Deutscher Olympia-Achter STEFAN MATZKE / SAMPICS MATZKE STEFAN

RUDERN Die Droge Aufmerksamkeit Vor den letzten Sommerspielen scheiterte der erfolgsverwöhnte Deutschland-Achter schon in der Qualifikation. Trainer Ralf Holtmeyer wurde degradiert, zu den Frauen. In Athen kämpfen er und seine Damen um Gold – ihre Motive sind sehr verschieden. Von Dirk Kurbjuweit

Der Wind zerrt am neuen Wind lässt die Fahnen knistern wie Lager- Hut von Ralf Holtmeyer, als feuer. Die späte Sonne legt ein goldenes wollte er ihn auf das olym- Band quer über die Regattastrecke von pische Wasser wehen zu den Schinias. Als die deutschen Achter das Frauen, die gerade mit lan- Band kreuzen, werden sie von goldenem gen Schlägen vorüberru- Wasser umfunkelt und sehen für einen dern. Aber Holtmeyer hält Moment aus wie die Sieger. Holtmeyer seinen Hut fest und schaut schweigt. Seine Frauen warten manchmal zu dem Boot, das seinen eigenen Kampf drei Tage auf eine Antwort. kämpft gegen den Wind, der das Wasser Vor den Olympischen Spielen in Sydney

aufkräuselt, als wollte er den Achter spöt- war Holtmeyer 14 Jahre lang Trainer des / SAMPICS MATZKE STEFAN tisch zu einem Tänzchen einladen. Dabei deutschen Männer-Achters. Seine Boote Frauen-Trainer Holtmeyer braucht ein Ruderboot nichts mehr als holten Gold, Silber und Bronze bei Olym- Ein großer Wortverweigerungskünstler Gleichmaß. Der Wind ist ein Gegner, pia, sie wurden fünfmal Weltmeister. Aber womöglich der gefährlichste beim Kampf der Achter von 2000 konnte sich nicht für wonnen. Aber Britta Holthaus muss im- um Gold. Noch elf Tage bis zum Finale. Sydney qualifizieren. Holtmeyer wurde die mer das Gefühl haben, zweite Liga zu sein. Nach den Frauen ziehen die Männer an Verantwortung für die Männer wegge- Erste Liga sind die Männer. Holtmeyer vorbei, ein längerer Schlag, nommen. Man gab ihm die Frauen. Holtmeyers Schicksal sagt alles über den mehr Wucht. Er guckt sich auch diesen Er wurde degradiert. Von den Männern Stellenwert von Frauen- und Männersport. Achter genau an, sein Gesicht ist reglos, die zu den Frauen zu wechseln ist eine Degra- Es gibt nur einen Ort der Gleichheit, und Augen liegen hinter dunklen Gläsern, die dierung im Sport. „Das sagt schon alles“, das ist der Medaillenspiegel bei Olympia. rechte Hand hält den Hut an der Krempe. sagt Britta Holthaus. Sie lacht, ein kleines, Dort zählt das Geschlecht nicht, dort gel- Denkt er jetzt an Sydney 2000? bitteres Lachen. ten Fußballspielerinnen so viel wie Rad- Er sagt nichts, er guckt aufs Wasser. Er Sie sitzt auf Position zwei im deutschen fahrer, und weil der Medaillenspiegel wich- kann sehr schweigsam sein, er ist ein Achter. Sie studiert Jura, sie ist Weltmeis- tig ist für die Nationen, sind die Frauen großer Wortverweigerungskünstler. Der terin, der Achter hat 2003 in Mailand ge- plötzlich wichtig, auch die Frauen, die

142 der spiegel 34/2004 Sport nicht durch Schönheit oder Anmut Her- Ihr Platz ist im Bug, sie muss das Boot, Es gibt keinen Achter an diesem Abend, zen gewinnen. das bei ihr am stärksten wippt, stabilisie- sondern Zweier, Dreier und Einer, deren Auch deshalb haben sich Britta Holthaus ren, „stellen“, sagt man. Sie sitzt gern im Bahnen sich kreuzen. Holtmeyer trinkt still und die anderen über Jahre gequält. End- Rücken der anderen, „da habe ich meine seinen Rotwein dazu. lich gibt es eine große Bühne für sie, end- Ruhe“. Sie zwirbelt eine Locke zwischen Der nächste Abend, ein anderes Res- lich winkt Aufmerksamkeit, für Frauen im- zwei Fingern. Sie wirkt schläfrig, ihre Sät- taurant, Holtmeyer ohne die Frauen. Die mer ein heikles Thema. Eine Rolle finden, ze klingen oft maulig, irgendwie gibt’s ’ne Wände sind blau, die Tischdecken hellblau, eine Rolle spielen und dabei wahrgenom- Menge Nervkram. Am liebsten wäre ihr im Fernsehen läuft ein Film mit Sylvester men werden ist schwerer für sie als für die ein kleines Rebellenboot, ohne Deutschen Stallone. Nein, man werde den Ton nicht Männer. Sie müssen mehr kämpfen, außer Ruderverband und den ganzen Stress. leiser stellen, sagt die Kellnerin. wenn es um Schönheit geht. Allerdings Zwischen Lenka Wech und Holtmeyer ist ein Mann mit einem wei- geht es immer irgendwie um Schönheit, liegen zwölf Meter. Dazwischen sitzen sechs chen Gesicht. Er spricht leise, gegen Stal- auch für die Frauen des Achters. weitere Frauen, Silke Günther, Susanne lone hört man ihn kaum. Die Frauen mö- Sie führen diesen Kampf mit einem Trai- Schmidt, , Britta Holt- gen, dass er sich einfühlen kann, dass er sie ner, der selbst um Aufmerksamkeit ringt. haus, Dana und Anja Pyritz, die Zwil- lange im Boot beobachtet und dann mit Es ist seltsam für sie mit diesem Mann, der linge. Dazu kommt Steuerfrau Annina wenigen treffenden Worten korrigiert. Er so viel schweigt. Er ist ein Geheimnis für Ruppel. ist nicht autoritär. Er lässt leben, Stallone die Frauen. Sie stellen sich manchmal vor, wie er zwischen den Trainingseinheiten im Hotel auf seinem Bett liegt und grübelt. Denkt er an sie oder an die Männer? Nach dem Triumph von Mailand hat Holtmeyer gesagt: „Totgesagte leben län- ger.“ Da wussten sie, dass es immer noch an ihm nagt, dass sie auch Teil seines per- sönlichen Dramas sind, dass Athen für ihn auch eine Bewältigung von Sydney sein soll: mit den Frauen zeigen, dass er die Männer verdient hat. Sie leiden. Ein Kraftraum in Sabaudia nahe Rom, das zweite Trainingslager des Jahres, es ist März. Es ist die Stunde des Schmerzes, eine von so vielen. Sie machen Kniebeugen mit einer schweren Hantel im Kreuz, sie machen Schmetterlinge, Adler- schwingen, Bankdrücken. Sie keuchen und stöhnen, blasen ihre Backen dick, prusten verbrauchte Luft heraus wie Feuerschlu- STEFAN MATZKE / SAMPICS MATZKE STEFAN cker Flammen. Ihre Blicke gehen nach in- FÜR 08/04 MAX DIETER EIKELPOTH nen. Sie sind allein, Schmerz kann man Ruderin Wech als Fotomodell, im Kraftraum: Den Mannschaftsgeist auf die Probe gestellt nicht teilen. Metall knallt auf Holz, knallt auf Metall. Es sind die Geräusche eines Im Moment sitzen diese neun im deut- killt gerade. Nimmt man den klassischen Krieges. Zu besiegen ist der eigene Körper, schen Boot. Aber sie können sich nicht si- Mann und die klassische Frau, steht Holt- der innere Schweinehund. cher sein. Ralf Holtmeyer hat einen Kader meyer fast in der Mitte. Zwei Stunden später im Hotel, ein Sofa von gut einem Dutzend Athletinnen. Er Frauen seien eigensinniger, sagt er, in- in der Lobby: Lenka Wech kommt, stolzer braucht acht Frauen, acht Achtel, die ein dividueller. Andererseits würden sie im- Schritt, 1,86 Meter groß, 76 Kilo schwer. Sie perfektes Ganzes ergeben. Sie müssen mer gucken, was die anderen machen und wirkt schmal und ist blond. Sie setzt sich, Kraft haben und Ausdauer, sie müssen ihre das harsch bewerten: „Isst die etwa jetzt zieht ihre Jacke aus, zeigt ein ärmelloses Kraft gut ins Wasser bringen können, und schon ein Brötchen, obwohl noch gar nicht T-Shirt, bauchfrei. Sie legt einen Arm auf sie müssen zu den anderen passen. Diese Essenszeit ist?“ Es ist immer schwierig mit die Lehne des Sofas. Sie hat noch nichts Acht muss Holtmeyer finden und aufein- dem Vergleich zwischen Frauen und Män- gesagt, aber man weiß schon eine Menge ander einstellen, das ist sein Job. nern, man landet schnell im Klischee. „Bei über sie. Er hat Geburtstag in Sabaudia, wird 48. Frauen geht es viel mehr um Gefühle“, Was ist ihre Aufgabe im Boot? „Ich bin Er lädt sein Team ins „La Caravelle“ ein. sagt Holtmeyer. „Wenn geweint wird, darf Schlagfrau, aber ich gebe nicht nur den Alle essen Pizza und trinken Wein, und man das nicht überbewerten.“ Takt vor. Die Aufmerksamkeit ist sehr auf irgendwie kommen sie schnell auf Nackt- Stallone hat ein paar Dutzend Leute um- mich gerichtet.“ fotos. Britta sagt giftig, dass Lenka das be- gelegt, niemand weint, die Welt ist gerettet. Sie hat Medizin studiert, und jetzt stu- stimmt machen würde, und Lenka kneift „Gold wäre schon schön“, sagt Holtmeyer. diert sie Zahnmedizin. Gleichzeitig kann sich die Schere einer Languste in die Nase Anfang Mai fährt der Frauen-Achter sei- sie noch Weltklasse im Rudern sein und und dann in die Ohren, weil sie fotogra- ne erste Regatta der Saison beim Weltcup vier Sprachen sprechen und für das Frau- fiert wird dabei. Elke zieht eine Schnute in Pozna´n. Die Deutschen siegen zweimal, enrudern werben. Wie? „Indem ich zum dazu, denn sie findet das peinlich, und aber noch fehlen die starken Konkurrenten Beispiel nicht aussehe wie ein Pferd.“ jetzt wird am einen Ende des Tisches kräf- aus Übersee, USA und Australien. Die Elke Hipler kommt, schlappt mehr her- tig herumgealbert und am anderen ge- „Frankfurter Allgemeine“ würdigt aus- bei, als dass sie geht. Sie ist 1,78 Meter nauso kräftig gelästert über „eine be- führlich den zweiten Platz des Männer- groß, 70 Kilo schwer. Ihr Haar ist rot ge- stimmte Frau, die sich immer in den Vor- Achters, erwähnt die Siege der Frauen je- färbt und zu Rastalocken gedreht. Sie setzt dergrund spielen muss“. Dazwischen doch nicht. sich, nimmt die Beine hoch, faltet sie in den sitzen die Geschwister Pyritz und sagen So ist es häufig, die Frauen kennen das. Schneidersitz. Sie studiert Geologie. nichts. Irgendwie dringen sie nicht durch. Als sie

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2002 im Trainingslager in St. Waren es die Belastungen Moritz waren, kam es zufäl- des Leistungssports? War es lig zu einem kleinen Ren- die Einsamkeit danach? Er nen gegen Marcel Hacker, weiß es nicht. Wenn er Len- der Einer fährt. Holtmeyer ka Wech sieht, sieht er hatte die Frauen auf zwei manchmal Bahne Rabe. Sie Vierer verteilt. Bord an haben den gleichen langen Bord jagten die Boote über Schubschlag. den Silvaplaner See. Am Der Mann, der in Seoul Ende war nicht auszuma- hinter Rabe saß, ist Wolfgang chen, wer gewonnen hatte. Maennig, der 2000 Präsident Aber Hacker riss sofort ei- des Deutschen Ruderver- nen Arm hoch und schrie: bandes war und Holtmeyers „Erster, Erster“. Die Frau- Degradierung betrieben hat. en saßen stumm auf ihren Der Gold-Achter von 1988 Rollsitzen. ist das Geisterschiff, das Man kann sich auch nach durch seinen Kopf spukt. vorne schreien, aber alles Am Schlag sitzt ein Toter, da-

Geschrei nützt ja nichts, / DPA ALTWEIN ANDREAS hinter der Mann, der Holt- wenn niemand zuhört. Ende Frauen-Fußballnationalelf*: Es geht immer irgendwie um Schönheit meyer aus der Männerwelt April stellte der Deutsche in die Frauenwelt verbannt Ruderverband (DRV) seine beiden Achter wie Lenka Wech kommt schon mal der Ge- hat. Das im Kopf, guckt er nun immer nach in Dortmund der Presse vor. Natürlich re- danke, dass Männer ungern zusehen, wenn zwei realen Achtern, seinen Frauen natür- dete vor allem Lenka Wech, und sie kann Frauen sich stark und aggressiv zeigen wie lich, aber auch nach den Männern. das ja, aber die großen Zeitungen schrie- im Sport. Es sei denn, die Männer können Die Frauen sehen das. Sie sehen, wie er ben nur über die Männer. Als wären die dabei ein bisschen an Sex denken, weil die hinüberschielt, wenn die Boote im Trai- Frauen gar nicht da gewesen. starken Frauen schön sind. ning nebeneinander fahren. Sie wissen, „Manchmal“, sagt Elke Hipler, „ärgert So hat ihr Sehnen nach Aufmerksam- dass er bei den Rennen der Männer immer es mich sehr, dass die Männer immer die keit fast etwas Melancholisches. Sie wissen mit dem Rad nebenher fährt, so wie er es Tollen sein sollen und wir nur die Frau- schon, dass sie nie ein Deutschland-Achter auch bei ihnen tut. Sie fragen sich, was er en.“ Den Männern gab der DRV die Inter- sein werden. Sie haben ja nicht einmal ei- tun würde, wenn er mit ihnen Gold holte net-Adresse „Deutschlandachter.de“, den nen Trainer, der ihnen, wie sie finden, ge- und dann wieder die Männer übernehmen Frauen „Frauenachter.de“. Die Männer nug Aufmerksamkeit schenkt. „Auf dem sollte, ein Aufstieg zur Belohnung. sind Deutschland, die Frauen sind Frauen. Wasser ist er super“, sagt Britta Holthaus, „Ich wäre sehr verletzt“, sagt Lenka Wenn die Welt so ist, dachten sie, dann „aber an Land ist er schwierig.“ Da sind Wech. wollen wir wenigstens nicht die braven sein Schweigen, seine Abwesenheit in Ge- Mitte Mai startet der Achter bei einer Frauen sein, die sich der DRV wünscht. danken. Er kann auch in einem geschlos- Regatta in Duisburg. Wieder gibt es einen Sie richteten eine Website ein, die sie senen Raum gucken, als stünde er an ei- Sieg, doch noch immer fehlen die Boote „pinkladies.de“ nannten. Pink wegen der nem See mit unendlicher Weite. aus den USA und Australien. Aber die Ge- Farbe ihres Boots. Sie schrieben ein freches Es gibt immer drei Achter für Ralf Holt- danken an eine Medaille werden fester. Tagebuch hinein, und Lenka Wech zeigte meyer. Der eine ist der Männer-Achter, der Das gilt nicht mehr für Dana Pyritz. ein bisschen von ihren Brüsten. Es gab Är- 1988 in Seoul Olympiasieger wurde, Holt- Holtmeyer ersetzt sie durch Maja Tuchol- ger, sie mussten die Website aufgeben. meyers größter Triumph. Aber er ist ver- ke, der er mehr zutraut. Dana habe Pro- Rudern hat bei Männern mehr Tradition, giftet. Der Schlagmann Bahne Rabe hat bleme beim Endzug, sagt er am Telefon. Männer sind schneller, aber ist das die sich 2001 zu Tode gehungert, niemand Der Versuch, über E-Mail mit ihr in Kon- ganze Erklärung? Einer intelligenten Frau weiß, warum. Holtmeyer denkt oft daran. takt zu kommen, bleibt ohne Antwort. Man kann sich vorstellen, dass sie sich fühlt wie aus der Welt herausgefallen. Sport ist Entbehrung mit dem Ziel, erlöst zu werden. Die Erlösung ist der Erfolg, am besten auf einer großen Bühne wie Olym- pia. Gold ist die Sonne, die den Athleten scheint. Für Dana Pyritz ist sie erloschen. Aber Gold ist nur ein Ziel, und dahinter steckt meist noch ein Traum. Lenka Wech will die Aufmerksamkeit der ganzen Welt. Britta Holthaus will sich etwas beweisen, aber „auch meiner Mama“. Ihre Eltern sind Akademiker, ihre Mutter findet nicht, dass die schlaue Tochter in stumpfsinniger Gleichförmigkeit an einem Riemen zie- hen sollte, zumal sie nach einem Rennen immer „so schrecklich bleich“ aussehe. Britta Holthaus würde ihr so gern eine Goldmedaille vorlegen, damit die Mama mal „schnallt“, was ihre Tochter Großes

DPA * Spielführerin Birgit Prinz am vergangenen Mittwoch Deutscher Gold-Achter in Seoul 1988: Das Geisterschiff, das durch seinen Kopf spukt beim ersten Vorrundenspiel gegen China (8:0) in Patras.

144 der spiegel 34/2004 Sport SANDRA BEHNE / BONGARTS SANDRA Deutscher Frauen-Achter*: Es gibt nur einen Ort der Gleichheit, und das ist der Medaillenspiegel bei Olympia schafft. Holtmeyer hat noch Sydney aus- steht er plötzlich da, ein Mann in Schwarz, Es gibt Ärger, Tränen, Zickereien. Aber zubügeln. schwarze Kappe, schwarze Kleidung. Er der Achter bricht nicht auseinander. Um Ende Mai ist Weltcup in München. Holt- kommt nicht auf den Steg herunter, steht eine gute Mannschaft zu sein, muss man meyers Gesicht ist eine Wand, erstarrt, un- dort oben. Dann sehen sie, dass er lächelt. sich nicht gut verstehen. Man muss sich durchdringlich. Er schafft es kaum, guten Es war okay, der Abstand war viel kleiner vor allem gut verzeihen können. Die acht Tag zu sagen. Im Vorlauf lagen die Deut- als beim Vorlauf, sie haben sich gesteigert, großen Frauen, die kleine Frau und ihr schen fünf Sekunden hinten den Ameri- der Trainer ist zufrieden. Trainer können das. kanerinnen und drei Sekunden hinter den Nachdem der Achter verladen ist, sitzt Der letzte Test bei der Regatta in Luzern Chinesinnen. Niemand hatte China auf sei- Holtmeyer im Verpflegungszelt, nebenan fällt aus. Lenka Wech und Maja Tucholke nem Zettel, und fünf Sekunden, das ist im feiern die Amerikanerinnen mit Bier und sind krank. Die USA gewinnen, Australien Rudern ungefähr von hier bis zum Mond. Sekt. Er guckt ihnen zu, er sagt: „In einem macht keinen besonders guten Eindruck. Finale. Die Deutschen liegen zunächst Sieg steckt der Keim für die nächste Nie- Kurz vor dem Abflug nach Athen wird gut. Aber im Ziel sind sie wieder nur Drit- derlage.“ Sollen sie feiern, bis sie umfallen. der Mannschaftsgeist noch einmal auf die te, hinter den USA und China, wenn auch Wenn Holtmeyer gute Laune hat, kann Probe gestellt. Die Zeitschrift „Max“ zeigt mit kleinerem Abstand. er sehr gewinnend sein, ein milder Mensch, ein Nacktfoto von Lenka Wech. Sie hat Sie kommen an den Steg, sie steigen aus. der viel liest. Nach einer halben Stunde, als sich ausgezogen für die Öffentlichkeit. Es Wo ist Holtmeyer? Sie gucken, sie sehen Holtmeyer über Bin Laden redet, brechen ist das stärkste Mittel, das eine gut ausse- ihn nicht. Nebenan jubeln die Chinesin- die Amerikanerinnen ihre Feier ab. „Im hende Frau hat, wenn sie Aufmerksamkeit nen, die Deutschen sind stumm. Als sie bei Moment geht die Hoffnung ein bisschen will und nicht die Geschichte einer Fran- der WM 2002 in Sevilla Bronze holten, war runter“, sagt Holtmeyer. ziska van Almsick zu bieten hat. Holtmeyer nicht am Steg aufgetaucht, weil Es folgen wieder Trainingslager, Saar- Es ist ein fast züchtiges Foto. Sie ist nackt, er mehr erwartet hatte. „Hat der sie noch brücken, St. Moritz, Breisach, Seen und aber sie verbirgt auch viel. Man sieht, dass alle?“, dachte Britta Holthaus. Flüsse, Krafträume, Hotelzimmer. Alle sie einen schönen Körper hat, das ist alles. Wo ist er jetzt? Das Rennen der Männer werden jetzt launisch. Sie sind seit Mona- Es geht viel um Schönheit in einem Frau- ist gelaufen. Er müsste jetzt hier sein. Dann ten zusammen, sie sind oft erschöpft. Das enboot. Holtmeyer merkt es vor allem dar- Zwitschern aus dem Walkman der Zim- an, dass „zu wenig gegessen wird“. Die * Hinten: , Maja Tucholke, Anja Pyritz, mernachbarin wird zum Terror, Lenka Männer hauen immer großartig rein und Nicole Zimmermann, Elke Hipler; vorn: Steuerfrau An- Wech nervt tödlich, wenn sie mal wieder geben ihrem Körper alles, was er braucht. nina Ruppel, Britta Holthaus, Silke Günther, Lenka Wech nach dem Gewinn der Bronzemedaille beim Weltcup am eine Show abzieht, Anja Pyritz vermisst Bei Holtmeyers Geburtstag hat keine der 29. Mai in München. ihre Schwester wie die Wüste das Wasser. großen Frauen ihre Pizza aufgegessen.

146 der spiegel 34/2004 Die Frage „Bin ich schön?“ werden sie aller Lästerei, immer auch mit heimlichem nicht los. Sie ist zum Teil Reflex auf die Fra- Stolz betrachtet. Da ist eine, die sich etwas ge „Bist du schön?“, und sie wird im Frau- traut und in deren Licht alle ein bisschen ensport immer häufiger gestellt, wenn die mitglänzen können. Medien ihre Aufmerksamkeit verteilen. Ohnehin ist da etwas, das sie immer wie- Der Achter ist daher auch ein bisschen der zusammenführt, eine wundervolle Er- mucksch, wenn Holtmeyer viel Krafttrai- fahrung, die sie nur miteinander teilen kön- ning machen lässt. Sie wollen diese dicken nen. Das sind die Stunden, wenn ihr Ach- Muskeln nicht. Sie wollen schön sein und ter gut läuft. Das ist oft am frühen Morgen, schnell, das ist der Widerspruch, an dem wenn das Wasser glasig ist und die Luft sich die meisten abarbeiten. Manchmal wie Samt. Sie fahren sich langsam ein, bis jammert Britta Holthaus, dass sie lieber Annina Ruppel das Kommando gibt, dünnere Beine hätte. Dann sagt ihr Anni- Dampf zu machen. na Ruppel, dass sie mit dünneren Beinen Sie fliegen. Lenka achtet einmal nicht nicht in diesem Boot säße. Das ist ein Trost, darauf, ob sie gerade eine gute Figur aber er hält nur bis zum nächsten Spiegel. macht, sondern schnauft mit dem Ingrimm Ihre Gemeinschaft funktioniert auch we- eines Bären, Nicole zieht mit einer Ele- gen der stillen Übereinkunft, dass alle mehr ganz, als schritte sie über einen Laufsteg, oder weniger die gleichen Sorgen wegen Anja ist ganz bei sich, Britta ist völlig egal, ihres Körpers haben. Dass Lenka Wech wie blass sie jetzt aussieht, und Elke fühlt ihren Körper öffentlich herzeigt mit dem sich perfekt in Lenkas Rhythmus hinein, Gestus, seht mal her, wie toll ich aussehe, und sie alle zusammen stellen das Boot so, bricht diese Übereinkunft. Auf die Frage, dass es mit der Ruhe eines Kormorans über wie der Achter auf das Foto reagiert habe, den See schwebt. Zusammen finden die sagt Lenka Wech: „Wie das in einem Wei- acht Frauen zu bestrickender Schönheit. ber-Team so ist. Da ist auch immer Neid im Sie sind am Ende des Sees angekom- Spiel.“ Holtmeyer merkt, wie gehetzt wird. men, stoppen, fallen in sich zusammen. Sie Er geht zu seiner Schlagfrau und sagt ihr, keuchen, und Holtmeyer in seinem Mo- dass ihm das Foto „ganz gut“ gefallen habe. torboot unter seiner speckigen Mütze sagt Für ihn ist nie etwas besser als „ganz gut“. nichts. Es ist das große Holtmeyersche Lenka Wech schafft es mit ihrer Nackt- Schweigen, es kann einen See erstarren heit auf die Titelseite der „Bild“-Zeitung. lassen. Die Frauen schielen herüber, sie wollen etwas hören. Aber sie hören nichts. „Sprachlos glücklich, oder was?“, schnaubt schließlich Lenka Wech. „Boot stellen ist besser ge- worden“, sagt Holtmeyer. „Wir fahren noch eine Runde.“ Sie dre- hen, und alles beginnt von vorn. Und dann, nach einem halben Dutzend Trainingslagern, sind sie in Schinias, und der Wind bläst aus vollen Backen vom Meer her- ein, und wenn sie eine Bahn krie- gen, wo er sie ungünstig erwischt, dann war alles umsonst. Dann wird ihnen bei über 30 Grad im Schatten keine Sonne scheinen.

JOHANNES EISELE / DDP JOHANNES EISELE Am Abend sitzt Holtmeyer am Sportstar van Almsick: Eine Rolle finden Strand, trinkt Orangensaft und hat gute Laune. Nach dem Sieg in Mai- Das ist so ziemlich die höchste Aufmerk- land 2003 hat er gesagt: „Mein Traum ist es, samkeit, die ein Sportler bekommen kann. als erster Trainer überhaupt mit beiden Aber sie ist unglücklich darüber. Sie woll- Achtern Olympiasieger zu werden.“ Ist es te sich im Hochglanzmagazin „Max“ se- das, was er von seinen fast vier Jahren mit hen, nicht in „Bild“. Doch die Aufmerk- den Frauen mitnehmen will? Einmaligkeit? samkeitsmaschine ist gefräßig. Wer hin- Er lacht, reibt sich die Knie. „Es gibt ei- eingerät, verliert ein Stück Kontrolle über nen, der es hier auch schaffen kann“, sagt sich. Nackt in der Medienwelt ist nackt für er, „Dieter Grahn.“ Er ist der Trainer des alle, auch für die Bauarbeiter, die morgens Männer-Achters, nicht gerade ein Freund „Bild“ lesen und denen die Ärztin und an- von Holtmeyer. Grahn war 1980 Trainer gehende Zahnärztin Lenka Wech nicht un- des Frauen-Achters der DDR, der in Mos- bedingt ihre Brüste zeigen wollte. Nun ver- kau Olympiasieger wurde. „Die Männer sucht sie die weitere Verbreitung des Bildes starten 20 Minuten nach den Frauen“, sagt über einen Anwalt zu kontrollieren. Holtmeyer. Er schweigt und tunkt seinen Die Mannschaft verkraftet auch das Blick ins Meer. „Wenn beide Boote gewin- Nacktfoto. Lenka verzeiht ihren Mädels, nen“, sagt er, „wäre ich einmalig für 20 Mi- und die haben Lenkas Showgehabe, bei nuten.“ ™

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