Plenarprotokoll 15/114

Deutscher

Stenografischer Bericht

114. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Inhalt:

Gedenken an die Opfer des 17. Juni 1953 . . . 10319 A Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 10330 A Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ neten Renate Jäger, Verena Wohlleben, DIE GRÜNEN) ...... 10330 D und Hans-Christian Ströbele ...... 10319 C Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10332 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 10333 C nung ...... 10319 C Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 10334 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 24 . . . 10321 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 10335 C Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 10321 D (BÜNDNIS 90/ Begrüßung des Vizepräsidenten der Assem- DIE GRÜNEN) ...... 10338 A blée nationale Yves Bur ...... 10395 C Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 10339 A (CDU/CSU) ...... 10339 D Tagesordnungspunkt 3: Jella Teuchner (SPD) ...... 10341 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Eine neue Ernährungsbewegung für (BÜNDNIS 90/ Deutschland ...... 10322 A DIE GRÜNEN) ...... 10343 A Jörg Tauss (SPD) ...... 10344 B in Verbindung mit Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10344 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Ursula Heinen, Tagesordnungspunkt 4: Julia Klöckner, Peter H. Carstensen (Nord- Erste Beratung des von den Abgeordneten strand), weiterer Abgeordneter und der Frak- , Werner Lensing, Katherina tion der CDU/CSU: Über-, Fehl- und Reiche, weiteren Abgeordneten und der Frak- Mangelernährung wirksam bekämpfen tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- (Drucksache 15/3310) ...... 10322 A nes Gesetzes zur Modernisierung der dualen Renate Künast, Bundesministerin Berufsausbildung in Deutschland durch BMVEL ...... 10322 B Novellierung des Berufsbildungsrechts (Drucksache 15/2821)...... 10344 D Ursula Heinen (CDU/CSU) ...... 10326 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 10327 D in Verbindung mit II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. , Donnerstag, den 17. Juni 2004

Zusatztagesordnungspunkt 6: e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Erste Beratung des von den Abgeordneten setzes zur Umsetzung gemeinschafts- Ulrike Flach, , Christoph rechtlicher Vorschriften über die Hartmann (Homburg), weiteren Abgeordne- grenzüberschreitende Prozesskosten- ten und der Fraktion der FDP eingebrachten hilfe in Zivil- und Handelssachen in den Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Be- Mitgliedstaaten (EG-Prozesskostenhil- rufsausbildungsrechts fegesetz) (Drucksache 15/3325) ...... 10345 A (Drucksache 15/3281) ...... 10362 B Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) ...... 10345 A f) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, , Bundesministerin Cornelia Pieper, (Bay- BMBF ...... 10347 A reuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bessere organisato- Jörg Tauss (SPD) ...... 10348 A rische Kooperation zwischen Auswär- tigem Amt und Wissenschaftsorganisa- (CDU/CSU) ...... 10348 C tionen (Homburg) (FDP) . . . . . 10350 D (Drucksache 15/2759) ...... 10362 B Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ g) Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim DIE GRÜNEN) ...... 10352 B Otto (Frankfurt), (Münster), Rainer Brüderle und weiterer Abgeordne- Uwe Schummer (CDU/CSU) ...... 10353 D ter der Fraktion der FDP sowie der Abge- ordneten Holger Haibach, Kristina Köhler Hans-Werner Bertl (SPD) ...... 10354 D (Wiesbaden), Dr. Klaus W. Lippold (Of- (CDU/CSU) ...... 10356 C fenbach) und weiterer Abgeordneter der Fraktion der CDU/CSU: Engpass zwi- (fraktionslos) ...... 10357 D schen Wiesbadener Kreuz und Krifteler (SPD) ...... 10358 C Dreieck (Autobahn A 66) beseitigen (Drucksache 15/3104) ...... 10362 C Werner Lensing (CDU/CSU) ...... 10360 C

Zusatztagesordnungspunkt 7: Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- benten Gesetzes zur Änderung des So- zes zur Ausführung des Zusatzproto- zialgerichtsgesetzes (7. SGGÄndG) kolls vom 18. Dezember 1997 zum (Drucksache 15/3169) ...... 10362 C Übereinkommen über die Überstellung b) Erste Beratung des von den Fraktionen der verurteilter Personen SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Drucksache 15/3179) ...... 10362 A GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Vierten Gesetzes zur Änderung des Dr. Heinrich L. Kolb, Rainer Brüderle, Melderechtsrahmengesetzes , weiteren Abgeordneten (Drucksache 15/3305) ...... 10362 D und der Fraktion der FDP eingebrachten c) Erste Beratung des von den Fraktionen der Entwurfs eines Gesetzes zur Anglei- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE chung der Pfändungsfreigrenzen in der GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sozialversicherung Gesetzes zum Abbau von Statistiken (Drucksache 15/2796) ...... 10362 A (Statistikabbaugesetz) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten (Drucksache 15/3306) ...... 10362 D , Daniel Bahr (Münster), d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten brachten Entwurfs eines Gesetzes zum und der Fraktion der FDP eingebrachten Abbau von Statistiken Entwurfs eines Gesetzes zur Lockerung (Drucksache 15/2416) ...... 10362 D des Verbots wiederholter Befristungen (Drucksache 15/2804) ...... 10362 A e) Antrag der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, , weiterer d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Abgeordneter und der Fraktion der SPD rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- sowie der Abgeordneten Franziska ten Gesetzes zur Änderung eisenbahn- Eichstädt-Bohlig, , rechtlicher Vorschriften Albert Schmidt (Ingolstadt), weiterer (Drucksache 15/3280) ...... 10362 B Abgeordneter und der Fraktion des Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 III

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Mehr des Kindes betreffend die Beteiligung Sicherheit für Radfahrer – insbeson- von Kindern an bewaffneten Konflikten dere Schutz vor Unfällen mit LKW im (Drucksachen 15/3176, 15/3340) ...... 10364 D Stadtverkehr (Drucksache 15/3330) ...... 10363 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Peter Götz, Dirk Fischer (), Tagesordnungspunkt 33: , weiterer Abgeordneter a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung und der Fraktion der CDU/CSU: Vorlage des von der Bundesregierung eingebrach- eines städtebaulichen Berichts ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- (Drucksachen 15/2158, 15/2896) ...... 10365 A kommen vom 14. Mai 2003 zwischen h) Beschlussempfehlung und Bericht des der Bundesrepublik Deutschland und Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und der Republik Polen zur Vermeidung Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet durch die Bundesregierung: Vorschlag der Steuern vom Einkommen und vom für eine Richtlinie des Europäischen Vermögen Parlaments und des Rates über Arsen, (Drucksachen 15/3171, 15/3264)...... 1036310300 B Kadmium, Quecksilber, Nickel und b) Zweite und dritte Beratung des von der polyzyklische aromatische Kohlenwas- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs serstoffe in der Luft eines Gesetzes zu dem Abkommen vom (Drucksachen 15/1613 Nr. 1.13, 15/2958) 10365 B 8. Juli 2003 zwischen der Regierung der i) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesrepublik Deutschland und der Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und mazedonischen Regierung über Soziale Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung Sicherheit durch die Bundesregierung: Vorschlag (Drucksachen 15/3172, 15/3335)...... 10363 C für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Grundwassers vor Verschmutzung des von der Bundesregierung eingebrach- (Drucksachen 15/1948 Nr. 1.8, 15/3138) ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem 10365 C Übereinkommen vom 14. Oktober 2003 j) – m) über die Beteiligung der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Republik Zypern, der Republik Lett- schusses: Sammelübersichten 124, 125, land, der Republik Litauen, der Re- 126 und 127 zu Petitionen publik Ungarn, der Republik Malta, (Drucksachen 15/3225, 15/3226, 15/3227, der Republik Polen, der Republik Slo- 15/3228) ...... 10365 D wenien und der Slowakischen Republik am Europäischen Wirtschaftsraum (Drucksachen 15/3173, 15/3343)...... 10363 D Tagesordnungspunkt 28: d) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren Nutzung von Fünften Gesetzes zur Änderung des Futter- Dateien im Bereich der Staatsanwalt- mittelgesetzes schaften (Drucksachen 15/3170, 15/3342) ...... 10366 B (Drucksachen 15/1492, 15/3331)...... 10364 A e) Zweite und dritte Beratung des von den Zusatztagesordnungspunkt 8: Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN a) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- eingebrachten Entwurfs eines Dritten Ge- schusses: Übersicht 7 über die dem setzes zur Änderung des Gesetzes zur Deutschen Bundestag zugeleiteten Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Streitsachen vor dem Bundesverfas- Verantwortung und Zukunft“ sungsgericht (Drucksachen 15/3044, 15/3260)...... 10364 C (Drucksache 15/3334) ...... 10366 C f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung b) Beschlussempfehlung und Bericht des des von der Bundesregierung eingebrach- Rechtsausschusses zu der Streitsache vor ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fa- dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR kultativprotokoll vom 25. Mai 2000 412/04 zum Übereinkommen über die Rechte (Drucksache 15/3341) ...... 10366 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Tagesordnungspunkt 5: Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10388 D Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundes- Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 10390 A tag – Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2003 (Drucksache 15/3150) ...... 10367 A Tagesordnungspunkt 7: Dr. (FDP) ...... 10367 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 10368 B zes zur Verbesserung des vorbeugenden Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 10370 C Hochwasserschutzes (Drucksachen 15/3168, 15/3214) ...... 10390 D Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10372 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Dr. (FDP) ...... 10374 A Reaktorsicherheit Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 10375 A Renate Jäger, Ulrike Mehl, Michael Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 10375 C Müller (Düsseldorf), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . 10375 D wie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, (Köln), Cornelia Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 10377 B Behm, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU) ...... 10378 B Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den Flüssen mehr Raum Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 10379 B geben – Ökologische Hochwasser- Gero Storjohann (CDU/CSU) ...... 10379 C vorsorge durch integriertes Flussge- bietsmanagement (Spandau) (SPD) ...... 10379 D – zu dem Antrag der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 10381 A Dr. Peter Paziorek, Ulrich Petzold, Vera Dominke (CDU/CSU) ...... 10382 B Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Vorsorgender Hochwasser- Tagesordnungspunkt 6: schutz im Binnenland Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- – zu dem Antrag der Abgeordneten ten , Steffen Kampeter, Birgit Homburger, Angelika Bernhard Kaster, weiterer Abgeordneter und Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, der Fraktion der CDU/CSU: Öffentlichkeits- weiterer Abgeordneter und der Frak- arbeit der Bundesregierung tion der FDP: Hochwasserschutz – (Drucksachen 15/1960, 15/2912) ...... 10383 A Solidarität erhalten, Eigenverant- wortung stärken in Verbindung mit (Drucksachen 15/1319, 15/1561, 15/1334, 15/2118) ...... 10391 A Renate Jäger (SPD) ...... 10391 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 10392 B Antrag der Abgeordneten Dietrich Austermann, Steffen Kampeter, Bernhard Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 10393 D Kaster, weiterer Abgeordneter und der Frak- (FDP) ...... 10394 D tion der CDU/CSU: Ausweitung der Öffent- lichkeitsarbeit der Bundesregierung in Zei- (SPD) ...... 10395 C ten knapper Kassen (CDU/CSU) ...... 10396 B (Drucksache 15/3311) ...... 10383 A Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 10383 B Tagesordnungspunkt 8: Gerhard Rübenkönig (SPD) ...... 10385 B Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 10387 B CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Evaluierung des Deutsch- Gerhard Rübenkönig (SPD) ...... 10387 D Französischen Jugendwerkes (FDP) ...... 10388 A (Drucksache 15/3326) ...... 10398 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 V

Monika Griefahn (SPD) ...... 10398 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) ...... 10422 B Dr. (CDU/CSU) . . . . . 10399 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10423 A Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10400 D (FDP) ...... 10401 C Zusatztagesordnungspunkt 10: (SPD) ...... 10402 B Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki, Siegmund Thomas Dörflinger (CDU/CSU) ...... 10403 B Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Tagesordnungspunkt 9: Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Antrag der Abgeordneten Hartmut Büttner Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Schönebeck), , Wolfgang NEN: Zum Gedenken an die Opfer des Bosbach, weiterer Abgeordneter und der Kolonialkrieges im damaligen Deutsch- Fraktion der CDU/CSU: Jährliche Debatte Südwestafrika zum Stand der Rehabilitierung und Ent- (Drucksache 15/3329) ...... 10424 B schädigung der Opfer der SED-Diktatur Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) ...... 10424 C (Drucksache 15/2818) ...... 10404 C (Lübeck) (CDU/CSU) ...... 10425 D (CDU/CSU) ...... 10404 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Hans-Joachim Hacker (SPD) ...... 10405 C DIE GRÜNEN) ...... 10426 D Klaus Haupt (FDP) ...... 10407 A Ulrich Heinrich (FDP) ...... 10427 C Hans-Joachim Hacker (SPD) ...... 10407 C Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 10428 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10408 A Tagesordnungspunkt 13: Arnold Vaatz (CDU/CSU) ...... 10408 D Große Anfrage der Abgeordneten Julia Klöckner, , Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Tagesordnungspunkt 10: CDU/CSU: Förderung der Organspende Antrag der Abgeordneten Jörg van , (Drucksache 15/2707) ...... 10429 B , Sibylle Laurischk, weiterer Thomas Rachel (CDU/CSU) ...... 10429 C Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rechtsstaatlichkeit der Telefonüberwa- Dr. (SPD) ...... 10430 C chung sichern Detlef Parr (FDP) ...... 10431 C (Drucksache 15/1583) ...... 10410 B Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 10432 B Rainer Funke (FDP) ...... 10410 C Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 10433 C Hermann Bachmaier (SPD) ...... 10411 C Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) ...... 10434 C Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU) ...... 10413 A Marion Caspers-Merk, Parl. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Staatssekretärin BMGS ...... 10435 C DIE GRÜNEN) ...... 10414 C Petra Pau (fraktionslos) ...... 10415 D Tagesordnungspunkt 14: Alfred Hartenbach, Parl. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Staatssekretär BMJ ...... 10416 D schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- sen Tagesordnungspunkt 11: – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Sören Bartol, Uwe Erste Beratung des von der Bundesregierung Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes neten Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker (Drucksache 15/3278) ...... 10418 A Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 10418 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: (Bremen) (CDU/CSU) . . . . 10418 D Die Bahnreform konsequent weiterfüh- (SPD) ...... 10421 A ren Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10429

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) Bitte, uns zu beantworten, warum dies alles so schlep- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Erster (C) pend erfolgt. Eine Antwort ist bis heute nicht gegeben der Abgeordnete Thomas Rachel. worden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt brauchen diejenigen Thomas Rachel (CDU/CSU): Kräfte Namibias, die an einer stabilen, friedlichen und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nachhaltigen Entwicklung des Landes festhalten, unsere Die Menschen denken nicht gerne über ihre Endlichkeit tatkräftige, energische Unterstützung. Sollte in Namibia nach. Sie denken auch nicht gerne über den Tod und der Eindruck entstehen, dass Deutschland das Interesse über die Fragen nach, die damit verbunden sind. Ob wir an der Zukunft des Landes verliert oder allenfalls büro- nach unserem Tod unsere Organe zur Verfügung stellen kratisch-schwunglos handelt, dann besteht die ernste Ge- sollen, ist eine solche Frage. Ohne Anstoß setzen wir uns fahr, dass politische Hardliner und Befürworter einer damit nicht gerne auseinander. Wenn man Sie fragen konzeptions- und perspektivlosen Enteignungspolitik die würde, ob Sie mit Ihren Angehörigen darüber gespro- Oberhand gewinnen. Namibia muss neben Südafrika ein chen haben oder ob Sie einen Organspendeausweis be- sicherheitspolitischer Stabilitätsanker im südlichen sitzen, würden die wenigsten von Ihnen dies bejahen. Afrika bleiben. 70 Prozent der Deutschen wären zwar grundsätzlich be- reit, ein Organ zu spenden. Aber nur 12 Prozent haben Herr Ströbele, Sie haben eben an uns appelliert, dass einen Organspendeausweis. Dies zeigt die nicht ausrei- es zu einer gemeinsamen Entschließung kommen muss. chende Information und Mobilisierung der Bevölkerung. Die Kollegin Eymer ist auf Einzelheiten Ihres Antrages Das Transplantationsgesetz von 1997 mit der „er- bereits eingegangen. Ich bedauere, dass wir uns heute weiterten Zustimmungslösung“ bezeichnet Organtrans- hier enthalten müssen. Ich will dies aber begründen. Sie plantation als Gemeinschaftsaufgabe. Wir haben alles zu haben Ihren Antrag überfallartig eingebracht. Wir haben tun, um die notwendige Menge an Organen zu erreichen. ihn zuerst in einer anderen Fassung erhalten, nachdem Sieben Jahre nach Verabschiedung des Transplantations- die Gremien des Deutschen Bundestages, deren Zeitab- gesetzes müssen wir feststellen, dass dieses Ziel nicht er- läufe uns allen bekannt sind, getagt hatten. Wir haben reicht worden ist. danach Ihren Antrag in der endgültigen Fassung bekom- men. Obwohl ich persönlich im Gespräch darum gebeten Die heute vorliegende Große Anfrage der CDU/ hatte, war es nicht möglich, heute das erste Mal über Ih- CSU-Bundestagsfraktion bietet eine sehr gute Gelegen- ren Antrag zu debattieren und in 14 Tagen einen inter- heit, die weiterhin bestehenden Probleme im Bereich der fraktionellen Antrag vorzulegen. Ich glaube, dass dies Organtransplantation in den Fokus der Öffentlichkeit zu gerade vor dem Hintergrund des Antrages, auf den man rücken. Obwohl sich binnen 25 Jahren die Zahl der sich 1989 geeinigt hatte, möglich gewesen wäre. Organtransplantationen um den Faktor 100 erhöht hat (B) – 1968 noch 32 Transplantationen, im Jahr 2001 3 863 –, (D) Wir werden uns heute der Stimme enthalten. Ich finde gibt es zu wenig Organe, um allen hilfsbedürftigen Men- es schade, dass es keine andere Möglichkeit gab. schen zu helfen und ihr Leben zu retten. Hätten wir eine Zustimmungsrate von 50 Prozent und eine optimale (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Koordinierung zwischen den Zentren und den Kranken- häusern, könnte die Versorgung gesichert werden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Warum also, meine Damen und Herren, stehen über Ich schließe damit die Aussprache. 12 000 Menschen in Deutschland auf einer Warteliste Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag und hoffen auf ein lebensrettendes Organ? Muss es so der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit bleiben, dass ein Drittel dieser Patienten stirbt, weil nicht dem Titel „Zum Gedenken an die Opfer des Kolonial- rechtzeitig ein Organ zur Verfügung steht? Es darf nicht krieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika“, Druck- so bleiben, meine Damen und Herren, denn Organspen- sache 15/3329. Wer stimmt für den Antrag? – Wer den betrachten wir Christdemokraten als einen Akt stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit barmherziger Solidarität. den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen so- Auch die Kirchen haben wichtige ethische Beiträge wie der Abgeordneten Pau bei Enthaltung von CDU/ zum Thema Organtransplantation geleistet. Ich erinnere CSU und FDP angenommen. an die Schrift der beiden Kirchen „Gott ist ein Freund des Lebens“ und an die Schrift „Organtransplantation“. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: In der Erklärung von 1989 haben die Kirchen gesagt: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Die Kirchen wollen auch weiterhin die Bereitschaft Julia Klöckner, Thomas Rachel, Andreas Storm, zur Organspende wecken und stärken. Die Organ- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der spende kann eine Tat der Nächstenliebe über den CDU/CSU Tod hinaus sein. Förderung der Organspende Die Bundesregierung sieht leider beim Thema Organ- – Drucksache 15/2707 – spende – ich zitiere – „keinen direkten Handlungsbe- darf“. Nein, sie kürzt sogar die Geldmittel für ihre Kam- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die pagne. Im Jahr 2002 stand nur noch die Hälfte der Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Geldmittel für die Kampagne zur Organspendebereit- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. schaft zur Verfügung. Da fragt man sich: Wie will diese 10430 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Thomas Rachel (A) Bundesregierung eigentlich ihrer Aufgabe nachkommen, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) die Organspendebereitschaft zu erhöhen? Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Auch auf weitere drängende Fragen kommen keine Wodarg. Antworten. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau!) Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol- Zum Beispiel stellt sich das Problem, dass sich nur legen! Die CDU/CSU hat eine Große Anfrage an die 40 Prozent aller Krankenhäuser mit Intensivstation an Bundesregierung gerichtet. Die Antworten liegen noch der Organspende beteiligen. Nach dem Transplantations- nicht vor. Die Bundesregierung hat zu dem Thema Or- gesetz besteht aber eine Pflicht, Patienten zu melden, die ganspende natürlich regelmäßig Bericht erstattet; das als Spender infrage kämen. Aber was tut die Regierung, Robert-Koch-Institut schildert die Situation. Ihre Vor- zusammen mit den Bundesländern, dafür, dass die Kran- lage bezieht sich in einigen Punkten darauf. kenhäuser diese Meldepflicht auch erfüllen? Es muss Es ist wichtig, dass das Ganze noch ein wenig an- dringend sichergestellt werden, dass Patienten mit Hirn- schaulicher wird. Pro Tag spenden in Deutschland etwa tod den Transplantationszentren gemeldet werden; an- drei so genannte hirntote Menschen ihre Organe. Nur dernfalls gehen Organe verloren und sterben Patienten. 5 Prozent dieser Menschen teilen über einen Organspen- Auch angesichts der Diskussion um die Ausweitung deausweis mit: Ja, ich will, dass das so geschieht. – Man der Lebendspende bleibt die Bundesregierung weitge- muss also schon mehrere Tage auf einen solchen Fall hend untätig. Die Zahl der Lebendspenden hat zugenom- warten. Bei weiteren 8 Prozent ist es so, dass die Ange- men. Eine enge Begrenzung auf besondere Näheverhält- hörigen sagen: Ja, ich glaube, er hat einmal gesagt, dass nisse wurde durch die Rechtsprechung infrage gestellt. er das wohl will. – Der Wille dieses Hirntoten wird also So soll die Cross-over-Spende nicht mehr schlechthin kolportiert, ohne dass er schriftlich vorliegt. Bei ausgeschlossen sein. 87 Prozent derjenigen, die als hirntote Organspender in- frage kommen und denen Organe entnommen werden, Lebendspenden bergen aber Probleme. Sie betreffen ist es so, dass die Angehörigen praktisch stellvertretend einmal die Freiwilligkeit der Spende; zum anderen gibt entscheiden. Eigentlich wissen sie es nicht genau, aber es für die Spender selber keinen therapeutischen Nutzen. sie vermuten, dass dies sein Wille ist: Es wird wohl so Vielmehr ist die Entnahme eines Organs mit gesundheit- sein; er war ja ein guter Mensch. – Es gibt also Konstel- lichen Risiken und psychischer Belastung verbunden. lationen, die sehr bedrückend sind. Im Hinblick auf den Mangel an postmortalen Spende- Der Druck, der auf Angehörigen, die das entscheiden (B) organen wird zunehmend die Subsidiarität der Lebend- müssen, im Krankenhaus lastet, ist sehr groß. Wir ken- (D) organspende infrage gestellt. Wir fordern, daran festzu- nen Angehörige, die es hinterher bereut haben, Ja gesagt halten, dass eine Lebendspende nur dann zulässig ist, zu haben. Wir kennen auch Angehörige, bei denen es an- wenn kein postmortales Spendeorgan zur Verfügung ders ist. Sie denken: Es ist gut so, dass das Herz jetzt je- steht. mand anders zugute kommt, also in einem anderen Men- (Beifall bei der CDU/CSU) schen weiterschlagen kann. Oder sie denken: Es ist gut, dass jemand nicht mehr zur Dialyse fahren muss, son- Die Ausweitung der Lebendspende darf nicht zur Ver- dern mit einer gespendeten Niere wieder arbeiten nachlässigung der Bemühungen um postmortale Spen- kann. – Die Gefühle sind also sehr gemischt. den führen. Wir wundern uns, dass von den Krankenhäusern so Wir müssen dringend die Forschung im Bereich der wenig Fälle gemeldet werden. Wir müssen zur Kenntnis Transplantationsmedizin, zum Beispiel auf den Gebieten nehmen, dass das Personal, das in den Krankenhäusern der Xenotransplantation und der Entwicklung künstli- arbeitet, auch nicht viel anders fühlt und denkt als die cher Organe, intensivieren. Menschen, die als Spender infrage kommen. Auch beim Meine Damen und Herren, wir sehen im Bereich der Personal ist es so, dass etwa zwei Drittel derjenigen, die Organtransplantation dringenden Handlungsbedarf. Die man fragt, sagen: Ja, ich finde es gut, dass gespendet Bundesregierung tut diesbezüglich leider zu wenig. wird. – Dennoch sind es sehr wenige, die das schriftlich bekunden, zum Beispiel durch einen Organspendeaus- (Beifall bei der CDU/CSU) weis, den man mit sich trägt. Auf jeden Fall wird die Enquete-Kommission „Ethik Im Krankenhaus ist es meines Erachtens so – ich kann und Recht der modernen Medizin“ dieses Parlaments das auch aus eigener Erfahrung sagen, aus Gesprächen – ich freue mich, viele Kollegen hier unter uns zu mit dem Personal in den Krankenhäusern, die ich immer sehen – konkrete Vorschläge für das Parlament erarbei- wieder geführt habe –, dass Ärzte und Pflegepersonal ten. Die Missstände, die wir zurzeit haben, zu ignorieren nicht in den Ruch kommen möchten, dem Patienten im heißt nämlich, die zahlreichen Menschen, die dringend Interesse Dritter gegenüberzutreten. Das heißt, sie haben ein Organ brauchen, das lebensrettend ist, allein zu las- den Angehörigen und den Patienten gegenüber nicht nur sen – mit tödlichen Folgen. Dies wollen wir nicht. das Wohl ihres Patienten, sondern auch das Wohl Dritter, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. die auf Organe warten, im Hinterkopf. Das beißt sich. Dort gibt es Konflikte, auch beim Personal. Das muss (Beifall bei der CDU/CSU) man zur Kenntnis nehmen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10431

Dr. Wolfgang Wodarg (A) Der Deutsche Bundestag hat deshalb 1997 die Melde- laut Oberender und Rudolf bei 50 000 bis 70 000 US- (C) pflicht für die Krankenhäuser gesetzlich verankert. Die Dollar. Krankenhäuser halten sich nicht oder kaum daran. Daher müssen wir uns wirklich fragen, ob man durch eine sol- Vizepräsident Dr. : che Pflicht Vertrauen schafft und ob man durch solche Herr Kollege Wodarg, da Sie offenkundig übersehen Zwangsmaßnahmen das notwendige Bewusstsein schaf- haben, dass Ihre Redezeit längst abgelaufen ist, fen kann. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber bei wei- Zusätzlich zu dieser Debatte wird eine Diskussion tem!) über Organhandel geführt. Mit Organtransplantationen wird sehr viel Geld verdient. Es wird nicht nur die Arbeit darf ich Sie – nehmen Sie es mir nicht übel – daran erin- der Ärzte und des Pflegepersonals bezahlt; das Organ nern. selbst ist zur Ware im weltweiten Handel geworden. Es ist möglich, in andere Länder, nach China, nach Israel, Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): zu fahren und dort Organe zu kaufen. Was das bedeutet, Schade. Ich hätte den Anwesenden gern noch viele in- können wir uns nur schwer vorstellen. Da bedarf es teressante Informationen gegeben. Wir werden von der schon einiger Vorstellungskraft. Wir versuchen in der Staatssekretärin aber noch viele Informationen bekom- Enquete-Kommission, durch Befragungen und durch men. Wir werden das Thema erneut diskutieren, wenn Anhörungen weiterzukommen. die Große Anfrage beantwortet ist. Aber man soll ja die Gelegenheit nutzen. Ingrid Schneider, die für uns eine Stellungnahme ge- schrieben hat, sagt, angesichts der Möglichkeit, jetzt im Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ausland Organe zu kaufen, und zwar als Lebendspende, komme von Familien typischerweise die Frage: Warum (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ soll ich jemandem aus meiner Familie oder meinem DIE GRÜNEN) Freundeskreis das Risiko einer Organspende zumuten, wenn ich doch eine Niere kaufen kann? Daran zeigt sich Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ein bisschen, was es mit sich bringt, wenn es denn gegen Das Wort hat nun der Kollege Detlef Parr für die Geld Organe gibt. Dann entsteht ein Organtransfer, der FDP-Fraktion. zurzeit natürlich von Süden nach Norden, von Osten nach Westen, von Frauen zu Männern, von Schwarzen Detlef Parr (FDP): zu Weißen, von Armen zu Reichen geht. Genau das kann Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde (B) man beobachten. Genau darüber hat der Europarat erst mir etwas mehr Selbstdisziplin abverlangen. (D) vor kurzem berichtet. Wir haben im Europarat eine Ent- schließung formuliert, in der der zunehmende Organhan- Die Transplantation von Organen in einen anderen del angeprangert wird, in der von den 45 Mitgliedstaaten Menschen bleibt für mich immer noch ein Wunder des des Europarates ganz deutlich gesagt wird, der Verkauf medizinischen Fortschritts. Sie wird seit nunmehr fast von Organen, von Menschenteilen und von ganzen Men- 40 Jahren in Deutschland durchgeführt. Leben wird da- schen – dort wurde auch über Menschenhandel gespro- durch gerettet, Lebensqualität erheblich verbessert. chen – sei gleichermaßen zu verurteilen; da komme man Doch der Fortschritt hat leider seine Grenzen. Die ganz stark in Konflikt mit den Menschenrechten. Zahl der Organspenden konnte mit den medizinischen (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) Möglichkeiten und dem gestiegenen Bedarf nicht mehr Schritt halten. Derzeit warten 11 500 Patientinnen und Deswegen lehnen wir auch die Tendenz ab, die wir in Patienten auf ein Spenderorgan. Die durchschnittliche Deutschland beobachten. Die Forderung, die jetzt erho- Wartezeit bis zur Transplantation einer Niere beispiels- ben wird, nämlich dass es einen Markt für Organe weise beträgt etwa fünf Jahre. Das Warten auf ein Herz auch in Deutschland geben soll, dass es Menschen er- oder eine Leber bedeutet meist einen Wettlauf mit der laubt sein soll, ihre Organe zu verkaufen, wie das Zeit, den viele Patienten nicht gewinnen. Oberender und Rudolf aus Bayreuth im Oktober vorigen Jahres veröffentlicht haben, die auch von der Deutschen (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ja! – Horst Stiftung Organtransplantation immer wieder in die Dis- Friedrich [Bayreuth] [FDP]: So ist es!) kussion eingebracht wird und die aus den Fragen der Bezogen auf die Einwohnerzahl werden in Deutsch- CDU/CSU-Fraktion herausklingt – man will hier einen land weit weniger Organe transplantiert als in den meis- Bewusstseinswandel schaffen und die Menschen über fi- ten unserer Nachbarstaaten. Aus gutem Grund fragt die nanzielle Anreize dazu bringen, ihre Organe zu verkau- CDU/CSU bei der Bundesregierung nach; denn die Zah- fen –, lehnen wir ab. Das wollen wir nicht. Das darf in len aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes Deutschland nicht stattfinden. Das wird auch die Bun- sind höchst beunruhigend. desregierung nicht anders sehen. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 2001 lag der Beteiligungsgrad der Krankenhäuser mit Intensivstationen bei 44 Prozent. Gerade bei den Kran- In Israel wird eine Niere für etwa 100 000 Dollar ver- kenhäusern der Grundversorgung ist die Beteiligung ge- kauft. Der Gewinn aus dem Handel mit einer Niere liegt ring. Nur 5,2 Prozent aller postmortalen Organentnahmen 10432 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Detlef Parr (A) erfolgten aufgrund eines Organspendeausweises – mit 47 Fragen. Die CDU/CSU erwartet natürlich – das hoffe (C) der Folge, dass nur bei 54 Prozent der potenziellen Or- ich zumindest –, dass diese Fragen fundiert und umfas- ganspender Organe entnommen werden konnten, da es send beantwortet werden. Anscheinend ist sie jedoch in den anderen Fällen zu einer Ablehnung durch die An- nicht bereit, der Bundesregierung die Zeit zuzugestehen, gehörigen gekommen war. Wenn aber 67 Prozent der die für das Einholen der notwendigen Informationen nun Bevölkerung bei einer Umfrage ihre ausdrückliche Ak- einmal notwendig ist. zeptanz erklärten, als Organspender zur Verfügung zu (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wie kommen stehen, dann kann und muss durch massive Aufklärung Sie denn darauf? Wer hat das gesagt?) der Bevölkerung, durch Thematisierung in der Gesell- schaft die Zahl derer erhöht werden, die ihre Akzeptanz Die Unionsfraktion weiß doch selbst am besten, dass schriftlich oder zumindest mündlich klar äußern. ihre Fragen nicht nur die Bereiche von Bund und Län- dern betreffen, sondern zum Beispiel auch die Trans- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten plantationszentren, die Kostenträger und vor allem die der CDU/CSU) Deutsche Stiftung Organtransplantation als Koordinie- Wichtig ist für die FDP: Die Zustimmungslösung rungsstelle. steht für uns nicht zur Disposition. Jeder Mensch muss Sollte die CDU/CSU jedoch tatsächlich so misstrau- das Recht haben, selbst zu entscheiden. Eine Wider- isch gegenüber der Bundesregierung sein, was die Be- spruchslösung lehnen wir deswegen weiterhin ab. antwortung ihrer Fragen angeht, so frage ich mich, wa- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. rum sie sich nicht auf das ureigene Beratungsorgan des Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]) Bundestages, die Enquete-Kommission, beruft, Ein Thema, das immer stärker in die öffentliche Dis- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- kussion rückt, die Lebendspende, wurde auch in der SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Anfrage thematisiert. Es ist gut, dass sich die Enquete- Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]) Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medi- hat doch der Bundestag nicht nur in der letzten, sondern zin“ intensiv damit befasst; denn wir werden und müssen auch in dieser Wahlperiode die Enquete-Kommission über die Ausweitung der möglichen Spender für eine Le- „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ einge- bendspende reden. Der Staat sollte meiner Meinung setzt, die sich explizit unter anderem mit der Organ- nach keine Organspenden verhindern, wenn ein einwilli- spende auseinander setzt und von der ich weiß, dass in gungsfähiger und aufgeklärter Bürger ein Organ ohne ihr auch Mitglieder der CDU/CSU vertreten sind. finanzielle Interessen spenden will, um ein Menschenle- ben zu retten. Die Beschränkung auf Empfänger, zu (Zuruf der Abg. Julai Klöckner [CDU/CSU]) (B) (D) denen der Organspender ein Näheverhältnis hat, er- scheint nicht mehr haltbar. Überkreuzspenden und altru- – Schreien Sie doch nicht immer! Hören Sie zu! istische Spenden in einen Organpool sollten ermöglicht (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wer blökt denn werden; auch über die Zulassung einer Organspende für hier?) einen bestimmten Empfänger ohne besonderes Nähever- hältnis sollte nachgedacht werden, vorausgesetzt, eine Die Enquete-Kommission wird voraussichtlich Ende des eingehende ethische Prüfung ergibt, dass es sich nicht Jahres einen Zwischenbericht zum Thema Lebendorgan- um Organhandel handelt. Darin, Herr Kollege Wodarg, spende vorlegen. Deshalb frage ich mich: Sollte nicht sind wir einer Meinung: Organhandel als Geschäft ist in unabhängig von der Beantwortung der Anfrage durch Deutschland nicht zu akzeptieren. die Bundesregierung dieser Bericht abgewartet werden, bevor man beispielsweise über eine Weiterentwicklung Wir sind gespannt, wie die Antworten der Bundesre- des Transplantationsgesetzes in Richtung Lebendorgan- gierung auf die Fragen der Union lauten, und freuen uns spende nachdenkt? Wenn Sie den Prozess bis Ende des auf die Debatte im Parlament, die die Union anstößt. Jahres nicht abwarten können – Sie sitzen in dieser En- Herzlichen Dank. quete-Kommission –, dann tragen Sie dazu bei, dass er beschleunigt wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr gut!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Selg, Bünd- Ich möchte nicht weiter über die Intention der CDU/ nis 90/Die Grünen. CSU spekulieren, diese Beratung heute Abend hier ein- zufordern. Dazu ist die Thematik der Organspende und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ihre gesetzliche Regelung einfach ein zu sensibles Feld. des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Lieber mal zur Sache!) Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Genau deshalb ist als Erstes grundsätzlich festzuhalten, ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der dass das Transplantationsgesetz insgesamt weitgehend CDU/CSU hat vor knapp drei Monaten eine Große An- Rechtssicherheit geschaffen hat. Es ermöglicht eine trag- frage zur Förderung der Organspende an die Bundesre- fähige Regelung für die Praxis der Organtransplantation. gierung gerichtet. Die Anfrage umfasst immerhin Zu diesem Ergebnis ist übrigens auch die Enquete-Kom- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10433

Petra Selg (A) mission in ihrem Abschlussbericht 2000 gekommen; ich Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) hoffe, Sie haben ihn gelesen. Ich erteile das Wort der Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion. Thematisierungsbedarf gibt es vor allem aus drei Gründen: Der erste Grund ist die Tatsache, dass die Län- der bei der Umsetzung des Transplantationsgesetzes Julia Klöckner (CDU/CSU): hinterherhinken. So gibt es erst wenige Landesgesetze, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich die sich dieser Zuständigkeit annehmen, und dies, ob- denke, dieses Thema ist nicht dazu geeignet, Applaus zu wohl es nachweislich positive Effekte auf die Zunahme erheischen, dem einen oder anderen eins draufzugeben der Transplantationen postmortal gespendeter Organe oder ihn vorzuführen. Dieses Thema ist eines der weni- gibt. gen Themen hier im Parlament, bei denen es in der Tat um Leben und um Tod geht und bei denen wir zusam- Auch auf Länderebene hat man in der Zwischenzeit menarbeiten müssen. erkannt, dass es hier großen Nachholbedarf gibt. So be- fasst sich die heute und morgen tagende Gesundheitsmi- (Petra Selg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nisterkonferenz mit einem Antrag zur Verbesserung der Dann tun Sie es doch!) Organspendesituation. Hierbei werden wichtige Knack- Ich glaube nicht, dass man über ein Thema, zu dem punkte benannt: die Versorgungsaufträge der Kranken- vor sieben Jahren ein Gesetz verabschiedet worden ist, häuser, die Unterstützung der Deutschen Stiftung Organ- nicht mehr nachdenken muss, nur weil ein Abschlussbe- transplantation als Koordinierungsstelle und die richt einer Enquete-Kommission – das war übrigens Notwendigkeit konkreter Vorgaben für die Zulassung als kein Abschlussbericht; denn sonst stünde dieses Thema Transplantationszentrum. in der Enquete-Kommission nicht mehr auf der Tages- Der zweite Grund steht im Zusammenhang mit der ordnung – bzw. ein Ergebnis vorliegt. europäischen Geweberichtlinie, die Vorgaben für die Ich finde es sehr traurig, dass Sie diesen Zungen- Transplantation von Gewebe und Zellen macht. Hierbei schlag in die Debatte hineingebracht haben; denn es geht gibt es bezüglich der Transplantation von Gewebe Über- hier um eine Große Anfrage. schneidungen mit dem Transplantationsgesetz. Wie sol- len zum Beispiel die Verteilungskriterien für Augen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hornhäute gestaltet werden? Wie ist mit dem Gewebe neten der FDP) nicht transplantabler Organe umzugehen, also etwa mit Ich weiß jetzt nicht, ob Sie mit den parlamentarischen Herzklappen oder Leberzellen? Dies fällt nicht unter das Vorgehensweisen nicht vertraut sind. (B) derzeitige Transplantationsgesetz. Hier geht es bei der (D) Verteilung derzeit nach dem Motto zu: Wer zuerst (Petra Selg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kommt, mahlt zuerst – oder er nimmt sich, was er Natürlich!) braucht. Es gibt eine Große Anfrage – ich weiß nicht, ob diese ei- Der dritte Grund ist die tendenzielle Ausweitung der ner Enquete-Kommission entgegensteht. Lebendorganspende. Hier steht, wie gesagt, ein Bericht der Enquete-Kommission aus, der meiner Meinung nach (Zuruf von der FDP: Nein! Mitnichten!) abzuwarten ist. Noch einmal: Sollte er durch Ihre Mitar- Wenn Sie sich einmal das Programm unserer Enquete- beit schneller kommen, wäre nichts dagegen einzuwen- Kommission, insbesondere der Themengruppe Trans- den. Bei der Debatte um die Lebendorganspenden wird plantationsmedizin, anschauen würden, dann würden Sie dann hoffentlich berücksichtigt werden, dass es zu kei- sehen, dass es durchaus um ganz andere Themen geht als ner Beeinträchtigung der Postmortalspende kommen um das, was Sie uns in die Schuhe zu schieben versucht darf und dass ein Hauptaugenmerk auf den Versiche- haben. Es geht nicht um Profilierung, sondern es geht rungsschutz für Lebendorganspender liegt. wirklich darum: Wie können wir akut und sehr schnell optimieren und Möglichkeiten nutzen, die bisher nicht Zusammenfassend ist festzustellen: Die Große An- genutzt wurden, um dadurch Menschenleben zu retten? frage der CDU/CSU geht an dem eigentlichen Themati- sierungsbedarf vorbei, nämlich der Umsetzung durch (Beifall bei der CDU/CSU) landesrechtliche Regelungen und den Verteilungsregeln für Gewebe. Sie können aber sicher sein, Herr Rachel, Wie Sie wissen, kann man, wenn man eine Große An- dass Sie Ihre Antworten bekommen; denn an Sachthe- frage eingereicht hat, nach drei Wochen oder auch später men ist die Bundesregierung und ist auch die Koalition (Petra Selg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: immer interessiert. Sie können auch sicher sein, dass wir Nach drei Monaten!) das Thema gerne in den Focus der Debatte führen. Nur, für Showeinlagen dieser Art ist das Thema nicht geeig- – nein, Sie sollten sich einmal informieren – beantragen, net. dass man frühestens nach drei Monaten und vor allen Dingen, wenn die Anfrage beantwortet ist, eine Debatte Vielen Dank. dazu führt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Petra Selg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer und die der SPD) muss sich jetzt informieren, Sie oder ich?) 10434 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Julia Klöckner (A) Ich weiß nicht, warum Sie sagen, wir seien skeptisch; len wir Fragen, die uns bei der Arbeit in der Enquete- (C) das wundert mich schon sehr. Weder Herr Rachel noch Kommission helfen. Deshalb sind wir dankbar, wenn wir Herr Parr haben etwas Entsprechendes gesagt. Wir auf zuverlässige Daten vom Ministerium zurückgreifen möchten dieses Thema auf die Tagesordnung bringen, können. Schließlich geht es um die Xenotransplantation, weil es ein wichtiges Thema ist also um Forschungsentwicklungen in der Zukunft. Es ist doch schön, wenn wir das Ministerium in dieser komple- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) xen Frage mitnehmen können. und weil wir auch den Menschen ein Zeichen geben wol- Ausgehend von dieser geschilderten kritischen Ent- len, die auf der Warteliste stehen, für viele ist es nämlich wicklung möchten wir wissen, wie ernst der Bundesre- eine Todesliste. Wenn wir heute Morgen zur Prime Time gierung das Thema ist. Die Gelder für Informationsmit- um 9 Uhr zu einer Regierungserklärung über das Über- tel sind in den vergangenen Jahren halbiert worden. gewicht in Deutschland reden, dann, so finde ich, kann Wenn ich aber kein Informationsmaterial habe, wenn man auch um 19 Uhr über Menschen reden, die auf ein ich mit dem Thema nicht in Berührung komme, dann lebensrettendes Organ warten. mache ich mir auch keine Gedanken darüber. Dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Punkt ist uns wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach rund sieben Jahren ist es nämlich an der Zeit, einmal zu schauen, ob das Ziel erreicht worden ist, das Ich glaube, Kollege Wodarg möchte eine Zwischen- mit dem Transplantationsgesetz 1997 beabsichtigt frage stellen. wurde, nämlich die Förderung der Organspende als Ge- meinschaftsaufgabe. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Kollege Rachel und Kollege Parr, aber auch Kollege Genauso ist es. Offenkundig wollen Sie die Zwi- Wodarg haben es erwähnt: Es ist in der Tat erschütternd, schenfrage auch zulassen. Bitte schön, Herr Wodarg. dass rund 14 000 Menschen auf der Warteliste stehen.

Ich kann Ihnen sagen, was mich sehr betroffen ge- Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): macht hat und warum wir uns in dieser Frage so sehr en- Vielen Dank. – Frau Klöckner, als ich Ihre Fragen ge- gagieren. „Durst ist schlimmer als Heimweh“ hat einmal lesen habe, habe ich mich gewundert, dass Sie zwar sehr eine Dialysepatientin gesagt. Sie darf nur ein Glas Was- intensiv an die Menschen denken, die auf Organe warten ser trinken; sie steht seit Jahren auf der Warteliste und – natürlich ist das ein wichtiger Punkt –, dass Sie aber weiß, dass ihre Chancen, mit einer transplantierten Niere – und das fehlt mir – kein Gespür für die andere Seite (B) zu überleben, umso schlechter sind, je länger sie auf der zeigen. Es ist klar, dass viele von denen, die spenden, (D) Warteliste ist und an der Dialyse hängt. Das lässt einen nichts mehr sagen können. Aber man muss doch einmal nachdenklich werden. Ich denke, das ist Grund genug, die Situation der Angehörigen hinterfragen: Wie geht einmal nachzufragen, ob sich das, was man vor sieben es denen hinterher? Was ist mit denen? Wie haben die Jahren beschlossen hat, bewährt hat. Gegebenenfalls das verarbeitet? Das fehlt mir bei Ihnen völlig. müssen wir uns fragen, was man tun kann, damit das ef- fektiver wird. Was bei Ihnen außerdem fehlt – das ärgert mich sehr, das ärgert mich sogar am allermeisten –, ist, dass Sie in Teilweise gibt es eine grundsätzliche Zustimmung zur keinerlei Weise fragen, was man denn tun kann, damit Organspende, teilweise wollen sich Menschen damit diese Warteliste nicht immer länger wird – außer natür- einfach nicht beschäftigen. Wir haben das Thema auf die lich, dass man versucht, Organe zu beschaffen. Es hat Tagesordnung gesetzt, um diese Problematik wieder in doch Gründe, dass die Nieren versagen. Die Leute haben das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Wenn Sie einen schlecht eingestellten Blutzucker und Bluthoch- Menschen fragen, ob sie ein Organ nehmen würden, druck. dann wird die Antwort regelmäßig sein, dass sie das – zum Beispiel, wenn sie einen Unfall hatten – na- Julia Klöckner (CDU/CSU): türlich machen würden. Wenn man dieselben Menschen dann aber fragt, ob sie auch einen Organspendeausweis Können Sie eine Frage stellen? haben, dann heißt es häufig: Darüber habe ich nicht nachgedacht. Man wird ja auch nicht damit konfron- Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): tiert. – An dieser Stelle möchten wir einen Beitrag leis- Die Leute nehmen Schmerzmedikamente ein, für die ten. in der Öffentlichkeit geworben wird. Es ist kein wirkliches Argument, dass doch ein Be- (Zurufe von der CDU/CSU: Frage stellen!) richt der Bundesregierung vorliege. Ein Bericht an sich ist noch kein Qualitätsmerkmal. Wir müssen schauen, All das sind die wichtigsten Gründe für Nierenversa- was die Ergebnisse sind und was wir mit diesen Ergeb- gen. nissen machen. Deshalb haben wir die Große Anfrage gestellt, die in drei Bereiche eingeteilt ist. Zum einen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: geht es um das Thema der postmortalen Spende, dem Herr Kollege, Sie müssten jetzt in der Tat eine Frage sich die Enquete-Kommission erst im nächsten Jahr zu- stellen; denn zu einer Kurzintervention haben Sie das wendet. Zudem geht es um die Lebendspende. Dazu stel- Wort weder erbeten noch erhalten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10435

(A) Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): wie Biologie, Ethik und Religion zu integrieren. Wenn (C) Meine Frage ist, weshalb diese Fragen in der Großen man seine Führerscheinprüfung macht, muss man auch Anfrage nicht auftauchen. über jedes Schild Bescheid wissen. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Klöckner (CDU/CSU): Ich habe eine Gegenfrage, Herr Wodarg: Warum ha- Ganz wichtig ist es, darauf zu achten, dass sich die ben Sie die Große Anfrage nicht gescheit durchgelesen? Kliniken mit dieser Thematik beschäftigen; denn sie Sehr wohl stehen diese Fragen darin. sind die Schnittstelle. Wir müssen hinterfragen, warum es viele kleine Kliniken unterlassen, hier aktiv zu wer- (Detlef Parr [FDP]: Sie müssen stehen bleiben, den. Legen sie dabei drauf, wenn sie eine oder zwei Herr Kollege!) Nächte einen Nierentoten auf der Intensivstation versor- – Stehen bleiben! Ich würde auch bei Ihnen gerne stehen gen müssen? Oder ist das Pflegepersonal nicht genügend bleiben. sensibilisiert, um mit den Angehörigen in angemessener Weise umgehen zu können? Herr Wodarg, wir können gerne nachher diese Fragen durchgehen. Wir haben sehr wohl danach gefragt, was Uns geht es keinesfalls um Populismus. Die DSO, die getan wird, um die Betreuung der Angehörigen zu ver- Sie so gerne zitieren, ist dankbar, dass die Union dieses bessern. Denn in der Tat geht es um die Angehörigen, Thema aufgegriffen hat und Anstöße gibt. Hier geht es die ja zustimmen müssen, die aber eine gewisse Hemm- nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinan- schwelle haben, wenn ein von Ihnen geliebter Mensch der, um denjenigen zu helfen, die sich nicht selbst helfen verstorben ist. Sie werden auch die Fragen finden: Wird können. denn genügend bei der Personalausbildung in den Klini- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ken getan, damit diese besser mit den Betroffenen umge- hen können? Gibt es Organisationen bzw. Initiativen, die Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: sich nachher mit den Angehörigen treffen? Welche wei- Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die teren Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor, um Parlamentarische Staatssekretärin Caspers-Merk das hier weitergehend tätig werden zu können? Wort. Vielleicht kennen Sie nicht alle Fragen in der Großen Anfrage. Wir können sie gerne durchgehen. Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der (Detlef Parr [FDP]: Und Lesen!) Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (B) – Und lesen. – Ich bin sicher, dass wir die von Ihnen an- erinnere mich noch gut daran, als 1967 die erste Herz- (D) gesprochenen Fragen darin finden werden. transplantation durchgeführt wurde. Sie sorgte interna- tional für großes Aufsehen. Keiner hatte damals ge- Sie haben mir das Stichwort gegeben, um zu einem anderen Aspekt überleiten zu können. Wir wollen mit glaubt, dass das möglich ist und dass Patienten mit einem fremden Herzen überleben können. Heute gehört unseren Fragen herausfinden, wo es Missstände gibt. diese Operation zum Standard in den deutschen Herz- Wir halten dies für sehr wichtig. Aus dem Ministerium bekommt man aber zwischen den Zeilen gesagt, man zentren, wo Tag für Tag Herztransplantationen mit gro- müsse sich erst einmal einen Überblick verschaffen, zur- ßem Erfolg vorgenommen werden. Es ist also richtig, dass wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Ergeb- zeit gebe es anderes zu tun und man sei unterbesetzt. Darauf antworte ich: Es wird Zeit, dass Sie sich einmal nisse mit dem Transplantationsgesetz erzielt werden einen Überblick verschaffen. Es ist bei dieser Thematik konnten. fatal, dass Sie keinen haben. Frau Kollegin Klöckner, das Transplantationsgesetz wurde von uns mitgetragen. Sie waren damals an der Re- (Beifall bei der CDU/CSU) gierung; Wir stellen auch konkrete Forderungen. Wir haben (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich war damals Vorstellungen, was man tun könnte, ohne dass das Ge- an der Uni!) setz geändert werden muss. Wir könnten uns zum Bei- spiel vorstellen, dass es einen entsprechenden Vermerk wir waren in der Opposition. Wir haben 1997 dieses Ge- auf der Krankenversichertenkarte gibt. Die Kranken- setz gemeinsam verabschiedet, weil wir wollten, dass kassen wollen alles von ihren Mitgliedern wissen. Daher eine sichere Rechtsgrundlage für die Spende, für die können sie auch abfragen, ob jemand Organspender wer- Entnahme und für die Transplantation von Organen ge- den möchte. Das kann auf einer Versichertenkarte gut schaffen wird. vermerkt werden. Das Gesetz hat sich im Wesentlichen bewährt. Dies Wichtig ist für uns, dass die Aufklärung weiterhin war auch die Einschätzung auf der Gesundheitsminister- forciert wird, dass es entsprechende Materialien gibt und konferenz, von der ich gerade komme. Die Länderminis- dass die Auseinandersetzung über diese Thematik wei- ter stellen fest, dass das Gesetz ein Erfolg ist. Im Jahr tergeführt wird. Wir fordern, dass diese Thematik in die 2003 wurden 11 Prozent mehr Organe als im Jahr 2002 Lehrpläne aufgenommen wird. Obwohl es Ländersache gespendet. Es gibt also eine deutlich positive Tendenz. ist, müssen wir das Thema ansprechen, ob es nicht sinn- Wir haben auch eine Zunahme der Transplantationen voll ist, die Aufklärungsarbeit im Rahmen von Fächern insgesamt. Es geht aufwärts. Das ist die gute Botschaft. 10436 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (A) Aber auch die Kritik ist berechtigt, dass die Wartelis- Die dritte Aufgabe ist es, weiterhin für eine stärkere (C) ten immer noch zu lang sind und dass wir im europäi- gesellschaftliche Akzeptanz zu sorgen. Das können wir schen Vergleich noch keinen Spitzenplatz belegen, son- nicht nur über Broschüren tun, sondern das muss jede dern einen Platz, der uns veranlassen sollte, darüber und jeder in seinem Umfeld machen. Wir müssen die nachzudenken, was wir tun können. vorhandenen Sorgen und Nöte ernst nehmen und die Vorurteile abbauen. Wir müssen dafür sorgen, dass nie- Natürlich kann man die Anzahl der gespendeten Or- mand die ethischen Grundsätze außer Acht lässt und wir gane nicht planen und nicht verordnen. Da ist Überzeu- müssen die ethischen Bedenken der Spender und ihrer gungsarbeit notwendig und die vorhandenen „Stell- Angehörigen ernst nehmen. schrauben“ müssen richtig eingestellt sein. (Detlef Parr [FDP]: Öffentliche Debatte!) In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass die Zahlen, die hier genannt wurden, nicht korrekt Nur so kommen wir weiter. sind. Seit 1997 wurden insgesamt über 7 Millionen Euro Nun komme ich zu der Frage, welche Rolle die in die Aufklärungskampagne „Organspende schenkt Le- Enquete-Kommission in diesem Zusammenhang spielt. ben“ der BZgA gesteckt. Es ist richtig, dass es im letzten Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages Jahr weniger war; dafür ist es in diesem Jahr doppelt so sind Beratungsgremien, die sich der Bundestag selbst viel wie im vergangenen Jahr. Das hat aber auch damit schafft. Eine Enquete-Kommission hat dieses Thema als zu tun, dass man zunächst die Nachfrage nach einer Bro- Schwerpunkt. Sie wird sich auch zu dem ethisch sehr schüre abwartet. strittigen Thema der Lebendspende äußern. Die Bundes- Die Summe, die die BZgA ausgibt, hängt auch mit regierung sollte dem Votum der Enquete-Kommission der Bereitschaft der Länder zusammen, gemeinsame Ak- nicht vorgreifen, weil damit eine Beratung in der En- tionen zu starten. Es macht nämlich keinen Sinn, zum quete-Kommission überflüssig wäre. Die Bundesregie- Beispiel fünf Broschüren an dieselben Gruppen zu ver- rung ist sehr an den Äußerungen der Enquete-Kommis- teilen, wenn man stattdessen durch Gemeinschafts- sion interessiert. Ich will an dieser Stelle betonen: Einen aktionen mit Kooperationspartnern, insbesondere mit Organhandel wird es mit dieser Bundesregierung nicht Krankenhäusern und Ärzten, wesentlich bessere Ergeb- geben; das ist ausdrücklich ausgeschlossen. nisse erzielt. Deswegen ist es, denke ich, richtig, dass es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bei der BZgA diesen Schwerpunkt gibt und dass wir im DIE GRÜNEN) Jahre 2004 wieder mehr Geld für Kampagnen, aber auch für Gemeinschaftsaktionen zur Verfügung stellen. Ich Wir werden dafür sorgen, dass nicht Anreize finan- glaube, damit schlägt die Bundesregierung eine richtige zieller Art geschaffen werden. Wir werden auch dafür (B) Maßnahme vor. sorgen, dass die hohen ethischen Standards, die in (D) Deutschland bei der Organspende existieren, beibehalten Was ist die zweite „Stellschraube“? Die zweite „Stell- werden. schraube“ ist die Meldepflicht für die Krankenhäuser, die noch nicht in ausreichendem Maße melden. Das Mein Appell geht an Sie: Helfen Sie dort, wo Sie wurde heute von allen Rednerinnen und Rednern be- Überzeugungsarbeit leisten können, dieses Thema zu klagt. An dieser Stelle ist die Frage berechtigt: Wer ist fördern. Ihre Fragen beantworten wir gern, allerdings denn dafür zuständig? Die Bundesregierung ist es nicht; muss jeder wissen: Die Hauptverantwortung liegt bei sondern hier gibt es eine klare Verantwortung der Län- den Beteiligten und bei den Ländern. Deswegen sind der. Diese Verantwortung der Länder muss eingefordert auch sie mit in die Pflicht zu nehmen. Wir haben dies werden. Es ist nicht in Ordnung, dass immer noch nicht durch eine Abfrage bei den Ländern getan. Wir werden, jedes der 100 Krankenhäuser der Maximalversorgung sowie die Ergebnisse aus den Ländern vorliegen, Ihre meldet, obwohl eine Meldepflicht gesetzlich geregelt ist. Fragen umfassend und kompetent beantworten. Was haben wir als Bund getan? Wir haben unsere Schönen Dank. Hausaufgaben erledigt, liebe Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von der Union. Wir haben seit 1. Januar darauf hinge- DIE GRÜNEN) wirkt, dass zum Beispiel die Vergütung, die für den Auf- wand der Meldung pauschal gewährt wird, erhöht wird. Das ist ein wichtiger Anreiz, damit die Krankenhäuser Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: melden. Ich schließe die Aussprache. Ich sage es aber noch einmal: Es kann nicht sein, dass Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 14: einerseits die Krankenhausplanung Ländersache ist, an- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- dererseits aber dann, wenn der Meldepflicht nicht hinrei- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und chend nachgekommen wird, der Bund zuständig sein Wohnungswesen (14. Ausschuss) soll. Da müssen die Länder an ihre Verantwortung erin- nert werden. Ich erwarte, dass sich die Landesministerin- – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin nen und Landesminister ihrer politischen Aufgabe stel- Rehbock-Zureich, Sören Bartol, Uwe len und die Krankenhäuser darauf hinweisen, dass es zu Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak- ihrem Versorgungsauftrag gehört, bei Organspenden ih- tion der SPD sowie der Abgeordneten Albert rer Meldepflicht nachzukommen. Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln),