Berlinische Lebensbilder Geisteswissenschaftler 11
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Berlinische Lebensbilder Herausgegeben von Uwe Schaper in Verbindung mit dem Landesarchiv Berlin Band 10 Geisteswissenschaftler 11 . ! Historische Kommission zu Berlin Duncker & Humblot . Berlin Geisteswissenschaftler 11 Herausgegeben von Hans-Christof Kraus Historische Kommission zu Berlin Duncker & Humblot . Berlin Fritz Hartung Von Hans-Christo! Kraus I. Genau ein Vierteljahrhundert, von 1923 bis 1948, hat Fritz Hartung an der alten Berliner Universität den bedeutenden Lehrstuhl seines Lehrers Otto Hintze fär Verfassungs-, Ver- waltungs- und Wirtschaftsgeschichte bekleidet. Dieser herausgehobenen Stellung an der damals angesehensten Universität Deutschlands entsprach auch Hartungs großes Ansehen innerhalb der damaligen deutschen Geschichtswissenschaft. Tatsächlich wird man ihn als einen der bekanntesten und auch meistgelesenen akademischen Historiker im Deutsch- land der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ansehen können, dazu als einen Gelehrten, der ebenso für die engere Fachwelt wie auch für Studierende, fur Schullehrer und fUr ein breites, historisch interessiertes Publikum geschrieben hat. Hartung war ein Meister der knapp resümierenden, gut zusammenfassenden, aber zugleich umfassend informierten Überblicksdarstellung, die in klarer, verständlicher und zugleich präziser Sprache die Dinge auf den Punkt zu bringen und die großen Linien des historischen Geschehens anschaulich herauszuarbeiten vermochte. Die gesamte neuere deutsche Geschichte von der Reformation bis zum Ende des Ersten Weltkrieges hat er auf diese Weise dargestellt, und sein eigentliches Hauptwerk, die »Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit", ist bis in die 1980er Jahre hinein das Standardwerk seiner Disziplin gewesen. Als bemerkenswert an Hartungs Biographle' erscheint ebenfalls die Tatsache, dass er wohl der einzige deutsche Historiker von einiger Bedeutung gewesen ist, der in allen fUnf politischen Regimen, die es seit dem Kaiserreich in Deutschland gegeben hat, wissenschaft- lich aktiv gewesen ist: im Kaiserreich habilitierte er sich und wurde - noch während des Ersten Weltkrieges - zum Professor ernannt; seine beiden Rufe auf einen Lehrstuhl erhielt er in der Weimarer Republik, während er in der Zeit des Nationalsozialismus an der Berli- ner Universität lehrte und als angesehenes und einflussreiches Mitglied der Akademie der Wissenschaften agierte. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wiederum blieb er, der im Westen Berlins wohnte, der alten Universität Unter den Linden, wenigstens bis 1948, ebenso treu wie der nun gleichfalls im Osten beheimateten ehemals Preußischen, nunmehr Hierzu siehe vor allem. immer noch grundlegend: Werner Schochow, Ein Historik" in "" uit - Vmuch üb" Fritz Hartung (J 883-1967). in: Jahrbuch fur die Geschichte Mirtel- und Ostdeutschlands 32 (1983), S.219-250. 308 Fritz Hartung Fritz Hartung *12. Januar in Saarmund, t 24. November 1967 in Berlin Fritz Hartung 309 Deutschen Akademie der Wissenschaften; gleichzeitig war er aber ebenfalls in allen ruhren- den wissenschaftspolitischen Gremien der jungen Bundesrepublik Deutschland tätig. Auf diese Weise erlangte er während der 1950er Jahre als Berliner "Grenzgänger zwischen West und Ost" eine wenigstens zeitweilig einzigartige Bedeutung rur den Neuaufbau der histori- schen Wissenschaften diesseits wie jenseits des Eisernen Vorhangs', Obwohl Fritz Hartung am 12. Januar 1883 in Saargemünd im damals deutschen Loth- ringen geboren wurde, entstammte er väterlicherseits einer Berliner Kaufmanns- und Be- amtenfamilie. Sein Vater Paul Hartung übte den Beruf des Bauingenieurs in staatlichen Diensten aus - zumeist mit Festungs- und Kasernenbauten befasst -, und in späteren Jahren amtierte er als Geheimer Baurat und Vortragender Rat im preußischen Kriegsministerium. Hartungs Mutter Marie, geb. Eckardr, stammte dagegen aus Baden; sie war eine Enkelin des angesehenen Freiburger Historikers und Staatswissenschaftiers Carl von Rotreck, eines der großen Vorkämpfer des südwestdeutschen Liberalismus während des Vormärz. Schon der junge Fritz Hartung, der zeitweilig das Gymnasium in Freiburg besuchte, hat die hi- storischen Schriften des berühmten Urgroßvaters genau studiert und gelegentlich (so etwa in der Verfassungsgeschichte) auch gerne zitiert. Die im Breisgau verbrachte Zeit zählte Hartung auch später noch zu den schönsten Lebenserinnerungen; seine Hoffnung. an der dortigen Universität einmal einen Lehrstuhl bekleiden zu können. hat sich jedoch nicht erfüllt, Das Abitur legte Hartung allerdings nicht in Freiburg, sondern im Jahr 1901 am Berli- ner Prinz-Heinrich-Gymnasium ab. Infolge seiner seit Geburt schwach ausgebildeten und lebenslang gesundheitlich angegriffenen Konstitution blieb er vom Militärdienst befreit und konnte deshalb bereits als Achtzehnjähriger die Universität beziehen; als Fächer wählte er neben der Mittleren und Neueren Geschichte auch Philosophie und Nationalökonomie. Seine Studienzeit verbrachte er in Berlin und Heidelberg. und zu seinen akademischen Lehrern gehörten einige der berühmtesten damaligen deutschen Universitätsgelehrten, dar- unter Hans Delbrück, Gustav Schmoller, Adolph Wagner, Eduard Meyer, Dietrich Schäfer. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Wilhelm Dilthey, Friedrich Paulsen, Kuno Fischer und Henry Thode. Als seine wichtigsten und prägenden Lehrer im eigentlichen historischen Hauptfach sind indessen Erich Marcks, Max Lenz und vor allem Otto Hintze anzusehen; auch der stark historisch arbeitende Nationalökonom Schmoller ist in diesem Zusammen- hang noch einmal zu nennen. Im Alter von erst zweiundzwanzig Jahren promovierte der junge Hartung bereits Ende 1905 bei Orro Hintze mit der Arbeit "Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ans- bach-Bayreuth 1792 bis 1806", die alsbald - was seinerzeit eher ungewöhnlich war - als Buch bei einem angesehenen Wissenschaftsverlag erschien. Die fast dreihundert Drucksei- ten umfassende Monographie zeigte bereits alle Stärken des angehenden Gelehrten: die Fa- higkeit zur klar und übersichtlich aufgebauten Darstellung komplexer Gegenstände sowie VgI. Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München 1989. S. 183 ff. u. passim. 310 Fritz Hartung zur einleuchtend durchstrukturierten Zusammenschau eines umfassenden und vielschichti- gen Themas', Die besondere Begabung Hartungs für die auf den ersten Blick eher spröden Gegenstände der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte tritt bereits hier sehr klar hervor. Merkwürdigerweise wurde der begabte Nachwuchshistoriker von seinem "Doktorvater" Hintze jetzt und auch später nicht weiter gefördert', doch einer Empfehlung {vermutlich von Max Lenz} verdankte Hartung schließlich die Anstellung als wissenschaftlicher Mitar- beiter der Gesellschaft fur fränkische Geschichte, fur die er ab 1906, zuerst in Wurzburg ansässig, die Geschichte des Fränkischen Reichskreises während der Reformationszeit er- forschte. Diese Darstellung - als Pionierleistung sofort anerkannt - erschien bereits 19105• Wichtiger noch als die Beschäftigung mit diesem - jedenfalls aus dem Blickwinkel der damaligen historischen Forschung - etwas abgelegenen Thema erwies sich die Tatsache, dass Hartung einen neuen akademischen Mentor kennenlernte, den seinerzeit an der Uni- versität Erlangen lehrenden Richard Fester. Der damals bereits bekannte und angesehene Neuzeithlstoriker hatte offenbar die besonderen Fähigkeiten des jungen Mannes sogleich erkannt; er hielt fortan seine Hand über ihn, und auch wenn es ihm schließlich nicht gelang, für Hartung eine staatlich finanzierte Projektstelle zur Abfassung einer Geschichte der alten deutschen Reichskreise zu erwirken, so konnte er ihm doch die Habilitation er- möglichen - allerdings nicht im Fränkischen, sondern in Halle, wohin Fester 1908 berufen worden war", Bereits im Februar 1910 habilitierte sich Hartung an der dortigen Friedrichs- Universität mit einer Arbeit, die gewissermaßen als Nebenprodukt der Forschungen über die Reichskreise im 16. Jahrhundert entstanden war: "Karl V. und die deutschen Reichs- stände von 1546 bis 1555"7; die obligatorische Antrittsvorlesung hielt er über das Thema: "Kaiser Maximilian 1.", Seit 1910 also lebte und lehrte Hartung an der Universität Halle, und bald entwickelte er eine erstaunliche Produktivität. Eine Reihe grundlegender, zumeist verfassungshistori- scher Einzelstudien konnte er in diesen Jahren publizieren", darunter seinen ersten gro- ßen Aufsatz in den Historischen Zeitschrift über den Mainzer Kurfürsten Benhold von FriraHartung, Hardmbn-g und die p""JllSch~ Vn-wa!tung in Ansbach-BaYmlth von 1792 bis 1806, Tübingen 1906. Aufschlussreich hierzu eine Bemerkung in einem Schreiben des alten Hartung an seinen Schüler Gerhard Oestreich vom 13. 2. 1964: .Hintze .•• hat in mir, so ist mein Eindruck von Anfang an gewesen, nie mehr als den Schüler gesehen. Er hat z, B. nie mit mir über meine deutsche Verfassungsgeschichte gesprochen, weder zustimmend noch kritisch. Er hielt mich wohl, und damit hat er ja im Grunde Recht gehabt, nicht fur philosophisch veranlagt genug. Deshalb hat er mit mir Fachprobleme nie besprochen"; nach dem Ab- druck in: Orro und Hedwig Hintze: .verzage nicht und laß nicht ab zu kämpfen .. .", Die Korrespondenz 1925-1940, bearb. v. Brigitta Oestreich, hrsg. v. Robert Jütte I Gerhard Hirschfeld, Essen 2004, S. 243. Fritz Hartung: Di~ G~!chjchu tU!ftänltischm Kreisn von 1521-1559, Leipzig 1910. Über Fester vgl. Hartungs knappen Nachruf. N~ltro/ogRichard Fesser,in: Historische Zeitschrift 169 (1949), S.446f. Frin Hartung: Kar! V.und dj~ekutIchm &ichsstäntU von 1546 bis 1555, Halle 1910. Siehe