Österreichische Schule 1 Österreichische Schule
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Österreichische Schule 1 Österreichische Schule Als Österreichische Schule, Wiener Schule, Österreichische Grenznutzenschule[1] oder (selten) psychologische Schule wird eine Gruppe von Theoretikern bezeichnet, die eine bestimmte Lehrmeinung in der Volkswirtschaftslehre vertreten. Zentral ist die Idee der evolutorischen Schöpfung von Wissen durch den Unternehmer und die Betrachtung der dynamischen Unsicherheit wirtschaftlicher Abläufe. Die Schule betont die Bedeutung der einzelnen Menschen und deren individuellen Vorlieben für die wirtschaftlichen Prozesse (Subjektivismus, Methodologischer Individualismus). Hinzu kommt eine Abneigung gegenüber der mathematischen Darstellungsform von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Diesem Ansatz gegenüber stehen die etwa gleichzeitig entstandenen Lausanner Schule und Cambridger Schule mit ihren mathematisch formulierten Gleichgewichtsmodellen (Neoklassische Theorie). Als Gründer der Österreichischen Schule wird gemeinhin Carl Menger angesehen, der mit der Grenznutzenlehre zur marginalistischen Revolution beitrug: Er vertrat die Auffassung, dass das klassische Wertparadoxon, also die Frage nach dem Verhältnis von Wert und Nutzen dadurch gelöst werden kann, dass der Wert eines Gutes durch den Beitrag einer weiteren Einheit eines Gutes zur Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses bestimmt wird. Bekannt wurde dieser Ansatz im Methodenstreit der Nationalökonomie mit der Historischen Schule, in dem Menger die These vertrat, dass die Wirtschaftstheorie gegenüber der Wirtschaftsgeschichte unabhängig sei. Eugen von Böhm-Bawerk ergänzte Mengers Lehre um eine subjektivistische Kapitaltheorie, wonach der Kapitalzins in einem Marktprozess zwischen Individuen mit unterschiedlichen Zeitpräferenzen entsteht. Der Eigentümer von Kapital verzichte auf Konsum in der Gegenwart, um als Gegenleistung für seinen Verzicht den Zins zu erhalten. Ludwig von Mises baute auf dieser Basis eine Geld- und Konjunkturtheorie auf. Er erklärte Konjunkturzyklen mit der Verzerrung des Produktionsprozesses durch die Geldschöpfung der Zentralbanken, die durch zu niedrige Zinsen überhöhte Investitionen anregen. Friedrich von Hayek präzisierte diese Theorie und stellte sich damit in scharfen Gegensatz zur Theorie John Maynard Keynes’. Von Hayek erhielt für sein Werk „Preise und Produktion“ den Wirtschaftsnobelpreis 1974, in welchem er die Kapitaltheorie von Böhm-Bawerk übernahm, der zu diesem Zeitpunkt schon verstorben war. Hayeks Nobelpreisgewinn und Israel Kirzners Arbeiten zum Konzept des Unternehmers führten ab 1974 zum sogenannten Austrian revival in den USA. Kirzner argumentiert, dass Marktgleichgewichte in der Realität die Ausnahme seien, da keine vollständige Information bestehe. Die Aufgabe des Unternehmers besteht nach Kirzner gerade darin, durch seine „Findigkeit“ (engl. „alertness“) Wissen zu schaffen und Gewinnmöglichkeiten aufzuspüren, also Informationsvorteile zu nutzen. Die auch auf Murray Rothbard zurückgehenden Austrian Economics oder Neo-Austrians bezeichnen zum einen eine Fortführung jener spezifischen subjektivistischen wirtschaftswissenschaftlichen Lehre in den USA, zum anderen die naturrechtlich legitimierte politische, libertäre Ideologie Rothbards. Die Zuordnung dieser Ideologie zur Österreichischen Schule ist umstritten. Begriffsinhalt Mit Österreichischer Schule beziehungsweise Austrian School werden zum Teil sehr unterschiedliche Positionen bezeichnet. Israel Kirzner, ein Schüler Ludwig von Mises’, unterscheidet fünf verschiedene Auffassungen über den Begriffsinhalt:[2] 1. Die vor allem in Deutschland und Österreich verbreitete Sicht der Österreichischen Schule als eine rein historische Epoche der Wirtschaftswissenschaft, deren Lehren (vor allem die Lehre vom Grenznutzen und von einer von der Wirtschaftsgeschichte unabhängigen Wirtschaftstheorie) spätestens ab 1930 von fast allen anderen Schulen anerkannt wurden. 2. Das wiederholte Interesse an der Kapitaltheorie Böhm-Bawerks, jedoch ohne die streng subjektivistische Theorie Mengers. In diesem Sinne wird der Begriff vor allem bei John Richard Hicks (Capital and Time: A Neo-Austrian Theory (1973)), Peter Bernholz und Malte Michael Faber (Introduction to Modern Austrian Capital Theory Österreichische Schule 2 (1979)) verwandt. 3. Mit austrian wird seit Anfang der 1980er Jahre in den USA eine generell libertäre politische Philosophie der Befürwortung freier Märkte bezeichnet. Dies geht insbesondere auf Murray Rothbard zurück. 4. Als ein seit etwa 1970 in den USA bestehendes Interesse an der historischen Österreichischen Schule mit den Ideen und Methoden Carl Mengers und der im folgenden als erste Generation bezeichneten Wirtschaftstheoretiker unter Einschluss der späteren Konzepte von Mises’ und von Hayeks; zum Teil wird die Bezeichnung Neo-Austrians verwendet. In diesem Sinne findet sich der Begriff bei Murray N. Rothbard (Man, Economy and the State (1962)), Israel Kirzner (Competition and Entrepreneurship (1973)). Die Neo-Austrians grenzen sich vor allem durch ihre Betrachtung von Märkten als Prozess im Gegensatz zum in der Wirtschaftswissenschaft vorherrschenden Gleichgewichtsmodell ab. 5. Die Bezeichnung einer allgemein subjektivistischen Theorie der Mikroökonomie, die die Unsicherheit aller ökonomischen Entscheidungen betont. Kirzner ordnet diesem Verständnis das Werk G. L. S. Shackles und Ludwig Lachmanns (Austrian economics in the present crisis of economic thought (1977)) zu. Lehren (Überblick) Fritz Machlup, einer Schüler von Wiesers und von Mises’, nennt 1982 sechs Hauptlehren der Österreichischen Schule, die um etwa 1930 das Herzstück der Österreichischen Neuerungen bilden:[3] • Methodologischer Individualismus: Wirtschaftliche Sachverhalte müssen aus dem Handeln von Individuen heraus erklärt werden (nicht zu verwechseln mit ideologischem oder politischem Individualismus, den Gegensatz stellt der methodologische Kollektivismus dar). • Methodologischer Subjektivismus: Wirtschaftswissenschaft basiert auf der Untersuchung der Handlungen realer Individuen, deren subjektivem Wissen (beziehungsweise Unwissen), ihrer subjektiven Bedürfnisse und ihrer subjektiven Erwartungen. • Grenznutzenlehre: Alle ökonomischen Entscheidungen werden durch den Grenznutzen bestimmt. • Nützlichkeit: Subjektive Wertungen (Nützlichkeit) und abnehmender Grenznutzen bestimmen die Nachfrage und somit den Marktpreis. • Opportunitätskosten (auch Wiesersches Kostengesetz): Handlungen sind abhängig von der Bewertung alternativer Handlungsmöglichkeiten. • Zeitstruktur von Konsum und Produktion: Die Entscheidung zu sparen oder zu konsumieren entsteht durch die subjektive Zeitpräferenz. Als innerhalb der Schule umstritten führt er die folgenden Lehren auf, die insbesondere durch Ludwig von Mises ab den 1960ern in die USA ausstrahlten:[3] • Vollständige Souveränität der Konsumenten: Die Konsumenten drücken ihre Bedürfnisse über die Nachfrage aus. Nur der von Staatseingriffen unbehinderte Markt sorgt durch Wettbewerb dafür, dass permanent (über das Preissystem als Steuermechanismus) die Bedürfnisse der Konsumenten optimal befriedigt werden. • Politischer Individualismus: Nur vollständige ökonomische Freiheit sorgt dauerhaft für politische und moralische Freiheit der Bürger. Ökonomische Beschränkungen führen zur zunehmenden Ausbreitung und Beschränkung politischer und moralischer Freiheit. Da die unbestrittenen Thesen der Schule bald von allen ökonomischen Schulen anerkannt wurden, sieht Israel Kirzner die Liste als um zwei Punkte ergänzungsbedürftig im Hinblick auf das Spätwerk von Mises’ und von Hayeks an: • Märkte und Wettbewerb als Lern- und Entdeckungsprozess • Individuelle Entscheidungen als Wahl zwischen individuell zu identifizierenden Alternativen in grundsätzlich unbekanntem Kontext. Die US-amerikanischen Neo-Austrians, die im Wesentlichen durch von Mises und dessen Schüler Murray Rothbard geprägt sind, definieren sich vor allem durch die Abgrenzung zu den neoklassischen und (neo-)keynesianischen, als Österreichische Schule 3 statisch bezeichneten, Gleichgewichtsmodellen. Jesús Huerta de Soto, ein spanischer Vertreter der Neo-Austrians, hebt als Merkmale dieser speziellen Richtung folgende Lehren hervor:[4] • Ausformung einer universalen Theorie menschlichen Handelns (im Gegensatz zur rein wirtschaftswissenschaftlichen Theorie der Rationalen Entscheidung). • Der wissenschöpfende, kreative Unternehmer als Wirtschaftssubjekt (im Gegensatz zum neoklassischen homo oeconomicus). • Möglichkeit unternehmerischer Fehler (im Gegensatz zur neoklassischen Modell vollständiger Information). • Strenge Unterscheidung zwischen objektivem (wissenschaftlichem) und subjektivem (praktischem) Wissen. • Märkte als Entdeckungsprozess (im Gegensatz zum neoklassischen Modell der vollständigen Konkurrenz). • Subjektive Kostentheorie (im Gegensatz zur neoklassischen objektiven Kostentheorie). • Verbale Logik (im Gegensatz zur neoklassischen mathematischen Formalisierung). • Aprioristisch-deduktive Methode (im Gegensatz zum empirischen Modell). • Unmöglichkeit quantitativer Vorhersagen, sondern Beschränkung auf pattern predictions. • Vorhersage wirtschaftlicher Geschehnisse durch die unternehmerische Fähigkeiten jedes Menschen (im Gegensatz zum Sozialingenieur). Theoriegeschichte und -entwicklung Antike und scholastische Vorgänger Vertreter der Schule sehen bereits in Ciceros De re publica 51 v. Chr. Argumente vorweggenommen, die später zentral für von Mises' und von Hayeks Überlegungen zur Unmöglichkeit des Sozialismus sein würde: Niemals habe eine zentrale Planstelle vergleichbares Wissen