Titel Eine Frage der Nerven Die Niederlage im Bundesrat ist ein schwerer Autoritätsverlust für die Führung der Union. Besonders gegen Fraktionschef Merz wird schon gemobbt – doch es fehlt eine Alternative.

n der Stunde der Enttäuschung flüch- „Mehr als ärgerlich“ sei die Niederlage, den hatte Merz für eine Einigung mit der tete sich in die Ver- gab auch Parteichefin Merkel zu. Mit of- Regierung aufgebaut. Schon frühzeitig Ilässlichkeit der Naturwissenschaften. fensiver Selbstkritik wollte sie Attacken hatte ihn dagegen der Bremer CDU-Chef Als sei nichts geschehen, ließ sich die aus den eigenen Reihen zuvorkommen: gewarnt, dass es in dem CDU-Parteichefin in weißem Kittel, mit „Es war eine Frage der Nerven.“ Land ein „Problem geben wird“. Immer Schutzmütze und Überschuhen vergan- Nur einer benahm sich so, als habe er wieder hatte Finanzminister genen Freitag von Firmenchef Rainer mit der Niederlage nichts zu tun: der seinem Kontrahenten während der Ver- Knaus durch die Labors des Frankfurter bayerische Ministerpräsident Edmund handlungen vorgehalten, in wie vielen Biotechnologie-Unternehmens MainGen Stoiber. Während des Tauziehens mit der Punkten die Regierung der Opposition führen. Regierung hatte er sich als harter Anfüh- bereits nachgegeben habe. „Dies alles“, Während vor dem Firmen- so Eichel, „hätten Sie zu Ih- portal Dutzende Reporter zwei rem Erfolg machen können.“ Stunden lang auf ein Statement Doch Merz pokerte zu hoch und der CDU-Chefin zum größten verlor. Debakel ihrer kurzen Amtszeit Dass die Diskussion in den ei- lauerten, interessierte sich die genen Reihen schon jetzt um sei- Physikerin demonstrativ für „hä- nen Kopf geht, hat Merz begrif- matopoietische Stammzellen“, fen. Trotzig erklärte er, um Fra- „Ex-vivo-Transduktion“ und gen zuvorzukommen, er werde „Kryokonservierung“. „selbstverständlich“ als Frak- Doch die Flucht ins Labor tionschef weitermachen. Pflicht- konnte nicht vom „Super-GAU“, gemäß stellten sich die meisten so ein CDU-Präside, ablenken: Unionspolitiker öffentlich zwar Denn mit der Abstimmung im hinter Merz und Merkel. Doch Bundesrat stand nicht nur die intern hat das Mobbing längst be- Steuerreform der rot-grünen Re- gonnen. gierung auf dem Prüfstand, son- „Wer sich aus dem Fenster dern auch die Autorität der neu- lehnt“, ätzt etwa der Abgeord- en Unionsführung um Fraktions- nete Friedhelm Ost, „der kann chef , CDU-Che- auch rausfallen.“ Wenn man nur fin Angela Merkel und den CSU- 2 Meter hoch springen könne, Vorsitzenden Edmund Stoiber. dürfe man sich die Latte eben Brutal zerstob die Illusion, nicht auf 2,50 Meter legen, so die nach der Spendenaffäre könnte Empfehlung des früheren Spre- die CDU bald wieder ein ernst zu chers der Regierung Kohl. nehmender Gegner werden. Mit Der „Alte“ bleibt der Maß- der Blamage im Bundesrat tritt stab. Schließlich war der alles das ganze Dilemma der Chris- selbst gewesen: Ministerpräsi- tenunion wieder offen zu Tage: dent, Fraktionsvorsitzender, Par- Sie ist kopf-, profil- und erfolglos. teichef, Kanzler. Die „jungen Die Landtagswahlsiege von Leute“, meinen hämisch etliche 1999, die der Union überra- in der Fraktion, hätten sich viel-

schend eine Verhinderungs- / VERSION H. SACHS leicht ein bisschen viel zugetraut. mehrheit im Bundesrat ver- CDU-Vorsitzende Merkel: „Mehr als ärgerlich“ Wer könne auch erwarten, dass schafft hatten, wusste die Partei sich die Neuen ohne jede Erfah- nicht zu nutzen. Der einzige Machthebel rer des Blockier-Kurses präsentiert. Jetzt rung so gut in das Innenleben von Minis- entglitt der neuen Führung in einer Mi- distanzierte er sich unter Lobgesängen auf terpräsidenten einzudenken vermögen schung aus taktischem Ungeschick und die „großartige Leistung“ von Merz und wie einst . fehlender Kraft. Hat sie nun noch die Au- Merkel. Leider sei es für die beiden kein Der 1,98-Meter-Mann Merz, räumen torität, den stockenden Erneuerungspro- guter Tag geworden. Und schmallippig selbst Anhänger ein, sei seit Freitag „einen zess der Partei voranzutreiben, die noch drohte Stoiber, der schwarze Freitag wer- Kopf kleiner“. Dass er sein Amt verliert, immer nach einer Identität jenseits von de der „Beginn des weiteren Reinigungs- muss der Sauerländer wohl zunächst nicht Helmut Kohl sucht? prozesses innerhalb der CDU“ sein. befürchten. Ihn schützt der Nachwuchs- „Wir sind in unserem Bemühen um ei- Beschädigt ist in erster Linie Fraktions- mangel, eine geeignete Alternative ist nen Neuanfang zurückgeworfen“, musste chef Merz, der die Steuerreform zur Chef- nicht in Sicht. Überdies kann die Frak- ein sichtlich angeschlagener Merz am ver- sache und sich selbst zum Verhandlungs- tion nicht alle paar Monate eine neue gangenen Freitag kleinlaut einräumen. führer gemacht hatte. Immer neue Hür- Führung wählen.

26 der spiegel 29/2000 Schröder zugesagten zusätzlichen Subsi- dien wären futsch gewesen. wegen ihrer erneuten Di- Als FDP-Brüderle aus Rheinland-Pfalz stanzierung von Altkanzler nicht wie erbeten zurückrief, dämmerte Kohl attackiert hatten, bei den Berliner Unionsleuten erstmals, dass der Klausurtagung im ober- das Krisenszenario Wirklichkeit werden fränkischen Kloster Banz könnte. Mehrmals kommunizierte Diep- vergangene Woche als nutz- gen nächtens mit seinen Koalitionspart- lose Wichtigtuer „unmiss- nern SPD-Landeschef Peter Strieder und verständlich in den Senkel“ Schulsenator Klaus Böger sowie mit den stellte, wie Teilnehmer be- ebenfalls noch unschlüs- richteten. sigen Brandenburger Wie ernst die Lage auch Nachbarn. Eines war klar: für ihn ist, wurde Stoiber Der Krimi ging nach Wäre die FDP in

DPA erst vorige Woche beim der kurzen Bonner Nacht Mainz nicht CSU-Chef Stoiber (M.)*: Leider kein guter Tag Vortrag der Allensbacher weiter. Als Böger mor- gekippt, es hät- Demoskopin Renate Kö- gens gegen sieben Uhr in te für Schröder Dass Merkel den Fraktionsvorsitz in cher in Banz klar. Die Spendenaffäre habe der Berliner Landesver- Personalunion mit übernehmen könn- „mächtig auf die CSU“ durchgeschlagen tretung eintraf, fehlten und Eichel te, ist vorerst ebenfalls ausgeschlossen. und sei weder auf eine Partei noch auf noch immer „entschei- nicht gereicht Schließlich ist die Parteichefin durch die eine Person einzugrenzen, berichtete dende Teilstriche“. Ge- gescheiterte Blockade selbst angeschla- Köcher. gen halb acht telefonierte Diepgen, noch gen. Noch bei der Vorstandssitzung auf Zwischen November vergangenen Jah- immer nicht ganz entschieden, mit Kurth dem Expo-Gelände in Hannover am res und heute, offenbarte Köcher einem und Landowsky. Der holte das Plazet sämt- Montag der vergangenen Woche hatte alarmierten Edmund Stoiber, sei die CSU licher CDU-Senatoren ein. Doch eine ge- die Vorsitzende jedem anwesenden Mi- bei den Zweitstimmen von 61 Prozent gen neun Uhr tagende Berliner Beamten- nisterpräsidenten das Versprechen ab- auf 44 Prozent abgerutscht. Und: Der runde legte sich wieder auf eine Berliner verlangt, im Bundesrat als schwarzer Abstand zwischen der Bundesregierung Enthaltung fest. Block zu stehen. und der Opposition sei nach ihrer Ein- Als es im Bundesrat zur Abstimmung Nun, nach dem Abstimmungsdesaster, schätzung weitaus größer, als es die mei- kam, fehlte Diepgen gar die Stimme. Der sei noch einmal ein „tief greifender Dis- sten aktuellen Umfragen glauben ma- neben ihm stehende Böger beobachtete, kurs über unser Selbstverständnis als Op- chen ließen. dass „Diepgen fahrig war, ziemlich fertig position“ fällig, kündigte Merkel kämpfe- Mit dem Thema Steuerreform, so war mit den Nerven, als Berlin aufgerufen wur- risch an. Sie jedenfalls fühle sich „her- es geplant, sollte die Union endlich wie- de. Der hat mich nur angeguckt. Da habe ausgefordert“. der in die Offensive gegenüber der Re- ich Ja gesagt. Stolpe, der nächste, kam Das sollte sie auch. Denn nach der Nie- gierung kommen. Als Regisseure des dies- dann erleichtert mit seinem Ja. Der war derlage erscheinen die CDU-Spitzenleute jährigen Sommertheaters wollten Merz, noch nie so froh, dass Brandenburg mit Br nicht nur gegenüber der Regierung ge- Merkel und Stoiber den siegreichen beginnt und Berlin mit Be.“ schwächt. Auch innerhalb der Partei ist Kampf um eine gerechte Steuerreform Nun vertieften sich die Sorgenfalten von die ohnehin labile Führungsmannschaft aufführen. Nun ist das Spitzentrio wohl Stoiber. Der Bayer, im Bundesrat rechts um Merkel weiter im Ansehen ge- selbst das Thema. Susanne Fischer, außen platziert, legte sein Kinn immer schrumpft. Tina Hildebrandt, Nicola Kind wieder in die rechte Hand und würdigte Als „schweren Schlag für die innere den Abtrünnigen direkt neben ihm kei- Stabilität der CDU“ betrachtet der bayeri- nes Blickes: Diepgen. Augenzeuge Böger: sche CSU-Fraktionschef Alois Glück die „Zwischen denen war Eis, nichts als Eis.“ Abstimmungsniederlage im Bundesrat. Nun lehnte sich Eichel entspannt zurück, Nun drohe nicht nur der Zerfall in zwei strich sich mit der rechten Hand ein paar Flügel zwischen Kohl-Anhängern und Fussel vom Sakko, faltete die Hände. Ge- der neuen Führung, sondern auch der schafft! Hansi war wieder mal der Beste. Bruch zwischen Bundespartei und Lan- Eines wurde an diesem Morgen klar: desfürsten. Wäre die FDP in Mainz nicht gekippt, es Die Sorge vieler CSU-Spitzenpolitiker hätte für Schröder und Eichel nicht ge- um das Schicksal der Schwesterpartei ist reicht. Der Bundesfinanzminister ver- diesmal ausnahmsweise echt. Denn auch suchte deshalb in den Tagen davor alles, CSU-Chef Stoiber profitiert von der um die Liberalen zu überzeugen, nutzte Schwäche der CDU-Spitze nur kurzfristig. seine engen Drähte zu den FDP-Größen Und wenn er auch fast reflexhaft dazu , neigt, seine Überlegenheit auszuspielen, und – und spannte kennt er seine Abhängigkeit von der Bun- seinen Länderkollegen Mittler mit ein. despartei doch genau. „Mittler war der entscheidende Mittler“, Kein Zufall, dass er die CSU-Abgeord- sagt NRW-Finanzminister Peer Steinbrück neten Hans Michelbach und Gerd Müller, (SPD). die CDU-Chefin Angela Merkel unlängst Auf die liberale Sollbruchstelle in der Abwehrfront hatte den Kas-

REUTERS senwart aufmerksam gemacht. „Kümmert * Mit dem Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber, und CSU-Generalsekretär Thomas Goppel am Unions-Fraktionschef Merz euch um Brüderle“, hatte der Hamburger 7. Juli beim Parteitag in Straubing. „Einen Kopf kleiner“ Anfang der Woche empfohlen. Der rhein- land-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hatte sich, ahnend um den Dis-

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