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FUSSBALL-NATIONALMANNSCHAFT Generation Frings Die Welt des Fußballs sei gläsern, sagt Rudi Völler, doch richtig ist das nicht: Nie zuvor erfuhren Medien und Fans so wenig von der Mannschaft wie bei dieser EM. Die Auswahl funktioniert nach einem strengen Kodex, Mittelfeldmann ist ihr Prototyp. Von Klaus Brinkbäumer

Ein Spieler der deutschen tritte der beiden, weil sie für Gruppenge- kret darüber, dass sich alle elf Spieler mit Fußball-Nationalelf sollte fühl, Klarheit und Strukturen stehen. Und dem Ball über das Feld „verschieben“ müs- das Wort „ich“ vermeiden. wie das so geht, wenn zwei Trainer jeden sen; „einen hast du meistens in der Mann- Gestattet ist das Wort Mittag im Fernsehen auftreten und 23 Spie- schaft“, sagt Frings, „der nicht so ein tak- „ich“ nur dem Torhüter – ler währenddessen auf ihren Betten liegen tisches Verständnis hat, einen kannst du weil Torhüter anders sind – und ihren Trainern zuhören: Irgendwann aushalten, wenn er geniale Tore macht, und den Feldspielern in gebrauchen die 23 Spieler natürlich die- aber wenn du zwei solcher Spieler hast, Sätzen wie diesem: „Ich selben drei Wörter. kannst du schon nicht mehr gewinnen“. bin nicht wichtig, wichtig ist die Mann- Zum Beispiel Frings. Der Mittelfeldspie- Und dann sagt Frings: „Man braucht ja schaft.“ ler Torsten Frings, der das Führungstor ge- insbesondere eine Ordnung. Es gibt die Folgende drei Wörter sollte ein Mitglied gen Holland schoss, sitzt auf einem üppig Solisten kaum noch, die früher die Num- der deutschen Nationalelf aufsagen kön- gepolsterten Stuhl, er trägt ein schwarzes mer 10 trugen und die langen Pässe schlu- nen: „Mannschaft“, „insbesondere“, „Ord- T-Shirt mit Mercedes-Stern, er hat sorg- gen, weil die Räume heute so eng sind und nung“, wahlweise „Abläufe“. sam gestrubbeltes Haupthaar und ist unra- keine Zeit mehr da ist zum Nachdenken Das sind die meistgebrauchten Wörter siert, was bei ihm immer ziemlich verwe- nach der Ballannahme. Du gewinnst heu- im Hotel Ria Park Garden an der Algarve; gen aussieht, weil er auf der linken Wange te nur noch als Mannschaft.“ Rudi Völler, der Teamchef, und Michael eine große Stelle hat, wo keine Haare So redet der deutsche Fußballer in Por- Skibbe, sein Bundestrainer, lieben diese wachsen. Und nun redet Torsten Frings all- tugal, so redet Völlerskibbefrings. Nur Oli- drei Wörter, sie ziehen sich durch die Auf- gemein über modernen Fußball und kon- ver Kahn sagt ständig „ich“. Der darf das. Die anderen haben Regeln, einen Kodex, und sie halten sich daran. Nicht öffentlich „ich“ sagen. Nicht den Trainer oder den Mitspieler kritisieren. Kein Geheimnisverrat. Den Mannschafts- geist preisen. Den Gegner ernst nehmen. Es scheint zu funktionieren. Die Nationalspieler der Generation Frings wirken nicht mehr männerbündle- risch wie jene, die einst über die Zäune der Sportschule Malente stiegen, sie wirken eher ein wenig einsam: Sie spielen heute kaum noch Karten beim Deutschen Fuß- ball-Bund (DFB). Sie lassen sich massie- ren und studieren Videos vom Gegner, sie nutzen ihre Freizeit für Gymnastik, Strand- läufe oder Krafttraining; „jeder hat ja so seine Schwäche und arbeitet daran“, sagt Frings, dessen Schwäche der Rücken ist; Frings stärkt seinen Rücken, sobald er zehn Minuten Zeit hat. Die Spielergeneration Frings wirkt sehr zielorientiert. „Der Geist von Malente ist endgültig in der Flasche“, so sagt es Völler, „das ist eine erwachsene Mannschaft“; sie sind Unter- nehmer, die sich selbst verkaufen, und Völ- ler hat eine durchaus smarte Strategie ent- wickelt, mit der er die Jungs, die er „Män- ner“ nennt, auf Linie hält. Völler sagt und zeigt seinen Männern, „dass ich alles weiß und kenne, was ein Spieler versucht oder denkt, weil ich das auch mal versucht oder gedacht habe“. Er verlangt und gibt Loyalität; im Alltag ge-

FIRO plagte Spieler wie oder Nationalspieler Frings (gegen Hollands Rafael van der Vaart): „Den absoluten Willen“ sind immer schwer er-

164 der spiegel 26/2004 ren verringert haben: Das sind wohlerzo- gene junge Männer, zurückhaltend, be- scheiden und dennoch selbstbewusst, die man sich sogar zum Schwiegersohn wün- schen würde, was man damals über Lo- thar Matthäus oder ja nicht unbedingt gesagt hätte“. Auch Bernd Pfaff kennt Rudi Völler schon seit Jahrzehnten: Er war Jugendlei- ter bei Kickers Offenbach, als Völler dort anfing. Das ist die Hessen-Connection; je- den Abend um elf, wenn die Spieler mas- siert und im Bett sind, treffen sich Pfaff und Völler, Skibbe, Stenger, die Ärzte, die Physiotherapeuten und die Köche im Ho- telgarten und trinken ihr Feierabendbier, und alle in der Runde wissen, dass kein Wort nach draußen dringt. Rudi Völler sagt zwar ständig, dass das Fußballgeschäft „gläsern“ geworden sei, aber das heißt noch nicht, dass das stimmt. Richtig ist, dass jede der 16 Nationen

MATTHIAS HANGST / WITTERS HANGST MATTHIAS von den anderen 15 auf Video und Zettel- DFB-Pressekonferenz in Almancil: Simulation von Recherche chen mit vielen Diagrammen und Pfeilen erfasst ist, „es gibt noch überraschende Einzelaktionen, aber keine überraschende Taktik mehr“, sagt Ballack. Wenn es aber um Medien geht, kann Völler eigentlich nur Milchglas meinen: Die Spieler sagen nichts, die Presse hat nichts – es ist ein ständiges Rauschen und Flimmern, aber gab es schon eine Nachricht? „Also, die Standortbestimmung ist nicht anders als vor zwei oder drei oder vier Tagen“, sagt Völler alle zwei oder drei oder vier Tage. Diese täglichen, live in die Heimat über- tragenen Pressekonferenzen finden 100 Me- ter vom Teamhotel entfernt statt, es geht hinab in den Keller, dort unten muss man dann an den Ständen der Sponsoren vorbei: Die Postbank verschenkt gelbe Fußbälle, Bitburger zapft schon früh am Morgen, und Adidas verteilt „Give-aways“ und meint T-Shirts, mit denen die Journalisten gleich dreigestreift ins Fernsehen kommen. Und ganz hinten, vor einer Wand mit vielen Firmenlogos und hinter einem klei- nen Fußball, aus dem sein Mikrofon ragt,

FRIEDEMANN VOGEL / BONGARTS FRIEDEMANN sitzt nun Harald Stenger, der Pressechef, Medienereignis Nationalmannschaft: „Rudis Authentizität ist der Kern“ und wenn der um zwölf Uhr Ortszeit das Signal von der jungen Dame neben der leichtert, wenn sie endlich wieder zum war 32 Jahre lang bei der „Frankfurter Führungskamera bekommt, sagt er: „Gu- Rudi reisen dürfen. Rundschau“, er schrieb schon über Völler, ten Tag und herzlich willkommen hier in Und auch das funktioniert: Man konnte als der in der A-Jugend von Kickers Of- Almancil, der Ball rollt.“ Und Jens No- in den vergangenen Wochen ja gleichsam fenbach spielte. „Die Authentizität vom wotny sagt: „Ich denke, die Einzigen, die dabei zusehen, wie diese Mannschaft sich Rudi ist der Kern“, so beschreibt Stenger im Unklaren sind, sitzen mir gegenüber“, in ihrer schönen, deutschen Welt stärker das Programm des Planeten Nationalelf, und das ist einer der wahren Sätze in der redete, als ihre einzelnen Bauteile in Wahr- „und das soll Kreise ziehen.“ ersten EM-Woche. heit sind – und wie sie dann gegen Holland Bernd Pfaff kennt man nicht, aber er ist Und sagt: „Ich vermute so spielte, wie sie redet. der Gestalter der deutschen Welt. DFB-Di- mal, dass ich das weiß“, als er nach einem Diese deutsche Enklave von Almancil rektor Pfaff, 63, hat gräuliche Haare, trägt Gegenspieler gefragt wird. Und alle ver- prägen vier Männer: Rudi Völler, Michael sein Sakko gern über der Schulter, und er sprechen eine Mannschaft, in der jeder ins- Skibbe, Bernd Pfaff und Harald Stenger. verkörpert jenes dritte Wort, das Fußballer besondere die Ordnung hält und so weiter. Harald Stenger kennt man inzwischen, für eine deutsche Tugend halten: Ordnung. Was macht der Fußballreporter damit? das ist jener freundliche Herr mit den kah- So eine Delegation von 53 Menschen, Etat: Er nimmt, was er kriegt, und wird selbst ein len Schläfen und den kurzärmeligen Hem- sieben Millionen Euro, ist ein Drei-Wochen- Star für Sekunden. In der Welt der deut- den, der immer mittags „diese Fernseh- Konzern, und Pfaff hat den im Griff. schen Nationalmannschaft laufen Journa- sendung“ moderiert, wie er das nennt, er Pfaff sagt über den Jahrgang 2004, dass listen herum, die fragen, meint die Pressekonferenz. Stenger, 53, sich die Ansprüche „im Vergleich zu frühe- ob er deshalb ein langärmeliges Trikot tra-

der spiegel 26/2004 165 Sport „Eine Frage der Verpackung“ Die Nationalspieler Dietmar Hamann, 30, und Christian Ziege, 32, über die Auftritte der Deutschen vor der Presse, geheimes Training und Respekt unter Teamkollegen

SPIEGEL: Herr Hamann, Herr Ziege, erst- SPIEGEL: Völler sagte vor EM-Beginn, es SPIEGEL: Sie meinen, dass deshalb zu Un- mals bei einem Turnier werden die Pres- würde der Mannschaft helfen, wenn die recht über Ihre nachträgliche EM-Nomi- sekonferenzen der Nationalmannschaft deutsche Öffentlichkeit an sie glaube. Ist nierung geschimpft wurde? live im deutschen Fernsehen übertragen. es daher wichtiger, Zuversicht zur Schau Ziege: Viele hatten nicht mitbekommen, Schauen Sie in Ihren Hotelzimmern re- zu stellen, als die Wahrheit zu sagen? dass ich zuletzt in England wieder spiel- gelmäßig zu, wenn Ihre Trainer und Hamann: Die Journalisten wollen doch oft te. Die sagten: Der war doch zwei Jahre Teamkameraden auf Sendung sind? gar nicht die Wahrheit hören. Sie wollen nur verletzt. Hamann: Bei mir kommt’s drauf an, wer spektakuläre Geschichten. Und ob man SPIEGEL: Nun können Sie hier in Alman- dran ist. eine positive Stimmung transportiert oder cil von einer riesigen Bühne herab der Ziege: Bei mir auch. Manche Kandidaten nicht – meine eigene Erwartungshaltung deutschen Nation ungekürzt von Ihrer sind ja besonders lustig. Manche weniger. ist doch viel wichtiger als die der Presse. Befindlichkeit berichten. Wie viel von Hamann: Neulich habe ich dem, was dort oben erzählt mich dabei ertappt, dass wird, ist wahr? ich weggeschaltet habe. Hamann: Soll ich ehrlich ant- SPIEGEL: Gibt Teamchef worten? Rudi Völler mit seinen SPIEGEL: Bitte. Auftritten die Sprachre- Hamann: Das kann ich nicht, gelung vor? sonst würde ja niemand mehr Ziege: Ich persönlich brau- hingehen zu den Pressekonfe- che keinen Trainer im renzen. Fernsehen, um zu wissen, SPIEGEL: Das wäre schade. welche Meinung ich habe. Hamann: Also im Ernst: Im Es müssen ja auch nicht Großen und Ganzen ist das immer alle Aussagen kon- schon alles wahr. Es ist nur form sein. eine Frage der Verpackung. SPIEGEL: Sie sind es aber. SPIEGEL: Wie meinen Sie das? Von dem Moment an, da Hamann: Wenn etwa vor dem Trainer Michael Skibbe Spiel gesagt wird, wir können

Samstag vor einer Woche VOGEL / BONGARTS FRIEDEMANN mit den Holländern mithalten, selbstbewusst von der Fußballprofis Hamann, Ziege: „Im Großen und Ganzen ist alles wahr“ dann ist der eine Spieler auch tollen Pflichtspiel-Bilanz persönlich davon überzeugt, sprach, um die ganz Europa die Deut- Als Spieler darf ich den Glauben an mich der andere weniger. Der hat dann im Hin- schen beneide, äußerten sich plötzlich selbst nicht verlieren. terkopf: Oh, es wird schwer. Er sagt es auch alle Spieler zuversichtlich. SPIEGEL: Herr Ziege, Sie waren bei Ihrem aber nicht so. Das ist nicht direkt eine Hamann: Das lag eher an den Fragen. Bis ersten Auftritt auf der Bühne im deut- Unwahrheit. dahin waren wir in jeder zweiten Frage schen Medienzentrum sehr ergriffen, als SPIEGEL: Und wenn die Trainer von in- auf unser verlorenes Testspiel gegen Un- Sie den Tod Ihrer Mutter erwähnten. ternen Mannschaftssitzungen berichten, garn angesprochen worden. Da fiel es Warum sagten Sie das vor so großem Pu- dann haben die auch tatsächlich stattge- schwer, selbstbewusst zu wirken. blikum? funden? Schließlich darf kein Unbefug- SPIEGEL: Haben sich die Fragen gegenüber Ziege: Ich habe es bewusst angeführt, weil ter ins Teamquartier, wo das überprüft früheren Welt- oder Europameisterschaf- es für meine persönliche Geschichte eine werden könnte. ten verändert, seit die Fragesteller dem wesentliche Rolle spielte. Ebenso wie Hamann: Sie meinen, so etwas wird für die Fernsehpublikum vorgestellt werden? meine Beinverletzung, die ich drei Mo- Öffentlichkeit erfunden? Nein, so etwas Ziege: Wenn ich mir die Pressekonferen- nate später erlitt. würde meistens rauskommen. Manche zen so anschaue, muss ich sagen: Da wer- SPIEGEL: Das so genannte Compartment- Journalisten haben ja Handynummern den jetzt Zeitungen genannt, von denen Syndrom. Eine Notoperation bewahrte von Spielern und würden sich dann be- ich nie vorher gehört habe. Auch die Sie damals vor schlimmen Folgen. schweren: Wie, es war Sitzung, und ich Qualität der Fragen ist anders. Man kann Ziege: Ja, eine Stunde später, und das lin- wusste nichts davon? Aber es gibt auch sich ja als Journalist jetzt schnell mal als ke Bein hätte amputiert werden müssen. Dinge, die nicht für die Öffentlichkeit be- fachlich ahnungslos outen, weil die Leu- Das hatte Einfluss auf alles Weitere, das stimmt sind. te das zu Hause mitbekommen. wollte ich den Leuten erzählen. Die Live- SPIEGEL: Angenommen, Kahn würgt im SPIEGEL: Wie sollten deutsche National- Übertragung der Pressekonferenz war Geheimtraining Ballack. Würde die Öf- spieler in der Öffentlichkeit wirken? meine Chance, einiges gerade zu rücken. fentlichkeit davon erfahren? Hamann: Man sollte glaubwürdig sein; Denn ich war, weil ich für meinen Club Ziege: Eigentlich müsste es durchsickern, und sich einigermaßen wie ein zivilisier- Tottenham Hotspur länger ausfiel, in denn es sind zu viele Leute am Trai- ter Mitteleuropäer ausdrücken können. Deutschland in Vergessenheit geraten. ningsbetrieb beteiligt.

166 der spiegel 26/2004 dass „unser Spiel insbesondere im taktischen und läuferischen Hamann: Um die 30 insge- Bereich …“, und da möchte samt. man sich dann ausblenden und Ziege: Und einer davon er- am Langnese-Stand ein „Sole- zählt es einem, den er kennt. ro“ essen, bis der erste Spieler Drei Stunden später weiß es auf die Bühne kommt. Aber jemand von der Presse. Aber das macht keiner mehr, weil dieses nichtöffentliche Trai- derselbe Skibbe nun immer öf- ning macht schon Sinn. Wir ter zum Mann fürs Scharfe wollen ja ab und zu in Ruhe wird. Finster. Entschlossen. arbeiten. Kalt. Dieser Skibbe sagt: „Wir Hamann: Noch mal zum Ge- werden das Spiel auf jeden heimtraining – allein schon Fall gewinnen“; ob Tschechien dieses Wort. Das ist doch eine oder Holland, „einer der Favo- Wortschöpfung von euch Me- riten wird fallen, weil wir wei- dienleuten. Es klingt wie eine terkommen“. Denn Skibbe hat Normabweichung. Dabei trai- es übernommen, diese Mann- nieren wir doch für uns, nicht schaft, die an sich zweifelte und für die Presse und nicht fürs vor allem angezweifelt wurde, Fernsehen. Es ist sofort eine wieder stark und mächtig zu andere Stimmung, wenn man reden. nicht dauernd das Gefühl hat, Gleichzeitig hat Rudi Völler, dass alles gehört, gesehen und 44, inzwischen eine Lässigkeit festgehalten wird. Ihr ver- entwickelt, die ihm nach sei- passt doch eh nichts. Wenn nem Wutausbruch gegen „Gu- die Medien alte Trainingsbil- rus und Exgurus“ keiner mehr der von letzter Woche benut- zugetraut hatte. Wenn Völler zen würden, das fiele doch jetzt nach der Aufstellung ge- keinem auf. fragt wird, sagt er nicht mehr SPIEGEL: Sie beide kennen es nur, dass er nichts sagt, er aus England so, dass weder zwinkert und sagt: „Sonst ha- Journalisten noch Fans beim ben wir morgen nichts mehr zu Training zuschauen dürfen. reden.“ Und als ihm nach dem

Ziege: In Italien guckt auch BERNHARD KUNZ Holland-Spiel, unten in den keiner zu. In Deutschland da- Teamchef Völler (in Faro): Schöne heile Welt? Katakomben des Dragão-Sta- gegen hast du Kinder am Platz, und dions von Porto, ein italieni- wenn du nach einem Zweikampf mal ein ge, weil er der lange Arm des Trainers sei. scher Reporter eine Frage stellt, antwortet Schimpfwort sagst, musst du gleich an Sogar „Bild“, einstmals nur im ganz klei- Völler zunächst lange und lächelnd auf Ita- deine Vorbildfunktion denken. Oder du nen Kreis gesprächig, weil es einstmals lienisch und verhindert dann die Überset- schreist mal einen Mitspieler an, das pas- noch um Exklusives ging, fragt jetzt live, zung durch den Dolmetscher mit wenigen siert halt. Schon steht am nächsten Tag in weil es jetzt um Präsenz geht – nur dabei deutschen Worten: „Ich habe ihm nur ge- der Zeitung: Da war Ärger. statt mittendrin, es ist die Simulation von sagt, was ich euch schon die ganze Zeit er- SPIEGEL: In der Nationalelf 2004 gibt es Recherche. zähle.“ Und alle lachen mit ihm. keinen Ärger? Es ist alles ein bisschen wie Phönix für Darum wirkten Völler & Skibbe in den Ziege: Eine Stimmung kann man nicht in Fußballfans und auch ein bisschen Seifen- ersten zehn Tagen von Portugal nicht mehr Pressekonferenzen herbeireden. Es liegt oper – und ziemlich lange war nicht einmal wie der ehemalige Fußballer und sein Co- an den Leuten, die dabei sind. In der Ver- klar, ob das Stück „Rudis schöne heile Trainer, der die Hütchen aufstellt, sondern gangenheit sind schon mal Charaktere zu- Welt“ nun reine Fiktion ist oder zumin- sammengetroffen, die nicht gepasst haben. dest auf einer wahren Geschichte basierte. Es ist alles ein bisschen wie Jetzt ist es ein angenehmes Miteinander. Und dann geschah etwas. Phönix für Fußballfans und auch SPIEGEL: Womit würden Sie die Atmo- Auf einmal, es begann vier Tage vor dem sphäre aufs Spiel setzen? Holland-Spiel, schienen Rudi Völler und ein bisschen Seifenoper. Ziege: Wenn ich öffentlich sagen würde: Michael Skibbe nämlich zu begreifen, wie Der Hamann hat in der ersten Elf nichts viel Gestaltungsraum sie haben, man könn- wie eine doppelte Führungsspitze mit zu suchen. te das in Wochen, in denen sich über 23 schlauer Rollenverteilung. Hamann: Ohne den Respekt unter den Millionen Deutsche ein Fußballspiel anse- Natürlich, all das ist „wenig wert, wenn Spielern, ohne Mannschaftsgeist wird hen, ja beinahe „Macht“ nennen. Und wir ausscheiden“, sagt Völler. Und das man keinen Erfolg haben. plötzlich änderten beide ihre Tonlage. kann passieren, schon an diesem Mittwoch SPIEGEL: Gibt es einen Verhaltensdruck? Es gab eine Zeit, lang ist’s nicht her, da in Lissabon gegen Tschechien. Aber der Hamann: Nein. Über Mitspieler zu spre- scherzten die Reporter noch über diesen Start ins Turnier, das 1:1 gegen Holland chen ist halt tabu. Das ist jedem bewusst. Skibbe, 38, der beim Training immer in und die Trainingseinheiten der vergange- SPIEGEL: Was kann Rudi Völler gar nicht kurzen Hosen am Rand steht und auf- und nen Wochen, legten den Schluss nahe, dass leiden? abwippt, was sehr förderlich für die Wa- diese deutsche Mannschaft eine etwas Hamann: Wenn man nicht die Mannschaft, denmuskulatur ist. Sie nannten ihn „Skip- andere ist als jene von , die sondern sich selbst in den Vordergrund py“, wie das Känguru. bei der letzten EM nur ein Tor schoss, stellt. Interview: Jörg Kramer Heute spricht Skibbe zwar immer noch oder jene „Schweißkameraden“ von Ber- von „Stoßstürmern“ und „Freilaufverhal- ti Vogts, die bei zwei Weltmeisterschaften ten“, und manchmal sagt er auch noch, auseinander fielen, als es wichtig wur-

der spiegel 26/2004 167 Sport de. Ihre Anführer sind Ballack, Hamann ner war vermutlich der und Kahn. Aber der Prototyp des Jahr- letzte Fußballprofi, der mit viel Talent und FRANKREICH gangs 2004 ist Torsten Frings, 27. weniger Ehrgeiz nach oben durchdrang; Einerseits liebt Frings das Spiel, sonst „du brauchst heute den absoluten Willen, Asiatische wäre er nicht hier. Er hat ja als Kind Pani- sonst schaffst du es nicht“, sagt Frings. ni-Bilder gesammelt und zu Hause in Als- Darum sind Spieler wie er heute Her- dorf bei Aachen mit den Freunden auf Ga- steller und Händler und Ware zugleich, Gespenster ragentore gespielt, im Halbkreis, weil die und man darf unterstellen, dass sie die drei beiden Garagen nebeneinander lagen; und schönen Wörter von Portugal nur deshalb Der Titelverteidiger will in Portugal als Deutschland bei der EM 1984 gegen ständig benutzen, weil sie verstanden ha- Spanien verlor, da weinte er. ben, dass sie sonst nichts erreichen würden, beweisen, dass die WM-Pleite Andererseits sieht Frings das Spiel ziem- für sich selbst, für wen sonst? vor zwei Jahren nur ein Betriebs- lich nüchtern, und auch deshalb ist er hier: Dass alle 23 das verstanden haben, ge- unfall war. Doch lässt sich eine Man kann reich werden mit Fußball, aber nau das ist die Qualität dieser Mannschaft. Epoche ohne Umbruch verlängern? dafür muss man immer funktionieren, Frings zum Beispiel wurde gegen die denn wer einmal still steht, ist schon raus Niederlande ausgewechselt, und der Er- An guten Tagen vermag – Frings begriff diese Grundregel seines satzmann machte jenen Feh- Thierry Henry, 26, ge- Berufs vermutlich schon damals, als er in ler, der zum Ausgleich führte. Und dann schliffene Vorträge über der C-Jugend zu Alemannia Aachen wech- stand Frings hinter diesen Gittern, die die seine Profession zu halten. selte, und als er später weiterzog nach Bre- so genannte Mixed Zone begrenzen, und Dann referiert der Profi men und , da hatte er die Ge- sah ziemlich wütend aus. Es war eine fata- von Arsenal London über schäftsgrundlagen längst verinnerlicht. le Auswechslung, so sah Frings aus, die Au- seine Gegenspieler bei Das Spiel hat sich derart verändert in gen waren schmal, der Mund war schmal, Real, Juve oder Chelsea den vergangenen Jahren, dass einer wie über der linken Schulter hing der Ruck- genauso kenntnisreich wie über die Taktik , 2000 noch sehr schick, schon sack des DFB, in der Hosentasche ver- jenes FC Liverpool, der bis in die Achtzi- wieder wie ein Holzhacker wirkt. Nun sind steckte Frings eine Dose Cola-Light. ger die englische Liga beherrschte. Unter Kerle wie Frings modern, schnelle Spieler, Also, Torsten, mal ehrlich, war die Aus- Kollegen gilt Henry als wandelnde Fuß- ballgewandt, taktisch geschickt, „auf jeder wechslung nicht ein Fehler? ball-Enzyklopädie. Position perfekt“ (Völler). Frings sagte: „Ich war müde.“ An schlechten Tagen wie dem vorigen Fußball ist ein Spiel geworden, in dem Und Torsten Frings und der Fragesteller Donnerstag jedoch mag auch der eloquen- alle Systeme offen liegen und vor allem wussten, dass Frings nach 78 Minuten nie- te Torjäger nicht mehr reden. Und so ließ „Standards eine Waffe sind“ (Frings), Frei- mals müde ist, aber dass jede andere Ant- Henry die meisten der mehr als 150 Re- stöße wie jener also, der gegen Holland zum wort natürlich Rudi Völler beschädigt und porter, die ihm nach dem 2:2 des französi- Tor führte; dieses neue Spiel kann nur noch damit die Abläufe dieser Mannschaft ge- schen Nationalteams gegen Kroatien in der die Elf gewinnen, die sich immer um eine stört hätte und insbesondere ihre Ordnung, Tiefgarage des Stadions von Leiria ihre Fra- Überzahl in Ballnähe müht, in der deshalb das wussten sie auch. gen zuwarfen, unbeachtet stehen. Er stieg Abwehr, Mittelfeld und Angriff ineinander „War’s das?“, fragte der Held der Nacht in den Bus ein, verdrückte sich nach hin- greifen, damit der Gegner „keinen Raum von Porto und ging zum Bus. ten und lenkte sich mit Musik ab. und keine Zeit hat. Schlimm ist es, wenn die Verteidiger ganz hinten stehen und die Stür- Kapitän Desailly (r., gegen Kroatien), Kollegen: „Wir werden Marcels Auftritt analysieren“ mer ganz vorne, und dazwischen klafft ein riesengroßes Loch“, sagt Frings. Da sitzt er nun und massiert mit den Händen die Waden und die Fußballen, und es scheint, als könne ein Fußballer von heute keine Minute vergehen lassen, ohne an seinem Körper zu arbeiten. Wenn einer wie Frings sagt, man müsse „auch mal die Seele baumeln lassen“, klingt das immer noch wie ein Teil seines Trainings. Natürlich ist es nicht so, dass Rudis Män- ner auf einmal zu jenem „Elf-Freunde“- Glauben gefunden hätten, der schon 1954 eine Lüge war. Spieler wie Torsten Frings sind keine Romantiker; wenn der den Ver- ein wechseln will, dann betreibt er das mit öffentlicher Kritik an seinem Arbeitgeber, so lange, bis Borussia Dortmund ihn gar nicht mehr behalten kann; dann geht Frings zu Bayern München, „weil ich da mein Ziel, Deutscher Meister zu werden, am bes- ten erreichen kann“. Und sein Berater schließt die Verhandlungen am Tag des Holland-Spiels ab, und Frings sagt, so was lenke ihn nicht ab, so was gehöre dazu. Es gilt als ausgemacht in dieser Mann- schaft, dass man genau so heutzutage sein muss: bissig, niemals schwach und „immer

absolut flexibel“, so Frings. Der Münch- / AP FRANCA ARMANDO 170