Plenarprotokoll 19/237

Deutscher

Stenografischer Bericht

237. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Inhalt:

Absetzung des Zusatzpunktes 21 ...... 30883 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. , , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 34: der FDP: Anstoß zur Einführung einer Neuheitsschonfrist im europäischen Vereinbarte Debatte: Digitale Agenda in der und deutschen Patentrecht 19. Legislaturperiode Drucksache 19/30884 ...... 30891 B Dorothee Bär, Staatsministerin BK ...... 30883 B e) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Joana Cotar (AfD) ...... 30884 C Sattelberger, (Süd- Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 30885 B pfalz), Katja Suding, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Bio- Manuel Höferlin (FDP) ...... 30886 B technologie − Standort Deutschland Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 30887 B stärken − Rahmenbedingungen für For- schung und Entwicklung von Antiinfek- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30887 D tiva und Impfstoffen deutlich verbes- Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 30888 C sern Drucksache 19/27434 ...... 30891 B -Emre (SPD) ...... 30889 C (CDU/CSU) ...... 30890 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Mario Brandenburg Tagesordnungspunkt 35: (Südpfalz), Katja Suding, Dr. Jens a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Bericht der Bundesregierung zur High- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: tech-Strategie 2025 – Erfolgsmodell Technologische Mündigkeit gewährleis- Hightech-Strategie für ein starkes Inno- ten – Rahmenbedingungen für KI-An- vationsland Deutschland wendungen verbessern Drucksache 19/30780 ...... 30890 D Drucksachen 19/28430, 19/31047 ...... 30891 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: g) Beschlussempfehlung und Bericht des Gutachten zu Forschung, Innovation Ausschusses für Bildung, Forschung und und technologischer Leistungsfähigkeit Technikfolgenabschätzung Deutschlands 2021 – zu dem Antrag der Abgeordneten Mario Drucksache 19/30785 ...... 30891 A Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. (Rhein-Neckar), Forschungsrahmenprogramm der Bun- weiterer Abgeordneter und der Fraktion desregierung zur IT-Sicherheit – Digi- der FDP: Nationale Bioökonomiestra- tal. Sicher. Souverän. tegie der Bundesregierung SMART Drucksache 19/30736 ...... 30891 A gestalten II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

– zu dem Antrag der Abgeordneten Mario (CDU/CSU) ...... 30896 D Brandenburg (Südpfalz), Dr. h. c. Dr. (SPD) ...... 30897 C Thomas Sattelberger, Katja Suding, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. (CDU/CSU) ...... 30898 A FDP: Von der Biologie zur Innova- tion – Von der Innovation zum Pro- dukt Tagesordnungspunkt 36: Drucksachen 19/14742, 19/19882, a) Antrag der Abgeordneten , 19/26523 ...... 30891 C , , wei- h) Beschlussempfehlung und Bericht des terer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschusses für Bildung, Forschung und AfD: Keine Gemeinnützigkeit für politi- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag sche Agitation der Abgeordneten , Maria Drucksache 19/30970 ...... 30899 D Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, b) Beschlussempfehlung und Bericht des weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschusses für Inneres und Heimat zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Starke dem Antrag der Abgeordneten , Forschung für gute Gesundheit – In Tobias Matthias Peterka, , der Pandemie und darüber hinaus weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/27552, 19/31124 ...... 30891 C der AfD: Demokratie erhalten – Bundes- i) Beschlussempfehlung und Bericht des weites Verbot der Antifa prüfen Ausschusses für Bildung, Forschung und Drucksachen 19/20074, 19/25162 ...... 30899 D Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag c) Beschlussempfehlung und Bericht des der Abgeordneten Joana Cotar, Ausschusses für Inneres und Heimat zu Dr. , , wei- dem Antrag der Abgeordneten Martin terer Abgeordneter und der Fraktion der Hess, Roman Johannes Reusch, Dr. Bernd AfD: Förderung der automatischen Er- Baumann, weiterer Abgeordneter und der kennung KI-manipulierter Fotos und Fraktion der AfD: Linksextremistische Videos Brandanschläge und Gewaltexzesse am Drucksachen 19/27848, 19/31026 ...... 30891 D 1. Mai stoppen – Effektivität der Terror- j) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, bekämpfung optimieren Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Drucksachen 19/29293, 19/31062 ...... 30899 D terer Abgeordneter und der Fraktion der Albrecht Glaser (AfD) ...... 30900 A AfD: Digitalpolitik ernst nehmen – Datenpolitik der Bundesregierung am- Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . . 30901 A bitionieren und internationale Mono- (FDP) ...... 30902 A polunternehmen beschränken Drucksache 19/30967 ...... 30891 D Albrecht Glaser (AfD) ...... 30903 A k) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, (SPD) ...... 30903 B Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- (DIE LINKE) ...... 30904 D terer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. (BÜNDNIS 90/ AfD: Digitalpolitik ernst nehmen – Digi- DIE GRÜNEN) ...... 30906 C talisierung in Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft professionell umsetzen (CDU/CSU) ...... 30907 D Drucksache 19/30968 ...... 30891 D (FDP) ...... 30909 A l) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, (SPD) ...... 30910 A Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 30911 B terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Digitalpolitik ernst nehmen – (CDU/CSU) ...... 30911 D Strukturelle und strategische Neuaus- richtung für mehr politische und inhalt- liche Verantwortlichkeit Tagesordnungspunkt 37: Drucksache 19/30969 ...... 30892 A Unterrichtung durch die Bundesregierung: Be- , Bundesministerin BMBF . . . . 30892 A richt der Bundesregierung über die Maß- nahmen zur Förderung der Kulturarbeit Dr. (AfD) ...... 30892 D gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (SPD) ...... 30893 D in den Jahren 2019 und 2020 Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP) ...... 30894 C Drucksache 19/30790 ...... 30914 C Dr. (DIE LINKE) ...... 30895 A (CDU/CSU) ...... 30914 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (AfD) ...... 30915 C DIE GRÜNEN) ...... 30895 D (SPD) ...... 30916 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 III

Thomas Hacker (FDP) ...... 30917 B GRÜNEN: Faire Chancen für jedes Kind – Kindergrundsicherung einfüh- (DIE LINKE) ...... 30918 A ren (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/14326, 19/24882 Buch- DIE GRÜNEN) ...... 30918 D stabe b ...... 30922 C Dr. Dr. h. c. (CDU/CSU) . . . . . 30919 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu (SPD) ...... 30920 B dem Antrag der Abgeordneten Sven (CDU/CSU) ...... 30921 A Lehmann, , Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten , Matthias W. Birkwald, , weiterer Tagesordnungspunkt 38: Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für soziale Garantien ohne Sank- a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: tionen Sechster Armuts- und Reichtumsbe- Drucksachen 19/15078, 19/30504 Buch- richt – Lebenslagen in Deutschland stabe h ...... 30922 D Drucksache 19/29815 ...... 30922 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sven dem Antrag der Abgeordneten René Lehmann, Anja Hajduk, Dr. Wolfgang Springer, Jürgen Pohl, , Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter weiterer Abgeordneter und der Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE der AfD: Lehren aus dem Sechsten GRÜNEN: Garantiesicherung statt Armuts- und Reichtumsbericht ziehen Hartz IV – Mehr soziale Sicherheit wäh- Drucksachen 19/30403, 19/31083 Buch- rend und nach der Corona-Krise stabe a ...... 30922 B Drucksachen 19/25706, 19/30504 Buch- c) Beschlussempfehlung und Bericht des stabe i ...... 30922 D Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen i) Beschlussempfehlung und Bericht des und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Ausschusses für Arbeit und Soziales zu neten , Dr. Petra Sitte, Doris dem Antrag der Abgeordneten Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Anja der Fraktion DIE LINKE: Zehn Tage Hajduk, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Elternschutz zusätzlich einführen Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksachen 19/26979, 19/30908 ...... 30922 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Zukunfts- d) Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, programm gegen Armut – Armut Dr. Petra Sitte, , weiterer bekämpfen, Teilhabe garantieren, Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Chancen und Zusammenarbeit stärken KE: Für eine soziale, zukunftsweisende Drucksachen 19/30394, 19/31083 Buch- und krisenfeste Familienpolitik stabe c ...... 30922 D Drucksache 19/30605 ...... 30922 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadt- dem Antrag der Abgeordneten Beate entwicklung und Kommunen zu dem Müller-Gemmeke, Sven Lehmann, Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Strengmann-Kuhn, Christian Kühn Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (Tübingen), Anja Hajduk, weiterer Abge- NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsförde- ordneter und der Fraktion BÜND- rung und Beratungsqualität in den Job- NIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrecht centern gesetzlich verbessern auf Wohnen dauerhaft sicherstellen – Drucksachen 19/15975, 19/29973 Buch- Wohnungs- und Obdachlosigkeit konse- stabe b ...... 30923 A quent bekämpfen k) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/7734, 19/9697 ...... 30922 C Ausschusses für Arbeit und Soziales f) Beschlussempfehlung und Bericht des – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Kipping, Matthias W. Birkwald, und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter neten , Katja Dörner, und der Fraktion DIE LINKE: Hartz IV Sven Lehmann, weiterer Abgeordneter überwinden – Sanktionsfreie Min- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE destsicherung einführen IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 30935 D Kipping, Susanne Ferschl, Doris Albrecht Glaser (AfD) ...... 30936 B Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Getrenntle- (SPD) ...... 30937 B bende Eltern im Grundsicherungsbe- (FDP) ...... 30938 C zug entlasten – Umgangsmehrbedarf einführen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 30939 C – zu dem Antrag der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 30940 C Matthias W. Birkwald, Katja Kipping, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter Volker Münz (AfD) ...... 30942 A und der Fraktion DIE LINKE: Grund- Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 30942 C sicherungskürzungen bei Rentner- (CDU/CSU) ...... 30944 A innen und Rentnern verhindern Drucksachen 19/29439, 19/29749, (SPD) ...... 30945 B 19/24454, 19/30504 ...... 30923 B l) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Tagesordnungspunkt 40: dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Susanne Ferschl, Matthias W. Beschlussempfehlung und Bericht des Birkwald, weiterer Abgeordneter und der 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahl- Fraktion DIE LINKE: Schutz vor Armut periode gemäß Artikel 44 des Grundgeset- und Ausgrenzung garantieren – Konse- zes quenzen aus dem Armuts- und Reich- Drucksache 19/30900 ...... 30945 D tumsbericht ziehen Cansel Kiziltepe (SPD) ...... 30946 A Drucksachen 19/30388, 19/31083 Buch- stabe b ...... 30923 B Kay Gottschalk (AfD) ...... 30947 A , Bundesminister BMAS ...... 30923 C (CDU/CSU) ...... 30948 D (AfD) ...... 30924 C Dr. (FDP) ...... 30950 B Dr. (CDU/CSU) ...... 30925 B (DIE LINKE) ...... 30951 B (FDP) ...... 30926 B Kay Gottschalk (AfD) ...... 30952 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 30926 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 30954 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 30955 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 30927 C Frank Schäffler (FDP) ...... 30956 D (SPD) ...... 30928 B Dr. h. c. (Univ Kyiv) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 30929 A (CDU/CSU) ...... 30957 C Michael Schrodi (SPD) ...... 30930 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 30959 C

Tagesordnungspunkt 39: Tagesordnungspunkt 41: a) Antrag der Abgeordneten Fabio De Masi, Jörg Cezanne, Doris Achelwilm, weiterer Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- schusses für Inneres und Heimat zu dem An- KE: Abschöpfung der Extra-Profite von trag der Abgeordneten , Krisengewinnern wie Amazon Manuel Höferlin, , weiterer Drucksache 19/28525 ...... 30932 C Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Smart Police – Digitalisierung der deut- b) Beschlussempfehlung und Bericht des schen Polizei anschieben Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Drucksachen 19/27172, 19/30608 ...... 30961 A Abgeordneten , Dr. Gesine Lötzsch, Fabio De Masi, weiterer Abge- (CDU/CSU) ...... 30961 A ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. Michael Espendiller (AfD) ...... 30963 C Öffentliche Infrastruktur erhalten – Investitionspflicht einführen (SPD) ...... 30964 C Drucksachen 19/14375, 19/22256 ...... 30932 C Benjamin Strasser (FDP) ...... 30965 C Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 30932 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) ...... 30966 C Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 30933 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 30935 C DIE GRÜNEN) ...... 30967 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 V

Tagesordnungspunkt 42: neten , , Alexander Graf Lambsdorff, weiterer Ab- a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, geordneter und der Fraktion der FDP: FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenhandel und Zwangsprostitu- Menschenrechte ins Zentrum der Iran- tion in Deutschland nicht länger hin- politik stellen nehmen – Menschen in der Prostitution Drucksache 19/30979 ...... 30967 D schützen und Selbstbestimmung stär- b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und ken SPD: Geschlechtergleichstellung als Drucksachen 19/29265, 19/31120 ...... 30968 C eine zentrale globale Herausforderung i) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Drucksache 19/30980 ...... 30967 D Sevim Dağdelen, , weiterer c) Beschlussempfehlung und Bericht des Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Ausschusses für Menschenrechte und KE: Tödliche Gewalt von Militär und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung Polizei in Kolumbien verurteilen und durch die Bundesregierung: 14. Bericht politische Lösung des Konfliktes beför- der Bundesregierung über ihre Men- dern schenrechtspolitik (Berichtszeitraum Drucksache 19/30602 ...... 30968 C 1. Oktober 2018 bis 30. September 2020) j) Antrag der Abgeordneten Zaklin Nastic, Drucksachen 19/25000, 19/30467 ...... 30968 A Michel Brandt, Heike Hänsel, weiterer d) Beschlussempfehlung und Bericht des Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Ausschusses für Menschenrechte und KE: Fakultativprotokoll zum UN- humanitäre Hilfe zu dem Entwurf des Sozialpakt umgehend ratifizieren EU-Jahresberichts über Menschenrech- Drucksache 19/29959 ...... 30968 C te und Demokratie in der Welt im Jahr Aydan Özoğuz (SPD) ...... 30968 D 2019 – Ratsdok. 8404/20 Drucksachen 19/22367 A.68, 19/27568 . . 30968 A Jürgen Braun (AfD) ...... 30970 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 30971 A Ausschusses für Inneres und Heimat zu Gyde Jensen (FDP) ...... 30971 D dem Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, Benjamin Strasser, , Zaklin Nastic (DIE LINKE) ...... 30972 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion (BÜNDNIS 90/ der FDP: Menschenrechtsverteidigerin- DIE GRÜNEN) ...... 30973 B nen und Menschenrechtsverteidiger in Deutschland schützen und vor ausländ- Dr. (CDU/CSU) ...... 30974 A ischer Verfolgung und Überwachung (CDU/CSU) ...... 30974 D bewahren Drucksachen 19/25242, 19/29944 ...... 30968 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Tagesordnungspunkt 43: humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- a) Beschlussempfehlung und Bericht des geordneten Gyde Jensen, Alexander Graf Ausschusses für Gesundheit zu dem An- Lambsdorff, Peter Heidt, weiterer Abge- trag der Abgeordneten Kordula Schulz- ordneter und der Fraktion der FDP: Indi- Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr. Kirsten viduellen Sanktionsmechanismus ein- Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter führen – Menschenrechtsverletzer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE gezielt treffen und Straflosigkeit been- GRÜNEN: Pflege gerecht und stabil den finanzieren – Die Pflege-Bürgerversi- Drucksachen 19/22112, 19/24677 ...... 30968 B cherung vollenden g) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/8561, 19/29526 Buchsta- Ausschusses für Menschenrechte und be b ...... 30977 B humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- b) Beschlussempfehlung und Bericht des geordneten Margarete Bause, , Ausschusses für Gesundheit zu dem An- , weiterer Abgeordneter und der trag der Abgeordneten Kordula Schulz- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr. Kirsten Klimaschutz braucht Menschenrechte – Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter Menschenrechte brauchen Klimaschutz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksachen 19/29315, 19/31084 ...... 30968 B GRÜNEN: Die Pflegeversicherung ver- h) Beschlussempfehlung und Bericht des lässlich und solidarisch gestalten – Die Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen doppelte Pflegegarantie umsetzen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Drucksachen 19/14827, 19/30695 ...... 30977 B VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fraktion der AfD: Pflegende Eltern un- Ausschusses für Gesundheit zu dem An- terstützen – Flexibilität der Verhinde- trag der Abgeordneten , rungspflege nicht einschränken Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, Drucksachen 19/30415, 19/31070 ...... 30977 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion j) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE LINKE: Solidarische Pflegevollver- Ausschusses für Gesundheit zu dem An- sicherung umsetzen trag der Abgeordneten Susanne Ferschl, Drucksachen 19/24448, 19/30550 Buch- Pia Zimmermann, Matthias W. Birkwald, stabe c ...... 30977 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitszeitverkürzung in d) Beschlussempfehlung und Bericht des der Pflege – Sechs-Stunden-Schichten Ausschusses für Gesundheit zu dem An- retten Leben trag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Drucksachen 19/19141, 19/31068 ...... 30978 A Matthias W. Birkwald, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenplus für pflegende in Verbindung mit Angehörige Drucksachen 19/25349, 19/30550 Buch- Zusatzpunkt 20: stabe d ...... 30977 C Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- e) Beschlussempfehlung und Bericht des ausschusses Ausschusses für Gesundheit zu dem An- – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias trag der Abgeordneten Pia Zimmermann, W. Birkwald, Susanne Ferschl, Katja Sabine Zimmermann (Zwickau), Doris Kipping, weiterer Abgeordneter und der Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Fraktion DIE LINKE: Rentenbesteu- der Fraktion DIE LINKE: Sofortpro- erung vereinfachen und Doppelbesteue- gramm gegen den Pflegenotstand in rung vermeiden der Altenpflege Drucksachen 19/79, 19/3201 Buchstabe b 30977 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Lisa f) Beschlussempfehlung und Bericht des Paus, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter Ausschusses für Gesundheit zu dem An- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE trag der Abgeordneten Pia Zimmermann, GRÜNEN: Besteuerung von Alters- Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, einkünften vereinfachen und an den weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bedürfnissen der Rentnerinnen und DIE LINKE: Zwei-Klassen-System in Rentner ausrichten der Pflegeversicherung beenden Drucksachen 19/10282, 19/16494, 19/28937 Drucksachen 19/7480, 19/24855 ...... 30977 C Buchstabe b und c ...... 30978 A (CDU/CSU) ...... 30978 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Nicole Höchst (AfD) ...... 30979 B Antrag der Abgeordneten Charlotte (SPD) ...... 30980 A Schneidewind-Hartnagel, Kordula Schulz-Asche, , weiterer Ab- (FDP) ...... 30980 D geordneter und der Fraktion BÜND- (DIE LINKE) ...... 30981 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Bessere Verein- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ barkeit von Angehörigenpflege und DIE GRÜNEN) ...... 30982 B Beruf durch eine PflegeZeit Plus Drucksachen 19/28781, 19/30664 ...... 30977 D Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) ...... 30983 A (SPD) ...... 30983 D h) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- (CDU/CSU) ...... 30984 C geordneten , Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abge- Nächste Sitzung ...... 30987 C ordneter und der Fraktion der FDP: Dop- pelbesteuerung bei Renten verhindern Drucksachen 19/27174, 19/31057 ...... 30977 D Anlage 1 i) Beschlussempfehlung und Bericht des Entschuldigte Abgeordnete ...... 30989 A Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Anlage 2 Spangenberg, Dr. , Jörg Schneider, weiterer Abgeordneter und der Amtliche Mitteilungen ...... 30989 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30883

(A) (C)

237. Sitzung

Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einen liegt das daran, dass wir, wie es sich gehört, die Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Vorhaben im Koalitionsvertrag abgearbeitet haben. Mit nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. der Datenstrategie der Bundesregierung sind wir sogar noch über den Koalitionsvertrag hinausgegangen. Zum Die Fraktion der FDP hat ihre Aktuelle Stunde zurück- Thema Daten ist beispielsweise noch zu sagen, dass wir gezogen. in Europa stehende Daten kaum, manchmal nur einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nutzen. Dieses Wertschöpfungspotenzial wollen wir noch der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: stärker heben. Wenn man sich anschaut, wie groß das Sehr edel!) Wertschöpfungspotenzial sein könnte, dann stellt man fest: Es sind alleine 425 Milliarden Euro nur in Deutsch- Der Zusatzpunkt 21 wird daher abgesetzt. land bis zum Jahr 2025. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ach nee!) (B) Zum anderen liegt das auch daran, dass wir wirklich (D) Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 34 auf: von Tag eins an den Grundstein für diese Fortschritte Vereinbarte Debatte gelegt haben. Wir haben neue Gremien geschaffen. Wir haben den Kabinettausschuss-Digitalisierung ins Leben Digitale Agenda in der 19. Legislaturperiode gerufen, also das zentrale Steuerungs- und Koordina- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten tionsgremium der Digitalpolitik. Wir haben einen haus- beschlossen. eigenen Think Tank mit dem Digitalrat, der ganz wesent- Das Wort hat die Staatsministerin im Bundeskanzler- lich zur Gestaltung unserer Digitalpolitik beigetragen hat, amt Dorothee Bär. beispielsweise durch die Gründung der DigitalService4- Germany GmbH. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Es gab natürlich auch einige wirklich große Projekte, die die absoluten Game Changer sind – vielleicht noch Dorothee Bär, Staatsministerin bei der Bundeskanz- nicht am heutigen Tag, aber man kann es erahnen. Sie lerin: werden auf jeden Fall in den nächsten Wochen und Lieber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegin- Monaten ihre volle Wirkung entfalten, beispielweise nen und Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen! beim Thema Alltagsdigitalisierung. Es war der 21. Februar 2019 – das ist also noch gar nicht Wenn man, wie ich gerade, von Fortschritten spricht so lange her, nämlich genau zwei Jahre und vier Monate –, und davon, dass die Alltagsdigitalisierung bei den Men- als wir das erste Mal hier im Plenum des Deutschen schen ankommen wird, dann muss das natürlich ganz Bundestages über unsere Umsetzungsstrategie zur Digi- besonders für uns, für die Verwaltung gelten. Das ist ein talisierung debattiert haben. Innerhalb dieser ganz kurzen wahnsinnig komplexes Bund-Länder-Projekt. Da haben Zeit ist es uns gelungen, mehr als 90 Prozent unserer wir in dieser Legislaturperiode tatsächlich den gordi- Vorhaben entweder erledigt oder deren Umsetzung schen Knoten durchschlagen. Wir haben bereits über begonnen zu haben. Das zeigt also, welchen Stellenwert 300 Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert, haben die Digitalisierung von Anfang an hatte und noch hat. dafür letztes Jahr 3 Milliarden Euro zusätzlich bekom- Über 90 Prozent in gut zwei Jahren ist auf jeden Fall men. Wir haben die Registermodernisierung beschlossen. eine hervorragende Zahl. Wir haben das Prinzip „Einer für Alle“ durchsetzen kön- Wir haben im digitalen Maschinenraum wirklich hart nen. Das hört sich so einfach an, aber und gearbeitet. Besonders freut mich, dass die Fortschritte ich wissen, dass viele nächtelange Sitzungen notwendig Stück für Stück bei den Menschen ankommen. Zum waren mit den Ländern – noch vor Corona physisch, 30884 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Staatsministerin Dorothee Bär bei der Bundeskanzlerin (A) danach natürlich digital –, um da zu einem Durchbruch zu Joana Cotar (AfD): (C) kommen. Das ist sicherlich eine Blaupause für weitere Herr Präsident! Werte Kollegen! Vier Jahre Digital- Projekte. politik liegen jetzt hinter uns, oder das, was die Bundes- regierung für Digitalpolitik gehalten hat. Zeit, Bilanz zu (Beifall bei der CDU/CSU) ziehen. Wo steht das digitale Deutschland nach weiteren vier Jahren Großer Koalition? Das Allerwichtigste, worüber ich mich am meisten freue, ist, dass die Angebote tatsächlich einfacher, schnel- Lassen wir doch zu Beginn den Wissenschaftlichen ler, digitaler bei den Menschen ankommen. Da braucht es Beirat beim Wirtschaftsministerium zu Wort kommen, digitale Identitäten, weil ohne digitale Identität keine also Ihre eigenen Leute, werte Regierung. In seinem digitale Verwaltung funktioniert. Aber auch da gehen von Herrn Altmaier beauftragten Gutachten kommt er wir weiter. Wir sagen, wir machen das nicht nur national, zu dem Schluss – ich zitiere –: sondern wir machen das europäisch. Deswegen sind wir Deutschland ist sowohl beim Ausbau der digitalen gerade mittendrin beim Aufbau einer europaweiten ver- Infrastruktur als auch beim Einsatz digitaler Tech- lässlichen Möglichkeit zur digitalen Identifizierung, einer nologien und Dienstleistungen hinter viele andere sogenannten Wallet. OECD-Staaten zurückgefallen. Ich freue mich, dass wir das in den unterschiedlichen Wir haben noch nicht mal unseren kleinen Standard hal- Bereichen auf den Weg haben bringen können – ich ten können. Wir sind zurückgefallen. Und das bescheinigt gleich zu Beginn der Legislatur als zentrales Vorhaben Ihnen keine böse Oppositionspartei, das bescheinigt meines Innovation Councils, dann aber auch zusammen Ihnen Ihr eigenes Haus, werte Regierung. Ein beschä- mit der Bundeskanzlerin, die sich an die Spitze der Bewe- mendes Versagen in der Digitalpolitik. Setzen, sechs, gung gestellt hat. Jetzt ist das erste Pilotprojekt gestartet, meine Damen und Herren! der Hotel-Check-In. Weitere Umsetzungen werden noch in diesem Jahr, in relativ kurzer Zeit kommen. (Beifall bei der AfD) Das wird der Game Changer sein. Wir werden uns Was haben wir für tolle Versprechen gehört! In jeder noch an diesen heutigen Tag erinnern und werden sagen: Regierungserklärung von Frau Merkel wurde besonderes Jawohl, diese E-Wallet, diese eID, mit der sich jede Bür- Augenmerk auf die Digitalpolitik gelegt. Kein Wunder, in gerin, jeder Bürger nicht nur in Deutschland, sondern ihr liegt die Zukunft, sie entscheidet über die Konkur- europaweit verlässlich ausweisen kann, wird uns allen renzfähigkeit unseres Landes. Aber den Worten sind kei- das Leben extrem erleichtern. – Außerdem ist das ein ne Taten gefolgt. ganz großer Wirtschaftsfaktor. Die nächsten Anwendun- (B) Schauen wir uns doch mal ein paar Fakten an: (D) gen werden wir noch in dieser Legislaturperiode bekom- men, beispielsweise die Kontoeröffnung. Der Vorschlag Laut der Bundesnetzagentur verfügen aktuell 14 Pro- der Kommission zur eIDAS-Reform zeigt ja auch, dass zent der deutschen Haushalte über einen Glasfaseran- wir in Deutschland mit unseren Vorschlägen da die abso- schluss. Im EU-Durchschnitt sind es mehr als doppelt lute Benchmark werden können. so viel, nämlich 33,5 Prozent, in Lettland fast 90 Prozent. Der Herr Präsident zeigt mir gerade an, dass ich nicht Scheuers neu gegründetes „Funklochamt“, das sich um alle großartigen Dinge, die wir gemacht haben, aufzählen eine flächendeckende Mobilfunkversorgung in Deutsch- kann. Deswegen abschließend nur noch das Thema digi- land kümmern soll, hat bis auf zwei Geschäftsführer noch tale Bildung. Dort sind wir wahnsinnig weit vorangekom- keinen einzigen Mitarbeiter. Die Löcher bleiben also bis men, weil wir als Bund gesagt haben, dass wir hier viel- auf Weiteres. leicht nicht eine gesetzliche, aber eine moralische Im IMD-Ranking der wettbewerbsfähigsten Länder in Verpflichtung haben. Daher sind wir unserem Anspruch der Digitalisierung haben wir im letzten Jahr einen Platz gerecht geworden. Das Gleiche gilt für Themen wie verloren und stehen nur noch auf Platz 18. Quantencomputing, künstliche Intelligenz, 5 G, GAIA- X als Exportschlager. 15 Monate nach dem ersten Lockdown verfügen nur 57 Prozent der Schulen über eine ordentliche digitale Diese Bundesregierung hat in der Digitalpolitik nicht Ausstattung. An der Hälfte der Schulen gibt es kein nur gut, sie hat sehr gut gearbeitet. Die nächste Bundes- WLAN für Schüler. regierung kann ganz einfach die Früchte ernten, deren Saat wir in dieser Legislaturperiode gelegt haben. Unter den Top 50 der innovativsten Unternehmen der Welt hatten wir 2018 noch acht deutsche Unternehmen Vielen herzlichen Dank. auf der Liste, 2021 sind es nur noch vier. (Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner 2017 versprach uns Herr Altmaier die anwenderf- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubst reundlichste Verwaltung Europas bis 2021. Nun, wir ha- Du doch selber nicht!) ben 2021, und das Gutachten aus dem Wirtschaftsminis- terium spricht von einem – ich zitiere – generellen „Organisationsversagen“: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Joana Cotar, AfD, ist die nächste Rednerin. Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwal- tung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teil- (Beifall bei der AfD) weise archaisch anmuten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30885

Joana Cotar (A) GAIA-X droht an seiner Bürokratie zu ersticken. Wenn hier Falschbehauptungen in den Raum (C) sich nicht bald zeitnah Erfolge einstellen, dann droht dem schmeißen!) gesamten Projekt das gleiche Schicksal wie der De-Mail. Zur Bilanz dieser Legislaturperiode in der Digitalpolitik Mein Lieblingspunkt: Die Modernisierung der Bun- gehört auch, dass der Ton an den Volksempfängern auf des-IT sollte bis 2025 abgeschlossen sein. Nun dauert der rechten Seite immer ein bisschen zu schrill ist. sie wohl bis 2032. Der Bundesrechnungshof warnt, dass der Bundesclient technisch veraltet sein könnte, bis die Für die Digitalpolitik hat die Coronapandemie defini- Bundesregierung ihn in elf Jahren in den letzten Behör- tiv als ein Beschleuniger in unserer Gesellschaft gewirkt. den ausgerollt haben wird. Das ist so unfassbar, dass man Wir haben schon damals im Koalitionsvertrag vieles ent- darüber lachen könnte, wenn das Thema nicht so ernst sprechend vereinbart. So digital war ein Koalitionsver- wäre. trag noch nie, und wir haben an ganz, ganz vielen Stellen (Beifall bei der AfD) angepackt. Wir haben verbessert. Wir haben verhandelt. Das hat an vielen Stellen in der Coronakrise geholfen; Aber es gibt zwei digitale Bereiche, in denen Deutsch- aber wir haben natürlich auch ganz klar aufgezeigt be- land ganz groß ist: Zum einen ist das die Zensur im Inter- kommen, wo wir jetzt noch nacharbeiten müssen. Das net und zum anderen die digitale Überwachung der Bür- bestreitet niemand. Aber diese Schwarzmalerei, dass ger. Was unsere Regierung nämlich in den letzten vier alles hier so schlecht wäre, ist vollkommen daneben, Jahren geschafft hat, ist zum einen die Verschärfung des meine Kolleginnen und Kollegen. NetzDGs und zum anderen die Einführung der Upload- filter. Sie hat das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 verabschiedet, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das selbst die Fachleute als Antisicherheitsgesetz der CDU/CSU) bezeichnet haben. Und weil es so schön ist, hat sie dann den Einsatz von Schauen wir uns einmal an, was wir bei der Infrastruk- Staatstrojanern ausgeweitet: Alle 19 Verfassungsschut- tur alles auf den Weg gebracht haben: Wir haben 12 Mil- zämter können ihn jetzt nutzen, selbst dann, wenn kein liarden Euro im Digitalfonds zur Verfügung gestellt. Tatverdacht gegen eine Person vorliegt. Mitbeschlossen Wenn Sie mal mit offenen Augen durchs Land fahren, hat das die SPD – trotz des Versprechens von Saskia dann sehen Sie die Ergebnisse. In meinem Wahlkreis Esken, dass das auf keinen Fall kommt. Wer Ihnen, werte zum Beispiel stehen gerade an jeder Ecke Bagger und Genossen, noch ein Wort glaubt, dem ist wirklich nicht riesige Trommeln mit orangefarbenen Kabeln. Das sind mehr zu helfen. die Glasfaserkabel, die überall im Land verbaut werden. Momentan ist das Problem, dass wir gar nicht genügend (Beifall bei der AfD) (B) Baukapazitäten haben, um diese ganzen Glasfaserkabel (D) Fassen wir zusammen: Statt digital aufzuholen, wurde unter die Erde zu bringen. Deutschland in den letzten vier Jahren weiter abgehängt. Das ist im Übrigen – das muss man auch sagen – eine Diese Regierung konnte es nicht. Diese Regierung hat es Folge der schwarzen Null. noch nicht einmal versucht. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich das in der nächsten Legislaturperiode wirklich (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ihr habt gravierend ändert. Denn wenn wir weiterhin schlafen, doch die schwarze Null immer verteidigt! – sieht es schwarz aus für Deutschlands digitale Zukunft. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank. Wir sehen uns in der nächsten Legislatur- Weil das Vectoring gefördert wurde!) periode. Weil wir bei den Investitionen zu lange zu zurückhaltend (Beifall bei der AfD) waren, sind die Baukapazitäten jetzt nicht vorhanden. Das muss man auch analysieren. Aber das Geld ist da, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: es wird verbaut, und wir sind an der Stelle auf einem sehr, Dr. Jens Zimmermann, SPD, ist der nächste Redner. sehr guten Weg. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Wenn ich mir das Thema digitale Souveränität an- Cotar, wenn ich vom Verfassungsschutz überwacht wer- schaue, möchte ich sagen: Aus meiner Sicht war es eine den würde, Sternstunde dieses Parlamentes, als wir das Thema ( [AfD]: Sie wissen doch, dass das Sicherheit, gerade gegenüber Herstellern aus China, gar nicht zutreffend ist!) hier aus dem Parlament heraus auf die Tagesordnung gesetzt und dafür gesorgt haben, dass es jetzt einen klaren hätte auch ich Angst davor, wenn der mehr Befugnisse Beschluss gibt, dass nicht einfach alles an Hardware in bekommt. kritischer Infrastruktur eingebaut werden kann. Das ist (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD) ein großer Erfolg dieses Hohen Hauses gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist leider eine Tatsache, Herr Kollege. (Martin Hess [AfD]: Das ist gerichtlich unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagt! Machen Sie sich mal kundig, bevor Sie der CDU/CSU) 30886 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Jens Zimmermann (A) Wir haben auch beim DigitalPakt Schule 5 Milliarden Mehr Bürgernähe durch eine moderne digitale Verwal- (C) Euro in die Hand genommen. Herr Kretschmann in tung wollten Sie zeigen, und einen Rechtsrahmen wollten Baden-Württemberg hat sich damals hingestellt und ge- Sie schaffen, der Bürgerrechte garantiert und den An- sagt, dass er das Geld überhaupt nicht will. spruch von Freiheit und Sicherheit gewährleistet. (Dr. Florian Toncar [FDP]: So war es!) (Nadine Schön [CDU/CSU]: Haben wir alles gemacht!) Sich dann jetzt hier immer hinzustellen und zu sagen, das sei nicht genug – hier ist der Bund eigentlich nicht zustän- Viel Richtiges haben Sie in weiteren Papieren, zum dig; auch das gehört zur Wahrheit –, ist nicht Ordnung. Beispiel im Koalitionsvertrag und dann in der Digital- strategie, aufgeschrieben. Nur eines frage ich mich bis (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ heute: Warum haben Sie all das nicht umgesetzt? CSU und der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Natürlich haben wir uns auch sehr viele Gedanken über des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Regeln im Internet gemacht. Das ist das schwierige The- Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]) ma Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der Kampf gegen Hass und Hetze. Da ringen wir um die richtigen Lösun- Die Probleme haben Sie erkannt, meine Damen und gen. Aber eine Sache ist den demokratischen Fraktionen Herren – das ist das Dramatische –, aber Sie haben zu hier im Hause doch auch klar: Man kann es nicht einfach wenig gemacht. Immer wieder in den letzten vier Jahren laufen lassen. Wir müssen vor allem an der Seite der höre ich von diesem Pult von Ihnen: Wir sind auf einem Opfer stehen, und das sind leider immer noch viel zu viele guten Weg. – Das ist der Standardsatz bei der digitalen im digitalen Raum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Transformation. Statt digitaler Infrastruktur von Welt- klasse haben Sie aber am Ende eher Schotterpisten oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten normale Straßen hinterlassen. Wir sind beim Thema der CDU/CSU) Breitband immer noch auf dem langsamen Weg. Ich möchte mich zum Abschluss ganz herzlich bei Zur Schlüsselkompetenz der digitalen Fähigkeiten – unserem Ausschussvorsitzenden, bei Manuel Höferlin, wir haben es gerade gehört – hat die Coronapandemie bedanken, der unseren Digitalausschuss sehr gekonnt unfreiwillig mehr beigetragen als die Planungs- und und immer sehr kollegial geführt hat. Ich glaube, das ist Durchsetzungsfähigkeit dieser Koalition, meine Damen wirklich einen Applaus wert. und Herren. Das ist dramatisch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (B) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]) (D) Ich will mich natürlich auch bei allen Mitgliedern bedan- Die Verwaltung wurde von Ihnen nicht digitaler ge- ken, vor allen bei den Obleuten, bei Anke Domscheit- macht. Wenn ich höre, Sie hätten 300 Verwaltungsleistun- Berg, bei Mario Brandenburg, bei und gen von 575 digitalisiert, muss man ehrlicherweise auch natürlich auch bei meinem Koalitionskollegen Tankred sagen, dass diese bei Ihnen schon als digitalisiert gelten, Schipanski. Vielen, vielen Dank! Wir sind, glaube ich, wenn nur eine Kommune in ganz Deutschland diese Leis- nach wie vor eine verschworene Truppe im Digitalaus- tung anbietet; alle anderen haben davon aber nichts. Das schuss. Ich bin mir sicher – egal mit welchen Mehrheiten ist im besten Fall ein Taschenspielertrick. Das Thema nach der nächsten Bundestagswahl eine Koalition gebil- „digitale Verwaltung“ ist eher ein Running Gag auf Fami- det wird –: Die Digitalpolitik wird noch wichtiger wer- lienfeiern. den. Was Sie von Bürgerrechten im digitalen Raum halten, Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. meine Damen und Herren, haben Sie in dieser Legislatur- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten periode immer wieder deutlich gemacht, nämlich sehr der CDU/CSU und der FDP) wenig. Zuletzt haben Sie das beim Staatstrojaner gezeigt. Das alles zeigt: Sie haben kein Erkenntnisproblem, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sondern – das ist eigentlich dramatisch – Sie haben ein Kaum sind Sie gelobt worden, schon erhalten Sie das Umsetzungsproblem. Das rührt daher, dass Sie Digital- Wort. Manuel Höferlin ist der nächste Redner. politik nicht gestalten, sondern eher verwalten oder in Schriftstücken niederbringen. Digitalpolitik muss sich (Beifall bei der FDP) digital transformieren, nach der Gesellschaft und der Wirtschaft eben jetzt auch in der Politik. Manuel Höferlin (FDP): Wir müssen vom Wollen ins Machen kommen mit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und einem viel größeren Tempo; sonst holen wir diese Zeit Kollegen! Wir nähern uns dem Ende der Legislaturperio- nicht mehr auf, die wir schon verloren haben. Wir brau- de, und das ist natürlich die Zeit, Bilanz zu ziehen: Was chen andere Arbeitsweisen, und zwar kooperativer, hier sollte, was musste in der Digitalpolitik passieren? im Haus übrigens auch mit den Ausschüssen, aber vor Eine flächendeckende Infrastruktur, eine digitale Infra- allen Dingen in der Regierung und in den Ministerien. struktur von Weltklasse wollten Sie schaffen. Die Ver- Wir müssen schneller und agiler arbeiten, um schneller mittlung von digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompe- zum Erfolg zu kommen; wir müssen auch mutiger sein. tenz für alle Altersgruppen wollten Sie sicherstellen. Wenn selbst die Arbeitsebene Ihrer Häuser, meine Damen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30887

Manuel Höferlin (A) und Herren der Bundesregierung, dies in ihren Papieren (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (C) niederschreibt, dann sollte Ihnen das wirklich zu denken NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Mario geben. Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) (Beifall bei der FDP) Leider ist auch die Verwaltung selbst kein Vorbild. Das Onlinezugangsgesetz kommt nicht voran, und die Fort- Als Sinnbild dieser Arbeitsweise – Sie wissen das – schrittswebseite gaukelt Fortschritt im Prinzip nur vor. brauchen wir ein Digitalministerium, ein Ministerium Denn nur bei 45 – nicht 315, Doro Bär – der 575 Dienst- für digitale Transformation, das diese neue Arbeitsweise leistungen, die da als abgehakt angegeben werden, kann auch vorlebt, das zentrale Projekte der digitalen Transfor- der Bund auch sagen, dass sie wirklich Ende zu Ende mation umsetzt und koordiniert, das Beschleuniger und elektronisch erledigt werden können. Das sind weniger Transformator ist, das die Ressorts richtig koordiniert als 8 Prozent. und gemeinsame Ziele umsetzt. Machen ist wie Wollen, nur krasser. Darum geht es. Die Weichen müssen wir Nicht gekriegt haben wir ein Transparenzgesetz. Ge- stellen. Im September ist das hoffentlich der Fall. Nie kommen ist ein Open-Data-Gesetz, dem allerdings das gab es mehr zu tun, meine Damen und Herren. Allerwichtigste fehlt: ein Rechtsanspruch. Statt mehr IT-Sicherheit haben wir mehr Überwachung bekommen. (Beifall bei der FDP) Das IT-Sicherheitsgesetz 2.0, an dem lange gearbeitet Lassen Sie mich als Ausschussvorsitzenden noch wurde, schadet leider mehr, als es nützt. Geheimdienste Ihnen allen danken. Ich fand es auch sehr angenehm in halten Sicherheitslücken immer noch geheim, statt sie zu dieser Legislaturperiode. Wir haben noch viel zu tun. Ich schließen, und gefährden damit unser aller IT-Sicherheit. freue mich darauf. Ein Überwachungsgesetz nach dem anderen wurde ver- abschiedet. Bestandsdatenauskunft und Vorratsdatenspei- Danke. cherung gibt es immer noch. Es gibt Staatstrojaner jetzt auch für 19 Geheimdienste und vieles mehr. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Was fehlt? Eine Evaluierung solcher Überwachungs- gesetze. Eine Überwachungsgesamtrechnung kriegen wir Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auch nicht. Etliche dieser Gesetze sind mit höchster Wahrscheinlichkeit sogar verfassungswidrig. Anke Domscheit-Berg, Die Linke, ist die nächste Red- nerin. Das Fazit der Linksfraktion: Diese Bundesregierung hat Murks geliefert. (Beifall bei der LINKEN) (B) Im Übrigen bin ich der Meinung, Informationen zu (D) Schwangerschaftsabbrüchen haben nichts im Strafrecht Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): verloren. § 219a gehört abgeschafft. Wenn wir es in die- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Es ser Legislatur nicht geschafft haben, muss das in der ist kaum zu glauben, aber diese Bundesregierung hat nächsten endlich fallen. tatsächlich eine ganze Legislatur vor sich hin regiert, ohne eine Digitalisierungsstrategie vorzulegen. So liegt Vielen Dank. vor uns nun ein Flickenteppich. Auf der B 96 bei mir in (Beifall bei der LINKEN) Fürstenberg konnte man nach einem Unfall nicht mal per Handy den Notarzt rufen. In meinem Wahlkreis lassen sich Mittelständler Aufträge per USB-Stick im Brief Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schicken. Die Bundesregierung hat nämlich tatsächlich Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste schon bei den Grundlagen der Digitalisierung versagt: Rednerin. beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wir sind immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch ein Land der Funklöcher und lahmen Netze. Die sind schlecht, aber teuer. Danke für nichts, Andi Scheuer! Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Groß waren die Versprechungen im Koalitionsvertrag. Das digitale Vollversagen wurde in der Pandemie be- Deutschland sollte Digitalland und Weltspitze bei der sonders deutlich. Meldewege bei Covid-19 dauerten mit- digitalen Infrastruktur werden. Die bittere Bilanz: 71 Pro- unter eine ganze Woche. Gesundheitsämter schicken sich zent der Deutschen sind von Ihrer Digitalpolitik ent- munter Faxe hin und her. Ein digitales Covid-19-Impf- täuscht. Weltweit und innereuropäisch ist Deutschland zertifikat musste übers Knie gebrochen werden, weil es beim Digitalisierungsfortschritt maximal Mittelmaß, die elektronische Patientenakte mit integriertem digita- eher Schlusslicht. Schulen, Verwaltung, Gesundheits- lem Impfausweis halt immer noch nicht gibt. Bildungs- wesen – es hakt überall. Der Zustand der digitalen Infra- ungerechtigkeit wurde pandemiebedingt noch größer, struktur ist desaströs, und das Ausland belächelt uns für denn viele arme Kinder waren mangels Endgerät von unsere Funkloch-App und Weiße-Flecken-Karte. Ihre digitaler Bildung ausgeschlossen. Und ja, es gab den Untätigkeit mussten in der Pandemie verzweifelte Arbeit- Digitalpakt, aber er war viel zu bürokratisch, er kam nehmer/-innen und Schüler/-innen vor ihren Bildschir- viel zu spät, und immer noch hat nur jede zweite Schule men ausbaden. Das ist beschämend! ein WLAN für Kinder. Das ist schon ohne Pandemie inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30888 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Tabea Rößner (A) 2013 wollte der damalige Minister Dobrindt – leider ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) er jetzt weg – schnelles Internet in alle Züge und Bahn- Wahrscheinlich können Sie nicht mehr alle Chancen höfe bringen. Heute lese ich: Das kommt erst 2026. Was aufzählen. für ein Desaster! (Heiterkeit) Ein weiteres Sinnbild der deutschen digitalen Misere: Die Corona-Warn-App. Sie wäre eine Erfolgsstory, hätte Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): man gleich auf etablierten Datenschutz und IT-Sicher- Ja, aber für einen fairen Wettbewerb, diskriminie- heitsstandards gesetzt. Stattdessen wurden Zeit, Geld rungsfreie Plattformen und einen gemeinwohlorientierten und Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger verspielt. Ordnungsrahmen für neue Technologien sind Sie sicher Das Gleiche geschieht bei der Datenschutz-Grund- auch. Zeit jedenfalls, sie endlich zu nutzen! verordnung. Statt sie als europäische Marke zu pushen, Ich danke Ihnen. diffamieren Sie sie als Innovationsbremse, während Kali- fornien und Israel sie begeistert kopieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ( [CDU/CSU]: Na ja!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zentrale Fragen zum Umgang mit Daten und KI wur- Nadine Schön, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. den vertagt, und mit der Datenstrategie wurde das Scheitern in Stein gemeißelt: 234 Einzelvorhaben, von (Beifall bei der CDU/CSU) denen über die Hälfte kalter Kaffee sind, vage Absichts- erklärungen und Prüfauftrage. Zu zögerlich, zu planlos, Nadine Schön (CDU/CSU): zu spät und ohne Vision. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, Sie sehen: Unser Herz ist voll, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es gibt viel Diskussionsbedarf in der Digitalpolitik. Aber Leider zeigt sich das auch in der Verwaltung. Das bei den Vorrednern der Opposition muss ich sagen: Ein E-Government-Gesetz, in letzter Minute durchgebracht, Buzzword nach dem anderen, keine Vision, die zeigt, lässt die Potenziale von Open Data ungenutzt, und der wohin Sie eigentlich wollen. Am Ende frage ich mich, Haushaltsausschuss hat die Erneuerung der Bundes-IT wo Sie eigentlich in den letzten vier Jahren waren. wegen explodierender Kosten gestoppt. (Manuel Höferlin [FDP]: Außerhalb der Bla- Vor lauter Strategien und Gremien haben Sie Überblick se!) und Ziel aus den Augen verloren. Freundlich gesagt: Sie Wenn man mit Leuten außerhalb von Deutschland (B) haben ein Umsetzungsdefizit. Wer eine der größten spricht, dann nehmen sie anerkennend zur Kenntnis, (D) Transformationen dieses Jahrhunderts gestalten möchte, dass wir in so vielen Bereichen vorangegangen sind. muss das Thema doch auf die Topprioritätenliste setzen, Nehmen Sie nur mal die GWB-Novelle. Mit der GWB- klare Ziele benennen und innovationsfreundliche Struk- Novelle schaffen wir ein ganz modernes Wettbewerbs- turen schaffen. recht, mit dem wir weltweit Beachtung finden. Zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ersten Mal sagen wir den großen Plattformen: Ihr müsst auch in Deutschland nach fairen Regeln spielen. Wir Stattdessen installieren Sie eine Digitalstaatsministerin kontrollieren das, und wir machen andere Vorschriften. – ohne Budget, Verwaltungsapparat oder Entscheidungs- Das ist die Blaupause für den Digital Markets Act der EU. kompetenz. Ob Digitalchecks für Gesetze, Innovation Ganz Europa schaut darauf, was wir mit dieser GWB- Council oder die Bundeszentrale für Digitale Aufklä- Novelle gemacht haben. Weltweit findet das Beachtung. rung – alles im Sande verlaufen, stattdessen Interessen- Und Sie stehen hier und erwähnen es noch nicht einmal konflikte ohne Ende. mit einem Stichwort. Deutschland soll als Verschlüsselungsstandort brillie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ren, gleichzeitig erhalten Sicherheitsbehörden immer ordneten der SPD) mehr Zugriffsrechte. Mit Sicherheitslücken wird weiter- gedealt, und die IT-Sicherheit wird massiv gefährdet. Mit GAIA-X hat ein ganz konkretes Pro- Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Dabei jekt auf den Weg gebracht, womit wir unsere eigene brauchen wir dringend eine Antwort auf Datenskandale, digitale Souveränität stärken. Nicht nur meckern, dass auf gezielte IT-Angriffe auf demokratische Institutionen, die großen Plattformen zu stark werden, sondern die eige- Meinungsbildung und Wahlen. nen Chancen nutzen, das müssen wir. Die Digitalisierung bietet viele Chancen für die ökolo- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gisch-soziale Transformation in einer lebendigen Demo- NEN]: Wo denn?) kratie für den Wirtschaftsstandort. Das haben wir in der Legislaturperiode mit GAIA-X ge- macht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Auch die eID ist angesprochen worden. Wir sind nicht Frau Kollegin. mehr davon abhängig, große amerikanische Anbieter zu nutzen, um uns im Internet zu identifizieren. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. NEN]: Aber ihr holt sie doch ins Boot!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30889

Nadine Schön (A) Wir haben eine eigene eID auf den Weg gebracht. Wir Ich könnte die Reihe fortsetzen. Wir haben vieles auf (C) bringen den Personalausweis aufs Handy. Das wird in den Weg gebracht. In der nächsten Legislaturperiode ganz vielen Wirtschaftsbereichen Innovationspotenziale legen wir noch eine Schippe drauf. Ich freue mich auf freisetzen. Auch das haben wir gemacht. die Zusammenarbeit in all diesen wichtigen Bereichen in der Digitalpolitik. Wir bringen damit unser Land (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. voran. Dr. Jens Zimmermann [SPD]) Danke. Wir setzen auf Innovation. Wir haben Milliarden in künstliche Intelligenz investiert, wir haben die Block- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Florian Toncar chain-Strategie auf den Weg gebracht, wir setzen auf [FDP]: Das ist doch gar nicht nötig! Es ist doch Quantencomputing – und Sie stehen hier wieder und sa- alles schon gut!) gen: Es wird nichts gemacht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir sorgen dafür, dass aus all dem, was an den Uni- Elvan Korkmaz-Emre, SPD, ist die nächste Rednerin. versitäten erforscht und erdacht wird – gerade in diesen neuen Technologien –, neue Geschäftsmodelle, neue Pro- (Beifall bei der SPD) dukte und neue Unternehmen entstehen. Deshalb bringen wir den größten Wachstumsfonds, den es in Europa gibt, Elvan Korkmaz-Emre (SPD): auf den Weg. Die Franzosen setzen 5 Milliarden Euro ein, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- wir insgesamt 30 Milliarden. Das hat unser Fraktionsvor- ren! Viele Fragen, die wir für die alte, analoge Welt gelöst sitzender im Koalitionsausschuss eingestielt, das bringen hatten, stellen sich heute in der digitalen Welt neu: Was wir auf den Weg, und auch hier setzen wir Maßstäbe. ist die richtige Balance zwischen Öffentlichkeit und (Beifall bei der CDU/CSU) Privatheit, zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Selbstbestimmung und Gemeininteresse? Auf fast kei- Wir machen das Leben der Menschen einfacher; denn nem anderen politischen Feld haben sich die Unterschie- darum geht es ja. Es geht ja nicht um irgendwelche Digi- de zwischen den Werteorientierungen der Parteien in die- talisierungs-Buzzwords, sondern es geht darum, dass wir sem Parlament so deutlich gezeigt wie bei der digitalen mithilfe der Digitalisierung die großen Herausforderun- Agenda. gen dieser Zeit bewältigen und das Leben der Menschen Datenschutz ist die Voraussetzung für alles. Andere einfacher machen. So einfach ist es. Parteien sehen das anders. Doch für mich ist klar: Das Deshalb haben wir das Registermodernisierungsgesetz Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht (B) auf den Weg gebracht, verhandelbar. Wer wie welche Daten von mir bekommt (D) und wozu er sie verwendet, das muss ich selbst bestim- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und wer war men können, ich ganz allein. dagegen?) (Beifall bei der SPD) gegen den erbitterten Widerstand der FDP. Wenn wir ganz ehrlich sind: Wir haben die Voraussetzun- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hört! Hört!) gen dafür auch noch nicht geschaffen. Doch erst die Sicherheit schafft das nötige Vertrauen, und im Vertrauen Lieber Manuel Höferlin, erst „Digital first. Bedenken gewinnen wir die Freiheit, mit Daten auch das zu tun, was second.“ zu plakatieren und dann, wenn es hier darum sich mit Daten eben tun lässt, nämlich ökonomische Po- geht, konkrete Gesetze auf den Weg zu bringen, zu sagen: tenziale heben, Ressourcen sparen, soziale Innovationen „Da gibt es aber das Volkszählungsurteil von 1983, schaffen. Eine Kultur des Datenteilens macht Lieferket- ten effizienter, den Verkehr sicherer, meinen Strom güns- (Manuel Höferlin [FDP]: Das war das Bun- tiger und unsere Städte lebenswerter. Das ist die sozial- desverfassungsgericht!) demokratische Idee von Digitalisierung. das dürfen wir jetzt nicht machen“, das ist schon merk- (Beifall bei der SPD) würdig. Gerade die Kommunen sind also die Orte mit den (Beifall bei der CDU/CSU) meisten Potenzialen. Doch auch da müssen wir vorsichtig sein. Wir wollen schließlich keine Smart Citys und ana- Zum Glück waren Ihre Kollegen im Bundesrat, in den loge Dörfer; wir wollen gleichwertige Lebensverhältnis- Ländern, innovativer. se. Auch das kann Digitalisierung: Verwaltung per Maus- Und das gilt auch für die Grünen, die nämlich hier klick, Bürgerbeteiligung im Netz, bedarfsgerechte und stehen und sagen: Mit der digitalen Bildung geht es nicht effiziente Daseinsvorsorge. Das stärkt nicht nur die Städ- voran. – Aber Winfried Kretschmann ist derjenige, der te, sondern gerade die Fläche kann von diesen Potenzia- den DigitalPakt Schule mindestens um ein halbes Jahr len profitieren. Doch wir müssen dafür sorgen, dass das verzögert hat, aus lauter Angst, wir würden in seine Kom- Know-how schnell in die Rathäuser kommt. Der Mut petenzen eingreifen. zum Wandel ist auf jeden Fall schon da. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Als Sozialdemokratin ist es mir wichtig, dass alle, wirklich alle von der Digitalisierung profitieren. neten der SPD – Manuel Höferlin [FDP]: Das ist wohl wahr!) (Beifall bei der SPD) 30890 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Elvan Korkmaz-Emre (A) Das ist in vielen Bereichen leichter gesagt als getan. Und Auslegung von Regeln durch 17 Landesdatenschutzbe- (C) ja, es braucht Zeit; das haben meine Vorredner gesagt. hörden, mit widersprüchlichen Entscheidungen, Rechts- Aber wir gehen das an. Wir haben in dieser Legislatur- unsicherheit, Innovationsfeindlichkeit. Das wird es in Zu- periode etwa mit dem DigitalPakt Schule viele Milliarden kunft mit der Union nicht mehr geben. Euro für die digitale Teilhabe bereitgestellt, und genau da müssen wir dringend weitermachen. Das hat auch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Coronapandemie schmerzlich gezeigt. Es kann nicht Zuruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]) sein, dass der Bildungserfolg eines Kindes daran schei- Datenschutz ist kein Supergrundrecht; wir wollen ein tert, dass es sich den Laptop mit den Geschwistern teilen hohes Schutzniveau beibehalten. Aber wir brauchen rea- muss. litätsnahe Entscheidungen und daher ein Stück mehr Auch die soziale Teilhabe soll nicht in einem Funkloch Zentralisierung, Beratung, verbindliche Auskünfte. Ich versiegen. Genau deshalb sind wir unterwegs. denke, wir haben da richtig gute Vorschläge gemacht. (Beifall bei der SPD) Zweitens wird die Digitalisierung durch den Föderalis- mus ausgebremst. Wir haben in der Pandemie gespürt, Das klingt vielleicht komisch, aber die Lebensrealität ist dass teilweise ein Zusammenwirken von Bund, Ländern nun einmal so digital geworden. Das ist nicht nur essen- und Gemeinden nicht möglich ist. Wir beabsichtigen ziell; das ist mittlerweile existenziell, und das geht auch daher eine Reform, um die Zusammenarbeit unserer nicht mehr weg. Ich glaube, darin sind wir Digitalpoli- staatlichen Ebenen im Bereich der Digitalisierung zu er- tiker uns zumindest in fast allen Fraktionen auch einig. möglichen. Das OZG, das Onlinezugangsgesetz – wir Ich möchte mich ganz herzlich für die gute und kon- haben das heute schon gehört –, überwindet solche föde- struktive, aber stets kritische und diskussionsreiche Zu- ralen Klippen mit einer klaren Regelung in Umsetzung sammenarbeit im Ausschuss Digitale Agenda bedanken. des Artikel 91c Absatz 5 Grundgesetz. Ich denke, das ist Lassen Sie uns in den nächsten Jahren zusammen dafür ein guter und richtiger Weg. sorgen, dass wir hinter diese Einsichten nicht zurückfal- Und als Drittes wollen wir die Abhängigkeiten von den len. USA und von China stärker lösen. Wir wollen mehr auf Vielen Dank. eigene Souveränität bauen. Wir haben von GAIA-X ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hört, von der Mikroelektronikinitiative, und wir brauchen der CDU/CSU) eine eigene Verkehrsdatenbank. Ich denke, wir haben eine gute Bilanz in dieser Legis- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: latur. Wir haben einen klaren Fahrplan für die nächste (B) (D) Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Legislatur. Ich darf mich an der Stelle auch noch mal Kollege Tankred Schipanski, CDU/CSU. für die fraktionsübergreifende gute Zusammenarbeit – lieber Jens Zimmermann, du hast das bereits gut ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. macht – bedanken. Auch wenn wir nicht so viele Feder- Marianne Schieder [SPD]) führungen hatten, haben wir uns über andere Wege Gehör verschafft. Ich freue mich, dass wir den Schwung dieser Tankred Schipanski (CDU/CSU): Legislatur in die Zwanzigste mitnehmen können. Arbei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las- ten Sie daran mit! sen Sie mich als digitalpolitischer Sprecher der Unions- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. fraktion und als letzter Redner hier die Debatte kurz zu- sammenfassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Lachen des Abg. Manuel Höferlin [FDP]) Ich denke, die Debatte hat gezeigt, dass die Koalition sehr Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: viele Digitalprojekte angestoßen hat, Projekte mit einem ganz klaren Nutzen und einem Mehrwert für die Men- Damit schließe ich die Aussprache und rufe die Tages- schen. Da hilft auch das Schlechtreden der Opposition ordnungspunkte 35 a bis 35 l auf: nicht. Wir haben Digitalpolitik mit dem Dashboard digi- a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- tal-made-in.de greifbar und transparent gemacht. Schauen Sie da einfach mal rein; da sehen Sie die Fakten, desregierung wie es um unsere Digitalpolitik steht. Bericht der Bundesregierung zur High- Wir haben in dieser Debatte gehört, wie die Corona- tech-Strategie 2025 – Erfolgsmodell High- pandemie einen starken Digitalisierungsdruck ausgelöst tech-Strategie für ein starkes Innovations- hat. Diese Welle, diesen Schwung, diesen Druck müssen land Deutschland wir auch in die neue Legislatur mitnehmen. Dabei haben Drucksache 19/30780 wir als Union einige Bremsklötze identifiziert, die es in Überweisungsvorschlag: der nächsten Legislatur zu lösen gilt. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) Lassen Sie mich drei dieser Bremsklötze herausgrei- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft fen, als Erstes die Organisation der Datenschutzaufsicht Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Deutschland. Meine Damen und Herren, so wie bisher Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union geht es hier nicht weiter: mit der völlig realitätsfernen Ausschuss Digitale Agenda Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30891

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- – zu dem Antrag der Abgeordneten Mario (C) desregierung Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Gutachten zu Forschung, Innovation Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), und technologischer Leistungsfähigkeit weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutschlands 2021 der FDP Drucksache 19/30785 Nationale Bioökonomiestrategie der Bundesregierung SMART gestalten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) – zu dem Antrag der Abgeordneten Mario Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Brandenburg (Südpfalz), Dr. h. c. Thomas Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Sattelberger, Katja Suding, weiterer Ab- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union geordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss Digitale Agenda Von der Biologie zur Innovation – Von c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- der Innovation zum Produkt desregierung Forschungsrahmenprogramm der Bun- Drucksachen 19/14742, 19/19882, desregierung zur IT-Sicherheit 19/26523 Digital. Sicher. Souverän. h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Drucksache 19/30736 Forschung und Technikfolgenabschätzung Überweisungsvorschlag: (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) neten Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink, Ausschuss für Inneres und Heimat Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordne- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss Digitale Agenda GRÜNEN d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Starke Forschung für gute Gesundheit – Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja Suding, In der Pandemie und darüber hinaus Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksachen 19/27552, 19/31124 Anstoß zur Einführung einer Neuheits- (B) i) Beratung der Beschlussempfehlung und (D) schonfrist im europäischen und deutschen des Berichts des Ausschusses für Bildung, Patentrecht Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 19/30884 (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- neten Joana Cotar, Dr. Michael Espendiller, e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schulz, weiterer Abgeordneter und der Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Mario Fraktion der AfD Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Förderung der automatischen Erkennung Biotechnologie − Standort Deutschland KI-manipulierter Fotos und Videos stärken − Rahmenbedingungen für For- Drucksachen 19/27848, 19/31026 schung und Entwicklung von Antiinfekti- va und Impfstoffen deutlich verbessern j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Drucksache 19/27434 Espendiller, weiterer Abgeordneter und der f) Beratung der Beschlussempfehlung und Fraktion der AfD des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Digitalpolitik ernst nehmen – Datenpolitik (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- der Bundesregierung ambitionieren und neten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja internationale Monopolunternehmen be- Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein- schränken Neckar), weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/30967 Fraktion der FDP k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Technologische Mündigkeit gewährleis- Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael ten – Rahmenbedingungen für KI-Anwen- Espendiller, weiterer Abgeordneter und der dungen verbessern Fraktion der AfD Drucksachen 19/28430, 19/31047 Digitalpolitik ernst nehmen – Digitalisie- g) Beratung der Beschlussempfehlung und rung in Verwaltung, Wirtschaft und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Gesellschaft professionell umsetzen Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Drucksache 19/30968 30892 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) l) Beratung des Antrags der Abgeordneten mationssicherheit, CISPA, steht sogar seit Ende letzten (C) Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Jahres im Computer Science Ranking weltweit auf Platz Espendiller, weiterer Abgeordneter und der eins beim Thema Sicherheit. Fraktion der AfD (Beifall bei der CDU/CSU) Digitalpolitik ernst nehmen – Strukturelle und strategische Neuausrichtung für Dazu kommen weitere Institute, erfolgreiche Projekte mehr politische und inhaltliche Verant- oder auch Ausgründungen zur IT-Sicherheit. Mit unse- wortlichkeit rem neuen Forschungsrahmenprogramm zur IT-Sicher- heit nehmen wir jetzt neue Ziele in den Blick und erklim- Drucksache 19/30969 men eine neue Stufe. Wir erschließen neue Felder der Wertschöpfung, zum Beispiel durch unsere führende Rol- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten le in der Quantenkommunikation. beschlossen. – Wenn Sie bitte Platz nehmen. Das kann nicht so schwierig sein; es gibt noch Plätze im Plenarsaal. Wir setzen neue Maßstäbe in der IT-Sicherheit, damit niemand im Smarthome unbefugt ein Gespräch aufzeich- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort nen kann, damit vernetzte Maschinen im Industrial Inter- der Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, net of Things sicher arbeiten Anja Karliczek. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Grimms (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Märchen!) ordneten der SPD) und damit die Strom- und Wasserversorgung immer rei- bungslos funktioniert. Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ein starker Staat in der digitalen Welt ist technologisch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auf der Höhe der Zeit. Kollegen! Deutschland ist Innovationsland und soll es auch bleiben. Diesem Ziel hat sich die Bundesregierung (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Grimms verpflichtet. Und, meine Damen und Herren, wir haben Märchen!) geliefert. Das muss uns gelingen; denn auf diese Weise schaffen Erstens. Wir sind dem für 2025 anvisierten 3,5-Pro- wir Vertrauen, und genau dieses Vertrauen brauchen wir; zent-Ziel für Forschung und Entwicklung in dieser Legis- Vertrauen in neue Technologien. Nur dann wird es uns laturperiode deutlich näher gekommen. gelingen, Innovationen zu etablieren, ja, am Ende auch (B) ein modernes Land zu bleiben. Der Dialog zwischen Wis- (D) Zweitens. Wir haben eine klare Priorität auf Zukunfts- senschaft und Bürgerschaft ist in diesen Zeiten existen- themen und -technologien gesetzt. Die Forschungspro- ziell. Wir brauchen Offenheit und Akzeptanz für eine gramme für Mikroelektronik, Quantentechnologien, zur Transformation, die schon in vollem Gange ist. künstlichen Intelligenz und die Nationale Wasserstoff- Spitzenpositionen in Zukunftsthemen, das ist doch strategie sind hier nur einige wenige Beispiele. unser gemeinsames Ziel: beim Wasserstoff, bei den Drittens. Wir haben unser Innovationssystem zielge- Quantentechnologien oder auch bei der künstlichen Intel- richtet erweitert. Die lang geforderte steuerliche For- ligenz. Das Zukunftspaket, das wir im letzten Jahr schungsförderung ist eingeführt und eine Agentur für geschnürt haben, setzt genau an dieser Stelle an. Zum Sprunginnovationen auf den Weg gebracht. Ausruhen ist keine Zeit. Machen wir doch einfach weiter! Viertens. Wir haben die Digitalkompetenzen in allen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausbildungsbereichen gefördert. Digitalisierung und ordneten der SPD) Nachhaltigkeit sind als Lehrinhalte zukünftig für alle Auszubildenden selbstverständlich, egal ob sie Maurer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: oder Mechatroniker werden. Und auch der nationale Digitale Bildungsraum ist auf dem Weg. All das sind Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marc Jongen, klare Erfolge unserer Hightech-Strategie. AfD. Die Coronakrise hat an manchen Stellen sehr deutlich (Beifall bei der AfD) gezeigt, wie leistungsfähig unser Forschung- und Innova- tionssystem ist. Woher kam denn der erste PCR-Test, Dr. Marc Jongen (AfD): woher der erste in Europa zugelassene Impfstoff? – Aus Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ziehen Deutschland. heute Bilanz der sogenannten Hightech-Strategie 2025, Ob Gesundheit oder Klimaschutz, ob Energie oder und erwartungsgemäß – wir haben es gehört – steht Mobilität, ob Zukunft der Wertschöpfung oder Sicher- Selbstlob der Bundesregierung auf dem Programm. In heit – wir haben es in der Hand, zu gestalten: für Freiheit Ihrer Unterrichtung schreiben Sie, dass Deutschland zu und technologische Souveränität. den führenden Innovationsnationen gehöre. Das sei das Ergebnis einer Politik, die unter dem Dach der Hightech- Ein gutes Beispiel an dieser Stelle ist die IT-Sicherheit. Strategie die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nachhaltig Drei deutsche Kompetenzzentren nehmen internationale stärke. – Nein, werte Kollegen von den Regierungsfrak- Spitzenpositionen ein. Das Helmholtzzentrum für Infor- tionen, das ist nicht das Ergebnis Ihrer Politik. Das ist das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30893

Dr. Marc Jongen (A) Ergebnis deutschen Erfinder- und Unternehmergeistes, unserem wichtigsten Rohstoff. Zugleich fabuliert Frau (C) der sich vielfach gegen Ihre Politik, gegen Bürokratie von der Leyen davon, dass wir auch wenig bis gar nicht und staatlichen Dirigismus behaupten muss. ausgebildete Zuwanderer brauchen. Solange wir diesen Braindrain nicht stoppen, wird keine Hightech-Strategie (Beifall bei der AfD) fruchten, meine Damen und Herren. In Wahrheit ist es doch so, dass Deutschland als For- schungs- und Innovationsland lange Zeit Weltspitze war, (Beifall bei der AfD) heute aber den internationalen Anschluss in vielen Berei- Wenn wir uns jetzt der künstlichen Intelligenz zuwen- chen bereits verloren hat – oft durch grün-linke Verhin- den, dann stellen wir auch hier fest: Die KI-Strategie der derungspolitik; Beispiel Kernforschung. Bundesregierung will nicht greifen. 5 Milliarden Euro (Lachen der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) wurden bis 2025 bereitgestellt. Davon sind bisher nur rund 137 Millionen Euro abgerufen. Ich möchte daher Auch in der Digitalisierung hinken wir hinter China und unsere Forderung nach einem zentralen KI-Campus in den USA weit hinterher. Die für Deutschland so wichti- Deutschland wiederholen. Ein solches Leuchtturmpro- gen Sektoren Maschinen- und Autobau werden laut „Wall jekt würde die internationale Sichtbarkeit der deutschen Street Journal“ durch die „dümmste Energiepolitik der KI-Forschung wesentlich erhöhen und internationale Welt“ zunehmend ausgebremst. Spitzenforscher anziehen. Weil Deutschland seit vielen Jahren von der Substanz Schließlich – ich komme zum Schluss –: Wer den zehrt als Forschungs- und Industrienation, weil „made in blamablen Auftritt von Staatsministerin Dorothee Bär Germany“ nicht mehr denselben Klang hat wie früher, am Tag der Industrie gesehen hat, der wird uns zustim- deshalb ist doch eine solche Hightech-Strategie erst nötig men, dass die Digitalisierung in kompetente Hände ge- geworden. Sie ist als solche Symptom einer strukturellen hört und ein eigenes Ministerium mit Budget und Kom- Krise, und diese Krise betrifft in erster Linie den Bil- petenzen in der nächsten Legislaturperiode benötigt, wie dungsbereich. Das bleibt bei Ihnen deutlich unterbelich- wir es in unseren Anträgen fordern. tet. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. Das Gutachten der Expertenkommission Forschung (Beifall bei der AfD) und Innovation, kurz: EFI, hat es Ihnen aber ins Stamm- buch geschrieben: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Als rohstoffarmes Land ist Deutschland auf bestens Oliver Kaczmarek, SPD, ist der nächste Redner. (B) ausgebildete Menschen angewiesen, um durch Ent- (D) wicklung und Nutzung technologischer Potenziale (Beifall bei der SPD) Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand zu gewähr- leisten. Darum sind ein leistungsfähiges, sozial Oliver Kaczmarek (SPD): durchlässiges Bildungssystem, Technik- und Wis- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum senschaftskompetenz durch sehr gute MINT-Bil- Schluss der Wahlperiode möchte ich auf die Forschungs- dung … zentral. politik aus drei Perspektiven blicken. Aber genau diese MINT-Kompetenzen unserer Schüler, Zum einen: Nach dem Wortbeitrag zur Hightech-Stra- also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, tegie eben müssen wir das Ganze wieder vom Kopf auf Technik, gehen immer weiter zurück. Ihr MINT-Aktions- die Füße stellen. Natürlich leistet die Hightech-Strategie plan, Frau Karliczek, ist weitgehend wirkungslos ver- einen unverzichtbaren Beitrag für die Erreichung der pufft. Es gibt einen dramatischen MINT-Lehrkräfteman- großen Zukunftsmissionen, der Herausforderungen, vor gel. Wie will man hier auch wesentliche Fortschritte denen die Menschheit steht. Natürlich ist sie als Bünde- erzielen, wenn man zugleich ein Bildungsklima fördert, lungsstrategie unverzichtbar, um das 3,5-Prozent-Ziel zu in dem Pseudowissenschaften wie Gender Studies gedei- erreichen. Es geht darum, mehr Ausgaben für Forschung hen, die die Naturwissenschaften verleugnen und verhöh- und Entwicklung in Staat und Wirtschaft zu induzieren. nen. Das passt nicht zusammen, meine Damen und Her- Sie hat die gesamte Innovationskette im Blick. Und was ren. uns besonders wichtig ist: Sie berücksichtigt Grundlagen- (Beifall bei der AfD) forschung und Anwendungsbezug gleichermaßen. Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen: Sie folgt dem Dabei studiert fast die Hälfte aller ausländischen Stu- Grundsatz „Forschung, die den Menschen dient“, und denten in Deutschland MINT-Fächer. Chinesen machen Forschung, die den Menschen dient, muss auch mit den dabei die größte Gruppe aus. Im Wintersemester 2016/17 Menschen kommuniziert und entwickelt werden. Hier waren es mehr als 37 000. Über 80 Prozent davon ver- haben wir große Fortschritte erreicht, und ich freue lassen Deutschland aber wieder nach China oder in ang- mich, dass wir in der Koalition gerade in dieser Woche lophone Länder. Wir bilden also hier unsere internationa- einen weiteren Schritt gehen, die Hightech-Strategie zu le Konkurrenz aus – zum Nulltarif wohlgemerkt. Hinzu ergänzen und der Wissenschaftskommunikation einen kommen die Zehntausende gut ausgebildeten Deutschen, neuen Stellenwert zu geben. die Deutschland jährlich verlassen, weil sie im Ausland viel bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Es findet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten also ein stetiger Abfluss von natürlicher Intelligenz statt – der CDU/CSU) 30894 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Oliver Kaczmarek (A) Zweiter Blick. Die Pandemie beschleunigt die soziale, Ziele und Entwicklungsziele benennt und die nicht dem (C) ökologische und digitale Transformation – das ist eine Wunsch einiger nach Steuersenkungen für Besserverdie- Binsenweisheit. Wir müssen jetzt die richtigen Schluss- nende oder steigenden Rüstungsausgaben geopfert wird. folgerungen aus dem ziehen, was wir in den letzten Wir brauchen in den nächsten 23 Jahren Forschungspoli- anderthalb Jahren erlebt haben. Die Entwicklung des tik einen mindestens genauso großen Schritt wie in den Impfstoffes in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, letzten 23 Jahren. gar keine Frage. Aber sie ist kein Zufallstreffer oder ein Herzlichen Dank. Lotteriegewinn, sondern sie ist das Ergebnis jahrelanger Forschungsförderung, jahrelanger Forschungspolitik, die (Beifall bei der SPD) begünstigt hat, dass in Deutschland Impfstoff entwickelt werden konnte. Die Erkenntnisse daraus machen Hoff- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nung für viele andere Anwendungen, beispielsweise in Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thomas der Krebsprävention. Sattelberger, FDP. Aus Sicht der SPD ist es wichtig, dass wir die richtigen (Beifall bei der FDP) Schlussfolgerungen ziehen.

Erstens: die Grundlagenforschung weiter stärken, sie Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): nicht einem Transferzwang aussetzen, sondern Grundla- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzte Sit- genforschung in ihrer eigenen Mission betonen. zungswoche hat uns der sonst von mir sehr geschätzte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wolfgang Stefinger mit der Aussage überrascht, Deutsch- land sei laut Bloomberg Spitzenreiter bei Innovationen. – Zweitens: die Medikamentenforschung verstärken. Leider hat er sich im Jahr geirrt. Im Bloomberg-Index Long Covid ist ein Phänomen, das wir noch viel stärker 2021 ist Deutschland wieder einmal deutlich zurückge- erforschen müssen. Wir müssen Medikamentenent- fallen; Sie dürfen es gleich korrigieren. Lieber Herr wicklung vorantreiben, aber wir müssen Medikamen- Stefinger, nicht schönreden, sondern Warnsignale ernst tenentwicklung auch mit Produktionskapazitäten zu- nehmen. sammendenken; denn diese haben uns nach der Impfstoffentwicklung gefehlt. Das ist eine Lehre und (Beifall bei der FDP) wichtige Schlussfolgerung aus der Coronapandemie: Das gilt übrigens auch für die Hightech-Strategie, die Wir müssen Medikamentenforschung und -entwicklung statt einer Strategie nur eine einfältige Auflistung diver- und Produktionskapazitätenausweitung zusammenden- ser Vorhaben ohne messbare Erfolgskriterien ist. ken. (B) Ich wurde jüngst in einer Antwort des BMBF zur KI- (D) Drittens: den Transfer von Forschungsergebnissen in Strategie mit dem Desaster konfrontiert. Agiles Projekt- die medizinische Versorgung stärken. Ich glaube, das management? Fehlanzeige! Welche Projekte sind in der Netzwerk Universitätsmedizin hier in Berlin unter der Umsetzung? Da musste das BMBF zuallererst in allen Führung der Charité ist ein Beispiel dafür, wie Transfer anderen Ministerien nachfragen. Und dann das Ergebnis: gelingen kann. Das müssen wir auch auf andere Felder Der Mittelabfluss aus den 5 KI-Milliarden tröpfelt ein- ausweiten. schließlich der Verpflichtungen in einer Höhe von 15 Pro- Der dritte Blickwinkel. Sie waren es in den letzten zent seit 2019 so träge wie der beim DigitalPakt Schule. 23 Jahren gewohnt, dass mein Kollege René Röspel die Wir erfahren übrigens auch nicht, liebe Frau Karliczek, Forschungspolitik der SPD kommentiert hat. Ich finde, es warum die Entwicklung von Impfstoffen in den Vorjah- ist einen Blick wert: Wie war das eigentlich vor 23 Jahren, ren nie in der Hightech-Strategie auftauchte und sie erst 1998, und was hat sich seitdem in der Forschungspolitik 2021 als strategisches Flaggschiff daherkommt. Sie getan? 1998 war Deutschland geprägt vom Reformstau, schwärmen von der Cyberagentur und der Agentur für den die Kohl-Ära uns hinterlassen hat. Es gab keinen Pakt Sprunginnovationen, während dort doch schon längst für Forschung und Innovation. Es gab keine Exzellenz- die Hütte brennt und Ihnen die Führungskräfte davonlau- strategie, keinen Hochschulpakt, kaum Aufwuchs im fen. Fälschlicherweise steht im Bericht: Es könnten mit- Bundeshaushalt. Es standen damals gerade mal umge- tel- bis langfristig Fachkräfte fehlen. – In Wahrheit lodert rechnet 7,2 Milliarden Euro für Forschung und Entwick- schon heute in der Wirtschaft der Dachstuhl, weil eine lung zur Verfügung. Heute stehen 21 Milliarden Euro zur riesige Expertenlücke klafft. Verfügung – eine Kraftanstrengung, die in verschiedenen (Beifall bei der FDP) Regierungskoalitionen erreicht worden ist. Das war wirk- lich eine große Kraftanstrengung, die für die Forschung Realitätssinn dagegen bei der EFI-Kommission: Gen- in Deutschland etwas gebracht hat. technologie nicht weiter ideologisch zerreden, liebe Grüne, Quantentechnologie nicht weiter verschlafen, (Beifall bei der SPD) Technologieoffenheit statt Silodenken, keine einseitige Wenn ich mir überlege, wie die Situation vor 23 Jahren Ausrichtung auf Elektromobilität, sondern auf sämtliche aussah und wie sie in 23 Jahren aussehen soll, wo wir die nicht fossile Antriebstechnologien. Klimaneutralität schon geschafft haben wollen für dieses Land, dann sage ich: Wir haben kaum Zeit. Wir brauchen (Beifall bei der FDP) eine Forschungspolitik, die zum einen der Wissenschaft Seit Jahren mahnt die EFI Transfer und Ausgründungen ganz klar den Rücken stärkt, die zum anderen nicht in aus dem Wissenschaftssystem an. Doch die Zahl der einem vagen Weiter-so verbleibt, sondern ganz konkrete Hightech-Ausgründungen stagniert seit sieben Jahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30895

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) auf historisch tiefem Niveau. Die Innovationsausgaben Der Bericht zur Hightech-Strategie bleibt uns insge- (C) aller Akteure steigen, ja, der Umsatz mit Innovations- samt eine Umsetzungsperspektive schuldig. So viele produkten jedoch fällt sogar. – Hallo? Ahnung von Volks- Institutionen und Programme auch aufgezählt und wirtschaft? Innovationspolitik in dieser Legislatur? Von geschaffen wurden, der strategische Ansatz versandet da- wegen. Drei Jahre lang haben Sie, Frau Karliczek, die bei, weil vieles gar nicht konsequent verfolgt wird, son- unternehmerische Dynamik eingeschläfert, und das nen- dern in befristeten Projekten angelegt ist. nen Sie dann Hightech-Strategie. Ab Herbst, liebe Frau Ärgerlich ist auch, dass Ergebnisse von Gremien von Karliczek, machen wir uns ran an den Speck. Ihnen ignoriert werden, und zwar von Gremien, die Sie Danke schön. selbst eingesetzt haben. So hat die Datenethikkommis- sion eine dicke Schwarte vorgelegt und uns konkrete (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder Handlungsempfehlungen gegeben. Dazu findet man hier [SPD]: Und ihr traut euch diesmal, oder wie nichts. Umsetzung? Fehlanzeige! geht das aus?) Die Cyberagentur – Herr Sattelberger hat sie gerade Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: erwähnt –, gegründet mit höchst fragwürdigem Konzept in meinem Wahlkreis, in Halle – einige bei uns haben Dr. Petra Sitte, Die Linke, ist die nächste Rednerin. schon feuchte Augen bekommen –, hat ihren Geschäfts- (Beifall bei der LINKEN) führer und andere Mitarbeiter schon verloren. Sie haben entnervt aufgegeben, weil ihnen die ministeriale Mikro- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): steuerung, wie es ausgedrückt wurde, auf den Keks geht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Die Bestimmung von Forschungsbedarfen sollte vorge- Sattelberger, ja, es stimmt: Die Koalition überrascht uns nommen werden. Dafür braucht man Freiräume! So kann immer wieder; das ist so erstaunlich. Die großen Heraus- man die eigenen Ideen natürlich trefflich austrocknen. forderungen unserer Zeit – so einer der Lieblingssätze der Schließlich verlieren Sie selbst den Überblick. Sie Koalition – lassen sich nur mit Innovationen angehen. – beziehen sich in Ihrem Bericht auf die Open-Access-Stra- Was für eine kolossale Feststellung, und das im Rahmen tegie. Und ich denke: Wie? Open-Access-Strategie? dieser Debatte. Sie versprechen damit vor allem – jetzt Noch nie hier gesehen, die gibt es gar nicht. – Das ist wird es ernst –, dass die bestehende Lebensweise fortge- doch extrem peinlich. setzt werden könne. So ist es genau nicht. Meine Damen und Herren, wir haben gestern hier über (Beifall bei der LINKEN) Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft diskutiert, und Sie singen in dem Bericht jetzt das Hohelied auf wert- (B) Wandel kann nicht nur technisch-technologisch ge- (D) meistert werden, er muss auch sozialer Natur sein. volle Fachkräfte. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Es ist notwendig, hier nicht nur ständig zu reden und Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) von schönsten Ferienerlebnissen zu sprechen. Machen ist die Devise! Soziale Sicherungssysteme müssen gestärkt und Verwal- tungen gestaltet werden. Technisch-technologische Inno- Danke. vationen verändern Arbeits- und Lebenswelt massiv. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nehmen sie nur Digitalisierung und künstliche Intelli- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN genz, die mehr und mehr, bisweilen sogar unbemerkt, und des Abg. Mario Brandenburg [Südpfalz] unseren Alltag durchdringen. Daher bedürfen Innovatio- [FDP]) nen heute mehr denn je einer Einbettung in die Gesell- schaft, und vor allem bedürfen sie mehr demokratischer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mitsprache. Frau Kollegin Sitte, die Mund-und-Nasen-Abdeckung (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Mario tragen! Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: I’ll do my very Klar ist: Anwendungen müssen sich an den Bedürfnis- best!) sen der Menschen ausrichten; das fordern wir den High- Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, hat als tech-Strategien ab, seit es sie gibt. Inzwischen finden wir Nächstes das Wort. zwar ein paar warme Worte zu sozialer Innovation und Beteiligung in den Berichten, aber es muss deutlich mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) passieren. Es muss mehr her als Überschriften. Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN): Was mir in dem Zusammenhang wichtig ist: Es geht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht nur darum, um Akzeptanz für technologische Ent- Kollegen! „Deutschland verliert an Erneuerungskraft. wicklungen zu werben. Nein, es geht auch darum, Men- Das liegt vor allem an einer falsch angelegten Innova- schen an strategischen Entscheidungen der Innovations- tionspolitik – die sich hoffentlich nach der Wahl ändert.“ politik stärker zu beteiligen. Dafür wären beispielsweise Das sagen nicht die Grünen, das attestierte Sebastian die bereits erwähnten Empfehlungen des Hightech- Matthes in der letzten Woche im „Handelsblatt“. Er be- Forums allemal gut gewesen. gründet das unter anderem mit der Entwicklung von 30896 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Anna Christmann (A) Patenten in wichtigen Zukunftsfeldern. Die Bertelsmann- Sie wollen eine „Mission Quantencomputer“ zum Erfolg (C) Stiftung hat dargestellt, dass Deutschland 2010 noch in machen, teilen die 2 Milliarden Euro aber auf zwei Res- 47 Kategorien zu den Top drei weltweit gehörte; 2019 sorts auf, damit jeder seine eigene Suppe kochen kann, war das nur noch in 22 Feldern so. statt gemeinsam ressortübergreifend ein erfolgreiches Projekt daraus zu machen. Mit diesem Urteil hätten Sie sich heute kritisch aus- einandersetzen können, Frau Ministerin. Stattdessen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erleben wir auch heute wieder eine Lobhudelei auf die sowie bei Abgeordneten der FDP) Hightech-Strategie, eine in die Jahre gekommene Hoch- Da halte ich es am Ende mit Mariam Lau in der „Zeit“: glanzbroschüre mit vielen Bekenntnissen, aber ohne wirklich messbare Ziele. Genau das ist die benannte Bleibt die Frage, warum die Union, der es in falsch verstandene Innovationspolitik. 16 Regierungsjahren nicht gelungen ist, auch nur für flächendeckenden Netzempfang zu sorgen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) plötzlich die „Mission Quantencomputer“ ... ins Werk setzen können soll. Dabei brauchen wir so dringend eine echte Strategie (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- für die Innovationskraft unseres Landes. Wir brauchen NIS 90/DIE GRÜNEN]) eine Zukunftsstrategie für nachhaltige Innovationen, da- mit Kreislaufwirtschaft, Energiewende und globale Ge- Allen, die sich das auch fragen, machen wir als Grüne ein sundheit durch Forschung und Entwicklung messbar Angebot für einen echten Aufbruch in der Innovations- vorangetrieben werden. Die Hightech-Strategie ist nicht politik. Dass wir es können, zeigen wir in den Ländern. eine solche Strategie. Deswegen muss sie dringend wei- Theresia Bauer war dreimal Wissenschaftsministerin des terentwickelt werden; und das haben wir als Grüne vor. Jahres, Katharina Fegebank einmal. Es wird Zeit, dass diese erfolgreiche Wissenschafts- und Innovationspolitik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch im Bund ankommt. Wir sind dafür bereit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn wir brauchen agile Strukturen, die ressortübergrei- fend wichtige technische und soziale Innovationen voran- treiben, so wie es ja auch das EFI-Gutachten empfiehlt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das können dann Agenturen oder die von EFI genannten Andreas Steier, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Projektsteuerungen sein, die konkrete Missionen voran- (Beifall bei der CDU/CSU) treiben. (B) (D) Als Grüne machen wir in unserem Beschluss zum Andreas Steier (CDU/CSU): Zukunftsland klare Vorschläge: mit einer Zukunftsstrate- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gie, einer Innovationsagentur – D.Innova – und einem Kollegen! Es ist ein gutes Signal, dass die letzte Sitzungs- neuen Ausgründungsstandard, der es einfach macht, woche vor den Sommerferien ganz im Lichte von For- Spin-offs zu gründen, und das nicht mit hohen Lizenz- schung und Innovation steht. Die Coronapandemie hat zahlungen verhindert. uns noch einmal deutlich gezeigt, wie wichtig Forschung und Innovation in Deutschland und die Vernetzung auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – europäischer und internationaler Ebene sind. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Abge- Unser Erfolg: Wir können die wirtschaftlichen und schrieben!) gesellschaftlichen Folgen der Pandemie nur deshalb so Dieser Aufbruch ins Zukunftsland ist nach den letzten gut bewältigen, weil wir früh hier in Deutschland in For- 16 Jahren dringend notwendig. schung und Innovation investiert haben und kluge, schlaue Köpfe, anders als meine Vorredner es gesagt ha- Was hat die Union vor? Ich habe mal ins Wahlpro- ben, hier in Deutschland gebunden haben. gramm geguckt. Da steht: Forschungs-, Innovations- Unser Ziel ist jetzt: Bis 2025 werden wir die jährlichen und Gründerkultur soll ein nie gekannter neuer Stellen- Ausgaben für Forschung und Innovation weiter steigern, wert in der neuen Bundesregierung eingeräumt werden. – von 3,1 auf 3,5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Da kann ich nur sagen: Nach den letzten 16 Jahren ist es Unser Fahrplan ist die Hightech-Strategie 2025 – ressort- kein besonders hoher Anspruch, dem jetzt einen höheren übergreifend und in Missionen gebündelt. Die Strategie Stellenwert einzuräumen. Es stellt sich mir die Frage, zeigt uns den Weg zu internationaler Stärke in Schlüssel- warum Sie die dann folgenden spärlichen Vorhaben nicht technologien wie künstlicher Intelligenz, Quantentechno- längst umgesetzt haben. logie oder Wasserstoff. – Darauf können wir stolz sein. Die Agentur für Sprunginnovationen muss nun schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lange darauf warten, endlich entfesselt zu werden. Aber statt zu handeln, nehmen Sie sich das wortreich für die Drei Eckpunkte sind mir dabei besonders wichtig: nächste Wahlperiode oder irgendwann mal vor. Das hätte Erstens. Innovation ist eine Querschnittsaufgabe. Des- längst passieren müssen. halb gehen wir die großen gesellschaftlichen Herausfor- derungen auch in der Breite an, vom jungen Gründer über (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- den innovativen Mittelständler bis zum industriellen For- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schungsverbund. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30897

Andreas Steier (A) Zweitens. Wir fördern die Entwicklung von Zukunfts- Dr. Wiebke Esdar (SPD): (C) technologien, und wir stärken die digitalen Kompetenzen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Tag der Menschen hier vor Ort. Zum Beispiel geben wir der deutschen Industrie am Dienstag betonte die Bundes- 5 Milliarden Euro für die KI-Strategie bis 2025, zusätz- kanzlerin – ich zitiere –: liche KI-Professuren, 400 Millionen Euro für das Rah- Wir werden in den nächsten Jahren gigantische menprogramm Mikroelektronik und 6,5 Milliarden Euro Summen ausgeben müssen. … Es gibt viele Berei- für den DigitalPakt Schule. che, in denen wir ohne staatliches Geld gar nicht Drittens. Der Transfer von der Grundlagenforschung in mehr in die Vorhand kommen. die Anwendung ist besonders wichtig; denn damit Wis- Und da, meine Damen und Herren, stimme ich ihr zu. Im sen auch wirklich zu Wertschöpfung und damit zu Wohl- Gegensatz zum Wahlprogramm der CDU/CSU brauchen stand führt, braucht es ein starkes lnnovationssystem. wir nämlich mehr Investitionen in Forschung und Inno- Hier setzen wir die richtigen Schritte: Im Rahmen des vation. Zukunftsfonds stehen 10 Milliarden Euro zur Förderung von jungen Start-ups zur Verfügung; das ist gut, gerade in (Beifall bei der SPD) der Wachstumsphase. Die Agentur für Sprunginnovatio- Die Coronakrise hat uns doch ganz deutlich gezeigt, nen und das Programm EXIST sind weitere wichtige wie wichtig es ist, dass der Staat Forschung fördert. Dass Maßnahmen. die Entwicklung von BioNTech, dem ersten Impfstoff, der in Europa zugelassen wurde, in Deutschland stattge- Für mich ist klar: Transfer kann nur dann gelingen, funden hat – mein Kollege Oliver Kaczmarek hat darauf wenn wir wirklich eine entsprechende Kultur in der For- verwiesen –, aber auch die Entwicklung des PCR-Tests schung schaffen, so wie wir sie in dem Pakt für For- ist ja kein Zufallsprodukt. Wir wissen doch – das haben schung und Innovation angelegt haben, wenn wir bereit die letzten Monate gezeigt –, dass wir eine starke Wissen- sind, den Wettbewerb und unternehmerisches Denken zu schaft brauchen, um die Herausforderungen unserer Zeit fördern, und wenn wir Eigeninitiative vor Ort wirklich zu meistern. Die Bewältigung der Klimakrise, die immer belohnen. größer werdende soziale Ungleichheit, die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt: Das sind die riesigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herausforderungen. Zudem beraten wir hier das Forschungsrahmenpro- Wir wissen zudem, dass die Wirtschaftskrise dazu ge- gramm „Digital. Sicher. Souverän.“. Klar ist, Anwendun- führt hat, dass viele Innovationsprojekte in den Unterneh- gen wie künstliche Intelligenz oder Quantentechnologie men momentan stark ins Hintertreffen geraten sind. Im (B) können nur dann gelingen, wenn wir den großen Daten- EFI-Gutachten wurde ein deutlicher Rückgang der Inno- (D) schatz auch nutzen. Wichtig ist dabei natürlich, die rich- vationsausgaben vorhergesagt. Darum wird es darauf an- tige Balance zu finden. Auf der einen Seite brauchen wir kommen, dass wir staatlich an dieser Stelle noch mehr Wertschöpfung mit Daten, auf der anderen Seite müssen unterstützen. Wir können auch ganz deutlich sagen, dass wir aber auch den Schutz der Daten, des Eigentums wir in den letzten Jahren da schon erfolgreich waren. sicherstellen. Hier setzt das neue Programm zur For- In Deutschland haben wir 2020 3,18 Prozent des BIP in schung für eine sichere digitale Welt an, und zwar auf Forschung und Entwicklung bzw. in Innovationen inves- Basis unserer Werte. Bis 2026 stehen mindestens 350 Mil- tiert. Dem Ziel, bis 2025 auf 3,5 Prozent zu kommen, lionen Euro bereit. kommen wir damit also immer näher. Wir haben den Fazit: Wir haben in dieser Legislaturperiode viel er- Zukunftsfonds, wir haben die Agentur für Sprunginnova- reicht. Mit den Lehren aus der Pandemie können wir tionen. Wir haben die Mitarbeiterbeteiligung bei Start- mit neuem Mut auch in die Zukunft, in die Forschungs- ups vervierfacht, wir haben eine steuerliche Forschungs- politik investieren. Innovationen entstehen dann am bes- förderung in dieser Legislatur beschlossen. Wir wollen ten, wenn wir genügend Freiräume für unsere Forscher ein starker Wissenschafts- und Innovationsstandort blei- hier vor Ort schaffen, wenn der Staat das Engagement ben. Dafür brauchen wir einen klaren Finanzierungsplan insbesondere der innovativen Köpfe fördert und wenn und eine sozial gerechte Steuerpolitik. wir viele schlaue Köpfe hier in Deutschland finden kön- Die Antwort kann also nicht sein, generelle Steuersen- nen. Da sind wir auf einem guten Weg. Wir von der CDU/ kungen zu versprechen. Wir wollen kleine und mittlere CSU werden uns auch in der nächsten Legislaturperiode Einkommen entlasten, um die Binnennachfrage und die weiterhin für unsere Forschungs- und Innovationspolitik Kaufkraft zu stärken. Aber bei den oberen 10 Prozent der in Deutschland einsetzen. Einkommen, bei den Millionenerbschaften, bei besonde- ren Vermögen wollen wir nicht nur, sondern da muss der Vielen Dank. Staat die Steuern erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Thomas ordneten der SPD) Sattelberger [FDP]: Ihr könnt ja auch so gut Wirtschaft!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Präsident, meine Damen und Herren, für die Men- Dr. Wiebke Esdar, SPD, ist die nächste Rednerin. schen in Bielefeld und Werther, in Deutschland, in Euro- pa, in der ganzen Welt wird es jetzt darauf ankommen, (Beifall bei der SPD) dass wir nicht nur die Kosten dieser Coronakrise fair ver- 30898 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Wiebke Esdar (A) teilen, sondern auch, dass wir aus dieser Krise heraus- ziert. Bis 2050 möchte das Unternehmen klimaneutral (C) kommen, indem wir sozialen und technologischen Fort- sein. Mit der Technologie des Grünen Wasserstoffs ist schritt möglich machen. Das muss immer konkret sein: das denkbar und auch machbar. beim Klimaschutz, beim sozialen Zusammenhalt, aber Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU und CSU ha- auch bei der Digitalisierung der Arbeitswelt. Darauf ben in den vergangenen 16 Jahren zahlreiche Maßnah- wird es in den nächsten Monaten ankommen. Dabei men auf den Weg gebracht, um Technologien, Innovatio- kann uns die Hightech-Strategie helfen. nen und Hightech zu fördern. Ich sage und verspreche Herzlichen Dank. auch: Wir unterstützen unsere Industrie weiter auf dem (Beifall bei der SPD) Weg zur klimaneutralen Industrie. Während andere näm- lich vom Klimaschutz reden, haben wir seit Jahren gehandelt, und wir werden dies auch weiter tun. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der (Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/CSU. Liebe Kolleginnen und Kollegen – Herr Präsident, ich (Beifall bei der CDU/CSU) komme zum Schluss –, wir wollen und werden weiter dafür sorgen, dass das Leben der Menschen durch Inno- vation und Technik Tag für Tag und Stück für Stück Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): besser und einfacher wird. Dafür standen wir die letzten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Jahre, und dafür stehen wir auch in der Zukunft. Kollegen! Wir erleben derzeit einige gesellschaftliche Umbrüche und rasante technologische Entwicklungen. Vielen Dank und alles Gute. Mit unserer Hightech-Strategie begleiten wir diese (Beifall bei der CDU/CSU) Umbrüche und Entwicklungen. Dabei haben wir unter anderem die Bereiche Gesundheit und Pflege, Nachhal- tigkeit, Klimaschutz und Energie, Mobilität, Stadt und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Land, Sicherheit, Wirtschaft, Arbeit 4.0 im Blick. Damit schließe ich die Aussprache. Ja, es sind zum Teil große Veränderungen. Die Ver- Tagesordnungspunkt 35 a bis 35 c. Interfraktionell änderungen – das merken wir alle – betreffen alle Lebens- wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen bereiche. Veränderungen hat es immer gegeben. Ich 19/30780, 19/30785 und 19/30736 an die in der Tages- meine, es lohnt, wenn wir uns mal stichpunktartig die ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Industriegeschichte unseres Landes vor Augen führen: weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der (B) Marshallplan, Wirtschaftswunder, Vollbeschäftigung, Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (D) Exportweltmeister – symbolträchtige Begriffe, die un- trennbar verbunden sind mit der Union, aber auch mit Tagesordnungspunkt 35 d. Wir kommen zur Abstim- einer Reihe von anderen Begriffen wie Pioniergeist, mung über den Antrag der Fraktion der FDP auf der Ideenreichtum, Zuversicht und Mut. Ich bin davon über- Drucksache 19/30884 mit dem Titel „Anstoß zur Einfüh- zeugt, dass es uns auch heute daran nicht mangelt. Es rung einer Neuheitsschonfrist im europäischen und deut- bleibt richtig, lieber Herr Sattelberger, dass Deutschland schen Patentrecht“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die zu den innovativsten Ländern der Erde gehört. Was Sie FDP, die AfD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. nämlich gerade nicht erwähnt haben, ist, dass auch laut Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Der dem aktuellen Bericht 2021 Deutschland in Sachen High- Antrag ist mit den genannten Mehrheiten abgelehnt. tech unter den besten drei Ländern der Welt ist. Tagesordnungspunkt 35 e. Abstimmung über den An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- trag der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/27434 neten der SPD – Dr. h. c. Thomas Sattelberger mit dem Titel „Biotechnologie – Standort Deutschland [FDP]: Sie haben falsch zitiert!) stärken – Rahmenbedingungen für Forschung und Ent- wicklung von Antiinfektiva und Impfstoffen deutlich ver- Es gibt viele innovative Unternehmer und herausra- bessern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die FDP. Wer gende Forscher, Ingenieure und Entwickler in unserem stimmt dagegen? – Die Koalition. Wer enthält sich? – Land. Politik kann keine Innovation verordnen, aber sie Dann ist der Antrag gegen die Stimmen der FDP bei kann günstige Rahmenbedingungen schaffen. Wir för- Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen dern daher mit zahlreichen und zielgerichteten Program- der übrigen Fraktionen abgelehnt. men die Innovationskraft und die Technologieoffenheit unseres Landes. ( [DIE LINKE]: Dagegen stimmen die Linken!) Wir von der Union sind davon überzeugt, dass wir die Herausforderungen unserer Zeit nur mit Innovationen – Sie haben dafürgestimmt? – und mit Technologieoffenheit lösen können. Schauen (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Dagegen!) wir uns ein Beispiel aus der Industrie an: Eine Firma, die hierzulande jeder kennt – thyssenkrupp – hat im – Das habe ich doch gesagt. Sie haben gegen den Antrag Jahr 2019 23 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen; das gestimmt. Also ist mit Ihren Stimmen und den Stimmen ist mehr, als Berlin im gleichen Zeitraum ausgestoßen des übrigen Hauses der Antrag abgelehnt. Entschuldi- hat. Nun werden diese Emissionen bei thyssenkrupp gung, tut mir leid, manchmal mache ich auch was rich- dank neuer Technologien bis 2030 um 30 Prozent redu- tig. – Danke. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30899

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Tagesordnungspunkt 35 f. Abstimmung über die Be- Tagesordnungspunkt 35 k. Abstimmung über den An- (C) schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- trag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/30968 mit schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag dem Titel „Digitalpolitik ernst nehmen – Digitalisierung der Fraktion der FDP mit dem Titel „Technologische in Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft professionell Mündigkeit gewährleisten – Rahmenbedingungen für umsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die AfD. KI-Anwendungen verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt Wer stimmt dagegen? – Das übrige Haus. – Keine Ent- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/31047 haltungen. Der Antrag ist abgelehnt. , den Antrag der Fraktion der FDP auf der Drucksache Habe ich einen Tagesordnungspunkt übergangen? – 19/28430 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Nach „k“ kommt ja bekanntlich im Alphabet der Buch- empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, Die Linke, stabe „j“. Bündnis 90/Die Grünen und die AfD. Wer stimmt dage- gen? – Die FDP. Gibt es Enthaltungen? – Dann ist die (Heiterkeit) Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP ange- Tagesordnungspunkt 35 j. Abstimmung über den An- nommen. trag der Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/30967 mit dem Titel „Digitalpolitik ernst nehmen – Datenpolitik Tagesordnungspunkt 35 g. Abstimmung über die der Bundesregierung ambitionieren und internationale Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- Monopolunternehmen beschränken“. Wer stimmt für schung und Technikfolgenabschätzung auf der Druck- den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – sache 19/26523. Unter Buchstabe a seiner Beschluss- Keine. Der Antrag ist gegen die Stimmen der AfD mit empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. des Antrags der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/14742 mit dem Titel „Nationale Bioökonomiestrate- Tagesordnungspunkt 35 l. Abstimmung über den An- gie der Bundesregierung SMART gestalten“. Wer stimmt trag der Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/30969 für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- mit dem Titel „Digitalpolitik ernst nehmen – Strukturelle gen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- und strategische Neuausrichtung für mehr politische und lung ist gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen inhaltliche Verantwortlichkeit“. Wer stimmt für diesen des übrigen Hauses angenommen. Antrag? – Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Ent- haltungen. Dann ist der Antrag gegen die Stimmen der Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c tion der FDP auf der Drucksache 19/19882 mit dem Titel auf: (B) „Von der Biologie zur Innovation – Von der Innovation a) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) zum Produkt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Albrecht Glaser, Franziska Gminder, Kay lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Gottschalk, weiterer Abgeordneter und der Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP mit Fraktion der AfD den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Keine Gemeinnützigkeit für politische Tagesordnungspunkt 35 h. Abstimmung über die Be- Agitation schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- Drucksache 19/30970 schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Star- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des ke Forschung für gute Gesundheit – In der Pandemie und Berichts des Ausschusses für Inneres und darüber hinaus“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der schlussempfehlung auf Drucksache 19/31124, den An- Abgeordneten Jens Maier, Tobias Matthias trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Druck- Peterka, Marc Bernhard, weiterer Abgeord- sache 19/27552 abzulehnen. Wer stimmt für diese neter und der Fraktion der AfD Beschlussempfehlung? – Koalitionsfraktionen, FDP, Demokratie erhalten – Bundesweites Ver- AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke, Bündnis 90/ bot der Antifa prüfen Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Drucksachen 19/20074, 19/25162 Tagesordnungspunkt 35 i. Abstimmung über die Be- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- Berichts des Ausschusses für Inneres und schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der der Fraktion der AfD mit dem Titel „Förderung der au- Abgeordneten Martin Hess, Roman Johannes tomatischen Erkennung KI-manipulierter Fotos und Reusch, Dr. , weiterer Abge- Videos“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- ordneter und der Fraktion der AfD empfehlung auf der Drucksache 19/31026, den Antrag Linksextremistische Brandanschläge und der Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/27848 ab- Gewaltexzesse am 1. Mai stoppen – Effek- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – tivität der Terrorbekämpfung optimieren Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Keine. Dann ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen Drucksachen 19/29293, 19/31062 der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten men. beschlossen. – Bitte nehmen Sie wieder Platz. 30900 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem auf einen konkreten Zweck bezogen erhält. Denn die (C) Kollegen Albrecht Glaser, AfD. unmittelbare Zweckverfolgung ist Voraussetzung zur (Beifall bei der AfD) Erlangung des Status der gemeinnützigen Organisation. Angesichts einer durch ein Bundesobergericht geklär- Albrecht Glaser (AfD): ten Rechtslage konnte man erwarten, dass nunmehr bun- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- desweit die Finanzämter ihre Gemeinnützigkeitsfälle da- ren! Fußball-Deutschland erlebte beim Spiel der Natio- rauf überprüfen – insbesondere auch durch tatsächliche nalmannschaft gegen Frankreich eine Schrecksekunde, Nachschau –, ob sich darunter vergleichbare Organisatio- als ein Paraglider bei seinem Demonstrationsflug beinahe nen befinden, die zu Unrecht Steuerbegünstigungen eine Katastrophe ausgelöst hätte. Dieser Vorgang ist nach erhalten, zumal diese Privilegien gewaltig sind: keine geltender Rechtslage Ausfluss einer gemeinnützigen Körperschaftsteuer, keine Grundsteuer, keine Erbschaft- Betätigung von Greenpeace. und Schenkungsteuer, eine ermäßigte Umsatzsteuer. Eben die Frage, was eigentlich gemeinnützig im Sinne Zudem haben gemeinnützig anerkannte Organisatio- des Steuerrechtes sein könne, hatte die Steuerverwaltung nen die Berechtigung zur Erteilung von Spendenbeschei- auch im Falle von Attac zu entscheiden. Das politische nigungen an natürliche Personen und Unternehmen. Bei- Netzwerk Attac entstand in Deutschland mit einer de Gruppen können jährlich bis zu 20 Prozent ihrer „Erklärung für eine demokratische Kontrolle der Finanz- Einkünfte bzw. Gewinne solchen Organisationen zuwen- märkte“. Diese Resolution wurde von verschiedenen den und solche Beiträge und Spenden von ihrer steuer- linksgerichteten Organisationen und von Politikern von lichen Bemessungsgrundlage abziehen. Bündnis 90/Die Grünen und der SPD unterzeichnet. Bei so viel Subventionen blüht der Missbrauch. Nach den Feststellungen des Hessischen Finanzge- (Beifall bei der AfD) richts betätigte sich Attac wie folgt: Der Verein „erhob konkrete steuerpolitische Forderungen zur Einnahmever- Daher kann man dann motorisierte Paraglider zum Ein- besserung des Gesamtstaats, übte Kritik an dem Geset- satz bringen, Demonstrationen veranstalten mit Groß- zesvorschlag der Bundesregierung, wandte sich mit gerät zur Lärmerzeugung und Reisekostenerstattung für einem Online-Appell an Bundeskanzler/in und Bundes- die Teilnehmer, Flugblätter drucken, Werbeauftritte minister/innen …, veranstaltete Unterschriftensammlun- finanzieren, Geschäftsführergehälter in gemeinnützigen gen und forderte ‚die Politikʼ auf, Beteiligungsgesell- Organisationen zahlen in Höhe von Vergütungen, die schaften wie Investmentfonds nicht mehr steuerlich zu für Bundestagsabgeordnete gezahlt werden usw. usw. begünstigen“, und forderte, staatliche politische Projekte Ein gewisser Transfer von Abgeordneten zu solchen (B) „der demokratischen Kontrolle der Öffentlichkeit zu Geschäftsmodellen ist nicht zu übersehen. Mit solchen (D) unterwerfen“. – Zitat Ende. Steuersubventionen wird eine ganze Kulisse sogenannter zivilgesellschaftlicher Organisationen errichtet, die dann (Michael Schrodi [SPD]: Sehr gute Forderun- schlechter Politik direktdemokratische Legitimation ver- gen!) leihen sollen. Zutreffend musste dann auch der BFH 2019 zu dem (Beifall bei der AfD) Schluss kommen, dass es bei den von Attac betriebenen inhaltlichen Kampagnen nicht um die Vermittlung von Dies alles ist wohl der Grund, weshalb der Bundesfi- Bildungsinhalten ging, sondern um eine – Zitat – „öffent- nanzminister mit den Länderfinanzministern eine Art lichkeitswirksame Darstellung und Durchsetzung eigener Nichtanwendungserlass bis Ende 2021 vereinbart hat. Vorstellungen zu tagespolitischen Themen und damit um Das ist ein Skandal und eine Aushebelung der Rechtspre- die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und chung, meine Damen und Herren. auf die öffentliche Meinung“. (Beifall bei der AfD) In seiner zweiten Entscheidung im Rahmen der Revi- Seine Absicht war dabei wohl, in dieser Legislaturperio- sion am 10. Dezember 2020 wurde der BFH dann noch de die Missbräuche von Greenpeace, Attac und Co ge- deutlicher: „Die Einflussnahme auf die politische Wil- setzgeberisch zu legalisieren. Das ist glücklicherweise lensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung bis heute nicht gelungen. ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck i. S. von § 52 AO.“ Und: Der Kläger könne das BFH-Urteil „nicht Wir beantragen daher, der bestehenden Rechtslage durch sein Begriffsverständnis von politischer Bildung in schnellstens Geltung zu verschaffen und zusätzlich den Frage stellen“. – Zitat Ende. Katalog der Förderungszwecke in § 52 Abgabenordnung zu durchforsten. Er enthält Gummiklauseln wie zum Bei- § 57 Absatz 2 Abgabenordnung erlaubt derzeit den spiel in Ziffer 25 – ich zitiere – „die Förderung des bür- Zusammenschluss steuerbegünstigter Körperschaften zu gerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger, einer Art steuerbegünstigter Konzernkörperschaft. Zu- mildtätiger und kirchlicher Zwecke“. dem ist es nach § 58 Abgabenordnung steuerbegünstigten Körperschaften erlaubt, eigene steuerbegünstigte Einnah- Hier ist dringend gesetzgeberische Klarstellung erfor- men an andere steuerbegünstigte Körperschaften weiter- derlich. zuleiten. Dabei stellt sich die Frage, ob dies vereinbar ist Auch erschlichene oder missbräuchliche Gemeinnüt- mit dem Prinzip der Unmittelbarkeit der Verfolgung zigkeit, meine Damen und Herren, ist Steuerhinterzie- steuerbegünstigter Zwecke durch eine Körperschaft, die hung, auch und gerade wenn sie durch linke Kampforga- von Mitgliedern und Spendern konkrete Zuwendungen nisationen begangen wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30901

Albrecht Glaser (A) Herzlichen Dank. rung bisher vermissen lassen. Das werden wir dann viel- (C) (Beifall bei der AfD) leicht in der nächsten Legislaturperiode angehen. Meiner Fraktion war es aber wichtig, dass wir trotz der Nichtvor- lage des Gesetzentwurfs zum Gemeinnützigkeitsrecht die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wesentlichen Entlastungen und die steuerlichen Aspekte Nächster Redner ist der Kollege , für die ehrenamtlich Tätigen und die Vereine und Orga- CDU/CSU. nisationen noch in dieser Legislaturperiode verabschie- (Beifall bei der CDU/CSU) den können. Deswegen haben wir diese wichtigen Punkte in das Jahressteuergesetz 2020 aufgenommen. Dem konnten Sie, Herr Glaser, als Fraktion leider nicht zustim- Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): men; Sie haben sich kraftvoll enthalten. Da hätten Sie mal Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zustimmen können, da hätten Sie etwas Gutes tun kön- Kollegen! Zum Abschluss und am letzten Tag der regulär nen. letzten Sitzungswoche in dieser vierjährigen Legislatur- periode beschäftigen wir uns heute im Deutschen Bun- Wir haben trotzdem eine Mehrheit dafür bekommen. destag noch einmal mit dem Gemeinnützigkeitsrecht. Wir konnten zum Beispiel die Ehrenamtspauschale von Ich gebe zu: Wenn es nach mir gehen würde, würden 720 auf 840 Euro erhöhen. Wir konnten die Übungs- wir uns hier häufiger über die ehrenamtlich Tätigen in leiterpauschale von 2 400 Euro auf 3 000 Euro erhöhen. unserem Land unterhalten, über die gemeinnützigen Damit setzen wir wichtige Forderungen der Ehrenamt- Organisationen, über diejenigen, die unser Leben und lichen um. Wir haben den Zuwendungsnachweis verein- unser Vereinsleben am Laufen halten und die in sozialen facht. Das heißt, für Spenden bis 300 Euro müssen die Organisationen tätig sind. Fast 600 000 Organisationen Ehrenamtlichen keine Spendenquittungen mehr aus- gibt es, in denen jeder zweite Bundesbürger engagiert stellen, sondern es reicht der Einzahlungsbeleg. Für ist. Sie sehen: Das Gemeinnützigkeitsrecht betrifft kleine Vereine, die Einnahmen von höchstens eigentlich jeden; deswegen hat es das Recht verdient, 45 000 Euro im Jahr haben, haben wir die zeitnahe Mit- hier viel häufiger diskutiert zu werden. telverwendung abgeschafft. Ebenso haben wir den Frei- betrag bei wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben von Selbstkritisch müssen wir als Große Koalition feststel- 35 000 auf 45 000 Euro im Jahr erhöht. len, dass der Herr Bundesfinanzminister Olaf Scholz den mehrfach angekündigten Gesetzentwurf zur Reform des Wir werden in der nächsten Wahlperiode – dann viel- Gemeinnützigkeitsrechtes bis heute nicht vorgelegt hat. leicht mit einer anderen Farbe im Finanzministerium – In der Tat, Herr Glaser, hat uns der Bundesfinanzminister weitermachen. Dazu lade ich schon heute alle ein. Wir (B) bereits 2019 im Deutschen Bundestag mitgeteilt, dass können die Regelungen gemeinsam verabschieden. Wir (D) noch in dieser Legislaturperiode ein solcher Gesetzent- können die Haftungsrisiken für ehrenamtlich tätige Vor- wurf auf den Weg gebracht wird. Darin soll dann auch standsmitglieder weiter beschränken. Das ist dringend über die Frage entschieden werden, wie die politische notwendig; denn es ist ja schon fast verrückt, dass Ver- Betätigung von gemeinnützigen Vereinen steuerlich eine keine Vorsitzenden mehr bekommen – nicht weil behandelt werden soll. sich niemand mehr engagieren möchte, sondern weil nie- mand mit einem Fuß im Gefängnis stehen möchten für Dieser Gesetzentwurf fehlt bis heute. Wir haben uns seine ehrenamtliche Tätigkeit. Das können wir in der aber des Öfteren schon darüber unterhalten, zum Beispiel nächsten Wahlperiode ändern. auch über die Deutsche Umwelthilfe. Es gab Kollegen, die der Auffassung waren, dass die Deutsche Umwelt- Wir können auch die bürokratischen Vorschriften bei hilfe überhaupt gar keine gemeinnützige Organisation den Aufzeichnungspflichten des Mindestlohns für Sport- ist, sondern ein politisch aktiver Abmahnverein mit vereine streichen. Wir können über höhere Freibeträge 350 Mitgliedern, aber 100 gut bezahlten Mitarbeitern, weiterdiskutieren. Wir können die Feuerwehren, die die allein durch Abmahnungen mehr als 2 Millionen Hilfsorganisationen und die Mitarbeiter des THWs deut- Euro im Jahr einnehmen. Da ist die Frage schon berech- lich besserstellen. Wir können generell dafür sorgen, dass tigt, ob es sich hier noch um eine gemeinnützige Organi- in unserem Land ehrenamtlich Tätige mehr Beachtung sation handelt, der wir zusätzliche steuerliche Privilegien finden, dass wir ihnen einen höheren Stellenwert beimes- geben sollten. sen, dass wir ihnen mit mehr Respekt begegnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Es wäre gut, wenn wir als Parlament das alles in der Ich bin der Auffassung: eher nicht. Ich bin auch der festen nächsten Legislaturperiode mit einer Regierung, die dies Überzeugung, dass Vereine und Organisationen, wenn sie umsetzen möchte, gemeinsam umsetzen können. Ich sich politisch betätigen, den gleichen Veröffentlichungs- bedanke mich. pflichten und Offenlegungspflichten wie Parteien unter- In dieser Legislaturperiode haben wir viel fürs Ehren- liegen sollten; denn sonst verlagern wir die Situation. Das amt getan. Es wäre noch etwas mehr möglich gewesen. müssen wir mal klarstellen. Wir werden leider Ihre Anträge ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Albrecht Glaser [AfD]) Herzlichen Dank. Bei der Bestimmung, wann es sich um politische Be- (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Schrodi tätigung von gemeinnützigen Vereinen handelt, hat der [SPD]: „Leider“? – Marianne Schieder [SPD]: Bundesfinanzminister die erhoffte und notwendige Klä- Gott sei Dank!) 30902 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei (C) Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Ihnen, FDP. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – [AfD]: Tolle (Beifall bei der FDP) Rede! Danke!)

Ulla Ihnen (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen, die letzte reguläre Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzungswoche geht zu Ende, und dies ist meine letzte AfD hat einen Antrag zum Thema Gemeinnützigkeit vor- Rede im Deutschen Bundestag. gelegt. Was die vielen Millionen von Menschen leisten, die sich hierzulande in Vereinen und Verbänden ehren- (Stephan Brandner [AfD]: Geht noch weiter, amtlich engagieren, ist von unschätzbarem Wert – ange- oder was?) fangen bei den Tafeln über den Sport bis hin zum Einsatz Ich bin stolz und dankbar, dass ich eine der 709 Abgeord- für den Erhalt einer 280 Jahre alten Windmühle. neten sein durfte. Wir alle haben eine ereignisreiche (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Albrecht Wahlperiode hinter uns, und das trifft auch und vielleicht Glaser [AfD]) besonders auf uns Haushälter zu. Als Mitglied des Haus- Es gibt also gute Gründe, weshalb gemeinnützige haltsausschusses habe ich parteiübergreifende, konstruk- Tätigkeiten und Spenden dafür steuerlich begünstigt wer- tive und sehr kollegiale Zusammenarbeit erlebt. Ich will den. Und es gibt gute Gründe, warum die Hürden für eine mich daher bei allen Kolleginnen und Kollegen im Haus- rückwirkende Aberkennung der Gemeinnützigkeit hoch haltsausschuss und im Rechnungsprüfungsausschuss, be- sind. Eine pauschale, überhastete Aberkennung darf es sonders bei meinen Co-Berichterstattern und den Obleu- nicht geben. Jeder Einzelfall muss durch die Finanzver- ten, von Herzen dafür bedanken. Allen Mitgliedern waltung sorgfältig geprüft werden. Dem steht das Urteil meiner Fraktion danke ich für das tolle Miteinander. des Bundesfinanzhofs ja auch nicht entgegen. Mein besonderer Dank gilt , Frank Schäffler und Christian Dürr, die ich hier stellvertretend für unsere Der informelle Nichtanwendungserlass ist eine reine AG Haushalt und meinen Arbeitskreis nenne, für die stets Erfindung der AfD. herzliche Atmosphäre, die oft auch launig war, und dafür, (Zuruf des Abg. Michael Schrodi [SPD] – dass ich diese Rede heute noch halten konnte. Zuruf von der AfD: Was?) Obwohl wir Freien Demokraten eine Fraktion von Den Rechtsbegriff gibt es nicht, und einen Beleg dafür 80 Individualisten sind, sind wir doch ein echtes Team bleiben Sie uns ja auch noch schuldig. gewesen in diesen Jahren. Ich werde unsere Landesgrup- pe Nord vermissen ebenso wie die Kolleginnen und Kol- (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) der SPD) legen vom Schriftführerdienst, den ich immer gern geleistet habe. Und mein Dank geht auch an all die guten Sie versuchen mit Ihrem Antrag, als Legislative völlig Geister, besonders an meine eigenen Mitarbeiter, die hin- grundlos direkt in die Exekutive einzugreifen. Das höhlt ter den Kulissen immer dafür sorgen, dass der Parla- unser Rechtsstaatsprinzip aus, mentsbetrieb reibungslos läuft. Und von dieser Stelle (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der grüßen möchte ich ausnahmsweise meine 95-jährige SPD) Mutter und meine Familie. und unsere Gewaltenteilung wird durch so was beschä- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, digt. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Der Antrag der AfD zeigt: Ihnen geht es nicht um eine GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) maßvolle und differenzierte Umsetzung des Urteils des Bundesfinanzhofs. Ihnen geht es lediglich darum, dieser Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele schwere Partei missliebige Organisationen, die nicht auf Ihrer Herausforderungen stehen dem kommenden Deutschen Linie sind, empfindlich zu treffen. Bundestag bevor; nie gab es mehr zu tun. Mein Herzens- wunsch ist, an diesem Rednerpult auch in Zukunft immer Stimmen zu hören, die sich für eine liberale Politik ein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: setzen. Es war mir eine Ehre! Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glaser? Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Ulla Ihnen (FDP): der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Nein, dies ist meine letzte Rede, und da möchte ich von GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) der AfD eher nicht gestört werden.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Kollegin Ihnen, ich danke Ihnen für Ihren Dienst Aus Ihrem Antrag, insbesondere der Begründung an der parlamentarischen Demokratie als Mitglied dieses spricht ja der blanke Neid – wenn ich das so sagen darf –, Hauses. Wir wünschen Ihnen für Ihren neuen Lebensab- dass von Parteien mehr Transparenz verlangt wird als von schnitt alles Gute. gemeinnützigen Organisationen. Ihr Antrag ist schlicht überflüssig, und wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab. (Beifall) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30903

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Jetzt erteile ich das Wort – wahrscheinlich sind Sie (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (C) noch gar nicht entlassen – zu einer Zwischenbemerkung Vor allem ist Ihr Antrag von der AfD ein Angriff auf dem Kollegen Albrecht Glaser, AfD. die Zivilgesellschaft,

Albrecht Glaser (AfD): (Widerspruch bei der AfD) Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Frau Kol- eine Attacke auf diejenigen, die nicht in Ihr reaktionäres legin Ihnen, Sie haben behauptet, es gebe keinen infor- Weltbild passen, letztlich ein Angriff auf unsere plurale, mellen Nichtanwendungserlass. Das ist natürlich richtig, liberale Demokratie; denn die braucht neben demokrati- weil das kein Terminus technicus ist; deshalb steht es in schen Parteien auch eine starke Zivilgesellschaft. Wir meinem Manuskript auch in Anführungszeichen. Aber wollen diese starke Zivilgesellschaft! worum es geht, ist, dass das, was man sonst in einem formalen Nichtanwendungserlass regelt, der dann auch Anlass für Ihren Antrag ist das Urteil des Bundesfi- im Bundessteuerblatt II verkündet wird, hier gewisser- nanzhofs zur Organisation Attac vom 10. Januar 2019, maßen im Dunkeln geregelt worden ist. Davon sprach in dem festgehalten wurde, dass gemeinnützige Körper- ich. Belege gibt es, weil uns dazu Auskünfte von Finanz- schaften über den Zweck der Volksbildung kein allge- ministern in Landtagen vorliegen, die uns von der Ver- meinpolitisches Mandat haben. Attac wurde dementspre- einbarung des Bundesfinanzministers mit allen Länder- chend die Gemeinnützigkeit entzogen; das ist bis heute finanzministern berichten. so. Übrigens, wir halten das Urteil insofern für wichtig, da klargestellt wird, dass es, was das allgemeinpolitische ( [Heidelberg] [SPD]: Das ist Mandat betrifft, eine klare Trennung zwischen Parteien, doch nicht im Dunkeln!) ihrem Verfassungsauftrag und gemeinnützigen Organi- Ergo ist das genauso gedealt, wie ich das Ihnen vorge- sationen gibt. Ihre Behauptung, das Bundesfinanz- tragen habe, und deshalb verwahre ich mich gegen den ministerium habe über einen sogenannten Nichtan- Vorwurf. wendungserlass eine Nichtanwendung dieses Urteils auf vergleichbare Organisationen beschlossen, wird allein Lieber Herr von Stetten, wenn ich das noch etwas durch die Tatsache widerlegt, dass der Organisation Cam- schlitzohrig nachtragen darf: Das Jahressteuergesetz ent- pact im Oktober 2019 aus dem gleichen Grund wie Attac hält natürlich viele Punkte. Den Detailentscheidungen die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Das will ich jetzt zum Ehrenamt haben wir genauso zugestimmt, wie Sie nicht politisch bewerten; aber das ist geschehen. das vorgetragen haben. Aber das Gesamtpaket, das Jah- ressteuergesetz, ist von uns abgelehnt worden. Diese Dif- Was Sie zudem mit Ihrem Antrag verschweigen, ist, ferenzierung wollen Sie bitte machen. Wir stehen in der dass der Fall Attac und der Fall Campact sehr speziell (B) Sache, was die Entscheidungen zur Regelung der echten sind. Es sind zwei Sonderfälle mit der Konstruktion: För- (D) ehrenamtlichen Tätigkeit betrifft, vollends an Ihrer Seite. derung der Volksbildung und kein allgemeinpolitisches Mandat. Die große, überwiegende Mehrheit der gemein- Herzlichen Dank. nützigen Organisationen sind davon überhaupt nicht (Beifall bei der AfD) betroffen. Sie suggerieren aber genau das Gegenteil. Das machen Sie auch bewusst, allein schon mit dem Titel Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: „Keine Gemeinnützigkeit für politische Agitation“. Sie meinen damit all die gemeinnützigen Organisationen, Frau Kollegin Ihnen, Sie können, wenn Sie wollen, die Ihnen missfallen. Sie wollen die Zivilgesellschaft ver- antworten. unsichern, damit sie sich nicht einmischt, obwohl sie das (Ulla Ihnen [FDP]: Nein!) darf. Das verurteilen wir aufs Schärfste, meine sehr Dann hat als nächster Redner das Wort der Kollege geehrten Damen und Herren. Michael Schrodi, SPD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Niema (Beifall bei der SPD) Movassat [DIE LINKE]) Denn der Bundesfinanzhof hat ganz klar festgestellt: Michael Schrodi (SPD): Zur Verfolgung und Verwirklichung der gemeinnützigen Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Zwecke ist die Einflussnahme auf die politische Willens- men und Herren! Die Anträge der AfD sind mal wieder bildung selbstverständlich erlaubt – das lassen Sie be- typisch für diese Fraktion. Es paaren sich gefährliches wusst in Ihrer Rede weg – und sogar auch notwendig. Halbwissen, bewusste Verdrehungen und auch Verhet- Um zu verdeutlichen, was das heißt: Die Arbeiterwohl- zungen. Ich beziehe und konzentriere mich auf den An- fahrt ist eine gemeinnützige Körperschaft, ein Wohl- trag zur Gemeinnützigkeit und möchte eines vorausschi- fahrtsverband, und mischt sich natürlich in sozial- und cken: Ich bin froh, dass die Vereinigung der Verfolgten gesellschaftspolitische Fachdiskussionen ein, zum Bei- des Naziregimes weiterhin gemeinnützig ist. spiel mit der Forderung zur steuerlichen Umverteilung bei Vermögens- und Einkommensungleichheit. Sehr gut (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem finde ich das. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungsarbeit, aber auch ein wichtiger Bestandteil im Einsatz für Demo- Die Caritas tut das auch, zum Beispiel 2019 mit der kratie und im Kampf gegen rechte Hetze, die auch in großen Kampagne „Sozial braucht digital“, und stellt diesem Haus, hier auf der rechten Seite, verbreitet wird. sozialpolitische Forderungen auf. 30904 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Michael Schrodi (A) Das alles ist Teil einer pluralen, offenen Demokratie Wenig überraschend hingegen ist, dass AfD, FDP und (C) und Gesellschaft. Sie aber nennen dieses Engagement auch CDU/CSU mit manchen gemeinnützigen Organisa- parteipolitisch geprägte Agitation. tionen und Lobbyorganisationen kein Problem haben, zum Beispiel „Stiftung Familienunternehmen“, die mit (Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie was zur aggressiven Kampagnen die Interessen der Vermögenden Arbeiterwohlfahrt!) vertreten. Das diskreditiert die Arbeit von Hunderttausenden (Dr. Florian Toncar [FDP]: Die halten sich an Ehrenamtlichen, die sich für unsere Gesellschaft engagie- die Gesetze!) ren, und das ist unerhört, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das scheint politisch opportun zu sein. Wir Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten sagen ganz klar: Eine (Beifall bei der SPD) liberale Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft, Eines sei Ihnen auch noch gesagt – das müssen wir die sich einmischt, auch wenn es einmal nicht passt. Auch klarstellen, und ich sage es hier deutlich –: Auch Fußball- uns passen manche Dinge nicht, die uns vorgeworfen vereine zum Beispiel, die großartige Integrationsarbeit werden. leisten, dürfen sich zu einer Demo gegen Rassismus (Dr. Florian Toncar [FDP]: Es geht um äußern, respektive dürfen dazu aufrufen, sie dürfen Rechtstreue!) auch zu einer Demo gegen die Diskriminierung Homo- sexueller aufrufen. Das verhindert weder die UEFA noch Das müssen wir aushalten. Wir werden mit Olaf Scholz die AfD, meine sehr geehrten Damen und Herren. deshalb das Gemeinnützigkeitsrecht auch in der nächsten Legislaturperiode in dem Sinne stärken, dass wir die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Niema Zivilgesellschaft stärken. Movassat [DIE LINKE]) Und wenn Sie von der AfD nach Finanzskandalen Leider, Herr von Stetten, haben Sie eines nicht ganz suchen – Sie finden Sie in Ihrem Laden: richtig gesagt: Wir haben im Gemeinnützigkeitsrecht einiges auf den Weg gebracht. Wir wollten noch mehr. (Stephan Brandner [AfD]: In der CDU finden Wir wollten auch klarstellen, dass es unschädlich ist, dass wir die!) sich genau solche Organisationen auch politisch einmi- verdeckte Geldflüsse der Milliardäre Flick, Kohle aus der schen und ihre Meinung sagen; das zu regeln, haben Sie Schweiz, leider im Jahressteuergesetz verhindert. Mit dem Bundes- kanzler Olaf Scholz werden wir das in der nächsten (Stephan Brandner [AfD]: Arbeiterwohlfahrt in Legislaturperiode nachholen, meine sehr geehrten Da- Thüringen, in Mecklenburg-Vorpommern!) (B) men und Herren. illegale Parteispenden an Frau Weidel; gegen Herrn (D) (Beifall bei der SPD) Meuthen soll der Staatsanwalt wegen verdeckter Wahl- kampfhilfe ermitteln. Räumen Sie doch Ihren Saustall Dieser Antrag der AfD ist aber nicht der erste, Herr von auf, bevor Sie hier die Zivilgesellschaft angreifen, die Stetten, mit dem versucht wird, unliebsame Organisatio- einen wichtigen Beitrag leistet für eine funktionierende nen mit der Androhung einzuschüchtern, ihnen die Ge- Demokratie! Wir lehnen diesen Antrag, Herr von Stetten, meinnützigkeit zu entziehen. nicht leider, sondern mit voller Überzeugung ab. Liebe Frau Ihnen, wenn ich zum Beispiel den Antrag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP zur Tierschutzorganisation PETA sehe, muss ich der LINKEN) Sie leider fragen: Was ist da eigentlich aus der alten Bürgerrechtspartei FDP geworden? Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD – Dr. Florian Toncar Nächster Redner ist der Kollege Niema Movassat, Die [FDP]: Bürgerrecht auf Rechtsmissbrauch! So Linke. ein Unsinn!) (Beifall bei der LINKEN) Und da ist die CDU, die einen Parteitagsbeschluss fasst, worin sie beschließt, einer Umweltorganisation Niema Movassat (DIE LINKE): die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Wenn Sie im Aus- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist schuss bei der Anhörung dabei gewesen wären, hätten meine letzte Rede im Bundestag. Ich habe mich entschie- Sie gehört: Diese bewegt sich genau innerhalb ihres den, nach zwölf Jahren nicht erneut zu kandidieren, weil Zwecks und ist natürlich zu Recht gemeinnützig – auch es Zeit für etwas Neues ist. Und wenn ich mir jetzt etwas wenn es Ihnen nicht passt. wünschen dürfte, dann wäre es, dass die AfD heute für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) immer ihren letzten Tagesordnungspunkt in diesem Und auch Herr Merz versteht wohl das Gemeinnützig- Hohen Hause erlebt. keitsrecht eher als Strafrecht. Gut ist: Es gibt die Gewal- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tenteilung, und über die Gemeinnützigkeit entscheidet neten der SPD) nicht Herr Merz, nicht die CDU/CSU und zum Glück Die AfD hat heute – wie immer – totalen Murks vor- auch nicht die AfD. gelegt. So will sie die Antifa verbieten. Aber ich muss die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten AfD enttäuschen: Es gibt nicht „die Antifa“. Das ist kein der LINKEN) Verein; daher kann man da auch nichts verbieten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30905

Niema Movassat (A) (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Deshalb wollen Sie kapitalismuskritische Vereine verbie- (C) ten. Sie heucheln immer, dass Sie sich für die Probleme Es ist schon bemerkenswert, dass Sie sonst immer das der Bevölkerung interessieren würden. Aber Ihre Politik Ende der Meinungsfreiheit heraufbeschwören, aber selbst ist zutiefst unsozial. Schauen wir uns das mal an. Meinungen verbieten wollen. Antifaschisten, Künstlern und Nichtregierungsorganisationen, die Ihnen nicht in (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den Kram passen, wollen Sie die Gemeinnützigkeit ent- Erstens. Teile Ihrer Partei lehnen den Mindestlohn ab. ziehen, ihnen öffentliche Gelder wegnehmen oder sie gar Kämen Sie damit durch, würden noch viel mehr Men- verbieten. Sie, die AfD, sind die wahren Feinde der Mei- schen zu wenig Lohn zum Leben haben. nungsfreiheit! Zweitens lehnen Sie die Mietpreisbremse ab und wol- (Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. len den sozialen Wohnungsbau stoppen. Das bedeutet: Dr. [AfD]) noch höhere Mieten in diesem Land. Die AfD ist ja nicht mal in der Lage, selbst Argumente (Stephan Brandner [AfD]: Reden Sie doch ein- zu entwickeln. Sie zitieren ellenlang aus dem Verfas- fach mal zum Thema, Herr Movassat! Was hat sungsschutzbericht – gerade Sie! Andere haben für das denn die Mietpreisbremse damit zu tun? Sie Abschreiben schon Doktortitel verloren. Großflächiges haben wohl die falsche Rede erwischt!) Abschreiben zeigt, dass man argumentativ selbst sehr Drittens. Sie sagen nichts zu einer Mindestrente; Sie nackt ist. wollen das Rentenniveau nicht erhöhen. Mit Ihrem Ren- (Beifall bei der LINKEN) tenkonzept werden viele Rentnerinnen und Rentnerinnen ärmer. In ihrem Antrag spricht die AfD davon, dass Antifa- schismus und Antikapitalismus Szenebegriffe seien. (Stephan Brandner [AfD]: Was hat denn die Wenn Antifaschismus ein Szenebegriff sein soll, dann Mindestrente mit dem Thema zu tun?) kann ich nur hoffen, dass die Szene gegen Faschismus Viertens. Sie finden Hartz IV und Sanktionen gegen groß genug ist, damit die AfD niemals eine relevante die Menschen gut. Arme Menschen sind Ihnen egal. Rolle in diesem Land spielt. (Stephan Brandner [AfD]: Zum Thema, Herr (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Movassat!) neten der SPD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Der unsozialen Politik der AfD setzte Ihre Abgeordne- Tut sie doch schon, Herr Movassat! Was soll tenhausfraktion hier in Berlin die Krone auf. Hier wollten der Quatsch?) Sie auch noch das kostenlose Schülerticket und das kos- (B) (D) Deshalb bin ich froh, dass wir Gruppierungen wie die tenlose Mittagessen in der Schule abschaffen. Schämen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN, ha- Sie sich nicht für solch unsoziale Vorstöße? ben, die auch weiter gemeinnützig sind. Solche Organi- (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner sationen, aber auch „Aufstehen gegen Rassismus“ und [AfD]: Das hat doch mit dem Thema überhaupt viele andere setzen sich gegen Rassismus und Faschis- nichts zu tun! Das Thema ist Ihnen wohl pein- mus ein. Und das ist gut so! lich!) (Beifall bei der LINKEN) Ihre Politik dürfte vielen Großkonzernen und Super- reichen ganz recht sein. Denn der beste Beweis dafür sind In Ihrem Antrag schreiben Sie, für Linksextremisten die zahlreichen, teils illegalen Großspenden an Ihre Par- sei der Kapitalismus eine zu überwindende Gesellschafts- tei. Dass Sie beim Handaufhalten ungeniert Recht und ordnung. Hätten Sie nur ein wenig Ahnung, wüssten Sie, Gesetz verletzen, das wundert mich nicht. dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Kapita- lismus nicht in die Verfassung geschrieben haben. In (Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie mal was ihrem Ahlener Programm trat sogar die CDU noch für zum SED-Vermögen, Herr Movassat!) einen christlichen Sozialismus ein. Alle waren sich Denn gegen 10 Prozent aller AfD-Abgeordneten bundes- 1949 einig: Wir geben keine Wirtschaftsordnung vor. weit läuft ein Strafverfahren, seit Neuestem auch gegen Damit ist auch ein demokratischer Sozialismus mit einem Ihren Parteichef Herrn Meuthen. Wäre die Kriminalitäts- starken Rechtsstaat vereinbar mit dem Grundgesetz. rate in der Gesamtbevölkerung so hoch wie in der AfD, (Stephan Brandner [AfD]: Demokratische dann könnten wir alle wirklich nicht mehr vor die Haustür Sozialisten wird es niemals geben!) gehen. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Und dafür steht Die Linke. Sie kennen keinen Anstand. Und deshalb ist es ein Hohn, (Beifall bei der LINKEN) wenn ausgerechnet die AfD in ihrem Antrag etwas vom Wir sind für eine Wirtschaftsordnung, die dem Men- Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schen dient. Gegenwärtig haben wir eine Wirtschaftsord- schreibt. nung, in welcher die Reichen immer reicher und die (Stephan Brandner [AfD]: Davon können Sie Armen immer ärmer werden. Und Sie von der AfD finden sich selbst eine Scheibe abschneiden!) das ja auch super. Ja, unsere Demokratie braucht Schutz – vor allem vor (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) der AfD. 30906 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Niema Movassat (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Tschüs und auf Wiedersehen! (C) Die geistigen Vorväter der AfD haben die Demokratie (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem abgeschafft und Millionen Menschen ermordet. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- darf nie wieder geschehen. Und dafür brauchen wir die ordneten der CDU/CSU und der FDP – wehrhafte Demokratie. Dass Sie die ganze Zeit so laut Stephan Brandner [AfD]: Und tschüs!) schreien, zeigt ja nur, dass Sie voll getroffen sind. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die AfD ist eng mit der rechtsextremen Szene ver- Herr Kollege Movassat, ich danke auch Ihnen für Ihren flochten. Herr Gauland hat die NS-Zeit einen Vogelschiss Dienst in der parlamentarischen Demokratie der Geschichte genannt. Es war Herr Höcke, der das (Stephan Brandner [AfD]: Ich nicht!) Holocaustdenkmal als Schande bezeichnet hat. Es war und wünsche Ihnen für Ihren neuen Lebensabschnitt alles der Pressesprecher der AfD, Christian Lüth, der Ihre wah- Gute. ren Absichten auf den Tisch legte. Er sagte, dass er Ge- flüchtete vergasen will und dass er sich wünscht, dass Und, Herr Kollege Dr. Baumann, für den Zwischenruf noch mehr Geflüchtete kommen, damit die AfD stärker „Sie sind der Hetzer“ rufe ich Sie zur Ordnung. wird. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Stephan Brandner [AfD]: Herr Bartsch wollte der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE die Reichen in den Gulag stecken! – Nein, GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Riexinger war das!) Er hat das doch auch gesagt! – Weiterer Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Meine Damen und Herren, die AfD hat hier vier Jahren lang Hass und Hetze verbreitet. Aus Ihren Worten wurden – Vorsicht! Solche Entscheidungen des Präsidenten kom- Schüsse – in Kassel, in Halle, in Hanau. Sie tragen auf- mentiert man nicht. Das ist die nächste Ordnungswidrig- grund Ihrer Hetze eine Mitverantwortung für diese keit. Ich lasse es jetzt bei der Belehrung, Herr Fraktions- rechtsextremen Anschläge. vorsitzender Gauland und Herr Brandner, bewenden. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie sind der Het- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Manuela zer! Furchtbar!) Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen. Umso wichtiger ist es, dass wir klare Kante gegen Ras- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sismus, gegen Hass und Hetze zeigen! Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner (D) NEN): [AfD]: Hören Sie mit Ihrem Verbrecherge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schwätz auf!) Kollegen! Es ist innerhalb der Union in Mode gekom- Ich möchte abschließend den Kolleginnen und Kolle- men, fast wöchentlich für konkrete gemeinnützige Orga- gen der demokratischen Fraktionen danken. Danke, dass nisationen die Entziehung der Gemeinnützigkeit in den Sie klare Kante gegen die da rechts außen gezeigt haben. Raum zu stellen. Das ist auch häufig in der FDP der Fall. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Gut, dass das Deswegen habe ich mich gefreut, Frau Ihnen: Was Sie Ihre letzte Rede ist, Herr Movassat! So ein heute gesagt haben, das kann ich alles unterschreiben. Schwachsinn!) Aber es ist nicht die Mehrheitsmeinung in der FDP. Ich bin stolz darauf, dass dieser 19. Bundestag eine Nor- (Otto Fricke [FDP]: Das wissen Sie?) malisierung der AfD verhindert hat, indem kein Kandidat Das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Gemeinnützig- der AfD zum Vizepräsidenten gewählt und ein Rechts- keit von Attac hat eine erhebliche Verunsicherung ausge- außen-Ausschussvorsitzender abgewählt wurde. löst, ob und wie gemeinnützige Organisationen ihre Ziele auch durch Einflussnahme auf die politische Willensbil- (Beifall bei der LINKEN und der SPD – dung verfolgen dürfen. Es gab Zusagen, das rechtssicher Stephan Brandner [AfD]: Herr Movassat, Sie zu klären. Das ist gescheitert. Olaf Scholz konnte die sind einfach peinlich! Ein peinlicher Sozialist!) Zusage nicht einhalten. Die Union hat nicht mitgemacht. Mein Dank geht auch an die demokratischen Kolleginnen Im Kern ist das auch eine verfassungspolitische Debat- und Kollegen im Rechtsausschuss für eine inhaltlich oft te, die vielleicht überhaupt nicht gut aufgehoben ist in den kontroverse, aber stets kollegiale Zusammenarbeit. Mein Händen von Bundesfinanzministern oder Finanzgerich- Dank gilt auch allen Mitarbeitern, ohne die all das, was ten. Unser Grundgesetz geht nicht von politisch neutralen wir hier tun, nicht funktionieren würde. Organisationen oder Vereinen aus, sondern selbstver- Meine Damen und Herren, die Demokratie ist dann ständlich davon, dass Vereinigungen in die politische stark, wenn sie viele überzeugte Demokraten hat, die Meinungsbildung eingreifen. mit den Feinden der Demokratie nicht kooperieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Wenn Die Linke Berufs- und Wirtschaftsverbände tun das auch ungehin- nicht mehr im Parlament ist, dann!) dert. Sie nutzen ebenfalls Steuerprivilegien. Ein Wort der Möge auch der 20. Deutsche Bundestag dies beachten. Es Kritik daran habe ich weder von Union noch FDP jemals war mir eine Ehre, Mitglied dieses Bundestags zu sein. gehört. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30907

Dr. Manuela Rottmann (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Im Gegenteil, für den Deutschen Industrie- und Handels- sowie der Abg. Ute Vogt [SPD]) kammertag wurde noch schnell ein extra Gesetz ge- Dabei muss es aber transparenter als bisher zugehen. Wir zimmert, um ihm die politische Betätigung nach einem brauchen endlich ein Gemeinnützigkeitsregister. Für gro- klaren Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu ermögli- ße Organisationen, die sich an der politischen Willens- chen. Wenn dann nur die politische Betätigung gemein- bildung beteiligen, brauchen wir auch eine Pflicht zur nütziger Organisationen infrage gestellt wird, dann weiß Offenlegung der Herkunft der Mittel, die sie dafür ein- ich doch, woher der Wind weht. Alle nichtökonomischen setzen. „Die Parteien wirken bei der politischen Willens- Interessen sollen leisetreterisch vertreten werden, ganz bildung des Volkes mit“, heißt es im Grundgesetz. Das vorsichtig, da soll man unsicher sein. Aber das große Grundgesetz räumt den Parteien also kein Monopol auf Geld soll weiter mit riesigen Anzeigenkampagnen in die politische Einflussnahme ein. Parteien unterscheiden jeden Wahlkampf eingreifen können. sich ja auch von anderen Organisationen; denn sie neh- men an Wahlen teil. Daraus ergeben sich besondere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pflichten. Die größte Leistung der AfD in den letzten Der Bundesfinanzhof hat ein verfassungsrechtliches vier Jahren war, dass sie fast jede Woche gezeigt hat, Problem übersehen: Wer einseitig die politische Betäti- dass es Handlungsbedarf gibt, diese Pflichten noch weiter gung nur von gemeinnützigen Organisationen be- zu schärfen: „Deutschland-Kurier“, Parallelaktionen. Da schränkt, der greift damit auch in das Recht der Bürger- gibt es noch viel zu tun. innen und Bürger auf gleiche politische Teilhabe ein. Und In Russland, in Polen und in Ungarn können regie- Sie irren sich, wenn Sie glauben, eine stärkere Beschrän- rungskritische Organisationen fast nicht mehr arbeiten. kung gemeinnütziger Organisationen träfe nur solche, die Ihnen politisch fernstehen. Ich zitiere mal aus der Satzung (Stephan Brandner [AfD]: In Deutschland auch eines gemeinnützigen Vereins: nicht!) Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere Sich hier darüber nur zu beklagen, finde ich aber ein durch: … bisschen verlogen. Deutschland muss es anders machen. Deutschland muss ein klares Signal zugunsten einer kriti- 2. Verhandlungen und Gespräche mit Volksvertre- schen Zivilgesellschaft nach ganz Europa senden, aus tern und Politikern, mit Journalisten und Vertretern dem eigenen Land heraus, von Behörden und Verbänden, … (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8. Schulung, insbesondere von interessierten Politi- sowie bei Abgeordneten der SPD) kern, … (B) das Signal, dass in unserem Land niemand Angst vor (D) 10. Organisation von Bürgerbeteiligung insbesonde- einer kritischen Zivilgesellschaft hat und dass hier auch re durch Unterschriftensammlungen oder durch Vor- Organisationen für Klimaschutz, für Antirassismus, für bereitung von Volksbegehren und Volksentscheiden. den Kampf gegen Diskriminierung an der politischen Und so weiter. Das ist nicht die Satzung von Attac. Das ist Debatte teilnehmen können, die Satzung des Bundes der Steuerzahler in Bayern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie die Satzung dieses Vereins und seine Ge- ohne Sorge vor dem Verlust der Gemeinnützigkeit, ohne schäftsführung neben die von Attac legen, dann wissen diese Sorge – genauso wie Wirtschaftsverbände. Sie, dass der Bundesfinanzhof, sollte es jemals zu der Frage kommen, ob der Bund der Steuerzahler noch ge- Vielen Dank. meinnützig ist, nicht anders entscheiden könnte als im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fall von Attac. -Stephan Brandner [AfD]: So ein Unsinn!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann Vizepräsidentin : [AfD]: Er ist aber nicht gewalttätig!) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Olav „Zu politisch“ fällt Ihnen immer nur ein, wenn es um von Gutting das Wort. Ihrem Parteiprogramm abweichende Ziele geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir Grüne wollen dem Bund der Steuerzahler weder die Gemeinnützigkeit entziehen noch ihm verbieten, Olav Gutting (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Stephan Brandner [AfD]: Noch nicht!) Zunächst könnte man ja denken, am letzten Tag der Sitz- auf die Willensbildung in Parlamenten Einfluss zu neh- ungen vor der Sommerpause gäbe es vielleicht Wichtige- men. Wir haben nämlich keine Angst vor Argumenten. res, als über die Verbotsfantasien der AfD zu sprechen. (Stephan Brandner [AfD]: Sie haben keine (Stephan Brandner [AfD]: Die Korruption der Mehrheit!) CDU wäre mal ein Thema! Aber leider war da Im Gegenteil, wir wollen allen gemeinnützigen Organi- kein Slot frei!) sationen Rechtssicherheit darüber verschaffen, dass die Aber ich denke schon, dass das ein unglaublich wichtiges Teilnahme an der politischen Willensbildung legitim zur Thema ist. Es ist ein ganz wichtiges Thema, weil es natür- Verfolgung gemeinnütziger Zwecke ist. lich um die Meinungsfreiheit, aber auch um die Grund- 30908 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Olav Gutting (A) festen unseres Rechtsstaates geht. Es geht nämlich da- Ich will Sie hier nicht mit Paragrafen langweilen. Ent- (C) rum, ob sich Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen scheidend für die Einstufung als gemeinnützige Organi- können, dass die Gesetze und Regeln für alle in diesem sation ist, ob deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, „die Land gelten. Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“ Wir müssen uns noch mal (Stephan Brandner [AfD]: Bei Nüßlein auch!) klarmachen: Diese Entscheidung trifft das jeweilige Bevor ich tiefer einsteige, möchte ich noch einmal kurz Finanzamt vor Ort und nicht der Deutsche Bundestag, auf die Forderungen nach dem bundesweiten Verbot der wie hier manche immer wieder suggerieren. Antifa der AfD eingehen. Ich glaube, es ist allen klar: Es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist ein populistischer Antrag. Was wir allerdings in letzter Zeit auch erlebt haben, (Stephan Brandner [AfD]: Sind Ihre Kumpels, sind im Bereich mancher Organisationen wirklich Exzes- ne?) se. Man hat das Gefühl, dass in unserer reizüberfluteten, Er bringt uns leider auch kein Stück weiter. ja teilweise überdrehten Gesellschaft jedes Wort, jeder Satz, jede Tat ein Superlativ sein muss. Wir erleben, (Stephan Brandner [AfD]: Sie profitieren ja dass einige, um Aufmerksamkeit zu erheischen und sich von der Antifa!) von anderen Organisationen abzuheben, schlicht zu weit – Nein, es bringt uns nicht weiter. – Mit dieser Fokussie- gehen. Wenn es Organisationen – und ich kann hier rung auf Antifa und auf Linksextremismus versperren Sie Greenpeace nennen – gibt, die glauben, dass sie nur die Sicht, und Sie schaden auch der Sache. Sie wissen noch dann öffentlich wahrnehmbar sind, wenn sie sich ganz genau, dass die Bundesregierung und die Verfas- zu einem von den Medien begleiteten Rechtsbruch auf- sungsschutzorgane alle gefährlichen Extremismusberei- machen, dann, glaube ich, müssen wir ein Stoppschild che beobachten. setzen und mit rechtsstaatlichen Mitteln sagen: Das kann nicht sein, es darf nicht zu Rechtsbruch kommen. (Stephan Brandner [AfD]: Nein, das weiß ich Organisationen, die mit Kriminellen zusammenarbeiten, nicht!) die sie in ihren eigenen Reihen haben, die Straftaten pla- Da fragt man sich dann schon: Was wollen Sie mit diesem nen, müssen selbstverständlich ihre Gemeinnützigkeit Antrag bezwecken? verlieren. (Stephan Brandner [AfD]: Das steht da! Müs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sen Sie lesen!) Stephan Brandner [AfD]: Aha! Darüber ent- scheidet der Bundestag?) (B) Wollen Sie zwischen schlechtem und zwischen weniger (D) schlechtem Extremismus unterscheiden? Wollen Sie sug- „Gemeinnützig“ bedeutet nicht „gemeingefährlich“ – da gerieren, dass der Nährboden für Terrorismus ausschließ- sind wir uns doch einig. lich bei Linksextremismus entsteht? Aber auch die politische Betätigung hat ihre Grenzen. (Leif-Erik Holm [AfD]: Es geht um die Frage Und da bleibt tatsächlich – Sie haben das Thema aufge- der Gemeinnützigkeit!) bracht – die Frage an den Finanzminister: Wie geht das BMF mit dem veröffentlichten Attac-Urteil um, das ja die Die Fragen haben wir Ihnen schon vor einem Jahr ge- Entziehung der Gemeinnützigkeit im Falle von Attac stellt, als wir diesen Antrag schon mal beraten haben. bestätigt hat? Und wird dieses Urteil nun in vergleich- Auch damals haben Sie diese Fragen nicht beantworten baren Fällen tatsächlich angewendet, oder gibt es – und können. Sie wollen extremistische Strömungen bekämp- diese Frage steht im Raum – tatsächlich eine Agenda, um fen, tolerieren aber in Ihren eigenen Reihen den Rechts- dafür zu sorgen, dass vergleichbare Organisationen eben extremismus. Was für eine Heuchelei! keine Konsequenzen seitens der Finanzämter zu fürchten (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, haben? der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf des Abg. Albrecht Glaser [AfD]) GRÜNEN) Das sollte jedenfalls nicht sein; denn nicht der Finanz- Zu Ihrem zweiten Antrag. Sie wollen bei politischer minister und das BMF bestimmen darüber, welche Orga- Agitation die Gemeinnützigkeit entziehen. Dazu muss nisation gemeinnützig ist und welche nicht. Wir brauchen man sagen: In einem Rechtsstaat, wie wir ihn haben – eine konsequente Anwendung der Regeln, und nur dann Gott sei Dank –, kann man politisch unliebsame Organi- kann ein Rechtsstaat bestehen. sationen und Vereine genauso wenig wie Parteien und Vereinigungen einfach auf die Seite wischen. Man kann (Beifall bei der CDU/CSU) sie nicht entfernen, Diejenigen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet (Stephan Brandner [AfD]: Was macht denn der fühlen, diejenigen, die sich engagieren und an die Regeln Verfassungsschutz mit der AfD?) halten, wollen wir unterstützen; der Kollege Christian von Stetten hat ja schon die Erfolge dieser Legislatur- man kann sie nicht einfach durch gesetzliche Maßnah- periode in diesem Bereich hervorgehoben. Wir stärken men mundtot machen. Solange sich Vereine an das das Ehrenamt und haben gerade mit dem letzten Jahres- Gemeinnützigkeitsrecht halten und sich innerhalb der sat- steuergesetz hier noch mal ein deutliches Zeichen gesetzt. zungsmäßigen Zwecke bewegen, darf ihnen die Gemein- nützigkeit auch nicht entzogen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30909

Olav Gutting (A) Die drei heute vorliegenden Anträge von der AfD tra- die, die sich dabei Mühe geben wollen. Eine solche sinn- (C) gen dazu nichts bei, und deswegen lehnen wir diese ab. volle Reform brauchen wir in der nächsten Legislatur- periode. (Beifall bei der CDU/CSU) Wichtig ist mir bei dem Thema allerdings auch: Es wird so gern über Shrinking Spaces, über schrumpfende Vizepräsidentin Petra Pau: Räume für zivilgesellschaftliche Organisationen, geklagt. Für die FDP-Fraktion hat nun Linda Teuteberg das Schrumpfende Räume gibt es zum Teil auch für die Wort. ehrenamtlichen Aktiven in politischen Parteien, wenn in (Beifall bei der FDP) unseren Kommunen öffentliche Räume zunehmend so gewidmet werden, dass sie nicht mehr an Parteien ver- mietet werden. Dabei braucht Demokratie Räume, um Linda Teuteberg (FDP): sich zu versammeln, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatten über die Themen der Anträge, die bei die- (Stephan Brandner [AfD]: Da ist was dran, sem Tagesordnungspunkt zu beraten sind, nämlich die Frau Teuteberg!) Frage der Gemeinnützigkeit politischer Organisationen um gerade den demokratischen Pflichten gerecht zu wer- und Fragen des Linksextremismus, sind voll von Miss- den. Und deshalb: Aus Angst vor extremistischen Par- verständnissen und Doppelmoral. teien die Bewegungsfreiheit aller politischen Parteien Zu den Missverständnissen gehört, dass es eine scharfe zu beschränken, ist der falsche Weg. Trennlinie zwischen Gemeinnützigkeit und politischem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Engagement gäbe. Nein, anders wird ein Schuh daraus. der CDU/CSU und der AfD – Stephan Aus guten Gründen sieht unser Grundgesetz die politi- Brandner [AfD]: Genau!) schen Parteien als besondere Organisationsform für das politische Engagement mit allgemeinpolitischem Mandat Verfassungspatriotismus im besten Sinne und Daseins- vor. Auch das ist ein gemeinnütziges Engagement, aber vorsorge für unsere Demokratie, zu der politische Par- eben ein besonderes, das aus guten Gründen, aus histori- teien gehören, ist vielmehr, hier für gute Rahmenbedin- scher Erfahrung, durch die Verfassung besonders erwähnt gungen zu sorgen. und geschützt wird. Und aus guten Gründen gibt es des- Deshalb fand ich es auch schade, Herr Kollege halb auch hohe Anforderungen, die an Parteien gestellt Schrodi, dass Sie das wohlfeile Verhalten gezeigt haben, werden. Sie betreffen vor allem die demokratische Ver- das man so oft mitbekommt, und „Parteipolitik“ so pau- fasstheit der Parteien und weitgehende Rechenschafts- schal als Schimpfwort genutzt haben. und Transparenzpflichten – Pflichten, die andere Vereine (B) (Michael Schrodi [SPD]: Wo habe ich das ge- (D) so nicht haben, das allerdings aus gutem Grund. macht?) Ein Beispiel für die Doppelmoral in der Debatte darü- Man kann immer am konkreten politischen Handeln Kri- ber ist ein Treffen von NGOs 2019 in der Brandenburger tik üben; aber Parteipolitik ist etwas, was unser Grund- Landesvertretung – Zivilgesellschaft im Regierungsge- gesetz will, und wir sollten uns selbst nicht daran betei- bäude: schon interessant und bezeichnend –, die nicht ligen, das verächtlich zu machen. verlegen waren, konkrete Formulierungshilfen für ihre Vorstellungen von Gemeinnützigkeitsrecht zu geben. Da- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bei ging es um Steuerbegünstigungen, (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann Vizepräsidentin Petra Pau: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kollegin Teuteberg, kommen Sie bitte zum Schluss. die sonst, wenn es um andere geht, gern als Teufelszeug geschmäht werden, frei nach dem Motto: Lobbyisten sind Linda Teuteberg (FDP): immer nur die anderen. Genau. – Abschließende Bemerkung zum Linksextre- mismus, der ja auch in den Anträgen zu diesem TOP Wir brauchen eine versachlichte Debatte über dieses angesprochen ist. Er ist kein „aufgebauschtes Problem“, Thema, eine sinnvolle Reform des Gemeinnützigkeits- wie es die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vor- rechts – in der nächsten Legislaturperiode nämlich –, pommern mal gesagt hat; er ist eine ernste Gefahr für und daran gibt es einige Anforderungen. Zum einen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. darf das Gemeinnützigkeitsrecht kein Schlupfloch für intransparente Parteienfinanzierung sein, die am Par- teienrecht vorbei funktioniert. Es muss aber sinnvolle Vizepräsidentin Petra Pau: Rahmenbedingungen für vielfältiges ehrenamtliches Kollegin Teuteberg, meines Wissens halten Sie heute Engagement jenseits der Parteien geben – auch dies nicht Ihre letzte Rede. Das heißt, die Toleranzgrenze ist muss das Gemeinnützigkeitsrecht leisten –, und es muss überschritten. sinnvoll differenziert werden zwischen einerseits dem Brauchtum, das das Grundgesetz eher überwinden will, Linda Teuteberg (FDP): wie exklusive Männerklubs, und andererseits zum Bei- Gewalt kann keine Rechtfertigung in Gemeinnützig- spiel Chören, die sich in Ausübung ihrer Kunstfreiheit keit finden. Wir brauchen Menschen, die sich friedlich dafür entscheiden, entweder Männer- oder Frauenchöre engagieren, und eine Reform der Rahmenbedingungen zu sein. Da gibt es genug sinnvolle Differenzierungen für dafür. 30910 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Linda Teuteberg (A) Vielen Dank. Wir sind ein starker Rechtsstaat. Wir haben als starker (C) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Stephan Rechtsstaat die Sicherheitsbehörden mit den notwendi- Brandner [AfD]) gen Rechten ausgestattet. Aber zum Kampf gegen Extre- mismus gehört eben nicht nur das Strafrecht; das ist ein Teil, auch ein wichtiger, aber eben nicht der einzige. Ein Vizepräsidentin Petra Pau: genauso wichtiger Teil ist die Zivilgesellschaft in diesem Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte wirklich Bereich. Und es ist durchschaubar und durchsichtig, darum, die vereinbarten Redezeiten einzuhalten und nicht wenn Sie das Thema Gemeinnützigkeit so anpacken, zu überschreiten. Sie wissen: Wir haben eine Vereinba- dass jeder rauslesen kann, dass das, was Ihnen politisch rung im Präsidium, was Verabschiedungen oder letzte nicht in den Kram passt, einfach nicht mehr gemeinnützig Reden betrifft. Aber das setzt voraus, dass alle anderen sein soll. Aber Gott sei Dank bestimmen Sie als AfD in sich bitte auch an die Spielregeln halten. diesem Land nicht, was der Gemeinschaft nützt. Und wir Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Frak- haben viele Organisationen, deren Arbeit wir dringend tion. brauchen, um unsere Demokratie stabil zu halten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich kann natürlich verstehen, wenn Ihnen die Arbeit Ute Vogt (SPD): des Deutschen Frauenrates wehtut. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Stephan Brandner [AfD]: Kenne ich gar nicht! Die AfD-Fraktion zeigt mit den vorliegenden Anträgen, Was machen die denn?) wie recht schon Aristoteles hatte, als er sagte: „Wo das Gute nicht lebt, suche die Wahrheit nicht.“ Wenn es darum geht, dass Frauenrechte gestärkt werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass Gleichberechtigung und Parität überall gelebt wer- den – nicht zuletzt in diesem Parlament. Dass man diesen Denn in diesen Anträgen wird ein einfacher Trick Organisationen dann aber sagt: „Ihr dürft zwar Interessen benutzt: Man sagt die Unwahrheit, indem man einfach vertreten, aber ihr dürft nicht politisch für diese Interes- einen Teil der Wahrheit weglässt. sen eintreten“, das ist doch ein ganz großer Irrsinn. Natürlich haben wir islamistischen Extremismus in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland, und natürlich machen wir uns Sorgen um der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE zunehmenden Linksextremismus; GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Ach!) Sie leiten hier die Debatte mit Ihrem Antrag vollkommen (B) aber dass Sie es schaffen, einen Antrag über Extremismus fehl. (D) zu schreiben und den Rechtsextremismus mit keinem ein- Es gibt andere Beispiele. Nehmen Sie die NaturFreun- zigen Wort zu erwähnen, de. Sie treten für Umweltschutz, für Klimaschutz, für ein (Stephan Brandner [AfD]: Darum kümmern Leben im Einklang mit der Natur ein. Wie soll denn so Sie sich schon!) was gehen, wenn man nicht gleichzeitig politische Forde- ist typisch für die Art und Weise, wie Sie hier die rungen und politische Arbeit damit verbinden kann? Unwahrheit verbreiten. (Zuruf von der SPD: So ist es!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Oder nehmen Sie Organisationen wie die Jugend der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, in der junge LINKEN) Leute Kindern Schwimmen beibringen oder als Rettungs- Denn der Rechtsextremismus ist es, der in unserem Land schwimmerinnen und Rettungsschwimmer da sind. Diese die größte Gefahr darstellt, und die Rechtsextremisten jungen Leute haben ein Wertegerüst und stellen sich hin sind es, und machen Aktionen wie „Badelatschen statt Springe- rstiefel“. (Stephan Brandner [AfD]: Die Rechtsextremis- ten sind nicht die Gemeinnützigen! Das ist ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten völlig anderes Thema!) der LINKEN) die im Vergleich zu allen anderen extremistischen Grup- Natürlich tut Ihnen das weh. Aber genau das macht die pen auch in Deutschland diejenigen sind, die die höchste Zivilgesellschaft aus, die unsere Demokratie starkmacht, Gewaltbereitschaft zeigen und auch die höchste Zahl an dass wir viele Menschen haben in vielen Vereinen und Todesopfern zu verantworten haben. Verbänden, die sich für unser Gemeinwesen, die sich zum (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nutzen unseres Gemeinwesens einsetzen. der LINKEN – [SPD]: So ist es!) (Beifall bei der SPD) Natürlich ist es richtig, dass unsere Demokratie auch Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass ich Gegenwehr organisiert. selbst in den letzten 27 Jahren einen kleinen Teil zum (Stephan Brandner [AfD]: Gegen wen?) Nutzen unseres Gemeinwesens beigetragen habe. Ich denke an und danke für viele lebendige Debatten, viel – Gegen Extremisten natürlich. – harten Schlagabtausch, schöne Kollegialität, viele (Stephan Brandner [AfD]: Aha!) Freundschaften. Ich denke auch an viele wichtige Geset- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30911

Ute Vogt (A) zesvorhaben und viele Initiativen, die unser Land nicht Land aus und machen dieses Land auch stark. Genau (C) nur vorangebracht, sondern auch oft grundlegend positiv darauf sind wir auch weiterhin angewiesen. Deswegen verändert haben. würde ich Gemeinnützigkeit eher ausbauen, als hier zu In diesem Sinne muss ich sagen: Ich fand meine Arbeit diskriminieren. Es war mir wichtig, das an dieser Stelle als Abgeordnete immer schön, immer herausfordernd. noch einmal deutlich zu machen. Ich hatte auch in schwierigen Zeiten immer mehr Freude Und wenn man schon diese moralische Keule erhebt, als Ärger bei dieser Arbeit. Ich muss Ihnen aber auch dann muss man sie bitte auch auf die Parteien anwenden. sagen: Jetzt freue ich mich darauf, in Zukunft ein Leben Wer illegale Großspenden kriegt, wer Spendenaffären am in größerer Freiheit führen zu können. Machen Sie es gut, Hals hat, der sollte sich an die eigene Nase fassen und und behalten Sie mich in guter Erinnerung! sollte vielleicht dort anfangen, diese Kriterien anzubrin- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, gen. Vielleicht muss man da die Gemeinnützigkeit – in der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Anführungszeichen – entziehen, vielleicht muss man da GRÜNEN – Die Abgeordneten der SPD erhe- die Möglichkeit streichen, dass Spenden erstattet werden ben sich) können. Da sollten wir anfangen – bei den Parteien, in denen wir selber engagiert sind –, Transparenzkriterien einzuhalten. Vielleicht sollten wir auch darüber nachden- Vizepräsidentin Petra Pau: ken, ob es in Ordnung ist, dass wir Essen ausrichten und Kollegin Vogt, ich denke, es ist im Sinne des gesamten dann 9 999-Euro-Spenden bekommen, bevor wir anfan- Hauses, wenn ich Ihnen alles Gute für den neuen Lebens- gen, gemeinnützige Organisationen zu beschimpfen. Da abschnitt wünsche. sollten wir anfangen, die Kriterien anzulegen, vor der Wenn ich das so persönlich sagen darf: Sie haben sehr eigenen Haustür. Ich glaube, dann haben wir eine andere, unterschiedliche Verantwortung hier übernommen. Ich eine sauberere Debatte. erinnere mich an viele Stunden im Innenausschuss des Schauen wir uns das in anderen Bereichen an. Profit- Deutschen Bundestages. Es ist ja noch immer nicht lobbyisten können ihre Spenden und ihre Agitation im selbstverständlich, dass der Vorsitz in diesem Ausschuss Endeffekt von der Steuer absetzen. Auch das ist etwas, durch eine Frau übernommen wird. Aber ich denke, daran was wir überprüfen sollten. Wenn wir wirklich ehrlich wird weiter gearbeitet, dass es ganz selbstverständlich ist, sind, dann vergleichen wir diese Maßnahmen mal. Ich dass wir hier entsprechend vertreten sind. Also danke für finde es wichtig, dass wir Parteien haben, dass diese Par- Ihre Arbeit! teien bestimmte Privilegien haben, aber genau diese zu (Beifall) missbrauchen, geht auch nicht. Darüber sollten wir disku- tieren. (B) Das Wort hat der Kollege Marco Bülow. (D) Mein letzter Satz: Profitlobbyismus muss zerschlagen Marco Bülow (fraktionslos): werden! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Her- Vielen Dank. ren! Zur Feier der letzten Sitzung in dieser Legislatur- periode habe ich mal wieder meinen roten Schlips umge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) tan. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Vizepräsidentin Petra Pau: Ich habe mich schon gewundert!) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstim- mung – – Ich mache meinen Dank am Anfang. Auch dir, liebe Ute, alles Gute! Es bedanken sich jetzt viele für ihre Zeit (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: hier. Ich glaube, das gehört dazu, und das ist auch wich- Frau Präsidentin, da fehlt noch der wichtigste tig. Auch ich bedanke mich bei meinem Team und den Mann! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU Unterstützerinnen und Unterstützern. Aber bevor sich und der SPD) jetzt alle freuen, muss ich Ihnen sagen: Ich werde ver- suchen, Sie weiterhin zu nerven. Mich sind Sie nicht los. – Um Gottes willen! Kollege Barthle, sehen Sie es mir Das ist keine Abschiedsrede. nach! Ich hatte mich gerade eben sogar noch erkundigt, in welcher Funktion Sie sprechen. Meine Rede ist eine Rede gegen die Heuchelei dieses Antrages. Ich fange damit an, wie Gemeinnützigkeit Also: Der Abgeordnete Norbert Barthle hat das Wort eigentlich aufgestellt ist und wie wichtig sie für unser für die CDU/CSU-Fraktion. Land ist. Es ist schon interessant, dass eine Partei, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. immer gerne Volkes Stimme heranzieht, dann die wirk- Michael Schrodi [SPD]) liche Stimme der Bevölkerung so mit Füßen tritt und so unterminiert. Genau diese Gemeinnützigkeit brauchen wir doch, genauso die vielen Organisationen, das Ehren- Norbert Barthle (CDU/CSU): amt. Die Menschen, die sich abrackern, um anderen Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen etwas Gutes zu tun, die engagieren sich genau für dieses und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich trete ganz Gemeinwohl, egal ob das für Obdachlose ist, ob das für bewusst heute nicht von der Regierungsbank aus hier ans soziale Belange ist, ob das für Menschenrechte ist oder ob Rednerpult, sondern aus der Mitte meiner Fraktion, wo das für Ökologie ist. Diese Menschen machen dieses ich mich nach wie vor wohlfühle. 30912 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Norbert Barthle (A) Würde ich heute als PStS aus dem BMZ reden, dann Deutsch-Griechischen Versammlung. Ich spreche da im- (C) würde ich als Allererstes sagen: Heute ist ein guter Tag mer von meinem Dream-Team, und da ist ein Stück Wah- für Deutschland, heute ist ein guter Tag für die ganze res dran. Welt, vor allem für die Kinder dieser Welt, die immer Die BMZ-Zeit – auch das sage ich an dieser Stelle – noch ausbeuterische Kinderarbeit leisten müssen. Denn war für mich die schönste Zeit in dieser ganzen 23-jähri- in der vergangenen Woche haben wir hier das sogenannte gen Periode. Warum? Ich bin meiner hochgeschätzten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet. Die- und hochverehrten Bundeskanzlerin ses geht heute, genau zu dieser Stunde, durch den Bun- dankbar, desrat, und dann ist es durch. Herzlichen Dank dafür! (Stephan Brandner [AfD]: Na ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die mich in der letzten Wahlperiode zum Staatssekretär Wenn ich schon beim Dankesagen bin, dann fange ich im Verkehrsministerium ernannt hat und in dieser Periode gleich bei der Finanz-AG unserer Fraktion an, die mir zum Staatssekretär im BMZ. Das BMZ zeichnet sich ja diese Redezeit eingeräumt hat. , Christian dadurch aus, dass man dort weniger Gesetze macht, son- von Stetten, Olav Gutting, ein ganz herzliches Danke- dern eher schöne Projekte auflegt und gute Taten voll- schön! Das ist das schönste Abschiedsgeschenk, das ihr bringt. Gerade gestern durfte ich den Startknopf für das mir machen konntet; denn damit habe ich Gelegenheit, Deutsch-Afrikanische Jugendwerk drücken. Auch das mich in aller Form nach 23 Jahren vom Deutschen Bun- wird seine Wirkung entfalten. Da hinterlässt man gute destag zu verabschieden. und schöne Spuren. Deshalb auch danke an alle, die in Damit schließt sich auch ein Kreis. In meiner ersten der entsprechenden Arbeitsgruppe versammelt sind und Legislaturperiode von 1998 bis 2002 war ich Mitglied im sich mit Entwicklungspolitik beschäftigen. Finanzausschuss und durfte bei Gerda Hasselfeldt vieles Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit lernen. Ich habe in meiner ersten Rede damals über Haus- und Entwicklung ist ein besonderer Ausschuss; denn haltsfreibeträge usw. geredet und habe schon damals über die Mitglieder dieses Ausschusses wollen im Prinzip Haushaltskonsolidierung und solide Staatsfinanzen ge- über alle Fraktionsgrenzen hinweg mit einer Ausnahme – sprochen. Das Thema hat mich dann irgendwann wieder ich schaue einmal in die Richtung – mehr oder weniger eingeholt, und ich komme nochmals darauf zurück. dasselbe. Deshalb ist es sehr angenehm, da zu arbeiten. Ich will aber doch noch einen Satz zum heutigen An- Meiner Ansicht nach müsste das BMZ eigentlich Welt- trag der AfD sagen. ministerium heißen; denn dort kümmert man sich um die Angelegenheiten dieser Welt. (Stephan Brandner [AfD]: Das ist nett!) (B) Dass das wichtig ist, sieht man schon allein am Bei- (D) Ich will es herunterbrechen auf eine einfache Formel. Das spiel Kohleausstieg, CO2-Reduzierung. Wir haben rich- Gemeinnützigkeitsrecht beschreibt, dass sich gemeinnüt- tigerweise den Ausstieg aus der Kohle beschlossen. Kei- zige Zwecke dadurch auszeichnen, dass man der Allge- ne Frage, dazu stehen wir. Das ist ein gutes und wichtiges meinheit dient, und zwar materiell, geistig und sittlich Signal an die Welt. Ich hoffe sehr, dass uns weitere Natio- und in selbstloser Art und Weise. Jede Organisation, die nen folgen; denn anderenfalls bleibt dieser Schritt nahezu diesen Anspruch nicht erfüllt, sondern die strategisch, wirkungslos. Warum? In Deutschland gibt es etwas mehr systematisch Hausfriedensbruch betreibt, Sachbeschädi- als 100 Kohlekraftwerke, allein in China mehr als 1 000. gungen vornimmt, sogar Körperverletzungen in Kauf Genau in diesem Jahr werden 92 neue gebaut; es werden nimmt, muss sich die Frage stellen lassen, ob sie noch also etwa so viele neu gebaut, wie wir abschalten. gemeinnützig sein kann oder nicht. Egal ob sie von links oder von rechts kommt, egal für welchen Zweck sie ein- (Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) tritt, der vermeintlich gut sei, diese Frage muss sich jede Die Arbeit des BMZ ist unglaublich wichtig; denn das Organisation stellen lassen. BMZ trägt die richtigen Ideen hinaus in die Welt. Dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist es zuständig. Also, liebe Haushälterinnen und Haus- ordneten der AfD und der FDP) hälter der kommenden Periode: Gebt dem BMZ noch- mals mehr Geld; die brauchen es. Lassen Sie mich aber Dank sagen, vor allem an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowohl im Wahlkreis (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- als auch in meinem Bundestagsbüro. Ich glaube, man neten der SPD und der Abg. Anja Hajduk kann schon sagen, dass es bemerkenswert ist, dass meine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sie sitzen auf der In der nächsten Wahlperiode wird mit Sicherheit eine Besuchertribüne – mich von Bonn nach Berlin begleitet heftige Debatte über das Thema Staatsfinanzen stattfin- haben, 23 Jahre in Treue in meinem Büro mir zugearbei- den; denn infolge der Coronakrise haben wir Neuver- tet haben. Ich glaube, das gibt es nicht in jedem Bundes- schuldungen zu gewärtigen, die für einen normalen tagsbüro. Dafür meinen größten Respekt! gestandenen Haushälter vor einiger Zeit noch unvorstell- bar waren: in zwei Jahren mehr neue Schulden als ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ganzer Jahresetat. Das kann man sich eigentlich kaum ordneten der SPD) vorstellen. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass Ich sage selbstverständlich auch Danke an die Menschen, unser Staatsdefizit inzwischen wieder auf über 70 Prozent die mich im BMVI begleitet haben, in meiner ersten gestiegen ist. Wir waren schon bei 59 Prozent im Jahre Staatssekretärszeit, und jetzt im BMZ und in der 2019. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30913

Norbert Barthle (A) Wenn ich Stimmen höre, dass man die Klimakrise ge- Maastricht-Vertrag – 60 Prozent Schuldenstand und (C) nauso heftig bekämpfen und ernsthaft angehen müsse wie 3 Prozent Defizit – und der Schuldenbremse, 0,35 Prozent die Coronakrise, womöglich mit demselben finanziellen des BIP als maximale Verschuldung für den Bund, 0 für Aufwand, dann ist das etwas, was dieser Staat und diese die Länder. Leider haben noch nicht alle Bundesländer Staatsfinanzen nicht tragen können. diese Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen über- nommen. Mein Heimatland, Baden-Württemberg, hat sie (Michael Schrodi [SPD]: Doch!) übernommen. Aber es gibt noch vier Bundesländer, die Dann überspannen wir die Möglichkeiten, die wir haben. das bisher nicht getan haben. Ich empfehle allen künftigen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, dass sie sich an den Ratschlag des Sachverstän- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist auch digenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen gut so!) Entwicklung halten, der klipp und klar sagt: Eine zu hohe Ich fürchte, in Berlin wird dieser Appell nicht auf offene Staatsverschuldung wirkt immer als Wachstumsbremse Ohren stoßen. und belastet vor allem nachfolgende Generationen. – Es Halten Sie sich also an die Regeln, die sich die Politik ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, wie sehr selbst gegeben hat, auch auf europäischer Ebene. Dort sich ein Staat verschuldet. gibt es den Fiskalvertrag und den Stabilitätspakt. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sind kluge Regelungen, die hoffentlich auch in Zukunft bei Abgeordneten der AfD) noch tragfähig sind und Geltung haben. Denn wir brau- chen in der künftigen Haushalts- und Finanzpolitik eine Sie werden Debatten erleben, in denen die Befürworter klare Orientierung, die da lautet: statt Ideologie Vernunft, von mehr staatlichen Schulden – sie kommen meistens statt neuer Steuern Wirtschaftswachstum. Dann liegen aus dieser Ecke – wir richtig. Deshalb hoffe ich, dass diese Grundsätze (Dr. [DIE LINKE]: Es geht auch in den kommenden Wahlperioden gelten. um mehr Einnahmen!) Abschließend darf ich noch etwas anderes sagen. Ich Ihnen sagen werden: Wenn man das Geld auch auf bin auf zwei Dinge stolz. Das eine ist, dass mein Büro in Schulden basierend richtig einsetzt, den 23 Jahren 840 Besuchergruppen mit rund gerechnet (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es geht 41 500 Personen betreut hat. Das ist eine tolle Leistung. nicht um mehr Schulden! Es geht um mehr Ein- Das Zweite, auf das ich stolz bin, ist: Man hat mir mal die nahmen, und zwar von denen, die sie haben!) Wortpatenschaft für den Begriff „Generationengerechtig- keit“ verliehen. Mit diesem Etikett an der Brust verlasse richtig investiert, also in Bildung, in Digitalisierung, in ich dieses Hohe Haus gerne – mit einer Träne im Auge, (B) Klimaschutz, in Infrastruktur, dann erzeugt das eine aber mit Stolz und großer Zufriedenheit, hier gedient (D) Investitionsrendite, dann werden wir künftig mehr Steu- haben zu dürfen. ereinnahmen und weniger Staatsausgaben haben. – So argumentieren Ökonomen in der Theorie. Danke. Den Politikern in diesem Hohen Hause empfehle ich: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Erinnern Sie sich einfach an die vergangenen Jahre und FDP sowie bei Abgeordneten der AfD, der Jahrzehnte. Wir hatten Wirtschaftswunderjahre unter LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Ludwig Erhard, Stichwort „soziale Marktwirtschaft“. GRÜNEN – Die Abgeordneten der CDU/ Frau Baerbock, der war übrigens von der CDU. CSU erheben sich) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Petra Pau: Sie hat übers Umsetzen gesprochen! Sie hören einfach nicht mehr zu!) Kollege Barthle, ich entschuldige mich noch mal für das Versehen vorhin. Aber ich hoffe, das hat nun auch Was ist daraus gefolgt? Keine ausgeglichenen Haushalte, diejenigen, die nicht wussten, dass Sie heute das letzte keine Rücklagen, sondern Jahr für Jahr steigende Staats- Mal – voraussichtlich – an dieses Redepult treten, auf- verschuldung, die irgendwann in den 90er-Jahren sogar merksam gemacht. explodiert ist. Wenn solche Renditen erzielt werden, dann werden sie in aller Regel sofort wieder vervespert in Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute für den neuen zusätzliche Sozialausgaben. Lebensabschnitt. Und auch hier eine persönliche Bemer- kung: Wir sind gleichzeitig in dieses Hohe Haus gewählt (Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) worden. Als ich 1998 angefangen habe, lag der Anteil der Sozial- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ich erinnere ausgaben am Bundeshaushalt bei etwa 39 Prozent. Heute mich gut!) liegt er bei 52 Prozent. Das sage ich einfach mal so zum Nachdenken. Wer meint, dass sich Haushalte über Inves- Erst noch in Bonn am Rhein und dann nach dem Umzug titionsrenditen stabilisieren, der meint auch, dass sein nach Berlin waren wir in unterschiedlichster Verantwor- Hund einen Wurstvorrat anlegt. tung und mit unterschiedlichsten Perspektiven tätig. Ich empfehle deshalb – ich erlaube mir, dies an dieser (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir hatten mal Stelle an die kommenden Kolleginnen und Kollegen zu ein Rededuell! Erinnere ich mich gut dran!) sagen –: Halten Sie sich einfach an die Regeln! Die Poli- – Genau, ich auch. – Also: Herzlichen Dank für alles und tik hat sich zu Recht klare Regeln gegeben mit dem alles Gute. 30914 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall) einer bestimmten Religion angehören oder angehören (C) könnten, straffällig werden oder überdurchschnittlich Ich schließe die Aussprache. straffällig werden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/30970 mit dem Titel Ich bitte uns alle im Interesse nicht nur der Demokratie „Keine Gemeinnützigkeit für politische Agitation“. Wer und des Ansehens unseres Hauses, sondern vor allen Din- stimmt für diesen Antrag? – Das ist die AfD-Fraktion. gen im Sinne des Zusammenhalts in der Gesellschaft, die Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke kommenden Tage zu nutzen, um sich selbst zu prüfen, und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält wie wir in die anstehenden politischen Debatten und sich? – Niemand. Der Antrag ist abgelehnt. natürlich auch in die parlamentarischen Auseinanderset- zungen gehen, die es noch in dieser Legislaturperiode Tagesordnungspunkt 36 b. Abstimmung über die Be- gibt bzw. im 20. Deutschen Bundestag geben wird. Wir schlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Hei- tun uns allen keinen Gefallen, wegen eines vielleicht mat zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel kurzfristigen rhetorischen Erfolgs, der auch nur sehr ein- „Demokratie erhalten – Bundesweites Verbot der Antifa geschränkt ist, etwas zu sagen, was Menschen im Wort- prüfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- sinne verletzen kann. – So viel zum Tagesordnungs- empfehlung auf Drucksache 19/25162, den Antrag der punkt 13. Fraktion der AfD auf Drucksache 19/20074 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- gierung nen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und des Bericht der Bundesregierung über die Maß- Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD- nahmen zur Förderung der Kulturarbeit ge- Fraktion angenommen. mäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in Tagesordnungspunkt 36 c. Abstimmung über die Be- den Jahren 2019 und 2020 schlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Hei- mat zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel Drucksache 19/30790 „Linksextremistische Brandanschläge und Gewaltexzes- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) se am 1. Mai stoppen – Effektivität der Terrorbekämp- Ausschuss für Tourismus fung optimieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Ausschuss Digitale Agenda schlussempfehlung auf Drucksache 19/31062, den Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/29293 beschlossen. (B) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- (D) lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- Eckhard Pols für die CDU/CSU-Fraktion. tionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Lin- (Beifall bei der CDU/CSU) ke und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stim- men der AfD-Fraktion angenommen. Eckhard Pols (CDU/CSU): Bevor ich zum nächsten Tagesordnungspunkt komme, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 13 – Klima- nen und Kollegen! Sind Deutschlands Wunden verheilt? schutzgesetz – in der gestrigen Sitzung. Ich hatte ange- In der deutschen Bevölkerung besteht an Flucht und Ver- merkt, das stenografische Protokoll zum Redebeitrag des treibung nach wie vor großes Interesse. Das hat zuletzt Abgeordneten Hilse und alle verzeichneten verbalen und die hochkarätig besetzte ZDF-Verfilmung des Bestsellers nonverbalen Reaktionen noch einmal zu prüfen, und mir „Altes Land“ von Dörte Hansen gezeigt, die Ende vorbehalten, entweder Ordnungsmaßnahmen zu ergrei- 2020 5 Millionen Zuschauer erreicht hat. Die Autorin fen oder anderes hier in den Raum zu stellen. erklärte zum Überraschungserfolg ihres Romans über Nach Prüfung der stenografischen Aufzeichnung bitte drei Frauengenerationen, die eng mit Ostpreußen verwo- ich erstens alle Kolleginnen und Kollegen im Rund, sich ben sind, in der „Welt“ – ich zitiere –: „Ich glaube, dass auch bei Zwischenrufen und Auseinandersetzungen einer das Thema mittlerweile sehr gut aufgearbeitet ist – aber parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen und verschmerzt ist es offenbar noch nicht.“ vor allen Dingen alles zu unterlassen, was persönlich Von der Spitzenkandidatin der Grünen ist gerade ein beleidigend wirken könnte. Das sage ich generell in das ebenso bemerkenswertes Buch erschienen. Das auf- Rund. schlussreiche Werk – einige nennen es den Begleittext Zweitens bitte ich – das bezieht sich jetzt auf den Rede- zum Wahlprogramm ihrer Partei – ist ihrer Großmutter beitrag des Kollegen Hilse; aber mir fallen auch andere gewidmet und an – Zitat – „all die Generationen, die so Redebeiträge ein –, sich tatsächlich zu prüfen, inwieweit viel erlitten, erkämpft und geleistet haben und auf deren Formulierungen, die hier gewählt werden, unsere demo- Schultern wir heute stehen“. Da hat die Bundesvorsitzen- kratischen Institutionen diffamieren und auch in der de einmal vollkommen recht. Die heimliche Hauptfigur, Öffentlichkeit diskreditieren. Ich will die einzelnen Wor- ihre Oma, kam als Spätaussiedlerin aus Oberschlesien te hier nicht wiederholen; das ist alles nachlesbar. Glei- nach Niedersachsen. Sie hat ihrer Enkelin anscheinend ches gilt für die Zuschreibung von Merkmalen gegenüber viel erzählt, auch von Flüchtlingstrecks und wie schlimm Gruppen bzw. Schlussfolgerungen, dass Gruppen, welche es für Frauen werden konnte und auch wurde. Im Wahl- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30915

Eckhard Pols (A) programm dieser Partei steht jedoch viel über Tiere und (Beifall bei der CDU/CSU) (C) Natur. Von den Millionen Menschen, die alles miterlebt und mit aufgebaut haben, steht kein einziges Wort. Die historische Wahrheit ist heute allerdings, wie ich hier nur kurz anreißen konnte, in Gefahr. Unsere Fraktion Ich darf Ihnen mal die Überschrift des entsprechenden wird darauf reagieren und der Geschichtspolitik eine Absatzes im Regierungsprogramm unserer Union vorle- neue Bedeutung beimessen. Deutschland hat aufgrund sen: „Vertriebene und Aussiedler wertschätzen“. Das ist seiner jüngsten Vergangenheit hier eine besondere Ver- der Unterschied zwischen Ihnen und einer Volkspartei, antwortung. Dem vorliegenden Bericht der Bundesregie- die es seit Bestehen der Bundesrepublik fünfmal ins rung ist zuzustimmen. Kanzleramt geschafft hat. Wir haben nicht vergessen, wem wir das zu verdanken haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Simone Barrientos Meine Damen und Herren, weil wir nicht vergessen, [DIE LINKE]: Das war echt peinlich! – Gegen- gibt es seit Montag das bundesweit gelobte Dokumenta- ruf von der AfD: Gefällt’s euch nicht?) tionszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Berli- ner Deutschlandhaus. Das 75 Millionen Euro teure Doku- Vizepräsidentin Petra Pau: mentationszentrum ist ein Meilenstein der deutschen Das Wort hat der Abgeordnete Wilhelm von Gottberg Erinnerungspolitik und wird der Aufarbeitung des letzten für die AfD-Fraktion. Kapitels des Zweiten Weltkrieges einen neuen, entschei- denden Impuls geben. Ich schließe mich der Frau Bun- (Beifall bei der AfD) deskanzlerin an, die in ihrer Eröffnungsrede ausdrücklich den persönlichen Einsatz von Erika Steinbach gewürdigt Wilhelm von Gottberg (AfD): hat. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der (Zuruf von der LINKEN: Oh!) umfangreiche Bericht der Bundesregierung zur Förde- rung der Kulturarbeit gemäß § 96 enthält Licht und Ohne die langjährige Präsidentin des Bundes der Vertrie- Schatten. benen gäbe es dieses Zentrum nicht. Meine Damen und Herren, der Zweite Weltkrieg be- Meine Fraktion anerkennt die umfangreiche finanziel- schäftigt uns noch immer. 80 Jahre nach dem Überfall auf le Förderung für die musealen Einrichtungen. Die Reali- die Sowjetunion hat sich Russlands Präsident in der sierung des Projekts „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ „Zeit“ an die Deutschen gewandt. Der Gastbeitrag muss sowie die Fertigstellung des Sudetendeutschen Museums (B) uns alle hellhörig machen. Ich greife nur einen Punkt im vorigen Jahr sind zwei Aktivposten in der vorgelegten (D) heraus. Putin schreibt, dass der Sowjetsoldat seinen Fuß Bilanz. Gut so! Dass man nicht den menschlichen nicht auf deutschen Boden gesetzt habe, um sich an den Anstand hatte, Frau Steinbach, die Initiatorin des Deutschen zu rächen, sondern – Zitat – „um seine edle Zentrums gegen Vertreibungen, zur Eröffnungsfeier am und große Befreiungsmission zu erfüllen“. Montag einzuladen, mögen andere bewerten. Ich selbst habe damals als Vizepräsident eng an der Seite von Frau Unbestritten haben die Soldaten der Roten Armee Steinbach gestanden. einen hohen Blutzoll bei der Niederwerfung Nazideut- schlands entrichtet. Unbestritten sind die vorausgegange- Die Landesmuseen werden heute institutionell geför- nen Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion. Zur dert. Die Förderung ist nicht üppig. Gleichwohl, es wur- Wahrheit gehören aber auch die Hunderttausenden deut- den damit Erinnerungsorte geschaffen, die an das wirk- schen Frauen, die 1945 Opfer von Massenvergewaltigun- liche Ostdeutschland erinnern sollen. Die ehemaligen gen wurden und von denen viele elend zugrunde gingen. preußischen Ostprovinzen sind Teil der deutschen Geis- tes- und Kulturgeschichte. Ob mit den Einrichtungen eine (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dauerhafte Erinnerung an diesen Teil unserer Geschichte Was ist denn das für eine Aufrechnerei, die Sie möglich sein wird, ist zweifelhaft. Das kann nur gelingen, da betreiben! Das ist geschichtsvergessen, was wenn der Geschichtsunterricht an den Schulen entspre- Sie da reden!) chende Lehrinhalte vermittelt. Leider kann man da nicht Marion Gräfin Dönhoff, die berühmte einstige Mithe- optimistisch sein. rausgeberin dieser Wochenzeitung, hätte als Zeitzeugin der Redaktion gerne beratend zur Seite gestanden. Wie (Beifall bei der AfD) hätte es die Gräfin wohl verkraftet, dass ausgerechnet in Das Ostpreußische Landesmuseum ist Eigentum der ihrer ostpreußischen Heimat heute Raketen stationiert Ostpreußen. Wir haben die Liegenschaft mit eigenem sind, die bis nach Warschau oder Berlin reichen? „Die Geld erworben. Warum verschweigt das der Bericht? Zeit“ hat angekündigt, Entgegnungen auf den Text in den kommenden Wochen zu veröffentlichen. Man darf (Marianne Schieder [SPD]: Weil es um Kultur- gespannt sein, ob eine Plenarrede dazuzählt. förderung geht! – Zuruf von der LINKEN: Was ist denn bei euch eigenes Geld?) Meine Damen und Herren, die Union hält am Postulat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Der Kollege Eckhard Pols, mein geschätzter Vorred- Weizsäcker in seiner berühmten Rede zum 8. Mai 1945 ner, hat seit mehr als zehn Jahren das Haus tatkräftig fest: Wir müssen der historischen Wahrheit ins Auge unterstützt. Er hat entscheidenden Anteil, dass das Ost- sehen, „ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit“. preußische Landesmuseum nunmehr mit baltischer Ab- 30916 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Wilhelm von Gottberg (A) teilung eine Erweiterung und kulturelle Bereicherung Ihre Wagen schräg und schief. Asiatisch rüde Sitten, (C) erfahren hat. – Lieber Eckhard, wir sind langjährige Weg- ihr seid uns so wohl vertraut. Vorwärts weiter! Auf gefährten. Danke! uns wartet Allenstein!

(Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten Ich bedanke mich. – Vielen Dank, Frau Präsidentin. der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Unglaublich! Das ist wirklich unglaub- Der Bericht listet zahlreiche Einrichtungen auf, die lich!) nach § 96 gefördert werden. Dabei kommt es zu Über- schneidungen, Mittel werden nach dem Gießkannenprin- zip verteilt. Zu kurz kommt im Bericht die Lage der Vizepräsidentin Petra Pau: deutschen Volksgruppen in Polen. Unter meiner Feder- Herr Abgeordneter Gottberg, ich habe hier natürlich führung gründete die Landsmannschaft im polnischen die verabredete Regel angewandt, bei der letzten Rede Teil Ostpreußens 22 deutsche Vereine. Das Innenministe- in diesem Haus nicht auf Einhaltung der Redezeit zu rium gab Zuschüsse für die örtlichen Einrichtungen. Das bestehen. war eine Kulturförderung, die vor Ort ankam. Insgesamt (Beifall bei der AfD – Die Abgeordneten der ist festzustellen: Es waren die deutschen Heimatvertrie- AfD erheben sich) benen und ihre Nachkommen, die die Nachbarschaftsver- träge mit Leben erfüllt haben. Darüber findet sich nichts Das Wort hat die Kollegin Marianne Schieder für die im Bericht. SPD-Fraktion. Zahlreiche Polen stören sich daran, dass sich deutsche (Beifall bei der SPD) Touristen im heutigen Polen polnischer gebärden als pol- nische Patrioten. Das mögen die nationalbewussten Polen Marianne Schieder (SPD): nicht. Ich habe bei meinen zahlreichen Besuchen im heu- Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- tigen polnischen Teil Ostpreußens aus meiner preußi- legen! Ich möchte jetzt einmal auf das Thema zurück- schen und deutschen Gesinnung keinen Hehl gemacht. kommen, um das es hier geht, nämlich auf § 96 des Dafür wurde mir Respekt bekundet. Bundesvertriebenengesetzes und die darin festgelegte Förderung der Kulturarbeit. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat auf eigene Initi- ative und auf eigene Kosten kommunalpolitische § 96 des Bundesvertriebenengesetzes ist und bleibt Gesprächsformate sowohl mit Polen als auch mit Russ- eine Erfolgsgeschichte. Gerne weise ich auch heute wie- land begründet. Für den russischen Gesprächskreis gibt der darauf hin, dass die Fördergrundlage, die diese (B) es bis heute keinen Cent Förderung. Erfolgsgeschichte erst möglich macht, die sogenannte (D) Konzeption 2000 ist. Sie stammt von der rot-grünen Bun- 2005 nahm ich Verbindung mit dem großen russischen desregierung und wurde im Jahre 2000 verabschiedet. Zu Literaten Alexander Solschenizyn auf, ein Freund den geförderten Einrichtungen gehört neben der Stiftung Deutschlands. Wir waren uns einig, dass beide Länder Flucht, Vertreibung, Versöhnung hier in Berlin eine ganze Totalitarismus schlimmster Art durchstehen mussten. Reihe von Museen, die über ganz Deutschland verteilt Über 60 Jahre nach Kriegsende – da waren wir uns sind. Es sind Museen, die sich mit der kulturellen Tradi- auch einig – sei kein Platz mehr für Selbstbezichtigung tion und Geschichte des deutschen Lebens in den Regio- und Schuldbekundungen. Mein geplanter Besuch bei ihm nen des östlichen Europas beschäftigen, in denen Deut- in Moskau wurde durch seine plötzliche Abberufung ver- sche gelebt haben und heute noch leben. Das alles sind hindert. Sein Einsatz für Deutschland bei der Besetzung sehr interessante und gute Einrichtungen. Danke für die Ostpreußens brachten ihm zehn Jahre Archipel Gulag. Es dort geleistete Arbeit! ist auch sein Verdienst und die Gnade Gottes, dass die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aussöhnung mit Russland gelungen ist. der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Das in dieser Woche eröffnete Ausstellungs-, Informa- tions- und Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Es ist hier in den letzten Tagen viel über die deutschen Versöhnung ist gut gelungen. Ich war am Montag dieser Schandtaten während des Zweiten Weltkrieges geredet Woche bei der Eröffnung dabei und konnte mich selbst worden. Nichts davon soll relativiert werden. Aber damit überzeugen: eine sehr interessante Architektur und eine auch die andere Seite zu Gehör kommt, zitiere ich mit beeindruckende Dauerausstellung. Ich kann nur herzlich freundlicher Genehmigung der Präsidentin einige Zeilen einladen, diese Einrichtung zu besuchen und dies sozu- aus Solschenizyns Epos „Ostpreußische Nächte“: sagen als Geheimtipp an die Besuchergruppen weiter- 22 Höringstraße, noch kein Brand, doch wüst geplü- zugeben. ndert. Lebend find ich noch die Mutter. Waren’s viel (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der auf der Matratze? Tochter – Kind noch – gleich CDU/CSU) getötet. Alles schlicht nach der Parole: Nichts ver- gessen, nichts verzeihen. Über § 96 Bundesvertriebenengesetz wird aber auch Forschung gefördert, es werden Stipendien vergeben, Wer noch Jungfrau, wird zum Weibe und die Weiber und es werden Kulturvermittlung und Kulturaustausch Leichen bald. Klinik, Arzt für euch vorbei. Die Fah- unterstützt. Unverzichtbar ist natürlich die kulturelle rer Russlands preschen über Stufen, über Schwellen. Breitenarbeit, die den Vereinen, Stiftungen, Bildungsein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30917

Marianne Schieder (A) richtungen, Landsmannschaften und anderen Einrichtun- reine Bestandsaufnahme. Sie ist ein Zeugnis über unser (C) gen der Vertriebenen ihre vielfältigen Aktivitäten ermög- eigenes geschichtliches Bewusstsein und Maß für die licht. Vieles von dem, was hier für 2020 geplant war, Bereitschaft, aus der Vergangenheit und für die Gegen- musste leider wegen Corona abgesagt werden oder konn- wart zu lernen. te gar nicht erst in Angriff genommen werden. Seit dem letzten Bericht der Bundesregierung hat sich Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung der ver- unsere Welt fundamental verändert. Noch immer spüren ständigungspolitischen Arbeit der Vertriebenen. Hier wir die Auswirkungen einer Pandemie, die unsere Arbeit wurden 2019 immerhin 71 Projekte finanziert. 2020 für Versöhnung und Zusammenhalt auf eine der härtesten waren es – wiederum wegen Corona – nur 21. Bewährungsproben stellt. Auch deswegen brauchen wir Sehr interessant fand ich die Orientierung am Bau- Zeichen – sichtbare Zeichen, Zeichen des Miteinanders, haus-Jahr 2019 unter dem Motto „Nicht nur Bauhaus. des Aufeinanderzugehens, Zeichen der Versöhnung. Netzwerke der Moderne im östlichen Mitteleuropa“. Da Umso erfreulicher ist die nun endlich möglich gewordene ging es um die Auseinandersetzung mit moderner Archi- Eröffnung des Dokumentationszentrums Flucht, Vertrei- tektur im ehemaligen Nordostdeutschland und in der bung, Versöhnung an diesem Montag. Das kann so ein Küstenregion der Zweiten Polnischen Republik. Zeichen sein. Aber für ganz besonders gelungen halte ich die Bei- Flucht, Vertreibung, Versöhnung – diese drei Worte träge zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft, weil damit wiegen schwer. Sie lösen bei jedem von uns unterschied- die europäische Dimension der Förderung besonders zum liche Impulse aus, geben aber auch eine klare Orientie- Ausdruck kommt. Diese europäische Dimension halte ich rung, was Kulturarbeit heute leisten muss. Flucht und für sehr, sehr wichtig, ja für unerlässlich. In diese Rich- Vertreibung sind der Blick zurück – der Blick auf ein tung geht auch die sehr zu begrüßende Einrichtung des vergangenes Leben an einem anderen Ort, auf Schick- neuen Förderschwerpunktes „Vielstimmige Erinnerung – salsschläge und die gleichzeitige Hoffnung auf ein besse- gemeinsames Erbe – europäische Zukunft: Kultur und res Leben fernab der Heimat. Versöhnung ist der Blick Geschichte der Deutschen und ihrer Nachbarn im östli- nach vorne. Wie können wir unseren inneren Frieden mit chen Europa“. uns selbst und mit anderen finden? Besonders freut es mich als Oberpfälzerin natürlich, Das neue Dokumentationszentrum ist kein Museum – dass auch die Stiftung Kunstforum Ostdeutsche Galerie zu Recht. Zu Recht will es zur Forschung, zur Diskussion in Regensburg wieder gut gefördert ist. Das ist ebenfalls und zur Auseinandersetzung einladen. Gerade angesichts ein Geheimtipp – wenn Sie einmal in die Oberpfalz kom- der vielen Parallelen zur Gegenwart muss dies der An- men –: Es wird einzigartige Kultur und Kunst gezeigt, spruch einer aktiven und sinnstiftenden Kulturarbeit sein. (B) aber es gibt dort auch ein ganz interessantes und konti- Der Direktorin der Stiftung, Frau Bavendamm, kann ich (D) nuierlich weiterentwickeltes Kulturvermittlungspro- für diese Herkulesaufgabe nur den bestmöglichen Erfolg gramm: Vermittlung von Kultur an Kinder, an krebskran- wünschen. ke Kinder, an Kinder mit Behinderung. Gerade entsteht in Flucht und Vertreibung sind keine Phänomene der Ver- Zusammenarbeit mit den Mittelschulen ein Audioguide, gangenheit. Sie sind hochaktuell, politisch brisant und in dem unter dem Motto „Der andere Blick“ ebendiese weltweite Herausforderungen. Flucht und Vertreibung jungen Menschen ihre Lieblingswerke für andere junge im 21. Jahrhundert lassen sich nicht mit nationalen Menschen, für andere Schülerinnen und Schüler darstel- Alleingängen begegnen, sondern nur mit gemeinsamer len. Eine wirklich tolle Sache. Entschiedenheit eines vereinten Europas. Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundesförderung nach § 96 des Bundesvertriebenenge- der CDU/CSU und des Abg. Erhard Grundl setzes entfaltet ein unglaublich vielfältiges Engagement, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) für das ich mich heute persönlich, aber auch im Namen Zugleich müssen wir Geduld beweisen. Versöhnung der SPD-Bundestagsfraktion ganz herzlich bei allen braucht ihre Zeit, manchmal auch über Generationen. bedanken möchte, die dazu beigetragen haben – sei es Sie braucht Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Nur hauptamtlich, sei es ehrenamtlich. wenn wir über Jahrhunderte gewachsenes Misstrauen Ich kann nur sagen: Weiter so! überwinden, können wir auch wieder zueinanderfinden. Danke für die Aufmerksamkeit. Wir müssen uns dabei bewusst sein, dass dies kein gerad- liniger Prozess ist. Gute Nachbarschaft ist kein Automa- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tismus, sondern erfordert die Fähigkeit, auf die Bedürf- nisse und Sorgen des anderen einzugehen und darauf klug Vizepräsidentin Petra Pau: zu reagieren. Die Debatte hat gezeigt: Hier gibt es offen- Das Wort hat der Kollege für die FDP- kundig auch in diesem Hause noch viel zu tun. Fraktion. (Marianne Schieder [SPD]: Ja!) (Beifall bei der FDP) Diese Versöhnungsarbeit der nach dem Zweiten Welt- krieg Vertriebenen kann nicht oft genug hervorgehoben Thomas Hacker (FDP): werden und ist Beispiel für uns heute. Genau deswegen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und leistet die Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenenge- Kollegen! Die Befassung mit der Kulturarbeit nach dem setz eine wertvolle Arbeit. Sie ist eine Investition in un- Bundesvertriebenengesetz ist immer mehr als nur eine sere Gesellschaft, in unsere Demokratie. 30918 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Thomas Hacker (A) (Beifall bei der FDP) Und ja, auch Alteingesessene verjagte man. Auch die (C) waren nicht frei von Schuld. Dass ihre Geschichten auch Wir dürfen Kulturarbeit nicht dogmatisch verstehen, tragisch waren, sondern im Verständnis für das Gemeinsame. Die Ver- triebenen, die einst aus Ostpreußen oder dem Sudeten- (Sepp Müller [CDU/CSU]: Dass wir uns im land in die Bundesrepublik kamen, taten dies mit dem Hohen Haus so was anhören müssen! – Enrico gleichen Schmerz des Verlustes, wie ihn heute die Men- Komning [AfD]: Es ist unerträglich! Fragen schen aus Syrien, Afghanistan oder der Subsahara fühlen: Sie mal die vergewaltigten Frauen!) dem Verlust von Heimat, Wurzeln, Traditionen und der Herausforderung, vollkommen neu anzufangen an einem dass die persönlichen Schicksale Beachtung verdienen, Ort, der ihnen so fremd ist wie sie seinen Bewohnern. will ich nicht bestreiten. Meine Großmutter floh mit ihren Töchtern. Meine Mutter war drei Jahre alt, ihre Schwester Ich bleibe dabei: Wir dürfen nicht nachlassen, ein Kli- ein Jahr alt. Geboren wurden sie in einem Lebensborn- ma der Verständigung zu schaffen – im Aufeinanderzu- Heim, auch das übrigens eine Erinnerungslücke in die- gehen, aber auch im kritischen Hinterfragen und offenen sem Hause. Diskurs. Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie und unsere Gesellschaft können das (Zuruf von der AfD: Mann, Mann, Mann!) aushalten. Meine Großmutter mag sich nicht schuldig gemacht ha- Danke. ben, aber sie wusste, dass sie nicht frei von Schuld war; denn sie hat hingenommen und weggesehen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Dass der Bundestag die von uns beantragte Feierstunde zum Überfall auf die Sowjetunion, der sich in dieser Woche zum 80. Mal jährt, abgelehnt hat, wir aber heute Vizepräsidentin Petra Pau: über Flucht und Vertreibung nach 1945 reden, finde ich Das Wort hat die Kollegin Simone Barrientos für die peinlich. Es spricht Bände. Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der AfD: (Beifall bei der LINKEN) Das ist gar nicht peinlich!) Damit wir uns hier nicht missverstehen: Eine solche Simone Barrientos (DIE LINKE): Feierstunde wäre ein nötiges Zeichen des Respekts gewe- Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- sen – nicht gegenüber den heutigen Regierungen der (B) legen! Das Bundesvertriebenengesetz ist ein Relikt des zerfallenen Sowjetunion. Nein, es wäre ein nötiges Zei- (D) Kalten Krieges. Es ist ein Relikt der alten Bundesrepu- chen des Respekts gewesen gegenüber den Bevölkerun- blik. gen der ehemaligen Sowjetunion, ein Zeichen des Res- Der Diskurs um Flucht und Vertreibung nach 1945 pekts gegenüber der multiethnischen Sowjetarmee. Es wurde dominiert – er wird es zum Teil immer noch – wäre eine Geste des Respekts gewesen an die Ermordeten von revisionistischen Kräften wie Erika Steinbach, die und ihre Nachkommen, an die Verachteten, an die Gequ- hier gerade gelobt wurde. Dass sich dieser Diskurs älten, an die Geschundenen, an die Verhungerten, an all ändert, ist gut, aber auch überfällig; denn dass hierzulan- die, die man auslöschen wollte. de so viele Menschen nicht mehr wissen, mit welcher Noch einmal zur Klarstellung: Das Vernichtungslager Brutalität und Verachtung die deutsche Wehrmacht, die Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 durch die Sowjet- SS- und die Polizeibataillone in Richtung Osten marsch- armee befreit, und zwar von den Soldaten der 322. In- ierten, mordend in einem unvorstellbaren Ausmaß, fanteriedivision der 60. Armee der I. Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Pawel Alexejewitsch ( [AfD]: Es geht um Vertrei- Kurotschkin . – Niemals sollen sie vergessen sein! bung der Deutschen!) Vielen Dank. das ist auch die Folge einer lückenhaften Erinnerungs- kultur. (Beifall bei der LINKEN – Sepp Müller [CDU/ CSU]: Ganz schwach! – Gegenruf von der (Beifall bei der LINKEN) LINKEN: Nee! Gar nicht!) Es ist kein Lapsus, wenn, wie im Januar 2020 geschehen, ausgerechnet „Der Spiegel“ schreibt, die „amerikanische Vizepräsidentin Petra Pau: Armee“ hätte Auschwitz befreit. Nein, das ist eine Folge Das Wort hat der Kollege Erhard Grundl für die Frak- davon, dass der Kalte Krieg noch immer mitwabert im tion Bündnis 90/Die Grünen. Erinnern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flucht und Vertreibung waren die Folge des deutschen Vernichtungskriegs. Den mordenden Soldaten folgten Kriegsgewinnler und Profiteure, Industrielle und Fabrik- Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): anten, Protektoren und KZ-Aufseher. Unter dem Motto Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Frau „Blut und Boden“ richteten sie sich ein in den eroberten Präsidentin! Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne die Gebieten, bis man sie davonjagte. Frau Bundeskanzlerin zitieren: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30919

Erhard Grundl (A) Ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) über Europa und die Welt gebrachten Terror, ohne sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LIN- den von Deutschland im Nationalsozialismus be- KE]) gangenen Zivilisationsbruch der Shoah und ohne Die europäischen Mitgliedstaaten gestalten ihre Geflüch- den von Deutschland entfesselten Zweiten Welt- tetenpolitik immer restriktiver, und das ist eine Schande. krieg wäre es nicht dazu gekommen, dass zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach Millionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsche Flucht, Vertreibung und Zwangsumsied- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) lung erleiden mussten. Meine Damen und Herren, bereits 2019 haben wir die (Enrico Komning [AfD]: Dadurch wird die Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz hier Vertreibung aber nicht rechtmäßig!) debattiert. Damals schloss ich meine Rede so: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Ver- Wenn wir heute über Flucht und Vertreibung im treibungsgeschichte der Deutschen in ihrem histori- Rahmen der Kulturförderung nach dem Bundesver- schen Kontext von Ursache und Folgen eingebettet triebenengesetz reden, dann dürfen wir keinen und nicht isoliert dargestellt wird. Augenblick vergessen: Hier und heute fliehen Men- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schen vor Gewalt und Zerstörung; sie fliehen unter SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Lebensgefahr und in eine ungewisse Zukunft. Nie- mand tut das leichten Herzens. Mein Vater wurde am 18. September 1925 in Wölsch- ko, einem kleinen südböhmischen Dorf, geboren. Mit „Das Mindeste, was wir als Deutsche tun können, ist es“, 17 Jahren wurde er in den Kriegsdienst eingezogen, und sie „aus Seenot zu retten“, sie aus menschenunwürdigen mit 19 Jahren kam er in amerikanische Kriegsgefangen- Lagern herauszuholen, ihnen Schutz und Sicherheit anzu- schaft. Er und seine Familie wurden nach dem Krieg aus bieten. „Das“, meine Damen und Herren, „ist kein Almo- ihrer Heimat vertrieben. Nicht alle überlebten diese Ver- sen, sondern unsere Pflicht als Menschen.“ – Daran hat treibung. Ich stehe also vor Ihnen als ein Vertreter der sich nichts geändert. ersten Generation nach den Zeitzeuginnen und Zeitzeu- Ich danke Ihnen. gen. Gerade für meine Generation ist es unerlässlich, jeder Form des Revanchismus – wie wir ihn hier schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehört haben – auch heute noch tagtäglich eine klare sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Absage zu erteilen. Vizepräsidentin Petra Pau: (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Das Wort hat Dr. Bernd Fabritius für die CDU/CSU- LINKEN) Fraktion. Für meine Generation ist es ebenso unerlässlich, all de- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nen zu danken, die – meistens in Privatinitiativen – in den Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahrzehnten seit Kriegsende unermüdlich und gegen viele NEN]) Widerstände für eine tatsächliche Aussöhnung zwischen den einstigen Feinden gekämpft haben und sie schluss- Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (CDU/CSU): endlich auch erreichen konnten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Millionen Deutsche flohen zum Ende des Zweiten Kollegen! Mit der heutigen Debatte über die vielen Weltkrieges und danach aus Ost- und Südosteuropa gelungenen Maßnahmen zur Kulturförderung nach § 96 oder wurden vertrieben. Angekommen in Frieden, Frei- BVFG schließen wir eine für die deutschen Heimatvert- heit, Wohlstand sind viele von ihnen lange nicht. riebenen, Aussiedler und Spätaussiedler ereignisreiche Erwünscht und willkommen geheißen waren die Vertrie- Woche und eine insgesamt erfolgreiche Wahlperiode benen in der neuen, oft kalten Heimat, wie Andreas Kos- positiv ab. sert schreibt, vielfach nicht. „Die meisten Deutschen Mit dem Gedenktag für die Opfer von Flucht und wollten das nicht sehen, nicht hören, nicht wissen“, Vertreibung am letzten Sonntag und der Eröffnung des schreibt Kossert. Eine kollektive Erfahrung von Flucht Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöh- und Vertreibung gibt es in Deutschland heute, da nur nung im Beisein unserer Bundeskanzlerin, Frau noch wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen leben, nicht Dr. Angela Merkel, und unserer Kulturstaatsministerin, mehr. Umso wichtiger ist die Rolle eines solchen Doku- Professorin Monika Grütters, am Montag lag das Augen- mentationszentrums, und umso größer sind die Erwartun- merk dieser Woche zuerst auf dem Schicksal unserer gen an das Dokumentationszentrum. Es muss dort gelin- Landsleute. Gerade mit der Eröffnung des Dokumenta- gen, Schuld und Leid gleichermaßen zu thematisieren. tionszentrums schließt sich nun endlich eine Lücke in der Natürlich muss der Blick in diesem Zentrum auch auf Erinnerungslandschaft unserer Hauptstadt. Flucht und Vertreibung in unserer Gegenwart gerichtet (Beifall bei der CDU/CSU) werden. Trotz des 70-jährigen Bestehens der Genfer Flüchtlingskonvention werden die in ihr verbrieften Dafür bin ich Ihnen, liebe Frau Staatsministerin, und auch Rechte zunehmend ausgehöhlt. Die flüchtlingspolitische unserer Bundeskanzlerin ausdrücklich dankbar. Ich emp- Bilanz der Bundesregierung und der europäischen Mit- fehle dringend, diese Einrichtung in das Besuchspro- gliedstaaten fällt beschämend aus. gramm des Bundespresseamts aufzunehmen. 30920 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Geschichte in den Regionen des östlichen Europas, (C) Die Fördersumme in den Jahren 2019 und 2020 von in denen Deutsche gelebt haben und bis heute leben, über 54 Millionen Euro mit den beiden Leuchtturmpro- sprechen können. jekten „Dokumentationszentrum“ und „Sudetendeut- Wir fördern auf der Basis von § 96 des Bundesvertrie- sches Museum“ spiegelt Inhalt und Auftrag des § 96 benengesetzes Museen, Bibliotheken, Einrichtungen der BVFG angemessen wider. Die Förderung bildet eine Forschung und der kulturellen Vermittlung, und zwar – wichtige Grundlage für den Erhalt und die Fortentwick- ausweislich des Berichtes – 2019 mit rund 23,5 Millionen lung des jahrhundertealten kulturellen Erbes, das uns Euro und 2020 sogar mit gut 31 Millionen Euro. Wir allen gehört und das Teil der gesamtdeutschen Kulturbio- fördern damit den internationalen Dialog und das Ver- grafie ist. Darum geht es in der heutigen Rede: Die För- ständnis für den europäischen Integrationsgedanken. dermaßnahmen des § 96 BVFG zu erhalten, weiter aus- Wir stärken Kooperationsprozesse. Genau darum geht zubauen und in die Zukunft zu tragen, ist uns eine liebe es. Es geht nicht um Deutschtümeleien oder derlei Dinge Verpflichtung. mehr, sondern es geht um Kooperationen mit den Part- Meine Damen und Herren, kulturelles Erbe ist aber nern des östlichen Europas, es geht um Integration, es weitaus mehr als nur erhaltenswert. Für die Menschen geht um Verständigung. ist es ein zentraler Ankerpunkt ihrer eigenen Identität. Diese kulturelle Identität zu erhalten und an kommende Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, Generationen weiterzureichen, ist unerlässlich. dass wir gerade in dieser Woche mit der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung hier in Berlin einen beson- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deren Meilenstein verzeichnen konnten; das ist von mei- Wir müssen unseren Landsleuten ein starkes Fundament ner Kollegin Marianne Schieder und anderen ausgeführt bereitstellen, auf dem gerade junge Menschen die eigene worden. Identität finden und festigen können. Ich will dem zwei weitere Beispiele aus den vielen Das Interesse für die Kultur, das Brauchtum, die Ge- beistellen, die der Bericht aufweist. Das ist zum einen schichte der Heimatvertriebenen keimt zuerst in der das Schlesische Museum zu Görlitz. Im Schlesischen Familie und im familiären Umfeld. Es ist Voraussetzung Museum zu Görlitz wird die Vergangenheit und Gegen- für die Ausbildung eines gefestigten, persönlichen wart Schlesiens als einer europäischen Kulturregion dar- Selbstverständnisses in kultureller Vielfalt. Erst das gestellt. Dafür arbeiten polnische und tschechische Mu- gewährt den Fortbestand dieser schützenswerten Kultur seen mit Bildungseinrichtungen und Institutionen aus und der damit verbundenen Traditionen und Bräuche. Deutschland zusammen. 2020 förderten wir dieses Mu- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. seum mit knapp 650 000 Euro, um nur diese eine Zahl zu (D) Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nennen. NEN]) Zum anderen will ich das Herder-Institut für histori- Unseren Landsleuten, die weiter in den Heimatgebie- sche Ostmitteleuropaforschung nennen, ein Institut der ten leben, helfen diese Fördermaßnahmen, Assimilierung Leibniz-Gemeinschaft im hessischen Marburg, das 2020 abzuwehren und kulturelle Vielfalt zu erhalten. Wir un- vom Bundestag 2,8 Millionen Euro erhielt, um damit die terstützen im Sinne eines Europa der Vielfalt und der Region Ostmitteleuropa erforschen zu können und das grenzüberschreitenden Verständigung sowie des kulturel- Wissen Bibliotheken, Museen politischen Akteuren und len Austauschs mit den Maßnahmen nach § 96 BVFG einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen zu kön- nicht nur die Festigung der Identität der Deutschen in nen. Andere Beispiele könnte man nennen. den Herkunftsgebieten, sondern wir tragen dadurch ent- scheidend zur Völkerverständigung in einem weiter Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen, der Be- zusammenwachsenden Europa bei. Die weitere Stärkung richt der Bundesregierung enthält hochaktuelle Themen; des § 96 BVFG bleibt damit auch in der kommenden denn heute geht es in Europa um Vertrauen, um Zuver- Wahlperiode Aufgabe und Verpflichtung – aus Überzeu- lässigkeit und um stabile Partnerschaft. Das ist wichtig. gung. Das unterstützen wir mit dieser Arbeit. Die SPD-Bundes- tagsfraktion setzt sich in der Erinnerungskultur immer Danke. damit auseinander, Zeichen für Toleranz und Aufklärung (Beifall bei der CDU/CSU) und gegen demokratiefeindliche Tendenzen zu setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: der CDU/CSU) Das Wort hat der Kollege Martin Rabanus für die SPD- Fraktion. Damit will ich zum Schluss kommen. Sehr geehrte (Beifall bei der SPD) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her- ren, ich darf mich ganz herzlich für die Zusammenarbeit mit den demokratischen Fraktionen in dieser Wahlperio- Martin Rabanus (SPD): de bedanken. Ich bedanke mich auch bei der BKM für die Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kol- gute Zusammenarbeit. Es war mir eine Freude und eine leginnen und Kollegen! Auch ich freue mich darüber, Ehre! dass wir an diesem letzten regulären Sitzungstag dieser Wahlperiode noch einmal über die Förderung von Kultur Herzlichen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30921

Martin Rabanus (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Wir müssen die Erinnerung an diese Vertreibungsge- (C) bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. schichten in vollem Bewusstsein und im Kontext unserer Thomas Hacker [FDP]) historischen Verantwortung und Schuld wachhalten. Wir müssen unsere Geschichte in Geschichten erzählen und Vizepräsidentin Petra Pau: erzählen lassen. Genau das passiert in diesem Zentrum, und genau das ist unser Auftrag. Ich gehe davon aus, dass das nicht Ihre letzte Rede hier im Hause war. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies (Martin Rabanus [SPD]: Das wäre der Plan!) war nun meine 77. und letzte Rede im Deutschen Bundes- tag. In der Verantwortung vor Gott und den Menschen – Gut. habe ich meine Politik verstanden. Ich blicke heute Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für nach vorn. Nun werde ich mich weiter an anderen Orten die CDU/CSU-Fraktion. für die Themen einsetzen, die mir hier so wichtig waren. Ich will sie noch einmal nennen. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Kultur, stets unterschätzt und gerade in der Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Pandemie so schmerzlich vermisst. Ich wünsche mir, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass die Kultur künftig in diesem Hause eine noch viel Gegenwart und Vergangenheit gehören – wir haben es größere Rolle spielt als bis jetzt. gehört – beim Thema „Flucht und Vertreibung“ zusam- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, men. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Ich beginne einmal mit der Gegenwart. Über 82 Millio- GRÜNEN) nen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, fast Die Repräsentanz von Frauen in vielen Bereichen un- so viele Menschen, wie Deutschland Einwohner hat. Die serer Gesellschaft, von allen gewollt, aber noch lange Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, ein nicht realisiert. Ich wünsche mir, dass in der nächsten trauriger Höchststand, und fast die Hälfte sind Kinder Legislatur in diesem Hohen Haus mehr Frauen sitzen unter 18 Jahren. Ihnen müssen wir uns zuwenden, liebe als im Augenblick. Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Hacker GRÜNEN – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Jawohl! Mehr Frauen als Männer am besten!) (B) [FDP]) (D) Flucht und Vertreibung sind nicht nur Teil unserer Die Erinnerungskultur in unserem Land, für viele nah, eigenen Geschichte, sie sind Geschichte Europas, sie für die junge Generation fern; deshalb diese Debatte. sind Geschichte der ganzen Welt. Sie sind auch heute Schließlich die deutsche Außenpolitik, scheinbar fern bittere Realität. Im 21. Jahrhundert müssen weltweit Mil- und doch Voraussetzung für Frieden, Freiheit und Demo- lionen von Menschen vor Krieg, Hunger und Verfolgung kratie in Deutschland, in Europa und der Welt. fliehen. Die Bilder aus Syrien, Irak und Jemen machen uns betroffen; sie machen uns nicht nur betroffen, son- Ich danke allen, vor allem meiner eigenen Fraktion, für dern oft auch machtlos. Aber wir haben die Macht, ihr alle Unterstützung in den vergangenen acht Jahren. Ich Flüchtlingsschicksal zu erleichtern, ihnen zu helfen. Das danke aber auch den anderen Fraktionen für die gute gilt in ihrer Heimat, aber auch in unserem Land, liebe Zusammenarbeit, die es im Kulturbereich doch gegeben Kolleginnen und Kollegen. hat. Ich danke schließlich meiner Familie, meinem Mann, der da oben sitzt. Jetzt komme ich zu den Vertriebenen, die wir als Deut- sche zu beklagen haben – immer natürlich im Bewuss- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tsein, wie schuldig wir in dem Krieg geworden sind; aber bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der das ändert nichts an der Tatsache, dass auch damals Mil- LINKEN und des Bündnisses 90/DIE GRÜ- lionen Kinder und Frauen vor dem Krieg, vor dem Hun- NEN) ger, vor Vergewaltigung fliehen mussten. Das dürfen wir Ich danke meinen Kindern für alle Unterstützung und niemals vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hilfe. Sie haben nie geklagt, wenn ich das Haus verlassen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. habe, aber haben sich immer doch doll gefreut, wenn ich Dr. [SPD]) wiedergekommen bin. Diese Flüchtlinge mussten ihr Zuhause verlassen und (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der eine neue Heimat finden. Sie wollten keine Vergeltung – SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der das will ich hier ausdrücklich betonen –, sondern haben in LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE der Charta der deutschen Heimatvertriebenen Versöh- GRÜNEN) nung gefordert. Nur darum kann es in der Erinnerungs- kultur gehen. Wir wollen uns versöhnen und nicht weiter Ich danke meinem Team. Ich kann nicht alle aufzählen. spalten und trennen. Ich sage nun dankbar: Auf Wiedersehen und Gottes Segen für unser Land! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vielen Dank. 30922 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Elisabeth Motschmann (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten (C) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD – Kühn (Tübingen), Anja Hajduk, weiterer Ab- Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ sich) DIE GRÜNEN Menschenrecht auf Wohnen dauerhaft Vizepräsidentin Petra Pau: sicherstellen – Wohnungs- und Obdachlo- Kollegin Motschmann, auch Ihnen wünsche ich alles, sigkeit konsequent bekämpfen alles Gute für den folgenden Lebensabschnitt. Wenn man Drucksachen 19/7734, 19/9697 so erwartet wird, ist das sehr schön. Ich habe mich gerade vergewissert – Sie haben es gesagt –: acht Jahre. Ich hatte f) Beratung der Beschlussempfehlung und des das Gefühl, dass wir viel länger zu diesen wichtigen Fra- Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- gen miteinander gestritten haben. Also: Alles Gute! oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena (Beifall) Baerbock, Katja Dörner, Sven Lehmann, Ich schließe die Aussprache. weiterer Abgeordneter und der Fraktion Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/30790 an die in der Tagesordnung aufge- Faire Chancen für jedes Kind – Kinder- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- grundsicherung einführen weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- Drucksachen 19/14326, 19/24882 Buchsta- fahren wir wie vorgeschlagen. be b Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 l auf: g) Beratung der Beschlussempfehlung und des a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- desregierung ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Sechster Armuts- und Reichtumsbericht – Abgeordneten Sven Lehmann, Anja Hajduk, Lebenslagen in Deutschland Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/29815 sowie der Abgeordneten Katja Kipping, b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Matthias W. Birkwald, Susanne Ferschl, wei- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE (B) ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der LINKE (D) Abgeordneten René Springer, Jürgen Pohl, Martin Sichert, weiterer Abgeordneter und Für soziale Garantien ohne Sanktionen der Fraktion der AfD Drucksachen 19/15078, 19/30504 Buchsta- Lehren aus dem Sechsten Armuts- und be h Reichtumsbericht ziehen h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksachen 19/30403, 19/31083 Buchsta- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- be a ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, Anja Hajduk, c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu NIS 90/DIE GRÜNEN dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, Garantiesicherung statt Hartz IV – Mehr weiterer Abgeordneter und der Fraktion soziale Sicherheit während und nach der DIE LINKE Corona-Krise Zehn Tage Elternschutz zusätzlich einfüh- Drucksachen 19/25706, 19/30504 Buchsta- ren be i Drucksachen 19/26979, 19/30908 i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Katrin Werner, Dr. Petra Sitte, Doris Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann- Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Kuhn, Anja Hajduk, Beate Mülle-Gemmeke, Fraktion DIE LINKE weiterer Abgeordneter und der Fraktion Für eine soziale, zukunftsweisende und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN krisenfeste Familienpolitik Ein Zukunftsprogramm gegen Armut – Drucksache 19/30605 Armut bekämpfen, Teilhabe garantieren, e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Chancen und Zusammenarbeit stärken Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, Drucksachen 19/30394, 19/31083 Buchsta- Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- be c Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30923

Vizepräsidentin Petra Pau (A) j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- (C) Berichts des Ausschusses für Arbeit und les: Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Sven Ich hatte in dieser Woche die Gelegenheit, mich beim Lehmann, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, G-20-Gipfel der Arbeits- und Sozialminister in Italien weiterer Abgeordneter und der Fraktion mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Wir müs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen feststellen, dass diese Coronapandemie besonders die Menschen überall auf der Welt hart getroffen hat, die es Arbeitsförderung und Beratungsqualität vorher auch schon nicht leicht hatten. Die Rede ist von in den Jobcentern gesetzlich verbessern Kindern und Jugendlichen, die Rede ist von vielen Drucksachen 19/15975, 19/29973 Buchsta- Frauen und auch von vielen armen Menschen, die es vor- be b her schon schwer hatten. Aber wir müssen auch feststellen, dass wir in Deutsch- k) Beratung der Beschlussempfehlung und des land in dieser Krise zwei Mittel gefunden haben, mit Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- denen wir Armut bekämpfen können. Das ist erstens ziales (11. Ausschuss) ordentliche, bezahlte und sichere Arbeit. Und, meine Da- – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja men und Herren, es ist zweitens ein starker Sozialstaat, Kipping, Matthias W. Birkwald, Susanne ein leistungsfähiger Sozialstaat. Dafür haben wir in dieser Ferschl, weiterer Abgeordneter und der Legislaturperiode erfolgreich gekämpft: für gute Arbeit, Fraktion DIE LINKE für sozialen Schutz und für gesellschaftlichen Zusam- menhalt – in der Krise und im Wandel. Hartz IV überwinden – Sanktionsfreie (Beifall bei der SPD) Mindestsicherung einführen Wir haben verhindert, dass trotz mancher individueller – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Härten aus der Coronakrise eine soziale Katastrophe für Kipping, Susanne Ferschl, Doris unser Land geworden ist. Es ist uns gelungen, den Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Arbeitsmarkt stabil zu halten. Arbeit – noch mal: gut der Fraktion DIE LINKE bezahlt und sicher – ist der beste Schutz vor Armut: vor der Armut im Erwerbsleben, vor Altersarmut, vor Fami- Getrenntlebende Eltern im Grundsi- lienarmut. Arbeit ist auch der beste Schutz vor Kinder- cherungsbezug entlasten – Umgangs- armut, wenn Eltern gut bezahlt sind und gut arbeiten mehrbedarf einführen (B) können. Ja, das Kurzarbeitergeld und die Sozialschutzpa- (D) – zu dem Antrag der Abgeordneten kete haben sehr, sehr viel Geld gekostet; aber Massen- Matthias W. Birkwald, Katja Kipping, arbeitslosigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, und so- Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter ziale Ungerechtigkeit wären für unser Land viel, viel und der Fraktion DIE LINKE teurer gewesen. Deshalb war das der richtige Weg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Grundsicherungskürzungen bei Rent- nerinnen und Rentnern verhindern Der Armuts- und Reichtumsbericht ist eine Gelegen- heit, darüber zu reden, dass wir in dieser Legislaturperio- Drucksachen 19/29439, 19/29749, de angetreten sind, um den Wert und auch die Würde der 19/24454, 19/30504 Arbeit zu stärken. Und wir haben geliefert: Mit dem „So- zialen Arbeitsmarkt“, mit dem wir über 50 000 Menschen l) Beratung der Beschlussempfehlung und des in sozialversicherungspflichtige Arbeit gebracht haben; Berichts des Ausschusses für Arbeit und mit einem gestiegenen Mindestlohn, den wir in Richtung Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der 12 Euro weiterentwickeln werden; mit besseren Arbeits- Abgeordneten Katja Kipping, Susanne bedingungen für die Menschen, die unser Land am Lau- Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Ab- fen halten – zum Beispiel mit dem Pflegemindestlohn, geordneter und der Fraktion DIE LINKE jetzt auch mit dem Tariflohn in der Pflege –; mit dem Schutz vor Armut und Ausgrenzung Arbeitsschutzkontrollgesetz, mit dem wir gegen Ausbeu- garantieren – Konsequenzen aus dem tung der Fleischindustrie vorgegangen sind; mit dem Armuts- und Reichtumsbericht ziehen Paketboten-Schutz-Gesetz. Meine Damen und Herren, unser Ziel ist es, dass wir Drucksachen 19/30388, 19/31083 Buchsta- Politik für diejenigen machen, die sich jeden Tag in die- be b sem Land reinhängen, ohne reich zu werden, die aber das Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Land am Laufen halten. Darauf haben viele Menschen beschlossen. – Ich bitte, Platz zu nehmen. lange gewartet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- minister Hubertus Heil. Durch die Einführung der Grundrente und durch die Sta- bilisierung des Rentenniveaus haben wir viel erreicht für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rentnerinnen und Rentner, die stolz auf ihre Lebensleis- der CDU/CSU) tung sein können. 30924 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Bundesminister Hubertus Heil (A) Meine Damen und Herren, es geht nicht nur darum, Martin Reichardt (AfD): (C) dass wir diese Erfolge in Zukunft sichern, sondern auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen darum, dass wir Lehren aus dieser Krise ziehen. Die gro- und Herren! Wir reden heute – spät, aber doch – über ße Aufgabe der nächsten Jahre wird es sein, aus techni- den „Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht – Lebens- schem Fortschritt auch sozialen Fortschritt zu machen. Es lagen in Deutschland“ und diverse Anträge von Grünen geht darum, breite Brücken zu bauen, damit die Beschäf- und Linken. Der Bericht als Ganzes ist wahrlich kein tigten von heute die Chance haben, die Arbeit von mor- Ruhmesblatt für diese Regierung. Aber die Anträge von gen zu machen: durch Weiterbildung, durch Qualifizie- Grünen und Linken zeugen von Realitätsferne, weil sie rung. Deutschland, meine Damen und Herren, muss eine von der Prämisse ausgehen, dass Geld unbegrenzt ver- Weiterbildungsrepublik werden. mehrbar und insofern auch für ihre Geschenke vorhanden ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Grüne und Linke ignorieren die Tatsache, dass das Es geht auch darum, dass wir Lücken im Sozialstaat, Geld, das sie freizügig verteilen wollen, erst erarbeitet die wir in dieser Krise schmerzlich erlebt haben, schlie- werden muss, erarbeitet mit eigener Hände Arbeit; aber ßen, zum Beispiel in Bezug auf die Absicherung von das ist Studienabbrechern, Lebenslaufschummlern und Soloselbstständigen und auf Kinder in benachteiligten Parteikarrieristen von Linken und Grünen sicherlich ein Lebenslagen. Ich denke etwa an Kinder, die unter Home- Fremdwort, meine Damen und Herren. schooling gelitten haben, weil sie nicht genug unterstützt wurden. Das sind wir den Menschen in diesem Land (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald schuldig. Meine Damen und Herren, mein Ziel ist, dass [DIE LINKE]: Langweilig!) mehr Menschen die Chance zum sozialen Aufstieg in Sie zetern über die steigende Armut in Deutschland und diesem Land haben und sich als Teil der Mitte der Gesell- täuschen darüber hinweg, dass Sie und Ihre Politik ver- schaft begreifen, und zwar unabhängig von ihrer Her- antwortlich dafür sind und auch in Zukunft immer weiter kunft. für soziale Ungerechtigkeit und steigende Armut sorgen werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Sie fordern uneingeschränkte Einwanderung in die Sozialsysteme. Fakt aber ist: 36,5 Prozent der Hartz-IV- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Armuts- und Bezieher haben eine ausländische Staatsbürgerschaft. Reichtumsbericht zeigt Licht und Schatten in unserem Fakt ist: Mehr als jedes dritte Kind, das in Deutschland Land. Er ist Anlass, weiterzuarbeiten auf dem Weg für auf Hartz IV angewiesen ist, hat keine deutsche Staats- gerechte Arbeit. Wir werden die sozialen Sicherungssys- bürgerschaft; das sind 44,6 Prozent der Leistungen nach (B) teme in den nächsten Jahren auch im demografischen SGB II für Kinder. Fakt ist also: Sie holen Menschen ins (D) Wandel stabil halten können, wenn wir es schaffen, dass Land, die zu einem erheblichen Teil von Sozialleistungen möglichst viele Menschen – Frauen und Männer – die abhängig sind und dies auch immer bleiben werden. Chance haben, zu anständigen Löhnen zu arbeiten – das ist übrigens auch gut für die Stabilität der Sozialkassen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) und auch der Rente –, wenn wir es schaffen, in diesem Das nennen Grüne aktive Einwanderungspolitik: unter- Land dafür zu sorgen, dass wir den Wandel gestalten, schiedslosen Zugang für die gesamte Welt zu deutschem dass wir Chancen und Schutz in Zeiten eines rasanten Wohnraum und deutschen Gesundheits- und Sozialleis- Wandels hinkriegen – mit einem starken Sozialstaat, tungen. den niemand kaputtreden sollte. Die Hartz-IV-Sätze sollen von 432 Euro auf 603 Euro Meine Damen und Herren, unser Sozialstaat, der angehoben werden. Das ist dann die sogenannte Garan- Sozialstaat in Deutschland, ist nicht perfekt, aber er ist tiesicherung. Das Einzige, was Sie mit Ihrer Politik und eine der besten Errungenschaften in unserer Geschichte. Ihren Anträgen garantieren, ist ein ungehinderter Zuwan- Auf den Sozialstaat kann unser Land stolz sein, und ihn derungssog in den deutschen Sozialstaat, und dieser wird werden und müssen wir stärken. dadurch ruiniert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Es geht darum, unser Land, so vielfältig es ist, in Zeiten Die ökosozialistischen Grünen und auch Sie als Linke des Wandels auch in Zukunft zusammenzuhalten. Dafür sind letztlich die Sterbebegleiter des deutschen Sozial- haben wir gearbeitet, und dafür werden wir weiter arbei- staats. ten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Langweilig!) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 1976 sagte Milton Friedman, Nobelpreisträger für Wirt- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) schaft: Ein Land kann ein Sozialstaat sein oder offene Grenzen haben. Ein Land kann aber kein Sozialstaat Vizepräsidentin Petra Pau: sein und offene Grenzen haben. Das Wort hat der Abgeordnete Martin Reichardt für die (Beifall bei der AfD) AfD-Fraktion. Sie fordern beides unbegrenzt und schröpfen damit die (Beifall bei der AfD) Leistungsträger Deutschlands. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30925

Martin Reichardt (A) Die vollkommen sinnlose Energiewende spüren viele Hüter der Freiheit. Unsere Aufgabe ist es nicht, an den (C) Menschen in Deutschland schon jetzt schmerzhaft: Höhe- Tischen der Reichen zu schmausen oder Schmiere zu re Kosten bei Mieten, Energie- und Kraftstoffpreisen be- stehen, wenn Halunken ihren dunklen Händeln nachge- deuten für viele Menschen den Unterschied zwischen hen. Noch weniger ist es unsere Aufgabe, selbst dunklen „Gerade noch mit dem Geld auskommen“ und „Schon Händeln nachzugehen und uns damit zu bereichern. Viel- am 20. des Monats nichts mehr haben“. Für viele Men- mehr ist es unsere Aufgabe, durch die Gesetzgebung den schen in Deutschland bergen sie die Gefahr des wirt- Missbrauch der Freiheit durch wenige zu beenden und schaftlichen Niedergangs und der Verarmung. die Möglichkeit der Freiheit für alle zu schaffen. Der Gegen Armut, meine Damen und Herren, hilft kein Armuts- und Reichtumsbericht gibt uns einen Hinweis Geld, das ausschließlich vom Staat kommt. Dauerhaft darauf, ob wir damit erfolgreich waren oder nicht. Ich hilft nur Arbeit, von der man leben kann: Facharbeiter, denke, wir waren es. die mit ihrem Lohn eine Familie ernähren können, damit (Beifall bei der CDU/CSU) junge Menschen ohne Angst vor Armut Kinder bekom- men können, die dann die Leistungsträger unserer Gesell- Es geht nicht nur, meine Damen und Herren, um Frei- schaft werden. heit von irgendwas, also um Freiheit als Abwesenheit von wiederrechtlichem Zwang, Unterdrückung oder Verlet- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) zung der Menschenwürde; es geht wesentlich um Freiheit „Leistung muss sich wieder lohnen“, das sagte Helmut zu etwas, um die Öffnung von Ermöglichungsräumen. Es Kohl 1982. Für diesen Satz steht in Deutschland 2021 nur geht darum, dass sich der Mensch als Person entfalten noch die AfD. kann. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der In der Soziallehre – und das ist meine geistige Heimat – SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- ist die Möglichkeit der Entfaltung der eigenen Person NISSES 90/DIE GRÜNEN – unter den Begriff des Gemeinwohls gestellt. Gemeinwohl [CDU/CSU]: Sie sind doch das beste Gegen- ist, wenn sich alle nach ihren Anlagen als Person ent- beispiel!) falten können. Das ist nicht immer eine Frage der mate- riellen Ausstattung; aber allzu häufig scheitert diese Ent- Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Einführung faltung an der materiellen Ausstattung. Und deshalb ist es einer Steuer- und Abgabenbremse, die Unterstützung jun- richtig, zu sagen: Menschenwürde ist nicht vorausset- ger Familien durch Ehestartkredite, die Einführung eines zungslos. Sie bedarf der Strukturen, die den Menschen Familiensplittings und „weg mit der CO2-Steuer“. Möglichkeiten eröffnen. Denn Menschenwürde ist in die (Beifall bei der AfD – Enrico Komning [AfD]: Praxis gestellt und damit mehr als ein philosophisches (B) Gute Idee!) oder theologisches Konzept. (D) Wir wollen starke Bürger und starke Familien, die den (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Staat eben nicht brauchen; denn gerechter Lohn für an- NIS 90/DIE GRÜNEN) ständige Arbeit, das ist „Deutschland. Aber normal“. „In die Praxis gestellt“ heißt aber auch, dass Menschen Vielen Dank. Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Als (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Person sich zu entfalten, ist ein Akt der Selbstbestim- [DIE LINKE]: 6,8 Millionen ausländische Mit- mung und keineswegs eine Daueraufgabe gesellschaftli- bürgerinnen und Mitbürger zahlen Rentenver- cher Alimentierung und Betreuung. Solidarität und sicherungsbeiträge! Sie haben von nichts auch Selbstverantwortung sind zwei Seiten einer Medaille. nur annähernd den Hauch einer Ahnung!) Ich habe nie Adornos Diktum ernst genommen, dass es kein richtiges Leben im Falschen gebe. Der daraus ent- Vizepräsidentin Petra Pau: stehende resignative Attentismus steht quer zu dem, was Das Wort hat Professor Dr. Matthias Zimmer für die ich in den vergangenen zwölf Jahren mitgestalten durfte, CDU/CSU-Fraktion. vor allem im Ausschuss für Arbeit und Soziales – ja, vielleicht manchmal zu langsam; aber der Fortschritt ist (Beifall bei der CDU/CSU) ja nach Günter Grass eine Schnecke. Der Armuts- und Reichtumsbericht liest sich wie eine Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Bilanz dieser Jahre, und jeder, der zu Recht oder zu Un- Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und recht hier kritisiert, mag sich die Frage stellen: Wo wären Herren! Ich werde mal versuchen, das Niveau wieder wir ohne die vergangenen zwölf Jahre, was das Gemein- etwas zu heben, obwohl das nach der Rede nicht so wohl in Deutschland angeht? Es haben sich die Bedin- schwer ist. gungen verbessert, die es den Menschen erlauben, ihre (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Person zu entfalten, und das zählt. Dafür haben sich die SPD und der LINKEN) Arbeit und manchmal auch der Kampf gelohnt. Im Verhältnis zwischen den Armen und den Reichen Meine Damen und Herren, im Verhältnis von Armen ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das und Reichen ist es das Gesetz, das befreit. Es war mir eine befreit. – Wenn dieser Satz des französischen Dominika- Ehre, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sich dieser ners Jean Baptiste Henri Lacordaire zutrifft – und ich Wahrheit verpflichtet fühlen. Dieser Dienst am Gemein- meine, das tut er –, dann sind wir als Gesetzgeber die wohl ist es, der das Parlament zu einem besonderen Ort 30926 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Matthias Zimmer (A) macht, zu einem Hohen Haus. Und ich wünsche mir für Das zweite Thema: die Armen in der Pandemie. Es war (C) die nächsten Legislaturperioden Gesetzgeber, die mutig die FDP, es war ich persönlich, der Sie angeschrieben sind, wenn es gegen die Starken und Mächtigen geht, hat – schon im ersten Pandemiemonat – mit der Frage- stellung: Reicht denn der Regelsatz in Hartz IV für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der jetzt aufkommenden zusätzlichen finanziellen Belastun- SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ gen durch Schutzmaßnahmen für die Ärmsten in unserem DIE GRÜNEN) Land, für Menschen mit Behinderung, für die Alten in der die weise sind, wenn es um Selbstbeschränkung geht, und Grundsicherung aus? Da haben Sie gesagt, Sie beobach- die gerecht gegenüber allen sind – um der Freiheit willen. ten das mal. Das Ergebnis war, dass Sie dann über ein Jahr später erklärt haben, 100 Euro auszahlen zu wollen, Ich allerdings bin dann mal weg. ohne sich Gedanken zu machen, wie die Menschen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, eigentlich in den Monaten zuvor über die Runden gekom- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE men sind. GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD – Das nächste Thema ist: Kinder aus sozial benachteilig- Die Fraktion der CDU/CSU sowie Abgeordne- ten Milieus, aus Hartz-IV-Familien mussten sich vor te der SPD, der FDP, der LINKEN und des Gericht das Recht auf einen Laptop erklagen, weil der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben Schulträger nicht in der Lage war, ihn zur Verfügung zu sich) stellen, und Sie die Unterschrift verweigert haben, mit denen die Jobcenter diese Laptops hätten zur Verfügung Vizepräsidentin Petra Pau: stellen können. Diese Unterschrift kam im Februar, und Sehr geehrter Kollege Zimmer, Sie haben die Wert- das war ein Jahr zu spät, Herr Bundesminister. schätzung gehört und gesehen, nicht nur für Ihre Arbeit, (Beifall bei der FDP) sondern auch für Ihre Worte. Ich gehe davon aus, Sie sind zwar nicht hier an diesem Ort, aber Sie lassen uns auch Homeschooling, das muss man auch können und ler- nicht allein. nen. Nicht jedes Kind hat Eltern, die anleiten können. Da ist die Frage doch: Hätten wir nicht den Kindern eine (Beifall) Unterstützung bieten müssen? Die FDP hat zwei Konzep- Das Wort hat der Kollege Pascal Kober für die FDP- te in diesen Bundestag eingebracht, um die Kinder beim Fraktion. Lernen im Homeschooling zu unterstützen – abgelehnt von der Bundesregierung, abgelehnt von der SPD. (Beifall bei der FDP) (B) (Zuruf des Abg. Dr. [SPD]) (D) Pascal Kober (FDP): – Lieber Herr Rosemann, keine Zwischenrufe. Politische Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Verantwortung für die Armen in diesem Land überneh- Kollegen! Die vergangenen vier Jahre waren unter sozial- men, das ist Ihr Auftrag und an den sollten Sie sich halten. politischen Gesichtspunkten vier verlorene Jahre. Das ist eine bittere Erkenntnis. (Beifall bei der FDP) Lieber Bundesminister Herr Heil, Sie sind wahrschein- Liebe Kolleginnen und Kollegen, vier Jahre verloren lich der erste Sozialminister der SPD, der sich das von der für die Armen in diesem Land. Wir werden uns in der FDP sagen lassen muss. Die Wahrheit ist: Ihre Bilanz nächsten Legislaturperiode hoffentlich in neuen Konstel- lässt gar keinen anderen Schluss zu. lationen wiedersehen und die Politik für die Ärmsten besser und verantwortungsvoller gestalten. Nehmen Sie das Thema Altersarmut. Darüber haben wir auch schon in der 17. Wahlperiode gesprochen, als Vielen Dank. Sie in der Opposition waren und keine Kritik an der (Beifall bei der FDP) damaligen Regierung aus Ihrem Mund groß genug aus- fallen konnte. Jetzt haben Sie ein System geschaffen, die Grundrente, bei der drei Viertel der Menschen, die im Vizepräsidentin Petra Pau: Alter arm sind, leer ausgehen. Drei von vier haben in Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die dieser Legislaturperiode von Ihnen keine Unterstützung Fraktion Die Linke. bekommen, und das, obwohl die FDP beispielsweise mit ihrer Basisrente ein Konzept vorgelegt hat, mit dem man (Beifall bei der LINKEN) unbürokratisch den allermeisten hätte helfen können, indem man für die Zukunft einfach zugelassen hätte, Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): dass Ansprüche aus der eigenen Rentenversicherung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden ren! Wenn man den Armuts- und Reichtumsbericht der oder jedenfalls nicht mehr total. Bundesregierung liest, könnte man meinen, es ist alles halb so schlimm. Wieder einmal haben Sie diesen Bericht (Beifall bei der FDP) geschönt, damit er auch in Ihr Bild passt. Aber Ihr Bild Das wäre hilfreich gewesen, und das hätte vielen Men- entspricht nicht der Realität, meine Damen und Herren schen geholfen und viele Tränen getrocknet, liebe Kolle- der Bundesregierung. Hören Sie endlich auf, die Armut in ginnen und Kollegen. diesem Land kleinzureden und den Reichtum zu beschö- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30927

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) nigen! Denn Milliardenvermögen sind keine Wohlhaben- Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinan- (C) heit. Das ist perverser Reichtum, und das muss man auch dergehen. Deshalb braucht es die Linke als soziale Kraft so deutlich ansprechen. in diesem Parlament. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Norbert Kein Mensch kann sich ein solches Vermögen erarbei- Kleinwächter [AfD]: Oje! Mit Ihrer Wirt- ten. Reichtum entsteht durch Ausbeutung der Arbeits- schaftspolitik werden alle arm!) kraft und oft genug auch durch Plünderung der Staats- kasse. Kurzarbeitergeld abgreifen und dann Dividenden Vizepräsidentin Petra Pau: ausschütten, das hatte doch System bei den Konzernen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat nun für die Frak- Amazon hat seine Umsätze massiv gesteigert, aber speist tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. die Beschäftigten mit geringen Löhnen ab und zahlt in der EU noch nicht mal eine Körperschaftsteuer. Mit dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abzocke muss doch endlich Schluss sein, meine Damen und Herren. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Während die Eigentümer von Lidl, BMW und Aldi Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grüne ihre Vermögen um weitere Milliarden Euro vergrößern wollen Wohlstand für alle. Und wenn wir „alle“ sagen, konnten, sind die Armen immer ärmer geworden. Von meinen wir auch „alle“. Wir wollen eine Gesellschaft, in den Haushalten mit unter 2 000 Euro Nettoeinkommen der niemand ausgegrenzt wird – niemand! Wir wollen hat jeder Zweite in der Pandemie ein Viertel seines Ein- selbstbestimmte Teilhabe für wirklich alle garantieren. kommens verloren. Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen: ein Viertel seines Einkom- (Martin Reichardt [AfD]: Wenn die Ihrer Mei- mens! – Deshalb fordert die Linke eine Vermögensteuer nung sind!) auf die richtig großen Vermögen; denn nur so kann es Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt, dass wir da- gehen. von weit entfernt sind. Die Armut bewegt sich seit 15 Jah- (Beifall bei der LINKEN) ren auf einem Rekordniveau. 15 Prozent Armutsquote, das sind mehr als 12 Millionen Menschen – relativ kon- Aber wir brauchen auch höhere Löhne, von denen man stant während der gesamten Zeit, in der die Union regiert. gut leben kann. Wir brauchen eine Ausweitung der Tarif- Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt: Armut verfes- bindung und einen höheren Mindestlohn; denn höhere tigt sich. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des (B) Löhne helfen den Familien und garantieren auch eine Armuts- und Reichtumsberichts: Menschen mit geringem (D) höhere Rente. Einkommen haben immer weniger Möglichkeiten, aufzu- (Beifall bei der LINKEN) steigen. Wir brauchen einen verlässlichen Sozialstaat, sicheren Die Grundsicherung heute reicht nicht aus, um Armut Schutz im Fall von Arbeitslosigkeit sowie eine Rente, zu verhindern. Und statt Selbstbestimmung zu fördern, die den Lebensstandard sichert. Und wenn es trotz alle- schränkt Hartz IV die Freiheit ein. dem nicht reicht, dann brauchen wir eine Mindestsiche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung von 1 200 Euro. So geht Armutsbekämpfung! und bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen deswegen Hartz IV überwinden. Wir wollen Meine Damen und Herren der Regierung, die Men- eine Garantiesicherung, die das Existenzminimum in schen merken doch, dass sie immer weniger Geld in der allen Lebenslagen ohne Sanktionen garantiert, die unbü- Tasche haben. Sie müssen immer mehr bezahlen für Mie- rokratisch und möglichst automatisch ausgezahlt wird, te, Sprit, Energie, Lebensmittel. Ja, sogar der Kitaplatz um verdeckte Armut endlich zu überwinden. wird immer teurer. Merken Sie denn nicht, dass die Unzu- Mehrarbeit muss endlich auch zu einem spürbar höhe- friedenheit in der Bevölkerung wächst? Es rumort in der ren Einkommen führen. Es kann doch nicht sein, dass Bevölkerung. Jeder Fünfte arbeitet zum Niedriglohn. teilzeiterwerbstätige Alleinerziehende, wenn sie ihre (Martin Reichardt [AfD]: Sozialismus will Arbeitszeit ausweiten, am Ende netto weniger in der dann doch keiner!) Tasche haben. Es kann auch nicht sein, dass bei Selbst- ständigen zusätzliche Einnahmen vollständig auf die 3,5 Millionen Menschen müssen zwei oder drei Jobs Mindestsicherung angerechnet werden, wenn sie Grund- annehmen. Das tun sie nicht, weil sie nicht wissen, wohin sicherung beziehen. Das ist für uns eine Frage der Ge- mit ihrer Zeit. Das machen sie, weil sie von ihrem ersten rechtigkeit, und das müssen wir ändern. Job nicht leben können. 1 Million Menschen müssen neben der Rente einen Minijob annehmen. Das ist doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine Schande für so ein reiches Land wie Deutschland! Und: Die Garantiesicherung muss so hoch sein, dass so- (Beifall bei der LINKEN) ziale und kulturelle Teilhabe wirklich ermöglicht wird. Der Regelsatz muss deswegen deutlich angehoben wer- Niedriglohn, Kinderarmut, Altersarmut – das alles den; denn die Grundsicherung muss vor Armut schützen. hängt zusammen. Solange Sie eine Politik machen für wenige und gegen die Mehrheit der Menschen, wird die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30928 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Ein besonderes Anliegen sind für uns Kinder und einer Grundrente. Mit dem Ausbau des Sozialstaates in (C) Familien. Jedes fünfte Kind lebt immer noch in Armut; der Pandemie haben wir etwas für Millionen von Men- die Zahl ging auch überhaupt nicht zurück in den letzten schen bewirkt, die vielleicht gar nicht mehr daran ge- Jahren. Das zeigt, dass auch die derzeitigen Familien- glaubt haben, dass man was für sie bewirken will. leistungen nicht ausreichend vor Armut schützen. Wir wollen deswegen eine Kindergrundsicherung für alle (Beifall bei der SPD) Kinder, die das Existenzminimum der Kinder garantiert und nicht auf die Einkommen der Eltern angerechnet Lesen Sie ihn auch – da richte ich mich vielleicht eher wird. Die Vermeidung von Kinderarmut muss Priorität an diejenigen, die sich hier konservativ oder liberal nen- der nächsten Bundesregierung sein. nen –, weil man eigentlich nicht daran vorbeikommt, zu erkennen, dass wir da noch was zu tun haben: Die Schere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwischen Arm und Reich ist zu weit auseinander und geht Bei uns ist das übrigens Chefinnensache: Das Thema eben nicht zusammen. Vor allen Dingen können wir uns Kindergrundsicherung ist bei uns in der Bundestagsfrak- nicht damit abfinden, dass die Aufstiegsmobilität aus den tion in der Zuständigkeit der Kanzlerkandidatin. Das unteren Lagen sinkt. zeigt, was für eine wichtige Bedeutung die Bekämpfung Ich will Ihnen drei Gründe nennen, warum das auch von Kinderarmut für uns hat. aus Ihrer Perspektive eigentlich nicht akzeptabel ist und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir daran arbeiten müssen. Armut umfasst natürlich nicht nur fehlendes Ein- Der erste Grund ist: Es ist ungerecht. Es widerspricht kommen; aber ohne ausreichendes Einkommen ist ge- der Leistungsgerechtigkeit, wenn immer mehr Menschen sellschaftliche Teilhabe nicht möglich. Zur Armuts- sich mühen und machen und tun und de facto keine reale bekämpfung braucht es aber mehr: Wir brauchen ein Chance haben, aufzusteigen. Wenn es heißt: „Arm bleibt Zukunftsprogramm. Wir brauchen gute Löhne, einen arm“, dann ist das demotivierend in einer sozialen Markt- höheren Mindestlohn, mehr Tarifbindung. Wir müssen wirtschaft. Dagegen müssen wir was tun. die Sozialversicherungen stärken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Otto Fricke [FDP]: Mehr Geld für alle für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) niemanden!) Die Rente und die Arbeitslosenversicherung müssen vor Der zweite Grund: Es ist ökonomischer Blödsinn. Wir Armut schützen. Alle Menschen brauchen Zugang zu brauchen mehr Kaufkraft. Diese Menschen brauchen Arbeit, Gesundheit, Mobilität und Bildung. Und wir mehr Einkommen. Das hilft der gesamten Wirtschaft. (B) (D) brauchen ein Grundrecht auf Wohnen und ein Aktions- Der dritte Grund: Es ist Irrsinn, dass nicht jedes Kind in programm gegen Obdachlosigkeit. Niemand sollte in diesem Land den Schulabschluss erreicht, den es errei- Deutschland auf der Straße leben müssen. chen könnte, nur weil es aus einer Familie kommt, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sozial schlechter gestellt ist. Und es ist aus einer individuellen Sicht wichtig, dass Vizepräsidentin Petra Pau: wir da was tun. Wenn Sie sich fragen: „Warum ist der Ton Kollege Strengmann-Kuhn. in diesem Land härter geworden?“, dann lesen Sie diesen Armuts- und Reichtumsbericht. Warum setzen so viele Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Menschen draußen ihre Ellenbogen ein? Ich möchte in DIE GRÜNEN): einem Land leben, in dem wir einander vertrauen, in dem Es wird Zeit für ein Programm gegen Armut, damit wir voneinander wissen. Der Armuts- und Reichtumsbe- Armut endlich reduziert wird. richt legt nahe, dass das leider nicht mehr so stark der Fall ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich verabschiede mich heute hier. Ich verspreche Ihnen aber: Ich spende Ihnen riesengroßen Applaus, wenn im Siebten Armuts- und Reichtumsbericht steht, dass die Vizepräsidentin Petra Pau: Schere zwischen Arm und Reich zusammengeht und Das Wort zu ihrer letzten Rede im Deutschen Bundes- die Aufstiegsmobilität gestiegen ist. Ich bitte Sie ganz tag hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. herzlich, dass Sie mir Anlass dazu geben, einen Applaus (Beifall bei der SPD) zu geben, der so laut ist, dass Sie den auch hier in Berlin hören. Daniela Kolbe (SPD): Ich möchte mich herzlich bedanken bei den tollen Kol- Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- leginnen und Kollegen, die mir jeden Tag wieder gezeigt legen! Ich will die zwei Minuten Redezeit, die ich hier haben, dass man mit Beharrlichkeit etwas bewegen kann. noch habe, nutzen, Ihnen eine Leseempfehlung zu geben: Ich will die beiden Minister, mit denen ich die Freude Lesen Sie den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht! hatte zusammenzuarbeiten, nennen: Hubertus Heil und Wirklich. Darin kann man ablesen, dass das, was wir hier seine Vorgängerin , die den gesetzlichen machen, einen Effekt hat, dass wir was gestalten können, Mindestlohn durchgesetzt hat. Es war mir eine große zum Beispiel mit einem gesetzlichen Mindestlohn, mit Freude! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30929

Daniela Kolbe (A) (Anhaltender Beifall bei der SPD und der scheinlichkeit, in Einkommensarmut zu fallen, also mehr (C) CDU/CSU – Die Abgeordneten der SPD erhe- Aufstieg als Abstieg. Und genau das macht Wohlstand für ben sich) alle aus. Wir wollen für alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg schaffen: mehr Auf- Vizepräsidentin : stieg und möglichst keinen Abstieg! Herzlichen Dank, liebe Kollegin Kolbe. – Im Namen (Beifall bei der CDU/CSU) des gesamten Hauses: Herzliches Dankeschön für die Für die allermeisten Menschen ist übrigens die Phase immer gute, konstruktive, kreative und progressive Zu- niedrigen Einkommens eine Übergangsphase. Nach sammenarbeit. Wir wünschen Ihnen beruflich und natür- einem Jahr hat etwa ein Drittel den Bereich der geringen lich auch im privaten Bereich alles, alles Gute. Vielen Einkommen bereits verlassen, nach drei Jahren fast die Dank! Hälfte. Auf die Frage: „Wie kommt man denn aus der (Beifall) Einkommensarmut raus, also von unten nach oben?“, gibt der Bericht auch eine eindeutige Antwort: Nicht da- Als Nächstes spricht Peter Weiß von der CDU/CSU- durch, dass man Almosen oder Geld verteilt; vielmehr Fraktion zu uns. sind Bildungsniveau und Erwerbsintensität die Schlüssel (Beifall bei der CDU/CSU) zur Verbesserung der Einkommensposition – klare Aus- sage. Hohe Schulbildung, gute berufliche und akademi- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): sche Bildung ermöglichen Aufstiege auch aus einfachs- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ten Verhältnissen. Und vor allen Dingen: Wer den Meine Damen und Herren! „Wohlstand für alle“ – Aufstieg geschafft hat, kann davon ausgehen, dass auch seine Kinder und Kindeskinder diesen Aufstieg weiter (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ludwig fortsetzen. Das ist die gute Botschaft! Erhard!) (Beifall bei der CDU/CSU) mit diesem Slogan und Buchtitel hat Ludwig Erhard einst sein Konzept der sozialen Markwirtschaft zum politi- Noch einmal kurz ein Blick auf die Bezieher von schen und wirtschaftlichen Erfolgsschlager gemacht. Arbeitslosengeld II – da sehen wir das deutlich –: Zwei Herr Strengmann-Kuhn, wenn Sie schon „Wohlstand Drittel sind Menschen ohne abgeschlossene Berufsaus- für alle“ in Ihrer Rede hier erwähnen, wäre es klug gewe- bildung. – Da erkennt man den Hauptgrund. Deswegen sen, Sie hätten Ihrer Kanzlerkandidatin schon früher ge- war es wichtig, dass wir in dieser Legislaturperiode für sagt, dass das von Ludwig Erhard stammt. diejenigen, die schon sehr lange in Langzeitarbeitslosig- keit sind, endlich ein Instrument geschaffen haben, näm- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) lich das Teilhabe-Chancen-Gesetz mit mehrjährigen (D) Immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes Lohnkostenzuschüssen. Deswegen war es wichtig, dass zu Wohlstand zu führe„n“, das versprach damals Ludwig wir zweimal das Qualifizierungschancengesetz mit Erhard. Die Frage ist: Ist das auch heute möglich? Und einem klaren Angebot zur Fort- und Weiterbildung refor- die erfreuliche Botschaft des Armuts- und Reichtumsbe- miert und seinen Leistungsumfang verbessert haben. richts ist: Ja, das ist auch heute möglich. – Deswegen Aber wir werden in Zukunft – da brauchen wir Fach- freue ich mich, dass wir einen wirklich hoffnungsmach- kräfte, die sind gefragt – noch mehr tun müssen für Qua- enden und zukunftsorientierten Armuts- und Reichtums- lifizierung, Fort- und Weiterbildung. Manche brauchen bericht vorliegen haben. eben eine zweite oder vielleicht auch eine dritte Chance, (Beifall bei der CDU/CSU) um Schul- und Berufsabschluss nachzuholen. Ich will nur ein paar wenige, wie ich finde, relativ (Beifall bei der CDU/CSU) eindeutige Aussagen zitieren: Also das Konzept eines aktivierenden Sozialstaates und Erstens. Das letzte Jahr vor der Pandemie, die ja dann echter Hilfe zur Selbsthilfe. diesen tiefen Einbruch brachte, war von einem deutlichen (Zuruf der Abg. [DIE LIN- Einkommenswachstum geprägt, und hiervon haben alle, KE]) also nicht nur einige, sondern alle Einkommensbereiche Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in der Pande- profitiert. mie hat sich eines bewiesen: Ein echtes Bollwerk gegen Zweitens. Die Anzahl der Bezieher von Arbeitslo- Armut sind unsere leistungsfähigen Sozialversicherun- sengeld II hat bis zum Beginn der Pandemie weiter ab- gen. Sie haben gerade in der Pandemie ihre Stärke bewie- genommen; sie ist jetzt in der Pandemie leider wieder sen. Ich finde, unsere Sozialversicherungen sind auch angestiegen. Ebenso sank die Quote der erheblichen deswegen stark, weil sie eine starke Selbstverwaltung materiellen Deprivation – auf Deutsch etwa: erhebliche haben, in der die Versicherten, Gewerkschaften und Entbehrungen, die den Menschen auferlegt sind – von Arbeitgebervertreter Verantwortung für die Sozialversi- 11,6 Prozent im Jahr 2013 auf 6,8 Prozent im Jahr cherungen übernehmen. 2019. Insgesamt hat der Bezug von Mindestsicherungs- Ich persönlich werde jetzt aus freien Stücken nicht leistungen bis zum Jahr 2019 weiter abgenommen. mehr kandidieren und damit nicht mehr dem nächsten Die wichtigste Botschaft ist: Die Wahrscheinlichkeit, Deutschen Bundestag angehören, darf also jetzt auch dass man den Bereich niedrigen Einkommens verlassen meine letzte Rede hier im Parlament halten. Ich will kann, ist in Deutschland insgesamt höher als die Wahr- Ihnen sagen: Ich freue mich darauf, dass ich anschließend 30930 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Peter Weiß (Emmendingen) (A) zusammen mit Daniela Kolbe, die ja eben ihre Ab- großer Anstrengungen abgehängt fühlen. Das gefährdet (C) schiedsrede gehalten hat, die Aufgabe des Bundeswahl- den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit auch die beauftragten für die Sozialwahlen für die nächsten sechs Demokratie. Jahre übernehmen darf, und ich hoffe, dass wir in dieser Hubertus Heil und Daniela Kolbe haben aufgezeigt, Funktion auch einen Beitrag zur Stärkung der Selbstver- was die SPD in dieser Bundesregierung umsetzen konnte, waltung unserer Sozialversicherungen leisten können. damit wir soziale Ungleichheiten bekämpfen, gerade (Franziska Gminder [AfD]: Die sind aber auch in dieser Pandemie. Aber jetzt geht es darum: Was pleite!) können wir machen, damit es in den nächsten Jahren Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was ich jetzt besser wird? ausspreche, ist keine Drohung, sondern ein freundliches Erstens. Ein höherer Mindestlohn und mehr Tarifbin- Angebot. Ich bin mir sicher: Daniela Kolbe und ich wer- dung sind Instrumente, um Menschen mit kleinen und den in den kommenden Jahren auf diejenigen, die dem mittleren Einkommen zu höheren, auskömmlichen Löh- Parlament weiterhin angehören, sicherlich mit etlichen nen zu verhelfen. Wir wollen das. FDP und CDU/CSU guten Ideen und Vorschlägen zukommen, wie wir die wollen das leider nicht. Selbstverwaltung in Deutschland stärken können. Zweitens. Einer kleinen Gruppe Menschen gehört der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – größte Teil des Vermögens in Deutschland. Die Krise hat Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- die Vermögensungleichheit verschärft. Etwa 25 Prozent NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) aller Haushalte besitzen dagegen überhaupt kein Vermö- Es war und es ist eine tolle Aufgabe, Abgeordneter zu gen oder haben sogar Schulden. Wir wollen deswegen die sein, und zudem auch eine große Ehre. Ich danke allen Reaktivierung der Vermögensteuer, die die 5 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, ich danke den Ministerien, höchsten Vermögen treffen würden, um diese Ungleich- vor allem natürlich dem Bundesministerium für Arbeit heit zu bekämpfen. und Soziales. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der arbeitern für die gute Zusammenarbeit. Und ich wünsche LINKEN – Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, den künftigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, unserem Wir wollen das; CDU/CSU und FDP lehnen das ab. Land alles Gute und Gottes Segen. Der Armuts- und Reichtumsbericht hat den Fokus auf Vielen Dank. die Wohnsituation gelegt. Wir brauchen mehr bezahlba- ren Wohnraum. Olaf Scholz hat klargemacht: 400 000 (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP neue Wohnungen jedes Jahr, 100 000 davon gefördert. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (B) Und wir wollen eine gerechte Aufteilung der CO -Mehr- (D) bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN – 2 kosten zwischen Vermieterinnen und Mietern. Auch das Die Fraktion der CDU/CSU sowie Abgeordne- ist von der CDU/CSU leider verhindert worden. te der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen erheben sich) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch da müssen wir etwas für mehr Gerechtigkeit tun. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank, lieber Kollege Weiß, für die lang- jährige intensive, immer konstruktive Zusammenarbeit, Noch eine letzte Anmerkung. Bei den Grünen gibt es die wir alle mit Ihnen pflegen konnten. Es war nicht eine große Diskrepanz zwischen ihren Wünschen und immer leicht, mit Ihrer Art, alles geradeheraus zu sagen, den Taten. Grüne Länderfinanzminister wollten schon zu arbeiten; aber Sie waren immer sehr korrekt in Ihrem vor einem Jahr den Soli für alle abschaffen – ein Steuer- Verhalten. Und es hat immer wahnsinnig viel Spaß ge- geschenk für die Reichen! Das vertieft die soziale Spal- macht, sich mit Ihnen im Guten in der Sache auseinander- tung. Und wer in ihrem Wahlprogramm nach dem Begriff zusetzen. Herzlichen Dank! Wir wünschen Ihnen persön- „Erbschaftsteuer“ sucht, der sucht vergebens, obwohl die lich alles, alles Gute! Grünen in den letzten Jahren immer wieder gesagt haben, es brauche eine gerechte Besteuerung bei größten Erb (Beifall) - schaften. Es scheint so, als würden die Grünen jetzt schon Zum Abschluss der Debatte hören wir Michael Schrodi so manche Hindernisse für eine schwarz-grüne Liaison von der SPD-Fraktion. aus dem Weg räumen. (Beifall bei der SPD) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Otto Fricke [FDP]: Macht doch euren Michael Schrodi (SPD): Wahlkampf ab nächste Woche! Mann!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, es Damen und Herren! Der Armuts- und Reichtumsbericht gibt in diesem Land noch einiges anzupacken. Wir wer- zeigt: Soziale Ungleichheiten sind auch in Deutschland den das, nachdem wir schon vieles auf den Weg gebracht ein Thema, ein Problem, weil, sehr geehrter Herr Weiß, haben, auch tun. Da wird es interessant sein, welche zu große Ungleichheit beispielsweise den Wohlstand für Konzepte da auf den Tisch gelegt werden. alle gefährdet und weil es höchst ungerecht ist, dass es mehr Hochvermögende gibt – auch nach dieser Pande- (Otto Fricke [FDP]: Das ist schon seine zweite mie –, sich aber gleichzeitig immer mehr Menschen trotz Rede heute!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30931

Michael Schrodi (A) Wir wollen etwas gegen soziale Ungleichheit tun. Wir dagegen? – Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die (C) werden etwas tun für mehr soziale Gerechtigkeit – mit Linke. Gibt es Enthaltungen? – Das sehe ich nicht. Die der SPD und mit Olaf Scholz im Kanzleramt. Beschlussempfehlung ist angenommen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ja Tagesordnungspunkt 38 f. Abstimmung über die Be- noch schlechter als der AfD-Mann, was Sie schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- hier von sich geben! Grauenhaft! – Otto Fricke ren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion [FDP]: Grauenhaft!) Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Faire Chancen für jedes Kind – Kindergrundsicherung einführen“. Der Danke schön. Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- (Beifall bei der SPD) empfehlung auf Drucksache 19/24882, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: 19/14326 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Danke. – Ich schließe die Aussprache. AfD und FDP. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Wir haben den „Sechsten Armuts- und Reichtumsbe- Grünen. Wer enthält sich? – Fraktion Die Linke. Die richt – Lebenslagen in Deutschland“ der Bundesregie- Beschlussempfehlung ist angenommen. rung auf Drucksache 19/29815 damit zur Kenntnis ge- Tagesordnungspunkt 38 g. Abstimmung über die Be- nommen. schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- ziales zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Grünen und Die Linke mit dem Titel „Für soziale Garan- Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Lehren aus tien ohne Sanktionen“. Der Ausschuss empfiehlt unter dem Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht ziehen“. Buchstabe h seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- che 19/30504, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/ schlussempfehlung auf Drucksache 19/31083, den An- Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 19/15078 trag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/30403 ab- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – lung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Gibt es Ent- AfD. Wer stimmt dagegen? – Fraktionen Die Linke und haltungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung gegen Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist die Stimmen der AfD mit den Stimmen aller anderen nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist angenom- Fraktionen des Hauses angenommen. men. (B) Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- Tagesordnungspunkt 38 h. Abstimmung über die Be- (D) schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- „Zehn Tage Elternschutz zusätzlich einführen“. Der Aus- nen mit dem Titel „Garantiesicherung statt Hartz IV – schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Mehr soziale Sicherheit während und nach der Corona- Drucksache 19/30908, den Antrag der Fraktion Die Linke Krise“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe i seiner auf Drucksache 19/26979 abzulehnen. Wer stimmt für Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/30504, den An- diese Beschlussempfehlung? – Die Fraktionen von trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache SPD, CDU/CSU und AfD. Wer stimmt dagegen? – Die 19/25706 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer empfehlung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, enthält sich? – Die Fraktion der FDP. Die Beschlussemp- FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Bünd- fehlung ist damit angenommen. nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Fraktion Die Tagesordnungspunkt 38 d. Abstimmung über den An- Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/30605 mit Tagesordnungspunkt 38 i. Abstimmung über die Be- dem Titel „Für eine soziale, zukunftsweisende und kri- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- senfeste Familienpolitik“. Wer stimmt für diesen An- ziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- trag? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die nen mit dem Titel „Ein Zukunftsprogramm gegen Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen von Armut – Armut bekämpfen, Teilhabe garantieren, Chan- SPD, CDU/CSU, AfD und FDP. Gibt es Enthaltungen? – cen und Zusammenarbeit stärken“. Der Ausschuss emp- Das sehe ich nicht. Der Antrag ist damit abgelehnt. fiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/31083, den Antrag der Fraktion Bünd- Tagesordnungspunkt 38 e. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/30394 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Frak- Stadtentwicklung und Kommunen zu dem Antrag der tionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Men- schenrecht auf Wohnen dauerhaft sicherstellen – Woh- dagegen? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Die Frak- nungs- und Obdachlosigkeit konsequent bekämpfen“. tion Die Linke enthält sich. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/9697, den Antrag der Fraktion Bünd- Tagesordnungspunkt 38 j. Abstimmung über die Be- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/7734 abzulehnen. schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Frak- ziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die tionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt Grünen mit dem Titel „Arbeitsförderung und Beratungs- 30932 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) qualität in den Jobcentern gesetzlich verbessern“. Der Abschöpfung der Extra-Profite von Kri- (C) Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- sengewinnern wie Amazon empfehlung auf Drucksache 19/29973, den Antrag der Drucksache 19/28525 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/15975 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des empfehlung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- AfD und FDP. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Lin- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten ke und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Ent- Victor Perli, Dr. Gesine Lötzsch, Fabio De haltungen? – Das sehe ich nicht. Die Beschlussempfeh- Masi, weiterer Abgeordneter und der Frak- lung ist angenommen. tion DIE LINKE Tagesordnungspunkt 38 k. Abstimmung über die Be- Öffentliche Infrastruktur erhalten – In- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- vestitionspflicht einführen ziales auf Drucksache 19/30504. Drucksachen 19/14375, 19/22256 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe f seiner Be- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- beschlossen. tion Die Linke auf Drucksache 19/29439 mit dem Titel „Hartz IV überwinden – Sanktionsfreie Mindestsiche- Ich eröffne die Aussprache, und das Wort geht als rung einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Erstes an Herrn Fabio De Masi von der Fraktion Die lung? – Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, AfD und Linke. FDP. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke. Wer (Beifall bei der LINKEN) enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss- empfehlung ist angenommen. Fabio De Masi (DIE LINKE): Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung emp- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Viele Innenstädte in Deutschland sterben. Gerade nach tion Die Linke auf Drucksache 19/29749 mit dem Titel der Coronakrise stehen das Kleingewerbe und der Mittel- „Getrenntlebende Eltern im Grundsicherungsbezug ent- stand unter Druck. Amazon hingegen feierte im letzten lasten – Umgangsmehrbedarf einführen“. Wer stimmt für Jahr eine Coronaparty mit Rekordumsätzen. Diese krasse diese Beschlussempfehlung? – Die Fraktionen von SPD, Wettbewerbsverzerrung muss ein Ende haben, meine Da- CDU/CSU, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Frak- men und Herren! tionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Gibt es (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa (B) Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die Beschluss- Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) empfehlung ist angenommen. Der Deutschlandfunk schreibt dazu – ich zitiere mit Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e Erlaubnis der Präsidentin –: seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/24454 mit Im Pandemiejahr 2020 hat der Logistikkonzern sei- dem Titel „Grundsicherungskürzungen bei Rentnerinnen nen Umsatz weltweit um mehr als ein Drittel erhöht. und Rentnern verhindern“. Wer stimmt für diese Be- Auch in der EU stieg der Umsatz von Amazon um schlussempfehlung? – Fraktionen von SPD, CDU/CSU. 36 Prozent auf rund 44 Milliarden Euro. Aber weil Wer stimmt dagegen? – Fraktionen Bündnis 90/Die Grü- die Luxemburger Tochter von Amazon, in der das nen und Die Linke. Und wer enthält sich? – Fraktionen Europageschäft weitgehend gebündelt ist, gleichzei- von AfD und FDP. Die Beschlussempfehlung ist ange- tig einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro auswies, nommen. zahlte Amazon in dem Rekordjahr null Euro Körper- schaftssteuer in der EU. Tagesordnungspunkt 38 l. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- Denn Amazon verschiebt Gewinne durch künstliche Kre- ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem dite und Lizenzgebühren, die es an seine eigenen Tochter- Titel „Schutz vor Armut und Ausgrenzung garantieren – firmen in Steueroasen zahlt, wie Amazon-Pakete über Konsequenzen aus dem Armuts- und Reichtumsbericht Ländergrenzen und in Steueroasen in der EU. Dort wer- ziehen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- den diese Einnahmen aber häufig nicht als Gewinn ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/31083, den behandelt und versteuert. Amazon kauft auch weltweit Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/30388 Unternehmen auf, um sich aufzupumpen, Märkte zu abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- beherrschen und Gewinne künstlich kleinzurechnen. lung? – Fraktionen von SPD, CDU/CSU, AfD und FDP. Der Internationale Währungsfond regte kürzlich die Wer stimmt dagegen? – Fraktion Die Linke. Wer enthält Einführung einer sogenannten Übergewinnsteuer an, sich? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss- und zwar zusätzlich zu den Debatten, die wir auf inter- empfehlung ist angenommen. nationaler Ebene über die Mindestbesteuerung haben. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b auf: (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Genau!) Fabio De Masi, Jörg Cezanne, Doris Eine solche Übergewinnsteuer soll abnormale Profite Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der abschöpfen. Dabei werden Gewinne mit einer normalen Fraktion DIE LINKE Situation, also keiner Pandemie, verglichen und eine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30933

Fabio De Masi (A) gewisse Wachstums- und Investitionsrate unterstellt. teuersatz von Null landet man nicht automatisch auf die- (C) Eine solche Steuer gab es bereits in den USA, in Kanada, ser Liste. Das ist so, als wenn ich mit 100 Prozent Alko- in Frankreich und Italien; hol im Blut in die Alkoholkontrolle fahre und sage: Ich bin nüchtern. (Zuruf des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]) und Großbritannien erwägt, diese einzuführen. (Otto Fricke [FDP]: Dann bist du schon lange tot!) Damit alleine würde man Amazon aber nicht treffen, da sie ja behaupten, gar keine Gewinne in Europa zu Ein weiteres Problem: Auch mit der jetzt gefundenen erzielen, und nur Gewinne betroffen wären, die der deut- Lösung um die Mindestbesteuerung ist noch überhaupt schen Gewinnbesteuerung unterliegen. Daher braucht es nicht klar, wer den Anspruch auf die zusätzlichen Steuern eine ergänzende Maßnahme: Quellen- oder Strafsteuern hat, sofern sie denn überhaupt anfallen. Denn Steuern auf Finanzflüsse in Steueroasen, meine Damen und Her- stehen grundsätzlich dem Land zu, in dem Konzerne ren! ihren Muttersitz haben. Das sind nun einmal bei den Big-Tech-Konzernen die USA. Es gibt deswegen eine (Beifall bei der LINKEN) Diskussion um die Säule 1 im OECD-Prozess. Da geht Das heißt, wenn Amazon Deutschland einen fiktiven Zins es darum, zu gucken, wo diese Konzerne ihre Umsätze auf einen fiktiven Kredit von – sagen wir – Amazon erwirtschaften. Wenn sie dann einen bestimmten Anteil Luxemburg nach Luxemburg zahlt, würde bereits darauf in Deutschland erwirtschaften, dann stünde ihnen auch eine Steuer entrichtet. Mit solchen Maßnahmen, nur mit ein gewisser Anteil des Steuerkuchens zu. Eine Einigung Druck, erhöhen wir den Anreiz für Steuerkooperation. darüber ist aber noch nicht erzielt. Wir müssen dazu den G-20-Gipfel in Venedig im Juli abwarten. Es ist derzeit (Beifall bei der LINKEN) noch nicht einmal klar, dass Amazon unter diese Rege- Wir haben ja nun eine Einigung auf eine Mindeststeuer lung fallen würde, weil es auch eine Gewinngrenze gibt. auf Ebene der G-7-Staaten, auf die der Finanzminister Deswegen sagt der französische Ökonom und re- besonders stolz ist. Aber diese soll gerade einmal 15 Pro- nommierte Ungleichheitsforscher Thomas Piketty, dass zent betragen. Das ist ungefähr das Niveau von Irland, der die G 7 mit diesem Kompromiss – ich zitiere mit Erlaub- Schweiz oder Singapur. nis der Präsidentin –, Steuerhinterziehung legalisieren (Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU]) würde. Er fragte rhetorisch – Zitat –: Glauben die, dass wir dumm sind? Ich würde auch gerne 15 Prozent Steuern Selbst US-Präsident Biden wollte eine höhere Mindest- zahlen. steuer, nämlich in Höhe von 21 Prozent. Deswegen haben Wir sind nicht dumm. Deswegen sagt Die Linke: Es (B) Facebook, Amazon und Co die Mindeststeuer auch be- (D) grüßt. Die wissen nämlich, dass sie dadurch kaum mehr braucht eine Übergewinnsteuer und Strafsteuern auf Steuern in Europa zahlen werden. Denn was bringt eine Finanzflüsse in Steueroasen. Mindeststeuer, wenn wir am Ende zwar eine Mindest- (Beifall bei der LINKEN) steuer haben, aber dann alle die Steuern auf das Niveau von Irland senken? Ich warte nur auf den Tag, wo der BDI auf genau diese Idee kommt. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Das Wort geht an die CDU/CSU-Frak- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. tion mit Fritz Güntzler. [Erfurt] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Auch das Finanzministerium scheint übrigens von der derzeitigen Lösung nicht so beeindruckt zu sein, wie das manchmal in den Pressemitteilungen im Wahlkampf so Fritz Güntzler (CDU/CSU): klingt. Ich habe nämlich das Finanzministerium gefragt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- wie viel Mehreinnahmen sie denn von der jetzt gefunde- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ja span- nen Vereinbarung erwarten. Sie sprachen davon, dass sie nend, zu beobachten, dass Herr Kollege De Masi mehr das gar nicht sagen können und moderate fiskalische über Dinge gesprochen hat, die gar nicht im Antrag ste- Impulse erwarten würden. Das klingt nicht nach einem hen; großen Wurf. (Albrecht Glaser [AfD]: Sehr richtig!) Die EU und auch der deutsche Finanzminister wollten denn dieser Antrag kommt ja sehr schmal, sehr unkonkret keinen höheren Steuersatz durchsetzen, weil sie befürch- daher. Er hat über viele Steuervermeidungsbemühungen teten, dass ihnen sonst die EU-Steueroasen wie Irland der Staaten gesprochen, oder Luxemburg von der Fahne gehen. Deswegen wäre (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei dem es aber gerade richtig gewesen, den Druck durch Straf- kann man immer was lernen, Herr Kollege!) bzw. Quellensteuern zu erhöhen, damit wir sie zwingen, dass sie sich in dieser Debatte bewegen. – Herr De Masi, darum wollte ich ja, dass auch Sie was lernen –, die wir übrigens alle angegangen sind. Wenn Sie (Beifall bei der LINKEN) beobachtet hätten, dass wir den BEPS-Prozess umsetzen, Und so haben sie es ja bereits gemacht, nämlich für die dass wir ein Attac-Umsetzungsgesetz haben, dass wir ein Länder, die auf der schwarzen Liste der EU für Steuer- Steueroasen-Abwehrgesetz – das Sie auch erwähnt ha- oasen stehen. Das Problem ist aber: Das sind nicht die ben – haben, dann hätten Sie feststellen können, dass relevanten Steueroasen. Selbst mit einem Unternehmens- diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen 30934 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Fritz Güntzler (A) in dieser 19. Legislaturperiode einiges erreicht hat. Dar- übrigens immer dazu geführt haben, dass diese Steuer (C) auf sind wir wirklich stolz, und das können wir auch nicht eingeführt wurde. Das sollten wir auch so lassen, gemeinsam sein, meine Damen und Herren. meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. ordneten der SPD) Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In diesem sehr unkonkreten Antrag wird zunächst die Wie gesagt: Diese Steuer würde nur die treffen, die in These aufgestellt, die nur zum Teil richtig ist, dass die Deutschland steuerpflichtig sind. Wir arbeiten natürlich Wirtschaft selbstverständlich von der Pandemie stark daran, dass auch die großen Digitalkonzerne ihrer Steuer- betroffen ist. Aber wir müssen meines Erachtens da ein pflicht in Deutschland gerecht werden. Darum setzen wir bisschen genauer hingucken; denn das Gute ist ja, dass das BEPS-Projekt auch um. die Wirtschaft überraschenderweise recht robust aus die- Nun fordern Sie einmal wieder die Einführung einer ser Krise herausgekommen ist. Das ist natürlich bran- nationalen Digitalsteuer, vergessen aber, dass wir im chenspezifisch unterschiedlich: das verarbeitende Ge- europäischen Kontext derzeit an einer EU-Digitalsteuer werbe besser als das Dienstleistungsgewerbe. Aber es arbeiten, wo 3 Prozent erhoben werden sollen auf die ist doch schon erfreulich, zu sehen, dass wir nach einem Einnahmen aus Onlinewerbung, Verkauf von Nutzerda- Minus von 4,8 Prozent bezogen auf das Bruttoinlands- ten oder die Bereitstellung von Onlinemarktplätzen. Das produkt im Jahre 2020 Erwartungen haben, in diesem wissen Sie. Das wird diskutiert und ist jetzt genau auf- Jahr 3,5 bis 4 Prozent Wachstum zu haben oder in 2022 grund des Prozesses, den Sie dann auch geschildert ha- wahrscheinlich sogar über 4,5 Prozent Wachstum. Es ist ben, bis zum Sommer erst mal zurückgestellt worden. ein Erfolg unserer Politik in dieser Pandemie, indem wir die Wirtschaft mit erheblichen Wirtschaftshilfen unter- Auch diese Digitalsteuer hat natürlich ein grund- stützt haben. Das können wir uns auch gutschreiben, sätzliches Problem: Sie ist ertragsunabhängig. Unterneh- und das sollten wir auch laut nach draußen sagen, meine men, die keine Gewinne machen, werden also auch diese Damen und Herren. Steuer zahlen müssen. Sie wirkt wie eine Substanzsteuer, und so etwas lehnen wir eigentlich grundsätzlich ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der AfD) Das alles haben wir auch steuerlich flankiert. Von Dann haben Sie das Problem, dass Sie gar nicht wissen, daher ist es natürlich spannend, wenn Die Linke jetzt wie Sie ein Digitalunternehmen definieren wollen. Dazu noch einmal in die steuerliche Mottenkiste greift und lässt sich Ihr Antrag auch nicht aus. Und wenn Sie sich (B) die Übergewinnsteuer herausholt. Herr De Masi hat (D) mit dem BEPS-Prozess mal ausführlicher beschäftigen auch darauf hingewiesen, dass es sie in den USA einmal würden, dann wüssten Sie, dass es den Aktionspunkt 1 gegeben hat. – Ja, stimmt, im Ersten und Zweiten Welt- gab, wo die OECD mal versucht hat, ein Digitalunter- krieg gab es sie mal. In Deutschland gab es sogar 1973 nehmen zu definieren, was nicht gelungen ist. die Überlegung, sie im Rahmen der Ölpreiskrise einzu- führen. Das ist aber immer aus guten Gründen verworfen (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Da steht nichts worden. Sie haben in Ihrem Antrag selber erkannt, weil drin von Digitalunternehmen!) Sie zweistufig argumentieren, dass diese Übergewinn- – Natürlich. Unter Punkt 2 Ihres Antrags steht, Sie wollen steuer natürlich nur diejenigen trifft, die in Deutschland die Einnahmen von Digitalunternehmen besteuern. unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind. Die Gewinne, die in Deutschland nicht besteuert werden, (Zuruf von der LINKEN: Nicht nur von Digi- erreichen Sie mit dieser Übergewinnsteuer nicht. Darum talunternehmen!) kommen Sie ja dann mit der Digitalsteuer. Also den Ama- zon-Fall, den wir auch genau im Auge haben, den Sie Und dann ist die Frage, ob diese Digitalsteuer, wenn angesprochen haben, erreichen Sie mit der Übergewinn- man sie denn trotz aller Bedenken einführen würde, über- steuer gar nicht. haupt zielführend wäre. Wir haben schon immer gesagt: Diese Digitalsteuer wird letztendlich nicht von den Un- (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) ternehmen getragen, sondern am Ende wieder von den Kunden. – Und das können wir jetzt auch sehen: In Von daher ist das ein bisschen eine Mogelpackung, was Frankreich wird seit 1. Mai dieses Jahres ein Zuschlag Sie hier vorgetragen haben. auf die Leistungen, die die Bemessungsgrundlage bilden, von 2 Prozent erhoben, in Österreich seit dem 1. Novem- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) ber von 5 Prozent. Nicht das Unternehmen, das Sie tref- Was ist denn eigentlich der Übergewinn? Wie wollen fen wollen, zahlt also die Steuerlast, sondern der Kunde. Sie den definieren? Haben Sie die Antwort darauf schon Diese Steuer ist also überhaupt nicht zielführend. Von gefunden? Sie müssten dann ja auch argumentieren, auf daher gehört sie auch in die steuerliche Mottenkiste. welche Sollgröße das ein Mehrgewinn ist. Ist das eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Durchschnittsgröße? Ist das der Gewinn der letzten Jahre des Unternehmens? Ist es eine Gewinnmarge aus der Branche, die überschritten wird? Wie weise ich nach, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: dass dieser Gewinn dann tatsächlich coronabedingt ist? Lieber Kollege Güntzler, Herr Kollege Ernst hätte eine Alles Fragen, die Sie völlig unbeantwortet lassen, die Zwischenfrage. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30935

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein, wir Wir können eine Entfesselung der deutschen Wirt- (C) wollen fertig machen!) schaft mit einem klugen Unternehmensteuerrecht schaf- fen, und mit dieser Fraktion können wir das umsetzen. Darauf freue ich mich in der nächsten Periode. Fritz Güntzler (CDU/CSU): Herzlichen Dank. Nein, wir machen mal fertig, glaube ich. (Beifall bei der CDU/CSU) Dann hat der Kollege dankenswerterweise doch noch darauf hingewiesen, dass es einen erfolgreichen OECD- Prozess gibt. Denn ich glaube, dass wir das Problem Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der Steuervermeidung nicht national lösen können; wir Vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Kollege Ernst von können nur international gegen aggressive Steuerplanung der Fraktion Die Linke für eine Kurzintervention. Bitte tätig sein. Von daher ist es richtig, dass Wolfgang zwei Minuten Redezeit einhalten! Schäuble den BEPS-Prozess angeschoben hat, den Olaf (Otto Fricke [FDP]: Aus Erfahrung!) Scholz, wie ich finde – das sage ich sogar als CDU-Poli- tiker –, erfolgreich weitergeführt hat, sodass wir in der Politik hinsichtlich der Säule 1 und Säule 2 der OECD- Klaus Ernst (DIE LINKE): Vorschläge ein erhebliches Stück vorangekommen sind. Das geht sehr schnell. – Herr Güntzler, ich habe Ihnen Da wird es in der Säule 1, wo es ja um die globale Neu- jetzt genau zugehört. Sie kommen mir vor wie einer, der verteilung von Besteuerungsrechten geht, Detailproble- vor der Suppe sitzt und so lange den Kopf schüttelt, bis me geben. Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland wirklich die ganze Perücke reinfällt. aufpassen, dass uns im Ergebnis nicht zu viel vom Steuer- (Otto Fricke [FDP]: Also, erkennbar hat er kuchen verloren geht. Dennoch sind wir bereit, darüber keine Perücke!) zu diskutieren, um mehr Steuergerechtigkeit zu errei- chen; denn auch Steuerpolitik kann was mit Nachhaltig- Das bringt uns doch nicht weiter. Ich habe keinen ein- keit zu tun haben, nämlich damit, dass auch Entwick- zigen Vorschlag von Ihnen gehört, der irgendwie ansatz- lungsländer und andere Nichtindustriestaaten ihren Teil weise auf das Problem, das Sie ja gar nicht bestritten bekommen, sodass sie ihr Staatswesen aufrechterhalten haben, eingeht. Ich glaube, Sie bestreiten ja nicht, dass können. momentan die genannten Unternehmen exorbitante Gewinne in einer ganz besonderen Situation machen. Viel entscheidender ist die Säule 2; das ist die globale Und wir haben ja Vorschläge gemacht, wie man genau effektive Mindestbesteuerung von Unternehmensgewin- diese Gewinne abschöpfen könnte, was andere Länder (B) (D) nen. Ich halte es für einen Riesenerfolg, wenn dort eine tun. Mindestbesteuerung von 15 Prozent erreicht werden kann. In Irland liegt der Steuersatz derzeit bei 12,5 Pro- Sie haben jetzt ganz allgemein über Steuerrecht ge- zent. 15 Prozent sind also ein guter Erfolg. Ich wünsche sprochen; das stimmt. Aber haben Sie denn einen kon- Olaf Scholz bei der G-20-Finanzministerkonferenz im kreten Vorschlag, wie wir eine Lösung finden können für Juli in Venedig vollen Erfolg und dass das umgesetzt das, was wir in diesem Antrag – das haben Sie ja nicht werden kann; denn es wäre wirklich ein Quantensprung bestritten – als besonderes Problem bezeichnen? Da sind in der internationalen Steuerpolitik. Das wären Maßnah- Sie jede Antwort eigentlich schuldig geblieben. Sie er- men, die tatsächlich bewirken würden, dass große Digi- kennen das Problem – das haben Sie auch genannt –, aber talkonzerne wieder ihre Steuern bezahlen und damit ihren haben keine einzige Idee, wie man das Problem lösen Beitrag für das Staatswesen, für die Infrastruktur leisten. könnte. Da wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dazu viel- Von daher: Alles Gute, Herr Scholz, bei den Verhandlun- leicht noch einen Satz sagen könnten; denn sonst würde gen! ich einfach nur zusammenfassen: Nörgeln am Antrag ohne jeden Sinn. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der LINKEN) Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur bis Ende Juli!) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Wir werden aber im Wahlkampf über viel mehr disku- Herr Kollege Güntzler, Sie möchten antworten. tieren müssen als immer nur über die Themen, über die wir heute gesprochen haben. Dazu gehört das Durchkreu- Fritz Güntzler (CDU/CSU): zen der Strategien von Unternehmen, die ihren Steuer- Kollege Ernst, leider hatte ich nur acht Minuten Rede- pflichten nicht so nachkommen, wie wir das wollen. zeit, Wir brauchen auch die Modernisierung des Unterneh- mensteuerrechts. Von daher empfehle ich doch jedem, (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oah! – in das kluge Wahlprogramm der CDU/CSU zu schauen, [DIE LINKE]: Ja, das ist ham- in dem Sie wichtige Aspekte finden und das übrigens merhart für die Union!) alles das aufgreift, was die CDU/CSU-Fraktion im No- die nicht ausreichend ist, um die verschiedensten Maß- vember 2019 schon beschlossen hat. nahmen dieser Koalition darzustellen, die wir genau in diesem Bereich ergriffen haben. Und wenn Sie sich mit (Zuruf des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) dem OECD-Projekt tatsächlich beschäftigt hätten oder 30936 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Fritz Güntzler (A) auch persönlich beschäftigen würden, wüssten Sie auch, tritt in den Ersten Weltkrieg rüsteten. Um 1918 auf dem (C) dass genau das die Handlungsstränge umfasst, mit denen Kontinent aktiv zu werden, musste man 1917 schon wir eine Lösung schaffen wollen. ordentlich Waffen bauen, und da wurde tatsächlich ein Sie erklären, Sie wollen Übergewinne bei den Digital- progressiver Steuersatz in den USA eingeführt. Es war konzernen, die übrigens, lieber Fabio De Masi, unter eine Riesenwaffenfabrik, und bei dieser Staatsnachfrage Ziffer 2 wortwörtlich erwähnt sind, war völlig klar, dass in der amerikanischen Rüstungsin- dustrie Gewinne entstehen, bei denen man darüber nach- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Unter ande- denken konnte, sie vielleicht abzuschöpfen. Das Gleiche rem!) galt auch für Großbritannien: Großbritannien hat 1915 abschöpfen. Das würden Sie mit Ihrer Übergewinnbe- mit diesem Thema angefangen und hat bis 1921 diese steuerung nicht erreichen, weil diese Konzerne mit ihren Extrasteuer erhoben. Die Franzosen haben es auch ge- Gewinnen derzeit in Deutschland gar nicht steuerpflich- macht. tig sind. Aber zurück zu den Krisengewinnern – nicht zu den (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo sind sie es Kriegsgewinnlern. Ziffer 1 des Antrages sagt: denn?) Außerordentliche, in Pandemiezeiten erzielte Ge- Von daher läuft der Punkt 1 völlig ins Leere. winne von Unternehmen, die der inländischen Gewinnbesteuerung unterliegen, werden einer (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dass Sie den Kopf Übergewinnsteuer unterworfen. schütteln, wissen wir! Wo ist denn Ihr Vor- schlag?) Das löst natürlich in der Tat sofort die Frage aus: Bei welchen Gewinnen in der Coronazeit von welchen Un- Ich frage mich, wen in Deutschland Sie wirklich mit ternehmen kann man sich vorstellen, dass sie als Über- Punkt 1 erreichen wollen. gewinne entstanden wären? Die Gewinne der Kranken- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo ist Ihr Vor- häuser vielleicht oder die der Lebensmittelindustrie, die schlag?) zwar dieselben Leute wie sonst versorgt hat – wahr- scheinlich mit ähnlichen Umsätzen, wenn man sie alle Wir haben bei der Körperschaftsteuer in Deutschland zusammenrechnet –, aber vielleicht in einem kürzeren eine gleichmäßige Besteuerung von 15 Prozent. Wir ha- Zeitraum. ben im Körperschaftsteuertarif keine lineare Progression wie beim Einkommensteuertarif. Warum wollen Sie sie (Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) einführen? Es fällt mir schwer – ich glaube auch, es kommt sonst (B) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es ging jetzt um keiner drauf –, jetzt Übergewinne zu identifizieren, mal (D) Sie!) davon abgesehen, dass sie natürlich nicht definiert sind. Wir sind dagegen und halten sie für falsch. Was ist ein Übergewinn? Der Kollege Güntzler hat dazu alles gesagt; das will ich gar nicht wiederholen. Aber Sie wollen eine Steuer auf coronabedingte Mehrgewin- jeder, der etwas von Steuern versteht, würde so ähnlich ne einführen und definieren gar nicht, was coronabeding- argumentieren. te Übergewinne sind. Von daher müssen Sie doch Ihren Antrag verteidigen, der völlig unkonkret ist und der (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE nichts bewirkt. Aber das ist das Leid der Opposition GRÜNEN]) und leider auch das Leid Ihrer vielen Steueranträge: Sie Also ist Ziffer 1 schon für die Hasen. haben hier im Deutschen Bundestag noch nichts bewirkt. Jetzt kommt die Ziffer 2: (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Quellensteuer auf die in Deutschland erwirt- schafteten Umsätze von Digitalkonzernen, die ihre Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: hierzulande erzielten Gewinne im Ausland erfassen, Vielen Dank. – Das Wort geht an den Kollegen wird eingeführt … Albrecht Glaser von der AfD-Fraktion. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Quel- (Beifall bei der AfD) lensteuer auf hier erwirtschaftete Umsätze ist wahr- scheinlich keine Ertragsteuer. Diese Frage taucht immer Albrecht Glaser (AfD): auf, wenn über das Thema Digitalsteuer diskutiert wird; Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr ver- denn man weiß nicht – auch die OECD nicht –, ob das ehrten Damen und Herren! In der Tat will ich versuchen, eigentlich eine Umsatzsteuer oder eine Gewinnsteuer mich mit dem sehr schmalen Antrag zu beschäftigen und wird. Wenn es eine Umsatzsteuer wird, dann ist es in nicht mit darüber hinausgehenden allgemeinen, welter- der Tat so, dass nur der Verbraucher sie trägt. Das heißt, klärenden Themen. die Ertragskraft des Unternehmens würde gar nicht ge- troffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich oben im Titel zunächst verlesen und dachte, da Bei der Gewinnsteuer ist es so: Wenn beispielsweise steht: Extraprofite von Kriegsgewinnlern. – Ich habe es Daimler Benz, dessen Sitz in Deutschland ist, in China zunächst für möglich gehalten, dass man dazu einen An- Autos verkauft, dann werden die Gewinne, die aus diesen trag stellt; denn in der Tat gab es eine sogenannte Über- Umsätzen generiert werden, gottlob in Deutschland gewinnsteuer in den USA, als sich die USA für den Ein- besteuert. Das gilt für VW do Brasil, für BASF und für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30937

Albrecht Glaser (A) viele andere. Es ist hochgefährlich, bloß weil die Amis Die Linke fordert zum einen, die Profiteure der Coro- (C) tüchtige Digitalkonzerne haben, an dieser Schraube zu napandemie, die großen Digitalkonzerne wie Amazon drehen und so zu tun, als sei der Ort des Unternehmens- etc., steuerlich stärker zu belasten. Wer wollte dagegen sitzes nicht der maßgebliche Ort für die Frage der etwas haben? Wir nicht. Die Übergewinnsteuer ist ein Gewinnbesteuerung – natürlich in einer Konzernstruktur, spannendes Konzept. Die Linke fordert diese Steuer aus die die Gewinne letztlich an den Ort des Konzernsitzes zwei Gründen: Sie fordert sie erstens, um zu zeigen, dass schleust. sie steuerpolitisch auf der Höhe der Zeit ist. Daran habe ich eigentlich keinen Zweifel. Ich empfehle im Übrigen Wir haben das im Finanzausschuss über Monate immer die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes zu wieder diskutiert. Ich erinnere mich an einen früheren diesem Thema, 28 Seiten, da kann man alles nachlesen; Ministerialdirektor – er ist dann in den Ruhestand gegan- Herr Glaser hat das sogar gemacht. gen –, der immer warnend gesagt hat: Hört auf, das Steuersubstrat umzudefinieren; dann wird Deutschland (Albrecht Glaser [AfD]: Ja!) der Riesenverlierer sein. – Wir sind nun einmal Export- weltmeister. Wenn der Exportweltmeister zulässt, dass Und zweitens fordert sie sie im Bewusstsein, dass der das Steuersubstrat nicht mehr am Ort der Unternehmens- Antrag abgelehnt wird. Das wird auch passieren. sitze hergestellt wird, sondern da, wo die Umsätze getä- tigt werden, dann wird das vor allem mit Blick auf China Vor drei Wochen haben sich die Finanzminister der G 7 sehr interessant, weil die Chinesen dann Steuern auf die auf eine revolutionäre Neuordnung der Besteuerung verkauften Autos deutscher Unternehmen erheben. internationaler Konzerne geeinigt. Das ist doch einmal wichtig festzuhalten! Darüber haben wir jahrelang ge- (Beifall bei der AfD) sprochen, dass das endlich gelingt. Das ist ein histori- scher Durchbruch, der ohne den Einsatz von Olaf Scholz Insofern, lieber Herr De Masi, spielen Sie wirklich nicht passiert wäre. weit unter Ihrem Niveau. Das kann überhaupt nicht funk- tionieren, was in Ihren Anträgen steht. Deshalb ist die (Beifall bei der SPD) Frage, was Sie sich dabei gedacht haben, dieses – das muss man schon so sagen – wirklich armselige und dünne Die Internetgiganten können sich zukünftig eben nicht Papier hier vorzulegen. mehr ihrer Steuerpflicht dadurch entziehen, dass sie ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben. Amazon, Noch abschließend: In der Tat ist es erstaunlich, dass Apple, Facebook, Google werden künftig stärker zur Amazon zwar weltweit eine Umsatzexplosion hatte, nicht Finanzierung von Investitionen und öffentlichen Aufga- aber in Deutschland. Ich habe mir extra noch einmal die ben herangezogen, und zwar nicht irgendwie im akade- (B) (D) Zahlen angeschaut. Selbst wenn sie dort herankämen, mischen Diskurs, sondern im tatsächlichen Leben. Jahre- kämen Sie nicht zu einer größeren Beute, die Sie so gerne lang haben wir darüber diskutiert. Wird also der Gewinn machen würden. in einer Tochtergesellschaft im Ausland unterhalb eines Herzlichen Dank. international festgelegten Mindeststeuersatzes von bei- spielsweise 15 Prozent besteuert, darf der Staat, in dem (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Fabio De die Muttergesellschaft ihren Sitz hat, die Differenz zum Masi [DIE LINKE]) Mindeststeuersatz nachversteuern. Ich glaube, diesen Er- folg muss man nicht dadurch relativieren, dass man mit Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der Übergewinnsteuer sozusagen ein neues Thema auf- macht, das nicht im Vordergrund steht. Vielen Dank. – Das Wort geht an Bernhard Daldrup von SPD-Fraktion. Ich glaube, ehrlich gesagt, es wäre, statt mit interessan- ten Varianten der Steuerfindung zu experimentieren, eine (Beifall bei der SPD) Aufgabe der politischen Linken in Europa, dass solche Konzepte und Vereinbarungen tatsächlich Wirklichkeit Bernhard Daldrup (SPD): werden, dass der jetzt eingeschlagene Weg stark gemacht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wird, statt sich sozusagen mit akademischen Debatten Fritz, es tut mir leid, ich habe nur vier Minuten Redezeit. auseinanderzusetzen. Deswegen kann ich es nicht so ausführlich machen, wie Ich fand es sehr beeindruckend, wie du das eben angefangen hast, und kann nicht über BEPS gestern nach langjähriger Erfahrung und 23 Jahren Mit- und das Steueroasen-Bekämpfungsgesetz und anderes gliedschaft im Europäischen Parlament genau diesen reden. Aspekt deutlich gemacht hat und gesagt hat, wie wichtig (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wir ergänzen uns diese Entscheidung der G 7 für Europa ist. Sie ist nicht ja gut!) erst auf europäischer Ebene getroffen worden. Das ist doch die politische Aufgabe, die wir als Bundesrepublik Es sind im Übrigen zwei Anträge, die die Linken stel- Deutschland haben. Dass das gelungen ist mit Olaf len. Das Interessante an diesen Anträgen ist eigentlich das Scholz an der Spitze, dafür müssen wir, finde ich, außer- Datum der Einbringung. Daran sieht man, dass beide ordentlich dankbar sein. Das ist eine ausgesprochen gute Anträge schon ein Stück weit überholt sind, und zwar Sache. maßgeblich durch das Handeln von Olaf Scholz; darauf komme ich gleich gerne zurück. (Beifall bei der SPD) 30938 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Bernhard Daldrup (A) Ich möchte nicht auf die Details des zweiten Antrags Katja Hessel (FDP): (C) eingehen, sondern ihn nur kurz erwähnen. Dieser ist in- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und teressanterweise von Oktober 2019 und fordert eine In- Kollegen! Die letzte Steuerdebatte in dieser Legislatur- vestitionspflicht für den Bund. Kurz darauf ist der unvor- periode vor vielen Mitgliedern des Parlamentarischen hergesehene Konjunktureinbruch durch die Coronakrise Untersuchungsausschusses beschäftigt sich mal wieder eingetreten. Was aber nicht eingetreten ist, ist die mit der Einführung einer neuen Steueridee von der linken befürchtete Verschärfung des Investitionsstaus. Ganz im Seite dieses Hauses. Gegenteil! Die kommunalen Investitionen haben sich (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) trotz der Pandemie 2020 deutlich positiv entwickelt und sind 2020 um 7 Prozent gestiegen. In diesem Jahr wird Obwohl man sagen muss, so richtig neu ist sie nicht. Das mit einem weiteren Anstieg der kommunalen Investitio- haben wir gerade mitgekriegt; Stichwort Kriegssteuer im nen um rund 10 Prozent auf 38,7 Milliarden Euro gerech- Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg. Das ist also net. Vor sieben Jahren, als ich hier angefangen habe, ein Griff in die steuerliche Mottenkiste. waren das bei den Kommunen im Jahr 22 Milliarden (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Euro. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Sekt- steuer wollen wir abschaffen!) (Otto Fricke [FDP]: Die Schuldenbremse gilt für die Kommunen an dieser Stelle doch gar Wenn man Ihnen zugehört hat, geschätzter Kollege De nicht!) Masi, dann hat man gemerkt, dass es gar nicht so sehr um die Übergewinnsteuer ging; stattdessen waren wir ein Wir haben gegen die Krise nicht gespart, sondern ha- bisschen im internationalen Steuerrecht unterwegs: ben mit gezielten Maßnahmen zur Konjunkturbelebung BEPS-Prozess, OECD-Einigung, Mindeststeuer. Es kam und mit zusätzlichen Investitionen reagiert. Und wenn viel, was nicht in Ihrem Antrag steht – dazu haben die man jetzt sozusagen auf der Höhe der Zeit sein will bei Kollegen vorhin auch schon etwas gesagt; denn der An- diesem Thema, dann geht es nicht darum, einfach nur die trag an sich ist relativ dünn. Investitionsseite zu betrachten, die zusätzlich gestärkt Wenn man sich das Gutachten des Wissenschaftlichen werden muss, sondern die Finanzverteilung vor allen Dienstes durchgelesen hat, der aufzeigt, was Übergew- Dingen zwischen Ländern und Kommunen und in Teilen inne sind, dann wird klar: Es sind Krisengewinne, Pande- auch die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und miegewinne. Hier wird es aber schwierig; das sage ich Kommunen. Das ist in Wirklichkeit ein Problem – das ganz vorsichtig. Schaut man sich Unternehmen an, die in Thema Altschulden im Übrigen auch, zu deren Abbau den letzten Jahren trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage Union und FDP leider im Moment nicht bereit sind. Gewinne gemacht haben, fällt mir zum Beispiel ganz (B) (D) (Otto Fricke [FDP]: Aber nur in manchen Län- vorne BioNTech ein. Was haben wir BioNTech für den dern! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Es gibt Impfstoff gefeiert! BioNTech hat seinen Gewinn im letz- erfolgreiche Länder, beispielsweise da, wo die ten Jahr verzehnfacht. Wollen wir jetzt diese Gewinne, CDU regiert!) die in neue Impfstoffe, in die Gesundheit fließen würden, nehmen, um Schulden an anderer Stelle abzubauen? Ich – Lernt dazu! glaube, das kann es nicht sein, Kollege De Masi. Ich will zuletzt darauf hinweisen, dass wir auch in den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Folgejahren jedes Jahr 50 Milliarden Euro an zusätzli- der CDU/CSU) chen Investitionen im Haushaltsentwurf vorsehen. Auch wenn Sie das ständig bestreiten – Kollege Güntzler hat das noch einmal vorgelesen –, es geht natür- (Beifall bei der SPD) lich um die Digitalsteuer als Umsatzsteuer, als Quellen- Bis 2025 ist die Rekordsumme von über 200 Milliarden steuer zusätzlich obendrauf, weil auch Sie dahinterge- Euro vorgesehen. Das heißt, alles das, was auch Die kommen sind, dass die Amazons dieser Welt überhaupt Linke noch vor wenigen Jahren für unmöglich erklärt nicht mittels einer Übergewinnsteuer zu besteuern wären. hat und permanent gefordert hat, das ist Wirklichkeit. Auch da ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Kosten zum Schluss der Verbraucher trägt. Dafür sollten wir Olaf Scholz herzlich danken und Vor allem geht es auch um den Punkt, dass wir gerade sollten ihn, wenn das Wirklichkeit bleiben soll, am besten jetzt durch die Mindeststeuer in den OECD-Ländern in zum Bundeskanzler wählen. dem Bereich sind, wo wir hin müssen. Wir können die Herzlichen Dank. ganzen Probleme nicht national lösen. Wir müssen sie im internationalen Kontext lösen. Ich bin sehr froh, dass hier (Beifall bei der SPD – Fritz Güntzler [CDU/ eine Einigung erzielt worden ist. CSU]: Wenn du den letzten Satz weggelassen Nichtsdestotrotz – auch dieser Punkt muss noch einmal hättest, hätte ich auch geklatscht!) erwähnt werden – ist es für Deutschland ein gefährlicher Weg. Wir verlieren damit auch Steuersubstrat, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Vielen Dank. – Katja Hessel von der FDP-Fraktion hat als Nächste das Wort. auch wenn es momentan sehr weit oben ist; aber dies ist der Einstieg. Wir sind nun einmal eine Exportnation und (Beifall bei der FDP) müssen sehr darauf aufpassen, wohin unser Steuersubst- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30939

Katja Hessel (A) rat geht. Herr Scholz, es ist sehr schön, dass Sie an dieser Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Debatte teilnehmen. Hier noch einmal der Hinweis von Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über ein vor drei Wochen: Gut aufpassen, dass unser Steuersubst- Jahr Pandemie liegt inzwischen hinter uns. Hoffentlich rat in Deutschland gehalten wird! sind bald alle, die es wollen, auch zweimal geimpft. Hof- fentlich bereiten wir uns in diesem Sommer besser auf (Beifall bei der FDP) den Herbst vor als im letzten Sommer, damit mit Delta Es ist die letzte Debatte vor der Wahlpause, in der man nicht die vierte Welle rollt und unsere Kinder wieder die noch mal überlegen sollte: Wie kann man eigentlich dafür Hauptleidtragenden sein werden. Die Krise ist noch nicht sorgen, dass wir aus dieser Krise wieder herauskommen? vorbei. Aber es lohnt sich, heute eine kleine Zwischen- Wäre es der richtige Weg, dass wir die, die in der Krise bilanz zu ziehen, wie Deutschland wirtschaftlich durch Geld gemacht haben, dafür bestrafen, oder wäre es der die Krise gekommen ist. richtige Weg, dass wir die, die jetzt in Zukunft Entlastun- gen brauchen, damit wir als Wirtschaftsstandort wieder Wir wissen, Covid hat die Ärmsten in unserer Bevöl- stark werden, unterstützen? kerung nicht nur am Härtesten und am Existenziellsten getroffen, sondern wir wissen inzwischen auch, dass sich Wir brauchen natürlich dringend eine Modernisierung durch Covid-19 die Schere zwischen Arm und Reich des Unternehmensteuerrechts, Kollege Güntzler. noch einmal drastisch vergrößert hat. Wir wissen: Die (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wirtschaft wurde durch Covid sehr, sehr unterschiedlich getroffen. Ich freue mich, wenn das in der nächsten Legislatur- periode nicht nur bei jeder Rede der CDU/CSU hier am In den Straßen sehen wir langsam, wie viele Geschäfte, Rednerpult erwähnt wird, sondern wenn es auch mal Ein- wie viele Kneipen, Cafés, wie viele Restaurants aufgeben gang in die Gesetzgebung findet. mussten. Alle kennen sicherlich aus ihrem Bekannten- (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wenn Sie dann kreis mindestens noch mal genauso viele, die mit ver- diesmal mitregieren wollen!) deckter Not zu kämpfen haben, gerade Soloselbstständi- ge, Veranstalter, Kulturschaffende. – Wenn ihr uns ein gutes Angebot macht, dann regieren wir natürlich gerne mit. Das sagen wir oft genug. Auf der anderen Seite ist der größte Teil der Wirtschaft, Gott sei Dank, auch dank Milliarden öffentlicher Mittel (Beifall bei der FDP) ganz ohne wirtschaftliche Einbußen durch die Krise ge- Es liegt halt auch immer – so ist es bei vielen Sachen – an kommen. Es gab auch Dritte, die aufgrund des Lock- Angebot und Nachfrage, lieber Kollege Güntzler. downs sogar von der Krise profitiert haben, zum Beispiel Maskendealer von der CDU/CSU, (B) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte (D) diese Rede noch nutzen, um mich zu bedanken; es ist die (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist ziemlich letzte finanzpolitische Debatte in dieser Legislaturperio- platt!) de. Ich darf mich bei allen Kollegen im Finanzausschuss ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. zum Beispiel Supermarkt- und Baumarktketten, zum Bei- Auch wenn wir thematisch, wie wir dem Hohen Haus spiel DHL und andere Paketlieferer, vor allem aber Ama- immer zeigen, sehr unterschiedlich unterwegs sind, arbei- zon und Co, während der stationäre Einzelhandel zusehen ten wir im Finanzausschuss doch eigentlich sehr gut zu- und Hygienekonzepte machen musste. sammen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir können ja mal Ich möchte die Gelegenheit hier am Pult auch nutzen, über Ihre Kontakte zur EEG-Industrie reden!) um mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die den Finanzausschuss verlassen werden, ganz herzlich zu Das, meine Damen und Herren, ist aus mindestens drei bedanken und ihnen für die Zukunft alles Gute zu wün- Gründen bitter: schen. Ich freue mich, wenn ich mit den Kollegen, die im Erstens. Amazon profitierte zwar am meisten und hat Finanzausschuss bleiben – ich hoffe, ich darf auch wieder seine Milliardengewinne verdreifacht, Amazon zahlt aber Mitglied im Finanzausschuss sein –, in der nächsten von diesen Erträgen keinen einzigen Euro Steuern für das Legislaturperiode daran arbeiten kann, dass aus dem Fi- Gemeinwesen in Deutschland. Das ist ein Problem, mei- nanzausschuss noch viel bessere Steuergesetze kommen. ne Damen und Herren. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bleiben Sie in der Sommerpause gesund. Wir werden sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die Anträge natürlich ablehnen. Vielen Dank. Zweitens. Das ist nicht nur bitter für unser Ge- meinwesen, sondern eben auch für den stationären Ein- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zelhandel. Denn der Einzelhandel hat Marktanteile ver- der CDU/CSU) loren, der Einzelhandel hat im Gegensatz zu den vollen Kassen von Amazon jetzt leere Kassen, und der Einzel- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: handel muss jetzt trotzdem Geld in neue angepasste Ge- Vielen Dank, Kollegin Hessel. – Das Wort geht an Lisa schäftsmodelle investieren. Das ist kein fairer Wettbe- Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. werb, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30940 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Lisa Paus (A) Drittens. Es ist bitter, weil es so nicht hätte kommen auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Das hat ein von mir (C) müssen. Wir Grüne fordern seit Jahren eine faire Besteu- beauftragtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes erung des Cafés um die Ecke und von Starbucks, des bestätigt. lokalen Einzelhandels und von Amazon und Co. Schon Die Krise ist noch nicht vorbei. Der Zeitpunkt für seit 2017/18 liegen Vorschläge der EU-Kommission für solche Überlegungen in Deutschland ist aktuell definitiv eine europäische Digitalsteuer auf dem Tisch. Aber zu früh. Aber der Fall „Amazon versus Einzelhandel“ Deutschland, vorneweg Olaf Scholz und die CDU/CSU, zeigt: Es gibt Handlungsbedarf. Wir werden darüber haben diese Vorschläge auf europäischer Ebene blockiert. reden müssen, und wir brauchen eine noch höhere globale Dabei hatten Merkel und Olaf Scholz noch 2018 in Mese- Mindeststeuer, meine Damen und Herren. berg verkündet, dass die Digitalsteuer kommt. Aber auf Druck von Lobbyverbänden haben Scholz und Altmaier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Pläne fallen lassen. Das rächt sich jetzt in dieser sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Krise doppelt. Es geht zulasten des Einzelhandels und führt zur Verödung der Innenstädte, meine Damen und Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Herren. Das Wort geht an die CDU/CSU-Fraktion mit Daran ändert auch die Feier von Olaf Scholz zur jüngst Sebastian Brehm. vom G-7-Gipfel verkündeten 15 Prozent Mindeststeuer (Beifall bei der CDU/CSU) erst einmal gar nichts. Denn die Wahrheit ist: Der G-7- Beschluss zur Mindeststeuer verdeckt, dass man sich Sebastian Brehm (CDU/CSU): eben gerade nicht, wie eigentlich vereinbart, unter den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und 137 OECD-Staaten geeinigt hat. Das war der Plan, das Kollegen! Ich bin dankbar für diesen Tagesordnungs- war das Versprechen von Olaf Scholz. Statt einer europä- punkt, die letzte steuerpolitische Debatte und die Anträge ischen Digitalsteuer hatte er eine weltweite ab spätestens der Linken; denn die Diskussion darum zeigt deutlich, 2021 versprochen. Aber geliefert hat er bisher nichts. welche unterschiedlichen Zukunftskonzepte zum Erhalt (Cansel Kiziltepe [SPD]: Die kommt doch!) unserer Wettbewerbsfähigkeit und damit zum Erhalt der Arbeitsplätze in unserem Land zur Wahl stehen. Selbst wenn ich mal unterstelle, dass der G-7-Be- schluss irgendwann Gesetz wird: Ob dann diese von Wir haben in dieser Wahlperiode als CDU/CSU-Bun- Olaf Scholz verhandelte globale Mindeststeuer wirklich destagsfraktion viel vorangebracht. Wir konnten in der zu einer Verringerung der Steuerlücke bei Digitalkonzer- größten Krise der Nachkriegszeit wichtige Impulse set- nen führen wird, das bleibt wahrlich abzuwarten. Ama- zen und Maßnahmen ergreifen für den Erhalt der Arbeits- (B) zon beispielsweise macht 7,7 Prozent seines weltweiten plätze und die Stabilisierung unserer mittelständischen (D) Umsatzes zurzeit in Deutschland. Laut G-7-Kompromiss Struktur. Dies konnten wir nur erreichen, liebe Kollegin- wird es dann aber auch weiterhin so sein, dass diese nen und Kollegen, weil wir ein Jahrzehnt lang solide 7,7 Prozent nicht der deutschen Besteuerung unterliegen, Haushaltspolitik ohne neue Schulden und sogar mit sondern nur 20 Prozent davon oder womöglich nur einem deutlichen Abbau der Staatsverschuldung bis zur 20 Prozent des Residualgewinns. Der Rest wird vermut- Krise gemacht haben. Das trägt die Handschrift der CDU/ lich weiterhin in Steuersümpfe fließen, vermutlich sogar CSU-Bundestagsfraktion. mehr. Denn da man sich nicht einmal unter den G-7- (Beifall bei der CDU/CSU) Ländern auf 21 Prozent Mindestbesteuerung einigen Liebe Kollegen, kein Land in Europa, kein Land in der konnte, sondern nur auf 15 Prozent, bleibt die Gewinn- Welt konnte in der Krise solche Leistungen erbringen wie verschiebung weiterhin attraktiv. Die unfaire Verteilung wir. Ob es das wichtige Instrument war, das Kurzarbeiter- von Last und Profit in der Covid-Krise findet aber jetzt geld, die notwendigen Hilfen in der Pandemie für die statt. Unternehmen, die Entlastung und Unterstützung der Weltweit findet deswegen – nicht nur hier – aktuell Familien oder die großen Investitionen in unsere Infra- eine Diskussion darüber statt, ob und wie die Unterneh- struktur und in unsere Kommunen – nur durch diese men, die durch die staatlichen Maßnahmen eine Art solide Politik war dies möglich. Monopolgewinn machen konnten, weil die Märkte für Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist ein großer andere eben eingeschränkt waren, einen Teil dieser Extra- Unterschied zwischen den Parteien hier im Hause: Wir profite durch eine Extrasteuer an das Gemeinwesen wollen zu dieser soliden Haushaltspolitik mit einer zurückgeben. Ökonomen weltweit empfehlen es, der schwarzen Null schnellstmöglich zurückkehren; denn IWF empfiehlt es. Die südkoreanische Regierung disku- das ist nachhaltige Politik für unsere Zukunft. Hier gibt tiert es. Es gibt historische Beispiele, die zeigen, dass es unterschiedliche Konzepte zwischen Rot-Rot-Grün solch eine Maßnahme wichtig sein kann, um eben das und uns in der Mitte. Ich glaube, wir brauchen das drin- Vertrauen in die Fairness von Politik und Wirtschaft zu gend, um auch die künftigen Generationen damit nicht zu erhalten, damit dieses keinen Schaden nimmt. belasten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Krise hat aber auch gezeigt, dass in manchen Es gibt auch konkrete Vorschläge der Umsetzung, wie Bereichen, ob in der Bildung, in der öffentlichen Verwal- zum Beispiel die Invested Capital Method oder auch die tung oder auch im Mittelstand, noch enorme Investitio- Average Earnings Method. Eine solche Maßnahme wäre nen in Digitalisierung, Internationalisierung und die Kli- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30941

Sebastian Brehm (A) maneutralität bevorstehen. Gerade an diesem Punkt, liebe ren. Aber das ist gar nicht so einfach. Würde Deutschland (C) Kollegen, sei es auch erlaubt, zum Abschluss dieser Sit- als Exportnation sie national einführen, würden wir mehr zungswoche mal Danke zu sagen. Danke an die Familien, Steuern verlieren als bekommen. die in der Pandemie sehr, sehr stark belastet waren. Dan- Jetzt komme ich zu Ihrer ersten Forderung: ke an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Kurzarbeit waren, und an die vielen Fleißigen, die unter Außerordentliche, in Pandemiezeiten erzielte Ge- schwierigsten Bedingungen gearbeitet haben. Danke an winne von Unternehmen, die der inländischen die Hotellerie, Gastronomie, die Schausteller, die Messe- Gewinnbesteuerung unterliegen, werden einer und Reiseveranstalter, nicht zuletzt auch die Kunst- und Übergewinnsteuer unterworfen. Kulturschaffenden und viele andere für ihre Geduld, für Sie wollen also abschöpfen. Damit schöpfen Sie aber das konstruktive Miteinander in diesen schweren Zeiten. nicht bei denen ab, bei denen Sie abschöpfen wollen, Ich habe davor großen Respekt. Das war für niemanden sondern damit schöpfen Sie beim deutschen Mittelstand einfach. Danke möchten wir an dieser Stelle einfach ein- ab. mal sagen. Jetzt nehme ich mal einen ganz normalen deutschen (Beifall bei der CDU/CSU) Mittelständler – nehmen wir mal einen Handwerksbe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun geht es darum, trieb –, der vielleicht in der Pandemie mehr verdient wie wir ein Programm für Wachstum, für Stabilität und hat, weil viele umgebaut haben, weil viele Baumaßnah- Erneuerung, für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit men stattgefunden haben, weil auch die Preise gestiegen in unserem Land und für die Stärkung von „Made in sind. Die Mitarbeiter waren fleißig und haben unter Pan- Germany“ erreichen. demiebedingungen gearbeitet. Er hat einen Mehrgewinn gemacht, zahlt 52 Prozent Steuern in Deutschland und Hierzu gibt es einen wesentlichen Unterschied hier im wird jetzt durch eine Abschöpfung vom Mehrgewinn Hause, der in dieser Diskussion, glaube ich, auch sehr belastet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den deutlich wird. Die eine Seite des Hauses will abschöpfen: Linken, das ist Planwirtschaft, das ist doch keine soziale mehr Belastungen für den deutschen Mittelstand, Einfüh- Marktwirtschaft. Mit uns kann dieses nicht passieren. rung einer Vermögensteuer, Einführung einer Vermö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gensabgabe oder sogar eines Lastenausgleichs. Dieses Konzept der Linken, der Grünen und der SPD wird Dann kommt übrigens, wenn Sie abgeschöpft haben, Arbeitsplätze in Deutschland kosten und wird die Wett- noch die Vermögensteuer dazu und für die nächste Gene- bewerbsfähigkeit in Deutschland nachhaltig schädigen, ration die höhere Erbschaftsteuer. liebe Kolleginnen und Kollegen. (B) Wir wollen ein anderes Konzept. Ich glaube, das schaf- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fen wir nur, wenn wir mit Wachstum aus der Krise kom- ordneten der AfD und der FDP) men. Wachstum schaffen wir nur, indem wir Liquidität für die Unternehmerinnen und Unternehmer, aber auch Die andere Seite haben wir ja auch in dieser Woche in die Entlastung der Bezieher kleinerer und mittlerer Ein- der Europadebatte erlebt. Sie will aus dem europäischen kommen schaffen. Dies haben wir in unserem Programm Binnenmarkt und aus Europa aussteigen, eine der wesent- so stehen. Wir wollen damit mehr Einnahmen im Staat lichen Grundlagen für unseren Wohlstand, und leugnet haben, um die Kosten der Pandemie abzufedern, und wir den Klimawandel. Aber nur wer Liquidität hat, liebe werden das auch schaffen. Kolleginnen und Kollegen, Wir brauchen Investitionen in Digitalisierung, einen (Volker Münz [AfD]: Das ist falsch!) Umbau hin zu einer nachhaltigen und ökologischen Marktwirtschaft. Jeder Cent, den Sie jetzt abschöpfen, kann auch in Zukunft investieren. Schränken wir die trägt dazu bei, dass es zu weniger Investitionen kommt Liquidität ein durch Abschöpfung von Gewinnen, durch und dass die Motivation der Unternehmerinnen und Mehrbelastung, durch Substanzbesteuerung, wie Sie das Unternehmer auf dem Nullpunkt ist. fordern, werden die Wettbewerbsfähigkeit und die Zu- kunftsfähigkeit in unserem Land nachhaltig beschädigt. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!) Wir wollen eine Besteuerung in Deutschland auch für die Digitalkonzerne vornehmen, die Wertschöpfung in Wir brauchen ein neues Vertrauen in unseren Mittelstand, Deutschland erzielen, selbstverständlich. Aber, lieber ohne Neid, ohne Missgunst, sondern mit sozialer Markt- Herr Kollege De Masi, ich glaube, das kann nicht einfach wirtschaft. auf nationaler Ebene stattfinden – da reicht kein einfacher Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu gehört die Satz in einem Antrag –, sondern es muss international Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in abgestimmt sein. Diese internationale Abstimmung – Deutschland; hier haben wir ja ein weitreichendes Kon- das wurde auch schon in der Debatte erwähnt – findet zept vorgelegt. Dazu gehört auch, die Bezieher kleinerer statt, und es konnten wichtige Impulse gesetzt werden. und mittlerer Einkommen zu entlasten. Dieses Vertrauen wollen wir geben. Deswegen steht in unserem Wahlpro- Aber es geht um zwei Dinge: einmal um die Mindest- gramm auch: „Gemeinsam für ein modernes Deutsch- besteuerung in der internationalen Besteuerung. Hier land“. konnten wir einen ersten Erfolg erreichen. Zweitens geht es darum, letztlich die Digitalbesteuerung einzufüh- Herzlichen Dank. 30942 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Sebastian Brehm (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Fabio De Masi Es müssen also Fehlallokationen und schuldenfinanzier- (C) [DIE LINKE]: Planwirtschaft aus Washing- ter Konsum zurückgeführt werden. Statt die Schulden- ton!) bremse aufzugeben, müssen nichtinvestive Ausgaben insbesondere für linke Ideologien drastisch reduziert wer- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: den. Danke schön. – Das Wort geht an Volker Münz von der (Beifall bei Abgeordneten der AfD) AfD-Fraktion. Kredite sollten immer investiv verwendet werden, um nicht die Haushaltsspielräume zukünftiger Generationen (Beifall bei der AfD) einzuschränken. Daher wird meine Fraktion auch diesen Antrag der Linken ablehnen. Volker Münz (AfD): Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke hat in ihrem Antrag auf Einfüh- (Beifall bei der AfD) rung einer Investitionspflicht zwar mit der Feststellung recht, dass die öffentliche Infrastruktur in Deutschland in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: einem schlechten Zustand ist. Ja, Deutschland investiert Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt unsere Kollegin zu wenig in seine Infrastruktur und gefährdet damit sei- Sonja Amalie Steffen von der SPD-Fraktion. nen Wohlstand. Unser Staat lebt von der Substanz, in vielfacher Hinsicht. Die Bundesregierung, die Landesre- (Beifall bei der SPD) gierungen und die Kommunen fahren die Infrastruktur auf Verschleiß, egal wo man hinschaut: bei Straßen, Brü- Sonja Amalie Steffen (SPD): cken, Bundeswehr und anderem. Hier muss dringend Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gegengesteuert werden, meine Damen und Herren. Kollegen! Liebe Fraktion Die Linke! Auch ich möchte mich für Ihre Anträge ausdrücklich bedanken, und zwar Völlig falsch wäre es allerdings, dafür die Schulden- gleich aus mehreren Gründen. Es gibt mir die Gelegen- bremse abzuschaffen. Darum geht es doch der Linken heit, meine letzte Rede hier im Bundestag zu einem wich- hier. Dem werden wir nicht zustimmen, meine Damen tigen Thema zu halten, und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) und ich kann meine Freude darüber zum Ausdruck brin- (B) (D) Dabei kommt der Antrag der Linken aus dem Oktober gen, dass wir vieles von dem, was Sie in Ihren Anträgen 2019 auch noch völlig zur Unzeit: Die Schuldenbremse fordern, schon in die Wege geleitet haben. Anscheinend ist ausgesetzt worden, es wird Geld ausgegeben, als gäbe haben Sie Ihre eigenen Anträge vor der Debatte gar nicht es kein Morgen. Im letzten Jahr wurden Nettokredit- mehr gelesen; denn dann wäre Ihnen doch aufgefallen, aufnahmen in Höhe von 130 Milliarden Euro getätigt. dass sie zum Teil längst überholt sind. Für dieses Jahr werden 240 Milliarden Euro geplant, so (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten viel wie noch nie zuvor. Das Geld aus dieser gigantischen der CDU/CSU) Schuldenaufnahme wird in weiten Teilen nicht investiv ausgegeben, um zum Beispiel den Investitionsstau ab- Unser Finanzminister Olaf Scholz hat bereits dafür zuarbeiten, sondern überwiegend für konsumtive Aus- gesorgt, dass sich die G-7-Staaten auf eine Internetsteuer gaben. An dem Schuldendienst werden noch die geeinigt haben. nachkommenden Generationen zu tragen haben. Die (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aufhebung der Schuldenbremse verstößt eklatant gegen NEN]: Das hat er nicht von allein gemacht!) das Prinzip der Generationengerechtigkeit, meine Damen und Herren. Mein Kollege Bernhard Daldrup hat es bereits wunderbar erklärt; ich fasse mich daher kurz: Internetkonzerne müs- (Beifall bei der AfD) sen in Zukunft da Steuern zahlen, wo sie ihren Umsatz erwirtschaften, und nicht da, wo sie ihren Sitz haben. Auf den Investitionsstau mit einer dauerhaften Locke- Damit werden viele Steuersparmodelle der Vergangen- rung bei der Schuldenaufnahme zu reagieren oder mit heit angehören. Zusammen mit dem weltweiten globalen einer jährlichen Ausgabenverpflichtung, ist falsch, meine Mindeststeuersatz schaffen wir also genau das, was Sie, Damen und Herren. Ganz im Gegenteil müssen die Haus- jedenfalls zum Teil, fordern: Wir bitten die Internetgigan- halte jetzt wieder konsolidiert werden. Darauf kommt es ten wie Amazon, Facebook und Google zur Kasse, und jetzt an. Gleichzeitig die Investitionslücke in Deutsch- damit können wir auch bei uns in Deutschland mit mehre- land zu schließen, ist möglich, wenn investive Ausgaben ren Milliarden an Steuermehreinnahmen rechnen. stärker in den Vordergrund rücken, anstatt auf immer neue Subventionen, Transferausgaben und planwirt- (Beifall bei der SPD – Lisa Paus [BÜND- schaftliche Maßnahmen zu setzen, die die Finanzmittel NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär’s!) an falscher Stelle binden. Ihr zweiter Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, gehört erst recht in die Mottenkiste. (Beifall bei der AfD) Und wenn jetzt schon drei Rednerinnen und Redner, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30943

Sonja Amalie Steffen (A) nämlich der Kollege Güntzler, die Kollegin Hessel und ein Ohr für unsere Anliegen. Er war nicht nur ein feiner (C) ich diesen Begriff verwenden, spätestens dann würde ich Kerl, sondern ich habe bei ihm gelernt, was gute kolle- mir an Ihrer Stelle wirklich ernsthaft Gedanken machen. giale Zusammenarbeit bedeutet, und zwar unabhängig Sie wollen mit dem Antrag aus 2019 eine Investitions- vom Parteibuch. pflicht einführen. Das hört sich ja so an, als würden wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gar nicht investieren. Dabei investieren wir landauf, land- FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN ab. Alleine im aktuellen Haushalt 2021 investieren wir und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) insgesamt 61,9 Milliarden Euro – der Kollege Daldrup hat es vorhin schon gesagt –, davon sind 38 Milliarden Dass man immer dann am erfolgreichsten ist, wenn Euro für die Kommunen. Mit der mittelfristigen Finanz- man zusammenarbeitet, haben wir auch in der Region planung – sie ist ja letzte Woche veröffentlicht worden – unter Beweis gestellt. – Lieber , liebe werden wir bis 2025 mit Olaf Scholz als unserem Bun- und liebe Claudia Müller, ihr wisst, deskanzler über 200 Milliarden Euro in Investitionen ste- wovon ich rede. cken. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall bei der SPD – Fabio De Masi [DIE Besonders genossen habe ich auch die kollegiale Zu- LINKE]: Ist der schon Bundeskanzler?) sammenarbeit in den Ausschüssen. Ich freue mich, dass Ihre Anträge sind also bereits jetzt Geschichte, liebe Lin- zu dieser Stunde noch so viele Kolleginnen und Kollegen ke. vom Haushaltsausschuss da sind. Und ich hoffe, dass wir unseren Herdenschutzesel einpacken und dann wie Hase Meine Zeit im Bundestag ist es allerdings auch schon und Igel am nächsten Black Friday gemeinsam über die recht bald. Ich werde dem nächsten Bundestag nicht mehr Brunsbütteler Schleuse zum Reeperbahn Festival segeln, angehören, und daher ist es Zeit, Abschied zu nehmen. um dort gemeinsam einen Glühwein zu trinken. – Und (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist wer diesen Insider jetzt versteht, der weiß, ich komme schade! Ein großer Verlust!) nun zum Schluss. Während ich aktuell ganz viele letzte Male habe – das Gestatten Sie mir, am Ende meiner letzten Rede noch geht den anderen, die sich verabschieden, wahrscheinlich zwei Namen zu nennen, die mir nicht nur Kollegen, son- ähnlich – und mich von Arbeitsgruppen, Gremien, Aus- dern auch echte Freunde waren. Es ist sehr schade, dass schüssen und allem Möglichen verabschiede, habe ich am sie heute nicht dabei sein können. Das ist Toni Schaaf, Mittwoch auch noch etwas komplett Neues erlebt. Ich und das ist . wurde nämlich, zumindest noch bis zum Ende der Legis- (B) laturperiode, zur Vorsitzenden der Wahlrechtskommis- Liebe Dagmar, ich freue mich sehr, dass du mir heute (D) sion gewählt und habe zum ersten Mal einen Ausschuss den Rücken stärkst. Aber ich bin lange Zeit fest davon geleitet. ausgegangen, dass bei meiner letzten Rede Thomas hinter mir im Präsidium sitzen wird und dass ich dann anschlie- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Eine ßend mit Toni zusammen ein Bier trinken werde. Jedoch, exzellente Wahl!) was bleibt? Ich bin dankbar für die vielen tollen Men- Und ja, ich war fast so aufgeregt wie damals bei meiner schen und Begegnungen in den Jahren hier im Parlament ersten Rede 2009. und vor allem in meiner SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ich bedanke mich auch bei meinem Team. Ich weiß, Vorgeschlagen für den Vorsitz wurden der Kollege die hören das nicht gerne; aber sie sitzen oben auf der von der CDU und ich, und zwar von Tribüne. Und wir alle wissen: Ohne ein gutes Team wären Britta Haßelmann von den Grünen. Gewählt wurden wir wir nichts. – Daher auch an Sie herzlichen Dank. fraktionsübergreifend. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Spätestens jetzt denken Sie wahrscheinlich: Warum der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE erzählt sie das in ihrer letzten Rede? Es geht mir um GRÜNEN sowie des Abg. Kay Gottschalk etwas, was hier im Plenum nicht immer ersichtlich [AfD]) wird, nämlich darum, zu zeigen, dass wir in den Aus- Ich bin vor allem dankbar, dass ich drei Legislatur- schüssen und auf der Arbeitsebene überwiegend gut perioden Abgeordnete des Deutschen Bundestages sein und fraktionsübergreifend zusammenarbeiten. durfte. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Macht es gut! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich 2009 neu in GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) den Deutschen Bundestag kam, gab es – ich ging in den Rechtsausschuss – einen Staatssekretär im Justizministe- rium, den vor allem die Kolleginnen und Kollegen von Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der FDP vielleicht noch gut kennen, aber viele andere Herzlichen Dank, liebe Kollegin Steffen. Das Präsi- auch. Es war Max Stadler von der FDP. Einige von Ihnen dium bedankt sich im Namen des Hauses für die immer werden sich noch an ihn erinnern. Jedenfalls waren wir, sehr kollegiale, konstruktive Zusammenarbeit. Wir wis- die SPD, damals in der Opposition. Aber er hatte immer sen, was wir an Ihnen hatten und was wir mit Ihnen ver- 30944 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) lieren. Wir wünschen Ihnen beruflich viel Erfolg und vor worden. Nach drei Jahren waren es dann 18 Prozent der (C) allem im persönlichen Bereich alles, alles Gute. Danke Mittel. Der Fonds musste anschließend mehrfach verlän- schön! gert werden. (Beifall) Wo also drückt der Schuh? Insbesondere im Bausektor sind die Kapazitäten seit längerer Zeit ausgelastet. Mehr Das Wort geht an Christian Haase von der CDU/CSU- Geld bringt also nicht automatisch mehr Investitionen. Fraktion. Eine zusätzliche Nachfrage in Milliardenhöhe sorgt viel- (Beifall bei der CDU/CSU) mehr für weitere Preiserhöhungen. Private Investoren, etwa im Wohnungsbau, hätten dann das Nachsehen. Die Linken wollen also Bauen und Mieten noch teurer ma- Christian Haase (CDU/CSU): chen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – mal wieder (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Nein!) ein Antrag der Linken zu öffentlichen Investitionen nach den Mottos „Viel Geld hilft viel“, „Schuldenmachen kos- Wo wir allerdings ansetzen können, ist ein weiterer tet nichts“ und „Verfassungsrechtliche Zuständigkeiten Flaschenhals: die Planungs- und Genehmigungsverfah- kümmern uns nicht“. Ein bisschen mehr Kreativität, ein ren. Klar, man kann jetzt wie die Linken sagen: Viel bisschen mehr Detailarbeit würde ich von einer Opposi- Geld hilft viel, wir brauchen einfach mehr Planungskapa- tionspartei erwarten. zitäten. – Oder man geht mit Steuergeld verantwortungs- voll um und arbeitet stattdessen an einem Entfesselungs- (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE paket, LINKE]) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Wie Herr Ja, wir müssen unsere Infrastruktur erhalten. Ja, es gibt Spahn! Sehr schlau!) auf der kommunalen Ebene einen Investitionsstau. Nein, es liegt nicht allein am fehlenden Geld, liebe Kolleginnen um Planungen und Genehmigungen zu beschleunigen. und Kollegen. Als Union haben wir in dieser Legislaturperiode be- Ein Blick auf den Bundeshaushalt zeigt es schon: Die reits die Verfahren für Investitionen im Verkehrssektor bereinigten Ausgaben für öffentliche Investitionen sind vereinfacht. Für die weitere Beschleunigung von Pla- von 25 Milliarden Euro im Jahr 2014 bis 2019, also vor nungs- und Genehmigungsverfahren haben wir konkrete der Krise, auf 38 Milliarden Euro gestiegen, ein Zuwachs Vorschläge: von circa 9 Prozent pro Jahr, und das mit der Schulden- (B) bremse. Deshalb schon hier mein Hinweis an alle, die (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) (D) Steuererhöhungen und Schulden als einzige Lösung für komplett digitalisierte Planungsprozesse, Nutzen der die finanziellen Herausforderungen der Zukunft sehen: Blockchain-Technologie, eine neue Beteiligungskultur, Nein, wir sollten alle Bemühungen darauf richten, die mehr Transparenz bringt und alle Akteure frühzeitig Wachstum und Beschäftigung in unserem Land zu schaf- einbindet, Optimierung des Verwaltungsrechtswegs, ein- fen. heitliche Standards bei umweltfachlichen und techni- Meine Damen und Herren, die Investitionsausgaben schen Fragen, bessere Vernetzung der Behörden und auf sind wesentlich schneller gestiegen als sowohl die Ein- EU-Ebene ein einfacheres Beschaffungs- und Vergabe- nahmen als auch die konsumtiven Ausgaben. Es ist also verfahren. Dieser kurze Auszug aus unserem aktuellen auch eine Frage der richtigen Priorisierung. Ich sehe aber Regierungsprogramm macht deutlich, dass viel mehr keinen Vorschlag im Antrag, wo bei konsumtiven Aus- möglich ist als das linke Mantra von „Viel Geld hilft gaben, zum Beispiel bei den Sozialleistungen, gespart viel“. Deshalb von dieser Stelle die ganz klare Ansage: werden soll. Das trauen sich die Linken anscheinend Die Schuldenbremse bleibt, meine Damen und Herren; nicht. denn sie hat sich bewährt. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wollen sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nicht!) [FDP]) Aber lassen Sie uns auf den Kern des Problems kom- Verbesserungsbedarf herrscht an anderer Stelle. Unser men; der Schuh drückt doch an einer ganz anderen Stelle: föderaler Staat braucht klare Zuständigkeiten, um effek- Wir bekommen die ausreichend vorhandenen Mittel nicht tiv zu arbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wis- oder nicht schnell genug auf die Straße. Noch mehr Geld sen, wer für was in unserem Staat verantwortlich ist. Die ins Schaufenster zu stellen und am Ende des Haushalts- Mischfinanzierung hat seit der letzten großen Föderalis- jahres wieder einzusammeln, hilft niemandem, meine musreform leider wieder zugenommen. Es steht außer Damen und Herren. Frage, dass der Schwerpunkt der staatlichen Investitions- tätigkeit nicht beim Bund oder bei den Ländern, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf der kommunalen Ebene liegt, und das ist auch gut so. Oder: Schauen wir uns ein Sondervermögen an, den Vor Ort trifft man nämlich passgenaue Entscheidungen. Kommunalinvestitionsförderungsfonds. Trotz eines Bun- Dafür brauchen die Kommunen aber auch eine angemes- desanteils von 90 Prozent flossen die Fördermittel zu- sene Finanzausstattung. Verlässliche Finanzierungsquel- nächst sehr langsam ab. Nach anderthalb Jahren waren len sind dabei besser als bürokratieintensive Förderpro- weniger als 1 Prozent der 3,5 Milliarden Euro ausgezahlt gramme. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30945

Christian Haase (A) Ein positives Beispiel für die Entlastung der Kommu- Die digitale Wirtschaft muss endlich fair besteuert wer- (C) nen waren die 3,4 Milliarden Euro, die wir für Kosten der den. Unterkunft zusätzlich zur Verfügung gestellt haben, oder Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Die Linke die Übernahme der Gewerbesteuerausfälle durch Bund hier hingegen als Antrag vorgelegt hat, ist leider voll- und Länder im letzten Jahr. kommen unausgegoren und überholt. Diesen Schnell- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schuss tragen wir auch nicht mit. neten der SPD und des Abg. Michael Theurer (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist auch gut [FDP]) so!) Das war ein guter Einmaleffekt. Was wir brauchen, ist Doch bleiben wir bei Amazon. Der Fall wirft weitere aber eine nachhaltige Finanzierung. Deswegen setzen grundsätzliche Fragen auf, unter anderem die uralte Frage wir uns dafür ein, die Umsatzsteueranteile für die Kom- der guten Arbeit. Denn eines ist klar: Die meiste Arbeit munen in der nächsten Legislatur zu erhöhen. bei Amazon ist nicht innovativ, sondern prekär. Damit ist Geld ist also grundsätzlich im Staatsgefüge ausrei- Amazon nicht allein. Eine ganze Reihe von Start-ups und chend vorhanden. Es kommt auf die richtige Priorisie- FinTechs predigen Innovation, entwickeln aber neue For- rung und Zuteilung an. Unser Motto ist daher nicht men der Ausbeutung. Unter dem Deckmantel von flachen „Viel Geld hilft viel“, sondern konkrete Politik: Pla- Hierarchien und cooler Unternehmenskultur höhlen sie nungsverfahren straffen, Bürokratiefesseln lösen, Misch- die Errungenschaften der Arbeiterbewegung aus. Oft be- zuständigkeiten abbauen. Unser Regierungsprogramm haupten sie nämlich, Mitbestimmung gehöre in die Old zeigt den Weg. Folgen Sie uns! Economy. Das ist ein Märchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Daldrup (Beifall bei der SPD) [SPD]: Unsers! Das ist unsers! – Gegenruf des Das zeigen auch die zahlreichen Streiks bei Amazon oder Abg. Christian Haase [CDU/CSU]: Das habe bei Gorillas in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuz- ich noch nicht gelesen. – Gegenruf der Abg. berg deutlich. Auch in der New Economy geht es um gute Cansel Kiziltepe [SPD]: Lohnt sich auf jeden Arbeit und gute Löhne. Deswegen kann auch hier nur die Fall!) Antwort sein: Make Amazon Pay! Vielen Dank. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in der Debatte (Beifall bei der SPD) hören wir Cansel Kiziltepe von der Fraktion der SPD. (B) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (D) Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Cansel Kiziltepe (SPD): Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/28525 mit dem Diese Legislatur ist fast zu Ende, aber es gibt noch immer Titel „Abschöpfung der Extra-Profite von Krisengewin- viel zu tun. Kein Beispiel zeigt das so sehr wie der Fall nern wie Amazon“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Amazon. Das Unternehmen ist der Prototyp des digitalen Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Kapitalismus. Es geht um grundsätzliche Probleme, die Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Wer ent- auch strukturelle Lösungen brauchen. hält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist damit abgelehnt. Es fängt bei der Besteuerung an. Amazon hat es per- fektioniert, sich vor der Finanzierung des Gemeinwesens Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haus- zu drücken. Wie kaum ein anderes Unternehmen landet haltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke Amazon immer wieder in den Schlagzeilen, weil es so mit dem Titel „Öffentliche Infrastruktur erhalten – Inves- wenig Steuern zahlt. Sogar die Corona-Rekordumsätze titionspflicht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- konnte das Unternehmen in ein Minus umrechnen. Dar- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/22256, den auf kann es nur eine Antwort geben: Make Amazon Pay! Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/14375 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Dafür müssen wir unser Steuersystem grundsätzlich lung? – Die Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und reformieren. Auf der OECD-Ebene haben wir diesen Pro- AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. zess angestoßen. Nicht ohne Grund sprechen Kommen- Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. tatoren von einer Steuerrevolution. Geplant sind neue Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Besteuerungsrechte für Übergewinne und eine globale Mindestbesteuerung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf: (Beifall bei der SPD) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des 3. Untersuchungsausschusses der Und das verdanken wir Olaf Scholz. 19. Wahlperiode gemäß Artikel 44 des Grund- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Absolut!) gesetzes Wie kein anderer hat der Finanzminister für diese inter- Drucksache 19/30900 nationale Reform gekämpft. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten (Beifall bei der SPD) beschlossen. 30946 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort geht als Erstes an Im Fall Wirecard mussten wir lernen: Die Testate von (C) Cansel Kiziltepe von der SPD-Fraktion. EY waren jahrelang fehlerhaft. Am Ende fehlten 1,9 Mil- liarden Euro auf Treuhandkonten in Asien. Das ist ein (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Drittel der zuletzt testierten Wirecard-Bilanzsumme, lie- Das habe ich ja noch nie gesehen, dass eine be Kolleginnen und Kollegen. zweimal hintereinander redet! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie hat (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wahnsinn!) halt was zu sagen, Christian! Im Gegensatz zu Doch statt einer ehrlichen und transparenten Fehlersuche dir! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Sie müssen sehen wir von EY bis heute vor allem eines: Rauch und darauf achten, dass Sie nicht dieselbe Rede wie Nebel. Wer aufklären möchte, versteckt sich nicht hinter gerade halten!) Jan Marsalek, behauptet nicht, den Betrug selbst aufge- klärt zu haben, nachdem man jahrelang alles abgesegnet hat. Wer aufklären möchte, enthält der Öffentlichkeit kei- Cansel Kiziltepe (SPD): ne Dokumente mit Pseudoargumenten vor und versucht – Das wird jetzt nicht dieselbe Rede. – Frau Präsiden- nicht, wie noch diese Woche, die Veröffentlichung des tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fall Wirecard Ausschussberichts vor dem Verwaltungsgericht zu ver- ist nicht nur ein Krimi, sondern auch ein Lehrstück, und hindern. das nicht nur dafür, wie Gier und Täuschung miteinander verwoben sein können, sondern auch dafür, dass bei zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) viel Nähe der kritische Abstand verloren geht. Umso Wer aufklären möchte, hat nichts zu verheimlichen und wichtiger war die öffentliche Aufklärung der vergange- stellt sich an die Spitze der Bewegung. nen Monate – ein wertvoller Beitrag, wie ich meine, nicht nur für unseren Wirtschaftsstandort, sondern auch für (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Fritz unsere Demokratie. Vielen Dank an alle Kolleginnen Güntzler [CDU/CSU] und Dr. Petra Sitte und Kollegen! [DIE LINKE]) Nichtsdestotrotz ist der Fall Wirecard auch ein Glücks- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fall, weil er uns wie kein anderer Fall offenlegt, wie der AfD und der LINKEN) Lobbyismus funktioniert. Wir sind auf ein richtiges baye- Die Lehren aus dem Wirecard-Skandal sind so zahl- risches Amigonetzwerk gestoßen. reich, dass es unmöglich ist, sie in einer Rede zusammen- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – zufassen. Ich möchte mich daher hier auf drei Punkte Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Lächer- (B) konzentrieren: Zum einen: Wirecard ist die Geschichte lich! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sogar (D) einer kriminellen Bande, die es bis in den DAX geschafft SPD-Abgeordnete!) hat. Zum Zweiten: Die Kontrollinstitution Wirtschafts- prüfung hat total versagt. Und letztlich: Der Fall Wire- Wirecard engagierte ein Heer von Anwälten und Lob- card hat wie kein anderer gezeigt, wie Lobbyismus in byisten, um Politik in ihrem Sinne zu betreiben. Offene unserem Land funktioniert. Türen hat Wirecard dabei vor allem bei den Granden der CSU und CDU gefunden. Das ist doch der wahre Grund (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Mit der BaFin für Ihr Wahlkampfgetöse, lieber Kollege Hauer. hat das gar nichts zu tun!) (Beifall bei der SPD – Matthias Hauer [CDU/ Um mit dem ersten Punkt anzufangen: Wirecard ist im CSU]: Amtierende SPD-Abgeordnete!) Kern die Geschichte eines gigantischen Betruges. Es ist Denn anders als Ihre haltlosen Vorwürfe konnten wir im der größte Bilanzbetrug in der europäischen Geschichte. Ausschuss sehr gut belegen, dass Wirecard eine Gold- Ein Managementclan hat über Jahre hinweg eine riesige grube für Ihre ehemaligen Unionskollegen war. Im Auf- Lüge erschaffen. Dafür wurden Journalisten unter Druck trag des Gangsterunternehmens warben sie für die Lega- gesetzt, den Beschäftigten wurden Märchen erzählt, und lisierung von Onlineglücksspielen, für eine nachsichtige die Beute wurde heimlich ins Ausland gebracht. Das hat Behandlung durch die Staatsanwaltschaft, für den Markt- keine Person alleine orchestriert. Das ist die Tat einer eintritt in China, für den Waffenschein des Fahrers von Bande. Es ist eine Tat, die sich so nicht wiederholen Markus Braun und für Leerverkaufsverbote zum Schutze darf, liebe Kolleginnen und Kollegen. von Wirecard.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lieber Herr Michelbach, ich bin mir sicher, dass Sie der LINKEN und des Abg. solche Fehltritte nach Ihrem Ausscheiden nicht machen [AfD]) werden. Es wird heute im Anschluss Ihre letzte Rede sein. Es war mir jedenfalls eine Freude, mit einem Ehrenmann Neben dem Aufsichtsrat, dessen Rolle wir nicht bis wie Ihnen im Finanzausschuss und im Untersuchungs- zum Ende aufklären konnten, waren vor allem die Wirt- ausschuss zu sein, schaftsprüfer hautnah am Geschehen. Sie haben den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten öffentlichen Auftrag, die Zahlen in den Büchern zu prü- der CDU/CSU und des Abg. Kay Gottschalk fen. Auf ihren Stempel verlassen sich Anleger, Beschäf- [AfD]) tigte, Investoren, Geschäftspartner und Behörden. und ich hoffe, dass Sie auch in Zukunft weiter poltern (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Siegel!) werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30947

Cansel Kiziltepe (A) Das Gleiche gilt natürlich für Fabio De Masi, unseren (Beifall bei der AfD) (C) Showmaster. Auch wenn du dich jetzt auf die Jagd nach Kommen wir jetzt zu den Fakten. Es hat mir natürlich Jan Marsalek machst, hoffe ich, dass das heute nicht deine letzte Rede in diesen Räumen war. gefallen, was zu den Wirtschaftsprüfern gesagt wurde, Frau Kiziltepe. Einen Satz habe ich aber schon kritisiert. Vielen Dank. Denn eines ist allen klar geworden: Wirecard ist nicht nur (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ein kriminelles System zur Bereicherung einiger weniger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Akteure gewesen. Nein – und das haben Sie verschwie- ordneten der CDU/CSU und der FDP – gen –, es war auch ein Staatsversagen auf allen politi- Matthias Hauer [CDU/CSU]: Der Schluss war schen Ebenen, meine Damen und Herren. gut!) (Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ein weit verzweigtes Netz mit unzähligen Sicherungs- instanzen hat vollkommen versagt: Ministerien, Kanzler- Herzlichen Dank. – Das Wort geht an Kay Gottschalk amt, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, von der AfD-Fraktion. die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, die Ab- (Beifall bei der AfD) schlussprüferaufsichtsstelle, die Betriebsprüfung, der Aufsichtsrat, Nachrichtendienste und last, but not least Kay Gottschalk (AfD): natürlich genauso – Sie haben es gesagt – die Wirtschafts- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Mitbürger! Vor allen prüfer. Das werden die Gerichte klären, meine Damen Dingen aber auch: Liebe Geschädigte! Ich kann nicht und Herren. finden, Frau Kiziltepe, dass Wirecard ein Glücksfall für Am Ende steht aber ein Verlust von 20 Milliarden Euro uns ist. Es ist eher schändlich den Opfern gegenüber. für Anleger, für Menschen, die teilweise sogar ihre 20 Milliarden Euro sind hier verloren gegangen. Altersvorsorge verloren haben. Würde eine Antiterrorab- (Beifall bei der AfD) wehrmaßnahme derart versagen, meine Damen und Her- ren, würden am Ende Menschen sterben. Wir müssen uns Lassen Sie mich vorwegstellen: Ich möchte mich zu- hier im Hohen Hause die Frage stellen, ob wir sowas nächst bei den Kolleginnen und Kollegen Obleuten für zulassen können. Hinterher ist man immer klüger – die- die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit bedanken. sen Satz hab ich sehr oft von den Kolleginnen und Kol- Ich denke, nur so konnten wir diesen Fall in so kurzer legen gehört –, das ist klar. Aber, meine Damen und Zeit nachhaltig aufklären und auch austragen. Bedanken Herren, die Bürger dürfen von verantwortungsvoller möchte ich mich an dieser Stelle auch bei meinem Stell- Politik, einer antizipierenden Politik, und einer verant- (B) vertreter, Dr. Hans Michelbach, der immer da war, wenn (D) wortungsbewussten Gesetzgebung erwarten, dass solche ich ihn brauchte. Dafür noch mal mein Dankeschön. Es Konstellationen durch den Gesetzgeber vorausgeahnt hat sehr viel Spaß gemacht, mit Ihnen zusammenzuarbei- werden und ein Lügenkonstrukt wie Wirecard verhindert ten. worden wäre. (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Doch leider ist genau das Gegenteil eingetreten. Dieser riesengroße Skandal wurde massiv gedeckt; nicht zuletzt Nebenbei ein Dankeschön an Fritz Güntzler. Ich habe durch ein völlig unprofessionelles Agieren der BaFin bei jetzt mehr über den FC Bundestag gelernt und werde in Leerverkaufsverboten, wonach viele Anleger doch den- der nächsten Legislatur gerne mal zum Probetraining ken mussten, dass an den Vorwürfen gegen Wirecard von erscheinen. 2018 und 2019 nichts dran sein kann. Die Hauptverant- (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Harte Bedingun- wortung – dort sitzt der Kollege; dafür bin ich sehr dank- gen!) bar – für den Erlass des Leerverkaufsverbots trägt nun einmal das BMF. Das muss an dieser Stelle in aller Klar- Dann möchte ich mich noch bei unserem Ausschuss- heit und Deutlichkeit ausgesprochen werden, Herr sekretariat bedanken. Ich denke, ohne die hervorragende Scholz. Arbeit – Dr. Raue sei hier an erster Stelle genannt, ohne die anderen zu verschweigen – wäre diese Aufklärung (Beifall bei der AfD) nicht möglich gewesen. Mein aufrichtiges Dankeschön an unser Ausschusssekretariat an dieser Stelle. Wenn wir von Systemversagen sprechen, dann müssen wir an dieser Stelle auch von einem Demokratieversagen (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten sprechen. Meine Damen und Herren, in Deutschland der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- scheint eine Kultur von Pattex-Ministern Einzug gehalten SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias zu haben. So gut wie jeder bleibt auf seinem Posten sitzen W. Birkwald [DIE LINKE]) oder kleben, egal wie groß die Verfehlungen sind. Herr Und last, but not least: In Coronazeiten ein Dank an die Scholz und Herr Scheuer stehen sinnbildlich dafür. Bundestagsverwaltung und an die Mitarbeiter unseres (Beifall bei der AfD) Bundestagspräsidenten, der in Zeiten von Corona trotz größter Raumnot die Möglichkeit geschaffen hat, dass Das ist eine Unkultur der Großen Koalition, die unser unser Untersuchungsausschuss in Würde und sehr ver- gesamtes Politsystem belastet. Sie zeichnet quasi ein Sit- nünftig, was die Öffentlichkeit angeht, zu tagen. Auch tengemälde unserer Demokratie und Gesellschaft der dafür mein großes Dankeschön. untersten Güte. 30948 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Kay Gottschalk (A) Im Fall Wirecard will niemand Verantwortung über- tionsparteien, was haben Sie denn davon? Oder wollten (C) nehmen. Es gab zwar einige Bauernopfer – das begrüßen die FDP und die Grünen mögliche Koalitionsverhandlun- wir – wie den Chef der BaFin, seine Stellvertreterin oder gen nach der Bundestagswahl nicht belasten? Ich weiß es den Chef der APAS, aber fest steht auch, dass nicht ein- nicht. Ich weiß nur, dass eine weitere Beweisaufnahme mal ein Staatssekretär in dieser Affäre seinen Hut neh- nach dem PUA-Gesetz möglich gewesen wäre und dass men musste. Ja, Sie konnten sich nicht mal dazu durch- wir, nur um mal einen Namen zu nennen, uns auch gerne ringen – Frau Kiziltepe sprach von einem Glücksfall –, mit Dr. Wolfgang Schäuble unterhalten hätten, der näm- sich bei den Geschädigten zu entschuldigen, meine Da- lich bis 2017 Finanzminister dieser Republik war. men und Herren. Was ist das für eine Kultur und eine Aber – das sei zum Schluss erwähnt – ich bin mir Ethik in unserem Lande? sicher, dass wir von den Kollegen in Österreich zu diesem (Beifall bei der AfD) Thema noch etwas hören werden. Ich prophezeie deshalb schon jetzt einen Fortsetzungsroman zu Wirecard in der Deshalb muss ich an dieser Stelle nochmals klar sagen: nächsten Legislaturperiode. Viel zu viele Dinge wie FIU Herr Scholz, treten Sie als Minister endlich zurück! und das Versagen der Geheimdienste sind ungeklärt Schlagen Sie es sich aus dem Kopf, Kanzler dieser Re- geblieben. publik zu werden! Das Fass ist übergelaufen, und das bei ausgeschlagenem Boden, meine Damen und Herren. Wir werden uns auf jeden Fall weiter konstruktiv – wie mit dem 107 Seiten starken Sondervotum; da haben wir (Beifall bei der AfD) bewiesen, dass wir uns konstruktiv hier eingebracht ha- Und Frau Merkel – sie ist nicht hier –: Wenn Herr ben – an der Aufklärung beteiligen. Ich wage die Prog- Scholz nicht gewillt ist, von sich aus zurückzutreten, nose: Wir sind hier noch nicht am Ende. Und das sind wir dann wäre es an Ihnen als Kanzlerin der Bundesrepublik nach wie vor den Geschädigten schuldig. Deutschland, Herrn Scholz umgehend freizustellen. Ma- Ich bedanke mich. chen Sie endlich Gebrauch von Ihrer Richtlinienkompe- tenz! In der Flüchtlingskrise war das doch auch möglich. (Beifall bei der AfD) Hier wäre es aber tatsächlich mal richtig, meine Damen und Herren. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann Danke. – Das Wort geht an Matthias Hauer von der [SPD]: Peinlich!) CDU/CSU-Fraktion. Sehr geehrte Damen und Herren, wir sollten uns aber (Beifall bei der CDU/CSU) auch nicht davon täuschen lassen, was ja oft gesagt wur- (B) de, dass die Gesetzgebung bestimmte Mittel einfach nicht (D) Matthias Hauer (CDU/CSU): hergegeben hat und Wirecard deshalb passieren konnte. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Das ist nicht der Fall. Nein, es gab auch damals schon Herren! Am Dienstag haben wir den Abschlussbericht hoheitliche Befugnisse und Möglichkeiten, die aber – und des Untersuchungsausschusses an den Präsidenten des auch das hat der Ausschuss sehr deutlich gezeigt – ein- Bundestages übergeben. Über 2 000 Seiten zeigen einen fach nicht genutzt worden sind. Verantwortlich war dafür dramatischen Kriminalfall, grobe Fehler durch Ab- der Mann, der jetzt auch noch Interimspräsident der schlussprüfer und ein multiples Versagen der deutschen BaFin geworden ist, namens Herr Röseler. Auch das ist Finanzaufsicht bis hin ins Bundesfinanzministerium. In ein Schlag ins Gesicht der Geschädigten, meine Damen knapp neun Monaten hat der Untersuchungsausschuss ein und Herren. großes Arbeitspensum geleistet – in 52 Sitzungen, mit (Beifall bei der AfD) Hunderten Gigabyte Daten, Tausenden Ordnern Beweis- material, Unterstützung mehrerer Sonderermittler und Genauso wenig nachvollziehbar ist für mich die feh- Hunderten Stunden Zeugenvernehmungen. Wir haben lende Selbstkritik in Ministerien und im Kanzleramt. fraktionsübergreifend jeden Stein beim Fall Wirecard Beim Thema Compliance-Regelungen haben alle ein umgedreht. Bild abgegeben, das zu meiner Schulzeit zu einer glatten Sechs geführt hätte. Der Staat kann nicht von Unterneh- Bei Wirecard wurde mit immenser krimineller Energie men das verlangen, was er anscheinend sich selbst nicht gehandelt. Eine Handvoll Täter bereicherte sich zum auferlegen will. Er hat auf Sicherungssysteme wie Com- Schaden vieler. Anleger wurden um ihr Erspartes ge- pliance vollkommen verzichtet. Meine Damen und Her- bracht. Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren. ren, Sie sehen, es gibt noch unzählige Baustellen, die wir Das Vertrauen in den Finanzmarkt wurde zutiefst erschüt- zusammen bewältigen müssen. tert. Ein Fall Wirecard darf sich nicht wiederholen. Mit dem Kriminalfall Wirecard beschäftigen sich die Straf- Den Oppositionsparteien, insbesondere der FDP, den verfolgungsbehörden und die Gerichte. Auch unsere Grünen und der Linken, kann ich hier zumindest eine Arbeit im Untersuchungsausschuss unterstützt diese Sache nicht ersparen: Dass die Regierungsparteien einen Arbeit der Justiz. Unsere Erwartung ist, dass die Täter schnellen Abschluss wollten, liegt natürlich auf der dieses Milliardenbetrugs mit aller Härte des Rechtsstaats Hand. Weder CDU und CSU noch SPD wollten, dass bestraft werden. wir weitermachen. Ende September ist Bundestagswahl. Da wollte man diesen Ballast natürlich schnell loswer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den. Eine Debatte im September wäre da nicht angezeigt neten der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar gewesen. Aber, meine Damen und Herren der Opposi- [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30949

Matthias Hauer (A) Wirecard steht auch für die Fehler der Wirtschaftsprü- Einzig dort, wo die politische Verantwortung liegt, näm- (C) fungsgesellschaft EY. Prüfer haben jahrelang uneinge- lich im Bundesfinanzministerium, folgten keine perso- schränkte Testate erteilt und dabei Prüfungsstandards nellen Konsequenzen, noch nicht einmal bei dem für missachtet. Auf Initiative der Union haben wir als Unter- die BaFin zuständigen Staatssekretär. Nicht ohne Grund, suchungsausschuss mit einem Team aus Sonderermittlern Herr Scholz, mussten sich fünf Ihrer sechs Staatssekretä- die Versäumnisse bei den Abschlussprüfern offengelegt, re gegenüber dem Untersuchungsausschuss verantwor- etwa im Umgang mit erfundenem Drittpartnergeschäft ten. oder auch mit nicht vorhandenen Milliarden auf Treu- handkonten. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das haben die exzellent gemacht! – Dr. Jens Zimmermann Der Wirecard-Skandal ist aber nicht nur ein Fall [SPD]: Ist Andi Scheuer eigentlich noch im schwerster Kriminalität und des Versagens der Ab- Amt?) schlussprüfer, auch die politische Dimension ist drama- tisch. Der Fall offenbart ein eklatantes Versagen bei Be- Durch die Wirecard-Insolvenz wurden dann Ihr Auf- hörden, vor allem bei der BaFin. Das Parlament hat uns sichtstiefschlaf, Herr Scholz, und der Ihres Ministeriums als Untersuchungsausschuss beauftragt, den Sachverhalt beendet. Wir haben einen Minister mit unglaubwürdigen intensiv aufzuarbeiten. Wir als Union haben gemeinsam Erinnerungslücken, mit fadenscheinigen Ausreden, mit mit anderen Fraktionen, vor allem mit der Opposition, verspäteten Aktenlieferungen, mit vorenthaltenen Infor- mit Hochdruck kritisch nachgehakt und die Aufklärung mationen erlebt. vorangetrieben, unabhängig vom Parteibuch der Zeugen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach, mein Aber der Ausschuss hat vor allem auch die Frage nach Gott!) der politischen Verantwortung zu beantworten. Die Er und sein Ministerium haben bei der Rechts- und Fach- BaFin hat mit ihrem rechtswidrigen Leerverkaufsverbot aufsicht über die BaFin schlicht versagt. und mit Strafanzeigen gegen kritische Journalisten offen für Wirecard Partei ergriffen. In dieses Leerverkaufsver- (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der bot waren Ihr Ministerbüro, Herr Scholz, und Ihr zustän- FDP) diger Staatssekretär persönlich von Beginn an eingebun- den. Weder Herr Scholz noch Herr Kukies haben die Die Einzige, die das infrage stellt – das merken Sie ja Reißleine gezogen. auch an der regen Teilnahme an diesem Austausch hier – ist die SPD. Ihr Aufklärungswille, Kollegen Sozialdemo- Wir haben zudem eine BaFin vorgefunden, die nicht kraten, wäre sicherlich größer gewesen, wenn nicht Ihr den Gesamtkonzern Wirecard beaufsichtigt hat, eine Kanzlerkandidat im politischen Fokus dieses Skandals (B) Bilanzkontrolle, die keinen Betrug aufdecken konnte, gestanden hätte. (D) eine Geldwäscheaufsicht, die niemand ausgeübt hat. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist eine (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Da hat bösartige Unterstellung! Ganz bösartige Unter- Wolfgang Schäuble ganz schön gepennt die stellung!) ganzen Jahre anscheinend! -Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Herrn Scholz zu schützen, das war der oberste Auftrag der Sozialdemokraten in diesem Untersuchungsaus- Und Sie, Herr Scholz, wollen als zuständiger Minister schuss. Das zeigt sich auch daran, dass der Kollegin von alldem nichts mitbekommen haben? Was ist eigent- Kiziltepe die BaFin in ihrer Rede nicht ein Wort wert war. lich der Job des Finanzministers? Ist es nicht gerade der Job, so etwas mitzubekommen? Mit Wegsehen führt man (Beifall bei der CDU/CSU) kein Ministerium. Da passt es auch ins Bild, dass wir vorgestern noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erfahren haben, dass sich ein hochrangiger Beamter von neten der FDP – Zuruf von der SPD: Wo ist Ihnen, Herr Scholz, im Vorfeld einer Zeugenvernehmung eigentlich Peter Altmaier?) an die BaFin gewandt hat, mit dem Ziel, von dort Unter- Die wesentlichen Teile des Behördenversagens laufen stützung für kritische Fragen gegen eine Zeugin zu erhal- alle bei der BaFin zusammen. Wo war denn die Rechts- ten – vielen Dank an den Kollegen de Masi, der da kri- und Fachaufsicht von Ihnen, Herr Scholz, die Sie über die tisch nachgefragt hat –; das ist mehr als schlechter Stil. BaFin hätten ausüben müssen? Fehlanzeige! Da fehlen einem fast die Worte. Sie, Herr Scholz, besitzen noch nicht einmal die Grö- (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) ße, irgendeinen Fehler einzuräumen, sich bei den Tau- Wir haben als Untersuchungsausschuss viele gesetz- senden geschädigten Anlegerinnen und Anlegern zu ent- geberische Konsequenzen angestoßen, die auch stark schuldigen. die Handschrift der Union tragen: Bilanzkontrolle aus (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist mit einer Hand, stärkere Transparenz, höhere Haftung bei Herrn Altmaier? Nichts gehört!) Abschlussprüfung, Stärkung von Aufsichtsräten und Compliance. Mehrere Spitzenmanager von BaFin, APAS, DPR, EY mussten gehen. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Alles unsere Vor- schläge!) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr ein- seitig!) Das sind Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit. 30950 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Matthias Hauer (A) Zum Schluss möchte ich noch Dank sagen: meinen So kollegial es im Ausschuss war, so schwierig war die (C) Unionskollegen für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit teilweise bei der Informationsbereitstel- Zusammenarbeit, Hans Michelbach, der nach 27 Jahren lung durch die Bundesregierung. Das Kanzleramt hat starker Arbeit hier als Abgeordneter gleich seine letzte Zeugen vorbereitet. Das Kanzleramt hat auch eine zent- Rede halten wird, Kollegen Fritz Güntzler, der als Wirt- rale E-Mail eines Beraters von Frau Merkel, Herrn Röller, schaftsprüfer den Ausschuss sehr stark unterstützt hat, nicht vorgelegt. Wir haben, Herr Minister Scholz, auch den stellvertretenden Mitgliedern Sebastian Brehm, festgestellt, dass Sie in dienstlicher Sache über private Sepp Müller, , aber auch den Kollegin- E-Mail-Accounts kommunizieren. Wenn das zwei Regie- nen und Kollegen der anderen Fraktionen. Das war frak- rungsmitglieder machen, wird das in der IT der Regie- tionsübergreifend eine starke Teamleistung. Das Interes- rung gar nicht erfasst. Insofern kann man nicht mit se an lückenloser Aufklärung hat uns bei allen politischen Sicherheit sagen, dass der Bundestag alles erfahren hat, Differenzen geeint. Stellvertretend für alle Kolleginnen (Matthias Hauer [CDU/CSU]: So ist es!) und Kollegen der anderen Fraktionen nenne ich und Fabio de Masi, die leider nicht erneut für den was in dieser Sache stattgefunden hat; das muss man Deutschen Bundestag kandidieren werden. Großer Dank leider am heutigen Tage so feststellen. Wir werden sehen, auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sekreta- wie umfangreich und wie vollständig die Informationen riat, in den Fraktionen, in den Abgeordnetenbüros, die waren, die wir bekommen haben. eine super Arbeit geleistet haben. Nun kommen wir zu den Feststellungen. Erstens. Der Letzter Satz. Nicht zuletzt gilt großer Dank den Jour- Betrug war zwar groß angelegt, aber er war nicht perfekt nalistinnen und Journalisten, die sich im Ausschuss ge- organisiert. Er war zu entdecken. Auch diese Verbrecher meinsam mit uns die Nächte um die Ohren geschlagen hatten Schwächen, die man hätte nutzen können, um ihn haben und mit ihrer Arbeit geholfen haben, den Skandal aufzudecken. aufzudecken und Licht ins Dunkel bei Wirecard zu brin- Zweitens. Es gab fundierte Hinweise, nicht nur, wie es gen. im letzten Sommer aussah, aus der Presse – „Financial Vielen Dank dafür. Times“ usw. –, sondern es gab auch Hinweise aus der Bundesbank, schriftlich hinterlegt. Es gab Warnungen, (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) es gab etliche Geldwäscheverdachtsmeldungen von seriösen deutschen Kreditinstituten gegen Wirecard und Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: sein Management. Es gab die Finanzverwaltung, die den Das Wort geht an Dr. Florian Toncar von der FDP- Verdacht hatte, dass hier Straftaten begangen werden und Fraktion. die das auch hinterlegt hat, in dem Fall bei der Staats- (B) anwaltschaft in München. (D) (Beifall bei der FDP) Das führt zur Schlussfolgerung Nummer drei: Dieser Betrug hätte frühzeitig verhindert werden müssen, liebe Dr. Florian Toncar (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Kolleginnen und Kollegen. und Kollegen! Zwei Dinge machen den Fall Wirecard (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem besonders einzigartig: die Dimension des Schadens, der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- entstanden ist – wir reden über einen Betrag von 25 bis ordneten der CDU/CSU, der SPD und der AfD) 30 Milliarden Euro – und die Rolle von Behörden und Viertens. Behördenversagen ist das eine; aber der Fall Regierungen, die nicht, wie vielleicht in manch anderem Wirecard ist ein Fall von Regierungsversagen. Wir hatten Fall, die Sache unterschätzt und zu wenig getan haben, keine funktionierende Rechts- und Fachaufsicht des weil sie nicht Bescheid wussten, sondern die diesen Fall Finanzministeriums, Herr Minister Scholz, über die als Intensivfall kannten, ihn über Jahre hinweg begleitet BaFin. Das Leerverkaufsverbot – einer der zentralen Feh- haben, aber auf der falschen Seite mitgespielt und die ler, aber nicht der einzige – war aus mehreren Gründen Anleger regelrecht noch mit in die Irre geführt haben. rechtswidrig. Wo war die Rechtsaufsicht? Wo war die Das war einzigartig, aber einzigartig falsch, liebe Kolle- Fachaufsicht? Wo waren die Fragen nach der Berechti- ginnen und Kollegen. gung einer solchen Maßnahme? (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- CDU/CSU und der LINKEN) NEN) Herr Minister Scholz, Sie wissen auch, dass der Fi- Just deshalb war dieser Untersuchungsausschuss – trotz nanzausschuss des Bundestages seit 2018 im Monats- mancher Skeptiker am Anfang, an die ich heute erinnern rhythmus die Zustände bei der Geldwäschebehörde, der möchte – notwendig, und er war auch erfolgreich. Gut, FIU, die Ihnen untersteht, thematisiert hat. Fairerweise dass FDP, Linke und Grüne ihn durchgesetzt haben; denn muss man sagen: Sie haben an der Stelle auch ein Pro- sonst hätte es ihn überhaupt nicht gegeben, liebe Kolle- blem von Ihrem Vorgänger Herrn Schäuble geerbt, der ginnen und Kollegen. diese Behörde im Schweinsgalopp errichtet hat. Aber es (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem war leider nur eine Frage der Zeit, dass dort wertvolle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Informationen nicht verwertet werden. Ich sage Ihnen Matthias Hauer [CDU/CSU]) eins, gerade weil wir Abgeordneten das Thema FIU von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30951

Dr. Florian Toncar (A) Anfang an verfolgt haben: Diese Behörde hat von 32 Tref- Wenn immer mehr Menschen im Internet einkaufen und (C) fern vor der Insolvenz von Wirecard nur 2 identifiziert wir diese Zahlungen abwickeln, dann ist das ein bomben- und 30 nicht identifiziert. Ein Sechzehntel ist eine desas- sicheres Geschäft. tröse Quote. Dafür tragen Sie Verantwortung, genauso Auch Politikerinnen und Politiker, die das Geschäfts- wie Ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble. modell nicht verstanden haben, waren besoffen von die- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem sem Hype um einen neuen Zahlungsanbieter. Sie haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- nicht gesehen, wie Umsätze und Gewinne aufgepumpt ordneten der AfD) wurden. Und ja, natürlich wäre es die Verantwortung Insofern hat die Regierung hier tatsächlich über Jahre der Wirtschaftsprüfer gewesen, nachzusehen, ob die hinweg Fehlentscheidungen getroffen, die diesen Betrug 1,9 Milliarden Euro – ein Drittel der Bilanzsumme – mit ermöglicht haben. auf einem Treuhandkonto auf den Philippinen liegen; die Nachweise hätte teilweise ein Zehnjähriger mit dem Und was viele Menschen beschäftigt – auch das muss Detektivbaukasten fälschen können. Aber die Illusions- heute mal ausgesprochen werden, weil es nämlich die fabrik Wirecard, die Milliardenlüge, wäre nicht möglich ansonsten erfolgreiche Bilanz des Untersuchungsaus- gewesen ohne ein politisches Netzwerk. schusses ein wenig einzuordnen hilft –: Frau von der Leyen verstößt gegen Haushaltsrecht und wird Kommis- Deswegen war es natürlich ein erhebliches Problem, sionspräsidentin. dass die Bundesregierung dieses Unternehmen als einen nationalen Champion im deutsch-chinesischen Finanz- dialog, den Herr Scholz verhandelt hat, behandelt hat. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Kommen Sie bitte zum Schluss. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr! – Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Florian Toncar (FDP): Jawohl. – Herr Scheuer verstößt gegen Haushaltsrecht Es war natürlich ein fatales Signal, dass die Bundeskanz- und bleibt Minister. Und auch im Fall Wirecard sind die lerin der Bundesrepublik Deutschland zum mächtigsten Verantwortlichen auf der politischen Ebene alle immer Mann Chinas fährt und sich dort für dieses Unternehmen noch dort, wo sie waren. Genau das ist es, was die Leute engagiert, obwohl sie zuvor ein Treffen mit dem CEO nach dem Skandal noch mal verärgert und sie auch daran von Wirecard, Markus Braun, aufgrund kritischer Me- zweifeln lässt, dass hier in diesem Staat alles mit rechten dienberichte abgelehnt hat. Dingen zugeht. Natürlich gab es eine Armee an Lobbyisten aus dem (B) (Beifall bei der FDP, der AfD und dem Umfeld der Union, aus Bayern und aus dem Umfeld der (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sicherheitsbehörden. Aber wer hier, Kollege Gottschalk, die Backen so aufbläst, der sollte natürlich wissen, wes- Ändern Sie das! Machen Sie das Nötige! Ansonsten wird sen geistige Kinder Herr Braun und Herr Marsalek dieser Fall Sie, Herr Minister Scholz, und die gesamte waren: Herr Braun hat für den Wirtschaftsrat der Union Bundesregierung sowieso nicht mehr loslassen. gespendet und ihn finanziert, und Herr Marsalek hat ja Herzlichen Dank. enge Freunde bei Ihren Freunden in Österreich, bei der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten FPÖ. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- GRÜNEN) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: KE]: Hört! Hört! – Dr. Jens Zimmermann Danke. – Das Wort geht an die Fraktion Die Linke mit [SPD]: Going to Ibiza!) Fabio De Masi. Deswegen ist der Wirecard-Skandal vor allem auch (Beifall bei der LINKEN) eine Lektion über die Phrasen über die vermeintliche Wirtschaftskompetenz, die wir so häufig in der Politik hören; Fabio De Masi (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! (Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu Wirecard, dieser True Crime made in Germany, ist der einer Zwischenfrage) größte Börsen- und Bilanzskandal der Nachkriegsge- denn die einzige Kompetenz der Damen und Herren, die schichte. Es ist aber auch ein Lobbyismusskandal, es ist sich dort für Wirecard engagiert haben, war, sich die ein Geldwäscheskandal, und – ja, ich bin nach wie vor der Brieftasche vollzumachen, weil sie für dieses Unterneh- Überzeugung – es ist wahrscheinlich auch ein Geheim- men Klinken putzten. dienstskandal. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Über 20 Milliarden Euro Börsenwert wurden über Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Nacht in Konfetti aufgelöst. Kleinanlegerinnen und Kleinanleger haben ihre Ersparnisse verloren. Wirecard, ein Unternehmen, das in der Frühphase des Internets mit Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der Zahlungsabwicklung von Onlineglücksspiel und Por- Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn nografie groß wurde, hat eine einfache Story erzählt: Gottschalk? 30952 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

(A) Fabio De Masi (DIE LINKE): verkaufsverbot für ein einzelnes Unternehmen erlassen. (C) Selbstverständlich. Nun ist es so, dass ich als Linker wahrscheinlich unver- dächtig bin, der Finanzaufsicht das Recht abzusprechen, Kay Gottschalk (AfD): auch Leerverkäufe, also Wetten auf fallende Kurse, zu Sehr geehrter Kollege De Masi, würden Sie vielleicht regulieren. Aber für ein einzelnes Unternehmen aufgrund zur Kenntnis nehmen und bei den Fakten bleiben, dass einer Erpressungsstory, wonach angeblich die Nachrich- Markus Braun bis zum Tag der Insolvenz Mitglied im tenagentur Bloomberg Wirecard erpressen wolle mit Thinktank des Bundeskanzlers der Republik Österreich, kritischer Berichterstattung, mit einem britischen Dro- Herrn Kurz, war – dieser gehört der ÖVP an – und dass gendealer als Kronzeugen? Das ging von der Staatsan- Herr Markus Braun 70 000 Euro den NEOS in Österreich waltschaft in München dann an die BaFin, und die hat das hat zukommen lassen? Würden Sie auch zur Kenntnis einfach umgesetzt. Das lag eben auch auf dem Tisch des nehmen, dass die FPÖ, die ich tatsächlich als unsere Finanzministeriums. Schwesterpartei bezeichne – und da bin ich auch stolz Genauso ist es richtig, dass es bei der Staatsanwalt- drauf –, damit überhaupt – – schaft grobe Versäumnisse gab. Sie hat Herrn Marsalek (Zurufe von der SPD und der LINKEN) rausspazieren lassen, drei Tage, nachdem sie wusste, dass die 1,9 Milliarden Euro weg sind. Aber es ist ein multi- – Beruhigen Sie sich! Sie werden vielleicht auch noch ples Behörden- und Aufsichtsversagen gewesen. Die Demokratie lernen und lernen, dass diese genauso zum Finanzaufsicht hatte genauso wie die Anti-Geldwäsche- Spektrum dazugehört. Behörde FIU – deren Arbeit haben wir hier seit 2017 Würden Sie, Herr De Masi, da einfach bei der Wahrheit bemängelt – eine idiotensichere Handreichung der Com- bleiben? Denn Sie haben schon zu Beginn der Arbeit des merzbank aus dem Jahre 2019, die in das Herz dieses Ausschusses widrig unterstellt, ich würde irgendwelche Skandals zielte. Sie hat diese Ausarbeitung, diese Geld- Informationen weitergeben. Eines hat doch der Untersu- wäscheverdachtsmeldung, anderthalb Jahre nicht an die chungsausschuss gezeigt: dass die ÖVP und Kanzler Strafverfolgung weitergeleitet, nämlich so lange, bis Kurz hier gewaltig mit drinhängen, und mit der ÖVP Wirecard insolvent war. habe beileibe weder ich noch hat meine Fraktion etwas Als wir danach gefragt haben, wurde uns gesagt, das zu tun. Das ist nicht unsere Schwesterpartei; das ist eher sei damals alles gar nicht erkennbar gewesen. Wir kennen die Schwesterpartei im Geiste einer der Regierungspar- die Unterlagen mittlerweile, und dort stand klipp und klar teien hier im Parlament. drin, dass Wirecard extrem auffällige Transaktionen macht, dass es Bezüge zum deutschen Rechtsgebiet Fabio De Masi (DIE LINKE): gibt, dass man da also eingreifen kann, dass es Zahlungs- (B) Herr Gottschalk, vielen Dank für die Frage und dafür, abwicklung für Onlineglücksspiele gibt, was übrigens bis (D) dass Sie mir die Gelegenheit geben, zu antworten. Denn vor Kurzem in Deutschland außerhalb Schleswig-Hol- eine große Ungerechtigkeit im Parlament ist ja, dass mei- steins illegal war. ne Redezeit immer zu kurz ist. Deswegen kann ich natür- lich nicht immer alle Details erwähnen. Es gibt leider auch einige andere Dinge, die bei mir immer wieder Kopfschütteln veranlassen. Einer der Es ist korrekt, dass Herr Braun Chefberater von Fluchthelfer von Herrn Marsalek, ein ehemaliger öster- Sebastian Kurz war, auf den Sie sich ja auch häufig posi- reichischer Agent, stand seit 2018 unter Beobachtung tiv bezogen haben. Aber wenn wir schon dabei sind, jetzt deutscher Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Aus- diese ganze Liste zu vervollständigen, dann möchte ich landsspionage, zwei ehemalige deutsche Geheimdienst- doch den Hinweis geben, dass ein FPÖ-Politiker immer- koordinatoren waren im Austausch mit Wirecard bzw. hin daran beteiligt war, das Flugzeug zu organisieren, mit Herrn Marsalek, und die deutschen Sicherheitsbehörden dem Herr Marsalek in den Wolken verschwunden ist, um haben angeblich noch nie etwas davon gehört. Das glaube nur mal ein kleines Detail zu nennen. ich nach wie vor nicht. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir müssen die SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE Wirtschaftsprüfung in Deutschland endlich so gestalten, GRÜNEN – Zurufe: Aha!) dass wir die Macht der Big Four, der großen vier Prü- Wir könnten bei dieser Gelegenheit dann auch gleich fungsunternehmen, brechen. darauf hinweisen, dass der Head of Accounting, also der (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sind nur Chefbuchprüfer von Wirecard, ein Cousin Ihrer geschätz- noch drei!) ten Kollegin Frau von Storch ist. Wir müssen Prüfung und Beratung trennen. Und wir (Beifall bei der LINKEN, der SPD und der brauchen eben auch die Einbindung mittelständischer FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Prüfungsunternehmen. Eigentor! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ver- senkt!) (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Haben wir ge- macht!) Nun gibt es keine Sippenhaft; aber das sind natürlich interessante Zufälle. Verehrte Damen und Herren, dies ist meine letzte Rede im Bundestag. Ich will aber zur Sache zurückkommen und das Ver- sagen der Aufsichtsbehörden ansprechen. Die Finanzauf- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist sicht – und das ist ein einmaliger Vorgang – hat ein Leer- bedauerlich! – Dr. [BÜND- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30953

Fabio De Masi (A) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich sehr Sepp-Herberger-Trick nachzuspielen. Ein großes Pro- (C) bedauerlich!) blem an unserer sportlichen Performance ist leider auch, Ich weiß, dass die Uhr hier schon etwas blinkt. Ich habe dass einige auf dem Platz immer noch denken, der Markt im Laufe der Legislaturperiode immer versucht, mich an regelt das. Das tut er nicht – man muss auch laufen! die Redezeit zu halten. Vielleicht habe ich von daher jetzt In diesem Sinne: Ich bedanke mich für die Zusammen- etwas Budget und Spielraum. arbeit. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir hätten dich noch ertragen!) (Beifall im ganzen Hause – Die Fraktionen der Ich will mich an dieser Stelle bedanken bei der Bevöl- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE kerung – sie war mein Chef in diesen Jahren –, der ich GRÜNEN erheben sich) dienen durfte, bei all den Leuten, die tagtäglich versu- chen, sich ihre kleinen Träume zu erfüllen, sich dabei Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: anständig zu verhalten, insbesondere in Hamburg-St. Vielen Dank, lieber Kollege De Masi, im Namen des Pauli, wo ich gerne lebe. Ich möchte mich bedanken bei gesamten Parlaments; Sie haben es gerade am Applaus meiner Fraktion, auch wenn es bei uns mal rappelt, wie gehört. Ein herzliches Dankeschön für die gute Zusam- woanders auch. Ich möchte mich vor allem aber auch menarbeit, beruflich weiterhin viel Erfolg – mehr oder bedanken für die gute Zusammenarbeit hier in diesem weniger, je nachdem, wie es parteigebunden sein wird –, Ausschuss: bei Florian Toncar von der FDP, bei Lisa viel Erfolg im privaten Leben und alles Gute. Paus von den Grünen und Danyal Bayaz, der nun Vater und Finanzminister geworden ist, aber auch bei allen (Beifall) anderen Kolleginnen und Kollegen. Ich will noch eines hier sagen. Auch wenn wir scharfe Bevor ich an meine liebe Kollegin über- Auseinandersetzungen führen, was auch nötig ist, ist es gebe, noch eine kleine Bemerkung von mir: Suchen Sie doch so: Viele Probleme, die wir in diesem Land dieser sich aus allen Abschiedsreden, die Ihnen gut gefallen Tage besichtigen können, lassen sich nicht in den sozialen haben, das Beste raus, subsumieren Sie es, und wenden Medien mit Slogans auf Twitter lösen, sondern sie lassen Sie es auf mich an. Bevor ich gehe, möchte ich mich nach sich nur lösen, wenn wir nach Gemeinsamkeiten, nach 30 Jahren Politik für unsere Menschen auf kommunaler, sozialem Zusammenhalt in diesem Land suchen. Dies Landes- und Bundesebene bedanken, mit Demut Danke bedeutet eben auch, dass man um Lösungen ringen sagen. Ich bedanke mich bei allen Wegbegleiterinnen und muss, dass man aber auch versuchen muss, den Stand- Wegbegleitern, wünsche Ihnen alles Gute und sage voller (B) punkt des anderen einzunehmen und zu verstehen. Freude und voller Fröhlichkeit: Danke und tschüs! (D) (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) aller Fraktionen erheben sich) Ich weiß, dass viele Kollegen und insbesondere Kolle- ginnen häufiger zu Recht genervt sind, wenn wir hier den Vizepräsidentin Claudia Roth: FC Bundestag in die Debatte einbringen. Aber wissen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Dagmar, ich Sie, was die eigentliche Leistung des FC Bundestages möchte mich auch noch bei dir bedanken. Ich möchte ist? Leider ist es nicht die sportliche Leistung, mich von ganzem Herzen für eine unglaublich kollegiale, vertrauensvolle, enge Zusammenarbeit im Präsidium (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das liegt an bedanken. Du bist ins Präsidium gekommen nach dem dir! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Noch nicht! sehr traurigen und schlimmen Tod von Thomas Da arbeiten wir dran! – Michael Grosse- Oppermann. Sein Tod hat uns alle natürlich lange Zeit Brömer [CDU/CSU]: Hoffentlich nicht das ge- berührt und belastet. Du bist eingestiegen, und es war meinsame Duschen!) sofort eine supergute Zusammenarbeit. sondern die Tatsache, dass das, was dort in der Kabine besprochen wird, auch in der Kabine bleibt. Ich weiß, mit welcher Leidenschaft du tatsächlich über Jahrzehnte auf allen Ebenen Politik gemacht hast, dich Daneben habe ich in meinen Jahren im Parlament eine eingesetzt hast und welche Grundleidenschaft für die Sache gelernt, den persönliche Austausch: Wie geht es dir Demokratie dahintersteckt. Ich weiß aber auch, wie sehr eigentlich? Wie geht es deinen Kindern? Wie geht es du dich freust auf Whirlpools, auf Terrassen, auf Whis- deiner Familie? – Solche Gespräche führt man interes- keys oder was weiß ich – ich habe dir ja Gin Tonic vor- santerweise viel häufiger mit Vertreterinnen und Vertre- geschlagen –, also auf all die kleinen und großen Freuden, tern anderer Fraktionen, mit denen man nicht in einem die das Leben auch lebenswert machen. politischen Wettbewerb steht. Auch das sollte uns etwas zu lernen geben über das politische Geschäft. Wir wünschen dir von Herzen ein lebenswertes Leben. Böse Zungen behaupten, dass die Bilanz des Kapitäns Ganz loslassen tust du sowieso nicht. Aber jetzt genieß Fritz Güntzler als Trainer nicht von Erfolg gekrönt gewe- erst mal deine Zeit nach der parteipolitischen Zeit hier im sen sei. Ich will zu seiner Verteidigung sagen, dass wir Parlament. Du hast es wirklich verdient. Alles Gute! unser letztes Spiel kurz vor der Begegnung Deutschland– Ungarn hatten. Wir hatten eigentlich nur versucht, den (Beifall im ganzen Hause) 30954 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Schönen Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! antwortung immer wieder der nächsten zuschob: von der (C) Wir sind jetzt im Endspurt und machen weiter mit dem Finanzaufsicht BaFin über die Bilanzpolizei DPR, von sehr spannenden Bericht des 3. Untersuchungsausschus- der APAS bis hin zur Geldwäscheeinheit FIU, von der ses, Wirecard. Ich gebe das Wort an die Kollegin Lisa Bundesebene auf die bayerische Landesebene bis nach Paus für Bündnis 90/Die Grünen. Niederbayern und wieder zurück. Und auch innerhalb der BaFin wurden die verschiedenen Informationen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wirecard niemals zusammengetragen. Bei der BaFin galt in Bezug auf Wirecard statt „Wo Rauch ist, da ist Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auch Feuer“ eher das Motto „Hier ist zwar überall Rauch, Gut ein Jahr ist inzwischen vergangen seit der Insol- aber ein Feuer haben wir nirgendwo gesehen“. venz von Wirecard. Wenn Sie, meine Damen und Herren, Wir trafen auf Inkompetenz, gepaart mit Wagenburg- heute „Wirecard-Insolvenz“ googeln und den Zeitraum mentalität, nach der die eigenen deutschen Unternehmen auf eine Woche danach begrenzen, dann sehen Sie vor immer die guten sind, die gegen böse Mächte von außen allem eine Interpretation dieses Skandals: Wirecard- verteidigt werden müssen. Dazu passte dann natürlich Bilanzskandal. Nach dieser Lesart sind einfach 2 Milliar- auch noch der Aktienhandel von Mitarbeitern und nicht den Euro verschwunden. Die Wirtschaftsprüfer von EY vorhandene oder nicht kontrollierte Compliance-Regeln wurden durch die kriminelle Energie von Jan Marsalek in den Behörden. Es braucht einen Kulturwandel und getäuscht, und auch die Bundesregierung war unbeteiligt. einen Strukturwandel innerhalb der Behörden: mehr Diese Lesart als Bilanzskandal hätte der Bundesregie- Kompetenz, mehr Vernetzung statt Silo und auch mehr rung, Olaf Scholz, Angela Merkel, der Koalition, aber Verantwortungsübernahme, meine Damen und Herren. natürlich auch EY sehr gut gepasst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nach nunmehr sieben Monaten Untersuchungsaus- und bei der LINKEN) schuss, etlichen Rücktritten auf unteren Ebenen, Zigtau- senden Seiten durchwälzten Papiers wissen wir, dass Viertens. Wirecard ist auch ein Geldwäscheskandal. exakt diese Sichtweise falsch ist, meine Damen und Her- Wir hatten in Deutschland ein Zahlungsunternehmen, ren. Richtig ist vielmehr: Wirecard ist der größte Wirt- das seit über zehn Jahren immer wieder unter Geldwä- schafts- und Finanzskandal Deutschlands in der Nach- scheverdacht stand. Dennoch wusste bis zur Insolvenz kriegsgeschichte. Und er ist ein multipler Skandal, er kein einziger deutscher Beamter, wer eigentlich für die umfasst mehrere Skandale auf einmal. Deshalb von mei- Geldwäscheaufsicht bei der Wirecard AG zuständig ist. ner Seite sieben Punkte zu sieben Monaten Untersu- Die Ignoranz der Geldwäscheaufsicht war so himmel- chungsausschuss: schreiend, dass die Marktteilnehmer sich die hohen Mar- (B) gen von Wirecard damit erklärten, dass man eben in (D) Erstens. Wirecard ist ein Wirtschaftsprüferskandal, da Deutschland unbehelligt von den Behörden Geldwäsche die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY über Jahre betreiben und damit viel Geld verdienen kann. schlicht nicht die kritische Grundhaltung an den Tag gelegt hat, die man bei einem Hochrisikokunden wie Mehr Zeit und ein längerer Untersuchungszeitraum Wirecard haben muss. Am Ende, 2019/2020, lief es hätten da sicherlich noch mehr Ergebnisse gebracht; offenbar eher wie bei Macbeth nach dem Motto: „Ich denn das Thema Geldwäsche fing schon 2010 an, der bin einmal so tief in Blut gestiegen, Dass, wollt’ ich Untersuchungszeitraum aber erst 2014. Aber auch so ist nun im Waten stille stehn, Rückkehr so schwierig wär’ klar: Die Geldwäscheaufsicht muss komplett auf den als durchzugehen“. Prüfstand. Gerade bei Zahlungsdienstleistern muss die Aufsicht besonders engmaschig sein, meine Damen und Zweitens. Wirecard ist auch ein Antiangloamerikanis- Herren. mus- und tendenziell auch ein Antisemitismusskandal. Anstatt die Kritik und die über Jahre immer wieder neuen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechercheartikel des englischen Journalisten Dan und bei der LINKEN) McCrum von der „Financial Times“ und von anderen Fünftens. Wirecard ist ein Lobbyismusskandal. Mit Marktteilnehmern ernst zu nehmen, beschuldigte die Karl-Theodor zu Guttenberg hat einer der bekanntesten BaFin 2016 Leerverkäufer kurzerhand, Teil eines israe- Ex-Minister Deutschlands seine Kontakte zur Kanzlerin lisch-britischen Insiderrings zu sein, der im Hintergrund für geschäftliche Zwecke missbraucht. Aber er war eben die Märkte manipuliere. Dieselben kulturellen Vorurteile nicht der einzige. Noch etliche weitere Ex-Politiker aus scheinen teilweise auch in der Staatsanwaltschaft gewirkt den Reihen der CDU/CSU haben Wirecard als Lobbyis- zu haben. Fataler Höhepunkt dieser Verschwörungstheo- ten gedient. Dennoch hat das Kanzleramt bis heute kein riegläubigkeit war das rechtswidrige Leerverkaufsverbot, echtes Lobbyregister und auch keine Compliance-Re- das die BaFin und die Staatsanwaltschaft im Februar geln, um so etwas aufzudecken und zu verhindern. 2019 nach einer offenbar von Jan Marsalek fingierten Auch das ist ein schlechtes Ergebnis. Strafanzeige auf den Weg gebracht haben, meine Damen und Herren. Sechstens. Vielleicht war Wirecard auch ein Geheim- dienstskandal. Fabio De Masi hat darauf hingewiesen: (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben mit Wolfgang Wieland extra noch einen Son- GRÜNEN]: Wahnsinn!) derermittler eingesetzt. Ganz herzlichen Dank noch mal Drittens. Wirecard war ein Behördenskandal. Es war von dieser Seite für seine Arbeit! wirklich ein Trauerspiel, im Untersuchungsausschuss mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anzusehen, wie eine Behörde nach der anderen die Ver- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30955

Lisa Paus (A) der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Kay ich, alle Rednerinnen und Redner unisono hier auch dar- (C) Gottschalk [AfD]) gestellt –: Wir haben unheimlich viel herausgefunden, wir haben diese Sachaufklärung betrieben. Aber in diesen Bereich konnte der Untersuchungsaus- schuss auch aufgrund der Zeit leider am wenigsten Licht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bringen. der FDP und der LINKEN) Wenn man alle Skandale zusammendenkt – Aufsicht, Sie haben es gemerkt: Hier im Plenum wird auch mit Wirtschaftsprüfer, Geldwäsche, Geheimdienste, Lobby- harten Bandagen gekämpft. Das ist interessant, weil es im ismus –, dann kann man nur zu dem Schluss kommen: Ausschuss häufig und meistens ganz anders war. Alle Wirecard ist ein Deutschlandskandal, meine Damen und Fraktionen haben an der Sachaufklärung gearbeitet. Wir Herren. haben detektivisch Akten gewälzt, wir haben Zeuginnen und Zeugen vernommen, wir haben überraschende Ant- Siebtens. Wir schulden es all den Opfern von Wire- worten bekommen. Eine der Lieblingsfragen war: Besit- card – nicht nur den Anlegerinnen und Anlegern, sondern zen Sie eigentlich Wirecard-Aktien? – Es war sehr über- auch den Journalistinnen und Journalisten sowie den raschend, wie oft die Antwort war: Ja. – Wir haben ganz Investorinnen und Investoren, die verfolgt und angegrif- viel auf den Weg gebracht. Dass es heute hier an der einen fen wurden –, dass wir Konsequenzen aus dem Skandal oder anderen Stelle – das heißt, bisher eigentlich nur an ziehen. Das geht aber nur, wenn die Verantwortlichen in einer Stelle – ein großes politisches Gepolter gibt, wird der Regierung selber eine positive Fehlerkultur an den diesem Ausschuss nicht gerecht. Tag legen, statt zu versuchen, mit dem Label „Bilanz- skandal“ die Verantwortung von sich zu schieben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das war dieser Bundesregierung nicht gegeben. Es war Auch die Journalistinnen und Journalisten, liebe Kolle- Olaf Scholz nicht gegeben, auch seinen Staatssekretären ginnen und Kollegen, haben den Wirecard-Ausschuss als Schmidt, Kukies und Bösinger nicht und auch Angela eine Sternstunde des Parlamentes beschrieben, Merkel und Peter Altmaier nicht. Das ist wirklich fatal, (Matthias Hauer [CDU/CSU]: War es auch!) auch für die Demokratie in diesem Lande und für die politische Kultur, meine Damen und Herren. und zwar nicht, lieber Kollege Hauer, weil Sie immer wieder den Rücktritt von Gott und der Welt fordern, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern weil wir diese Sachaufklärung betrieben haben. Das und bei der LINKEN sowie des Abg. ist die Sternstunde des Parlamentes gewesen. Dr. Florian Toncar [FDP]) (Beifall bei der SPD – Matthias Hauer [CDU/ (B) Dazu passte dann leider auch noch, dass das Koalitions- CSU]: Noch nicht mit einem Wort haben Sie (D) votum weichgespült war. Das finde ich sehr schade. die BaFin erwähnt! Sprechen sie doch über die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BaFin!) und bei der LINKEN sowie des Abg. – Ja, da können Sie jetzt einen roten Kopf bekommen und Dr. Florian Toncar [FDP]) reinbrüllen; es macht die Sache am Ende nicht besser. Es war ein Untersuchungsausschuss mit Biss. Wenn Vizepräsidentin Claudia Roth: wir uns vor allem die Rolle der Wirtschaftsprüfer an- Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächster Redner: für die schauen – da werden Sie jetzt auch wieder enttäuscht SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann. sein –, dann müssen wir feststellen: Sie waren doch die erste Verteidigungslinie für die geprellten Anlegerinnen (Beifall bei der SPD) und Anleger. Als Wirtschaftsprüferin, als Wirtschaftsprü- fer haben sie einen öffentlich beliehenen Auftrag. Sie Dr. Jens Zimmermann (SPD): schauen sich die Bücher im Unternehmen an, sie über- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und prüfen, ob das, was in der Bilanz steht, auch stimmt. Wir Kollegen! Was bei Wirecard passiert ist, ist einer der haben in der vorherigen Debatte über internationale größten Wirtschaftsskandale der deutschen Nachkriegs- Beziehungen, über BEPS, über Mindeststeuer, über geschichte. Ich weiß: Viele Bürgerinnen und Bürger ha- ganz komplizierte Sachen gesprochen. Ich habe von Fritz ben dabei Geld verloren. 1,9 Milliarden Euro – es ist Güntzler gelernt: Bei der Bilanzprüfung ist ein Posten schon gesagt worden –, ein Drittel der Bilanz, waren total einfach, der heißt „Cash and Cash Equivalents“, am Ende einfach nicht da. Wirecard war ganz offenbar also das Konto. Zur Beantwortung der Frage: „Ist das ein Selbstbedienungsladen, bei dem vor allem ein krimi- Geld auf dem Konto?“, braucht man sich nur einen Kon- nelles Topmanagement und eine Vielzahl von Lobbyisten toauszug anzuschauen. immer wieder zugegriffen haben, während Wirtschafts- Das Problem ist, die hochbezahlten Prüfer von EY prüfer, deren eigentlicher Job es gewesen war, hinzu- haben das nicht hinbekommen; sie haben sich hinter die schauen, weggeschaut haben. Fichte führen lassen. Ich stand im September, als wir diesen Ausschuss ein- (Cansel Kiziltepe [SPD]: Was?) gesetzt haben, auch an dieser Stelle und habe für die SPD versprochen, dass wir uns für die Sachaufklärung einset- Am Ende haben sie jedes Jahr Brief und Siegel auf diese zen. Wenn man den Abschlussbericht mit seinen über Bilanz gegeben. Darauf haben sich viele verlassen, und 2 000 Seiten liest, dann sieht man – das haben, glaube darauf muss man sich auch verlassen können. Deswegen 30956 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Jens Zimmermann (A) haben wir jetzt auch die entsprechenden gesetzlichen Wir haben dieses Wirecard-Memory weitergespielt; (C) Änderungen auf den Weg gebracht, damit genau so etwas wir haben mehr Steine aufgedeckt. Was verbarg sich da- nicht mehr passiert, meine Damen und Herren. runter? Karl-Theodor zu Guttenberg. Ich danke hier dem (Beifall bei der SPD – Matthias Hauer [CDU/ Kollegen Michelbach, der ganz klare Kante gezeigt hat CSU]: Der Finanzminister muss auch seinen und gesagt hat: Das geht nicht, er hat die Kanzlerin damit Job machen!) beschädigt. – Richtig so. Aber er hat sich vor allem auch die Taschen vollgemacht, über 800 000 Euro bei Wire- Herr Altmaier hatte offenbar so viel Angst vor dieser card kassiert. Der nächste Stein, wer kommt dann? Ole Debatte heute, dass er in die USA geflogen ist. von Beust, Peter Harry Carstensen, die Kanzlei Bub (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP – Peter Gauweiler. 100 000 Euro im Monat hat die Kanzlei Bub Beyer [CDU/CSU]: Er macht seinen Job!) Gauweiler dafür kassiert, dass sie die Drecksarbeit für Wirecard gemacht hat. All das befindet sich unter den Schade, dass er nicht da sein kann. Der FC Bundestag ist Wirecard-Memorysteinen und nicht das, was Sie, Herr eben schon genannt worden. Ich muss sagen: Olaf Scholz Kollege Hauer, hier der Öffentlichkeit erzählen wollen. ist auf dem Transfermarkt ziemlich erfolgreich aktiv geworden; denn wir haben uns den Chef der Schweizer (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Finanzaufsicht als zukünftigen Leiter der BaFin sichern bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE können; wir haben alles dafür getan, dass wir einen Welt- GRÜNEN) klassespieler in unser Team holen. Insofern muss ich sagen: Am Ende des Tages war es an (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Damit hat er ein vielen Stellen eine moderne Version von „Kleider ma- Eigentor geschossen!) chen Leute“; denn ich muss mir ganz offensichtlich nur Was hat Peter Altmaier bei der Wirtschaftsprüferaufsicht für teures Geld große Namen einkaufen, um sogar bei gemacht? Er hat eine Anzeige in der FAZ geschaltet. Na einer so renommierten Staatsanwaltschaft wie in Mün- ja, das kann ja was werden, meine Damen und Herren! chen Eindruck zu schinden und sie dazu zu bringen, sich komplett auf die falsche Fährte führen zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist bitter. Aber ich mache den Beteiligten dort keinen der FDP) Vorwurf. Sie haben, glaube ich zumindest, nach bestem Wirecard hat mich immer ein bisschen an ein Memory Wissen und Gewissen gehandelt; aber sie haben Fehler erinnert. Im September haben alle gesagt: Schauen Sie, gemacht, das passiert. Aber wir müssen dafür sorgen, unter den Memorysteinen ist überall der Finanzminister. – dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert. Das ist So, und dann haben wir im Ausschuss angefangen, die der Erfolg dieses Ausschusses, meine Damen und Her- (B) Steine umzudrehen. Als wir die ersten Steine umgedreht ren. Ich bleibe dabei, und ich bedanke mich für die wirk- (D) haben, war überall Bayern, ganz merkwürdig, wir haben lich gute, spannende Zusammenarbeit. Wir haben alle doch eigentlich Hamburg erwartet, aber nein, überall unglaublich viel gelernt, und ich hoffe, dass wir dadurch Bayern. Die Staatsanwaltschaft in München ist eigentlich so etwas in Zukunft verhindern können. weltberühmt dafür, Korruptionsskandale aufzudecken; Herzlichen Dank. aber die Oberstaatsanwältin in München hat bis zum KPMG-Bericht geglaubt, Wirecard sei das Opfer. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten will eines ganz klar sagen: In München gibt es einen der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- Betriebsprüfer beim Bayerischen Landesamt für Steuern. SES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Mann hat bei Wirecard die Bücher geprüft; er hat von diesem Skandal gehört, auf eigene Faust die Puzzle- Vizepräsidentin Claudia Roth: teile zusammengeführt und ist dann zur Staatsanwalt- Vielen Dank, Dr. Zimmermann. – Nächster Redner: für schaft gegangen. Ihm ist nicht geglaubt worden, Wirecard die FDP-Fraktion Frank Schäffler. war ja schließlich das Opfer. Ich komme aus Hessen. In Hessen sind zu erfolgreiche (Beifall bei der FDP) Steuerfahnder einmal für verrückt erklärt worden. Das erinnert mich alles sehr daran. Dieser Mann durfte oder Frank Schäffler (FDP): konnte nicht vor unserem Ausschuss aussagen; denn seit- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und dem er einmal mit der Presse gesprochen hat, ist er lang- Herren! Es ist viel Richtiges angesprochen worden, aus fristig krankgeschrieben. unterschiedlichen Blickwinkeln. Ich möchte hier noch (Cansel Kiziltepe [SPD]: Was für ein Zufall!) zwei Aspekte nennen, die, wie ich glaube, noch zu wenig beleuchtet wurden in dieser wichtigen Debatte. Das eine Das macht mich sehr betroffen. Ich sage Ihnen eines – das ist das Compliance-Problem der BaFin. Ich finde, eine können ruhig auch Herr Söder und Herr Herrmann Finanzaufsicht, die international Vertrauen genießen hören –: Ich werde weiter verfolgen, was aus diesem will, die international anerkannt werden will, die ernst Mann wird; denn es kann nicht sein, dass jemand, der genommen werden will, darf sich nicht gerieren wie in auf der richtigen Spur war, dafür am Ende persönlich einer Bananenrepublik. Wenn Mitarbeiter der BaFin bestraft wird, meine Damen und Herren. 510 Wertpapiergeschäfte in der heißesten Phase der Wire- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten card-Problematik tätigen, dann ist das ein Riesenproblem der AfD, der FDP, der LINKEN und des für die Glaubwürdigkeit der Finanzaufsicht in Deutsch- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) land. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30957

Frank Schäffler (A) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Frank Schäffler (FDP): (C) bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der Bitte, Herr Finanzminister, springen Sie über diesen AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Schatten. NEN) Vielen Dank. Die Frage ist: Werden daraus eigentlich die richtigen (Beifall bei der FDP) Konsequenzen gezogen? Ich meine: Nein, es geht zu langsam. Die Wirecard-Insolvenz ist ein Jahr her. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: BaFin hat jetzt angekündigt, im Frühjahr nächsten Jahres IT-Tools zu schaffen, die tatsächlich nachvollziehen kön- Danke schön, Herr Schäffler. – Nächster Redner: für nen, welche Wertpapiere Mitarbeiter kaufen. Meine Da- die CDU/CSU-Fraktion Dr. Hans Michelbach. men und Herren, wenn so etwas am Ende zwei Jahre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dauert, bis es umgesetzt wird, dann muss man sich nicht ordneten der SPD) wundern, wenn das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland letztendlich darunter leidet. Die BaFin Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (CDU/ weiß noch nicht einmal, wie viele Wertpapiergeschäfte CSU): insgesamt die Mitarbeiter im letzten Jahr getätigt haben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 18 000, hat die zuständige Abteilungsleiterin im Unter- Der Wirecard-Untersuchungsausschuss war unabwend- suchungsausschuss gesagt; aber sie wusste es nicht bar notwendig. Ohne diesen Ausschuss hätten wir nicht genau. Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Wertpapier- die detaillierten Einblicke in die Vorgänge bekommen, geschäfte tatsächlich gemacht wurden. Wir wissen auch die zum größten bundesdeutschen Finanzskandal führten. nicht, ob alle gemeldet werden. Wir wissen auch nicht, Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken: welche Konsequenzen dann daraus gezogen werden. Ich bei den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen – wir ha- finde, da trägt auch das Finanzministerium als Rechts- ben wirklich gut zusammengearbeitet –, beim Ausschuss- und Fachaufsicht die Verantwortung. Das kann man nicht sekretariat, das die Aufklärung mit hohem zeitlichem einfach nur der BaFin überlassen. Einsatz mit vorangetrieben hat. Das war – ich habe ja mehrere Untersuchungsausschüsse mitgemacht – wirk- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) lich eine Kärrnerarbeit, eine großartige Gemeinschaftsar- Ich sage das auch deshalb, weil die BaFin immer sehr beit. schnell dabei ist, bei Sparkassen und Volksbanken genau Der Ausschuss hat dazu beigetragen, das Vertrauen in dies einzufordern, also Insiderhandel in diesen Unterneh- die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie wieder zu (B) men zu verhindern. Wenn man selbst nicht in der Lage ist, stärken. Er hat für Reformdruck gesorgt, der natürlich (D) dies zu tun, dann kann man das aber auch nicht bei ande- jetzt abgearbeitet werden muss. ren verlangen. Der Wirecard-Skandal wurde mehrfach als Staatsver- Ich will noch einen anderen Aspekt ansprechen, der zu sagen bewertet. Das greift aus meiner Sicht zu kurz. Der kurz gekommen ist. Gestern hat Dan McCrum von der Fall Wirecard ist vielmehr Dokument eines kompletten „Financial Times“ den Ludwig-Erhard-Preis für Wirt- Aufsichts- und Kontrollversagens aufgrund krimineller schaftspublizistik bekommen. Er war letztendlich derje- Energie, wie wir es uns alle in Deutschland nicht vor- nige, der diesen Skandal aufgedeckt hat. Er war es, der stellen konnten: angefangen beim Wirecard-Aufsichtsrat durch seine Hartnäckigkeit dafür gesorgt hat, dass es und den Wirtschaftsprüfern von EY, über die Finanzauf- herauskam. Ich finde, dass die Bundesrepublik Deutsch- sicht BaFin, die Geldwäschekontrolleinheit FIU bis hin land, die deutsche Regierung, sich eigentlich bei ihm zum Bundesfinanzministerium, auch zum Bundeswirt- bedanken sollte. schaftsministerium, wo man eher ein laxes Verständnis beim einen von Rechts- und Fachaufsicht und beim an- (Cansel Kiziltepe [SPD]: Haben wir doch! deren nur von Fachaufsicht hatte. Haben wir schon!) Liebe Kollegen unseres Koalitionspartners, der SPD: Sie sollte sich gleichzeitig bei ihm dafür entschuldigen, Zu meinem Bedauern haben Sie nicht die Kraft gefunden, dass er von einer deutschen Staatsanwaltschaft verfolgt dass wir die politische Verantwortung in diesem Bericht wurde. Er wurde getäuscht, verfolgt und schlecht behan- benennen. Aber es gehört natürlich zur Wahrheit, auch delt von Wirecard, letztendlich auch von einer deutschen vor einer Bundestagswahl, dass die aufgedeckten Mängel Staatsanwaltschaft. Ich finde, der Finanzminister könnte vor allem in der Zuständigkeit des Finanzressorts lagen. sich durch eine öffentliche Äußerung bei ihm entschul- Das ist unabstreitbar, meine Damen und Herren. digen und dafür sorgen, dass er auch öffentlich rehabili- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie tiert wird. bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP – Cansel Kiziltepe [SPD]: Hat er doch gemacht!) Das ist nun mal die Tatsache. Die Fehlerkette geht von der nicht erfolgten Einstu- Insofern: fung der Wirecard AG als Finanzholding bis zum rechts- widrigen Leerverkaufsverbot als Schutzmantel für Wire- Vizepräsidentin Claudia Roth: card. Da sind ja noch mal viele Anleger eingestiegen, die Herr Kollege. uns jetzt massiv bedrängt haben: Sie haben ihre Alters- 30958 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (A) vorsorge verloren; sie haben ihr Vermögen, ihr Erspartes Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach nunmehr (C) verloren. Das ist bitter, diese Mails zu lesen und im Fi- 27 Jahren mache ich den Platz frei für eine jüngere Gene- nanzausschuss Mitverantwortung dafür zu tragen. Der ration, die Verantwortung für diese großen Herausforde- Bericht des Ausschusses bedeutet eben keinen Freispruch rungen übernehmen muss. Wir hatten es mit schwierigen für die Finanzaufsicht, für das Bundesfinanzministerium, Herausforderungen zu tun, aber die Zukunft ist sicher für die Finanzpolitiker. nicht einfacher zu gestalten. Meine Damen und Herren, Sie haben es von den Kol- Ich bedanke mich bei Ihnen für die Zusammenarbeit in legen schon gehört: Ich gehöre dem Deutschen Bundes- den zurückliegenden Jahren. Unser Land muss stabil blei- tag seit mehr als 27 Jahren an. Ich habe in dieser Zeit ben. Das wird nach meiner Ansicht nur gelingen mit einer sechs Bundesfinanzminister erlebt. Ich hatte immer groß- intakten politischen Mitte und der freiheitlichen Markt- en Respekt vor diesem wichtigen Amt und habe das auch wirtschaft mit sozialem Ausgleich. noch. Ich durfte an vielen politischen Entscheidungen mitwirken: dem steten Zusammenwachsen unseres Vater- Meine Bitte zum Abschluss ist: Machen Sie Politik mit landes, der Einführung des Euro, dem Stabilitäts- und den Menschen! Stellen Sie Lernfähigkeit über persönli- Wachstumspakt, der Einführung der Schuldenbremse, che Eitelkeit! Finden Sie die Kraft, Fehler zu korrigieren! der Beseitigung der kalten Progression, der steuerlichen Gehen Sie ganz einfach gut miteinander um! Forschungsförderung, den Hilfen für Unternehmen und Arbeitnehmer, gerade jetzt in der Pandemie, um nur eini- Wenn man an einem solchen Tag einen Wunsch frei ge zu nennen. hat, Frau Präsidentin, dann wünsche ich mir, dass der 20. Deutsche Bundestag die Kraft hat und aufbringt, die Ich habe auch viele Krisen, Verwerfungen und Aus- Kräfte der sozialen Marktwirtschaft wieder zu stärken. wüchse gerade des Steuer- und Finanzsystems miterlebt: Steueroasen, Steuerhinterziehung und Steuervermei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dung, Panama Papers, Paradise Papers, Cum/Ex-Steuer- betrug, Börsen- und Bankencrash, Weltfinanz- und Wirt- Ich wünsche mir wieder mehr Ansehen und Wertschät- schaftskrise, Euro-Krise, Rettungsfonds ohne Grenzen, zung für das Unternehmertum. Als ich in den Bundestag EZB-Anleihekäufe mit Höchstverschuldung. eingetreten bin, waren über 10 Prozent der Abgeordne- tenkolleginnen und -kollegen aus dem Unternehmertum. Ja, es gab viele, viele Herausforderungen in unserem Es sind viel, viel weniger geworden. Das besorgt mich. Land, in unserem Finanzsystem. Die Aufarbeitung des Alle Teile unserer Gesellschaft müssen in unserer Demo- Wirecard-Desasters aber – und das möchte ich noch mal kratie zusammen mitgestalten, zusammenwirken. Alle deutlich machen – war für mich ganz persönlich, gerade Teile der Gesellschaft sollten diesem deutschen Parla- (B) als einen der nur noch wenigen Unternehmer im Deut- (D) ment erfolgreich angehören. schen Bundestag und in der Politik, über die unmittelbare Aufklärung hinaus ein persönliches, wichtiges Anliegen. Zum Schluss sage ich: Ich blicke nun auf 39 Jahre Deshalb habe ich mich da auch eingesetzt. hauptamtliche Mandatsträgerschaft zurück. Ich danke Denn Wirecard war für mich mehr als ein Fall von meinen vielen Wählern in Coburg und Kronach. Ich dan- Betrug und Aufsichtsversagen. Es war ein Anschlag auf ke meiner Landesgruppe mit , dem unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung der sozialen ich sehr, sehr verbunden bin. Ich danke meiner Fraktion Marktwirtschaft – die Wirtschaftsordnung, die Basis für mit Ralph Brinkhaus und natürlich meiner Arbeitsgruppe die erfolgreiche Entwicklung unserer Wirtschaft und mit Antje Tillmann. Manchmal bin ich euch sicher auf Gesellschaft war und ist. Für die soziale Marktwirtschaft den Wecker gegangen, habe ich mich im Bundestag immer leidenschaftlich ein- gesetzt. Dieser Erfolgsweg der sozialen Marktwirtschaft (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) gerät aber dann in Gefahr, wenn der Staat als Herr über die Leitplanken der sozialen Marktwirtschaft versagt. aber ich glaube, ich habe für meine Fraktion mehrere Hundert Reden übernehmen dürfen. Sicher war ich dabei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht immer fair. Sollte ich Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses verärgert haben, entschuldige ich mich Ebenso gerät die soziale Marktwirtschaft in Gefahr, dafür. Aber: Der Streit gehört zur Demokratie, hat mal wenn der Staat immer stärker und immer kleinteiliger in jemand Berühmtes gesagt. Unser Meinungsaustausch Wirtschaft und Unternehmensführung hineinregiert. Er darf nie in persönliche Beschimpfung ausarten, sondern muss sich auf seine Leitplanken konzentrieren, und die muss immer sachlich begründet sein. Ich hatte eine sehr müssen stimmen und funktionieren! Die soziale Markt- erfüllende Zeit, dafür bin ich sehr dankbar. wirtschaft gerät in Gefahr, wie gesagt, wenn der Staat immer stärker in die Wirtschaft hineinregiert. Es ist die Liebe Frau Präsidentin Claudia Roth, ich habe Sie im- große Stärke der sozialen Marktwirtschaft, dass sie freien mer kritisch gesehen, aber Sie sind eine tolle Präsidentin Wettbewerb mit sozialer Absicherung verbindet. Es ist geworden. der freie Wettbewerb, der zu besseren Lösungen führt, zu Innovationen und Investitionen. Nicht der Verord- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem nungsstaat bringt erfolgreiche Lösungen hervor, sondern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur der Wettbewerb der Ideen und der daraus resultieren- de technische Fortschritt. Das gilt auch für die dringli- Dass Sie auch so etwas wie die Präsidentin des FC Bun- chen Lösungen beim Klimaschutz. destag sind, erfreut mich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30959

Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (A) Zuallerletzt denke ich an diesen FC Bundestag, so wie Letzter Redner in dieser sehr spannenden Debatte zu (C) es der Kollege De Masi gesagt hat. Dort wird in der einem sehr spannenden Bericht über Ihre Arbeit im dritten Halbzeit die richtige gemeinsame Politik für die- Untersuchungsausschuss: Fritz Güntzler für die CDU/ sen Deutschen Bundestag gemacht, liebe Freundinnen CSU-Fraktion. und Freunde, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE] – Fritz Fritz Güntzler (CDU/CSU): Güntzler [CDU/CSU]: Da hat er recht!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dort gibt es Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hin- Kollegen! Meine Damen und Herren! Als Kapitän des FC weg. Ich denke mit Stolz an die leider zu früh verstorbe- Bundestag bin ich natürlich schier gerührt darüber, wel- nen Kollegen Peter Struck, Thomas Oppermann, Hans- che Bedeutung diese wichtige Institution des Deutschen georg Hauser und viele, denen ich durch den Sport in Bundestags heute in der Debatte hat. Wir können auch diesem FC Bundestag sehr, sehr verbunden war. Sie ha- feststellen, dass fünf Redner, die hier heute zu dem The- ben uns leider zu früh verlassen. Ich denke natürlich aber ma geredet haben, Mitglied des FC Bundestag sind. Man auch an Persönlichkeiten, die mit uns gespielt haben, wie hat in der Ausschussarbeit gesehen, dass wir den Team Joschka Fischer, Theo Waigel, Norbert Lammert und vie- Spirit, den wir in der Fußballmannschaft haben, auch dort le andere. Auch Wolfgang Schäuble war ja einmal Mit- gezeigt haben, auch wenn heute in der Debatte schon klar glied des FC Bundestag. Ich meine, wir haben eine gute geworden ist, dass wir ab und zu auf unterschiedliche gemeinsame Zeit gehabt. Tore gespielt haben. Das passiert bei uns, beim FC Bun- destag, aber ehrlicherweise auch. Eigentore kommen In diesem Sinne: Nochmals herzlicher Dank an alle! auch bei uns vor, meine Damen und Herren. Jetzt bin ich am Ende. Das war es. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Vielen Dank. CDU/CSU und der FDP) (Anhaltender Beifall – Die Fraktionen der Aber ich will zurückblicken auf wirklich spannende CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN Monate im Untersuchungsausschuss. Ich habe in der letz- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ten Legislaturperiode dem Cum/Ex-Untersuchungsaus- erheben sich) schuss angehören dürfen. Auch da ging es um viel Geld – sogar um ein bisschen mehr Geld –, und auch da gab es Vizepräsidentin Claudia Roth: spannende Debatten. Aber ich habe die Zusammenarbeit in diesem Ausschuss völlig anders erlebt, viel kollegialer (B) Lieber Dr. Michelbach, Sie sehen es: Ich kann mich mit (D) großer Zustimmung des Hauses bei Ihnen ganz, ganz und zielführender über alle Fraktionen hinweg. herzlich bedanken. Seit 1994 – das ist eine ganz schön Ich möchte zunächst einen Kollegen erwähnen, ohne lange Zeit – haben Sie diesem Haus als Bundestagsabge- die anderen zu schmälern, und das ist mein Fußball- ordneter auch Ihr Gesicht gegeben. Sieben Legislaturpe- freund – das darf ich sagen – und Kollege Fabio De rioden Dr. Hans Michelbach: Irgendwie waren Sie immer Masi, der uns wirklich angetrieben hat. Ich glaube, keiner da und haben immer dazugehört. Irgendwie sind Sie aber kennt die Akten so gut wie Fabio. Er hat die richtigen auch immer der Bürgermeister des Hohen Hauses geblie- Fragen gestellt. Er war im Thema. Ich habe oftmals ge- ben. Das sage ich mit hoher, hoher Anerkennung: ver- dacht – die Redezeiten, Fragezeiten werden ja nach der wurzelt, verbunden, nah, sogar grünen Frauen gegenüber. Größe der Fraktion zugeteilt –, man hätte ihm auch ein Ich meine, das ist schon ein Wert für sich. Das muss man bisschen mehr Fragezeit geben müssen und können, weil erst mal schaffen. Da kann Herr Dobrindt noch einiges doch viele Fragen von ihm offengeblieben sind. Lieber lernen. Fabio, einen ganz herzlichen Dank für den tollen Job, den (Heiterkeit) du im Untersuchungsausschuss gemacht hast! Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, und das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sicher auch im Namen von vielen Kollegen und Kollegin- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nen aus den unterschiedlichsten Fraktionen: Dank für GRÜNEN) Ihre wirklich liebenswürdige Klugheit und Dank für Dass ich der Kollegin Kiziltepe mal vollständig recht Ihre sehr charmante, immer charmante Kollegialität. geben muss, passiert ja auch nicht alle Tage. Aber sie Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, aber ich würde dem hat meinen geschätzten Freund und Kollegen Hans FC Bundestag nicht nur empfehlen, mal wieder zu gewin- Michelbach als Ehrenmann bezeichnet. Das kann man nen nur unterstreichen. Wer den Hans Michelbach kennt – ich habe ihn jetzt acht Jahre hier im Deutschen Bundestag (Zuruf des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]) kennenlernen dürfen –, weiß, dass er tatsächlich ein – ich kenne die Ergebnisse –, sondern auch Folgendes: Ehrenmann ist, der der Sache verpflichtet ist. Das haben Vielleicht wäre es doch was, einen Ehrenpräsidenten wir auch bei den Befragungen im Untersuchungsaus- Dr. Michelbach des FC Bundestag zu haben. Denken schuss bemerkt. Da gab es keine Parteibücher mehr. Da Sie darüber nach! Ich werde mich dafür einsetzen. Alles galt es nur, die Wahrheit herauszufinden und die Sache Gute, Herr Michelbach! aufzuklären. Lieber Hans, du bist ein Vorbild für uns jüngere Abgeordnete. Das darf ich mit 55 Jahren viel- (Beifall) leicht auch noch sagen. Darüber bin ich sehr froh, und 30960 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Fritz Güntzler (A) wir sind dir alle sehr dankbar. Du hast in unserer Arbeits- schaftsprüfer und Abschlussprüfer – auch das ist in den (C) gruppe gesagt, du hättest ein Buch geschrieben. Aber das Befragungen deutlich geworden – genießen ein großes Buch kommt – ihr könnt ruhig sein – erst nach der Wahl Vertrauen. Man muss sagen: Dieser Vertrauensstellung raus. Von daher wird es keinen Einfluss haben auf den ist EY in keinster Weise gerecht geworden. Die Wahlausgang. Aber wir sind alle gespannt, dieses Buch Schutzfunktion der Wirtschaftsprüfung hat nicht funktio- zu lesen. niert. Der Wirtschaftsprüfer hat die Aufgabe, die Verläss- Aber zum Untersuchungsausschuss zurück. Es ist für lichkeit der Informationen im Jahresabschluss und im den letzten Redner natürlich schwierig, noch viel Neues Lagebericht zu bestätigen. Das ist alles nicht geschehen. zu bringen. Aber ich glaube, man kann vielleicht man- Durch die verschiedenen Berichte – sei es der KPMG- ches noch mal bestätigen. Ich finde, dieser Untersu- Sonderbericht oder auch der Wambach-Bericht des chungsausschuss hat tatsächlich einen wertvollen Beitrag Ermittlungsbeauftragten, den wir gemeinsam beauftragt für die Demokratie geleistet. Viele Kleinanleger sind haben – ist deutlich geworden, dass es geballte Auffällig- geschädigt worden, haben ihre Ersparnisse verloren; 20, keiten gab. Der einzelne Punkt hätte nicht zwingend dazu 30 Milliarden Euro. Daher ist es auch unsere Aufgabe, führen müssen, mehr Fragen zu stellen; aber die Häufig- dass wir uns als Volksvertreter mit diesem Thema keit der Auffälligkeiten hätte zwingend dazu führen müs- beschäftigen. Wir haben uns immer wieder die Frage sen, kritischer an diese Prüfungen heranzugehen. Von gestellt: Wie kann so etwas am Finanzplatz Deutschland daher verstehe ich überhaupt nicht, dass diese große, mit so einer Finanzaufsicht, mit so einem engmaschigen sonst anerkannte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft so we- Netz von Aufsicht überhaupt passieren? Warum haben nig Aufklärungswillen gezeigt hat, so wenig Willen zur die Aufsichtsbehörden letztendlich alle versagt? Zusammenarbeit gezeigt hat. Ich finde es gut, dass die neue Geschäftsführung nun endlich mal ein Bedauern Mir ist aber wichtig, dass wir, wenn wir von Behörden- darüber ausgedrückt hat, dass sie diesen Betrug nicht versagen, von Wirtschaftsprüferversagen, von Regie- früher aufgedeckt haben. rungsversagen reden – und was ich hier nicht alles gehört habe –, in den Mittelpunkt der Debatte stellen, dass es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hier zuallererst kriminelle Energie gegeben hat. der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Es gäbe noch viel zu sagen, Frau Präsidentin. Hier sind Verbrecher am Werk gewesen, die die Men- schen betrogen haben, und es ist gut, dass die Strafver- Vizepräsidentin Claudia Roth: folgungsbehörden jetzt die Richtigen verfolgen. Nee. (B) (D) Wir haben die falsche Sicherheit gehabt, dass unsere Aufsichtsbehörden alles im Griff haben. Und es war lei- Fritz Güntzler (CDU/CSU): der nicht so; das mussten wir feststellen. Wir haben fest- Ich sehe, dass meine Redezeit abläuft. – Mir ist es stellen müssen, dass es ein kollektives Aufsichtsversagen wichtig, eines vielleicht abschließend zu sagen: Wir ha- gegeben hat, und da sind viele betroffen – fast alle sind ben aufgrund des Wirecard-Untersuchungsausschusses hier in der Debatte auch schon genannt worden –: der gesetzliche Maßnahmen ergriffen. Wir können per Ge- Aufsichtsrat, der ein reines Abnickgremium war, die setz vieles regeln; aber wenn die Menschen innerhalb Geldwäscheaufsicht, wenn sie denn überhaupt stattgefun- des gesetzlichen Rahmens nicht die kritische Grund- den hat – das war ja eher ein Streit darum: Wer ist eigent- haltung und das gesunde Misstrauen haben, wird Auf- lich zuständig? sicht immer versagen. Dann können wir noch so viele Gesetze machen. (Dr. Florian Toncar [FDP]: Wer ist nicht zuständig?) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Cansel Kiziltepe [SPD]) Man kann übrigens auch nicht das Gefühl loswerden, dass für Wirecard in Deutschland eigentlich irgendwie Von daher ist es vielleicht ein Ansporn für die Aufsichts- keiner zuständig war. Jedenfalls war das teilweise so. behörden, aber auch für uns, die Aufsichtsbehörden bei Die BaFin ist mehrfach genannt worden, mit der DPR, ihrer schwierigen Arbeit zu unterstützen und nicht nur der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, der den Finanzbeamten beim Landesamt für Steuern. Auch Enforcement-Bilanzkontrolle, die nicht richtig gelaufen das werden wir beobachten. ist. Die Fach- und Rechtsaufsicht, Herr Minister, liegt Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. nun mal beim BMF. Von daher, finde ich, hat es schon (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der einen kleinen Beigeschmack, dass Sie nicht den Mumm FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN haben, zu sagen: Da sind Fehler passiert bei der BaFin, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und ich als verantwortlicher Minister übernehme die poli- tische Verantwortung dafür, dass hier Fehler geschehen sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann gibt es natürlich die Abschlussprüfer von EY. Vielen Dank, Fritz Güntzler. – Damit schließe ich die Und ich kann Ihnen sagen, dass ich als Wirtschaftsprüfer, Aussprache. der seit 30 Jahren in diesem Bereich tätig ist, schon sehr Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- davon betroffen bin, Dinge zu sehen, von denen ich nicht fehlung des 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahl- geglaubt habe, dass man sie mal sehen wird. Wir Wirt- periode. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30961

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) empfehlung auf Drucksache 19/30900, den Bericht des Sie stellen sich schon gegen die kleinsten notwendigen (C) 3. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grund- technischen Anpassungen an das 21. Jahrhundert bei der gesetzes zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Polizei. Wenn Sie wirklich die Polizei unterstützen wol- Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Nicht. Ent- len, dann setzen Sie sich für die bessere technische und haltungen? – Nicht. Die Beschlussempfehlung ist ein- rechtliche Ausstattung der Polizei gemeinsam mit uns als stimmig angenommen. Union ein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Benjamin Strasser [FDP]: Oje, oje, oje!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat Wieso erschweren Sie die Überwachung und Kontrolle (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten von Gefährdern und Terroristen? Wieso meinen Sie, dass Benjamin Strasser, Manuel Höferlin, Stephan die Polizei unbegründet Bürger überwachen würde? Aus Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion meiner Sicht schwächen Sie mit Ihrem Verhalten die der FDP Polizei und gefährden die Sicherheit im Land. Ziehen Sie also Ihren Antrag zurück, und machen Sie sich ehr- Smart Police – Digitalisierung der deutschen lich! Polizei anschieben (Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜND- Drucksachen 19/27172, 19/30608 NIS 90/DIE GRÜNEN]) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Meine sehr geehrten Damen und Herren, am heutigen beschlossen. Freitag, dem 25. Juni, ist auch mein letzter normaler Ich würde die Kolleginnen bitten, möglichst schnell Sitzungstag als Abgeordneter des Deutschen Bundesta- die Plätze einzunehmen oder zu tauschen. Wir sind ziem- ges. Wie einige von Ihnen wissen, werde ich nicht für den lich in Verzug. – Ich wünsche den FC-Bundestag-Kol- 20. Deutschen Bundestag kandidieren. Gestatten Sie mir legen, dass sie ins Sommertrainingslager gehen können. deswegen aus Anlass dieser letzten Rede ein paar Gedan- ken grundsätzlicher Natur: Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat als erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion Marian Wendt. Das Thema „innere Sicherheit“ – und da schließt sich auch der Kreis zu diesem Antrag – ist schon seit jeher (Beifall bei der CDU/CSU) mein Herzensthema und mir quasi auf den Leib geschnei- dert. Mein Vater ist Polizeibeamter und war in verschie- Marian Wendt (CDU/CSU): denen Verwendungen für unser Land tätig. Bei mir in (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Torgau war die Polizei allgegenwärtig. Selbstverständ- (D) Kollegen! Zur Erinnerung: Heute ist Freitag, der 25. Juni lich trafen sich die Kolleginnen und Kollegen an Geburts- 2021. Es ist der letzte normale Sitzungstag vor der Bun- tagen bei uns zu Hause, oder ich war mit auf dem Revier. destagswahl im Herbst. Die Kolleginnen und Kollegen Sicherheit und Polizei waren immer das Thema. Auch der FDP legen uns das Thema „Digitalisierung der Poli- meine Schwester hat dies geprägt. Sie arbeitet heute bei zei“ ans Herz. Dafür vielen Dank; denn die Polizei der Bundespolizei in Diez. Mit meiner Tätigkeit als akti- braucht unsere Unterstützung. Ihr Motiv für diesen An- ver THW-Helfer schließt sich für mich nun der Kreis von trag ist aber durchsichtig. Ihnen geht es nach meinem der Polizei zu den ehrenamtlichen Sicherheitsbehörden. Ermessen nur um das Erhaschen von ein paar Wähler- Angesichts all dieser Prägungen, aber auch aus eigener stimmen und nicht um die wirkliche Verbesserung der Überzeugung sage ich deshalb: Sicherheit ist nicht alles, Polizeiarbeit. Denn wenn es Ihnen um die Sache gehen aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Diesen Grundsatz würde, hätten Sie diesen Antrag nicht schon mehrmals müssen wir uns bewahren. Denn ein Staat, der seine Bür- geschoben und hätten heute im Bundesrat für das Bun- ger nicht schützen kann, ist kein Staat mehr. despolizeigesetz gestimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie finden nun, dass es einen kompletten Neustart bei ordneten der AfD) der Digitalisierung der Polizei braucht, und fordern das Sicherheit ist die Grundlage für gute Bildung, Gesund- mit populistischer Feder. Liebe Freunde von der FDP, heit und wirtschaftliches Wachstum, ein starker Staat aus was die Polizei zunächst vor allen Dingen braucht, ist meiner Sicht Grundvoraussetzung für Wohlstand, Inno- aber Vertrauen und Unterstützung. vation und Zukunftsfähigkeit. Zusammen haben wir des- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) halb in den letzten acht Jahren sehr viel für die Sicherheit im Land erreicht: 7 500 neue Stellen bei der Bundespoli- Wir alle hier wissen, dass Ihre Partei, meist gemeinsam zei, weitere Zuwächse bei den Polizeien der Länder, beim mit den Grünen und anderen linken Kräften, eher auf BKA, beim BfV, im Bereich der Verteidigung und vieles Misstrauen und unberechtigte Kritik gegenüber der Poli- Weitere mehr. zei setzt. Sie stimmten gegen das Bundespolizeigesetz. Die Novellierung des THW-Gesetzes im letzten Jahr (Benjamin Strasser [FDP]: Oje!) war für mich auch ein persönlicher Erfolg, auf den ich Sie sind gegen die Quellen-TKÜ. sehr stolz bin. Im letzten Jahr hatte das THW so viele Einsätze wie noch nie, und das lag nicht nur an der Pande- (Benjamin Strasser [FDP]: Ja! Überlegen Sie mie, sondern vor allem an der neuen Rechtslage. Vielen sich mal, warum!) Dank an alle, die daran mitgewirkt haben. 30962 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Marian Wendt (A) (Beifall bei der CDU/CSU) liche aus Politik und Verwaltung, die sich dieses Wissen (C) aneignen. So kann ein tiefes Verständnis für die Arbeit Es braucht aber noch mehr als nur Gesetze und Geld der Sicherheitskräfte entwickelt werden. Dann steht in für die innere Sicherheit. Es braucht eine gesellschaftli- der Debatte auch die fachliche Perspektive über dem che Akzeptanz für die Polizei und die Sicherheitsbehör- Sicherheitspopulismus. Vielleicht würden dann auch die den, insbesondere auch für die Kameradinnen und Kame- FDP und Grüne zu anderen, differenzierten Positionen raden im Rettungsdienst, der Feuerwehr und im THW. bei diesem Themenfeld kommen. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Und die Bundes- (Benjamin Strasser [FDP]: Wo ist eure diffe- tagspolizei!) renzierte Position?) Wir müssen als Gesellschaft insgesamt erkennen, dass Weil ich weiß, welche Belastung insbesondere die ohne die Menschen in Uniformen und Einsatzanzügen Ehrenamtler schultern, möchte ich mich an dieser Stelle keine Sicherheit gewährleistet werden kann. Da hilft ganz herzlich bei allen Menschen bedanken, die für uns in kein Geld der Welt. Und deswegen ist es mein Appell, unserem Land Verantwortung im Einsatz übernehmen dass wir uns demonstrativ und geschlossen hinter dieses und die täglich ihren Kopf für uns hinhalten. Engagement stellen. Stärken wir unseren Polizisten, Sol- daten – heute haben wir von dem schrecklichen Ereignis (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. in Mali gehört –, den Kameraden der Feuerwehr, den Dr. [AfD]) Helfern des THW und dem Rettungsdienst den Rücken! Insbesondere bedanke ich mich bei meinen Kameradin- Es ist für mich immer noch unverständlich, wenn in der nen und Kameraden aus dem THW, die mich so herzlich Rigaer Straße Steine auf Beamte geworfen und Barrika- empfangen und schnell in die große THW-Familie aufge- den angezündet werden. Es ist für mich nicht hinnehm- nommen haben. Wir haben hier einen besonderen Schatz, bar, wenn in Leipzig an einem normalen Tag ein Ret- den wir als Parlamentarier in besonderer Weise pflegen tungswagen im Clara-Park von angeblich Feiernden müssen. Mein Appell daher: Gehen Sie im Sommer in die angegriffen wird oder wenn Reichsbürger mit Waffenge- Ortsverbände! Wir haben gute Beziehungen zwischen walt Polizisten bedrohen und sogar auf sie schießen. Ge- Parlament und THW. Pflegen Sie diese weiterhin, hören genüber all dieser Gewalt müssen wir wachsam sein, und Sie vor Ort zu, schauen Sie sich die Arbeit an, und unter- wir müssen ihre Bekämpfung in den Mittelpunkt unserer stützen Sie die Helferinnen und Helfer dort, wo es not- Arbeit stellen. Innere Sicherheit gehört nicht in die poli- wendig ist! tische Schmuddelecke, sondern muss hier im Bundestag Ich darf mich auch abschließend bei Ihnen allen, be- an erster Stelle stehen und auch bleiben. sonders meiner Fraktion, für das gute kollegiale Mitei- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) nander über Parteigrenzen hinweg bedanken. Als Vorsit- (D) zender des Petitionsausschusses habe ich gelernt, dass Ich sehe aber auch Nachholbedarf bei uns hier im man oft gemeinsame Ziel hat, auch wenn man unter- Hause und in den Ministerien. Um nämlich zu verstehen, schiedlichen Fraktionen angehört. Man denkt ähnlich, was Polizisten, Einsatzkräfte und Soldaten brauchen, und es gibt sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die empfehle ich, dass Minister, Staatssekretäre und auch alle das gleiche Ziel haben: sich zum Wohl der Menschen die Kollegen Abgeordneten, die im Bereich der inneren einzusetzen. Ich finde es beeindruckend, dass miteinan- oder äußeren Sicherheit Verantwortung tragen, mindes- der gute Verbindungen über alle Fraktionsgrenzen hin- tens eine Grundausbildung bei der Bundeswehr, Polizei, weg entstanden sind, und hoffe und wünsche mir, dass Feuerwehr, dem Rettungsdienst oder bei dem THW wir diese auch weiterhin pflegen. Ich darf dazusagen: absolvieren. Mich ganz persönlich hat es gefreut, als ich hörte, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Präsidentin Roth heute den Vorsitz während meiner Rede der AfD) hat. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren eine gute Beziehung entwickelt, Es ist essenziell, dass Entscheider wissen, wie Einsätze ablaufen und wie die Menschen in den Einsätzen denken, (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) arbeiten und wie das Zusammenspiel im Gefüge der und ich freue mich schon auf unseren kleinen Ausflug Sicherheitsbehörden funktioniert. Nur so verstehen wir, nach Prag. Vielen Dank. welche Anforderungen und Bedarfe bei Material, Recht oder anderer Unterstützung notwendig sind. ( [CDU/CSU]: Da bin ich aber neugierig!) Als Präsident der THW-Bundesvereinigung habe ich – leider durch die Pandemie verzögert – die Grund- ausbildung zum THW-Helfer absolviert und die Prüfung Vizepräsidentin Claudia Roth: bestanden. Was ich vorher nur aus Gesprächen kannte, Tja. erlebte ich in Ausbildung und Einsatz. Ich habe nun ein noch tieferes Verständnis vom Aufbau der Sicherheitsbe- Marian Wendt (CDU/CSU): hörden, von Einsatzzwängen und den Belastungen der Tja. – Einen Dank möchte ich auch an all meine Mit- haupt- und ehrenamtlichen Kräfte. Es macht aus meiner arbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro richten. Sie haben Sicht einen Unterschied, wenn man über Ausstattung mich als Chef nicht nur getragen, sondern auch ertragen. debattiert und man selbst mal Schere und Spreizer Sie standen mir mit Rat und Tat zur Seite. Sie waren offen bediente, einen Einsatzort ausleuchtete oder auch einen und ehrlich, wenn Sie anderer Meinung waren oder wenn Rettungskorb getragen hat. Es braucht mehr Verantwort- ich mich mal verrannt hatte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30963

Marian Wendt (A) Zum Schluss einen Gruß und lieben Dank an meine Ich wünsche Ihnen wirklich von Herzen, dass Sie jetzt (C) Familie. Ich wäre nie in den Deutschen Bundestag einge- einen spannenden neuen Lebensabschnitt mit Ihrer Lieb- zogen, wenn es nicht die Unterstützung durch meine El- sten beginnen. Und ich freue mich auch auf Prag. Da tern gegeben hätte, die mich ermutigt und tatkräftig unter- werden wir uns dann streitbar über innere und andere stützt haben. Ich erinnere mich noch, Sicherheiten und sonst irgendwas auseinandersetzen. Und wir werden auch ein Bierchen miteinander genießen. (Der Redner stockt – Beifall im ganzen Hause) Vielen herzlichen Dank. Ihnen alles, alles Gute! als wäre es gestern gewesen, als wir im Wahlkampf 2013 (Beifall – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Da zusammen im heimischen Wohnzimmer mit den Helfern liegt doch was in der Luft!) saßen, Kaffee getrunken und Hunderte Kaffeebecher mit meinem Logo beklebt haben. Ohne die Unterstützung der – Das nennt man parteiübergreifend. Familie ist es schwer möglich, sein Mandat vollumfäng- Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Michael lich und gut auszufüllen. Viel zu selten habe ich mich im Espendiller. Alltag dafür bedankt. Deshalb: Danke. (Beifall bei der AfD) (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als jemand, der 1985 Dr. Michael Espendiller (AfD): in der ehemaligen DDR geboren wurde, ist es für mich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! nicht selbstverständlich, Abgeordneter im gesamtdeut- Liebe Zuschauer im Saal und bei Youtube! Und natürlich: schen Bundestag sein zu dürfen. Dass ich einmal hier, Liebe FDP! Wir sind ja von Ihnen viel gewohnt; aber mit in Westberlin, im freien und wiedervereinigten Deutsch- diesem Antrag haben Sie dieses Mal wirklich den Vogel land stehe, war für meine Familie undenkbar; es schien abgeschossen. unmöglich. Es zeigt aber, dass wir als engagierte Men- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Den Vogel schen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können. abschießen ist was Gutes, Herr Espendiller! – Seien wir also auch weiterhin offen, mutig und engagiert! Gegenruf der Abg. Steffi Lemke [BÜND- Setzen wir uns für die Freiheit ein! Den Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich muss als natur- des 20. Deutschen Bundestages wünsche ich dabei, für schutzpolitische Sprecherin widersprechen!) den Kampf für die Freiheit, weiterhin alles Gute, viel Kraft und Gottes reichen Segen. Er ist derart undurchdacht und verantwortungslos, dass er in seiner Wirkung regelrecht zerstörerisch wäre. Ich freue mich, nun zusammen mit meiner Lebensge- (B) fährtin einen neuen Weg gehen zu dürfen und in einen Sie wollen mit diesem Antrag die Digitalisierung der (D) neuen, lebendigen Lebensabschnitt zu starten. Als politi- Polizei vorantreiben. Und ich kann Ihnen gleich sagen, scher Mensch werde ich Ihre Arbeit im Interesse dass wir als AfD uns bei diesem Antrag nur deshalb ent- Deutschlands und Europas weiter eng und offen beglei- halten, weil wir die Grundintention durchaus teilen. Auch ten. Deshalb sage ich heute nicht Ade, sondern Auf Wie- wir wollen leistungsstarke Polizeibehörden, die kriminel- dersehen. len Strukturen technisch auf Augenhöhe begegnen und so die Sicherheit und Gerechtigkeit in diesem Land sicher- Vielen Dank. stellen können. Aber Ihr Antrag würde entweder in das totale Chaos oder direkt in einen technisch hochgedopten (Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten Polizeistaat führen. Genau das haben Ihnen die Sachver- der CDU/CSU erheben sich) ständigen in der öffentlichen Anhörung zu diesem Antrag auch gesagt; das war eine regelrechte Klatsche für Sie. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich verstehe gar nicht, warum Sie den Antrag hier noch Lieber Marian Wendt, Ihnen von Herzen Dank für Ihre einreichen. Politik, die Sie immer mit großem Herzblut gemacht ha- Worum geht es? Wenn wir die Polizeiarbeit digitaler ben, und auch für Ihre Streitbarkeit. Mit Ihnen kann man gestalten wollen, dann handelt es sich dabei um eine sich wirklich streiten, batteln; dafür gibt es auch genug Operation am offenen Herzen. Alles, was wir dort ändern, Grund. geschieht im laufenden Betrieb. Das heißt, die Anwender (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – müssen ordentlich geschult sein, und die Technik darf auf Benjamin Strasser [FDP]: Dazu kommen wir keinen Fall ausfallen. Die Funktionsfähigkeit unserer gleich noch!) Sicherheitsbehörden muss jederzeit gewahrt sein. Danke, dass Sie ein streitbarer Innenpolitiker waren. (Zuruf von der AfD: So ist es!) Danke schön im Namen des Hauses für Ihre wirkliche Ansonsten handeln wir uns unkalkulierbare Sicherheits- Leidenschaft, mit der Sie den Vorsitz des Petitionsaus- risiken ein. schusses innehatten. Wir haben ja hier in einer sehr inten- siven Debatte vor noch gar nicht so langer Zeit erlebt, wie (Beifall bei der AfD) der Petitionsausschuss unter Ihrem Vorsitz sehr nah an Diesem Umstand trägt Ihr Antrag in keiner Weise Rech- den Menschen in unserem Land Politik erlebbar machen nung. Bereits das macht ihn verantwortungslos. und Politik mit beeinflussen und gestalten kann. Danke für Ihr Engagement für das Technische Hilfswerk. (Zuruf des Abg. Benjamin Strasser [FDP]) 30964 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Dr. Michael Espendiller (A) Es geht weiter damit, dass Sie laut Ihrem Antrag unsere möchte dies aber nicht. Ich möchte Ihnen für Ihre Auf- (C) föderale Sicherheitsarchitektur von der technischen Seite merksamkeit danken, liebe Kollegen. her faktisch komplett abschaffen wollen. Sie wollen eine Eine wichtige Sache möchte ich noch loswerden: zentralistische IT-Struktur schaffen, innerhalb der sämt- Georg Thiel ist heute seit vier Monaten wegen nicht liche Polizei- und Justizbehörden auf einer gemeinsamen gezahlter Rundfunkbeiträge im Gefängnis. Das ist abso- Arbeitsoberfläche agieren und Zugriffe auf Informatio- lut unverhältnismäßig. Lassen Sie Georg Thiel frei, Herr nen und Daten wie Bonbons verteilt werden, ohne jede Buhrow. Kontrollinstanz und ohne jede Sanktionsmöglichkeit. Be- reits heute haben wir in diesem Bereich aber Probleme. (Beifall bei der AfD – Ute Vogt [SPD]: Recht- Der Sachverständige Professor Dr. Aden hat dazu ausge- mäßig verhalten! Dann kommt man nicht ins führt – ich zitiere –: Gefängnis! – Benjamin Strasser [FDP]: Kom- men Sie erst mal zur Anhörung, bevor Sie über [Es] wurde ... deutlich, dass nicht immer nachvoll- die Anhörung reden! – Gegenruf des Abg. ziehbar ist, wer aus welchen Gründen Daten aus Dr. Michael Espendiller [AfD]: Das war eine polizeilichen Systemen abfragt und nutzt. öffentliche Anhörung, die ist online. Die kann Ich zitiere weiter: man sich ansehen. Hätten Sie auch machen können! – Gegenruf des Abg. Benjamin Immer wieder kommt es vor, dass mehrere Bediens- Strasser [FDP]: Ich war da! Im Gegensatz zu tete unter derselben Kennung in polizeilichen Syste- Ihnen! – Gegenruf des Abg. Dr. Michael men arbeiten – obwohl dies bereits heute nach den Espendiller [AfD]: Verstanden haben Sie es innerdienstlichen Regelungen unzulässig sein sollte. aber offensichtlich nicht!) Das heißt, hier haben wir als Gesetzgeber schon jetzt dringenden Handlungsbedarf, wenn wir den Datenschutz Vizepräsidentin Claudia Roth: und die Bürgerrechte ernst nehmen wollen. Auch dazu Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Susanne steht kein Wort in dem Antrag der FDP. Mittag. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Stattdessen setzen Sie noch einen drauf und wollen den Behörden noch mehr unkontrollierte Befugnisse geben. Susanne Mittag (SPD): Aber es kommt sogar noch schlimmer: Sie wollen im Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Handstreich die Nutzung von KI-Systemen verordnen, Kollegen! Erster Punkt – diesen habe ich mir vorhin in (B) von denen wir nach heutigem Stand wissen, dass sie teils meinem Manuskript notiert –: Sie sind gar nicht im The- (D) zu falschen Verdächtigungen und einem steigenden Risi- ma. Das ist ziemlich erschreckend. ko rechtswidriger Maßnahmen führen. Diese Systeme (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei sind bisher weder für die anwendenden Polizeiorgane Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- noch für die Bürger nachvollziehbar. Einer der Sachver- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse- ständigen hat zu Recht gesagt, dass es eine Blackbox ist. Brömer [CDU/CSU]: Mehr muss man dazu Auch da sind wir uns in einem Punkt nicht einig. Wir nicht sagen!) müssen nämlich eines beachten: die mangelnde Transpa- renz. Die Bürger müssen verstehen, warum und auf wel- Fangen wir inhaltlich an. Jetzt geht es um den FDP- cher Grundlage Polizei- und Sicherheitsbehörden agieren Antrag. Ob mit Smart Germany, Smart Farming oder und Entscheidungen treffen. Und schließlich geht es auch Smart Police, die FDP möchte so viel smarter werden. noch um die Waffengleichheit. Die Bürger wollen keinen (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Super!) übermächtigen Polizei- und Überwachungsstaat, dem sie Das alles hört sich super an. Aber so schön und innovativ sich ausgeliefert fühlen. Gerade Rechtsbeiständen von diese Worthülsen auch klingen, entscheidend sollten die Angeklagten und Richtern muss eine umfassende Nach- realistischen Schritte der Entwicklung und Umsetzung prüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der erhobenen Vorwürfe sein. Das hört sich vielleicht nicht ganz so cool an, ist möglich sein, um auch zu prüfen, ob bei den Ermittlungen aber die Lebensrealität. Trotzdem bin ich ganz froh über geltendes Prozessrecht eingehalten wurde. Ihren Antrag; denn er gibt uns die Möglichkeit, den tat- Viele Erfahrungen aus dem Einsatz von KI-Lösungen sächlichen Sachstand zu diesem Thema deutlich zu ma- bei der Polizeiarbeit stammen aus dem angloamerikani- chen. schen Raum, wo die Rechte von Angeklagten mit einer Eine gute Gelegenheit gab es kürzlich anlässlich der sehr strengen Früchte-des-verbotenen-Baumes-Regelung Anhörung zu diesem Thema im Innenausschuss des geschützt werden. Diese haben wir in Deutschland in Deutschen Bundestages; da waren einige nicht dabei, dieser Form nicht. Wir haben insofern das Problem, die nun Sachverständige aus der Anhörung zitieren. dass wir bald ein Missverhältnis beim Grundsatz des fai- ren Verfahrens haben. (Zuruf des Abg. Dr. Michael Espendiller [AfD]) Ich könnte hier jetzt noch viel sagen, Dort wurde der offenbar von vielen unterschätzte Um- (Susanne Mittag [SPD]: Nee! – Steffi Lemke fang dieses ganzen Projekts richtig deutlich: Bundes- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Bitte und 16 Landessysteme im Vorgang-Sachbearbeitungs- nicht!) bereich gilt es anzupassen. Föderalismusdebatten und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30965

Susanne Mittag (A) Föderalismusentscheidungen und die damit verbundenen einigem mehr – es läuft. Es ist doch schön, dass die (C) Schwierigkeiten dürften ja inzwischen allen bekannt sein. Sorgen der FDP damit unbegründet sind, und wir alle Dazu gehören 6 000 Begrifflichkeiten, die in die Systeme konnten uns inzwischen informieren, wie es tatsächlich eingegeben werden. Die Definitionen müssen einheitlich weitergeht. sein, aber das sind sie nicht überall. Ich erinnere nur an Es ist ein wirklicher Systemwechsel bei den Sicher- die Debatte: Was ist ein Gefährder? Da gab es sehr unter- heitsbehörden, den wir natürlich weiter intensiv begleiten schiedliche Definitionen. werden – da kann noch jede Menge passieren –, damit er Das alles hat Auswirkungen auf Ermittlungen und nicht ins Stocken kommt, sei es durch finanzielle oder Aussagekraft von Statistiken sowie zukünftig auf unseren organisatorische Probleme. Das sollte im Interesse von Periodischen Sicherheitsbericht – zwar althergebracht, uns allen sein. Ein Antrag mit überholten Forderungen aber trotzdem aktuell –, ist hier aber der falsche Ansatz. Deswegen lehnen wir (Benjamin Strasser [FDP]: Wo ist er denn? Er ihn ab. wurde uns versprochen! Sie haben gesagt, bis Herzlichen Dank. zum Ende der Wahlperiode!) (Beifall bei der SPD) auf den wir immer noch warten. Herr Mayer, eigentlich wollten wir diesen hier debattieren, aber er liegt immer noch nicht vor. Das ist sehr schade. Versprochen war, Vizepräsidentin Claudia Roth: dass er vorliegen wird. Ich finde, es wäre gut gewesen, Vielen Dank, Susanne Mittag. – Nächster Redner: für wenn dieses Versprechen eingehalten worden wäre. die FDP-Fraktion Benjamin Strasser. (Beifall der Abg. Carsten Schneider [Erfurt] (Beifall bei der FDP) [SPD] und Benjamin Strasser [FDP]) Man ist von der Anpassung von circa 200 Systemen Benjamin Strasser (FDP): bundesweit ausgegangen – es sind 400 Systeme –, und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und das alles möglichst zügig mit Tausenden von Außenstel- Kollegen! Stellen Sie sich vor, ein Bürger wird auf sei- len, nicht nur Gebäude, sondern auch in Fahrzeugen, mit nem Smartphone mit Hassnachrichten überflutet, er wird Europol-Anbindung, hacker- und diebstahlssicher und genötigt oder bedroht, und er geht zu seiner Polizeidienst- alles im laufenden Betrieb. Ein nicht zu unterschätzender stelle und möchte diese Straftaten anzeigen. Dort erlebt er Aspekt: Circa 300 000 Beamte und Beamtinnen, Verwal- allzu oft Folgendes: Die Polizei vor Ort ist nicht in der tungsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen müssen sich Lage, die Nachrichten dieses Mobiltelefons in eine digi- tale Beweissicherung zu überführen oder irgendwie zu (B) umstellen und neu einarbeiten, und das sind nicht alles (D) Jungdynamiker von der Polizeischule, sondern das geht verakten. Stattdessen wird das Smartphone auf einen vom Alter 18 bis über 60. Realistisch gesehen müsste Fotokopierer gelegt, und der Bildschirm wird abkopiert, eigentlich schon 2016 klar gewesen sein: Das lässt sich um diese Bilder dann zu den Akten zu nehmen. Das ist in vier Jahren nicht schaffen. Das funktioniert nicht. – kein fiktives Beispiel, sondern dies hat uns in der Anhö- Deswegen ist die Bezeichnung „Polizei 2020“ natürlich rung ein ehemaliger Präsident eines Landeskriminalamts ein bisschen irreführend. so geschildert. Das ist die Realität in Deutschland, Frau Mittag. Trotzdem geht es gut voran. Die föderalen Einigungen sind vorhanden, und für die fachliche Unterstützung des Oder ein anderes Beispiel: Wir haben es regelmäßig Programms „Polizei 2020“ wurde das Competence Cen- mit bundesweiten Einsatzlagen zu tun, Demonstrations- ter Fachlichkeit, genannt CCF, mit Beamten aus allen geschehen, wo Polizeien unterschiedlicher Länder mit- Bundesländern und des Bundes geschaffen, damit es einander einen Einsatz bewältigen sollen. Aufgrund von eine anständige Vernetzung gibt, angedockt an die Zent- unterschiedlichen Messengerlösungen, die nicht mitei- ralstelle des BKA. nander kompatibel sind, ist es nicht möglich, ein Einsatz- geschehen digital miteinander zu bewältigen. Die Kolle- Im laufenden Betrieb werden die Systeme schon ginnen und Kollegen, die Beamten vor Ort sind nicht mal umgestellt, derzeit im zweistelligen Bereich. Bei jeder in der Lage, verschlüsselte Messenger wie Threema oder Anpassung muss auf die Auswirkungen der anderen andere auf ihrem Dienstgerät zu installieren, weil das noch laufenden Systeme geachtet werden; die dürfen ja nicht geht, und sind darauf zurückgeworfen, verbotener- auch nicht abstürzen. In circa sechs bis acht Jahren dürfte weise WhatsApp zur Kommunikation zu nutzen, obwohl die Struktur stehen, und sie wird immer weiterentwickelt dabei Daten von Bürgerinnen und Bürgern auf amerika- werden. Dieses Projekt ist sozusagen nie zu Ende – weder nischen Servern landen. Das ist unverantwortlich. Dieser bei der Bearbeitung, Auswertung, Speicherung noch bei Zustand muss abgestellt werden, liebe Kolleginnen und der Verbesserung der Anwendungspraxis. Es wird immer Kollegen. eine Weiterentwicklung geben. Allein der Bereich der digitalen Spurensuche, Auswertung und Sicherung hat (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kathrin schon massiv zugenommen und wird in den nächsten Vogler [DIE LINKE]) Jahren noch so richtig zunehmen. Lieber Marian Wendt, du bist wirklich ein cooler Typ; Die Forderungen im Antrag sind daher weitgehend so habe ich dich in den vier Jahren erlebt. Aber der erste überholt. Sei es bei den digitalen Mitteln bei jedem Teil deiner Rede hat das ganze Dilemma eurer Innen- Arbeitsprozess, der gemeinsamen Arbeitsoberfläche, politik noch mal auf den Punkt gebracht. Ihr seid immer der Vernetzung der Sicherheitsorgane mit der Justiz und sofort dabei, wenn es darum geht, neue Überwachungs- 30966 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Benjamin Strasser (A) befugnisse einzuführen, und ihr stellt euch nicht die Fra- Dr. André Hahn (DIE LINKE): (C) ge, was da technisch geht und wer alles davon betroffen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei aller ist. Aber wenn es darum geht, dass Polizeibeamte mit den sonstigen Kritik an der Politik im Sicherheitsbereich, jetzigen Befugnissen schlicht und einfach ihren Job ma- zum Beispiel wenn es um immer größere Eingriffe in chen sollen, wird es still. Da sieht man von eurem Han- Bürgerrechte für Polizei und Geheimdienste geht, was deln wenig. Das ist ein bedauerlicher Zustand. wir ablehnen, steht auch für Die Linke außer Zweifel, dass die Polizei in diesem Land personell und technisch (Beifall bei der FDP) gut ausgestattet sein muss. Personell hat sich in den Liebe Kollegin Mittag, die „Saarbrücker Agenda“ zurückliegenden Jahren bereits einiges getan; im techni- 2016 bestand aus Leitlinien; das war ein erster Schritt. schen Bereich sind wir zum Teil noch ein Entwicklungs- „Polizei 2020“ ist durchaus ein Projekt, das man begrüßt, land. auch wenn der Arbeitstitel vielleicht eher „Polizei 2030“ hätte lauten sollen. Aber geschenkt! Aber was verfolgt Der Antrag der FDP ruft viele wichtige Themen im „Polizei 2020“? Wir wollen ein gemeinsames Datenhaus Zusammenhang mit der Digitalisierung der Polizeiarbeit schaffen; das ist „Polizei 2020“. Das ist die Grundlage auf, lässt aber auch Fragen offen und befasst sich leider so von Digitalisierung, aber es ist nicht die Digitalisierung. gut wie gar nicht mit der Wechselwirkung von Digitali- Deswegen ist mit „Polizei 2020“ der Digitalisierungspro- sierung und Polizeiarbeit. Ja, auch wir wünschen uns eine zess auch nicht abgeschlossen. Vielmehr müssen wir uns größere Interoperabilität in der technischen Ausstattung in diesem Haus fragen, welchen Rechtsrahmen wir für der Polizei. Die vorhandenen Systeme sollten in der Tat eine verlässliche und verbindliche Digitalisierung in der in der Lage sein, möglichst bruchlos zusammenzuarbei- Polizei über „Polizei 2020“ hinaus setzen. ten, was natürlich voraussetzt, dass die Polizei überhaupt im notwendigen Umfang über digitale Geräte verfügt. Wir schlagen Ihnen in unserem Antrag einen echten Digitalpakt für die Polizei vor, einen Staatsvertrag zwi- Was ich allerdings im Antrag der FDP vermisse, ist schen Bund und Ländern, der eine solide Finanzierung eine kritische Auseinandersetzung mit der vor allem in sichert, sodass Digitalisierung eben nicht von der Kassen- Innenministerien und Polizeiführung vorherrschenden lage einzelner Bundesländer abhängig ist. Wir brauchen Wunschvorstellung, dass alle irgendwo bei der Polizei eine entsprechende technische Ausstattung in allen Bun- abgelegten Informationen auch immer und überall zur desbehörden, bei der Bundespolizei, beim Bundeskrimi- Verfügung stehen müssten. Dazu sagt die Konferenz der nalamt. Da ist nicht alles so gut, wie Sie es dargestellt unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der haben. Wir brauchen gemeinsame Standards für die Soft- Länder mit Blick auf das Projekt „Polizei 2020“, dass wareentwicklung, Privacy by Design, Privacy by Default. präzise zwischen den verschiedenen Verarbeitungszwe- (B) Wir brauchen Berechtigungszugriffe. Es ist anders, als cken Aufgabenerfüllung, Dokumentation und Vorsorge (D) der Kollege der AfD es hier dargestellt hat. Das steht in getrennt werden muss. Daher muss beim rechtlichen Rah- unserem Antrag. Wenn Sie diesen Digitalpakt nicht wol- menwerk noch nachgesteuert werden. Für eine konkrete len, dann lassen Sie es zu, dass weiterhin ein digitaler Aufgabe oder Dokumentation, wo man Daten gespeichert Flickenteppich in Deutschland vorherrscht. Das können hat, dürfen diese Daten nicht pauschal in einen riesigen wir nicht verantworten. Pool überführt werden, um sie dann unabhängig vom ursprünglichen Speicherungszweck für jedwede Recher- (Beifall bei der FDP) che zu nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute die letzte innenpolitische Debatte unter dieser Bundesregie- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) rung. Vielleicht kann ich noch kurz Bilanz ziehen zu 16 Jahren unionsgeführter Innenpolitik. Genau in diese Richtung, meine Damen und Herren, geht aber das Programm „Polizei 2020“. Es scheitert bislang im Wesentlichen an dem Wildwuchs bei Datenbanken Vizepräsidentin Claudia Roth: und Anwendungen sowie inkompatibler Software. Nein, das dauert zu lange, die Bilanz. Ein weiterer Punkt aus dem Antrag der FDP, zu dem (Heiterkeit) ich hier nur ganz kurz etwas sagen kann, betrifft den Einsatz der künstlichen Intelligenz. Hier möchte ich an Benjamin Strasser (FDP): den Hinweis des Sachverständigen Dr. Egbert von der Das ist bedauerlich. Aber ich sage Ihnen: Nie gab es im Universität Bielefeld erinnern, der davor warnt, dem Bereich der inneren Sicherheit mehr zu tun. Wir nehmen Trugschluss zu verfallen, dass digitale Technologien per uns das im Herbst vor. se eine effektivere Polizeiarbeit ermöglichen. Vielmehr Vielen herzlichen Dank. sei die Einführung von digitalen Technologien stets mit Risiken verbunden. Das muss man ernst nehmen. So gibt (Beifall bei der FDP) es zum Beispiel Studien aus den USA, die besagen, dass von Richterinnen und Richtern verwendete automatisier- Vizepräsidentin Claudia Roth: te Entscheidungshilfen, also künstliche Intelligenz, ins- besondere schwarze Menschen benachteiligen. Das wol- Vielen Dank, Benjamin Strasser. – Nächster Redner: len wir ausdrücklich nicht. für die Fraktion Die Linke Dr. André Hahn. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30967

Dr. André Hahn (A) All diese Fragen bleiben aus Sicht der Linken im FDP- Dazu gehört zum Beispiel, dass Daten von Zeugen und (C) Antrag unterbelichtet, weshalb wir uns trotz unbestritten Hinweisgebern konsequent von Daten von Tatverdächti- auch richtiger Ansätze enthalten werden. gen unterschieden werden müssen. Noch dringlicher ist aber, dass wir insgesamt in die IT-Infrastruktur bei der Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin: Der FC Bundes- Polizei investieren. Den meisten Polizistinnen und Poli- tag hat Ende August noch drei Länderspiele, gegen Öster- zisten stehen nicht einmal mobile Endgeräte wie Laptops, reich, Finnland und die Schweiz. Drücken Sie uns alle die Tablets oder Smartphones zur Verfügung. Und wenn es Daumen! sie doch gibt, dann sind sie im Alltag oft nicht zu gebrau- Herzlichen Dank. chen, weil die Anwendung einfach Probleme macht. Das führt im Polizeialltag in erster Linie zu enormen Effi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zienzverlusten, statt dass die Geräte die Arbeit erleich- neten der SPD und der FDP) tern, wenn zum Beispiel Protokolle vor Ort handschrift- lich erfasst und anschließend im Büro aufwendig Vizepräsidentin Claudia Roth: abgetippt werden müssen oder wenn sich zwei Polizisten an der Autobahnraststätte treffen, um eine Festplatte mit Das tue ich ganz sicher, lieber Dr. André Hahn. – Letz- wichtigen Daten zu übergeben, anstatt sie digital über- te Rednerin in dieser Debatte: Dr. Irene Mihalic für Bünd- tragen zu können. Das Beispiel mit dem Kopierer hat nis 90/Die Grünen. Benjamin Strasser gerade genannt. Das ist ungefähr so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sinnvoll, wie eine E-Mail auszudrucken und per Fax zu verschicken, aber leider immer noch Alltag. Die Aufgaben, die vor uns liegen – das zeigen all diese Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Beispiele –, sind enorm, und das aktuell größte IT-Projekt Liebe Kollegen! Maßgeblich für den Erfolg von polizei- „Polizei 2020“ steckt leider noch in den Kinderschuhen, lichen Ermittlungen ist es, gewonnene Informationen obwohl der Name etwas anderes suggeriert. Aber die richtig zu verarbeiten, damit Personen identifiziert und rechtsstaatlich organisierte Digitalisierung der Polizei Tatnachweise geführt werden können. Dafür ist natürlich ist eine der wichtigsten Aufgaben für die kommende das nahtlose Zusammenwirken von informationstechni- Wahlperiode, der wir uns gemeinsam widmen müssen. schen, digitalen Systemen besonders wichtig. Und auch Ganz herzlichen Dank. die sonstigen digitalen Anwendungen der Polizei müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) letztlich dazu dienen, die polizeiliche Arbeit zu erleich- tern und effizienter zu machen und nicht zu verkompli- (B) zieren. Ein mangelnder Datenaustausch und fehlende Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Informationen können schwere Folgen für die Ermitt- Vielen Dank, Dr. Irene Mihalic. – Damit schließe ich lungsarbeit nach sich ziehen. die Aussprache. Doch wer jetzt glaubt, dass es einfach nur darum geht, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- möglichst viele Daten zu sammeln, hat Grundlegendes fehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zum auch rechtsstaatlich nicht verstanden. Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Smart Poli- ce – Digitalisierung der deutschen Polizei anschieben“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/30608, den Antrag der Fraktion der Zum einen ist die Datenqualität entscheidend. Denn wenn FDP auf Drucksache 19/27172 abzulehnen. Wer stimmt bereits die erfassten Daten fehlerhaft sind, dann kann die für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- Datenanalyse auch nur fehlerhaft sein. Und auch die tech- gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist nischen Möglichkeiten wie die Anwendung von künst- angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der SPD licher Intelligenz dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, und der CDU/CSU. Dagegengestimmt hat die FDP. Ent- dass es am Ende des Tages auf ausreichend qualifiziertes halten haben sich die Fraktionen der Linken, der Grünen Personal ankommt, also Personal, das die Systeme be- und der AfD. herrscht und die Ergebnisse auch entsprechend interpre- tieren kann. Daher müssen wir in die Aus- und Fortbil- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 j auf: dung und auch in die Förderung von Fachkarrieren a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ investieren. CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE Bei der Entwicklung von selbstlernenden Systemen GRÜNEN muss es aber auch eine Technikfolgenabschätzung geben, Menschenrechte ins Zentrum der Iran- um die Chancen, mögliche Gefahren und vor allen Din- politik stellen gen auch die Grenzen dieser Systeme frühzeitig zu erken- Drucksache 19/30979 nen. Das ist ein Grundsatz, den die FDP in ihrem Antrag leider nicht erwähnt. „Digitalisierung first, Bedenken b) Beratung des Antrags der Fraktionen der second“ darf nicht die Devise sein, wenn es um die Ver- CDU/CSU und SPD wendung höchst sensibler und personenbezogener Daten Geschlechtergleichstellung als eine zentra- geht, meine Damen und Herren. le globale Herausforderung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/30980 30968 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Nicole Bauer, Alexander Graf Lambsdorff, (C) Berichts des Ausschusses für Menschenrech- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu FDP der Unterrichtung durch die Bundesregie- Menschenhandel und Zwangsprostitution rung in Deutschland nicht länger hinnehmen – 14. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschen in der Prostitution schützen Menschenrechtspolitik und Selbstbestimmung stärken (Berichtszeitraum 1. Oktober 2018 bis Drucksachen 19/29265, 19/31120 30. September 2020) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksachen 19/25000, 19/30467 Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Michel Brandt, weiterer Abgeordneter und der Frak- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des tion DIE LINKE Berichts des Ausschusses für Menschenrech- te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu Tödliche Gewalt von Militär und Polizei in dem Kolumbien verurteilen und politische Lö- sung des Konfliktes befördern Entwurf des EU-Jahresberichts über Menschenrechte und Demokratie in der Drucksache 19/30602 Welt im Jahr 2019 j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ratsdok. 8404/20 Zaklin Nastic, Michel Brandt, Heike Hänsel, Drucksachen 19/22367 A.68, 19/27568 weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt Berichts des Ausschusses für Inneres und umgehend ratifizieren Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, Benjamin Drucksache 19/29959 Strasser, Peter Heidt, weiterer Abgeordneter Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten und der Fraktion der FDP beschlossen. – Ich warte, bis die Kolleginnen und Kol- Menschenrechtsverteidigerinnen und legen Platz genommen haben. Menschenrechtsverteidiger in Deutsch- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD- (B) land schützen und vor ausländischer Ver- Fraktion Aydan Özoğuz. (D) folgung und Überwachung bewahren (Beifall bei der SPD) Drucksachen 19/25242, 19/29944 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Aydan Özoğuz (SPD): Berichts des Ausschusses für Menschenrech- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu Kollegen! Die 66-jährige Architektin Nahid Taghavi lebt dem Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, seit 1983 in Köln, hat seit 2003 neben der iranischen auch Alexander Graf Lambsdorff, Peter Heidt, die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit vergangenem weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Herbst sitzt sie im Evin-Gefängnis im Iran. Sie war FDP nach ihrer Festnahme tagelang verschollen, über Wochen Individuellen Sanktionsmechanismus ein- ohne notwendige medizinische Betreuung, über Monate führen – Menschenrechtsverletzer gezielt ohne Anklage und fast 200 Tage in Isolationshaft. Am treffen und Straflosigkeit beenden 16. Juni begann ihr Prozess; eine Klärung ist nicht abseh- bar. Der Zustand von Frau Taghavi ist ihren Angehörigen Drucksachen 19/22112, 19/24677 zufolge sehr schlecht. Der Iran entlässt nicht aus der g) Beratung der Beschlussempfehlung und des iranischen Staatsbürgerschaft, gewährt aber auch keinen Berichts des Ausschusses für Menschenrech- konsularischen Zugang bei gleichzeitiger deutscher te und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu Staatsbürgerschaft. Es gibt quasi kein Entkommen. dem Antrag der Abgeordneten Margarete Ich hätte leider mehrere solcher Beispiele hier wählen Bause, Lisa Badum, Filiz Polat, weiterer Ab- können. Das zeigt auch der heute debattierte Bericht der geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Bundesregierung zu ihrer Menschenrechtspolitik auf DIE GRÜNEN erschreckende Weise. Die Liste der Staaten weltweit, in Klimaschutz braucht Menschenrechte – denen Menschen auf dramatische Weise in ihren Rechten Menschenrechte brauchen Klimaschutz eingeschränkt und furchtbar drangsaliert oder sogar getö- tet werden, ist lang. Drucksachen 19/29315, 19/31084 Im Iran werden wir seit Jahren Zeugen einer erodier- h) Beratung der Beschlussempfehlung und des enden Menschenrechtslage. Die hohe Zahl vollstreckter Berichts des Ausschusses für Familie, Seni- Todesurteile, die Unterdrückung von Frauen, sexuellen oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu Minderheiten, ethnischen und religiösen Gruppen und dem Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, die zu Beginn angesprochenen Gefahren für Regimekriti- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30969

Aydan Özoğuz (A) kerinnen und Regimekritiker und Menschenrechtsakti- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Katja (C) vistinnen und -aktivisten inklusive der Festnahme politi- Leikert [CDU/CSU]) scher Geiseln, das alles ist sehr besorgniserregend. Des- halb stellen wir heute auch den Antrag mit dem Titel Damit möchte ich noch einmal kurz zum 14. Bericht „Menschenrechte ins Zentrum der Iranpolitik stellen“. der Bundesregierung kommen. Ich möchte aus unserem Antrag Folgendes nennen: Wir setzen uns ein im Kampf (Beifall bei der SPD) gegen Straflosigkeit, wir tragen zur Stärkung des Inter- nationalen Strafgerichtshofs in Den Haag bei und waren Mit diesem Antrag machen wir klar: Sowohl auf bi- beteiligt an der Schaffung des EU-Menschenrechts- lateraler Ebene als auch im Verbund mit EU-Partnern und Sanktionsregimes, welches zukünftig sicherlich und hof- den Vereinten Nationen dürfen die Bemühungen der Bun- fentlich deutliche Wirkung entfalten wird. desregierung nicht abreißen, alle sich ergebenden Chan- cen, die Menschenrechtslage positiv zu beeinflussen, Straflosigkeit, also die häufig ausbleibende Verfolgung auch zu nutzen. Gerade im Verhältnis zum Iran haben von Menschenrechtsverletzungen, haben wir als SPD- wir dies immer wieder getan und die Gesprächskanäle Bundestagsfraktion in dieser Legislatur zu unserem offengehalten. Es gibt diejenigen, die in solchen Fällen Schwerpunktthema im Menschenrechtsausschuss ge- schnell rufen, dass man mit den Regierungen nicht mehr macht. Es geht darum, zu sehen, wie Kriegsverbrechen reden solle. Aber wem soll das eigentlich nützen? Den in Syrien, Verbrechen durch den sogenannten „Islami- Drangsalierten wohl am allerwenigsten. Es ist wahrlich schen Staat“ oder auch Verbrechen infolge der Vertrei- keine leichte Aufgabe, und deshalb danke ich umso mehr bung der Rohingya in Myanmar durch Gerichte unter- Außenminister und dem Auswärtigen Amt sucht und bestraft werden können. für die Standhaftigkeit auf so vielen Baustellen trotz so vieler Angriffe von vielen Seiten. Von uns eingeladene Sachverständige wie Christoph Safferling von der Uni Erlangen-Nürnberg weisen darauf (Beifall bei der SPD) hin, dass wir der Straflosigkeit nur Herr werden können, wenn weltweit nationale Strafrechtssysteme mit einbezo- Leider müssen wir feststellen, dass die Entwicklungen gen würden, so wie es in Deutschland zum Beispiel bei weltweit, aber auch unmittelbar in unserer Nähe nicht so der Verfolgung von Straftaten im Syrienkrieg durch den sind, dass wir auch nur annähernd den vielen schlimmen Generalbundesanwalt erfolgreich praktiziert wurde. Menschenrechtsverletzungen in dieser Debatte gerecht werden könnten. Wir stehen vor einer wachsenden Zahl von krieger- ischen Auseinandersetzungen, von Völkerrechtsver- Einige der besorgniserregendsten Vorfälle beobachten brechen. Wir müssen mit ansehen, wie Folter, Verge- (B) wir ja seit einiger Zeit direkt vor den Toren Europas in waltigung, Mord oder Chemiewaffeneinsätze gezielt (D) Belarus. Seit der mutmaßlich gefälschten Wahl von angewandt werden, und in den allerwenigsten Fällen kön- Machthaber Lukaschenko wurde jeder Protest aus der nen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wer- Bevölkerung rigoros und mit Gewalt unterdrückt. Aktuell den. Wir setzen uns mit einer breiten Mehrheit hier im befinden sich mehr als 400 politische Gefangene in Haft, Haus dafür ein – darin waren wir uns im Menschenrechts- wie man hört, unter desaströsen Bedingungen. Gemein- ausschuss Gott sei Dank auch immer einig –, dass sich sam mit mehreren Kolleginnen und Kollegen aus diesem das endlich ändert. Hause haben wir Patenschaften für Inhaftierte übernom- men, ich für Tatsiana Kaneuskaya, die allein aufgrund der In diesem Zusammenhang muss ich noch einige Worte Teilnahme an Demonstrationen nach belarussischem zu China sagen. Die Entwicklungen sind dramatisch. Ich Strafgesetzbuch wegen der, wie es heißt, „Organisation hatte bereits bei der Debatte zur Religionsfreiheit ange- von Unruhen“ zu sechs Jahren Straflager verurteilt wur- merkt, dass es um mannigfaltige Formen religiöser Dis- de. kriminierung und Verfolgung geht, darunter übrigens auch gegenüber 80 Millionen Christen, die in China Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht leben. Der Menschenrechtsbericht greift zu Recht die nachgeben, auf diese Schicksale aufmerksam zu machen Lage in den Regionen Xingjiang und Tibet auf. Ich zitiere und unsere Solidarität auszudrücken. mit Erlaubnis der Präsidentin: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Menschenrechtslage hat sich … durch die DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ausweitung von Repression, Überwachung und CDU/CSU und der FDP) Masseninternierungen weiter verschlechtert. Be- Die erzwungene Flugzeuglandung zum Zweck der richtet wird u. a. von Zwangsarbeit und staatlichen Festnahme eines Oppositionellen ist der bisherige Tief- Zwangsmaßnahmen zur Geburtenkontrolle, die ins- punkt dieser erschreckenden Entwicklung. Es ist wichtig, besondere gegen die uigurische Minderheit gerichtet dass wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier im- sind. mer wieder diese Fälle sichtbar machen. Die Bilder, die Darüber hinaus verfolgen viele Menschen auch in unse- uns erreichen, sind erschreckend genug, und der Mut der rem Land mit größter Sorge, was in Hongkong passiert. Bevölkerung ist bewundernswert. Aber diese Kraft ist nicht grenzenlos, und das weiß die Führung. Deshalb ist Die Volksrepublik China hat sich als Unterzeichnerin es so wichtig und war es so wichtig, dass die EU und der UN-Charta und der Genozidkonvention in Völker- andere Staaten mit den in Kraft gesetzten Wirtschafts- rechtsverträgen zur Achtung der Menschenrechte und sanktionen auch gehandelt haben. zur Verhütung von Menschenrechtsverbrechen verpflich- 30970 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Aydan Özoğuz (A) tet. Aber gleichzeitig müssen wir beobachten, wie sie Heute geht es auch um den Bericht der Bundesregie- (C) sogar europäische Abgeordnete, die die Menschenrechts- rung über ihre Menschenrechtspolitik. Dieser Bericht verbrechen zum Thema machen, verfolgt. liest sich, als wäre er von Linksextremisten geschrieben Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie wir in dem worden. Ausschuss für Menschenrechte gut zusammengearbeitet (Lachen der Abg. [SPD]) haben, so deutlich müssen wir auch in Zukunft diese Die ganze linke Agenda wird abgearbeitet. Linksextreme Dinge hier nennen, dürfen uns nicht den Mund verbieten Straftaten kommen in diesem Bericht nicht vor. Islami- lassen und müssen sehr deutlich machen, dass das für uns scher Extremismus wird komplett unterschlagen. nicht akzeptabel ist. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da fallen (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜND- einem noch nicht mal mehr Zwischenrufe ein!) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Von brutalen Angriffen auf Christen in deutschen Asyl- bewerberunterkünften lesen wir mal wieder nichts. Die Ich möchte zum Schluss allen Kolleginnen und Kol- vielen Schändungen von Kirchen in Deutschland: nicht legen aus dem Ausschuss sehr danken, auch der AfD, die dokumentiert. Von Internetzensur durch das NetzDG le- uns sehr viel zugemutet hat, die sich aber nicht beschwe- sen wir auch nichts. ren kann, unfair behandelt worden zu sein; denn wir hat- ten eine hervorragende Ausschussvorsitzende: Gyde Vor allem aber wird der neue Antisemitismus in unse- Jensen. Ganz herzlichen Dank noch einmal auch für deine rem Land verharmlost und beschwiegen – islamischer Arbeit! Antisemitismus. Dieses Verschweigen passt nahtlos zur Anbiederung an den Iran; denn den Judenhass des islami- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP schen Mullah-Regimes haben die Altparteien bisher auch und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie beschwiegen. Ich halte fest: Die Altparteien schwanken des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]) beim Thema Antisemitismus wie ein Rohr im Wind. Die AfD ist die einzige Fraktion in diesem Hause, die konse- Vizepräsidentin Claudia Roth: quent Vielen Dank, Aydan Özoğuz. – Nächster Redner: für ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die AfD-Fraktion Jürgen Braun. NEN]: So dumm kann man gar nicht sein!) (Beifall bei der AfD) und unmissverständlich gegen jede Form des Judenhas- ses vorgeht, Jürgen Braun (AfD): (B) Verehrtes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen und (Helin [DIE LINKE]: Haha! (D) Herren! Liebe Kollegen! Haha!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sei er rechts, sei er links, sei er islamisch. Sie können sich immer noch nicht benehmen, (Beifall bei der AfD – Alexander Graf Sie Flegel!) Lambsdorff [FDP]: Niemand aus der israeli- Auf den letzten Drücker in dieser Legislaturperiode hat schen Regierung will sich mit Ihnen treffen!) die ganz große Regierungskoalition mit FDP und Grünen Wenn Raketen mit Atomsprengköpfen in Richtung doch noch einen Antrag zur Menschenrechtslage im Iran Israel in der Luft sind, ist es zu spät. eingebracht. Der Antrag enthält nichts, was wir nicht (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Was ha- schon seit Monaten oder Jahren wissen. Sie erwähnen ben Sie denn geraucht?) noch nicht einmal den Namen des neuen iranischen Präsi- denten in diesem abgestandenen Antrag. Die Bundesregierung hätte sich ein Beispiel am amerika- Im Iran regiert jetzt Ebrahim Raissol-Sadati, kurz: nischen Präsidenten Trump nehmen können. Stattdessen Raisi, ein Massenmörder. Seit zwei Jahren steht er auf wurde Trump von den Altparteien hier im Parlament im- der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten. Raisi, ein mer wieder wüst beschimpft, auch für seine Iran-Politik. Israel-Hasser, ein radikaler Antisemit. 1988, gegen Trump war es jedoch, der dem Mullah-Regime entschlos- Ende des irakisch-iranischen Krieges, hat Raisi Tausende sen die Grenzen aufzeigte. Trump war es, der Israel von Menschen ermorden lassen: Regimegegner, Frauen, schützte. Kinder, Christen und Juden – insgesamt mindestens (Beifall bei der AfD) 5 000 Menschen, von bis zu 30 000 Ermordeten ist sogar Die Altparteien suggerieren in ihrem heutigen Antrag, die Rede. Raisi hat klar gesagt: Proiranische Terrormili- der Iran habe sich bis 2019 an die Abmachungen des zen sollen auch weiterhin Israel bedrohen; das Raketen- sogenannten Atomabkommens gehalten. Erst nach dem programm des Iran soll ausgebaut werden. Ausstieg der Trump-Regierung soll, so behaupten die Was macht Claudia Roth jetzt? Wird sie auch den Mas- Altparteien, Teheran dieses Abkommen missachtet ha- senmörder Raisi mit ausgebreiteten Armen in Empfang ben. Es ist eine Frechheit, zu behaupten, der Iran habe nehmen wie damals Laridschani? Oder kommt jetzt ein sich vorher an solche Verpflichtungen gehalten. Sie er- High Five mit Raisi zur Behebung der Lage, zur Hebung zählen Märchen, um das Versagen der Bundesregierung der Stimmung wie damals mit dem iranischen Botschaf- zu vertuschen. Die deutsche Politik der Anbiederung an ter in Deutschland, ebenfalls ein iranischer Massenmör- das Mullah-Regime in Teheran ist gescheitert. Das zeigt der? Wir wissen es nicht. nicht zuletzt auch wieder dieser hilflose Antrag. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30971

Jürgen Braun (A) Meine Gedanken zum Ende dieser Legislaturperiode Einmal mehr hat sich eine korrupte Elite der Religion (C) sind heute bemächtigt, sie missbraucht, um die eigenen Gewaltfan- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: O Mann- tasien und die eigenen Profitinteressen auszuleben. Zu- omann! O Mannomann!) dem vertritt die iranische Führung ein sehr aggressives Regime nach außen mit enormen Investitionen in den bei unseren Soldaten in Mali. Wir hatten gehofft, dass wir Terror. Zahlreiche Länder im Nahen und Mittleren Osten ihnen das ersparen können. Die Soldaten in Mali – leiden unter dieser aggressiven Regionalpolitik der Mull- ahs. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die ganze Welt hat ein strategisches Interesse daran, Ihre Redezeit ist zu Ende. dass dieses Regime nicht auch noch eine Atombombe in die Hand bekommt. Die ganze Welt muss aber auch ein Jürgen Braun (AfD): Interesse daran haben, dass dieses Regime nicht weiter – sind dort für uns. Ich hoffe, dass wir alle an Sie mit seiner gesamten Brutalität einen Krieg gegen die denken und Konsequenzen ziehen. eigene Bevölkerung und später vielleicht einen Krieg gegen andere Länder führt, so wie es mit der Förderung Vielen Dank. des Terrorismus und der Förderung von Kriegsparteien (Beifall bei der AfD) im Irak, im Libanon, im Jemen, in Gaza und vielen an- deren Gebieten bereits der Fall ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Michael und Bündnis 90/Die Grünen verfolgt exakt ein Ziel: Die Brand. Menschen im Iran – nicht die Mullahs – müssen ins Zent- rum der deutschen Iran-Politik gestellt werden. Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): (Beifall der Abg. Margarete Bause [BÜND- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es NIS 90/DIE GRÜNEN]) ist ein gutes Zeichen, dass der Deutsche Bundestag heute Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wir müssen in einem gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Antrag wegen der Atomwaffen mit den Mullahs im Gespräch klar Position bezieht zum Thema Iran und auch konkrete bleiben. Aber, nein, das bedeutet nicht, dass wir die Men- Forderungen an die Bundesregierung stellt. schen wegen der Mullahs vergessen dürfen. Für die CDU/ Es sieht düster aus für die Menschen im Iran. Das ist CSU bleibt es nicht nur in dieser Wahlperiode, sondern die bittere Wahrheit. Die vom Regime der Mullahs insze- auch für die künftige Außenpolitik der Bundesrepublik (B) nierte Fiktion einer Wahl, bei der nur Hardliner des Regi- Deutschland von entscheidender Bedeutung, dass wir (D) mes zugelassen wurden und ein für viele Verbrechen ver- nicht denjenigen zu viel nachgeben, deren Hände – wie antwortlicher Mann zum neuen iranischen Präsidenten die des neuen iranischen Präsidenten – voller Blut von gewählt wurde, verheißt nichts Gutes für die Menschen unschuldigen Opfern sind. im Iran. Der für die mörderische Justiz dieses Gottes- staates verantwortliche Geistliche ist nun der weltliche (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Führer dieses Landes, das über eine so lange zivilisato- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE rische Geschichte verfügt. GRÜNEN) Zivilisiert ist das nicht, was das Regime praktiziert. So ist die Bundesregierung und so ist der Deutsche Willkürliche Verhaftungen aufgrund unbestimmter Straf- Bundestag und so sind wir alle aufgefordert, uns an den tatbestände, wie „Propaganda gegen das Regime“ oder Heldinnen und Helden im Iran zu orientieren, wenn wir „Verunglimpfung der Religion“ und anderes, dienen zur unsere Positionen formulieren. Es ist ein guter Tag für Einschüchterung einer immer unzufriedeneren, im Übri- dieses Parlament, dass die Fraktionen und Parteien mit gen sehr jungen Bevölkerung. Frauen und Mädchen sind einer großen demokratischen Tradition und einer Tradi- bereits mit neun Jahren – ich wiederhole: mit neun Jah- tion der Menschenrechte sich zu diesem gemeinsamen ren! – strafmündig, Jungen und Männer erst mit 15 Jah- Antrag zusammengefunden haben. Ich danke dafür und ren. Zu dieser menschenverachtenden Diskriminierung bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. passt überhaupt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie dass dieses Regime im April ausgerechnet in die UN- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Kommission zur Rechtsstellung der Frau gewählt wurde. GRÜNEN) (Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Dass die Buchreligionen im Iran offiziell anerkannt Vielen Dank, Michael Brand. – Nächste Rednerin: für sind, hilft ihnen überhaupt nicht, da sie ihren Glauben die FDP-Fraktion Gyde Jensen. nicht öffentlich praktizieren dürfen und im Alltag dis- (Beifall bei der FDP) kriminiert werden. Menschen, die vom Islam zu anderen Religionen, zum Beispiel zum Christentum, konvertie- Gyde Jensen (FDP): ren, werden mit der Todesstrafe bedroht. Dieses Regime Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist kein Gottesregime. Es ist ein gottloses Regime. Vor einer knappen Woche hatten viele Menschen im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Iran die Wahl: Sie konnten sich entscheiden, ob sie bei 30972 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Gyde Jensen (A) den Präsidentschaftswahlen durch ihre Stimmabgabe aber davon gab es in dieser Legislatur aus dem Auswär- (C) eine Wahlfarce legitimieren oder ob sie zu Hause bleiben tigen Amt ein bisschen zu viel. Wer weltweit für Men- und die Wahl boykottieren. Der Großteil der Iranerinnen schenrechte eintritt, der braucht auch den Mut, einmal und Iraner, die diese Wahl hatten – Staatsbedienstete hat- anzuecken. Da kam in dieser Legislatur aus dem Aus- ten sie zum Beispiel nicht –, hat Letzteres getan, und sie wärtigen Amt deutlich zu wenig. haben sich damit wohl für die einzige Form des Protestes (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Margarete entschieden, die im Iran überhaupt noch möglich ist, ohne Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Familie, Freunde, Angehörige oder sich selbst massiv in Gefahr zu bringen. Ich möchte mich für die wunderbare Zusammenarbeit im Menschenrechtsausschuss bedanken – es wurde schon In Russland wiederum setzen Alexej Nawalny und angesprochen –, und ich möchte mich auch dafür bedan- viele andere alles aufs Spiel, weil sie wollen, dass die ken, dass wir die Debatte mit einem interfraktionellen Menschen bei der Duma-Wahl, nur eine Woche vor der Antrag zur wichtigen Arbeit der Menschenrechtspolitik – Bundestagswahl hier, über mehr abstimmen können als es geht um die universellen, unteilbaren und unveräußer- über das kleinere Übel. In Belarus gehen die Menschen lichen Menschenrechte im Iran – schließen können. Las- auch fast ein Jahr nach der gestohlenen Wahl unter Ein- sen Sie uns in dieser Legislatur damit enden und in der satz ihrer persönlichen Freiheit und Sicherheit auf die nächsten damit weitermachen: im Zweifel für die Freiheit Straße, weil sie die Hoffnung auf faire und freie Neu- und im Zweifel für die Menschenrechte. wahlen nicht aufgeben wollen. In Hongkong haben Hun- derte Menschen ihre Solidarität bekundet, als die letzte Vielen Dank. freie Zeitung der Stadt schließen musste, weil die Peking- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten treue Regierung ihre Finanzmittel eingefroren, ihren Ver- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- leger verurteilt und ihre Chefredakteure festgenommen SES 90/DIE GRÜNEN) hat. Menschenrechtskrisen von katastrophalem Ausmaß Vizepräsidentin Claudia Roth: passieren derzeit in Myanmar, in Tigray/Äthiopien, in Vielen Dank, Gyde Jensen. – Nächste Rednerin: für die Syrien und im Jemen. Die UN-Menschenrechtsbeauftrag- Fraktion Die Linke Zaklin Nastic. te Michelle Bachelet nannte das, was wir momentan welt- (Beifall bei der LINKEN) weit leider erleben müssen, vor wenigen Tagen die „weitreichendste und schwerwiegendste Kaskade von Menschenrechtsverletzungen zu unseren Lebzeiten“. Zaklin Nastic (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- (B) Die vergangenen Jahre müssen jeden von uns hier und ren! Sie hätte die Ratifizierung des Fakultativprotokolls (D) in der Bevölkerung aufgerüttelt haben. Der Weg zu Frei- zum UN-Sozialpakt intensiv geprüft, ein Abschluss des heit, zu Demokratie, zu Rechtsstaatlichkeit, zu einer parlamentarischen Verfahrens in dieser Legislaturperiode Welt, in der alle Menschen überall ihre Menschenrechte sei – Zitat – „aus Zeitgründen“ nicht mehr möglich, so die völlig selbstverständlich leben können, ist keine schick- Antwort der Bundesregierung auf meine Frage im April. salhafte Bestimmung. Das war eine Entscheidung, die die Meine Damen und Herren, das ist pure Augenwischerei. internationale Gemeinschaft am 10. Dezember 1948 mit Seit über zehn Jahren ist es möglich, das Zusatzprotokoll der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bewusst zu ratifizieren, womit eine Individualbeschwerde wegen getroffen hat. Und dass wir dieses Ziel erreichen, ich Missachtung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturel- glaube, das muss uns jeden Tag, unabhängig von einer len Menschenrechte vor dem UN-Sozialausschuss der Legislaturperiode, immer wieder neu anspornen. Vereinten Nationen möglich würde, und zwar gegen die (Beifall bei der FDP) Regierung, die dagegen verstößt. Sie haben dieses Vor- haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, aber Das fängt damit an, dass Menschen aus der ganzen offensichtlich nie ernsthaft geplant, dieses umzusetzen. Welt, die hier bei uns in Deutschland Schutz vor Verfol- Das bedauern wir sehr. gung suchen, auch sicher sind. Deswegen haben wir Freie Demokraten nicht nur den schon angesprochenen über- (Beifall bei der LINKEN) fraktionellen Antrag zum Iran mit eingereicht, sondern 2018 wurde die Bundesregierung vom UN-Sozialaus- wir haben weitere Initiativen angekoppelt, unter anderem schuss gerügt, zum Beispiel wegen der fehlenden Anpas- einen Antrag, der sich mit dem Schutz von Menschen, die sung der Hartz-IV-Regelsätze an das Existenzminimum, hier in Deutschland Zuflucht suchen, beschäftigt. Ich wegen des Mangels in Deutschland an bezahlbarem würde mich freuen, wenn wir vielleicht auch in der Wohnraum oder auch wegen des Umgangs mit Geflüch- nächsten Legislaturperiode bei solchen Themen inter- teten. Diskriminierungen finden aber nicht primär in der fraktionell arbeiten könnten. Sprache statt, sondern bei den Löhnen, bei dem Zugang (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Michael zum Wohnen, Bildung und Gesundheit. Von der vollstän- Brand [Fulda] [CDU/CSU], Aydan Özoguz digen Beseitigung dieser Missstände sind wir leider mei- [SPD] und Margarete Bause [BÜNDNIS 90/ lenweit entfernt. DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der LINKEN) Menschenrechte sind keine Buzzwörter, die man Natürlich ist ein Menschenrechtsantrag zum Iran wich- aneinanderreiht, es sind auch keine pathetischen Projekt- tig Aber wen bestrafen Sie eigentlich mit diesen Wirt- titel und wohlfeile Statements – denn die ändern nichts –, schaftssanktionen: tatsächlich die Menschenrechtsverlet- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30973

Zaklin Nastic (A) zer oder eher die verletzten Menschen? Wer die Lebens- Frauen, Männer und sogar Kinder werden Opfer von (C) mittelpreise durch diese Wirtschaftssanktionen um zwei willkürlichen Verhaftungen, von Folter, von Hinrichtun- Drittel steigen lässt, bestraft die Ärmsten der Armen. gen. Wenn in den Kliniken gerade jetzt unter Corona dringend notwendige Medikamente und medizinische Geräte feh- Der Ringer Navid Afkari wurde im letzten September len, bestraft man wieder die Ärmsten. Lesen Sie doch nach einem erzwungenen Geständnis exekutiert. Seine endlich bei Human Rights Watch nach, wer unter diesen Brüder Vahid und Habib Afkari sitzen seit Monaten in Sanktionen im Iran eigentlich leidet. Und eigentlich stär- Isolationshaft. Mit äußerster Grausamkeit gehen die Be- ken Sie damit auch noch den konservativen Klerus, den hörden insbesondere gegen Menschenrechtsverteidige- Sie hier eben angeprangert haben. Wann prangern Sie rinnen, Menschenrechtsanwältinnen vor. Prominentestes eigentlich die US-Regierung für diesen völkerrechtswid- Beispiel ist Nasrin Sotudeh, die wegen ihres ungebroche- rigen Wirtschaftskrieg an? nen Widerstands und ihres unvorstellbaren Mutes zur Symbolfigur der iranischen Menschenrechtsbewegung (Beifall bei der LINKEN) geworden ist und die nach wie vor unter den entsetzlichs- In ihrem 14. Menschenrechtsbericht geht die Bundes- ten Bedingungen im Gefängnis sitzt. Ein anderes Beispiel regierung auf nur noch 30 Länder ein; in dem davor ist die Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi, die waren es immerhin noch 81 Länder. Die Auswahl ist nach jahrelanger Haft und Misshandlung freikommen wirklich bezeichnend: Es findet sich kein einziger EU- konnte, dann aber erneut verurteilt wurde – zu 80 Peit- Mitgliedstaat darunter, genauso wenig wie die USA, ob- schenhieben und zweieinhalb Jahren Haft – wegen eines wohl wir doch alle wissen, was für Pläne gerade in den Sitzstreiks im Gefängnis. USA geschmiedet werden, Irans neuer Präsident Ebrahim Raisi ist maßgeblich (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: China, verantwortlich für die schwersten Menschenrechtsverlet- Russland, Türkei! Alles drin!) zungen, und das ist ein fatales Signal für die Zukunft. wenn in Arizona mit dem Nazigiftgas Zyklon B hinge- Unsere Reaktion muss lauten: jegliche nur denkbare richtet werden soll. Gegen NATO-Waffenbrüder findet Unterstützung für die mutige Zivilgesellschaft im Iran, die Bundesregierung in Ihrer Antwort auf meine Frage keine Leisetreterei der Bundesregierung und der EU, Zu- nur das seichte Wort: Sie sei „besorgt“; gang der UN-Hochkommissarin und sofortige Freilas- sung aller politischen Gefangenen. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: So jung und so viel Ideologie!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Maßnahmen wie Exportverbote oder Einreisesper- sowie der Abg. [CDU/ (B) ren für die Verantwortlichen, auch keine Reisewarnung. CSU] und Gyde Jensen [FDP]) (D) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Och!) Zweites Stichwort: Menschenrechte und Klimaschutz. Meine Damen und Herren, das sind wirklich doppelte Die Erderhitzung hat bereits jetzt verheerende Auswir- Standards. kungen auf die Menschenrechte. Alle Menschenrechte sind davon bedroht: das Recht auf Leben, das Recht auf (Beifall bei der LINKEN) Gesundheit, das Recht auf Wasser, das Recht auf Nah- Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit gehören rung, das Recht auf Bildung, das Recht auf Wohnen. untrennbar zusammen; nicht für die Eliten, die sie sich Besonders bedroht sind, wie immer, die Verletzlichsten, kaufen können, sondern wirklich für alle Menschen, übri- die Ärmsten und die Kinder. Das sind gerade diejenigen, gens auch in Deutschland. die am allerwenigsten zur Zerstörung unserer Lebens- grundlagen beigetragen haben. Deswegen ist die Klima- Vielen Dank. krise immer auch eine Menschenrechtskrise, und deswe- (Beifall bei der LINKEN) gen müssen Klimaschutz und Menschenrechtsschutz Hand in Hand gehen; denn Klimaschutz braucht Men- Vizepräsidentin Claudia Roth: schenrechte, und Menschenrechte brauchen Klimaschutz. Danke schön. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Grünen Margarete Bause. [AfD]: Was für Phrasen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mir als Men- schenrechtspolitikerin immer wieder Hoffnung gibt, ist Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der unfassbare Mut so vieler Menschen weltweit, die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! trotz schlimmster Bedrohungen für ihr Leben oder das Die Fülle der unterschiedlichen Anträge, die wir heute Leben ihrer Familie nicht aufgeben, die kämpfen, die zur Menschenrechtspolitik beraten, zeigt die ganze Band- sich einsetzen für Würde, für Freiheit, für Menschlich- breite der Themen, aber auch die Versäumnisse der jetzi- keit. Demgegenüber finde ich viele Debatten, die wir hier gen Bundesregierung und die Herausforderung für die führen, mutlos, ängstlich, achtlos, manchmal auch schä- Zukunft. big, sei es beim Lieferkettengesetz, sei es bei der Aufnah- Stichwort „Iran“. Das Regime im Iran ist verantwort- me von Geflüchteten oder sei es beim Umgang mit China. lich für schwerste und grausamste Menschenrechts- verletzungen. Seit Jahren werden die Menschenrechte, (Beifall des Abg. [BÜND- die Bürgerrechte systematisch missachtet und verletzt. NIS 90/DIE GRÜNEN]) 30974 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Margarete Bause (A) Was wir brauchen, ist mehr Mut für Menschenrechte. Für das, was der Kollege Chrupalla in Russland an (C) Das sind wir den Menschenrechtsverteidigerinnen und Anbiederung betrieben hat, während Nawalny im Straf- Menschenrechtsverteidigern weltweit schuldig. lager vegetiert, kann man sich wirklich nur schämen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Vizepräsidentin Claudia Roth: Sagen Sie mal was zur Türkei! – Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu Sau- Vielen Dank, Margarete Bause. – Nächste Rednerin: di-Arabien!) für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Katja Leikert. Dass man über die Lage in Kolumbien reden muss, da (Beifall bei der CDU/CSU) stimme ich Ihnen zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken; aber dass Ihnen zu Ihrem Genossen Maduro Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): in Venezuela Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: „Genos- Kollegen! Dies ist voraussichtlich die letzte menschen- se“? Überhaupt kein Genosse! – Gegenruf des rechtspolitische Debatte in dieser Legislatur. Ich halte es Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es aus diesem Anlass für wichtig, dass wir fraktionsüber- ist so! Ihr instrumentalisiert die Menschen!) greifend ein Zeichen setzen in Sachen Iran, auch gegen- über dem neuen iranischen Präsidenten Raisi, der eben so wenig einfällt, zeigt, dass auch Ihnen nur die Men- nicht für einen Neuanfang steht. schen wichtig sind, die zufällig in Ihre Ideologie passen. Der Rest muss halt schauen, wo er bleibt. Man muss es deutlich benennen: Raisi hat eine Karrie- re als Aufseher von Folterknechten im iranischen Justiz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – system hinter sich. Er hat eine Wahl gewonnen, die alles Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ach andere als frei war – während die iranische Anwältin Quatsch! Ist doch Blödsinn!) Nasrin Sotudeh unschuldig im Gefängnis sitzt, während die Gewerkschafterin Sepideh Gholian unschuldig im Und zum Schluss, Herr Braun, Ihre „High five“-Bilder Gefängnis sitzt und während des Scheinprozesses gegen im Zusammenhang mit unserer Vizepräsidentin des Deut- die Kölnerin Nahid Taghavi, der vor wenigen Tagen schen Bundestages Claudia Roth waren unangemessen begann; Frau Özoğuz hat es ausgeführt. Mit seiner Rolle und waren dumm. in der Region und seiner Missachtung für jede Art von (B) (Jürgen Braun [AfD]: Das zeigt auf sie zurück, (D) Minderheit steht der Iran für vieles, was wir in diesem das Thema! Das sind Fakten, die Sie leugnen!) Haus bekämpfen: Autoritarismus, Intoleranz und Gewalt. Es hat schon seine Gründe, warum der Deutsche Bundes- Zwar ist der Iran ein Extrembeispiel, aber er ist längst tag Ihnen das Amt des Vizepräsidenten hier verwehrt hat. kein Einzelfall mehr. Das zeigt uns ein Blick in die Men- schenrechtsberichte der Bundesregierung und der Euro- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie päischen Union. Länder, in denen zu leben zunehmend bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- unsicher wird, gibt es immer mehr; ein Trend, den es aus SES 90/DIE GRÜNEN) unserer Sicht zu bekämpfen gilt. Beim Herkunftsstaat Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alles Eritrea haben wir mittlerweile, Stand Mai 2021, eine dafür tun, dass die nächste Wahlperiode menschenrecht- Gesamtschutzquote im Asylverfahren von über 80 Pro- spolitisch zu einer besseren wird. zent. Vielen Dank. Wir müssen noch viel stärker mit den Hauptherkunfts- staaten zusammenarbeiten – dort, wo das möglich ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie natürlich –, um die Situation für die Menschen vor Ort bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- zu verbessern. Dafür hat sich Angela Merkel gerade erst SES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: gestern wieder beim Europäischen Rat eingesetzt. Der Sie wollen um jeden Preis eine Koalition mit Schutz von Menschenrechten muss aus meiner Sicht den Grünen! Das streben Sie an!) noch viel stärker in der Sicherheitspolitik generell veran- kert werden. Wir brauchen eben eine echte vernetzte Vizepräsidentin Claudia Roth: Sicherheit. Vielen Dank, Dr. Katja Leikert. – Jetzt kommt der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) letzte Redner in dieser Debatte, und das ist für die CDU/CSU-Fraktion Martin Patzelt. Deshalb würde ich mir wünschen, wir würden über den Menschenrechtsfall Sotudeh genauso viel sprechen wie (Beifall bei der CDU/CSU) über das Atomabkommen mit dem Iran. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Martin Patzelt (CDU/CSU): AfD, zu Ihren Anträgen, die wir heute ja mit debattieren: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschenrechtspolitik ist keine Rosinenpickerei. Wieder mal habe ich in der Debatte das letzte Wort. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Eben!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30975

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Bürger sie nicht mit Leben, mit Überzeugung und ent- (C) Nein, nein, in dieser Debatte. sprechendem Handeln füllen, dann bleiben sie ein fleischloses Korsett. Martin Patzelt (CDU/CSU): (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das Das gibt mir die Freiheit, dass mir keiner in der Debatte stimmt!) widersprechen wird. Das Dritte, was ich noch sagen möchte: Ich erlebte im Jahrelang habe ich mich als Berichterstatter um diesen Bundestag das angestrengte und erfolgreiche Mühen um Antrag zum Iran bemüht. Deshalb erfüllt es mich mit eine optimierte Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und großer Freude und Genugtuung, dass es nun gelungen beruflichem Engagement. Im ersten Lebensjahr kommen ist, überfraktionell einen solchen Antrag zu stellen. Das Kinder mit ihren unabweisbaren Bedürfnissen nach ist ein großer Schritt nach vorne. Das Überwinden partei- unverwechselbarer, anhaltender und von Trennungsängs- licher Grenzen in Menschenrechtsfragen – meine Vor- ten freier Zuwendung dabei schnell unter die Räder. Wir rednerinnen haben das schon gesagt – sollte eigentlich sollten uns nicht wundern über den wachsenden Bedarf eine Selbstverständlichkeit sein, weil es um eine überge- an Erziehungshilfe, über die Kinder mit psychischen ordnete Größe geht. Problemen, über suizidale Jugendliche, über fehlende Empathie und Toleranz, über Gewaltanwendung, die bis (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zur Empfänglichkeit für Terrorismus und extremes der Abg. Aydan Özoğuz [SPD] und Margarete menschliches und politisches Verhalten führt, wenn wir Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der Ausbildung eines resistenten Persönlichkeitsfunda- Mit diesem Antrag fordern Oppositions- und Regie- mentes im ersten Lebensjahr nicht genügend Aufmerk- rungsfraktionen gemeinsam die Regierung mit einem lan- samkeit und zeitlichen Raum schenken und, so nötig, den gen Katalog von Maßnahmen auf, alles uns nur Mögliche Eltern dafür in der Zeit frühkindlicher Entwicklung ent- zu tun, um das menschenfeindliche Handeln der Regie- sprechende Unterstützung geben. rung im Iran zunächst einzudämmen. Das Überwinden Kinder, aus freier Entscheidung der Eltern ins Leben parteilicher Grenzen ist, wie ich gesagt habe, ein großer gerufen, gehören sich selbst. Sie bedürfen zunächst der Fortschritt. uneingeschränkten Zuwendung und späterhin der Förde- Weil ich jetzt selber in die Jahre gekommen bin und rung. Kinder dürfen, wenn ihre Entwicklung gelingen weil das hier meine letzte Rede im Bundestag ist und weil soll, nicht zu Erwartungsträgern elterlicher oder gesell- vieles zu diesen Themen schon gesagt wurde, lassen Sie schaftlicher Erwartung mutieren. Freie, verantwortliche, mich etwas grundsätzlicher werden, sozusagen als Ver- empathische und tolerante Menschen bieten die sicherste (B) mächtnis. Gewähr für Demokratie und Achtung von Menschen- (D) rechten. Erstens. Menschenrechte sind bekannterweise nicht zum Nulltarif zu haben; aber sie sind die nicht wegzuden- Frau Präsidentin, ich möchte noch einen Dank sagen, kende Basis eines guten Lebens, auch unseres Lebens. wenn ich darf. – Mit diesem sozusagen persönlichen Ver- Die Beachtung von Menschenrechten und das fortgesetz- mächtnis scheide ich aus dem Bundestag. Ich danke allen te Ringen darum bewirken die Freiheit des Geistes und Kolleginnen und Kollegen, unseren kompetenten und im- der Unternehmung. Sie bedeuten einen Mehrwert und mer eifrigen – auch technischen – Mitarbeiterinnen und bringen letzten Endes auch Wohlstand. Insofern bleibt Mitarbeitern im Bundestag, der Fraktion, unserer Ar- unser Einsatz für Menschenrechte nicht nur ein humani- beitsgruppen, meines Büros. Nicht zuletzt danke ich täres Handeln. Wir handeln hier in unserem ureigensten auch meinen Wählerinnen und Wählern, die oft genug Interesse. Wer sich die Landkarte der Erde anschaut, kann akzeptieren mussten, dass ich nicht ihrer Meinung war das sehen: Dort, wo Menschenrechte beachtet werden, und nicht ihre Wünsche erfüllen konnte. wo Demokratie gelebt wird, da entwickeln sich Wohl- (Heiterkeit) stand und ein gutes Zusammenleben. Deshalb dürfen uns die Menschenrechte etwas kosten – sogar etwas Die acht Jahre vergingen schnell und haben mir per- mehr –, wenn wir unseren Nachkommen eine gerechtere, sönlich neue Perspektiven, viele schöne Begegnungen, friedlichere und bewohnbare Welt überlassen wollen. Tür-und-Angel-Gespräche und eine sinnvolle Lebenszeit geschenkt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich wünsche allen Zweitens. Wir sprechen viel vom Schutz, Erhalt und Scheidenden eine gute persönliche Zukunft und allen, die sogar Kampf um die Demokratie. Das ist richtig und den Stafettenstab wiederaufnehmen werden, gute Ent- wichtig. Aber die Demokratie an sich ist kein Selbstwert, scheidungen für unser Land und die Menschen, die darin meine Damen und Herren; sie ist gekennzeichnet von der wohnen. Achillesferse der Mehrheiten. Mehrheiten aber können (Beifall im ganzen Hause) von Angst, Zeitgeist und gruppenbezogenen Egoismen bestimmt werden, und sie können letzten Endes auch auf nachhaltige Entscheidungen verzichten. Mehrheiten Vizepräsidentin Claudia Roth: können auch irren oder sich für falsche Kompromisse Vielen Dank, lieber Martin Patzelt. Vielen herzlichen entscheiden. Deshalb braucht es für ein demokratisches Dank für Ihren Einsatz – seit Jahren, in zwei Legislatur- Zusammenleben unabdingbar ein festes Wertebewusst- perioden – für die Menschenrechte. Sie haben immer sein und eine persönliche Haltung. Wir können hier mit- gezeigt, dass Menschenrechte universell gültig sind. einander noch so richtige und noch so gute Gesetze ver- Das heißt, Sie haben sich auch für die Menschenrechte abschieden: Wenn wir selbst und die Bürgerinnen und hier in unserem Land eingesetzt. Sie haben in Arbeits- 30976 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) gruppen mitgearbeitet, wo Sie oft der einzige Vertreter men. Zugestimmt wurde von SPD und CDU/CSU. (C) aus Ihrer Fraktion waren. Ich habe es sehr, sehr geschätzt, Gegenstimmen kamen von Linken und Grünen. Enthal- Sie so kennenzulernen. tung kam von FDP und AfD. Sie sind wirklich ein Brückenbauer. Sie sind ein Brü- Tagesordnungspunkt 42 e. Abstimmung über die Be- ckenbauer als Ehrenbürger der Stadt Slubice. Sie bauen schlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Hei- Brücken hin zu anderen und auch zu Andersdenkenden. mat zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel Das braucht die Demokratie. Von ganzem Herzen haben „Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechts- Sie sich dafür eingesetzt. Sie sind ein echter, aufrechter verteidiger in Deutschland schützen und vor ausländi- Demokrat. Ihnen alles, alles Gute für Ihren nächsten scher Verfolgung und Überwachung bewahren“. Der Lebensabschnitt. Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/29944, den Antrag der Fraktion der FDP (Beifall) auf Drucksache 19/25242 abzulehnen. Wer stimmt für Und es stimmt: Sie haben manchmal unerwartet wirk- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – lich ganz andere Meinungen vertreten; aber das hat wahr- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- scheinlich Ihre eigene Fraktion mehr verwundert als uns. nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD. Dagegengestimmt haben die Frak- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Über- tionen der FDP, der Grünen und Herr Gauland. Enthalten rascht, nicht verwundert!) hat sich Die Linke. – Überrascht, ja, nicht verwundert. – Vielen herzlichen (Heiterkeit – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, Dank. das war so!) Tagesordnungspunkt 42 a. Wir kommen zur Abstim- – Ja, das war so. Sorry. mung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Tagesordnungspunkt 42 f. Abstimmung über die Be- 19/30979 mit dem Titel „Menschenrechte ins Zentrum schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte der Iranpolitik stellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – und humanitäre Hilfe zum Antrag der Fraktion der FDP Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit dem Titel „Individuellen Sanktionsmechanismus ein- angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der führen – Menschenrechtsverletzer gezielt treffen und SPD, der Grünen, der CDU/CSU und der FDP. Dagegen- Straflosigkeit beenden“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- gestimmt hat die AfD. Enthalten hat sich die Fraktion der ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/24677, den Linken. Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/22112 (B) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- (D) Tagesordnungspunkt 42 b. Abstimmung über den An- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die trag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck- Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha- sache 19/30980 mit dem Titel „Geschlechtergleichstel- ben die Fraktionen der Linken, der SPD, der CDU/CSU. lung als eine zentrale globale Herausforderung“. Wer Dagegengestimmt haben die FDP und die AfD. Enthalten stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – haben sich die Grünen. Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen. Zuge- stimmt haben die Fraktionen von SPD und CDU/CSU. Tagesordnungspunkt 42 g. Abstimmung über die Be- Dagegengestimmt hat die AfD. Enthalten haben sich die schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte Linken, die Grünen und die FDP. und humanitäre Hilfe zum Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimaschutz braucht Tagesordnungspunkt 42 c. Abstimmung über die Be- Menschenrechte – Menschenrechte brauchen Klima- schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte schutz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- und humanitäre Hilfe zum 14. Bericht der Bundesregie- empfehlung auf Drucksache 19/31084, den Antrag der rung über ihre Menschenrechtspolitik. Der Ausschuss Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/29315 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- 19/30467, in Kenntnis des Berichtes auf Drucksache empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – 19/25000 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- Zugestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/ gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist CSU, der FDP und der AfD. Dagegengestimmt haben angenommen. Zustimmung kommt von SPD und CDU/ die Fraktionen der Grünen und der Linken. CSU. Die Gegenstimmen kommen von Linken und AfD. Die Enthaltung kommt von FDP und Grünen. Tagesordnungspunkt 42 h. Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio- Tagesordnungspunkt 42 d. Abstimmung über die Be- ren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte FDP mit dem Titel „Menschenhandel und Zwangsprosti- und humanitäre Hilfe auf Drucksache 19/27568. Der tution in Deutschland nicht länger hinnehmen – Men- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, in schen in der Prostitution schützen und Selbstbestimmung Kenntnis des Entwurfs des EU-Jahresberichts über Men- stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- schenrechte und Demokratie in der Welt im Jahr 2019 empfehlung auf Drucksache 19/31120, den Antrag der eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Fraktion der FDP auf Drucksache 19/29265 abzulehnen. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30977

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) schlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung neten Pia Zimmermann, Matthias W. (C) von SPD, CDU/CSU und AfD und bei Gegenstimmen Birkwald, Susanne Ferschl, weiterer Abge- von FDP, Grünen und der Linken. ordneter und der Fraktion DIE LINKE Tagesordnungspunkt 42 i. Abstimmung über den An- Rentenplus für pflegende Angehörige trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/30602 mit Drucksachen 19/25349, 19/30550 Buchsta- dem Titel „Tödliche Gewalt von Militär und Polizei in be d Kolumbien verurteilen und politische Lösung des Kon- fliktes befördern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer e) Beratung der Beschlussempfehlung und des stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist Berichts des Ausschusses für Gesundheit abgelehnt bei Zustimmung von den Linken, Gegenstim- (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- men von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD und Enthaltung ordneten Pia Zimmermann, Sabine von Bündnis 90/Die Grünen. Zimmermann (Zwickau), Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 42 j. Abstimmung über den An- DIE LINKE trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/29959 mit dem Titel „Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt Sofortprogramm gegen den Pflegenot- umgehend ratifizieren“. Wer stimmt für diesen Antrag? – stand in der Altenpflege Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der An- Drucksachen 19/79, 19/3201 Buchstabe b trag ist abgelehnt bei Zustimmung von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen von SPD, f) Beratung der Beschlussempfehlung und des CDU/CSU, FDP und AfD. Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 j sowie neten Pia Zimmermann, Susanne Ferschl, den Zusatzpunkt 20 auf: Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- 43 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des ter und der Fraktion DIE LINKE Berichts des Ausschusses für Gesundheit Zwei-Klassen-System in der Pflegeversi- (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- cherung beenden neten Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Drucksachen 19/7480, 19/24855 weiterer Abgeordneter und der Fraktion g) Beratung der Beschlussempfehlung und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Ausschusses für Gesundheit (B) Pflege gerecht und stabil finanzieren – Die (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- (D) Pflege-Bürgerversicherung vollenden neten Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Kordula Schulz-Asche, Ulle Schauws, weite- Drucksachen 19/8561, 19/29526 Buchsta- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- be b NIS 90/DIE GRÜNEN b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Bessere Vereinbarkeit von Angehörigen- Berichts des Ausschusses für Gesundheit pflege und Beruf durch eine PflegeZeit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Plus neten Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Drucksachen 19/28781, 19/30664 weiterer Abgeordneter und der Fraktion h) Beratung der Beschlussempfehlung und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Die Pflegeversicherung verlässlich und schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten solidarisch gestalten – Die doppelte Pflege- Markus Herbrand, Christian Dürr, Dr. Florian garantie umsetzen Toncar, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Drucksachen 19/14827, 19/30695 Doppelbesteuerung bei Renten verhin- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des dern Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Drucksachen 19/27174, 19/31057 neten Pia Zimmermann, Susanne Ferschl, i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- Berichts des Ausschusses für Gesundheit ter und der Fraktion DIE LINKE (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Solidarische Pflegevollversicherung um- neten , Dr. Robby setzen Schlund, Jörg Schneider, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der AfD Drucksachen 19/24448, 19/30550 Buchsta- be c Pflegende Eltern unterstützen – Flexibili- tät der Verhinderungspflege nicht ein- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des schränken Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Drucksachen 19/30415, 19/31070 30978 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Ein Paradigmenwechsel war die Erstreckung der Leis- (C) Berichts des Ausschusses für Gesundheit tungen der Pflegeversicherung auf Menschen mit kogniti- (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- ven und psychischen Einschränkungen. 1,6 Millionen an neten Susanne Ferschl, Pia Zimmermann, Demenz Erkrankte erhalten heute Leistungen aus der Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- Pflegeversicherung. ter und der Fraktion DIE LINKE Wir haben uns auch frühzeitig um Generationenge- Arbeitszeitverkürzung in der Pflege – rechtigkeit in der Pflegeversicherung bemüht, und zwar Sechs-Stunden-Schichten retten Leben mit dem Pflegevorsorgefonds, der aktuell jährlich 1,6 Milliarden Euro thesauriert, um die Pflegeleistungen Drucksachen 19/19141, 19/31068 auch für die geburtenstarken Jahrgänge zu sichern. Die- ZP 20 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sen Pflegevorsorgefonds wollen wir bis 2050 verlängern, richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) nicht etwa auflösen, und wir wollen ergänzend betriebli- che Pflegezusatzversicherungen kreieren, die künftig – zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias dazu beitragen, dass sich die Menschen zusätzlich wirk- W. Birkwald, Susanne Ferschl, Katja sam absichern können. Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der CDU/CSU) Rentenbesteuerung vereinfachen und Wir haben die Pflegepersonaluntergrenzen eingeführt Doppelbesteuerung vermeiden und die Rechtsgrundlagen für ein wissenschaftlich fund- iertes Personalbemessungssystem sowohl in der Alten- – zu dem Antrag der Abgeordneten wie in der Krankenpflege geschaffen. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Lisa Paus, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Gerade erst in der letzten Sitzungswoche haben wir die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserungen für die Pflegefachkräfte in der Altenpfle- ge vorgestellt. Deren tarifvertragliche Entlohnung ist Besteuerung von Alterseinkünften verein- künftig Voraussetzung dafür, dass ein Unternehmen über- fachen und an den Bedürfnissen der Rent- haupt erst die Zulassung als Pflegeeinrichtung erhält. nerinnen und Rentner ausrichten Die Spirale „Höhere Gehälter in der Pflege gleich Drucksachen 19/10282, 19/16494, 19/28937 höhere Kosten für die Heimbewohner“ haben wir mit Buchstabe b und c einem gestaffelten Zuschuss zum pflegebedingten Eigen- anteil unterbrochen. (B) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (D) beschlossen. – Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) legen, die Plätze zu tauschen, damit wir schnell anfangen können. Ich kann Ihnen versichern: Die Union wird auch in der nächsten Legislatur keine Bürokratiefriedhöfe aufbauen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die Wir setzen auch weiter auf einkommensabhängige pari- CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Karin Maag. tätische Beiträge, Eigenbeteiligung und einen Steueran- teil für versicherungsfremde Leistungen. Und vor allem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wird es die Einheitsversicherung mit uns nicht geben. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) Karin Maag (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei vielen ist Eins ist sicher: Ohne die Union, ohne uns hätte es die auch dies meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. weitreichenden Verbesserungen in den letzten Jahren Ich habe hier sehr gerne die Interessen der Menschen in für die Menschen, die in den Pflegeberufen tätig sind, meinem Wahlkreis vertreten. Ich bin auch dankbar, dass für die Menschen, die gepflegt werden, und für ihre ich in der Gesundheitspolitik in Deutschland mitentschei- Angehörigen sicher nicht gegeben. den, mitgestalten durfte.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Ich will an dieser Stelle Ihnen und euch, vor allem den SPD) Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss wie auch in der Regierung, für die vertrauensvolle und kon- – Da müsst ihr euch gar nicht aufregen. struktive Zusammenarbeit danken. Wir haben es ge- schafft – das ist mir wichtig zu betonen –, dass wir uns Es war die Koalition, die zum Beispiel die Pflegestufen jenseits der uns im parlamentarischen Verfahren gestell- in Pflegegrade umgestellt hat. Damit haben wir die ten Aufgaben jederzeit an einen Tisch setzen und in aller Abkehr von der Minutenpflege geschafft. Es waren wir, Freundschaft einen Kaffee oder einen Wein trinken konn- die damals die ambulanten Leistungen in der Pflege ten. erweitert haben. Und es ist sicher, dass wir, zumindest in der Union, diese auch in Zukunft nicht einschränken Meinen Unionskolleginnen und -kollegen, die mich werden, sondern zu einem flexiblen, gut handhabbaren ertragen, aber auch getragen haben, danke ich für ihr Ver- Budget zusammenfassen. trauen und ihre Freundschaft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30979

Karin Maag (A) Liebe , du warst mein Counterpart. Ich Anders als die Kurzzeitpflege, die nur in bestimmten (C) bin dir für die vertrauensvolle, kollegiale und vor allem stationären Einrichtungen in Anspruch genommen wer- sehr freundschaftliche Zusammenarbeit sehr, sehr dank- den darf, ist die Verhinderungspflege sehr flexibel ein- bar. setzbar. Sie kann beispielsweise durch nicht erwerbsmä- ßig pflegende Personen wie Angehörige oder Nachbarn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- oder familienunterstützende Dienste erbracht werden. Sie ordneten der SPD) kann mehrere Wochen am Stück, aber auch tage- oder Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Mauern des stundenweise in Anspruch genommen werden. Reichstagsgebäudes steht der Satz „Dem deutschen Vol- Leider bedeutet der Arbeitsentwurf aus dem Bundes- ke“. Ich habe meine Arbeit immer so verstanden und auch gesundheitsministerium zum Pflegereformgesetz eine danach gelebt. Ich habe bis heute, bis zum letzten Tag, nie Verschlechterung für Menschen mit Behinderungen. Ein gleichgültig den Reichstag betreten, sondern stets mit Teil der sogenannten Verhinderungspflege soll künftig Achtung und mit Respekt vor dem Amt und vor den einer längeren Verhinderung der Pflegeperson vorbehal- Menschen. ten bleiben. Für die stundenweise Inanspruchnahme der Verhinderungspflege sollen dagegen ab dem 1. Juli 2022 Herzlichen Dank Ihnen allen. Mir war es eine Ehre. nur noch maximal 40 Prozent des Gesamtjahresbetrags (Beifall im ganzen Hause) zur Verfügung stehen. Im Ergebnis würden durch diese Regelungen die Mittel für die flexible Einsetzbarkeit der Verhinderungspflege um fast 50 Prozent gekürzt. Das ist Vizepräsidentin Claudia Roth: unglaublich familien- und behindertenfeindlich. Liebe Karin Maag, mit Ihrem Weggang verliert die CDU/CSU-Fraktion ganz sicher eine der wichtigen Stim- Verhinderungspflege ist die wichtigste Entlastungs- men in der Gesundheitspolitik. Ich möchte mich stellver- leistung in der Pflegeversicherung, gerade für Menschen tretend für alle anderen Gesundheitspolitiker/-innen hier und Familien mit behinderten Kindern. Diese Entlas- in unserem Hause herzlich bei Ihnen bedanken für das, tungsleistung darf in ihrer Flexibilität nicht eingeschränkt was Sie – auch Sie als Person – in den letzten Monaten werden. Die Alternative für Deutschland fordert: erstens geleistet haben. Denn Sie waren besonders gefordert, was den jährlichen Betrag für Verhinderungspflege sowie die den Umgang mit der Pandemie, mit der Covid-Krise Mittel aus der Kurzzeitpflege jeweils um 20 Prozent zu anging. Ich kann mir vorstellen – ich weiß es ja von erhöhen, zweitens den derzeitigen Rahmen für die Inan- den Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion –, spruchnahme der stundenweisen Verhinderungspflege was das für eine Verantwortung mit sich gebracht hat deutlich zu erhöhen und somit bis zu 80 Prozent des Gesamtjahresbetrags zur Verfügung zu stellen, drittens (B) und was an Kraft und an politischer Power dafür nötig (D) war. Vielen herzlichen Dank! für Kinder mit hohem Unterstützungsbedarf Ersatzpfle- geangebote zu schaffen, die Kinder nicht schlechterstel- Wir wünschen Ihnen alles Gute bei Ihren neuen len als Erwachsene. Herausforderungen, viel Kraft und viel Erfolg. Ich kann Familien mit behinderten Kindern benötigen oft auch sagen, ich werde Ihr Stuttgarter Schwäbisch vermissen, kurzfristig Auszeiten von der Pflege, weil der Pflege- und und Sie werden uns vermissen; da bin ich mir aber ziem- Familienalltag eben nicht immer planbar ist. Für viele lich sicher. Alles Gute! Familien ist die Inanspruchnahme von stundenweiser (Beifall) Verhinderungspflege die einzige Möglichkeit, eine solche geltend zu machen, weil insbesondere für Kinder mit Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Nicole hohem Unterstützungsbedarf nicht genügend geeignete Höchst. Ersatzpflegeangebote für längere Zeiträume zur Verfü- gung stehen. (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, Entlastung kann nur effek- tiv sein, wenn sie flexibel, ganz nach Bedarf genutzt Nicole Höchst (AfD): werden kann. Auf Eltern behinderter Kinder, die durch Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine sehr verehr- die Coronapandemie ohnehin schon bis an ihre Grenzen ten Damen und Herren! Wir debattieren eine Reihe von hochgradig belastet sind, sollte gerade jetzt Rücksicht Anträgen rund um die Pflegeversicherung. Unser Antrag genommen werden. Ich bitte Sie im Namen der betroffe- möchte vor allem pflegende Eltern unterstützen. Mit dem nen Familien unseres Landes: Unterstützen Sie unseren Begriff der Pflegebedürftigkeit wird zumeist das Bild Antrag und zeigen Sie, dass Kraftanstrengungen für die eines älteren Menschen assoziiert. Dass es deutschland- Bürger parteiübergreifend und über alle ideologischen weit auch über 73 000 Kinder und Jugendliche mit aner- Grenzen hinweg möglich sind. kannter Pflegebedürftigkeit gibt, wissen die wenigsten. Ja, auch ich halte heute eine letzte Rede: die letzte Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI wird gewährt, Rede vor der Sommerpause. Wenn alles gut geht, sehen wenn eine Pflegeperson wegen Krankheit, Urlaub oder wir uns alle wieder. Ich freue mich darauf! Tanken wir aus sonstigen Gründen an der Pflege gehindert ist. Für Kraft, wir werden sie brauchen für „Deutschland. Aber die Verhinderungspflege steht derzeit ein jährlicher Be- normal“. trag von 1 612 Euro zur Verfügung. Dieser Betrag kann Vielen Dank. um bis zu 806 Euro aus Mitteln der Kurzzeitpflege auf- gestockt werden. (Beifall bei der AfD) 30980 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ob es tatsächlich gelingt, die Rücklagen für alle zu (C) Vielen Dank, Frau Höchst. – Nächste Rednerin: für die erschließen, wird wahrscheinlich das Verfassungsgericht SPD-Fraktion Heike Baehrens. klären müssen. Aber wenn die soziale Pflegeversiche- rung und die private Pflegeversicherung zusammenge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führt werden, dann stehen sofort jährlich etwa 2 Milliar- der CDU/CSU) den Euro mehr zur Verfügung, um die Pflege für alle zu verbessern. Mit der Pflegebürgerversicherung bekom- Heike Baehrens (SPD): men wir mehr Geld für gute Pflege für alle und für bes- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sere Arbeitsbedingungen. Damit kann endlich auch eine Kollegen! Gerade haben wir erlebt, wie man vier Minuten echte Deckelung der Eigenanteile gelingen, vielleicht für nichts verwenden kann. auch der Schritt zur Pflegevollversicherung. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Denn das, worüber Sie gesprochen haben, hat überhaupt nicht das Licht der Gesetzgebung erblickt. Und damit bekommen wir endlich das Entlastungsbudget für die häusliche Pflege, damit die pflegenden Angehöri- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen diese Leistungen flexibler in Anspruch nehmen kön- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- nen. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Ein guter Schluss ziert alles. Darum ist es gut, dass So wird die Pflegeversicherung noch solidarischer und diese Legislaturperiode der Pflege mit einem Tagesord- nachhaltiger. nungspunkt zur Pflege endet. Drei zentrale Kernthemen haben wir in dieser Koalition vorangebracht. Ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen und Kol- legen von der Union für die Zusammenarbeit danken, vor Wir haben dafür gesorgt, dass Tarifbezahlung zum allem für das, was wir gemeinsam für die Pflege auf den Standard wird; ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Weg gebracht haben. Dass es uns als SPD nicht wirklich Attraktivität der Berufe in der Pflege. reicht, was erreicht wurde, wissen Sie. Aber wie hat es (Beifall bei der SPD) August Bebel mal ausdrückt: Man muss manchmal den Sack zumachen, auch wenn er noch nicht voll ist. – Mit Wir haben dafür gesorgt, dass Fachkräfte mehr Kom- dieser Weisheit gehen wir jetzt in die parlamentarische petenzen erhalten, dass insbesondere mehr Personal in Sommerpause. Aber gleichzeitig starten wir durch; denn die Pflegeeinrichtungen kommt und dass der Einstieg in (B) jetzt kämpfen wir weiter für eine solidarische Pflegepo- (D) das neue Personalbemessungsverfahren gelungen ist, was litik, für eine starke SPD und für eine Mehrheit im Deut- mittelfristig für bundeseinheitliche Personalschlüssel in schen Bundestag, die eine echte solidarische und zu- der Pflege sorgt. kunftsfeste Pflegereform möglich macht. Darauf freue (Beifall bei der SPD) ich mich. Und wir haben ganz viel getan zur Entlastung der Ihnen allen einen guten und vor allem gesunden Som- Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, indem wir die mer. Kurzzeitpflege gestärkt haben und indem wir dafür (Beifall bei der SPD) gesorgt haben, dass Kinder nur noch dann zu den Kosten der Pflege herangezogen werden, wenn sie ein sehr hohes Vizepräsidentin Claudia Roth: Einkommen haben. Vielen Dank, Heike Baehrens. – Nächste Rednerin: für Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass ab 1. Januar die FDP-Fraktion Nicole Westig. 2022 die Pflegebedürftigen bei den Eigenanteilen spürbar (Beifall bei der FDP) entlastet werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nicole Westig (FDP): der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf diesem Pfad werden wir weitergehen. Und ja, eine Die Pflege ist das Thema des letzten Debattenpunkts in echte Reform der Pflegeversicherung muss kommen. Da dieser Legislaturperiode. Ich hoffe sehr, dass sie in der weist der Antrag, über den wir heute eigentlich sprechen, nächsten Legislaturperiode weiter oben auf der Agenda in die richtige Richtung. Denn fast 40 Milliarden Euro steht. Denn gerade die Frage, wie wir künftig gute Pflege Rücklagen liegen in der privaten Pflegeversicherung, gestalten und finanzieren wollen, ist eine zentrale He- weil Gutverdienende und Beamte zwar ihre Beiträge in rausforderung. Einigen Punkten, die Grüne und Linke die private Pflegeversicherung einzahlen, aber an Leis- hier vorlegen, können wir Freien Demokraten sogar zu- tungen jährlich nur etwa 1,5 Milliarden Euro in Anspruch stimmen. nehmen. Die private Pflegeversicherung versichert Men- (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche schen mit höherem Einkommen und niedrigerem Pflege- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bedarf. Das muss verändert werden. Deshalb braucht es die Pflegebürgerversicherung. Die Forderung nach einer konsequenten Überführung der medizinischen Behandlungspflege in Heimen in den (Beifall bei der SPD) GKV-Bereich teilen wir; denn die Eigenanteile würden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30981

Nicole Westig (A) damit sofort und spürbar gesenkt. Dass dies trotz großer was ich dieser Bundesregierung nicht verzeihen kann, das (C) Einigkeit in diesem Hause noch immer nicht umgesetzt stammt schon aus der Zeit vor Corona, und das ist die wurde, ist ein großes Versäumnis dieser Koalition. desaströse Lage in der Pflege. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kordula Ich erinnere mich noch zu gut an die Bilder von alten Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Menschen, die während der Lockdowns monatelang in ihren Zimmern eingesperrt wurden und von Pflege- und Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Betreuungskräften versorgt wurden, die nicht einmal auch ein unabhängiges Case-Management zur Erhebung genug Masken und Handschuhe hatten, um sich und die des Pflegebedarfs macht Sinn. Ebenso müssen wir uns ihnen Anvertrauten, nämlich unsere Eltern und Groß- überlegen, wie sich Auszeiten vom Beruf für Care-Arbeit eltern, zu schützen. Das Massensterben in den Pflegehei- verwirklichen lassen. Sie wollen die PflegeZeit Plus, wir men durch Covid-19 ist das Ergebnis einer langjährigen möchten so etwas umfassender mit einem Freiraumkonto Politik der Unterfinanzierung und Privatisierung. Pflege- regeln. kräfte, die ihren Beruf aufgeben, weil sie permanent ge- Doch wie wollen wir die Pflege künftig finanzieren, gen ihr Gewissen und ihre Professionalität handeln müs- wenn immer weniger junge Beitragszahlende immer sen, Angehörige, die mit der Sorgearbeit alleingelassen mehr älteren Menschen gegenüberstehen? Liebe Kolle- werden, und Menschen, die durch die Kosten der Pflege ginnen und Kollegen, dieses Problem lösen wir nicht mit zum Sozialfall werden – all das war schon vorher da, ist der hier so gepriesenen Pflegebürgerversicherung; halt nur in der Krise noch mal total eskaliert. Dafür gibt es von der Linken kein Verzeihen. (Beifall bei der FDP) denn auch diese kann den demografischen Wandel nicht (Beifall bei der LINKEN) aufhalten; auch diese generiert langfristig nicht mehr Bei- Spätestens seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von tragszahlende. Eine Bürgerversicherung lässt junge und gestern, das die Ausbeutung von 24-Stunden-Pflegekräf- nachfolgende Generationen außen vor. Sie sind es aber, ten in Privathaushalten begrenzt, ist jetzt auch klar: So die in Zukunft immer mehr finanzielle Lasten tragen wie bisher kann es nicht weitergehen. müssen. Mit unserer solidarischen Gesundheits- und Pflegever- Die Pflegeversicherung ist 1995 bewusst als Teilleis- sicherung haben wir ein Konzept vorgelegt, wie Gesund- tung angelegt worden, und der Gesetzgeber hat bewusst heit und Pflege nachhaltig und gerecht finanziert werden auf die Eigenverantwortung abgestellt. Dass es eine Pfle- können. gelücke gibt, war immer klar; diese ist jedoch vielen (B) Menschen nicht bewusst. Deshalb müssen wir transpa- (Beifall bei der LINKEN) (D) renter kommunizieren und deutlich machen, dass es nicht Wenn sich nämlich endlich alle angemessen an der Finan- ohne zusätzliche Eigenvorsorge geht. Und da gibt gute zierung beteiligen, auch Spitzenverdienende und diejeni- Ansätze, zum Beispiel bei der IG Bergbau, Chemie, Ener- gen, die von Mieteinkünften oder Dividenden leben, dann gie. Hier bietet der Arbeitgeber seinen Beschäftigten und steht auch genug Geld zur Verfügung für eine Vollver- deren Familien eine Pflegevorsorge an. Solche Modelle sicherung in der Pflege, damit Pflegebedarf kein Armuts- sollten wir weiterentwickeln und unterstützen, zum Bei- risiko mehr ist, Pflegekräfte angemessen bezahlt und die spiel durch steuerliche Anreize. Familien, der billigste Pflegedienst der Nation, entlastet (Beifall bei der FDP) und unterstützt werden können. Wenn eine neue Bundesregierung diesen Weg be- (Beifall bei der LINKEN) schreiten und die Pflege auch für unsere Kinder stabil machen will, dann sind wir Freien Demokraten gerne Auch bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege wären dabei. finanzierbar. Mehr Personal senkt nachgewiesenermaßen das Infektions- und Sterberisiko auf den Stationen; davon (Beifall bei Abgeordneten der FDP) hätten alle was, mehr jedenfalls als von billigem Applaus Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause. Bleiben und einer Schachtel „Merci“. Sie gesund! Also, unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, sie sind (Beifall bei der FDP) durchdacht und durchgerechnet. Auch von SPD und Grü- nen gibt es viele gute Ideen.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche Vielen herzlichen Dank, Nicole Westig. – Nächste [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rednerin: für die Fraktion Die Linke Kathrin Vogler. Damit wir sie auch umsetzen können, brauchen wir eine (Beifall bei der LINKEN) neue Mehrheit für eine andere Politik, einen echten Poli- tikwechsel für einen Pflegeaufbruch in diesem Land. Dafür muss auf jeden Fall die CDU/CSU raus aus der Kathrin Vogler (DIE LINKE): Regierung, und die FDP darf nicht rein. Nur eine starke Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Linke ist nämlich der Garant für eine soziale Gesund- hat zu Beginn der Coronapandemie an diesem heits- und Pflegepolitik. Pult gesagt, dass wir uns irgendwann wahrscheinlich viel zu verzeihen haben werden. Daran ist ja viel Wahres; aber (Beifall bei der LINKEN) 30982 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Kathrin Vogler (A) Frau Präsidentin, erlauben Sie mir an diesem Pult noch sen pflegende Familien unterstützen – und dies nach dem (C) ein paar Dankesworte an diesem Tag. Die meisten werden gestrigen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stun- gedacht haben, dass meine Kollegin Pia Zimmermann den-Pflege noch viel dringender als vorher. Wir brauchen hier heute ihre letzte Rede als Mitglied des Bundestags professionelle Unterstützung für alle Generationen: mit und pflegepolitische Sprecherin unserer Fraktion hält. sozialer Arbeit, mit professioneller Pflege, von Kitaplät- Das hätte sie sehr gerne getan; sie ist aber aus gesund- zen bis hin zur Tagespflege. Und wir müssen die Verein- heitlichen Gründen verhindert. Ich möchte mich bei mei- barkeit mit dem Beruf auch für die pflegenden Familien ner Kollegin Pia Zimmermann für acht Jahre Pflegepoli- und für Freunde möglich machen, wie wir es mit der tik bedanken. Ihre Rolle als pflegepolitische Sprecherin grünen PflegeZeit Plus vorschlagen. Nur Veränderungen der Linksfraktion hat sie mit Herzblut, Engagement, schaffen Sicherheit für Jung und Alt. Kompetenz und Empathie ausgefüllt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Die professionelle Pflege mit all ihren Qualifika- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- tionsgraden ist der Beruf der Zukunft. Wir müssen die ordneten der CDU/CSU und der FDP) Pflegeberufe dringend stärken und für junge Menschen Liebe Pia, werde recht bald wieder gesund. Wir wis- attraktiv machen. Dazu gehört natürlich eine gute Aus- sen, dass du der Pflegepolitik erhalten bleibst, auch wenn bildung. Dazu gehören eine gute Bezahlung und gute du nicht mehr im Bundestag bist. Alles Gute für die Arbeitsbedingungen. Dazu gehört aber auch eigenverant- Zukunft! wortliches Arbeiten in Zusammenarbeit mit ärztlichen und anderen Gesundheitsberufen auf Augenhöhe. Zu- (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der sammenarbeit ist das Zauberwort. Wenn wir wirklich SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE gute, professionelle Pflege ermöglichen wollen, dann GRÜNEN) braucht es Veränderung, und zwar schnell; denn nur so ist das sicherzustellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Machen wir uns bitte nicht länger etwas vor: Wir brau- Vielen Dank, Kathrin Vogler, und bitte übermitteln chen endlich eine solide Finanzierung, um gute Pflege Sie Frau Zimmermann alle guten Wünsche, dass sie auch mittel- und langfristig sicherstellen zu können. Pfle- schnellstmöglich wieder ganz gesund wird und auch gebedürftigkeit darf nicht länger ein Armutsrisiko sein. einen herzlichen Dank für ihre Arbeit. Das war in der Jeder Mensch soll die Pflege erhalten, die er braucht. Tat eine heftige Arbeit, die sie geleistet hat. Vielen herz- lichen Dank und alles, alles Gute, liebe Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zimmermann! (B) Um das zu ermöglichen, schlagen wir Grüne die doppelte (D) (Beifall) Pflegegarantie vor. Wir wollen dieses Problem endgültig lösen, das heute die Menschen in die Sozialhilfe treibt. Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich machen bessere Qualität, mehr Angebote die Pflegeversicherung teurer. Deswegen braucht es jetzt er- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neut gesellschaftliche Solidarität. Dies gelingt durch eine NEN): Versicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger ent- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wur- sprechend ihrer Einkommen einzahlen, die grüne Pflege- de 1956 geboren und gehöre also zum zweiten der soge- bürgerversicherung. Unsere Gesellschaft hat keine Zeit nannten geburtenstarken Jahrgänge; andere nennen uns mehr für Pflegereförmchen. Nötig ist die Unterstützung Babyboomer. Wir waren eigentlich immer zu viele. Als am Wohnort, die Stärkung der professionellen Pflege und wir eingeschult werden sollten, mussten Schulen gebaut eine solide und solidarische Finanzierung. Gerade wir sowie Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet und eingestellt Älteren sollten dazu beitragen, dass dies gelingt; denn werden. Wir waren damals auf gesellschaftliche Solida- nur Veränderung schafft Sicherheit und Gerechtigkeit – rität angewiesen, und wir haben sie, zumindest weitge- für alle Generationen. hend, bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt stehen wir vor dem Eintritt ins Rentenalter. Und wir werden – manche früher, manche später – auf gute Vizepräsidentin Claudia Roth: Pflege angewiesen sein. Deshalb braucht es auch heute Vielen Dank, Kordula Schulz-Asche. wieder gesellschaftliche Solidarität: für und von den jün- geren Generationen, für und von uns Älteren. Und damit Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dies in der jetzigen demografischen Situation gelingen NEN): kann, braucht es heute Veränderung; denn nur Verände- Ich möchte mich noch ganz kurz bei allen Kolleginnen rung kann Sicherheit schaffen. und Kollegen sowie den Präsidentinnen und Präsidenten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieses Hauses bedanken. Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Sommerpause und uns Grünen eine besonders Wir brauchen an den Wohnorten Angebote, die den erfolgreiche. Zusammenhalt und die Begegnung der Generationen er- möglichen. Wir müssen Einsamkeit verhindern. Wir müs- Ich danke Ihnen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30983

Kordula Schulz-Asche (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leginnen und Kollegen, indem ich auch auf andere Ge- (C) sundheitsfachberufe hinweise. Es wäre sträflich, das da Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht zu tun. Danke schön, Kordula Schulze-Asche. – Nächster Zurück zur Pflege. Meine Kollegin Heike Baehrens hat Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Roy Kühne. einen wichtigen Punkt angesprochen: vergleichbare Bezahlung. Krankenkassen dürfen jetzt nicht mehr am (Beifall bei der CDU/CSU) Tarif orientierte Bezahlung ablehnen. Liebe Krankenkas- sen, das ist ein ganz klarer Appell an Sie: Setzen Sie sich mit den Leistungsanbietern in Verbindung! Reden Sie Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): darüber, wie Sie gute Pflege bezahlbar machen! Die Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Patientinnen und Patienten werden es Ihnen sicher dan- legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Karin Maag hat ken. Aber man muss auch ganz klar sagen, liebe Kranken- heute in ihrer letzten Rede ganz ausführlich dargelegt, kassen: Wer billig kauft, kauft zweimal. – Auch hier gilt was wir in den letzten Jahren erreicht haben. Ich bin dieser Spruch. Wir haben es in letzter Zeit gesehen: Es ist Karin Maag und auch sehr dankbar dann relativ schnell vorbei. dafür, was sie im Bereich der Arbeitsgruppe Gesundheit, aber auch im Ausschuss zusammen mit den Kolleginnen Deshalb meine Bitte an Sie, und das sage ich verbun- und Kollegen erreicht haben. Deshalb auch hier noch mal den mit einem Dank an alle Kolleginnen und Kollegen von mir ein ganz persönliches Dankeschön. hier in diesem Hohen Hause: Lassen Sie uns weiter an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesen wertvol- Wenn wir über die Pflegeversicherung reden – und len Gesundheitsberufen arbeiten. Die Patientinnen und darüber reden wir heute –, dann muss das oberste Prinzip Patienten – eines Tages auch wir – werden dafür sehr ganz klar sein: Pflege muss bezahlbar sein. Das ist das, dankbar sein, wenn sie von motivierten Pflegekräften wofür uns die Menschen draußen kritisieren. Davon betreut werden. hängt es im Grunde genommen ab, ob man positiv oder Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen allen einen negativ von der Pflege redet. Wenn wir über Kosten schönen Sommer. reden, müssen wir aber auch überlegen: Wie können wir Pflege effektiver, sicherer und dadurch wahrschein- (Beifall bei der CDU/CSU) lich sogar preiswerter machen? Es muss ja nicht sein, dass etwas mehr an Leistung automatisch auch immer Vizepräsidentin Claudia Roth: mehr Geld kostet. Vielleicht heißt es konkret, dass wir Vielen Dank, Dr. Roy Kühne. – Nächste Rednerin: für als Staat Pflegekräfte ermutigen und mehr fördern müs- die SPD-Fraktion Claudia Moll. (B) sen, dass sie lernen, es vielleicht sogar fordern, selbst- (D) ständig Entscheidungen zu treffen und dadurch mehr (Beifall bei der SPD) Verantwortung zu übernehmen. Die gesetzlichen Rah- menbedingungen dafür sollten wir schaffen. Es geht Claudia Moll (SPD): also nicht nur wie immer ums Geld, sondern es geht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und auch um Inhalte. Kollegen! In diesen Minuten passiert das von uns be- schlossene Gesetz zur Verbesserung der Pflege den Bun- Es ist schon mehrfach in dieser Legislaturperiode desrat. Dank Hubertus Heil wird es endlich überall Tarif- angesprochen worden: Es waren die Entlohnung, die löhne in der Pflege geben. Arbeitsbedingungen und die Personalzahlen, die den Pflegekräften das Gefühl gegeben haben: Ihr seid es uns (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von nicht wert. – Und sie kehrten diesem wertvollen Beruf der CDU/CSU: Und Jens Spahn!) den Rücken zu. Ich bin den Ministern der letzten zwei Ein Meilenstein! Und dank Olaf Scholz werden wir die Legislaturperioden sehr dankbar, dass sie das Thema Einnahmenseite der Pflegeversicherung mit Steuergel- Pflege offen angegangen sind. Ja, wir wissen, dass wir dern erhöhen. im Vorfeld vieles vernachlässigt und vieles als selbstver- ständlich angesehen haben. Wir haben uns aber kritisch (Beifall bei der SPD) mit der Situation auseinandergesetzt. Deshalb danke ich Denn gute Pflege kostet Geld. Klar ist aber auch: Das – noch einmal ausdrücklich Hermann Gröhe in der letzten ich nenne es mal so – Pflegereförmchen ist nur der erste Legislaturperiode und Jens Spahn in dieser. Schritt auf dem langen Weg hin zu einer besseren Pflege. Es gibt viel zu tun. Wir lassen nicht locker. Wir bleiben (Beifall bei der CDU/CSU) dran. Die Pflegekräfte draußen haben uns auch ganz klar Pflegebedürftigkeit darf nicht Armut und Abhängig- signalisiert: Es geht so nicht weiter. – Karin Maag hat keit von der Sozialhilfe bedeuten. Auch aus unserer Sicht in mehreren Punkten dargelegt, was bereits erreicht ist der nächste notwendige Schritt, die soziale und private wurde. Ich möchte des Weiteren die Neuregelung der Versicherung zu einer Pflegebürgerversicherung weiter- Finanzierung in der Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prü- zuentwickeln. Die Versicherten in der privaten Kranken- fungsverordnung noch mal in Erinnerung rufen: ein Man- versicherung haben ein wesentlich höheres Einkommen gelberuf, bei man bisher tatsächlich noch Schulgeld zah- bei einem wesentlich geringeren Krankheits- und Pflege- len musste! Ich mache das natürlich erwartungsvoll mit risiko. Die Versicherung hat so pro Kopf einen deutlich einem kleinen Augenzwinkern in Richtung meiner Kol- geringeren Aufwand als die soziale Pflegeversicherung. 30984 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Claudia Moll (A) So hat sie mittlerweile über 34 Milliarden Euro ange- Erich Irlstorfer (CDU/CSU): (C) sammelt. Dieses Geld wird momentan aber nicht für Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eine spürbare Verbesserung in der Pflege eingesetzt. Respekt, jetzt den Sack zuzumachen! Ich kann Ihnen Das ist ungerecht! Es muss einen Risikoausgleich geben. eines sagen: Wir haben viel erreicht. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD) Vieles aber auch nicht!) Aber auch Sie, liebe Grüne, wissen, dass es mit manchen Und in dieser Großen Koalition sind viele Dinge besser Koalitionspartnern schwierig ist, sich sowohl auf das Ziel gelaufen, als es uns einige zugetraut haben. als auch auf die Finanzierung zu einigen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Stimmt!) (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da kennt ihr Ich glaube auch, dass hier in der Pflege und im ganzen euch ja mal aus!) Gesundheitswesen viele Dinge auf den Weg gebracht Als SPD-Bundestagsfraktion wollen wir den Pflege- wurden, die richtig sind, weil nämlich verschiedene Per- vorsorgefonds auflösen. Wir wollen alle medizinischen spektiven eingenommen wurden: die der zu pflegenden Behandlungskosten in der Pflege durch die Krankenkas- Personen, die der Angehörigen, aber auch die der Be- sen übernehmen lassen. Wir wollen, dass die Pflegever- schäftigten in diesem System. Dieses Zusammenspiel, sicherung eine Vollversicherung wird. Mit diesen Mehr- dieser Dreiklang, hat uns immer geleitet. Ebenfalls we- einnahmen in der Pflegeversicherung kann gute Pflege sentlich – das war genauso auch in der Opposition zu gemacht werden. Nur so schaffen wir es, die Arbeitsbe- spüren – war, glaube ich, dass wir uns der Verantwortung dingungen in der Pflege so zu verändern, dass dieser bewusst waren, dass wir zwar professionelle Pflege wol- Gesundheitsberuf nicht selbst krank macht. Nur so kann len, aber dass die Menschlichkeit und das Gespür nicht man auf die individuellen Bedürfnisse und Biografien auf der Stecke bleiben dürfen. Und dafür möchte ich Pflegebedürftiger eingehen. Und nur so können wir An- Ihnen danken. gehörige wirklich entlasten. Das werden wir aber leider (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht mehr heute, am letzten Sitzungstag erreichen. Inhaltlich zu diesem Antrag – Sie wissen es, ich brau- Wenn im September die Wählerinnen und Wähler ent- che es nicht zu betonen –: Wir als Union haben eine schieden haben, freue ich mich darauf, noch größere andere Vorstellung. Wir möchten in diesem erfolgreichen Schritte in der Pflegepolitik zu gehen. Und seien Sie System, das seit 1995 am Start ist, Veränderungen, wir sich bewusst: Ich werde so lange weiter für den Bundes- möchten Reformen, weil sich natürlich auch die Zeiten tag kandidieren, bis wir wirklich gute Pflege in diesem ändern, weil sich die Bedürfnisse ändern. Aber wir sind (B) Land haben, und wenn ich dafür mit dem Rollator ans nach wie vor überzeugt, dass es richtig ist, hier die Kop- (D) Rednerpult kommen muss. pelung an Gehalt und Verdienst zu machen, weil es Gene- rationengerechtigkeit bedeutet. Wenn wir mit diesem (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei System – das hoffe ich – erfolgreich sind, werden wir Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- es dann mit einem Partner weiterentwickeln. Das ist NISSES 90/DIE GRÜNEN) unser Ziel, und dafür werben wir. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer, einen Ich möchte zum Abschluss sagen: Alles, was wir hier guten Wahlkampf und vor allen Dingen einen fairen entscheiden, alles, was wir auf den Weg bringen, wäre Wahlkampf. vollkommen uninteressant – das sollten wir schon in un- seren Köpfen haben –, wenn es nicht Menschen gäbe, die (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei diese Entscheidungen auch in die Tat umsetzen, nämlich Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- die Beschäftigten in der Pflege: in der Krankenpflege, in NISSES 90/DIE GRÜNEN) der Altenpflege und auch in der Kinder- und Jugendmedi- zin. Wir haben hier durch die Generalistik ein Instrument Passen Sie auf sich auf! Ich freue mich darauf, einige im geschaffen, das viel Gutes hat. September wiederzusehen. Aber erlauben Sie mir auch, dass ich kritisch anmerke, Danke schön. dass wir in der Kinder- und Jugendpflege auch Defizite haben und dass wir darüber reden müssen, dass wir einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beruf, der gut funktioniert hat, hier in die Generalistik der CDU/CSU und der FDP) implementiert haben und dass er jetzt schlechter funk- tioniert. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall der Abg. Claudia Moll [SPD] und Vielen Dank, Claudia Moll. – Nächster und letzter Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Redner in dieser Debatte und wahrscheinlich auch in Das müssen wir diskutieren, liebe Freunde. Das ist natür- dieser Legislaturperiode, zumindest was die regulären lich auch ein Punkt, der uns einen Auftrag gibt für die Sitzungen angeht: Erich Irlstorfer für die CDU/CSU- nächste Legislatur. Fraktion. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche unseren (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Pflegekräften, gerade auch in der Pandemie: Halten Sie Maag [CDU/CSU] – Claudia Moll [SPD]: durch! Sie werden auch in einem neuen Koalitionsvertrag Der beste Mann von euch!) nicht vergessen. Da bin ich mir sicher. Zukunftsthema für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30985

Erich Irlstorfer (A) uns ist auch Pflege und Medizin, das auf Augenhöhe zu hörige“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d sei- (C) Klimaschutz, Landwirtschaft, Handwerk, Finanzen, ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/30550, den Wirtschaft, zu all diesen wichtigen Themen, steht. Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/25349 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Ich kann nur sagen: Ich wünsche Ihnen alles Gute. lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Bleiben Sie gesund! Wir sehen uns wieder, und ich hoffe, Beschlussempfehlung ist angenommen. Zustimmung von dass wir miteinander gute Lösungen schaffen. SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, Gegenstimmen von den Linken, Enthaltung von den Grünen. Herzlichen Dank. Tagesordnungspunkt 43 e. Beschlussempfehlung des (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Die Linke mit dem Titel „Sofortprogramm gegen den GRÜNEN) Pflegenotstand in der Altenpflege“. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/3201, den Antrag der Fraktion Die Linke Vizepräsidentin Claudia Roth: auf Drucksache 19/79 abzulehnen. Wer stimmt für diese Vielen herzlichen Dank, Erich Irlstorfer. – Ich schließe Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- die Aussprache. tungen: keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom- men. Zustimmung von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, Tagesordnungspunkt 43 a. Wir kommen jetzt zur Ab- Gegenstimmen von Linken und den Grünen. stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Tagesordnungspunkt 43 f. Beschlussempfehlung des Die Grünen mit dem Titel „Pflege gerecht und stabil Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion finanzieren – Die Pflege-Bürgersicherung vollenden“. Die Linke mit dem Titel „Zwei-Klassen-System in Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- der Pflegeversicherung beenden“. Der Ausschuss emp- schlussempfehlung auf Drucksache 19/29526, den An- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/24855, den Antrag der Fraktion Die Linke auf 19/8561 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Drucksache 19/7480 abzulehnen. Wer stimmt für diese empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- gestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, men. Zustimmung von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, der FDP und der AfD. Dagegengestimmt haben die Grü- Gegenstimme von den Linken, Enthaltung von den Grü- (B) nen, und enthalten hat sich Die Linke. nen. (D)

Tagesordnungspunkt 43 b. Beschlussempfehlung des Tagesordnungspunkt 43 g. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Pflegever- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bessere Verein- sicherung verlässlich und solidarisch gestalten – Die dop- barkeit von Angehörigenpflege und Beruf durch eine pelte Pflegegarantie umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt PflegeZeit Plus“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/30695 schlussempfehlung auf Drucksache 19/30664, den An- , den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Drucksache 19/14827 abzulehnen. Wer stimmt für diese 19/28781 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- men. Zustimmung von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, stimmung von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD, Gegen- Gegenstimme von den Grünen, Enthaltung von der stimme von den Grünen und Enthaltung von den Linken. Linken. Tagesordnungspunkt 43 h. Beschlussempfehlung des Tagesordnungspunkt 43 c. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Fraktion der FDP Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion mit dem Titel „Doppelbesteuerung bei Renten verhin- Die Linke mit dem Titel „Solidarische Pflegevollversi- dern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- cherung umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt unter fehlung auf Drucksache 19/31057, den Antrag der Frak- Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache tion der FDP auf Drucksache 19/27174 abzulehnen. Wer 19/30550, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt sache 19/24448 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- dagegen? – Wer enthält sich? – Zugestimmt: SPD und schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- CDU/CSU, dagegengestimmt: FDP und AfD, enthalten: hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Linke und Grüne. Zugestimmt haben die SPD, die CDU/CSU, die FDP und die AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion der Linken, Tagesordnungspunkt 43 i. Beschlussempfehlung des und enthalten haben sich die Grünen. Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Pflegende Eltern unterstützen – Tagesordnungspunkt 43 d. Beschlussempfehlung des Flexibilität der Verhinderungspflege nicht einschränken“. Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Die Linke mit dem Titel „Rentenplus für pflegende Ange- auf Drucksache 19/31070, den Antrag der Fraktion der 30986 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) AfD auf Drucksache 19/30415 abzulehnen. Wer stimmt Das ist in Covid-Zeiten mit der Maske gar nicht so leicht. (C) für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- Ich bedanke mich heute – Sie verstehen es – ganz beson- gen? – Enthaltungen: keine. Bei Gegenstimme der AfD ders bei Ulla Ihnen, weil es ihre letzte Sitzung als und Zustimmung aller anderen Fraktionen des Hauses ist Schriftführerin war. Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute die Beschlussempfehlung angenommen. für Ihre weitere Zukunft.

(Beifall – Ulla Ihnen [FDP]: Danke schön! Das Tagesordnungspunkt 43 j. Beschlussempfehlung des war sehr nett!) Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Arbeitszeitverkürzung in der Aber wir allein würden das alles sowieso überhaupt Pflege – Sechs-Stunden-Schichten retten Leben“. Der nicht schaffen. Ohne ganz viele Menschen, die das erst Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf ermöglichen, wären wir dazu nämlich gar nicht in der Drucksache 19/31068, den Antrag der Fraktion Die Linke Lage. Deswegen: Dank an das wunderbare Sitzungsma- auf Drucksache 19/19141 abzulehnen. Wer stimmt für nagement! diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- (Beifall) nommen. Zustimmung von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Gegenstimme von den Linken. Enthaltung von Dank an unsere Plenarassistenten und -assistentinnen, die den Grünen. unendlich viele Nachtschichten gemeistert haben!

Zusatzpunkt 20. Beschlussempfehlung des Finanzaus- (Anhaltender Beifall – Die Abgeordneten schusses auf Drucksache 19/28937. Der Ausschuss emp- erheben sich) fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Wenn wir auf dem Weg nach Hause waren, haben sie Drucksache 19/10282 mit dem Titel „Rentenbesteuerung aufgeräumt, mussten sich umziehen und waren noch vereinfachen und Doppelbesteuerung vermeiden“. Wer lange nicht zu Hause. Vielen, vielen herzlichen Dank! stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Danke schön an die Kolleginnen und Kollegen, die – es dagegen? – Enthaltungen: keine. Bei Gegenstimme der ist für mich sowieso ein Wunder, wie man das überhaupt Linken und Zustimmung aller anderen Fraktionen des kann – die zahlreichen Redebeiträge stenografieren. Vie- Hauses ist die Beschlussempfehlung angenommen. len, vielen herzlichen Dank!

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- (Beifall – Die Abgeordneten erheben sich) (B) (D) fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/16494 Ich bedanke mich bei unserer Technik, beim Licht und mit dem Titel „Besteuerung von Alterseinkünften verein- beim Sound, fachen und an den Bedürfnissen der Rentnerinnen und Rentner ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschluss- (Beifall) empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält der sich echt deutlich verbessert hat. Ich weiß als alte sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- Rock ’n’ Rollerin, wovon ich rede. stimmung von den Linken, SPD, CDU/CSU und AfD. Gegenstimme von den Grünen. Enthaltung von der FDP. Ich bedanke mich bei der gesamten Verwaltung des Hauses, bedanke mich bei den Polizisten und Polizistin- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- nen, die für unsere Sicherheit sorgen, nung angekommen. Wir sind damit auch am Schluss der Legislaturperiode, zumindest was die regulären Sitzun- (Beifall) gen angeht, angekommen. Deswegen möchte ich mich am Ende auch noch mal ganz herzlich bedanken. bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, (Beifall) Ich möchte mich bei Ihnen allen bedanken, liebe Kol- leginnen und Kollegen, für Ihr großes Engagement, für auch bei denen, die Kartoffelsalat und Würstle oder was den Einsatz für unsere Demokratie hier in der Herzkam- auch immer für uns bereitstellen. Vielen, vielen herzli- mer der Demokratie. In diesen Dank beziehe ich explizit chen Dank! die Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsbank mit ein. Vielen herzlichen Dank, dass Sie in langen Sitz- (Beifall) ungen Tag und Nacht bei uns geblieben sind! Fühlen Sie alle sich bitte in den Dank mit einbezogen.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinen Schriftfüh- Ich wünsche Ihnen allen, uns allen Ruhe, Runterkom- rerinnen und Schriftführern, die auch Tag und Nacht den men, Luftholen, Krafttanken. Ich wünsche, dass Sie alle Dienst geleistet haben. gesund bleiben, dass diejenigen, die jetzt kräftig in den Wahlkampf einsteigen, einen fairen Wahlkampf mitei- nander führen, wie es sich in der Demokratie gehört – (Beifall) streitbar, aber fair, nicht unter der Gürtellinie –, und hof- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30987

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) fe, dann ganz viele Kolleginnen und Kollegen wieder hier Den Bundesrat will ich auch nicht vergessen. Dank für (C) treffen zu können, vorausgesetzt, ich werde auch ge- die häufige Teilnahme an unseren Sitzungen! Aber die wählt. Alles, alles Gute, einen guten Sommer! haben ja jetzt auch etwas anderes zu tun. (Beifall) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Vielen Dank, liebe Claudia, liebe Präsidentin der Par- tages auf Dienstag, den 7. September 2021, 9 Uhr, ein. lamentarischen Gesellschaft! Auch dir und deinen ganzen Die Sitzung ist geschlossen. wunderbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles, alles Gute! (Schluss: 18.16 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30989

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altmaier, Peter CDU/CSU Poschmann, Sabine SPD Bahr, Ulrike SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE Bartke, Dr. Matthias SPD Schwabe, Frank SPD Dağdelen, Sevim DIE LINKE Siebert, Bernd CDU/CSU Ferschl, Susanne DIE LINKE Staffler, Katrin CDU/CSU Freihold, Brigitte DIE LINKE Steffel, Frank CDU/CSU Freitag, Dagmar SPD Straetmanns, Friedrich DIE LINKE Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Ulrich, Alexander DIE LINKE Gehrke, Dr. Axel AfD Vogel (Olpe), Johannes FDP Gienger, Eberhard CDU/CSU Weiler, Albert H. CDU/CSU Hagedorn, Bettina SPD Wiese, Dirk SPD Hartwig, Dr. Roland AfD Wiesmann, Bettina CDU/CSU Margarethe Hebner, Martin AfD Witt, Uwe AfD Heilmann, Thomas CDU/CSU (B) (D) Zdebel, Hubertus DIE LINKE Held, Marcus SPD Zimmermann, Pia DIE LINKE Hocker, Dr. Gero Clemens FDP Kaiser, Elisabeth SPD Kamann, Uwe fraktionslos Kessler, Dr. Achim DIE LINKE Anlage 2 Kestner, Jens AfD Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Kotré, Steffen AfD Die Fraktion der AfD hat mitgeteilt, dass sie den An- Lamers, Dr. Dr. h. c. Karl A. CDU/CSU trag „Unternehmensbasisdaten richtig verwalten“ auf Drucksache 19/30409 zurückzieht. Lauterbach, Dr. Karl SPD Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Lechte, Ulrich FDP gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Lehmann, Sven BÜNDNIS 90/ einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen DIE GRÜNEN absehen: Merkel, Dr. Angela CDU/CSU Haushaltausschuss – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Miazga, Corinna AfD Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung zu Müller, Hansjörg AfD strukturellen Defiziten bei der Verwendung und Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ Kontrolle der den Fraktionen nach dem Abgeord- DIE GRÜNEN netengesetz zur Verfügung gestellten Geld- und Sachleistungen Paschke, Markus SPD Drucksachen 19/25890, 19/26313 Nr. 2 30990 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung mit Stellungnahme der Bundesregierung (C) Bericht des Stabilitätsrates gemäß § 8 des Stabili- Drucksache 19/29090 tätsratsgesetzes Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Drucksachen 19/27454, 28005 Nr. 4 Kommunen – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Stabilitätsrates gemäß § 8 des Stabili- Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der tätsratsgesetzes ressortübergreifenden Strategie „Soziale Stadt – Drucksache 19/20768 Nachbarschaften stärken, Miteinander im Quar- tier“ – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Interparlamentarischen Konferenz Drucksachen 19/27328, 19/28005 Nr. 3 über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung – Unterrichtung durch die Bundesregierung und Steuerung in der Europäischen Union Zwischenbilanz zur Umsetzung der Maßnahmen Sechzehnte Tagung der Konferenz im Rahmen der der Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse Europäischen Parlamentarischen Woche am in der 19. Legislaturperiode 22. Februar 2021 Drucksachen 19/29580, 19/29997 Nr. 1.6 Drucksachen 19/29811, 19/30657 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung Bundestages in der Interparlamentarischen Konferenz 2020 über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der Europäischen Union Drucksache 19/28900 Fünfzehnte Tagung der Konferenz am 12. Oktober – Unterrichtung durch die Bundesregierung 2020 in Berlin Baukulturbericht 2020/21 der Bundesstiftung Drucksachen 19/26139, 19/26652 Nr. 6 Baukultur und Stellungnahme der Bundesregie- rung Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/20770 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Kultur und Medien Nationaler Radverkehrsplan 3.0 (B) – Unterrichtung durch die Beauftragte der Bundesregie- (D) Drucksachen 19/29250, 19/29997 Nr. 1.3 rung für Kultur und Medien Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Bericht zum Umfang des Verwaltungsaufwandes Sicherheit von Bund und Ländern – Zwei Jahre Kulturgut- schutzgesetz – Unterrichtung durch das Nationale Begleitgremium Drucksachen 19/7145, 19/7503 Nr. 1.5 Ein neuer Weg hat sich bewährt – Unterrichtung durch die Bundesregierung Unsere Begleitung des Standortauswahlverfah- rens – Rückblick und Ausblick Bericht der Bundesregierung über die Maßnah- men zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 Drucksachen 19/15850, 19/16194 Nr. 4 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2015 und 2016 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung Drucksachen 18/12871, 19/1709 Nr. 58 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung 17. Bericht des Ausschusses für die Hochschulsta- tistik für den Zeitraum 1. Juni 2016 bis 31. Mai Bericht der Bundesregierung über die Maßnah- 2020 men zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren Drucksachen 19/26520, 19/27035 Nr. 1.4 2017 und 2018 – Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Drucksache 19/10836 Bundestages – Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Beschluss der Deutsch-Französischen Parlamenta- Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali- rischen Versammlung vom 22. Januar 2021 zu gen Deutschen Demokratischen Republik einer europäischen Innovationsunion 13. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Drucksachen 19/29171, 19/29997 Nr. 1.2 die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der – Unterrichtung durch die Bundesregierung ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs für die Jahre 2015 und 2016 2021 Drucksache 18/11400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 25. Juni 2021 30991

(A) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/30018 Nr. A.10 (C) Ratsdokument 8024/21 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/28058 Nr. A.15 Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 6532/21 Drucksache 19/28621 Nr. A.6 Ausschuss für Inneres und Heimat Ratsdokument 6974/21 Drucksache 19/23855 Nr. A.1 Drucksache 19/28621 Nr. A.7 Ratsdokument 11186/20 Ratsdokument 6977/21 Drucksache 19/24546 Nr. A.1 Drucksache 19/28980 Nr. A.4 Ratsdokument 11202/20 Ratsdokument 7186/21 Drucksache 19/24546 Nr. A.3 Drucksache 19/30018 Nr. A.11 Ratsdokument 11207/20 Ratsdokument 8031/21 Drucksache 19/24546 Nr. A.4 Drucksache 19/30675 Nr. A.10 Ratsdokument 11213/20 ERH 7/2021 Drucksache 19/25471 Nr. A.1 Drucksache 19/30675 Nr. A.11 Ratsdokument 13366/20 Ratsdokument 8095/21 Drucksache 19/27086 Nr. A.5 Drucksache 19/30675 Nr. A.13 EP P9_TA-PROV(2020)0361 Ratsdokument 8334/21 Drucksache 19/27086 Nr. A.6 Drucksache 19/30675 Nr. A.14 EP P9_TA-PROV(2020)0370 Ratsdokument 8553/21 Drucksache 19/27086 Nr. A.10 Ratsdokument 5399/21 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksache 19/28058 Nr. A.8 Drucksache 19/27086 Nr. A.33 Ratsdokument 6088/21 Ratsdokument 5160/21 Drucksache 19/30018 Nr. A.4 Drucksache 19/28058 Nr. A.21 Ratsdokument 8085/21 Ratsdokument 6521/21 Drucksache 19/30675 Nr. A.6 Ratsdokument 8153/21 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 19/28621 Nr. A.21 Haushaltsausschuss Ratsdokument 6439/21 Drucksache 19/14502 Nr. A.4 Drucksache 19/28621 Nr. A.22 EUFIN 610/2019 Ratsdokument 6446/21 Drucksache 19/29483 Nr. A.6 Ratsdokument 7304/21 Drucksache 19/29483 Nr. A.7 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ratsdokument 7305/21 Drucksache 19/29483 Nr. A.17 Drucksache 19/29483 Nr. A.8 Ratsdokument 7268/21 Ratsdokument 7381/21 Drucksache 19/30018 Nr. A.14 Drucksache 19/29483 Nr. A.9 EP P9_TA-PROV(2021)0103 Ratsdokument 7387/21 Drucksache 19/30018 Nr. A.17 Drucksache 19/29483 Nr. A.10 EP P9_TA-PROV(2021)0114 Ratsdokument 7479/21 Drucksache 19/29483 Nr. A.11 Ausschuss Digitale Agenda Ratsdokument 7480/21 Drucksache 19/18343 Nr. A.12 Drucksache 19/29483 Nr. A.12 Ratsdokument 6250/20 Ratsdokument 7481/21 Drucksache 19/29483 Nr. A.13 (B) Ratsdokument 7482/21 Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (D) Drucksache 19/30018 Nr. A.9 Drucksache 19/28621 Nr. A.23 Ratsdokument 7862/21 EP P9_TA-PROV(2021)0074 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333