In der Reihe WARHAMMER 40 000 sind im WILHELM HEYNE VERLAG erschienen:

William King: Wolfskrieger William King: Ragnars Mission William King: Der graue Jäger William King: Runenpriester William King: Wolfsschwert Graham McNeill: Nachtjäger Dan Abnett: Geisterkrieger Dan Abnett: Mächte des Dan Abnett: Nekropolis Dan Abnett: Ehrengarde Dan Abnett: Die Feuer von Tanith Dan Abnett: Tödliche Mission Dan Abnett: Das Attentat Dan Abnett: Der Verräter Dan Abnett: Das letzte Kommando Graham McNeill: Die Krieger von Ultramar Ben Counter: Seelentrinker Dan Abnett: Der doppelte Adler Ben Counter: Der blutende Kelch Graham McNeill: Toter Himmel, schwarze Sonne Ben Counter: Blutrote Tränen Dan Abnett: Eisenhorn – Xenos C. S. Goto: Kriegstrommeln Ben Counter: Der Ordenskrieg Dan Abnett: Eisenhorn – Malleus C. S. Goto: Kriegsbeute Dan Abnett: Der Kreuzzug DAN ABNETT Eisenhorn: Xenos

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN Titel der englischen Originalausgabe

EISENHORN: XENOS Deutsche Übersetzung von Christian Jentzsch

Umwelthinweis: Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.

Deutsche Erstausgabe 2/08 Redaktion: Catherine Beck Copyright © 2001 by Ltd. Erstausgabe by /Games Workshop Ltd. Warhammer ® und Games Workshop Ltd.® sind eingetragene Warenzeichen. Umschlagbild: Adrian Smith/Games Workshop Ltd. Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Games Workshop Ltd., lizenziert an: Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH http://www.heyne.de Printed in Germany 2008 Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-453-523661-1 AUF BEFEHL SEINER HEILIGSTEN MAJESTÄT DES GOTT-IMPERATORS VON TERRA

BESCHLAGNAHMTE DOSSIERS DER INQUISITION NUR FÜR BEFUGTES PERSONAL

AKTE 112:67B:AA6:Xad Bitte Zugangsberechtigung eingeben > ••••••••••••• Wird verifiziert

Vielen Dank, Inquisitor. Sie dürfen fortfahren.

5 6 WÖRTLICHE NIEDERSCHRIFT EINES AUFGEZEICHNETEN BILD-DOKUMENTS ORT: MAGINOR DATUM: 239.M41

AUS SERVITOR-AUFZEICHNUNGSMODUL GEBORGEN

NIEDERGESCHRIEBEN VON GELEHRTER ELEDIX, ORDO HERETICUS DATENBANK-FAKULTÄT DER INQUISITION FIBOS SECUNDUS, 240.M41

[Statisches Rauschen geht über in] Dunkelheit. Ent- fernte Laute menschlicher Schmerzen. Ein Lichtblitz [mögl. Laserfeuer?]. Laufgeräusche.

Bildquelle bewegt sich, sucht, wackelt. Ein paar Stein- mauern in Nahaufnahme. Noch ein Blitz, heller, näher. Ein Schmerzensschrei [Quelle unbekannt]. Ein extrem heller Blitz [Bildverlust].

[Bild für 2 Minuten 38 Sekunden unkenntlich; Hinter- grundlärm.]

Ein Mann [Subjekt (i)] in langen Gewändern ruft etwas, während er nah an der Bildquelle vorbeigeht [Wortlaut nicht auszumachen]. Umgebung, dunkles Gestein [mögl. Tunnel? Krypta?]. (i)s Identität ist unbekannt [nur Teil- aufnahme vom Gesicht]. Bildquelle hängt sich hinter (i)

7 und beobachtet, während (i) einen Energiehammer aus einer Oberschenkelschlaufe unter dem Gewand hervor- holt. Nahaufnahme von (i)s Händen, wie sie den Schaft umklammern. Der Siegelring eines Inquisitors ist deut- lich zu sehen. (i) dreht sich um [Gesicht bleibt im Schat- ten]. (i) spricht.

STIMME (i): Los! Los, im Namen von allem, was heilig ist! Vorwärts und [Worte nicht rekonstruierbar] verfluchten Ungeheuer den Tod!

Weitere Lichtblitze, jetzt eindeutig als nahe Laser-Ein- schläge zu erkennen. Bildquellenfilter blenden nicht ab [Überbelichtung].

[Überbelichtung dauert 0 Minuten 14 Sekunden, da- nach langsame Rückkehr des Kontrasts.] Bildquelle pas- siert den hohen Steineingang einer größeren Kammer. Graues Gestein, roh behauen. Bildquelle schwenkt. Lei- chen im Eingang und zusammengebrochen auf Innen- treppe. Massive Wunden, Verstümmlungen. Steine nass von Blut.

STIMME IM OFF [(i)]: Wo bist du? Wo bist du? Zeig dich!

Bildquelle rückt näher. Zwei menschliche Gestalten ge- hen daran vorbei nach links, verschwommen [Standbild zeigt, dass eine [Subjekt (ii)] männlich ist, etwa 40 Jahre alt, stämmig, Rüstung der Imperialen Garde [keine Insignien oder Dienstnummer], zahlreiche Gesichtsnar- ben [alt], mit einem schweren Karabiner mit Munitions- gurt bewaffnet; die andere [Subjekt (iii)] ist eine Frau, etwa 25 Jahre alt, schlank, Haut blau gefärbt, Tätowie- rungen und hautenge Rüstung einer Initiantin des Mo- rituri-Todeskults, mit einer Energieklinge [etwa 45 cm Länge] bewaffnet.

8 Verschwommene Gestalten (ii) und (iii) passieren Bild- quelle. Bildquelle schwenkt herum und verharrt bei Seitenansicht von (ii) und (iii), die in ein blutiges Hand- gemenge mit Widersachern auf tieferen Treppenstu- fen verwickelt sind. Widersacher sind eine heterogene Mischung: sechs Menschen mit chirurgischen/bio- nischen Implantaten, zwei Mutanten, drei Angriffsser- vitoren [siehe beiliegende Akte zu baulichen Einzelhei- ten]. (ii) schießt mit schwerem Karabiner [Tonspur ver- zerrt].

Zwei menschliche Widersacher zerfetzt [Rauch lässt Bild teilweise undeutlich werden]. (iii) trennt Mutant den Kopf ab, springt rückwärts [Annahme des Nieder- schreibenden – Bildquelle zu langsam, um zu folgen] und spießt menschlichen Widersacher auf. Bildquelle bewegt sich nach unten [Bild ruckelig].

STIMME IM OFF: Maneesha! Nach links! Nach l…

Bildquelle erfasst teilweise, wie (iii) wiederholt von Energiefeuer getroffen wird. (iii) zuckt, explodiert. Bild- quelle wird von Blutnebel besprüht [Bild trübt sich]. [Bild wird klargewischt.] (ii) brüllt, eilt vorwärts und aus dem Bild und schießt dabei mit seinem schweren Karabiner. Jäher Kreuzfeuer-Lasereffekt [Laserstrahlen blenden Bildquellen-Optik].

[Verschiedene Lärmquellen, unverständliche Stimmen, einiges Geschrei.]

[Bild kehrt zurück.] (i) ist genau vor der Bildquelle und stürmt in eine ausgedehnte rechteckige Kammer, die von grünen chemischen Lampen erleuchtet ist [Gesicht wird 0,3 Sekunden beleuchtet]. Subjekt (i) eindeutig als Inquisitor Hetris Lugenbrau identifiziert.

9 LUGENBRAU: Quixos! Quixos! Ich habe alles dem Schwert und dem reinigenden Feuer übergeben! Jetzt du, Ungeheuer! Jetzt du, Bastard!

STIMME [nicht identifiziert]: Ich bin hier, Lugenbrau. Kharnagar wartet.

Lugenbrau (i) bewegt sich aus dem Bild. Bildquelle schwenkt. Bild ruckelig. Körperteile liegen verteilt auf Kammerboden [Zusammensetzung identifiziert Subjekt (ii) als eine der neun Leichen]. Stärkere Detonation(en) in der Nähe. Bild wackelt, Bildquelle kippt zur Seite.

[Bildausfall für 1 Minute 7 Sekunden. Starker Hinter- grundlärm.]

[Bild kehrt zurück.] Lugenbrau teilweise auf der linken Seite zu sehen, ist in Kampf verwickelt. Nachglühen von Energiehammerschlägen bleibt mehrere Sekunden ins Bild gebrannt [Bild undeutlich]. Bildquelle wird ganz auf Lugenbrau gerichtet. Lugen- brau in grimmigen Nahkampf mit unbekanntem Feind verwickelt. Bewegungen zu schnell für Bildquelle, nicht erfassbar. Verschwommene menschliche Gestalten [Iden- tität unbekannt, mögl. Truppen von Widersachern] kom- men von rechts. Köpfe menschlicher Gestalten explo- dieren. Gestalten gehen zu Boden. [Überbelichtung. Bildquelle fällt aus. Dauer unbekannt.]

[Bild kehrt zurück, gestört.] Verwackelte Aufnahmen von Boden und Wand. Bildschärfe wird justiert. Bild- quelle erfasst Lugenbrau und Widersacher im Kampf [Rauchschwaden beeinträchtigen Sicht]. Kampf wie zu- vor zu hektisch für Erfassung durch Bildquelle. Star- ker Hintergrundlärm. Leuchtende Linie [mutmaßlich Klingenwaffe] spießt Lugenbrau auf. Bild wackelt [ei-

10 nige Bilder unbrauchbar]. Lugenbrau opfert sich [Bild brennt aus].

[Pause/leeres Bild von unbestimmter Dauer.]

[Bild kehrt zurück.] Nahaufnahme von Gesicht, das in Bildquelle schaut. Identität unbekannt [Subjekt (iv)]. (iv) ist gut aussehend, wie gemeißelt, und lächelt. Der Blick ist leer.

STIMME: (iv): Hallo, kleines Ding. Ich bin Cherubael.

Lichtblitz.

Schrei [stammt mutmaßlich von Bildquelle].

[Bild erlischt. Aufzeichnung endet.]

11 12 EINS

Eine kalte Ankunft. Tod in den Schlummergewölben. Einige puritanische Reflexionen.

Auf der Jagd nach dem Schwerverbrecher Murdin Ey- clone kam ich im Schlummer des Jahres 240.M41 des Imperialen siderischen Kalenders nach Hubris. Der Schlummer dauerte elf Monate von Hubris’ neun- undzwanzigmonatigem Mondjahr, und das einzige Le- benszeichen waren die Hüter mit ihren Leuchtstäben und Thermomänteln, die in den Revieren der Hibernati- onsgruften Streife gingen. In jenen düsteren Gewölben aus Basalt und Keramit schliefen die Edlen von Hubris, träumten in Krypten aus Eis und warteten so auf die Schmelze, der mittleren Jahreszeit zwischen Schlummer und Vitale. Sogar die Luft war eisig. Reif verkrustete die Gruften, und das einförmige Land war von einer dicken Eis- schicht überzogen. Am Himmel funkelten die Sternbil- der in der kuriosen beständigen Nacht. Einer davon war Hubris’ Sonne, die jetzt sehr weit entfernt war. Zu Be- ginn der Schmelze würde sich Hubris wieder in die warme Umarmung seiner Sonne drehen. Dann würde sie zu einer flammenden Kugel anwach- sen. Jetzt war sie nur ein Lichtfunke. Als mein Kanonenboot auf dem Landekreuz von Gruftspitze aufsetzte, hatte ich bereits einen Thermo-

13 anzug mit interner Heizung und mehrere Schichten ge- fütterte Schlechtwetterkleidung angezogen, aber den- noch durchfuhr mich jetzt die gefährliche Kälte. Meine Augen tränten, und die Tränen gefroren auf meinen Wimpern und Wangen. Ich erinnerte mich an die Einzel- heiten der kulturellen Einweisung, die mein Gelehrter für mich vorbereitet hatte, und ließ zitternd mein Frost- visier herunter, da warme Luft unter der Plastikmaske zu zirkulieren begann. Hüter, durch astropathische Rufe auf meine Landung aufmerksam gemacht, erwarteten mich an der Basis des Landekreuzes. Ihre Leuchtstäbe neigten sich zur Ehren- bezeugung in der eisigen Nacht, und die Luft dampfte in der Hitze, die aus ihren Mänteln entwich. Ich nickte ihnen zu und zeigte dem Anführer mein Amtssiegel. Ein Eiswagen wartete, ein zwanzig Meter langer Pfeil auf Kufen und dornengespickten Ketten. Er brachte mich weg vom Landekreuz, und ich ließ die blinkenden Signallichter und die gezähnte Dolch- form meines Kanonenboots in der ewigen Winternacht hinter mir zurück. Die Dornenketten wirbelten Reifwolken hinter uns auf. Vor uns war die Landschaft trotz der Lampen schwarz und undurchdringlich. Ich fuhr mit Lores Vib- ben und drei Hütern in einer Kabine, die nur vom bern- steinfarbenen Schein des Armaturenbretts erleuchtet war. Heizöffnungen in den Ledersitzen atmeten warme, abgestandene Luft aus. Ein Hüter reichte Vibben eine Datentafel. Sie betrach- tete sie oberflächlich und reichte sie dann an mich wei- ter. Mir ging auf, dass mein Frostvisier noch unten war. Ich hob es und suchte dann in meinen Taschen nach meiner Brille. Mit einem Lächeln holte Vibben sie aus den Schichten ihrer eigenen gefütterten Kleidung. Ich nickte dankend, setzte sie auf und fing an zu lesen.

14 Ich rief gerade die letzte Textseite auf, als der Eis- wagen hielt. »Prozessional Zwo-Zwölf«, verkündete einer der Hüter. Wir stiegen aus und schoben unser Visier wieder herab. Juwelen aus Reifflocken umflatterten uns in der Schwärze und funkelten, wenn sie durch die Scheinwer- ferstrahlen des Eiswagens flogen. Ich habe von bitterer Kälte gehört. Wenn der Imperator mir gnädig ist, muss ich sie nie wieder spüren. Beißend, lähmend und tat- sächlich bitter auf der Zunge. Jedes Gelenk in meinem Körper protestierte und ächzte. Meine Hände und mein Verstand waren taub. Das war nicht gut. Prozessional Zwo-Zwölf war eine Hibernationsgruft am Westende der großen Imperialen Allee. Es beher- bergte zwölftausendeinhundertzweiundvierzig Mitglie- der der herrschenden Elite von Hubris. Wir näherten uns dem großen Monument mit in der eisigen Dunkelheit knirschenden Schritten. Ich blieb stehen. »Wo sind die Hüter der Gruft?« »Sie machen ihre Runde«, wurde mir gesagt. Ich warf einen Blick auf Vibben und schüttelte den Kopf. Sie schob eine Hand in ihre pelzgesäumten Gewänder. »Obwohl sie wissen, dass wir kommen?«, hakte ich bei dem Hüter nach. »Obwohl sie wissen, dass wir er- warten, sie zu treffen?« »Ich sehe nach«, sagte der Hüter, der auch die Daten- tafel herumgereicht hatte. Er ging die Treppe empor, und das Phosphorlicht auf seinem Stab wackelte. Die anderen beiden schienen sich unbehaglich zu füh- len. Ich gab Vibben einen Wink, damit wir dem Führer ge- meinsam folgten. Wir fanden ihn auf einer niedrigen Terrasse, wo er auf die daliegenden Leichen von vier Hütern starrte, deren Leuchtstäbe rings um sie gerade knisternd erloschen.

15 »W-wie?«, stammelte er. »Bleiben Sie zurück«, sagte Vibben und zog ihre Waffe. Die winzige bernsteinfarbene Geladen-Rune leuchtete in der Dunkelheit. Ich zog meine Klinge und schaltete die Energie ein. Sie summte. Der Südeingang der Gruft war offen. Goldene Licht- strahlen fielen nach draußen. All meine Befürchtungen bestätigten sich schlagartig. Wir traten ein, wobei Vibben ihre Waffe herumwan- dern ließ und den Raum sicherte. Der Korridor war schmal und hoch und von chemischen Lichtkugeln er- leuchtet. Eindringender Reif setzte sich langsam auf den polierten Basaltwänden ab. Ein paar Meter weiter lag ein weiterer Hüter in einer gefrierenden Blutlache. Wir schritten über ihn hinweg. Auf beiden Seiten öffneten sich Gänge, die zu den Hiber- nationsplätzen führten. In jeder Richtung reihenweise Eisbetten, die die geglätteten Basaltkammern ausfüllten. Es war wie ein Marsch durch das größte Leichen- schauhaus des Imperiums. Vibben wandte sich lautlos nach rechts, und ich ging nach links. Ich gebe zu, ich war mittlerweile aufgeregt, erpicht darauf, eine Sache zu beenden und abzuschließen, die sechs Jahre angedauert hatte. Eyclone hatte sich mir sechs volle Jahre entzogen! Jeden Tag studierte ich seine Methoden, und jede Nacht träumte ich von ihm. Jetzt konnte ich ihn riechen. Ich schob mein Visier hoch. Wasser tropfte vom Dach. Tauwasser. Es wurde wär- mer hier drinnen. Einige der undeutlichen Gestalten rührten sich in ihren Eisbetten. Zu früh! Viel zu früh! Eyclones erster Mann griff mich von Westen an, als ich eine Kreuzung im Korridor erreichte. Ich fuhr mit

16 dem Energieschwert in der Hand herum und durch- trennte seinen Hals, bevor seine Eisaxt traf. Der zweite kam von Süden, der dritte von Osten. Und dann mehr. Mehr. Alles verschwamm. Beim Kämpfen hörte ich heftiges Geschrei aus den Gewölben rechts von mir. Vibben war in Schwierig- keiten. Ich konnte sie über Kom in unseren Kapuzen hören: »Eisenhorn! Eisenhorn!« Ich fuhr herum und schlug zu. Meine Gegner trugen allesamt Wärmemäntel und Eiswerkzeuge, die gefähr- liche Waffen darstellten. Ihre Augen waren dunkel und abweisend. Sie waren zwar schnell, hatten aber etwas an sich, das auf gedankenloses Handeln schließen ließ, wie auf Befehl. Das Energieschwert, eine antike und elegante Waffe, vom Profos von Inx persönlich gesegnet, wirbelte in meiner Hand. Mit fünf abrupten Manövern machte ich Leichen aus ihnen und hinterließ ihren Blutnebel in der Luft. »Eisenhorn!« Ich fuhr herum und rannte. Ich platschte mit schwe- rem Tritt durch einen Korridor voller Schmelzwasser. Mehr Gebrüll voraus. Ein erstickter Schrei. Ich fand Vibben bäuchlings auf einem Kühlrohr, von ihrem gefrorenen Blut an das Unter-Null-Plastek ge- klebt. Acht Diener Eyclones lagen leblos um sie herum. Ihre Waffe war gerade außer Reichweite ihrer suchen- den Hand, die verbrauchte Energiezelle aus dem Griff ausgeworfen. Ich bin zweiundvierzig Standardjahre alt, nach impe- rialen Maßstäben in der Blüte meiner Jahre, jung nach denen der Inquisition. Mein Leben lang habe ich in dem Ruf gestanden, kalt und gefühllos zu sein. Einige haben mich herzlos, rücksichtslos, sogar grausam genannt.

17 Das bin ich nicht. Ich bin nicht unfähig zu emotionalen Reaktionen und Mitgefühl. Aber ich besitze – und meine Vorgesetzten sehen darin meine vielleicht größte Tugend – eine außerordentliche Willenskraft. In meiner gesamten Laufbahn hat es mir sehr viel genützt, mich darauf zu stützen und mich damit gegen alles zu wapp- nen, was mir diese elende Galaxis entgegenschleudern kann. Schmerzen, Furcht oder Kummer zu empfinden wäre ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann. Lores Vibben hatte fünfeinhalb Jahre an meiner Seite gedient. In dieser Zeitspanne hatte sie mir zwei Mal das Leben gerettet. Sie betrachtete sich als meinen Adjutant und Leibwächter, aber in Wahrheit war sie mehr eine Kameradin und Kampfgefährtin. Ursprünglich hatte ich sie wegen ihrer Kampffähigkeiten und brutalen Vitali- tät aus den Klan-Elendsvierteln von Tornish rekrutiert, aber später hatte ich auch ihren scharfen Verstand, un- terkühlten Humor und klaren Kopf schätzen gelernt. Ich starrte einen Moment auf ihren Leichnam. Ich glaube, ich könnte ihren Namen geflüstert haben.

Ich schaltete mein Energieschwert aus, schob es zurück in die Scheide und zog mich in den Schatten auf der anderen Seite der Hibernationsgalerie zurück. Ich hörte nichts außer dem zunehmend beharrlicheren Tropfen des Tauwassers. Ich zog meine Handfeuerwaffe aus dem Lederhalfter unter der linken Armbeuge, über- prüfte das Magazin und öffnete eine Kom-Verbindung. Eyclone überwachte zweifellos den Kom-Verkehr in und um Prozessional Zwo-Zwölf, also benutzte ich Glossia, eine informelle verbale Verschlüsselung, die nur mir selbst und meinen unmittelbaren Kollegen be- kannt war. Die meisten Inquisitoren entwickeln ihre ei- gene Privatsprache für vertrauliche Gespräche, und manche sind komplizierter als andere. Glossia, deren Grundlage ich vor zehn Jahren entwickelt hatte, war

18 einigermaßen komplex und hatte sich im Laufe ihrer Be- nutzung organisch entwickelt. »Dorn wünscht Aegis, räuberische Bestien unten.« »Aegis, aufgehend, die Farben des Alls«, antwortete Betancore sofort und korrekt. »Rosendorn, im Überfluss, durch Flamme Licht Halb- mond.« Eine kurze Pause. »Durch Flamme Licht Halbmond? Bestätigen.« »Bestätigt.« »Scharf Delphus Pfad! Schema Elfenbein!« »Schema abgelehnt. Schema Feuerprobe.« »Aegis, aufgehend.« Die Verbindung brach ab. Er war unterwegs. Die Nachricht von Vibbens Tod hatte ihn so hart getroffen, wie ich erwartet hatte. Ich ging davon aus, dass dies seine Leistung nicht beeinträchtigen würde. Midas Be- tancore war ein heißblütiger, ungestümer Mann, was mit ein Grund dafür war, warum ich ihn mochte. Und benutzte. Ich trat mit erhobener Waffe wieder aus dem Schat- ten. Es handelte sich um eine Flottenpistole vom Typ Scipio, matt verchromt und mit Elfenbeinziselierun- gen im Griff. Sie fühlte sich beruhigend schwer in mei- ner Hand an. Zehn Patronen, jede ein dicker, stumpfer Hammer, befanden sich im Griff-Magazin. Vier weitere solcher Magazine lagen in meiner Hüfttasche. Ich habe vergessen, woher ich die Scipio habe. Sie gehört mir schon seit einigen Jahren. Eines Nachts, vor drei Jahren, hatte Vibben die Platten mit ihren abgenutz- ten, maschinell eingestanzten Gravuren des Imperiums- adlers und des Flottenleitspruchs im Keramitgriff her- ausgelöst und durch Elfenbeinplatten ersetzt, die sie selbst zugeschnitten und graviert hatte. Eine allgemein übliche Praxis auf Tornish, hatte sie mich informiert, als sie mir die Waffe am nächsten Tag zurückgab. Die Elfen-

19 beinschnitzerei wirkte primitiv und zeigte auf jeder Seite einen schlecht ausgeführten menschlichen Schädel mit einer darum gewickelten Dornenrose, die aus einer Augenhöhle wuchs und stilisierte Blutstropfen vergoss. Sie hatte rote Edelsteinsplitter eingearbeitet, um ihren Charakter hervorzuheben. Unter dem Schädel war mein Name in unbeholfener Schrift eingeritzt. Ich hatte gelacht. Es hatte Zeiten gegeben, als es mir beinahe zu peinlich gewesen war, die dergestalt ban- dengezeichnete Waffe im Kampf zu ziehen. Doch nun, da sie tot war, ging mir auf, welche Ehre mir durch ihre hingebungsvolle Arbeit erwiesen wor- den war. Ich gab mir selbst ein Versprechen: Ich würde Eyclone mit dieser Waffe töten.

Als ergebenes Mitglied seiner hohen Majestät des Gott- Imperators Inquisition neigt sich meine Philosophie derjenigen der Amalathianer zu. Der übrigen Galaxis mögen die Mitglieder unseres Ordens alle gleich er- scheinen: ein Inquisitor ist ein Inquisitor, ein Wesen der Furcht und Strafverfolgung. Es überrascht viele, dass wir innerlich durch widerstreitende Ideologien gespal- ten sind. Ich weiß, dass es Vibben überrascht hat. Ich habe einen ganzen langen Nachmittag mit dem Versuch ver- bracht, ihr die Unterschiede zu erklären. Es ist mir nicht gelungen. Um es ganz simpel auszudrücken: Manche Inquisi- toren sind Puritaner und manche Radikale. Puritaner glauben und vertreten die traditionelle Stellung der In- quisition, indem sie daran arbeiten, unsere galaktische Gemeinschaft von allen kriminellen und böswilligen Elementen zu säubern: vom Triumvirat des Bösen – Nichtmensch, Mutant und Dämon. Alles, was der rei- nen Herrschaft der Menschheit, den Predigten des Mi-

20 nistoriums und dem Buchstaben des Imperiumsgeset- zes zuwiderläuft, ist Gegenstand der Aufmerksamkeit eines puritanischen Inquisitors. Hart, traditionsbewusst, gnadenlos … das ist der puritanische Weg. Radikale glauben, dass alle Methoden erlaubt sind, wenn sie die inquisitorische Aufgabe erfüllen. Manche, ist mir zu Ohren gekommen, setzen tatsächlich verbo- tene Hilfsmittel wie den Warpraum selbst als Waffen ge- gen die Feinde der Menschheit ein. Ich habe die Argumente oft genug gehört. Sie entset- zen mich. Der radikale Glaube ist ketzerisch. Ich bin ein Puritaner aus Berufung und ein Ama- lathianer aus freien Stücken. Die unbedingte Striktheit der monodominanten Philosophie lockt mich oft, aber ihr haftet herzlich wenig Raffinesse an, also ist sie nichts für mich. Wir Amalathianer haben unseren Namen von der Konklave auf dem Berg Amalath. Unser Anspruch be- steht darin, den Status quo des Imperiums zu erhal- ten, und wir sind bemüht, alle Personen und Organisa- tionen zu identifizieren und zu zerstören, die die Macht des Imperiums von außen oder innen destabilisieren könnten. Wir glauben an Kraft durch Einheit. Wandel ist der größte Feind. Wir glauben, der Gott-Imperator hat einen göttlichen Plan, und wir arbeiten daran, das Imperium stabil zu erhalten, bis dieser Plan bekannt wird. Wir missbilligen Fraktionen und interne Strei- tigkeiten … Tatsächlich ist es eine manchmal schmerz- liche Ironie, dass unsere Überzeugungen uns zu einer Fraktion innerhalb der politischen Helix der Inquisition machen. Wir sind das standhafte Rückgrat des Imperiums, seine Antikörper, und bekämpfen Krankheit, Wahnsinn, Verletzung und Invasion. Ich kann mir keine bessere Art zu dienen vorstellen, keine bessere Art, Inquisitor zu sein.

21 Das also bin ich, Gregor Eisenhorn, Inquisitor, Puri- taner, Amalathianer, zweiundvierzig Standardjahre alt, Inquisitor seit achtzehn Jahren. Ich bin hochgewachsen und breit in den Schultern, stark, resolut. Ich habe be- reits von meiner Willenskraft erzählt, und Sie werden mein Geschick mit einer Klinge zur Kenntnis genom- men haben. Was gibt es noch zu sagen? Bin ich glatt rasiert? Ja! Meine Augen sind dunkel, mein Haar noch dunkler und dicht. Diese Dinge bedeuten wenig. Begleiten Sie mich und lassen Sie sich zeigen, wie ich Eyclone tötete.

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