlichen Demokratien durch Angriffe von Terroris- haften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, um ten geworden. Kein Land der Welt ist, was diesen ver- die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen. blendeten Terror verstockter Ideologen betrifft, eine In- sel der Seligen. Das wird man auch nicht, indem man (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Axel sich aus der Weltverantwortung völlig heraushält. Das zu E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: denken, ist ein grundsätzlicher Irrtum. Glauben Sie Meine Güte!) denn, es bestünde in Deutschland keine Gefahr durch Terrorismus, wenn es auf der Welt keine Bundeswehr Präsident Dr. Norbert Lammert: gäbe? Glauben Sie das ernsthaft? Das kann doch nicht Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Frak- wahr sein! Das ist absoluter Unsinn, Herr Lafontaine, tion, Dr. Peter Struck. und völlig bescheuert. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) der CDU/CSU) Schon damals, im Jahre 2001, haben Bund und Län- der mit der Optimierung der Sicherheitsmaßnahmen Dr. Peter Struck (SPD): begonnen. Diese Maßnahmen sind von den Innenminis- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten tern immer wieder angepasst worden, zuletzt in dieser Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie haben eine Woche, und zwar durch Einführung der Antiterrordatei, Rede gehalten, die ich für beschämend halte für das als Reaktion auf die Kofferbombenattentate und andere Hohe Haus. potenzielle Gefährdungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Selbst wenn man alles tut, um ein möglichst hohes der CDU/CSU) Maß an Sicherheit herzustellen, muss eines gesagt wer- den – darüber sollten wir uns alle im Klaren sein –: Eine Was die Außenpolitik angeht, will ich Ihnen klar sagen: hundertprozentige Sicherheit wird es in einer freiheitli- Wer solche außenpolitischen Positionen vertritt wie die, chen Demokratie nie geben. Keine Antiterrordatei der die Sie gerade vorgetragen haben, darf niemals Verant- Welt, keine Videokamera und keine Sammlung von Fin- wortung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen. gerabdrücken können hundertprozentigen Schutz ge- Niemals! währleisten. Das dürfen wir den Bürgerinnen und Bür- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gern auch nicht vorgaukeln. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!) GRÜNEN) Hundertprozentige Sicherheit vor zum Selbstmord Das Entscheidende, Herr Lafontaine, ist doch nicht entschlossenen Attentätern wäre nicht einmal zu ge- die Frage, ob die Außen- und Sicherheitspolitik der Bun- währleisten, wenn man die Prinzipien einer liberalen De- desregierung der Bundesrepublik Deutschland nutzt. mokratie zugunsten derer eines Überwachungsstaates Das Entscheidende ist die Frage, ob die Außen- und Si- aufgeben würde. Wir dürfen die freiheitlichen Prinzipien cherheitspolitik der Bundesregierung der Welt nutzt. Das unserer westlichen europäischen Demokratien im Kampf tut sie zweifellos. Gehen Sie doch einmal nach Afgha- gegen diesen Terrorismus nicht opfern. Genau das ist nistan! Sie halten hier Reden über Afghanistan, waren nämlich das Kalkül der Terroristen. aber noch nie dort. Fragen Sie einmal die Mädchen in Afghanistan, die endlich zur Schule gehen und studieren (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dürfen, wem sie das zu verdanken haben! Das haben sie CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4491

Dr. Peter Struck (A) Wir müssen uns gegen das Klima von Angst und Hass Ich habe übrigens genauso wenig Verständnis für die (C) wehren, das sie schüren wollen. Haltung der FDP in der außenpolitischen Frage. Ich denke dabei an die Zeiten, in denen die FDP außenpoli- Die Weltgemeinschaft hat den Kampf gegen den Ter- tisch große Verantwortung wahrgenommen hat, und ror im Herbst des Jahres 2001 aufgenommen. Für uns, halte es für einen schlechten Weg, den die FDP mit dem das Parlament, war es ein weit reichender und schwieri- Nein zu den Auslandseinsätzen gegangen ist. Über den ger Schritt, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schi- Libanon werden wir noch reden. Ich glaube, dass sie sich cken. Ich erinnere mich – auch damals war ich Vorsit- nicht auf dem richtigen Weg befindet. zender der SPD-Fraktion –, wie schwer wir uns in dieser Debatte getan haben, alle anderen Fraktionen selbstver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk ständlich auch. Niebel [FDP]: Die meisten haben wir doch mitgemacht!) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Alle!) Die Ablehnung der FDP beim Auslandseinsatz im – Ja, alle. Kongo, bei der Verlängerung des Mandats in Afghanis- Fünf Jahre später hat sich diese Entscheidung als tan und möglicherweise jetzt bei dem Mandat im Liba- richtig erwiesen. Sie war notwendig, um die Kräfte zu non ist falsch. stärken, die nicht länger mit ansehen wollten, dass Af- (Zurufe von der FDP: Nein!) ghanistan weiterhin Brutstätte des internationalen Terro- rismus bleibt. Diese Entscheidung war auch notwendig, Eine Ablehnung würde uns im Kampf gegen den in- um den Aufbau zivilgesellschaftlicher und demokrati- ternationalen Terrorismus in der internationalen Ge- scher Strukturen in diesem Land zu sichern. meinschaft isolieren. Sagten wir Nein, wäre Deutschland isoliert und spielte keine verantwortungsvolle Rolle in Der Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan ist ge- Europa. Die Wahrnehmung einer verantwortungsvollen fährlich. Die Taliban sind auch nach fünf Jahren noch Rolle wird von Deutschland allerdings erwartet. längst nicht zerschlagen und al-Quaida ist nach wie vor im Nachbarland Pakistan präsent. Eine Beendigung der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mission ist nicht abzusehen. Deswegen wird der Bun- destag dieses Mandat in den nächsten Wochen um ein Wir sind außenpolitisch ein starkes Land in Europa. weiteres Jahr verlängern; dafür plädiere ich. Allerdings Wir werden in den nächsten Tagen und möglicher- bin ich dafür, meine Damen und Herren, das Mandat un- weise auch Wochen – niemand weiß es genau; die Frau verändert zu verlängern. Eine Ausweitung des deutschen Bundeskanzlerin hat soeben dargelegt, worüber im (B) Einsatzgebietes auf den Süden des Landes lehne ich ab. Libanon entschieden werden muss – um Hilfe gebeten (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden. Die Vereinten Nationen bitten uns um Hilfe. Es der CDU/CSU und der FDP) war immer die Position der SPD, dass unter Obhut der Vereinten Nationen solche Mandate wahrgenommen Die Bundeswehr, die im Rahmen von ISAF das werden. Darüber hinaus bitten uns der Libanon und Is- größte Kontingent stellt, hat die Verantwortung für den rael um Hilfe. Es wird in der Tat – das ist wahr – ein ro- gesamten Norden übernommen. Für den Westen, den bustes Mandat, vermutlich wird es das robusteste wer- Süden und den Osten sind jeweils andere NATO-Partner den, das es für unsere Soldatinnen und Soldaten gibt. verantwortlich. Das war die Vereinbarung. Dabei sollte es auch bleiben. Es soll ein Frieden stiftendes Mandat sein, das nach den Kämpfen der vergangenen Wochen eine belastbare Ich halte es übrigens für unerträglich, dass die PDS Waffenruhe garantieren soll. Wir bieten Hilfe für diese behauptet – auch Herr Lafontaine hat das eben wieder Mission an, weil wir wissen, dass es von einem labilen getan –, durch unseren Einsatz in Afghanistan würden Waffenstillstand bis zu einer wirklichen Befriedung ein wir den Terror nach Deutschland holen. sehr weiter Weg ist, der ohne die Unterstützung der Weltgemeinschaft nicht gelingen wird. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das hat sogar Herr Beckstein gesagt! – Weiterer Zuruf von Meine Partei und Fraktion haben ausführlich über un- der LINKEN: So ist das aber!) sere Hilfe debattiert. Dabei ist die humanitäre Hilfe in der Region vorrangig. Libanon wird wieder zu einem Die Damen und Herren Populisten sollten sich einmal Partnerland unserer Entwicklungshilfe werden. Es anschauen, welch verantwortungsvolle Arbeit unsere kommt auf den Wiederaufbau von Wohnungen und die Soldatinnen und Soldaten dort leisten. Eindämmung der Ölpest vor der libanesischen Küste an. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind uns darüber im Klaren, dass ein militärischer Beitrag nur dann dauerhaft helfen kann, wenn ernsthaft Sie sollten auch wissen: Das Recht auf Freiheit in unse- nach politischen Lösungen in Nahost gesucht wird. Ent- rer Demokratie verteidigt man nicht dadurch, dass man scheidend wird die Lösung des israelisch-palästinensi- ungezügelte Angriffe auf die Grundfesten der Demokra- schen Konfliktes sein. Ohne sie wird es keine Beruhi- tie zulässt. gung im Nahen Osten geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU) 4492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Peter Struck (A) Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich in Lösungen prüfen, kann ich keinen Ausgleich suchen. (C) den letzten Wochen unermüdlich für Gespräche mit allen Lassen Sie es mich mit einem historischen Vergleich Seiten eingesetzt. Wir danken ihm ausdrücklich für seine deutlich machen: Willy Brandt hat seine Entspannungs- Arbeit und unterstützen ihn nachhaltig. politik nur entwickeln können, weil er die Kategorien von Gut und Böse der 50er- und 60er-Jahre beiseite ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) legt und den zähen Dialog mit den Kommunisten ge- Der Außenminister trägt mit seiner intensiven Diploma- sucht hat. Es war ein mühsamer, umstrittener, aber er- tie maßgeblich dazu bei, dass Deutschland als wichtiger folgreicher Weg. und vertrauensvoller Partner von allen Konfliktparteien im Nahen Osten wahrgenommen wird. ( [FDP]: Mit Scheel!) Einige Kollegen aus meiner Fraktion haben in den – Mit Walter Scheel, selbstverständlich. – Seine Ent- letzten Wochen Israel und Palästina, Libyen und Syrien spannungspolitik war gut für unser Land, für unsere besucht. Sie sind mit der Erkenntnis zurückgekommen, Nachbarn und für Europa insgesamt. Nicht zuletzt Willy dass der Einsatz der Deutschen von allen Partnern ge- Brandts Verzicht/Walter Scheels Verzicht auf die damals wollt wird. Sie sind aber auch mit der Erkenntnis zu- zwischen den Blöcken weit festgeschriebenen Katego- rückgekommen, dass die Nachbarn Israels Erwartungen rien von Gut und Böse verdanken wir, dass heute Feinde haben, die für das Gelingen des Friedensprozesses unab- von gestern Partner und Freunde geworden sind. dingbar sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul hat der CDU/CSU und der FDP) eine UN-Untersuchung des Einsatzes israelischer Streumunition gefordert und ist dafür vom Zentralrat Für den Nahen und Mittleren Osten heißt das nicht, der Juden kritisiert worden. Im Namen meiner Fraktion dass wir die Augen und Ohren vor unakzeptablen Hand- weise ich diese Kritik zurück. lungen und Äußerungen verschließen. Wenn beispiels- weise das Existenzrecht Israels geleugnet wird, wenn der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Antisemitismus darüber den deutschen Sumpf erreicht, der LINKEN) sagen wir klipp und klar: Nein! Eine Untersuchung kann für alle Seiten in der Krisenre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der gion von Nutzen sein. Israels Ministerpräsident Ehud CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Olmert hat die große Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern hervorgehoben und gesagt, es gebe zur- Unsere israelischen Freunde können sich auf uns verlas- zeit keine Nation, die sich freundschaftlicher gegenüber sen; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, im Na- (B) (D) Israel verhalte. Das ist so und soll auch so bleiben, aber: men meiner Fraktion und auch der Koalition. Freunde müssen auch wahrheitsgemäß miteinander um- gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Lassen Sie mich nur einige kurze Bemerkungen zum Gerade Freunde!) Arbeitsmarkt und zur Gesundheitspolitik machen, weil Redner meiner Fraktion auf diese Themen ausführlicher Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist beunruhi- eingehen werden. gend. Sie bereitet den Menschen hier Sorgen, weil wir von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind. Die Zum Arbeitsmarkt. Der Knoten ist geplatzt, eindeu- Krisenregion ist drei Flugstunden von uns entfernt. Der tig. Deutschland ist im Aufschwung, die wirtschaftliche Irak kommt nicht zur Ruhe. Von Frieden ist dieses Land Dynamik gewinnt weiter an Fahrt. Nachdem die Wirt- weit entfernt, es ist zu einer Zufluchtsstätte für Terroris- schaft gut in das laufende Jahr gestartet war, hat sich die ten des al-Qaida-Netzwerks geworden. Fast täglich gibt Erholung im zweiten Quartal eindeutig fortgesetzt. Der es dort Tod und neue Attentate. Meine Damen und Her- Konjunkturfunke ist endlich vom Export auf die Binnen- ren, ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Ent- konjunktur übergesprungen, vor allem in der Bauwirt- scheidung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, schaft; das haben Sie, Herr Lafontaine, zu Recht vorge- diesen Krieg nicht zu befürworten, war und bleibt rich- tragen, korrekt diesmal – ausnahmsweise. Verstärkte tig, zu jeder Zeit. Investitionen tragen zum Aufschwung bei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Zahl der Arbeitslosen ist im August um des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 14 000 auf 4,3 Millionen gesunken. Seit Februar 2006 ist die Zahl der Arbeitslosen von 5,0 auf 4,37 Millionen Wir sind in der Iranfrage – Sie haben das angespro- gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Zahl chen, Frau Kanzlerin – strickt für Diplomatie und Ge- der Arbeitslosen um mehr als 400 000 gesunken. Die spräch und schließen eine militärische Option aus; da Zahl der Erwerbstätigen ist gestiegen: Im Vergleich zum stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Vorjahreswert ergab sich im Juli eine Steigerung von Ich halte nichts davon, wenn immer öfter Begriffe wie 306 000 Erwerbstätigen. Das ist ermutigend, meine Da- „gut“ und „böse“ Eingang in die internationale Debatte men und Herren, auch deshalb, weil sich die Entspan- finden. Eine solche Sicht ist fatal. Wenn ich im Gegen- nung auf dem Arbeitsmarkt aus dem Zusammenspiel über nur das Böse erkennen will, kann ich nicht ernsthaft von konjunktureller Entwicklung und dem Greifen ar- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4493

Dr. Peter Struck (A) beitsmarktpolitischer Instrumente der Bundesregierung (Beifall bei der SPD) (C) ergibt. Jeder weiß doch, dass sich der erwartete Überschuss der Ganz sicher ist, dass das in Genshagen beschlossene Bundesagentur zu einem Drittel aus einem Einmaleffekt 25-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm seine Wir- ergibt, dass dieser Effekt in den nächsten Jahren nicht kung jetzt entfaltet, langsam, aber sicher. Vor allem das wieder auftreten wird und dass wir für die Absenkung darin enthaltene CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist des Arbeitslosenversicherungsbeitrags allein von der schon jetzt ein Erfolg auf ganzer Linie. Es wird bis 2009 Agentur rund 7 Milliarden Euro erwarten. Das heißt, wir ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro entwi- können nicht über weiteres Geld verfügen, weil es nicht ckeln. Bereits im letzten Monat, also im August, waren vorhanden ist. die Mittel für dieses Jahr – für das ganze Jahr – bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgeschöpft. Seit Früh- Lassen Sie uns die Entwicklung in Ruhe abwarten. jahr hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich Legen wir das Thema auf Wiedervorlage für das nächste der energetischen Gebäudesanierung ein Darlehensvolu- Frühjahr, bis wir einen Überblick darüber haben, wie men von 7 Milliarden Euro bewilligt. Das Programm hat sich die Finanzen der Bundesagentur gestalten. Auch einen erheblichen Anteil an dem spürbaren Aufschwung hier sollten wir es halten, wie es in der Koalition eigent- der Bauwirtschaft. Um diesen Erfolg nicht abzubremsen, lich immer gelten sollte: Solidität vor Schnelligkeit. werden wir für dieses Jahr 350 Millionen Euro zusätz- Zu zwei Punkten möchte ich noch etwas sagen, näm- lich zur Verfügung stellen. Das belegt, dass das Gebäu- lich zur Gesundheitsreform und zur Unternehmensteuer- desanierungsprogramm ein großer Renner ist, ein großer reform. Es war ein schwieriges Unterfangen, die Eck- Erfolg. punkte für die Gesundheitsreform zu vereinbaren. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Expertinnen und Experten und auch die so genannten der CDU/CSU) Spitzenkreise haben lange darüber beraten. Es ist jetzt eine Vereinbarung über die Eckpunkte der Gesundheits- Dass sich der Arbeitsmarkt entspannt, liegt aber auch reform beschlossen worden. Die SPD-Bundestagsfrak- daran, dass die Vermittlung und die Betreuung des ein- tion wird diese Eckpunkte einhalten. Ich erwarte das von zelnen Arbeitslosen maßgeblich intensiviert worden der anderen Koalitionsfraktion natürlich auch. Es macht sind. In ihrer Breite greifen jetzt die Arbeitsmarkt- jetzt also keinen Sinn, die vereinbarten Eckpunkte an reformen, die von der Regierung unter Gerhard einzelnen Stellen jeweils von der einen oder anderen Schröder eingeleitet worden sind. Insofern profitiert die Seite infrage zu stellen. große Koalition von diesen mutigen Reformschritten ih- rer Vorgängerregierung, an der wir auch beteiligt waren, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (B) wie man weiß. CDU/CSU) (D) (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle Es ist auch klar, dass diese Eckpunkte auf heftigen [FDP]: Los, CDU/CSU, Beifall! Das ist euer Widerstand fast aller stoßen. Das war uns aber bereits Partner!) vorher klar, als wir die Debatte begonnen haben. Wer un- ser Gesundheitssystem in Deutschland erhalten will – es – Dass der Beifall des Koalitionspartners dafür etwas ist das beste Gesundheitssystem der Welt, weil durch verhalten ist, kann ich verstehen. Trotzdem ist es wahr. dieses System dafür gesorgt wird, dass jeder, ob Arm oder Reich, ob Alt oder Jung, die gesundheitliche Ver- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: So wenig Un- sorgung erhält, die er benötigt –, der muss das System terstützung! Das ist skandalös!) reformieren. Es kann nicht sein, dass die Krankenversi- Ich bin mir sicher, dass wir diesen Weg mit Arbeits- cherungsbeiträge immer weiter steigen und dass für viele minister Franz Müntefering erfolgreich weitergehen Dinge immer mehr Geld ausgegeben wird, von dem wir werden. Im Herbst wird er mit seinen Vorschlägen Ord- aus strukturellen Gründen eine ganze Menge sparen nung in den Niedriglohnsektor bringen und damit auch könnten. dem Arbeitsmarkt weitere Impulse geben. Wir sollten Weil wir hier im Bundestag zum ersten Mal über die diesen Bereich in Ruhe und gemeinsam angehen. Eckpunkte reden, will ich für meine Fraktion sagen: Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der hätte mir bei manchen Punkten natürlich mehr Entge- CDU/CSU) genkommen vom Koalitionspartner gewünscht, zum Beispiel bei der Einbeziehung der privaten Krankenver- Es ist jetzt wichtiger, die Chancen wahrzunehmen, als sicherung, den Strukturänderungen und vielen anderen jetzt schon die Risiken zu beschreiben und das Vorhaben Dingen. Ich weiß, dass es vergebliche Liebesmüh ist, das nicht weiter zu verfolgen. anzusprechen, ich denke aber nicht, dass wir in Deutsch- Ebenso wie die Kanzlerin möchte ich für meine Frak- land 250 oder 260 Krankenkassen brauchen. Das muss tion ein Wort zu den Überschüssen der Bundesagentur nicht sein. sagen. Wir haben in der Koalition vereinbart, den Ar- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Peter beitslosenversicherungsbeitrag zum 1. Januar 2007 um Ramsauer [CDU/CSU]) zwei Punkte auf 4,5 Prozentpunkte zu senken. Ich unter- stütze Franz Müntefering bei seiner Forderung, es dabei Es war aber nicht zu erreichen, dass an diesen Punk- zu belassen, und warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt ten etwas geändert wird. Ich stehe zu den Eckpunkten. eine weitere Absenkungsdebatte zu führen. Es geht jetzt um die Formulierung des Gesetzentwurfes. 4494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Peter Struck (A) Ich gehe davon aus, dass wir damit Ende September/An- habe ich, Herr Westerwelle, Ihren Weg und auch den von (C) fang Oktober beginnen werden. Wir alle gemeinsam Herrn Lafontaine in den letzten Wochen nie nachvollzie- müssen damit rechnen – das ist so; den Experten muss hen können. ich das nicht erklären –, dass es nach wie vor Widerstand Herr Lafontaine, eines ist erstaunlich: Die deutsche dagegen geben wird. Sicherheit wird doch nicht mehr wie in den 60er- und Aber Politik kann nicht darin bestehen, dass man einer 70er-Jahren an der deutschen Grenze verteidigt. Ob im großen Zeitung mit großen Buchstaben folgt oder die In- Nahen Osten eines Tages Frieden sein kann oder ob dort teressen irgendeiner Lobbyistengruppe bedient, sondern Krieg herrscht oder ob in einem „Failing State“ wie dass man das macht, was man für richtig hält. Das wer- Kongo die Menschenrechte verletzt werden und der Ter- den wir bei der Gesundheitsreform tun. ror gedeiht, ist eine Frage auch unserer Sicherheit. Ich finde, hier vertreten Sie einen sehr rückwärts gewandten, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der heute globalisierten Realität nicht gerecht werdenden Die Kollegin Elke Ferner, die für uns verhandelt, wird Begriff von Sicherheit. dazu noch nähere Ausführungen machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein letztes Wort zur Unternehmensteuerreform. Es sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ist wahr, dass unsere nominalen Sätze zu hoch sind. Die der SPD) Kanzlerin und auch der Finanzminister haben Recht, Wir werden deswegen, Frau Merkel, genau hin- wenn sie sagen, dass sie im europäischen Vergleich ein- schauen, was Sie aus der Anfrage der Libanesen in New deutig einen Wettbewerbsnachteil darstellen. Diesen York und der Bitte um Hilfe in Ihrem Kabinettsbeschluss Wettbewerbsnachteil werden wir zu beseitigen versu- machen. Die Aufteilung in eine Zone, in der auf See nur chen. Aber für mich ist auch klar, dass wir als Staat mit- die Libanesen kontrollieren, und eine andere Zone, in telfristig nicht auf Milliarden von Steuereinnahmen ver- der auch die Deutschen tätig werden sollen, macht es zichten können. Wir haben angesichts der Aufgaben, die nicht einfacher, zuzustimmen. Da kommt es wirklich anstehen, nichts zu verschenken. aufs Detail an; das will ich klar sagen. Aber alle, die (Beifall bei der SPD) Nein sagen, müssen wissen, dass wir allmählich in eine Situation geraten, bei der der deutsche Einsatz direkt mit Das heißt, eine Lösung muss mittelfristig aufkom- der Frage verbunden ist, ob und wie schnell die Israelis mensneutral sein. Mittelfristig aufkommensneutral heißt die Seeblockade aufheben werden, was für den Wieder- nach meiner Auffassung auch – ich richte mich „to aufbau und die humanitäre Hilfe, die im Libanon so whom it may concern“, nicht an meine Fraktion, aber dringend notwendig sind, außerordentlich relevant ist. (B) vielleicht an eine andere –, dass wir die Verbreiterung Diese Abwägung müssen wir alle zusammen vornehmen (D) der Bemessungsgrundlage im Zusammenhang mit der und wir werden uns nach bestem Wissen und Gewissen Unternehmensteuer durchsetzen müssen. entscheiden. (Beifall bei der SPD) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben richtigerweise ge- Darüber haben wir geredet. Das werden schwierige sagt: Diskutiert nicht nur über Militäreinsätze, sondern Verhandlungen werden. Aber wozu ist dann Politik da? fragt nach dem politischen Rahmen, den ein Militärein- Wenn alles so einfach wäre, dann könnten es auch an- satz notwendiger- und sinnvollerweise haben muss. – dere machen. Aber wir machen es besser. Wir machen Darin wollen wir Sie ausdrücklich unterstützen. Aber unsere Arbeit weiter. Deutschland kann sich auf die SPD wir wollen in Zukunft konkretere Angaben, als dies in verlassen. der Vergangenheit und auch heute in Ihrer Rede der Fall gewesen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. [CDU/ Ich glaube, dass Sie noch immer Schwierigkeiten ha- CSU]: Und auf die Union! – Hartmut Koschyk ben, die ganze Situation im Nahen Osten von der Ver- [CDU/CSU]: Auf uns auch! – Dr. Guido gangenheit her zu analysieren; denn Sie waren davon Westerwelle [FDP]: „Deutschland kann sich überzeugt, dass die Haltung der rot-grünen Regierung auf die SPD verlassen“ und Kauder klatscht!) unter Schröder und Fischer, den Irakkrieg abzulehnen, völlig falsch war. An diesen Punkt müssen Sie zurückge- hen, wenn Sie die heutige Situation beschreiben: Es gibt Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht mehr Sicherheit in der Region, sondern die Situa- Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen tion ist, wie von uns vorausgesagt, extrem instabil. Es spricht nun deren Vorsitzender Fritz Kuhn. herrscht Bürgerkrieg. Es ist sehr schwierig, in dieser Re- gion zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt der für mich wichtige Punkt: Ich ver- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lange von der deutschen Bundesregierung – und zwar möchte mit der Außenpolitik beginnen und für meine nicht nur vom Außenminister, sondern auch von der Fraktion klar sagen, dass wir in der Frage von Auslands- Bundeskanzlerin – ein klares Konzept für die friedliche einsätzen der Bundeswehr weder in einer Position des Entwicklung im Nahen Osten und vor allem für den pauschalen Jas noch in einer Position des pauschalen möglichen deutschen und europäischen Beitrag dazu. Neins sind und jemals sein werden. Es kommt auf die genaue Prüfung der einzelnen Umstände an. Deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4495

Fritz Kuhn (A) Ich habe nichts dagegen, wenn Sie gute Beziehungen (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (C) zum amerikanischen Präsidenten haben. Aber Sie müs- DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜND- sen – darauf kommt es an – diese jetzt auch in die rich- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede auch tige Richtung umsetzen. Das heißt beim Iran, dass man nicht!) nur dann mit Sanktionen drohen kann, wenn man auch Ich will das einmal darstellen. In der Regierungserklä- bereit ist, die Sanktionen zu verhängen, und wenn man rung war das große, strukturprägende Motto „Mehr Frei- die gestellten Ultimaten richtig begründet und es zeitlich heit wagen“. Heute ist davon nicht mehr die Rede. richtig befristet hat. Das heißt, dass Sie das Wahrneh- mungsmuster, das bei Bush und noch stärker bei seinem Es ist noch nicht lange her, als Sie öffentlich vom Verteidigungsminister vorherrscht – nämlich dass jedes „Sanierungsfall Deutschland“ gesprochen haben. Jetzt Problem auf der Welt irgendwie mit der Jagd gegen al- werfen Sie der Opposition vor, wir würden alles Qaida-Terroristen in Verbindung steht –, brechen müs- schlechtreden. Das ist ein starkes Stück. Nach dem, was sen. Sie werden der Realität in Palästina bzw. zwischen Sie von der Union in den letzten sieben Jahren über Palästinensern und Israelis nicht gerecht, wenn Sie sie Deutschland gesagt haben, sollten Sie besser nicht von nur in Bezug auf den internationalen Terrorismus sehen. Schlechtreden sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen erläutern, wie wir die Situation sehen. Sie werden auch dem Hisbollah-Konflikt im Liba- Die Konjunktur hat sich stark gebessert, aber non nicht gerecht, wenn Sie ihn nur im Zusammenhang – Lafontaine hat damit Recht – noch nicht wirklich in mit dem Kampf gegen al-Qaida sehen. Eine politische Bezug auf den Binnenmarkt. Wir haben große Sorge, Lösung heißt, dass Sie die Konflikte zwischen Syrien dass mit der Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Ja- und Israel wie auch zwischen Syrien und dem Libanon nuar diese Verbesserungen wieder geschliffen und ge- Schritt für Schritt konstruktiv angehen müssen. Sie müs- fährdet werden. sen darauf achten, dass es wirklich zur Zweistaatlichkeit kommt. Dabei kommt es sehr auf die Amerikaner an. In der gegenwärtigen Situation, die positiv ist und in Unsere Empfehlung ist, dass Sie diese Beziehungen der sichtbar wird, dass die Agenda 2010 inzwischen an nicht nur in Ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpom- der einen oder anderen Stelle greift, gibt es eine Anfor- mern für Sommeraktivitäten nutzen, sondern wirklich derung an die Regierung, nämlich klug und vernünftig darauf drängen, dass mehr getan und verstärkt Druck zu- weiter zu reformieren und den Menschen im Land zu er- gunsten von politischen Lösungen ausgeübt wird. klären, was sie als Nächstes machen will. Unser Vorwurf an Sie ist, dass Sie genau das nicht tun. (B) Dass die Rolle der EU gestärkt wird, ist die entschei- Lassen Sie mich dafür Beispiele anführen. Das sind (D) dende Aufgabe, die Ihnen beim Vorsitz der EU-Ratsprä- zunächst einmal die Eckpunkte – das Wort Eckpunkte sidentschaft im nächsten Jahr zukommt. Dabei erwarten wird sicherlich auch noch mit einer neuen Bedeutung in wir Konzeptionen statt wie bisher nur allgemeine Ab- den deutschen Sprachschatz eingehen –: Nach wochen- sichtserklärungen. langen gemeinsamen Diskussionen beschließen Sie nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einer Nachtsitzung Eckpunkte, die Sie müde und lä- chelnd vor den Kameras verkünden. Die Eckpunkte sind Ich möchte noch etwas zur aktuellen Situation anmer- aber solcher Art, dass sich schon ein Tag später niemand ken. Das Auftreten und Agieren des Verteidigungs- mehr in Ihrer großen Koalition daran hält oder sie für ir- ministers hat uns sehr gestört. In einer Situation – das gendwie relevant hält. war schon im Zusammenhang mit dem Kongo der Fall –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Ruhe, Klarheit, Besonnenheit und Reflexion statt und bei der FDP) Geschwätzigkeit gefragt waren, ist der Verteidigungsmi- nister wie die größte Plaudertasche der Republik aufge- Das war bei der Gesundheitsreform der Fall und ist auch treten. Das hat immer wieder zu neuen Verunsicherun- bei der Unternehmensteuerreform nicht anders. Frau gen geführt und auch unseren Soldaten geschadet, die Merkel, das, was Sie und die große Koalition machen, ist sich eine klare Orientierung wünschen. nicht kluges Reformieren, sondern organisierte Verunsi- cherung. Ich will es mit einem Bild sagen. Sie lassen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht wie Klinsmann erfrischenden Angriffsfußball spie- len, sondern spielen Querpässe und Rückpässe oder Der frühe Jung erinnert mich an den späten hauen den Ball ins Aus. Gelegentlich gibt es auch ein Scharping. Sie sollten aufpassen, dass es in der kriti- Eigentor wie beim Gesundheitsfonds, an den niemand schen Situation, die wir heute haben, nicht so weitergeht mehr in der Regierung glaubt. Ich kenne niemanden, der wie in den vergangenen Wochen. sagt: Der Gesundheitsfonds ist toll. Ich habe noch keinen Kollegen getroffen, der dies zu Protokoll gegeben hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Alle sagen vielmehr draußen in der Kantine: Das ist der NEN]: Nicht dass er am Ende auch noch baden größte Mist, den es jemals gegeben hat. Aber das müssen geht!) wir vielleicht machen, weil sonst alles noch viel schwie- riger wird. – So können Sie den Aufschwung nicht vo- Ich möchte jetzt zur innenpolitischen Situation kom- ranbringen. men, Frau Merkel. Übrigens ist Ihre Redestruktur nicht nachhaltig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4496 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Fritz Kuhn (A) Ich möchte konstruktive Vorschläge machen, was zu Was der Finanzminister Steinbrück vorgelegt hat, ist (C) tun ist; denn Herumjammern ist nicht Sache der Grü- – darüber haben Sie in Ihrer Rede elegant hinweggese- nen. Als Erstes sollten Sie darüber nachdenken, ob Sie hen – kein Konsolidierungshaushalt. Wer 20 Milliar- bei der Stabilisierung der Konjunktur den richtigen Weg den Steuereinnahmen zusätzlich hat, die Nettokreditauf- gehen oder vielleicht etwas anders machen müssen. nahme aber nur um 16 Milliarden Euro senkt, der kann Aufgrund der politischen Zwänge können Sie die ange- uns nicht weismachen, dass er gerade konsolidiert. Das kündigte 3-prozentige Anhebung der Mehrwertsteuer tun Sie in der Tat nicht. nicht mehr zurücknehmen. Übrigens sollten Sie Stur- heit nicht mit Entschlossenheit verwechseln, Herr (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch Steinbrück. Die Steuereinnahmen des Staates haben sich Blödsinn! Sie beherrschen noch nicht einmal schließlich massiv verbessert. Aber warum, Frau die Grundrechenarten!) Merkel, strecken Sie die geplante 3-prozentige Anhe- Schauen Sie sich einmal die Finanzplanung an! Daraus bung nicht auf drei Jahre? geht hervor, dass Sie in den Folgejahren die jährliche (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weil das alles Nettokreditaufnahme um 500 Millionen Euro senken Blödsinn ist! Das sollten Sie eigentlich wis- wollen. Weil heute „Nachhaltigkeit“ Ihr Lieblingswort sen!) ist: Mit der von Ihnen betriebenen nachhaltigen Politik werden wir im Jahre 2051 einen ausgeglichenen Haus- Das Konjunkturrisiko würde dadurch deutlich gesenkt. halt haben. Großartig! Das soll nach Auffassung der gro- Warum verwenden Sie die Einnahmen aus der Mehr- ßen Koalition nachhaltige Politik sein. Ausgerechnet wertsteuererhöhung nicht konsequent zur Senkung der 2051, wenn wir schon lange die größten demografischen Lohnnebenkosten? Sie wollen stattdessen die Senkung Probleme haben werden, wollen Sie einen ausgegliche- der Lohnnebenkosten mit dem Aufkommen aus nur ei- nen Haushalt vorlegen. nem Mehrwertsteuerpunkt finanzieren. Das Aufkommen aus zwei Mehrwertsteuerpunkten wollen Sie zum Stop- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen von Haushaltslöchern verwenden. Diese Frage ist Wir müssen stattdessen mehr einsparen. Wir unter- nicht sauber beantwortet. stützen ausdrücklich den Vorschlag, dass zusätzliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Steuereinnahmen zur Einsparung verwendet werden. Wir müssen das Thema Subventionsabbau wieder in der Wenn Sie mit Vertretern von Firmen und insbeson- Breite angehen. Wir müssen zudem eine antizyklische dere mit Vertretern von kleinen Handwerksbetrieben Haushaltspolitik systematisch betreiben. Das heißt, dass sprechen, dann sehen Sie doch, was los ist. Die Auf- wir in Zeiten, in denen die Konjunktur gut läuft, mehr tragsbücher sind jetzt voll. Aber alle Auftraggeber beste- (B) sparen als in Zeiten, in denen sie schlecht läuft; denn in (D) hen darauf, dass die Renovierungen noch 2006 abgewi- den schlechten Zeiten müssen wir mehr investieren. Sa- ckelt werden und dass auch die Rechnungen im gleichen gen Sie klipp und klar – bislang ging es hin und her –, Jahr gestellt werden. Für 2007 haben die Firmen bislang dass die Unternehmensteuerreform aufkommensneu- keinen einzigen Auftrag. Ein Wirtschaftsminister, der tral sein muss. Wenn Sie es bei der Frage der Finanzneu- seinen Namen verdient, muss darauf reagieren und etwas tralität, also der Gleichbehandlung von Fremdfinanzie- für die konjunkturelle Entwicklung in der Bundesrepu- rung und Eigenkapitalfinanzierung, ablehnen, die Zinsen blik Deutschland tun. Aber Wegtauchen, wie es bei einzubeziehen, über die die großen Gewinne ins Ausland Herrn Glos die Regel ist, hilft uns nicht mehr weiter. transferiert werden, dann müssen Sie sagen, was Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stattdessen machen wollen. Gegenwärtig sind wir in fol- gendem Spiel: Einer schlägt etwas vor, die anderen leh- Frau Merkel, eine Senkung der Lohnnebenkosten nen es ab. Dann passiert gar nichts und das Problem ist werden Sie nicht erreichen. Hier gehe ich jede Wette ein, nicht gelöst. Ich sage noch einmal: Es werden Milliar- egal was Sie einzusetzen bereit sind; denn der Renten- dengewinne im Ausland erzielt, die hier nicht versteuert versicherungsbeitrag wird voraussichtlich um 0,4 Pro- werden. Dieses Verfahren muss geändert werden. Das ist zentpunkte steigen. Der Beitragssatz in der Krankenver- organisierter Betrug am deutschen Steuerzahler, der mit sicherung wird sich wahrscheinlich um mehr als dem Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen ist. Darauf 1 Prozentpunkt erhöhen. Auch in der Pflegeversicherung haben Sie, Frau Merkel, heute keine Antwort gegeben. besteht das Risiko von Beitragssatzanhebungen. Sie Ich finde aber, Sie sollten das tun. können sich das Ziel abschminken, die Lohnnebenkos- ten auf unter 40 Prozent zu senken. Dafür ist Ihre Politik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu inkonsequent. Ich fordere noch einmal, das Aufkom- Ich will einen dritten Vorschlag machen, und zwar men aus der 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung zum Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit wird bei denen konsequent zur Senkung der Lohnnebenkosten einzuset- abgebaut, die nur kurz arbeitslos sind. Das ist gut, aber zen, vielleicht nach dem von uns vorgeschlagenen Pro- den Langzeitarbeitslosen ist noch nicht wirklich gehol- gressivmodell, das eine stärkere Senkung der Lohnne- fen. Da nützt auch das ganze Gerede von den Leistungs- benkosten bei den unteren Einkommensgrößen vorsieht. bereiten nicht. Die Menschen wollen arbeiten, aber sie Das brächte viel mehr Arbeit aus der Schwarzarbeit in können es aufgrund der langen Arbeitslosigkeit bislang den legalen Erwerbsarbeitssektor. Das ist die Hauptauf- nicht tun. Wir sagen, dass wir für diese Menschen ge- gabenstellung, vor der Sie stehen. zielte neue Programme und gezielter eingesetzte Förder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mittel als in der Vergangenheit brauchen. Herr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4497

Fritz Kuhn (A) Müntefering will Arbeitslose ab 50 Jahren besser för- Prävention und dann sagen Sie, wir hätten es nicht be- (C) dern. Ich sage, das muss für alle gelten. Das 50-Plus- griffen. Zeigen Sie mir den, der in Ihrer Koalition für Programm hat einen Grundfehler: Es wird so getan, als den Gesundheitsfonds ist! Zeigen Sie mir die Schnitt- sei die Wirtschaft nicht mehr dafür verantwortlich, Men- menge, die besteht! schen ab 50 einzustellen, und als müsse daher der Staat einspringen. Das ist eine völlig falsche Grundkonstruk- Ich kann nur sagen: Unser heutiges Gesundheitssys- tion. Wir vom Deutschen Bundestag müssen verlangen, tem ist schlecht, weil es den Wettbewerb nicht fördert dass Beschäftigte aller Altersgruppen das Anrecht ha- und weil es nicht effektiv ist. Es hat ein Qualitätspro- ben, auf dem normalen Erwerbsarbeitsmarkt eingestellt blem. Die letzten Milliarden, die wir hineinstecken, füh- zu werden. ren nicht zu einer Steigerung der gesundheitlichen Wohl- fahrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Unter- Ich sage Ihnen, Frau Merkel: Das Fördern kommt zu stützen Sie uns doch bei der Lösung! – Ilse kurz. Der Fördertitel bei der Bundesagentur für Arbeit Aigner [CDU/CSU]: Was wollen Sie eigent- ist die Sparkasse und er wird nicht extensiv dazu ver- lich?) wendet, Menschen, die lange arbeitslos waren, eine neue Chance zu geben. Deswegen will ich mehr fördern. Nur Was Sie machen, ist nichts anderes als eine Verschlimm- dann ist das Fordern legitim. Das Paket der Hartz- besserung. Sie machen es noch schlechter. Deswegen Gesetze umfasste ja die Kombination von beidem. sage ich Ihnen klipp und klar: Lassen Sie den Gesund- Übrigens ist der Vorschlag von Herrn Koch, jetzt, da heitsfonds! Das ist Murks. Verfolgen Sie das Projekt 50 000 Jugendliche noch keine Lehrstelle haben, aus nicht weiter! Kümmern Sie sich um die Wettbewerbs- den Überschüssen in Sonderprogrammen für diese etwas seite und um die Prävention! Machen Sie das Gesund- zu tun, nicht so schlecht. Wir halten den für richtig. Sie heitssystem qualitativ besser! Sie müssen eigentlich ab- haben ihn weggebissen, weil er parteischematisch nicht wickeln. Alle merken, dass die große Koalition dieses in das passt, was Ihnen gerade konveniert, aber es ist Thema nicht verlupft. Sie machen Murks. Ich finde, dass doch richtig, den Jugendlichen jetzt eine Chance zu ge- nicht nur wir in diesem Hause, sondern in erster Linie ben. Sie haben in Ihrer Rede keine Antwort auf die die Bevölkerung dieses nicht verdient haben. Also stel- 50 000 Jugendlichen ohne Lehrstelle geliefert. Es gibt len Sie das ein! aber eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist. Sie kön- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nen den Streit einstellen. Es würde 600 Millionen Euro Steffen Kampeter [CDU/CSU]: „Murks“ war kosten. Sie brauchen nicht vier Monate lang zu diskutie- eine gute Zusammenfassung Ihrer Rede!) ren. Wir hätten vielmehr damit die Möglichkeit geschaf- (B) (D) fen, dass jeder Jugendliche eine Chance auf eine Lehr- Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Frau stelle oder eine weitere Qualifikation hat. Das wäre eine Merkel, eigentlich fehlt Ihrer Politik ein vernünftiges gute, konkrete Antwort einer Bundeskanzlerin gewesen Ziel. Eine große Frage – Sie waren einmal Umwelt- und nicht nur eine allgemeine. ministerin – interessiert Sie gar nicht. Die ganze Welt diskutiert über die Klimaschäden, über die globale Er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wärmung und über die Notwendigkeit, viel mehr zu tun, Ich will etwas zur Gesundheitspolitik sagen. Frau als in Kioto festgelegt wurde, Stichwort „Erreichung der Merkel, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen – da Kioto-plus-Ziele“. In Ihren Grundsatzreden, auch auf Ih- hilft auch das Getuschel mit der Justizministerin nichts –, rem Strategiekongress spielte dieses Thema überhaupt dass Sie hier reinen Murks auf den Tisch gelegt haben. keine Rolle. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, einen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was hat denn Gesundheitsfonds mit kleiner Kopfpauschale einzurich- der Trittin eigentlich dazu beigetragen?) ten, wenn er nicht das technokratische Problem hätte, er solle eine Bürgerversicherung und eine Kopfpauschale Ich sage Ihnen: Die deutsche Politik, die Technologiepo- irgendwie zu einem schwankenden arithmetischen Kom- litik, die Wirtschaftspolitik, die Ordnungspolitik, sollte promiss führen. sich diesem zentralen Thema widmen; sie sollte es zu ei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hat es noch ner Art Leitplanke machen. Ich fordere Sie eindringlich nicht begriffen!) dazu auf. – Sie haben es begriffen. Lassen Sie es doch patentieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie es begriffen haben! Zu all dem gehört auch, dass wir mehr für den Wett- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr guter bewerb tun. Dieser Regierung ist der ordnungspolitische Vorschlag!) Kompass in der Marktwirtschaft vollständig verloren ge- gangen. Es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das sa- Es ist doch Unsinn, was Sie dazwischenrufen. gen muss; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Ihre Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schläge, im Bereich des Stromnetzes mehr Wettbewerb herbeizuführen, wurden bislang nicht gehört. Bei der Te- Sie bauen ein bürokratisches Monster auf, Sie lösen kein lekommunikation – Stichwort „Hochgeschwindigkeits- Problem, die Beiträge steigen, Sie schaffen nicht mehr netz“ – haben Sie versagt, weil Sie im Bundesrat wieder Wettbewerb im Gesundheitssystem, Sie tun nichts für eine dreijährige Sonderregelung für die Telekom in 4498 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Fritz Kuhn (A) Anspruch genommen haben. Was Sie vorhatten, hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) nicht funktioniert. und bei der FDP) (Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Es Frau Merkel, das, was Sie zum Verbraucherschutz stimmt nicht!) gesagt haben, war nicht komplex genug. Wir finden die – Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Politik, die die Bayern da gemacht haben, schlicht zum Kotzen; das darf man bei diesem Thema wohl so sagen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Werfen Sie mal Ihren Referenten raus, der Ihnen so etwas Jetzt kommt plötzlich der Herr Seehofer und sagt: aufschreibt!) Das Verbraucherinformationsgesetz muss jetzt her; das ist wunderbar und löst alle Probleme. Die Union und die Jetzt komme ich zu einem aktuellen Thema, nämlich FDP haben einen entsprechenden grünen Gesetzentwurf zum Thema Bahn. Wir stehen vor einer entscheidenden – er ging übrigens weiter als der, den Seehofer mittler- Frage, nämlich dem Börsengang. Frau Merkel, Sie ha- weile vorgelegt hat – im Bundesrat vier Jahre lang blo- ben sich bisher nicht – auch in dieser Diskussion nicht – ckiert und kaputtgemacht. dazu geäußert, was Sie wirklich wollen. Ich sage Ihnen: Mehr Verkehr auf der Schiene ist nur möglich, wenn es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) insgesamt mehr Wettbewerb im Bahnsektor gibt. Hätten sie dies nicht getan, wären wir jetzt schon weiter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das, was in Bayern insgesamt geschehen ist, wäre sowie bei Abgeordneten der FDP) nicht möglich gewesen. Deswegen ist ein integriertes Modell vollkommen falsch Ich kann zu Seehofer nur sagen: Herr Seehofer, man und vollkommen verkehrt. hat Ihnen angemerkt, dass Sie der Verbraucherschutz gar Übrigens, die sich abzeichnende Lösung „kleines nicht interessiert. Ich finde, dass wir keinen Verbrau- Eigentumsmodell“ – der Bund überträgt der Bahn cherschutzminister brauchen, der Gesundheitsminister 30 Jahre lang vertraglich volle Nutzungsrechte bei der sein will; vielmehr muss er das, was seiner Aufgaben- Bewirtschaftung des Netzes – ist natürlich nichts ande- stellung entspricht, wirklich mit Herz und Verstand tun. res. Da soll sich die SPD nichts vormachen. Wenn man die Bahn für 30 Jahre beauftragt, dieses Netz zu betrei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben, dann wird sich beim Wettbewerb nichts ändern. Ich Für die Kinderpolitik, Frau Merkel, gilt: Die Betreu- fordere Sie auf, hier zu einem echten Trennungsmodell ung muss verbessert werden. Das Elterngeld ist das eine; zu kommen. Kollege Struck, ich verstehe übrigens über- aber die Situation der Betreuung von Kindern unter drei (B) haupt nicht, warum Sie sich von der Bahngewerkschaft (D) hat sich dadurch nicht verbessert. Ich sage Ihnen: und deren politischer Streikdrohung so beeindrucken Schauen Sie sich unser Konzept der Kinderkarte und des lassen, dass Sie von dem, was Ihre Verkehrspolitiker for- Rechtsanspruchs auf einen Kindertagesstättenplatz für muliert haben, abrücken. Kinder unter drei an! Nur wenn es eine bessere Betreu- Frau Merkel, im Klartext: Eine gute marktwirtschaft- ung für diese Kinder gibt, werden wir es schaffen, auf liche Ordnungspolitik sorgt auf allen Ebenen, also auch diesem Gebiet nicht mehr Entwicklungsland zu sein, bei den Apotheken, für mehr Wettbewerb und sie ver- sondern voranzuschreiten. steckt sich nicht hinter den Lobbys, die für die Aufrecht- erhaltung des Bestehenden kämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser letzter Vorschlag betrifft die Einwanderungs- politik. Wer sich die internationale Forschung darüber Was den Immobilienstreit bei der Bahn angeht, will anschaut, wo auf der Welt wirtschaftlich erfolgreiche ich hier eine klare Ansage an den Verkehrsminister ma- Standorte sind, wird feststellen: Überall da auf der Welt, chen. wo Immigration von qualifizierten Menschen, aber auch (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der fürchtet von solchen Menschen, die in Not sind, gewollt ist, wo sich schon!) also bewusst gewünscht wird, dass fremde Menschen kommen und etwas Neues aufbauen, sind erfolgreiche Sie haben in der Haushaltsausschusssondersitzung nicht Standorte. Ihr Einwanderungsgesetz müssen Sie in wich- richtig aufgeklärt. Immobilien, die eigentlich zum Be- tigen Punkten dringend ändern, nämlich dort, wo Sie reich Bahnnetz gehören, sind falsch zugeordnet worden. blockiert haben. Ich nenne die Punkteregelung und die Eine falsche Zuordnung hätte auch für den Bund gravie- Frage, wie viel Geld diejenigen mitbringen müssen, die rende Auswirkungen. Wenn Sie dies nicht bis nächste hier einen Betrieb eröffnen wollen. Da haben Sie ein Woche aufklären, dann werden wir in der übernächsten Modernisierungsdefizit. Wenn Sie das Gesetz nicht an- Woche einen Untersuchungsausschuss beantragen; denn passen, dann werden Sie Deutschland eben nicht im das Parlament darf sich durch Ihr organisiertes Verne- Sinne unseres Mottos „Klug reformieren“ nach vorn beln bei solchen Punkten nicht länger an der Nase he- bringen, sondern der Entwicklung insgesamt schaden. rumführen lassen. Ich sage klipp und klar: Wenn sich das nicht ändert, dann wird es einen Untersuchungsaus- Damit komme ich zum Schluss. Liebe Frau Bundes- schuss geben. Es liegt an Ihnen, ob sich zeigt, dass er nö- kanzlerin, Sie waren erschreckend unkonkret. Sie haben tig ist oder nicht. hier sehr viel allgemeines Zeug erklärt, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4499

Fritz Kuhn (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ginn des Jahres zugetraut. Es ist aber die Wahrheit, liebe (C) sowie bei Abgeordneten der FDP – Volker Kolleginnen und Kollegen. Kauder [CDU/CSU]: Na, na!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz aber nicht dargestellt, wie Sie Deutschland klug refor- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuer- mieren wollen. Das verlangen wir von Ihnen; denn wir erhöhungen!) müssen weiterkommen. Der zarte Aufschwung, den wir heute haben, reicht da nicht. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erleben wir in die- sem Sommer, dass darüber gestritten wird, was wir mit Ich danke Ihnen. Überschüssen und zusätzlichen Steuereinnahmen ma- (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE chen sollen. GRÜNEN) Alles das, was wir jetzt an positiver Entwicklung erle- ben, hat etwas mit dieser großen Koalition zu tun, hat et- Präsident Dr. Norbert Lammert: was mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu tun Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU- und hat etwas damit zu tun, dass die Union in diesem Fraktion, Volker Kauder. Land wieder regiert. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP], zur SPD gewandt: Beifall!) Volker Kauder (CDU/CSU): Lieber Kollege Struck, ich habe am Schluss Ihrer Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Rede aus Überzeugung geklatscht, als Sie nämlich ge- Am 21. Juni, als wir den Haushalt 2006 beraten haben, sagt haben, Deutschland könne zuversichtlich sein, denn habe ich hier gesagt: Wir legen mit dem Haushalt 2006 auf die SPD-Fraktion sei Verlass. Dem stimme ich zu. ein Konzept vor, wie wir unser Land voranbringen wol- Solange Sie mit uns in einem Regierungsboot sitzen, len. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan 2007 gehen stimmt diese Aussage. wir diesen Weg konsequent weiter. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- FDP: Oh!) neten der SPD) Aber als Sie mit den Grünen regiert haben, sahen die In den Beratungen zum Haushaltsplan 2006 im Juni Dinge bei weitem anders aus. dieses Jahres und auch jetzt hat die Opposition herumge- meckert und herumgemäkelt, es sei alles nicht in Ord- Herr Kuhn, zu Ihnen muss ich Folgendes sagen: (B) nung und man könne bei dem, was in diesem Lande ge- Wenn Sie während Ihrer Regierungsbeteiligung solche (D) schehe, gar nicht erkennen, wohin es gehe. Wirtschaftsdaten erreicht hätten, wie wir sie in diesem (Vorsitz: Vizepräsidentin ) Sommer haben, dann hätten Sie sich mehrere Tage lang besoffen oder, wie ich Sie kenne, sich besoffen geredet, Ich habe noch sehr gut in den Ohren, was Sie, Herr Herr Kuhn. Brüderle, hier vorgetragen haben. Was Sie heute, etwa zehn Wochen später, gesagt haben, hat sich von dem, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) was Sie im Juni dargelegt haben, eigentlich überhaupt Wir bleiben aber ganz nüchtern, weil wir genau wissen, nicht unterschieden. dass wir den Weg, den wir uns vorgenommen haben, (Rainer Brüderle [FDP]: Es ist auch nichts noch eine ganze Zeit lang gehen müssen. besser geworden! – Steffen Kampeter [CDU/ Man muss der Frau Bundeskanzlerin und der ganzen CSU]: Er hat wahrscheinlich die gleiche Rede Bundesregierung dafür danken, dass wir einen Teil der gehalten! Falsches Manuskript!) Ziele, die wir uns in der Koalitionsvereinbarung gesetzt Aber jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Die hätten haben, erreicht haben. Neun Monate sind noch nicht ein- Sie sich einmal anschauen sollen, bevor Sie an dieses mal ein Viertel der Zeit, die wir uns dafür gesetzt haben. Pult im Deutschen Bundestag getreten sind. Ich bin überzeugt, dass der Weg richtig ist. Wenn wir so weitermachen, gestaltet sich die Zukunft für Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. land besser als in den vergangenen Jahren. Dr. Peter Struck [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es gibt 426 000 Arbeitslose weniger als noch vor ei- neten der SPD) nem Jahr. Zum ersten Mal seit vielen Jahren korrigieren die Sachverständigen die Wachstumsprognose, die sie Wir stellen in diesen Tagen aber schmerzlich fest, im Januar und Februar gegeben haben, im Herbst nicht dass die Zukunft unseres Landes nicht mehr ausschließ- nach unten, sondern nach oben. Wann hat es das schon lich davon abhängt, was wir hier in Deutschland tun, einmal gegeben? sondern ganz stark auch von den Krisenherden in der Welt beeinflusst wird. Wenige Tage vor dem traurigen (Beifall bei der CDU/CSU) Jahrestag des 11. September müssen wir uns wieder da- Wir legen einen Haushalt 2007 vor, der die Stabili- ran erinnern, was Ausgangspunkt für das Engagement tätskriterien von Maastricht nicht nur einhält, sondern der Bundeswehr in verschiedenen Teilen der Welt war. unterschreitet. Das hat uns niemand von Ihnen zu Be- Wir müssen uns daran erinnern, dass es in Afghanistan 4500 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Volker Kauder (A) kräftige Entwicklungen gegeben hat, die den internatio- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) nalen Terrorismus gespeist haben. der Abg. Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Natürlich, Herr Kuhn, übersehen wir nicht, dass es in der Welt auch andere Entwicklungen gibt. Darüber kön- Jetzt kommt der Einsatz im Nahen Osten, im Liba- nen wir gerne noch miteinander reden. Aber alles hat non, auf uns zu und es wird die Frage gestellt: Wo will nun einmal seine Zeit. Im Augenblick werden wir in ers- sich Deutschland noch überall beteiligen? Darauf muss ter Linie vom internationalen Terrorismus bedroht. ich die Antwort geben: Wir suchen uns das ja nicht aus. Darauf müssen wir eine Antwort geben und wir haben Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Die eine Antwort gegeben. Was über viele Jahre hinweg Realität ist manchmal grausamer, als sich das der eine nicht gelungen ist, ist jetzt Wolfgang Schäuble gelungen oder andere vorstellen kann. Wir haben erlebt, was im und dafür sind wir ihm dankbar. Er hat hinsichtlich der Nahen Osten passiert ist. Jetzt kommt es darauf an, dass Bekämpfung des Terrorismus eine gemeinsame Linie wir dort den Beitrag leisten, den wir leisten können. von Bundesregierung und allen 16 Bundesländern er- reicht. Das ist eine großartige Leistung. Herzlichen Frau Bundeskanzlerin, ich bin Ihnen außerordentlich Dank, Herr Innenminister! dankbar für die Umsicht und Sensibilität, mit der Sie dieses Thema angegangen sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das ist natürlich auch ein Ergebnis der Föderalis- neten der SPD) musreform. Vorhin wurde darüber etwas gelächelt. Ich beziehe in diesen Dank den Bundesaußenminister Aber im Rahmen der Föderalismusreform haben wir mit ein. Aber auch unser Verteidigungsminister macht in – das hat vielleicht mancher überhaupt nicht so richtig einer schwierigen Situation eine ausgezeichnete Arbeit. wahrgenommen; da muss er einmal nachlesen; ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung und die (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin Tatsachenfindung, Herr Kuhn – nicht nur Kompetenzen [FDP]: Die SPD klatscht ja gar nicht!) an die Länder gegeben, sondern auch für den Bund eine neue Kompetenz der Terrorismusbekämpfung geschaf- – Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, seien fen. Deswegen ist diese Föderalismusreform in beiderlei Sie ganz ruhig; ich komme gleich auf Sie zu sprechen. Hinsicht – Stärkung der Länder und Stärkung des Bun- des dort, wo es notwendig ist – eine richtige Entschei- Ich zitiere noch einmal einen meiner Lieblingslehr- dung gewesen. sätze: Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. (B) Die Realität ist doch, dass wir, was die Situation im Na- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hen Osten betrifft, vor außerordentlich schwierigen Ent- neten der SPD) scheidungsvorgängen stehen. Diese Entscheidungsvor- Diese Föderalismusreform ist übrigens einer der ganz gänge spiegeln das Problem wider, das wir schon immer großen Erfolge in der kurzen bisherigen Regierungszeit im Nahen Osten hatten: An einem Tag bekommt man die der großen Koalition. eine Antwort und am nächsten Tag eine andere Antwort. Die Regierung im Libanon hat es in der jetzigen Struktur Aber wenn wir uns ernsthaft an der Terrorismusbe- auch nicht leicht. Deswegen muss der Bundesverteidi- kämpfung beteiligen wollen, dann ist auch völlig klar, gungsminister, muss die Bundesregierung ganz präsent dass wir in diesem Herbst, wenn es um die Verlängerung sein. Sie muss wissen: Heute kann es so kommen, mor- des Mandates in Afghanistan geht, ganz genau prüfen gen anders. müssen: Was haben wir in diesem Land erreicht? Was haben wir in Bezug auf die Sicherheitslage erreicht? Da Bis jetzt sind wir noch gar nicht mit einer Entschei- hat Peter Struck doch völlig Recht: Natürlich sind wir dung konfrontiert worden. Ich bin gestern Abend gefragt nicht mit allen Entwicklungen in Afghanistan zufrieden. worden – die Medien fragen ja so viel und wollen immer Aber was in diesem Land erreicht wurde, ist großartig, eine Antwort, und zwar möglichst über Dinge, die noch vor allem für die Menschen, die dort leben. Da kann ich gar nicht anstehen –: Was glauben Sie denn, welchen nur sagen, Herr Lafontaine: Wer mit einem moralischen Antrag die Bundesregierung vorlegen wird, und wird die Anspruch antritt, aber glaubt, die Menschenrechte in der Bundesregierung ein robustes Mandat verlangen? Da Welt seien teilbar, der hat keinen moralischen Anspruch. kann ich nur sagen: So wie ich diese Bundesregierung im Umgang mit diesem Thema erlebt habe, bin ich der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) felsenfesten Überzeugung, dass sie uns einen Antrag Deutschland hat ein Interesse daran, dass aus Afgha- vorlegen wird, der genau das ermöglicht, was in der kon- nistan nicht wieder terroristische Entwicklungen kom- kreten Situation gefordert wird. Über diesen Antrag wer- men. Deswegen werden wir, wenn die Verlängerung des den wir dann beraten. Mandates ansteht, ganz genau prüfen, was wir tun. Heute, Frau Bundeskanzlerin, kann ich Ihnen eines Aber von einem bin ich schon jetzt überzeugt, ohne schon sagen: Wir werden die Details natürlich ganz ge- meine Fraktion hier vorab binden zu wollen: Wir werden nau prüfen, aber das Angebot, das Sie und die Bundes- die Menschen in Afghanistan nicht sich selbst und Af- regierung gemacht haben, kann unsere grundsätzliche ghanistan nicht den Taliban überlassen dürfen, meine Zustimmung finden. Wir wollen unseren Beitrag zur Lö- sehr verehrten Damen und Herren. sung der Probleme im Nahen Osten leisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4501

Volker Kauder (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- etwa 8 Milliarden Euro in diesem Land auf den Weg ge- (C) neten der SPD) bracht worden. Ein Auftragsvolumen von 1 Milliarde Euro sichert bzw. schafft 100 000 Arbeitsplätze, vor al- Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, jeder lem im gebeutelten Handwerk. Dort sind diese 8 Milliar- ist natürlich für sein Verhalten selbst verantwortlich. den angekommen. Herr Lafontaine, einen größeren (Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist wahr!) Quatsch als Ihre Behauptung, der Staat investiere nicht – eigentlich sollte man sich mit den Unwahrheiten, die Ich habe eine Fraktion der Grünen in der rot-grünen Sie hier verbreitet haben, gar nicht auseinander setzen –, Koalition erlebt, die, was außenpolitische Verantwortung habe ich noch nicht gehört. anbelangt, in einem Maße gelernt hat, wie ich es nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – für möglich gehalten hätte, Herr Kuhn – von der De- Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Herr Kauder, monstration auf der Straße gegen „Kriegseinsätze“ bis Sie sollten mal zuhören, wenn man spricht!) hin zur ersten Entsendung der Bundeswehr in ein Kri- sengebiet. Bei der FDP erlebe ich im Augenblick etwas Wir werden die positive konjunkturelle Entwicklung anderes. Sie macht zwar den Eindruck, verantwortungs- in unserem Land durch entsprechende Maßnahmen kon- bewusst zu handeln; ich habe aber die Sorge, dass das sequent weiter unterstützen, zum Beispiel durch die Gegenteil passiert. Das kann für die FDP und für die Kli- Unternehmensteuerreform. Wir wollen, dass die Un- entel, die Sie vertreten, nicht gut sein, Herr Westerwelle. ternehmen mit Steuersätzen antreten können, die zwar nicht mit denjenigen in Rumänien und Bulgarien, aber (Dirk Niebel [FDP]: Machen Sie sich mal mit denjenigen in der Schweiz und Österreich wettbe- keine Sorgen um unsere Wähler!) werbsfähig sind, damit sie hier Arbeitsplätze schaffen. Aber eines sage ich auch – in aller Ruhe, aber auch in al- Wir wollen vor allem den Mittelstand unterstützen. lem Ernst –: Man kann nicht ständig – was richtig ist – Deswegen muss eine Erbschaftsteuerreform durchge- das Existenzrecht Israels im Munde führen, dann aber, führt werden, die den Mittelstand stärkt und durch die wenn es ernst wird, zur Seite treten. Das kann nicht die jeweilige Erbschaft bei Fortführung eines Unterneh- funktionieren. mens von der Erbschaftsteuer befreit wird. Dies sichert Arbeitsplätze und ist deswegen im Interesse der Arbeit- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nehmerinnen und Arbeitnehmer und der mittelständi- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schen Unternehmen. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir werden einen solchen Einsatz sehr gewissenhaft neten der SPD) (B) prüfen. Wir wissen natürlich sehr genau – auch Peter (D) Struck hat dies formuliert –, dass wir die Soldatinnen Wir wollen eine Unternehmensteuerreform, die einen und Soldaten mit jedem Auftrag, den wir der Bundes- neuen Anreiz schafft, in diesem Land zu investieren. Da- wehr übertragen, in eine Situation bringen, in der ihr Le- bei ist für uns völlig klar: Wir wollen nicht – darüber ben gefährdet sein kann. Deswegen prüfen wir ganz ge- müssen wir noch reden –, dass in die ertragsabhängige Körperschaftsteuer substanzbesteuernde Elemente auf- nau, was wir tun. Es wird aber kein Weg daran genommen werden. vorbeiführen, dass wir als großes Land in der Mitte Europas unseren Beitrag zur Sicherheit leisten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wolfgang Schäuble hat einmal formuliert, innere Denn dies ist ein völlig falscher Weg. und äußere Sicherheit seien nicht mehr voneinander zu Dass wir natürlich dafür sorgen müssen – Peter trennen. Da die Bundesregierung den Auftrag hat – das Struck, Sie haben das angesprochen –, dass wir den ist die vornehmste Pflicht eines Staates –, für die Sicher- Kommunen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung heit der Menschen in diesem Land zu sorgen, und da die stellen, ist völlig klar. Das werden wir tun. Erkenntnis wächst, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr voneinander zu trennen sind, müssen wir Ich habe mit großem Interesse vernommen, was der schon im nationalen Interesse der Menschen in unserem neue Parteivorsitzende Kurt Beck zur Situation der Poli- Land, die innere Sicherheit zu erhalten, etwas für die äu- tik in Deutschland gesagt hat: Leistung solle sich wieder ßere Sicherheit tun. Deswegen sind unsere Beiträge, so lohnen und es solle für Hartz-IV-Empfänger eine Leis- wie wir sie leisten, im deutschen Interesse. tungsverpflichtung geben. Solche Sätze haben wir in un- serem Programm schon vor langer Zeit formuliert. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Äußerung von Kurt Beck macht mich im Übrigen zuver- neten der SPD) sichtlich, dass wir in dieser großen Koalition noch mehr erreichen und tun können als bisher. Wir werden mit dem Haushalt 2007 den Weg, dieses Land voranzubringen, konsequent weitergehen. Wir ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben gesehen, dass wir mit einem Teil der Maßnahmen, Es ist richtig, denjenigen, die Leistung erbringen, etwas die wir umgesetzt haben, Erfolg haben. Peter Struck hat zu geben. Wenn feststeht, dass bei der Bundesagentur das CO2-Gebäudesanierungssprogramm angespro- für Arbeit Spielraum besteht, da ein Teil der Beiträge chen. In den neun Monaten, in denen dieses Programm nicht für die Bezahlung von Leistungen benötigt wird, nun aufgrund unseres gemeinsamen Beschlusses umge- setzt wird, ist mit einem Mitteleinsatz der KfW von rund (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das steht 250 bis 300 Millionen Euro ein Auftragsvolumen von Ende Oktober fest!) 4502 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Volker Kauder (A) dann sollte dieser Teil der Beiträge meiner Meinung Dr. Guido Westerwelle (FDP): (C) nach – vergleichbar der Situation, dass die Beiträge, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wenn die Anforderungen nicht reichen, erhöht werden – Herren! Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie mir einen Au- den Beitragszahlern zurückgegeben werden. genblick lang Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten? Es redet jetzt Ihr Wunschpartner. (Beifall bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP]) (Heiterkeit bei der FDP und der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Das sollten wir uns aber erst einmal anschauen. Im Grunde genommen sind wir uns darin einig. Auch Kurt Frau Bundeskanzlerin, ich stelle mir vor, wir hätten Beck hat formuliert, dass wir das tun können. Es kommt die Bundestagswahl zu dem ursprünglich geplanten Zeit- jetzt auf die Entwicklung bei der Bundesagentur an. Sie punkt durchgeführt, also in drei Wochen. Wir hätten hier muss nachhaltig sein; das ist völlig richtig. eine Debatte. Sie würden zu diesem Zeitpunkt an diesem Platz sprechen, unmittelbar vorher hätte der Bundes- Zur Gesundheitsreform kann ich nur sagen: Wir sind kanzler gesprochen; heute hat ja zu diesem Zeitpunkt jetzt dabei, die Eckpunkte umzusetzen. Das werden wir Herr Kauder gesprochen. Bundeskanzler Gerhard gewissenhaft machen. Wenn ich daran denke, dass Sie in Schröder hätte der Opposition vorgeworfen – er hat das der rot-grünen Koalition noch nicht einmal Eckpunkte oft genug getan –: Sie reden das Land schlecht. Das ha- hatten, sondern dass Sie aus einem Palaver heraus Ge- ben ja auch Sie am Schluss Ihrer Rede an die Adresse setze gemacht haben, Herr Kuhn, dann kann ich nur sa- der Opposition formuliert. Deswegen meine ich: Es ist ja gen: furchtbar, furchtbar. Deswegen lassen Sie uns in al- ein richtiges Déjà-vu, wie sich die Dinge wiederholen. ler Ruhe unsere Eckpunkte umsetzen. Wir werden den Ich habe noch das Fernsehduell im Kopf. Fast auf den Gesetzentwurf einbringen und dann werden Sie sehen, Tag genau vor einem Jahr standen Sie gegeneinander im dass das, was Sie jetzt sagen, Unsinn ist. Es wird mehr Fernsehduell. Schröder: Sie reden das Land schlecht; das Wettbewerb geben. Das, was wir mit Fonds und Prämie ist falsch und gefährlich. Merkel: Das ist der blanke machen, dient doch dem Wettbewerb. Es soll der Wett- Hohn. bewerb angekurbelt werden. Sie haben uns mit Ihren Konzepten, die Sie in Ihrer Regierungszeit umgesetzt Offensichtlich hat sich die Betrachtungsweise geän- haben, diese Situation hinterlassen. Da war von Wettbe- dert. Sie sind keine absolutistische Herrscherin. Wenn werb überhaupt keine Rede. Sie hätten ja in den sieben wir Sie kritisieren, reden wir das Land nicht schlecht. Jahren etwas in puncto Wettbewerb machen können. Wir lieben unser Land, aber wir finden Ihre Regierung schlecht. Das haben wir mit der Mehrheit der Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert gemeinsam. (B) Röttgen [CDU/CSU]: Die hatten keine Kon- (D) zepte! – Widerspruch des Abg. Fritz Kuhn (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der LINKEN) Ich sehe diese große Koalition auf einem guten Weg. Es ist erstaunlich, mit welchen Reflexen Sie hier Die große Koalition hat bereits jetzt mehr erreicht, als kommen. Sie reden mittlerweile wie Herr Schröder. Das ihr viele zugetraut haben. Sie ist im Übrigen viel besser, Problem ist nur: Sie handeln auch so. Und das ist viel ge- als mancher in der Öffentlichkeit und in den Medien fährlicher. über sie redet. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie des Wir sehen sehr wohl, welche Aufgaben noch vor uns Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) liegen; wir sehen sehr wohl, dass da noch das eine oder Ich habe gerade davon gesprochen, wie das vor einem andere gemacht werden muss. Wir haben aber noch nicht Jahr gewesen ist. Wir waren fast auf den Tag vor einem einmal die erste Halbzeit dieser Legislaturperiode hinter Jahr – ein paar hundert Meter von hier – zu dritt und ha- uns. Was wir in den ersten neun Monaten vorgelegt ha- ben darüber gesprochen, dass Deutschland einen Politik- ben, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und von wechsel braucht. Wir wollten einen Politikwechsel. So Union, sind wir damals angetreten; wir haben für einen Politik- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wechsel geworben. Einen Regierungswechsel hat es ge- NEN]: Spottet jeder Beschreibung!) geben. Auf den Politikwechsel wartet dieses Land im- mer noch, und zwar vergeblich. rechtfertigt noch einmal, dass wir im Herbst vergange- nen Jahres diese Regierungskoalition eingegangen sind. (Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordne- Sie bringt Deutschland voran. ten der LINKEN) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Das Problem ist, dass Sie weitermachen wie unter fall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS Rot-Grün. 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja Gesundbeten!) (Jürgen Koppelin [FDP]: Schlimmer! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Petra Pau: Schön wäre es! Das stimmt doch gar nicht, Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Kollege!) Guido Westerwelle. – Ehre, wem Ehre gebührt. Das Antidiskriminierungsge- (Beifall bei der FDP) setz ist doch von euch gemacht worden. Jetzt wird es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4503

Dr. Guido Westerwelle (A) eins zu eins umgesetzt. Seid doch stolz auf das, was ihr wollen durch die Mehrwertsteuererhöhung etwa (C) geleistet habt. Freut euch darüber, dass euer Geist immer 19,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. In diesem Jahr noch über dieser Regierung schwebt. betragen allein die außerplanmäßigen Mehreinnahmen aufgrund der guten Konjunktur mehr als 20 Milliarden (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Beifall Euro. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber nicht duzt euch ja schon!) beim Bund, Herr Westerwelle!) Sie wechseln jetzt wiederholt die Überschrift Ihrer Die Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur ökonomisch Agenda. Das hätte Schröder – er wechselte die Über- falsch, sondern sie ist auch unsozial. Sie ist außerdem für schriften jedes Jahr – nicht besser gekonnt. Vor einem die Staatsfinanzen gar nicht nötig. Jahr sprachen Sie nach der Bundestagswahl in Ihrer ers- ten Regierungserklärung von „mehr Freiheit wagen“. Et- Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie einmal was später hieß es dann: „Deutschland ist ein Sanie- in Ihren eigenen Wahlkampfreden nach, meine Damen rungsfall.“ Heute liefern Sie die dritte Überschrift: „Wir und Herren von der SPD. dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen.“ (Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter Reden wir doch einmal über die Fakten, die im Haus- [CDU/CSU]: Das ist dummes Zeug! Sie unter- halt, den Sie heute in dieser Haushaltsdebatte eigentlich scheiden nicht zwischen Bundesetat und Län- hätten verantworten müssen, enthalten sind. Frau Bun- deretats!) deskanzlerin, die Steinkohlesubventionen – das zu Ih- Aber das wollen Sie ja nicht; denn Sie wollen nicht rer Überschrift „Wir dürfen unsere Zukunft nicht ver- mit dem konfrontiert werden, was Sie im Wahlkampf zur brauchen.“ – steigen nach dem Haushaltsansatz Ihrer Bundestagswahl gesagt haben. Sie tun so, als ob sie im Regierung vom Jahr 2006 auf das Jahr 2007 um vorletzten Jahrhundert stattgefunden hätte. Herr 400 Millionen Euro. Sie verlängern die Vergangenheit Müntefering, der Vizekanzler dieser Regierung, vertritt mit Subventionen und sprechen trotzdem davon, dass allen Ernstes die Auffassung: „Wir werden als Koalition wir die Zukunft nicht verbrauchen dürfen. Die Zukunft an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden wird dann verbraucht, wenn bei der Bildung gespart und ist. Das ist unfair.“ Kann sich noch irgendjemand in wenn das Geld in den Schächten versenkt wird. Deutschland über Politikverdrossenheit wundern, wenn (Beifall bei der FDP) der Vizekanzler dieser Republik der Meinung ist, dass das, was in Wahlkämpfen gesagt wird, durchaus gelogen Reden wir nun über die mittelfristige Finanz- sein kann und dass man die Bürgerinnen und Bürger be- (B) planung – darüber sollten wir eigentlich debattieren; trügen kann? Es ist egal, was wir da gesagt haben! Wenn (D) viele von Ihnen und nicht nur die Vertreter der Opposi- ihr uns jetzt daran messt, dann ist das unfair! – Unfair ist tionsparteien, die natürlich nichts anderes im Kopf ha- nicht, wenn die Bürger Sie an dem messen, was Sie im ben, als das Land schlecht zu reden, Wahlkampf gesagt haben; unfair ist, wenn Sie das Ge- (Olaf Scholz [SPD]: Genau!) genteil von dem tun, was Sie im Wahlkampf gesagt ha- ben. sehen es genauso –: In der mittelfristigen Finanzplanung von 2007 bis 2010 – es handelt sich nur um eine Pla- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) nung; die Sondereinnahmen sind darin noch nicht ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen doch halten – wird von Steuermehreinnahmen in Höhe von nichts anderes als das, was viele, zum Beispiel der Bun- 16,6 Milliarden Euro ausgegangen. Im selben Zeitraum desbankpräsident – das wird heute von den Agenturen sieht die mittelfristige Finanzplanung einen Abbau der gemeldet –, sagen: Die Chance auf einen Aufschwung, Neuverschuldung um 1,6 Milliarden Euro vor. Das Ver- die wir jetzt in der Tat haben, sollten wir nicht durch die hältnis ist also wie folgt: Sie nehmen in den nächsten Erhöhung der Mehrwertsteuer, weiterer Steuern und Ab- Jahren zehnmal mehr an Steuern ein, als Sie für die gaben zum 1. Januar des nächsten Jahres zerstören. Wir Rückführung der Neuverschuldung einsetzen möchten. müssten doch alle ein Interesse daran haben, dass sich Da kann von einem echten Schuldenabbau überhaupt aus der Chance auf den Aufschwung – mehr ist es noch nicht die Rede sein. Wer Schulden macht, verbraucht die nicht – im nächsten Jahr ein wirklich nachhaltiger Auf- Zukunft. Sie verbrauchen die Zukunft in unserem Land. schwung entwickelt, der zu einer wirklichen Erleich- (Beifall bei der FDP) terung auf dem Arbeitsmarkt führt, damit sich die Situation der Menschen, die einen Arbeitsplatz suchen Das sind die Fakten, an denen Sie nicht vorbeikom- oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, verbessert. men können. Wenn Sie es uns nicht glauben, hören Sie doch auf die Vertreter der entsprechenden Institutionen Das, was wir vorschlagen – das wissen Sie –, machen in Deutschland. Es ist doch keine oppositionelle Kritik, uns andere Länder vor. Muss ich Ihnen denn vorlesen, wenn Vertreter sämtlicher Wirtschaftsinstitute, auch die was Herr Clement in der letzten Woche gesagt hat? Herr Sachverständigen der Bundesregierung und der Präsi- Clement saß bis vor einem Jahr als Wirtschaftsminister dent der Deutschen Bundesbank davor warnen, dass die auf der Regierungsbank. Sie haben ihm übrigens jedes jetzige Chance auf einen Aufschwung – jeder freut sich Mal zugejubelt, wenn er hier gesprochen hat. Herr darüber, dass sie da ist – durch die größte Steuererhö- Clement sagt, dass Sie sich in die Zeit vor der Agenda hung in der Geschichte der Republik zerstört wird. Sie 2010 zurückentwickeln. Der alte Wirtschaftsminister 4504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Guido Westerwelle (A) sagt Ihnen: Sie predigen zwar „Mehr Freiheit wagen!“; Punkt bringen und übersetzen: Eine vierköpfige Familie (C) das Problem Ihrer Regierung ist aber, dass Sie das ge- mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Höhe naue Gegenteil tun. von 40 000 Euro wird im nächsten Jahr allein durch die Steuererhöhungen dieser Regierung im Schnitt um (Zuruf von der SPD: Hat er das wirklich etwa 2 000 Euro mehr belastet. Dieses Geld können die gesagt?) Leute nicht mehr ausgeben, weder für den privaten Der alte Wirtschaftsminister Clement schreibt das auch Konsum noch für die Altersvorsorge. Darauf antwor- den Sozialdemokraten ins Stammbuch. tete der Finanzminister in diesem Sommer: Wenn die Leute mehr fürs Alter vorsorgen müssen, können sie halt Deswegen sage ich: Das ist kein Teufelszeug! Andere nicht mehr in Urlaub fahren. – Es ist übrigens besonders Nachbarländer – auf die wird ausdrücklich hingewiesen – unappetitlich, wenn Politiker, die keinen einzigen Euro machen es uns vor, wie durch niedrigere Steuern, in ihre eigene Altersversorgung einzahlen müssen, so et- durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem was sagen. So viel zum Thema „Eigenverantwortung“. Arbeitsplätze geschaffen werden können. Die Rahmen- Das sei an dieser Stelle einmal gesagt. Das muss in den bedingungen für Investitionen müssen verbessert und Ohren der Bevölkerung wie Hohn klingen. die Kaufkraft gesteigert werden. Das ist der zwingende Zusammenhang. Das ist das Problem, das wir in (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Deutschland gemeinsam angehen sollten. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier im Hause haben wir einen bemerkenswerten Streit erlebt. Ich meine damit nicht die kleinen Petitessen Als Finanzminister sollten Sie, wenn Sie sich diese am Rande. Es ist ein Aufschwung da, so heißt es zumin- Gedanken schon machen, eine ganz andere Konsequenz dest. Ich bin der Meinung, das ist bisher nur die Chance ziehen. Die Konsequenz müsste lauten: Wenn man den auf einen Aufschwung. Ich hoffe, dass sich daraus ein Bürgern mehr Eigenverantwortung für das eigene Alter Aufschwung entwickelt. Sofort geht es los: Herr Kauder abverlangen muss, dann muss der Staat auch für steuer- sagt: Das ist der „Merkel-Aufschwung“. Herr Struck liche Entlastungen sorgen, sagt: Das ist der „Schröder-Aufschwung“. (Elke Ferner [SPD]: Wo denn? Sagen Sie (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Deutsch- einmal, wo!) lands Aufschwung!) indem er sich bei den Ausgaben zurücknimmt, sonst ha- Sie haben noch gar nicht verstanden, dass der Auf- ben die allermeisten Familien nämlich gar keine Chance, schwung in Wirklichkeit von den Menschen gemacht eigenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen. (B) wird. Ihre Regierung hat am allerwenigsten damit zu tun. (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das ist der zwingende Zusammenhang. der LINKEN) Sie haben heute keinen Ton zu den Fragen, die eigent- Wenn es ein Aufschwung ist, dann ist es mit Sicherheit lich von Ihnen hätten angesprochen werden müssen, ge- kein „Merkel-Aufschwung“ und auch kein „Schröder- sagt. Hinsichtlich der Unternehmensteuerreform bleibt Aufschwung“. Wenn, dann wurde die Situation durch alles sehr nebulös. Was wird denn jetzt aus der Unter- die Fußballweltmeisterschaft aufgehellt. Das ist die nehmensteuerreform? Kommt sie? Ich wäre sehr dafür. Wahrheit. Bei der echten Kaufkraft, bei der Binnenkon- junktur, bei dem, was unser Land nach vorne bringen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat sie ange- könnte, passiert leider immer noch gar nichts. Es wird sprochen! Sie haben nicht zugehört!) noch schlimmer, wenn Sie die Binnenkonjunktur jetzt Aber was wird dann mit dem Vorschlag aus dem Finanz- noch weiter schwächen und bei den Leuten abkassieren. ministerium gemacht, der besagt, dass man für die Zin- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt sen demnächst quasi Steuern zahlen muss, weil man sie doch gar nicht, Herr Westerwelle! Lesen Sie als Betriebsausgabe nicht mehr berücksichtigen kann? die aktuellen Berichte! Kramen Sie nicht in Ih- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch ren alten Zettelkästen!) gar nicht!) – Herr Kollege Kampeter, bitte! Noch so ein Zuruf, und Wird das die Gegenfinanzierung oder nicht? das Wort „Flaschengeist“ bekommt eine ganz neue Be- deutung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) (Zustimmung bei Abgeordneten der LIN- – Sie sagen Nein. Halten wir das einmal fürs Protokoll KEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Arrogan- fest. ter Kerl! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat er Zwischenrufe gehören dazu!) vorhin schon gesagt!) Wir wollen noch einmal auf den Punkt aufmerksam Dann können Sie meine zweite Frage, Herr Kollege machen, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung Kauder, auch sofort beantworten. ist. Wir haben keine Verbesserung der Binnenkonjunk- tur. Die Binnenkonjunktur wird im Gegenteil zur Jahres- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Fragen Sie mich! Sie wende noch weiter beschädigt. Das muss man auf den bekommen immer eine gute Antwort!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4505

Dr. Guido Westerwelle (A) – Ich stelle Ihnen, wenn Sie möchten, gerne lauter Fra- gen auch über die Bedrohungsszenarien gesagt haben, ist (C) gen. Das gehört sich für eine bescheidene Opposition so. doch Konsens. Das alles sehen wir genauso. Die Frage bezieht sich auf die Erbschaftsteuer: Was Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass es passiert denn hinsichtlich der Erbschaftsteuer? Wir sind nicht so ist, als käme die Videoüberwachung an neural- uns doch alle darüber einig, dass die Übergänge von Be- gischen Punkten oder die Antiterrordatei jetzt plötzlich trieben auf die nächste Generation erleichtert werden gegen Widerstände in diesem Haus zustande. Wir wollen müssen; das ist sinnvoll. Aber was ist dann aus dem Vor- einmal auf Folgendes aufmerksam machen: Die Anti- schlag, der aus dem Finanzministerium und aus der SPD terrordatei kommt deshalb zustande, weil die unionsge- ohnehin gekommen ist, geworden, der lautet, man könne führten Länder auf ihre Maximalposition der Volltextda- die Stundung der Erbschaftsteuer – jedes Jahr 10 Prozent tei verzichtet haben, übrigens deshalb, weil ihnen die weniger, wenn der Betrieb fortgeführt wird – durchaus Praktiker gesagt haben, dass man mit Datenmüll die in- machen, allerdings nur dann, wenn dieser Betrieb eine nere Sicherheit am Schluss überhaupt nicht mehr über- Arbeitsplatzgarantie für die nächsten zehn Jahre gibt? wachen kann. Ich kenne keinen Mittelständler in Deutschland, der in (Beifall bei der FDP) der Lage wäre, schon jetzt eine Garantie dafür zu geben, dass er dieselbe Anzahl an Arbeitsplätzen in zehn Jahren Sie haben das doch vor allen Dingen in Bayern ausge- hat. bremst. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist auch Wir wollen nun noch einmal über das Thema Außen- ein alter Zettelkasten!) politik sprechen und darüber diskutieren, was Sie dazu gesagt haben. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und auch Herr So macht man den Mittelstand pleite, statt ihn nach vorn Kollege Kauder haben sich hinsichtlich der Außenpolitik zu bringen. große Sorgen um die Zuverlässigkeit und Berechenbar- keit der Freien Demokraten gemacht. (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Herr Westerwelle, das ist vom Tisch! – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! – Weiterer Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die Rede ist Zuruf von der CDU/CSU: Mit Recht!) ein halbes Jahr alt!) Wissen Sie, mir persönlich können Sie gern alles unter- Sie hätten dazu eine Menge zu sagen. stellen. Aber wenn Sie Persönlichkeiten wie Hans- Dietrich Genscher, Walter Scheel und Otto Graf Sie haben von der Gesundheitspolitik gesprochen. Lambsdorff die außenpolitische Erfahrung und den inne- Auch das ist ein Punkt, den man nur kurz streifen muss. ren Kompass absprechen, wird es meiner Meinung nach (B) (D) Sie reden hier übrigens gegen die Meinung von nur noch albern. 80 Prozent der Bevölkerung und auch gegen die Kritik, die in Ihren eigenen Kreisen ausgesprochen wird. Sie lo- (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der ben die Gesundheitsministerin. Das müssen Sie als Bun- CDU/CSU) deskanzlerin wahrscheinlich tun. Ich glaube nicht, dass Ich möchte gern noch einmal die Gründe für unsere Sie dafür schon eine Mehrheit auf Ihrem eigenen Partei- Haltung nennen. Wir haben in diesem Hohen Hause die tag hätten. allermeisten Auslandseinsätze der Bundeswehr unter- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Volker stützt. Ich will Ihnen aber sagen: Angesichts der Tatsa- Kauder [CDU/CSU]: Das lassen Sie mal un- che, die gestern veröffentlicht wurde, dass 92 Prozent sere Sorge sein!) der Weltproduktion von Opium derzeit aus Afghanistan kommen, erlauben Sie mir bitte die Frage, ob wir nicht Aber das ist Ihre Angelegenheit; das werden Sie mit sich einmal in diesem Hohen Hause darüber reden müssten, selber ausmachen müssen. was dort wirklich stattfindet und passiert. Diese Fragen werden wohl noch gestellt werden dürfen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Beim Gesundheitsfonds geht es um etwas ganz an- der LINKEN) deres. Nur dieser Bereich soll einmal erhellt werden. Der Gesundheitsfonds soll künftig zum Teil dafür zuständig Wie es im Augenblick aussieht, schützen wir diese Pro- sein, Beiträge einzusammeln, und ist damit eine zweite duktion. Bürokratie für Beitragszahlungen. Das heißt, die Kas- Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der sen müssen eine Bürokratie unterhalten, um Beiträge Kongoeinsatz, den wir bei der Abstimmung in der Tat einzunehmen, und der Gesundheitsfonds muss das künf- abgelehnt haben. Den Afghanistaneinsatz hingegen ha- tig auch tun. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der ben wir unterstützt. Übrigens sind alle Bedenken, die die Menschheit, dass zwei Bürokratien preiswerter sind als Fraktion der Freien Demokratischen Partei gegen den eine. Das kann nicht funktionieren. Kongoeinsatz vorgetragen hat, in den letzten Wochen (Beifall bei der FDP) bestätigt worden. Sie waren der Überzeugung, die bloße Anwesenheit von europäischen Soldaten, darunter auch Sie haben das Thema innere Sicherheit zu Recht deutschen, reiche aus, um demokratische Wahlen in ei- prominent angesprochen. Alles, was Sie über die Ent- nem stabilen Umfeld stattfinden lassen zu können. Wir wicklung der Welt in diesem Bereich und vor allen Din- haben Ihnen damals gesagt, was passieren wird, wenn es 4506 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Guido Westerwelle (A) wirklich zu Gefährdungen oder sogar Kampfeinsätzen Daher, Herr Kollege Kauder, verbitte ich mir Hinweise (C) kommen sollte. auf irgendeine Art von Wankelmütigkeit oder Unzuver- lässigkeit in der Außenpolitik der FDP. Genau das ist nach den ersten Wahlen bzw. vor der Stichwahl geschehen. Unsere Befürchtungen sind einge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Steffen treten, und das – nebenbei bemerkt –, während der deut- Kampeter [CDU/CSU]: Betrachten Sie erst sche Botschafter bei einem Außentermin war, von dem einmal die Realität!) er nur unter dem Schutz von Truppen in seine Residenz Eines möchte ich im Hinblick auf die Bedenken, die zurückgebracht werden konnte, und während der zustän- wir geäußert haben, feststellen: Ich persönlich habe ganz dige Kommandeur im Auslandsurlaub in Schweden war. grundsätzliche historische Bedenken gegen einen Ein- Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Viel schlimmer aber satz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Viele meiner ist, dass der Verteidigungsminister der Republik nichts Kolleginnen und Kollegen, die weniger aus historischer davon wusste. Sie sind in Ihrem Amt noch nicht ange- Perspektive argumentieren, kritisieren vor allen Dingen kommen, Herr Verteidigungsminister. Das ist das Pro- die Undeutlichkeit des Mandates. Das Mandat der Ver- blem. einten Nationen ist nicht eindeutig. (Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜND- Ich stelle nur folgende Fragen: Wer soll eigentlich die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann würde es ja Hisbollah entwaffnen? noch schlimmer, wenn er da je ankommen würde!) (Dirk Niebel [FDP]: Eine gute Frage!) Wie soll die Entwaffnung durchgeführt werden? Was ge- Nun will ich auf die Diskussion über den Nahen schieht, wenn die Bundeswehr auf See zum Einsatz Osten zu sprechen kommen. Frau Bundeskanzlerin, kommt und auf diesem Wege vielleicht das eine oder an- Herr Kauder, Sie sprachen heute Vormittag von der dere verhindern kann, wenn sich aber die Situation auf Staatsräson. Es war richtig, dass Sie die Staatsräson an- dem Lande nicht ändert? Ist nicht die Gefahr viel zu gesprochen haben. Die Staatsräson ist für das gesamte groß, dass wir selbst im Nahen Osten zu einer Art Hohe Haus unverändert. Sie beinhaltet sowohl das Exis- Kriegspartei werden könnten? Ist damit nicht auch die tenzrecht Israels und das Recht der Bürger Israels, in Gefahr viel zu groß, dass es tatsächlich zu militärischen sicheren Grenzen zu leben, als auch das Selbstbestim- Auseinandersetzungen zwischen deutschen und israeli- mungsrecht der Palästinenser. Niemand in diesem schen Soldaten kommen könnte? Wäre das nicht eine Hause wird auch nur ansatzweise Zweifel daran haben, furchtbare Vorstellung? dass Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf Israel Es handelt sich auch dann um einen Kampfeinsatz, (B) ein Verbrechen sind und dass die Völkergemeinschaft (D) sich hierzu klar und eindeutig äußern und handeln muss. wenn er auf dem Wasser stattfindet. Deswegen benutzt der Verteidigungsminister den Begriff „Kampfeinsatz“. Nur: Bis zum Sommer dieses Jahres gehörte zur Ob es zu einem Kampfeinsatz auf dem Boden oder zu ei- Staatsräson der Bundesrepublik auch – das gilt für alle nem Kampfeinsatz auf der See kommt, das ist wahrlich Bundestage, alle Regierungen und alle Parteien, die bis- nicht der entscheidende politische Unterschied, übrigens her in diesem Hause vertreten waren –, dass es keinen auch nicht für die Soldaten persönlich, die im Nahen Os- Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten im Nahen Osten ten eingesetzt werden. geben sollte. Frau Bundeskanzlerin, angesichts dessen, was wir (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig!) wissen, werden wir diesem Einsatz nicht zustimmen, und zwar aus voller außenpolitischer Überzeugung und Eines möchte ich festhalten: Nicht die Freien Demokra- Verantwortung. Wir sind der Auffassung, dass es, was ten stellen etwas infrage, sondern Sie. Sie ändern einen den Einsatz deutscher Soldaten betrifft, bei der Staats- Kurs, der in diesem Lande jahrzehntelang unumstritten räson bleiben sollte, die in Deutschland bisher gegolten war. hat. (Beifall bei der FDP und der LINKEN) Sie haben bestimmt zur Kenntnis genommen, wie sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ich käme nie auf die Idee, Ihnen unlautere Motive zu Fraktionen verhalten haben oder, besser gesagt, sich unterstellen oder die Entscheidung von Kollegen, die nicht verhalten haben, als es um den Verteidigungs- diesem Einsatz zustimmen, im Menschlichen oder im minister ging. Von dieser Kritik, die nicht nur von der Politischen zu attackieren. Ich habe davor Respekt, wenn Opposition geäußert wird, kann man auch Sie nicht aus- Sie zu einem anderen Ergebnis kommen als ich. Aber nehmen. ich erwarte denselben Respekt gegenüber denjenigen, die sagen, es sollte bei der Staatsräson bleiben, die bisher Meine Damen und Herren, die Diskussion über be- in Deutschland gegolten hat: keine bewaffneten deut- waffnete deutsche Soldaten im Nahen Osten ist nicht schen Soldaten im Nahen Osten. vom Ausland an uns herangetragen worden, die haben wir selber angefangen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der LINKEN: Sehr richtig!) der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Eine völlig falsche Behauptung, Herr Es muss einfach zur Kenntnis genommen werden, dass Kollege!) der Verteidigungsminister schon im Juli über den Einsatz Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4507

Dr. Guido Westerwelle (A) bewaffneter deutscher Soldaten spekuliert hat. Er hat da- Richtig ist: Die Rahmenbedingungen sind besser ge- (C) bei offensichtlich nicht bedacht, dass seine Reden jetzt worden, wir haben im August dieses Jahres über anders als in seinem vorherigen Amt im Hessischen 400 000 Arbeitslose weniger als im August des vergan- Landtag internationale Konsequenzen haben. Sie, Frau genen Jahres verzeichnet. Es gibt wieder mehr sozialver- Bundeskanzlerin, hätten diese Debatte im Sommer nicht sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und laufen lassen dürfen, Sie hätten sie sofort beenden müs- auch die Steuereinnahmen der öffentlichen Hände stei- sen. gen. Wer aber so tut, als könne man jetzt sofort Steuer- senkungsprogramme auflegen und die Verluste durch (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Ausgabenkürzungen kompensieren, greift nicht nur zu bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE kurz, sondern belügt auch die Menschen. GRÜNEN) (Jürgen Koppelin [FDP]: Da habt ihr ja Übung Das sage ich nicht – das wissen Sie auch – aus irgend- drin!) welchen pazifistischen Grundüberlegungen. Ich bin ein Anhänger der wehrhaften Demokratie. Dennoch bleibt Das, was Sie heute gesagt haben, ist der blanke Populis- festzuhalten: Das ist nicht gut gelaufen. mus, Herr Westerwelle. Jetzt hören wir immer mehr dazu, welche Briefe die (Beifall bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: libanesische Regierung jetzt schreiben will. Das, was in Mehrwertsteuer!) diesem Zusammenhang bekannt ist, bestärkt uns noch mehr in unserer Skepsis. Wie soll der Einsatz vonstatten – Zur Mehrwertsteuer komme ich auch noch, Herr gehen? Wie soll die Einhaltung einer Siebenmeilen- Koppelin. schutzzone wirklich funktionieren? Wie sollen eigent- Sie, Herr Westerwelle, haben gerade von Déjà-vu ge- lich heikle Situationen verhindert werden? In der Sie- sprochen. Wenn Sie in der Opposition sind, fordern Sie benmeilenschutzzone soll die libanesische Seite zur Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen, sagen aber Entwaffnung der Hisbollah eingesetzt werden und Waf- nicht, wo genau gekürzt werden soll, ob es die Renten fenschmuggeleien unterbinden. Wie sollen wir uns aber sein sollen oder ob andere Leistungen gekürzt werden verhalten, wenn das nicht geschieht und dann beispiels- sollen. Sie führen immer wieder die Steinkohlebeihilfen weise die israelische Seite eingreift? Wollen wir es den an, obwohl Sie genau wissen, dass es rechtsverbindliche Israelis wirklich übel nehmen, dass sie verhindern wol- Zuwendungsbescheide gibt und man nicht einfach kür- len, dass Waffen an die Hisbollah geschmuggelt werden? zen kann. Das, was Sie betreiben, ist blanker Populis- Wie wollen wir uns in solchen Situationen verhalten? mus. (B) Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht bei jedem Einsatz Wenn Sie aber in der Regierung sind, Herr (D) der Vereinten Nationen dabei sein. Westerwelle, dann tragen Sie Steuererhöhungen mit. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Steinbrück hat gestern vorgerechnet, dass es NEN]: Am besten weglaufen!) 20 Steuererhöhungen in Ihrer Regierungszeit gegeben hat. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Fünf von Bei diesem Einsatz der Vereinten Nationen sollten wir acht Mehrwertsteuererhöhungen sind mithilfe der FDP nicht dabei sein. Es ist kein guter Vorgang, dass Sie be- im Deutschen Bundestag beschlossen worden. haupten, Sie werden gerufen, obwohl Sie jetzt drei Mal in der Woche im Libanon anrufen müssen, um nachzu- (Jürgen Koppelin [FDP]: Und der Sozialdemo- fragen, wann denn endlich der Ruf an Deutschland kraten!) kommt. – Herr Koppelin, wir haben uns nie verweigert, wenn es Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. darum ging, sicherzustellen, dass dem Staat Einnahmen zufließen. (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Jürgen Koppelin [FDP]: Ah ja!) Nur durch Einnahmen kann die öffentliche Daseinsvor- Vizepräsidentin Petra Pau: sorge auf Dauer gesichert werden. Was Sie wollen, ist Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Elke Ferner im Prinzip, dass es keine oder deutlich weniger öffentli- das Wort. che Daseinsvorsorge gibt. Das geht in den Bildungsbe- reich hinein, das geht in den Bereich der Infrastruktur, (Beifall bei der SPD) das geht in den Bereich der Forschung und, wenn es nach Ihnen geht, auch in den Bereich der sozialen Siche- Elke Ferner (SPD): rungssysteme. Deshalb ist es gut, dass Sie nicht regieren. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte (Beifall bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: zunächst auf ein paar Äußerungen von Herrn Wie war das mit der Mehrwertsteuer?) Westerwelle eingehen, – Herr Koppelin, hat irgendjemand in diesem Haus aus (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bitte nicht!) irgendeinem Land, in dem die FDP mitregiert, den Vor- schlag gehört, dass man dort auf den Anteil aus der weil ich denke, dass man sie so nicht stehen lassen kann. Mehrwertsteuererhöhung verzichten wolle? 4508 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Elke Ferner (A) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Damit die toinlandsprodukt entwickelt hätten, hätte im Jahr 2000 (C) Roten das kriegen in Berlin?) ein durchschnittlicher Beitragssatz von 11,6 Prozent aus- gereicht, um die Ausgaben zu decken. Das ist das eigent- Ich habe nichts dergleichen gehört. Wenn die drei Län- liche, strukturelle Problem der gesetzlichen Krankenver- der, in denen Sie noch mitregieren, auf ihren Anteil ver- sicherung. zichteten, könnten wir vielleicht auf einen Teil der Mehrwertsteuererhöhung verzichten – tun Sie es doch! (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deswegen: Bürgerprämie!) (Jürgen Koppelin [FDP]: Was hat denn Peter Struck gesagt? „Man kann auf die Mehrwert- Wir haben in den Verhandlungen über die Gesund- steuererhöhung verzichten“!) heitsreform versucht, da ein Stück weit Abhilfe zu schaffen. Es ist leider nicht so gekommen, wie wir uns – Herr Koppelin, ich gehe davon aus, dass Sie in dieser das als SPD gewünscht hatten. Wir hatten vorgeschla- Haushaltsdebatte noch Gelegenheit bekommen, das gen, mit bis zu 24 Milliarden Euro eine zusätzliche, steu- Wort zu ergreifen; Sie brauchen sich im Protokoll nicht erfinanzierte Säule des Gesundheitssystems aufzubauen – mit Zwischenrufen zu verewigen. nicht um dieses Geld sofort wieder auszugeben, sondern Wir haben mit dem Investitionsprogramm den um ein Potenzial für Beitragssatzsenkungen zu bekom- Grundstein dafür gelegt, dass das, was an Wachstums- men. Das ist mit der Union leider nicht möglich gewe- daten jetzt vorhanden ist, noch besser wird. Wir haben sen. bewusst darauf verzichtet, in diesem Jahr drastische Ein- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gott sei sparungen vorzunehmen, um mit dem Investitionspro- Dank!) gramm – die Union hat das etwas anders gesehen; aber ich bin froh, dass wir uns an dieser Stelle durchsetzen Auch wenn das in dieser Wahlperiode wohl nicht umge- konnten – setzt werden kann, bleibt es für uns nach wie vor auf der politischen Tagesordnung. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein Mal!) Wir haben zum Zweiten versucht, zu erreichen, dass die Beschäftigung voranzubringen und zu sichern. Ge- die Solidarität im Gesundheitssystem nicht nur zwischen rade das CO Gebäudesanierungsprogramm macht das 2- gesetzlich Versicherten organisiert wird, sondern dass sehr deutlich. Es ist nicht nur ein Beitrag zum Klima- die doch sehr unterschiedlichen Einkünfte der privat schutz, es sichert – das darf man an dieser Stelle nicht Versicherten mit in den Einkommensausgleich einbezo- vergessen – auch Beschäftigung: beim lokalen und re- gen werden und dass die unterschiedlichen Krankheits- gionalen Handwerk, weil es sich hier um private Investi- risiken – die in der PKV Versicherten haben bekanntlich tionen handelt. Das, was wir an staatlichem Geld einset- (B) viel günstigere Krankheitsrisiken – zwischen diesen bei- (D) zen, bewirkt ein Vielfaches an privaten Investitionen. den Systemen ausgeglichen werden. Auch das ist leider (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht möglich gewesen; aber auch das bleibt nach wie CDU/CSU) vor politisches Ziel der SPD. Ich glaube, man darf nicht so pessimistisch sein, was Wir haben uns natürlich auch mit der Ausgabenseite das Jahr 2007 anbelangt. Es ist nicht ohne Gefahr, das beschäftigt. Im Moment diskutiert ja die ganze Welt über wissen wir auch, aber wir hoffen, dass der Aufschwung den Fonds, den Beitragseinzug und alles Mögliche be- trägt und vor allen Dingen dass die Investitionen nicht züglich der Finanzen. Niemand würdigt aber das, was nur beim Bund auf sehr hohem Niveau, sondern auch die Koalition vereinbart hat, um Strukturreformen von den Ländern und Kommunen auf höherem Niveau durchzuführen. Wir sind hier deutlich weiter gekommen, getätigt werden; denn die Investitionseinbrüche, die wir als wir selbst und viele andere das zu Beginn gedacht ha- haben, liegen nicht am Bund – der Bund hat wirklich ein ben. Herr Kuhn, es stimmt nicht, dass kein Wettbewerb sehr hohes Investitionsniveau –, sondern es sind die Län- stattfindet. Mit der Gesundheitsreform werden wir es der und Kommunen, wo die Investitionen nicht in dem den Kassen ermöglichen, mehr Wettbewerb zu organi- Umfang gemacht werden, wie es eigentlich notwendig sieren. Nach unserer Auffassung hätte dies noch mehr ist. sein können. Im Vergleich zum Gesundheitsmodernisie- rungsgesetz sind wir aber ein gutes Stück weiter gekom- Wir haben nicht nur im Bundeshaushalt das Problem, men. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: dass die Einnahmen nicht so sind, wie wir sie eigentlich brauchen. Wir haben in den vergangenen zwei Wahl- Die Kassen werden künftig die Möglichkeit haben, perioden einiges an Vorschlägen zum Abbau von Steuer- einzelne Arzneimittel und auch Wirkstoffe auszuschrei- subventionen gemacht. Diese Vorschläge sind im Bun- ben und dafür günstigere Preise bei den Pharmaherstel- desrat leider immer hängen geblieben. Wäre das nicht so lern zu erzielen. Diese werden Eingang in die besonde- gewesen, würden wir heute besser dastehen. Wir haben ren Versorgungsformen haben. Das bedeutet ein Stück ein Einnahmeproblem auch bei den sozialen Sicherungs- mehr Wettbewerb, der zur Kostensenkung beiträgt, systemen, insbesondere bei der gesetzlichen Kranken- ohne dass es zu Einschränkungen bei den Patientinnen versicherung. Ich habe mir die Zahlen einmal heraussu- und Patienten kommt; denn wir haben mit dieser Reform chen lassen bzw. das Gesundheitsministerium hatte sie der sichergestellt, dass es nicht zu Erhöhungen der Zuzah- Koalitionsarbeitsgruppe zur Verfügung gestellt: Wenn lungen und zu Leistungsausgrenzungen kommen wird. die Pflichtbeitragseinnahmen der gesetzlichen Kranken- Alle werden auch künftig am medizinischen Fort- versicherung sich von 1980 bis 2000 parallel zum Brut- schritt teilhaben und die medizinische Versorgung be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4509

Elke Ferner (A) kommen können, die notwendig ist, egal, bei welcher Fondsstart gewährleistet ist. Sonst kann der Fonds aus (C) Krankenkassen sie versichert sind und wie hoch ihr Ein- unserer Sicht nicht starten. kommen ist. Das ist das oberste Ziel dieser Reform ge- (Beifall bei der SPD) wesen. Ein zweiter Punkt – darüber wird im Moment sehr (Beifall bei der SPD) heftig diskutiert – ist die Frage des Beitragseinzuges. Im Gegenzug haben wir den Leistungskatalog sogar Eigentlich hatte ich an dieser Stelle in meinem Manu- noch erweitert. Wir haben die Palliativversorgung, die skript vermerkt, dass ich den Fonds nicht mehr erklären geriatrische Reha, die Eltern-Kind-Kuren und die Imp- muss, weil sich alle damit beschäftigt haben. Aber offen- fungen, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, in bar gibt es auch hier im Haus einige, die Äpfel mit Bir- den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche- nen vergleichen. Der Beitragseinzug hat mit dem Fonds rung hineingenommen. Das ist das Gegenteil von dem, zunächst einmal überhaupt nichts zu tun. Der Fonds ist was bei vielen anderen Gesundheitsreformen gemacht Bestandteil der neuen Finanzarchitektur für die gesetzli- worden ist: Leistungen, die notwendig sind und auch chen Krankenversicherungen. In Teilen gibt es diesen Geld kosten, sind aufgenommen worden. Fonds schon heute, nämlich in Form des Risikostruktur- ausgleichs, der über das Bundesversicherungsamt abge- Trotz all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft wickelt wird. – auch durch die Organisation des Wettbewerbs –, ein Einsparpotenzial von 1,9 Milliarden Euro zu mobilisie- Bezüglich des Beitragseinzugs haben wir vereinbart, ren. Das hätte an einigen Stellen mehr sein können. An dass dieser weiterhin dezentral erfolgen soll, damit die einigen Stellen wird es wahrscheinlich auch mehr sein, Arbeitgeber vor Ort einen Ansprechpartner haben. Es weil wir vorsichtig gewesen sind, nur das beziffert ha- soll keine zentrale Mammutbehörde aufgebaut werden. ben, was man seriöserweise beziffern konnte, und keine Die Frage ist natürlich: Wie soll die Zielstruktur für den Luftbuchungen durchgeführt haben. Beitragseinzug aussehen? Das wird derzeit zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Arbeits- und So- Dennoch kommen wir im nächsten Jahr nicht um eine zialministerium besprochen; denn es geht hier nicht nur Beitragssatzanhebung herum. Das liegt einfach daran, um den Einzug der Krankenversicherungsbeiträge, son- dass es uns nicht gelungen ist, die Einnahmebasis zu ver- dern um den Einzug aller Sozialversicherungsbeiträge. breitern. Man muss aber auch bedenken, was passieren Dafür bestehen mehrere Möglichkeiten. Eine Mög- würde, wenn wir jetzt nichts täten. Wenn wir jetzt nichts lichkeit ist, die Kompetenz für den Einzug dort zu las- täten, dann würden die Beitragssätze höher steigen. Nie- sen, wo sie jetzt ist, und dann von dort aus die Gelder für mand hat versprochen, dass die Beitragssätze durch die den Fonds einzuziehen. Auch über diese Möglichkeit (B) (D) Verwirklichung der Eckpunkte nicht steigen werden. wird im Moment diskutiert. Eines aber ist klar: Das muss Kurt Beck und Frau Merkel haben nach der Runde, in dezentral organisiert werden. Zu jeder Zeit, also auch zu der die Einigung erzielt worden ist, ja deutlich gesagt, jeder Sekunde, muss sichergestellt sein, dass der Bei- dass es Beitragssatzanhebungen geben muss; denn eines tragseinzug funktioniert und das Geld pünktlich auf den ist klar: Die Einnahmen müssen die Ausgaben beim Konten der Sozialversicherungsträger landet. Fondsstart decken und die Kassen müssen entschuldet sein. Das haben wir in der Koalition vereinbart. Die De- Ebenso muss sichergestellt werden, dass der vorhan- tails werden derzeit von einer kleinen Arbeitsgruppe der dene Sachverstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Koalition besprochen. in den Beitragseinzugsstellen weiterhin genutzt wird. Das bezieht sich nicht nur auf den Beitragseinzug, son- Für uns ist dabei wichtig, dass der Fonds erst dann dern auf alle Aspekte, die mit den Arbeitgebern zu tun starten kann, wenn der Risikostrukturausgleich bezüg- haben. Insofern werden wir sehr genau darauf achten, lich der Krankheitsrisiken, wie in den Eckpunkten ver- wie das ausgestaltet wird, damit es hier nicht zu Brüchen einbart, so organisiert ist, dass er deutlich zielgenauer als kommt, die niemand verantworten kann und die auch das ist, was wir heute haben. niemand will. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Fritz Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Beifall bei der Das ist nämlich auch eines der Probleme, die wir haben: Union!) Seit die Versicherten von Kasse zu Kasse wechseln kön- nen, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Situationen. Natürlich gibt es auch Kritik. Wir haben Probleme Die einzelnen Kassen zahlen sehr unterschiedliche Prä- mit dem Zusatzbeitrag. Es wäre falsch, das hier zu ver- mien an die Kassenärztlichen Vereinigungen, unabhän- schweigen. Aber eines ist klar: Wir haben dafür gesorgt, gig davon, wie groß oder wie klein sie sind. Früher ging dass der Zusatzbeitrag niemanden überfordert; er darf das alles nach Größe. Daneben sind die Krankheitsrisi- – analog zu der Chronikerregelung – nicht mehr als ken sehr unterschiedlich verteilt. Es ist eben nicht egal, 1 Prozent des Einkommens betragen. Auch haben wir ob man junge oder alte Frauen oder Männer versichert, dafür gesorgt, dass der Fonds ausreichend gefüllt sein ob sie gesund oder krank sind und ob sie Leistungen von wird, um den medizinischen Fortschritt weiterhin finan- der Krankenkasse brauchen oder nicht. Deshalb beste- zieren zu können. Ebenso ist sichergestellt, dass dann, hen wir darauf, dass der so genannte morbiditäts- wenn die Beitragseinnahmen und die vorgesehenen orientierte Risikostrukturausgleich, also der bessere und Steuermittel nicht ausreichen, die Beiträge der Ar- zielgenaue Ausgleich der Krankheitsrisiken, mit dem beitnehmer und der Arbeitgeber in gleichem Maße 4510 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Elke Ferner (A) angehoben werden. Es gibt keine Festschreibung der bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung bisher (C) Beiträge auf Dauer. Für die Menschen ist wichtig, zu eine großartige Leistung vollbracht hat und auch für die wissen: Sie werden auch in Zukunft mit den wachsenden zukünftigen Entscheidungen dem Parlament die richti- Kosten als Folge der demografischen Entwicklung und gen Vorschläge unterbreiten wird, die wir dann sicher- des medizinischen Fortschritts nicht alleine gelassen. lich unterstützen werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Wir werden über die Gesundheitsreform in diesem Jahr mit Sicherheit noch öfter debattieren: bei der Ein- Ich glaube, die bisherige Haushaltsdebatte zeigt sehr bringung des Haushalts, in den Ausschussberatungen, deutlich, dass die Menschen der Bundesregierung und bei der Anhörung und in der Schlussberatung. Ich bin den sie tragenden Fraktionen, der CDU/CSU und der mir aber sicher, dass wir das Ziel erreichen können, die SPD, Vertrauen entgegenbringen können. Die Wirtschaft Reform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten zu lassen. wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der sozialver- Wer bessere Vorschläge hat, möge sie auf den Tisch le- sicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nimmt gen. Ich habe bisher noch keinen Vorschlag gehört, der zu und die Haushaltssanierung schreitet voran. Wer hätte eine vernünftige Regelung für bezahlbare Krankenversi- sich das vor einem Jahr vorstellen können? Ich glaube, cherungsbeiträge enthält und gleichzeitig den medizini- das konnten viele Bürgerinnen und Bürger in Deutsch- schen Fortschritt für alle – nicht nur für diejenigen, die land nicht. über ein gut gefülltes Portemonnaie verfügen – bezahl- (Beifall bei der CDU/CSU) bar macht. Das aber sind die wichtigen Botschaften und Signale, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Politik der großen Koalition nach zehnmonatiger Re- der CDU/CSU) gierungstätigkeit den Bürgerinnen und Bürgern in unse- rem Land zu vermitteln vermag. Für die Menschen in Vizepräsidentin Petra Pau: unserem Land wird sichtbar, dass wir den Koalitionsver- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max trag – und damit auch den Koalitionsauftrag – in die Tat Straubinger das Wort. umsetzen. Das Investieren, Sparen und Reformieren wird angegangen und punktgenau und zielorientiert um- (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzt.

Max Straubinger (CDU/CSU): Auch der Haushalt 2007, der jetzt eingebracht worden ist, ist Ausdruck der Umsetzung des Koalitionsvertrages Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (B) und er hat bereits großartige Erfolge vorzuweisen. Dass (D) Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der die Maastrichtkriterien bereits in diesem Jahr einge- Kollege Westerwelle hat zum Schluss seiner Rede, die halten werden – das wurde bereits erwähnt, aber man ich aufmerksam verfolgt habe, den Eindruck zu vermit- kann es nicht oft genug darlegen –, ist ebenfalls Aus- teln versucht, dass sich die Bundesregierung und die druck der Regierungspolitik. Fraktionen, die die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, Friedenseinsätze aufgrund ihrer interna- (Beifall bei der CDU/CSU) tionalen Verantwortung zu begleiten, aufdrängen wür- Dass sie auch 2007 eingehalten werden, weil die Grund- den. Ich möchte dies ausdrücklich zurückweisen. lage dafür heuer gelegt worden ist, ist wiederum ein (Beifall bei der CDU/CSU) großartiges positives Signal. Die Bundesregierung und die sie in dieser Frage unter- Auch dass nach mehreren Jahren, in denen der Haus- stützenden Fraktionen im Haus handeln in Verantwor- halt nicht verfassungskonform war, jetzt ein verfas- tung der außenpolitischen Gegebenheiten, auch der sungskonformer Haushalt eingebracht worden ist und entstandenen außenpolitischen Fragen und Herausforde- die Nettoneuverschuldung geringer ist als die Investitio- rungen, und vor allen Dingen in Verantwortung für Frie- nen, ist der neuen Bundesregierung, die seit Oktober im den und Freiheit in gefährdeten Regionen dieser Welt. Amt ist, zu verdanken. Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeskanzlerin und des Außenministers, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten zustande gebracht Dass die Mehreinnahmen nicht nur über Steuern, son- haben. Dies sollte nicht in ein schiefes Licht gerückt dern vor allen Dingen auch durch erhebliche Einsparun- werden, Herr Kollege Westerwelle. gen erzielt werden, ist auch Ausdruck des Haushaltes, den wir heute beraten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Für mich ist aber auch entscheidend, dass in diesem Haushalt zum Ausdruck gebracht wird, dass die soziale Ich gebe unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Sicherheit der Menschen in unserem Land nicht aus Kauder Recht: Man kann nicht große Reden darüber hal- dem Blickfeld geraten ist. Im Gegenteil: Die soziale Si- ten, dass das Existenzrecht Israels zu unterstützen ist, cherheit der Menschen wird weiter gestärkt. Auch das ist aber dann, wenn es möglicherweise gefährdet ist, keinen Ausdruck der Koalition von CDU/CSU und SPD. Beitrag leisten. Ich glaube, wir sind in der Verantwor- tung, die nötigen Beiträge zu leisten. Darüber, wie diese (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- im Einzelnen aussehen sollen, kann man diskutieren. Ich neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4511

Max Straubinger (A) Das alles sind Kennzeichen einer soliden Finanzpoli- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) tik, der die Regierung Vorrang eingeräumt hat. Vielleicht kann Bayern, das erstmals einen ausgeglichenen Haus- Der Herr Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende halt verabschieden konnte, der FDP hat vorhin das Allgemeine Gleichbehand- lungsgesetz kritisiert. Wir geben unumwunden zu, dass (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!) wir mit diesem Gesetz nicht ganz glücklich sind. Aber ich möchte herausstellen, dass wir im Vergleich zum ur- als Vorbild für unsere Politik dienen, um das auch auf sprünglichen Entwurf für entscheidende Änderungen ge- Bundesebene zu erreichen. sorgt haben, damit der bürokratische Aufwand bei den (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wenn wir Betrieben massiv minimiert wird bzw. erst gar keiner Bayern nicht hätten!) entsteht. – In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin, wo Sie Der Kollege Westerwelle hat des Weiteren kritisiert, mitregieren, zeitigen sich ja die Ergebnisse. Wir wissen dass die Kohlesubventionen nicht in ausreichendem auch, was die CDU in Sachsen-Anhalt aufzuräumen hat. Maße abgebaut werden. Das mag sein. Aber in den Bun- Das ist doch das Entscheidende. desländern, in denen die FDP in der Regierung ist, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, tritt man zwar für den (Beifall bei der CDU/CSU) Abbau der Kohlesubventionen ein, um aber zugleich Die Elemente des Dreiklangs „Investieren, Sparen, darauf hinzuweisen, dass ein Ausgleich aus dem Bun- Reformieren“ bedingen einander. Ohne Investitionen deshaushalt zu erfolgen hat. Wenn das eine ehrliche Poli- gibt es kein Wachstum. Ohne Sparen gibt es keinen tik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und wenn das Spielraum für zukünftige Investitionen in unserem Land. Subventionsabbau sein soll, dann habe ich möglicher- Ohne die Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt es weise den Begriff „Subventionsabbau“ nicht verstanden. keine Senkung der Lohnnebenkosten. Das zeigt sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) deutlich: Wachstum ist – früher gab es Parteistrategen, die von Nullwachstum oder einem qualifizierten Wachs- Auf vielfältige Weise wurde heute schon die Entwick- tum gesprochen haben; das meine ich aber nicht – die lung auf dem Arbeitsmarkt dargelegt. Wir freuen uns na- Grundlage für mehr Arbeitsplätze in unserem Land. Das türlich über den Abbau der Arbeitslosigkeit und die Stei- nun vorhandene positive Wirtschaftswachstum von gerung der Zahl der sozialversicherungspflichtigen 1,8 Prozent – vielleicht gilt das sogar für das ganze Jahr; Beschäftigungsverhältnisse um 130 000. Davon sind im Süden Deutschlands ist es noch intensiver und 40 000 in Bayern entstanden. Das zeigt sehr deutlich, besser – ist also eine gute Voraussetzung für das Entste- woher die wirtschaftlichen Impulse kommen. hen von Arbeitsplätzen. (B) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Vergiss den (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Norden nicht! Auch wir sind anständig!) Wir werden diese Entwicklung mit dem Bundeshaus- Ich freue mich insbesondere über den Abbau der halt unterstützen. Wir fördern beispielsweise mit dem Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der arbeitslosen Ju- 25-Milliarden-Euro-Programm Innovationen. Die For- gendlichen ist um fast 100 000 zurückgegangen. Das schungsförderung hat ein Volumen von 6 Milliarden zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung Jugendli- Euro bis zum Jahr 2009. Das dient der Innovationsförde- chen großartige Zukunftschancen eröffnet. rung sowie der Stärkung des Wissenschaftsstandortes Deutschland und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben vielfach über die Korrektur der Hartz- Entscheidend ist ebenfalls, dass der Mittelstand wei- Gesetze gestritten. Ich glaube, dass die Hartz-Gesetze terhin in die Lage versetzt wird, große Investitionen zu mehr Dynamik in die Vermittlung der Arbeitslosen ge- tätigen und dementsprechend die Zukunftsfähigkeit un- bracht haben und dass der Umbau der Bundesagentur für seres Landes zu stärken. Die große Koalition hat bereits Arbeit, der bisher durchaus positive Effekte mit sich ge- entscheidende Wegmarken gesetzt. Die verbesserten Ab- bracht hat, weiter voranschreiten muss. Es wurden in schreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschafts- vielen Bereichen Korrekturen vorgenommen. Ich erin- güter sind ein entscheidender Faktor. Ich bin darüber nere an die Ich-AG und andere Dinge. Eines ist für mich hinaus der Meinung, dass die teilweise steuerliche Ab- entscheidend: Wir sind ein sozialer Staat und wir treten setzbarkeit von Handwerkerrechnungen nichts anderes für die ein, die der sozialen Unterstützung bedürfen. Es als ein Impulsprogramm ist und dafür sorgt, dass wir uns gilt aber auch, dem Missbrauch von sozialen Leistungen nun Gott sei Dank an einer besseren Auftragslage bei un- massiv entgegenzutreten. seren Handwerksbetrieben erfreuen dürfen. Am 30. August gab es in der Sendung „ZDF-Repor- (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) ter“ einen Bericht über zwei Sozialdetektive, – Ich bin zudem überzeugt, dass der Abbau von bürokrati- schen Hemmnissen ein Erfolg sein wird. Ich danke aus- Vizepräsidentin Petra Pau: drücklich unserem Bundeswirtschaftsminister Michael Kollege Straubinger, die Geschichte können Sie jetzt Glos für seinen Einsatz zugunsten der mittelständischen nicht mehr zu Ende erzählen. Ihr Fraktionsvorsitzender Wirtschaft und unseres Wirtschaftsstandorts insgesamt. hat Ihnen schon Zeit überlassen. 4512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

(A) Max Straubinger (CDU/CSU): die Dienstleistungsrichtlinie, die den positiven Effekt (C) – die 150 Missbrauchsfälle mit einem Volumen von bringen soll, dass der Dienstleistungsmarkt in der Euro- über 500 000 Euro in kürzester Zeit aufgedeckt haben. päischen Union mehr Dynamik bekommt und damit Ar- Das zeigt sehr deutlich, dass die Verwaltungen noch ef- beitsplätze geschaffen werden, die aber gleichzeitig die fektiver arbeiten müssen. In diesem Sinne lasst uns die Gefahr mit sich bringen könnte, dass Sozial- und Quali- Arbeit angehen. tätsdumping betrieben wird. Aber glücklicherweise ha- ben wir Einfluss auf diese Dinge. Gemeinsam, mit dem Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Europäischen Parlament und der deutschen Regierung, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist es hier gelungen, im Rat ein gutes Stück voranzukom- neten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ men. CSU]: Die Geschichte wollte die Präsidentin (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht hören!) Jetzt steht im Parlament die zweite Lesung an. Wir sind auf einem guten Weg, damit sich in Europa das Prinzip Vizepräsidentin Petra Pau: „gleicher Lohn und gleiche Standards für gleiche Arbeit Das Wort hat die Kollegin Schwall-Düren für die am gleichen Ort“ wirklich durchsetzt. Wenn das nicht er- SPD-Fraktion. reicht wird, dann sind die Bürger enttäuscht und verunsi- chert und dann haben wir in unseren jeweiligen Natio- Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): nalstaaten die Konsequenzen zu tragen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Seit mehr als 50 Jahren ist Deutschland in die Euro- Wir dürfen uns allerdings nicht der Illusion hingeben, dass diese Problematik allein mit einer veränderten päischen Gemeinschaften eingebunden. Das prägte die Politik der Bundesregierungen und das prägt die Politik Dienstleistungsrichtlinie gelöst wird. Wir müssen auch auch dieser Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hat das unsere Hausaufgaben machen. Damit spreche ich das Thema „Entsenderecht und Mindestlohn“ an. Wir sind heute Morgen eindrucksvoll dargelegt. gerade dabei, die Entsenderichtlinie für das Gebäude- Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union be- reinigerhandwerk in nationales Recht umzusetzen. Ich deutet Chancen, aber auch Herausforderungen. Die bin aber sicher: Das kann nicht das Ende sein. Wir müs- Chancen haben sich schon zu Beginn der Mitgliedschaft sen hier weiterkommen ergeben. Es ist uns allen bekannt, dass wir Frieden und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sicherheit, kulturelle Vielfalt und Reichtum dieser Mit- LINKEN) gliedschaft zu verdanken haben, aber auch einen un- (B) glaublich gesteigerten Wohlstand. Ich darf nur die eine und in diesem Herbst die Frage der Mindestlöhne nicht (D) Zahl nennen, dass wir allein in den Jahren 1992 bis 2002 nur sehr ernsthaft diskutieren, sondern auch entschei- 900 Milliarden Euro zusätzlichen Wohlstand in Deutsch- dend beantworten. land erreicht haben. Das bedeutet 6 000 Euro pro Haus- (Beifall der Abg. Dr. [DIE halt. Das ist sehr viel und das sollte von uns immer wie- LINKE]) der betont werden. Das war der Bevölkerung in früheren Jahren bewusster. Aber in den letzten Jahren ist die 18 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union haben Wahrnehmung der Chancen der Europäischen Union zu- Mindestlöhne. Ich will darauf aufmerksam machen, dass nehmend schwächer geworden, und zwar einmal, weil ein Land, das wir hier immer wieder wegen seiner wirt- die Errungenschaften selbstverständlicher sind, und zum schaftlichen Dynamik positiv hervorheben, nämlich anderen, weil es in Mode gekommen ist, Kritik an der Großbritannien, in diesem Zusammenhang sehr gute Er- EU zu üben. fahrungen gemacht hat. Brüssel wird schnell als Geldvernichtungsmaschine ( [FDP]: Wollen Sie denn auch das abqualifiziert, es wird Brüssel vorgeworfen, sich in na- britische Kündigungsrecht?) tionale Angelegenheiten einzumischen oder ein Büro- Leistungsträger, über die im Augenblick wieder sehr kratiemonster zu sein. Auch wir Politikerinnen und Poli- viel gesprochen wird – auch in meiner Partei –, sind tiker des Deutschen Bundestages sind nicht ganz auch diejenigen, die als Geringqualifizierte täglich ihrer unschuldig. Wenn Entscheidungen in Brüssel getroffen Arbeit nachgehen. Auch diese Menschen müssen für werden, an denen wir über den Rat mitgewirkt haben, ihre Arbeit einen anständigen, existenzsichernden Lohn dann schieben wir manchmal gern die Schuld auf Brüs- bekommen. Deswegen kann ich auch dem Vorschlag des sel und behaupten, an der Entscheidung nichts ändern zu Sachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II zu kür- können, weil das die Entscheidung von Brüssel sei. Da zen, um so für eine geringe Anzahl von Personen Ar- ist es kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger beitsplätze zu schaffen, überhaupt nicht zustimmen. verunsichert sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren immer stär- ker die soziale Dimension infrage gestellt wird. Die Bür- Die Chancen, die die EU in der Vergangenheit mit ger mussten den Eindruck gewinnen, dass die Kommis- sich gebracht hat, müssen natürlich auch in der Zukunft sion bei der Umsetzung des gemeinsamen Marktes genutzt werden. Die EU ist für uns Impulsgeber und sie immer stärker von so genannten neoliberalen Vorstellun- gibt uns eine Leitorientierung. Ich möchte hier noch ein- gen geleitet wurde. Ein uns allen bekanntes Beispiel ist mal das Beispiel des Stabilitäts- und Wachstums- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4513

Dr. Angelica Schwall-Düren (A) paktes anführen. Dieser Pakt wurde vor allen Dingen Um hierbei voranzukommen, ist sehr viel Verhand- (C) durch deutsche Politiker gestaltet. Zwischenzeitlich war lungsgeschick notwendig. Aber ich bin ganz zuversicht- er für uns zu einer Last geworden. Letztendlich aber hat lich, dass wir es in der deutschen Ratspräsidentschaft er dazu beigetragen, dass der Druck, unseren Haushalt schaffen werden, einen Weg, wenn auch noch keine end- zu konsolidieren, aufrechterhalten wurde. Mit großer gültige Lösung aufzuzeigen. Dieses Verhandlungsge- Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr, aber auf alle Fälle im schick haben die Vertreter unserer Regierung schon ein- kommenden Jahr wird es gelingen, das 3-Prozent-Defi- drucksvoll bewiesen. Frau Merkel hat es seinerzeit zit-Kriterium zu erfüllen. geschafft, das ins Stocken geratene Verfahren zur finan- ziellen Vorausschau zu einem guten Abschluss zu brin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen. Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen ein unerhört hohes Ansehen als guter Ver- Damit sichern wir die Chancen der zukünftigen Genera- handlungspartner erreicht, was man auch an der positi- tionen. Gleichzeitig haben wir durch die Reform des Sta- ven Rolle, die er im Nahostkonflikt spielt, ablesen kann. bilitätspaktes ermöglicht, dass in diesem Land wieder Er wird von allen Seiten respektiert. Investitionen getätigt werden können und wir das von der Koalition beschlossene 25-Milliarden-Euro-Pro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gramm umsetzen. der CDU/CSU) Wir haben in diesem Herbst vor dem Hintergrund der Deutschland wird eine hohe Kompetenz zugeschrie- Lissabonstrategie noch das nationale Reformprogramm ben, etwas zur Friedenssicherung zu erreichen. Aber zu verabschieden. Die Bundesregierung wird einen ent- lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Diese hohe sprechenden Bericht in Brüssel vorlegen. Wir haben Kompetenz im Bereich der diplomatischen Verhandlun- nämlich erkannt – Frau Bundeskanzlerin hat das heute gen ist nur dann weiter akzeptiert, wenn es auch die Morgen schon ausgeführt –, dass die Globalisierung kein Bereitschaft Deutschlands gibt, sich aktiv, auch durch Erfolg wird, wenn man nur die nationalen Interessen Zurverfügungstellung von Bundeswehrkräften, an der vertritt und wenn man sich bei Löhnen, Steuern und Friedenssicherung zu beteiligen. Der Kollege Peter Standards gegenseitig unterbietet. Im Gegenteil. Was wir Struck hat sehr deutlich gesagt, dass wir das natürlich tun müssen, ist: Standards sichern, Qualität produzieren, nur unter ganz klaren Bedingungen tun werden. Innovationen umsetzen. Das wird mit der Lissabonstra- Hierbei ist das Zusammenspiel mit den europäischen tegie und in dem Rahmen mit dem nationalen Reform- Partnern ebenfalls sehr wichtig. Auch die UN-Friedens- programm angepackt. Dabei ist natürlich auch die wei- resolution 1701 trägt sehr deutlich die europäische tere Modernisierung unserer Sozialsysteme zu nennen. Handschrift. Das ist ein großer Erfolg, den wir mit unse- (B) Das haben wir im Bereich der Alterssicherung und des ren europäischen Freunden erreicht haben. (D) Arbeitsmarktes schon angepackt und das müssen wir im Bereich der Gesundheitspolitik weiter vorantreiben. Lassen Sie mich noch einmal auf die Verfassung zu- rückkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir ha- Ganz entscheidend ist neben dieser Reform aber die ben hier nicht nur eine schwierige Situation mit den Investition in die Köpfe. Die Lissabonstrategie hat uns beiden Ländern, in denen die Verfassung durch ein Refe- aufgegeben, 3 Prozent unserer Mittel in Bildung und rendum abgelehnt wurde – Frankreich und die Nieder- Forschung zu investieren. Genau das tun wir. Trotz lande –, sondern wir haben auch Probleme mit anderen Haushaltskonsolidierung wird diese Regierung bis zum Partnern – da kann man Großbritannien nennen, aber Jahr 2010 dafür sorgen, dass die 3 Prozent in dem Be- auch Polen –, mit denen es im Augenblick sehr schwer reich erreicht werden. ist, zu gemeinsamer Politik zu kommen. Bei allem Ver- ständnis für die polnischen Freunde, die besonders kri- Ich möchte an dieser Stelle aber darauf hinweisen, tisch auf die deutsche Politik schauen, ist dort auch eine dass wir bei der Weiterbildung noch mehr tun müssen, gewisse Unfähigkeit bezüglich einer Kommunikations- das stärker in den Blick nehmen müssen und diese He- und Kooperationsbereitschaft mit der deutschen Politik rausforderung ebenfalls annehmen müssen. Dazu brau- zu erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir immer wieder chen wir aber auch die Unternehmen und dazu brauchen ein Dialogangebot machen; denn die Bevölkerung und wir die Gewerkschaften, die ich ausdrücklich auffordere, auch die wirtschaftlichen Akteure sehen die Beziehun- sich dieser Aufgabe zu stellen. gen in keiner Weise kritisch. Im Gegenteil, das Ansehen Deutschlands ist in Polen in den letzten Jahren immer (Beifall bei der SPD) weiter gestiegen. In der ersten Hälfte des Jahres 2007 steht die deutsche (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ratspräsidentschaft an. Wir wollen uns wie 1999 auch Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Verfas- bei dieser Ratspräsidentschaft wieder als gute Europäer sungsthema wird die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zeigen. Das ist eine große Herausforderung. Wie Sie alle auch von wichtigen wirtschaftspolitischen und außen- wissen, ist der Verfassungsprozess ins Stocken geraten. politischen Themen geprägt sein. Es wird um Fragen der Das ist ein Prozess, den wir aber unbedingt voranbringen neuen Nachbarschaftspolitik gehen und darum, dass wir müssen, nicht um eines abstrakten Textes willen, son- mit Russland unsere Kooperation optimal fortsetzen. dern weil wir diese Verfassung brauchen, damit in der Europäischen Union mehr Bürgernähe, mehr Transpa- Am 25. März 2007 blicken wir auf die europäische renz und mehr Effektivität erreicht werden können. Erfolgsgeschichte zurück, die mit der Unterzeichnung 4514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Angelica Schwall-Düren (A) der Römischen Verträge vor 50 Jahren ihren Anfang im Übrigen vielen Bundesländern und Kommunen, die (C) nahm. Frieden, Stabilität und Wohlstand wurden hart er- ihre Haushalte kürzen, als Beispiel dienen. arbeitet und erstritten. Der Jahrestag bietet die Möglich- keit einer europäischen Standort- und Zielbestimmung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Angesichts des historisch Erreichten sind wir in der neten der SPD) Pflicht, uns im weltpolitischen Maßstab neu zu verorten, Meine Damen und Herren, ich sehe es als meine be- alte Denkmuster vielleicht zu erneuern und den Blick auf sondere Aufgabe an, trotz der Notwendigkeit drastischer die politische Verantwortung Europas nach innen und Sparmaßnahmen im Gesamthaushalt positive Rahmen- außen zu schärfen. Die von Außenminister Steinmeier bedingungen für Kultur und Medien zu sichern und sie „Generation Europa“ genannten jüngeren Menschen er- dort, wo sie ungenügend sind, zu verbessern. Hier warten zu Recht Klarheit über den zukünftigen politi- konnte die Bundesregierung in den vergangenen Mona- schen Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells. ten Beträchtliches erreichen. Ich erinnere an die Beibe- haltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Kul- Vizepräsidentin Petra Pau: turgüter, an das Folgerecht für den Kunsthandel, an die Kollegin Schwall-Düren, ich mache Sie nur darauf Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz von aufmerksam, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kollegen Kulturgut, an die Beseitigung der unseligen Bagatell- sprechen. klausel im Urheberrecht, daran, dass wir die Deutsche Nationalbibliothek zukunftsfähig gemacht haben, an den Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Neubau des Literaturmuseums der Moderne in Marbach Ich komme zum Schluss. – Diese Klarheit können wir und nicht zuletzt an den Haushalt 2006, in dem wir für nur gemeinsam mit unseren Partnern erreichen. Deswe- den Kulturbereich im Verhältnis zu 2005 ebenfalls eine gen gilt auch heute noch das Wort von Willy Brandt am Steigerung zu verzeichnen hatten. Ende seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969: Mit diesem Haushaltsentwurf 2007 und dem Finanz- Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn … werden plan 2010 setzt die Bundesregierung insgesamt – Herr im Inneren und nach außen. Steinbrück hat das gestern ausgeführt – ihren Haushalts- konsolidierungskurs fort. Gleichwohl konnte ich den Das werden wir mit dieser Regierung auch bleiben. Umfang des Kulturhaushalts steigern. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: In einigen Bereichen konnten wichtige Erfolge erzielt Super!) werden. Nicht immer lassen sie sich so konkret beziffern Vielen Dank. wie bei der Förderung des deutschen Films, die das (B) Kabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Wie im (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Koalitionsvertrag festgelegt, werden unter dem Titel der CDU/CSU) „Anreiz zur Stärkung der Filmproduktionen in Deutsch- land“ ab 2007 für die Dauer der Legislaturperiode Vizepräsidentin Petra Pau: jährlich 60 Millionen Euro für ein neues Konzept zur Das Wort hat der Beauftragte für die Angelegenheiten Filmfinanzierung zur Verfügung gestellt. Das ist ein fan- der Kultur und Medien, Herr Staatsminister Bernd tastischer Erfolg für den Erhalt der Filmkultur und für Neumann. die Filmwirtschaft in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der SPD) Hier bedanke ich mich ausdrücklich bei Finanzminister Peer Steinbrück, der mich nicht gehindert hat, dies zu er- Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- reichen, sondern der mich dabei unterstützt hat. Das ist kanzlerin: ungewöhnlich. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung wird der besonderen Stellung der Kul- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – tur in unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung für Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: die europäische Kulturnation auch mit dem diesjährigen Das Lob hört er nicht mehr! Er ist schon ge- Kulturetat gerecht. Für uns gilt: Kulturförderung ist gangen! Aber man kann ihn nie genug loben!) keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. So Damit erfüllt die Bundesregierung den im Koalitionsver- haben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben und trag formulierten Auftrag, international wettbewerbsfä- so handeln wir. hige, mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingun- Die Bundesregierung hat den Kulturhaushalt für das gen für unsere Filmwirtschaft zu schaffen. Unsere Jahr 2007 im Vergleich zu den im Vorjahr zur Verfügung Maßnahme ist ein Bekenntnis zum deutschen Film. Er- stehenden Mitteln erneut erhöht. folg und Qualität deutscher Filme in der letzten Zeit rechtfertigen, so denke ich, dieses Bekenntnis. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie hat damit deutlich gemacht, wie ernst sie die Förde- Ein weiteres Bekenntnis der Bundesregierung gilt der rung von Kunst und Kultur in Deutschland auch ange- Deutschen Welle. Für sie ist die Zeit der unverhältnis- sichts der schwierigen Haushaltslage nimmt. Dies kann mäßigen Sparauflagen vorbei. Der Auslandssender ist Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4515

Staatsminister Bernd Neumann (A) für die Bundesregierung nach wie vor Deutschlands (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) wichtigster Kulturbotschafter in der Welt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus dieser (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Rede eine inhaltliche Veränderung der Gedenkstätten- der SPD) politik des Bundes im Hinblick auf die Bewertung und Aufarbeitung der NS-Diktatur abzuleiten, ist völlig ab- Der Sender kann sich jetzt, wie der Haushalt 2007 be- wegig. weist, auf eine aufgabengerechte Finanzierung durch die Bundesregierung verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Hier steht die Bundesregierung in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierung. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat eine weitere wichtige Haushaltsentscheidung für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kultur getroffen, die ab 2008 und in den Folgejahren der SPD) wirksam werden kann: Der Bund wird sich mit bis zu Die NS-Diktatur und der durch sie verursachte Holo- 50 Millionen Euro an der Sanierung der Staatsoper caust sind in ihrer menschenverachtenden, grausamen Unter den Linden in Berlin beteiligen. Diejenigen, die Dimension einzigartig und durch nichts zu relativieren. den Zustand des historisch wertvollen Gebäudes kennen, Die Erinnerung hieran wach zu halten, bleibt eine he- wissen, dass hier dringend gehandelt werden muss. Ber- rausragende Aufgabe unserer Gedenkstättenpolitik. Hier lin sieht sich allein nicht in der Lage, diese Aufgabe zu gehe ich von Ihrer aller Unterstützung aus. bewältigen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der dauerlich! – Weiterer Zuruf des Abg. Otto FDP) Fricke [FDP]) Der Bund kommt damit seiner Mitverantwortung für die Vizepräsidentin Petra Pau: kulturelle Ausstrahlung seiner Hauptstadt wie auch der Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Verpflichtung für die Kulturnation Deutschland vorbild- Jochimsen das Wort. lich nach. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) neten der SPD) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, ich habe nur drei Beispiele Zunächst herzlichen Dank, Herr Staatsminister, dass Sie wegen ihrer besonderen finanziellen Dimension heraus- die Gelegenheit hier genutzt haben, auf die Vorfälle und gehoben. Unser Haushalt hat im Regierungsentwurf Vorgänge anlässlich des Kunstfestes in Weimar einzu- 2007 einen Gesamtumfang von rund 1,1 Milliarden gehen. Allerdings muss ich sagen: In der Weise, wie Sie Euro. Wir haben zwar als Beitrag zur Haushaltskonsoli- das getan haben, ist genauso wenig Klärung herbeige- dierung eine globale Minderausgabe von rund 17 Millio- führt worden wie durch Ihr Bedauern, das Sie nach den nen Euro zu erbringen, aber der Gesamtrahmen des Äußerungen und der Entschuldigung von Herrn Profes- Haushalts stellt sicher, dass wir auch in Zukunft unser fi- sor Schäfer zum Ausdruck gebracht haben. Wieder nanzielles Engagement bei Einrichtungen und Projekten mussten wir hören, dass vor allen Dingen bedauert wird, von gesamtstaatlicher Bedeutung fortsetzen können. Das dass Überlebende des Holocaust durch Äußerungen, wie gilt für die kulturellen Leuchttürme in den neuen Bun- sie Herr Professor Schäfer gemacht hat, verletzt wurden. desländern ebenso wie für die bedeutenden Museen, die Sie haben kein Wort zum Grundsatzthema „Gedächtnis Gedenkstätten und die vielen innovativen Projekte in Li- Buchenwald“ gesagt, teratur, Musik, darstellender und bildender Kunst. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Wolfgang Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschlie- Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Doch, hat er ßend ein Wort zu einem Vorgang, der mich auch persön- gesagt! Er hat zur Erinnerungskultur Stellung lich sehr beschäftigt. Ich bedauere außerordentlich die genommen! Ganz deutlich!) durch eine deplacierte Rede meines Abteilungsleiters bei der Eröffnungsveranstaltung des Kunstfestes Weimar gegen das Herr Professor Schäfer in Weimar angeredet ausgelösten Irritationen und die Betroffenheit, insbeson- hat. Für das Verfehlen, nicht darauf eingegangen zu sein, dere bei den Opfern des KZ Buchenwald. Es war unver- hat er sich bisher nicht entschuldigt. zichtbar, bei einem solchen Anlass in jedem Falle der (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Börnsen Opfer von Buchenwald würdig zu gedenken. Dies ist [Bönstrup] [CDU/CSU]: Lesen Sie die Rede Herrn Professor Schäfer klar; sein Versäumnis war ein des Staatsministers noch einmal nach! Das ist großer Fehler. Wer Herrn Professor Schäfer und seine unzutreffend!) Arbeit als Historiker und langjähriger erfolgreicher Di- rektor des Hauses der Geschichte kennt, kann allerdings Ich möchte an dieser Stelle deutlich klarstellen: Auch keinen Zweifel an seiner politischen und moralischen In- wenn auf dieser skandalösen Veranstaltung in Weimar tegrität haben. kein einziger Überlebender anwesend gewesen wäre, 4516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) wäre die Rede von Professor Schäfer genauso provozie- so wie die Vorgängerregierung dies für Ganztagsschulen (C) rend und nicht hinnehmbar gewesen, wie sie es war. getan hat. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Geben Sie den Kindern, die zu Hause keine Bücher, NIS 90/DIE GRÜNEN) keine Möglichkeiten zum Musizieren und Gestalten ha- ben, die Chance, in ihrem unmittelbaren Umfeld Musik- In einigen Jahren werden wir die Situation haben, dass und Malschulen, Theater- und Tanzgruppen zu finden, leider niemand mehr da ist, der zu den Überlebenden ebenso wie Bibliotheken mit Lesezirkeln und -wettbe- zählt. Deswegen ist es so wichtig, uns mit dem Thema werben, Film-, Video- und Computerclubs unter kreati- „Gedächtnis Buchenwald“ auseinander zu setzen und ver Anleitung, Museen als ständige Erfahrungsorte und uns auch dann zu entschuldigen, wenn wir gegen das Kunsthandwerksstätten. Gedenken an Buchenwald verstoßen, und nicht nur dann, wenn wir Menschen, die betroffen sind, verletzen. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: In Berlin haben Darum geht es. wir das bereits!) (Beifall bei der LINKEN) – „In Berlin haben wir das“; der Einwurf kommt sehr zu Recht. Die Entschuldigung von Herrn Professor Schäfer, die Kultur für Kinder überall und überall in gleichen Ma- Worte des Staatsministers bisher und eben zu diesem ßen – auf dem Land, in den Städten und in den Problem- Thema waren dem nicht angemessen. vierteln: Darum geht es. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist aller- Sie waren ausgewogen und gut! – Steffen dings nicht Aufgabe des Bundeshaushalts, Kampeter [CDU/CSU]: Die Worte des Staats- Frau Kollegin!) ministers waren untadelig!) Dort, wo es das gibt – wie in Berlin, Frau Kollegin –, Jetzt möchte ich mich mit dem Kulturetat und den muss es erhalten bleiben; wo es immer weniger wird Kulturinvestitionen auseinander setzen. Kultur sei eine – wie in Thüringen zum Beispiel –, muss es wiederher- Investition in die Zukunft. Von diesem Grundsatz der gestellt werden; wo es fehlt – das ist vielerorts in unse- Bundeskanzlerin, die leider nicht mehr da ist rem Land der Fall –, muss es endlich eingerichtet wer- (Zurufe von der CDU/CSU: Doch! – Sie sitzt den. da hinten!) (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter – ach, da ist sie –, ausgehend, den der Staatsminister ge- [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Bundes- haushalt zu tun?) (D) (B) rade wiederholt hat, möchte ich die Haushaltsdebatte nutzen, um Regierung und Parlament Das wäre eine Investition in die Zukunft. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Verweisen Sie jetzt bitte nicht auf die Kulturhoheit Zu danken!) der Länder. einen Kulturinvestitionsvorschlag zu machen, der bit- (Zuruf von der SPD: Doch! – Wolfgang ter notwendig ist. Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das gehört dazu!) Gestern hat der Finanzminister von diesem Pult aus verkündet, alle zurückfließenden Milliarden müssten um Die Landesregierung möchte ich nämlich sehen, die da unserer Kinder und deren Zukunft willen zum Abbau un- Geld vom Bund ablehnt. serer staatlichen Schuldenlast verwandt werden. Das ist (Widerspruch bei der CDU/CSU – Steffen ein richtiger Satz. Trotzdem kann ich ihn nicht mehr hö- Kampeter [CDU/CSU]: Nur ein kleiner Ver- ren, wenn ich bedenke, was den Kindern dadurch in zu- fassungsbruch, Frau Jochimsen!) nehmendem Maße in unserem Land vorenthalten wird: Die Eltern und die Kinder werden das nicht mitmachen; (Beifall bei der LINKEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein süßer wahrhafte Teilhabe und Teilnahme an der großartigen, kleiner Verfassungsbruch! – Wolfgang Börnsen vielfältigen Kultur unseres Landes. Die kulturellen Defi- [Bönstrup] [CDU/CSU]: Populistische Mär- zite der Kinder und Jugendlichen sind beängstigend; alle chenstunde!) Untersuchungen bestätigen dies. Dem muss endlich et- die Wählerinnen und Wähler werden das nicht mitma- was entgegengesetzt werden. chen. Sie werden es einfordern. Deshalb mein Vorschlag: Nehmen Sie 1 Milliarde (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Börnsen Euro aus den zurückfließenden Geldern [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das geht an der (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was sind Wirklichkeit vorbei!) zurückfließende Gelder?) Denken Sie auch daran, dass Sie damit Arbeit schaf- und setzen Sie ein Programm „Kultur für Kinder“ auf, fen würden, kostbare, kreative Arbeit. So viele junge qualifizierte Fachleute für Musik, Theater, bildende (Beifall bei der LINKEN) Kunst, Film, Kunsthandwerk warten auf Aufgaben und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4517

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) die Chance, mit ihrem Können auch ihren Lebensunter- 60 Millionen Euro für die Filmförderung im Haushalt (C) halt zu finanzieren. eingeplant worden sind. Das ist nicht nur eine Chance für das Kulturgut „deutscher Film“, sondern auch für das Vizepräsidentin Petra Pau: Wirtschaftsgut „deutscher Film“. Damit werden ja auch Frau Kollegin Jochimsen, die Debatte darüber müssen Arbeitsplätze gesichert. Ich finde es prima, dass wir hier wir in die Ausschüsse verweisen. Sie müssen zum diese Kombination hinbekommen haben. Schluss kommen. (Beifall bei der SPD)

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Diese Chance bietet sich auch an anderen Bereichen. Ein Programm für Kinder, Jugendliche und junge Ich denke da an die Computerspiele. Vor zwei Wochen kreative Frauen und Männer wäre ein nationales Signal, ist die Computerspielmesse „Games Convention“, die das unser Land als wahre moderne Kulturnation aus- einen riesigen Ansturm erlebt hat, zu Ende gegangen. Es zeichnen würde. kamen nicht nur mehr Menschen, als erwartet worden ist; es kamen im Durchschnitt auch ältere Besucher und Zum Schluss folgender Satz: mehr Mädchen und Frauen als in den letzten Jahren. Man kann mit Politik keine Kultur machen, aber Inzwischen kann keiner die gesellschaftliche und kul- vielleicht mit Kultur Politik. turelle Bedeutung von Computerspielen ignorieren. Erinnert sich noch jemand, wer das gesagt hat? – Es war Auch die wirtschaftliche Bedeutung ist wesentlich. Der Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Das wäre Umsatz der Computerspielindustrie beträgt 1,5 Milliar- auch eine Verpflichtung für uns heute. den Euro – das ist einer der größten Märkte in Europa – und übersteigt sogar den Umsatz der Filmindustrie. Es Vielen Dank. werden aber weniger als 10 Prozent der Spiele von deut- (Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: schen Herstellern entwickelt, obwohl gerade diese häu- Das war das einzig Liberale an der Rede!) fig qualitativ besonders gut sind. Das muss man auch einmal hervorheben. Deswegen sollten wir dies unter- stützen. Das heißt, wir müssen von der Killerspielede- Vizepräsidentin Petra Pau: batte wegkommen. Es steht außer Frage, dass geltende Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monika Kinder- und Jugendschutzregeln eingehalten werden Griefahn das Wort. müssen. Dafür haben wir uns auch eingesetzt. Ich (Beifall bei der SPD) glaube, dass die USK, die Unterhaltungssoftware Selbst- kontrolle, insgesamt sehr gut funktioniert. Von insge- (B) samt 2 686 geprüften Spielen wurde nur 30 wegen Ju- (D) Monika Griefahn (SPD): gendgefährdung keine Altersfreigabe erteilt. Ich finde es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- auch gut, dass die Bundesregierung klargestellt hat, dass ginnen und Kollegen! Der Haushaltstitel für Kultur und momentan kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Medien ist mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Ge- Strafgesetzbuch gesehen wird. samthaushalt sehr klein. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das schmä- (Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank- lert aber nicht seine hohe Bedeutung!) furt] [FDP] sowie der Abg. Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen müssen wir umso sensibler mit den einzelnen Posten umgehen, gerade wenn uns – das haben Sie, Herr Das gibt uns die Möglichkeit zu schauen, wie wir diese Staatsminister, angekündigt – die globale Minderaus- Branche unterstützen und welche Marktanreize wir ge- gabe trifft. Denn die vielen kleinen Projekte wären viel- ben können. Ich denke zum Beispiel daran, dass ein leicht gar nicht mehr lebensfähig, wenn die Mittel Preis für die besten Computerspiele ausgelobt werden gekürzt würden. Gerade diese vielen kleinen soziokultu- kann. rellen Projekte, die Erziehungsprojekte, die musikali- Herr Neumann, Sie haben auch die Deutsche Welle schen Projekte – Sie haben sie erwähnt, Frau angesprochen. Ich freue mich, dass Sie sich dafür einge- Jochimsen – sind nämlich besonders wertvoll. setzt haben, dass im Kernhaushalt des Senders keine (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber nicht im weiteren Einsparungen erfolgen sollen. Ich glaube aber, Bundeshaushalt!) dass die Verringerung der Investitionen um 3 Millionen Euro schmerzhaft sein wird. Denn Investitionen in mo- Das müssen wir uns noch anschauen. dernste Technik sind in diesem Bereich sehr wichtig. Wir werden uns im Bundestag und auch im Kultur- Wenn wir über politische Schwerpunktsetzungen ausschuss sehr intensiv mit den politischen Schwerpunk- sprechen, muss auch die Frage der Integration, die in den ten beschäftigen. Auch da müssen wir schauen, wie die letzten Wochen intensiver diskutiert wurde, behandelt Kürzungen umgesetzt werden. werden. Da leisten Kultur und Medien einen besonders Herr Staatsminister Neumann hat aber auch auf posi- wichtigen Beitrag. Ich erwähne das Projekt an der Rütli- tive Aspekte hingewiesen. Ich möchte an dieser Stelle Schule – dieses Projekt gibt es auch an vielen anderen meinen Dank sowohl an den Staatsminister als auch an Schulen, aber es ist durch die Rütli-Schule bekannt ge- den Finanzminister dafür richten, dass die zusätzlichen worden –, das durch den Einsatz von Musik, Tanz und 4518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Monika Griefahn (A) Theater zu einer wesentlich besseren Stimmung in der haben wichtige Einrichtungen für das Gedenken an die (C) Schule beigetragen hat. NS-Diktatur, die wir ausreichend finanzieren müssen. Ich danke in diesem Zusammenhang Staatsminister (Beifall bei der SPD) Neumann, der auch in diesem Hohen Hause klargestellt Es gibt auch türkische Rapgruppen, die eine gute Ver- hat, dass das ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit mittlerrolle spielen. Das sind Projekte zur Integration, ist. die wir sehr stark fördern müssen. Hinzu kommen neue Projekte. Wir diskutieren über Zu einem funktionierenden Zusammenleben gehört die Frage, wie man die SED-Diktatur am besten aufar- das wechselseitige Verstehen kultureller Unterschiede. beiten kann. Diese Frage wird uns im nächsten Jahr si- Eine gezielte Förderung von interkultureller Kultur- cherlich sehr intensiv beschäftigen. arbeit und der Kulturarbeit von Migrantinnen und (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ganz Migranten sowie – das ist das Wichtigste, was aber noch wichtig! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: zum Teil fehlt – die Einbindung der Migrantinnen und Sehr gut!) Migranten in bestehende Strukturen ist eine wichtige bundespolitische Aufgabe. Da müssen wir noch stärker Der Berliner Senat hat uns ein Konzept zum Geden- Kultur und Medien mit einbeziehen; wir dürfen nicht nur ken an die Mauer vorgelegt, das auf eine Initiative von über andere Bereiche diskutieren, wie das häufig der Fall Abgeordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundesta- ist. ges zurückgeht. Es entstand sozusagen im Auftrag des Bundestages. Deswegen müssen wir uns daran beteili- (Beifall bei der SPD) gen und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Projekt Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die so- professionell umgesetzt wird. Das Gedenken an die ziokulturellen Zentren hinweisen. Für diesen Bereich Mauer sollte nicht von irgendwelchen Initiativen wild gibt es eine Bundesförderung. Wir sollten hier einmal realisiert werden. anerkennen, dass mit wenigen Mitteln vor Ort viel ge- In den nächsten Jahren werden wir viel zu tun haben. leistet wird. Kunst und Kultur sollen im Bundestag einen festen Platz (Beifall bei der SPD) haben. Sie sind nicht nur „Lebensmittel“; sie haben auch eine wichtige Funktion für das Verstehen und Verständi- Zu nennen ist auch die Kulturstiftung des Bundes, die gen. Vor allem in viel ärmeren Ländern ist der Wunsch eine wichtige Bedeutung für die Vermittlung zwischen sehr groß, andere Kulturen kennen zu lernen und sich den Kulturen hat. Aus Mitteln des Fonds Soziokultur, über kulturelle Fragen auszutauschen. Das Goethe-Insti- der Stiftung Kunstfonds und des Deutschen Literatur- tut hat diese Erfahrung in Afghanistan gemacht. In vie- (B) (D) fonds werden viele Projekte gefördert, die einerseits in- len Ländern, in denen die Not sehr groß ist, ist der novativ und von gesamtstaatlicher Bedeutung sind, die Wunsch, sich über Kultur auszutauschen, sehr stark. Ich andererseits im internationalen Kontext wesentlich zu ei- denke, der Bundestag sollte das aktiv unterstützen. Da- ner weltoffenen Vermittlung von Kunst und Kultur bei- rüber sollten wir konstruktiv diskutieren. tragen. Danke schön. Auch die Finanzierung von Einzelprojekten ist wich- tig – wie die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Deutsche Studienzentrum in Venedig oder die Villa der CDU/CSU und der LINKEN) Aurora in Los Angeles und in Berlin –, weil diese dia- logfördernd sind: Verschiedene Künstler aus verschiede- Vizepräsidentin Petra Pau: nen Ländern kommen zusammen, tauschen sich aus und Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sind hinterher Multiplikatoren in ihren Ländern. Diese spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. Zusammenarbeit zu verstärken und mit den anderen deutschen Institutionen, die wir im Ausland haben, zu Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vernetzen, ist eine wichtige Aufgabe und wird jetzt an- NEN): gegangen. Zwischen Goethe-Institut und der Villa Au- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- rora wird beispielsweise eine ganz enge Kooperation an- gen! Natürlich ist es gut, dass die kulturellen Projekte in gestrebt. einem ersten Schritt mehr Geld bekommen. Dazu kann Die Verständigung über Zukunft – das ist in den letz- man ihnen nur gratulieren. Auch die Erhöhung der Bun- ten Wochen deutlich geworden – ist abhängig von dem desfördermittel für den deutschen Film um 60 Millionen Wissen über Vergangenheit. Deswegen ist es sehr wich- Euro ist sehr erfreulich. tig, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Einrichtungen wir haben, die uns die Vergangenheit sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD]) deutlich machen, und welche pädagogische Arbeit dort geleistet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir Ge- Auf der anderen Seite muss man trotzdem sagen – das denkstätten, Gedenkorte, Museen, Institutionen und Pro- sollte nicht verschwiegen werden –, dass dem auch Kür- jekte, die Geschichte veranschaulichen und die Erinne- zungen gegenüberstehen. Ich denke beispielsweise an rung plastisch machen, ausreichend finanziell ausstatten. die Leuchttürme Ost, das Bachhaus in Eisenach oder die Ich glaube, wir haben mit unserem Gedenkstätten- Ernst-Barlach-Stiftung, denen am Ende ein Drittel weni- konzept dafür eine sehr gute Grundlage geschaffen. Wir ger Geld zur Verfügung steht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4519

Katrin Göring-Eckardt (A) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ist das eigentlich Schäfer dann gesagt hat: Ja, wenn ich gewusst hätte, dass (C) immer Bundesaufgabe, Frau Kollegin?) Überlebende anwesend sind, hätte ich eine andere Rede gehalten. Neben den Aufwüchsen muss meines Erachtens ein anderer Aspekt, der im Koalitionsvertrag steht, ins (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Blickfeld geraten, nämlich das, was Sie den Künstlerin- Kastner) nen und Künstlern bezüglich ihrer Existenzgrundlage Wir werden bald in einer Zeit leben, in der es keine versprochen haben. Auf diesem Gebiet hat sich bisher Überlebenden mehr gibt und niemanden, der aus seiner nichts getan. Wir stehen kurz davor, wieder von „brotlo- eigenen Erfahrung heraus über die Zeit des Holocaust ser Kunst“ reden zu müssen. Es hilft nichts, wenn sich berichten kann. Genau deswegen ist es so dringend und die Künstler in einzelnen Projekten wieder finden. Es wichtig, dass wir uns um eine neue Erinnerungskultur geht um die Frage der sozialen Absicherung. und neue Schritte bemühen. Dazu haben Sie nichts ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagt. Das halte ich für einen riesigen Fehler, Herr Neumann. Man weiß, dass Künstlerinnen und Künstler, die vom Arbeitslosengeld II leben, nicht auf der Suche nach ir- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gendeinem Arbeitsplatz sind, sondern üben, Kunst ma- und bei der LINKEN) chen, sich selbst managen und versuchen, Aufträge zu Man muss sich auch ansehen, welche Reaktionen von bekommen. Sie passen nicht in das Konzept der Bun- anderer Seite diese Rede provoziert hat. Herr Neumann, desagentur für Arbeit. Wir müssen dringend eine bessere Herr Schäfer hat in einer Pressemitteilung der NPD Un- Lösung finden. Sie haben das im Koalitionsvertrag ver- terstützung bekommen. sprochen. Das steht aber leider „nur“ im Kulturteil. Wenn man – wie ich es getan habe – beim Arbeitsminis- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: terium nachfragt, dann bekommt man von verschiedenen Was kann er denn dafür? An den Haaren her- Seiten gesagt, man könne hier keinen Handlungsbedarf beigezogen!) erkennen. Ich finde, darüber sollten Sie sich mit dem Ar- Die laufen in Mecklenburg-Vorpommern damit herum beitsminister unterhalten. Hier muss sich tatsächlich et- und wollen deutlich machen, dass sich in der Bundesre- was ändern. publik zum Glück etwas ändern wird. Ich will, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Haus alle sehr deutlich sagen: Nein, daran än- sowie bei Abgeordneten der SPD) dert sich nichts. Nein, wir haben unsere Verantwortung für die Zukunft in die Hand genommen, aus der machen Das Gleiche gilt für die Frage der Standortschließun- wir etwas, und gehen weitere Schritte, gerade was die (B) (D) gen bei Künstlerdiensten und der Zentralen Bühnen-, Jugendlichen und die Kinder betrifft. Fernseh- und Filmvermittlung. Das fällt in den Zustän- digkeitsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Für was, Die Fragen, die wir stellen müssen, lauten: Wie ma- wenn nicht für die Vermittlung von Jobs, ist sie eigent- chen wir das, wenn niemand mehr da ist, der aus eigener lich zuständig und mit welchem Recht sagt sie: Das Erfahrung berichten kann? streichen wir jetzt!? Herr Neumann, auch dazu hätte ich (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: heute gerne etwas von Ihnen gehört. Denn dies ist ein Unsere Schulen machen seit 50 Jahren hervor- Punkt, an dem Sie das, was Sie im Koalitionsvertrag ver- ragende Aufklärungsarbeit! Sehr verantwor- sprochen haben, endlich in die Tat umsetzen müssen. tungsbewusst!) Ich will an dieser Stelle auf die Ereignisse beim Wie machen wir das, wenn wir über angebliches Nicht- Kunstfest Weimar zu sprechen kommen, die mich in wissen und Mitläufertum reden? Wie können wir damit den letzten Wochen sehr beschäftigt haben. Dabei geht umgehen, sodass Kinder und Jugendliche das heute für es mir nicht nur um die Rede von Herrn Schäfer, sondern ihre eigene Zukunft erfahren? vor allem um das, was danach passiert ist. Herr Neumann, das bezieht sich übrigens auch auf Ihre heuti- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: gen Einlassungen. Sich hier nur hinzustellen und zu sa- Es ist in allen Fachkanons vorhanden! Als ob gen, man bedaure die Irritationen, ist mir zu wenig. Ich überhaupt nichts passiert wäre!) bedaure die Rede, die dort gehalten wurde. Herr Neumann, ich möchte, dass wir unsere Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schichte mit all ihren Aspekten weiter ernst nehmen. und bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen Dazu gehören auch die Vertreibungen. Aber ohne eine [CDU/CSU]: Sie wollen es nicht hören! Das Erinnerung in die Zukunft, ohne Klarheit, ohne Sensibi- ist die Wahrheit! – Weiterer Zuruf von der lität und übrigens auch Wissen und Weitergabe von Wis- CDU/CSU: Was soll denn dieser Unsinn?) sen über die nationalsozialistischen Gräueltaten ver- lieren wir Zukunft. Ich will genau wissen, welche Schlussfolgerungen Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Es hat keiner das eigentlich daraus ziehen. Sich hier nur hinzustellen und Gegenteil gesagt!) zu sagen, dass Sie nichts anders machen, das reicht mir nicht. Frau Jochimsen hat darauf hingewiesen. Die Ent- Vor allem verlieren wir einen ganz wichtigen Teil unse- schuldigungen wurden von Mal zu Mal immer schlim- res eigenen Selbstverständnisses und unserer eigenen mer. Dem Ganzen die Spitze aufgesetzt hat, dass Herr Identität. 4520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle (C) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten [FDP]: Ach, Leute!) der SPD) Im Übrigen glaube ich, es ist, wenn man eine Rede Das bedeutet weit mehr als fröhliche Fähnchen am Auto mit der Erinnerung an gemeinsame Oppositionszeiten und vor allem ist es weit wichtiger. beginnt, ganz gut, sich die Frage zu stellen, ob man nicht vielleicht auch gemeinsam mit dem ehemaligen Opposi- Vielen Dank. tionspartner etwas lernen kann. Hier wende ich mich an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Brüderle, der einen Spruch aus der gemeinsamen sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Oppositionszeit von FDP und Union wiederholt hat, von SPD) dem die Union heute weiß und sogar sagt, dass er nicht stimmte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Rainer Brüderle [FDP]: Aha!) Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion. Ich rufe Sie dazu auf, sich dieser Erkenntnis anzuschlie- (Beifall bei der SPD) ßen. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Olaf Scholz (SPD): Welcher war das denn?) Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Schluss Die Behauptung, die nicht stimmt, die aber in gewis- ein paar kurze Bemerkungen machen, damit wir gleich ser Wiederholung immer wieder auftaucht, lautet, dass in die nächste Debatte einsteigen können. Ich will Bezug die Einzelunternehmen bzw. die Personenunterneh- auf die Debatte, die wir bisher geführt haben, nehmen. men die Gebeutelten der Steuerreformen der Vergangen- Ich glaube, es war ein sehr berechtigter Vorwurf an heit gewesen seien, dass sie nicht entlastet worden seien die FDP, den Herr Kauder hier erhoben hat und der auch und dass nun zuallererst für diese Gruppe etwas getan in anderen Reden vorkam. werden müsse. (Otto Fricke [FDP]: Ja! Wir sind die Bösen!) Heute wissen wir alle: Durch die Einkommensteuer- senkungen der letzten Jahre und die verbesserte Berück- Es wurde gesagt: Passen Sie auf, dass Sie die durchaus sichtigung der Gewerbesteuer haben vor allem die Ein- großen und wichtigen außenpolitischen Traditionen Ih- zelunternehmen bzw. die Personenunternehmen und der rer Partei nicht verspielen! Mittelstand eine ganz deutliche Entlastung erfahren. Auf (B) dieser Erfahrung und Gesetzgebung können wir heute (D) (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle aufbauen. [FDP]: Meinen Sie Herrn Genscher, Herrn Scheel oder Herrn Lambsdorff?) (Beifall bei der SPD) – Ich meine Herrn Scheel, Herrn Genscher und Herrn Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es auch für Kinkel. Das waren Vertreter der Bundesrepublik Sie gut wäre, sich mit der neuen Wirklichkeit auseinan- Deutschland, die als Außenminister eine sehr verdienst- der zu setzen, die Erfolge der rot-grünen Koalition zur volle Politik gemacht haben, übrigens in mehreren Kenntnis zu nehmen und sich damit zu beschäftigen, wie Koalitionsregierungen, an denen Sie beteiligt waren. wir die Steuerpolitik weiterentwickeln können, statt über etwas zu reden, was sich so, wie Sie es darstellen, gar Es ist etwas schwierig. Man kann sich vorstellen, dass nicht ereignet hat. in ein paar Jahren Herr Scheel, Herr Genscher und Herr Kinkel als Außenpolitiker und Außenminister dieser Re- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) publik zwar noch in Erinnerung sein werden, dass man sie aber nicht mehr mit der FDP in Verbindung bringen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wird. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall bei der SPD) Kollegen Brüderle? Daher glaube ich, dass Sie da ein wenig aufpassen müs- sen. Ich denke nämlich, dass sich in den letzten Monaten Olaf Scholz (SPD): bei den verschieden außenpolitischen Debatten, die wir Ja. geführt haben, immer wieder etwas abgespielt hat, das (Jörg Tauss [SPD]: Vorsicht, Herr Brüderle! man, wenn man Zeitung gelesen und hier im Haus disku- Gefährliches Eis! – Petra Merkel [Berlin] tiert hat, wie folgt wahrnehmen konnte: Die Fachpoliti- [SPD]: Ja, dünnes Eis! Ganz dünn!) ker entwickelten eine durchaus konstruktive politische Haltung und dann kam Herr Westerwelle dazwischen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Bei der Ent- Rainer Brüderle (FDP): scheidungsfindung hinsichtlich des Libanonmandates ist Lieber Kollege Scholz, wären Sie bereit, zur Kenntnis Ähnliches zu beobachten. Ich jedenfalls habe schon ab- zu nehmen, dass ich von der beabsichtigten Unterneh- gewogenere Gedanken gehört als diejenigen, die nun für mensteuerreform der Koalition und nicht von der Ver- die Freie Demokratische Partei gelten sollen. gangenheit sprach? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4521

(A) Olaf Scholz (SPD): Im Zusammenhang mit der Körperschaft- und Unter- (C) Sie haben die Vergangenheit nie zur Kenntnis genom- nehmensteuerreform diskutieren wir darüber, wie wir men und eine falsche Bewertung der geplanten Unter- dafür sorgen können, dass die Gemeinden dabei ordent- nehmensteuerreform vorgenommen. Denn Sie haben so- lich wegkommen. wohl unberücksichtigt gelassen, dass wir auch für die (Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Was heißt denn Personenunternehmen noch etwas tun werden – das ist „ordentlich“?) übrigens in allen Beschlüssen der Regierung bzw. der Koalition zu diesem Thema nachzulesen –, als auch au- Auch das ist für unsere Konjunktur sehr wichtig. Denn ßer Acht gelassen, dass die Steuersatzsenkungen der in den Gemeinden werden die für unser Land zentralen Vergangenheit insbesondere dem Mittelstand große Ent- Investitionen getätigt. lastungen gebracht haben. Die abstrakte Forderung nach einem Konjunkturpro- Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer ist gramm kann man sich leicht ausreden. von 52 Prozent auf 42 Prozent gesunken, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh ja!) (Otto Fricke [FDP]: Der ist doch längst schon wieder hochgegangen!) Ich empfehle Ihnen, einmal den Hamburger oder den Bremer Hafen zu besuchen und sich die Planungen für der Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken und die den neuen Hafen in Wilhelmshaven anzuschauen. Im Anrechnung der Gewerbesteuer wurde neu geregelt und Wesentlichen sind es nämlich die großen Häfen in verbessert. Darum glaube ich, dass es richtig ist – vor al- Deutschland, die von konsumfördernden Konjunktur- lem für eine Partei, die sich dem Mittelstand verpflichtet programmen profitieren. Mit der Frage, ob wir Arbeits- fühlt –, zu sagen: Der Mittelstand steht zu Recht im Mit- plätze in Taiwan, Südkorea oder Vietnam schaffen soll- telpunkt der Politik der Regierung. Das gilt für die Poli- ten, muss sich Herr Lafontaine schon auseinander tik der vorigen Regierung wie auch für die Politik dieser setzen, wenn er solche Forderungen in den Raum stellt. Regierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh ja! Was für der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: eine kluge Forderung! Eine sozialdemokrati- Vor allem aber für diese! – Dr. Guido sche Position!) Westerwelle [FDP]: Meint ihr das Antidiskri- minierungsgesetz oder was?) Es wurde nicht dadurch klüger, dass die letzte Rednerin der PDS diese eigenwilligen Vorstellungen mit einer Meine Damen und Herren, ich will nicht lange auf die Milliarde, die sie sich heute Morgen beim Frühstück (B) Ausführungen von Herrn Lafontaine eingehen. ausgedacht hat, gestalten will. Sie hat gefordert, diese (D) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wäre eine Milliarde zusätzlich für Kulturleistungen auszuge- auch verschwendete Zeit, Herr Scholz! – ben. Ich glaube, der geringe Ernst einer solchen Debatte Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Das ist offensichtlich und muss nicht weiter vertieft werden. ist wirklich nicht nötig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber ich will etwas zu der Idee sagen, dass vonseiten der der CDU/CSU) Regierung etwas unternommen werden müsse, um den Es ist bereits viel geschafft worden. Ich nenne das Konsum auf irgendeine Weise zu fördern. Das alles Stichwort Föderalismusreform. Für manchen Kritiker klingt nach groß angelegten Konjunkturprogrammen. unerwartet haben wir ein schwieriges Gesetz zustande Wenn man über solche Fragen diskutiert, macht es gebracht. schon Sinn, sich zu überlegen, was man eigentlich will. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da waren wir Wir haben im Zusammenhang mit der Gebäudesanie- gut!) rung neue Möglichkeiten geschaffen, die sich massiv ausgewirkt haben, und die steuerliche Absetzbarkeit von Wir haben aber auch bereits viel im Zusammenhang mit Handwerkerrechnungen eingeführt. Dadurch wollten wir dem Abbau von Steuersubventionen erreicht. die Menschen dazu bringen, von der Schwarzarbeit zu- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) gunsten legaler Arbeit Abstand zu nehmen, Sie lassen das in Ihren Reden immer außer Acht, weil (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sie sich ausschließlich auf die Steinkohle beziehen. Ha- und darüber hinaus die wirtschaftliche Belebung unter- ben Sie denn nur Steinkohle vor den Augen? Tatsächlich stützen. gibt es über die Kohlesubventionen hinaus seit Jahren eine ganze Reihe von Steuersubventionen, die nicht ab- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau!) gebaut wurden, weil es nicht möglich war, Mehrheiten Das waren wirksame Programme, durch die der Mittel- dafür zu finden, die sowohl im Bundestag als auch im stand, die Wirtschaft, die Konjunktur und der Konsum in Bundesrat gehalten hätten. Deutschland gefördert wurden. Ich bin daher froh, dass wir es bereits geschafft ha- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – ben, zahlreiche Steuersubventionen, die fast jede Partei Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hier hat in diesem Hause hin und wieder einmal abschaffen Scholz Recht! Eindeutig!) wollte, abzubauen. Wir haben damit das getan, was die 4522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Olaf Scholz (A) Bürgerinnen und Bürger von der großen Koalition er- deres Interesse an stabilen, friedlichen Verhältnissen (C) warten. Sie erwarten von uns, dass wir die Dinge, über überall auf der Welt. die wir uns einig sind, auch wirklich umsetzen. An die- ser Stelle ist uns das gelungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hinzu kommt: Die Deutschen machen Urlaub in fast jedem Winkel der Welt. Darum wird fast jedes Unwetter, Deshalb ist es schlecht, wenn Sie an der Idee vom Be- zumindest jede größere Katastrophe, auch ein Fall für ginn dieses Jahres, zur Mehrwertsteuer reden zu wol- das Auswärtige Amt. Wir versuchen, uns mit unserer len, festhalten, obwohl das diesbezügliche Gesetz bereits Außenpolitik auf diese veränderten Bedingungen einzu- beschlossen worden ist. stellen, wir Deutsche mitten in Europa, auf einer Insel (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Alte Rede!) von Frieden, Wohlstand und Stabilität in einer leider ziemlich unfriedlichen, ziemlich oft ungeordneten Welt Diese Idee ist nicht gut; denn die schwierigen Verände- ringsum. Welchen Schluss ziehen wir daraus? Ich rungen, die wir gemeinsam vornehmen wollten, haben glaube, nicht den von Oskar Lafontaine, den der Ohne- wir bereits eingeleitet. Man wird Ihnen nicht zuhören, mich-Haltung, wenn Sie weiterhin Ihre alten Reden halten. (Beifall bei der SPD) Schönen Dank. ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass für uns aus unserer (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) erfreulichen Situation hier in Mitteleuropa Verantwor- tung erwächst. Aus den Erwartungen, die viele Men- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schen aus allen Regionen an uns richten, erwächst aus Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. meiner Sicht aber nicht nur Verantwortung, sondern auch Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung, sich nach Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Aus- Kräften auch für Stabilität, Frieden und Demokratie in wärtigen Amtes, Einzelplan 05. diesen Regionen einzusetzen, da, wo die eigenen Mittel Das Wort hat der Bundesaußenminister Dr. Frank- zur Konfliktlösung ganz offenbar nicht ausreichen. Wir Walter Steinmeier. wissen seit vielen Jahren: Es gibt leider zu viele solcher Regionen. Ich sage das vorab, weil ich glaube, dass man (Beifall bei der SPD) nur so begründen kann, warum wir uns im Libanon und im Nahen Osten engagieren wollen, natürlich nicht al- Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des lein, sondern Seite an Seite mit unseren europäischen (B) Auswärtigen: Partnern. Wir sollten bei der Diskussion hier im Deut- (D) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge- schen Bundestag auch nicht vergessen, dass der Waffen- ordnete! Auf den fünften Jahrestag der schrecklichen Er- stillstand, der Gott sei Dank – wenn auch fragil – einge- eignisse von New York ist bereits hingewiesen worden. halten wird, ganz wesentlich auch mit europäischer Hilfe Deshalb möchte ich nicht darauf zurückkommen. zustande gekommen ist. Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass sich seit diesem Tag vieles verändert hat. Auch den letzten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zweiflern ist klar geworden, dass spätestens seit dem Bei aller Kritik an Europa und an europäischen Ent- 11. September 2001 Außenpolitik mehr und mehr zur scheidungsprozessen will ich hinzufügen: Wer war denn Weltinnenpolitik geworden ist. Klar ist auch: Frieden am Ende schneller bei der Zusammenstellung einer Frie- und Wohlstand in Deutschland hängen immer mehr da- denstruppe? Die Europäer sind doch die Ersten gewesen, von ab, wie es der übrigen Welt ergeht. die mit dem Angebot von 7 000 Soldaten die Vorausset- Terroranschläge irgendwo auf der Welt können die zung dafür geschaffen haben, dass aus diesem fragilen Weltwirtschaft insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Zustand eine möglichst dauerhafte Lösung wird; sonst Heute reden wir über den Bundeshaushalt. Deshalb würde im Nahen Osten noch heute gekämpft. möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Zahlen eines Ich bin der Meinung, die Bundeswehr sollte gemein- Bundeshaushaltes durch Ereignisse, wie beispielsweise sam mit Soldaten anderer Länder dafür sorgen, dass die die Krise im Nahen Osten, schlagartig Makulatur wer- Waffen in dieser Region auch in Zukunft schweigen. den können. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Konkreter haben wir wohl noch nie sowohl – aber nicht Deutschland sage ich, dass wir die Gefahren in Regio- nur – das Existenzrecht Israels schützen als auch unse- nalzügen und S-Bahnen nicht vollständig ausschließen rem Interesse an Stabilität in der gesamten Region des können. Ein weiteres Beispiel sind die Bürgerkriege in Nahen Ostens Nachdruck verleihen können. Afrika. Sie lösen Flüchtlingsströme aus, die Europa, auch uns, erreichen. Das macht deutlich: Es gibt keine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entfernten Weltregionen mehr. Bei uns in Deutschland der CDU/CSU) leben Menschen aus allen Regionen und Nationen. Da- mit sind wir von Ereignissen in den Heimatländern die- Das sage ich auch, weil ich der Meinung bin, das hat ser Menschen direkt betroffen. nicht das Geringste mit einer Militarisierung der Außen- politik zu tun. Ich finde, das Gegenteil ist richtig: Wir als Exportnation betreiben Handel mit fast je- dem Land der Erde. Deshalb haben wir ein ganz beson- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4523

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Europäische Soldaten, vielleicht auch deutsche, könnten engagieren wir uns jetzt seit mehr als drei Jahren mit Be- (C) ihren Beitrag dazu leisten, dass der Frieden im Nahen ratung, mit der Hilfe bei der Wasserversorgung und in Osten wieder eine Chance erhält. Wir könnten die Vo- vielen Gesundheitsprojekten. Ich finde, auch das sollten raussetzungen dafür schaffen, dass die Tür zu einer Fort- wir nicht kleinreden. setzung des Nahostfriedensprozesses wieder geöffnet Nachdem ich das vorab gesagt habe, verstehen Sie wird. Wir sind natürlich klug genug, um zu wissen, dass auch bitte meinen Satz richtig, dass ich es nicht ertragen das nicht allein mit Soldaten erfolgen kann. Deshalb kann, dass mit dem Argument der Militarisierung der kommt es darauf an, einen möglichst klugen Mix aus mi- Außenpolitik unsere Bemühungen um verantwortungs- litärischem Beitrag auf der einen Seite – natürlich – und volle Entscheidungen hier in Misskredit gebracht wer- – natürlich auch – humanitärer Hilfe und unseren Ange- den. boten zum Wiederaufbau im Libanon auf der anderen Seite zu schaffen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich das von Ähnlich handeln wir auch in Afghanistan. Damit wir der Linkspartei erwartet hatte. Ich hatte mir vorgenom- uns nicht missverstehen: Ich bin – das habe ich seit mei- men, nichts Weiteres dazu zu sagen. Ich finde nur, dass ner Rückkehr aus Afghanistan gesagt – gegen jedes man das, was Oskar Lafontaine in seiner Rede gesagt Schönreden der dortigen Situation. Die Situation, erst hat, so nicht stehen lassen kann. recht vor Ort betrachtet, gibt in der Tat immer noch An- (Jörg Tauss [SPD]: Unerträglich!) lass zu Sorge, in manchen Regionen Afghanistans sogar Anlass zu wachsender Sorge. Ich sage dennoch: Nach Es ist unerträglich, dass Oskar Lafontaine hier den Ein- 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg in diesem Land ist dort druck erweckt, als seien diejenigen, die helfend ins Aus- etwas in Gang gekommen: eine gewisse Stabilisierung land gehen, diejenigen, die für Terrorismus verantwort- politischer Institutionen. Die Flüchtlinge können Gott lich sind. Das kann man nicht sagen. sei Dank wieder in ihr Land zurückkehren, auch wenn an (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP manchen Stellen vielleicht mehr zurückkehren, als das und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Land vertragen kann: Kabul hat eine Infrastruktur für etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen; jetzt leben circa Ich finde es unredlich, dass gerade diejenigen, die je- 4 bis 4,5 Millionen Menschen dort. Insofern kann es den Tag das Völkerrecht und die Vereinten Nationen nicht erstaunen, dass die Versorgungssituation mehr als gegen eine schlechte Realität ins Feld führen, den Ver- nur schwierig ist. einten Nationen dann die Hilfe versagen, wenn sie der (B) Hilfe bedürfen. Das geht nicht. Das ist inkonsequent. (D) Wir tun mehr, als nur unseren militärischen Beitrag zu leisten. Wir leisten Hilfe zur Wiederherstellung der Was- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem serversorgung und der Elektrizitätsversorgung. Wie Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wissen, tun wir das gerade nicht nur mit Soldaten, son- dern auch mit Regierungsberatern, Lehrern und Ent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wicklungshelfern. Ich war froh, bei meinem Besuch zu Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sehen, dass eine Schule mit insgesamt 7 000 Schülerin- Kollegen Dehm? nen jetzt sogar um einen naturwissenschaftlichen Zweig erweitert wird. Ich finde, diese Ergebnisse dürfen wir Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des nicht durch verantwortungslose Diskussionen in der Öf- Auswärtigen: fentlichkeit preisgeben. Ja. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): NISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit Ihr Zitat von Oskar Lafontaine nicht falsch ste- Ich weiß sehr wohl, dass einer der umstrittensten hen bleibt, frage ich mit Bezug auf den Zwischenruf Punkte hier im Bundestag unser Engagement im Kongo „Unerhört!“: Wie unerhört ist es denn, wenn der bayeri- war und ist. Wir wollen nicht so tun, als sei das Engage- sche Innenminister sagt, dass mit dem militärischen En- ment bereits zu Ende und ohne jedes Risiko. Ich finde gagement im Ausland die Wahrscheinlichkeit von An- aber, dass es sich bisher gelohnt hat. Nur durch die An- schlägen im Inland wächst? wesenheit der europäischen Truppenkontingente konnte nach dem beginnenden Aufruhr Schlimmeres verhindert Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des werden. Wären die europäischen Truppen nicht dort ge- Auswärtigen: wesen, dann hätte die Unruhe nicht im Keim erstickt Ich habe den Zusammenhang der Sätze von Oskar werden können. Lafontaine sehr genau gehört und ich hätte mich nicht mit einem Beitrag zu Wort gemeldet, wenn ich nicht der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Meinung wäre, dass hier gegenüber der deutschen Be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) völkerung der Eindruck erweckt werden sollte, dass der Ich füge hinzu: Auch dort sind unser Militär und unser Terrorismus nicht die Ursachen hat, die wir landläufig militärischer Beitrag nur der kleinere Teil. Auch dort öffentlich diskutieren, sondern dass diese eher in 4524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) unseren Entscheidungen liegen. Das muss ich mit aller die deutsche Botschaft ist, dann will jedenfalls ich gerne (C) Schärfe zurückweisen. dafür arbeiten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Dehm, einen allerletzten Satz zu diesem Punkt. Vielleicht gebe ich mir zu viel Mühe; aber lassen Sie Ganz in diesem Sinne verstehe ich unseren Beitrag, mich noch sagen, dass ich es am Ende auch zynisch den wir in den letzten drei bis dreieinhalb Jahren im finde, dass Sie sagen, der internationale Beitrag zur Sta- Konflikt um das iranische Atomprogramm geleistet bilisierung könne und dürfe nicht kommen – jedenfalls haben. Sie wissen: Ich stehe für die Bemühungen und nicht mithilfe des Einsatzes deutscher Soldaten –, ob- auch für die Fortsetzung der Bemühungen um eine di- wohl Sie wissen, dass der Waffenstillstand und das Ende plomatische Lösung. Wir sind uns im Kreise der Sechs der Kampfhandlungen nur durch eine Resolution er- einig, dass es nicht hingenommen werden kann, dass reichbar waren, mit der sich die internationale Staaten- sich mit dem Iran im Mittleren Osten ein Staat atomar gemeinschaft zur Hilfe verpflichtet hat. Sie wissen sehr bewaffnet, was zumindest in der ganzen Region ein ato- genau: Wenn wir nicht so entschieden hätten, dann wäre mares Aufrüsten zur Folge haben könnte. Deshalb das Kämpfen weitergegangen und weitere Menschen freuen wir uns, dass vom Iran Verhandlungsbereitschaft wären gestorben. Deshalb kann ich das so nicht ertragen. signalisiert wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Wir brauchen aber belastbare Signale. Belastbare BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Signale heißt, dass entsprechend der Bitte des Sicher- heitsrates verhandelt wird. Das bedeutet aber auch: Bei der FDP – das habe ich verstanden – ist das keine Wenn wir am Verhandlungstisch sitzen, können nicht prinzipielle Haltung gegen Auslandseinsätze; ich täglich neue Fakten in Gestalt neuer Zentrifugen ge- glaube, so habe ich das richtig gezeichnet. Aber auch da schaffen werden. Diese Voraussetzungen müssen erfüllt habe ich den Hinweis auf Umfragewerte und öffentliche werden. Dazu muss die iranische Regierung ein Wort sa- Akzeptanz zu kritisieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, je- gen. Ich hoffe, dass dies in diesen Tagen im Gespräch denfalls nicht die Aufgabe einer Regierung, auf Umfra- des iranischen Verhandlungsführers mit Solana ge- gewerte zu schauen und danach zu entscheiden, ob wir schieht. einen Auslandseinsatz billigen oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie CDU/CSU) (B) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (D) GRÜNEN) Ich möchte in aller Kürze noch zwei weitere Themen ansprechen. Wie Sie wissen, haben wir die Chance und Erst recht unverständlich finde ich das, was ich in den die Verpflichtung zugleich, im nächsten Jahr sowohl die letzten Tagen in der Presse gelesen habe, nämlich dass EU-Ratspräsidentschaft wie auch die G-8-Präsident- uns angeblich das Gesamtkonzept fehlt. Das ist ein billi- schaft auszuüben. Ich freue mich darüber, dass wir diese ges Argument. Die Wahrheit ist konkret: Den Schutz Chance haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt ange- brauchen die Menschen jetzt, nicht dann, wenn die FDP langt, an dem wir in allen Details über die Agenda dieser zu diesem Thema irgendwann ihre Weltformel gefunden beiden Präsidentschaften reden sollten. Das werden wir hat. an anderer Stelle ausführlich tun. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Es geht um Folgendes: Wir müssen während der EU- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ratspräsidentschaft versuchen, das sicherlich deutlich GRÜNEN) gesunkene Vertrauen der Menschen in Europa zurückzu- gewinnen. Die Menschen wissen im Augenblick nicht Verzeihen Sie mir in diesem Punkt die Emotionen. mehr so richtig, ob und zu welchem Vorteil die Europäi- Aber ich finde schon, dass wir hier miteinander Klartext sche Union für sie tätig ist. Viele empfinden Europa als reden müssen. Unsere Außenpolitik ist in sich konsis- zu bürokratisch. Manche sagen: Europäische Entschei- tent. Niemals ist ein Kontingent deutscher Soldaten in dungen haben mit meinem Alltag nichts zu tun. – Das eine Region mit dem Auftrag geschickt worden, dort letzte Argument scheint insbesondere mit Blick auf die Land zu zerstören oder den deutschen Machteinfluss zu mangelnde soziale Sensibilität der entscheidende Grund vergrößern. Das war nie das Ziel deutscher Einsätze. dafür gewesen zu sein, weshalb die Abstimmungen in Diese Regierung und auch die Vorgängerregierungen ha- Frankreich und in den Niederlanden so ausgegangen ben mit ihren Entscheidungen immer versucht, entweder sind, wie sie ausgegangen sind. Friedensverträge zu überwachen, für die Menschen Sta- bilität zu schaffen oder Vertreibung und Massenmord zu Man kann das im Augenblick nicht durch Befehl ver- beenden. Das ist die Verantwortung deutscher Politik. ändern; das wissen Sie. Deshalb kann ich Ihnen natürlich jetzt nicht sagen, wann die Verfassung, die wir nach mei- Das ist vielleicht auch das, was Europa als Botschaft ner Überzeugung so dringend wie nie zuvor brauchen, in in die Welt aussenden kann: Wir in Europa haben ge- Kraft treten wird. lernt, auch über tiefe Gräben, über Mauern und auch über Trümmerberge hinweg zusammenzufinden und zu- Aber ich glaube, dass wir von heute an die Zeit nutzen sammenzuwachsen. Wenn das die europäische und auch können, um auf der einen Seite die Sorgen und Ängste Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4525

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) der Menschen, die sie im Umgang mit Europa haben, dazu führt, dass der Krisenstab häufiger – aus meiner (C) ernst zu nehmen und auf der anderen Seite mit ihnen zu Sicht in diesem Jahr dreimal zu oft – einberufen werden diskutieren, um dann im ersten Halbjahr 2007 ein hof- muss. fentlich substanzreiches Gespräch mit den neuen Mit- gliedstaaten, die dann noch nicht den Verfassungsver- Sie haben vielleicht auch gesehen, dass es in einer ad- trag ratifiziert haben, zu führen, um das, was nach hoc-Situation mit einer Kraftanstrengung möglich war, meiner Auffassung notwendig ist – die politische Sub- innerhalb von wenigen Tagen 6 000 Deutsche über Bei- stanz des Verfassungsvertrags –, zu erhalten. Aber das rut, Damaskus und Zypern aus dem Libanon – insbe- wird nicht allein auf deutschen Schultern ruhen können. sondere aus dem südlichen Libanon – herauszuholen. Das wird nur dann möglich sein, wenn alle in Europa (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP mitmachen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sage das deshalb, um es mit einem Dank an dieje- Abschließend möchte ich noch einen Punkt anspre- nigen zu verbinden, die dafür Sorge getragen haben. Ich chen. Ich weiß, dass die Generaldebatte in erster Linie möchte aber auch deutlich machen, dass sich auf Dauer dafür vorgesehen ist, einige Grundlinien der jeweiligen solche Situationen nicht mit der gegenwärtig vorhande- Politikbereiche zu zeichnen. Das habe ich zwar getan, nen Ausstattung bewältigen lassen. Mit Hinweis darauf, aber etwas abweichend von den Usancen. dass wir seit 1990 circa 25 Auslandsvertretungen mehr und 10 Prozent Beschäftigte weniger haben, sollten wir Auch wenn ich weiß, dass das eigentliche Gerangel – jedenfalls für die Zukunft; ich weiß, dass das nicht in um Haushaltspositionen erst im Haushaltsausschuss einem Haushaltsverfahren erreicht werden kann – in ein stattfindet, möchte ich einige Bemerkungen vorwegschi- mehrjähriges offenes und etwas fruchtbareres Gespräch cken. Auch mit Blick auf das, was ich zu Beginn meiner über die Ausstattung des auswärtigen Dienstes eintre- Rede ausgeführt habe, auf die wachsende Zahl der Kri- ten. senherde und das damit einhergehende verstärkte Enga- gement des auswärtigen Dienstes, müssen wir, glaube (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie ich, noch einmal neu darüber nachdenken, ob wir auf bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- solche Situationen bestmöglich eingestellt sind. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn das, was ich am Anfang festgestellt habe, Sie wissen, dass es keine Macke von mir ist, wenn ich stimmt – dass Außenpolitik mehr und mehr Weltinnen- am Ende meiner Rede auf die auswärtige Kultur- und politik geworden ist –, dann ist es ebenso logisch, dass Bildungspolitik hinweise. wir jenseits von militärischen Beiträgen ein immer brei- (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) teres und umfassenderes Herangehen an solche Situatio- nen brauchen und dass wir uns verständlicherweise nicht Dieses Thema ist in den Debatten vielleicht nicht in aus- auf die jeweiligen Versuche werden beschränken kön- reichendem Maße vorgekommen. Ich jedenfalls halte die nen, nur aktuelle Krisen zu bewältigen. Deshalb – darin auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für eines der sind wir uns im Kabinett einig – werden wir uns mehr wertvollsten Instrumente, die wir haben. und mehr auch mit präventiver Diplomatie in die Re- gionen begeben müssen, um das Entstehen von Span- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nungen möglichst ganz außen vor zu lassen FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Ausland erfolgt der erste Kontakt mit Deutschland über die deutsche Kultur, weil die Menschen entweder bzw. soweit unter Kontrolle zu halten, dass sich keine die deutsche Sprache erlernen wollen, in eine deutsche Krisensituationen wie jetzt daraus entwickeln können. Schule gehen oder ein Stipendium vom DAAD oder der Sie wissen, dass über die Konfliktherde, die wir jetzt Alexander-von-Humboldt-Stiftung haben. 50 Prozent berührt haben, hinaus die Aufgaben des auswärtigen derjenigen, die im Ausland eine deutsche Schule besu- Dienstes immens gewachsen sind. Ich freue mich da- chen, studieren später in Deutschland, gehen anschlie- rüber, dass die Botschaften bzw. der auswärtige Dienst ßend in ihre Heimatländer zurück und gehören dort nach draußen in der Welt mehr und mehr als Türöffner für die einigen Jahren entweder zur wirtschaftlichen oder zur Interessen der Wirtschaft genutzt werden. Ich freue mich politischen Elite. Deshalb sage ich: Lasst uns das nicht auch darüber, dass der auswärtige Dienst zur Erarbeitung kurzfristig betrachten! Hier lohnen sich Investitionen. von Konzepten etwa zur langfristigen Rohstoff- und Anders gesagt: Mittel für Straßen und Schienen sowie Energiesicherung in Europa herangezogen wird. Ich für Forschung und Bildung sind sicherlich Investitionen freue mich auch darüber, dass die Mobilität der Men- in die Zukunft Deutschlands. Aber eine gute und gut schen in Deutschland immer mehr zunimmt. Aber das ausgestattete Außenpolitik ist ebenfalls eine Zukunftsin- berührt uns, den auswärtigen Dienst, in doppelter Hin- vestition. sicht. Je mehr Menschen unterwegs sind, umso stärker Vielen Dank. werden auch die Visa- und Konsularstellen genutzt, je- denfalls dann, wenn Notfälle auftreten. Sie haben gerade (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie am Beginn dieses Jahres gesehen, dass die Mobilität ver- der Abg. [BÜNDNIS 90/DIE bunden mit den vielen Konfliktlagen letztendlich auch GRÜNEN]) 4526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mension als Allerletztes zu denken und im konkreten (C) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, Fall eine militärische Beteiligung sein zu lassen. FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der LINKEN) Ich gehe jetzt gar nicht auf die Fragen ein, die verteidi- Dr. Werner Hoyer (FDP): gungspolitischer Natur sind. Das kommt nachher. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Auseinandersetzung um Briefe, die gegenwärtig Die Außenpolitik hat einen solchen breiten Raum in der irgendwo in der Welt kursieren, zeigt doch, dass sehr Debatte über den Kanzlerinetat eingenommen, dass man leicht Situationen denkbar sind, in denen zweierlei pas- die vorbereiteten Manuskripte getrost vergessen kann sieren kann: Entweder steht ein deutscher Soldat tatsäch- und sich lieber auf ein paar andere wichtige Punkte kon- lich einmal einem israelischen Soldaten mit der Waffe in zentrieren sollte. der Hand gegenüber bzw. es steht ein deutsches Schiff (Jörg Tauss [SPD]: Ein paar Korrekturen wä- einem israelischen U-Boot gegenüber oder wir werden ren nicht schlecht!) zur Ersatzzielscheibe für Heißsporne unter arabischen oder islamistischen Gewalttätern, die uns letztlich doch Der geplante Libanoneinsatz spielt in der heutigen als Partei wahrnehmen. Ersatzzielscheibe zu sein, ist et- Debatte eine große Rolle. Ich war in der letzten Woche was, was ich den Soldaten der Bundeswehr nicht zumu- von der Art und Weise beeindruckt, wie die Positionen ten möchte. Lassen Sie uns also differenziert argumen- dazu bei uns intern aufeinander getroffen sind. Es sind tieren. Ich stelle fest, dass diese Diskussion in allen drei Argumentationslinien. Je mehr ich mich umhöre, Parteien stattfindet. Deswegen sollte man nicht die große desto mehr finde ich diese Linien zumindest in den klas- Keule schwingen. sischen Fraktionen wieder. Die Vertreter der ersten Ar- gumentationslinie sagen, dass mit der deutschen Einheit, (Beifall bei der FDP) dem Erreichen dieses großen Ziels, eine sehr große Ver- Die FDP hat im Übrigen eine Vergangenheit, was die antwortung verbunden ist. Angesichts dessen und vor Auslandseinsätze der Bundeswehr angeht. Den meisten dem Hintergrund unserer Geschichte tragen wir Verant- haben wir zugestimmt. Wir haben bei einigen mit Nein wortung für die Stabilität im Nahen Osten und müssen gestimmt, insbesondere beim Kongoeinsatz. Da hat sich die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen ver- übrigens an unseren Bedenken nichts geändert. Es gab bessern und ihnen eine Perspektive geben. Des Weiteren auch Einsätze, zum Beispiel die Entsendung der ISAF haben wir eine große Verantwortung im Hinblick auf das nach Kabul, denen wir zugestimmt haben, wo wir aber (B) Existenzrecht Israels als jüdischen Staat in sicheren gleichzeitig argumentiert haben, warum wir die Auswei- (D) Grenzen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Palästi- tung des Einsatzes nach Kunduz für sehr bedenklich hal- nenser. Das ist sicherlich richtig. ten, nämlich weil man nicht die Quadratur des Kreises Die Vertreter der zweiten Argumentationslinie sagen: zuwege bringen kann. Über Jahre hinweg sind die War- Gerade wegen unserer geschichtlichen Verstrickungen lords und Drogenbarone in eine außerordentlich günstige kommt ein solcher Einsatz gar nicht infrage; denn wenn Position gebracht worden – es geht hier nicht in erster der Konflikt eskaliert und es ernst wird, dann ergreifen Linie um die Drogenanbauer, sondern um die Drogen- wir selbstverständlich Partei und werden uns erst recht händler –, nicht an einer Mission beteiligen, die Neutralität erfor- (Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE dert. Ich finde, das ist eine respektable Position. Diese LINKE]) darf man nicht als Fundamentalverweigerung abtun, erst recht nicht bei denjenigen, die zuvor bei anderen Aus- sodass diese mittlerweile 85 Prozent des Sozialprodukts landseinsätzen deutlich gemacht haben, dass sie keine in Afghanistan erwirtschaften, sie ihr Geld international Hemmungen haben, zuzustimmen, wenn es denn klug und national anlegen und entsprechend ihre Machtposi- erscheint. tionen verfestigen. Man findet diese Damen und Herren – ich weiß, wie sehr Sie das in Ihren Gesprächen mit Ih- Die Vertreter der dritten Argumentationslinie, zu de- ren afghanischen Kollegen kritisieren – in den Kabinet- nen ich mich bekenne, sagen: Ich schließe spätestens ten und den Verwaltungsstrukturen dieses Landes. Des- nach der Argumentation, die uns eine aktive Beteiligung wegen muss es legitim sein, die Frage zu stellen, ob das auf dem Balkan gebracht hat, eine aktive Mitwirkung an wirklich in die richtige Richtung läuft. Ich betone dabei: der Problemlösung im Nahen Osten gar nicht aus. Für Keiner von uns unterschätzt oder verleugnet gar die rie- mich ist es dann aber eine Frage der politischen Klug- sige Leistung, die Bundeswehr, Entwicklungshelfer und heit, mit welchen Instrumenten deutscher Außenpolitik viele andere in Afghanistan erbracht haben. man sich engagiert. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Irgendwann aber kommt einmal der Punkt, an dem Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass Deutschland eine Statusabfrage fällig ist: Wo stehen wir denn? Seien gut beraten ist – gerade weil sich die Bundeskanzlerin wir ehrlich, meine Damen und Herren: Auf internationa- und der Bundesaußenminister heute dankenswerterweise ler Ebene – übrigens ganz besonders stark in den Verei- wieder sehr stark dem politischen Prozess, um den es nigten Staaten, die uns, zumindest was ihre Think Tanks dort geht, zugewendet haben –, an die militärische Di- und ihre Zeitungen angeht, in der kritischen Analyse der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4527

Dr. Werner Hoyer (A) Lage manchmal weit voraus sind – gibt es längst eine Wenn das so ist, führt es dazu, dass der Stopp von Proli- (C) Diskussion darüber, ob wir uns nicht möglicherweise auf feration wirklich ein Ende hat und dass demnächst eine einer schiefen Ebene befinden und ob wir in der Be- Vielzahl von weiteren Atommächten am Horizont er- kämpfung des internationalen Terrorismus nicht biswei- scheint. len mit den falschen Mitteln arbeiten. Möglicherweise Deutschland hat auch hier eine besondere Rolle zu verprellen wir geradezu diejenigen, die in den verschie- spielen. Wir haben frühzeitig und endgültig unseren Ver- denen Ländern und Organisationen gutwillig sind oder zicht auf Atomwaffen erklärt und dabei bleibt es. Des- wären und die wir dringend brauchen, um zum Beispiel wegen können wir anderen gegenüber argumentieren, einen Friedensprozess im Nahen Osten herbeizuführen, dass es eine gute Zukunft ohne Atomwaffen geben kann. wenn wir so vorgehen, wie manche vorgehen. Es steht mir nicht an, ein Land, das um sein Überleben kämpft (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und gegenüber dem wir eine ganz besondere Verantwor- der SPD und der LINKEN) tung haben, hier billig zu kritisieren. Aber es macht mir ganz einfach Sorge, dass unsere israelischen Freunde Ich frage: Wo gibt es eine Initiative auf diesem Gebiet, kaum mehr jemanden in der Region haben, mit dem sie damit die Abrüstungspolitik endlich wieder in Gang einen vertrauensvollen Dialog führen könnten. Das war kommt? vor kurzem noch anders. Ich mahne, bezüglich noch manch anderer Frage eine Bestandsaufnahme zu machen. Wir sollten uns kritisch Deswegen begrüße ich es, dass wir den politischen fragen: Sind wir auf dem richtigen Wege oder sollten wir Prozess in den Vordergrund rücken. Ich glaube, Deutsch- Kurskorrekturen vornehmen? Die Situation in Polen land wird dort eine sehr wesentliche Rolle spielen. Es macht mir außerordentliche Sorge. Polen ist für uns ein gibt unter den größeren europäischen Partnern sehr we- ganz besonders wichtiger Partner. Die gegenwärtig herr- nige, die für sich in Anspruch nehmen können, in Israel schende Sprachlosigkeit muss überwunden werden. über jeden Zweifel erhaben zu sein und zugleich ein gro- ßes Vertrauenskapital in der arabischen Welt zu besitzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das Kapital muss Deutschland nutzen. Ich glaube, die der CDU/CSU und der SPD) militärische Beteiligung kann da eher kontraproduktiv Das ist teilweise eine Generationenfrage, aber teilweise sein. geht es auch weit darüber hinaus. (Beifall bei der FDP) Die Bedeutung des Verhältnisses zu Russland wird von uns überhaupt nicht unterschätzt. Ich begrüße, dass Wenn ich hier anreiße, ob beispielsweise in Afgha- Deutschland im Hinblick auf die Präsidentschaft dort ei- nistan manches schief läuft, dann meine ich damit nie- (B) niges vorbereitet. Aber eine werteorientierte Außenpoli- (D) mals – das läge meinem Denken völlig fern – unilaterale tik muss ihre strategischen Partnerschaften natürlich deutsche Entscheidungen bzw. die Entscheidung, die auch über einen Gleichklang bei Werten definieren. Ich Bundeswehr zurückzuziehen. Darum kann es nicht ge- hoffe, dass es gelingt, auch das deutlich zu machen. hen. Ich sage aber gerade als Internationalist: Es geht mir bisweilen auf den Keks – ich bin dankbar, dass Sie von Schönreden gesprochen haben –, dass wir uns bei Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den NATO-Treffen erst einmal versichern, wie toll und Herr Kollege! wichtig unser gemeinsames Engagement in Afghanistan ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die NATO zu Dr. Werner Hoyer (FDP): Beginn der Periode nach dem 11. September 2001, als Demokratieexport durch Wahlen und Marktwirt- der Bündnisfall festgestellt worden ist, unheimlich wich- schaftexport durch einen freien Markt ohne eine funktio- tig für Afghanistan war, obwohl sie hinterher als Institu- nierende Rechtsordnung können auf die Dauer nicht tion nicht mehr genutzt worden ist. Heute scheint Afgha- funktionieren. Deswegen ist es wichtig, dass man sich nistan für die NATO unheimlich wichtig zu sein. Die über grundlegende Werte verständigt. Raison d’Être der NATO geht aber über das, was wir in Afghanistan tun, weit, weit hinaus. Ich bin daran interes- Danke schön. siert, dass dieses Bündnis aufrechterhalten und ausge- (Beifall bei der FDP) baut wird. Das gilt erst recht, da in den Vereinigten Staa- ten ein Paradigmenwechsel stattzufinden scheint, selbst bei der Bush-Administration, die offenbar wieder mehr Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: auf Institutionen als auf Coalitions of the Willing setzen Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff, will. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss sich angesichts dessen die Frage stellen: Geht in der Abrüstungspolitik nicht etwas granatenmä- ßig schief? Kann es wirklich sein, dass unsere amerika- Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): nischen Freunde die indischen Atomwaffen aus nach- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vollziehbaren wirtschaftlichen und globalstrategischen Wir haben heute Morgen über die positiven Entwicklun- Erwägungen geradezu segnen? gen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft nach neun Monaten großer Koalition gesprochen. Ich möchte (Lothar Mark [SPD]: Ja!) mit einer kurzen Zwischenbilanz im Hinblick auf die 4528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Andreas Schockenhoff (A) Außenpolitik beginnen. Schon vor einigen Monaten hat kung, Herr Außenminister, ausdrücklich wiederholen: (C) die „FAZ“ dazu geschrieben – ich zitiere –: Die finanzielle Ausstattung unserer Außen- und Sicher- heitspolitik ist eine gute Investition für die Zukunft. Die Bilanz positiv zu nennen wäre eine Untertrei- bung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Lassen Sie mich kurz an drei Beispielen zeigen, welch deutliche Veränderung in der Substanz es gegeben Es gibt in der deutschen Außenpolitik keine Showef- hat: fekte mehr. Das mag manchem Beobachter weniger un- Erstens. Deutschland ist wieder ein geachteter und ge- terhaltsam erscheinen, aber dafür ist die deutsche Au- fragter Partner in der internationalen Politik. Das ßenpolitik wieder seriös, berechenbar, effizient und tiefe Misstrauen im Bündnis und in der EU ist überwun- deshalb auch erfolgreich geworden. den. Wir können wieder der politischen und wirtschaftli- ( [SPD]: Na, na, na! – Niels chen Bedeutung unseres Landes entsprechend Einfluss Annen [SPD]: Aber Herr Schockenhoff!) nehmen und unsere Interessen voll wahren. Wenn wir in unserer Bevölkerung eine möglichst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) große Unterstützung für die Entscheidung finden wollen, Dafür, dass dies wieder möglich ist, möchte ich der Bun- deutsche Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden, deskanzlerin, aber auch Ihnen, Herr Außenminister, ganz dann müssen wir deutlich machen, was dabei deutsche besonders danken. Interessen sind. Was also sind unsere Interessen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Erstens. Wir haben ein klares Sicherheitsinteresse, der SPD) dass die Region befriedet und stabilisiert wird. Jeder Konflikt dort hat unmittelbare Auswirkungen auf uns. Zweitens. In den transatlantischen Beziehungen Wie nahe die Bedrohung sein kann – auch dazu hat der gibt es ein neues Vertrauensverhältnis. Weil das so ist, Außenminister schon Stellung genommen –, haben als können wir im Dialog auch wieder unterschiedliche Auf- jüngstes Beispiel die Verhaftungen im Zusammenhang fassungen – selbst in sehr sensiblen Fragen – im Geiste mit den geplanten Kofferbombenattentaten gezeigt. der Freundschaft und Partnerschaft austragen, so wie es die Bundeskanzlerin zum Beispiel im Hinblick auf die Zweitens. Wir haben ein klares Interesse an der Situation in Guantanamo öffentlich getan hat. Das war Sicherung des Existenzrechts Israels. Ich möchte in Er- unter einem grünen Außenminister trotz aller Menschen- innerung rufen, was wir im Bundestag am 12. Mai letz- (B) rechtsbekenntnisse eben nicht möglich. So sehr war das ten Jahres mit großer Mehrheit beschlossen haben – ich (D) Vertrauensverhältnis zerrüttet, dass jede – auch berech- zitiere –: tigte – Kritik gleich als Antiamerikanismus verstanden worden wäre. Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut, dass das Recht der Bürger Israels, in sicheren Grenzen frei (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: von Angst, Terror und Gewalt leben zu können, für Immer auf die Grünen! Was anderes habt ihr uns einen elementaren Bestandteil der Solidarität nicht drauf!) und Freundschaft darstellt. Weil dieses Vertrauensverhältnis wieder da ist, ist es Es war richtig und gut, finde ich, dass wir das damals der Bundesregierung gelungen, die USA in der Iranfrage fast einstimmig beschlossen haben. Jetzt geht es darum, wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Wie wert- zu zeigen, dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, son- voll es ist, die großen Sechs, anders als im Irakkrieg, zu- dern dass wir auch einen konkreten Beitrag leisten. Mit sammenzuhalten und eine Spaltung des Sicherheitsrats besonderem Blick auf unsere historische Situation ist der zu vermeiden, zeigt sich gerade in diesen Tagen, in de- militärische Beitrag zur Überwachung der libanesischen nen es darum geht, dem Iran auch weiterhin geschlossen Küste angemessen, damit nicht wieder auf dem Seeweg gegenüberzutreten. Waffen, Raketen oder anderes militärische Gerät an die Hisbollah geliefert wird. Drittens. Da wir heute über den Haushalt 2007 spre- chen, möchte ich feststellen: Es ist gut, dass diese Bun- Herr Westerwelle hat die ablehnende Haltung seiner desregierung endlich den dramatischen Personalabbau Fraktion geradezu als Staatsräson bezeichnet. Liebe Kol- im Auswärtigen Amt stoppt und umkehrt. 683 Stellen leginnen und Kollegen von der FDP, das Mandat zu sind in den letzten Jahren abgebaut worden mit der Folge ISAF haben Sie 2001 und 2002 mit beschlossen. Sie ha- – Herr Steinmeier, Sie haben zu Recht darauf hingewie- ben es 2003 und 2004 abgelehnt. 2005 haben Sie dann sen –, dass die Lücke zwischen dynamisch wachsenden wieder zugestimmt. Aufgaben und personeller Leistungsfähigkeit immer größer wird. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter des Au- (Zuruf des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) ßenministeriums unzumutbar; es schadet auch der Wah- rung und Durchsetzung deutscher Interessen. Die Operation Enduring Freedom, verehrter Herr Kol- lege Hoyer, haben Sie 2001 abgelehnt. 2002 haben Sie Wir wissen, dass wir das angesichts der Haushaltslage zugestimmt. 2003 haben Sie erneut abgelehnt und 2004 nur sehr mühsam korrigieren können. Gleichwohl müs- wieder zugestimmt. So viel zur Berechenbarkeit der Li- sen wir uns daranmachen. Ich will Ihre Schlussbemer- beralen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4529

Dr. Andreas Schockenhoff (A) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Fängen des Islamismus. Das zeigt die ganze Größe (C) NEN]: Das nennt man beim Doppelkopf der Herausforderung. „genschern“!) Oberstes Ziel über die Befriedung der Situation im Im Übrigen: Herr Hoyer, Sie haben das wiederholt, südlichen Libanon hinaus muss es sein, den Einfluss der was auch der Kollege Westerwelle heute Morgen ge- Hisbollah in der libanesischen Gesellschaft deutlich zu macht hat. Wenn Sie Ihre ablehnende Haltung damit be- begrenzen. Ein weiterer Anstieg des Ansehens dieser gründen, bei dem vorgesehenen deutschen Beitrag könne vom Iran protegierten und gesteuerten Terrororganisa- es zu einem Feuergefecht zwischen deutschen und israe- tion liegt nicht im Interesse des libanesischen Staates lischen Soldaten kommen, dann müssen Sie schon ein- und erst recht nicht in unserem Interesse. mal ganz konkret erklären, wie Sie das meinen und wie Sie sich das vorstellen. Das haben Sie bisher nicht getan. Deshalb muss alles getan werden, um die staatliche Wenn Sie das nicht können, Herr Kollege Hoyer, dann Autorität der libanesischen Regierung zu stärken. Es sind abstrakte Spekulationen über eine militärische Aus- geht dabei zum Ersten darum, über die jetzt angelaufene einandersetzung zwischen Deutschland und Israel si- schnelle Hilfe zur Überwindung der Kriegszerstörungen cherlich kein Beitrag, in Israel das Vertrauen zu erzeu- hinaus die libanesische Regierung dabei zu unterstützen, gen, von dem Sie zu Recht gesprochen haben. eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu schaffen. Das betrifft beispielsweise (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Werner Hoyer den Ausbau und die Modernisierung des Gesundheits-, [FDP]: Geben Sie mir eine Minute von Ihrer Schul- und Bildungswesens, der Infrastruktur oder die halben Stunde Redezeit! Dann erkläre ich Ih- Bereitstellung von Wohnungen. nen das!) Drittens liegt es eindeutig nicht in unserem Interesse Zum Zweiten geht es darum, die staatlichen Struktu- und auch nicht im Interesse der meisten Staaten der Re- ren deutlich zu stärken, also dabei mitzuhelfen, Polizei gion, dass der iranische Präsident in der arabischen und Militär durch Training und Ausrüstungshilfe mög- Welt an Popularität gewinnt, weil er dort als ein Führer lichst schnell durchsetzungsfähig zu machen und die erscheint, der dem Westen die Stirn bietet. Es ist unser Rechtsstaatlichkeit zu verbessern. Interesse, dass durch bessere Regierungsführung und Zum Dritten geht es darum, diejenigen Kräfte im Li- stabile Institutionen eine Grundlage geschaffen wird, auf banon zu unterstützen und wieder zu stärken, die sich für der Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Men- Demokratie und Eigenständigkeit einsetzen, die aber schenrechte und Wohlstand entstehen und wachsen kön- durch den Krieg in eine schwierige Lage gekommen nen. Dies mit einem differenzierten und sensiblen An- sind. (B) satz zu fördern, ist ein mühsamer Prozess, der langen (D) Atem braucht. Aber er ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, Dies auch mit der langfristigen Unterstützung durch mit Sicherheit erfolgversprechender als lautstarke Rufe die EU zu erreichen, ist kein utopisches Ziel, sondern nach schnellen Wahlen oder der Versuch, unliebsame eine realisierbare Möglichkeit. Wenn es gelingt, die Au- Regierungen zu destabilisieren und zu schwächen. torität des libanesischen Staates deutlich zu stärken, dann besteht auch die Chance, die Hisbollah durch eine Viertens haben wir ein vitales Interesse daran, staat- Intensivierung des nationalen Dialogs zu einem dauer- liche Strukturen zu stärken. Denn wenn die Menschen haften Gewaltverzicht zu bewegen und sie, zumindest die Erfahrung machen, dass der Staat ihnen Sicherheit, teilweise, in die regulären Streitkräfte zu integrieren. Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit bietet, werden sie sich auch an staatlicher Politik und nicht an konfessionellen Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Stabili- Organisationen wie Hisbollah, Hamas oder Muslimbrü- sierung des Libanon wird nur zu erreichen sein, wenn es dern orientieren. Zum anderen ist mit schwachen Staaten parallel dazu zu einer Wiederbelebung des regionalen keine verlässliche wirtschaftliche oder politische Part- Friedensprozesses kommt. Wichtige Voraussetzungen nerschaft möglich; noch weniger lassen sich mit ihnen dafür sind eine umgehende Freilassung des in Gaza regionale Sicherheitsstrukturen aufbauen. entführten israelischen Soldaten und ein Ende des Rake- Fünftens haben wir ein Sicherheitsinteresse an einer tenbeschusses von Israel. Unverzichtbar sind das Be- Regelung des Nahostkonfliktes. Die Wiederbelebung kenntnis aller palästinensischen Gruppierung zum Ge- des Nahostfriedensprozesses steht in unmittelbarer waltverzicht, die Anerkennung des Existenzrechts Wechselwirkung mit der Befriedung im südlichen Liba- Israels und die Unterstützung des Friedensprozesses. non und damit auch mit der Unterbindung der Waffenlie- Die jetzt in Stockholm beschlossene Hilfe ist ein ferungen an die Hisbollah. wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung: Sechstens haben wir aufgrund des Engagements vie- Wir wollen sie nicht nur humanitär und wirtschaftlich, ler deutscher Unternehmen ein berechtigtes wirtschaft- sondern auch beim Aufbau staatlicher Strukturen unter- liches Interesse an der Befriedung der Region. stützen. Es soll nicht bei dieser Stockholmer Aktion blei- ben. Auch deshalb wäre die Bildung einer Regierung der Was ist zu tun? Die Resolution 1701 nennt indirekt nationalen Einheit wichtig. die Voraussetzungen für einen stabilen Frieden und da- mit die Ziele im Libanon: einen Libanon ohne die waf- Doch auch Israel muss sein Beitrag leisten, beispiels- fenstrotzende Hisbollah, einen Libanon außerhalb des weise durch den Abzug seiner Militärkräfte aus dem Ga- Einflusses Syriens oder Irans, einen Libanon befreit aus zastreifen, durch die Freilassung der im Zuge der Krise 4530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Andreas Schockenhoff (A) inhaftierten Hamasparlamentarier, sofern gegen diese will der Iran mit angereichertem Uran anfangen, außer er (C) nichts vorliegt, plant den Bau der Atombombe? Wer wie der iranische Präsident zur Auslöschung Israels aufruft und seine (Beifall der Abg. Monika Knoche [DIE aggressiven Absichten bereits unter Beweis gestellt hat, LINKE]) indem er die Hisbollah losschickte, um Terror gegen und durch die Umsetzung des Abkommens über Bewe- Israel auszuüben, dem muss man auch unterstellen, dass gung und Zugang, um in den palästinensischen Gebieten er sich dafür die notwendigen Mittel, nämlich Atomwaf- die Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und fen, beschaffen will. Dazu aber darf es nicht kommen. ein annähernd normales Leben zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der SPD) neten der SPD und der LINKEN) Unser Ziel muss bleiben, dass der Iran die Urananreiche- Nicht nur um den Waffenschmuggel über die syrisch- rung nachprüfbar stoppt. libanesische Grenze zu unterbinden, ist es notwendig, Deshalb ist es wichtig, dass die Sechs geschlossen Syrien in die Stabilisierungsbemühungen mit einzube- bleiben, um mit diplomatischem Druck auf den Iran ein- ziehen. zuwirken. Dafür sehe ich nach wie vor gute Chancen, so- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wohl mit Blick auf die USA wie auch mit Blick auf Russland. Auch die Russen wollen keine Mullahs mit Im Gegensatz zum Iran ruft Syrien nicht zur Zerstörung Atomwaffen in ihrer Nachbarschaft – das ist das ent- Israels auf. Wiederholt haben sich die Syrer für eine scheidende gemeinsame Interesse –, und auch die Rus- Rückkehr an den Verhandlungstisch ausgesprochen. Es sen wollen sich in ihrer Autorität als ständiges Mitglied ist zu hoffen, dass die Syrer über die Unterbindung ille- des Sicherheitsrates nicht als Papiertiger düpieren las- galer Waffenlieferungen hinaus einen überzeugenden sen. Das sollte der Iran nicht übersehen. Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Wenn dies der Fall ist, sollte das Assoziierungsabkommen mit der Die Tür zu Verhandlungen steht noch offen, selbst EU, das ein wichtiger Anreiz zur ökonomischen Stabili- wenn im Sicherheitsrat begonnen wird, über Sanktionen sierung des Landes ist, in Kraft gesetzt werden. zu reden. Aber – auch hier will ich dem Außenminister nachdrücklich zustimmen – wir brauchen belastbare Zusammengefasst heißt das: Signale des Entgegenkommens. Erstens. Für die Befriedung der Region gibt es die Li- Meine Damen und Herren, wie mein Vorredner will banonresolution 1701 und die Roadmap. Diese müssen auch ich zum Abschluss ein Wort zu unserem Nachbarn (B) in vollem Umfang angewendet werden. Nur dann wird Polen sagen. Es gab in der letzten Zeit an verantwortli- (D) auch Vertrauen zwischen den Konfliktparteien entstehen cher Stelle in Polen Äußerungen zu Deutschland, die der können. tatsächlichen Situation in unserem Land nicht gerecht Zweitens. Für die Existenz Israels ist es wichtig, bere- werden. Bei aller Sorge über solche Äußerungen war es chenbare Partner auf der anderen Seite zu haben. Des- dennoch klug, darauf nicht öffentlich zu reagieren; denn halb liegt es im Interesse Israels, dass die Regierung niemand hier hat ein Interesse an einer Eskalation und an Siniora stabil bleibt. einer Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Es gibt zu viele Herausforderungen, bei denen wir Euro- Drittens. Solange es in der Region keine Akzeptanz päer Geschlossenheit und gegenseitiges Vertrauen brau- Israels gibt, wird es auch keine Befriedung geben. Das chen, als dass wir uns einen unnötigen Streit leisten Ziel bleibt die Existenz zweier souveräner, lebensfähiger könnten. Wenn aber dem Bundespräsidenten vorge- und demokratischer Staaten Israel und Palästina, verbun- schrieben wird, wo er auftreten darf und wo nicht, dann den in gemeinsamer Sicherheit und garantiert durch die ist das für uns inakzeptabel und bedarf der öffentlichen internationale Gemeinschaft. Kommentierung. Hierzu müssen und wollen wir unseren Beitrag leis- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ten. bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die NISSES 90/DIE GRÜNEN) nächsten Jahre werden nicht die Zeit großer gestalteri- Der Bundespräsident hat am Tag der Heimat eine sehr scher Visionen, sondern eine Periode harter Arbeit sein, ausgewogene Rede gehalten. Es wäre zu wünschen ge- die uns klare Zielvorstellungen, viel Geduld, ein sen- wesen, dass der polnische Ministerpräsident dazu Stel- sibles Vorgehen und diplomatisches Geschick abverlan- lung bezogen hätte. Denn der Bundespräsident hat dazu gen wird. aufgerufen, die in Polen bestehenden Sorgen ernst zu Das gilt auch für die Beziehungen zum Iran. nehmen, gerade weil wir sie für unbegründet halten. Keine ernst zu nehmende Kraft in Deutschland wolle die Es ist besorgniserregend, mit welcher Arroganz der Geschichte umschreiben, wolle Ursache und Wirkung Iran sich gegen die internationale Gemeinschaft stellt verdrehen. Wörtlich sagte der Bundespräsident, dass es und deren Besorgnisse ignoriert. Auch wenn der Iran „keinen Zweifel“ daran gebe, „dass das nationalsozialis- zum wiederholten Male gesagt hat, er wolle die Atom- tische Unrechtsregime und der von Deutschland begon- energie nur zu friedlichen Zwecken nutzen, haben wir nene Zweite Weltkrieg auslösende Ursache von Flucht überhaupt kein Vertrauen in solche Aussagen. Denn was und Vertreibung“ gewesen seien. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4531

Dr. Andreas Schockenhoff (A) Ich bin mir sicher, dass der polnische Ministerpräsi- vorbehaltlos für einen Waffenstillstand einzusetzen. Sie (C) dent an diesen Worten nichts auszusetzen hat. Umso un- haben es weder in der EU noch auf der Ebene der Ver- verständlicher ist es dann aber, dass er wortwörtlich sagt, einten Nationen getan. es bestehe „in Deutschland eine große, vom Staat unter- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) stützte Struktur, die ständig die Frage der polnischen Ge- biete anspricht, die einst zum Deutschen Reich gehört Vielmehr haben Sie sich im Schlepptau der USA und Is- haben“. Das ist falsch und kann nur zu einer Eskalation raels so lange nicht hinter die Bemühungen des General- führen, die wir vermeiden sollten. sekretärs Kofi Annan gestellt, bis klar war, dass Israel seine Kriegsziele nicht wie erwartet erreichen konnte. Ich sage noch einmal: Deutschland und Polen haben so viele gemeinsame Anliegen, die sie in der Europäi- Das ist nicht die außenpolitische Rolle, die Deutsch- schen Union durchsetzen wollen, nicht zuletzt eine neue land im Nahen Osten einnehmen muss. Gerade weil EU-Ostpolitik insbesondere gegenüber der Ukraine und Deutschland eine besondere Verantwortung für die Si- Weißrussland. Hierauf sollten wir unsere Arbeit und un- cherheit Israels und die Eigenstaatlichkeit der Palästi- sere Emotionen konzentrieren. nenser hat, darf es sich nicht zu einer einseitigen Partei- nahme hinreißen lassen. Meine Damen und Herren, die Außen- und Sicher- heitspolitik der Bundesregierung orientiert sich klug an (Beifall bei der LINKEN) deutschen Interessen. Sie kann sich dabei auf die Unter- Ich sage ganz bewusst: Ohne die faschistischen Verbre- stützung der CDU/CSU-Fraktion verlassen. chen, ohne den Holocaust gäbe es den Kernkonflikt Is- Vielen Dank. rael/Palästina nicht. Von Normalität sind wir entfernt. Sie kann uns nicht durch die Regierung Israels zugespro- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chen werden. Das liegt allein in unserer Verantwortung. neten der SPD) In der grundlegenden Frage deutschen Selbstver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ständnisses hat die Kanzlerin geschwiegen. Ich habe er- Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche, wartet, dass sie die Debatte an sich zieht. Sie ließ den Fraktion Die Linke. Außenminister und den Verteidigungsminister sprechen und beide erzeugten mehr Unklarheiten als Orientierung, (Beifall bei der LINKEN) (Widerspruch bei der SPD)

Monika Knoche (DIE LINKE): ja mehr noch: Sie widersprachen sich ständig. Über see- seitige militärische Potenz wurde schwadroniert, als sei (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten (D) Herren und Damen! Herr Steinmeier, ich darf mich an die Vor-Ort-Präsenz eine ausgemachte Sache. Das war Sie wenden. Sie haben Recht, wenn Sie heute auf den sehr daneben. Heute ist es so: Libanon legt größten Wert 11. September 2001 verweisen. Aber sind nicht fünf darauf, dass die 7-Meilen-Distanz eingehalten wird. Es Jahre nach dem Terroranschlag nahezu alle Beweise er- ist geradezu lächerlich, wenn sich auch noch Deutsch- bracht, dass der Kampf gegen den Terror nicht mit Krieg land mit seiner maritimen Präsenz in dieser Zone drän- zu gewinnen ist? geln würde. Also bitte kommen Sie etwas mehr in der Realität an! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das sieht man deutlich in Afghanistan. Über die Situa- tion dort ist zu sagen: Dies ist mit Waffen nicht zu schaf- Ein parlamentarischer Ausfall waren auch die Frak- fen. Schauen Sie sich den Irak an: Die innenpolitische tionen der großen Koalition. Beide haben es verabsäumt, Situation ist einfach grauselig. die parlamentarischen Gremien zu befassen. Wir, die Linke, haben eine Sondersitzung im Auswärtigen Aus- Ich will auf den Libanon zu sprechen kommen. Am schuss verlangt; damit kam der Prozess in Gang. Jetzt 12. Juli entführte die Hisbollah zwei israelische Solda- erkennen Sie die Qualität unseres Vorschlages für eine ten. Stunden später antwortete Israel mit Krieg. Israel KSZ im Nahen Osten. Sie nehmen ihn in Ihre Rhetorik schlug mit einer militärischen Härte zu, die erschüttert. auf und das finden wir gut. Dem müssen Taten folgen. Israels Ziel: die Hisbollah zu zerschlagen. Dieses Kriegsziel wurde verfehlt. Der Krieg währte vier Wochen, bis die UN-Resolu- tion zustande gekommen ist. Israel behält die Lufthoheit Wir hegen keinerlei Sympathie mit der Hisbollah. Die und die Seeblockade gegen Libanon bei. Allein die Waf- Heimtücke der Anschläge durch Raketen der Hisbollah, fenlieferungen an die Hisbollah unterbinden zu wollen, aber auch das Ausmaß der Kriegsführung Israels veran- nicht aber zum Beispiel die deutschen U-Boot-Lieferun- lassten uns Linke sofort zu einer zentralen Aussage: Die gen an Israel, das kann nicht angehen; das ist gefährlich. Waffen müssen schweigen; eine Konferenz für Frieden ist einzuberufen. (Beifall bei der LINKEN) Immer mehr prominente Stimmen in Israel sprechen (Beifall bei der LINKEN) von einem zweiten Waffengang. Schon allein das müsste Aber wollte die Regierung das? Ich denke, eher nein. Deutschland veranlassen, sich bei der Absicht zurückzu- Weder die Frau Bundeskanzlerin noch Sie, Herr Außen- halten, mit Soldaten in diese Region zu gehen. CDU/ minister Steinmeier, haben Ihre Ämter dazu genutzt, sich CSU, SPD und Grüne befleißigen sich aber, gerade das 4532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Monika Knoche (A) parlamentarisch herbeizuführen. Davor warnen wir. Was ben, waren nicht die USA, sondern das waren Sie. Sie (C) ist, wenn der Waffenstillstand nicht hält? Was ist, wenn haben die Weigerung der damaligen Regierung, den die USA Kriegspläne gegen den Iran hegen? – Beant- Irakkrieg zu unterstützen, als Antiamerikanismus de- worten Sie doch diese Fragen! Sie behandeln sie aber gar nunziert. Sie sind heute diejenigen, die in der Ecke ste- nicht, auch heute nicht. hen und sagen: Leider hatten diese Antiamerikaner, wie wir sie genannt haben, Recht; denn es war falsch, diesen Und was ist, wenn der Libanon eigene Vorstellungen Krieg gegen den Irak zu beginnen. – Deswegen sollten zur UN-Militärpräsenz hat? Mit dieser Selbstverständ- Sie sich gerade mit Äußerungen hinsichtlich Kontinuität lichkeit haben Sie erst gar nicht gerechnet. Aber der Li- und Diskontinuität in der Außenpolitik zurückhalten. banon muss natürlich Sorge dafür tragen, dass er seine Souveränität erhält und seine Integrität wahrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Markus Löning [FDP]: Es wäre schön, wenn der SPD) er das mal schaffen würde!) Lieber Frank Steinmeier, ich hätte mir gewünscht, die Sonst hat er keine Autorität, um gegen die Hisbollah heutige Debatte hätte den Raum dafür gelassen, die Vi- vorzugehen und sie auf friedliche Weise in die Gesell- sion zu entwickeln, die Sie angekündigt haben. Aber schaft zu integrieren. auch da stehen Sie im Widerspruch zu Herrn Wir haben also eine neue Lage. Die Eilfertigen in der Schockenhoff, der gesagt hat, jetzt sei Durchwursteln, Regierung, die sofort nach maritimer Präsenz gerufen aber keine Visionen angesagt. Sie haben eine Vision für und die gesamte Situation völlig unterkomplex behan- eine neue Ostpolitik angekündigt. Dieses Hohe Haus delt haben, haben sich meines Erachtens kräftig bla- hätte gerne einmal gehört, was sich hinter dem Begriff miert. Lassen Sie also alle Pläne fallen, deutsche Schiffe einer neuen Politik gegenüber Russland verbirgt, was da dorthin zu schicken! Machen Sie Berlin zum Austra- anders werden und was beim Alten bleiben soll. Eine gungsort für eine Konferenz für Sicherheit und Antwort darauf sind Sie uns heute, wie gesagt, schuldig Zusammenarbeit im Nahen Osten. Das ist meines geblieben. Erachtens die anspruchsvollste Aufgabe, derer sich Schuldig geblieben sind Sie uns auch die Vorstellun- Deutschland angesichts seiner Geschichte in diesem Kri- gen der Bundesregierung – das ist viel ernster – mit sengebiet annehmen kann. Stellen Sie in das Zentrum Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr dieses politisch-diplomatischen Bemühens die Kultur des nächsten Jahres. Da gibt es eine ganze Reihe von des Dialogs, die Sicherheitsinteressen Israels und das Fragen, die zu thematisieren wären. Ich erwähne nur ein Recht der Palästinenser auf einen eigenständigen lebens- Gesetzgebungsvorhaben: Wie wird sich die Bundes- (B) fähigen Staat. Denn neben den Folgeproblemen des Li- regierung in der Debatte um eine Energiestrategie und (D) banonkrieges gleicht das Leben in Gaza dem in der eine Energiesicherheitsstrategie dieses Europas posi- Apartheid. Solange hier nicht Recht und Friede einkeh- tionieren? Oder wollen Sie auch in Europa das auffüh- ren, gewinnt Israel keine Sicherheit. ren, was wir hier im Lande tagtäglich präsentiert bekom- (Beifall bei der LINKEN) men, nämlich die Inszenierung von Zerrissenheit, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der eine Minister nichts Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: anderes im Kopf hat als die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, während der andere Minister ver- Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd- sucht, eine rationale, ressourceneffiziente und an Erneu- nis 90/Die Grünen. erbarkeit orientierte Energiepolitik zu machen? Sie ha- ben auch dazu geschwiegen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Sie haben auch zu Ihren Vorstellungen geschwiegen, Frank Steinmeier, ich habe eben genau hingeschaut, als wie man die institutionelle Blockade überwinden kann. Ihr Koalitionspartner Herr Schockenhoff gesprochen hat. Das ist keine Diskussion über einen abstrakten Begriff, Sie haben dabei ungefähr so ausgesehen wie Frau die man im Seminar führen kann. Es ist eine Tatsache, Merkel heute Morgen, als Fritz Kuhn gesprochen hat: dass es ohne eine Auflösung der institutionellen Blo- leidend, ckade der Europäischen Union keine Perspektive, auch keine Friedensperspektive für den Balkan geben wird, (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil schlicht und ergreifend weitere Beitritte ausge- leidend angesichts von Formulierungen, mit denen ver- schlossen wären. Auch dazu haben Sie geschwiegen. sucht werden sollte, Sie in einen Gegensatz zu Ihrem Das finde ich fatal. Amtsvorgänger zu bringen. Ich will noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen (Lothar Mark [SPD]: Halten wir hier ein psy- kommen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wel- chologisches Seminar? – Markus Löning che wichtige Rolle Europa heute zukommt, wenn es um [FDP]: Er hat es als Kompliment verstanden!) den Umgang mit Krisen und insbesondere mit Krisen vor unserer Haustür geht. Ich nenne beispielsweise den Deswegen will ich an dieser Stelle eines ganz deutlich Konflikt zwischen Israel und Libanon. Da stellen wir sagen, lieber Herr Schockenhoff: Diejenigen, die die Au- fest: Die Europäische Union spielt zwar eine positive ßenpolitik des damaligen Bundeskanzlers Schröder und Rolle, sie ist aber in dieser Situation nicht so handlungs- von als antiamerikanisch bezeichnet ha- fähig, wie es notwendig wäre. Wir haben keinen euro- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4533

Jürgen Trittin (A) päischen Außenminister; wir haben Javier Solana und reich sein, wenn UNIFIL ein robustes Mandat erhält. (C) Frau Ferrero-Waldner. Umgekehrt ist aber auch richtig, dass dieses robuste Mandat von UNIFIL nur dann Bedeutung haben wird, Wir haben häufig eine sehr verzögerte Handlungsfä- wenn UNIFIL in den Friedensprozess eingebettet wird. higkeit. Das sage nicht ich, sondern es war der amtie- Das sind die beiden Kriterien, die unseres Erachtens zu- rende finnische Ratspräsident, der beklagte, dass es nicht grunde gelegt werden müssen. gelungen sei, Ende Juli und in den ersten Augusttagen eine gemeinsame Position des Rates für einen sofortigen Man muss sich fragen: Ist diese internationale Truppe Waffenstillstand zu verabschieden. Das zeigt, dass der geeignet, die Sicherheit Israels und die territoriale Inte- Zustand innerhalb der EU nicht überwunden worden ist, grität des Libanons wieder herzustellen? Gibt es eine der schon den G-8-Gipfel geprägt hat. Dort ist die Forde- Perspektive für eine Zweistaatenlösung, für Israel und rung der Vereinten Nationen, sofort in einen beidseitigen Palästina, für einen Ausgleich zwischen Syrien und Is- Waffenstillstand einzutreten und ihn durch eine interna- rael? Was das deutsche Engagement angeht, ist unter mi- tionale Schutztruppe abzusichern, am Widerstand der litärischen Gesichtspunkten eine Frage zentral: Ist aus- USA gescheitert. geschlossen, dass es zu Kampfhandlungen zwischen Es ist zwar schön, dass Sie am Ende eine Vereinba- deutschen und israelischen Soldaten kommt? – Das sind rung erreicht haben; da gibt es Verdienste gerade des die drei Kriterien, auf deren Grundlage meine Fraktion deutschen Außenministers. Aber angesichts dieser Zö- ihre Haltung zu diesem Mandat bestimmen wird. Jeder gerlichkeit frage ich Sie: Was wäre eigentlich anders ge- hat eine persönliche Entscheidung zu treffen. wesen, wenn man bereits am 19. Juli dazu gekommen Lieber Herr Bundesverteidigungsminister, wir lassen wäre, die Waffen zum Schweigen zu bringen und ent- uns bei dieser sachlichen Prüfung – das sage ich ganz sprechende Truppen zur Verfügung zu stellen; ohne ausdrücklich – durch Ihr, wie ich finde, an vielen Stellen diese Truppen geht es nämlich nicht? fahrlässiges und vorschnelles Gerede nicht in eine leicht- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) fertige Ablehnung treiben. – Danke, dass Sie dafür applaudieren. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) (Monika Knoche [DIE LINKE]: Das war ein Ich will mit allem Nachdruck sagen: Unsere Soldaten er- Versehen!) warten von dem Inhaber der Befehls- und Kommando- gewalt, dass er Orientierung bietet. Er sollte sie nicht – Ich glaube, dass viele von Ihnen wissen, dass ich dies- verwirren und den Eindruck erwecken, der Bendlerblock bezüglich Recht habe. sei eine Neuausgabe des „Blauen Bocks“. (B) Was wäre der Unterschied gewesen? Der Krieg hätte (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (D) weniger Menschen das Leben gekostet und es wäre we- niger zerstört worden. Alles andere war zu diesem Zeit- Zu den politischen Lösungen will ich ausdrücklich sa- punkt schon offensichtlich, vor allen Dingen die Tatsa- gen: Lieber Frank Steinmeier, wir halten den Ansatz, che, dass der Versuch, die Hisbollah militärisch zu Syrien einzubeziehen, nicht nur für dringend geboten, schlagen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, weil es sich sondern loben ihn ausdrücklich. Dieser Ansatz basiert nämlich nicht um ein rein militärisches Problem handelt. nicht auf der Vorstellung, dass man es mit einem Kampf der Guten gegen die Bösen zu tun hat. Wir müssen jetzt, Leider hat die Weigerung der G-8-Staaten, frühzeitig fünf Jahre nach dem 11. September 2001, sagen: Diese zu handeln, diesen Krieg meines Erachtens unnötig ver- Form der Bekämpfung des Terrorismus ist gescheitert. längert. Dann ist es aber gelungen, ihn zu beenden. An Im Irak ist sie leider sogar spektakulär gescheitert. dieser Stelle will ich anmerken, dass ich sehr deutlich sehe, dass sich Deutschland alle Mühe gibt, dieses Pro- Das führt mich zu einer anderen Fragestellung: Wir blem in einen politischen Prozess einzubinden. müssen einmal darüber nachdenken, wie sich die unter- schiedlichen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des Die Agenturen haben heute gemeldet, Frau Merkel Terrorismus – die eine geht von einem umfassenden Si- habe gesagt, man brauchte mehr Geld für die Bundes- cherheitsbegriff aus, die andere, die unilaterale, setzt fast wehr. Dazu sage ich mit Verlaub: Strukturiert die Bun- ausschließlich auf militärische Macht – miteinander ver- deswehr erst einmal um und modernisiert sie; haltet tragen. Stellen Sie sich einmal vor, was die Fantasien, nicht länger am Alten fest und finanziert nicht das Neue die in einigen Kreisen der Neokonservativen in den USA mit zusätzlichem Geld. An einem solchen Tag muss diskutiert werden – Raketenangriffe und Luftangriffe auf doch die Frage erlaubt sein, ob die Zusage Deutschlands, den Iran –, für die Sicherheit der 10 000 europäischen von den 730 Millionen Euro Soforthilfe für den Libanon Soldaten der UNIFIL heißen würden. Hier merkt man 22 Millionen Euro, also nicht einmal 3 Prozent, zu über- doch, dass solch ein unilaterales Vorgehen und ein multi- nehmen, der politischen Rolle Deutschlands eigentlich lateraler Friedenseinsatz Ansätze sind, die in einen angemessen ist. Ich finde, nicht. schwersten Konflikt miteinander geraten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In einem Bereich fürchten wir, dass genau dieser und bei der LINKEN) Konflikt schon eingetreten ist, nämlich in Afghanistan – Der Friedensprozess im Libanon wird meines Erach- nicht dadurch, dass wir dort Drogen bekämpfen, und tens – das unterscheidet mich von den Mitgliedern der nicht dadurch, dass Aufständische militärisch von ihren beiden anderen Oppositionsfraktionen – nur dann erfolg- Untaten abgehalten werden, sondern durch die Art und 4534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Jürgen Trittin (A) Weise, in der das in letzter Zeit geschehen ist. Man hat Nun will ich nicht übertreiben, wenn ich sage, welche (C) sich beispielsweise vor allen Dingen auf das Abbrennen Chancen in diesem Prozess deutlich werden. Aber ich von Mohnfeldern konzentriert und nicht darauf, den möchte gern Martin Indyk vom Saban Center zitieren, Mohnbauern wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkei- früher war er Botschafter der USA in Israel. Er hat ge- ten zu geben. Das hat im Ergebnis dazu geführt, dass der sagt: Jetzt ist der Moment für Europa gekommen. – Gern integrative Ansatz, den Deutschland im Norden Afgha- hoffe ich, dass das so ist oder so sein wird. Aber wenn nistan umsetzt, heute in seiner Sicherheit gefährdet ist. ich mir beispielsweise die Tageszeitung „Ha‘aretz“ von Deswegen müssen wir in der Diskussion mit unseren heute anschaue, dann sehe ich, dass es drei Artikel gibt, Verbündeten klar sagen, dass sich ein multilateraler An- die sich kritisch mit der Entwicklung des seit 33 Tagen satz einer politischen Friedensstiftung über Institutio- dauernden Krieges auseinander setzen. Ich bitte Sie, nenbildung nicht mit einem simplifizierten Modell des diese drei Artikel ganz genau zu lesen. In ihnen wird Kampfes gegen den Terrorismus ausschließlich mit mili- versucht, deutlich zu machen, dass das unilaterale Han- tärischen Mitteln verträgt. Ich glaube, das wird die He- deln falsch gewesen ist und dass es jetzt eine gute und rausforderung der nächsten Zeit sein. neue Chance gibt, ein wirkliches internationales Kon- zept zu entwickeln, um einen überschaubaren Prozess Vielen Dank. einzuleiten, der politisch dazu führt, dass das Schlüssel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN problem Israels endlich angegangen werden kann: Die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bürger Israels müssen in garantierten, international gesi- cherten und anerkannten Grenzen leben können.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Diese Chance ist jetzt gegeben, weil alle in der Re- gion – so schrecklich die 33 Tage und Nächte des Krie- Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD- ges auch waren – in den Abgrund geblickt haben. Das Fraktion. Entsetzen darüber wird in den drei Artikeln – aber nicht nur in ihnen – deutlich gemacht. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Mag sein, dass Nasrallah ein Zyniker ist. Mag sein, Frau Präsidentin! Lieber Kollege Trittin, am Anfang dass er sich in der einen oder anderen Situation sogar Ihrer Rede haben Sie den Außenminister ein wenig kriti- wie ein Terrorist verhält. siert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Im ersten Mo- ment, als der Krieg von Hisbollah auf Israel angefacht (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: worden war, hat der Außenminister, als die Reaktion aus Ach, jetzt doch?) Israel kam, sofort gehandelt. Er hat die Region besucht. Aber, lieber Kollege Gehrcke, er sagt: Unser Problem im (B) Er war in Israel und Jordanien. Er hat versucht, mit (D) Libanon ist, dass wir einen schwachen Staat haben; wir Syrien zu sprechen. Er war überall in der Region und hat lassen uns entwaffnen, wenn der libanesische Staat stark versucht, Fäden anzuknüpfen, wodurch die UN-Resolu- wird. Sind das nicht Anzeichen dafür, dass in der gesam- tion 1701 erst in Kraft gesetzt werden konnte. Wie kann ten Region ein Nachdenken eingesetzt hat? So schlimm er denn anders handeln, als zu versuchen, dagegen, dass dieser Krieg, diese 33 Tage und Nächte, auch waren, alle anderen sich unilateral verhalten, das heißt, auf ihre jetzt besteht wirklich die Chance, einen neuen Prozess eigene Kraft und Stärke setzen, ein multilaterales, einzuleiten. Die UN-Resolution 1701 kann der Anfangs- internationales Konzept zu stellen? Das hat er ge- punkt dafür sein, dass dieser neue Prozess eine stabile macht. 1701 ist nicht zuletzt deswegen zustande gekom- Grundlage findet. men, weil er so unermüdlich dafür gekämpft hat. Lieber Kollege Trittin, das ist nicht zu vergessen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich auch ge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sagt!) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke? So etwas dauert nun einmal seine Zeit. Wir haben doch gesehen, wie es in New York gelaufen ist. Jeder Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): von uns hat gesehen, wie die Schockstarre in Europa nur Bitte. Schritt für Schritt überwunden werden konnte. Ich möchte ein Land nennen, das sich mit der Konferenz in Rom zur Libanonkrise wirklich an die Spitze gestellt hat. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Italien hatte den Mut, sich als erstes Land deutlich zu Herr Kollege Weisskirchen, Ihre Feststellung, die ich positionieren und zu sagen: Wir schicken unsere Solda- sehr vernünftig finde, kann ich nur unterstreichen. Ich ten im Rahmen des UNIFIL-Mandats sogar in den Liba- frage Sie: Wenn sich selbst bei der Hisbollah der Ton än- non selbst. Ich finde, dass gerade Europa mit diesem dert, die Beurteilungen kritischer werden und man kei- Moment zeigt, dass es bereit ist, gemeinsam zu handeln. nen Siegesjubel anstimmt wie damals, als Israel aus dem Der Anfang wurde von Frank-Walter Steinmeier ge- Süden Libanons ausmarschiert ist bzw. als man Israel macht. Dafür danken wir. angeblich aus dem Süden Libanons vertrieben hat – Sie kennen diese Töne –, wäre es dann nicht vernünftig und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten angemessen, wenn auch wir unseren Ton gegenüber die- der CDU/CSU) sen politischen Kräften ändern und auf einen Dialog set- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4535

Wolfgang Gehrcke (A) zen, um diese Entwicklung zu bestärken, statt, wie in der gehen. Dieser Paradigmenwechsel hat in Kadima seine (C) Vergangenheit, nicht mit den Verantwortlichen zu reden? politische Form gefunden. Das war der Grund dafür, wa- rum Kadima so überragend gewählt worden ist. Dieser (Beifall bei der LINKEN) innere Konsens zerbricht jetzt. Das ist zu erkennen.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Wir müssen allerdings kritisch nachfragen: Ist der in- nere Konsens, den beispielsweise Hisbollah bisher zu- Herr Kollege Gehrcke, ich würde Ihnen gerne glau- ben. Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, wie sammengehalten hat, nämlich Israel von der Landkarte ausradieren zu wollen, inzwischen auch zerbrochen? Bis zerklüftet das Land Libanon ist. Dort gibt es quasi-staat- auf die selbstkritischen, vielleicht auch zynischen Be- liche Strukturen, die sich mit Terror identifizieren lassen und die vielleicht sogar die Ursache dafür sind, dass die merkungen von Nasrallah ist hiervon noch nichts zu er- kennen. Ich will das nicht kleinreden, wir kommen jetzt Probleme, die Israel jetzt militärisch beantwortet hat, so in einen neuen Prozess. sehr haben wachsen können. Katsav hat gestern erklärt, dass, wenn die Soldaten Wenn Nasrallah in der Tat beginnt, sich politisch zu freigesetzt werden können und sollen, eine Verhandlung verhalten, wenn er nicht versucht, auf die militärische zwischen Hisbollah und Israel, möglicherweise mit Karte zu setzen, und wenn er beginnt, darüber nachzu- Ägypten als Mediator, stattfinden muss. Das ist der Be- denken, ob Israel nicht doch ein Existenzrecht in der Re- ginn eines Prozesses, auf den wir setzen, der aber nur gion hat, damit seine Bürger in gesicherten Grenzen le- dann möglich ist, wenn die jetzt durch die Resolution ben können, statt ständig durch terroristische Angriffe 1701 gegebene Chance auch wirklich realisiert werden bedroht zu werden, dann, so meine ich, könnte hier ein kann. Darum geht es. Um es ganz deutlich zu sagen: Die neuer Friedensprozess beginnen. Niemand wäre darüber jetzige Situation kann sich für uns Europäer als sehr glücklicher als wir. schwierig erweisen. Die Resolution 1701 zu realisieren, Ich finde es gut, dass Kurt Beck gesagt hat: Am Ende wird in der Tat sehr schwierig werden; das können wir eines solchen Prozesses brauchen wir so etwas wie eine auch daran erkennen, dass zwei Hisbollahminister in KSZE, Beirut versuchen, auf die Bremse zu treten. Wir Euro- päer werden jetzt lernen müssen: Der Nahe Osten ist (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nicht mehr von uns getrennt. Es ist nicht mehr der Nahe eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit, wie Osten, der irgendwo dahinten verschwindet, sondern er wir sie aus Europa kennen. Wir brauchen eine Nachbar- ist Mittelpunkt unserer Außenpolitik. Wir müssen uns in schaft, bei der der eine Nachbar dem anderen Nachbarn unserem Handeln auf die Roadmap stützen, wir müssen (B) ein guter Nachbar ist. Das haben wir in Europa gelernt. Israels Existenzrecht sichern und dafür sorgen, dass das (D) Warum sollte das nicht auch in dieser Region möglich Kernproblem gelöst wird und Palästina die Möglichkeit sein? Dafür kämpfen wir und dafür ist die UN- erhält, ein eigener, selbstbestimmter, unabhängiger Staat Resolution 1701, wie ich finde, ein guter Anfangspunkt. zu werden. Diese Aufgaben haben wir uns gemeinsam gestellt. Nun, Kollege Gehrcke, komme ich auf den prakti- schen Teil zu sprechen: Wenn es um das Mandat geht, Lieber Kollege Trittin, ich bin nach wie vor dankbar, das zur Sicherheit auch durch Militär geschützt werden dass die Blaupause für die Roadmap hier in Berlin er- muss, dann dürfen Sie sich nicht verweigern. Denn da- stellt worden ist. Joschka Fischer war für die frühere durch würde die Art und Weise, wie Sie sich jetzt verhal- Bundesregierung daran beteiligt. Ich bin froh, dass die ten, unglaubwürdig. Man kann nicht das eine wollen und gegenwärtige Bundesregierung mit Frau Merkel und zum anderen Nein sagen. Das geht nicht. Auch das ge- Herrn Steinmeier genau an dieser Roadmap mitarbeitet. hört dazu. Sie ist der Schlüssel zur Lösung des Problems, damit diese Region, die so nahe liegt, eine Region des Friedens (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der werden kann. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was die Frage betrifft, ob es einen Siegesrausch gebe, empfehle ich Ihnen, lieber Kollege Gehrcke: Schauen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie sich die öffentliche Debatte bis in die Knesset und in die Regierung hinein in Israel genau an. Dort gibt es kei- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang nen Triumphalismus, vielleicht besteht dort sogar aus Gerhardt, FDP-Fraktion. der Sicht Kadimas die Gefahr, dass die Partei zerbrö- (Beifall bei der FDP) ckelt. In der „Ha’aretz“ von heute wird ein Artikel über- schrieben: Bye-bye Kadima. – Auf Wiedersehen Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Kadima. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es be- Was war denn der neue Konsens, nachdem Netanjahu steht hier im Hause wirklich kein Streit, dass die Region damals gesagt hat: Wir haben keinen Partner, deswegen des Nahen Ostens für uns bedeutsam ist, dass sie in un- müssen wir unilateral handeln? Der Konsens bestand da- sere Sicherheitsinteressen hineinspielt: Dort wird das rin, dass die Linke in Israel gesagt hat – Sie kennen die Wetter der Welt gemacht, diese Region bestimmt mit Debatte –: Wir gehen raus aus den besetzten Gebieten. darüber, was in unseren Innenstädten geschehen kann Die Rechte hat gesagt: Wir können nur unilateral heraus- oder nicht. 4536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Ich glaube nicht, dass uns die Geschichte am Ende ei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) nen überzeugenden Grund liefert, uns aus allem heraus- der LINKEN und des Abg. Hans Eichel zuhalten. Verantwortung verpflichtet, wenn man es so [SPD]) sieht. Aber wahr ist auch, dass es eine Frage der politi- schen Klugheit ist, dass wir entscheiden, welcher Beitrag Das muss man gegenüber dieser Region offen sagen dür- Deutschlands am sachgerechtesten und am konstruktivs- fen. ten für diese Region ist. Wenn eine Fraktion erklärt, nach Wer von den großen Staatsmännern der Welt kann ihrer Überzeugung ist das nicht der militärische Beitrag, schon sagen, wie Russland und China am Ende reagie- und sie es für besser hält, auf die Verhandlungen Ein- ren, nicht nur hinsichtlich Irans, sondern auch, was die fluss zu nehmen, humanitäre und medizinische Hilfe zu Finanzierung der Hisbollah durch Iran und Syrien an- leisten und Kontakte aufzubauen, dann ist das eine ge- geht. Russland und China zeigen uns bisher nur, dass nauso legitime Hilfe, die unserer Verantwortung gerecht ohne sie international nichts zu erreichen ist. Wir erwar- wird, wie ein militärischer Beitrag. ten aber, dass mit ihnen etwas gelingen kann. Beide ha- ben erklärt, nach ihrer Überzeugung bräuchte man keine (Beifall bei der FDP sowie bei der LINKEN) Sanktionen, sie seien in der Lage, das mit einem – wie Viele der Kolleginnen und Kollegen, die sich heute man das neudeutsch nennt – Containment zu einem gu- für einen militärischen Beitrag aussprechen, drücken die ten Ende zu bringen. Dann muss einmal ernsthaft mit ih- große Hoffnung aus – sie benutzen das Wort „endlich“ –, nen gesprochen werden, dass sie uns das zeigen. Ich höre dass es mithilfe dieses Beitrags gelingt, dass in der Re- aber von keiner internationalen Konferenz, dass so etwas gion endlich die Fähigkeit entwickelt wird, miteinander geschehen würde. Dass Verschwiegenheit und eine ge- zu kommunizieren; diese Fähigkeit ist ja reichlich unter- wisse Konferenzsprache zu den Gepflogenheiten der in- repräsentiert. Das ist eine schmale Hoffnung. Es war ternationalen Diplomatie gehören, ist jedem klar. Aber keine Schockstarre, die mich getroffen hat, als ich gese- das darf nicht dazu führen, dass überhaupt kein Wort hen habe, was in der Region vor sich geht. Wir wissen mehr an die Öffentlichkeit dringt, wie das Problem tat- seit Jahrzehnten, was dort gemacht werden muss. Das sächlich gelöst werden kann. Israel erweitert jetzt mit ei- weiß auch die amerikanische Außenpolitik. Ich bin ein nigen Baumaßnahmen seine Siedlungen wieder. Der Re- überzeugter Transatlantiker, aber ich muss sagen: Unsere gierungschef erklärt: Ob man bei der Westbank im amerikanischen Freunde können dort die Trümmer ihrer Jahre 2010 reagieren könnte, sei noch höchst fraglich. Außenpolitik – der fehlgeschlagenen Versuche, Bewe- Wir haben es zur Staatsräson gemacht, das Existenz- gungen zu isolieren; so wie das jetzt im Grunde auch mit recht Israels zu schützen. Dabei bleibt es. Aber wir ha- dem Iran ist – besichtigen. Sie können die Folgen einer ben die eindringliche Bitte an unsere israelischen (B) grandiosen Fehleinschätzung besichtigen, was den Irak Freunde, es uns nicht so schwer zu machen, ihnen beizu- (D) angeht. In „Foreign Policy“ ist diese Woche eine Kritik stehen! erschienen, wie sie kein Kollege hier ausdrücken würde: Die Rede war von Amerikas Unfähigkeit, im Irak etwas (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufzubauen. Die Double-Standards des Westens, die viele der LINKEN und des Abg. im Nahen Osten kritisieren, machen auch mir zu schaffen. [SPD]) Amerika antwortet bis heute auf das Atomprogramm von Nordkorea mit vielen Verhandlungen und manchem Auch das gehört zu einer offenen Aussprache hierher. Achselzucken, Indien hingegen, das den Atomwaffen- Die bisherigen Erfolge und Bewertungen, die mein sperrvertrag nie unterschrieben hat, wird eine besondere Kollege Hoyer angesprochen hat, will ich mangels Zeit Rolle gegönnt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo nicht mehr ausführen. sind denn die Anstrengungen der Atomwaffen besitzen- den Mächte – auch der mit uns verbündeten –, der Welt Eine nüchterne Überprüfung der militärischen Ent- zu zeigen, dass sie ihre Arsenale wirklich abrüsten? sendung zeigt uns, dass wir sie am Balkan und auch in Afghanistan und anderswo weiter brauchen. Sie zeigt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten uns aber eben auch – das ist mein Eindruck –, dass die der LINKEN) politische Mühsal der entsprechenden Ebenen gewaltig nachlässt, wenn in den Hauptstädten dieser Welt die Ent- Das zu bedenken, gehört zu wirkungsvoller Politik, scheidung, Militär zu entsenden, getroffen worden ist. wenn neben der Stationierung von Soldaten am Ende et- Unsere amerikanischen Freunde entsenden gerne Solda- was herauskommen soll. Jeder von uns weiß: Die ten, aber ihre politische Anstrengung, in einer Region Hamas ist eine Organisation, die zu terroristischen Mit- Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die das Leben teln gegriffen hat und auch gegenwärtig greift. Jeder der Menschen verbessert wird, und dafür Verbündete zu weiß, dass sie eine zutiefst soziale Verankerung hat. Egal finden, ist etwas geringer ausgeprägt. Wir sollten uns aus welchem Grund: Jeder von uns weiß, dass sich die nicht daran gewöhnen, dass sich die einzige deutsche Palästinenser in den besetzten Gebieten zutiefst verletzt Antwort, die diskutiert wird – das war in diesem Fall be- gefühlt haben – auch die Israelis haben sich verletzt ge- merkenswert; jeden Tag wurde ja diskutiert, wie der Bei- fühlt – durch die terroristischen Angriffe. Aber wahr ist, trag aussehen könnte –, darin erschöpft. In diese Gefahr dass in Gaza die soziale Lage der Palästinenser verbes- sollten wir nicht kommen. sert werden muss und dass Israel einen großen Beitrag dazu leisten muss. Sonst werden auch Tausende von Sol- Deshalb werbe ich für ein Bewusstsein bei uns allen daten nicht helfen können, die Region zu stabilisieren. dafür – das ist insbesondere denjenigen gegenüber vor- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4537

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) zutragen, die jetzt entsenden wollen –, dass nicht ein und ich hatte sehr gemischte Gefühle, als ich mich dafür (C) Entsendebeschluss gefällt wird und dann wieder Funk- entschieden habe. Heute sage ich, dass diese Entschei- stille in Sachen Beitrag zur entscheidenden politischen dung richtig war, und ich bin der Meinung – deshalb Lösung in der Region herrscht. Wer entsendet, muss sich werde ich das auch unterstützen –, dass sich die Bundes- hinterher umso mehr um einen politischen Beitrag be- wehr auch an einem UN-Mandat im Libanon beteiligen mühen. Mein Eindruck heute ist leider, dass die Haupt- sollte. städte dieser Welt diesen Beitrag zur Lösung der Grund- probleme nicht leisten. Das Israel-Palästina-Problem ist Nun aber zu dem Thema, das ich eigentlich anspre- fast ein symbolhaftes Beispiel, aber es kreiert nicht das chen wollte, nämlich zur Europäischen Union. Lassen Übel aller Welt. Alle anderen Beziehungen werden da- Sie mich vorwegschicken, dass ich sehr froh darüber bin, durch aber so schwierig. Das Problem muss im Kern ge- dass der Stabilitätspakt zum ersten Mal seit Jahren end- löst werden. Dafür wäre jetzt der Zeitpunkt. lich wieder eingehalten wird. Ich darf Ihnen aus meiner Erfahrung im Europäischen Parlament berichten. Es war nicht so, dass die Kollegen geradezu voller Häme durch Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die Reihen gingen und sich freuten, dass auch einmal der Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Musterknabe Deutschland die Hausaufgaben nicht erle- digen konnte, sondern bei den Kollegen aus den anderen Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): europäischen Staaten war eher die Sorge erkennbar, Ich höre sofort auf. – Ich glaube, ich bin verstanden wieso nun gerade Deutschland über Jahre hinweg nicht worden. in der Lage war, diesen Stabilitätspakt einzuhalten, und Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. warum es Deutschland nicht gelang, Wirtschaftsdaten zu produzieren, durch die deutlich wird, dass hier eine (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Lokomotivfunktion der Deutschen gegeben ist. Ich sage Abgeordneten der SPD und der LINKEN) trotz unserer Koalition mit allem Verlaub: Herr Kollege Eichel, ich glaube, Sie haben in diesem Bereich auf der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: EU-Ebene keine besonders glückliche Rolle gespielt. Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/ (Abg. Hans Eichel [SPD] meldet sich zu einer CSU-Fraktion. Zwischenfrage) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte aber an dieser Stelle dem Minister für Fi- nanzen, Herrn Steinbrück, Dank sagen, der es geschafft Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): (B) hat, die Maastrichtkriterien einzuhalten. Aber ich sage (D) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- auch: Wer lobt, kann auch einmal eine kritische Anmer- gen! Es ist heute bereits viel über die Frage gesprochen kung machen. Ich halte es für nicht besonders klug und worden, inwieweit es gerechtfertigt und geboten ist, UN- auch nicht für richtig, dass man die Europäische Zen- Friedenstruppen in den Libanon zu entsenden. Deswe- tralbank, die aus meiner Sicht in den vergangenen Jah- gen will ich mich schwerpunktmäßig auf die Entwick- ren durch ihre große Weitsicht, Vorsicht und Umsicht ge- lung der Europäischen Union und auf das, was dort in zeigt hat, dass sie einerseits dem Wirtschaftswachstum, der nächsten Zeit wichtig ist, konzentrieren. andererseits aber auch der Stabilität gerecht wird, warnt: (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Auch ein Die Europäische Zentralbank sollte eine nicht zu straffe wichtiges Thema! Sehr gut!) Geldpolitik betreiben. Lassen Sie mich vorneweg aber eine Anmerkung zum Es ist angesprochen worden: Der Regierungsstil hat Thema Libanon machen. Ich war heute Morgen etwas sich gerade in der Außen- und Europapolitik verändert. überrascht, als von Kollegen aus der Opposition der Ein- Deshalb glaube ich, dass wir gute Chancen haben, die druck vermittelt worden ist, dass sich die Bundesregie- Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr positiv zu gestal- rung geradezu darum gerissen hat, ein entsprechendes ten. Es gibt eine Vielzahl von Themen: von illegaler Zu- Mandat zu erhalten. Ich glaube, wer das behauptet, der wanderung über die Frage Energiesicherheit, Bekämp- wird der Situation nicht gerecht. Alles andere ist nämlich fung des internationalen Terrorismus bis hin zum Abbau richtig: Zutreffend ist, dass wir uns der dortigen Situa- von Bürokratie. Das bedeutet für mich weniger den Ab- tion nicht entziehen können und dass wir auch und ge- bau von Personal, sondern den Abbau einer Vielzahl von rade im wiedervereinigten Deutschland bereit sein müs- Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien, die ihre Funk- sen, bestimmte Vorhaben in der Weltgemeinschaft tion in dieser Form nicht erfüllen. mitzutragen. Ein ganz zentrales Thema wird sein: Gelingt es der Ich verbinde das auch mit einer persönlichen Situa- deutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsvertrag tion. Als ich dem Bundestag noch nicht angehört habe, wieder anzuschieben, ihn so zu beleben und zu bewegen, habe ich immer relativ schnell für mich entschieden, dass es endlich zu einer positiven Entscheidung aller dass es richtig und klug ist, dass der Bundestag entspre- Staaten zu diesem Verfassungsvertrag kommt? Ich weiß chend entscheiden wird. Beim Mandat für den Kongo sehr wohl, dass einige Punkte in diesem Verfassungsver- hatte ich zum ersten Mal selbst darüber zu entscheiden trag als nicht so gut gelungen gelten können. Aber man und ich rede bewusst nicht von einer Verlängerung von muss sich immer wieder vergegenwärtigen: Dieser Ver- Aufträgen. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht fassungsvertrag wurde nicht nur zwischen den Parteien 4538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Ingo Schmitt (Berlin) (A) mit ihren ganz unterschiedlichen Auffassungen ausge- Alexander Ulrich (DIE LINKE): (C) handelt, sondern letztlich waren daran 28 Staaten betei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ligt, die ganz unterschiedliche Ausgangspositionen, auch Mein Vorredner hat dankenswerterweise die Außenpoli- politisch unterschiedliche Traditionen und unterschiedli- tik in Richtung Europa gelenkt. Ich möchte das an dieser che Staatsaufbauten haben. Stelle fortsetzen. Wenn man all das berücksichtigt, so kommt man zu Europa ist in der Krise. Das kann man überall lesen dem Schluss, dass dies ein gelungener Vertrag ist. und hören. Wurde das zu Beginn nur von Journalisten Schließlich werden dadurch wesentliche Ziele erreicht. öffentlich diskutiert, so geben mittlerweile alle Regie- Zunächst einmal wird der Vertrag von Nizza abgelöst, rungen Europas zu, dass Europa tatsächlich in der Krise von dem wir alle wissen, dass er nicht gelungen war. Wir ist. Als bedürfte es noch eines weiteren Beweises, hat schaffen eine transparente und klare Kompetenzrege- man auf dem letzten EU-Gipfel erklärt, dass der selbster- lung. Der Menschenrechtskatalog wird in Kraft gesetzt nannte Sanierungsfall Deutschland nun zum Retter Eu- werden. Wir würden damit auch ernsthaft – das ist ge- ropas werden soll. Ich glaube, daran zeigt sich, wie tief rade in der heutigen Debatte ein wichtiges Thema – in Europa tatsächlich in der Krise ist. Denn Deutschland ist eine verbindliche gemeinsame Außenpolitik einsteigen. mit Ihrer Politik nicht geeignet, Europa ein menschliches Antlitz zu verleihen. Es gibt natürlich auch Defizite, die wir in den nächs- ten Jahren angehen müssen. Ein Defizit dieser Verfas- Es ist grandios, wie die an sich tolle Idee der Europäi- sung war, dass man bestimmte Teile ausgeklammert hat. schen Union von Europas Regierungen in die Sackgasse Wir sind längst weg von der Wirtschaftsgemeinschaft geführt worden ist. Man muss sich die Frage stellen, und haben uns – wie wir das alle wollten – zu einer Poli- Herr Bundesaußenminister, was Deutschland in dem ei- tischen Union entwickelt. Das ging mal schneller, mal nen Jahr der Reflexionsphase getan hat. Man hat oftmals langsamer und mal war es ein schleichender Prozess. den Eindruck gehabt, dass die Regierung tatenlos war Wir wissen aber bis heute nicht – darüber diskutiert kei- und sich die Phase eines Denkverbots auferlegt hatte. ner laut, es sei denn im wissenschaftlichen Bereich –, Als man im Sommer wieder zusammengekommen ist, was das Ziel sein soll. um zu beraten, wie der EU-Verfassungsvertrag zu retten ist, hat man unreflektiert die Reflexionsphase um ein Wir sitzen in einem Zug und wir fahren in eine Rich- weiteres Jahr verlängert. tung, aber wir wissen nicht, welches der Endbahnhof sein soll. Auch wissen wir nicht, wer während der Fahrt Ich glaube, wenn Deutschland Impulse für die EU- unter welchen Voraussetzungen zusteigen darf. Ich frage Verfassung setzen will, dann muss man akzeptieren, (B) also: Wie weit kann sich Europa erweitern? Wo sollten dass mit dem Ratifizierungsprozess und dem Nein der (D) die natürlichen Grenzen sein? Die Frage, wohin die Franzosen und der Niederländer die EU-Verfassung in Fahrt mit wem geht, muss irgendwann einmal diskutiert der vorliegenden Form gescheitert ist. Ich glaube auch, und als Vision festgelegt werden. Was in 40 oder dass es nicht möglich ist, den Ländern schmackhaft zu 50 Jahren sein wird, sei dahingestellt. machen, möglicherweise aufs Neue darüber zu entschei- den. Man nimmt hier und da einige Änderungen an dem (Beifall bei der CDU/CSU) Entwurf vor und formuliert noch den einen oder anderen Anhang zum Verfassungsvertrag. So kann man aber die Für mich gehört dazu auch die Frage, Herr Minister: EU-Verfassung nicht retten. Wir brauchen einen Neu- Wie gehe ich mit den Anrainern um? Sie haben da das start in der Debatte um die EU. entsprechende Signal gegeben. Beide Themenbereiche müssen miteinander kombiniert werden. Gleiches gilt (Beifall bei der LINKEN) für die Frage, wie die EU zukünftig mit Russland um- geht. Von daher gibt es in dem Jahr der Ratspräsident- Ich möchte noch einmal betonen, dass die Linke im schaft viele Chancen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Bundestag beglückwünscht, dass zwei Länder – Frank- Bundesregierung diese Chancen auch aufgrund der vor- reich und die Niederlande – zu dieser EU-Verfassung genommenen Klimaverbesserungen nutzen wird. Nein gesagt haben, weil uns das die Chance gibt, endlich Nichtsdestotrotz sollten wir neben dem halben Jahr, das über eine andere Verfassung nachzudenken, in der auch vor uns liegt, die großen Themen, die für die Gestaltung der soziale Charakter der Europäischen Union verankert dieses Kontinents von Bedeutung sind, nicht aus den werden kann. Deshalb meinen herzlichen Glückwunsch Augen verlieren, sondern irgendwann den Dialog da- an die Länder Frankreich und die Niederlande für dieses rüber beginnen. klare Nein bei der Abstimmung! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die Chance, dass die EU dadurch wieder de- mokratischer, friedlicher und sozialer werden kann. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Steinmeier, ich hätte mir von Ihnen konkretere Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich, Fraktion Ausführungen darüber gewünscht, wie Sie die Ratsprä- Die Linke. sidentschaft im ersten halben Jahr zu nutzen gedenken, um neue Impulse zu setzen. Beschädigen Sie nicht die (Beifall bei der LINKEN) Demokratie und versuchen Sie nicht, während der deut- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4539

Alexander Ulrich (A) schen Ratspräsidentschaft mit neuen Tricks die geschei- der auf Unternehmensteuern verzichten, aber gleichzei- (C) terte Verfassung wieder aufzulegen! tig in den Topf der EU-Subventionen greifen. Damit ge- winnt man die deutsche Bevölkerung nicht für die Wir – der EU-Ausschuss des Bundestags – waren im Europäische Union. Frühjahr in Paris und haben uns mit dem EU-Ausschuss des französischen Parlaments getroffen. An die anderen Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Es wäre loh- Fraktionen gerichtet sage ich deutlich: Die Ignoranz, mit nenswert zu überprüfen, warum sie gescheitert ist, wa- der Sie mit der Tatsache umgehen, dass die Franzosen rum man die Ziele nicht erreicht hat. Ich kann dazu nur klipp und klar und auch parteiübergreifend gesagt haben, sagen: Wer glaubt, dass man diese Strategie unverändert diese Verfassung könnten sie in ihrem Land nicht mehr weiterverfolgen kann, wird sehen, dass Europa noch vorlegen, ist beschämend. Man kann nicht einfach fest- weiter in die Sackgasse gerät. stellen, dass 15 Länder dem Verfassungsvertrag zuge- stimmt und dass ihn einige Länder abgelehnt haben. Wir Die Linke im Bundestag wird gemeinsam mit der Zi- müssen erkennen, dass wir für eine EU-Verfassung alle vilgesellschaft und der außerparlamentarischen Bewe- Länder brauchen. Deshalb war es sehr ignorant, wie Sie gung die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um für sich in Paris verhalten haben. eine demokratische, friedvolle und soziale Europäische Union zu kämpfen. Der Verfassungsvertrag ist gescheitert. Der vorlie- gende Verfassungsvertrag verfestigt Demokratiedefizite Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der EU, verstärkt die Dominanz der großen Mächte über (Beifall bei der LINKEN) die kleinen Mitgliedstaaten und legt die EU auf einen wirtschafts- und währungspolitischen Kurs des rigorosen Vizepräsident Dr. : Neoliberalismus fest, bei dem der Profit der Großkon- zerne das oberste Gebot ist. Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller vom Bündnis 90/Die Grünen. (Markus Löning [FDP]: Da kennen Sie aber einen anderen Verfassungsvertrag als wir!) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Er begünstigt den europaweiten Sozialabbau und erhebt NEN): die Militarisierung der EU in den Rang einer Verfas- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will sungspflicht. zuerst auf die Debatte eingehen, die von einem mögli- chen Libanoneinsatz stark geprägt ist. Herr Gerhardt und Wir wollen eine neue Debatte anschieben. Wir brau- Herr Hoyer, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört chen eine neue verfassungsgebende Versammlung, und gebe zu, dass ich Ihnen in Ihrer Analyse inhaltlich (B) weil der Zivilgesellschaft mit der außerparlamentari- teilweise folgen kann. Dazu trägt auch Ihre Art und (D) schen Bewegung ein Neustart für die europäische Ver- Weise – Herr Gerhardt, Sie ganz bedächtig, und Sie, fassung gelingen muss. Wir brauchen ein Europa, das Herr Hoyer, recht erfahren – bei. Aber die Konsequen- demokratisch, friedvoll und sozial ist und eine ökologi- zen, die Schlussfolgerungen, zu denen Sie kommen, sind sche und solidarische Gemeinschaft darstellt. Wir wollen ziemlich katastrophal. Man spürt förmlich, wie unwohl keinen europäischen Superstaat, sondern einen Verbund Sie sich fühlen, dass Ihr Vorsitzender Westerwelle dabei europäischer Staaten und Völker auf der Basis des ist, die außenpolitische Tradition der Genscher-FDP zu Gleichheitsgrundsatzes und des Selbstbestimmungs- zertrümmern. rechts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir brauchen die europäischen Grundwerte Frieden Er tut das beispielsweise dann, wenn er konsequent je- und Wohlergehen der Völker. Diese müssen in der Ver- den UNO-Einsatz mit der Begründung ablehnt, Deutsch- fassung verankert sein. Wir brauchen ein nachhaltiges land könne nicht ständig dabei sein. Tatsächlich steht Europa mit ausgewogenem Wirtschaftswachstum, Preis- Deutschland an 32. Stelle, was solche Einsätze angeht. stabilität, Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt. Zudem ist ISAF kein UNO-Einsatz. Wenn er etwas an- Wir brauchen ein Europa, das tatsächlich die Armut be- deres behauptet, dann zeugt das von außenpolitischer kämpft und ein hohes Maß an Umweltschutz garantiert, Unkenntnis. ein Europa, in dem Wirtschaft und Wissenschaft geför- dert werden und andere Antworten auf energiepolitische Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen, Fragen gegeben werden als gegenwärtig in der Europäi- dass die internationale Truppe im Libanon ohne einen schen Union. politischen Prozess keinen Erfolg haben kann. Aber Sie müssen doch wissen, dass es ohne eine solche Truppe (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto und die entsprechende Resolution gar keinen Waffen- Solms) stillstand in dieser Region gäbe. Dass man der PDS er- Die Zustimmung der Bürger zu Europa hängt aber klären muss, dass man einen Waffenstillstand braucht, nicht nur von einer Verfassung ab. Vielmehr muss die bevor man politisch aktiv werden kann, wissen wir im Politik auch bei aktuellen Entscheidungen die Ängste Deutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herren und Sorgen der Menschen um Arbeitsplatzverluste und von der FDP, Ihnen mit Ihrer Tradition sollte man das ei- Arbeitsplatzverlagerungen in die neuen EU-Länder ernst gentlich nicht erklären müssen. Unabhängig vom deut- nehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Beitrittslän- schen Beitrag ist die internationale Truppe – dazu habe 4540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Kerstin Müller (Köln) (A) ich von Ihnen nichts gehört – absolut erforderlich. Die die Bundeswehr auf diese neuen Herausforderungen vor- (C) Entscheidung der Europäer in diesem Fall ist richtig. bereitet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine der schwersten Krisen weltweit findet zurzeit in Es stimmt, dass der politische Prozess entscheidend Darfur statt. Es gibt schwerste Menschenrechtsverlet- ist. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Quartetts der zungen und mehr als 300 000 Tote und 2 Millionen Ver- Außenminister. Und wir möchten Sie, Herr Außenminis- triebene. Ich glaube, es war überfällig, dass die UNO ter, darin bestärken, auf dem Weg der Einbindung Syri- jetzt endlich eine robuste Blauhelmtruppe nach Darfur ens fortzuschreiten. Wir brauchen eine Fortsetzung des schicken will, die nicht die Fehler der AU-Mission wie- innerlibanesischen Dialogs; denn die Entwaffnung der derholt und zu schwach ist. Hisbollah ist überhaupt nur im Rahmen eines politischen Prozesses vorstellbar. Militärisch ist dazu niemand wil- Ich finde es angesichts der Dimension des Konfliktes lens und in der Lage. gewagt, dass man, wie heute Morgen von der Kanzlerin geschehen, vorsorglich schon einmal ankündigt, man Wenn das nicht passiert – das ist für uns auch eine werde sich da vollständig heraushalten. Das ist ein Aus- ganz wichtige Bedingung –, dann wird man möglicher- spruch der Kanzlerin, der an die eigenen Reihen gerich- weise spätestens in einem halben Jahr vor der Situation tet ist und der mit der Außenpolitik gar nichts zu tun hat. stehen, dass der Konflikt wieder aufbricht. Auch ein Ich erwarte aber zumindest, dass man sich, wenn man neuer Bürgerkrieg im Libanon ist nicht ausgeschlossen. das nicht will, in diesem Konflikt politisch engagiert und Es ist fast unvorstellbar, dass dann internationale Trup- dass man zum Beispiel alles dafür tut, dass die sudanesi- pen, darunter möglicherweise deutsche, zwischen den sche Regierung der Blauhelmmission zustimmt. Das Fronten stehen. Von uns geht ganz klar die Aufforderung könnte man machen, indem der Außenminister und die an die Bundesregierung, alles dafür zu tun, dass wir in Kanzlerin mit Putin oder in der nächsten Woche mit dem diesem politischen Prozess weiterkommen. chinesischen Premier reden; denn China und Russland müssen endlich bei der sudanesischen Regierung auf Mich treibt aber noch etwas anderes um, nämlich dass eine Zustimmung zur UNO-Mission drängen. Das wäre angesichts der Libanonkrise die Krisen in Afrika wieder ganz konkrete Politik, ohne dass es um Militär geht. in Vergessenheit geraten. Die Wahlen im Kongo haben trotz der EU-Mission und der deutschen Beteiligung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kaum noch interessiert. Selbst der deutsche Oberkom- Darfur gehört ganz oben auf die politische Tagesord- mandierende weilte im Urlaub, während es vor Ort zu nung, auch während der deutschen Ratspräsidentschaft. ersten Unruhen kam. In Darfur im Sudan geht der schlei- (B) Da wird es nicht nur um den europäischen Beitrag zu der (D) chende Völkermord vor den Augen der Weltöffentlich- Mission gehen, sondern auch um diplomatische Initiati- keit weiter, aber es findet dazu weder eine Debatte in der ven, um unter anderem das geschlossene Friedensab- deutschen Öffentlichkeit statt, noch bereitet die Bundes- kommen zu retten. Wir müssen generell, was Afrika be- regierung dazu eine Diskussion vor. Wir haben doch bei trifft, endlich die vorhandene europäische Afrikastrategie der Kongodebatte gesehen, wie fahrlässig und kurzsich- vom Dezember mit Leben füllen. Ich erwarte Konzepte tig das ist. von der Bundesregierung. Ich habe hier damals ein politisches Gesamtkonzept Ein letzter Satz: Der 11. September 2001, über den für meine Fraktion und eine strategische Debatte darüber heute viel geredet wurde und über den nächste Woche gefordert, ob und warum es im europäischen und deut- noch einmal geredet wird, hat doch eines gezeigt, näm- schen Interesse ist, sich auch an friedenssichernden Ein- lich dass es im Kampf um den Terror um langfristig an- sätzen in Afrika zu beteiligen. Da ist leider Fehlanzeige. gelegte und nachhaltige politische Strategien gehen Stattdessen – das muss ich jetzt zitieren – kündigt der muss. Man muss rechtzeitig dafür sorgen, dass geschei- Staatssekretär des Herrn Jung, Herr Schmidt, vor der terte Staaten erst gar nicht entstehen. Damit sind wir CSU-Landesgruppe an, man werde in jedem Fall nach wieder bei Afrika, wo wir das gerade wieder verpassen. vier Monaten aus dem Kongo abziehen. Begründung: Frieden und Sicherheit in Afrika entsprechen unseren die zusätzliche Belastung durch den Libanoneinsatz, unmittelbaren Sicherheitsinteressen. Tun wir endlich et- nicht etwa die Sicherheitslage im Kongo. Jeder weiß, was dafür! dass es nach den Stichwahlen im Oktober erst so richtig losgehen kann, wie man im August gesehen hat. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich meine, das ist nun wirklich das Gegenteil von konzeptioneller Politik, ganz zu schweigen von einer ko- härenten Afrikastrategie. Das bedeutet, dass Sie immer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: noch von Einsatz zu Einsatz stolpern, dilettantisch vor- Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen bereitet durch den Herrn Verteidigungsminister und Hans Eichel das Wort. seine Mannen, ohne darzulegen, was die außen- und si- cherheitspolitischen Ziele sind, ohne eine Strategie für Hans Eichel (SPD): den Nachbarkontinent Afrika zu entwickeln und ohne Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe mich schon sich zum Beispiel im Rahmen der Debatte über das zu Wort gemeldet, als der Kollege Schmitt gesprochen Weißbuch Gedanken darüber zu machen, wie man denn hat. Das ist leider übersehen worden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4541

Hans Eichel (A) Herr Kollege Schmitt, ich will auf Folgendes hinwei- Das eine ist Tatsache – das will ich gar nicht vor- (C) sen: wurfsvoll sagen –, dass Deutschland den Stabilitätspakt in den letzten Jahren nicht erfüllt hat. Man kann sicher- Erstens. Wenn der Abbau der Steuersubventionen, lich Gründe dafür finden, warum das nicht der Fall war. den Sie und die Mehrheit des Bundesrates unmittelbar Auf jeden Fall ist es eine Tatsache. nach Bildung der großen Koalition mit beschlossen ha- ben, schon beschlossen worden wäre, als die rot-grüne Daraus hat sich dann die zweite Problematik entwi- Bundesregierung entsprechende Gesetzentwürfe ein- ckelt: Derjenige, der den Stabilitätspakt nicht erfüllt, gebracht hat, dann hätten wir, wie die Zahlen des Sta- fängt an, an diesem Pakt herumzumäkeln und ihn aufzu- tistischen Bundesamtes jetzt ausweisen, bereits 2005 die weichen. Dabei findet er sehr viele, die gerne mitma- 3-Prozent-Grenze wieder unterschritten. chen. Schließlich war die 3-Prozent-Hürde vielen ein Dorn im Auge. Dieser Punkt ist, Herr Eichel, in Brüssel (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und bei vielen Kollegen, auch im Europäischen Parla- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ment, nicht sehr gut angekommen. Zweitens. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nach einem einstimmigen Beschluss der Staats- und Re- der FDP) gierungschefs – die Finanzminister waren anwesend – geändert worden. Die Lobreden auf diese Änderungen haben der österreichische Bundeskanzler Schüssel und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der niederländische Ministerpräsident Balkenende, be- Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Niels kanntlich Vertreter christlich-demokratischer bzw. kon- Annen von der SPD-Fraktion. servativer Parteien, gehalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber, Vorsitzender der CSU, war unmittelbar vor der Verab- Niels Annen (SPD): schiedung der Reform des Stabilitäts- und Wachstums- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und pakts beim Treffen der Parteivorsitzenden der konserva- Herren! Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich wieder der tiven Parteien, um gegen diese Änderung zu protestieren. Außenpolitik zuwenden. Ich will klar sagen: Die deut- Ihm wurde dort von allen anderen Vertretern der konser- sche Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von vativen Parteien nachdrücklich gesagt, dass diese Ände- der Linksfraktion, ist Friedenspolitik. Ich finde, das hat rung in Ordnung sei, insbesondere von Herrn Jean- der Außenminister während der 32 Tage der Kampf- Claude Juncker – Sie können ihn danach befragen – und handlungen im Libanon eindrucksvoll unter Beweis ge- stellt. (B) von Herrn Schüssel. (D) Letztens. Die von uns gemeinsam getragene Bundes- Die Priorität galt – da kann es gar keinen Zweifel ge- regierung profitiert von der Reform des Stabilitäts- und ben – den Bemühungen um die Beendigung der Feind- Wachstumspaktes; denn erst mit dieser Reform war es seligkeiten. Spät, aber nicht zu spät konnte die Reso- möglich, ein weiteres Jahr bei schlechter Konjunktur zu lution 1701 verabschiedet werden. Auch ohne dass gewinnen und nicht bereits in diesem Jahr eine Politik Deutschland Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist, haben machen zu müssen – darauf hat Herr Steinbrück in seiner wir, vor allem der Außenminister, sehr viel zum Zustan- Rede hingewiesen –, durch die die 3-Prozent-Grenze dekommen dieser Resolution beigetragen. zwingend unterschritten wird. Nur dadurch wurde es (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der möglich, eine Politik zu betreiben, durch die erst die CDU/CSU) Wachstumskräfte stimuliert werden und dann die Konso- lidierung vorangebracht wird. Das ist ein Grund für die Erwartungen, die heute an un- ser Land gerichtet werden. Ich weise Sie darauf hin, dass die Einhaltung des Sta- bilitäts- und Wachstumspaktes – seine Kriterien sind Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen, dass es in der nicht weich gemacht worden – für unsere Regierung Bevölkerung durchaus eine Verunsicherung über die noch härter werden wird, weil wir das strukturelle Defi- weltweiten Einsätze der Bundeswehr gibt. Deutsche Sol- zit jedes Jahr um 0,5 Prozent abbauen müssen. Das ist in daten sind in der Tat am Horn von Afrika, auf dem Bal- der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht voll abge- kan und sogar in Afghanistan im Einsatz. Ich sage an bildet. Das wird noch zu machen sein. dieser Stelle ausdrücklich: Es geht auch darum, über die politischen Kriterien für solche Einsätze zu diskutieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hier ist der Ort dafür, weil wir als Mitglieder des Bun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) destags letztlich auch darüber entscheiden müssen, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es geht also um unsere Verantwortung und es geht um Herr Kollege Schmitt, zur Erwiderung, bitte schön. die Frage: Was liegt im deutschen Interesse? Ich will an- hand der aktuellen Krise darstellen, warum ich glaube, Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): dass unser Engagement in der Region im Nahen Osten sinnvoll und richtig ist. Herr Kollege Eichel, Herr ehemaliger Finanzminister, ich glaube, man muss dabei zwei Dinge sehr sorgfältig Diese Region hat seit 1948 durchschnittlich alle auseinander halten. sechseinhalb Jahre einen Krieg durchlitten – mit 4542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Niels Annen (A) dramatischen Folgen für die betroffenen Menschen, die mee vor sechs Jahren aus dem besetzten Südlibanon (C) Infrastruktur, die wirtschaftliche Entwicklung und die sieht sich Israel weiterhin andauernden Angriffen auf Stabilität in einer Weltregion, die – bei ein wenig sein Territorium und seine Bürgerinnen und Bürger aus- Rückenwind – nicht mehr als dreieinhalb Stunden Flug- gesetzt. Die aus meiner Sicht leider in weiten Teilen un- zeit von uns entfernt liegt. verhältnismäßigen Militärschläge der letzten Wochen kann man – davon bin ich überzeugt – nur dann verste- Es besteht kein Zweifel – das ist hier schon gesagt hen, wenn man sich klar macht, dass es aus Sicht Israels worden; ich stimme dem zu –: Auslöser der jüngsten in diesem Krieg nicht nur um eine Auseinandersetzung Krise war die Entführung von zwei israelischen Soldaten in einem besetzten Territorium, sondern um die Existenz durch die Hisbollah. Aber war die Entführung auch die des Staates Israel geht. Ursache für diesen Konflikt oder hat vielmehr der ehema- lige amerikanische Sicherheitsberater Brent Scowcroft In Deutschland akademische Diskussionen darüber zu Recht, wenn er sagt – ich zitiere ihn –: führen, wie man die Hetzreden des iranischen Präsiden- ten bewerten soll, ist eine Sache; angesichts von bis zu Die Quelle des Problems ist nicht die Hisbollah. 250 Raketeneinschlägen pro Tag darüber zu diskutieren, Das ist nur ein Ableger der Ursache, nämlich des ist eine andere Sache. tragischen Konflikts über Palästina, … (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Genau!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wie dem auch sei: Es ist richtig, glaube ich, dass un- Da bekommen die antisemitischen Hetzreden von Herrn sere Politik die Probleme des Libanon nicht isoliert be- Ahmadinedschad im wahrsten Sinne des Wortes eine ex- trachtet. Wir müssen die Probleme um den besetzten Go- plosive Bedeutung. lan und um die Scheba-Farmen einbeziehen und wir müssen letztlich auch die Debatte um die Eigenstaatlich- Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Teheran keit Palästinas berücksichtigen. eine Mitverantwortung an der gegenwärtigen Krise zu- kommt. Deshalb habe ich persönlich großes Verständnis (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- für diejenigen in Israel, die den Kampf gegen die Hisbol- loch] [SPD] sowie bei Abgeordneten der LIN- lah auch als einen Kampf gegen einen bewaffneten Arm KEN) Teherans verstehen. Die Reden von Ahmadinedschad al- Für mich ist klar: Die Lösung der Palästinafrage lein beantworten aber nicht die Frage, ob die Hisbollah steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen. nun eine libanesische oder eine Agenda der schiitischen Weltrevolution verfolgt. (B) (Beifall der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren (D) [SPD]) Wir müssen kurz vor dem fünften Jahrestag des 11. September leider feststellen, dass die US-Politik des Umgekehrt ist auch eindeutig: Die Lösung des palästi- Krieges gegen den Terrorismus eine ehrliche Analyse nensischen Konflikts beinhaltet keine Zauberformel für der Politikentwicklung in der Region behindert. die Lösung aller Konflikte in der Region. (Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD]) (Beifall bei der SPD) Sie unterscheidet bei der Beurteilung der Politik von Aber die Lösung des Konflikts würde – darauf kommt Hamas und Hisbollah nicht zwischen regionalen und es mir an – all denjenigen die politische Legitimation möglichen globalen Zielen, sondern subsumiert ganz un- entziehen, die heute ihre extremistische Politik mit dem terschiedliche Parteien, Bewegungen und Beweggründe Verweis auf den Befreiungskampf des palästinensischen unter den Begriff des Terrorismus und kommt so leider Volkes betreiben und begründen; die meisten von ihnen zwangsläufig häufig zu falschen Schlüssen. im Übrigen, ohne sich jemals wirklich um das Schicksal der palästinensischen Menschen gekümmert zu haben. Mein Eindruck ist zudem, dass die Auswirkungen des Bürgerkriegs im Irak auf die Region auch bei uns unter- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Rich- schätzt werden. Die Bilder von tödlichen Anschlägen im tig! – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist leider Irak werden in ihrer Dramatik von uns doch kaum noch wahr!) zur Kenntnis genommen. Was bei uns in wenigen Sekun- Hier geht es auch und nicht zuletzt um die Hisbollah. den im Nachrichtenüberblick zusammengefasst über den Das bedeutet, es geht um eine historische Entscheidung Bildschirm flimmert, wird jeden Tag in brutaler De- dieser Miliz, Bewegung, Partei – wie immer Sie tailtreue über al-Dschasira und andere Netzwerke in Mil- wollen –, ob sie sich zu einer zivilen politischen Kraft lionen arabischer Haushalte übertragen. Welche Wir- weiterentwickeln möchte – einiges deutet darauf hin; die kung das auf die benachbarten Länder mit all ihren Äußerungen von Herrn Nasrallah sind erwähnt worden – komplizierten politischen Gemengelagen und Minder- oder ob sie den Weg in den Terrorismus weiter verfolgen heitensituationen hat, brauche ich, glaube ich, an dieser möchte. Stelle nicht weiter auszuführen. Das führt zu der Frage: Was für einen Charakter hat Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stel- eigentlich die aktuelle Auseinandersetzung an der Nord- len heute ohne jede Genugtuung fest, dass die Politik grenze Israels? Die Israelis sehen sich mit einer dramati- von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sich nicht am schen Situation konfrontiert. Nach dem Rückzug der Ar- Krieg im Irak zu beteiligen, richtig gewesen ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4543

Niels Annen (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wehr auf Demonstrationen gegen Gelöbnisfeiern in (C) DIE GRÜNEN) Grund und Boden verdammt hat. Jetzt fordert er ihren Einsatz an jeder Stelle dieser Erde, wo es möglich ist. Es gibt heute mehr Instabilität und mehr Terrorismus als Das sind Brüche in Traditionslinien, die Sie sich vorhal- vor dem Irakkrieg. Hinzu kommt – ich glaube, das ist ten lassen müssen, Frau Müller, nicht wir. wichtig – in den letzten Monaten ein mangelndes Enga- gement bezüglich der Lösung des Nahostkonfliktes. Das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie untergräbt die Legitimation der amerikanischen Politik. des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Wir brauchen die amerikanische Rolle. Aber gleichzeitig müssen wir die europäische Rolle in dieser Situation Meine Damen und Herren, mein Thema ist aber die stärken. EU-Präsidentschaft. Wir brauchen eine erfolgreiche EU-Präsidentschaft. Herr Außenminister, Sie haben Ich meine – um das abschließend zusammenzufas- heute schon die erste Chance verspielt. Wir reden von sen –, dass der Außenminister die unterschiedlichen Transparenz, wir wollen die Bürger mitnehmen, wir wol- Komponenten des Konfliktes in dieser Situation betont len einen offenen politischen Prozess. Warum sagen Sie hat. dann hier, zu den Themen der Präsidentschaft könnten Sie jetzt leider noch nicht sehr viel sagen? Es wäre die (Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD]) Chance gewesen, hier im Bundestag darüber eine De- Es ist auch richtig, dass wir die Bereitschaft signalisiert batte zu führen. Es wäre die Chance gewesen, die Bürger haben, uns an einem UNIFIL-Mandat zu beteiligen. Die mitzunehmen und eine öffentliche Resonanz hinsichtlich politischen Voraussetzungen muss jedoch die libanesi- Ihrer Ziele in der Europäischen Union zu erzeugen. Ich sche Regierung schaffen. Ich sage es auch mit Blick auf hätte mir gewünscht, dass Sie diese Chance heute hier den Verteidigungsminister: Wir drängen uns nicht auf; ergriffen hätten. aber wir beteiligen uns schon heute an der Lösung des Problems, und zwar mit ehrenamtlichen Helfern bei- Wir sind – da sind wir uns, glaube ich, alle einig – der spielsweise des THW, mit Entwicklungshelfern, durch Meinung, dass wir die Bürger stärker mitnehmen müs- technische und anderweitige Unterstützung. Meine sehr sen. Wir brauchen ein Europa der Erfolge; auch das ha- verehrten Damen und Herren, diesen Menschen, die ben wir hier schon öfter gesagt. Lieber Herr Schmitt, da schon dort in der Region unterwegs sind, sollte unser ge- möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Ich meinsamer Dank gelten. glaube nicht, dass wir eine Debatte über Ziele und Gren- zen brauchen. Wir können nicht nachfolgenden Genera- Herzlichen Dank. tionen vorschreiben, wie sie mit der EU umzugehen ha- ben. Auch wir nehmen für uns in Anspruch, die EU nach (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (B) unseren Vorstellungen und anders als vor 20 Jahren zu (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gestalten. Eine Debatte, wie Sie sie einfordern, würde geordneten der LINKEN) fehlgehen. Es wird an den zukünftigen Generationen lie- gen, zu entscheiden, ob etwa die Ukraine Mitglied der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: EU werden kann oder nicht. Es ist Unfug, das jetzt ab- Das Wort hat der Kollege Markus Löning von der schließend beschreiben zu wollen. FDP-Fraktion. Wir unterstützen die Bundesregierung, wenn sie den (Beifall bei der FDP) Verfassungsprozess neu in Gang setzen will, Herr Steinmeier. Wir brauchen in Europa mehr Transparenz Markus Löning (FDP): und mehr Demokratie. Wir brauchen eine gemeinsame Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Außenpolitik. Aber – auch das ist wichtig – wir können Frau Müller, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zu das klare Votum der Franzosen und der Holländer nicht Ihren Anmerkungen zu unserer Tradition. Es ist immer völlig ignorieren. Das muss man sehr klar sehen. Tradition der Liberalen gewesen – und so wird es auch (Beifall des Abg. Alexander Ulrich (DIE weiterhin sein –, Dinge differenziert zu betrachten. LINKE) (Lothar Mark [SPD]: Ui!) Wir drücken der Bundesregierung die Daumen, dass es Wir haben diese Debatte sehr intensiv geführt und die hier wirklich zu Ergebnissen kommt. Diese Debatte Kollegen sind in der Bewertung zu unterschiedlichsten muss beendet werden; denn unsere Bürger fordern zu Ergebnissen gekommen. Aber wir lassen uns von Ihnen Recht von Europa mehr als eine für sie in vielen Berei- nicht eine undifferenzierte Haltung vorwerfen. chen theoretische Verfassungsdebatte. Sie fordern prak- tische Ergebnisse. Wir sind alle froh, dass die Tradition Joschka Fischer endlich beendet ist; es wurde Zeit, dass diese Tradition Zu einem praktischen Ergebnis können auch wir als Ihrer Partei beendet wurde, auch an dieser Stelle. Bundestag beitragen. Wir haben mit der Bundesregie- rung eine Vereinbarung über die frühzeitige Beteiligung (Beifall bei der FDP) des Bundestages geschlossen. Wir als Opposition werden Aber ich möchte daran erinnern, dass dieser Außen- diese Beteiligung immer wieder einfordern. Aber es wird minister noch bei seinem Amtsantritt die NATO infrage bei einer Koalition mit einer so erdrückenden Mehrheit in gestellt hat. Ebenso möchte ich daran erinnern, dass Herr diesem Hause auch darauf ankommen – da appelliere ich Trittin noch kurz vor seinem Amtsantritt die Bundes- an die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen –, dass die 4544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Markus Löning (A) Kollegen den Mut haben, auch ihrer eigenen Regierung halb in jedem Einzelfall klären, warum es uns angeht, (C) zu sagen: Wir wollen beteiligt werden. Darüber muss im was außerhalb unseres Landes geschieht. Bei europäi- Ausschuss diskutiert und im Plenum debattiert werden. schen Fragen fällt uns das nicht mehr schwer, bei Einsät- Es hängt von Ihnen ab, ob Sie diese Vereinbarung, die zen der Bundeswehr im Ausland dagegen umso mehr. wir mit der Bundesregierung getroffen haben, auch Ich meine, wir müssen definieren, welche Interessen wirklich mit Leben erfüllen. Wir werden darauf dringen wir verfolgen, wenn wir die Bundeswehr zu Auslands- und Sie mahnen, diese Forderung auch weiterhin zu un- einsätzen entsenden, und wir müssen uns darüber klar terstützen. werden, welche Kapazitäten wir an Personal, an Material (Beifall bei der FDP) und an Finanzen dafür bereithalten wollen. Ich plädiere dafür, dass wir unabhängig von konkreten Einsätzen ob- Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, die jektive Kriterien entwickeln, die uns als Orientierungs- Transparenzinitiative der Europäischen Kommis- maßstab dienen können. Das Weißbuch des Bundesver- sion. Sie ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie wir teidigungsministers zur Sicherheitspolitik bietet uns im Europa den Bürgern näher bringen können. Legen wir Herbst dazu die Gelegenheit. doch offen, wer welches Geld aus der europäischen Kasse bekommt! Was spricht denn dagegen, dass wir sa- Ich darf im Rahmen der Haushaltsdebatte anfügen: gen: Es ist öffentliches Geld und wer öffentliches Geld Ich bin der Überzeugung, dass sich jedes internationale bekommt, soll dies auch nach außen darstellen können. Engagement auch in unsere Grundlinie der Konsolidie- Ich wünschte mir – die FDP hat einen entsprechenden rung des Bundeshaushaltes einfügen muss. Auch dieser Antrag in den Bundestag eingebracht –, diese Bundesre- Aspekt muss Berücksichtigung finden. Im Ergebnis gierung würde aus vollem Herzen und mit voller Über- meine ich, dass eine solche Konzeption, bei der versucht zeugung die Europäische Kommission an dieser Stelle wird, objektive Maßstäbe zu konkretisieren, nicht nur unterstützen. Wir können eine Offenlegung sehr gut ver- ein Beitrag zur Berechenbarkeit und damit zur Glaub- tragen. Dann wird sich nämlich auch im Agrarbereich würdigkeit unserer Außenpolitik ist, sondern auch zum herausstellen, dass die vielen Behauptungen, die Bauern Ausdruck bringt, dass wir gar nicht erst den Eindruck bekämen so viel, gerade für die kleinen bäuerlichen Be- entstehen lassen wollen, Getriebener internationaler Ent- triebe eben nicht zutreffen und dass dort oft und zu Un- wicklungen zu sein. Vielmehr wollen wir einen Gestal- recht Vorurteile gepflegt werden. tungsanspruch in der internationalen Gemeinschaft wahrnehmen. (Beifall bei der FDP) Durch den Nahostkonflikt wird unmittelbar einsich- Der Lissabonprozess wurde bereits angesprochen. tig, dass es eine Illusion wäre, zu glauben, wir könnten Wir haben schon oft darüber debattiert und ich will das (B) wegsehen bei dem, was in unmittelbarer Nachbarschaft (D) Thema an dieser Stelle nicht vertiefen. Eines muss man der Europäischen Union vor sich geht. Nicht zuletzt die allerdings dieser Bundesregierung immer wieder sagen in Deutschland versuchten Attentate, die schon vor dem und ins Stammbuch schreiben: Wir werden nicht zu ei- Ausbruch des Libanonkonflikts geplant waren, bringen nem Erfolg in der Europäischen Union kommen, wenn zum Ausdruck, dass es offenbar das Ziel von Fundamen- diese Bundesregierung im wirtschaftlichen Bereich ihre talisten und Terroristen ist, die Schauplätze ihres Terrors Hausaufgaben nicht macht. Ich werde wieder und wieder in die westliche Welt zu verlagern. Deswegen können von europäischen Kollegen angesprochen: Meine Güte, wir nicht wegsehen, sondern müssen hinsehen, wenn es was macht ihr denn bei euch zu Hause? Die Nachbarn etwa das erklärte Ziel des Iran als Mitglied der Vereinten machen es und sind erfolgreich. Warum kriegt ihr das in Nationen ist, Israel als Mitglied der Vereinten Nationen Deutschland nicht auf die Reihe? von der Landkarte zu tilgen. Die Rezepte liegen vor. Ich fordere Sie auf: Tun Sie das Notwendige! Nur so bekommen wir auf Dauer auch Meine Damen und Herren, ich meine, dass es auch, wieder unser politisches Gewicht in der Europäischen aber nicht nur in der besonderen historischen Verantwor- Union. tung Deutschlands gegenüber Israel liegt, diesen Kon- flikt als sehr ernsthaft wahrzunehmen. Die gesamte in- Vielen Dank. ternationale Gemeinschaft muss ein Interesse daran haben, den Frieden im Nahen Osten wiederherzustel- (Beifall bei der FDP) len und damit auch die Autorität des Systems der Verein- ten Nationen sicherzustellen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der Ich denke, dass die Bundesregierung einen bemer- CDU/CSU-Fraktion. kenswerten Beitrag dazu geleistet hat – ich will das aus- drücklich anerkennen –, dass es tatsächlich zu der Waf- (Beifall bei der CDU/CSU) fenruhe, die wir seit einigen Wochen haben, gekommen ist. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und neten der SPD) Herren! Die Außenpolitik trägt das Momentum in sich, dass wir uns mit Aufgaben konfrontiert sehen, die wir Wenn wir uns vor Augen halten, dass dieser Konflikt ein uns nicht selbst ausgesucht haben. Dennoch müssen wir ganz enormes Eskalationspotenzial beinhaltet, dann ist Antworten finden auf Fragen, die uns berühren, und des- es eben keine Selbstverständlichkeit, dass es relativ zü- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4545

Thomas Silberhorn (A) gig zu dieser Waffenruhe gekommen ist und dass bei- Ausdruck bringt, den Waffenschmuggel in den Libanon (C) spielsweise keine israelische Bodenoffensive mit auch selbst zu unterbinden. 30 000 Soldaten mehr stattgefunden hat, weil der Druck und die Geschlossenheit der internationalen Gemein- Das ist die Geschäftsgrundlage für eine Beteiligung schaft die Beteiligten dazu bewogen haben, der jetzt vor- der Bundeswehr. Das werden wir bereden können, wenn liegenden UN-Resolution zuzustimmen. eine Anfrage der Vereinten Nationen an die Bundesre- gierung vorliegt und die Bundesregierung uns, dem Bun- Das Ziel, um das es jetzt geht, ist schlichtweg, diese destag, ein entsprechendes Mandat zur Beratung über- Waffenruhe zu stabilisieren und in einen politischen weist. Prozess überzugehen, der sicherstellt, dass die Sicher- heit Israels und die Unabhängigkeit eines selbstständi- Meine Damen und Herren, wir streben an, dass eine gen palästinensischen Staates gewährleistet werden kön- mögliche Beteiligung der Bundeswehr an dem Einsatz nen und die Stabilität in der gesamten Region weiter im Nahen Osten auf eine breite Zustimmung in diesem gefestigt wird. Mir scheint, dass ein militärischer Beitrag Hause stößt. Wir streben auch eine möglichst breite Un- eine Komponente ist, um dieses Ziel zu erreichen. Wir terstützung der deutschen Bevölkerung für die Soldaten sind uns sicher darin einig, dass das keine hinreichende an, die wir möglicherweise in einen solchen Einsatz ent- Komponente ist. Aber es ist eine notwendige. senden. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich erwarte, dass die Staaten der Region, die für die Situation, in der Mit einigem Bedauern sehe ich, dass die Kolleginnen wir stecken, Mitverantwortung tragen, einen eigenen und Kollegen von der FDP sich in dieser Frage ausge- Beitrag leisten. Sie müssen sich in die politischen Bemü- rechnet mit der PDS hungen um Wiederbelebung des Friedensprozesses ein- binden lassen und sie müssen, beispielsweise Syrien, ein (Monika Knoche [DIE LINKE]: Der Linken!) Interesse daran haben, nicht isolationistische Tendenzen in einem Boot wiederfinden. zu stärken, sondern auf Alternativen einzugehen, die die Europäische Union ihnen bieten kann. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ziemlich dümmlich!) Ich möchte zum Schluss kommen. Die Europäische Union zieht ihre Autorität in diesem Konflikt aus meiner Vor dem Hintergrund der langen Tradition liberaler Sicht auch daraus, dass Europa Krieg und Nationalismus Außenpolitik von Theodor Heuss bis Otto Graf durch die Kooperation in der Europäischen Union über- Lambsdorff, der sich bei der Entschädigung jüdischer wunden hat. Europa hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Verfolgter Verdienste erworben hat, sollten Sie Ihre Stunde null erlebt und erfolgreich den Wiederaufbau ge- Position nochmals überdenken. meistert. Deswegen meine ich, die Europäische Union (B) ist ein gelebtes Beispiel dafür, wie sich aus Vernichtung (D) (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Jetzt wird es lang- und Niederlage wieder eine gute Nachbarschaft entwi- sam unerträglich!) ckeln kann. Das ist die Ursache für die Autorität, die die Immerhin nehme ich zur Kenntnis, Herr Hoyer und Herr Europäische Union hier einbringen kann. Die Europäi- Gerhardt, dass Sie sich deutlich vorsichtiger geäußert sche Union wird deshalb im Nahostkonflikt das beson- haben als manche Kolleginnen und Kollegen aus der dere Vertrauenskapital, das sie genießt, das namentlich zweiten Reihe, wie in den Medien immer wieder zu le- Deutschland und Frankreich genießen, einbringen müs- sen und zu hören war. sen, um diesen Konflikt einzudämmen, ihn eingedämmt zu halten und in einen politischen Prozess zu überführen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Seit wann ist Westerwelle bei Ihnen Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zweite Reihe, Herr Kollege? – Zuruf des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Werner Hoyer [FDP]) neten der SPD) – Sie weiten meine Kritik noch aus, Herr Hoyer. Ihren Zuruf lasse ich unkommentiert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Infrage steht, ob sich Deutschland an einer seeseiti- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von gen Sicherung der Grenze des Libanon beteiligt. Ich der Fraktion Die Linke. bin der Auffassung: Das kann ein angemessener Beitrag (Beifall bei der LINKEN) für Deutschland sein, um die UN-Resolution 1701 um- zusetzen. Ich möchte aber auch deutlich machen, dass da kein Automatismus entstehen kann, sondern dies eine Dr. Norman Paech (DIE LINKE): autonome Entscheidung des Bundestages bleibt. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch an Ihre Rede auf dem Münchener Dafür fehlen uns derzeit noch die Voraussetzungen. Kongress für Sicherheitspolitik im Februar dieses Jah- Die erste Voraussetzung ist ein klares Mandat, mit dem res, Herr Außenminister. Da stellten Sie Ihre Politik un- die Kontrolle des Waffenembargos effektiv umgesetzt ter die Devise des Einsatzes für Freiheit und Demokra- werden kann, einschließlich der Einsatzregeln, die wir tie. Das klang alles etwas amerikanisch, aber das ist noch erwarten. Die zweite Voraussetzung ist – das noch keine Kritik. möchte ich ausdrücklich erwähnen –, dass die libanesi- sche Regierung eindeutig den politischen Willen zum (Lachen bei Abgeordneten der SPD) 4546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Norman Paech (A) Dass Sie damit Ihre gesamte Nahost- und Mittelost- sich offensichtlich noch nicht von ihren Plänen zu einem (C) politik in das Fahrwasser der US-Administration lenk- gewaltsamen Regimewechsel im Iran distanziert. Sie, ten, das allerdings verdient entschiedenen Widerspruch. Herr Steinmeier, werden wohl noch viel Arbeit zu leisten haben, um die USA von der Wirksamkeit des diplomati- (Beifall bei der LINKEN) schen Weges zu überzeugen. Im äußersten Fall müssten Denn Sie besiegelten dadurch einen gravierenden Wan- Sie, wenn Sie und die Frau Bundeskanzlerin es wirklich del in der deutschen Außenpolitik. Militäreinsätze in ernst meinen, der Bush-Administration erneut die Ge- der ganzen Welt – zur Sicherung welcher deutschen Inte- folgschaft verweigern. Sie haben ja genug Erfahrung mit ressen eigentlich? –, das hat weder mit dem Grundgesetz einer solchen Mission aus der Zeit der vorherigen Regie- noch mit Verteidigung zu tun. Sie holen sich damit auch rung. alle Schwierigkeiten ins Haus, mit denen die Amerika- (Beifall bei der LINKEN) ner derzeit zu kämpfen haben, nämlich zunehmende Ge- walt, bürgerkriegsähnliche Zustände und Chaos in ihren Schließlich komme ich zu dem Punkt Israel, Paläs- De-facto-Protektoraten Irak und Afghanistan sowie tina und Libanon. Man konnte schon den Eindruck wachsende Terrorgefahr auch im eigenen Land. gewinnen, dass Ihr voreiliges Vorpreschen mit der Ent- sendung von Marineeinheiten über Ihre Ratlosigkeit hin- Ihre sonst so sympathische Devise „Reden statt schie- wegtäuschen sollte, ßen“ hat sich gefährlich gewendet. Nehmen wir nur Afghanistan, wo sich die Bundeswehr derzeit eingräbt, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) um offensichtlich die nächsten zehn Jahre dort für De- wie Sie die tief verfeindeten Gegner zwischen Gaza und mokratie und Freiheit zu sorgen. Nach fünf Jahren hat Beirut zu einem Frieden bewegen können. Sie haben sich dort eine Situation entwickelt, vor der wir immer wieder einmal nur unsere Verantwortung gegenüber Is- gewarnt haben. Sie war voraussehbar. Jetzt beklagt die rael, nicht aber die gegenüber den Palästinensern, die wir Truppe in Afghanistan selbst die dramatisch sinkende ja auch haben, berücksichtigt. Wir haben wiederholt be- Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der Bundes- tont: Deutsche Soldaten und Polizisten haben aufgrund wehr. Die Truppe fordert das, was wir immer schon ge- unserer historischen Verantwortung nichts in dieser Re- fordert haben, nämlich mehr zivile Entwicklungshilfe gion zu suchen. Sie sind, wie wir erfahren haben, auch und Unterstützung für die zivilen Strukturen beim Auf- gar nicht notwendig; denn es gibt genügend Angebote bau des Landes. von anderen Staaten. (Beifall bei der LINKEN) Um auch hier nicht missverstanden zu werden: Wir Sie, Herr Außenminister, preisen die neuen demokra- wenden uns nicht gegen die Stationierung von UNO- (B) tischen Institutionen der Regierung Karzai. Das mag für Truppen zwischen den verfeindeten Gegnern. Wirklich (D) Kabul so zutreffen, aber überhaupt nicht für ganz Afgha- neutral können UNO-Truppen aber nur sein, wenn sie nistan. Dort blühen der Mohn und die Freiheit der Dro- auf beiden Seiten der Grenzen stationiert werden, was genhändler. Eine Steigerung der Ernte um fast 60 Pro- aber nicht der Fall ist. zent in diesem Jahr hat Afghanistan unter dem Schutz (Beifall bei der LINKEN) der ISAF und von „Enduring Freedom“ zum größten Opiumlieferanten der Welt gemacht. Der Preis dafür ist Die jetzige Parteilichkeit gegen den Libanon und für Is- nicht etwa Stabilität, Sicherheit und Demokratie, son- rael verstärken Sie nur, indem Sie zwar auf der einen dern Angst vor irakischen Zuständen. Alle Erfahrung der Seite Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern, vergangenen Jahre hat uns gelehrt, dass man dem eben was richtig ist, aber auf der anderen Seite neue Waffen- nicht mit Militär begegnen kann. systeme und U-Boote an Israel liefern, was falsch ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Auch in der Auseinandersetzung mit dem Iran hat die So verspielen Sie unseres Erachtens die Glaubwürdig- viel beschworene Geschlossenheit mit den USA Sie keit als ehrliche Makler. letztlich in eine Sackgasse geführt. Denn es ist eine Illu- Dabei gibt es auch bei diesem letzten Punkt eine Al- sion, immer noch zu glauben, dass Teheran von seinem ternative, auf die wir seit Beginn dieses Jahres nicht Atomprogramm zu zivilen Zwecken abrücken wird. müde werden hinzuweisen. Herr Außenminister, ver- Vielleicht werden Sie ein Moratorium erreichen, nicht trauen Sie da doch Ihrem neuen Parteichef, der unseren aber einen definitiven Verzicht. Es ist reine Symbolpoli- Vorschlag aufgenommen hat. tik, wenn Sie Sanktionen fordern, Sanktionen, die in der Geschichte nachweisbar noch nie zu einem Erfolg ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) führt und nie einen Politikwechsel herbeigeführt haben. Sie schaden damit der Bevölkerung, ohne aber Ihr Ziel Reden Sie nicht nur von einem politischen Prozess, son- zu erreichen. dern konzentrieren Sie alle Ihre Kräfte und auch die Fi- nanzen auf eine Nahostkonferenz nach dem Vorbild der Ein Ausweg zeigt sich derzeit unseres Erachtens nur, KSZE. Nur dort werden auch die Wurzeln des Streits, wenn zwei Punkte erfüllt werden: Anerkennung des des Konflikts und des Krieges Israels mit seinen Nach- Rechts auf Urananreichung zu zivilen Zwecken und un- barn zur Sprache gebracht. Alle Teilnehmer sind dort ter der Kontrolle der IAEO sowie eine umfassende Si- gleichberechtigt, ohne von Gewalt, Terror und Drohun- cherheitsgarantie durch die USA. Doch die USA haben gen beeinflusst zu werden. Dann wird Ihre Devise „Re- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4547

Dr. Norman Paech (A) den statt schießen“ wieder uneingeschränkt gelten. Auf und ihre Bemühungen beim Vermitteln der von mir zu- (C) dieser Konferenz wird dann die Existenz beider Staaten, vor erwähnten Ziele aussprechen. nämlich Israels und Palästinas, gesichert werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Danke schön. der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Man kann ihre Leistung nicht hoch genug würdigen. Durch den Einsatz vieler Organisationen weltweit blei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ben der Menschheit viele militärische Auseinanderset- Als nächster Redner hat der Kollege Josip Juratovic zungen und damit verbundene Opfer erspart. von der SPD-Fraktion das Wort. Dennoch muss ich zugeben, dass manch eine Organi- (Beifall bei der SPD) sation vor Ort für große Verwirrung sorgt, unter Umstän- den sogar kontraproduktiv arbeitet. Bei meiner langjäh- Josip Juratovic (SPD): rigen Friedensarbeit auf dem Balkan musste ich oft feststellen, dass Menschen, die in ihrer Not auf Hilfe von Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! außen angewiesen waren, zu Opfern gesellschaftspoliti- Als jemand, der den Balkankrieg unmittelbar erleben scher Experimente wurden. Ein Beispiel: Es kann nicht musste und der Hass und Gewalt nicht ausstehen kann, sein, dass wir in Europa vom „Sozialmodell Europa“ re- muss ich zugeben: Wir als größte Nation der Euro- den, während Vertreter der Wirtschaftsverbände in den päischen Gemeinschaft können uns nicht unserer ge- Krisengebieten von „Marktwirtschaft pur“ sprechen und meinsamen Verantwortung für eine Stabilisierung des uns die Ergebnisse als angebliche Erfolgsmodelle anbie- Friedens im Nahen Osten entziehen. ten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Ich denke, es ist für keinen von uns einfach, Soldatin- Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen und Soldaten mit einem Auftrag zu versehen, ohne NEN]) die Garantie bieten zu können, dass sie nach der Erfül- lung des Auftrags wieder gesund nach Hause zurückkeh- Meine Damen und Herren, Sie glauben nicht, wie ren. Deshalb möchte ich mein ausdrückliches Lob an viele Glücksritter ich während meiner Friedensarbeit vor unseren Außenminister für seine diplomatischen Ort erleben musste. Es war beschämend, beobachten zu Bemühungen, die Gefahren der uns bevorstehenden müssen, dass manch ein so genannter Entwicklungshel- Mission möglichst gering zu halten, richten. Das gibt fer nicht begriffen hat, dass er es mit am Boden zerstör- (B) Mut und Hoffnung vor allem für diejenigen, die in die- ten Menschen zu tun hat. (D) sen Einsatz gehen müssen. Deshalb möchte ich angesichts der kommenden deut- Viele Menschen stellen uns die berechtigte Frage: schen EU-Ratspräsidentschaft die Schaffung einer EU- Wie viele Soldaten noch an wie viele Brennpunkte? Ich Koordinationsstelle für zivile Einsätze in Krisen- muss gestehen: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo das gebieten empfehlen. Diese soll in den Krisengebieten nächste Mal ein Brand entsteht und wo wir Zerstörung, gemeinsame europäische Werte und politische Ziele ver- Verfolgung oder Mord verhindern müssen. Was ich mitteln, sich vor Ort am Aufbau der zivilen Gesellschaft weiß, ist, dass man präventiv handeln kann und muss. Es beteiligen sowie die vor Ort aktiven Hilfsorganisationen ist wichtig, der Weltgemeinschaft zu vermitteln, dass wir beraten, unterstützen und ihre Einsätze sinnvoll koordi- Europäer nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, son- nieren. dern vor allem eine Wertegemeinschaft sind. Das Ziel Deutschlands und der EU muss es sein, die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie innere Stabilität zu sichern, ohne die globale Sicherheit des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ zu vernachlässigen. Deshalb müssen wir zur EU-Erwei- DIE GRÜNEN]) terung und zur europäischen Nachbarschaftspolitik in Zukunft klar Position beziehen. Gerade für den West- Die OSZE-Schlussakte, die Charta der Grundrechte der balkan muss die Beitrittsperspektive unmissverständlich EU und viele andere europäische Beschlüsse sind eine definiert werden. Es ist wichtig, den dortigen politischen wichtige Grundlage dafür. Sie sind eine Grundlage für Kräften deutlich zu machen, dass wir nicht tolerieren, unsere gemeinsamen Ideen, Überzeugungen und Hoff- dass die Menschenrechtsfragen nur auf dem Papier ge- nungen. In unserem politischen Handeln müssen wir in löst werden, sondern eine aktive Bekämpfung der Natio- der globalen Politik zu verstehen geben, dass für uns nalismen vor Ort erwarten. Freiheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschen wichtig sind. (Beifall bei der SPD) Frieden braucht Vertrauen. Vertrauen schaffen wir Wir müssen deshalb die demokratischen Kräfte unter- nur, wenn wir die nationalen und kulturellen Unter- stützen. Diesbezüglich liegt mir die Jugend besonders schiede der Menschen respektieren und nach gemeinsa- am Herzen. Es kann nicht sein, dass der Jugend in man- men Werten und Interessen suchen. An dieser Stelle chen Teilen Europas die Teilhabe an unseren Werten für möchte ich ausdrücklich dem diplomatischen Korps, den immer verwehrt bleiben soll. Es ist wichtig, dass wir die politischen und den anderen Stiftungen sowie den vielen EU-Nachbarschaftspolitik klar definieren und uns vor zivilen Organisationen meinen Dank für ihren Einsatz allem den jungen Menschen widmen. Sie müssen 4548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Josip Juratovic (A) begreifen, dass sie für die Gestaltung der Demokratie in sie können später in Führungsfunktionen in ihren Län- (C) ihrem Land der wichtigste Hoffnungsträger sind. dern in der Wirtschaft oder in der Politik helfen, zu Good Governance beizutragen, was vor allem in diesen Län- (Beifall bei der SPD) dern gebraucht wird. Wir werden das auf Wiedervorlage Sie müssen begreifen, dass es in einer Demokratie nicht legen. Vielleicht gibt es dann eine Möglichkeit, plasti- ausreicht, nur das private Leben zu organisieren, sondern sche und griffige Erfolge und Verbesserungen vorzule- dass sie sich auch an der Organisation der Gesellschaft gen. beteiligen müssen. Dabei müssen wir ihnen helfen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der damals Recht vielen Dank. auch eine Rolle gespielt hat, nämlich die Parlamentari- sche Versammlung des Europarates. Die Parlamenta- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der rische Versammlung des Europarates führt ja bei uns im FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Deutschen Bundestag ein Schattendasein. Das wollen SES 90/DIE GRÜNEN) wir doch einmal ganz ehrlich sagen. Das ist eigentlich ungerechtfertigt, weil die Parlamentarische Versamm- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lung des Europarates immerhin die Versammlung von Als nächster Redner hat das Wort der Kollege nationalen Abgeordneten aus 46 Ländern in Europa bis Joachim Hörster von der CDU/CSU-Fraktion. hin zu Georgien und Aserbaidschan ist. Die Parlamenta- (Beifall bei der CDU/CSU) rische Versammlung des Europarates befasst sich damit, Länder, die nicht der Europäischen Union angehören, an gewisse Mindeststandards – ich sage es einmal vereinfa- Joachim Hörster (CDU/CSU): chend – einer zivilisierten Gesellschaft, wie wir sie ver- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte stehen, heranzuführen. die verehrten Kolleginnen und Kollegen um Nachsicht, dass ich mich, obwohl ich Vorsitzender der Deutsch- Es gibt die Europäische Menschenrechtskonvention, Arabischen Parlamentariergruppe bin, heute nicht zum die der Europarat umzusetzen hat. Es gibt die Antifolter- Nahostkonflikt äußere. Dazu ist schon sehr viel gesagt konvention, die er beachtet. Es gibt zum Beispiel auch worden. Außerdem denke ich, dass wir noch eine inten- verschiedene Konventionen zur Harmonisierung der so- sive Debatte darüber haben werden, wenn die Entschei- zialen und rechtlichen Praktiken der Mitgliedstaaten, die dung aufgrund eines konkreten Antrages der Bundes- das Bewusstsein für eine europäische Identität unter- regierung ansteht. streichen.

(B) Deswegen will ich unter dem Gesichtspunkt der Der Europarat hat ganz unzweifelhaft nach 1989 (D) Nachhaltigkeit in der Politik zwei Themen ansprechen, wesentlich mit dazu beigetragen, dass in den postkom- die bereits bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes munistischen Ländern der Gedanke des Herankommens für das Jahr 2006, also für dieses Jahr, in der außenpoliti- ihrer politischen Kultur an die europäischen Mindest- schen Debatte eine Rolle gespielt haben. Einen Teil mei- standards nicht nur verkündet worden ist, sondern dass ner Rede, die ich am 27. März gehalten habe, könnte ich auch versucht worden ist, das umzusetzen. jetzt wiederholen, weil der Herr Bundesaußenminister zum Schluss seiner Rede die auswärtige Kulturpolitik In diesem Zusammenhang und unter Berücksichti- angesprochen hat, die so genannte dritte Säule der deut- gung der Wünsche vieler Länder in Europa, möglicher- schen Außenpolitik. weise Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu wer- den – das sehen wir allerdings mit großer Skepsis, weil Ich will jetzt nicht fragen, was aufgrund der Erkennt- man die Europäische Union nicht überdehnen darf –, nisse, die am 27. März dieses Jahres vorgelegen haben, könnte dem Europarat sehr wohl auch in der nationalen bis heute geschehen ist. Denn es braucht einen gewissen Politik eine viel beachtete Rolle zukommen. Er könnte Vorlauf, um feststellen zu können, wie alle an der aus- als Bindeglied fungieren zwischen den europäischen wärtigen Kulturpolitik Beteiligten – das ist nicht der Anrainerstaaten, hauptsächlich aus dem früheren Ost- Bundesaußenminister allein – sich bemühen, die auswär- europa bis zum Gebiet der früheren südlichen Sowjet- tige Kulturpolitik mehr in den Mittelpunkt unserer aus- union, und der Europäischen Union. Auf diesem Wege wärtigen Tätigkeit zu stellen und vielleicht auch die frü- könnte man versuchen, bestimmte Standards zu etablie- here Philosophie über Bord zu werfen, dass dort, wo die ren – auf sozialem und rechtlichem Gebiet, was die Ein- deutsche Sprache auf kommerzielle Weise durch pri- haltung der Menschenrechte betrifft sowie im Hinblick vate Institute erlernt werden kann, unsere Präsenz durch auf die demokratische Entwicklung insgesamt –, ohne das Goethe-Institut und ein entsprechendes Angebot dass sofort die Frage der Mitgliedschaft in der Europäi- nicht mehr notwendig seien. Man sollte vielmehr auf die schen Union gestellt würde. richtige Erkenntnis, die der Herr Bundesaußenminister heute kundgetan hat, zurückgreifen, nämlich die, dass Immerhin muss man folgende Unterscheidung tref- die Vermittlung von Führungskräften aus aller Welt nach fen: Die Europäische Union ist ein Verbund von Staaten, Deutschland am ehesten dann zustande kommt, wenn sie die ihrerseits Souveränitätsrechte an die Union abtreten, zuerst die deutsche Sprache gelernt haben. Deswegen sodass die Union der Entscheidungsträger ist, während muss man ihnen das erleichtern. Genauso muss man es der Europarat ein Verbund von Staaten ist, die sich in Ausländern, insbesondere aus Staaten der Dritten Welt, Verträgen, die sie miteinander geschlossen haben, ver- erleichtern, in Deutschland studieren zu können. Denn pflichtet haben, bestimmte Regeln einzuhalten, die der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4549

Joachim Hörster (A) Europarat durch die Parlamentarische Versammlung gung gestellt. Darüber hinaus wurden einige kleinere (C) dann durchzusetzen versucht. Positionen erhöht oder sie sind hinzugekommen, zum Beispiel Mittel für die Biometrie. Das wichtigste Instrument ist in diesem Zusammen- hang der Europäische Gerichtshof für Menschen- Der Anteil des Haushalts des Auswärtigen Amtes rechte. Wir haben schon bei früherer Gelegenheit über am gesamten Bundeshaushalt macht nur 0,95 Prozent die Frage diskutiert, wie sich die Situation nach Grün- aus, und dies trotz wachsender Aufgaben, einer zuneh- dung der Europäischen Menschenrechtsagentur dar- menden Bedeutung der auswärtigen Politik und der in- stellen wird. Mir ist, wie auch meinen Kolleginnen und ternationalen Wertschätzung; der Außenminister hat auf Kollegen in der Parlamentarischen Versammlung des diese Thematik bereits hingewiesen. Es muss das Ziel Europarates, bekannt, dass die Dinge bereits so weit ge- sein – darin sind sich zumindest die Haushälter, die für diehen sind, dass man sie nicht gänzlich rückgängig ma- das Auswärtige Amt zuständig sind, einig –, dass wir die chen kann. Mit Zuversicht habe ich aber festgestellt, 1-Prozent-Marke erreichen und in nicht allzu ferner Zu- dass Sie, Herr Bundesaußenminister, das Petitum des kunft geringfügig überschreiten. Die Kosten des Aus- Europaausschusses bzw. der Delegation der Parlamenta- wärtigen Amtes belaufen sich pro Kopf der Bevölkerung rischen Versammlung des Europarates zur Kenntnis ge- umgerechnet auf 28,99 Euro. Ich glaube, dass es nur nommen haben und nun versuchen, die Richtung einzu- ganz wenige Haushalte gibt, bei denen der Pro-Kopf-Be- schlagen, die wir von Ihnen erbeten haben, um dafür zu trag so niedrig angesiedelt ist. sorgen, dass keine Doppelstrukturen entstehen und dass sich die Europäische Union auf ihre ureigenen Aufgaben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) konzentrieren und die anderen Aufgaben wie die Über- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in allen wachung der Einhaltung der Menschenrechte im We- Haushaltsberatungen immer wieder Haushaltsklarheit sentlichen dem Europarat überlassen kann, der auf die- und Haushaltswahrheit angemahnt. Ich habe diesbe- sem Gebiet auch die größeren Kompetenzen und die züglich auch heute drei Beispiele, die ich ansprechen besseren Erfolgsaussichten hat. möchte. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün- Das erste Beispiel sind die Stabilitätspakte Afghanis- sche der weiteren Debatte einen guten Verlauf. tan und Südosteuropa; der eine mit 30 Millionen Euro (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ausgestattet, der andere mit 15 Millionen Euro, wobei neten der SPD und der FDP) der Haushaltstitel für den Stabilitätspakt Südosteuropa im Vergleich zu 2006 um 15 Millionen Euro gekürzt wurde und damit zu niedrig angesetzt ist. Diese beiden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (B) Haushaltstitel sind im BMZ angesiedelt. Wir sind der (D) Das Wort hat jetzt der Kollege Lothar Mark von der Meinung, dass hier ein Transfer der bislang dem Aus- SPD-Fraktion. wärtigen Amt nur zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellten Ansätze in den Haushalt des Auswärtigen Am- Lothar Mark (SPD): tes erfolgen müsste, weil auch der politische Zugriff Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! beim Auswärtigen Amt liegt. Das gehört einfach zur Wir haben bereits heute früh, als es um den Einzelplan Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. des Bundeskanzleramtes ging, eine außenpolitische De- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der batte geführt. Jetzt führen wir erneut eine außenpoliti- CDU/CSU – Markus Löning [FDP]: Transfe- sche Debatte zum Einzelplan des Auswärtigen Amtes. rieren Sie doch gleich das ganze BMZ ins Ich weise allerdings darauf hin, dass wir uns eigentlich Auswärtige Amt!) in der ersten Lesung des Entwurfs des Bundeshaushalts für das Jahr 2007 befinden. Das zweite Beispiel ist die Streulage einzelner Posi- tionen für eine Maßnahme oder einen Empfänger in ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) schiedenen Einzelplänen, und da selbst nach derzeitiger Ich bin dem Außenminister sehr dankbar, dass er, wie Haushaltsstrukturvorgabe in verschiedenen Titelgruppen zwei weitere Kollegen, den Haushalt angesprochen hat. und Titeln. Ich denke, dass dies beim Lesen des Haus- Ich denke, das dient der Würdigung der Arbeit derer, die haltes sehr unübersichtlich ist, und rege an, dass man hierfür die Verantwortung tragen. darüber nachdenkt, dies neu zu ordnen. Ich nenne nur als Stichwort die Budgetierung. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes steigt von 2006 auf 2007 um 6 Prozent an. Das macht insgesamt (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- 140 Millionen Euro aus. Davon sind bereits 81 Millionen loch] [SPD]) Euro für Erhöhungen im Rahmen von VN-Pflichtbeiträ- gen reserviert. 34 Millionen Euro mehr als im vorigen Ein dritter Hinweis ist, dass verschiedene Fußnoten Haushalt hängen mit der EU- und der G-8-Präsident- und Anmerkungen in den jeweiligen Titeln enthalten schaft zusammen, wobei schon heute abzusehen ist, dass sind, die nicht unbedingt zielführend sind. Ich möchte diese Mittel sehr wahrscheinlich nicht ausreichen wer- hier – man möge mir die Nennung der Zahl verzeihen – den. auf den Haushaltstitel 687 17, die Pflege kultureller Be- ziehungen, hinweisen. Darin wird, wie auch in vielen an- 7,5 Millionen Euro der genannten Summe werden für deren Titeln, zwei Mal auf das Goethe-Institut Bezug ge- den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zur Verfü- nommen. Das Goethe-Institut kommt aber auf der 4550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Lothar Mark (A) gesamten Seite nicht mehr vor, obwohl insgesamt aufgestellt werden. Die Strukturen des Goethe-Instituts (C) 16 verschiedene Positionen aufgezählt sind. müssen modernisiert, Synergien in vielfältiger Weise er- reicht werden. Auch eine Erweiterung seiner Finanzba- Kollege Juratovic hat vorhin das Thema Prävention sis muss erfolgen. Einige Bereiche des Goethe-Instituts angesprochen. Ich wollte zu diesem Thema einige Aus- sind Gott sei Dank inzwischen budgetiert. Wir hoffen, führungen machen. Da aber meine Redezeit etwas ge- dass diese Prozesse weitergeführt werden schrumpft ist, will ich dies beiseite lassen und lediglich darauf hinweisen, dass wir insgesamt gesehen verstärkt (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- über Fragestellungen der Prävention nachdenken müs- loch] [SPD]) sen. und dass ab 2008 eine Totalbudgetierung des Goethe-In- Wir haben uns im Juni dieses Jahres auf die Umset- stituts erfolgt. Meine Forderung war immer, alle Mittler- zung eines Aktionsplans „Zivile Krisenprävention“ ver- organisationen zu budgetieren, ständigt, in dem aufgezeigt wird, wie wir mit der Krisen- (Beifall des Abg. Herbert Frankenhauser prävention umgehen sollen. Darin sind so viele [CDU/CSU]) Handlungshinweise enthalten, dass wir das Thema ver- stärkt in Angriff nehmen müssen. Wir müssen auch die weil dadurch mehr Flexibilität entsteht. vielen kritischen Anmerkungen, die hier immer wieder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gemacht werden, sehr ernst nehmen. Es darf nicht der CDU/CSU) Eindruck entstehen, dass die militärische Komponente an erster Stelle steht. Vielmehr sollten wir zeigen, dass Zur Arbeit der weltweit 144 Goethe-Institute insgesamt integrativ gearbeitet wird, um die Probleme in der Welt kann ich weiter nichts ausführen, weil meine Redezeit zu lösen. allmählich zu Ende geht. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir über die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) konzeptionellen Umstrukturierungen hinaus eine Reform des Auslandsschulwesens ins Auge fassen Wir haben bereits im Jahr 2006 und für die Folgejahre müssen. Das Schulwesen insgesamt muss effizienter den Haushaltstitel für humanitäre Hilfsmaßnahmen gestaltet werden. Mit den 117 Schulen und 364 geför- auf 50 Millionen Euro verstetigt. Den Haushaltsansatz derten Bildungseinrichtungen erreichen wir immerhin für Maßnahmen des humanitären Minenräumens haben 230 000 Schülerinnen und Schüler. Hier wären der Deut- wir auf 8,4 Millionen Euro festgezurrt. Wir wissen, dass sche Akademische Austauschdienst, die Alexander-von- dies nicht ausreichend ist. Andererseits muss der Haus- Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Insti- halt natürlich auch in diesen Bereichen den Gegebenhei- tut und viele andere Einrichtungen zu erwähnen. (B) ten angepasst werden. (D) Ich darf einen Satz zur ODA-Quote sagen, weil sie Ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Hörster und immer eine große Rolle spielt. Die Maßnahmen, die für auch der Außenminister in ihren Beiträgen auf die Kul- die ODA-Quote angerechnet werden, sind nicht nur turpolitik und auf die Bedeutung der Kultur hingewie- beim BMZ angesiedelt, sondern auch in verschiedenen sen haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass für die anderen Ministerien. Auch das Auswärtige Amt trägt mit Auslandskulturarbeit im Haushalt 2007 ein Zuwachs von den Mitteln für humanitäre Einsätze seinen Teil dazu 4,4 Millionen Euro vorgesehen ist. bei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, Sie haben die Zeit schon weit überzo- Die institutionelle Förderung für die allgemeine Aus- gen. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen. landskulturarbeit sinkt in 2007 auf die ursprüngliche Fi- nanzplanung, da 2006 aus besonderen Gründen eine ein- Lothar Mark (SPD): malige Verstärkung der institutionellen Förderung beim Ich darf zum Schluss dem Außenminister danken für GI vorgenommen wurde. seine ausgezeichnete Arbeit, die das Ansehen Deutsch- Ich will auch darauf hinweisen, dass wir eine Versteti- lands weiter hebt. gung der Mittel für Maßnahmen der politischen Stiftun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen im Ausland durchgeführt haben. Ihre Arbeit muss der CDU/CSU) immer wieder als segensreich für die Bundesrepublik an- gesehen werden. Wir sollten uns hierfür wieder verstärkt Ich danke dem Haushaltsreferat des AA für die gute Zu- einsetzen. sammenarbeit. Ich danke auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihren enga- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gierten Einsatz weltweit. Schließlich danke ich meinen FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei Berichterstatterkollegen, insbesondere dem Kollegen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herbert Frankenhauser, für die faire Verständigungsbe- Zum Goethe-Institut wäre viel zu sagen; in den letz- reitschaft. ten Wochen und Monaten ist in den Medien viel darüber Vielen Dank. geschrieben worden. Ich denke, die Kernaufgaben des Goethe-Instituts sind unbestritten. Die Zielformulierun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen sind klar: Das Goethe-Institut muss zukunftssicher der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4551

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert Frankenhauser Da ich Haushälter bin, muss ich natürlich auch etwas von der CDU/CSU-Fraktion. über die Kostensituation sagen. Herr Außenminister, ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und habe in den zurückliegenden Jahren und auch heute wie- der SPD) der festgestellt, dass wir sehr viel über das Engagement im Ausland – ob direkt oder über die UNO – reden. Da- Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): mit kein Missverständnis entsteht: Ich unterstütze die Überlegungen der Bundesregierung zur deutschen Betei- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich über- ligung im Libanon nachhaltig. Wir reden auch sehr viel nehme gerne die Ausführungen meines geschätzten Vor- über diese Auslandsbeteiligungen, und zwar darüber, redners Lothar Mark, inklusive aller Dankadressen; wie und ob wir hineingehen. Was ich aber vermisse, ist (Heiterkeit) eine Diskussion darüber – wenn auch nur bescheidener Art –, ob und wann wir wieder hinausgehen. das kann meine Redezeit etwas verkürzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe dieser ebenso kurzen wie kurzweiligen De- batte über den Einzelplan 05 Ich lese Ihnen einmal vor – jeder wird es wissen und mit einem Aha begleiten –, woran wir beteiligt sind: MINURSO, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, UNOMIG, UNFICYP, UNMIK, UNOCI, MINUSTAH. Das der SPD und der FDP) ist ein Beispiel von vielen; ich brauche die Abkürzungen aufmerksam zugehört und festgestellt, dass zumindest in nicht im Detail zu erklären, weil das allgemein bekannt zwei Fragen völlige Übereinstimmung im Hause herrscht ist. Wir sollten aber wieder einmal darüber reden, ob das – zumindest von halb links bis zu den Liberalen –, noch sinnvoll ist. Wenn ich mich recht entsinne, gab es am 19. März 1978 die erste UNO-Resolution zum Liba- (Markus Löning [FDP]: Na, na! Nichts non. Ich kenne mich in der großen Außenpolitik nicht Falsches sagen!) aus – wie gesagt: Ich bin nur Haushälter – und weiß nämlich dass die deutsche Außenpolitik von herausra- nicht, ob diese Resolutionen, nachdem sie verabschiedet gender Bedeutung ist und die auswärtige Kulturpolitik wurden, von irgendjemandem noch einmal gelesen und einen ganz besonderen Stellenwert hat. möglicherweise auch kontrolliert werden. (Beifall des Abg. Markus Löning [FDP] – Karl (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber ja Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis- doch!) (B) ter der Finanzen, betritt den Saal) – Dann sind Sie wahrscheinlich eine Ausnahme. (D) – Es freut mich, dass an dieser Stelle meiner Rede auch In der UN-Resolution zur Gründung der UNIFIL der Vertreter des Bundesfinanzministers den Saal wieder – die Kosten dieser Mission, an denen wir auch beteiligt betritt. sind, betragen etwa 268 Millionen Dollar pro Jahr – (Heiterkeit) stand zwar, dass die Hisbollah entwaffnet werden soll. Allgemein ist aber feststellbar, dass es in der Zeit, seit Ihn betrifft das nämlich am meisten; denn er ist der Ein- die UNIFIL vor Ort tätig ist, zur größten Wiederbewaff- zige, der sich dieser allgemeinen Erkenntnis des Hohen nung und Aufrüstung der Hisbollah aller Zeiten gekom- Hauses bislang widersetzt hat. men ist. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das lag am Mandat!) Wenn wir aber weiter so geschlossen voranmarschieren, dann könnte es uns durchaus gelingen, auch noch den Herr Außenminister, ich bitte darum, nicht nur auf die Bundesfinanzminister in die Knie zu zwingen. Dazu for- Laufzeiten solcher Mandate zu achten, sondern viel- dere ich Sie alle sehr herzlich auf. leicht auch etwas auf die Qualität. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der (Beifall des Abg. Markus Löning [FDP]) SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch etwas zur Europäischen Union bzw. zur Europäischen Gemeinschaft sagen. Sie haben – Ich glaube, ich bin heute der einzige, der von der Op- beklagt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger etwas da- position beklatscht worden ist. Vielleicht hält das ja an, von entfernen. Das ist wohl wahr. Ich habe manchmal sodass wir endlich sowohl dem Einzelplan 05 als auch den Eindruck, die EU-Kommission sieht ihre Arbeit der darin enthaltenen auswärtigen Kulturpolitik eine zielgerichtet darin, die EU bewusst von den Bürgern zu halbwegs angemessene Dotierung zukommen lassen entfernen. Ich darf Ihnen ein Beispiel aus der Praxis nen- können. Ich hoffe, dass sich die Kolleginnen und Kolle- nen: Ich finde nur wenige Leute, die begeistert darüber gen, die sich immer in Feuilletons äußern, wenn über die sind, dass die Europäische Union dafür sorgt, dass die Schließung eines Goethe-Instituts nachgedacht wird, bei Biersteuer erhöht wird. Das verstehen die Leute einfach der entsprechenden Abstimmung so verhalten werden, nicht; sie empfinden es auch nicht als besonders europa- dass solche Schließungen gar nicht angedacht werden förderlich. Daher bitte ich Sie dringend, Herr Staats- müssen. sekretär, sich dagegen auszusprechen. 4552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Herbert Frankenhauser (A) Auch die neue Kennzeichnungspflicht in Bezug auf ser Tatsache bin ich froh und dankbar, dass wir im Haus- (C) Bier- und Weinflaschen freut die Leute nicht und fördert halt 2006 eine Stabilisierung der Mittel erreichen konn- auch nicht ihre Nähe zu Europa. Ich weiß nicht, wel- ten und dass wir im Haushaltsplanentwurf für das Jahr chem Gehirn dies eingefallen ist; ich muss mich ja parla- 2007, über den wir hier diskutieren, eine Steigerung fest- mentarisch ausdrücken. Diese Pflicht fördert die ange- stellen können. sprochene Einstellung der Bürger, insbesondere solange die EU-Kommission bei gleichen oder noch stärkeren Wir haben insgesamt – einschließlich der Versorgung, Gefährdungspotenzialen keine Warnhinweise gibt, zum lieber Kollege Kampeter – einen Etat von 28,4 Milliar- Beispiel bei Eisenbahnlokomotiven, die bekannterma- den Euro, ßen auch gefährlich sind, wenn man gegen sie läuft, während sie in Fahrt sind, oder bei den durchaus belieb- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch ten Schwarzwälder Kirschtorten, schon was!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) der um 525 Millionen Euro ansteigt – ohne Versorgung sind dies 480 Millionen Euro – und in der Perspektive wobei ich als Nichtmediziner der festen Überzeugung bis 2009/2010 um 1 Milliarde Euro. Dies ist auch not- bin, dass acht Schwarzwälder Kirschtorten gesundheits- wendig; denn wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten schädlicher sind als acht Seidel Bier. im Interesse unserer Sicherheit in gefährliche Einsätze (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und schicken, haben sie es verdient, eine gute Ausbildung der FDP) und eine gute Ausrüstung zu bekommen. Dafür brau- chen wir die notwendige finanzielle Grundlage. In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, daran mitzuwir- ken, dass die Europäische Union mehr auf ihre Bürger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zielt. neten der SPD) Herzlichen Dank. Teilweise wurde die Frage angesprochen, woran sich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP die Auslandseinsätze der Bundeswehr eigentlich orien- und der LINKEN) tieren sollten. Diesbezüglich sollten wir schon eine Übereinstimmung erzielen. Die Auslandseinsätze sind wertorientiert; sie dienen den nationalen Interessen und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sie entsprechen unseren internationalen Verpflichtungen. Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes liegen nicht vor. Aktuell befinden sich 7 850 unserer Soldatinnen und (B) Soldaten in Auslandseinsätzen. Wie Sie wissen, sind wir (D) Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- mit dem stärksten Kontingent in Bosnien-Herzegowina ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. sowie im Kosovo vertreten. Ich kann nur hoffen, dass Bevor ich das Wort erteile, bitte ich diejenigen Kolle- sich nach den im Oktober anstehenden Wahlen in Bos- gen, die jetzt die Plätze wechseln wollen, dies zu tun, da- nien-Herzegowina und den hoffentlich positiven Ergeb- mit wir dem Verteidigungsminister anschließend unsere nissen der Statusverhandlungen hinsichtlich des Kosovo Aufmerksamkeit schenken können. – Ich erteile jetzt dort eine Entwicklung abzeichnen wird, aufgrund deren dem Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef die Region ihre Sicherheit und Stabilität in einer euro- Jung, das Wort. päischen Perspektive selbst mit gewährleisten kann. Wir sind in einer nicht einfachen Mission in Afgha- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- nistan. Es darf nicht vergessen werden, dass Afghanis- gung: tan ein Ausbildungszentrum für den Terrorismus war. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Dort sind jetzt erstmals seit mehr als 30 Jahren demokra- Herren! Der Verteidigungshaushalt ist insbesondere tische Parlaments- und Präsidentenwahlen durchgeführt durch die aktuellen Diskussionen im Hinblick auf die worden. Die Strategie, die die Bundesrepublik Deutsch- Auslandseinsätze wieder etwas mehr in den Blickpunkt land und unsere Soldatinnen und Soldaten jetzt dort ver- der Öffentlichkeit geraten. Ich halte es für richtig und wirklichen, nämlich im Norden Afghanistans mit fünf gut, dass wir uns hier inhaltlich über die Fragen der Wiederaufbauteams Stabilität und Sicherheit zu gewähr- Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinander set- leisten, aber auch die zivile Komponente – das heißt den zen; denn ich bin durchaus der Auffassung, dass die Aufbau von Sicherheitsstrukturen der Polizei sowie Bundeswehr auch und gerade durch die Auslandsein- entwicklungspolitische und wirtschaftspolitische Initia- sätze einen erheblichen Beitrag für unsere Sicherheit tiven – mit im Blick zu behalten, lässt die Menschen leistet. Aber von der Bundeswehr können nicht immer spüren, dass die Stabilisierung und der Wiederaufbau er- mehr dieser Einsätze verlangt werden, wenn die dafür folgen und damit letztlich Sicherheit und eine positive erforderlichen finanziellen Grundlagen nicht vorhanden Entwicklung gewährleistet werden. Ich glaube, das ist sind. die richtige Strategie einer vernetzten Sicherheitspolitik, Bevor diese Regierung ins Amt kam, musste inner- die wir in Afghanistan umsetzen. Ich hoffe und wünsche, halb der letzten fünfzehn Jahre eine Reduzierung des dass sie auch Ihre Unterstützung findet, weil ich glaube, Anteils des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt um dass das der richtige Weg für einen Erfolg in Afghanis- circa ein Drittel hingenommen werden. Angesichts die- tan ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4553

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- men von Enduring Freedom am Horn von Afrika in (C) neten der SPD) Dschibuti. Wir sind an der Operation Active Endeavour am Mittelmeer beteiligt, die als Folgewirkung des Wir haben über 2 700 Soldatinnen und Soldaten in 11. September aufgrund des Bündnisfalls nach Art. 5 des Afghanistan. Herr Trittin ist nicht mehr da, NATO-Vertrags zustande kam. Wir sind beispielsweise (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist kein auch in Georgien im Einsatz. Verlust! – Gegenruf der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gegenwärtig diskutieren wir über eine weitere Unter- NEN]: Das kann man so und so sehen!) stützung einer Friedenstiftenden Mission im Libanon. Erlauben Sie mir vorab eine Bemerkung. Wir leisten sonst hätte ich ihm sagen können, dass wir die Verant- auch einen wichtigen Beitrag zu humanitären Hilfen. wortung für den Norden übernommen haben, die italie- Wir haben bis zum heutigen Tag mit über 20 Flügen nischen Freunde die Verantwortung für den Westen, die mehr als 135 Tonnen Hilfsgüter – von Babynahrung Briten die Verantwortung für den Süden und die Ameri- über Medizin und Zelte bis zu UNO-Fahrzeugen – sowie kaner die Verantwortung für den Osten. Insgesamt sind Hilfspersonen in die Region gebracht und damit einen dort 37 Nationen engagiert. wichtigen humanitären Beitrag geleistet. Ich habe das, was wir aus meiner Sicht dort beispiel- Nun geht es darum, dafür Sorge zu tragen, dass eine haft umsetzen, gerade mit meinem italienischen Kolle- im Hinblick auf die Gewährleistung des Waffenstillstan- gen besprochen. Unsere Freunde – auch unsere briti- des Frieden stiftende Mission erfolgreich ist. Ich halte es schen Kollegen – sehen das genauso. Inzwischen denken für richtig, dass wir uns in einer Situation nicht verwei- auch unsere amerikanischen Freunde so, sodass ich gern, in der es um das Existenzrecht des Staates Israel, hoffe und wünsche, dass wir dort zu einer Stabilisierung die Souveränität des Libanon und das Verhältnis Palästi- der Lage und zu einer guten Entwicklung kommen. Man nas zu Israel im Hinblick auf die Umsetzung der muss aber auch deutlich machen, dass sich die Zahl der Roadmap geht. Die notwendige und vorrangige politi- Anschläge gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat und sche Lösung kann aber nur erzielt werden, wenn die dass im Hinblick auf die Sicherheit eine Risikolage be- Waffen weiter schweigen, wenn die Einhaltung des Waf- steht. Deshalb habe ich angeordnet, dass wir dort nur fenstillstandes unterstützt wird. noch mit geschützten Fahrzeugen fahren, und deshalb ist die Aufklärung zusätzlich verstärkt worden. Der Schutz (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) unserer Soldatinnen und Soldaten muss uns ein besonde- res Anliegen sein – auch und gerade in schwierigen Ein- Wie Sie wissen, warten wir auf die Anforderung des Libanon. Wenn sie eingetroffen ist, werden die Vereinten (B) sätzen wie in Afghanistan. (D) Nationen gegebenenfalls unsere Unterstützung bei der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gewährleistung der Seesicherheit beschließen. Wenn das neten der SPD) der Fall ist, werde ich bei Ihnen für ein entsprechendes Über den Kongoeinsatz ist hier teilweise kritisch dis- Mandat werben. kutiert worden. Aber ich glaube, man muss in aller Ruhe Das sind die Verpflichtungen der Bundeswehr in den feststellen, dass dieser Einsatz dazu geführt hat, dass in Auslandseinsätzen. Aber wir sollten uns keine Illusionen der Zeit vom 21. bis 22. August der erneute Ausbruch ei- machen. Es sind zwar Frieden stiftende Missionen. Aber nes Bürgerkriegs verhindert werden konnte. Die Situa- sie sind mit Risiken und teilweise mit Gefahren für Leib tion war mehr als kritisch, als die Truppen Kabilas die und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten verbunden. Villa des Vizepräsidenten Bemba umstellt hatten und es 64 Soldatinnen und Soldaten haben bereits ihr Leben in dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. In der Auslandseinsätzen verloren. Deshalb muss man aus mei- Villa waren auch Botschafter. Als sich die Frage der ner Sicht, wenn es um einen neuen Einsatz geht, darauf Evakuierung stellte, haben sowohl die spanischen als hinweisen, dass es gefährliche Situationen geben kann, auch die polnischen Freunde mit unserer Unterstützung in denen unsere Soldaten kämpfen müssen. Das gilt bei der Aufklärung dazu beigetragen, dass die Situation ebenfalls im Hinblick auf eine eventuelle Evakuierung nicht in einen Bürgerkrieg umgeschlagen ist. Vielmehr im Kongo. Wir haben das bereits beispielsweise in Af- können wir jetzt wieder davon ausgehen, dass sich die ghanistan erlebt, wo unsere Soldaten angegriffen wur- Situation stabilisiert hat. Ich hoffe und wünsche, dass den. Das kann man bei neuen Einsätzen nicht ausschlie- wir diese Situation bis zu den Stichwahlen aufrechterhal- ßen. Das sollte man auch in der Öffentlichkeit deutlich ten können, damit sie in einem friedlichen und stabilen ansprechen. Ich erachte es für falsch, die wahre Situation Umfeld stattfinden können und die ersten demokrati- nicht zu beschreiben, sondern Illusionen zu verbreiten, schen Wahlen nach über 45 Jahren in diesem Land ihren wenn es um gefährliche Auslandseinsätze geht. Unsere positiven Niederschlag finden. Soldatinnen und Soldaten leisten, wie ich finde, einen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hervorragenden Dienst. Sie mehren das Ansehen der neten der SPD) Bundesrepublik Deutschland in den unterschiedlichen Kulturen. Wir sollten ihnen für den Einsatz dankbar sein, Ich könnte noch alle anderen Einsätze, an denen die den sie für unsere Sicherheit leisten. deutsche Bundeswehr beteiligt ist, darstellen. Wie Sie wissen, sind wir in beobachtender Mission im Sudan, in (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Darfur, und in Äthiopien und Eritrea. Wir sind im Rah- FDP) 4554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört natürlich – ich sehe Sie gerade, Herr Kollege Kahrs –, dass unsere (C) auch der Schutz Deutschlands. Die Bundeswehr hilft bei Schiffe für den Einsatz in warmen Gewässern wie zum jeglicher Art von Katastrophen. Ihr Einsatzspektrum Beispiel dem Mittelmeer nicht vorgesehen sind, dann reicht – ich kann es nur schlagwortartig skizzieren – von muss ich sagen: Unsere Schiffe fahren vor Dschibuti, wo der Schneekatastrophe über die Vogelgrippe bis zum die Gewässer noch ein Stück wärmer sind. Das heißt, un- Hochwasserschutz. Die Bundeswehr soll sicherlich nicht sere Bundeswehr ist schon ordentlich ausgerüstet und originäre Polizeiaufgaben übernehmen. Da man aber wir bieten ordentliche Fähigkeiten an. Deshalb sollte heute nicht mehr ohne weiteres zwischen innerer und äu- man konkret werden, wenn man über diese Dinge redet. ßerer Sicherheit trennen kann, halte ich es für notwen- dig, dass die Bundeswehr dann, wenn die Fähigkeiten Tatsache ist, dass unsere Soldatinnen und Soldaten der Polizei nicht mehr ausreichen, wenn es beispiels- gut ausgebildet, gut ausgerüstet und auch hoch motiviert weise um terroristische Anschläge aus der Luft oder von sind. Deshalb haben sie unsere politische Unterstützung See oder um eine asymmetrische Bedrohung geht, ihre und im Rahmen der Haushaltsberatungen auch unsere fi- Fähigkeiten zur Gewährleistung der Sicherheit und zum nanzielle Unterstützung verdient. Ich bitte Sie um Zu- Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Dies stimmung zu diesem Haushaltsentwurf, im Interesse der werden wir auch in Zukunft gewährleisten. Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und im Inte- resse der Sicherheit unseres Landes. (Beifall bei der CDU/CSU) Besten Dank. Wir zählen im Rahmen des Konzepts der zivil-militä- rischen Zusammenarbeit auf die Unterstützung der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Reservisten. Wir brauchen weiterhin Reservisten. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der letzte Satz 1 800 finden jedes Jahr Verwendung in Auslandseinsät- war sehr gut, Herr Minister!) zen. Die Reservisten sind ein wichtiger Transmissions- riemen für die Bundeswehr in die Gesellschaft. Sie ha- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ben weiterhin unsere Unterstützung verdient. Deshalb Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, be- möchte ich hier meinen Dank an die Reservisten für den grüße ich in Ihrer aller Namen den indischen Verteidi- Beitrag, den sie zur Gewährleistung unserer Sicherheit gungsminister Pranab Mukherjee mit seiner Delegation, leisten, zum Ausdruck bringen. die auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall) bei Abgeordneten der FDP) Herr Minister, wir freuen uns sehr über Ihren Besuch. Weil das angesprochen wurde, möchte ich es aufgrei- (B) Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt in (D) fen: Ich bin dankbar, dass wir im Koalitionsvertrag Berlin und fruchtbare Gespräche. – Vielen Dank. vereinbart haben, an der Bundeswehr als eine Wehr- pflichtarmee festzuhalten. Von der Richtigkeit dieses Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von Beschlusses bin ich felsenfest überzeugt; denn die Wehr- der FDP-Fraktion. pflicht hat sich in mehr als 50 Jahren Bundeswehr be- währt. Sie stellt eine Verbindung der Bundeswehr mit (Beifall bei der FDP) unserer Gesellschaft dar. Zur Bundeswehr gehört nicht nur die innere Führung, Birgit Homburger (FDP): sondern auch die Wehrpflicht. Die Bundeswehr hat sich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die als Wehrpflichtarmee über 50 Jahre hinweg positiv ent- meisten Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ver- wickelt. Ich bin der Auffassung, wir sollten auch in Zu- richten ihren Dienst im Moment in den Kasernen und auf kunft an der Wehrpflichtarmee festhalten, weil die Ver- den Übungsplätzen in Deutschland, aber doch sind na- bindung mit der gesellschaftlichen Entwicklung für hezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten heute schon im unsere Armee positiv ist. Einsatz in Afghanistan, in Usbekistan, in Bosnien-Her- zegowina, im Kosovo, in Georgien, im Kongo und am (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Horn von Afrika. Ihnen allen gebührt unser Dank für Von 60 000 Wehrpflichtigen, die wir im Jahr einzie- ihre hohe Leistungsbereitschaft und ihre vorbildliche hen, verpflichten sich 25 000 freiwillig weiter. Auch das Pflichterfüllung, die sie oft genug unter widrigen Um- ist ein Gesichtspunkt, den man nicht aus dem Auge ver- ständen beweisen müssen. lieren darf, wenn es um Strukturentwicklungen der Bun- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD deswehr geht. Ich möchte noch hinzufügen, dass wir und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch im Hinblick auf die Investitionen einen erheblichen Beitrag leisten. Der Jahreswirtschaftsbericht beziffert sie Diese widrigen Umstände sind einerseits im Zusam- mit 6 Milliarden Euro. menhang mit den Einsatzländern zu sehen, andererseits, Herr Minister, beruhen sie auf mangelnder Führungsleis- Natürlich befindet sich die Bundeswehr in einem tung Ihrerseits. Transformationsprozess. Natürlich müssen wir uns auf aktuelle Einsatzlagen einstellen und tun dies auch. Die (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Bundeswehr steht vor einer enormen Herausforderung. Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Wenn ich aber in dem einen oder anderen Bericht lese GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4555

Birgit Homburger (A) Eine mangelhafte Führungsleistung ist es zum Beispiel, Sämtliche von uns vorgetragenen Bedenken sind be- (C) wenn Aufträge und Mittel nicht im Einklang stehen. Wir stätigt worden. Ihre Prognose, dass deutsche Soldaten im haben im Jahr 2000 drei Auslandseinsätze der Bundes- Kongo höchstens vier Monate stationiert sind, ist nicht wehr bei einem Etat von 23,2 Milliarden Euro gehabt. haltbar. Schauen Sie sich doch einmal die Situation nach Im Jahr 2006 gibt es acht Auslandseinsätze bei einem dem ersten Wahlgang an! Sie haben sie gerade selbst ge- Etat von 23,88 Milliarden Euro. Der erste Eindruck: eine schildert. Heute wurde bekannt, dass das oberste Gericht Steigerung von 3 Prozent, zumindest nominal. Wenn des Kongo die Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse man allerdings die Inflationsrate herausrechnet, dann er- der Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit verscho- gibt sich real eine Reduzierung um über 10 Prozent, und ben hat, weil dagegen geklagt wird. Wir hören auch, dass das vor dem Hintergrund mehrerer zusätzlicher gefährli- die Milizen im Kongo aufrüsten. cher Aufträge. Das alles gibt doch Anlass zur Sorge. Ihre einzige Re- ( [FDP]: Unglaublich!) aktion lautet: Ich verspreche den Soldatinnen und Solda- ten, dass sie in vier Monaten zu Hause sind. Für das Das geht zulasten der Ausrüstung. Das ist für die Truppe Kontingent, das vor Ort ist, gilt das auf jeden Fall, Herr unzumutbar und politisch nicht mehr hinnehmbar. Minister. Aber ich prophezeie Ihnen: Wenn die Situation nach dem zweiten Wahlgang eskaliert und international (Beifall bei der FDP) Druck dahin gehend ausgeübt wird, dass deutsche Solda- Sie, Herr Minister, sagen, Sie brauchten mehr Geld. ten weiterhin im Kongo stationiert sind, dann werden Sie Das haben wir im Übrigen vor dem Beschluss über den auch in diesem Punkt einknicken. Das wird passieren. Kongoeinsatz auch schon von Ihnen gehört. Aber durch- Ich wiederhole: Schon jetzt ist absehbar, dass diese Auf- gesetzt haben Sie es nicht. Jetzt wird die Forderung wie- gabe in vier Monaten nicht zu erledigen ist. der erhoben. Herr Minister, Forderungen allein nützen (Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter nichts. Sie dürfen sich vom Finanzminister eben nicht [CDU/CSU]: Frau Homburger ist jetzt unter wieder über den Tisch ziehen lassen. Sie müssen sich die Prophetinnen gegangen!) endlich einmal durchsetzen – bisher weit gefehlt! Was die Wahlen angeht, haben Sie sich nach wie vor Der Gesamthaushalt 2007 steigt nach dem vorliegen- nicht um ein politisches Konzept gekümmert. Ich finde den Entwurf um 2,3 Prozent. Der Einzelplan 14 steigt es bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung nach um 2 Prozent, in Zahlen ausgedrückt: um 480 Millionen dem Beschluss im Deutschen Bundestag – ein wesentli- Euro. Herr Minister, 2007 wird die Mehrwertsteuer um cher Grund, warum wir, die FDP, ihm nicht zustimmen 3 Prozentpunkte erhöht. Das bedeutet für den Verteidi- konnten, war, dass unserer Meinung nach ein politisches (B) gungshaushalt eine Zusatzbelastung von 300 Millionen Konzept für die Stabilität des Landes nach den Wahlen (D) Euro. Für die Bundeswehr heißt das unterm Strich, dass fehlt – um das Thema Kongo schlicht und ergreifend im nächsten Jahr trotz gestiegener Anforderungen real nicht mehr gekümmert hat. Dieses ganze Thema ist erst weniger Mittel zur Verfügung stehen als in diesem Jahr. wieder auf Ihrem Plan gewesen, als der deutsche Bot- Das, Herr Minister, ist nicht weiter zu verantworten. schafter und andere in dieser gefährlichen Situation wa- ren. (Beifall bei der FDP) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Deshalb müssen Sie dafür sorgen, dass sich die Bun- Stuss! Unglaublich!) desregierung hier eindeutig erklärt. Am saubersten wäre eine Lösung, die vorsieht, dass zusätzliche Einsätze aus Vorher haben Sie sich darum nicht gekümmert. Das ist dem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Das Ganze nicht hinnehmbar. Wer deutsche Truppen ins Ausland liegt ohne Wenn und Aber in Ihrer Verantwortung. Ich schickt, muss sich auch um eine politische Lösung küm- sage Ihnen ganz deutlich: Sie schulden der Truppe Klar- mern. heit in der Forderung und auch Durchsetzungsfähigkeit. (Beifall bei der FDP) Beides vermissen wir, nicht nur beim Haushalt. Das gilt im Übrigen auch für die Vorbereitungen eines Beispielhaft verweise ich auf all das, was beim Ein- Einsatzes im Nahostkonflikt. Wir haben die Grundsatz- satz im Kongo schief gelaufen ist. Zuerst waren Sie ei- debatte dazu im Rahmen der Beratung des Etats des gentlich eher ablehnend und haben gesagt: nur Sanitäter Auswärtigen Amtes geführt. Die Bundesregierung hat oder nur Transport. Dann haben Sie gesagt: keine Füh- hier in den letzten Wochen aus unserer Sicht Vorschläge rungsrolle. Heute haben wir eine Führungsrolle. Dann für eine politische Lösung und Hilfsangebote durch eine haben Sie gesagt: 500 Soldaten. Jetzt sind es 780. Dann Militärangebotspolitik ersetzt. Herr Minister, Sie waren haben Sie gesagt: Der Einsatz ist auf vier Monate be- derjenige, der hier zuvorderst klar gesagt hat: „Wir kön- grenzt. Sie haben in der Vorbereitung des Kongoeinsat- nen uns dem nicht entziehen!“ und damit die Bundesre- zes einen Hickhack abgeliefert. Wenn man sich heute an- publik Deutschland in diese schwierige Situation ge- schaut, was in der Vorbereitung des von Ihnen geplanten bracht hat. Nahosteinsatzes geschieht, dann muss man schlicht fest- stellen: Sie haben daraus nichts gelernt. Sie haben dann nahezu täglich für weitere Irritationen gesorgt. In einem für den Auftrag und die Truppe ent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten scheidenden Moment fehlen wieder Klarheit und Durch- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) setzungsfähigkeit. Ich wundere mich schon, dass Sie hier 4556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Birgit Homburger (A) nichts zu der aktuellen Debatte über diese Sechs-Meilen- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt (C) Zone sagen. Herr Minister, das hätte in diese Debatte ge- jetzt wieder nicht!) hört. Eine klare Linie ist nicht erkennbar. Sie stolpern von ei- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das nem Einsatz in den nächsten. Die dringend nötige ist eine Haushaltsdebatte!) Grundsatzdebatte über Kriterien für einen Auslandsein- satz, die eigentlich anhand des Weißbuchs geführt wer- Wir stellen fest, der Libanon stellt Bedingungen. Ich den müsste, haben Sie durch desaströses Management hätte von Ihnen erwartet, dass Sie auch sagen: Diese Be- und unnötige Alleingänge an die Wand gefahren. Des- dingung ist nicht akzeptabel, weil eine effektive Kon- halb bitte ich die Bundeskanzlerin um eine Regierungs- trolle und die Unterbindung von Waffenschmuggel es erklärung zur Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr und nicht zulassen, dass die libanesische Armee in einer die Sicherheitspolitik sind zu wichtig, um sie weiter ei- Sechs-Meilen-Zone zuständig ist. Das sagen Ihnen alle nem angeschlagenen Minister allein zu überlassen. Fachleute. Vielen Dank. (Rainer Arnold [SPD]: Kennen Sie die Bedin- gungen schon? Kennen Sie die Papiere?) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beispielsweise hat Herr Gertz vom Bundeswehr-Ver- NEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU) band deutlich gesagt, dass das nicht geht. Herr Minister, deswegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie klar und deut- lich sagen, dass das nicht infrage kommt. Solange die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Einsatzregeln nicht klar sind und solange das Ziel eines Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der Einsatzes, wie Sie es definieren, aufgrund der Rahmen- SPD-Fraktion. bedingungen gar nicht erreichbar ist, (Beifall bei der SPD) (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben? – Steffen Rainer Arnold (SPD): Kampeter [CDU/CSU]: Kennen Sie die Anfor- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Für derung schon?) uns Verteidigungspolitiker ist es eine neue Erfahrung, ist es unverantwortlich, deutsche Soldaten in Gefahr zu dass in einer solchen Haushaltsdebatte eigentlich durch- bringen. gängig von morgens bis abends über deutsche Sicher- heits- und Verteidigungspolitik gesprochen wird. (Dr. [Heidelberg] [CDU/CSU]: (B) Das tun wir doch gar nicht!) (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Au- (D) ßenpolitik haben wir auch ein bisschen bespro- Dazu erwarte ich eine klare Stellungnahme von Ihnen. chen!) (Beifall bei der FDP) Das begrüßen wir. Das spiegelt auch die Veränderung in Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema der Welt, in der Staatengemeinschaft wider. Afghanistan machen. Herr Minister, die Situation in Af- Frau Homburger, die sicherheitspolitische Welt, die ghanistan – auch Sie haben das angesprochen – hat sich sich rasant verändert, verändert sich nicht nach den Vor- verschärft. Ich erwarte, dass wir im Deutschen Bundes- gaben der FDP. Das können Sie nicht steuern. tag im Rahmen der Diskussion über die Verlängerung des ISAF-Mandats, das am 13. Oktober abläuft, endlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einmal darüber sprechen, der CDU/CSU – Birgit Homburger [FDP]: Aber die kann man mit Ihrer Art und Weise der (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir Politik auch nicht gestalten!) doch!) Sie machen es sich hier in einer Art und Weise leicht mit welche politischen Ziele und welche Ziele im Land ei- der Kritik, dass ich das, was Sie an Pfeilen losgesendet gentlich erreicht sein müssen, damit die Bundeswehr haben, zurückgeben will. wieder abziehen kann. Das sind Fragen, die beantwortet werden müssen. Auch hierbei geht es um ein politisches Sie erheben hier den Vorwurf, Deutschland isoliere Gesamtkonzept und eine Diskussion mit unseren Part- sich durch sein internationales Engagement in der inter- nern. Das muss im Rahmen dieser Debatte im Deutschen nationalen Staatengemeinschaft. Darüber müssen Sie in Bundestag gewährleistet werden. Ihrer Partei schon noch einmal nachdenken. Hierzu müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, auch (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) Gespräche beispielsweise in Afghanistan. Sie waren Würden wir Ihren Ratschlägen folgen, wäre Deutschland dort. Sie haben die Truppe besucht. Sie waren nicht in in der Staatengemeinschaft allein Kabul. Das ist einer der weiteren großen Fehler Ihrer Amtszeit. (Bernd Siebert [CDU/CSU]: So ist die Wahr- heit!) Herr Minister, in der heutigen Debatte geht es nicht nur um die Einbringung des Haushalts 2007, sondern und würde sich nicht mehr mit seinen Freunden und auch um die Bilanz über ein Jahr Regierungstätigkeit. Partnern auf gemeinsame Vorgehensweisen gegen ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4557

Rainer Arnold (A) meinsam erkannte Risiken verständigen. Das wäre un- ger verstärkt werden muss. Aber entscheidend bleibt: (C) verantwortlich. Wenn es uns nicht gelingt, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan wirklich zu verändern, wenn Wenn Sie genau nachdenken, werden Sie merken, es uns nicht gelingt, zu erreichen, dass die Menschen in dass Sie inzwischen manchmal doch nahe an der Argu- den Dörfern etwas anderes hören und erfahren als isla- mentation der Kollegen der PDS bzw. der Linken sind. mistische Propaganda, dann wird das Mandat am Ende Da würde ich mich an Ihrer Stelle schon fragen, ob ich nicht erfolgreich sein. Wir brauchen eine sehr viel stär- nicht etwas falsch mache. ker vernetzte Debatte über den politischen und ökonomi- (Ernst Burgbacher [FDP]: Bleiben Sie auf dem schen Prozess in Afghanistan. Teppich! – Birgit Homburger [FDP]: Völlig (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE daneben!) GRÜNEN]: Richtig!) Als ich heute Morgen den Sprecher aus dem Saarland Wir werden in der nächsten Sitzungswoche ausführlich gehört habe, ist mir eingefallen, dass Willy Brandt Gelegenheit haben, diese ein Stück weit zu verbreitern. – vielleicht haben wir ihn mal gemeinsam geschätzt – Ich denke, das ist die richtige Antwort angesichts der gesagt hat: links und frei. Er hat aber nicht gemeint: frei Herausforderungen. von Verantwortung. Diese Art der Politik „frei von Ver- antwortung“ betreiben diese beiden Oppositionsparteien, Die zweite neue Herausforderung, die wir haben, ist Linke und FDP, gerade miteinander. das Mandat im Kongo. Bei allen Schwierigkeiten – aber wir sind ja dort, weil es schwierig ist – ist der (Beifall bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Wahlprozess wie geplant verlaufen. Die Entsendung der Das ist doch Ihr Koalitionspartner in Mecklen- europäischen Truppe war richtig. Eines hat sich doch ge- burg-Vorpommern!) zeigt: Beim Aufkeimen von Unruhen hat sich die These So viel zum Einstieg. der Staatengemeinschaft, dass eine stabile Gruppe benö- tigt wird, die möglicherweise von außen noch verstärkt Wir alle merken, was sich auch für die Bundeswehr werden kann, bestätigt und damit hat sich die Entsen- verändert hat. Wir haben in den Einsatzgebieten verän- dung bewährt. Deshalb gibt es keinen Grund für Verän- derte Bedingungen und neue Aufgaben. Das gilt in ho- derungen. hem Maße für die Sicherheitslage in Afghanistan. Bei allen Erfolgen, die der Außenminister heute hier zu Noch weniger Grund gibt es, schon jetzt über eine Recht beschrieben hat, gibt es keinen Grund, um die ei- Verlängerung des Mandats zu diskutieren. Ich glaube, gentlichen Probleme herumzureden. Im Süden des Lan- dass die Verlässlichkeit bezüglich der Einhaltung des (B) des herrscht in diesen Tagen letztlich wieder Krieg. Mandats von vier Monaten für die Soldaten in der (D) Auch wenn es noch keine Irakisierung des Landes gibt, Truppe, aber auch für die deutsche Öffentlichkeit ein die Methoden sind in Afghanistan die gleichen wie im sehr hohes Gut ist. Wenn die Situation sich wirklich ver- Irak: Sprengstofffallen, Selbstmordattentäter und vieles ändert, dann muss auch in New York neu nachgedacht andere mehr. Dass dies auch im Norden durchschlägt, werden, wie MONUC ausgestaltet wird. Wir würden macht die Arbeit für die Soldaten und für die Bundes- gern zu den im Einsatzbeschluss vorgesehenen vier Mo- wehr dort nicht einfacher. Deshalb ist es selbstverständ- naten stehen. Dies ist für die Verteidigungspolitiker na- lich, dass wir Politiker, aber auch die Truppe selbst, im- türlich ein sehr wichtiger Punkt. mer wieder darüber nachdenken, wo dieses Mandat ein Frau Homburger, wenn Sie hier immer die angeblich Stück weit nachgebessert und neu justiert werden muss, fehlenden politischen Konzepte anmahnen, wo neue Fähigkeiten benötigt werden, wo zusätzlicher Schutz für die Soldaten erforderlich ist. (Birgit Homburger [FDP]: Ist doch so!) Aber am Ende bleibt doch die Erkenntnis, dass dieser dann ist das keine Kritik am Verteidigungsminister und Auftrag wirklich ohne Alternative ist. auch keine Kritik an der Bundesregierung. Es ist eine an- maßende Kritik der Weltmacht FDP an allen internatio- (Birgit Homburger [FDP]: Das ist aber anmaßend!) nalen Organisationen und der internationalen Staatenge- Wenn wir diesen Auftrag nicht hinbekommen, fragen meinschaft insgesamt. Die Konzepte für den Kongo uns die Menschen eines Tages: Warum habt ihr zugelas- – dieses Mandat ist ja nur ein kleines Mosaiksteinchen; sen, dass sich Drogenkartelle, Terroristenausbildungs- es gibt ein breites Konzept für den Kongo – und für Af- camps und schlimmste Menschenrechtsverletzungen un- ghanistan müssen hinterfragt und auch verändert wer- ter euren Augen wieder ausgebreitet haben? – Das wäre den. Ihre Kritik richtet sich in einer überheblichen Art die Frage, die uns die nachfolgenden Generationen stel- und Weise an all die Akteure, len würden. Deshalb sage ich ausdrücklich: Wir müssen (Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist eine schulmeis- und werden alles tun, damit dieses Mandat zum Erfolg terliche Art, das ist ja nicht auszuhalten!) geführt wird. die sich in der internationalen Politik um diese Prozesse Ich weiß, dass das nicht primär eine militärische Auf- bemühen. Ich halte die Kritik wirklich für absolut nicht gabe ist. Es ist wichtig, dass die Soldaten das bekom- in Ordnung. men, was sie brauchen. Sie haben dort 480 geschützte Fahrzeuge. Es ist also keinesfalls so, dass wir sie ohne Es gibt eine dritte Veränderung – sie wurde schon an- Schutz und alleine lassen. Wir wissen, dass das Basisla- gesprochen –, und zwar den möglichen Einsatz im 4558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Rainer Arnold (A) Libanon. Wir wissen alle, dass das in erster Linie eine gehen. Der Verteidigungsminister hat hierbei unsere (C) humanitäre Aufgabe ist, die schnell angegangen werden volle Unterstützung. musste. Das Blutvergießen dort musste gestoppt werden. Der Maßstab, nach dem wir entscheiden, sollte nicht so Nach wie vor gelten die folgenden vier Grundsätze: sehr die historische Verantwortung sein. Die haben wir; Erstens. Die Reform der Bundeswehr war richtig. Wir ganz klar. Daraus kann man aber zwei unterschiedliche müssen sie jetzt aber auch durchhalten. Erkenntnisse ziehen: Man kann sagen, wegen unserer Geschichte müssen wir uns dort heraushalten. Aber ge- Zweitens. Wir sehen allerdings, dass es schneller ge- nauso ethisch ist es zu sagen, gerade wegen unserer Ge- hen muss. Nicht alles kann man der Politik an den Hut schichte müssen wir uns dort engagieren. hängen; auch die Industrie ist manchmal langsamer, als wir uns wünschen – das muss man ganz deutlich Deshalb ist mein Maßstab – und ich denke, auch der sagen –, und enttäuscht uns gelegentlich auch. Es kann vieler Kollegen – die Frage: Können wir einen ernsthaf- auch nicht alles mit der Bereitstellung von Mitteln ge- ten Beitrag zur Stabilisierung in dieser Region leisten? klärt werden. Hubschrauberpiloten und qualifizierte Können wir kurzfristig einen ernsthaften Beitrag zum Ärzte kann man nicht einfach kaufen. Das braucht seine Beenden des Blutvergießens leisten und langfristig einen Zeit. Prozess mit unterstützen, der zu einer nachhaltigen Frie- denslösung führt? Ich glaube, wenn wir gefragt werden Drittens. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag ver- und das Mandat so ausgestaltet wird, dass es wirksam einbart: Wir werden für die Auslandseinsätze die not- ist, dann wird es keinen Dissens geben und dann werden wendigen Ressourcen bereitstellen. Dieser Koalitions- alle dieses Mandat unterstützen, auch der Verteidigungs- vertrag gilt. minister. Viertens. Wir werden – ich sagte es schon – dafür sor- (Birgit Homburger [FDP]: Dann kann man es gen, dass die Bundeswehr als Instrument für den Spiel- auch sagen!) raum in der internationalen Politik erhalten bleibt. Dann werden wir am Ende gut daran tun, diese Aufgabe (Birgit Homburger [FDP]: Man kann es sich zu übernehmen. auch einfach machen! Man kann es sich wirk- lich verdammt einfach machen, Herr Arnold!) All diese Veränderungen werden sich natürlich auf die Bundeswehr auswirken. Ich glaube nicht, dass die Bei all diesen Diskussionen vergessen wir nicht die Reform deshalb falsch ist. Aber wir haben ein objektives Menschen in der Truppe. Wir müssen die Attraktivität Problem: Die Reform zielte auf das Jahr 2010 ff. ab; die (B) steigern. Wir müssen jetzt das Personal für morgen an- (D) Welt hat sich aber schneller verändert. Deshalb glaube werben. Wir müssen uns jetzt Gedanken darüber ma- ich, dass wir sehr sorgsam miteinander über die Frage chen, dass es bei einem veränderten Arbeitsmarkt für die reden müssen: Welche Veränderungen sind kurzfristig Bundeswehr nicht einfacher wird, qualifiziertes Personal erforderlich? Ich würde es für richtig halten, wenn wir zu bekommen. Wir müssen jetzt auch darüber nachden- sorgsam die Fragen untersuchen: Welchen zusätzlichen ken, ob Zeitsoldaten nicht vielleicht ein bisschen länger Schutz braucht die Truppe? Was kann die Truppe aus ei- dienen sollten. Ich halte das für richtig. Ich halte auch gener Kraft noch zusätzlich erwirtschaften? Es gilt si- die Feststellung des Ministers für richtig, dass wir in der cherlich das Prinzip, dass man das Geld nur einmal aus- Frage der Wehrpflicht das Thema Dienstgerechtigkeit im geben kann, aber es lohnt sich schon, zweimal darauf zu Hinterkopf haben müssen. Das darf am Ende aber auf gucken, wie man es ausgibt. Ich persönlich glaube aller- keinen Fall zulasten der Zahl der Zeit- und Berufssolda- dings, dass das Strecken von Investitionen, das Setzen ten gehen. An diesen Stellschrauben entlang gilt es zu von Prioritäten in den letzten Jahren sehr gut und schlüs- diskutieren. sig war und dass es daher nicht mehr viel Spielraum ge- ben wird. Eines wissen wir aber auch: Alle diese materiellen Fragen sind wichtig, aber wir brauchen in unserer Ge- Auch wenn wir über 600 Millionen Euro für Aus- sellschaft eine breite Debatte über die Legitimation von landseinsätze vorgesehen haben, gehe ich davon aus, Auslandseinsätzen. Das Weißbuch kann dazu einen dass dieses Geld am Ende für die neuen Aufgaben nicht Beitrag leisten. Ich appelliere deshalb sehr dafür, den reichen wird. Ich wäre auch nicht damit zufrieden, wenn Fokus auf diese Frage und nicht so sehr auf eine Ver- die Bundeswehr gerade so mal eben alle diese Aufträge mengung zwischen äußerer und innerer Sicherheit zu le- erledigen kann. Soll die Truppe auch in Zukunft ein In- gen. Wir werden das tun müssen, was der Minister sagt, strument der Außen- und Sicherheitspolitik sein, muss nämlich die Einsätze in der Luft und auf See verfas- sie auch weitere Spielräume haben und darf in diesem sungsmäßig regeln. Dann ist es aus sozialdemokratischer Bereich nicht von vornherein Einschränkungen unterlie- Sicht aber auch gut. gen. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir sehr kon- zentriert, projektbezogen quantifizierbar im Etat nach- Wir müssen den Fokus auf die Frage der Legitimation steuern und die Dinge beschaffen, die notwendig sind. legen. Ich glaube, es ist nicht so schwer, diese Debatte zu Das ist der richtige Prozess, der dann auch nicht die be- führen. Ich habe heute hier ein paar Mal die Forderung fürchteten Kaskaden bei den anderen Ressorts wecken nach einem Kriterienkatalog gehört. Einen solchen Kata- wird mit der Folge, dass die Begehrlichkeiten überall log mit Häkchen für einen Einsatz wird es nicht geben steigen. Ich glaube, diesen Weg sollten wir miteinander können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4559

Rainer Arnold (A) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Prozessen mit am Tisch zu sitzen, sie mitzugestalten und (C) GRÜNEN]: Doch!) mitzudiskutieren. Aber etwas muss geben. Wenn ich dies alles werte, muss ich feststellen: Die Linken haben Recht: Die Bundeswehr ist eine Interven- (Birgit Homburger [FDP]: Aber Grundsätze tionsarmee geworden. Sie interveniert für Frieden auf wird es geben!) der Welt und nicht, um jemandem etwas wegzunehmen. – Das sage ich doch gerade, Frau Homburger. – Man Die Bundeswehr ist seit 50 Jahren die Armee für Frieden muss sich die Maßstäbe, nach denen wir entscheiden, und Freiheit. Darauf bauen ihr Auftrag, ihre Struktur, noch einmal klar machen. Diese Maßstäbe beruhen bei ihre Aufgaben auf. In diesem Sinne begreifen auch die allen Einsätzen auf drei Säulen: Soldaten ihren Dienst. Das gilt für diejenigen, die zu Hause in den Kasernen ihre Arbeit verrichten. Das gilt Die erste Säule ist die ethische Verantwortung. Wir aber besonders für diejenigen, die an den schwierigen dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen in der Welt in Auslandseinsätzen teilnehmen. Das ist eine Belastung, Bedrängnis sind, wenn Massenmord und Völkermord eine Gefahr für die Familien. drohen. Das ist eine Legitimation für Auslandseinsätze.

Die zweite Säule ist die Frage von Interessen. Dabei Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: geht es nicht um partikulare nationale Interessen, son- Herr Kollege Arnold! dern um gemeinsame europäische Interessen. Frieden im Libanon und im Kongo liegt im Interesse eines jeden vernünftigen Menschen auf der ganzen Welt. Bei der Ge- Rainer Arnold (SPD): wichtung von Interessen müssen wir aber auch fragen: Ich möchte mich am Ende – Wo hat Deutschland eine besondere Verantwortung in der Welt, vielleicht weil das Krisengebiet in der Nähe Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: liegt oder aufgrund unserer besonderen Geschichte? Für Nein, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. andere Länder stellen sich diese Fragen im Zusammen- hang mit ihrer Verantwortung gegenüber früheren Kolo- Rainer Arnold (SPD): nien. So definiert würde die Debatte um Interessen eine – bei den Soldaten und allen Mitarbeitern der Truppe richtige Debatte. für dieses Engagement recht herzlich bedanken und bei Wir sollten den Fehler vermeiden, ökonomische Inte- Ihnen für die Geduld, mit der Sie mir zugehört haben. ressen missverständlich herüberzubringen. Den Zugriff (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) auf Ressourcen mit militärischer Gewalt will niemand (B) (D) hier. Aber es geht um ökonomische Interessen in folgen- dem Sinne: Die Stabilität im Kongo – um dieses Beispiel Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zu nennen – ist eine Voraussetzung dafür, dass die deut- Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Frak- sche Wirtschaft die Türen geöffnet bekommt und mit ei- tion Die Linke. nem fairen Handel beginnen kann, der letztlich den (Beifall bei der LINKEN) Menschen im Kongo hilft und verhindert, dass mafiöse Strukturen dieses Land ausbeuten. Insofern geht es auch Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): um ökonomische Interessen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kolleginnen und Kollegen! Dass der Bundesfinanzmi- CDU/CSU) nister, wenn es um öffentliche Ausgaben geht, eher knausert, ist bekannt. Dass deshalb ein Fachminister, Die dritte Säule schließlich kommt in der Legitima- wenn sich das steinbrücksche Füllhorn über ihm öffnet, tion der deutschen Politik oftmals vielleicht zu kurz. Es als Franz Josef im Glück vorkommen muss, kann ich gibt auch ein politisches Interesse für Einsätze. In der nachvollziehen. Ob sich allerdings die Bürgerinnen und Vergangenheit haben wir die ethisch-moralische Frage Bürger mit dem Minister über diese Entwicklung freuen manchmal ein bisschen überhöht. Vielleicht war dies können, steht auf einem ganz anderen Blatt. aufgrund der deutschen Geschichte auch notwendig; es war nicht einfach, plötzlich in den Kongo zu ziehen. In den Verteidigungsetat werden 480 Millionen Euro Dies hat es manchmal nicht leichter gemacht. Aber na- mehr eingestellt. Das ist kein Pappenstiel. Warten wir türlich war der Einsatz in Osttimor in erster Linie poli- erst einmal ab, aus welchen Töpfen der Libanoneinsatz tisch und nicht operativ begründet. bezahlt wird. Wir haben eben gehört, das Geld reiche nicht. In der Tat ist schon eingeplant, bis 2011 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 1 Milliarde Euro draufzupacken. Jeder Euro kann nur Herr Kollege Arnold, denken Sie an Ihre Zeit. einmal ausgegeben werden. Die über 400 Millionen Euro, die Sie jetzt allein für die Munitionsbeschaffung vorsehen, fehlen natürlich für Infrastrukturinvestitionen, Rainer Arnold (SPD): die Bildung oder die Gesundheitsreform. Ja, ich komme zum Ende. – Ich halte es für richtig, dass wir uns zu diesem politischen Interesse bekennen. Der Kollege von Klaeden von der Union hat jetzt Denn dieses wirtschaftsstarke, wichtige Land in Mittel- gefordert, uns der NATO-Maßgabe hinsichtlich des europa muss den Anspruch haben, bei internationalen Anteils der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt 4560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Paul Schäfer (Köln) (A) anzunähern. Wir liegen gegenwärtig bei 1,21 Prozent. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (C) Die NATO-Vorgabe lautet: 2 Prozent. Da sollen wir also Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hin. Das ist nun wirklich kühn. NEN]) Aber es ist folgerichtig, wenn in diesem Zusammen- Aus den Einsatzszenarien des Kalten Krieges stam- hang vorsichtig angedeutet wird, dass wir uns bestimmte men auch die Cluster- und Streubomben, deren verhee- Dinge wohl nicht mehr leisten können, weil wir viel rende Wirkung wir gerade im Libanon gesehen haben. mehr in die Sicherheit investieren müssen. Beispiels- Sie werden von der Bundeswehr noch vorgehalten. Die- weise eine Rente, die den Lebensstandard sichert, ist ses gesamte Arsenal sollte unverzüglich ausgemustert dann einfach nicht mehr drin. und vernichtet werden. (Beifall bei der LINKEN) Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass wir, bevor wir die Bundeswehr überall hinschicken, Um das zusammenzufassen: Ihre Losung scheint zu erst einmal die hiesigen wirtschaftlichen und sozialen lauten: Wir wollen alles, die alten schweren Waffensys- Probleme lösen müssen. Diese Meinung muss man nicht teme und Plattformen, zweites Los U-Boote, neue Fre- teilen. Aber es entspricht den Erfahrungen vieler Men- gatten, Korvetten. Sie wollen die beste Hightech-Aus- schen, dass für die Anschaffung von neuen Panzerhau- rüstung und Sie wollen die maximalen Anforderungen bitzen problemlos Geld bereitgestellt wird, während die der Nato für alle denkbaren Einsatzspektren bedienen. Mittel für die öffentliche Förderung von Schulbussen – ich rede von den Regionalisierungsmitteln im ÖPNV – Eine wirkliche Konzeption der Streitkräfte sieht mei- zusammengestrichen werden. Friedensgruppen sammeln ner Überzeugung nach ganz anders aus. Es wäre rational, derzeit Unterschriften unter der Überschrift „Spart end- dabei auch an tiefe Einschnitte in die vorhandenen Waf- fenarsenale zu denken. Die Wahrheit ist nämlich: Rüs- lich an der Rüstung“ tungsbarock können wir uns nicht mehr leisten. Dass (Beifall bei der LINKEN) eine solche Konzeption mit Überlegungen über die Um- widmung militärischer Potenziale für zivile Zwecke ver- und fordern Abrüstung statt Sozialabbau. Die Linke un- knüpft werden muss, das liegt auf der Hand. Wir müss- terstützt diesen Aufruf. ten also auch einmal wieder über Konversion reden, Konversion bei Liegenschaften, Personal, Rüstungspro- (Beifall bei der LINKEN) duktion. Wir werden jede Initiative unterstützen, die in dieser Richtung aktiv wird. Dies gilt nicht zuletzt für die Auch wenn der inflationäre Gebrauch des Wortes Bürgerinitiative, die sich für eine alternative Nutzung „Transformation der Bundeswehr“ suggeriert, es gebe (B) des Bombodroms in der Wittstocker Heide einsetzt; das (D) ein langfristiges, stringentes und durchdachtes Konzept werden wir unterstützen. für die Modernisierung der Bundeswehr: Dieses Kon- zept gibt es nicht. Was Sie hier machen, ist Stückwerk (Beifall bei der LINKEN) auf hohem Niveau. Ferner werden wir beantragen, in diesem Einzelplan Vorwiegend aus rüstungswirtschaftlichen Gründen gut 2 Milliarden Euro einzusparen und die frei werden- werden Projekte durchgezogen, die nicht mehr in die den Mittel in Konversionsmaßnahmen, in den zivilen heutige Zeit passen, die aber auf lange Jahre hinaus die Friedensdienst, in die Friedensforschung und nicht zu- Möglichkeiten des Gesetzgebers, das heißt unsere Mög- letzt in die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zu lichkeiten, zur Haushaltsgestaltung einschränken. Allein stecken. Da sind wir auch in guter Gesellschaft. Der ehe- die Verpflichtungsermächtigungen für neues Kriegsgerät malige amerikanische Präsident Bill Clinton wird heute belaufen sich derzeit auf 25 Milliarden Euro. Es ist prak- von den Nachrichtenagenturen mit den Worten zitiert, tisch ein gesamter Verteidigungsetat, der dadurch festge- dass eine deutliche Aufstockung der Entwicklungshilfe legt wird. doch entschieden billiger sei, als in den Krieg zu ziehen. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Zu den Rüstungsantiquitäten gehören das Panzer- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang abwehrrakentensystem PARS III, bestellt und entwickelt Thierse) in den 80er-Jahren – ein Schuss Munition aus dieser Waffe kostet die Kleinigkeit von 1 Million Euro –, das Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf ei- Raketenabwehrsystem MEADS, der Schützenpanzer nen Punkt zurück, den ich eingangs erwähnt habe: Die Puma, aber auch die 180 Eurofighter. Als Relikt des Kal- Deutschen sind überwiegend skeptisch bis kritisch, ten Krieges ist auch die Tornado-Bomberstaffel anzuse- wenn es um Bundeswehreinsätze wie im Kongo oder hen, die bereit steht, um gegebenenfalls atomare Waffen jetzt im Libanon geht. der USA einzusetzen. Es ist ein gefährlicher Unsinn, (Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: wenn Sie, Herr Minister, nach dem Motto „So haben wir Sie tragen zu einem guten Teil dazu bei, dass es gestern gemacht; so machen wir es auch heute und das so ist!) morgen“ in Ihrem Weißbuchentwurf an dieser Doktrin festhalten. Wir wollen keine nukleare Teilhabe und wir Steigende Rüstungslasten sind gewiss nicht das, was sie brauchen sie auch nicht, um in der Nato in atomaren An- wünschen. Ich muss leider feststellen, dass im Gegensatz gelegenheiten mitreden zu können. Diese Flugstaffel dazu der Hauptstrom der Meinungsmacher bei der Lo- kann aufgelöst werden. sung „Mehr Geld für die Bundeswehr“ einen gewissen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4561

Paul Schäfer (Köln) (A) Sexappeal entdeckt hat. Ich wundere mich nur, dass die- für Auslandseinsätze ausgegeben wurden – ich lasse ein- (C) selben Autoren im gleichen Atemzug sagen: Es gibt mal die sächliche Umrüstung außen vor –, in Mittel für Klärungsbedarf: Wo gehen wir mit der Bundeswehr zivile Projekte der Konfliktbearbeitung gesteckt hätte. hin? Warum? Was liegt in unserem Interesse, was nicht? Sie setzen stattdessen auf ein „Weiter so!“. Ich glaube, Wenn wir nicht überall dabei sein können und wollen dass das keine Antwort auf die Herausforderung der Zu- – andere tun das ja auch nicht –: Nach welchen Kriterien kunft ist. entscheiden wir über deutsche Beteiligung? Wo hat mili- tärisches Krisenmanagement geholfen, wo versagt? Dass diese Rechnung nicht aufgehen wird, zeigt die Entwicklung in Afghanistan. Alle sagen, die Sicher- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heitslage dort werde immer prekärer. Dabei liegen NEN]: Sind das jetzt Fragen für euch?) 80 Prozent des afghanischen Haushalts in den Händen fremder Mächte, die die Lage dort beeinflussen könnten. – Das sind Fragen, die sich alle stellen müssen; völlig Afghanistan ist ein Protektorat der USA und in zweiter klar. Ich denke nur: Man darf nicht den zweiten Schritt Reihe der UNO. Aber an dieser Stelle beginnt mögli- vor dem ersten tun, lieber Kollege Nachtwei. Wenn man cherweise genau das Problem. Es bleibt ein Wider- für mehr Auslandseinsätze und auch für mehr Geld für spruch, dass man durch extreme Fremdbestimmung zur die Rüstung ist und erst danach fragt: „Wozu?“, ist das Selbstbestimmung kommen will. Es funktioniert offen- etwas abstrus. bar nicht so, wie sich manche Leute das State Building Richtig ist: Deutschland ist wichtig in der Welt; das vorstellen. internationale Engagement der Deutschen ist wichtig. Aber richtig ist damit noch lange nicht, dass wir überall (Beifall bei der LINKEN) militärisch dabei sein müssen. Bewaffnete deutsche Sol- Dazu braucht man ein klares Konzept. daten im Nahen Osten – das ist heute auch schon ein paarmal gesagt worden –, das ist nicht nur hoch riskant. Besonders schlimm ist auch, dass es zwischen den Vielmehr würden sie auch einen Problemfaktor darstel- Hauptakteuren offenkundig unterschiedliche Vorstellun- len. Wenn es daneben ginge, könnte das auch unsere be- gen gibt, was Afghanistan betrifft. Nehmen wir einmal sonderen Möglichkeiten zur Konfliktvermittlung gefähr- das Beispiel Drogen. Einigen Akteuren, Regierungen den. Deshalb sagen wir: Wir sollten uns auf unseren und NGOs, ist völlig bewusst, dass die Entwicklung von Beitrag zu diesem politischen Friedensprozess alternativen Erwerbsquellen in der Landwirtschaft – da- rauf kommt es an – ein länger andauernder Prozess ist. (Beifall bei der LINKEN) Wenn sich aber die gegenwärtige Linie weiter durch- und zu einer Konferenz für Sicherheit und Zusammen- setzt, nämlich eine rabiate und schnelle Bekämpfung des (B) arbeit in Nahost konzentrieren. Deshalb sagen wir: Drogenanbaus voranzutreiben, dann werden wir unwei- (D) UNO-Mission ja, aber deutsche Beteiligung nein. gerlich mit neuen sozialen Verwerfungen zu rechnen ha- ben. Eine weitere Eskalation der Gewalt ist unausweich- Dass wir uns beschränken müssen, gilt erst recht für lich. die Rüstungsexportpraxis. Wenn ich das richtig sehe, scheint diese Regierung aber mit dem Grundsatz, dass Kollege Arnold, Sie sagen, dass es in Afghanistan ein man keine Waffen in Spannungsgebiete liefern darf, end- Drogenparadies geben würde, wenn wir von dort abzie- gültig brechen zu wollen. Der Waffenhandel mit Indien hen. Aber die Drogenkartelle haben sich unter ISAF aus- kommt in Schwung. Während man auf der einen Seite gebreitet. In diese Zeit fiel die Rekordernte. Das ist die Waffenlieferungen an die Hisbollah unterbinden will, Entwicklung in den letzten Jahren. bekommt Israel zwei U-Boote zum Subventionspreis. Es Ich glaube aber, am aller schwersten wiegt, dass der tut mir leid: Das ist keine Friedenspolitik. von George Bush ausgerufene globale Krieg gegen den (Beifall bei der LINKEN) Terrorismus, der vor allem im Süden Afghanistans exe- kutiert werden soll, seine langen Schatten auf die Stabili- Wir müssen darüber diskutieren, ob die Voraussetzun- sierungsversuche andernorts wirft. Statt weniger haben gen für die weitere Erhöhung der Ausgaben für Rüstung wir mehr Gewalt. Afghanische Menschenrechtler spre- und Bundeswehr gegeben sind. Dazu gehört an erster chen von einer „Entwicklung zurück“. Ein Vertreter der Stelle eine genaue und schonungslose Bilanz der bisheri- Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit gen Bundeswehreinsätze. Auch das ist schon oft hier ge- beklagt, dass die Paschtunen im Süden pauschal als Tali- sagt worden; wir müssen es nun endlich tun. bananhänger bekämpft worden seien; sie seien „mehr Man könnte jetzt damit beginnen, darüber zu diskutie- mit Bomben bedeckt worden als mit Entwicklungshilfe“. ren, welche Kriegsziele im Kosovo ausgegeben wurden Ich finde, es ist schlicht fatal, wenn in dieser Lage die in- und was unter dem Strich geblieben ist. Ich will mir das ternationale Stabilisierungsmission ISAF und der Anti- an dieser Stelle ersparen. Tatsache ist jedenfalls: Die terrorkrieg mehr und mehr verquickt werden. Wenn Zahl der Militäreinsätze nimmt zu, die Bundeswehr ISAF-Soldaten jetzt Opfer von NATO-Luftangriffen bleibt überall länger als vorgesehen und eine nachhaltige werden, dann ist der Tritt auf die Notbremse angesagt. Befriedung ist oft nicht in Sicht. Daher muss doch die (Beifall bei der LINKEN) Frage nach alternativen Krisenlösungskonzepten gestellt werden dürfen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob Ich sage Ihnen voraus, dass diese Mission, wenn sich man mehr hätte erreichen können, wenn man einen Teil ISAF weiter amerikanisiert, nicht zu einem guten Ende der Summe von circa 9 Milliarden Euro, die seit 1992 geführt werden kann. Ich halte es für aberwitzig, wenn 4562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Paul Schäfer (Köln) (A) jetzt unter diesen Bedingungen laut über eine erhebliche Vizepräsident Dr. h. c. : (C) Verstärkung der Militärkontingente nachgedacht wird. Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde, Frak- Das heißt, die Karre noch mehr in den Sumpf zu reiten. tion Bündnis 90/Die Grünen. Ich finde, das Mandat des Bundestages, das nicht aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schließt, dass Bundeswehreinheiten temporär im Süden eingesetzt werden können, kann so nicht bestehen blei- ben. Sie tun gut daran, wenn Sie dem Parlament stattdes- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen Ende des Monats eine Ausstiegsstrategie vorlegen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der (Beifall bei der LINKEN) Verteidigungsminister hat in seiner Rede zu Recht an un- sere internationale Verantwortung erinnert. Er hat, eben- und Vorschläge präsentieren, wie man die zivilgesell- falls zu Recht, geschildert, an welchen Stellen der Erde schaftlichen Kräfte im Lande selber stärken kann. deutsche Soldaten dieser Verantwortung nachkommen. Vor dem eben erörterten Hintergrund ist die Vorlage Daran hat meine Fraktion nichts zu kritisieren, weil wir eines Weißbuches zur deutschen Sicherheitspolitik Sie in dieser Verantwortung durch Mandatierung der wie auch eine offene und breite Debatte darüber überfäl- Soldaten oftmals unterstützt haben, auch wenn Sie uns lig. Wir werden einige wichtige Aspekte in diese Diskus- das in letzter Zeit nicht immer einfach gemacht haben. sion einbringen: Nicht einverstanden bin ich damit, dass Sie Ihre Rede Erstens. Vernünftige Sicherheitspolitik muss sich da- zum Verteidigungshaushalt, den Sie erstmals verantwor- rauf konzentrieren, gewaltförmige Konflikte im Vorfeld ten, nicht genutzt haben, um darauf einzugehen, wie die zu verhindern. Präventive Diplomatie ist angesagt. Streitkräfte strukturell auf die veränderte internationale Situation reagieren können und wie die Bundeswehr ins- Zweitens. Wer darauf setzt, mehr Sicherheit durch mi- gesamt strukturell auf die zusätzlichen Belastungen rea- litärische Stärke und Überlegenheit erreichen zu können, gieren kann. Sie haben keinerlei Ideen formuliert, wie der ist auf dem Holzweg. Es gibt kein besseres Beispiel die Struktur der Bundeswehr in Zukunft aussehen dafür als die Geschichte des Staates Israel. sollte. Sie haben sich kaum dazu geäußert, inwiefern die Drittens. Selbstverteidigung darf nicht in eine militä- Veränderungen in der Welt in den letzten Jahren auch zu risch gestützte Durchsetzung außenpolitischer Interessen Veränderungen bei unseren Streitkräften hätten führen des Landes umdefiniert werden. Wir werden uns strikt müssen. Sie haben sich nicht zu dem veränderten Bedro- gegen eine solche Grundgesetzänderung wehren. Wir hungsszenario geäußert. Man hatte nicht den Eindruck, sind für eine Begrenzung des Militärischen und nicht für dass hier ein Minister spricht, dessen Haushalt in diesem (B) die Entgrenzung. Jahr um knapp eine halbe Milliarde Euro aufgewachsen (D) ist. Dieses Geld ist offensichtlich schon lange in den Ap- Viertens. Sicherheit gibt es nur, wenn die Grundlagen paraten des Ministeriums versickert. Sonst hätten Sie des Völkerrechts strikt beachtet und umgesetzt werden. hier nicht eine solche Betteltour antreten müssen. Zu dem, was darüber im Weißbuch des Ministers steht, haben wir kritische Fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fünftens. Die sich zuspitzenden Konflikte um die Wir müssen festhalten, dass die Bundeswehr zwar Verteilung knapper werdender Ressourcen in der Welt viele Probleme hat, die Höhe der Finanzmittel aber mit sind nur durch entschieden mehr Gerechtigkeit und Sicherheit nicht das größte ist. Das ist höchstens ein durch einen multilateralen Interessenausgleich zu lösen, Symptom für die doppelte Krise, in der sich die Bundes- nicht mit Gewalt. Auch in dieser Hinsicht befindet sich wehr befindet: Sie befindet sich in einer Strukturkrise das Weißbuch auf der völlig falschen Spur. Im Zusam- und zunehmend in einer Führungskrise. Beides hängt menhang mit Ressourcen und Energiequellen müssen miteinander zusammen. wir über regenerative Energien, über das Energiesparen und über die Diversifizierung unserer Bezugsquellen re- Sie können kaum jemandem vermitteln, warum eine den. Vor allem müssen wir endlich darüber reden, wie Armee aus 250 000 Soldaten bereits völlig am Limit an- wir in der WTO und den internationalen Finanzeinrich- gekommen ist, wenn sich 8 000 Soldaten im Einsatz be- tungen zu einer Wirtschafts- und Handelsordnung kom- finden. Wir alle wissen, welche Infrastruktur an jedem men, die eine gerechtere Güterverteilung in der Welt mit eingesetzten Soldaten notwendigerweise dranhängt. sich bringt. Dennoch ist dieses Missverhältnis eklatant. Man kann es (Beifall bei der LINKEN) erklären: Spezialisten fehlen und die Struktur stimmt nicht. Man kann aber nicht erklären, warum sich die Die Vorstellung, dass man unsere Ressourcen und un- Politik so schwer tut, darauf zu reagieren. seren way of life mit Militär verteidigen kann, ist schlicht abwegig. Das wird im 21. Jahrhundert nicht Herr Minister, Sie beteiligen sich seit Ihrem Amts- mehr funktionieren. Streichen Sie zumindest das aus antritt nur als Beobachter der Planungen Ihres Vorgän- dem Weißbuch. Über den Rest können wir dann hart gers Peter Struck und vor allem als Bremser ebendieser streiten. Planungen. Sie sind nie für das eingetreten, was Ihre Aufgabe gewesen wäre: Es ist Ihre Aufgabe, die Bun- Danke. deswehr in der nächsten Stufe auf die veränderte Situa- (Beifall bei der LINKEN) tion einzustellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4563

Alexander Bonde (A) Die Erklärungen lauten, es mangele an Spezialisten, dort wieder Exportargumente geschaffen, die aber un- (C) sei es im Bereich Sanität, bei den Fernmeldern, Feldjä- sere konkrete Einsatzsituation nicht verbessern. gern oder auch bei den Transporthubschraubern. Das ist das Problem der Struktur und der Strukturanpassungen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die wir vermissen. Die SWP, die renommierte Stiftung Strukturproblem Nummer vier. Ihr Vorgänger hat die „Wissenschaft und Politik“, kommt in ihrer Studie zu Transformation angeschoben; nicht immer so sehr, wie Recht zu dem Ergebnis: Die Rüstungsplanungen sind wir es uns gewünscht hätten. Aber unter Ihnen herrscht nicht an die Anforderungen der heutigen sicherheitspoli- bei der Modernisierung, bei der Kooperation mit der tischen Lage angepasst. Das ist richtig. Wirtschaft und bei der Frage, wie man effizient mit Geld umgehen kann – mit PPP, zum Teil auch mit Strukturproblem Nummer eins der Bundeswehr ist, Outsourcing und Privatisierung –, die Parole: Das Impe- dass sie Vorbereitungen für Kriege trifft, die es nicht rium schlägt zurück. Die GEBB ist in ihrer Kompetenz mehr gibt. Unter Ihre Ägide, Herr Verteidigungsminister, beschnitten. Die Modernisierungsstrategie wird an das fällt das Comeback der Landesverteidigung; zumin- Ministerium zurückverlagert, in dem die Leute sitzen, dest lesen wir es in Ihrem ersten Entwurf des Weißbu- die am wenigsten Interesse an der Modernisierung ha- ches so und deuten wir Ihre bisherigen Entscheidungen ben. Bei den Truppenküchen haben wir es erfolgreich in der Bundeswehr so. Die wirklichen Bedrohungsszena- geschafft, einen Feldversuch gegen die Wand laufen zu rien werden bei der Modernisierung der Ausrüstung lassen. Auch hinsichtlich des Facilitymanagements hat kaum berücksichtigt und wenn, dann nur am Rande mit man nicht den Eindruck, dass Modernisierung in diesem zusammengekratzten Mitteln. Ministerium groß geschrieben wird. Umzingelt von Freunden und gleichzeitig in der Damit sind wir bei Strukturproblem Nummer fünf: Situation, in der internationale Missionen Lebensrealität dem Minister, der diese Politik zu verantworten hat. Ich sind, kaufen Sie immer noch teure Waffensysteme, die finde es richtig, festzustellen, dass die Bundeswehr in ausschließlich der Landesverteidigung dienen. Es geht vielen Auslandseinsätzen Belastungen aushält. Wir müs- hier nicht nur um Beschaffungskosten, sondern auch da- sen uns ehrlich fragen, wie viele Kriseneinsätze wir uns rum, dass diese Dinge strukturbildend wirken. Denn je- noch leisten können. Aber, ich finde, ein Krisengebiet der Eurofighter, den wir nicht brauchen und trotzdem können wir uns auf keinen Fall länger leisten, nämlich kaufen, bindet nicht nur Gelder für den Kauf, sondern die Krise im Bendlerblock, also die Führungskrise an auch über Jahrzehnte für Unterhaltung und Betrieb. Das der Spitze des Ministeriums. Denn keines der strukturel- gleiche gilt für PARS III und für eine ganze Reihe ande- len Probleme wird vom Minister wirklich angegangen. rer Maßnahmen, die Sie fortschreiben. Sie finden nicht Es gibt keine stimmige Analyse und keine stimmige Idee (B) den Mut, nun endlich neue Prioritäten bei den Beschaf- der Transformation. Es ist Stückwerk; es sind Folgen (D) fungen zu setzen. und Bremsen von Plänen aus Peter Strucks Amtszeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da der Minister in den letzten Wochen zielsicher je- den Fettnapf angesteuert hat, wird man immer wieder Strukturproblem Nummer zwei: die Wehrpflicht. Die gefragt: Muss so ein Minister nicht eigentlich zurücktre- Bundeswehr hat dieses Jahr erneut mehr in die Wehr- ten? Ich finde es sehr schwierig, auf diese Frage zu ant- pflicht investiert, obwohl wir wissen, dass wir für unsere worten. Denn wie soll jemand zurücktreten, der mentale Einsätze eine Armee aus Profis brauchen und keine Ar- Schwierigkeiten hat, das Amt mental gar nicht angetre- mee bestehend aus schnell ausgebildeten Kurzzeitsolda- ten hat? ten. Was sind Ihre politischen Akzente? Sie wollen bei der Strukturproblem Nummer drei liegt in der Beschaf- Wehrpflicht wieder draufsatteln und haben auch hier fung. Ich habe es bereits angesprochen. Was ist eigentlich wieder über den Heimatschutz und die Frage des Einsat- die Gesamtkonzeption für die Rüstungsplanungen? Wir zes der Bundeswehr im Innern gesprochen. Das Hin und erkennen vieles für die Landesverteidigung und wenig Her bei den Einsätzen ist hinreichend benannt. für das, worauf es wirklich ankommt. Im Sommer konn- ten wir Sie wieder einmal im Fernsehen bewundern. Sie Wenn etwas schief lief, haben Sie bisher die Strategie waren beim BWB und im Hintergrund surrten munter verfolgt, Ihre Informationspolitik restriktiv zu gestalten gepanzerte VW-Touaregs durch die Landschaft. Es ist und uns, das Parlament, immer später zu informieren, vielleicht richtig, dass es bei der Bundeswehr einen wenn überhaupt. Ich glaube, das schadet der Zustim- Mangel an geschützten Fahrzeugen gibt. Aber gleichzei- mungsfähigkeit zu einer gemeinsamen und verantwort- tig erkennen wir in den konkreten Beschaffungsplanun- baren Außen- und Sicherheitspolitik und trägt nicht dazu gen der Bundeswehr keine entscheidende Erhöhung der bei, dass wir als Opposition Ihnen mit gutem Gewissen Stückzahl, sondern eine Ausweitung der unterschiedli- folgen können. chen Typen geschützter Fahrzeuge. Wenn die Bundes- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ wehr etwas nicht braucht, dann sind es viele verschie- DIE GRÜNEN) dene Fahrzeugtypen mit zusätzlicher Logistik und einer zusätzlichen Bindung an Infrastruktur. Das führt nicht Inzwischen sind auch aus den Reihen der Koalition dazu, dass die Truppe besser einsetzbar ist. Vielmehr ha- hinreichend viele Äußerungen zu vernehmen, die bestä- ben Sie einen größeren Apparat und vor allem Auslas- tigen, dass es sich hierbei nicht nur um ein Problem der tungen in der Rüstungsindustrie geschaffen. Sie haben Opposition handelt. 4564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Alexander Bonde (A) (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange doch steht, und den Strukturfragen zuwenden. Die Behaup- (C) neun Minuten sein können!) tung, wir wüssten nicht, wohin die Reise gehen soll, ist ganz einfach falsch. In unserer Arbeitsgruppe, aber auch Ein schwacher Minister ist ein Problem für die Sicher- gemeinsam mit den Kollegen von der SPD – das wurde heitspolitik. Aber ein genauso großes Problem ist eine in den Redebeiträgen deutlich – haben wir uns sehr wohl Kanzlerin, die zu schwach ist, mit den Strukturfragen befasst, auch gemeinsam mit (Zurufe von der CDU/CSU: Oh ja! Sie ist ja so dem Ministerium. schwach! – Von wegen!) Wir wissen, wie der derzeitige Sachstand ist und wel- daraus Konsequenzen zu ziehen und diesen Minister che neuen Perspektiven folgen müssen. Deshalb waren dementsprechend zu behandeln. wir übereinstimmend der Meinung, dass jetzt der Zeit- punkt gekommen ist, erneut Bilanz zu ziehen. Herr Mi- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das glauben nister, Sie selbst haben neulich angeboten, jetzt alles auf Sie doch selbst nicht!) den Prüfstand zu stellen, um entscheiden zu können, was – Herr Kampeter, Sie und ich wissen doch, dass die gut ist und beibehalten werden kann und was neu justiert Kanzlerin aus Rücksichtnahme auf Roland Koch über- werden muss. Wir sind gerne bereit, diese Schritte nun haupt nicht daran denken darf, diesen Minister anzutas- gemeinsam zu gehen. ten. Zur Transformation der Bundeswehr gibt es keine Al- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Bundes- ternative. Wir sind sogar der Auffassung, dass sie be- kanzlerin wird keinen einzigen Minister je an- schleunigt werden muss, um den internationalen An- tasten! Das kann ich Ihnen versichern! – Wei- sprüchen insgesamt gerecht werden zu können. tere Zurufe von der CDU/CSU: So ein Natürlich steht bzw. fällt das Ziel der Modernisierung Schwachsinn! – Dummes Zeug!) mit der Finanzlinie; auch das ist unbestritten. Ich komme zum Schluss. Vielleicht können wir es uns Der Entwurf des Haushalts 2007 weist in die richtige in den Einsatzgebieten leisten, der Bundeswehr zuzumu- Richtung. Aber man muss offen eingestehen: Im Lichte ten, mit Ministern umgehen zu müssen, die ihre Funk- der Transformation hat er, genauso wie der Haushalt tion der Loyalität zu lokalen Stammesfürsten und War- 2006, ein enges Korsett. Jetzt muss man ganz objektiv lords verdanken. Wenn es aber um die Spitze des zur Kenntnis nehmen: Mit der Transformation wurde vor eigenen Ministeriums geht, können wir das nicht tun. vier Jahren begonnen. Damals hat man in den Finanz- Herzlichen Dank. linien Perspektiven zugestanden, aber man hat sie nie eingehalten. Das sind die Fakten, das sind die Tatsachen. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – An diesen Dingen haben wir noch heute ein bisschen zu (D) Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben teil- knabbern, wenn man von Versäumnissen spricht. weise eine sachliche Rede gehalten, aber der Schluss hat alles umgehauen!) Wie ist denn der Sachstand? Die Bundeswehr hat die nötigen Rahmenbedingungen bei Umfang, Struktur und Stationierung und bei der Aussonderung von Gerät ge- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: schaffen. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass wir an Das Wort hat nun Kollege Hans Raidel, CDU/CSU- dieser Grundstruktur festhalten wollen, weil die Rich- Fraktion. tung nun insgesamt stimmt. Sie haben dazu ein Stich- wort herausgegriffen, nämlich die Stationierungspla- Hans Raidel (CDU/CSU): nung. Wenn wir den Betrieb aber insgesamt sehen, dann Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und müssen wir natürlich feststellen, dass bei den Streitkräf- Herren! Herr Minister, zuerst darf ich mich sehr herzlich ten im Betrieb nicht mehr allzu viel zu holen ist; denn bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie die Probleme ganz die Kosten für die Einsätze, die Erhöhung der Mehrwert- klar, offen und deutlich ansprechen. Ich wünsche mir, steuer, die Versorgungsausgaben, der nicht planmäßig dass Sie auch weiterhin allen Winden trotzen. Lassen Sie verlaufende Abbau des Zivilpersonals – da haben wir ein sich nicht beirren. Problem –, die höheren Kosten für den Betrieb des zu- laufenden modernen Geräts und steigende Energiepreise Lieber Herr Kollege Bonde, es kann sich keiner mehr sind natürlich neue Risiken für die Betriebskostenbe- blamieren, als dass man ihn reden lässt. Das haben Sie in trachtung insgesamt. Da könnte möglicherweise ein hervorragender Weise geschafft. Mehrbedarf entstehen. Hierbei kommt es darauf an, wie (Heiterkeit bei der CDU/CSU) der Haushalt nun insgesamt gefahren wird. Frau Kollegin Homburger, wenn man Ihnen zuhört, Ein Risiko sehe ich natürlich auch bei den Investitionen. sehnt man sich nach unserem ehemaligen und großarti- Sie alle wissen, dass wir bei den Investitionen ein Pro- gen Kollegen Günther Nolting zurück. Das waren noch blem auf der Zeitachse haben. Wir wollen das im Lichte Zeiten in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. der letzten Entwicklungen neu betrachten und werden als Verteidigungspolitiker natürlich einfordern, dass die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jawohl! Das Investitionslinie neu nach oben korrigiert wird. Ohne das ist ein anständiger Ostwestfale!) Ansteigen dieser Linie ist es nicht möglich, den Erwar- Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute der tungen – auch bei den internationalen Einsätzen – ge- Transformation der Bundeswehr, die im Mittelpunkt recht zu werden. Sie wissen, dass wir einen Verdrän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4565

Hans Raidel (A) gungswettbewerb an der einen oder anderen Stelle nicht abläufe können gestrafft werden, die Bedarfsdeckung (C) ausschließen können. kann noch flexibler und effizienter werden. Mit der Wirtschaft müssen neue Kooperationen gesucht und ge- Zusammengefasst brauchen wir also mehr Mittel für funden werden. Neue Wege sind hier einzuschlagen. Ins- den Betrieb und für die Modernisierung. Wir müssen besondere sollte das Augenmerk stärker auf die so ge- aufpassen, dass sowohl die Modernisierung als auch der nannten Lifecycle-Kosten gerichtet werden; denn das Betrieb ausreichend finanziert werden, damit keine Kon- Material muss ja nicht nur in der Beschaffung bezahlbar kurrenzsituation zwischen Betrieb und Investitionen ent- sein, sondern auch im Betrieb bezahlbar bleiben. Herr stehen kann; denn einen solchen Spagat kann die Bun- Minister, ich würde gerne eine strategische Partnerschaft deswehr in ihrer Transformation nicht aushalten. Da zwischen Bundeswehr und Industrie anregen. Auch die muss man ein bisschen aufpassen. Industrie muss hieran ein besonderes Interesse haben. Wir müssen auch das unterstreichen, was Sie, Herr Ich glaube, dass es aus der Wirtschaft entsprechend posi- Minister, gesagt haben: Die Armee ist seit langem eine tive Signale gibt. Armee im Einsatz. Der Libanoneinsatz wäre bereits die Zusammengefasst: Zur Transformation gibt es keine zwölfte Mission, mehr oder weniger parallel zu den an- Alternative, sie muss fortgeführt werden. Die Bundes- deren Missionen. Das heißt, die Transformation ist eine wehr braucht eine bessere finanzielle Ausstattung. Wir Reparatur am laufenden Motor. Ich sage bewusst: Wir sind auf gutem Wege. Wenn das so fortgesetzt wird und müssen uns diese Einsätze finanziell leisten können; die Bundeswehr ihre Synergiepotenziale ausschöpft, denn bei Ausbildung und Übung darf nicht gespart wer- glaube ich nicht, dass die Kritik, die heute von vielen ge- den. äußert worden ist, in der Substanz berechtigt ist. Wir brauchen leistungsfähiges und leistungsbereites Personal. Vor allem müssen wir den Personalabbau stop- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: pen. Das ist auch geschehen. Die Zahl der Soldaten soll Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. erhöht werden. Den Weg der Personalreduzierung dürfen wir nicht gehen, vor allem deshalb, weil wir sonst hohle Hans Raidel (CDU/CSU): Strukturen schaffen würden. Dadurch könnte die Ein- Ich kann alle nur einladen, gemeinsam mit uns diesen satzfähigkeit der Truppe gefährdet werden; zumindest Weg der Modernisierung der Bundeswehr konsequent aber würde die Truppe in ihrer Kraft geschmälert. Da, weiter zu beschreiten. glaube ich, müssen wir aufpassen. Wir – und insbeson- dere der Generalinspekteur – haben hier ein Aufbaupro- blem und kein Abbauproblem. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (B) Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. (D) Die Bundeswehr muss attraktiv bleiben. Fundierte Ausbildung, gerechte Bezahlung und attraktiver Dienst Hans Raidel (CDU/CSU): sind hier die Schlüsselbegriffe. Wir können nicht mit Das heißt im Klartext: Ich bitte alle Kollegen, trotz al- Modernität werben und dieses Versprechen dann nicht ler Schwierigkeiten, auch im Haushaltsausschuss, dafür einhalten; denn wir stehen in Konkurrenz – künftig noch zu sorgen, dass wir den Etat weiter aufstocken können. mehr – mit der hoffentlich weiter gut verlaufenden Wirt- schaft. Das kleiner werdende Potenzial an jungen Män- Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und nern und Frauen bereitet uns in diesem Bereich künftig Ihre Geduld, Herr Präsident. sicherlich Probleme. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Ich sage es noch einmal, bei der finanziellen Ausstat- GRÜNEN]: Die war am Ende!) tung und Besserstellung der Bundeswehr muss Folgen- Vielen Dank. des berücksichtigt werden: Wir können die einsatzbe- dingten Kosten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Versorgungslasten und die steigenden Energiepreise bei Abgeordneten der FDP) nicht allein dem Verteidigungshaushalt anlasten. Spätes- tens mit dem nächsten Haushalt muss hier der Einstieg Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: in eine weiter verbesserte Finanzlinie erfolgen. Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Frak- Aber auch die Bundeswehr selbst muss natürlich ihre tion. Aufgaben machen: Sie muss bekannte Synergiepoten- (Beifall bei der FDP) ziale nützen und neue erschließen. Dabei muss gesichert sein, dass finanzielle Synergien bei der Bundeswehr Elke Hoff (FDP): bleiben. Nach meiner Auffassung gibt es nicht ein Spar- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten ziel, sondern es gibt ein Reinvestitionsziel – das ist ein Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Jung, Unterschied! Wenn wir uns da einig sind, haben wir für Sie legen heute einen weiteren Verteidigungshaushalt die Bundeswehr schon eine ganze Menge an Verbesse- vor, der leider längst Makulatur ist. Er ignoriert die Ent- rungen erreicht. wicklung der Materialerhaltungskosten, der Betriebsaus- Neben der uniformierten Seite der Bundeswehr muss gaben und der Kosten für die laufenden Auslandsein- auch ihre zivile Seite ihren Beitrag leisten. Ich meine, sätze. Der zu erwartende Einsatz der Bundeswehr im hier gibt es noch erhebliche Redundanzen: Betriebs- Libanon kann, wenn überhaupt, in diesem Haushaltsjahr 4566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Elke Hoff (A) nur überplanmäßig finanziert werden. Die in Ihrem Haus dung unterliegen. Dies ist eine ständig wiederholte (C) als dringend notwendig bezeichneten Maßnahmen zum Forderung meiner Fraktion. Eigenschutz der Soldaten in Afghanistan sind überhaupt noch nicht dargestellt. (Beifall bei der FDP) Genauso schwer wiegt, dass Sie mit diesem Haushalt Sie sollten aber auch die Angst vor einer Konfrontation in keiner Weise dem Anspruch gerecht werden, die Vor- mit Ihren Auftragnehmern bei bestehenden Beschaf- gaben des Bundeswehrplanes 2007 umzusetzen. Damit fungsvorhaben überwinden. Verzögerungen und Quali- setzen Sie das Gelingen des Transformationsprozesses tätsmängel bieten auch hier die Möglichkeit für Anpas- aufs Spiel, der doch der Dreh- und Angelpunkt der Neu- sungen und Nachverhandlungen. ausrichtung der Bundeswehr ist. Wenn man konservativ rechnet, ergibt sich eine Unterdeckung des Verteidi- Diese mangelnde Flexibilität, die Ausrüstungspla- gungsetats bis 2010 von 3,34 Milliarden Euro. Die Fach- nung der Bundeswehr bedarfsgerecht anzupassen, ge- presse, in diesem Fall die August-Ausgabe der „Europäi- fährdet zunehmend die Einsatzfähigkeit dieser Bundes- schen Sicherheit“, benennt sogar ein Defizit von wehr. So führt der zeitgleiche Zulauf neuer Fluggeräte 15 Milliarden Euro bis zum Jahre 2011. bei Weiternutzung der bestehenden in den nächsten Jah- ren zu einer Explosion der Betriebskosten. Schon jetzt Die große Koalition schreitet von einer Steuererhö- ist absehbar, dass sich die Bundeswehr nicht einmal die hung zur nächsten und entfernt sich trotzdem immer erforderlichen Flugstunden zur Schulung ihres Personals weiter von einer seriösen Finanzplanung für die Bundes- leisten kann. Es ist abenteuerlich, dass die Bundeswehr wehr. Zwar entdeckt nun auch die Bundeskanzlerin zwar teures Gerät beschafft, den Betrieb jedoch nicht be- – man möchte sagen: endlich – ihr Herz für unsere Sol- zahlen kann. datinnen und Soldaten, sie bleibt aber konkrete Verbes- serungs- und Finanzierungsvorschläge schuldig. Es ist Kein Mensch in Ihrem eigenen Hause glaubt, dass die schon eine verkehrte Welt, wenn die amtierende und da- finanziellen Belastungen durch die Auslandseinsätze im mit verantwortliche Regierungschefin den Zustand ihrer nächsten Jahr um beinahe 30 Millionen Euro sinken Bundeswehr kritisiert, als lebe sie auf einem anderen werden. Wie soll das funktionieren, wenn man in Bos- Stern. nien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, im Kongo, am Horn von Afrika, im Sudan, in Georgien und (Beifall bei der FDP) bald auch im Nahen Osten dabei ist? Ist nicht allmählich Die Einbringung eines solchen Haushaltsentwurfs ist der Zeitpunkt erreicht, die umfassende Interventionsbe- Ausdruck des mangelnden Rückhalts, den Sie, Herr Ver- reitschaft der 90er-Jahre zur wohlgemeinten Schaffung (B) teidigungsminister Jung, im Kabinett und in der großen einer neuen Weltordnung zu überprüfen, wenn diese (D) Koalition genießen. Der Verteidigungsetat steigt in Rela- Vorstellung bei nüchterner Betrachtung längst auch an tion zum Gesamthaushalt unterdurchschnittlich, obwohl den enormen Kosten zu scheitern droht? die Anforderungen an die Bundeswehr in rasantem Tempo wachsen. Der investive Anteil steigt um magere Zu Beginn dieses Jahrhunderts steht eine schnell an- 1,5 Prozent. Sie können eine Neujustierung bei den wachsende Anzahl an Krisengebieten einer eng begrenz- wichtigsten Beschaffungsvorhaben nicht durchsetzen, ten Anzahl an interventionsfähigen Mächten gegenüber. obwohl der Generalinspekteur deren Notwendigkeit Während die gewaltbereiten Akteure in den Krisenge- deutlich anmahnt – wenn auch mit bedauernswerter Ver- bieten von der Möglichkeit der Verbilligung der Kriegs- spätung. kosten durch den ungehemmten Zulauf von Kleinwaf- fen, den Einsatz von Kindersoldaten und das schier Ohne eine Reduzierung der Stückzahl bei den Groß- unerschöpfliche Reservoir religiös fanatisierter und öko- projekten Eurofighter und A400M werden Sie im Haus- nomisch enttäuschter junger Menschen profitieren, be- halt nicht die Spielräume erreichen, die notwendig sind, finden sich die interventionsfähigen Staaten auf dem um kurzfristig das beschaffen zu können, was für die Weg in eine nicht mehr finanzierbare Verteuerung ihrer Einsätze der Bundeswehr am dringendsten benötigt Militäreinsätze, ohne dass es letztlich gelingt, schnelle wird. Eine klare Priorisierung zugunsten der Sicherheit militärische Erfolge in einen dauerhaften politischen Ge- unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz ist notwen- winn umzusetzen. dig. Sie sind mit dem besten und sichersten Material, welches zur Verfügung steht, auszurüsten. Die Entschei- (Beifall bei der FDP) dung für Einsätze der Bundeswehr im Ausland ist nur dann zu verantworten, wenn für die Soldaten ein Opti- Die nicht mehr zu verleugnende Verschlechterung der mum an Schutz und Wirkung gewährleistet wird. Sicherheitslage in Afghanistan scheint die Bundesregie- rung nunmehr zu Überlegungen über ein deutlich offen- (Beifall bei der FDP) siveres Vorgehen vor Ort zu veranlassen. Anders sind Insofern sind der Mangel an gepanzerten Fahrzeugen, Erwägungen hinsichtlich einer gepanzerten Reserve mit Hubschraubern und Transportkapazitäten sowie der Schützenpanzern und eines Einsatz von RECCE-Torna- mangelnde Feldlagerschutz unverantwortlich. dos nicht zu erklären. Ein solches Vorgehen und Auftre- ten würde den ohnehin kaum noch vorhandenen Rück- Dem Vernehmen nach sollen in Ihrem Haus all dieje- halt in der Bevölkerung weiter verringern und die nigen Beschaffungsvorhaben noch einmal auf den Prüf- deutschen Soldaten noch mehr zum Ziel gefährlicher stand gestellt werden, die noch keiner vertraglichen Bin- Anschläge machen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4567

Elke Hoff (A) Außerdem ist es für mich in diesem Zusammenhang Ausführungen ganz schlecht dazu, dass die FDP in Be- (C) und vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund der De- zug auf den Haushalt 2006 vorgeschlagen hat, Hunderte batte am heutigen Vormittag völlig unverständlich, dass von Millionen zu streichen. Das halte ich für kritisch, die Bundesregierung den durch das Verteidigungsminis- weil man letztendlich auch gegenüber der Truppe sein terium formulierten Bedarf, die zivilen Aufbau- und Hil- Gesicht wahren muss. Daher kann ich mich meinem feleistungen zu intensivieren, nicht mittragen will. Sich Kollegen nur anschließen: Das wäre Herrn Nolting nicht hier auf fehlende Finanzmittel zurückzuziehen, ist fahr- passiert. lässig und lässt vor allem auch den bisherigen Einsatz von Steuergeldern fraglich erscheinen. Im Moment geht es um die Einbringung des Haus- halts in das Parlament. Manchmal habe ich das Gefühl, (Beifall bei der FDP) in einer außenpolitischen Debatte zu sein; hier jedoch Die ganze Last des Engagements in Afghanistan kann geht es um die Bundeswehr und ihre realen Probleme so- und darf nicht allein der Bundeswehr aufgebürdet wer- wie darum, wie wir damit umgehen. den. Bei der Betrachtung des Haushalts zeigt sich ein Auf- Es gibt bisher keine nachhaltigen Erfolge bei der Dro- wuchs gegenüber dem letzten Jahr. Das entspricht der genbekämpfung, bei der Eindämmung der organisierten mittelfristigen Finanzplanung, die Peter Struck noch Kriminalität, beim Aufbau der fehlenden Polizei- und mit eingeleitet hat. Ich freue mich, dass wir sie in der Justizstrukturen und vor allem bei der Verbesserung der großen Koalition gemeinschaftlich fortführen. Im Ergeb- wirtschaftlichen Lebenssituation für die Menschen. nis bekommt die Bundeswehr mehr Geld, aber das sind Nicht nur wir, sondern auch das verantwortliche Füh- die Mittel, die man im Rahmen des Inflationsausgleichs rungspersonal der Bundeswehr vor Ort vermissen eine braucht. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass klare Exit-Strategie, damit der Einsatz der Bundeswehr wir immer noch 71 Prozent unseres Haushaltes für Be- in absehbarer Zeit auch wieder beendet werden kann. triebsausgaben ausgeben, insbesondere 48 Prozent für Personal. Das sollte eigentlich zu denken geben. 8,1 Pro- (Beifall bei der FDP) zent geben wir für Materialerhalt aus, 15,1 Prozent für Dieser Haushaltsentwurf ist das sichtbare Zeugnis des Betriebsausgaben wie Betriebsstoffe, die Bewirtschaf- mangelhaften Stellenwerts, den die Bundeswehr bei der tung von Liegenschaften und Ähnliches. Betreiberver- Bundesregierung hat; da hilft auch die plötzliche Um- träge sind nur mit 2,6 Prozent beteiligt. armungsstrategie der Bundeskanzlerin nichts. Er gibt die Darin, dass wir in diesem Jahr für Forschung und Transformation de facto auf, führt zu einer Gefährdung Entwicklung weniger ausgeben als im letzten Jahr, zeigt der Einsatzfähigkeit und nimmt in Kauf, dass die Arbeit sich eine Veränderung gegenüber den Haushalten der bei der Bundeswehr immer unattraktiver wird. (B) letzten Jahre. Wir haben immer darauf geachtet, mehr (D) Herr Minister Jung, nehmen Sie endlich die längst Geld für militärische Beschaffung sowie für Forschung überfälligen umfassenden Korrekturen in Ihrer Finanz- und Entwicklung auszugeben. Beide Ausgabenansätze planung vor, denn anderenfalls ist zu befürchten, dass sind in diesem Jahr rückläufig. Hinzu kommen – das die Bundeswehr an ihren vielfältigen Herausforderungen muss man der Genauigkeit halber sagen – allerdings scheitert. Versorgungsausgaben in Höhe von ungefähr 4 Milliar- den Euro. Hierzu ist festzustellen, dass der Verteidi- Ich danke für die Aufmerksamkeit. gungshaushalt anders strukturiert ist als die anderen (Beifall bei der FDP) Haushalte, weil die Bundeswehr andere Probleme hat: Zeitsoldaten und Berufssoldaten, die deutlich eher abge- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hen, sowie den Abbau von Zivilbeschäftigten. Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Kahrs, SPD- In Bezug darauf müssen wir aufpassen, dass uns die Fraktion. Extralasten, die in der Struktur der Bundeswehr begrün- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) det liegen, auch zukünftig vom Bundesfinanzminister er- setzt werden. Ansonsten wird der Übergang der Versor- Johannes Kahrs (SPD): gungsausgaben in den Einzelplan 14 ein großes Problem für diesen Einzelplan. Ich bitte insbesondere meine Kol- Geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und legen im Fachausschuss, diesem Hinweis entsprechend Kollegen! nachzugehen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) An dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich für – Ja, so soll das sein. die Zusammenarbeit in den jeweiligen Arbeitsgruppen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: „Hohes mit den Kollegen von SPD und CDU, insbesondere der Haus“, bitte!) Kollegin Jaffke und dem geschätzten Kollegen von der CSU, der mich jetzt gerade anlächelt. – Ich freue mich über so viel Zuspruch, obwohl ich noch gar nichts Inhaltliches gesagt habe. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Zu Beginn eine kurze Anmerkung zur Kollegin Hoff: Alldieweil wir in diesem Fall zu dritt sind – zwei Christ- Ich halte Ihre Ausführungen zur Unterfinanzierung der demokraten und ein armer Sozialdemokrat –, muss man Bundeswehr für sehr interessant; allerdings passen Ihre feststellen, dass es trotzdem gut zusammengeht. 4568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Johannes Kahrs (A) An dieser Stelle möchte ich mich auch dafür bedan- er wieder herauskommt. – Das wird meiner Meinung (C) ken, dass das Engagement der Soldatinnen und Soldaten nach nicht immer berücksichtigt. hervorgehoben wurde. Ich möchte mich insbesondere (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Philo- bei all denjenigen bedanken, die sich für die Ableistung soph Schröder!) der Wehrpflicht entscheiden. Das halte ich für wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich mich insbeson- – Das hat mit Philosophie nichts zu tun, Herr Kollege. dere für die vorzügliche Arbeit – insbesondere in den Ich finde, das hat vielmehr etwas damit zu tun, wie man letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Kongoein- mit der Planbarkeit bei der Bundeswehr umgeht. Es ist satz – des Wehrbeauftragten Reinhold Robbe bedanken, wichtig, künftig stärker zu bedenken, wie man aus Aus- der heute auch zugegen ist. landseinsätzen wieder herauskommt – ein Blick auf Bos- nien zeigt, wie man Entwicklungen verändern kann – (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und wie wir alle dazu beitragen können. Ich persönlich und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie glaube, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen, bei Abgeordneten der LINKEN) die Einsätze der Bundeswehr enger mit den Maßnahmen Lassen Sie mich darauf eingehen, was heute ausgeführt der Entwicklungshilfe zu verknüpfen. Wenn zum Bei- wurde. Der Kollege Raidel hat die Transformation als spiel afghanische Bauern ihr Geld nicht mehr mit dem eine Reparatur am laufenden Motor bezeichnet. Das ist Drogenanbau verdienen können, dann müsste eigentlich zwar eine gängige, aber nicht die formale, offizielle Be- sofort die GTZ einfliegen und sich um gemeinsame gründung. Darin heißt es, dass Transformation die Ver- Maßnahmen bemühen. besserung der Einsatzfähigkeit und die Anpassung an die Die viel stärkere Verknüpfung der Entwicklungshilfe Lage ist. Ich glaube, das beschreibt es genauer. Die Bun- mit den Einsätzen der Bundeswehr kann auch das Na- deswehr wird nie fertig sein. Wir werden nie eine Armee tion-Building und den Wiederaufbau vor Ort erleichtern. haben, die wir nach einem Bauplan erstellen nach dem Die Aufgabenkritik in der Entwicklungshilfe ist auch Motto „Wenn sie irgendwann fertig ist, stellen wir sie ir- deshalb nötig, um zu erkennen, inwiefern beides zusam- gendwohin und sind stolz darauf“. Vielmehr werden wir menpasst. Denn nur so kann man eine Perspektive schaf- die Bundeswehr ständig anpassen müssen. Deswegen fen, dass der Einsatz der Bundeswehr bei Abwesenheit wird es ständig zu Veränderungen kommen. Darüber zu von Krieg dazu führt, dass vor Ort etwas passiert, was streiten, wie sinnvoll diese Veränderungen sind, ist sehr uns alle weiterbringt. Diese Aufgabe werden wir in den ehrenvoll. Ich glaube jedoch nicht, dass man sich gegen- nächsten Jahren verstärkt wahrnehmen müssen. Es ist seitig etwas vorwerfen muss. Für mich sind verschie- zwar schon einiges passiert, aber ich glaube, dass noch dene Standpunkte durchaus möglich. sehr viel mehr notwendig ist. (B) (D) Ein Blick in den Haushalt zeigt aber, dass die Risiken Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die ich für in diesem Haushalt größer geworden sind als die beste- wichtig halte. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr henden Handlungsspielräume. Jetzt müssen wir uns da- selber muss verbessert werden. Ich glaube, dass man an- mit auseinander setzen, wie man damit umgeht. gesichts der Haushaltsrisiken darüber diskutieren kann, In diesem Zusammenhang will ich aber auch darauf ob wir die durch die Mehrwertsteuererhöhung entste- eingehen, dass wir neue Belastungen bewältigen müs- henden Mehrausgaben ersetzt bekommen und ob wir die sen. Wir haben in der Vergangenheit mehr Geld für For- Einsätze der Bundeswehr refinanzieren lassen. Es geht schung und Entwicklung und für militärische Beschaf- aber nicht an, zu fordern, dass der bei der Bundeswehr fung ausgegeben. Diese Mittel werden inzwischen entstehende Mehrbedarf extern ausgeglichen werden insbesondere von Auslandseinsätzen aufgefressen, die muss. Als Haushälter versichere ich Ihnen, dass das die Bundeswehr durchführen muss. Dafür werden keine nicht funktioniert. In einem solchen Fall würden jedes zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sodass wir Ressort und jeder Fachpolitiker folgen. Vielmehr sollte das Geld anderweitig aufbringen müssen. Deshalb muss man in Zukunft nachweisen, dass die für die vom Parla- man diese Ausgaben näher betrachten. ment beschlossenen Einsätze benötigten Mittel auch zur Verfügung stehen. Der Einsatz in Afghanistan – das wurde schon er- wähnt – wird auf jeden Fall gefährlicher und teurer und Das, was innerhalb der Bundeswehr erledigt werden wird stärkere Belastungen für die Soldatinnen und Sol- kann, muss die Bundeswehr selber machen. Wir müssen daten mit sich bringen. Hinzu kommen neue Einsätze im uns aber die Möglichkeiten genau anschauen und darü- Kongo und Libanon. Darüber und über die Sinnhaftig- ber im Klaren sein, was wir wollen. Darüber, was wir keit dieser Einsätze ist schon viel gesagt worden. Des wollen, sind wir uns einig: mehr Schutz vor Ort durch Weiteren wird über einen weiteren Auslandseinsatz in neue Fahrzeuge, egal ob sie Dingo, Boxer oder Puma Darfur diskutiert. heißen. Hier haben wir allerdings ein Problem. Wir be- stellen zwar alles. Aber das militärische Gerät steht erst Ich glaube – so sinnstiftend der jeweilige Einsatz der in zehn bis zwölf Jahren zur Verfügung. Das heißt, alles, Bundeswehr in all diesen Regionen auch immer sein was bestellt wurde, wird erst dann vorhanden sein, wenn mag –, man muss sich genau überlegen, was der Bundes- die zurzeit bekannten Konflikte hoffentlich schon lange wehr noch zugemutet werden kann und was wir finan- beendet sind. Das hilft der Truppe aber jetzt nicht. Was zieren können. Deswegen glaube ich, dass die Feststel- wir brauchen, sind größere Stückzahlen, die in kürzerer lung Gerhard Schröders immer noch gilt: Wer Zeit geliefert werden. Dabei muss man über die Finan- irgendwann irgendwo hineingeht, muss auch wissen, wie zierung nachdenken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4569

Johannes Kahrs (A) Zurzeit haben wir verschiedene Systeme, die parallel Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) laufen. Wir haben beispielsweise den Eurofighter und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Tornado. Die Eurofighter werden sicherlich planmä- den letzten Wochen gab es für die Bundesrepublik eine ßig ausgeliefert werden. Aber es wird noch über ein neuartige außenpolitische Konstellation. Wir haben es Jahrzehnt dauern, bis der letzte Tornado verwertet wird, mit mindestens drei Großkrisen gleichzeitig zu tun, in also nicht mehr fliegt. In diesem Zeitraum muss man auf denen wir jeweils stark engagiert sind – Afghanistan, die Entwicklungskosten und die Materialerhaltungskos- Kongo und nun Libanon –, bei denen das Risiko hoch ist ten genau achten. Das wird sich entsprechend summie- und es auf der Kippe steht bzw. eine Eskalation schon ren. Beim Heer ist die Situation ähnlich. Als ich 1984 stattgefunden hat. Dabei entsteht eindeutig der Eindruck zur Panzergrenadiertruppe gekommen bin, war der Mar- von Überforderung, und zwar zum einen aufseiten der der noch in Ordnung. Inzwischen ist er kein modernes Öffentlichkeit, die langsam nicht mehr nachvollziehen Gerät mehr. Aber er wird noch lange im Einsatz sein; kann, wo überall wir uns engagieren, und zum anderen denn bis der letzte Puma an die Truppe ausgeliefert ist, aufseiten der Politik. Damit meine ich nicht die politi- wird wieder eine Dekade vergehen. Es ist vielleicht schen Fähigkeiten, sondern die politischen Kapazitäten. nachdenkenswert, kurzfristig Fähigkeitslücken in Kauf In dieser Situation müssen wir sehr aufpassen, dass wir zu nehmen. Beim Materialerhalt und bei den Betriebs- bei aller Konzentration auf den Libanon auf keinen Fall kosten haben wir jedenfalls ein echtes Problem. Dieses die brenzligen Situationen in Afghanistan, im Kongo können wir nur lösen, wenn wir bestimmtes Gerät früher und möglicherweise im Kosovo übersehen und vernach- außer Dienst stellen. lässigen. Eine Anmerkung sei mir zum Schluss noch gestattet. Sie gestatten, dass ich jetzt, auch wenn wir uns in der Der Staatssekretär Wichert ist gerade dabei, eine Ziel- Haushaltsdebatte befinden – hier geht es darum, wofür struktur für die 75 000 Zivilbeschäftigten aufzubauen; und in welchem Kontext das Geld ausgegeben wird –, das ist richtig. Aber wir müssen genau schauen, ob das, etwas zu dem Brennpunkt Afghanistan sage, weil es was dann kommt, auch das ist, was wir wollen. Ich habe nämlich dort brennt und weil die, so finde ich, brenzlige mir sagen lassen, dass daran gedacht wird, Dienstleis- Situation, die sich seit einiger Zeit anbahnte, während tungszentren einzurichten. Das klingt nach Kundenori- der Sommerpause kaum beachtet wurde. Seit 2001 entierung und Kundennähe. Das scheint also eine wun- wurde in Afghanistan – das sage ich ausdrücklich – sehr derbare Sache zu sein. Aber in der Praxis bedeutet das, viel Positives und Erstaunliches geschaffen, wenn man dass die Truppenverwaltung beispielsweise aus den Ba- das mit der Zeit davor vergleicht. Dazu haben deutsche taillonen vor die Tore der Kasernen verlagert und mit der Diplomaten, Soldaten, Entwicklungshelfer und Polizis- Standortverwaltung zu einem Dienstleistungszentrum ten vorbildlich beigetragen. (B) verschmolzen wird. Für den Standort Koblenz gibt es (D) bereits ein solches Zentrum. Dorthin müssen die Solda- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ten nun fahren. Andere müssen von Appen nach Ham- bei der CDU/CSU und der SPD) burg fahren. Für Hin- und Rückfahrt besorgt man sich im Fuhrpark ein Fahrzeug. So etwas darf meines Erachtens Mir ist bewusst, dass die Entwicklung in Afghanistan nicht unter dem Begriff „Dienstleistung“ laufen; denn meist selektiv wahrgenommen wird. Es werden vor al- Dienstleistung bedeutet Nähe zum Kunden. Ich bitte lem die spektakulären Bad News wahrgenommen, aber deshalb darum, das noch einmal zu überprüfen. nicht das, was sich langfristig und hinter den Kulissen tut. Wer nimmt zum Beispiel die 7 Millionen Schülerin- Ich hoffe, dass wir die Transformation gemeinsam nen und Schüler wahr, die es inzwischen gibt? Das ist und vernünftig bewältigen – mit den Kollegen von der enorm hoffnungsvoll, aber nicht so bilderträchtig. Union werden wir es schon schaffen – und dass wir in Trotzdem sind die Indikatoren inzwischen unüberseh- der Lage sein werden, den Soldaten all das zur Verfü- bar: Der Stabilisierungsprozess in Afghanistan steht auf gung zu stellen, was sie für ihre Einsätze benötigen. Ich der Kippe. Er droht innerhalb kurzer Zeit zu scheitern. bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, ob wir uns Seit der ISAF-Ausweitung nach Süden befinden sich weitere Auslandseinsätze leisten können, solange andere NATO-Truppen in Bodenkämpfen. Es ist überra- Auslandseinsätze noch nicht beendet sind; denn das eine schend, dass das heute noch nicht erwähnt – da mögli- passt nicht zum anderen. Das habe ich schon im Zusam- cherweise nicht wahrgenommen – wurde. NATO-Trup- menhang mit dem Kongoeinsatz gesagt. Hier sind wir im pen befinden sich zum ersten Mal in der NATO- Wort. Die an diesem Einsatz beteiligten Soldaten müssen Geschichte in Bodenkämpfen. Zum Drogenanbau gibt es Weihnachten zu Hause sein. Ansonsten haben wir alle inzwischen die neuesten Zahlen. Die Drogenanbaufläche ein Problem. ist in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozent Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Sie gestiegen. Das ist ein Desaster in dem Schlüsselbereich mir ausnahmsweise ruhig zugehört haben. Glückauf! der Stabilisierung in Afghanistan. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was sind die Mindestschritte? Erstens brauchen wir eine wirklich nüchterne, schonungslose Zwischenbilanz dessen, was in den letzten fünf Jahren geschaffen wurde, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: eine Bilanz der Leistungen, aber auch der Defizite. Wir Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei, brauchen an sich gar nicht so viele Konzepte. „Afghanis- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. tan Compact“ zum Beispiel gibt es, mit ehrgeizigen 4570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Winfried Nachtwei (A) Zielen. Was notwendig ist, ist die Überprüfung der Stra- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) tegie am Boden. Die Umsetzung ist das Entscheidende. bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Drogenbekämpfung ist mit ihrem An- satz eindeutig gescheitert. Es kommt darauf an, jetzt die Unter zunehmend unruhigen und instabilen Bedingun- bisher prioritäre Feldervernichtung auszusetzen und al- gen leisten sie für die Bundesrepublik Deutschland einen les für die Entwicklung und Förderung alternativer Er- wichtigen und notwendigen Dienst und sie haben unsere werbsquellen zu tun. Man muss die Entwicklungshilfe Anerkennung und unseren Respekt verdient. entsprechend breiter unterstützen. Die GTZ hat da fan- Ich bedanke mich beim Kollegen Johannes Kahrs für tastische Erfahrungen. seine charmante Einleitung und möchte in diesem Sinne Drittens. Wenn man vor Ort gewesen ist, dann weiß fortfahren. man, was in der Entwicklungspolitik insgesamt schon Nachdem wir uns mit unseren Haushaltsberatungen Gutes geleistet worden ist. Vieles ist aber noch zu wenig jetzt in einem normalen Verfahren befinden und wir uns sichtbar, zum Beispiel in den Paschtunengebieten. Da in der großen Koalition zusammengefunden haben, müssen die internationale Gemeinschaft und wir bereit möchte ich hier darauf verweisen, dass der Etat des Fi- sein, der Entwicklungszusammenarbeit mehr Mittel an nanzministers einen Aufwuchs erfährt. Dieser Aufwuchs die Hand zu geben, um breiter angelegt und sichtbarer erklärt sich zugegebenermaßen unter anderem dadurch, für die Bevölkerung zu sein. dass die Versorgungslasten aufgeteilt wurden. Dennoch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erfährt er im investiven Bereich einen Aufwuchs von sowie bei Abgeordneten der SPD) 1,9 Prozent. Das bedeutet, dass er trotz der Mehrwert- steuererhöhung real wächst. Viertens. Der Polizeiaufbau ist bekanntlich von stra- tegischer Bedeutung. Die Bundesrepublik leistet in ihrer (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das musste Führungsrolle sehr viel Gutes. Aber die quantitativen einmal gesagt werden!) und qualitativen Herausforderungen sind hier so riesig, Er wird auch nach der mittelfristigen Finanzplanung dass wir nicht mehr mit 40 Beamten auskommen. Hier jährlich um 1,2 Prozent aufwachsen. müssen wir schlichtweg aufstocken. Es geht nicht um große Beträge, aber die wenigen Millionen Euro sind das Die Haushälter der großen Koalition stimmen mit der Geld wert. öffentlichen Positionierung der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, überein, dass die Finanzausstattung der Bun- Schließlich wird all das, was ich gerade genannt habe deswehr, gemessen an den zunehmenden Aufgaben im – die Aufzählung ist nicht vollzählig –, nur ein Kampf (B) Rahmen der internationalen Einsätze, verbesserungsbe- (D) gegen Windmühlenflügel sein, wenn die direkte Terror- dürftig ist. Vergleiche mit europäischen Partnern wie bekämpfung im Süden und Osten nicht überprüft und England, Holland und Norwegen, die im Verhältnis zum nicht korrigiert wird. Bisher – die Meldungen sind ziem- Bruttoinlandsprodukt prozentual weit höhere Ausgaben lich eindeutig – scheint sie mehr zur Aufstandsförderung als Deutschland in ihren Verteidigungsetats haben, müs- beigetragen zu haben. Das ist von deutscher Seite aus sen deshalb gestattet sein. – das muss man nüchtern sagen – schwierig zu themati- sieren, muss aber unter Verbündeten auf den Tisch. Sie (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das spricht wissen: Ich neige nicht zu Alarmismus, aber wenn in den für die Effizienz der Truppe hier!) kommenden Monaten nicht zentrale Korrekturen und neue Anstrengungen unternommen werden, dann kann Trotzdem: Innerhalb des Einzelplans 14 verzeichnen es im nächsten Jahr zu spät sein, und das darf es nicht. die verteidigungsinvestiven Ausgaben den stärksten Aufwuchs. Auch die sonstigen Betriebsausgaben und die Danke schön. Ausgaben für Materialerhaltung steigen, während die Personalausgaben durch Personaleinsparungen erfreuli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherweise sinken. sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesem Zusammenhang möchte ich hier noch ein- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mal hervorheben, dass die Weisung des Ministers an die Einsatzkontingente, ihre Verpflichtungen ausschließlich Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/ in geschütztem Transportraum vorzunehmen, von den CSU-Fraktion. Haushältern der Regierungskoalition uneingeschränkt (Johannes Kahrs [SPD]: So, Susi, zeig’s Ih- unterstützt wird. Erst im Juni hat die große Koalition im nen!) Haushalt weiteren Beschaffungsvorhaben im Bereich geschützter Transportkapazität zugestimmt. Susanne Jaffke (CDU/CSU): Lassen Sie mich an dieser Stelle einen weiteren Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge- Schwerpunkt, das Thema Finanzierung internationaler statten Sie mir zu Beginn, sicherlich im Namen aller, den Einsätze, ansprechen. Die Haushälter der großen Koali- 7 700 Soldatinnen und Soldaten, welche sich im Aus- tion sind sich dahin gehend einig – da befinde ich mich in landseinsatz befinden, für ihr Engagement, für ihre Ein- Übereinstimmung vor allen Dingen mit dem Kollegen satzbereitschaft und für ihre hervorragende Arbeit zu Kahrs; wir kämpfen darum in unseren Gruppen –, dass danken. zunehmende internationale Verpflichtungen für humani- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4571

Susanne Jaffke (A) täre und Friedenseinsätze, die durch die Bundeswehr ge- beitung einer Strukturkonzeption an die Vorgaben des (C) leistet werden, nicht mehr durch den aktuellen Etat des Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Bundes- Einzelplans 14 zu erwirtschaften sind, wenn sie in einem verwaltung, Herrn Professor Dr. Engels, Präsident des laufenden Haushaltsjahr als zusätzliche Aufgabe parla- Bundesrechnungshofs, hält. Die Zielstruktur von mentarisch beschlossen werden. Es ist mit meinem parla- 75 000 Zivilbeschäftigten kann also kein Dogma sein. mentarischen Verständnis nicht in Übereinstimmung zu bringen, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen und Wenn sich alle Ressorts an den Vorgaben „Entbüro- dazu auch zu stehen, das Bundesministerium der Vertei- kratisierung“ und „schlanke Verwaltungsstrukturen“ digung bei der Finanzierung aber allein zu lassen. orientieren müssen, so gilt das auch für das Verteidi- gungsministerium. Wichtig wird für uns Haushälter aber Wir erwarten als Parlamentarier, dass die Administra- sein, dass die in diesem Zusammenhang frei werdenden tive darauf reagiert und Lösungsvorschläge unterbreitet, Verwaltungsmittel im Etat verbleiben und dem investi- wie sie mit beschlossenen, in Kraft getretenen Etats in ven Bereich zugeordnet werden können. Zukunft verfahren will, um entsprechend Vorsorge für solche außerplanmäßigen Finanzierungen zu treffen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, habe die eine Minute hereingeholt; Bernd, sie steht dir wieder zur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Verfügung. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir erwarten als Haushälter deshalb in Zukunft, dass in den entsprechenden Regierungsvorlagen zu zusätzlichen Auslandseinsätzen ein entsprechender haushalterischer Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachweis erbracht wird. Nun hat das Wort Kollege Andreas Weigel, SPD- Fraktion. (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Gestatten Sie mir weiterhin einige Bemerkungen zum Andreas Weigel (SPD): Thema Betreiberlösungen. Die CDU/CSU im Haus- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und haltsausschuss wird den Prozess der Betreiberlösungen Kollegen! Freitag vergangener Woche hat im Kosovo der und der damit zusammenhängenden Finanzierung und deutsche Generalleutnant Kather das Oberkommando Kooperation mit der Industrie weiter kritisch begleiten. übernommen. Die Diskussion um die Tagesordnung des Die Devise „Outsourcing gleich billiger“ ist nicht immer Verteidigungsausschusses der nächsten Wochen – Liba- gültig. Die Beendigung des Modellversuchs „Truppen- noneinsatz, Verlängerung des Afghanistanmandats, verpflegung“ zeigt, dass es nicht immer wirtschaftlicher Situation im Kongo – zeigt, dass Deutschland seine Rolle (B) (D) ist, Aufgaben an Private zu geben. gefunden hat, in der Staatengemeinschaft Zug um Zug (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr Verantwortung übernimmt und sicherheitspolitisch NEN]: Wenn man es nicht will!) eine Mittelmacht geworden ist. Auch die Umstrukturierung des Bundeswehrfuhr- Die Bundeswehr ist als Bündnisarmee konzipiert und parks und das Kooperationsmodell für das Bekleidungs- die europäischen Streitkräfte wachsen zusammen. Das management werden weiterhin in der Überprüfung blei- zeigen die Einsätze, die durchweg multinational organi- ben. Sie sind organisationsmäßig in der Abteilung M gut siert sind. Aus diesen Einsatzstrukturen folgt zwangsläu- aufgehoben. Für mich ist allerdings wichtig, dass in Zu- fig, dass es zu multinationalen Strukturen bei der Fi- kunft dem Controlling in diesen Bereichen mehr Auf- nanzierung, Ausrüstung, Durchführung, Verteilung und merksamkeit gewidmet wird. Abstimmung der Fähigkeiten kommt. Es geht darum, dass die Streitkräfte unserer Verbündeten und ihre jewei- Ein weiterer Schwerpunkt bleibt für mich die ligen Fähigkeiten mit denen der Bundeswehr bestmög- Neustrukturierung der zivilen Verwaltung der Bun- lich aufeinander abgestimmt werden. Schwerpunkte sind deswehr. Auch im Regierungsentwurf 2007 stehen den hierbei die Festlegung auf Kernfähigkeiten, die Bereit- 210 000 Berufssoldaten, 55 000 Wehrpflichtigen und schaft zur Integration auf europäischer Ebene und die freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden sowie Erhöhung der verteidigungsinvestiven Aufgaben. 2 500 Reservisten 106 800 zivile Mitarbeiter zur Seite. Das bedeutet, dass auf circa 2,5 Soldaten immer noch (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernd eine Verwaltungskraft kommt. Das ist einfach zu viel. Siebert [CDU/CSU]) Nun steht eine neue Strukturgröße von 75 000 Zivil- Diese Gesichtspunkte werden in Zukunft ohne Frage we- stellen im Raum. Bei der eben genannten Zahl von Mili- sentlich stärker ihren Niederschlag in unserer Haushalts- tärbediensteten bedeutete das, dass auf 3,5 Soldaten eine struktur finden. Verwaltungskraft kommt. Ich halte auch das für zu viel. Gemeinsam mit unseren Verbündeten denken wir Zum Jahresende soll uns Haushältern – so der Auf- über neue Formen der europäischen Finanzierung nach. trag – seitens des Verteidigungsministeriums eine Orga- Auch im Rahmen der NATO werden wir unsere Anstren- nisationsstruktur für die Zivilbeschäftigten vorgelegt gungen verstärken, durch Bündelung militärischer Fä- werden. Ich gehe davon aus, dass man sich für den Be- higkeiten, gemeinsame Beschaffung von Gerät und ge- reich der zivilen Verwaltung des Bundesverteidigungs- meinsame Finanzierung von Rüstungsvorhaben gegen ministeriums wie in allen anderen Ressorts bei der Erar- eine Zersplitterung zu arbeiten. 4572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Andreas Weigel (A) Ein gutes Beispiel hierfür ist die NAMSA, die seit überprüft werden. Ich glaube, hier gibt es erheblichen (C) Frühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen in Leipzig Rationalisierungsbedarf. zwei geleaste Antonov-Maschinen bereithält, um die Bundeswehr und ihre NATO-Verbündeten für den Luft- Wichtig ist insbesondere, solche Forschungsprogramme transport zu verstärken und dann in die Einsatzgebiete, voranzutreiben, die dem Schutz der Soldaten dienen. So zum Beispiel nach Afghanistan, zu fliegen. Das sind sind die Robotik und die Entwicklung unbemannter Großraumflugzeuge aus Russland und der Ukraine. Das Flugzeuge Bereiche, denen wir besondere Aufmerksam- bedeutet, dass wir hier einen erheblichen Rationalisie- keit zuteil werden lassen sollten. Auf europäischer rungseffekt haben. Solche Projekte machen auch in Zu- Ebene wird dabei die Europäische Verteidigungsagentur kunft Sinn. Es ist zum Beispiel sinnvoll, für logistische in Brüssel eine besondere Rolle übernehmen müssen. Leistungen oder Beschaffungsvorhaben immer mehr Die Entwicklung einer eigenen europäischen Verteidi- europäische oder transatlantische Organisationen einzu- gungs- und Rüstungsidentität sollten wir vor dem darge- binden. stellten Hintergrund auch für den Bereich Forschung und Entwicklung als Chance begreifen und nutzen. Das Gleiche gilt für die Aufgabenverteilung. Hier ha- ben zum Beispiel die Niederländer bereits eine Lösung Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Einzel- gefunden, die, wie ich meine, Modellcharakter hat. Statt plan 14 haben wir Ausgaben in Höhe von 642 Millio- sich eigene Flugzeuge für den Lufttransport zu beschaf- nen Euro für die internationalen Einsätze der Bundes- fen und sich Folgekosten wie deren Wartung einzuhan- wehr vorgesehen. Das sind Ausgaben, die zusätzlich für deln, haben sie ein Transportabkommen mit der Bun- die Anforderungen des jeweiligen Einsatzes unmittelbar desrepublik Deutschland geschlossen. Für ungefähr vor Ort entstehen. Der weitaus größte Teil der Aufwen- 50 Millionen Euro nehmen sie entsprechende deutsche dungen für unsere internationalen Verpflichtungen ist Transportleistungen in Anspruch. Dieses Transport- aber im gesamten Verteidigungshaushalt verteilt. Der abkommen hat aus meiner Sicht allein deswegen Mo- Haushalt garantiert, dass unsere Streitkräfte überhaupt in dellcharakter, weil es erhebliches Einsparungspotenzial der Lage sind, die Aufträge optimal auszuführen. Genau bietet. Natürlich führen Aufgabenverteilung und Spezia- hier gilt es, darauf zu achten, dass unsere fiskalischen lisierung zu gegenseitigen Abhängigkeiten im Handeln Anstrengungen in allen Bereichen so ausgelegt sind, und Entscheiden. Dennoch liegen die Vorteile auf der dass sie die größtmögliche Effizienz für die Bundeswehr Hand. als Armee im Einsatz haben. Die Steigerung von Effizienz ist auch das Ziel der Es gilt, nationale Barrieren zu überwinden und inter- Projektgruppe „Öffentliche und private Partnerschaft“. nationale Organisationen in die Finanzierung von Rüs- Auf dem Feld der öffentlichen und privaten Partner- tungsprojekten stärker einzubinden. Vergaberechtliche (B) schaft gibt es weitere Rationalisierungspotenziale, um (D) Fragen dürften dabei kein Hindernis sein. Damit werden die verteidigungsinvestiven Ausgaben zu verstärken. Ich unsere Streitkräfte so aufgestellt und ausgerüstet, dass sie glaube, da sind wir auf einem richtigen Weg, der aller- die von der Politik übertragenen Aufgaben und Aufträge dings, wie das Beispiel des Pilotprojektes „Verpflegung“ erfüllen können. Im Vordergrund steht hier aber nicht in München zeigt, nicht ohne Rückschläge verläuft. mehr die Optimierung der Fähigkeiten der einzelnen Teilstreitkräfte, sondern die Zusammenarbeit der Streit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum kräfte. Das erfordert Interoperabilität in einer neuen Qua- Schluss. Nach meiner Auffassung liegt einer der ent- lität. scheidenden Schlüssel für eine ausreichende Finan- zierung der Bundeswehr in der Kooperation – in der Dieses Anforderungsprofil hat weitreichenden Ein- Kooperation mit der Wirtschaft, in der Kooperation mit fluss auf die notwendige Ausrüstung unserer Streitkräfte. Bündnispartnern bei der Beschaffung und bei der Durch- Von zentraler Bedeutung sind hier die Bereiche For- führung von Einsätzen sowie in einer intelligenten Auf- schung, Entwicklung und Erprobung. In der Sicher- gabenverteilung, insbesondere zwischen den europäi- heitsforschung werden wir neue Wege beschreiten. In schen Partnern. Deutschland existieren hervorragende wehrtechnische Kapazitäten. Zur Sicherstellung dieser Fähigkeit gilt es, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwei Aspekte zu berücksichtigen, und zwar einerseits der CDU/CSU) die Anerkennung der Wehrtechnik als Hightechfähigkeit im Rahmen nationaler Wirtschaftspolitik, also die Erhal- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tung industrieller Kernfähigkeiten, und andererseits die Koordination der Verteidigungsforschung mit der Si- Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/ cherheitsforschung. Die Förderpolitik der Bundesregie- CSU-Fraktion. rung setzt hier neue Akzente. Bernd Siebert (CDU/CSU): Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Blick auf Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich die Forschungslandschaft zeigt uns, dass wir noch eini- möchte am Anfang ein paar Worte zu dem Redebeitrag gen Diskussionsbedarf haben. Es ist zu fragen, ob For- von Kollegin Homburger sagen. Ich habe Ihre Aussagen, schungsgelder noch effizienter aufgeteilt werden können liebe Frau Homburger, für maßlos gehalten. Sie entspre- und wie viel wir für Grundlagenforschung und wie viel chen nicht der Realität in unserem Land. für angewandte Forschung bereitstellen. Im Übrigen muss auch die Finanzierung der Forschungsinstitute (Rainer Arnold [SPD]: Wohl wahr!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4573

Bernd Siebert (A) Sie eignen sich höchstens für die Stammtische bestimm- fall des Einzelplans 33 werden als Ausgleich für die (C) ter freidemokratischer Mitglieder. Pensionslasten über 4 Milliarden Euro mehr zur Verfü- gung gestellt. Es bleiben dem Bundesverteidigungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und minister also netto rund 480 Millionen Euro mehr für der SPD) 2007. Auch das, was Sie zum Kongo gesagt haben, halte ich für unverantwortlich, gerade weil wir in den letzten Wo- Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es in den letz- chen erlebt haben, welche hervorragende Leistung un- ten Jahren in der mittelfristigen Finanzplanung auch an- sere Soldatinnen und Soldaten und ihre europäischen dere Zahlen für 2007 gab. Die lagen bei etwa der doppel- Kameraden im Kongo erbracht haben, sodass dort eine ten Summe. Wenn man diese Zahlen vergleicht, dann friedliche Situation erhalten werden konnte. bedeutet das, dass für die Bundeswehr auch im Jahre 2007 der Spielraum bei den Finanzen stark einge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schränkt bleiben wird – und dies angesichts einer Ein- neten der SPD) satzrealität für die Bundeswehr, die sich in den letzten Mit Ihren Bemerkungen schaden Sie der Bundeswehr, Monaten grundlegend verändert hat. den Soldaten und – ich gehe noch weiter – auch dem An- Da ist die spürbar verschlechterte Sicherheitslage in sehen Deutschlands in der Welt. Afghanistan zu nennen, die mit dem Wiedererstarken (Johannes Kahrs [SPD]: Und der FDP!) der Taliban auch in dem von der Bundeswehr kontrol- lierten Norden des Landes einhergeht. Diese Risiken – Das ist ein Problem, das die FDP mit sich selbst auszu- dürfen nicht unterschätzt werden. Bisher war es zu ver- machen hat. Aber wir haben ja vorhin schon an einer antworten, dass die Wiederaufbauteams ihren Auftrag Zwischenbemerkung erkannt, dass sie hier sicherlich nur mit ungeschützten Geländewagen erfüllten. So hat uns für einen Teil ihrer Fraktion geredet hat. die zugespitzte Lage allerdings dazu gezwungen – hier (Rainer Arnold [SPD]: Ein stilles Licht!) hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung schnell und richtig gehandelt –, die Aufträge in Afghanistan nur Ich möchte am Anfang – auch der eine oder andere noch unter besonderem Schutz, das heißt in geschützten Kollege hat das getan; ich denke, es ist wichtig – auf die Fahrzeugen, auszuführen. Hier wird deutlich, dass wir Soldatinnen und Soldaten insgesamt eingehen. Sie für mehr geschützte Fahrzeuge sorgen müssen, damit die leisten überall dort, wo sie eingesetzt sind – inzwischen Sicherheit unserer Soldaten auch in Zukunft gewährleis- schon viele Jahre in den Einsatzgebieten in Afghanistan tet werden kann. und im ehemaligen Jugoslawien, nun seit einigen Wo- (B) chen im Kongo –, hervorragende Arbeit. Diese hervorra- Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass zum Beispiel (D) gende Arbeit muss auch hier entsprechend gewürdigt die vom Deutschen Bundestag noch vor der parlamenta- werden. Das hat der Minister vorhin getan, das haben ei- rischen Sommerpause beschlossene Anschaffung von nige andere getan, und auch ich möchte das für die Frak- 149 Dingo 2 sich über einen Zeitraum von drei Jahren tion der CDU/CSU und für meine Arbeitsgruppe in aller hinziehen wird. Dies dauert mir eindeutig zu lange. Deutlichkeit hier tun. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Das bedeutet: Über die zeitlichen Perspektiven und FDP) die notwendige Anzahl muss in den nächsten Wochen in den Beratungen der Ausschüsse und Fraktionen gespro- Sie haben mit ihren Leistungen das Ansehen der Bun- chen werden. Ziel muss es sein, zwischen notwendigem, desrepublik Deutschland international gestärkt und ge- schnell zu beschaffendem Material und vorhandenem festigt, und sie haben den politischen Auftrag umgesetzt, finanziellen Spielraum nicht zuungunsten der Soldaten den wir ihnen hier im Deutschen Bundestag gegeben ha- im Einsatz zu entscheiden. Das heißt, wir brauchen den ben. Schutz der Soldaten schneller als bis jetzt geplant. Man Gerade unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz muss realisieren, dass die heutige Lage sich deutlich von haben es verdient, dass wir den Verteidigungshaushalt der vor einem Jahr erwarteten unterscheidet. Das gilt für mit besonderer Sorgfalt prüfen und gestalten. Sie haben die zukünftige Risikoanalyse in Afghanistan, für die si- ein Anrecht darauf, dass die Politik sie mit dem best- chere Durchführung des neuen Einsatzes im Kongo und möglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. Diese möglicherweise für den Einsatz vor der Küste des Liba- Verpflichtung und besondere Verantwortung hat jeder non. Einzelne von uns übernommen, der den Einsätzen der Nach dieser nüchternen Analyse bleibt die Erkennt- Bundeswehr zugestimmt hat. Weil wir diesen Einsätzen nis, dass die Bundeswehr aufgrund ihres Engagements in zugestimmt haben, stellen wir uns dieser Verantwortung Afghanistan, auf dem Balkan, im Kongo und in anderen in aller Deutlichkeit und nehmen am Prozess der Verän- Teilen der Welt und aufgrund ihrer begrenzten Ausstat- derung der Bundeswehr und auch an der Veränderung tung vor allem mit geschützten Fahrzeugen und Hub- der Haushaltsvolumina des Verteidigungshaushaltes teil. schraubern nicht vollständig in der Lage sein wird, zu- Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007 sätzliche Einsätze ohne weiteres zu schultern. Das stehen dem Bundesminister der Verteidigung insgesamt bedeutet auch – das ist vorhin mehrfach angeklungen –, 28,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind zwar rund dass die neuen Einsätze nicht aus dem Verteidigungsetat 4,4 Milliarden Euro mehr als 2006. Aber mit dem Weg- bezahlt werden können. 4574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bernd Siebert (A) Ich bin überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Es Wir haben uns in diesem Hause vor wenigen Monaten (C) geht nicht um die Anschaffung von Prestigeobjekten, über erhöhte Ansätze für Forschung und Technologie sondern um den Schutz unserer Soldaten und um die im Haushalt 2006 gefreut. Auch der Einzelplan 14 muss Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Es geht mir seinen Beitrag dazu leisten, die Forschungslandschaft in nicht um das Ausspielen einer Teilstreitkraft gegen die der Bundesrepublik und in Europa zu beleben. Der Ko- andere, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung der alitionsvertrag enthält dazu die richtigen Worte. Der Bundeswehr. Kern des Ansinnens ist, die drei Säulen der Forschung zu fördern. Im Einzelplan 14 fördern wir grundfinan- Die Messlatte muss sein, dass die Bundeswehr das zierte Institute. Wir erhalten – das ist besonders wichtig Spektrum möglicher Einsätze zu Lande, zu Wasser und – die interne Beratungs- und Analysefähigkeit. Wir er- in der Luft abdecken können muss, um die im Rahmen proben technische Demonstratoren. internationaler Verpflichtungen zugesagten Fähigkei- ten für die NATO Response Force, die EU-Battle- Das Ziel der gesamten Forschung und Technologie- Groups und die Anforderungen der Vereinten Nationen entwicklung der Bundeswehr ist, die Wirksamkeit der bereitstellen zu können. Die Alternative des Schiebens Bundeswehr einerseits durch Technik und andererseits und Streckens hätte zur Folge, dass sich die Bugwelle durch Analyse, Beratung und Strategie zu erhöhen. Ent- der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr verstärken sprechend der Tradition unserer Streitkräfte suchen wir würde. Diese Art der Mangelverwaltung ist für mich nämlich den Frieden nicht allein mit stets besseren Waf- keine ernsthafte politische Option. fensystemen zu erhalten, sondern mit einer Verbindung von politischer und diplomatischer Strategie mit den Ich komme zum Schluss. Aus meiner Sicht gibt es technischen Möglichkeiten, deren Nutzung wir für ge- keine Alternative zu dem eben aufgezeigten Weg. Ziel eignet halten. muss ein Vollschutz für unsere Soldatinnen und Soldaten sein, der das Risiko für sie beherrschbar macht und mit Deswegen hat die Bundeswehr, die sich wandelt und dem wir unserer Verantwortung gegenüber den Angehö- stets wandeln wird, immer neue Fragen zu beantworten. rigen der Bundeswehr und ihren Familien gerecht wer- Wer über Forschung und technologischen Wandel redet, den. weiß: Diese Fragen werden am Ende nicht beantwortet sein. Die Kernfähigkeit der Bundeswehr, über sich und Herzlichen Dank. ihre Wirksamkeit in der Welt nachzudenken, müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dringend erhalten. Wir dürfen nicht aufgeben, die Forde- rung zu stellen, dass dieser zentrale Teil des Etats der Bundeswehr nicht abgesenkt wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (B) Ich erteile das Wort Kollegen Jörn Thießen, SPD- Es gilt, die Forschungslandschaft des Verteidigungs- (D) Fraktion. ministeriums einer genauen Analyse zu unterziehen. Bei den Ressortforschungseinrichtungen sind wir auf ei- Jörn Thießen (SPD): nem richtigen Wege. Wir warten ab, was der Wissen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schaftsrat uns, dem Parlament, berichten wird. Eines Lassen Sie mich zu Beginn meines Schlussbeitrages auf aber sei schon heute gesagt: Die Kapazitäten der gesam- einen Satz des verehrten Kollegen Siebert und des Bun- ten Ressortforschung der Bundesregierung können nicht desministers eingehen. Ja, Herr Bundesminister, in auf dem freien Markt eingekauft werden. Wer glaubt, Afghanistan setzen wir die Soldaten zu Recht nur noch dass wir alles an den Universitäten erledigen können und in gepanzerten Fahrzeugen ein. Das ist richtig, weil so keine interne Expertise brauchen, der irrt. Eigene Ana- die Soldatinnen und Soldaten geschützt werden. Wir lyse, interne Beratung und eigenes Controlling gehören müssen aber auch wissen, dass das Konzept der PRTs im zu den Führungsfähigkeiten einer guten Regierung. Dies Wesentlichen ein Konzept der Kommunikation, der Of- hat die große Koalition verstanden. Auch deswegen fenheit ist, das ins Land hinein wirken soll. Deswegen ist stellt sie eine gute Regierung. die Frage, ob wir dieses Konzept auf Dauer verfolgen Die grundfinanzierte Forschung an einigen Instituten können, eine ernsthafte Debatte unter Fachleuten wert. der Fraunhofer-Gesellschaft oder bei der FGAN muss Das heißt, wir müssen auf der einen Seite über den opti- sich folgenden Fragen stellen: Wie nahe an den Mög- malen Schutz der Soldaten, auf der anderen Seite über lichkeiten des Marktes arbeiten die Institute? Wie kann Kommunikationskonzepte, die der Philosophie unseres die Vermarktung unserer Fähigkeiten noch besser wer- Landes und Europas entsprechen, diskutieren. den? Diese Fragen stellen sich auch den Universitäten In diesem Zusammenhang eine Bemerkung an die der Bundeswehr. Wer beide Universitäten zusammen be- Kolleginnen und Kollegen der FDP: Mit Abschiedsreden trachtet, kommt leicht zu dem Schluss, dass das Auf- an die gemeinsame Verantwortung tragen Sie zu dieser kommen an Drittmitteln mit Intelligenz und gutem Wil- ernsthaften Diskussion nicht bei. len durchaus noch steigerbar ist. Diese Universitäten sind über alles gesehen wirklich gut ausgestattet und (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem können im Einwerben dritter Mittel deutlich mehr leisten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) als bisher. Ich bitte Sie: Kehren Sie zu manchen guten Traditionen Wir müssen über verstärkte Forschungs- und Ent- Ihrer eigenen Partei in der Außenpolitik – Sie können es wicklungsaufträge die Löcher in der produktiven Aus- nachlesen – zurück. lastung mancher Firmen mildern. Dies ist auch mit weni- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4575

Jörn Thießen (A) ger Finanzmitteln machbar; das sollten wir tun. Mit Wir alle haben in den Wochen der entsetzlichen mili- (C) ausreichenden F-und-T-Mitteln können Firmen Inge- tärischen Auseinandersetzungen mit den betroffenen nieurleistungen halten und damit auch das Abwandern Menschen in Israel, in Palästina und im Libanon gelitten. von hoch qualifiziertem Personal verhindern. Wir haben auf einen Waffenstillstand gehofft und wir alle wünschen einen dauerhaften Frieden für den Nahen Frankreich und Großbritannien verfolgen das Ziel, Osten. Uns ist klar: Es gibt keine Klärung durch Krieg, ihre F-und-T-Haushalte noch weiter zu steigern. Wir sondern nur durch politische Lösungen. wissen, dass diese beiden Länder noch andere Lasten tragen als andere Länder Europas. Der Ansatz der Bun- (Beifall bei der SPD und bei der LINKEN) desrepublik lässt sich noch so weiterentwickeln, dass wir Teil einer politischen Lösung muss die Stärkung der Augenhöhe erreichen können. Dies ist wichtig, weil wir staatlichen Autorität des Libanon für sein gesamtes Ter- in der EDA und anderen Gremien als gleichberechtigte ritorium sein. Ziel muss es sein, funktionierende Staat- und ernst zu nehmende Partner wahrgenommen werden lichkeit herzustellen. wollen. Ein wichtiger Schritt dahin ist, dass wir im Rah- men des 6-Milliarden-Euro-Programms der Bundesre- Ich habe in Absprache mit Bundeskanzlerin Merkel gierung und des Programms der Europäischen Union im Vorfeld der Konferenz für den Libanon, zu der die auch in der Sicherheitsforschung auf militärischer Seite schwedische Regierung und die UN eingeladen hatten, endlich von den zivilen Beteiligten ernst genommen den Libanon besucht und mir einen eigenen Eindruck werden. über die Notwendigkeit der Wiederaufbauhilfe ver- schafft. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Präsident (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Siniora braucht internationale Unterstützung; er ist ein mutiger Mann, vor dessen schwieriger Aufgabe ich gro- Am Ende steht auch im Bereich der Forschung und ßen Respekt habe. Technologie nicht die Technik im Vordergrund. Am Ende kommt es nämlich darauf an, zugunsten der Streit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kräfte und ihrer Entwicklungsfähigkeit zu arbeiten. Das der CDU/CSU und der FDP) kommt vor allem den Menschen in den Streitkräften zu- gute. Die Bundeswehr wird viel mehr durch die Frauen Wir müssen der Hisbollah, die kaltblütig zivile Opfer und Männer konstituiert, die in ihr arbeiten, als durch in Kauf genommen hat und sich nun als Helfer in der alle fiskalischen und technischen Faktoren. Mit diesen Not gibt, den Nährboden entziehen. Bei dieser Aufgabe Menschen sorgsam und zuverlässig umzugehen, ist un- ist das Land auf internationale Unterstützung, auch auf ser hohes – und meist gemeinsames – politisches Ziel. unsere Unterstützung angewiesen. Wir werden den Liba- Es gibt nicht neben anderen Aspekten auch eine soziale non deshalb wieder zum Partnerland unserer Entwick- (D) (B) Dimension der Transformation. Sozialität ist der Kern lungszusammenarbeit machen. Das möchte ich für die der Transformation; denn wer nach außen den Frieden Bundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich sagen. schaffen und erhalten will, der darf seine innere und so- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN ziale Dimension nicht vergessen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die fragen: Müssen wir eigentlich wiederaufbauen? Diesen Menschen sage (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ich: Dort, wo Leid und Elend sind, ist es eine humanitäre Pflicht, den Menschen zu helfen. Der Frieden im Nahen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Osten wird auch für unsere eigene Sicherheit von Bedeu- Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich tung sein. Israel hat durch die Angriffe der Hisbollah in liegen nicht vor. hohem Umfang Schäden erlitten, für die es keine inter- nationale Hilfe anfragt. Israel will diese Schäden selber Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- beseitigen. Aus all diesen Gründen sage ich: Es ist wich- desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit tig, dass wir auf dem Gebiet des Wiederaufbaus des Li- und Entwicklung. Einzelplan 23. banon gemeinsam tätig sind. Ich erteile das Wort der Bundesministerin Heidemarie Auf der Konferenz in Stockholm wurden für den Li- Wieczorek-Zeul. banon Mittel in Höhe von insgesamt 940 Millionen US- Dollar zugesagt. Über die Hälfte davon kommt übrigens von arabischen Staaten. Das ist richtig und gut so. Auf Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für dieser Konferenz habe ich für die Entwicklungszusam- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: menarbeit in 2006 – Bereiche Wasserversorgung im Sü- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich den des Libanon und Förderung der beruflichen Bil- möchte von dieser Stelle aus herzliche Grüße und Gene- dung – 10 Millionen sowie weitere Mittel aus dem Haus- sungswünsche an den Vorsitzenden des Entwicklungs- halt des Finanzministers für die Kontrolle an den Land- ausschusses, unseren Kollegen Herrn Hoppe, richten, grenzen zugesagt. der heute wegen Krankheit nicht anwesend sein kann. Wir wünschen ihm von hier aus alles Gute und gute Ge- Wir erbringen in diesem Jahr Unterstützungsleistun- nesung. gen in Höhe von mindestens 22 Millionen Euro. Wir leisten Unterstützung bei der Beseitigung der Ölver- (Beifall im ganzen Hause) schmutzung. Weitere finanzielle Unterstützung werden 4576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) andere Ressorts unserer Regierung beschließen, sodass auch deutlich gesagt – unsere Maßnahmen gegen HIV (C) die Mittel seitens der Regierung, auch meines Ministe- und Aids verstärken, die Mittel für die Jahre 2007 und riums, im nächsten Jahr aufgestockt werden. 2008 um rund 100 Millionen Euro auf jährlich 400 Millionen Euro aufstocken, unsere bilateralen Mittel Im Moment gefährdet nicht explodierte Streumunition und die Schuldenumwandlungen einsetzen und den Glo- das Leben von zurückkehrenden Flüchtlingen im Süden balen Fonds zur Bekämpfung von HIV, Aids, Malaria des Libanon. Blindgänger töten unschuldige Menschen, und Tuberkulose entsprechend finanziell stärken. spielende Kinder und gefährden UNIFIL-Truppen. Sie sind ein Problem für den Wiederaufbau. Lassen Sie uns Warum? Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal an dieser Stelle gemeinsam sagen: Wir müssen alles da- erläutern. Es handelt sich vor allen Dingen für junge für tun, dass Streubomben weltweit verboten werden! Frauen und Mädchen um eine dramatische Situation. (Beifall im ganzen Hause) Während sie noch vor zehn Jahren 12 Prozent aller Infi- zierten ausgemacht haben, machen Frauen heute fast die Das muss eine unserer Schlussfolgerungen sein. Hälfte aller Infizierten aus. Das hängt damit zusammen, dass sie schwächer sind und sich in vielen Situationen Den Frieden in der Region werden wir aber nur errei- nicht mit ihren eigenen Schutzmöglichkeiten durchset- chen – das ist heute immer wieder deutlich geworden –, zen können. Deshalb haben wir ausdrücklich die Mittel wenn der Kernkonflikt zwischen Israel und Palästina zugesagt, die für die Entwicklung von Mikrobiziden eine Lösung findet. Israel hat ein selbstverständliches wichtig sind, die es den Frauen ermöglichen, sich selbst Recht, in Frieden und ohne Furcht vor entsetzlichen An- zu schützen und nicht auf den Schutz durch Männer an- griffen zu leben. Das Existenzrecht des Staates Israel gewiesen zu sein. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger muss gesichert werden. Gleichzeitig geht es darum, ei- Aspekt, um den Frauen in den Entwicklungsländern zu nen eigenständigen palästinensischen Staat zu verwirkli- helfen. chen, der in Frieden mit seinen Nachbarn lebt und Israel anerkennt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE NISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Gleichzeitig geht es auch darum, dass wir die Pro- Auf der Konferenz in Stockholm wurden für die gramme stärker auf Frauen orientieren. Wir müssen uns humanitäre Hilfe in Palästina – die Situation dort ist unsere Programme sehr genau ansehen und vor allen insbesondere für die Jugendlichen dramatisch – 450 Mil- Dingen mit dafür sorgen, dass in den Partnerländern die lionen US-Dollar bereitgestellt. Wir haben den so ge- Gremien, die über die Verteilung dieser Mittel entschei- (B) (D) nannten Temporären Internationalen Finanzierungs- den, tatsächlich mit Frauen besetzt sind und sie damit mechanismus mitfinanziert, dessen Ziel es ist, trotz der ihre Stimme erheben können. bestehenden Hamas-Regierung dafür zu sorgen, dass zu- Die deutliche zweite Steigerung des Haushalts nach mindest die Bedürftigsten eine Unterstützung erhalten. dem Haushalt 2006 zeigt, dass wir unsere internationale Auf diese Art und Weise werden bis Ende September Verantwortung und auch unseren Stufenplan zur Steige- immerhin rund 600 000 Menschen in Palästina Hilfe er- rung der Entwicklungszusammenarbeit ernst nehmen. halten. Das ist richtig und gut so. Das sind keine Kosten, sondern Investitionen in die Zu- Die europäische Erfahrung zeigt doch, dass es mög- kunft unserer Kinder, Investitionen in Gerechtigkeit, in lich ist, Hass und Gewalt zu überwinden. Warum sollte eine friedlichere Welt, in Armutsbekämpfung und die das, was in Europa, in der KSZE gelungen ist – wenn Bewahrung der Schöpfung. Es sind gut investierte Mit- auch unter völlig anderen Bedingungen –, nicht auch im tel. Es ist auch ein Signal in Richtung der EU-Ratspräsi- Nahen Osten möglich sein, wo doch die große Mehrheit dentschaft und der Präsidentschaft der G 8 durch unsere der Menschen Frieden will. In einer dauerhaften Konfe- Bundesregierung im nächsten Jahr. Ich bin überzeugt, renz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen dass wir im nächsten Jahr weitere entschlossene Schritte Osten könnten Fragen der Sicherheitspolitik, der wirt- in diesem Sinne machen werden. schaftlichen Zusammenarbeit und des menschlichen Zu- Ich möchte mich bei der Koalition für die Unterstüt- sammenlebens besprochen und geregelt werden. Enga- zung bedanken. Eine breite parlamentarische Mehrheit gieren wir uns gemeinsam für diesen Weg zum Frieden! hat in diesen Fragen große Vorteile. Ich möchte mich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie aber auch bei der Opposition bedanken. Denn es ist im- bei Abgeordneten der LINKEN und des mer gut, wenn es weiteren Druck und weitere Unterstüt- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zung gibt. Nun zu einem Thema, das uns jeden Tag beschäftigt Ich möchte zum Abschluss Kofi Annan zitieren. Er und immer aufs Neue beschäftigen muss. In dieser Welt hat gesagt: „Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der Halbie- sterben pro Tag 8 000 Menschen an Aids; so viele wür- rung der extremen Armut näher zu kommen, wird in ho- den auch sterben, wenn jeden Tag zwanzig vollbesetzte hem Maße von der Führungsrolle Deutschlands im Jumbojets abstürzen würden. Die Aidskonferenz in To- nächsten Jahr abhängen.“ – Dazu sollen dieser Haushalt ronto war wichtig, um die Aufmerksamkeit wieder auf und unsere Verantwortung in EU und G 8 beitragen. Ich diese dramatische Situation zu lenken. Was tun wir ge- möchte an dieser Stelle Kofi Annan danken. Er wird gen Aids? Wir werden – das habe ich auf der Konferenz Ende dieses Jahres aus seinem Amt ausscheiden. Er hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4577

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) Großes für die Entwicklung und für den Frieden in die- und denke, wir sollten wieder zum normalen Verfahren (C) ser Welt geleistet. Wir erwarten von ihm jetzt in seinem zurückkehren: dass der Haushalt zunächst beschlossen Amt, aber auch danach Großes für das gemeinsame Ziel. und erst dann die Mittel verteilt werden. Ich bedanke mich sehr herzlich. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Jedes der genannten Vorhaben mag sinnvoll sein. Aber bei Abgeordneten der LINKEN und des in den Haushaltsberatungen sollten wir zumindest die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Chance haben, uns mit ihnen zu befassen. Diese Oberflächlichkeit und dieser Mangel an Kon- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: kretheit sind auch in den Strukturen des Haushalts fest- Ich erteile das Wort Kollegen Hellmut Königshaus, zustellen. Nehmen Sie nur die Neustrukturierung der FDP-Fraktion. Durchführungsorganisation. Das ist natürlich ein wichtiges Thema. Denn nur eine wirksame Organisation Hellmut Königshaus (FDP): kann politische Vorgaben tatsächlich kostengünstig und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich effizient umsetzen. Aber bisher liegt bloß eine Ausarbei- möchte mich zunächst von ganzem Herzen den Gene- tung – anders kann man das nicht nennen – eines Bera- sungswünschen für den Kollegen Thilo Hoppe anschlie- tungsunternehmens vor, die handwerklich so dürftig ist ßen. Er soll bald wieder unter uns sein. Ich will Ihnen, – das muss ich so sagen –, dass man sich scheut, das Frau Ministerin – jedenfalls für unseren Teil der Opposi- Institut namentlich zu nennen. tion –, gern zusagen, dass wir weiterhin Druck machen werden, den Sie offenbar begrüßen. In dieser Ausarbeitung wurde überhaupt keine tragfä- hige Istanalyse vorgenommen. Noch schlimmer: Auch Frau Ministerin, Sie haben im Übrigen – wie häufig in die Ausgangslage ist völlig falsch. Sie beginnt mit der der vergangenen Zeit – den Einsatz von Streubomben Betrachtung an der Außengrenze der Ministerien. Das durch Israel kritisiert. Darüber kann man sicherlich dis- eigentliche Problem ist aber nicht die unzureichende kutieren. Umsetzung, sondern zunächst einmal die mangelhafte Aber eines will ich Sie in diesem Zusammenhang fra- politische Steuerung. gen: Warum klagen Sie nur andere an? Vielleicht haben Der Kollege Mark hat vorhin am Beispiel des Aus- die Israelis ja lediglich das getan, was die Koalitions- wärtigen Amtes erläutert, dass es auch dort Entwick- fraktionen erst am 28. Juni dieses Jahres, allerdings für lungsaktivitäten gibt. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass die Bundeswehr, gefordert haben: Streumunition einzu- hier auch andere Ressorts mitmischen. Was wir brau- (B) setzen, allerdings nur dann, „wenn geeignete alternative chen, ist deshalb eine Reform, die die Steuerungsfähig- (D) Munition nicht verfügbar ist“? Vielleicht hatten die keit der Politik vergrößert und das unproduktive und Israelis auch nichts anderes, was geeignet war, zur Ver- aufreibende Nebeneinander sowie das eifersüchtige Mit- fügung. So geht das jedenfalls nicht, meine Damen und einander-Rangeln der Ministerien beendet. Diesem An- Herren. Sie müssen schon Konsequenzen ziehen. spruch kommen Sie mit Ihrem Haushaltsansatz aller- (Zuruf von der SPD: Das ist doch völlig ab- dings ganz gewiss nicht nach. Selbst wenn der Haushalt surd, was Sie da sagen!) solide und nachvollziehbar wäre, müsste man also schon deshalb bezweifeln, dass Sie die Mittel überhaupt effi- Sehen Sie sich Ihren Antrag an dieser Stelle noch einmal zient einsetzen können. an und gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Aber auch inhaltlich schreibt dieser Haushaltsentwurf Frau Ministerin, in den vergangenen Wochen konnte alte Übel fort. Da sind insbesondere die ausufernden man häufig den Eindruck gewinnen – auch heute haben Globalzuweisungen. Es handelt sich insgesamt um Sie ihn wieder erweckt –, als seien unsere Haushalts- 28 Milliarden Euro – ich habe die Liste hier –, die aus beratungen im Grunde genommen entbehrlich. Man hat dem Bundeshaushalt global zugewiesen werden; ein gro- immer wieder gehört, was Sie alles versprochen haben ßer Teil davon sind Mittel für die Entwicklungszusam- – das haben Sie eben bestätigt –: 100 Millionen Euro menarbeit. Wofür diese Mittel eingesetzt werden sollen, mehr für die Aids-Bekämpfung, wohlgemerkt aus künf- das sollen wir uns im Rahmen der Haushaltsberatungen tigen Haushalten, 22 Millionen Euro hier, andere Be- selbst heraussuchen. Meine Damen und Herren, das träge dort usw. Sie haben Versprechungen gemacht – das muss anders eingetaktet werden. ist okay –, aber dem Parlament haben Sie erst in aller- letzter Minute die Erläuterungen und Projektlisten zur Ich glaube, wir müssen in Zukunft auch im Hinblick Beratung Ihres Haushalts übersandt. Dafür mag es auf die Struktur unserer Entwicklungspolitik anders ar- Gründe geben. Aber eigentlich hätten wir schon eine Er- beiten. Denn die Globalzuweisungen haben zur Folge, klärung erwartet. dass es letztlich nur darum geht, die ODA-Quote zu er- füllen. Hauptsache ist, das Geld fließt ab, egal wohin Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus und egal wie: ob Weltbank, EU oder ADB. Kein Wun- den Koalitionsfraktionen, wie Sie das sehen, aber so der, dass hier der Überblick verloren geht! kann man eigentlich keinen Haushalt beraten. Vielleicht haben Sie sich damit abgefunden, dass die Regierung Der krasseste Punkt ist der Europäische Entwick- „durchregiert“ und Sie faktisch nur noch zum Abnicken lungsfonds – dazu habe ich schon oft etwas gesagt –: bestellt werden. Ich jedenfalls finde das nicht normal 700 Millionen Euro wollen Sie im kommenden Jahr an 4578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Hellmut Königshaus (A) diese Organisation überweisen. Das ist eine vollkommen (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) undurchsichtige und parlamentarisch nicht kontrollierte Wie, Sie wollen doch aufsatteln!) Geschichte. Das kann im Grunde genommen so nicht weitergehen. Niemand weiß, was mit diesem Geld tat- Stampfen Sie beispielsweise das Ankerländerkonzept sächlich passiert. Wir wissen nur eines: 25 Prozent die- ein. – Frau Kollegin, helfen Sie dabei mit. Das kostet nur ser Mittel, 175 Millionen Euro, fließen als Budgethilfen Geld und führt zu Zuständigkeitsstreitigkeiten mit dem in die Haushalte einiger weniger AKP-Staaten. Auswärtigen Amt, die Sie nicht gewinnen können. Hö- ren Sie auf, immer mehr Geld in undurchschaubare Ich habe kürzlich mit einem führenden Europapoliti- Töpfe und Fässer zu schütten. Setzen Sie Prioritäten, die ker aus dem Kreise der Koalition gesprochen – ich sage den Kernanliegen gerecht werden, die wir in der Ent- jetzt nicht, wer es war –, dem ich gesagt habe: Es ist wicklungspolitik durch die MDG vorgegeben haben: doch unglaublich, dass es so etwas gibt, was parlamenta- keine U-Bahnen, Autobahnen und sonstigen Prestige- risch nicht kontrolliert wird. Darauf sagte er, das sei inte- projekte mehr, weniger Beton, mehr für die Bürger in ressant und ich solle ihm Informationen darüber zukom- den Nehmerländern, mehr Impfstoffe, Medikamente men lassen. usw. Es kann doch wohl nicht richtig sein, dass wir solche Sichern Sie den Haushalt ab gegen die Risiken, die Institutionen haben und niemand davon wirklich weiß. ich angesprochen habe. Wir sind gern bereit, Ihnen von Aus diesem Fonds werden auch die überseeischen der Opposition dabei zu helfen und gemeinsam nachzu- Gebiete und Länder unserer EU-Nachbarn mit finanziert bessern, wenn Sie zur Kooperation bereit sind. In der jet- – jedenfalls zum Teil –, beispielsweise Guadeloupe, zigen Form jedenfalls – das kann ich Ihnen vorhersa- Martinique und Französisch-Guayana. Ist es wirklich die gen – werden wir diesem Haushalt nicht zustimmen Aufgabe unserer Entwicklungspolitik, dass wir den fran- können. zösischen, den niederländischen oder andere Staatshaus- halte entlasten? Das ist doch verrückt. So etwas muss Ich bedanke mich. doch aufhören. Zahlen denn die Franzosen für uns Stra- (Beifall bei der FDP) ßen in Mecklenburg-Vorpommern? (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sehr populistisch!) Das Wort hat nun der Kollege Christian Ruck, CDU/ Das ist ziemlich abstrus, meine Damen und Herren. CSU-Fraktion. Obendrein zahlen wir in diesen Topf noch mehr als die (Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/CSU] begibt (B) Franzosen selbst. sich mit geschientem Bein zum Rednerpult – (D) (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Mecklenburg- Ich wünsche Ihnen eine gute Genesung, Herr Vorpommern als Kolonie bezeichnen?) Kollege! – Hellmut Königshaus [FDP]: Das habe ich nicht gesehen, sonst hätte ich mich – Nicht aus dem Entwicklungsfonds, sondern aus Struk- dem angeschlossen!) turfonds. Diese Mittel kommen noch dazu, Frau Kolle- gin. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Noch schlimmer sind im Übrigen die Haushalts- Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe risiken – über die ich hier schon mehrfach gesprochen Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Grund zur habe –, die das BMZ beim EEF in den letzten Jahren Aufregung. Ich bin Innenverteidiger der Bundestagsfuß- heimlich, still und leise angehäuft hat. Sie, Frau Ministe- ballmannschaft; ab und zu kracht es halt entsprechend. rin, haben per 1. Januar 2006 die offenen Forderungen des EEF auf über 4 Milliarden Euro beziffert – über (Walter Kolbow [SPD]: Die Blutgrätsche eines 4 Milliarden Euro! Nur ein Bruchteil davon ist gedeckt, oppositionellen Freundes!) nämlich das, was wir dieses Jahr in die Haushalte ein- – Aber jetzt zum Thema, Herr Kolbow. stellen, also 661 Millionen Euro. Der Rest ist ungedeckt. Selbst wenn es stimmt, was Sie nun behaupten, die ab- Mit dem Haushaltsentwurf für 2007 – das möchte ich sehbaren Abrufe des EEF seien im Haushalt des kom- jetzt nach den Ausführungen meines Vorredners voran- menden Jahres berücksichtigt – 2005 stimmte es be- stellen – unterstreicht die schwarz-rote Koalition unter kanntlich nicht –, verschieben Sie doch damit die Bundeskanzlerin Merkel erneut ihr klares Bekenntnis, Probleme nur in die Zukunft und lösen sie nicht. Das soll den Spielraum der Entwicklungspolitik zu erhöhen. uns hier dann als seriöse Haushaltsplanung verkauft wer- Durch das Engagement der Ministerin und ihres Hauses den? Das kann so nicht weitergehen. ist es erneut gelungen, den Etat für den Einzelplan 23 im Haushaltsentwurf signifikant zu erhöhen, und zwar weit Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Ihnen jetzt über dem Wachstum des Gesamthaushalts. wieder nur einfällt, in Zukunft tiefer in die Taschen der Bürger zu greifen, diesmal mit der geplanten Ticket- Damit hat Schwarz-Rot in zwei Jahren Haushaltsfüh- abgabe und anderen – wie Sie es dann nennen – innova- rung Steigerungen um fast 18 Prozent im Entwick- tiven Instrumenten. Wie wäre es stattdessen einmal mit lungsetat beschlossen, während der Entwicklungshaus- Sparen? halt unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 um 1 Prozent Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4579

Dr. Christian Ruck (A) gesunken ist. Das, glaube ich, ist schon ein starkes Stück zur Gestaltung einer zukunftsfesten Aufstellung deut- (C) unserer neuen schwarz-roten Koalition. scher EZ. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen natürlich eine EZ aus einem Guss, wie sie auch von außen deutlich sichtbar werden muss. Was wir Damit können wir bisher insgesamt 600 Millionen Euro nicht wollen, sind Teillösungen oder eine Organisations- mehr einsetzen, um den gestiegenen entwicklungspoliti- reform mit Siegern und Besiegten; darüber sind wir uns schen Herausforderungen gerecht zu werden. Das ist auch in der Koalition einig. Für Effizienzsteigerungen eine Meldung, die man, glaube ich, gut vertreten kann müssen wir Lösungen finden, die von allen als besser als und mit der wir uns auf dem richtigen Weg befinden. der Status quo angesehen werden. Da, glaube ich, sollten (Beifall bei der CDU/CSU) wir sensibel vorgehen. Aus unserer Sicht muss neben der Betrachtung der einzelnen Instrumente – TZ, FZ, KfW, Die Ereignisse in diesem Jahr unterstreichen, dass das GTZ – auch nach der Einbettung dieser Instrumente in strategische Gewicht der Entwicklungspolitik gewach- das Gesamtsystem gefragt werden. Zu klären ist auch, sen ist. Die Entwicklungen im Kongo, in Afghanistan, wie in einer modernen Aufstellung die Zuordnung von im Nahen Osten, die Migrationsbewegungen in Afrika BMZ und den Durchführungsorganisationen aussehen zeigen doch, wo die neuen, internationalen Herausforde- soll und was mit den Teilen der EZ betreffend Aus- und rungen für Deutschland liegen: Es gibt keine friedliche Fortbildung und personelle Zusammenarbeit passieren Welt ohne Entwicklung. soll. Vor allem müssen wir klären, wie die Außenstruktur Die Steigerung der ODA-Quote, die wir alle anstre- aussehen soll; das ist für uns, SPD und CDU/CSU, ganz ben, für die wir alle kämpfen, dient deshalb nicht nur der wichtig. Das sind Dinge, bei denen man nicht einfach Herstellung von Gerechtigkeit in der Welt, sondern ist aus der Hüfte schießen kann, da muss man zwar zügig auch ein signifikanter Beitrag für unsere eigene Sicher- und konsequent, aber doch auch mit der nötigen Vorsicht heit. Der Haushalt des BMZ ist darüber hinaus ein in- ans Werk gehen. Effizienzsteigerung bedeutet für mich vestiver Haushalt: Er sichert mindestens 200 000 Ar- aber auch – auch das ist schon angeklungen –, die regio- beitsplätze im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland. nale und die sektorale Konzentration voranzutreiben. Deswegen hat er massive ökonomische Auswirkungen Herr Königshaus, Sie haben die Anker- und die Schwel- im eigenen Land. Das sollten wir auch der Öffentlichkeit lenländer angesprochen. Ich sage Ihnen eines: Etwas immer wieder sagen: Es geht nicht etwa um entwick- mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Auswärti- lungspolitische Träumereien, es geht auch um Sicherheit gen Amt tut auch der FDP gut. und es geht auch um unsere eigenen Arbeitsplätze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) (B) Mit dem Haushalt 2007 werden diese neuen, strategi- der SPD) schen Ansätze konsequent fortentwickelt. Wir stehen im Vorfeld des G-8-Gipfels und unserer Präsidentschaft im Mir ist um die Auseinandersetzung mit dem Auswärti- Europäischen Rat. Da müssen wir – und werden wir gen Amt nicht bange, wenn die besseren Argumente auf auch – sowohl konzeptionell als auch finanziell etwas unserer Seite sind. Da befinden wir uns auch untereinan- auf den Tisch legen. Herr Königshaus, ich gebe Ihnen der in der Diskussion darüber, was die Kriterien für diese Recht – da habe ich Ihnen schon immer Recht gegeben Auswahl sein sollen. Ich glaube, das darf nicht nur die und Sie mir auch, Gott sei Dank –, wenn Sie sagen: Geld Bedürftigkeit sein, sondern es müssen auch Kategorien ist natürlich nicht alles, es geht auch um Effizienz. Wir wie das Gefahrenpotenzial und das Potenzial für strate- – auch die Koalition – sind ständig aufgefordert, die Ef- gische Partnerschaften eine Rolle spielen. Man kann sich fizienz gerade auch in diesem Politikbereich zu diskutie- mit wichtigen Schwellen- oder Ankerländern natürlich ren. sehr wohl über die weitere Zusammenarbeit unterhalten. Da möchte ich etwas zu dem schon zitierten Gutach- Bei den begrenzten Mittel müssen wir natürlich im- ten sagen. Die Akteure der deutschen Entwicklungszu- mer wieder auch die Frage stellen, was wirklich eine sammenarbeit leisten Großartiges. Sie genießen großes Entwicklung bewirkt und was die Armut wirklich be- Ansehen in der Welt; daran gibt es nichts zu rütteln. kämpft. Gerade im islamischen Bereich existiert allein Aber die Strukturen auch der deutschen Entwicklungs- schon durch die Vielzahl der arbeitslosen Jugendlichen, politik sind vielfach noch Strukturen, die vor 20, deren Anzahl jedes Jahr größer wird und die in die Welt 30 Jahren begründet worden sind, zum Teil kann man sa- und in diese Gesellschaften drängen, ein Pulverfass. Ich gen: Strukturen vor dem Hintergrund der Notwendigkei- glaube, viele islamische Länder sind auf die Zusammen- ten des Kalten Krieges. Die neuen Herausforderungen arbeit mit uns und darauf angewiesen, dass wir unsere erfordern ein Umsteuern in der Zusammenarbeit – das Konzepte im gegenseitigen Interesse austauschen. Es ist haben wir ja auch alle beteuert –: weg von der Projekt- doch vor allem für Entwicklungspolitiker völlig unbe- arbeit allein hin zur Strukturpolitik, zum Verändern und friedigend, wenn man zuerst zum Aufbau eines Landes zum Überwinden gesellschaftlicher und politischer beiträgt und danach dann alles zusammengeschossen Strukturen. Aus diesem Grunde ist es natürlich wichtig, wird, sodass man wieder sagen kann: Gut, wir sind be- dass wir immer wieder auch an der Optimierung der reit, das wieder aufzubauen. Das kann ja nicht das Ende Durchführungsstruktur arbeiten, sie durchdenken. Dafür vom Lied sein. Vielmehr müssen wir eine vorausschau- stellt das vorliegende Gutachten meiner Ansicht nach ende Entwicklungspolitik betreiben und Strukturen ver- eine gute Diskussionsgrundlage dar für weitere Schritte ändern. Das ist unsere Aufgabe. 4580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Christian Ruck (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie eigenen – Anstrengungen für eine gute Regierungsfüh- (C) bei Abgeordneten der LINKEN) rung oft kaputt. Dazu ist es natürlich auch erforderlich – das ist klar –, Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch dass wir unsere Anstrengungen für ressortübergreifende die vielen nicht staatlichen Akteure, die für die Entwick- Konzepte und Koordinationen fortsetzen. Komplexe Si- lungszusammenarbeit so wichtig sind – Kirchen, Nicht- tuationen wie im Kongo und im Nahen Osten erfordern regierungsorganisationen, Stiftungen und viele andere – natürlich, dass alle Ressorts parallel an den richtigen erwähnen. Sie sind für diesen Prozess des Strukturwan- Stellschrauben drehen. Es reicht nicht allein aus, dass dels, für den Aufbau von Zivilgesellschaften und für die man Soldaten schickt oder die dortige Polizei ausbildet. Initiierung von gesellschaftlichen Prozessen, die für eine Die Menschen in diesen Entwicklungsländern müssen auf Entwicklung zielende Politik entscheidend sind, auch spüren, dass sich der Einsatz für Demokratie, dass wichtig. sich Wahlen und dass sich die Beachtung der Menschen- Herr Königshaus, ich ziehe mir Ihren Schuh nicht an, rechte lohnen. Deswegen ist es auch eine ganz entschei- dass wir in den zukünftigen Haushaltsberatungen alles dende Kernaufgabe der Entwicklungspolitik, in der Post- abnicken. Das ist ein Schmarren. Wir werden über die konfliktphase die Probleme schneller und besser zu eine oder andere Änderung in den weiteren Beratungen lösen, als das bisher gelungen ist. im Detail und sehr konstruktiv diskutieren. Wir sollten (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne gerade diese Nichtregierungsorganisationen und Stiftun- Kastner) gen, die im Koalitionsvertrag erwähnt sind, und andere dadurch stärken, dass wir hier Akzente setzen. Daneben Herr Königshaus, noch ein Punkt, in dem wir uns alle müssen wir neue Akzente in dem Bemühen setzen, die einig sind: Zu dem Bereich der Effizienzsteigerung ge- Schöpfung zu bewahren. hört auch eine bessere internationale Arbeitsteilung. So ist der Regierungsentwurf für das Haushaltsjahr Auch hier rennen Sie offene Türen bei uns ein. Das ist 2007 ein Entwurf, der neue Akzente setzt. aber eine Knochenarbeit. Wir müssen ja nicht uns selber von der Notwendigkeit einer besseren Koordination in der EU überzeugen, sondern wir müssen vor allem die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: EU-Partner davon überzeugen. Das ist eine Knochenar- Herr Kollege Ruck, sehen Sie bitte auf die Uhr. beit. Wir haben uns heuer aber vorgenommen, gerade diesen Punkt anzugehen. Lassen Sie uns doch erst ein- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): mal abwarten, wie weit die Ministerin und wir mit dieser Jawohl, Frau Präsidentin. – Selbstverständlich wer- (B) Knochenarbeit kommen. Wir werden sie dabei jedenfalls den auch wir Akzente setzen. Darauf können Sie sich (D) tatkräftig unterstützen. verlassen. (Beifall des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] Vielen Dank. [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Danke. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dasselbe gilt natürlich auch für die Versuche, das Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die UN-System transparenter zu machen und zu straffen. Linke. Auch hier sind wir uns einig. Aber auch das ist eine Knochenarbeit. Das können wir nicht par ordre du mufti (Beifall bei der LINKEN) im Bundestag entscheiden, sonst hätten wir Koalitionäre das schon abgewickelt. Das dauert halt eine Weile. Hier Heike Hänsel (DIE LINKE): muss uns Kofi Annan auch noch zur Seite stehen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwicklungsetat soll für 2007 erhöht werden. Das Wir wollen die Präsidentschaften – sowohl hinsicht- ist natürlich zu begrüßen. Wer könnte etwas dagegen sa- lich der G 8 als auch hinsichtlich der EU – nutzen, um gen? Wir selbst fordern das auch. Allerdings ist völlig auch unsere Themen vorwärts zu bringen. Das gilt vor klar, dass allein mehr Geld überhaupt nichts über die allem für das Problem der Arbeitsteilung in der EU. Qualität von Entwicklungszusammenarbeit aussagt und Auch auf Afrika soll ein bestimmter Fokus gelegt wer- keine Garantie für die friedliche Entwicklung und die den. Wir treten aber auch dafür ein, dass die Diskussion Verbesserung von Lebensverhältnissen bietet. Entwick- tiefer gehen muss. Es darf nicht nur um Geldfragen ge- lungspolitik findet immer vor dem Hintergrund konkre- hen. Mit Geld allein sind die Probleme Afrikas eben ter politischer Rahmenbedingungen statt, die vor allem nicht zu lösen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen weiter durch wirtschafts- und außenpolitische Entscheidungen denken und Konzepte anbieten und darüber diskutieren, festgelegt werden. wie ein mit Rohstoffen so reich gesegneter Kontinent wie Afrika viel mehr aus eigenen Kräften in der Lage Wir haben heute viel über den Krieg im Libanon und sein kann, etwas daraus zu machen. Ich glaube, wir müs- die Situation im Nahen Osten gehört. Dort zeigt sich, sen einfach erkennen, dass eine schlechte Regierungs- dass wir im Grunde eine völlig andere Außenpolitik be- führung auch in Afrika ein Hauptübel ist. Der Run auf nötigen, wenn wir ernsthaft Entwicklung für die Men- das Öl und andere Rohstoffe macht viele – auch unsere schen in der Region ermöglichen wollen. Herr Kauder Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4581

Heike Hänsel (A) hat in diesem Zusammenhang heute mehrmals einen geschieht. Was ist das für eine Politik? Dies lehnen wir (C) Spruch verwandt, den er von Erwin Teufel abgekupfert entschieden ab. Die Verantwortlichkeiten müssen hier hat: „Politik beginnt mit dem Erkennen der Realität.“ noch einmal klar benannt werden. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jetzt hat es (Beifall bei der LINKEN) auch bei Ihnen gedämmert!) Diese Politik hat sehr viele Menschen in der Region das Allerdings hat er dabei selbst Teile der Realität einfach Leben gekostet. ausgeblendet. Übrigens hat Herr Steinmeier geäußert, dass er unsere Der Nahe Osten ist eine der am höchsten gerüsteten Kritik an der Entsendung deutscher Soldaten in den Li- Regionen der Welt. Nur ganz wenige aber sprechen da- banon nicht ertragen könne. Als viel unerträglicher er- rüber, woher diese Waffen kommen. Zahlreiche deutsche achte ich das Schweigen der Bundesregierung in den Firmen liefern mit Genehmigung der Bundesregierung letzten Wochen hinsichtlich der Forderung nach einem Waffen in diese Krisenregion, und zwar an alle Seiten. sofortigen Waffenstillstand sowie die Bilder von Angela Bereits im Juli listete ein sehr guter Bericht des Magazins Merkel und George Bush beim Grillfest in Stralsund just „Monitor“ zahlreiche dieser Waffenexporte auf, die un- an dem Tag, an dem der Krieg gegen den Libanon be- ter anderem nach Ägypten, Jordanien, Kuwait und Saudi- gann. Arabien gingen. Bilder zeigten palästinensische Hamas- (Beifall bei der LINKEN) Kämpfer mit deutschen Maschinenpistolen und G-3- Sturmgewehren. Es ist interessant, dass ausgerechnet In diesem Zusammenhang möchte auch ich – wie Volker Kauder immer ein Lobbyist von Heckler & Koch schon zahlreiche andere heute – Ihnen, Frau Wieczorek- war, dem Hersteller der G-3-Gewehre, Zeul, unsere Unterstützung dafür zum Ausdruck brin- gen, dass Sie sich im Kabinett als Einzige für einen so- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Na, na! Das fortigen Waffenstillstand eingesetzt haben müssen Sie nachweisen!) (Beifall bei der LINKEN) weil er sich stets für den Erhalt deutscher Arbeitsplätze in dieser Firma eingesetzt hat. und dass Sie bei der UNO eine Untersuchung über den Einsatz von Streubomben gefordert haben. Wer weiß, wo diese G-3-Gewehre sonst noch gelan- det sind? Es gab nämlich auch offizielle Lizenzen für de- Wir haben heute viel über internationale Verant- ren Produktion in Pakistan, Saudi-Arabien und Iran. Wo- wortung gehört. Das ist eine Standardvokabel, die auch her kommen die Waffen der Hisbollah? Herr Arnold vorhin benutzt hat. Vor allem die Kollegen (B) aus dem Verteidigungsausschuss, aber auch die Außen- (D) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie politiker verwenden den Begriff „internationale Verant- wissen, dass das vor 1975 war!) wortung“ gerne. Was aber bedeutet der Begriff, wenn es Iran ist der Hauptwaffenlieferant der Hisbollah. Ange- konkret wird? Es geht immer nur um Militäreinsätze, im sichts dessen stellt sich die Frage, wer die Verantwor- Grunde für deutsche Interessen. Das Wort Verantwor- tung für die Aufrüstung in dieser Region übernimmt. tung wird nicht mehr anders verstanden. Wir fordern einen sofortigen Stopp sämtlicher Waffen- Wir sind jedoch gewählt worden, um politische Ver- exporte in diese Region und in sämtliche andere Krisen- antwortung zu tragen und politische Lösungen für politi- regionen. Wer Waffen exportiert, ist immer mit dafür sche Probleme zu entwickeln, aber nicht, um unsere Ver- verantwortlich, dass sie eingesetzt und mit ihnen Men- antwortung an das Militär abzugeben. Das ist kein schen getötet werden. Zeichen von Verantwortung; es ist vielmehr ein deutli- ches Zeichen von politischer Schwäche. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das betrifft natürlich auch die andere Seite, in diesem Fall Israel. Es gibt Lieferungen deutscher U-Boote an Is- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rael und von deutscher Technik für israelische Kampf- panzer und Kampfjets. Diese Waffen wurden im Krieg Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der gegen den Libanon und sie werden in den besetzten pa- Kollegin Beck? lästinensischen Gebieten eingesetzt, zum Beispiel im Gazastreifen. In zahlreichen Fällen wurde zivile Infra- Heike Hänsel (DIE LINKE): struktur bombardiert; ebenso wird die Zivilbevölkerung Nein, das gestatte ich nicht. Ich möchte jetzt fortfah- bombardiert. Es ist ganz klar, dass auch wir Verantwor- ren. tung dafür tragen. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Herr Ruck hat es gesagt: In den betroffenen Regio- Dann geht es auch schneller zu Ende!) nen, so in den palästinensischen Gebieten und im Liba- Wir sind jetzt fast am Ende der Debatte und ich habe non, bauen wir mit EU-Geldern Entwicklungsprojekte heute selber schon sehr viel anhören müssen. auf – also auch mit deutschen Steuergeldern –, die an- schließend bombardiert und zerstört werden. Das Ab- Ich möchte noch von unserer Ausschussreise berich- surde daran ist, dass dies zum Teil mit deutschen Waffen ten. Wir waren mit dem Ausschuss in Israel und in den 4582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Heike Hänsel (A) besetzten palästinensischen Gebieten. Ich denke, die (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck (C) Kolleginnen und Kollegen können es bestätigen: Mit ge- [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie noch etwas zum sundem Menschenverstand kann man erkennen, dass die Einzelplan sagen!) Situation der Unterdrückung bei den Palästinensern und Palästinenserinnen ständig Hass und damit auch Gewalt- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bereitschaft erzeugt. Deshalb ist es überfällig – wir fordern das schon seit langem –, einen neuen umfassen- Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kol- den Friedensprozess in der Region einzuleiten, an des- legin Beck. sen Ende zwei lebensfähige Staaten in sicheren Grenzen stehen müssen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE Es war viel vom Existenzrecht Israels die Rede, das GRÜNEN): wir ganz klar unterstützen. Aber das Existenzrecht allein Frau Kollegin, wer laut und aufgeregt argumentiert, ist noch keine Garantie für die Sicherheit der israeli- hat nicht allein deswegen Recht. Wenn Sie vom Krieg schen Bevölkerung. Dafür brauchen wir eine umfas- gegen den Libanon sprechen, dann möchte ich das im sende Friedenspolitik. Denn die Sicherheit der israeli- Deutschen Bundestag so nicht stehen lassen. schen Bevölkerung und die Sicherheit der Palästinenser und der Libanesen sind zwei Seiten einer Medaille. Wir Jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, muss wissen müssen beide zusammen bedenken. Deshalb haben wir – auch Sie als Parlamentarierin sollten das wissen –, dass die Verantwortung, uns für eine Friedenspolitik in dieser die Hisbollah über Jahre hinweg im Süden des Libanon, Region einzusetzen. als dort nach dem Abzug der israelischen Truppen ein politisches Vakuum entstanden war, Raketen aufgebaut Für mich war auf unserer Reise interessant, dass wir hat, mit denen ständig, und zwar über einen langen Zeit- sehr viele mutige Menschen getroffen haben – Israel ist raum, Angriffe auf den Norden Israels geflogen worden auch eine multikulturelle Gesellschaft mit unterschiedli- sind. chen Vorstellungen; Zehntausende haben gegen den Krieg in Israel demonstriert; das wird viel zu wenig er- Es war dann die Entführung von zwei israelischen wähnt –, die sich für einen Dialog auf palästinensischer Soldaten auf israelischem Boden und die Tötung von wie auf israelischer Seite einsetzen. Diese Kräfte müssen acht Soldaten, die dazu geführt haben, dass Israel ange- wir unterstützen. Deshalb halte ich es für entscheidend, fangen hat, sich zur Wehr zu setzen. Das will ich in die- dass wir viel mehr Ressourcen in den Aufbau der Zivil- sem deutschen Parlament richtig stellen. Es ging nicht gesellschaft auf allen Seiten investieren. um einen Krieg gegen den Libanon. Wir wissen, dass die (B) libanesische Regierung mit der schwierigen Situation le- (D) Sparen wir uns die unsinnige Libanonmission, die überhaupt keinen Sinn hat! Wir sollten das eingesparte ben musste, nicht mehr die Souveränität über das ganze Geld stattdessen direkt in Friedensprojekte in der Region Land zu haben. Das ist die Situation, in der nun die inter- und den Aufbau des Libanon investieren. nationale Truppe ihre Funktion erfüllen soll. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wir brauchen dringend eine Logik des Friedens gegen die Logik des Krieges. Das haben wir in den letzten Wo- chen erlebt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Hänsel, Sie dürfen erwidern. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wir brauchen eine Logik der Vernunft!) Heike Hänsel (DIE LINKE): Dazu kann die Entwicklungspolitik unserer Ansicht nach einen entscheidenden Beitrag leisten. Es kann nicht sein, Frau Beck, das sehe ich ganz anders. Die Menschen dass Militärmissionen uns jetzt sogar als humanitärer im Libanon, die fast vier Wochen bombardiert wurden, Beitrag und als Entwicklungsbeitrag verkauft werden. dürften das ebenfalls anders sehen. In meinen Augen war es ein Angriffskrieg gegen die gesamte Bevölkerung Es ist entscheidend, dass wir konsequent eine zivile des Libanon. Hat dieser Krieg die Hisbollah in irgendei- Politik entwickeln. ner Form ausgeschaltet? Nein. Die Hisbollah existiert weiter. Es war ein gezielter Krieg gegen die zivile Infra- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: struktur – das sagt Amnesty International –, und zwar Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten. unter Inkaufnahme von über 1 000 toten Menschen in der Region. Das kann man nicht als einen Krieg gegen die Hisbollah bezeichnen. Egal welche internationale Heike Hänsel (DIE LINKE): Stimme Sie nehmen, es war ein Krieg gegen die gesamte Viele Stimmen weltweit haben das längst erkannt. Sie Bevölkerung des Libanon. wurden bereits zitiert. Auch wir stehen auf dieser Seite und halten es für unsinnig, wenn der Bundeswehretat (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck noch erhöht werden sollte. Wir setzen uns für eine aktive [CDU/CSU]: Es ist schrecklich, dass so eine Friedenspolitik ein. im Deutschen Bundestag sitzt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4583

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: malmodell Frankreichs zugrunde legen – mindestens (C) Das Wort hat die Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/ 300 Millionen Euro jährlich mobilisieren. Die Grünen. Würden Sie es so machen wie die Schweden, käme sogar knapp 1 Milliarde Euro heraus. Die Briten haben Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bereits seit 1994 eine Flugticketabgabe und erwirtschaf- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und ten damit heute jährlich 1,45 Milliarden Euro. Herren! Zum Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Es sind nicht allein die zusätzlichen Mittel, die die 7,8 Prozent Steigerung der Barmittel, ich finde, dies ist Flugticketabgabe so bedeutend machen. Das Besondere ein Schritt in die richtige Richtung. Dass auch Mittel be- daran ist – das wissen Sie –, dass es eine international treffend die Verpflichtungsermächtigungen für die bila- verabredete gemeinsame Initiative von Industrie- und terale staatliche Entwicklungszusammenarbeit 2007 um Entwicklungsländern ist und dass die Mittel sehr konti- 430 Millionen Euro angehoben werden, ist ebenfalls nuierlich und sehr verlässlich sprudeln. Weder in Groß- richtig. britannien noch in Schweden hat die Abgabe zu Einbrü- chen im Flugverkehr geführt. Das sage ich denen, die Ein Blick zurück, auf den Haushalt 2006, zeigt aber, dagegen sind. Ganz im Gegenteil, der Flugverkehr ist in welchem Zustand sich die Finanzierung der Entwick- sehr gewachsen und bedarf schon allein aufgrund der lungszusammenarbeit der Bundesregierung befindet: in Gerechtigkeit gegenüber anderen Transportmitteln einer dem der Orientierungslosigkeit; denn noch in diesem zusätzlichen Besteuerung. Jahr haben Sie die Mittel betreffend die Verpflichtungs- ermächtigungen für die bilaterale Entwicklungszusam- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) menarbeit um 130 Millionen Euro gekürzt. Das nenne Lassen Sie mich zum Haushaltsentwurf 2007 hinzu- ich einen Zickzackkurs. Die Regierung müsste doch wis- fügen: Wir brauchen mehr Mittel für die ländliche Ent- sen: Um nach dem EU-Zeitplan das 0,7-Prozent-ODA- wicklung, für Grundbildung, für die Bekämpfung von Ziel zu erreichen, kann sich Deutschland ein solches HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose. Wir müssen Frauen Hott und Hü gar nicht leisten. Uns läuft nämlich schon stärken, dafür sorgen, dass Frauen Verantwortung in der jetzt die Zeit davon. Unser gemeinsames Ziel ist die Um- Gesellschaft übernehmen können, und den Kampf gegen setzung der Millennium Development Goals. Dabei ist Gewalt und Vergewaltigung intensivieren. Wir brauchen es wichtig, die Verpflichtungsermächtigungen genau ins Umsetzungsstrategien für die Einführung erneuerbarer Visier zu nehmen; denn sie sind die Barausgaben von Energien und den Ressourcenschutz in den Entwick- morgen und die Grundlage für neue Kooperationsange- (B) lungsländern. Ich sehe in Richtung Christian Ruck und (D) bote, die Sie heute den Entwicklungsländern in den Re- unterstreiche, dass wir mit der Ausrichtung der Vertrags- gierungsverhandlungen machen können. staatenkonferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt Tun Sie, was Sie sich selbst im Koalitionsvertrag vor- 2008 in Deutschland eine große Verantwortung haben, genommen haben! Sie wollen den EU-Stufenplan mit der unsere Kooperation aufzubauen. Erhöhung der Haushaltsmittel, der Entschuldung der Ent- Wir müssen sowohl die staatliche Entwicklungszusam- wicklungsländer und mittels der Einführung innovativer menarbeit als auch die wertvolle Arbeit von Nichtregie- Finanzierungsinstrumente umsetzen. Wir unterstützen rungsorganisationen entschieden stärken. Wenn ich mir den Sie dabei nach besten Kräften. Damit Sie aber in Bewe- Haushaltsentwurf anschaue, dann stelle ich fest: Für diese gung kommen, haben wir Ihnen eine Brücke gebaut und Gruppen, für die Nichtregierungsorganisationen – nicht einen Antrag auf Einführung einer Flugticketsteuer in für die Kirchen und Stiftungen; die meine ich nicht –, für den Bundestag eingebracht. Mit diesem Antrag tun wir die nicht staatlichen zivilen gesellschaftlichen Gruppen nichts anderes, als Ihnen Ihre Koalitionsvereinbarung haben wir nichts im Haushalt. Dem Titel für private Trä- und die Erklärungen Ihrer Kanzlerin zur Entwicklungsfi- ger wurden weder 2006 noch 2007 zusätzliche Barmittel nanzierung ins Gedächtnis zu rufen. Aber was tun Sie? zur Verfügung gestellt. Hier besteht dringender Nachhol- Sie verhindern mit der Koalitionsmehrheit die Befassung bedarf. mit diesem Antrag in den Ausschüssen, auch im AwZ- Ausschuss. (Dr. [SPD]: Das heißt nicht, dass wir nichts haben!) Sie begehen damit einen großen Fehler. Sie machen sich international unglaubwürdig. Sie können nicht jah- – Alle anderen wurden erhöht, Herr Kollege, aber in die- relang mit unseren Partnern über innovative Finanzie- sem Bereich gibt es nur gute Worte und keine Taten. rungsinstrumente diskutieren und sich in der Pilotgruppe für die Einführung von Solidaritätsbeiträgen zugunsten (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Da ist aber etwas!) von Entwicklung tummeln, um dann, wenn andere wie beispielsweise Frankreich, Brasilien und Südkorea Ernst Ich finde, das ist verkehrt. Das muss geändert werden. machen, unterzutauchen. Mittlerweile sind es schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18 Länder, die eine Ticketabgabe eingeführt oder diese verbindlich beschlossen haben. Dabei ist zum Beispiel Ebenso meine ich, dass die entwicklungsorientierte Not- Schweden gar nicht mitgezählt. Sie könnten in Deutsch- und Übergangshilfe besser ausgestattet werden muss. land durch eine Flugticketsteuer – wenn wir das Mini- Hier muss endlich etwas passieren. 4584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Ute Koczy (A) Ich wiederhole es gerne: Der von Ihnen vorgelegte (Gabriele Groneberg [SPD]: Eben! Das wäre (C) Entwurf für den Einzelplan 23 weist zwar in die richtige einmal angebracht!) Richtung; trotzdem wird nicht erkennbar, wie Sie das 0,7-Prozent-Ziel erreichen wollen. Dafür ist ein jährli- Wir haben in diesem Haushalt einige wesentliche cher Mittelzuwachs von 1 Milliarde Euro für die ge- Punkte aufgegriffen, die die bilaterale Entwicklungszu- samte öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bis sammenarbeit angehen. Ich verweise auf die Technische 2015 nötig. Mit Trippelschritten ist dies nicht zu ma- Zusammenarbeit. Die entsprechenden Verpflichtungs- chen. ermächtigungen wurden ganz deutlich aufgestockt, näm- lich um 430 Millionen Euro. Das war ebenfalls richtig Die Kanzlerin hat hier im Bundestag ihr Bekenntnis und wichtig. Es ist lange gefordert worden. Auch das zum EU-Stufenplan mit folgenden Worten bekräftigt: muss man der Ehrlichkeit halber sagen. Es war dringend Ich weiß, was ich da sage. Das sind ganz anspruchs- nötig und verschafft den Durchführungsorganisationen volle Ziele. Aber wir müssen lernen: Die Probleme die nötige Planungssicherheit für ihre zukünftigen Pro- ereilen uns im Inland, wenn wir es nicht schaffen, jekte. Auch daran wird die langfristige Planung sichtbar. die Probleme anderswo einer Lösung zuzuführen. (Beifall bei der SPD) Das ist ein Auftrag auch an die Entwicklungszusam- Frau Hänsel, Sie haben sicherlich Recht: Allein mehr menarbeit. Das ist ein Auftrag an uns. Wir haben eine Geld bringt es noch nicht. Ich möchte anhand einiger ganze Menge zu tun. Den Sätzen ist nichts hinzuzufü- Punkte, die gerade unsere bilaterale Entwicklungszu- gen, außer dass wir nicht nur schöne Worte hören wol- sammenarbeit betreffen, deutlich machen, dass wir beim len, sondern couragierte Taten erwarten. Die stehen im- Haushalt sehr wohl auf Qualität setzen. Der Barmittelan- mer noch aus. satz bei der bilateralen EZ steigt um 10 Prozent. Wa- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. rum steigt er? Weil wir mit diesen Mitteln zu Recht die gute Arbeit unserer Durchführungsorganisationen för- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dern wollen und müssen. An dieser Stelle möchte ich vonseiten der SPD-Frak- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tion den Durchführungsorganisationen – seien es KfW, Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler, SPD- GTZ, INWENT, DED, CIM, Stiftungen, Kirchen oder Fraktion. viele andere Nichtregierungsorganisationen – noch ein- (Beifall bei der SPD) mal ein Lob für ihre wirklich hervorragende Arbeit aus- sprechen. Ich denke, auch in einer Haushaltsdebatte ist (B) (D) Dr. Bärbel Kofler (SPD): es angemessen, dies einmal zu sagen. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gen! Wenn man den Worten der Opposition gefolgt ist, FDP – Hellmut Königshaus [FDP]: Wer will dann könnte man meinen, zu dem Haushaltsentwurf, der da widersprechen?) jetzt eingebracht worden ist und über den wir heute in erster Lesung, Herr Königshaus, diskutieren, wäre nichts – Herr Königshaus, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher. Positives anzumerken oder es wäre ein schlechter Ent- Sie widersprechen bei allem. wurf. Ich muss sagen: Das Gegenteil davon ist der Fall. (Hellmut Königshaus [FDP]: Ich habe ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der klatscht! Sogar ganz laut!) CDU/CSU) Unser Ausschuss hat sich für seine Arbeit sehr wich- Lassen Sie uns auf den Haushaltsentwurf zurückkom- tige Ziele gesetzt. Sehr wichtige Ziele enthält auch die- men. Wir haben im Haushalt 2007 einen Aufwuchs von ser Haushaltsentwurf: Bekämpfung der Armut, 7,8 Prozent. Das sind 324 Millionen Euro, um es deut- Millennium Development Goals. Wir waren auf unse- lich zu machen. Das ist neben dem Etat des Familienmi- ren Reisen zum Beispiel in China und haben gesehen, nisteriums der zweitgrößte Aufwuchs aller Ministerien. wie sinnvolle Projekte durch die Arbeit der Durchfüh- Auch das ist wichtig und richtig. Wie die Ministerin zu rungsorganisationen, durch das, was wir für die bilate- Recht betont hat, ist es eine Zukunftsinvestition, ein in- rale Zusammenarbeit finanziell zur Verfügung stellen, vestiver Haushalt, ein Haushalt, in dem sich die Aus- geschaffen werden, die gerade den ländlichen Raum un- einandersetzung mit den Problemen dieser globalisierten terstützen, die gerade dazu beitragen, nachhaltige Wirt- Welt widerspiegelt. Deshalb ist dieser Aufwuchs von schaftsentwicklungen zu fördern, Menschen in die Situa- ganz besonderer Bedeutung. tion zu versetzen, sich selbst zu helfen, aber auch Demokratie und zivilgesellschaftliche Strukturen zu för- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dern. Das sind wichtige Punkte, die man nicht einfach CDU/CSU) mit dem Satz „Na ja, durch unsere EZ passiert ja nichts Dieser Haushalt ist auch ein Zeichen dafür, dass wir Wichtiges“ abtun kann. Wir tragen hier wirklich zu als Regierungskoalition das im Aktionsplan festge- Strukturveränderungen in den Partnerländern, auch im schriebene Ziel, die ODA-Quote bis 2015 auf Dialog mit diesen Ländern, bei. Auch damit leisten wir 0,7 Prozent zu erhöhen, ernst nehmen, Frau Koczy. Da einen Beitrag zur Erreichung der Millennium Develop- können Sie uns etwas Vertrauen entgegenbringen. ment Goals. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4585

Dr. Bärbel Kofler (A) Ich möchte anhand von zwei Haushaltstiteln noch päischen Fonds auseinander setzt. Der Kollege Ruck hat (C) darauf eingehen, dass wir sehr wohl Strukturveränderun- aber sehr richtig gesagt: Man muss dabei bereit sein, gen anstoßen und besondere Beiträge leisten. Frau auch einmal Knochenarbeit zu leisten. Man darf Kritik Koczy, Sie haben angesprochen, dass Zuhörer den Ein- nicht nur in der Form üben, dass man den Fonds in druck haben könnten, dass keine Mittel für zivilgesell- Bausch und Bogen verurteilt. schaftliche Organisationen und private Träger in diesem Zur Erinnerung sollte man noch einmal sagen: Einzelplan vorgesehen sind. So mag es jemandem er- 78 Länder, die AKP-Staaten – Afrika, Karibik, Pazifik –, scheinen, der diesen Haushalt nicht kennt. Ich darf daran sind die Hauptprofiteure des EEF. Es ist richtig und erinnern, dass dafür ungefähr 480 Millionen Euro zur wichtig, dass wir uns mit diesen Ländern beschäftigen Verfügung stehen. und ihnen Mittel zur Verfügung stellen. Wer, wenn nicht Ein Titel betrifft die Förderung der Sozialstrukturen. die Europäische Union, sollte das tun? Es betrifft Auch dieser Titel wird in diesem Haushaltsentwurf auf- schließlich unseren Nachbarkontinent Afrika. Wir wer- gestockt. Ich finde übrigens, es ist ein sehr wichtiger Ti- den mit den Problemen Afrikas konfrontiert und werden tel, weil durch ihn Mittel gerade für Institutionen zur auch mit europäischer Entwicklungspolitik dort tätig Verfügung gestellt werden – ich verweise in diesem Zu- werden müssen. sammenhang auf das Bildungswerk des DGB –, die sich mit den Fragen von Sozialstandards, von Kernarbeits- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: normen auseinander setzen. Das sind Fragen, die wahr- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des scheinlich sehr viele Menschen innerhalb und außerhalb Kollegen Königshaus? dieses Saales bewegen. Dabei geht es darum, wie wir weltweit das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit durchsetzen, wie wir entsprechende Arbeitnehmerrechte Dr. Bärbel Kofler (SPD): und Verbote der Diskriminierung am Arbeitsplatz orga- Natürlich. nisieren. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. verlängert doch nur die Redezeit!) Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]) – Eben. Auch das ist ein Titel, der in diesem Haushaltsentwurf aufwächst. Ich finde das positiv. Das ist auch etwas, was Hellmut Königshaus (FDP): von der SPD-Arbeitsgruppe sehr positiv aufgenommen Wir hatten, glaube ich, gar keinen Dissens darüber, wurde. (B) dass alle diese Länder im Fokus sein müssen und dass (D) „Ziviler Friedensdienst“ ist ein weiterer Titel, der wir dort, wenn erforderlich, auch helfen müssen. Die deutlich aufwächst. In vielen Beiträgen, auch außenpoli- Frage ist nur: Muss das außerhalb der öffentlichen Haus- tischen Beiträgen, heute ist deutlich angeklungen, wie halte stattfinden? Muss das in einer Konstruktion ge- wichtig die Arbeit ziviler Friedensdienste in den ver- schehen, die parlamentarischer Kontrolle entzogen ist? schiedensten Krisenregionen dieser Erde ist. Ich bin sehr Muss das in einer Form passieren wie hier, wo völlig un- froh darüber, dass dieser Titel aufwächst, bei den Bar- durchschaubar ist, wer entscheidet, wie entschieden wird mitteln und noch deutlicher bei den Verpflichtungser- und wann Mittel abgerufen werden? Darüber habe ich mächtigungen. Damit wird eine Richtung für die nächste gesprochen. Ich habe doch gar nicht über die Ziele gere- Zeit aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir Krisen- det. prävention, Konfliktnachsorge bei traumatisierten Men- schen und Ausgleich zwischen ehemaligen Konfliktpar- Dr. Bärbel Kofler (SPD): teien mit den Mitteln in unserem Haushalt besonders Das ist die alte Strategie: Zuerst stellt man pauschal unterstützen wollen. etwas in den Raum und im Nachhinein, bei der ersten Replik, rudert man mit seinen Äußerungen ein bisschen Wenn man das alles in einer Zusammenschau sieht, zurück. Aber ich antworte gerne auf die Frage. dann stellt man fest: Der Entwurf des Haushalts 2007, den wir jetzt diskutieren, weist einen ordentlichen Mit- Es geht natürlich darum: Wie können wir die Politik telaufwuchs auf. Die Verpflichtungsermächtigungen si- für die AKP-Staaten – Afrika, Karibik, Pazifik – in euro- chern ordentliche Beiträge für die Zukunft. Mit dem päische Politik integrieren? Wenn es nicht sofort und Barmitteleinsatz für die bilaterale EZ werden deutliche einfach möglich ist, dies im EU-Haushalt zu tun – auch Akzente gesetzt. Deshalb ist dieser Haushalt ein richti- das bedarf der Abstimmung und der Koordination mit ger und wichtiger Schritt für unsere Entwicklungszu- anderen Staaten –, dann ist es wichtig, weiter die finan- sammenarbeit in der Zukunft. ziellen Mittel und die Möglichkeiten zu haben, die der EEF bietet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was beim 10. EEF erreicht worden ist, was zum Bei- Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur mul- spiel die Frage der so genannten Sunset-Clause angeht, tilateralen EZ und zur künftigen Finanzierung machen. steht in der Antwort auf die Anfrage der FDP. Herr Königshaus, ich habe schon fast befürchtet, dass Sie wieder den EEF ansprechen. Es ist richtig und wich- (Gabriele Groneberg [SPD]: Das hat er nicht tig, dass man sich mit europäischen Themen und euro- gelesen!) 4586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Dr. Bärbel Kofler (A) – Das ist meist der Punkt. Aber ich zitiere das gerne in den Ausschussberatungen auch bekommen; da bin ich (C) noch einmal. vollkommen sicher. (Hellmut Königshaus [FDP]: Ich rede über die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. 4 Milliarden aus dem 8. und 9.!) Dr. Christian Ruck [CDU/CSU] – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hieß, wir – Dann auch dazu noch einmal. Gehen wir auf den bekommen es nach der Sommerpause, und 9. und 10. EEF ein. Nach dem Ende der Laufzeit sind jetzt haben wir nach der Sommerpause und es keine Mittel mehr abrufbar. Deckungsfähigkeit besteht ist nichts! – Gegenruf des Abg. Dr. Sascha nur noch mit Titeln des VN-Etats, nicht mehr mit sol- Raabe [SPD]: Wir haben Haushaltswoche, chen der bilateralen EZ. Frau Koczy!) Was die Evaluierung anbelangt: In der Antwort, die – Frau Koczy, es ist die erste Woche nach der Sommer- Sie von der Bundesregierung bekommen haben, steht pause; wir klären das. deutlich, dass zum Beispiel Europe-Aid jährlich eine Evaluierung von Projekten vornimmt. Diese Evaluie- Zusammenfassend möchte ich – rung kann man sich auf der Internetseite von Europe-Aid ansehen. Auch das ist ein Beitrag zur Transparenz. Es Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: besteht durchaus die Möglichkeit, einmal einen Blick Frau Kollegin, Sie sehen aber schon, dass Sie Ihre Re- darauf zu werfen, Herr Königshaus. dezeit deutlich überschritten haben. (Beifall bei der SPD – Hellmut Königshaus Dr. Bärbel Kofler (SPD): [FDP]: Dann können wir ja gleich das Parla- ment abschaffen und alles Europe-Aid überlas- – ich bin beim letzten Satz – deutlich darauf hinwei- sen! – [SPD]: Setzen, fünf!) sen, dass der Haushalt 2007 ein guter Haushalt ist. Ich denke, wir werden in den Beratungen noch einige As- Auch zur Flugticketabgabe einige Ausführungen; pekte der Fachpolitiker positiv einbringen können. Ich denn es ist natürlich eine wichtige Frage, wie wir zu- freue mich auf die interessante Debatte zur Flugticket- künftige Haushalte gestalten und wie wir den Mittelauf- abgabe und zu anderen Punkten in den nächsten Wochen wuchs, den wir alle dringend wollen und brauchen, für im Ausschuss. unseren Etat bewerkstelligen können. Sie wissen alle, Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ein dass sich die Regierung im Februar/März dieses Jahres Dank geht an die Ministerin für ihr Engagement. in Paris ganz aktiv an der Diskussion über innovative (B) Finanzierungsinstrumente beteiligt hat. Sie wissen, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) wir an der Leading Group beteiligt sind und dort ganz der CDU/CSU) entscheidend mitwirken, um diese innovativen Finanzie- rungsinstrumente umsetzen und aufgreifen zu können, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: möglichst auf breiter Basis; denn je mehr mitmachen, Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege umso erfolgreicher ist das Ganze. Hartwig Fischer, CDU/CSU-Fraktion. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Andere machen es schon!) Sie haben ja selber gerade ein paar Beispiele dafür aus- Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): geführt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am Ende eines Debattentages, an dem wir den Wer sich den Finanzplan der Bundesregierung an- Kanzlerhaushalt, den Haushalt des Außenministeriums, sieht, wird feststellen, dass die innovativen Finanzie- des Verteidigungsministeriums und jetzt der wirtschaftli- rungsinstrumente auch dort deutliche Erwähnung finden. chen Zusammenarbeit diskutieren. Wer die Debatte über Es ist vollkommen unstrittig, dass wir zur Erreichung den gesamten Tag verfolgt hat, hat festgestellt, dass des 0,7-Prozent-Kriteriums diese innovativen Finanzie- diese Koalition ganz deutlich Politik aus einem Guss rungsinstrumente brauchen. Das haben wir als SPD-Ar- macht. Das begann bei der internationalen Diplomatie, beitsgruppe bei der letzten Haushaltsberatung gesagt und die die Kanzlerin angesprochen hat, ging über die Prä- das sagen wir selbstverständlich auch bei dieser Haus- ventionsdiplomatie, von der der Außenminister gespro- haltsberatung. Ebenso stehen wir nach wie vor unverän- chen hat, und das Einbinden der Friedensmission durch dert zur Flugtickettax. Verteidigungsminister Jung in diese Diplomatie bis hin zur Eröffnung dieser Debatte durch unsere Ministerin für Ich möchte noch auf Ihren Antrag eingehen. Der An- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. trag, den Sie gestellt haben, ist nicht verhindert – er wird im Ausschuss debattiert –, sondern vertagt worden, weil Nach meiner persönlichen Überzeugung zeigt sich für es da um eine Entscheidung geht, die man nicht übers uns ein großes Problem. Wir haben in den vergangenen Knie brechen kann, die man nicht am Rande einer Sit- Jahren Naturkatastrophen erlebt, bei denen unser Minis- zung kurz vor der Sommerpause in fünf Minuten abhan- terium als Reparaturbetrieb herhalten musste. Es gibt deln kann, sondern die gebührender Aufmerksamkeit in eine Vielzahl von bewaffneten Konflikten; auch da wird den Beratungen bedarf. Die wird sie in der nächsten Zeit dieses Ministerium zu Reparaturarbeiten herangezogen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4587

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) Das heißt, wir machen humanitäre Entwicklungspolitik die keine Hoffnung haben, und am meisten leiden darun- (C) und Krisenreaktion. Leider werden dadurch die Mittel ter die Kinder. eingeschränkt, die man bräuchte, um stärker perspekti- visch tätig zu werden. Wir müssen versuchen, auf dem Wir wissen, dass von den 15 Ländern mit der höchs- Wege internationaler Diplomatie dahin zu kommen, dass ten Kindersterblichkeit allein 14 Länder in Afrika sind. wir mehr Mittel und Kapazitäten in den Bereich der Prä- Wir wissen, dass jährlich 4 Millionen Kinder an Krank- vention einbringen können. heiten sterben, die auf verschmutztes Trinkwasser und auf mangelnde Hygiene zurückzuführen sind. Was sind Man muss sich einmal vor Augen führen, wie viele denn die Folgen der Mangelernährung? Jährlich sterben Konflikte wir derzeit auf dieser Erde haben. Insgesamt noch immer 1,5 Millionen Babys, weil sie nicht gestillt sind es 39 Konflikte; die meisten in Entwicklungslän- und daher nicht ausreichend versorgt werden. Rund dern. 90 Prozent der Konflikte seit 1945 haben in der 50 Millionen Kinder bleiben durch Jodmangel in ihrer Dritten Welt stattgefunden. 15 kriegerische Konflikte geistigen Entwicklung zurück. Jährlich erblinden über gibt es derzeit in Asien und elf in Afrika. 500 000 Kinder infolge von Vitamin-A-Mangel. Meine Damen und Herren, das zeigt die besonderen Armut fördert Migration. Armut macht anfällig für Herausforderungen in der Folge der Konflikte für die Di- Neid und Hass. Armut bereitet einen Nährboden für plomatie, aber auch für uns alle. Das heißt: Wir müssen Fundamentalismus, wie wir das im Umfeld von Flücht- die Entwicklungszusammenarbeit in Teilbereichen zen- lingslagern erleben. Arme in der Dritten Welt erleben in tralisieren und effektiver gestalten. Fernsehbildern virtuell unseren Wohlstand. In manchen Ländern sehen die Menschen aus den Townships, die Wir haben beschlossen, in Zukunft mit weniger Staa- nicht genügend zu essen haben, über Satellit das Werbe- ten zusammenzuarbeiten. Wir wollen die Zusammenar- fernsehen, wenn sie zufällig an einem Fernsehgeschäft beit auf 60 Staaten reduzieren. Das bedeutet eine stär- vorbeikommen. Dass ihre Hoffnungslosigkeit sie dann kere Kooperation mit der EU und eine stärkere dazu verleitet, unter Lebensgefahr in Booten ihre Länder Kooperation mit anderen Ländern. Wir müssen eine in- zu verlassen, ist klar. Aber gleichzeitig können diese ternationale Arbeitsteilung vornehmen. Nicht jeder kann Menschen zu einem Risiko in unseren Ländern werden. in jedem Land arbeiten; vielmehr sollten wir uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen wir am besten Schwer- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wieso denn?) punkte setzen können, also insbesondere auf die Berei- Deshalb müssen wir einen Schwerpunkt dabei setzen, che Infrastruktur, Grundversorgung bei Wasser und Nah- Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und diese Mittel konse- rung sowie Bildung und Gesundheit. Es bedeutet quent einzusetzen. (B) insbesondere aber auch Capacity-Building bei der Unter- (D) stützung von Staaten, um in weiten Bereichen von In diesem Zusammenhang will ich sagen, dass die schlechter Regierungsführung zu besserer Regierungs- deutschen Nichtregierungsorganisationen, die von der führung zu kommen. GTZ umgesetzten Projekte und die Finanzierungspro- jekte ebenso wie die Unterstützung zum Beispiel durch Wir müssen uns multilateral engagieren. Dazu gehört deutsche Polizisten beim Aufbau von Sicherheitssyste- auch – das ist eine besondere Aufgabe, der wir uns stär- men und durch deutsche Juristen beim Aufbau von ker stellen müssen –, dass wir personell in den interna- Rechtssystemen in diesen Ländern ein hohes Ansehen tionalen Institutionen mit eingebunden sind, damit wir genießen. Auch wenn das keine Sachprodukte, sondern frühzeitig auf diese Projekte einwirken können. menschliche Leistungen sind, wird das in diesen Län- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dern als „made in “ angesehen und außer- ordentlich positiv besetzt. Deshalb erhoffe ich mir von Wir sollten bei der Auseinandersetzung um die Ent- der Konzentration der Entwicklungszusammenarbeit auf wicklungszusammenarbeit die deutschen Interessen mit diese 60 Länder gleichzeitig eine Konditionierung des in den Vordergrund stellen, damit die Partner wissen, Verhaltens derjenigen Staaten, mit denen wir im Hin- dass wir Entwicklungspolitik auch im eigenen Interesse blick auf Good Governance zusammenarbeiten. machen. Es gibt humanitäre Gründe, aber es gibt vor al- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- len Dingen auch Gründe, die wir derzeit jeden Tag an neten der SPD – Beifall bei der FDP) unseren Grenzen oder im Augenblick auf den kanari- schen Inseln erleben. Lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Wer wie einige von Ihnen nicht nur die Situation in den Die Migration hat erschreckende Ausmaße ange- Kriegsgebieten in Asien – in Indien allein in fünf Provin- nommen. Migration ist ein Zeichen von Armut und von zen –, sondern auch im Kongo persönlich erlebt hat, wer Hoffnungslosigkeit. Lassen Sie mich nur die Zahlen der die Hoffnung darauf setzt, dass dort durch die Wahlen letzten Tage noch einmal nennen: 399 Flüchtlinge am ein Friedensprozess in Gang gesetzt wird, der wird mit 4. September, 1 433 Flüchtlinge am vergangenen Wo- mir darin einig sein, dass wir jetzt eine Nachwahlstrate- chenende, 5 880 Flüchtlinge derzeit auf den kanarischen gie zur Stabilisierung der dann gewählten Regierung Inseln. Weltweit gibt es zurzeit zwischen 20 Millionen vorbereiten müssen. – nach Angaben des UNHCR – und 40 Millionen – nach Angaben anderer Stellen – Flüchtlinge, davon über Das wäre zum Beispiel ein Projekt, bei dem man sich 10 Millionen Flüchtlinge in Lagern. Das sind Menschen, gemeinsam mit anderen europäischen Staaten so 4588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) engagieren kann, dass aus dieser Krisenregion mit über Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) 4 Millionen Toten in den vergangenen Jahren eine Zu- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. kunftsregion wird. Wenn man dann begleitend eine Roh- stoffökonomie betreibt, in deren Rahmen sich die Län- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- der international verständigen sollten – ich will dies ordnung. ausdrücklich sagen –, damit nicht ein Land wie China dort unkonditioniert Rohstoffe ausbeutet und andere Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Länder konditionierte Hilfen geben, wäre das nach mei- destages auf Donnerstag, den 7. September 2006, 9 Uhr, ner Überzeugung – ich sehe das Zeichen, dass ich aufhö- ein. ren muss – einer der Ansätze für eine konstruktive Ent- Ich wünschen allen hier im Hohen Hause einen schö- wicklungszusammenarbeit. nen Abend. Vielen Dank. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Schluss: 19.46 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 46. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. September 2006 4589

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Adam, Ulrich CDU/CSU 06.09.2006* Hilsberg, Stephan SPD 06.09.2006

Ahrendt, Christian FDP 06.09.2006 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ 06.09.2006 DIE GRÜNEN Bär, Dorothee CDU/CSU 06.09.2006 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 06.09.2006 Bätzing, Sabine SPD 06.09.2006 DIE GRÜNEN

Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 06.09.2006 Klug, Astrid SPD 06.09.2006

Bellmann, Veronika CDU/CSU 06.09.2006 Kröning, Volker SPD 06.09.2006

Bodewig, Kurt SPD 06.09.2006* Kühn-Mengel, Helga SPD 06.09.2006

Brase, Willi SPD 06.09.2006 Meckel, Markus SPD 06.09.2006

Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 06.09.2006 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 06.09.2006 DIE GRÜNEN Zapf, Uta SPD 06.09.2006 Golze, Diana DIE LINKE 06.09.2006 (B) * für die Teilnahme an der 15. Jahrestagung der Ostseeparlamenta- (D) Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 06.09.2006 rierkonferenz Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980