Kultur

Anders ginge es auch gar nicht, denn Hot und Produzent so begehrt ist. POP Chip zwingen Fans und Kritiker zurück zum Sie bietet 13 raffiniert ausgeführte Pop- genauen Zuhören – das Londoner Quintett Melodien, von denen einige in den kom- Prototypen einer ist sonst kaum einzuordnen, es passt zu kei- menden Monaten auf den Tanzflächen die- ner Szene und keinem Trend. Auffällig ist ser Welt zu hören sein werden, die aber nur, wie unaufdringlich, abgesehen von der ebenso in Wohnzimmern fabelhaft wirken. neuen Ära Musik, alles an dieser Band scheint: fünf Sehr eingängig kombinieren Taylor und mittelalte, mittelgroße und mittelattraktive seine Kollegen elektronische Klänge, die Der Erfolg der britischen Band Hot Knaben mit ungefähr so viel Glamour wie an Giorgio Moroder und die Pet Shop Boys die Heilsarmee. Taylor, der gern grellbunte erinnern, mit klassischem britischem Pop, Chip deutet an, dass es nach den Pullunder und merkwürdige Brillengestelle wie ihn einst die Kinks oder die Beatles Skandalen um Amy Winehouse und mit großen Gläsern trägt, sagt: „Vor Mode perfektionierten, sowie der Versponnen- Pete Doherty in Zukunft wieder ergreife ich immer die Flucht!“ heit der besten Beach-Boys-Werke. stärker um Musik gehen könnte. Wie ist also die Musik? „Ready for the Modern an Hot-Chip-Songs ist die eklek- Floor“, der potentielle Hit, den Kylie Mi- tische Liste ihrer zahlreichen Vorbilder. enn Größen wie Madonna oder nogue nicht bekam, gibt als erste Single ei- Taylor schwärmt von so unterschiedlichen ein neues Werk nen Vorgeschmack auf das für Anfang Fe- Künstlern wie Sun Ra, Terry Riley, Arthur Wvorbereiten, gehen sie gern vor- bruar angekündigte neue Hot-Chip-Album Russell, Rodney Jerkins, Franco Battiato ab auf die Jagd nach frischen Kräften, die „“. Es ist eine Platte ge- und Willie Nelson, denn das Internet habe ihnen auf die Sprünge helfen sollen. So worden, übervoll an Ideen und Melodien, seinen Umgang mit Kunst radikal verän- bat Minogue für ihr aktuelles Album die verständlich macht, warum Taylor als dert: „Ich lese viele Blogs, und jede Musik, auch , Sänger und die da besprochen wird, kann ich Co-Autor der Band , um mir sofort anhören. Selbst ob- Beistand. Der aber verwies auf skurste Klänge sind nur ein paar seinen vollen Terminkalender und Mausklicks entfernt.“ lehnte bedauernd ab. Dass er Musiker werden wollte, Natürlich ist so eine Absage an war für den in London aufge- einen Superstar für einen Künst- wachsenen Jungen früh klar. Mit ler, von dem die meisten Men- sieben bekam er Klavierunterricht, schen noch nie gehört haben, andere Instrumente wie Gitarre auch immer ein kleiner PR-Coup, lernte er beim endlosen Nachlei- was Taylor indes von sich weist: ern von Stevie-Wonder-Platten. „‚Ready for the Floor‘ hätte sicher Ein Literaturstudium absolvierte toll zu Kylie gepasst, aber gute er eher aus Verlegenheit, 1996 Lieder nutze ich dann, bei allem startete er mit seinem Schulfreund Respekt, doch lieber selbst“, sagt Hot Chip. der 27-jährige Londoner. Taylors Ego ist ausgeprägt, nur Nach einem Pop-Jahr 2007, in seine hohe Stimme machte ihm dem sich das Geschäft weniger um zeitweilig Sorgen. „Ich singe wie Musik zu drehen schien als um kol- eine Frau, früher habe ich mich labierende Märkte und die priva- dafür geschämt, heute nehme ich ten Probleme von Pete Doherty bis es als Charaktermerkmal.“ Ähn- Amy Winehouse, stehen die we- lich selbstbewusst packt er den lu- nig glamourösen Sonderlinge von krativen Nebenjob des Remixers Hot Chip möglicherweise für den an, also das Handwerk, anderer Beginn einer neuen Ära. Die un- Leute Lieder im Studio aufzumö- gemeine Wertschätzung von Hot beln. Spaß mache es, sagt Taylor, Chip – die Fachzeitschrift „Spex“ für solche Legenden wie Kraft- pries die Briten bereits in einer werk zu arbeiten, die für zwei Titelgeschichte als „Band völlig Songs ihres Albums „Tour de neuen Typs“ – ist ein erster Hin- France Soundtracks“ einen Hot- weis darauf, dass das neue Pop- / GETTY IMAGES ROGER KISBY FOTOS: Chip-Mix bestellten. Jahr eine Rückbesinnung auf die Von Amy Winehouse, deren Musik bringen könnte, hinter der Hit „Rehab“ auch von Hot Chip die Frage, wer in welcher Nacht frisiert wurde, hätte Taylor per- mit welchem Model welche Dro- sönlich gern die Finger gelassen: gen nahm, zurückzustehen hat. „Ich kann ihre Musik einfach Und tatsächlich: Als Prototy- nicht ausstehen, den Auftrag hat pen der neuen unauffälligen Pop- mein Partner Joe heimlich ange- Musiker machen die fünf studier- nommen und ausgeführt!“ ten Engländer von Hot Chip den Und Kylie Minogue? Sie hat Eindruck, als würden sie schon Taylors Absage mit Würde ge- nervös werden, wenn sie nur tragen und, anstatt sich alt und falsch parken, und kündigen im abgemeldet zu fühlen, ein Lied Interview an, lediglich über ihre – für Taylor geschrieben. „Ein wil- zugegeben – exzellenten Lieder des, faszinierendes Stück Pop- reden zu wollen. musik“, sagt der. Vielleicht findet es ja Platz auf dem nächsten Hot- * In New York, 2006. Hot-Chip-Konzert, Fans*: Zum genauen Zuhören gezwungen Chip-Album. Christoph Dallach

136 der spiegel 3/2008