Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/189

Deutscher

Stenografischer Bericht

189. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: () (SPD) ...... 22822 A a) Abgabe einer Regierungserklärung durch (CDU/CSU) ...... 22823 A den Bundesminister der Finanzen: Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 22824 B Sicherung der Stabilität der Euro-Zone – Finanzhilfen für Spanien ...... 22803 D Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 22825 B b) Beratung des Antrags des Bundesminis- Frank Schäffler (FDP) ...... 22826 B teriums der Finanzen: Finanzhilfe zu- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 22827 A gunsten Spaniens; Einholung eines zu- stimmenden Beschlusses des Deutschen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 31 GO) 22828 A § 3 Absatz 2 Nummer 1 und 4 des Stabi- lisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) für Notmaßnahmen der Euro- Namentliche Abstimmung ...... 22829 A päischen Finanzstabilisierungsfazilität

zugunsten Spaniens Ergebnis ...... 22836 D (Drucksachen 17/10320, 17/10321) . . . . . 22803 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen ...... 22804 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 22807 A Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen ...... 22829 A Rainer Brüderle (FDP) ...... 22810 A Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 22829 B (DIE LINKE) ...... 22812 A (SPD) ...... Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) 22830 C (CDU/CSU) ...... 22813 C Jörg van Essen (FDP) ...... 22831 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Jens Petermann (DIE LINKE) ...... 22832 C DIE GRÜNEN) ...... 22815 B (Köln) (BÜNDNIS 90/ (FDP) ...... 22816 C DIE GRÜNEN) ...... 22833 C Axel Schäfer () (SPD) ...... 22817 C Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) 22834 A (CDU/CSU) ...... 22818 C (CDU/CSU) ...... 22835 C Dr. (DIE LINKE) ...... 22819 C Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 22839 C DIE GRÜNEN) ...... 22820 C Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 22821 B Berichtigung ...... 22839 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Anlage 1 (CDU/CSU) ...... 22843 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 22841 A (DIE LINKE) ...... 22843 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 22844 C Anlage 2 Dr. (SPD) ...... 22845 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. (CDU/CSU) ...... 22845 C Dr. Thomas Gambke, , , Viola von Cramon-Taubadel, Harald (SPD) ...... 22846 A Ebner, Katrin Göring-Eckardt, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. , (CDU/CSU) ...... 22846 D Dr. Harald Terpe und (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: (CDU/CSU) ...... 22847 A – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Anlage 5 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten und Währungsunion Dr. , Thilo Hoppe, , Ute Koczy, Stephan Kühn, Monika – namentliche Abstimmung über den Ent- Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- Strengmann-Kuhn, Arfst Wagner und Beate päischen Stabilitätsmechanismus Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: – namentliche Abstimmung über den Ent- Finanzhilfe zugunsten Spaniens; Einholung wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- eines zustimmenden Beschlusses des Deut- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – § 3 Absatz 2 Nummer 1 und 4 des Stabilisie- ESMFinG) rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzsta- – namentliche Abstimmung über den Ent- bilisierungsfazilität zugunsten Spaniens (Ta- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 gesordnungspunkt 1 b) ...... 22847 C zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- Anlage 6 mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP), Klaus-Peter Willsch (188. Sitzung, Tagesordnungspunkt 50 a (CDU/CSU), Sylvia Canel (FDP), Jens bis e) ...... 22841 D Ackermann (FDP), Lars Lindemann (FDP) und Manfred Kolbe (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Antrag: Finanzhilfe zugunsten Anlage 3 Spaniens; Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 1 Dr. Birgit Reinemund (FDP) zur namentlichen und 4 des Stabilisierungsmechanismusgeset- Abstimmung über den Entschließungsantrag: zes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Eu- Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Un- ropäischen Finanzstabilisierungsfazilität zu- gleichbehandlung eingetragener Lebenspart- gunsten Spaniens (Tagesordnungspunkt 1 b) 22849 B nerschaften gegenüber Ehen (187. Sitzung, Tagesordnungspunkt 11 a) ...... 22842 D Anlage 7 Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Regelung der über den Antrag: Finanzhilfe zugunsten Spa- Beschneidungen von Jungen (Zusatztagesord- niens; Einholung eines zustimmenden Be- nungspunkt 1) schlusses des Deutschen Bundestages nach Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 1 DIE GRÜNEN) ...... und 4 des Stabilisierungsmechanismusgeset- 22851 C zes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Eu- Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 22852 A ropäischen Finanzstabilisierungsfazilität zu- gunsten Spaniens (Tagesordnungspunkt 1 b) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) ...... 22852 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 III

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Andrea Wicklein (alle SPD) zur Abstimmung DIE GRÜNEN) ...... 22852 C über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (Zusatztagesord- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ nungspunkt 1) ...... 22854 B DIE GRÜNEN) ...... 22853 A

Anlage 8 Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Memet Kilic und Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner, , Dr. Thomas (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Ab- Gambke, , Uwe Kekeritz, stimmung über den Antrag: Rechtliche Rege- , Maria Klein-Schmeink, Ute lung der Beschneidungen von Jungen (Zu- Koczy, , Markus Kurth, satztagesordnungspunkt 1) ...... 22853 B , Tabea Rößner, Ulrich Schneider und Dorothea Steiner (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung Anlage 9 über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (Zusatztagesord- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nungspunkt 1) ...... 22855 A Volker Beck (Köln), Kerstin Andreae, (Bremen), Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Fritz Anlage 12 Kuhn und (Augsburg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten mung über den Antrag: Rechtliche Regelung , Marieluise Beck (Bremen), der Beschneidungen von Jungen (Zusatzta- , , Beate gesordnungspunkt 1) ...... 22853 D Walter-Rosenheimer, Daniela Wagner und Wolfgang Wieland (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Anlage 10 Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (Zusatztagesordnungspunkt 1) ...... 22855 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Ingrid Arndt-Brauer, Bärbel Bas, Angelika Graf (Rosenheim), Angelika Anlage 13 Krüger-Leißner, , Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Bernd Scheelen und Amtliche Mitteilungen ...... 22856 D

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22803

(A) (C)

189. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Beginn: 14.34 Uhr

Präsident Dr. : (Beifall) Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Schließlich mache ich darauf aufmerksam, dass der Kollege mit Wirkung vom 10. Juli Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle dieses Jahres auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bun- herzlich zur 189. Sitzung des Deutschen Bundestages in destag verzichtet hat. Für ihn ist der Kollege Hans- der laufenden Legislaturperiode. Nicht alle von Ihnen werden die heutige Sitzung langfristig eingeplant haben. Werner Ehrenberg nachgerückt, den ich im Namen des Deswegen bedanke ich mich bei allen, die entweder ih- Hauses herzlich begrüße und dem ich eine gute Zusam- ren Urlaub so vorsichtig disponiert oder ihren bereits an- menarbeit wünsche. getretenen Urlaub so kurzfristig umdisponiert haben, um (Beifall) an der heutigen Sondersitzung teilnehmen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vereinbart Im Übrigen sind diese Sondersitzungen nicht so sel- worden, die Tagesordnung um die Beratung des An- (B) ten, wie gelegentlich gemutmaßt wird. Dies ist in der trags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP mit (D) Geschichte des Deutschen Bundestages immerhin die dem Titel „Rechtliche Regelung der Beschneidung min- 55. Sitzung außerhalb der vereinbarten Sitzungswochen derjähriger Jungen“ zu erweitern und diesen im An- des Deutschen Bundestages. Da die meisten von uns an schluss an Tagesordnungspunkt 1 aufzurufen. Für die den wenigsten dieser Sondersitzungen persönlich teilge- Aussprache soll eine halbe Stunde vorgesehen werden. nommen haben, hilft es vielleicht, die allgemeine Erin- Darf ich auch dafür Ihr Einvernehmen feststellen? – Das nerung aufzufrischen. Für den Bundesfinanzminister ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. könnte es zutreffen, dass er eine größere Anzahl dieser Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 a und b auf: Sondersitzungen absolvieren musste. a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, Bundesminister der Finanzen muss ich zwei einleitende Bemerkungen machen. Mor- gen wird die Euro-Gruppe der Finanzminister des Euro- Sicherung der Stabilität der Euro-Zone – Fi- Währungsgebiets über einen Antrag Spaniens auf Fi- nanzhilfen für Spanien nanzhilfe entscheiden. Gemäß dem Stabilisierungsme- b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums chanismusgesetz darf die Bundesregierung einer solchen der Finanzen Hilfsmaßnahme nur zustimmen, wenn der Deutsche Bundestag hierzu einen zustimmenden Beschluss gefasst Finanzhilfe zugunsten Spaniens; Einholung ei- hat. Der entsprechende Antrag der Bundesregierung nes zustimmenden Beschlusses des Deutschen liegt Ihnen vor. Ich habe deshalb gemäß Art. 39 Abs. 3 Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Satz 2 des Grundgesetzes den Deutschen Bundestag zu Absatz 2 Nummer 1 und 4 des Stabilisierungs- der heutigen Sondersitzung einberufen und gehe davon mechanismusgesetzes (StabMechG) für Not- aus, dass Sie damit einverstanden sind. – Ich höre keinen maßnahmen der Europäischen Finanzstabili- Widerspruch. Dann kann entsprechend unserer Ge- sierungsfazilität zugunsten Spaniens schäftsordnung so verfahren werden. – Drucksachen 17/10320, 17/10321 – Bevor ich dem Finanzminister das Wort erteile, Zu dem Tagesordnungspunkt liegen je ein Entschlie- möchte ich zunächst dem Kollegen Dr. Peter Danckert ßungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion zu seinem 72. Geburtstag gratulieren, den er vor weni- Bündnis 90/Die Grünen vor. Über den Antrag des Bun- gen Tagen gefeiert hat, und ihm alle guten Wünsche des desministeriums der Finanzen werden wir später na- gesamten Hauses übermitteln. mentlich abstimmen. 22804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für net sind, das spanische Bankenproblem nachhaltig zu (C) die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- lösen, und dass wir ein starkes Interesse daran haben, rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu höre ich Spanien zu ermöglichen, seinen erfolgversprechenden keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Weg grundlegender wirtschafts- und finanzpolitischer Reformen aus eigenem Antrieb weiterzuverfolgen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Wolfgang Spanien ist mit seinen Anstrengungen zur Defizitre- Schäuble. duzierung und der Umsetzung von tiefgreifenden Struk- turreformen insgesamt auf einem guten Weg, wieder zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) soliden Staatsfinanzen und zu einer wettbewerbs- und wachstumsfähigen Wirtschaft zurückzufinden; aber die- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- ser Erfolg ist durch die Unsicherheit im Bankensektor zen: gefährdet. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirt- Das Land hat sich im September vergangenen Jahres schaftliche Lage in Europa und darüber hinaus ist immer neue verfassungsrechtliche Fiskalregeln ähnlich der noch durch die Verunsicherung auf den Finanzmärkten Schuldenbremse unseres Grundgesetzes gegeben, über die weitere Entwicklung der Euro-Zone belastet. Regeln, die für alle staatlichen Ebenen grundsätzlich Das kann man an dem Auf und Ab der Börsen und auch strukturell ausgeglichene Haushalte vorschreiben. In der des Euro-Kurses, die beide von den realen Geschehnis- letzten Woche hat die spanische Regierung ein Konsoli- sen zumeist abgekoppelt sind, ablesen. dierungspaket mit Ausgabenkürzungen und Einnahme- Wir haben seit Ausbruch der Vertrauenskrise mit um- steigerungen, auch mit einer Anhebung der Mehrwert- fassenden finanz- und wirtschaftspolitischen Reform- steuer von 18 auf 21 Prozent, in einem Volumen von maßnahmen in den betroffenen Ländern und mit der insgesamt 56 Milliarden Euro über die nächsten zwei- Schaffung leistungsfähiger Strukturen und Kontroll- einhalb Jahre vorgestellt. Mit dieser Hilfe will Spanien mechanismen für die gemeinsame Finanz- und Wirt- die Vorgabe im europäischen Defizitverfahren erfüllen, schaftspolitik in der Euro-Zone erhebliche Fortschritte sein übermäßiges Defizit bis 2014 abzubauen. gemacht. Das ist unbestritten. Aber die Rückgewinnung Zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit hat verloren gegangenen Vertrauens dauert und kann nur das Land grundlegende Arbeitsmarktreformen ergriffen. Schritt für Schritt erfolgen. Deshalb hat die Bundesre- Dazu zählen zum Beispiel Maßnahmen zur Verringerung gierung immer wieder darauf hingewiesen, dass es trotz der starken Abschottung zwischen befristeten und un- aller zwischenzeitlichen Erfolge zu weiteren Inanspruch- befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder zur Flexi- (B) nahmen der europäischen Finanzierungsinstrumente bilisierung des Lohnfindungsverfahrens. Bei einer (D) kommen kann, also der Finanzierungsinstrumente, mit Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent und einer Jugend- denen Mitgliedstaaten der Euro-Zone die für den Erfolg arbeitslosigkeit von mittlerweile über 50 Prozent muss von Reformmaßnahmen notwendige Zeit verschafft wer- es das vorrangige Ziel sein, allen zu ermöglichen, sich den soll. ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften. Auch das Die spanische Regierung hat am 25. Juni einen An- Rentensystem wird überholt, zum Beispiel durch die Einschränkung von Frühverrentungen. Es wird eine Re- trag auf Finanzhilfe gestellt. Spanien sieht sich aufgrund form der Pflegeversicherung mit dem Ziel der Kostenra- der hohen Nervosität der Finanzmärkte nicht in der Lage, die aus der Immobilienblase resultierenden Ver- tionalisierung geben. werfungen im spanischen Bankensektor alleine zu be- Diese von Spanien ergriffenen strukturellen Refor- wältigen. Diese Einschätzung haben die Europäische men sind richtig, und sie sind notwendig; Spanien Kommission, die Europäische Zentralbank, die Europäi- kommt an ihnen so wenig vorbei wie andere Staaten, die sche Bankenaufsichtsbehörde, EBA, und der Internatio- inmitten von Reformprozessen stehen. Aber das kann nale Währungsfonds bestätigt. Es wird an den Märkten nur funktionieren, wenn auch die Probleme im Banken- bezweifelt, ob es dem spanischen Staat gelingen kann, sektor gelöst werden. Da geht es darum, einen Teufels- die Probleme in seinem Bankensektor zu lösen, ohne da- kreis zwischen Staats- und Bankenrisiken zu durchbre- bei seine eigene Zahlungsfähigkeit zu gefährden. Schon chen: Einerseits wird die Stabilität der spanischen der Anschein einer Gefährdung der nachhaltigen Zah- Banken infrage gestellt, weil der spanische Staat oftmals lungsfähigkeit des spanischen Staates kann zu gravieren- für die Lösung der Bankenprobleme als finanziell zu den Ansteckungseffekten im Euro-Raum führen. Da- schwach wahrgenommen wird. Andererseits folgt diese durch werden die Probleme im spanischen Bankensektor Wahrnehmung von angeblicher Finanzschwäche des zu einem Problem der Finanzstabilität der Euro-Zone. Staates allein aus der Sorge um mögliche Einstands- pflichten bei den Banken. Wir haben für solche Fälle im vergangenen Jahr das Instrument der Gewährung von Finanzhilfen der Euro- Um die Unsicherheit zu reduzieren, hat Spanien sei- päischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, an Staaten nen gesamten Bankensektor einer externen Evaluation zur Restrukturierung und Rekapitalisierung von Banken unterzogen. Wir wissen aus dieser Evaluation, in wel- geschaffen. Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger cher Größenordnung Kapitalverstärkungen im Zuge von Prüfung zu der Auffassung gekommen, dass die Voraus- Restrukturierungen notwendig sein werden. Die Hilfen setzungen für die Inanspruchnahme dieser Hilfen vorlie- und die Vorgaben der Restrukturierung des Bankensek- gen, dass die mit der Hilfe verbundenen Auflagen geeig- tors werden vom spanischen Restrukturierungsfonds Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22805

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) FROB gemanagt. Hinter diesem Restrukturierungsfonds Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte – das (C) steckt die spanische Regierung, und das bedeutet: Spa- ist das europäische Sekundärrecht – umzusetzen. nien stellt den Antrag, Spanien bekommt das Geld zur Die Hilfen werden auf bis zu 100 Milliarden Euro be- Bankenrekapitalisierung, und Spanien haftet als Staat für grenzt. Die EFSF wird kurzfristig eine Tranche von die Hilfen aus der EFSF. 30 Milliarden Euro in Reserve halten, um in einem Not- Das jetzige Programm ändert nichts daran, dass der fall sofort handlungsfähig zu sein. Damit lässt sich schon spanische Staat seinen eigenen laufenden Finanzierungs- jetzt ein klares Signal an die Märkte senden, ohne dass bedarf weiter ganz regulär selber am Markt refinanzieren wir irgendwelche Abstriche bei der Sorgfalt hinsichtlich kann und refinanzieren wird. Eine zügige Umstrukturie- der Umsetzung der vereinbarten bankindividuellen Prü- rung der in Schieflage geratenen spanischen Finanzinsti- fungen machen. Sobald der ESM aktiviert ist, wird das tute ist deshalb wichtig, um den Kapitalmarktzugang des spanische Programm ohne materielle Änderungen in den spanischen Staates zu tragbaren Zinssätzen sicherzustel- ESM überführt. In jedem Fall haftet aber der spanische len und Ansteckungseffekte auf andere Staaten in der Staat gegenüber der EFSF bzw. künftig auch gegenüber Euro-Zone zu unterbinden. dem ESM für die Rückzahlung der Mittel. Etwas ande- res ist nach den geschlossenen Verträgen und Gesetzen Die Europäische Kommission, die EZB, die Europäi- gar nicht möglich. sche Bankenaufsichtsbehörde und der IWF kommen in ihrem gemeinsamen Bericht zu dem Ergebnis, dass – ich Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere – will in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, die ich bereits gestern im Haushaltsausschuss gemacht die Situation des spanischen Bankensektors poten- habe. Dort habe ich darauf hingewiesen, dass ich die In- zielle Risiken für andere Länder der Europäischen formation bekommen habe, die Republik Zypern habe Union und besonders der Euro-Zone birgt, falls jene einen Antrag auf ein sogenanntes Stepping-out gestellt. Schwächen nicht angemessen und zügig behoben Stepping-out bedeutet nach den Regeln der EFSF, dass werden. ein Land, das unter vollem Programm ist, beantragen kann, an der Haftungsgarantie für andere Hilfszusagen Aufgrund der Schwäche einiger spanischer Banken nicht teilzunehmen. Das habe ich gestern dem Haus- ist in einem insgesamt unsicheren Marktumfeld mit ho- haltsausschuss mitgeteilt und dabei hinzugefügt, dass hen Zinssätzen für die staatliche Kreditaufnahme Spa- sich, wenn ein solcher Antrag genehmigt würde, der niens die Finanzstabilität der gesamten Euro-Zone deutsche Anteil an der Haftung, der jetzt, wie im vorlie- gefährdet. Ohne die extreme Verunsicherung der Finanz- genden Antrag ausgeführt ist, 29,07 Prozent beträgt, auf märkte wäre Spanien in der Lage, seinen Bankensektor 29,13 Prozent erhöhen würde. Ich habe ergänzend zu der (B) (D) allein in Ordnung zu bringen. Aber wir haben eben eine Mitteilung im Haushaltsausschuss mitzuteilen – deswe- Ausnahmesituation, und in dieser Ausnahmesituation gen erwähne ich dies jetzt –, dass Zypern diesen Antrag helfen wir dem spanischen Staat, gegen die übermäßige vorläufig zurückgezogen hat, sodass wir darüber nicht Nervosität der Finanzmärkte, und wir leisten damit einen zu entscheiden haben. Aber ich wollte Ihnen diese Infor- Beitrag zum Erhalt der Finanzstabilität der Euro-Zone mation der Vollständigkeit halber geben. insgesamt. In diesen Tagen sind manchmal zwei Debatten durch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einandergeraten, die wir sauber voneinander trennen Die von diesen europäischen Institutionen mit Spa- sollten. Das eine ist die Frage der Gewährung von Fi- nien vereinbarten Auflagen für eine solche Hilfe – also nanzhilfen an Spanien nach den bestehenden Instrumen- das Memorandum of Understanding –, über die morgen ten, und das andere ist eine in die Zukunft gerichtete De- in der Euro-Gruppe entschieden werden soll, sind detail- batte darüber, dass wir bei einer vergemeinschafteten liert und präzise ausgearbeitet. Ich möchte beispielhaft Geldpolitik im Euro-Raum, in dem eine nicht unbe- nennen: Für jede Bank wird von externen Prüfern ein in- trächtliche Zahl von Instituten stark mit anderen Banken dividueller Stresstest durchgeführt. Banken, die als nicht des europäischen Finanzbinnenmarkts vernetzt ist, ein lebensfähig angesehen werden, müssen abgewickelt Mindestmaß an Rechtsvereinheitlichung im Bankensek- werden. Für alle Banken mit Kapitalbedarf müssen de- tor und eine durchsetzungsstarke europäische Banken- taillierte Restrukturierungspläne erstellt und von der Eu- aufsicht brauchen. Aber dies ist eine zukünftige Debatte. ropäischen Kommission nach den Vorgaben des EU-Bei- An dem Vorhaben werden wir in der Zukunft arbeiten. hilferechts genehmigt werden. Bevor auf staatliche Heute haben wir auf der Grundlage der geltenden Ver- Mittel zurückgegriffen werden kann, müssen die An- träge und der geltenden Gesetze zu beraten und zu ent- teilseigner der Banken ihren Beitrag leisten. Die Gehäl- scheiden. Das darf man nicht miteinander vermischen. ter der Manager solcher Banken werden gedeckelt. Es ( [CDU/CSU]: So ist es!) gibt also klare Vorgaben für das Verfahren, und diese Vorgaben entsprechen in vielen Punkten der in Deutsch- Eine solche Aufsicht, wenn sie denn geschaffen wer- land beim SoFFin entwickelten Praxis. den soll, muss mit Kompetenzen ausgestattet werden, die über die Kompetenzen der 2011 geschaffenen Euro- Zusätzlich zu diesen Vorgaben für den Finanzsektor päischen Bankenaufsichtsbehörde, EBA, weit hinausge- verpflichtet sich Spanien bindend, seine Verpflichtungen hen. Die EBA hat eine koordinierende Funktion für die nach dem europäischen Defizitverfahren, nach dem Eu- nationalen Bankenaufsichten. Wir werden eines Tages ropäischen Semester, auch nach den Empfehlungen zur eine wirkliche europäische Bankenaufsicht brauchen. 22806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Dabei geht es dann um einheitliche klare Regelungen für andere große und kleinere Länder haben bedeutende Re- (C) die rechtzeitige Restrukturierung und gegebenenfalls formschritte und -maßnahmen auf den Weg gebracht. auch Abwicklung notleidender Banken, die dann von ei- Übrigens hat auch der Sachverständigenrat zur Be- ner europäischen Aufsicht im Einzelfall durchgesetzt gutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in werden und deren Anwendung sich danach richtet, was seinem Sondergutachten vom 6. Juli dargelegt, wie kon- der finanziellen Stabilität in ganz Europa geschuldet ist. sequent der Defizitabbau in den europäischen Krisenlän- Die europäischen Verträge sehen vor, dass der Euro- dern vorangebracht worden ist. Er betont dabei, dass die päische Rat nach Anhörung des Europäischen Parla- Erfolge bei der Rückführung der strukturellen Defizite ments und der Europäischen Zentralbank einstimmig weit über das hinausgehen, was wichtige Industriestaa- beschließen kann, der EZB entsprechende Aufsichts- ten außerhalb der Euro-Zone bis heute erreicht haben. funktionen zu übertragen. Dabei sind aber noch viele Nicht zuletzt arbeitet der Sachverständigenrat heraus, Fachfragen zu klären, etwa der Kreis der einzubeziehen- dass an strukturellen Reformen in den Krisenländern den Banken. Es bedarf auch einer sicheren Abgrenzung kein Weg vorbeiführt. Genau diesen Weg gehen wir in des Mandats gegenüber den geldpolitischen Aufgaben der Euro-Zone seit zwei Jahren konsequent. Der einge- der EZB, bei denen die Europäische Zentralbank unab- schlagene Weg – das ist wahr – ist nicht bequem, aber er hängig ist. Bei der Bankenaufsicht – wir kennen das aus ist gleichermaßen unvermeidlich wie erfolgverspre- der Debatte in Deutschland über das Verhältnis von chend. BaFin und Bundesbank – kann sie solch eine Unabhän- Auch bei der Schaffung eines neuen institutionellen gigkeit natürlich nicht haben. Rahmens für die Währungsunion, der ihre Stabilität dau- Es ist vereinbart worden, dass die Europäische Kom- erhaft sicherstellt, sind wir erheblich vorangekommen. mission bis zum September ein Modell ausarbeiten soll, Als wir die gemeinsame Währung eingeführt haben, über das der Rat dann bis Jahresende entscheiden kann. konnten wir die notwendigen Elemente einer politischen Eine Zustimmung Deutschlands zu einem solchen Vor- Union nicht bilden. Heute müssen wir dies schaffen, um schlag wird im Übrigen in jedem Fall einen entsprechen- die mangelnde Kongruenz zwischen Geldpolitik, die den Rückhalt im Deutschen Bundestag voraussetzen. vergemeinschaftet ist, und Finanz- und Wirtschaftspoli- Erst nach diesen grundlegenden Entscheidungen könnte tik, die in nationaler Zuständigkeit sind, so zu überbrü- eine europäische Bankenaufsicht mit wirksamen Durch- cken, dass der Euro dauerhaft stabil bleibt. griffsrechten auf notleidende Banken aufgebaut und eta- Dazu gehören die Verschärfung des Stabilitäts- und bliert werden. Erst wenn eine solche europäische Auf- Wachstumspakts und das neue gesamtwirtschaftliche sicht unter Beteiligung der Europäischen Zentralbank Überwachungsverfahren. Dazu gehören vor allem die funktioniert, kann sich die Frage der Finanzierung einer (B) am 29. Juni in diesem Haus mit breiter Mehrheit – die (D) von der europäischen Aufsicht veranlassten Restruktu- erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde weit überschrit- rierung notleidender Banken durch europäische Mecha- ten – beschlossenen Elemente Europäischer Fiskalver- nismen und Institutionen stellen. Hier besteht eben nicht trag und Europäischer Stabilitätsmechanismus, ESM, die nur ein zeitlicher Zusammenhang, sondern vor allem ein derzeit noch vom Bundesverfassungsgericht geprüft sachlogischer. Nur wer die Aufsicht mit entsprechenden werden. Durchgriffsrechten hat, kann auch die Verantwortung für Kapitalhilfen übernehmen. Deswegen ist das Königreich Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn man Spanien, solange es die Aufsicht hat, unser Partner für vor zwei Jahren vorhergesagt hätte, dass alle Länder der die Gewährung von Kapitalhilfen. Euro-Zone und acht weitere Mitgliedsländer der Euro- päischen Union, also insgesamt 25 von 27, sich in einem Im Übrigen ist die Beantwortung der Frage, wie das Fiskalvertrag verpflichten, Schuldenbremsen ähnlich der im Einzelnen technisch auszubuchstabieren sein wird, deutschen Regelung in ihre nationalen Rechtsordnungen noch völlig offen. So und nicht anders haben es die einzuführen, wäre man allenfalls für einen schlechten Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone am 29. Juni Scherz ausgelacht worden. Das ist aber die Wirklichkeit, beschlossen. Deshalb: Wer jetzt von einem unmittelbar und das zeigt, wie sehr sich die Einstellungen in Europa bevorstehenden Einsatz des ESM zur direkten Bankenre- verändert haben. kapitalisierung oder gar von einer kollektiven Haftung für die Schulden der Banken des Euro-Systems schwa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) droniert, der wird dem Ernst der zugrunde liegenden fachlichen und politischen Fragen nicht gerecht. Wir sind auf einem richtigen Weg. Dieser Weg wird Erfolg haben, wenn wir ihn Schritt für Schritt, konse- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) quent, beharrlich und mit Augenmaß weiter beschreiten. Aber – wie gesagt –: Wir brauchen dazu Zeit. Man ver- Herr Präsident, meine Damen und Herren, bei der Be- liert Vertrauen schnell, und man gewinnt es nur allmäh- wältigung der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum haben lich wieder zurück. Die Situation macht vielen unserer wir gerade auch in den letzten Wochen und Monaten Mitbürgerinnen und Mitbürger große Sorgen. gute Fortschritte erzielt. Vor allem die besonders im Fokus der Finanzmärkte stehenden Länder sind beim Ich bin überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind, Defizitabbau und auch bei den Strukturreformen zur die Probleme in der Euro-Zone zu überwinden und die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit sichtbar vo- Basis für eine solide Währungsunion mit einem nach au- rangekommen. Das gilt für Irland und Portugal, aber ßen und innen weiterhin stabilen Euro zu schaffen. Die auch für andere Länder. Spanien habe ich erwähnt. Auch Aufgabe ist nicht trivial. Es gibt weder schnelle noch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22807

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) einfache Lösungen. Wir wissen, dass unsere Mitbürger unbedingt das sagen, was Ihnen aufgeschrie- (C) in einem hohen Maße durch die ständigen Krisenmel- ben worden ist! – Gegenruf des Abg. Thomas dungen verunsichert sind. Oppermann [SPD]: Nicht so nervös, Herr Kol- lege!) Deshalb müssen wir wieder und wieder erklären, wel- che großen Vorteile die europäische Integration ein- Aber ich sage Ihnen, Herr Gröhe: An diese Geschichte schließlich der gemeinsamen Währung für alle Europäer – das stellen Sie doch auch fest, wenn Sie unterwegs sind – und nicht zuletzt, sondern vor allem für uns Deutsche glaubt keiner mehr. Auch Ihnen glaubt man sie nicht hat, Vorteile, die unter gar keinen Umständen gefährdet mehr. werden dürfen. (Patrick Döring [FDP]: Was glauben Sie Genauso wichtig ist es, dass nicht ständig unrealisti- denn?) sche Erwartungen geschürt und anschließend enttäuscht Deshalb haben Sie diese Geschichte durch eine zweite werden, sondern dass wir beharrlich und Schritt für Geschichte ergänzt. Das ist die Geschichte von den roten Schritt die notwendigen Maßnahmen umsetzen. Nur so Linien, können wir Vertrauen zurückgewinnen. Heute geht es darum, Spanien für die Lösung seiner Bankenprobleme (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ja!) die nötige Zeit zu verschaffen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. die bei jeder neuen Bewilligung nicht überschritten wer- den dürfen. Mit der Aussage „Kein Cent für Griechen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) land“ hat das alles vor zwei Jahren begonnen. (Zurufe von der CDU/CSU: Falsch! – Das ist Präsident Dr. Norbert Lammert: doch Unsinn!) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. Das war der Anfang der Rutschbahn; darüber klagen Sie intern doch auch. (Beifall bei der SPD) Ich weiß nicht, wie viele rote Linien inzwischen for- muliert, wie viele rote Linien versichert und wie viele Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): rote Linien betoniert worden sind. Mit bloßem Schulter- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zucken ist in den letzten Monaten noch jede dieser roten Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Linien überschritten worden. Inzwischen verfällt die Schäuble, ja, Sie haben recht: Wo man im Augenblick Halbwertszeit Ihrer roten Linien nach Tagen. Das ist das auch hinkommt, überall in Deutschland herrscht große ganze Drama, mit dem Sie intern zu kämpfen haben. (B) Sorge um die Zukunft der Europäischen Union und un- (D) seres gemeinsamen Geldes. Sie haben recht: Die Men- (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ schen sind verunsichert. Aber sie sind nicht nur wegen CSU]: Und dass Rot-Rot zerfällt, ist Ihr großes der immer neuen Krisenmeldungen verunsichert, son- Drama!) dern auch zunehmend verzweifelt, weil sie Hunger nach Herr Schäuble, Sie wissen: Ich unterstelle Ihnen im Erklärungen haben. Sie wollen zum Beispiel Antworten Hinblick auf Europa wahrlich keine bösen Absichten. auf die Fragen: Wie viele Rettungspakete braucht es ei- Aber so werden Sie – und leider eben nicht nur Sie –, so gentlich noch? Hat dieses Fass überhaupt einen Boden? wird die Politik insgesamt die Bevölkerung auf dem eu- Wohin soll die Reise noch gehen? ropäischen Weg verlieren. Herr Schäuble, ich weiß nicht, der wievielte Versuch Den Gipfel dieser besonderen Art von Regierungs- eines Mitglieds dieser Bundesregierung das eben war, kunst haben wir vor knapp drei Wochen hier im Deut- die Politik der Bundesregierung zu erklären und vor al- schen Bundestag erlebt: bei der Abstimmung über ESM len Dingen zu erklären, was noch alles vor uns liegt. und Fiskalpakt. Eine solche Erklärung hat wiederum nicht stattgefunden. Sie tun es nicht, Frau Merkel tut es nicht. Ich sage Ihnen: (Dr. [DIE LINKE]: Mit Zu- Wer sich nicht erklärt, der wird auch nicht verstanden. stimmung der SPD!) Die Leute verstehen einfach nicht mehr, wohin Sie wol- Einige von uns sind ja schon ein paar Jahre in der Poli- len. tik. Aber das Chaos, das Sie, Frau Merkel und Herr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schäuble, an jenem Freitag Ende Juni hier im Bundestag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) angerichtet haben, war bis dahin ohne Beispiel. Es ist doch so: Wir hören, auch in diesem Hohen (Otto Fricke [FDP]: Was soll das denn jetzt? Hause, seit Monaten immer wieder dieselbe Geschichte. Ihr habt doch zugestimmt!) Das ist die Geschichte von den disziplinlosen Südeuro- In den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundes- päern, den ökonomischen Hallodris, denen Deutschland tages haben Sie mit Ihrer Mehrheit noch zwei Tage vor nur finanzpolitische Mores lehren muss, und am Ende den Abstimmungen die Klarstellung durchgesetzt – Sie wird alles besser werden. haben gesagt, das sei nur eine Klarstellung –, dass keine (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Ach was! Das Direktfinanzierung von Banken aus dem ESM stattfin- ist doch Blödsinn! – Hartwig Fischer [Göttin- den darf. Weniger als 48 Stunden später erklärte die gen] [CDU/CSU]: Sie müssen hier doch nicht Kanzlerin, die ja von diesen Regierungsfraktionen getra- 22808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) gen wird, in Brüssel das genaue Gegenteil: Die Direkt- Wir sind eines der wenigen Parlamente in Europa, das (C) finanzierung soll kommen. sich in seiner Haltung zur europäischen Krise nicht völ- lig zerlegt hat. Das halte ich für einen Gewinn. (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Norbert Barthle [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen CSU]: Na, na, na! Das müssen Sie aber noch Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mal nachlesen! – Hartwig Fischer [Göttingen] Aber Sie tun zu wenig dafür, dass das auch in Zukunft so [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) bleibt. – Meine Damen und Herren, Sie alle waren dabei. – Herr Schäuble – auch das kann ich Ihnen nicht erspa- Zwölf Stunden später beschloss der Deutsche Bundes- ren –, Sie haben uns noch im Mai dieses Jahres erklärt, tag, wiederum mit der Stimme der Kanzlerin, dass es bis dass Spanien nicht unter den Rettungsschirm muss, zu auf Weiteres beim konsequenten Verbot der Direktfinan- einem Zeitpunkt, als die Spatzen schon das Gegenteil zierung bleibt. Wer soll das verstehen, meine Damen und von den Dächern pfiffen. Das ist genau das, was wir Ih- Herren? Die Deutschen verstehen das offenbar nicht. nen immer wieder vorgeworfen haben: dass Sie die Kar- ten nicht frühzeitig, auch für das Parlament durchschau- (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Sie bar, auf den Tisch legen, sondern lavieren und taktieren, selbst verstehen es nicht! – Patrick Döring solange es geht, und Parlament und Öffentlichkeit im [FDP]: Sie erst recht nicht!) Unklaren lassen. Wer wollte, der konnte schon im Mai, mit Sicherheit aber Anfang Juni wissen, dass Spanien Dass Sie sich dabei in immer tiefere Widersprüche Hilfe brauchen würde. verstricken, liegt nach meiner Überzeugung daran, dass Sie an Ihrer alten, aber zu einfachen Geschichte von (Otto Fricke [FDP]: Aha! Sie wussten das Deutschland als Stabilitätsanker in einem Meer europäi- also?) scher Disziplinlosigkeit festhalten. Diese Geschichte hat Wir haben den Rettungsschirm doch nur deshalb aufge- den Menschen eine Zeitlang die Illusion gegeben, Sie spannt, weil sich das schon am Horizont abzeichnete. hätten die Krise einigermaßen im Griff. Das mag Ihre ei- Das haben wir Sozialdemokraten mitgetragen – das gilt genen Leute in den letzten Monaten einigermaßen zu- auch für den ESM –, allerdings nicht wegen irgendwel- sammengehalten haben. Aber es ist nun einmal so: Wer cher verblasener Vorstellungen von europäischer Solida- sich mit seinen Geschichten zu weit von der Realität ent- rität, erst recht nicht, um eine strauchelnde Regierung im fernt, dem glauben die Menschen irgendwann nicht Amt zu halten. Nein, wir haben das aus richtig verstan- mehr. denem deutschen Interesse mitgetragen, auch im Hin- (B) blick auf deutsche Arbeitsplätze. (D) (Patrick Döring [FDP]: Oh! Da spricht einer aus Erfahrung!) Wir wissen seit langem: Wir leben nicht auf einer In- sel der Seligen. Die Krise kommt auch im stärksten eu- Es ist sogar so weit gekommen, dass nicht einmal Ihre ropäischen Exportland an. Eines ist sicher: Wenn die eu- eigenen Leute noch daran glauben. Wir wollen nicht ver- ropäischen Volkswirtschaften, eine nach der anderen, gessen: Dreimal haben Ihnen die Koalitionsfraktionen wirklich ins Trudeln geraten würden, dann wäre nicht bei der Abstimmung über den ESM die Gefolgschaft auszuschließen, dass am Ende auch Deutschland in die- verweigert. Dreimal, und das in einer so bedeutsamen sem Strudel mitgerissen wird. Wir müssen den Men- Frage! Es hat, meine Damen und Herren, Kanzler und schen sagen, dass nicht Spanier, Griechen und Portugie- Regierungen in der Geschichte dieser Republik gegeben, sen, sondern wir, wir Deutsche, das größte Interesse an die daraus andere Konsequenzen gezogen hätten, als be- der Überwindung der europäischen Krise haben. Wir treten zu schweigen und sich in die Sommerpause zu ret- müssen sagen, dass dieser Weg hart wird, dass er lange ten. dauern wird und mit erheblichen Lasten, auch für unser eigenes Land, verbunden sein wird. Den Menschen dies (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten offen ins Gesicht zu sagen, ist eigentlich nicht Aufgabe des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- der Opposition. Das wäre Ihre tägliche Aufgabe seit chen bei der CDU/CSU und der FDP – Mai 2010 gewesen. Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt wird es lus- tig! – [Peine] [SPD], an die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU gewandt: Sie haben keine eigene des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mehrheit! Deshalb sind Sie so nervös!) Sie tun es nicht, weil Sie befürchten, dass Ihnen Ihre ei- – Sie können ja darüber lachen. Aber Sie wissen haarge- gene Koalition um die Ohren fliegt. nau: Sie regieren nur noch, weil Grüne und Sozialdemo- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und kraten in dieser europäischen Überlebensfrage nicht par- Kollegen, wenn ich heute trotzdem und unter Hintanstel- teitaktisch, sondern in Kenntnis und in Wahrnehmung lung auch eigener Bedenken, ihrer europäischen Verantwortung agieren. (Zuruf von der FDP: Wie immer!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – das wollen Sie nicht, oder was? – DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) (Zurufe von der FDP: Doch!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22809

Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) die fortbestehen, meiner Fraktion die Zustimmung emp- richten von Praktiken auf den Finanzmärkten lässt den (C) fehle, letzten Rest von Verständnis für eine Bankenrettung bei uns schwinden. Es ist ja schlimm genug, dass Banken- (Zurufe von der LINKEN: Oh!) vorstände in der Vergangenheit ganz offenbar nicht ge- dann einzig und allein deshalb, weil es nicht konsequent nau wussten, mit welchen Risiken sie wirklich hantieren. wäre, Rettungsschirme aufzuspannen, sie aber nicht zu Es ist ein Skandal, dass auch seriöse Institute oder sol- benutzen, wenn sie gebraucht werden. Gebaut worden che, die sich so bezeichnen, in Europa offensichtlich auf sind die Rettungsschirme ja bekanntlich nicht zur Be- den Niedergang ganzer Volkswirtschaften gewettet ha- standswahrung maroder Banken, sondern um die Real- ben. Aber dass die grenzenlose Gier keinen Halt macht wirtschaft vor den Folgen eines Zusammenbruchs des vor der systematischen Manipulation von Aktienkursen, Finanzsektors zu bewahren. Das war der Sinn der Ret- das übersteigt doch wahrscheinlich sogar unsere gemein- tungsschirme. samen Vorstellungen. (Beifall bei der SPD) Das kann nicht so weitergehen. Denn ich bin fest da- von überzeugt: Die Finanzmärkte ruinieren am Ende auf Ich kann meiner Fraktion trotz eigener Bedenken die diese Weise nicht nur die Realwirtschaft, sondern sie ru- Zustimmung empfehlen, weil ich die Auflagen im Me- inieren auch die Demokratie. morandum gesehen habe, die strenger formuliert sind als in den Garantiefällen, die wir in diesem Parlament in den (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Rich- letzten zwei Jahren positiv entschieden haben. Ich habe tig!) gesehen, dass die Abwicklung der Banken ebenso dazu- gehört wie die völlige Neustrukturierung des spanischen Es kann nicht angehen, dass die Politik immer wieder in Bankenbereichs. Trotzdem sage ich: Es darf keine Ban- Haftung genommen wird, während sich die Akteure auf kenrettung um jeden Preis geben. Wer sich kaputtspeku- den Finanzmärkten hinter ihrer Anonymität verstecken. liert hat, der darf und der kann keinen Anspruch auf Für mich steht deshalb eines fest, meine Damen und staatliche Hilfe haben; der darf kein Steuergeld verbren- Herren: Nicht nur Regeln müssen her auf den Finanz- nen. Der muss schlicht und einfach vom Markt; so ein- märkten. Ob das gelingt oder nicht, wird sowieso zu ei- fach ist das. ner Überlebensfrage der Demokratie. Ich sage ganz un- abhängig davon: Wer in der Vergangenheit Kurse (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska manipuliert hat und weiterhin manipuliert, der muss Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die ganze Härte des Strafrechts zu spüren bekom- NEN]) men, ohne Rücksicht auf Rang oder Status. Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) dass viele in meiner Fraktion überhaupt nicht davon des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) überzeugt sind, dass wir das Richtige tun. Wenn die Mehrheit dennoch zustimmt, dann nur deshalb, weil der Ich glaube, niemand hier macht sich Illusionen da- Schaden durch eine Verweigerung Deutschlands gegen- rüber, dass wir mit der heutigen Abstimmung erst einmal über Spanien auch aus unserer Sicht katastrophal wäre. Ruhe haben werden. Die nächsten Entscheidungen wer- Aber damit ist auch gesagt: Es kann so nicht weiterge- den nicht lange auf sich warten lassen. Ich weiß nicht, hen. Die Rettung von Banken durch den ESM – das wie lange das Geld in Griechenland reicht. Ich weiß müsste auch Ihr Interesse sein – darf nicht zur Dauerlö- nicht, wie die Europäische Union dann agieren wird. Ich sung werden. Ich sage Ihnen: Wer immer es vorhat, es weiß nicht und habe es heute von Herrn Schäuble auch wird keinen direkten Weg von der Spanien-Hilfe zur nicht gehört, wie Sie dann auf das deutsche Parlament dauerhaften Rekapitalisierung von kriselnden Banken zukommen. Zu Zypern haben wir einen Satz gehört. Ob geben, jedenfalls nicht mit uns. das eine dauerhafte Entlastung von Entscheidungspflich- (Beifall bei der SPD) ten hier bedeutet, kann ich nach Ihrer Rede nicht sagen. Das Gegenteil muss doch die Aufgabe sein. Wir müs- Mein Abschlusssatz ist nur: Kommen Sie bitte auf sen aus diesem Parlament heraus Alternativen formulie- dieses Parlament nicht wieder auf den letzten Drücker ren. Wir müssen Staatsrisiken und Bankenrisiken vonei- zu. Zurren Sie die Dinge nicht endgültig fest, bevor Sie nander trennen und endlich Vorschläge für ein hier ins Hohe Haus kommen. Sie haben es in den letzten Trennbankensystem oder die Anwendung der Volcker Wochen gespürt: „Friss oder stirb“, das geht mit diesem Rule in Deutschland machen. Wir müssen Banken unter- Parlament nicht mehr. Das wäre das Ende von europäi- einander für die eigenen Risiken einstehen lassen, ohne schen Gemeinsamkeiten, die es parteiübergreifend in dass der Steuerzahler in Zukunft weiterhin belastet wird. diesem Hause immer noch gibt. Deshalb brauchen wir einen eigenständigen Banken- Herzlichen Dank. ESM – meinetwegen für systemrelevante Banken –, der sich über eine europäische Bankenabgabe finanziert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist die Alternative, meine Damen und Herren. Wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dürfen uns da nicht länger treiben lassen. Wir müssen Alternativen aufzeigen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD) Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. Nun weiß ich nicht, wie das in Ihren Fraktionen so geht. Aber ich sage Ihnen: Jede Woche mit neuen Nach- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 22810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Rainer Brüderle (FDP): Ordnung bringt. Dafür hat es Hilfe bei den Euro-Part- (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr nern beantragt. Steinmeier hat kürzlich behauptet: Die SPD sagt, was ist. – Das war Ferdinand Lassalle in Kurzform. Deutschland ist bereit, zu helfen. Aber wir halten uns an den Grundsatz: Keine Leistung ohne Gegenleistung! (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Bundesregierung und die europäischen Partner ha- NEN]: Das war Rosa Luxemburg!) ben Spanien ein knackiges Pflichtenpaket auferlegt. Sie, Herr Steinmeier, hätten heute die Möglichkeit ge- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE habt, zu sagen, was ist. Sie haben es nicht gemacht. Sie GRÜNEN]: Was? Knackig?) haben verschwiegen, bemäntelt. Aber wer Lassalle zi- tiert, legt die Latte hoch. Sie sind heute bequem unter ihr Spanien verpflichtet sich, eine Bad Bank zu schaffen. durchgelaufen. Sagen Sie doch einmal, was ist. Was ist Spanien hat sich verpflichtet, strenge Stresstests für den mit dem toten Rennen der Kanzlerkandidatur? Was ist gesamten Bankensektor durchzuführen. Danach wird mit dem Rückwärtsgang bei der Rente mit 67? entschieden, welche Institute abgewickelt werden. Spa- nien wird von der EU-Kommission und von der EZB mit ( [SPD]: Reden Sie mal über Unterstützung des IWF überwacht. Wir schicken quasi Europa! – Weitere Zurufe von der SPD) die Troika wieder los. Das ist eine effektive Überwa- Was ist mit Ihrer Steuererhöhungspolitik? Was ist mit Ih- chung. rer Vergemeinschaftung von Schulden, Stichwort Euro- Spanien hat sich zu weitreichenden Strukturreformen Bonds? verpflichtet, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Spanien hat ein In der Sozialdemokratie sind die Machtfragen nicht Sparpaket von 65 Milliarden Euro angekündigt. Das sind gelöst. klare Signale. ( [SPD]: Sie kommen nicht mal Eine direkte Bankenhilfe ist nicht vereinbart worden; ins Parlament!) Finanzminister Schäuble hat das noch einmal ausdrück- lich bestätigt. Auf dem Gipfel wurde ausdrücklich be- Sie haben die Sachfragen nicht gelöst. Das spürt man bei schlossen: Erst wird eine europäische Bankenaufsicht jeder Sitzung. Ihre Troika ist ein Pakt des Misstrauens. geschaffen. Ich erkläre für meine Fraktion: Es wird nicht Jeder vermutet beim anderen den Dolch im Gewande. reichen, wenn der Währungskommissar im September (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vorschläge dazu macht. Die Möglichkeit von Direkthil- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen ist klar an die Umsetzung und nicht an die Ankündi- NEN]: Und dann wollen Sie uns mit denen al- gung einer Bankenaufsicht geknüpft. (B) (D) leine lassen? Sie kommen gar nicht rein ins (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Parlament! Das ist entsetzlich!) Das haben die Kanzlerin und der Finanzminister öffent- Die Fraktionen im Deutschen Bundestag haben sich lich immer wieder gesagt. Die Fraktionen vertrauen der weitreichende Rechte der Parlamentsbeteiligung er- Regierung. Notfalls werden wir das anmahnen. Hier ist kämpft. Rechte bedeuten auch mehr Pflichten. Rechte dann unser parlamentarisches Selbstverständnis gefor- bedeuten auch Verantwortung. Diese Sondersitzung ist dert. ein starkes Zeichen unserer Demokratie. Wir Parlamen- tarier tun unsere Pflicht. Wir Parlamentarier nehmen un- Ich erkläre für meine Fraktion außerdem: Ohne eine sere Verantwortung wahr. europäische Bankenaufsicht mit harten Durchgriffsrech- Wir beschließen heute das Hilfsprogramm für Spa- ten sind direkte Bankenhilfen überhaupt keine Option. nien. Das ist keine leichte Entscheidung. Aber wir wis- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sen: Wir müssen den Teufelskreis aus Schuldenkrise und der CDU/CSU) Bankenkrise durchbrechen. Im Moment schwappt die eine Krise immer wieder in die andere hinüber. Deshalb Optionen sind dann besonders wertvoll, wenn man sie brauchen wir Dämme und Dränagen. nicht ziehen muss. Deutschland hat kein Interesse an ei- nem ESM als Bad Bank. Spanien leidet unter den Folgen der Immobilienblase. Spanien hat strukturelle Schwächen. Aber Spanien ist Wir haben ein gutes Verfahren für Spanien gefunden. nicht Griechenland. Das gilt es durchzuhalten, damit Vertrauen entstehen kann. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was für eine Erkenntnis! – Renate Meine Damen und Herren, die besten Volkswirte und Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Verfassungsrechtler Deutschlands treibt die Schulden- sprechen auch ganz anders! Wissen Sie das?) krise um. Ökonomen machen Aufrufe, ehemalige Ver- fassungsrichter geben große Interviews, amtierende Ver- Spanien hat noch vor kurzem eine niedrigere Schulden- fassungsrichter nehmen sich für ein Eilverfahren mehr quote als Deutschland gehabt. Spanien hat industrielle Zeit als üblich. Ich halte das für legitim und auch für not- Kerne und attraktive Dienstleistungssektoren. Realwirt- wendig und richtig. schaft kann sich aber nicht von der Finanzwirtschaft ab- koppeln. Realwirtschaft braucht Kredite. Deshalb hat (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Vielen Spanien nur eine Chance, wenn es den Bankensektor in Dank!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22811

Rainer Brüderle (A) Ich sehe das als Ausweis unserer Grundfreiheiten, rich- scher Beamter das gemacht, dann wäre das Geheimnis- (C) terlicher Unabhängigkeit, der Freiheit von Forschung verrat gewesen. und Lehre und der Meinungsfreiheit. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem Deutschland ringt mit sich und seinen Grundsätzen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen den europäischen Weg gehen, aber uns ist Das hat Deutschland nicht genützt. klar: Es muss ein Pfad der Stabilität und der Rechtsstaat- lichkeit sein. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – [SPD]: Un- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau!) möglich! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Darum ringen die Politik, Ökonomen und auch Verfas- Das ist eigentlich Landesverrat!) sungsrechtler. Altbundeskanzler Schröder hat es klar angedeutet: Es ist Privates Eigentum, Haushaltsautonomie und Geld- nicht im deutschen Interesse, Reformpausen und die wertstabilität sind unsere wirtschaftlichen und rechts- Rente mit 60 in anderen Ländern zu finanzieren. Das staatlichen Vorräte. kann nicht deutsches Interesse sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Und der So- zialstaat!) Kollege Müntefering hat das bei Ihnen ja offen ange- sprochen. Es gibt offenbar noch Verantwortungsethiker. Diese müssen wir schützen, die wollen wir schützen, und die werden wir schützen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen nicht!) Deutschland kann seinen Wohlstand nicht für ein Eu- ropa der Reformpausen einsetzen. Damit würden wir un- Ihnen sollten Sie mehr Raum geben. seren Wohlstand aufs Spiel setzen. Meine Damen und Herren, die Menschen im Land (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der machen sich Sorgen um die Geldwertstabilität. Wir alle CDU/CSU) hier haben den Menschen versprochen, der Euro werde genauso stabil sein, wie es die D-Mark war, und die Eu- Davon hat niemand etwas, wir nicht und unsere europäi- ropäische Zentralbank werde genauso unabhängig sein, schen Partner auch nicht. wie es die Deutsche Bundesbank war und ist. Das müs- sen wir auch einhalten. Zweimal haben die Deutschen Das Time Magazine hat vor kurzem geschrieben – ich ihre Geldwerte verloren, und zwar durch zwei Wäh- zitiere –: (B) rungsreformen. Inflation stand am Anfang und am Ende (D) Deutschland geht es deswegen besser als dem Rest der unseligsten Zeit der deutschen Geschichte. Deshalb Europas, weil es sich nicht so verhält wie der Rest ist unsere Mitgift für Europa Sensus für Geldwertstabili- Europas. tät und die Schaffung der Voraussetzungen dafür. Mit ei- ner Schuldenunion aus Euro-Bonds schaffen wir das Meine Damen und Herren, die christlich-liberale Ko- nicht, alition schützt die Interessen Deutschlands in Europa. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mit einer Haftungsunion, in der die deutschen Sparkas- Ich zitiere noch einmal das Time Magazine: sen für Großbanken in Spanien und sonst wo einstehen, auch nicht, mit einer Inflationsunion – Stichwort Wenn Deutschlands europäische Partner – aber „Banklizenz für den ESM“ – auch nicht. auch Washington – weiterhin wollen, dass Merkel und ihr Land sich so stark engagieren, dann ist es Von Deutschland wird Orientierung und auch ein vielleicht an der Zeit, ihr Respekt zu zollen, statt ihr Stück Führungsverantwortung gefordert. Führungsver- ständig Beleidigungen an den Kopf zu werfen. antwortung heißt aber nicht, der liebe Onkel oder die nette Tante zu sein und ständig Bonbons zu verteilen, Das Magazin hat völlig recht. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Niveau hier?) Das gilt auch für die Opposition. sondern durch ein gutes Beispiel Orientierung zu geben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Deutschland setzt ein gutes Beispiel. Wir bringen unsere CDU/CSU) Wirtschaftsstärke, aber auch unsere Stabilität ein. Das ist Meine Damen und Herren, ich halte es schon für be- der richtige Pfad für Europa. denklich, wenn sich Sozialdemokraten zum Sprachrohr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der französischen Sozialisten machen und hier über Bande spielen. Das hat eine neue Qualität. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Wort erhält nun die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. Dort wurden offenbar Informationen ausgetauscht und vielleicht sogar Strategien besprochen. Hätte ein deut- (Beifall bei der LINKEN) 22812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!) (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Wir Er wird oft genug gerade von den Banken bis aufs letzte sind also wieder einmal zusammengekommen, um Mil- Hemd ausgezogen. Aber für die Banken selbst soll das liarden, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler hart offensichtlich nicht gelten. erarbeitet haben, im schwarzen Loch des Finanzmarkts zu versenken. Der einzige Fortschritt ist immerhin, dass Wenn Sie uns jetzt sagen: „Na ja, Bankenpleiten kann Sie diesmal wenigstens offen zugeben, worum es geht: man nicht verantworten, das hat solche gesamtwirt- Nicht um Hilfszahlungen an Länder, die ihnen vielleicht schaftlichen Folgen“, dann seien Sie doch nur einmal dabei helfen können, ihre Krise zu meistern oder ihre konsequent. Dann akzeptieren Sie, dass Finanzen ein öf- riesige Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern es fentliches Gut sind, das eben nicht privater Renditejagd geht wieder einmal nur um Hilfszahlungen für Banken, überlassen werden darf. die andere Banken, Hedgefonds und private Großanleger vor Verlusten schützen sollen. (Beifall bei der LINKEN) Bis zu 48 Milliarden Euro kann die heutige Entschei- Dann akzeptieren Sie, dass der Finanzsektor öffentlich dung den deutschen Steuerzahler kosten. Das ist etwa und gemeinwohlorientiert organisiert werden muss, dass das Vierfache dessen, was der Bund jährlich in seinem Finanzen so wenig auf einen Markt gehören wie Ge- Etat für Bildung und Forschung ausweist. Insoweit muss sundheit, Bildung und viele andere elementare Güter. man schon sagen: Es war wirklich ungerecht, dass Frau Genau das fordert die Linke ja seit langem. Merkel in Europa einmal „Madame Non“ genannt wurde. (Beifall bei der LINKEN) Wenn es um Banken und darum geht, Steuergeld für Banken zu verbrennen, dann war Madame Merkel – und Aber das, was Sie machen, gigantische private Wett- sie ist es bis heute – leider immer „Madame Oui“. buden am Markt zu belassen, die alle Freiheiten haben, die Ersparnisse mit waghalsigen Geschäften zu verzo- (Beifall bei der LINKEN) cken, sich an jeder Blase zu beteiligen, um maximale Gleichzeitig singen Sie aber – diese Regierung macht Rendite herauszuschinden, und immer dann, wenn es das heute ja wieder – das Mantra von Haushaltsdisziplin eng wird, den Steuerzahler kommen und brav für die und Haushaltskonsolidierung. Sie zwingen die Bundes- Verluste haften zu lassen, also Sozialismus für die Bank- länder, Polizisten und Lehrer zu entlassen, um eine soge- vorstände und Vermögenden und Kapitalismus für den nannte Schuldenbremse einzuhalten. Verarmte Kommu- Rest der Bevölkerung, das ist wirklich ein absurdes und nen verkloppen Krankenhäuser und Wohnungen und krankes Modell. schließen eine kommunale Einrichtung nach der ande- (B) (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle (D) ren. Ich sage Ihnen aber: So viele Theater, Bibliotheken [CDU/CSU]: Sozialismus ist immer ein kran- und Schwimmbäder gibt es in ganz Deutschland nicht, kes Modell!) dass man durch ihre Schließung die gigantischen Sum- men wieder hereinholen könnte, die Sie hier mit jeder Ich muss auch sagen: Dass sich SPD und Grüne jedes einzelnen Entscheidung verpulvern. Mal dazu hergeben, der Regierung für diesen Bankenso- zialismus die nötige Mehrheit zu sichern, die sie gar (Beifall bei der LINKEN – Petra Merkel [Ber- nicht mehr hätte ohne sie, das ist wirklich ein einziges lin] [SPD]: So ein Quatsch!) Trauerspiel. Erzählen Sie doch niemandem, dieses Geld sei nicht (Beifall bei der LINKEN) in Gefahr. Es ist natürlich in akuter Gefahr. Ich bin zwar lange nicht so marktgläubig, wie Sie das sind. Aber gibt Ich kann die Phrase nicht mehr hören: Die Finanz- es Ihnen nicht zu denken, dass die Banken, deren Risiko- märkte dürfen nicht beunruhigt werden. – Ob die Men- kapital Sie jetzt mit deutschem Steuergeld aufstocken schen beunruhigt werden, ob die Demokratie ausgehe- wollen, am privaten Markt seit langem nicht einmal belt wird, mehr Anleihen platzieren können? Das spricht doch wohl sehr dafür, dass Sie sich hier auf ein verdammt (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist es!) schlechtes Geschäft einlassen. ist alles nicht so wichtig, solange nur die Finanzmärkte (Beifall bei der LINKEN) bei Laune bleiben. Ich finde es schon ziemlich skrupel- los, wie teilweise versucht wurde, sogar das Bundesver- Ich finde, Sie müssen sich auch einmal entscheiden. fassungsgericht mit Rücksicht auf Finanzmarktinteres- Sie wollen doch den Kapitalismus auch im Finanzbe- sen unter Druck zu setzen. reich, also private Banken und ein marktwirtschaftlich organisiertes Finanzsystem. Dann müssen Sie aber auch Genau das unterscheidet die Linke von Ihnen allen. die Regeln anerkennen, die in der privaten Wirtschaft Wir wollen nicht die Finanzmärkte beruhigen, und wir nun einmal gelten. Eine der Kernregeln ist, dass Investo- wollen auch nicht um das Vertrauen dieser Zockerbande ren für ihre Verluste haften, nicht der Steuerzahler. werben, sondern wir wollen die Finanzmärkte entmach- ten. Wir wollen die Banken als öffentliche Institute so (Beifall bei der LINKEN) reorganisieren, dass sie endlich wieder das tun, wofür Banken da sind: Jeder kleine Unternehmer, der eine falsche Investitions- entscheidung trifft, muss am Ende dafür büßen. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22813

Sahra Wagenknecht (A) sichere Sparmöglichkeiten anbieten und Investitionen fi- ser als Ihr Schuldensumpf, die ganzen Kürzungsdiktate (C) nanzieren; und sonst gar nichts. und die Ausplünderung der Steuerzahler. Tatsächlich brauchen Spanien und auch Italien – das (Beifall bei der LINKEN) wird das nächste Land sein – unser Steuergeld nicht. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Hey, hey! Präsident Dr. Norbert Lammert: Vorsichtig!) Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.

Was sie wirklich brauchen, ist erstens ein regulierter Fi- Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): nanzsektor, in dem Investoren und Gläubiger für die Ver- Ich komme zum Ende. – Die Linke jedenfalls wird luste der Vergangenheit haften. Zweitens müssen sie heute wieder geschlossen gegen diese erneute milliar- endlich unabhängig von der Zinstreiberei der Finanz- denschwere Bankenrettung stimmen; denn wir sind märkte werden. Ich sage Ihnen: Wenn sie sich tatsächlich überzeugt: So kann und so darf es in Europa nicht wei- zu dem gleichen Zinssatz wie die privaten Banken finan- tergehen. zieren könnten, nämlich zu 0,75 Prozent, und wenn sie nicht mehr für die Verluste ihrer Banken haften müssten, Ich danke Ihnen. dann hätten diese Länder so gut wie keine Defizite mehr. (Beifall bei der LINKEN) Allen, die sofort wieder warnen, billige Zinsen wür- den zu unverhältnismäßiger Schuldenmacherei animie- Präsident Dr. Norbert Lammert: ren, kann ich nur sagen: Dann beschließen Sie doch ei- Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für nen einfachen Sanktionsmechanismus. Die EZB darf nur die CDU/CSU-Fraktion. an die Länder Direktkredite vergeben, die erstens bereit sind, eine kräftige Vermögensteuer für Vermögen ober- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- halb von 1 Million Euro einzuführen, und die sich zwei- neten der FDP) tens verpflichten, diese Steuer automatisch anzuheben, wenn und solange die Staatsverschuldung 60 Prozent Volker Kauder (CDU/CSU): des Bruttoinlandsprodukts überschreitet. Ein solcher Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sanktionsmechanismus wäre tausendmal besser als Ihre Wir haben hier im Deutschen Bundestag den ersten Ret- ganzen Kürzungsdiktate, und er wäre vor allem wirksa- tungsschirm beschlossen, um einen Beitrag leisten zu mer. können, unsere Währung, den Euro, zu schützen und zu stabilisieren. Wir haben diesen Rettungsschirm doch ge- (Beifall bei der LINKEN) (B) schaffen, um ihn dann einzusetzen, wenn es notwendig (D) Auch in Spanien gibt es genug Vermögen. Immerhin ist. hat die Immobilienblase keineswegs nur Schulden pro- Frau Wagenknecht, die Linke hat damals nicht zuge- duziert. Sie hat nämlich auch, und zwar nicht wenig, stimmt. Deswegen ist es gar kein Wunder, dass Sie auch Vermögen geschaffen, und diese Vermögen sind nach jetzt nicht zustimmen. wie vor vorhanden. Aber sie befinden sich ganz sicher nicht bei den 300 000 Kleinsparern, die jetzt gerade im (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE Zuge der Bankenrestrukturierung mit ihrem Vermögen LINKE]) bluten sollen. Es wundert mich überhaupt nicht, dass Sie das erste Mal Ich finde es auch bemerkenswert, dass eine Gläubi- nicht zugestimmt haben und auch jetzt nicht zustimmen gerbeteiligung nur in dem Sonderfall tatsächlich durch- werden; denn das, was damals Sie und die SED als öko- gesetzt wird, wo sie eben nicht andere Banken und nomisches Konzept in der DDR gemacht haben, Hedgefonds betrifft, sondern Kleinanleger. Das zeigt (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: „Deutsch doch auch, wie verlogen das ganze Gerede ist, dass es reden in Europa“!) hier angeblich immer darum geht, die Kleinanleger zu schützen. Nein, die Kleinanleger in Spanien bluten jetzt. hat dazu geführt, dass die Bürgerinnen und Bürger Sie Die Banken und Hedgefonds werden geschützt. Auch rausgeschmissen haben. deutsche Banken gehören zu denen, die von dem Steuer- (Beifall des Abg. [CDU/CSU] – geld profitieren werden, das nicht wir, aber Sie heute Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: „Deutsch re- wieder freigeben werden. den in Europa“!) Ich nenne Ihnen noch zwei Zahlen, um deutlich zu 17 Millionen Menschen haben Sie in die Armut getrie- machen, wo das Geld liegt. Die europäischen Staaten ha- ben. Von Ihnen brauchen wir keine Belehrungen darüber, ben aktuell eine Staatsverschuldung von 11 Billionen wie es funktionieren muss. Euro. Die privaten Vermögen in Europa betragen 13 Bil- lionen Euro, und zwei Drittel besitzen die oberen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- 10 Prozent. Das heißt, Sie können spielend die Sparein- derspruch bei der LINKEN – Jörn Wunderlich lagen von 90 Prozent der Bevölkerung in Europa sichern [DIE LINKE]: Oberpeinlich! – Dr. Diether und Sie können sogar noch die Staatsverschuldung redu- Dehm [DIE LINKE]: Sie verschieben hier eine zieren, wenn Sie bereit sind, die Reichen mit ihrem Ver- Sparkasse! Wenn nichts mehr bei Ihnen hilft, mögen dafür haften zu lassen. Das wäre tausendmal bes- dann heißt es das!) 22814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Volker Kauder (A) – Sie können nachher reden. Wissen Sie, Sie sollten hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) nur ein einziges Mal auftreten und den Satz sagen: Wir haben nachgedacht und erkannt, was wir alles falsch ge- Wir können uns vieles in Deutschland trotz der Soli- macht haben. darität in Europa nur leisten, weil wir eine funktionie- rende Wirtschaft haben und weil es gut läuft. Ich kann (Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Diether nur sagen: Ich bin froh, dass wir Entwicklungen, Pro- Dehm [DIE LINKE]: Das haben wir! Da ha- zesse in unserem Land vorangebracht haben, die auch ben Sie wohl Tomaten auf den Ohren!) der deutschen Wirtschaft helfen. Ich will nur auf Folgen- Aber das bringen Sie ja überhaupt nicht fertig. Dazu sind des hinweisen: Vor sechs, sieben oder acht Jahren waren Sie gar nicht in der Lage. die Sozialversicherungsbeiträge so hoch, dass die deut- sche Wirtschaft unter diesen sogenannten Lohnzusatz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kosten regelrecht geächzt hat. Es ist auch ein Erfolg die- neten der FDP) ser Koalition, dass wir hier durch eine konsequente Da kann man nur fragen: Ist es mangelnde Einsichts- Politik zu Entlastungen gekommen sind. fähigkeit oder eine gewisse Arroganz, die Sie an den Tag (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) legen? Ich sagen Ihnen: Damit überzeugen Sie nieman- den hier im Deutschen Bundestag. Niemanden! Das war aber nur zu erreichen, indem eine ganze Reihe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von Reformmaßnahmen getroffen wurden. neten der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE Ich gehöre – darauf habe ich schon einmal hingewie- LINKE]: Was ist denn arrogant? „Deutsch re- sen – der ersten Nachkriegsgeneration an, die eine große den in Europa“! „Man redet wieder Deutsch in Vision hatte: ein stabiles Europa ohne Grenzen, ein Eu- Europa“: Das ist arrogant!) ropa des Friedens. Es sollte nie wieder Krieg von diesem Wir haben damals ganz klar formuliert, unter welchen Europa ausgehen. Deswegen fühle ich mich diesem Eu- Voraussetzungen und Bedingungen wir bereit sind, diese ropa in besonderer Weise verpflichtet, genauso wie Euro-Stabilisierung vorzunehmen. Wir haben dies mitei- viele, viele von uns hier. Wir wollen dieses Europa er- nander so beschlossen, indem wir gesagt haben: Es müs- halten; wir wollen es stabilisieren. Aber damit dies ge- sen Leistung und Gegenleistung, Solidität und Solidari- lingt, müssen sich auch alle an die Spielregeln halten, die tät zusammenkommen. Deswegen ist doch völlig klar: wir miteinander vereinbart haben. Die heutige Zustimmung zu dem Antrag, Spanien bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Rekapitalisierung seiner Banken zu unterstützen, ist mit entsprechenden Konditionen verbunden. (B) In diesem Punkt bin ich der Bundesregierung, nament- (D) Ich kann mich nur wundern: Immer bei dem Satz „Es lich und Wolfgang Schäuble, dankbar. muss etwas verändert werden, es kann nicht so weiterge- Ich muss dies aber auch immer wieder sagen: Ein Teil hen wie bisher“ kommt aus der linken Hälfte des Deut- der Probleme ist in Europa entstanden – das gehört zur schen Bundestags ein Stöhnen. Man kann doch nicht sa- Wahrheit und zur Analyse, um daraus die Konsequenzen gen, dass die Griechen und andere so hervorragend zu ziehen –, weil man sich, wenn es ernst wurde, nie an gewirtschaftet haben, dass nichts verändert werden die Regeln gehalten hat, die man selber vereinbart hat. muss. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gehört mit dazu, Ich will gar nicht die aktuelle Ausgabe des Spiegels zi- dass wir dies dort, wo etwas falsch gelaufen ist, sagen. tieren. Lesen Sie von der SPD einmal ganz genau nach! Bloß Hilfe zu geben nach dem Motto: „Nur nicht sagen, Dann wissen Sie, was damals infolge des brutalen Re- was falsch gelaufen ist“, wird zu keiner Lösung in Eu- gelbruchs und der Aufgabe der Stabilitätskriterien pas- ropa führen. siert ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Da profitieren Sie noch heute von! – Weitere Zurufe von der Nur deshalb, Frau Roth – Sie schaue ich ganz beson- SPD) ders an –, weisen wir darauf hin, was sich verändern muss. Wir sagen im Übrigen, dass auch wir in Deutsch- – Ja, ja; das ist halt das Thema. – Deswegen reagiere ich land in diesem Veränderungsprozess sind. Deswegen, sehr allergisch darauf. Wenn wir in Europa etwas verein- Herr Kollege Steinmeier: Es ist eben nicht so, dass wir bart haben, muss es eingehalten werden, auch wenn es der Bevölkerung sagen: Es muss sich überhaupt nichts dem einen oder anderen nicht ganz leichtfällt. tun. – Vielmehr haben wir der Bevölkerung klar gesagt – das wissen Sie sehr genau; das ist Ihnen auch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) leichtgefallen –, was sich mit Rente mit 67, mit Hartz IV und vielem anderen tun muss und was wir verändern Deswegen bin ich dankbar, dass die Bundesregierung müssen. Wenn ich mir den deutschen Bundeshaushalt klipp und klar gesagt hat: Es gibt keine direkte Banken- anschaue, dann muss ich mich fragen, ob wir nicht mehr finanzierung. und mehr auch die Investitionshöhe in unserem Haushalt ( [Erfurt] [SPD]: Aha!) verändern müssen und nicht nur konsumtive Ausgaben tätigen dürfen. Eine entsprechende Veränderung ist not- Vielmehr wird heute über einen Antrag Spaniens abge- wendig, um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu stimmt. Spanien haftet dafür. Es werden dafür ganz klare erhalten. Das sagen wir den Menschen auch. Konditionen vereinbart, die eingehalten werden müssen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22815

Volker Kauder (A) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Reiner tech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) nischer Nebel! – Sigmar Gabriel [SPD]: Der und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Satz holt dich ein!) CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Noch zu einem anderen Punkt. Wir haben auch klipp Wenn Sie sagen – möglicherweise wäre ich hier mit und klar gesagt, warum wir diese Maßnahmen ergreifen. Ihnen sogar einer Meinung –, man müsse die Ausgaben Ich bin manchmal sehr überrascht, wie hier dahergeredet stärker auf Investitionen konzentrieren, dann frage ich wird. Der Euro ist unsere Währung, und wir haben allen Sie, lieber Herr Kauder: Wie kommen Sie denn dann auf Grund, unsere Währung zu stabilisieren und zu schützen. die Idee, eine neue, milliardenschwere Subvention in Ich bin wirklich heilfroh, dass wir sagen können: Wir ha- Form des Betreuungsgelds auf den Weg zu bringen? Was ben keine Euro-Krise, wir haben eine Staatsschulden- hat denn das mit finanzieller Solidität zu tun? krise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist eine und bei der SPD) Bankenschuldenkrise, keine Staatsschulden- krise!) Angesichts der spanischen Entwicklung, Herr Das ist der entscheidende Punkt. Wir werden alles tun, Kauder, sich hier hinzustellen und die Geschichte von um diese Währung zu schützen. der Staatsschuldenkrise zu wiederholen, das ist schon abenteuerlich. Wir haben in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/ 2009 dafür sorgen können, dass die Spareinlagen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen gesichert sind. In Spanien waren es Sparkas- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der sen aus dem regionalen Bereich – genauso, wie es bei LINKEN) uns welche gibt –, die zu einer Bank zusammengeschlos- sen wurden. Wer leichtfertig daherschwätzt, es werde 2007 lag die spanische Verschuldungsquote bei 36 Pro- den Banken Geld gegeben, um sie zu stützen, um Kapi- zent. Selbst heute ist die staatliche Verschuldungsquote talisten zu stützen, der vergisst durchweg, dass auf die- in Spanien niedriger als in der Bundesrepublik Deutsch- sen Banken die Sparvermögen unserer Bürgerinnen und land unter der angeblichen Sparkanzlerin Angela Merkel. Bürger liegen. Wenn diese Banken in Schieflage kämen, In Spanien haben wir es genau genommen mit etwas an- wären unsere Bürgerinnen und Bürger in erster Linie be- derem zu tun. Spanien ist in die Krise geraten, weil eine troffen. Deswegen ist es richtig, was wir heute machen. Immobilienblase geplatzt ist und weil wir dort eine Ban- Wir tragen zu einer Stabilisierung in Europa bei. kenkrise und eine Bankschuldenkrise haben. Das ist das Problem, um das es in Spanien geht. (B) Wenn ich mir anhöre, welche Konzepte – auch ges- (D) tern wieder im Haushaltsausschuss – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie waren doch gar LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: nicht da!) Das ist es!) vorgeschlagen werden – Altschuldenfonds, Vergemein- schaftung und vieles andere mehr –, dann muss ich sa- Die spanische Gesellschaft befindet sich jetzt in der gen: Ich bin zwar dankbar dafür, dass wir in diesem Par- Situation, dass sie angesichts der geplatzten Immobi- lament eine gesamteuropäische Verantwortung tragen lienblase nicht mehr in der Lage ist, mit den Folgen die- – jawohl, Herr Kollege Steinmeier und Herr Trittin, das ser Entwicklung klarzukommen und ihren außer Kon- stimmt; dafür bin ich dankbar –, aber wenn ich höre, trolle geratenen Sparkassensektor – liebe Kollegin welche Lösungsvorschläge Sie darüber hinaus haben, Wagenknecht, darum geht es im Wesentlichen; das sind bin ich dankbar dafür, dass eine christlich-liberale Koali- doch die Banken, die Sie eigentlich befürworten – in den tion dieses Land regiert. Griff zu bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sind nicht unsere Sparkassen! Bankia ist nicht un- Präsident Dr. Norbert Lammert: sere Sparkasse!) Jürgen Trittin ist der nächste Redner von Bündnis 90/ Das versucht Spanien nun in einer schweren wirt- Die Grünen. schaftlichen Krise. Worin besteht diese wirtschaftliche Krise? Zum Beispiel darin, dass nicht genügend inves- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tiert wird. Warum wird nicht genügend investiert? Weil Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber für Unternehmen unter den Bedingungen zusammen- Kollege Kauder, in Ihrer Dankbarkeit sollten Sie viel- brechender Sparkassen eine Fremdkapitalfinanzierung leicht nicht übersehen, dass diese christlich-liberale Ko- kaum noch möglich ist. Das ist eine der Ursachen für die alition, wie Sie sich selber eben bezeichnet haben, Rezession; das ist eine der Ursachen für eine fast 50-pro- zentige Jugendarbeitslosigkeit in diesem Land. Das heißt (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Blasphe- für uns: Wer die Rezession in Spanien überwinden will, misch bezeichnet haben!) der muss mit dafür Sorge tragen, dass dieser marode in entscheidenden Abstimmungen in diesem Hause Bankensektor restrukturiert wird. Dazu ist Spanien allein keine Mehrheit mehr gehabt hat; das ist der Kern. nicht in der Lage. Deswegen der Hilfsantrag. 22816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Jürgen Trittin (A) Deswegen glaube ich, dass es gute Gründe gibt, sich sche Einlagensicherung. Das ist es, was wir in Europa (C) das vorurteilsfrei und offen anzuschauen. Ja, es gibt be- brauchen, und das heißt, aus dieser Krise, aus dieser stimmte Elemente in dem Hilfspaket, die richtig sind – Hilfssituation endlich zu lernen und Konsequenzen zu übrigens Elemente, von denen Sie nie etwas hören woll- ziehen. ten. Sie haben immer behauptet, der Zinsdruck auf diese Länder mache gar nichts. Wenn Spanien das allein wup- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN pen müsste, dann würde der Druck auf Spanien – die sowie bei Abgeordneten der SPD) Zinsen liegen heute schon 5 Prozentpunkte über denen, die Deutschland zu zahlen hat – noch weiter steigen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie können es auch andersherum sagen: Wenn Spa- Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Otto Fricke für nien durch europäische Hilfe in die Lage versetzt wird, die FDP-Fraktion. diesen Zinsdruck zu mindern, dann macht das ungefähr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 2,5 Milliarden Euro bis 3 Milliarden Euro pro Jahr im der CDU/CSU) Haushalt Spaniens aus. Das sind übrigens 2,5 Milliarden Euro bis 3 Milliarden Euro, die Spanien weniger sparen muss. Otto Fricke (FDP): Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Deswegen glaube ich, dass das ein vernünftiger Vor- men und Herren! Herr Trittin, Sie haben vieles gesagt, schlag ist. In diesem Vorschlag stecken Elemente, die dem ich zustimmen kann. Ich will aber eines zum Thema wir gerne auch in anderen Paketen gehabt hätten, zum Mehrheiten festhalten; als Haushälter schaut man ja ge- Beispiel das Verbot, Dividenden auszuschütten, sowie nau auf die Zahlen. Ich habe hier keine einzige Abstim- eine klare Regelung, dass Banken unter dem Restruk- mung zu Europa erlebt, bei der diese Koalition nicht ihre turierungsfonds ihren Managern nicht mehr als Mehrheit hatte. Noch viel mehr: Ich habe keine einzige 300 000 Euro bzw. 500 000 Euro auszahlen dürfen. Abstimmung erlebt, bei der wir als Koalition selbst dann (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hatten wir nicht die Mehrheit gehabt hätten, wenn alle in der Oppo- auch in Deutschland!) sition mit Nein gestimmt hätten. Sie können sich das gerne einmal anschauen. Er beinhaltet auch das Element, dass Banken gegebenen- falls abgewickelt werden müssen; wer etwas gegen die (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wand fährt, muss auch pleitegehen können. All dieses ist NEN]: Was?) vernünftig. Deswegen bleibe ich dabei: Die notwendigen Mehr- (B) Aber in diesem Paket stecken auch eine ganze Reihe heiten haben wir immer, und selbst dann, wenn wir sie (D) von Unbekannten. Ich weiß noch nicht, wie viele Ban- eigentlich nicht brauchten, sind Sie noch nicht einmal in ken am Ende tatsächlich abgewickelt werden müssen, der Lage, die entsprechenden Gegenstimmen zu liefern. wie vielen wir helfen wollen und müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Otto Fricke [FDP]: Das weiß keiner!) Thomas Oppermann [SPD]: Manchmal sind Sie auch nicht beschlussfähig!) Weil wir das nicht wissen, haben wir uns im Haushalts- ausschuss gemeinsam, Herr Kollege Fricke, darauf ver- So viel zu den Fakten. ständigt, dass wir diese Frage nach genauer Erörterung hier im Deutschen Bundestag entscheiden werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Insbesondere wenn Sie nicht beschluss- Meine Damen und Herren, es kommt ein Weiteres fähig sind, haben Sie immer echte Mehrhei- hinzu: Ich glaube, es ist richtig, zu versuchen, Spanien ten!) zu helfen. Aber es wird auch notwendig sein, aus dieser Entwicklung zu lernen. Warum sind wir schon wieder in Nichtsdestotrotz will ich eines positiv hervorheben, was der Situation, mit Staatsgeldern eine Bankschuldenkrise noch gar nicht geschehen ist. Wir vergessen das oft, weil – denn darum geht es hier – managen zu müssen? Das ist wir die Diskussion immer auf den aktuellen Punkt kon- deswegen der Fall, weil Sie bis heute unserem Rat- zentrieren und gar nicht sehen, was wir erreicht haben. schlag, unserer Forderung, endlich einen europäischen Wir haben hier heute zu Spanien eine ernsthafte Debatte, Bankenrestrukturierungsfonds aufzubauen, nicht ge- die in den letzten Wochen angefangen hat. Wir debattie- folgt sind. Das ist der Kern. ren hier im Plenum, und wir entscheiden hier im Plenum – nicht im Ausschuss. Wir bereiten das im Ausschuss vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Demokratisierung, die Parlamentarisierung dieser Entscheidung zeigt doch, dass all das nicht stimmt, was Wenn man aus dieser Entwicklung lernen will, dann in den letzten Wochen und Monaten gesagt wurde, dass gibt es nur eine Konsequenz, und die lautet: Wir brau- dies alles in einem Handstreich von irgendwelchen Leu- chen zügig eine europäische Bankenunion, wir brauchen ten in Brüssel und in der Regierung von heute auf mor- zügig eine exekutiv wirksame europäische Bankenauf- gen entschieden werden würde. Darauf sollten wir als sicht, wir brauchen eine Schuldenbremse nicht nur für Parlament gemeinsam doch auch einmal stolz sein. Staaten, sondern auch für Banken, und wir brauchen eine von den Banken über eine Abgabe finanzierte europäi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22817

Otto Fricke (A) Was ist Ziel unseres Handelns bei der Rettung Spa- Wir wissen das nicht genau. Aber ich will eines deut- (C) niens? Dass wir uns um Europa kümmern, weil wir ent- lich in Richtung Spanien sagen: Das, was die gegenwär- sprechend der Stärke unseres Landes eine besondere tige spanische Regierung bereits getan hat und was sie Verantwortung haben. Das Ziel kann aber nicht sein, von ihrer Bevölkerung verlangt, bedeutet ein hartes dass wir ein gleichgemachtes Europa wollen. Stück Arbeit, verlangt sehr viel Mut und ist nicht ein- fach. Ich weiß um die Kritik, welche die Linke hinsicht- Wir wollen ein Europa in Freiheit. Was heißt das ei- lich der Programme vorgebracht hat. gentlich? Das bedeutet auch: in finanzieller Freiheit. Das heißt auch, dass die Staaten nach ihren jeweiligen Vor- Aber dass ein Land wie Spanien diese Anstrengungen stellungen entscheiden können, wie sie das Leben ihrer unternimmt, zeigt uns – insofern bitte ich um einen Ver- Menschen verbessern wollen. trauensvorschuss der Bürger für Spanien und unsere heutige Entscheidung –, dass wir mit dem, was wir tun, Aber die Freiheit alleine nützt nichts, wenn sie nicht die richtige Entscheidung treffen, um das gemeinsame auch zu Verantwortung führt. Diese Verantwortung ist Haus Europa zu erhalten, und zwar nicht nach dem nicht wahrgenommen worden. Herr Trittin – das sage ich Motto „Jeder, wie er kann!“, sondern jeder entsprechend auch in Richtung Linke –, warum haben wir diese Ban- seiner eigenen Verantwortung. Deswegen werden ich kenkrise denn eigentlich? Erstens, ja, weil der Finanz- und die breite Mehrheit meiner Fraktion heute zustim- sektor mitgemacht hat. Aber, zweitens, doch auch, weil men. Spanien dasselbe falsche Heilsversprechen gegeben hat wie die USA, indem es seinen Bürgern gesagt hat: Unab- Herzlichen Dank. hängig davon, wie viel Geld ihr habt oder verdient, ist es ganz leicht für euch, Eigentum zu erlangen. Das machen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wir mit niedrigen Zinsen; das geht alles. Präsident Dr. Norbert Lammert: Dies müssen wir jetzt auskurieren. Es war wiederum ein Staat, der seinen Bürgern gesagt hat: Es geht ohne Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPD- Fleiß, und es geht ohne Sparsamkeit. Fraktion. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist der Gipfel! – (Beifall bei der SPD) Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist eine Be- leidigung Spaniens!) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Diesen Fehler müssen wir jetzt ausgleichen, und zwar im stimmen heute als Sozialdemokratinnen und Sozialde- Rahmen sozialer Standards und durch Anpassungen, die mokraten für die Hilfe für Spanien, (D) (B) notwendig sind. Das ist allerdings ein langwieriger Pro- zess. (Beifall des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten weil wir der Auffassung sind, dass wir Stabilität auch der CDU/CSU) praktizieren und anwenden müssen, dass wir das, was Wir sollten nicht vergessen, dass jedes Versprechen wir versprochen haben, auch einhalten müssen, und weil der Politik an die Bürger, etwas sei – unabhängig von wir uns der Dramatik der Situation bewusst sind. Leistung – leicht, am Ende zu einer, wie man so schön Die Alternative würde nämlich heißen, dass Spanien sagt, Blase führt. und dann vielleicht auch Italien sich nicht mehr am Ka- Es gibt ein niederländisches Sprichwort, welches das pitalmarkt refinanzieren könnten. In einer solchen Situa- eigentliche Problem, das wir – der Minister hat das ange- tion wäre auch unsere europäische Währung, der Euro, sprochen – in der Kommunikation mit der Bevölkerung am Ende. Dagegen müssen wir gemeinsam alles unter- haben, sehr gut trifft. Es geht dabei um Vertrauen. Das nehmen. Deshalb stimmen wir als Sozialdemokratinnen niederländische Sprichwort besagt: Vertrauen geht auf und Sozialdemokraten heute zu. dem Rücken eines Pferdes und kommt nur zu Fuß zu- Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP rück. und der Union, wenn man bestimmte Länder wie Grie- Genau das ist das Problem, das wir im Moment in Eu- chenland nennt, darf man die historische Wahrheit nicht ropa haben, das die Bürger bei der Frage haben, wel- verschweigen. Es ist nicht nur so, dass wir von diesen chem Land und welcher Bank und ob man der Politik Ländern etwas einfordern. Viele hier im Haus haben ver- vertrauen kann. gessen, was wir von diesen Ländern bekommen haben. Es war Griechenland, das 1953 dem Schuldenschnitt für (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Welcher Deutschland um die Hälfte zugestimmt hat. Die Zustim- Partei?) mung zu diesem Schuldenschnitt war eine wichtige Vo- raussetzung dafür, dass wir den Wiederaufbau, den Auf- In jeder Fraktion gibt es kritische Meinungen, und wir schwung, all das, was nach 1945 erreicht worden ist, fragen uns: Können wir denn vertrauen, wenn wir jetzt gemeinsam hinbekommen haben. Das wird heute ver- Spanien helfen? Sind sie so wie die Griechen, wie wir gessen; aber das gehört zur historischen Wahrheit, was sie in den vergangenen Jahren erlebt haben? Oder sind gelebte Solidarität auch ist, dazu. sie so – das muss man auch einmal sagen – erfolgreich, wie es Portugal und Irland sind? (Beifall bei der SPD) 22818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Axel Schäfer (Bochum) (A) Der Kollege Brüderle hat hier angesprochen, dass ein Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) bestimmtes Verhalten bei Beamten Verrat gewesen wäre. Nächste Rednerin ist die Kollegin Gerda Hasselfeldt Man denkt bei der CSU dann gleich an so etwas wie für die CDU/CSU-Fraktion. Landesverrat. Leider ist man mittlerweile auf diesem Niveau von Vorwürfen angekommen. Dazu gehört aber, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass das, was dahintersteht, nämlich die parlamentari- sche und die sozialdemokratische Zusammenarbeit in Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Europa, mit zu dem größten Erfolg in diesem Haus ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für führt hat. Wir haben es nämlich gemeinsam mit Ihnen, uns gilt auch heute der Grundsatz: Solidarität in Europa – wenn auch verspätet, geschafft, dass sich dieses Parla- ja; aber Solidarität ist keine Einbahnstraße. Für uns gilt ment für eine Finanztransaktionsteuer ausgesprochen der Grundsatz: Leistung – ja; aber Leistung nur mit Ge- hat. Das war ein Vorschlag, der im Juni 2011, initiiert genleistung. Für uns gilt der Grundsatz: Hilfen – ja; aber von der französischen Parti Socialiste und von der deut- Hilfen nur mit Auflagen. – Das hat uns in den letzten schen Sozialdemokratie, parlamentarisch eingereicht, in Monaten bei den bisherigen Entscheidungen geleitet, der Assemblée nationale und hier im Hause diskutiert und das ist auch die Grundlage für den jetzt anstehenden und auf den Weg gebracht worden ist. Das ist heute eu- Beschluss. ropäische Mehrheitsmeinung. Damals waren Sie nicht dafür. Inzwischen haben wir das, von uns Sozialdemo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kratinnen und Sozialdemokraten angestoßen, durchge- Nun ist heute schon klar dargelegt worden, dass die setzt. Hilfen für die Banken in Spanien notwendig sind. Wenn (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE die Schwächen des Bankensystems dort nicht beseitigt GRÜNEN]: Ganz allein waren Sie da ja werden, dann birgt das Gefahren für die gesamte Euro- Zone und damit auch für uns. Das heißt, das, was wir nicht!) heute beschließen, was wir auf den Weg bringen, ge- Das ist ein Erfolg. Kollege Brüderle, das ist eben ge- schieht in unserem eigenen Interesse, im Interesse der meinsame europäische Politik. Stabilität unserer gemeinsamen Währung. (Beifall bei der SPD) Um die Schwächen zu beseitigen, muss aber, wenn das Ganze Sinn machen soll, die Zeit auch genutzt wer- Wir werden das genau an dieser Stelle fortsetzen müs- den, um das System, die Banken dort zu restrukturieren. sen. Das heißt, es wird in Europa keine Denkverbote ge- Die Banken müssen auf ein ein Niveau gebracht werden, (B) ben, und es wird keine „Ausschließeritis“ geben nach mit dem sie in der Lage sind, die Wirtschaft zu versorgen (D) dem Motto: Das kann nicht sein. – Der wichtige Schritt – denn das ist die Aufgabe des Bankensystems –, damit dazu ist – Jürgen Trittin hat zu Recht darauf hingewiesen –: der gesamten spanischen Wirtschaft gutzutun und damit Es muss eine europäische Bankenunion geben mit ver- auch dem europäischen Raum. bindlicher europäischer Aufsicht, mit verbindlichen eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ropäischen Insolvenzregeln, mit schärferen Regeln, die wir im Rahmen von Finanzmarktkontrolle insgesamt be- Deshalb sind die Auflagen, die gemacht werden, nicht kommen. Das muss in Europa gelingen, und das muss Schikane, sondern sie sind notwendig, sie sind fachlich im Rahmen der Gesetzgebung vorangebracht werden. geboten, sie sind sachlich geboten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass in dem Memorandum of Understanding klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dargelegt wird, was da alles gemacht werden muss. Es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist viel konkreter als das, was wir bei früheren Entschei- dungen zu verzeichnen hatten. Das muss einmal aner- Weil wir diese Debatte heute nicht nur als Deutsche kannt werden. mit unseren Interessen führen, müssen wir eines klarma- chen, Frau Bundeskanzlerin: Es kann Deutschland nur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gut gehen, wenn es allen anderen Ländern nicht schlecht neten der FDP) geht. Das ist die Voraussetzung. Es kann uns nur ge- meinsam gut gehen. Es kann nicht sein, dass es den ei- Für uns ist dabei ganz entscheidend, dass es keine di- nen schlecht und den anderen gut geht. rekten Bankenhilfen gibt; ich sage das ganz besonders betont. Antragsteller ist der spanische Staat. Vertrags- Sie haben angekündigt, 2013 im Bundestag eine partner ist der spanische Staat. Es geht bei diesen Hilfen wichtige Debatte über die europäische Zukunft zu füh- um rückzahlbare und verzinste Darlehen an den spani- ren. Seien Sie sicher: Wir werden das gerne aufnehmen. schen Staat. Der spanische Staat haftet. Mir ist diese Wir sind inhaltlich gut aufgestellt, und wir werden das Klarstellung auch deshalb so wichtig, weil dies vorhin noch verbessern. Wir haben mit einen von Herrn Steinmeier schon wieder vermischt wurde mit Präsidenten im Europäischen Parlament, der das Ganze den Beschlüssen in der Zukunft über eine gemeinsame treibt, der es parlamentarisch voranbringt. Wir gehen europäische Bankenaufsicht und weil schon wieder un- auch in diese Auseinandersetzung mit Optimismus, weil terstellt wurde, dass im Zusammenhang mit der gemein- wir wie bei Europa ins Gelingen verliebt sind. samen europäischen Bankenaufsicht dann eine direkte Bankenhilfe möglich sei und diese jetzt auch schon reali- (Beifall bei der SPD) siert würde. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22819

Gerda Hasselfeldt (A) (Bettina Hagedorn [SPD]: Das hat er ja gar noch vor zwei Jahren der Fall war. Das Bewusstsein für (C) nicht gesagt!) solide öffentliche Haushalte und für notwendige Struk- turreformen ist gestiegen, und nicht zuletzt deshalb, weil – Natürlich hat er das gesagt! – Wissen Sie, wenn in der die deutsche Bundesregierung immer der Motor dieser Bevölkerung Erklärungsbedarf besteht, was diese Bewegung war. Ich möchte mir nicht ausmalen, was ge- schwierigen Zusammenhänge angeht – insofern stimme schehen wäre, wenn wir in diesen schwierigen Zeiten ich mit ihm völlig überein –, dann müssen wir diese Er- eine andere Bundesregierung gehabt hätten. klärung alle miteinander leisten, jeder und jede an dem Platz, an dem er oder sie Verantwortung trägt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unsere zentralen Forderungen sind bei dieser Be- NEN]: Das sagen Sie mal dem Horst schlussvorlage erfüllt, nämlich: keine Leistung ohne Ge- Seehofer!) genleistung, Solidarität ist keine Einbahnstraße, keine Vergemeinschaftung von Schulden und Risiken, sondern und auch so, dass die Erklärung der Wahrheit entspricht, Verantwortung des Staates und Haftung des Staates Spa- dass sie den Beschlüssen entspricht, dass die zeitlichen nien. Deshalb empfehle ich Ihnen die Zustimmung. Dimensionen klar zum Ausdruck kommen und dass nichts vermischt wird, was zusätzliche Verunsicherung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit sich bringt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Norbert Lammert: neten der FDP) Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Diether Dehm, Die Hilfen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Fraktion Die Linke. beziehen sich auf den Bankensektor. Dort liegt auch das (Beifall bei der LINKEN) Problem in Spanien. Das heißt aber nicht, dass die ma- kroökonomische Situation außer Acht gelassen wird. Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen den Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): makroökonomischen Ungleichgewichten, den öffentli- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen Haushalten und dem Finanzsystem, dem Banken- Herr Kauder, wenn Sie ein ums andere Mal bestreiten, system. Deshalb ist es wichtig und meines Erachtens un- dass es sich hier um eine Bankschuldenkrise handelt, erlässlich, dass die Bemühungen Spaniens in Bezug auf und von einer Staatsschuldenkrise reden, dann sprechen Haushaltskonsolidierung, Arbeitsmarktreformen, Refor- Sie sich mit Herrn Schäuble besser ab. Er hat gestern men in der Sozialpolitik und im Steuersystem, die in den eindrücklich im Haushaltsausschuss – natürlich nach Be- (B) (D) letzten Monaten schon mit konkreten Beschlüssen auf fragung der Kollegen Bartsch und Bockhahn – gesagt, den Weg gebracht wurden, fortgesetzt werden und dass dass es sich um eine Bankschuldenkrise handelt. Sie die Ergebnisse dieser Bemühungen auch überwacht und kommen mit dem nicht mehr so taufrischen Argument kontrolliert werden. Genau das geschieht. Ich habe gele- der DDR immer dann, wenn Sie nicht mehr weiter wis- gentlich den Eindruck, dass dies in der Diskussion ein sen. Wenn Sie Selbstkritik üben wollen, dann sagen Sie: bisschen unbeachtet bleibt, vielleicht deshalb, weil die Jawohl, der Mappus ist am Gängelband von Morgan Grundlagen dafür nicht hier im Hause beschlossen wur- Stanley durch die Arena geführt worden. Wenn Sie den, sondern weil beispielsweise das Europäische Selbstkritik üben wollen, dann sagen Sie: Wir waren Semester, die Six-Pack-Regelungen und vieles, was auf auch immer ein bisschen zu nah bei Ackermann und der europäischer Ebene heute praktiziert wird, im Europäi- Deutschen Bank. Distanz zur Macht der Banken zu schen Parlament und im Rat beschlossen und auf den üben, das wäre für Sie ein Beitrag zur Selbstkritik. Das Weg gebracht wurden. Aber sie werden konkret bei Spa- wäre produktiv und brächte nach vorne. nien angewandt. Es ist nun die Verpflichtung der spani- schen Regierung, auf Konsolidierung, auf Reformen (Beifall bei der LINKEN) nicht nur zu achten, sondern diese auch durchzuführen. Herr Trittin, eine kleine Korrektur: Es handelt sich Das wird vom Rat und von der Kommission kontrolliert. hier nicht um Sparkassen; die deutschen Sparkassen sind Der Bundesfinanzminister hat uns zugesichert, auch hier ziemlich einzigartig. Es sind Aktiengesellschaften, auch im Parlament regelmäßig Bericht über die Fortschritte zu wenn es staatliche Anteile gibt. Bankia ist mit einer erstatten. Ich bedanke mich dafür sehr herzlich. Ich will deutschen Sparkasse nicht zu vergleichen. Das lesen Sie deutlich zum Ausdruck bringen, dass beides zusammen- am besten noch einmal nach. gehört. Es sind letztlich zwei Seiten einer Medaille, die aber in verschiedenen Körben aufzuheben sind. Mir ist Herr Brüderle, Sie fordern schonungslose Wahrheit es wichtig, dass dies hier zum Ausdruck gebracht wird. ein. Statt die Spekulanten bei der Rückzahlung gewähr- ter Darlehen heranzuziehen, lassen Sie immer nur Be- Noch etwas, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: völkerungen bluten. In Spanien wird die Mehrwertsteuer Wenn wir uns heute die europäische Landschaft an- um 3 Prozentpunkte erhöht und die Arbeitslosenunter- schauen und sehen, in wie vielen Ländern Konsolidie- stützung um 10 Prozentpunkte gekürzt. Von einer Steuer rungsbemühungen an der Tagesordnung sind, dann kön- für Superreiche ist wieder einmal keine Rede. Das ist die nen wir, wie ich finde, sagen, dass wir viel geleistet schonungslose Wahrheit. haben. Es ist deutlich: Die Konsolidierungsmentalität hat in den europäischen Ländern Fuß gefasst, mehr als es (Beifall bei der LINKEN) 22820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Dr. Diether Dehm (A) Ich sage Ihnen: Ihre Spekulantenpflege macht Europa Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) nicht mehr lange mit. Nun erhält für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Der große Komponist Mikis Theodorakis, den Sie ge- die Kollegin Priska Hinz das Wort. legentlich sicherlich hören – ihn hören sogar diejenigen, die am deutschen Wesen Europa genesen lassen wollen –, Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Mikis Theodorakis hat , Pierre NEN): Laurent, Alexis Tsipras und mir gesagt: Macht es nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit einer wie die SPD, die sich in urlanger Tradition als Opposi- Mär muss die Bundesregierung heute tatsächlich aufräu- tion kostümiert, aber immer wieder in Richtung Deut- men. Es sollte künftig keiner mehr sagen, dass es sich in sche Bank zwinkert. – Als ich Sie, Herr Steinmeier, vor- Europa um eine Staatsschuldenkrise handelt. Tatsächlich hin gehört habe, habe ich gedacht, Sie begründeten, beschließen wir heute ein bankenspezifisches Pro- warum Sie mit Nein stimmen. Es ist doch keine Absage gramm, nachdem wir in der EFSF diese Möglichkeit ein- an die Parteitaktik und kein Opfer für das Gemeinwohl, geführt haben, weil man einem Staat helfen muss, wenn wenn man die Schwächsten der Schwachen in Südeu- die Banken überschuldet sind und er alleine die Restruk- ropa opfert. Was Sie uns als vorbildlich darstellen, ist turierung nicht durchführen kann. Das hat nichts damit doch kein Opfer. Ich kann Ihnen nur sagen: Die alleiner- zu tun, dass ein Staat unverantwortlich gewirtschaftet ziehende Mutter, die ihr Kind beim SOS-Kinderdorf ab- hat; denn Spanien ist, was seine Staatsverschuldung an- gibt, steht uns näher als diejenigen, für die Sie heute die geht, besser als Deutschland. Deswegen sollten Sie die Bankenhilfe beschließen. Mär von der hohen europäischen Staatsverschuldung (Beifall bei der LINKEN) schlicht und einfach vergessen. Wir klagen dagegen. Wir streiten dagegen. Die deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche Linke, die Izquierda Unida und die griechische Linke haben gemeinsam beschlossen: Wir stehen bei den Womit Sie aber noch nicht aufgeräumt haben, Herr Demonstrierenden. Das tun wir auch, weil Ihre Schul- Finanzminister – das bedauern wir Grüne sehr –, ist der denbremse verhindert, dass die deutschen Arbeiter und Teufelskreis von Staatsschuldenkrise und Bankenkrise. Handwerker Mittel, Aufträge und Kredite bekommen. Das ist nicht möglich, weil es noch keine europäische Ihre Schuldenbremse trifft die Kranken, weil die Ge- Bankenaufsicht und keinen europäischen Bankenre- sundheitsvorsorge jetzt in ganz Europa privatisiert wird. strukturierungsfonds gibt. Daran sieht man, dass Sie Ihre Übrigens: Berauben heißt auf Lateinisch privare. Hausaufgaben nicht gemacht haben. Wir Grüne fordern dies seit Monaten ein. Wenn Sie sich vor einem Jahr an (B) Ihre Politik ist – wenn Sie heute mit Ja stimmen –: diese Aufgaben gemacht hätten, dann wären wir heute (D) Schuldenbremse gegen Arbeitsplätze und Ausbildung, vielleicht so weit. Milliardengeschenke für Finanzspekulanten. Deswegen haben schon am 29. Juni einzelne Abgeordnete der ande- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren Fraktionen dagegengestimmt. Die Linke ist die ein- sowie bei Abgeordneten der SPD) zige Fraktion, die geschlossen dagegen stimmt. Wir ste- Sie müssten dann keine Nebelkerzen werfen, wie Sie es hen bei den Menschen, die gegen die Wall Street heute tun, und hinterher den Raum langsam lüften. Sie demonstrieren. Wir tun dies auch aus Respekt vor der sagen, es gebe nur die Spanienhilfe mit direkter Haftung großen europäischen Kultur, für die der Name Mikis durch den Staat. Meine Güte, wir haben überhaupt keine Theodorakis steht. Alternative, weil anderes gesetzlich und vertraglich der- zeit gar nicht geht. Also reden Sie auch nicht über etwas Präsident Dr. Norbert Lammert: anderes. Herr Seehofer, der den bayerischen Abgeordne- Herr Kollege! ten im Bundestag empfohlen hat, unter der Maßgabe zu- zustimmen, dass es keine direkte Rekapitalisierung gibt, hat das anscheinend auch nicht verstanden oder die Ver- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): träge, denen er im Bundesrat zugestimmt hat, nicht gele- Wenn die Indignados mit ihrer Klage, die gestern vom sen. spanischen Nationalgerichtshof angenommen worden ist, erfolgreich sind, dann ist ohnehin ein Großteil des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen, was sie hier beschließen, obsolet. sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir könnten aber effektiver und kostengünstiger vor- Präsident Dr. Norbert Lammert: gehen, wenn es diese Möglichkeit gäbe. Es wäre auch Herr Kollege! besser für die Staatsschulden in Spanien, die um 10 Pro- zent hochschnellen werden, wenn wir diese indirekte Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Hilfe geben müssen. Trotzdem halten wir sie für richtig, Wir klagen für den Sozialstaat in Deutschland und in weil der spanische Staat die Restrukturierung nicht al- Europa. Das ist unsere Maßgabe. Daran könnte sich auch leine finanzieren kann, weil in dem Programm die Ab- die Sozialdemokratie orientieren. wicklung von Banken aufgeführt ist, worauf wir Grüne sehr großen Wert legen, und weil auch andere Konditio- (Beifall bei der LINKEN) nierungen vorgesehen sind. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22821

Priska Hinz (Herborn) (A) Wir sehen aber ein Problem in der Tatsache – das sage oder ob er dagegen ist. Natürlich kann heute jeder die (C) ich hier ganz deutlich für meine Fraktion –, dass die Alternative wahrnehmen, zu sagen: Nein, ich helfe Spa- Gläubigerbeteiligung noch nicht so ausformuliert ist, nien nicht. – Aber jeder von uns muss selber Rechen- dass wir sagen können: Wir können diesem Programm schaft über seine Entscheidung oder auch über seine reinen Gewissens zustimmen, ohne das mit zu begleiten Nichtentscheidung ablegen. Ich möchte meine Entschei- und zu kontrollieren. – Deswegen gab es in unserer dung, heute zuzustimmen, mit einigen außenpolitischen Fraktion eine Diskussion darüber, ob man tatsächlich Argumenten unterfüttern. 100 Milliarden Euro genehmigen kann oder ob man das Wir gehen in Europa von der Narration aus: Europa Programm nicht aufspalten und die zweite Tranche im heißt Frieden, Freiheit, Wohlstand. – Da heißt es heute Bundestag zur Abstimmung stellen muss, wenn der bei vielen, das sei aber langweilig und abgearbeitet und Stresstest bei den spanischen Banken gelaufen ist. gebe uns nichts mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich warne davor, das so leichtfertig zu sagen. Denn na- sowie bei Abgeordneten der SPD) türlich ist es kein Naturgesetz, dass wir in Europa so friedlich zusammenleben, wie wir es jetzt tun. Heute vor Auf unsere grüne Initiative hin wurde im Haushaltsaus- 142 Jahren, am 19. Juli 1870, hat der Deutsch-Französi- schuss ausdrücklich klargemacht: Wir nehmen uns das sche Krieg begonnen. Zwischen 1870 und 1950 haben in Recht h eraus, die Informationen über den Stresstest, die Europa 58 Kriege stattgefunden. Es ist eben kein Natur- Einordung der Banken, zu bekommen, und wir behalten gesetz, dass das nicht mehr vorkommt, sondern das ist uns das Recht vor, entsprechende Entscheidungen zu Folge kluger Politik von Politikerinnen und Politikern in treffen, dass Programme umformuliert werden oder vielen europäischen Ländern. Diese europäische Viel- Tranchen nicht ausgezahlt werden. falt, diese europäische Einheit wollen wir erhalten, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür müssen wir etwas tun. sowie des Abg. Dr. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [SPD]) der CDU/CSU) Sie sollten damit rechnen, dass wir nicht alles mitma- Es geht heute – das wissen wir alle; das müssen wir be- chen, wenn Banken nicht abgewickelt werden oder denken – eben nicht nur um Heller und Pfennig, sondern Gläubiger nicht ordentlich beteiligt werden. Da stehen es geht darum, dass wir gemeinsam das europäische Pro- wir im Wort, auch gegenüber den Steuerzahlerinnen und jekt von Frieden, Einheit und Freiheit erhalten. Dafür Steuerzahlern, für die wir heute diese Entscheidung mit müssen wir kämpfen, und dafür wollen wir kämpfen. treffen. Es gibt aber eine neue europäische Narration, verbun- (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: den mit der Fragestellung: Wie wird die Welt in 50 Jah- Frau Kollegin! ren aussehen? – Wir sind der Meinung, dass in 50 Jahren kein einziges europäisches Land allein, auch nicht Deutschland, am Tisch der Entscheider sitzen wird; da Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden andere sitzen. Wir wollen nicht Objekt der Ent- NEN): scheidungen anderer werden, sondern als Europäer wei- Ja, ich komme zum Schluss. terhin Subjekt der Weltpolitik bleiben. Deshalb kämpfen In diesem Wissen und vor diesem Hintergrund kön- wir so nachhaltig für Europa. nen wir heute zustimmen. Ich sage Ihnen: Wir werden Nun sagen einige Gegner, der Preis dafür sei ihnen zu Sie kritisch begleiten und werden darauf pochen, dass hoch. Ich sage: Erstens sind wir nicht die Einzigen in Sie unsere Beschlüsse entsprechend umsetzen. Europa, die zahlen. Zweitens: Jawohl, Europa kostet et- Danke schön. was, aber Europa bringt uns auch eine ganze Menge. Wir Deutsche tragen erhebliche Verantwortung, und die wol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len wir wahrnehmen. Wir nehmen die Verantwortung sowie bei Abgeordneten der SPD) nicht nur wahr, indem wir hier heute Abstimmungen zum Thema Spanienhilfe durchführen; wir nehmen sie Präsident Dr. Norbert Lammert: auch im Rahmen der Initiative wahr, die das Außen- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner ministerium gestartet hat, in deren Rahmen der deutsche für die FDP-Fraktion. Außenminister andere Minister eingeladen hat, um ge- meinsam über die Zukunft nachzudenken, über Heller (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Pfennig hinaus. Das ist eine wichtige Initiative, die der CDU/CSU) meine Fraktion ausdrücklich unterstützt. (Beifall bei der FDP) Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- Meine Damen und Herren, wir müssen – das wissen türlich ist das, was wir heute hier tun und entscheiden, wir alle – aus der hektischen Nacharbeit infolge von Pro- nicht alternativlos. Natürlich gibt es Entscheidungsspiel- blemsituationen herauskommen. Wir müssen gemein- raum. Natürlich kann jeder entscheiden, ob er dem ESM sam den Weg voran definieren. Aber das nützt uns alles zustimmt und damit ermöglicht, dass wir gemeinsam in nichts, wenn es uns nicht gelingt, wesentliche europäi- Europa die Finanzmärkte und die Länder stabilisieren, sche Partner zu stabilisieren, und dazu dient der heutige 22822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Dr. Rainer Stinner (A) Beschluss. Das bedeutet übrigens kein Draufsatteln. Wir Moment arbeiten müssen, in welchen Zeiträumen und (C) vollziehen heute einen Teil des Beschlusses, den wir vor mit welchen komplexen Zusammenhängen. zwei Jahren mit großer Mehrheit gefasst haben, nämlich die EFSF einzurichten, genau für den Fall, der uns heute Ich würde die Linke gern einmal fragen, ob sie ernst- begegnet. Deshalb wird meine Fraktion mit ganz großer haft glaubt, dass die ledige Mutter und der Kleinsparer in Mehrheit dem heute vorliegenden Antrag der Bundesre- Spanien dagegen sind, dass Deutschland Spanien hilft. gierung zustimmen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein, aber (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gegen die Bankenhilfe!) Meine Freunde in Spanien freuen sich, dass wir ihnen Präsident Dr. Norbert Lammert: helfen, Lothar Binding ist der nächste Redner für die SPD- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion. der FDP) (Beifall bei der SPD) und wir helfen ihnen dann sehr fair, nämlich nur mit ei- nem Kredit. Das ist eine ganz wichtige Sache. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Kauder hat die Reduktion auf die Spitze getrie- Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! ben. Er hat nämlich gesagt: Wir haben eine Staatsschul- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Frank-Walter denkrise. – Wir haben aber nicht nur eine Staatsschul- Steinmeier vorhin gesagt hat, dass die Opposition dieses denkrise, sondern eine Staatsschuldenkrise eingebettet in Thema schon über längere Zeit nicht parteipolitisch eine Bankenkrise, eine Liquiditätskrise, eine Insolvenz- missbraucht, hat die Kanzlerin dagesessen und breit, krise, eine Marktversagenskrise, eine Verhaltenskrise selbstzufrieden, selbstgerecht gegrinst. Ich muss sagen: und eine Regulierungsdefizitkrise. Wenn Sie all das be- Das hat mich ungeheuer gestört. rücksichtigen, dann wissen Sie, dass die Kanzlerin ein (Beifall bei der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE Problem hat, nämlich das Problem, unterkomplexe Lö- LINKE]: Sie kann eben nicht anders!) sungen anzustreben; das hätte sie sich in der Physik nie- mals erlauben dürfen. Sie ist immer punktuell tätig; aber Ich fand, dass die von mir getragene Verantwortung in jeder weiß: Drei, vier oder sieben Punkte ergeben noch dieser Debatte missachtet wurde, und ich glaube, dass keine Linie. Die Kanzlerin ist immer zu wankelmütig, das keine gute Haltung ist. immer zu spät, tut immer zu wenig, ist immer folgen- Als Herr Brüderle seine Leerformeln formuliert hat, und anlassgetrieben (B) hat mich erschrocken, dass die FDP und die CDU/CSU (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der (D) applaudiert haben. Herr Brüderle hat uns gesagt, dass die Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- spanischen Banken eine Bad Bank gründen wollen, eine NEN]) AMC – Asset Management Company –, hat uns aber nicht erklärt, was das eigentlich an Haftungsrisiken für und kümmert sich ganz selten um Hintergründe und Ur- Deutschland und Europa bedeutet; denn Bad Banks sachen – und das ist ein Problem. Sonst hätten wir heute gründet man ja nur, wenn man kurz- und langfristig nicht das Schattenbankensystem ins Licht gezogen; sonst hät- genug Kapital hat. Er hat uns auch nicht erklärt, wie ten wir den Bankenrestrukturierungsfonds, hätten das hoch die Anfangsabschreibung – ein essenzieller Begriff Trennbankensystem viel weiter vorangetrieben, hätten für die ökonomische Lage – bei diesem Aktivtausch ist. marktwirtschaftliche Prinzipien im Bankenwesen, auf dem Finanzplatz. Wir hätten den Selbstbehalt. Wir hät- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann ma- ten den OTC-Handel inzwischen verboten, den Hochfre- chen Sie das doch jetzt!) quenzhandel ganz anders im Blick. Vielleicht müsste Ich muss sagen: Das hat mich enttäuscht. man – das wurde in unserer Fraktion zu Ende gedacht – so weit gehen, dass derjenige, der vom Staat Geld will, Ich möchte mich bei denen bedanken, die in der letz- in einer ganz besonderen Weise auf Eigentumsansprüche ten Woche wahnsinnig viel gearbeitet haben: bei den verzichten muss. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Mitarbeitern im BMF, im Finanzministerium. Sie muss- ten eine ungeheure Fülle von Material, von komplexen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zusammenhängen für uns aufarbeiten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Dafür ge- Wir hätten inzwischen Spekulationen zurückgeführt und bührt ihnen Dank!) Investitionen ausgebaut. Ohne ihre Hilfe wären wir überhaupt nicht in der Lage, Ich will einmal an Deutschland erinnern. Wir rühmen heute etwas zu entscheiden. uns manchmal – einige auf der rechten Seite ruhen sich ziemlich darauf aus –, unsere Krise ganz gut überwun- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Ab- den zu haben. Wodurch? Durch Konjunkturprogramme geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- und Kurzarbeitergeld. NEN) Man muss es einmal sagen: Das ist eine große Leistung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das deutet aber auch an, unter welchem Druck wir im Herr Kollege! Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22823

(A) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): faktor, der dem unseren ähnlich ist, wurde eingeführt. (C) Das war Geldausgeben zum Besten. – Insofern ist es Eine Schuldenbremse wurde in die Verfassung auf- gut, was wir heute tun. Die Opposition übernimmt Ver- genommen. Verstärkte Kontroll- und Sanktionsmecha- antwortung, wo die Regierung dies zum großen Teil zu nismen gegenüber den autonomen Regionen werden ein- wünschen übrig lässt. geführt. Eine umfassende Reform des Bankensektors ist im MoU vereinbart. Da geschieht also sehr viel. Ich bedanke mich vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall des Abg. Otto Fricke [FDP]) (Beifall bei der SPD) Insofern ist es richtig, für Spanien kein komplettes Präsident Dr. Norbert Lammert: Hilfsprogramm, sondern ein passgenaues, ein maßge- Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/ schneidertes zu machen. An dieser Stelle darf ich darauf CSU-Fraktion. verweisen, dass wir erst im vergangenen Jahr mit dem neuen Instrumentenkasten für die EFSF genau diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Möglichkeit geschaffen haben, ein solches maßgeschnei- der FDP) dertes Programm aufzulegen. Insofern ist die Politik, die wir betreiben, gradlinig und zielgerichtet. Ich entdecke Norbert Barthle (CDU/CSU): keine roten Linien, sondern eine klare Orientierung, in Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- welche Richtung wir gehen und was wir nicht machen. ren! Wir stimmen heute über ein sektorspezifisches Not- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hilfeprogramm zur Rekapitalisierung spanischer Banken ab. Ich halte dieses Programm für richtig und für wich- Ich darf daran erinnern, dass Spanien, obwohl es kein tig. Was ich nicht für richtig und wichtig halte, ist eine Programmland ist – es handelt sich um ein sektorales Auseinandersetzung darüber, ob es sich nun um eine Programm –, dennoch Auflagen zum weiteren Abbau Bankenkrise oder um eine Staatsschuldenkrise handelt. seiner Defizite im Rahmen des Defizitverfahrens be- kommt. Es bekommt Auflagen zu weiteren Reformen (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist sehr auf dem Arbeitsmarkt, interessant!) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Keine Denn in Europa geht es insgesamt um Folgendes: Vermögensteuer!) Erstens. Wir müssen die Haushalte konsolidieren, zur Förderung von Beschäftigung und zur Förderung also die Staatsschuldenkrise bekämpfen. von Aus- und Fortbildung. All das gehört zu diesem Pro- gramm. (B) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Spanier (D) hatten ihren Haushalt konsolidiert!) Lassen Sie mich als Zweites daran erinnern, dass es Zweitens: Wir müssen die Finanzmärkte stabilisieren, keine direkte Bankenhilfe gibt. Auch darauf hat der Bun- damit sie gegen weitere Erschütterungen resistent sind. desfinanzminister in seiner Regierungserklärung noch- mals hingewiesen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Regulieren!) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist Technik!) Drittens. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit in ganz Europa stärken, um wieder ungehindert Zugang zu Der Beschluss des Europäischen Rates vom 29. Juni den Kapitalmärkten zu haben und Vertrauen zurückzuge- 2012 ist an dieser Stelle eindeutig. Erst dann, wenn eine winnen. schlagkräftige Bankenaufsicht in Europa eingeführt ist, die funktionsfähig ist – Bankenexperten sagen mir, das Diese drei Aufgaben gehören zusammen. Man kann dauert mindestens ein bis zwei Jahre –, könnte der sie nicht voneinander trennen, und wir trennen sie auch Gouverneursrat über ein solches Instrument abstimmen. nicht voneinander. Zuvor braucht er aber einen Beschluss des Deutschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bundestages. Ich bin mir nicht sicher, ob wir für einen der FDP) solchen Beschluss tatsächlich eine Mehrheit im Deut- schen Bundestag bekämen. Denn wir sind immer dafür, Dass Spanien im Kern kein Staatsschuldenproblem dass die Haftung beim Staat bleibt und dass Verschul- hat, das wissen wir. Die spanische Staatsschuldenquote dung und Haftung zueinander gehören. liegt mit rund 80 Prozent genau im europäischen Durch- schnitt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die waren Lassen Sie mich als Drittes darauf verweisen, dass bei 36 Prozent in 2007!) wir mit dem Maßgabebeschluss – die Kollegin Priska Insofern geht es bei Spanien auch nicht darum, ein Voll- Hinz hat ihn bereits angesprochen – gestern Abend im programm zu erstellen. Spanien macht schon sehr viel Haushaltsausschuss nochmals bestärkt haben, was ohne- zur Verbesserung seiner Situation. Die Flexibilisierung hin Gesetzeslage ist. Wir wollen in die weitere Abwick- des Arbeitsmarktes wurde schon angesprochen. Die lung der jeweiligen Tranchen eingebunden sein. Wir Lohnfindung soll flexibilisiert werden. Das Renten- wollen Möglichkeiten haben, einzugreifen. Diese haben eintrittsalter wurde heraufgesetzt. Ein Nachhaltigkeits- wir. Auch das, glaube ich, ist eine wichtige Botschaft an 22824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Norbert Barthle (A) die Menschen draußen. Es gibt keinen Freibrief und kei- Ausgerechnet das kapitalistischste aller Gewerbe, (C) nen Blankoscheck, sondern wir begleiten die weiteren das Bankwesen, entzieht sich den Regeln und Kräf- Maßnahmen Schritt für Schritt. ten der Marktwirtschaft: Banken, die in ihrem Wirt- schaften versagt haben, zu viele Kredite vergeben Das fügt sich in unsere Linie ein, die wir auch an die- und zu wenig Sicherheiten genommen haben, zu ser Stelle konsequent durchhalten – ich habe es schon wenig Eigenkapital vorhielten und sich zu sehr auf angesprochen –: Für uns müssen Haftung und Verant- Finanzierung über die Märkte und nicht Einlagen wortung immer eine Einheit bilden. Wir wollen keine verließen, werden vom Staat gerettet, statt aus dem Vergemeinschaftung von Schulden. An dieser Stelle darf Markt zu gehen. ich darauf hinweisen – es ist für die Menschen draußen, glaube ich, wichtig, dies zu wissen –, dass die SPD- So weit die Financial Times Deutschland. Fraktion gestern Abend im Haushaltsausschuss noch Ich glaube, dem ist wenig hinzuzufügen. Es geht versucht hat, ihre Zustimmung an das Zugeständnis, nicht, dass der europäische Steuerzahler die Rechnung einen Schuldentilgungsfonds einzurichten, zu knüpfen. für die spanischen Banken bekommt und Eigentümer, Zuerst waren es die Euro-Bonds, jetzt ist es der Schul- Gläubiger und Management weitgehend ungeschoren dentilgungsfonds. Alles geht in dieselbe Richtung, näm- bleiben. Schauen wir uns einmal die Beteiligung dieser lich Vergemeinschaftung von Schulden. Das machen wir Gruppen an. Bei den Anteilseignern vermag ich keine nicht mit. Das ist unsere klare Ausrichtung und Linie. besonderen Opfer zu erkennen. Vorrangige Anleihegläu- Dabei bleiben wir. biger sollen nach dem Willen der europäischen Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- minister geschont werden, obwohl EZB-Präsident neten der FDP) Draghi in diesem Punkt ausdrücklich anderer Meinung war. Nachrangige Anleihegläubiger sollen zwar beteiligt Das hat nicht nur etwas mit der nationalen Rechtset- werden, mittlerweile gibt es aber Gerichtsurteile in Spa- zung und mit europäischem Recht, dem AEUV, zu tun, nien, die das wahrscheinlich verhindern werden. Große sondern das hat auch etwas mit unserer ordnungspoliti- gesunde spanische Banken wie Santander erbringen schen Orientierung zu tun. Wir helfen, wenn es brennt, keinen speziellen Beitrag, obwohl das beim deutschen wir bieten Unterstützung an, aber immer konditioniert Rettungsfonds für deutsche Banken der Fall war. und immer so, dass das Risiko überschaubar bleibt. Im Falle der Nothilfemaßnahmen für Spanien gehe ich da- Als besonderer Erfolg wird dann die Gehaltsdecke- von aus, dass das Risiko sehr überschaubar ist. Die Aus- lung beim Management verkauft. Bisher hat niemand fallswahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Zur Erinne- Zahlen zu dieser berühmten Gehaltsdeckelung genannt. rung: Wir übernehmen Bürgschaften für Kredite, die Ich nenne einmal die Zahlen: Sofern die Institute dem (D) (B) über die EFSF an Spanien vergeben werden, für die Spa- FROB mehrheitlich gehören, gibt es eine Obergrenze nien wieder garantiert. Erst dann, wenn diese Kredite von 300 000 Euro Fixgehalt; sofern sie nur sonstige nicht mehr bedient werden könnten, also wenn Spanien Staatshilfen beziehen, liegt die Obergrenze bei 600 000 nicht mehr zahlen könnte, würde unsere Bürgschaft ge- Euro plus eventuell noch variable Bestandteile. Ich sage zogen werden. Dieser Fall ist meines Erachtens relativ Ihnen ganz ehrlich: Ich kann das einem Handwerker in stark ausgeschlossen. meinem Wahlkreis, der insolvent gegangen ist, weil viel- leicht ein Großauftragnehmer nicht gezahlt hat, und dem Deshalb bitte ich um die Zustimmung für dieses Pro- jetzt die Zwangsversteigerung des Eigenheims droht, gramm, das uns allen nützen wird. Deshalb bitte ich um nicht erklären. Zustimmung für dieses Nothilfeprogramm, das nicht nur im spanischen, sondern vor allem auch in unserem Inte- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich auch resse ist. nicht! Aber ich stimme trotzdem zu!) Ich sage ganz ehrlich: Dem will ich das auch nicht erklä- Herzlichen Dank. ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir haben heute viele Appelle zu Europa gehört. Ich Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Kolbe. glaube, wir alle sind fraktionsübergreifend überzeugte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Europäer. In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts der FDP) gibt es keine vernünftige Alternative zu Europa. Ich sage das auch aus ganz persönlichen Gründen. Ich bin nach der Flucht meiner Eltern aus der DDR zweisprachig in Manfred Kolbe (CDU/CSU): Italien aufgewachsen. Es gibt in dieser Zeit und in die- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sem Jahrhundert keine Alternative zu Europa. Kollegen! Als jemand, der diesem heutigen Antrag nicht zustimmen kann, bedanke ich mich zunächst ganz herz- Aber wir werden die europäische Schuldenkrise nicht lich für die Einräumung der Redezeit. mit immer neuen Rettungsschirmen, mit immer neuen Schulden lösen können. Das ist keine Lösung. Wie soll Ich möchte mit einem Zitat aus der Financial Times denn das in den nächsten Jahren weitergehen? Wollen Deutschland von vor zwei Tagen beginnen: wir das so fortsetzen und alle drei Monate neue Hilfen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22825

Manfred Kolbe (A) beschließen? Jetzt steht Zypern vor der Tür. Heute haben 30 Monaten, und das in der Regel mit großer Zustim- (C) wir in den Zeitungen gelesen, dass die italienische mung, auch aus den Reihen der Opposition. Region Sizilien möglicherweise in Insolvenz geht. Das Unser Weg zur Euro-Rettung basiert, um es zu syste- ist nicht zu stemmen. matisieren, auf fünf Säulen: Was machen wir denn, Herr Bundesfinanzminister, Das erste Element ist die Konsolidierung der Haus- wenn auch die „AAA“-Länder an Bonität verlieren? Was halte der Staaten der Euro-Zone bzw. der Europäischen machen wir, wenn Sie an den Anleihemärkten einmal Union, um zukünftige Krisen dieser Art zu vermeiden. 5 oder 6 Prozent Zinsen zahlen müssen, weil die Schul- Die Europäische Union unternimmt dazu enorme An- dentragfähigkeit Deutschlands in Zweifel gezogen wird? strengungen, ebenso die einzelnen Mitgliedstaaten. Es Dann hilft uns höchstens noch der liebe Gott. Auch als gibt das Europäische Semester, in dessen Rahmen sehr Christ möchte ich es aber nicht zu dieser Situation kom- sorgfältig dargelegt wird, was in den jeweiligen Staaten men lassen. zu ändern ist, damit sich die Schuldensituation verbes- Also: Im Interesse Europas müssen wir zu den ur- sert. sprünglichen Verträgen und zur Eigenverantwortung zu- Zweitens gibt es den nachhaltigen und wirksamen rückkehren. Eine Haftungs-, Transfer- und Schulden- Mechanismus des Fiskalpakts, der Schuldenbremse. union würde Europa endgültig überfordern. So etwas Wenn hier vor einem Jahr jemand gesagt hätte: „In 25 gibt es nicht einmal im Bundesstaat USA. Das gibt es von 27 EU-Staaten wird es im Herbst des Jahres 2012 auch nicht im Verhältnis zwischen den bundesdeutschen eine Schuldenbremse geben, und zwar analog zu der Re- Ländern. Das gibt es nicht einmal in einer Ehe; Mann gelung, die im Grundgesetz getroffen wurde“, wäre er und Frau haften nicht für die Schulden des anderen. In für verrückt erklärt worden. Es ist ein enormes Verdienst Europa aber soll dieses Prinzip eingeführt werden. Das der Bundesregierung, von Angela Merkel und Wolfgang ist der falsche Weg. Wir brauchen wieder mehr Eigen- Schäuble, aber, wie ich finde, auch ein großes Verdienst verantwortung in Europa. dieses Hauses, dass mit breiter Mehrheit eine Politik un- Vor diesem Hintergrund kann ich dem heute zur Ab- terstützt wurde, die dieses Verhandlungsergebnis beim stimmung stehenden Bankenrettungspaket nicht zustim- Fiskalpakt möglich gemacht hat. men. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vielen Dank. neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das dritte Element ist die Bändigung der Finanz- märkte. (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach, ach, Der Kollege Jürgen Hardt erhält nun das Wort für die ach! Wovon träumen Sie nachts?) CDU/CSU-Fraktion. Ich würde mir wünschen, wir wären schon weiter voran- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gekommen. Aber auch hier sind wir uns einig, dass es wichtige Instrumente gibt, die nun eingesetzt werden Jürgen Hardt (CDU/CSU): müssen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach ja?) sich im Frühjahr 2010 abzeichnete, dass einzelne Staaten der Euro-Zone Liquiditätsprobleme bekommen, gab es So haben wir zum Beispiel ungedeckte Leerverkäufe in im Prinzip drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Deutschland verboten. Wir werben dafür, dass dies euro- paweit geschieht. Wir sind außerdem bereit, eine Finanz- Die erste Möglichkeit wäre gewesen, den Dingen ein- transaktionsteuer zur Dämpfung der Spekulation einzu- fach ihren Lauf zu lassen. Ich denke, wir alle sind davon führen. Das muss man allerdings so machen, dass man überzeugt, dass dies ein hochriskanter und gefährlicher dadurch nicht die Wettbewerbsfähigkeit in unzulässiger Weg gewesen wäre. Ich bin davon überzeugt, dies hätte Weise einschränkt. Auch hier sind wir auf dem richtigen dazu geführt, dass wir im Sinne eines Dominoeffekts ei- Weg. nen Zusammenbruch der europäischen Wirtschaft im großen Stil erlebt hätten. Wir hätten die guten Wachs- Das vierte entscheidende Handlungsfeld in diesem tumszahlen der letzten Jahre und die niedrigen Arbeits- Bereich ist die Stimulierung von Wachstum. Wir haben losenzahlen in den Wind schreiben können. die neue Finanzierungsperiode 2014 bis 2020 der Euro- päischen Union vor der Brust, die wir spätestens im Die zweite Alternative wäre gewesen, zu erklären: Jahr 2013 ausverhandeln werden. Wir müssen darauf Alle haften für alles. – Das wäre nicht nur vertragswidrig achten, dass wir die Instrumente der Europäischen gewesen, sondern hätte auch dazu geführt, dass alle An- Union besser auf die Stimulierung von Wachstum aus- strengungen unterblieben wären, die notwendig sind, um richten, als es bisher der Fall ist. die Ursache der Schuldenkrise zu beseitigen. Fünftens spielt das eine Rolle, was wir heute beschlie- Wir haben uns deshalb für einen dritten Weg entschie- ßen: dass wir Staaten, die in Not sind, solidarisch und den. Der dritte Weg ist langwierig, kompliziert und entschlossen helfen. Wir haben für Spanien ein Pro- schwer vermittelbar. Aber er bietet die Aussicht auf Er- gramm aufgelegt, mit dem wir das Problem Spaniens an folg. Diesen Weg beschreiten wir seit nunmehr fast der Wurzel packen. In Spanien war, was die Haushalts- 22826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Jürgen Hardt (A) konsolidierung angeht, eine ganz gute Entwicklung zu (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!) (C) verzeichnen. Auch was die Staatsschulden angeht, sieht Nein, wir machen es nicht, sondern wir treffen unter- die Situation in Spanien relativ vernünftig aus. Aber schiedliche Regelungen für unterschiedliche Länder in über Spanien schwebt das Damoklesschwert der Ban- Europa. Für Irland gelten andere Regelungen als die, die kenkonsolidierung. Mit dem Programm, das wir heute jetzt für Spanien getroffen werden sollen, beschließen, nehmen wir an genau dieser Stelle Druck von den Schultern der spanischen Haushaltspolitiker, so- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das sind maß- dass sie in der Lage sind, diesen Weg ohne die drohende geschneiderte Regelungen!) enorme finanzielle Belastung für den spanischen Haus- halt mit unserer Hilfe zu gehen. Insofern ist dieses Pro- für Portugal gelten andere Regelungen als die, die jetzt gramm ein maßgeschneidertes und kluges Programm. für Spanien getroffen werden sollen, und auch für Grie- Ich glaube, es wird erfolgreich sein. chenland gelten andere Regelungen als die, die jetzt für Spanien getroffen werden sollen. Wenn man mit Abgeordneten aus Südeuropa spricht, wird einem klar, welch großer Segen es für unser Land (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Viel schlim- gewesen ist, dass wir in Deutschland in den letzten zwölf mere!) Jahren Reformen durchgeführt haben, die zum Beispiel Alle genannten Staaten haben im Vergleich zu dem, was in Italien und Spanien jetzt in nur zwölf Monaten umge- wir jetzt Spanien aufs Auge drücken wollen, viel härtere setzt werden müssen. Das Schöne ist – das empfinde ich Maßnahmen zu erleiden. wirklich so –, dass vier von fünf Parteien in diesem Hause in unterschiedlichsten Konstellationen an Regie- Den Großen in Europa bringt man Geldkoffer, und in rungen beteiligt waren, die sich für diese Reformen ein- diejenigen Staaten in Europa, die klein sind, kommt der gesetzt und sich um sie verdient gemacht haben. Dass Sparkommissar. Das hat nichts mit Gerechtigkeit oder Deutschland heute so dasteht, wie es dasteht, ist auch der europäischer Einigung zu tun. Das hat auch nichts damit Tatsache geschuldet, dass wir uns in unserem Lande in zu tun, dass wir die Verursacher der Krise tatsächlich an wesentlichen Fragen einig sind. Ich finde, das sollten wir die Kandare nehmen. den Bürgerinnen und Bürgern mutig sagen. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und LINKE]) der FDP) Nein, das findet nicht statt. Vielmehr lassen wir die Ei- Wenn die Euro-Rettung fortgesetzt wird und sie so gentümer der Banken in Spanien weitestgehend außen gelingt, wie wir es uns vorstellen, dann werden die Fra- vor. Was haben wir in Deutschland bei der HRE ge- (B) gen der Globalisierung – welcher Wirtschaftsraum wird macht? Die privaten Banken in Deutschland mussten (D) im 21. Jahrhundert der wichtigste sein, welche Währung 8,5 Milliarden Euro auf den Tisch legen, weil sie von wird im 21. Jahrhundert die Leitwährung der Welt sein? – einer Insolvenz der HRE mittelbar betroffen gewesen in unserem Sinne beantwortet werden. Ich möchte, dass wären. In Spanien hat so etwas nicht stattgefunden. In unsere Kinder und Enkel ihre Rohstoffe und Energie Spanien gibt es auch keine Bankenabgabe. Also: Wo ist nicht mit chinesischen Renminbi, mit indischen Rupien die Gerechtigkeit, die viele einfordern? Sie ist nicht vor- oder mit russischem Rubel bezahlen müssen, sondern handen. dass sie in Euro bezahlen können. Insofern verdient das Die nächsten Schritte, die jetzt folgen werden, beste- Projekt der Rettung des Euros und der Stabilisierung Eu- hen darin, dass wir den Boden für eine direkte Kapitali- ropas jede Anstrengung. In diesem Sinne war es richtig sierung des Bankensystems in Spanien bereiten. Das ist und vernünftig, dieser Tage in Berlin zusammenzukom- der Weg, der hier faktisch vorbereitet wird. Es gibt näm- men und heute eine Entscheidung zu treffen. lich einen Verweis auf die Gipfelerklärung der Staats- Danke schön. und Regierungschefs vom 29. Juni dieses Jahres, in dem es ausdrücklich heißt, dass nach der Einführung einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- europäischen Bankenaufsicht die direkte Bankenrekapi- neten der FDP) talisierung vorbereitet wird. Ich frage mich: Gibt es das nicht schon? Wir haben doch schon die EBA. Sie müsste Präsident Dr. Norbert Lammert: nur direkten Zugriff auf die nationalen Bankensysteme Frank Schäffler erhält nun als Nächster das Wort. bekommen. Das ist relativ schnell gemacht. Das wird auch geschehen. Die Aufsicht wird nicht auf die system- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) relevanten Banken beschränkt bleiben; denn am Ende geht es um das spanische Bankensystem. Dort sind die Frank Schäffler (FDP): systemrelevanten Banken nicht betroffen, sondern es Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage sind die kleinen Sparkassen betroffen. Das heißt, man ist, ob das, was wir heute beschließen, gerecht ist. wird die systemrelevanten Banken mit den nicht system- relevanten Banken zusammen beaufsichtigen. Was heißt (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist überhaupt das? Das heißt am Ende, dass die Einlagensicherung in nicht die Frage!) Deutschland dran glauben muss. Wir haften am Ende mit Gerecht wäre es, wenn wir in Europa allgemeine und dem Sparvermögen Deutschlands für die Einlagen und gleiche Regelungen für alle Staaten schaffen würden. die Schieflagen von Banken in Südeuropa, und das darf Aber machen wir das? nicht zugelassen werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22827

Frank Schäffler (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bitte, Kollege Kalb. (C) Der spanische Bankenmarkt ist geprägt durch eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Immobilienblase, die dazu geführt hat, dass 1,5 Millio- nen Wohnimmobilien nicht gebraucht werden. Hier steht Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): eine Korrektur bevor. Die Frage ist, wer diese Korrektur Herr Präsident, ich halte meinen Beitrag auch im bezahlt. Bezahlt das der europäische Steuerzahler, oder Schnelldurchgang. bezahlen das die Eigentümer dieser Banken? Ich bin der Auffassung, was nicht systemrelevant ist, das muss von Ich wollte sagen, dass Spanien sich in Europa, in der den Eigentümern getragen werden. Das darf in Europa Europäischen Union, in der Euro-Zone immer als ver- nicht sozialisiert werden, weil es am Ende dazu führt, lässlicher Partner erwiesen hat. Wir sollten auch nicht, dass wir die marktwirtschaftliche Ordnung außer Kraft wie der Herr Fraktionsvorsitzende Steinmeier es getan setzen und pervertieren. Das ist das Gegenteil dessen, hat, versuchen, hier Unsicherheit zu schüren, Verwirrung was man machen muss. zu stiften. Die Frage der Bankenunion, die Frage der di- rekten Bankenstabilisierung steht heute nicht zur De- Es gibt keine Möglichkeit, den finalen Zusammen- batte. Das, was wir heute entscheiden, entscheiden wir bruch eines Booms zu verhindern, der durch Kredit- auf der Grundlage des geltenden Regelwerks der EFSF, expansion erzeugt wurde. Das ist genau das, was in Süd- wie es nach unserem Parlamentsbeteiligungsrecht, nach europa stattgefunden hat. unserem StabMechG, durchzuführen ist, und nach kei- Vielen Dank. nen anderen Regeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß der LINKEN) sehr wohl, dass die Südstaaten schnell eine Bankenunion wollen. Darüber müssen wir bei anderer Gelegenheit – ich vermute, sehr oft und sehr tiefgehend – diskutieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bin da auch sehr skeptisch, weil ich mir nicht vorstel- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der len kann, dass man die Situation von Banken in einem Kollege Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. Land losgelöst von den dort herrschenden politischen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sonstigen Ver- hältnissen betrachten kann. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten der FDP) (B) Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wieder eine (D) weitreichende, eine sehr ernsthafte Entscheidung im In- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men- teresse der Stabilität unserer Währung zu treffen. Ich schen in unserem Lande erwarten nicht mehr und nicht gehe davon aus, dass die Finanzmärkte nicht nur die Ent- weniger von uns, als dass wir für die Stabilität unserer wicklung in Spanien beobachten, sondern auch beobach- Währung sorgen. ten, wie wir mit dieser Frage umgehen. Es wird auch an (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- uns die Frage gestellt, wie das deutsche Parlament mit neten der FDP) der Frage des Euro umgeht, wie ernsthaft wir in Deutschland für die eigene Währung eintreten. Wenn es Wir haben keine andere Währung als den Euro. Deswe- denn Zweifel an unserer Haltung zur Währung gäbe, gen ist es wichtig, dass wir für diese Währung und die dann bräuchten wir uns nicht zu wundern, wenn auch die Stabilität dieser Währung eintreten. Mit der heutigen Finanzmärkte Zweifel daran hätten. Entscheidung – davon bin ich felsenfest überzeugt – leis- ten wir einen guten Beitrag dazu, den Euro zu stabilisie- Wir müssen anerkennen, dass Spanien große Anstren- ren, unsere Währung zu sichern, auch im Interesse der gungen unternimmt. Der Bundesfinanzminister hat vor- Sicherheit und des Wohlstands unserer Bürger. hin breit dargestellt, was Spanien unternimmt, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen. Sie führen Herzlichen Dank. schwierige strukturelle Reformen durch, und sie sind da- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bei, das übermäßige Defizit in großen Schritten wieder abzubauen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Unruhe) Ich schließe die Aussprache. Mir liegen zahlreiche schriftliche Erklärungen zur Präsident Dr. Norbert Lammert: Abstimmung von verschiedenen Kolleginnen und Kolle- Einen Augenblick, bitte! – Liebe Kolleginnen und gen aus unterschiedlichen Fraktionen vor, die wir zu Kollegen, ich bitte Sie, zumindest in den Gängen keine Protokoll nehmen.1) Gespräche zu führen. Es ist schon, glaube ich, ein Gebot des Respekts gegenüber dem jeweiligen Redner, jeden- Eine mündliche Erklärung zur Abstimmung möchte falls nicht demonstrativ bis unmittelbar vor dem Redner- der Kollege Ströbele abgeben. Den rufe ich jetzt auf. An- pult Gespräche zu führen. Wir haben bald das Ende die- schließend führen wir die namentliche Abstimmung ser Debatte erreicht. Ein Augenblick Disziplin bitte noch. 1) Anlagen 4 bis 6 22828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) durch. Ich bitte noch um einen Augenblick Geduld. Neh- gestellt werden, dass die spanische Regierung gnaden- (C) men Sie bitte noch einen kleinen Augenblick Platz. lose unsoziale Sparmaßnahmen durchsetzt, stimme ich heute mit Nein. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) NEN): Danke, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kol- Auch ich bin dafür, nicht nur den Banken zu helfen, legen, zu meinem Abstimmungsverhalten gebe ich fol- sondern vor allen Dingen der Bevölkerung. Aber ich gende Erklärung ab: sage: So geht es nicht. Das ist der falsche Weg. Das hat sich spätestens bei Griechenland gezeigt. Vor vier Jahren ist mir gesagt worden, dass ich einem großen Finanzpaket zustimmen soll, weil die Bank zu (Beifall bei der LINKEN) groß ist, um pleite zu gehen, „too big to fail“. Heute soll ich einer Bankenrettung zustimmen, bei der es um Ban- Präsident Dr. Norbert Lammert: ken geht, die nicht zu groß sind, sondern da handelt es Wir kommen nun unter dem Tagesordnungspunkt 1 a sich – das ist heute auch erwähnt worden – um kleinere zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Banken. Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/10350 zu der Vor zwei Jahren ist mir gesagt worden, dass ich einem Regierungserklärung. Wer stimmt für diesen Entschlie- großen Rettungspaket für Griechenland zustimmen soll, ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich damit nicht eine Katastrophe eintritt und nicht mögli- der Stimme? – Der Entschließungsantrag ist mit großer cherweise auch Spanien oder Italien unter einen solchen Mehrheit abgelehnt. Rettungsschirm, der sehr viel größer sein müsste, ge- Tagesordnungspunkt 1 b. Wir kommen zur Abstim- bracht werden müssten. Heute sagt man mir, Spanien mung über den Antrag des Bundesministeriums der Fi- muss geholfen werden. Das heißt, dieser schlimme Zu- nanzen auf den Drucksachen 17/10320 und 17/10321: stand, den ich damals verhindern sollte, ist eingetreten. Finanzhilfe zugunsten Spaniens; Einholung eines zu- Irgendetwas ist faul an der Argumentation, mit der stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages man immer wieder versucht, neue Milliardenbeträge lo- entsprechend unseren gesetzlichen Bestimmungen. cker zu machen und die Zustimmung hier im Parlament (Unruhe) dazu zu bekommen. – Es wird Sie in Ihrem Abstimmungsverhalten vermut- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lich nicht mehr wirklich beeinflussen, dennoch bitte ich (B) Trotzdem habe ich mir heute überlegt, ob ich mich bei 30 Sekunden um Aufmerksamkeit für folgende Informa- (D) diesem Paket nicht wenigstens der Stimme enthalten tion: kann; denn auch ich will Spanien helfen. Aber der Bun- In den Ihnen vorliegenden Unterlagen auf der Druck- desfinanzminister hat mich gemeinsam mit Herrn Fricke sache 17/10320 findet sich auf der Seite 51, wo es um überzeugt, doch mit Nein zu stimmen, und zwar deshalb, das übersandte Memorandum of Understanding geht, weil sie hier ganz eindeutig erklärt haben, dass auch mit unter der Ziffer 30 eine unvollständige Information, weil diesem Rettungspaket für die spanischen Banken wiede- zum Zeitpunkt des Zugangs der Unterlagen, die ja mög- rum ein Sparpaket verbunden ist, mit dem von Spanien lichst schnell dem Bundestag zugeleitet wurden, die ent- unsoziales Sparen, wie man es schon von Griechenland sprechenden Defizitzahlen für das Bruttoinlandsprodukt verlangt hat, verlangt wird. Ohne die Durchführung Spaniens noch nicht ausgewiesen waren. Das ist heute solch unsozialer und gnadenloser Sparmaßnahmen soll Morgen im Haushaltsausschuss vorgetragen worden. Da Spanien nicht geholfen werden. Das treibt mich zu dem wir hier heute keine Beschlussempfehlung des Haus- Nein. haltsausschusses als Grundlage haben, kann das insofern Meine entscheidenden Argumente für dieses Nein nicht nachgetragen worden sein. Ich bitte Sie deswegen, sind darüber hinaus: In den vielen Papieren, die wir ges- damit einverstanden zu sein, dass ich die Zahlen jetzt tern und vorgestern noch bekommen haben, steht nichts nenne und wir sie somit zu Protokoll nehmen. Konkretes dazu, wie das mit der Eigentümerhaftung, mit Die heute Morgen vorgetragenen abgestimmten Zah- der Eigentümerbeteiligung eigentlich sein soll, wie das len für dieses Memorandum sind: für das Jahr 2012 mit der Bankenabwicklung funktionieren soll. Wie viele 6,3 Prozent, für das Jahr 2013 4,5 Prozent und für das Banken sollen es denn sein? Wie soll das denn gehen? Jahr 2014 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Steht doch drin!) Ich darf nun den Antrag der Bundesregierung zur Ab- stimmung stellen. Hierzu ist namentliche Abstimmung Vor zwei Jahren ist noch gesagt worden, man will eu- beantragt. Sind alle Abstimmungsurnen mit Schriftfüh- ropäische Regelungen dafür entwickeln, wie man Ban- rerinnen und Schriftführern besetzt? – Das scheint der ken pleite gehen lassen kann, in die Insolvenz gehen las- Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. sen kann. Davon ist bis heute nichts zu sehen. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Weil ich nicht will, dass Spanien auf die Art und Stimme für die namentliche Abstimmung noch nicht ab- Weise geholfen wird, dass den spanischen Banken gegeben hat, oder hat jemand jemanden gesehen, der 100 Milliarden Euro unter der Auflage zur Verfügung noch mit der Karte in der Hand durch die Gegend läuft, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22829

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) ohne sie abgegeben zu haben? – Das scheint nicht der Meine Damen und Herren, der Antrag, der Ihnen vor- (C) Fall zu sein. liegt und in der Tat in sehr kurzer Frist zusammengestellt worden ist, ist das Ergebnis einer Abwägung verschiede- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- ner Grundrechte, zum einen natürlich der körperlichen rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Integrität und der Religionsfreiheit des Kindes, zum an- nen. Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind, deren der Religionsfreiheit der Eltern, des Persönlich- dass ich das Ergebnis der Abstimmung ohne Unterbre- keitsrechts und vor allem des Elternrechts selbst. chung der Sitzung zu einem späteren Zeitpunkt, gegebe- nenfalls nach dem nächsten Tagesordnungspunkt, be- Ich bedanke mich deshalb sehr bei den Kolleginnen kannt gebe. – Ich bedanke mich für das Einvernehmen.1) und Kollegen, die das in dieser Woche gemeinsam mit Wir haben jetzt noch über den Entschließungsantrag mir erarbeitet haben. Ich bedanke mich bei dem Koali- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Druck- tionspartner, der FDP, und auch bei der SPD. Bis zuletzt sache 17/10349 abzustimmen. Wer stimmt für diesen hatten wir die Hoffnung, dass auch die Grünen bei die- Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sem Antrag dabei sein würden, zumal es – das will ich sich? – Auch dies ist mit großer Mehrheit abgelehnt. schon festhalten – gerade die Fraktionsvorsitzende der Grünen war, die Frau Künast, die ich hier jetzt leider Ich darf Sie bitten, für unseren nächsten Tagesord- nicht mehr sehe, die in der letzten Woche sehr viel nungspunkt wieder Platz zu nehmen. Druck bei diesem Thema gemacht hat. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: (Thomas Oppermann [SPD]: Wo ist sie Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ eigentlich?) CSU, SPD und FDP So berichtete etwa die Süddeutsche Zeitung vom Rechtliche Regelung der Beschneidung min- Freitag vergangener Woche von Vorschlägen, erst ein- derjähriger Jungen mal höhergerichtliche, obergerichtliche Entscheidungen – Drucksache 17/10331 – in der Sache abzuwarten. Zitat aus der Süddeutschen Zeitung: Wie vorhin bereits von uns beschlossen, soll die Aus- sprache 30 Minuten dauern. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundes- tag, Renate Künast, bemängelte, dies dauere zu Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem lange. Nötig sei eine rasche gesetzliche Regelung. Kollegen Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion. Genau das fordern wir mit diesem Antrag ein. Genau (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dem wollen wir mit diesem Antrag den Weg bereiten. (D) (B) der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Herr Umso ärgerlicher ist es, dass sich die Grünen daran nicht Präsident!) mehr gebunden fühlen. Es ist vielleicht aber auch für – Ich darf vielleicht noch einmal insbesondere auch den künftige Dinge ganz hilfreich, dass wir jetzt einmal fest- von mir gesehen rechten Flügel bitten, verfügbare freie halten, dass man erst einmal selbst, bevor man die Re- Plätze aufzusuchen oder für dringliche Gespräche den gierung lautstark zum Handeln auffordert, in der eigenen Plenarsaal zu verlassen. Fraktion überlegt, welches Handeln man denn überhaupt haben möchte. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten neten der FDP) Damen und Herren! Mit dem heutigen Antrag, den wir gleich beschließen wollen, wollen wir nicht weniger, als Ich will allerdings auch sehr deutlich machen, dass ein klares Signal an die jüdischen und muslimischen Ge- wir mit diesem Antrag die Praxis, das Ritual der Be- meinden in Deutschland zu geben, dass jüdisches und schneidung, weder inhaltlich befürworten noch dafür muslimisches Leben insbesondere in Deutschland wei- werben wollen. Es ist richtig, dass darüber in Religions- terhin nicht nur möglich ist, sondern auch nicht unzu- gemeinschaften und in der Gesellschaft diskutiert wird. mutbar erschwert wird. Aber diese gesellschaftliche, innerreligiöse Debatte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sollte nicht unter dem Damoklesschwert der Strafandro- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- hung stattfinden. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Maßstab für die Entscheidung, die Beschneidung Die Beschneidung von Jungen muss deshalb weiter- straffrei zu ermöglichen, ist natürlich das Kindeswohl; hin straffrei möglich sein, wenn das der Elternwille ist, denn auch eine Beschneidung ist keine Bagatelle, son- wenn sie medizinisch fachgerecht erfolgt und wenn sie dern eine Handlung, die tatbestandlich eine Körperver- ohne unnötige Schmerzen erfolgt. Ich sage für mich per- letzung darstellt. Es kann natürlich auch bei diesem ope- sönlich: Das heißt für mich, dass sie mit einer angemes- rativen Eingriff Komplikationen geben, selbst wenn es senen Anästhesie erfolgt. der weltweit wohl am häufigsten durchgeführte chirurgi- sche Eingriff ist. Aber wir wollen auch nicht einfach (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kindeswohl und Elterninteresse gegeneinanderstellen. Das Kindeswohl ist Maßstab, aber es wird im Regelfall 1) Ergebnis Seite 22836 D durch die Entscheidung der Eltern maßgeblich bestimmt. 22830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Dr. Günter Krings (A) Diese Entscheidungsfreiheit wiederum – auch das Danke schön. (C) machen wir in der Begründung des Antrags deutlich – hat Grenzen, die in der staatlichen Rechtsordnung zu fin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie den sind, etwa im Sorgerecht und im Strafrecht. So ist in bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- § 228 StGB die Sittenwidrigkeit als eine ganz wesentli- NISSES 90/DIE GRÜNEN) che Grenze vorgesehen. Aber ich hoffe, dass wir uns in weiten Teilen des Hauses einig sind, dass die Beschnei- Präsident Dr. Norbert Lammert: dung, die seit Jahrtausenden praktiziert und in fast allen Christine Lambrecht ist die nächste Rednerin für die Ländern der Welt akzeptiert wird, schwerlich unter das SPD-Fraktion. Verdikt der Sittenwidrigkeit zu fassen ist. (Beifall bei der SPD) Aus diesem Grunde hat es mich überrascht, wenn ich das so sagen darf, dass in dem Urteil des Landgerichts, Christine Lambrecht (SPD): das Anlass der Debatte ist, das Stichwort Sittenwidrig- keit nicht genannt wird und erst recht nicht als Prüfungs- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- maßstab bestimmt wird. Es ist ersichtlich, dass andere ren! Seit dem Urteil des Landgerichts Köln vor einigen Gerichte aus meiner Sicht sehr viel vorsichtiger abgewo- Wochen führen wir hier in diesem Land eine sehr enga- gen haben. Es gibt beispielsweise sogar ein Urteil des gierte, aber insbesondere auch emotionale Debatte zum OVG Lüneburg, wonach die Kosten für die Beschnei- Thema Beschneidung. Ich finde das völlig angemessen; dung und die Feier vom Staat zu übernehmen gewesen denn dabei es geht um kleine Jungen, teilweise noch Ba- seien. Es ist schwer vorstellbar, dass der Staat eine Straf- bys. tat und die dazugehörende Feier finanzieren soll. In der Debatte melden sich unterschiedlichste Grup- Wir nehmen es sehr ernst, wenn uns Juden als Mitbür- pen zu Wort, alle mit sehr gewichtigen Argumenten. Ich ger in Deutschland sagen: Die Beschneidung ist für sie will einige nennen. Da melden sich die Religionsge- ein Glaubensgebot. Wir nehmen es auch sehr ernst, meinschaften der Juden und der Muslime zu Wort, die wenn sie sagen: Das besiegelt die Zugehörigkeit zu ihrer uns darauf aufmerksam machen, dass die Ausübung ih- Religionsgemeinschaft. Das haben wir nicht zu hinter- res Glaubens aufgrund ihrer Gebote und der Vorgaben fragen. Wir nehmen es sehr ernst, wenn Muslime die Be- dann, wenn Beschneidung in Deutschland in Zukunft schneidung als eine wichtige religiöse Praxis ansehen. strafbewehrt wäre, nicht mehr möglich wäre. Das ist ein Ich glaube deshalb, dass sich die Strafrechtsordnung an gewichtiges Argument. Es melden sich aber auch dieser Stelle nach Abwägung zurückhalten muss. Wir Menschen im Interesse des Kindes zu Wort, die die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Blick ha- (B) müssen mit unserer Strafrechtsordnung durchaus zur (D) Kenntnis nehmen, was weltweit Standard ist. Wir müs- ben, beispielsweise unsere Kinderbeauftragte Marlene sen international anschlussfähig bleiben. Bei einer Pra- Rupprecht. xis, die nicht strafrechtlich verfolgt wird und weltweit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) akzeptiert ist, muss man sehr gute Gründe haben, sie ausgerechnet in Deutschland unter Strafe stellen zu wol- Sie macht zu Recht darauf aufmerksam, dass wir vor ei- len. nigen Jahren die gewaltfreie Erziehung gefordert und ge- setzlich beschlossen haben. Wie passt die gewaltfreie Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ziehung mit der Beschneidung, einer Körperverletzung, neten der FDP, der SPD und des BÜNDNIS- zusammen? Auch das ist ein gewichtiges Argument. SES 90/DIE GRÜNEN) Dieses Dilemma macht deutlich, wie schwierig eine Ent- scheidung in dieser Frage ist. Wir nehmen allerdings auch eine sehr klare Grenzzie- hung – auch das ist Teil der Begründung des Antrages – Hintergrund dieser Debatte ist das schon genannte Ur- gegenüber anderen, auch erniedrigenden religiösen teil des Kölner Landgerichts. Dabei ging es um die Be- Praktiken vor, die wir strikt ablehnen, ja verurteilen. Wir schneidung durch einen Arzt. Die Richter haben – zu haben die barbarische Praxis der Genitalverstümmelung Recht – festgestellt: Ja, tatbestandlich ist es eine Körper- bei Mädchen und jungen Frauen noch einmal herausge- verletzung. Allerdings haben sie den Arzt mit der Be- hoben, die wir klar verurteilen. Dieser Sachverhalt ist gründung freigesprochen: Er hat im Verbotsirrtum ge- nicht mit dem zu vergleichen, was wir heute diskutieren, handelt. Das heißt, er konnte nicht davon ausgehen, dass nämlich die Beschneidung bei Jungen. seine Handlung strafbar ist, weil die Rechtslage in Deutschland hier unsicher ist. Das zeigt: Auch Religionsgemeinschaften, auch reli- giöse Übung muss sich an unsere Rechtsordnung im All- Diese Rechtsunsicherheit hat sich jetzt aber noch ver- gemeinen und an das Strafrecht im Besonderen halten. schärft; denn auf diesen Verbotsirrtum wird sich in Zu- Sehr schön hat das vor einer Woche in der Frankfurter kunft niemand mehr berufen können. Das ist geklärt. Allgemeinen Zeitung Christian Walter zusammengefasst, Deswegen besteht Unsicherheit bei Ärzten und Be- als er ausführte, dass der Staat natürlich religiöse Gefah- schneidern darüber, welche Konsequenzen sich ergeben, ren abwehren muss. Aber der Staat soll nicht ganze Reli- wenn sie dennoch, auch wenn dieses Urteil keine bin- gionsgemeinschaften oder Religionen abwehren. Aus dende Wirkung hat, Beschneidungen vornehmen. Ich diesem Grunde bitte ich um die Zustimmung zu unserem glaube, es ist inakzeptabel, diese Rechtsunsicherheit Antrag. weiterhin bestehen zu lassen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22831

Christine Lambrecht (A) Ich hätte mir gewünscht, dass nach diesem Urteil des chen Unversehrtheit von Kindern verbunden ist. Deswe- (C) Landgerichts eine höchstrichterliche Rechtsprechung gen ist die ganz klare Forderung, die Beschneidung so- möglich gewesen wäre; denn es geht um die Abwägung wohl unter medizinischen Bedingungen als auch mit so von Grundrechten. wenig Schmerzen wie möglich durchzuführen. Das ist unsere klare Ansage mit klaren Vorgaben. Aber es ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wichtig, dass an diesem Tag auch das Signal ausgesendet Wir haben das Grundrecht auf körperliche Unversehrt- wird: Religionsausübung von Muslimen und Juden muss heit. Wir haben das Grundrecht auf Religionsausübung. in Deutschland weiterhin zulässig sein. Wir haben das Recht der Eltern, abgeleitet durch die el- Deswegen plädiere ich an dieser Stelle: Unterstützen terliche Sorge, Religionsausübung auch für ihre Kinder Sie den Antrag. Wenn die entsprechende Vorlage dann vorzunehmen. Diese Güter müssen gegeneinander abge- auf dem Tisch liegt, werden wir noch eine ganz intensive wogen werden. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass Diskussion zu führen haben; denn es geht um gesund- das Bundesverfassungsgericht hierzu Stellung nimmt. heitspolitische, jugendpolitische und kirchenpolitische Das ist aber nicht möglich gewesen, weil, wie gesagt, Aspekte. Das heißt, es wird kein Hauruckverfahren ge- das Landgericht Köln den Arzt freigesprochen hat, und ben können. Ich bitte um Geduld und Verständnis dafür, damit keine Beschwer vorliegt und damit kein Gang zum dass man so etwas nicht über das Knie brechen kann. Verfassungsgericht möglich ist. Vor dieser Aufgabe werden wir dann stehen, wenn wir Wenn wir jetzt abgewartet hätten, bis das Bundesver- eine entsprechende Vorlage haben. fassungsgericht in irgendeinem anderen Fall eine Ent- Heute bitte ich Sie, den vorliegenden Antrag zu unter- scheidung trifft, dann hätten wir bis dahin Rechtsunsi- stützen. cherheit und die Gefahr, dass dann Beschneidungen vielleicht nicht mehr von Ärzten und unter medizini- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. schen Bedingungen, sondern in Hinterzimmern vorge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP nommen würden oder ein Beschneidungstourismus in und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Gang gesetzt würde. Das heißt, Eltern würden aufgrund bei Abgeordneten der LINKEN) ihrer Glaubensvorgabe mit ihrem Kind in andere Länder reisen und würden dort die Beschneidung vornehmen lassen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen für die Um diese unterschiedlichen Rechtsgüter gegeneinan- FDP-Fraktion. der abzuwägen und dennoch ein ganz klares Signal zu senden, dass muslimische und jüdische Religionsaus- (Beifall bei der FDP) (B) (D) übung in diesem Land möglich sein muss, fordern wir die Bundesregierung mit diesem Antrag auf, einen Ge- Jörg van Essen (FDP): setzentwurf vorzulegen, mit dem diese unterschiedlichen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Rechtsgüter unter einen Hut gebracht werden. Das ist bin sehr dankbar, dass wir hier so sachlich über diese keine leichte Aufgabe. Das wird wirklich sehr schwie- Frage debattieren. Wer zum Beispiel in die sozialen rige Formulierungsarbeit sein, um dafür zu sorgen, dass Netzwerke schaut, weiß, wie viele Emotionen es im Au- dieses Gesetz hinterher vor dem Bundesverfassungsge- genblick bei diesem Thema gibt. Aber ich glaube, wir richt Bestand hat. Denn was nützt uns ein Gesetz, das sind gut beraten, bei dieser Sachlichkeit zu bleiben. Zur dann später für verfassungswidrig erklärt wird? Wir alle Sachlichkeit gehört, festzuhalten, dass das, was das wissen um die Probleme, die damit verbunden sind. Landgericht Köln entschieden hat, keinerlei Bindungs- Hier führen wir eine sehr sachliche Diskussion. Weil wirkung entfaltet. Gerichte können also anders entschei- aber in vielen E-Mails und Schreiben versucht wird, die den. Deshalb gibt es den einen oder anderen, der sagt: Beschneidung und die Genitalverstümmelung zu vermi- Wir brauchen gar nichts zu regeln. – Ich sehe das anders. schen, ist es mir ganz wichtig, hier ganz klar die Ansage Wer die Diskussion betrachtet, weiß, wie tief die Verun- zu machen: Genitalverstümmelung von Mädchen hat sicherung ist, die durch das Urteil entstanden ist, wie tief nichts, aber auch gar nichts mit der Beschneidung von die Verunsicherung in der muslimischen Gemeinschaft Jungen zu tun! ist und wie tief die Verunsicherung in der jüdischen Ge- meinschaft ist. Das haben wir ernst zu nehmen. (Beifall im ganzen Hause) Es gibt auch einen, wie ich finde, handfesten juristi- Niemand wird in Deutschland akzeptieren, dass die Ge- schen Grund dafür, den die Kollegin Lambrecht, für de- nitalverstümmelung von Mädchen straffrei gestellt wird. ren Beitrag ich ganz außerordentlich danke und mit der Im Gegenteil: Sie ist nicht nur zu verurteilen, sondern sie wir ganz hervorragend zusammengearbeitet haben, ist schon heute strafbar und wird völlig zu Recht entspre- schon angesprochen hat. Es gibt auch Verunsicherung chend verfolgt. Das wird auch so bleiben. bei den Ärzten, weil sie sich jetzt nicht mehr auf Ver- botsirrtum berufen können. Auch das ist von uns zu be- (Beifall im ganzen Hause) rücksichtigen. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt Durch diesen Antrag wollen wir ein Signal aussen- und schlagen Ihnen vor, dass wir die Bundesregierung den, dass die Religionsausübung von Juden und Musli- beauftragen, die Fragen, die aufgeworfen sind, in einem men auch in Zukunft in Deutschland möglich sein soll, Gesetzentwurf zu klären. Das ist aber nicht nur ein Auf- dass damit aber auch die Berücksichtigung der körperli- trag an die Bundesregierung, sondern auch ein Auftrag 22832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Jörg van Essen (A) an uns alle; denn wir sind der Gesetzgeber. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten und bitten die Bundesregie- (C) uns positionieren. rung, ihren Teil der Arbeit in den nächsten Wochen zu erledigen, sodass wir dann im Herbst zu einer Entschei- Die bisherigen Beiträge, die wir gehört haben, haben dung kommen können. schon deutlich gemacht, in welchem Umfeld wir uns hier bewegen. Mir ist es ganz wichtig, dass ein Begriff Mir ist wichtig, dass wir jetzt ein Signal setzen. Des- gleich zu Beginn unseres Antrags auftaucht, nämlich das halb bitte ich – auch persönlich – Sie nachdrücklich um Kindeswohl. Dem sind wir alle verpflichtet. Dem ist Zustimmung. Wir wollen schnellstmöglich wieder auch unsere Verfassung verpflichtet. Rechtssicherheit haben. Wir sollten ein entsprechendes Signal an die betroffenen Religionsgemeinschaften sen- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem den und eine Lösung finden, die eine breitestmögliche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gesellschaftliche Zustimmung erfährt. Das ist mein geordneten der SPD und der LINKEN) Wunsch. Deshalb muss das Kindeswohl das Wesentliche sein. Vielen Dank. Daneben sind wichtige verfassungsrechtliche Prinzi- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der pien zu beachten. Körperliche Unversehrtheit ist ganz SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN wichtig. Hier wurde bereits etwas angesprochen, das ich und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nachdrücklich unterstützen möchte. Beschneidung ist et- was anderes als Verstümmelung. Es gibt einen Unter- schied zwischen der Beschneidung von Jungen und der Präsident Dr. Norbert Lammert: vorsätzlichen sexuellen Verstümmelung von Frauen. Der Kollege Jens Petermann erhält nun das Wort für Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir mit unserem An- die Fraktion Die Linke. trag das deutliche Signal setzen, dass wir solche Ver- (Beifall bei der LINKEN) stümmelungen nicht hinnehmen wollen. Das möchte ich, nachdem die Kollegin Lambrecht das bereits getan hat, noch einmal nachdrücklich unterstützen. Jens Petermann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem Damen und Herren! Am 7. Mai 2012 verkündete das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Landgericht Köln ein Urteil in einem Strafverfahren we- geordneten der SPD und der LINKEN) gen Körperverletzung gegen einen Arzt, der eine Be- schneidung bei einem vierjährigen Jungen aus religiösen Es gibt aber auch andere Verfassungsprinzipien, die Gründen auf Wunsch der Eltern vorgenommen hatte. Er wir ebenso ernst nehmen müssen. Die Religionsaus- (B) wurde wegen nicht nachweisbarer Schuld vom Tatvor- (D) übung ist ein wesentlicher Teil der Religionsfreiheit. Die wurf freigesprochen. Ihm wurde zugute gehalten, dass er muslimischen und die jüdischen Verbände haben uns das Verbot nicht kannte und davon ausging, nichts Ver- deutlich gemacht, dass das, was sie praktizieren, für sie botenes zu tun. Diese Entscheidung hat mittlerweile zu ganz wesentlich zur Religionsausübung gehört. Ich bin einer lebendigen Debatte in der Öffentlichkeit geführt. sehr nachdenklich, seit uns der Vorsitzende des Zentral- Das war offensichtlich auch Grund für Union, SPD und rats der Juden deutlich gemacht hat, dass die Beschnei- FDP, einen sehr eiligen Entschließungsantrag vorzule- dung konstitutiv für die Zugehörigkeit zum jüdischen gen, der eigentlich ohne Debatte durchgewunken werden Glauben ist. Das haben wir ernst zu nehmen und in den sollte. Merkwürdig ist, dass das Papier schon gestern in Abwägungsprozess intensiv einzubeziehen. Auch die einigen Medien kursierte, während es der Linksfraktion muslimischen Verbände haben uns deutlich gemacht, erst heute kurz nach 9 Uhr zugestellt wurde. Da blieb welch hohe Bedeutung das für sie hat. wohl ein wenig die Fairness im parlamentarischen Ver- Auch der dritte Aspekt spielt eine ganz wesentliche fahren auf der Strecke. Rolle, nämlich das Elternrecht. Die Eltern haben das (Beifall bei der LINKEN) Recht, darüber zu entscheiden, ob sie es als dem Kindes- wohl angemessen ansehen, dass die Kinder in einer reli- Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, im giösen Gemeinschaft und mit den Riten dieser religiösen Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der klarstellt, Gemeinschaft aufwachsen. Die Eltern können so ent- dass eine religiös motivierte, medizinisch fachgerechte scheiden, wenn sie glauben, dass die Kinder in einer sol- Beschneidung von Jungen grundsätzlich zulässig ist. Na- chen Gemeinschaft eine ethische Orientierung bekom- türlich sind die Achtung der Religion und der Freiheit re- men. Wir können nur daran interessiert sein, dass junge ligiöser Betätigung etwas Selbstverständliches. Das ei- Menschen mit ethischer Orientierung aufwachsen. Auch gentliche Problem liegt auf einer anderen Ebene; das ist das müssen wir ernst nehmen. hier schon angesprochen worden. Wie ist es um den Grundrechtsschutz des minderjährigen, religiös unmün- Vor diesem Hintergrund habe ich die Bitte, dass diese digen Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbst- so aufgeregt begonnene Debatte sachlich fortgeführt bestimmung gegenüber den Grundrechten der Eltern auf wird. Das, was zu Beginn dieser Woche zwischen den Religionsfreiheit und deren Elternrecht bestellt? Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP stattgefunden hat, war der Beginn einer sachlichen Auseinanderset- Für die Linke kann ich sagen, dass sie das Problem zung mit den aufgeworfenen Fragen. Ich bitte alle, das differenziert sieht. Aus juristischer Sicht ist das Urteil fortzusetzen. Wir werden als FDP-Bundestagsfraktion richtig, da es lediglich die bestehende Rechtslage auf- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22833

Jens Petermann (A) greift; denn jeder ärztliche Eingriff erfüllt juristisch ge- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) sehen den Tatbestand der Körperverletzung, auch eine Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Blinddarmentfernung. Eine Bestrafung des behandeln- Rechtsauffassung eines Kölner Richters der Kleinen den Arztes oder der behandelnden Ärztin scheidet aller- Strafkammer vom Mai, religiös begründete Beschnei- dings aus. Die Rechtfertigung liegt in der Einwilligung dungen bei Jungen seien strafbar, hat in den letzten zwei des Patienten in den ärztlichen Heileingriff. Weder ein Wochen hohe Wellen geschlagen und zu einer intensiven Säugling noch ein vierjähriger Junge verfügen über die Debatte geführt. nötige Einwilligungsfähigkeit. Hier müssen die Eltern In dieser Diskussion habe ich mich zusammen mit ein entscheiden. Vom Sorgerecht sind aber nur Erziehungs- paar Kollegen im Sinne dieses Antrags öffentlich geäu- maßnahmen gedeckt, die dem Wohle des Kindes dienen. ßert. In den Fraktionsgremien und in den Arbeitskreisen Eine Entscheidung der Eltern zur Vermeidung einer reli- waren fachliche Diskussionen bis zum jetzigen Zeit- giösen Ausgrenzung kann die Einwilligung des kleinen punkt aber nicht möglich. Deswegen ist die heutige Ent- Patienten nicht ersetzen, da keine medizinische Indika- scheidung über diesen Antrag für viele Kolleginnen und tion vorliegt und der Eingriff nicht dem Kindeswohl Kollegen, die noch mit sich ringen, welche Position sie dient. vertreten sollen, nicht einfach. Dieses Hopplahopp des Verfahrens kritisieren wir. Durch eine Beschneidung wird der Körper des Kindes dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung Manche finden das Kölner Urteil im Grunde richtig. läuft dem Interesse zuwider, später in freier Selbstbe- Andere sind, was ihre Position angeht, noch nicht zu ei- stimmung über eine Religionszugehörigkeit entscheiden nem Ergebnis gekommen. Wiederum andere sehen es so zu können. Das Landgericht Köln stellte dies – zutref- wie ich. Ich zolle all diesen Positionen in der Debatte fend – fest. Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 Respekt. Grundgesetz – Religionsfreiheit – und Art. 6 Abs. 2 Aber ich will meine Rede jetzt dazu nutzen, um meine Grundgesetz – elterliche Sorge – werden begrenzt durch Entscheidung, diesem Antrag heute zuzustimmen, zu be- das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrt- gründen. heit und Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Die religiös begründete Beschneidung von Jungen ist Grundgesetz. ein klassischer Grundrechtskonflikt. Bei Grundrechts- Dass dieses Problem lösbar ist, zeigen übrigens jüdi- kollisionen entscheidet man sich nicht für das eine sche Gemeinden in Großbritannien. Dort wird das reli- Grundrecht und gegen das andere, wie es zum Teil in der giös geforderte frühkindliche Ritual der Beschneidung Debatte im Netz dargestellt wird. Es gilt vielmehr, eine Abwägung vorzunehmen, die alle Grundrechtspositio- (B) ins Schmerzlos-Symbolische verschoben und die Ent- (D) scheidung über den tatsächlichen Eingriff dem Betroffe- nen so berücksichtigt, dass die Grundrechte sich optimal nen selbst überlassen, wenn er als Jugendlicher einwilli- verwirklichen. Wir müssen daher die drei Grundrechte, gungsfähig ist. Jeder, der sich zu dem Thema zu Wort die hier in Rede stehen – Art. 2, Art. 4 und Art. 6 Grund- gesetz –, jeweils ausgleichen und dabei den jeweiligen meldet, muss am Ende mit seinem Gewissen ausmachen, Eingriff und den Rechtsgrund erörtern. ob das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unver- sehrtheit und auf Selbstbestimmung, welcher Religion Eine Beschneidung ist – da haben Sie recht, Herr man angehören möchte, der Religionsfreiheit und dem Petermann – wie jede Operation oder Impfung eine Erziehungsrecht der Eltern untergeordnet sein soll. Körperverletzung. Durch rechtswirksame Einwilligung wird sie aber gerechtfertigt und ist damit eben nicht (Beifall bei der LINKEN) strafbar. Deshalb muss man fragen: Dürfen Eltern in die- ser Situation für ihr Kind rechtswirksam einwilligen? Im Die religiöse Überzeugung des mündigen Menschen freiheitlichen Staat treffen nämlich die Eltern die Ent- ist zu respektieren und zu schützen. Wir werben dafür, scheidungen für das Kindeswohl in den Grenzen der das frühkindliche Ritual der Beschneidung ins Schmerz- Rechtsordnung. los-Symbolische zu verschieben und die Entscheidung über den chirurgischen Eingriff dem Betroffenen zu Zum Kindeswohl gehört – da unterscheide ich mich überlassen, sobald er als 14-jähriger Jugendlicher ein- von Ihnen, Herr Petermann – einerseits die Gesundheit willigungsfähig ist. und der Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Kin- des, andererseits aber auch das Recht des Kindes, als Mit Ihrem Antrag haben Sie allerdings die Chance auf gleichberechtigtes und vollwertiges Mitglied einer Reli- eine gesellschaftliche Debatte vertan. Die Linke kann gionsgemeinschaft, der die Familie angehört, aufzu- darum nicht zustimmen. wachsen. Vielen Dank. (Beifall der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) (Beifall bei der LINKEN) Religionsfreiheit heißt nämlich nicht Freiheit von Reli- gion, sondern Freiheit in religiösen Angelegenheiten. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Volker Beck erhält nun das Wort für die Fraktion bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Bündnis 90/Die Grünen. geordneten der SPD und der LINKEN) 22834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Volker Beck (Köln) (A) Bei der Abwägung muss auch die Bedeutung des Ein- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) griffs bewertet werden. Er ist in der Tat irreversibel, aber Es ist schade, dass Sie mich inmitten meiner Erörte- doch vergleichsweise gering – eine gesundheitliche rung der Grundrechtskollision unterbrochen haben. Schädigung ist nicht die Folge –, und er wird auch aus anderen Gründen, zum Beispiel aus prophylaktischen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und hygienischen Erwägungen, bei Kindern und Er- NEN]: Dafür hast du jetzt mehr Zeit!) wachsenen vorgenommen. Aber ich will trotzdem gerne versuchen, auf das, was Sie vorgetragen haben, zu antworten. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage der Ich sehe meine Rechtsposition – dazu komme ich Kollegin Rupprecht gestatten? noch – in völligem Einklang mit den Normen der UN- Kinderrechtskonvention.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Jörg van Essen [FDP]: So ist es! Ja!) Ja, gerne. Es geht darin um die Gesundheit der Kinder und um ih- ren Schutz vor Beeinträchtigungen durch religiöse Bräu- Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): che. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass das Bundesver- Beschneidung liegt meines Erachtens jedoch nicht vor. fassungsgericht schon 1968 festgestellt hat, dass Kinder Es handelt sich um eine Beeinträchtigung, die keinen Grundrechtsträger sind, und zwar ohne Einschränkung; pathologischen Befund beinhaltet. man hat das nicht am Alter festgemacht. Außerdem ha- Sie haben außerdem gesagt, Kinder müssten das ben wir die UN-Kinderrechtskonvention im letzten Jahr später als Erwachsene selbst entscheiden. Diese UN- in diesem Hause mit breiter Mehrheit in inländisches Konvention schützt aber ausdrücklich Kinder vor reli- Recht umgesetzt. In Art. 24 Abs. 3 der UN-Kinder- giöser Diskriminierung, also auch vor der Diskriminie- rechtskonvention steht eindeutig, dass die Vertragsstaa- rung, die damit einhergeht, Jude oder Muslim in unserer ten alles versuchen, um Bräuche, die Kinder verletzen, Gesellschaft zu sein. zu beseitigen. Sie dürfen nicht übersehen, dass der Beschneidungs- Wir haben im Jahr 2000 hier im Hause nach langer befehl in der jüdischen Religion und im islamischen Diskussion mit großer Mehrheit beschlossen, dass Eltern Glauben fundamental ist. Die Begründung des Bundes ihre Kinder gewaltfrei erziehen müssen. Damit haben Gottes mit dem Volk Israel und Abraham in Genesis 17 wir zum ersten Mal Kinder als Rechtssubjekte in ein (B) beginnt mit dem Befehl an Abraham, die Kinder des (D) Gesetz aufgenommen. Das heißt, dass Kinder ein Recht Volkes Israel zu beschneiden, sobald sie acht Tage alt auf gewaltfreie Erziehung haben. Das gilt auch für die sind. – Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln, religiöse Erziehung. Frau Kollegin Rupprecht. Man nimmt niemandem das Recht, Kinder religiös zu erziehen. Im Gegenteil: Es ist Aufgabe der Eltern, Kin- Es ist im Rahmen des Grundrechtsausgleichs mit zu der wertorientiert zu erziehen und sie auf das Leben in erörtern, welchen Stellenwert der Beschneidungsbefehl dieser Gesellschaft vorzubereiten. Aber wir haben den für diese Religion hat. Und da kommen wir zu dem Er- Grundsatz der Gewaltfreiheit. Ich frage mich, wie Sie gebnis: Es handelt sich um den ersten Befehl Gottes, der diesen Antrag mit der UN-Kinderrechtskonvention und für diese Religion gilt, und er ist das Fundament des den Grundrechten vereinbaren wollen. Glaubens aller abrahamitischen Religionen. Damit hat er einen sehr hohen Stellenwert. Ein Verbot der Beschnei- Ich glaube, dass eine ehrliche Diskussion stattfinden dung jüdischer und muslimischer Kinder würde faktisch muss. Meine Bitte an die Kollegen ist: Wenn wir uns in bedeuten: Jüdisches Leben und islamisches Leben sind der Sommerpause mit diesem Thema beschäftigen, soll- in Deutschland auf Dauer legal so nicht möglich. Es geht ten wir nicht vorschnell nur auf die Menschen in unse- um eine Abwägung der Grundrechte. Auf der einen Seite rem Land schauen, die ihre Auffassung laut genug äu- ist die Frage: Zu welchen Beeinträchtigungen führt der ßern. Man sollte auch auf all diejenigen schauen, die sich Eingriff bei dem Jungen ohne Krankheitsbefund, wenn nicht äußern, für die wir hier aber im Parlament sitzen, er medizinisch korrekt durchgeführt wird? Es sind rela- nämlich auf die Kinder. Ihnen müssen wir klar zur Seite tiv geringe Beeinträchtigungen. Auf der anderen Seite ist stehen und eine Stimme geben, wenn es um solche ge- die Frage: Ist die Religionsausübung überhaupt noch sellschaftlichen Entwicklungen geht. möglich, wenn wir die Beschneidung verbieten würden? – In dieser Abwägung komme ich zu dem Ergebnis, dass Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass alles, was wir hier dies von den Eltern im Sinne des Kindeswohls entschie- tun, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen muss. Das den werden muss. ist die Basis all unseres Handelns. Ich bitte die Regie- rung, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Ich halte es in meiner Gedankenwelt für möglich, dass es eine Entscheidung zum Wohle des Kindes ist, es Deshalb meine Frage an Sie: Wie wollen Sie dieses im Sinne der jüdischen oder der muslimischen Religion Gesetz mitgestalten, wenn Sie sich schon jetzt im Voraus aufzuziehen. festlegen, dass in dem Gesetz eine Straffreiheit vorgese- hen werden soll? (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22835

Volker Beck (Köln) (A) Meines Erachtens ist es nicht nur in christlichen oder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) atheistischen Elternhäusern möglich, das Kindeswohl zu berücksichtigen. Deshalb müssen wir das respektieren, Johannes Singhammer (CDU/CSU): auch wenn es uns als Nichtmitglieder dieser Religions- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- gemeinschaften möglicherweise ein bisschen fremd vor- ren! Wir, die Christlich Demokratische Union und die kommt. Aber vielleicht hilft da, egal ob man religiös ist Christlich-Soziale Union, treten entschieden und eindeu- oder nicht, ein Blick in die Heilige Schrift. tig ein für die Religionsfreiheit in Deutschland und in Ich komme bei der Abwägung am Ende also zu dem anderen Ländern. Zur Religionsfreiheit bei uns in Ergebnis, dass die Beschneidung straflos sein muss. Deutschland gehört, dass eine Unsicherheit darüber ver- mieden wird, was in zentralen Bereichen der Ausübung Ich will auf einen weiteren Aspekt, nämlich die Ge- der Religion, so wie sie die einzelnen Gemeinschaften sundheit des Kindes, aufmerksam machen. Wenn wir zu verstehen, erlaubt ist, nicht erlaubt ist oder sogar verbo- dem Ergebnis kommen, dass die Beschneidung strafbar ten ist. ist, wird der Effekt ja nicht sein, dass es keine Beschnei- dung von jüdischen und muslimischen Kindern mehr Was zum Kernbereich der Freiheit einer Religion gibt, sondern der Effekt wird sein, dass sie nicht mehr zählt, das regelt nun nicht staatliche Autorität, sondern medizinisch fachgerecht ausgeführt wird, und zwar von das regelt die einzelne Religionsgemeinschaft selbst. selbsternannten Beschneiderinnen und Beschneidern. Was die Beschneidung von Jungen im Judentum und im Islam betrifft, so gibt es unterschiedliche, aber klare reli- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ giöse Einordnungen. Nach jüdischem Verständnis ist die DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN) Beschneidung von Jungen elementar und gehört konsti- Dann schädigen wir die Gesundheit dieser Kinder maxi- tutiv zum Glauben. Nach der Mitteilung des Zentralrats mal. Deshalb muss man neben der rechtlichen und ver- der Muslime in Deutschland ist die Beschneidung von fassungsrechtlichen Sicht auch eine pragmatische Sicht Jungen Bestandteil muslimischer Tradition und folgt der auf diesen Konflikt haben und schauen: Womit bewirkt abrahamischen Praxis. man am Ende Gutes und womit Schlechtes? Wir regeln heute nicht die Art und Weise, wie und un- Ich will nicht, dass jüdisches und muslimisches Leben ter welchen Voraussetzungen Beschneidung stattfinden in Deutschland in der Illegalität ist. Für mich ist ganz kann und soll; wir regeln das Ob. Wir wollen, dass keine klar: Judentum, Islam und Christentum gehören zu Unsicherheit mehr darüber besteht, ob die Beschneidung Deutschland. Ich will, dass dies heute hier zum Aus- in Deutschland zulässig ist, erlaubt ist, sich in einer druck kommt und dass wir eine inklusive Lösung für Grauzone befindet, staatliche Duldung genießt oder gar (B) diese Frage finden. aufgrund eines Verbots verfolgt wird. Die klare Bot- (D) schaft heute: Beschneidung ist zulässig. Es geht die klare Botschaft auch an diejenigen, die Beschneidungen Präsident Dr. Norbert Lammert: durchführen, gerade die Ärzte: Wir wollen, dass Be- Herr Kollege. schneidung zulässig ist, und schaffen deshalb Klarheit. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit bei der Be- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schneidung – das ist heute schon angesprochen worden – Meine Damen und Herren, gerade angesichts der De- hat nichts mit einem anderen Ritual zu tun, das in eini- batte im Netz, die dort sehr heftig tobt, teilweise sehr gen Regionen der Welt schauerliche Praxis ist: die Geni- verletzend ist, meines Erachtens manchmal auch igno- talverstümmelung bei jungen Mädchen und Frauen. Es rant gegenüber Religion als Phänomen an sich, frage ich bedeutet keinerlei intellektuelle Überforderung, die Un- die Menschen, die da so herumwirbeln und gegen die terschiede zu erkennen. sachliche Debatte, die wir hier gerade führen, wirklich polemisieren: Kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, Keine religiöse Instanz mit Reputation fordert bei- dass ausgerechnet Deutschland das erste und einzige spielsweise im Islam Genitalverstümmelung von Frauen Land auf dieser Welt sein sollte, wo die Beschneidung und Mädchen. Bei diesem Eingriff in die körperliche In- von Juden und Muslimen strafbar sein soll? tegrität geschieht in der Tat Schlimmes. Nach Schätzun- gen überleben 15 Prozent der betroffenen Frauen und (Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] Mädchen den Eingriff unmittelbar nicht und muss damit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gerechnet werden, dass weitere 20 Prozent später erkran- Ich finde, über diese Frage kann man in der Sommer- ken und ebenfalls zu Tode kommen. Alle Betroffenen pause noch einmal nachdenken. leiden darunter. Deshalb wird in Deutschland Genital- verstümmelung zu Recht als Straftat aufgefasst und ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgt, und dabei bleibt es auch. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Für manche in unserem Land ist Beschneidung etwas Johannes Singhammer das Wort für die CDU/CSU- Fremdartiges. Das Zusammenleben von Menschen, die Fraktion. religiös sind, und Menschen, die sich für eine nichtreli- 22836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Johannes Singhammer (A) giöse Grundhaltung entschieden haben, erfordert Res- Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag (C) pekt. Respekt gedeiht am besten auf einer klaren gesetz- auf Drucksache 17/10331. Wer stimmt für diesen An- lichen Regelung, was zulässig ist und was nicht. Eine trag? – Wer stimmt dagegen? solche Regelung wollen wir heute mit diesem Antrag einleiten. Wir wollen damit auch ein Stück gutes per- (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Wir spektivisches Zusammenleben in Deutschland schaffen. wollen bemerkt werden, Herr Präsident!) Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung. – Hatten Sie, Frau Kollegin, jemals den Eindruck, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Sie unbemerkt geblieben wären? bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Spätestens mit dem Zwischenruf sind Sie für alle Zeiten in den Protokollen des Deutschen Bundestages verewigt. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Ich darf also noch einmal fragen: Wer stimmt für die- sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nach dieser Debatte wird niemand ernsthaft behaup- Der Antrag ist mit großer Mehrheit bei einer Reihe von ten können, der Deutsche Bundestag wolle mit dem Gegenstimmen und Stimmenthaltungen aus verschiede- heute eingebrachten Antrag eine notwendige Debatte nen Fraktionen angenommen. vorschnell beenden. Das Gegenteil ist der Fall: Er will die notwendige Klärung auf eine sensible und zielfüh- Ich weise darauf hin, dass wir auch zu diesem Antrag rende Weise möglich machen. eine Reihe von schriftlichen Erklärungen zur Abstim- mung haben, die wir dem Protokoll beifügen.1) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ich darf Ihnen nun noch das von den Schriftführerin- NEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament- [DIE LINKE]) lichen Abstimmung über den Antrag des Bundesminis- teriums der Finanzen zur Finanzhilfe zugunsten Das ist aus allen Wortbeiträgen hinreichend deutlich ge- Sp worden. Dafür möchte ich mich bedanken. aniens und zur Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 des Sta- Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag bilisierungsmechanismusgesetzes mitteilen: abgegebene der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf der Stimmen 583. Ich erlaube mir den Hinweis, dass damit Drucksache 17/10331 mit dem Titel „Rechtliche Rege- rund 94 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundesta- lung der Beschneidung minderjähriger Jungen“. Die ges anwesend waren und von ihrem Abstimmungsrecht (B) (D) Fraktion Die Linke hat beantragt, diesen Antrag zu über- Gebrauch gemacht haben. Es wird nicht viele Betriebe in weisen zur federführenden Beratung an den Rechtsaus- Deutschland geben, die bei kurzfristig angesetzten Son- schuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss, an derschichten, allein schon unter Berücksichtigung der den Ausschuss für Gesundheit sowie an den Ausschuss durchschnittlichen Krankheitsquote, eine ähnlich hohe für Kultur und Medien. Die antragstellenden Fraktionen oder höhere Beteiligung erreichen. verlangen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über den Überweisungsvorschlag (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der LIN- vor. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bitte deswegen diejenigen, die dem Überwei- sungsvorschlag der Fraktion Die Linke zustimmen wol- Mit Ja haben 473 Kolleginnen und Kollegen ge- len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt. Mit Nein haben 97 Mitglieder des Bundestages enthält sich? – Damit ist der Überweisungsvorschlag mit gestimmt. Es gab 13 Enthaltungen. Damit ist der Antrag großer Mehrheit bei unterschiedlichen einzelnen Voten angenommen. in den Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. 1) Anlagen 7 bis 12

Endgültiges Ergebnis Wolfgang Börnsen Abgegebene Stimmen: 583; Thomas Bareiß (Bönstrup) Marie-Luise Dött davon Norbert Barthle Dr. ja: 473 Günter Baumann Klaus Brähmig Ernst-Reinhard Beck Michael Brand Ingrid Fischbach nein: 97 (Reutlingen) Dr. Hartwig Fischer (Göttingen) enthalten: 13 (Börde) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Dr. Dr. Ja Dr. Klaus-Peter Flosbach CDU/CSU Dr. Hans-Peter Friedrich Cajus Caesar (Hof) Dr. Maria Böhmer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22837

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Erich G. Fritz Rüdiger Kruse Georg Schirmbeck (C) Dr. Michael Fuchs Christian Schmidt (Fürth) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Hermann Kues Petra Crone Ingo Gädechens Günter Lach Dr. Martin Dörmann Dr. Dr. Karl A. Lamers Nadine Schön (St. Wendel) Elvira Drobinski-Weiß (Heidelberg) Dr. Kristina Schröder Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Ingo Egloff Bernhard Schulte-Drüggelte Siegmund Ehrmann Ulrich Lange Dr. h. c. Josef Göppel Dr. Max Lehmer (Weil am Petra Ernstberger Peter Götz Dr. Rhein) Karin Evers-Meyer Dr. Wolfgang Götzer Elke Ferner Matthias Lietz Hermann Gröhe Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Sigmar Gabriel Michael Grosse-Brömer Bernd Siebert Markus Grübel Dr. Michael Luther Johannes Singhammer Manfred Grund Iris Gleicke Monika Grütters Dr. Thomas de Maizière Carola Stauche Günter Gloser Hans-Georg von der Marwitz Dr. Angelika Graf (Rosenheim) Dr. (Altötting) Christian Freiherr von Stetten Jürgen Hardt Dr. Gabriele Groneberg Gerda Hasselfeldt Dr. Angela Merkel Michael Groß Dr. Hans-Joachim Hacker Dr. h. c. Klaus Hagemann Dr. Michael Hartmann Ursula Heinen-Esser Philipp Mißfelder (Heilbronn) (Wackernheim) Lena Strothmann Hubertus Heil (Peine) Michael Stübgen Dr. Gerd Müller Dr. Rolf Hempelmann Jürgen Herrmann Stefan Müller (Erlangen) Dr. Barbara Hendricks Dr. Dr. Hans-Peter Uhl Ernst Hinsken (Bremen) (Kleinsaara) (Essen) Stefanie Vogelsang (B) Frank Hofmann (Volkach) (D) Franz Obermeier Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl Robert Hochbaum Dr. Franz-Josef Holzenkamp Dr. Michael Paul Johannes Kahrs Joachim Hörster Rita Pawelski (Hamburg) Anette Hübinger Ulrich Petzold Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Sabine Weiss (Wesel I) Hans-Ulrich Klose Dieter Jasper Sibylle Pfeiffer Dr. Bärbel Kofler Dr. Karl-Georg Wellmann Fritz Rudolf Körper (Konstanz) Peter Wichtel Dr. Egon Jüttner Christoph Poland Annette Widmann-Mauz Angelika Krüger-Leißner Bartholomäus Kalb Elisabeth Winkelmeier- Ute Kumpf Hans-Werner Kammer Becker Christine Lambrecht Steffen Kampeter Dagmar G. Wöhrl Christian Lange (Backnang) Dr. Dr. Dr. Bernhard Kaster Willi Zylajew Steffen-Claudio Lemme Siegfried Kauder (Villingen- (Potsdam) Schwenningen) SPD Gabriele Lösekrug-Möller Volker Kauder Ingrid Arndt-Brauer Kirsten Lühmann Dr. Stefan Kaufmann Caren Marks Dr. Heinz-Joachim Barchmann Johannes Röring Petra Merkel (Berlin) Dr. Norbert Röttgen Dr. Hans-Peter Bartels Ullrich Meßmer Volkm ar K le in Dr. Christian Ruck Sören Bartol Dr. Jürgen Klimke Erwin Rüddel Bärbel Bas Franz Müntefering (Weiden) Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dr. Rolf Mützenich Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Koschyk Dr. Lothar Binding (Heidelberg) Manfred Nink Thomas Kossendey Dr. Thomas Oppermann Karl Schiewerling Holger Ortel Norbert Schindler Aydan Özoğuz Dr. Günter Krings (Hildesheim) Heinz Paula 22838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Johannes Pflug Katja Dörner Dr. Peter Danckert (C) Joachim Poß Birgit Homburger Harald Ebner Wolfgang Gunkel Heiner Kamp Hans-Josef Fell Gabriele Hiller-Ohm Dr. Dr. Thomas Gambke Dr. Wilhelm Priesmeier René Röspel Dr. Heinrich L. Kolb Katrin Göring-Eckardt Gerold Reichenbach Karin Roth (Esslingen) Gudrun Kopp Britta Haßelmann Sönke Rix Michael Roth (Heringen) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Bettina Herlitzius Dr. Ernst Dieter Rossmann Annette Sawade Sebastian Körber Priska Hinz (Herborn) Marlene Rupprecht Anton Schaaf Patrick Kurth (Kyffhäuser) Dr. (Tuchenbach) Axel Schäfer (Bochum) Heinz Lanfermann Bärbel Höhn Werner Schieder (Weiden) Bernd Scheelen Ingrid Hönlinger (Spandau) Harald Leibrecht Katja Keul Rolf Schwanitz (Schwandorf) Sabine Leutheusser- Memet Kilic Waltraud Wolff (Aachen) Schnarrenberger Sven-Christian Kindler (Wolmirstedt) Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Martin Lindner (Berlin) Maria Klein-Schmeink Michael Link (Heilbronn) Tom Koenigs FDP Dr. Erwin Lotter Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Rita Schwarzelühr-Sutter Horst Meierhofer Nicole Bracht-Bendt Dr. Patrick Meinhardt Sylvia Canel Gabriele Molitor Renate Künast Joachim Günther (Plauen) Peer Steinbrück Jan Mücke Markus Kurth Heinz-Peter Haustein Dr. Frank-Walter Steinmeier Petra Müller (Aachen) Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Lutz Knopek Christoph Strässer Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Holger Krestel Dr. Nicole Maisch Lars Lindemann Dr. h. c. (Lausitz) Jerzy Montag Frank Schäffler Franz Thönnes Dr. Konstantin von Notz Hans-Joachim Otto DIE LINKE (Frankfurt) Jan van Aken Dr. Marlies Volkmer Lisa Paus Andrea Wicklein Gisela Piltz Brigitte Pothmer Dr. Heidemarie Wieczorek-Zeul Jörg von Polheim Tabea Rößner Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Birgit Reinemund Claudia Roth (Augsburg) Dr. Peter Röhlinger (B) Manuel Sarrazin (D) Björn Sänger Elisabeth Scharfenberg Manfred Zöllmer Christoph Schnurr Dr. Christine Buchholz Ulrich Schneider Eva Bulling-Schröter Dorothea Steiner Dr. FDP Dr. Erik Schweickert Dr. Harald Terpe Werner Simmling Sevim Dağdelen Christine Aschenberg- Jürgen Trittin Dr. Diether Dehm Dr. Dugnus Daniela Wagner Heidrun Dittrich Joachim Spatz (Münster) Wolfgang Wieland Werner Dreibus Dr. Florian Bernschneider Dr. Valerie Wilms Dr. Rainer Stinner Sebastian Blumenthal Josef Philip Winkler Wolfgang Gehrcke Claudia Bögel Klaus Breil Dr. Nein Rainer Brüderle Dr. Barbara Höll Serkan Tören CDU/CSU Johannes Vogel (Lüdenscheid) Veronika Bellmann Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Daniel Volk Reiner Deutschmann Dr. Thomas Dörflinger Bijan Djir-Sarai Harald Koch Dr. Claudia Winterstein Axel E. Fischer (Karlsruhe- Patrick Döring Dr. Land) Mechthild Dyckmans Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Hans-Werner Ehrenberg Katrin Kunert Manfred Kolbe Rainer Erdel BÜNDNIS 90/ Andreas G. Lämmel Jörg van Essen DIE GRÜNEN Ulrike Flach Dr. Carsten Linnemann Otto Fricke Kerstin Andreae Dr. Georg Nüßlein Dr. Edmund Peter Geisen Marieluise Beck (Bremen) Dr. Gesine Lötzsch Thomas Silberhorn Dr. Volker Beck (Köln) Arnold Vaatz Hans-Michael Goldmann Cornelia Behm Dorothée Menzner Klaus-Peter Willsch Heinz Golombeck Birgitt Bender Kornelia Möller Miriam Gruß Agnes Brugger SPD Dr. Christel Happach-Kasan Viola von Cramon-Taubadel Wolfgang Nešković Manuel Höferlin Ekin Deligöz Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22839

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Dr. Enthalten Uwe Kekeritz (C) Jens Petermann Ute Koczy SPD Richard Pitterle Johanna Voß Stephan Kühn Sahra Wagenknecht Bettina Hagedorn Monika Lazar Stefan Rebmann Beate Müller-Gemmeke Michael Schlecht Kathrin Senger-Schäfer Dr. Gerhard Schick Jörn Wunderlich FDP Dr. Dr. Wolfgang Strengmann- Sabine Zimmermann Helga Daub Kuhn Sabine Stüber Beate Walter-Rosenheimer BÜNDNIS 90/ Alexander Süßmair BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Arfst Wagner (Schleswig) Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Hans-Christian Ströbele Thilo Hoppe

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 11. September 2012, 10 Uhr, ein. Ich halte aber meine Empfehlungen für eine möglichst flexible Urlaubspla- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- nung ausdrücklich aufrecht. ordnung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie etwas daraus. Alles Gute! Bis dann. Wie weit dürfen wir schwimmen?) Die Sitzung ist geschlossen. – Frau Kollegin Künast, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf spätestens Dienstag, den (Schluss: 17.52 Uhr)

Berichtigung 188. Sitzung, Seite 22745 A, das endgültige Ergebnis (B) der namentlichen Abstimmung zum ESM-Finanzierungs- (D) gesetz ist wie folgt zu lesen: Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 495 nein: 101 enthalten: 5 Seite 22746 D, vierte Spalte, nach dem Namen „Tabea Rößner“ ist der Name „Claudia Roth (Augsburg)“ einzu- fügen.

Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22841

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bär, Dorothee CDU/CSU 19.07.2012 Schmidt (Eisleben), SPD 19.07.2012 Silvia Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 19.07.2012 Schreiner, Ottmar SPD 19.07.2012 Brackmann, Norbert CDU/CSU 19.07.2012 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 19.07.2012 Brandner, Klaus SPD 19.07.2012 Sharma, Raju DIE LINKE 19.07.2012 Bülow, Marco SPD 19.07.2012 Staffeldt, Torsten FDP 19.07.2012 Dörmann, Martin SPD 19.07.2012 Tillmann, Antje CDU/CSU 19.07.2012 Dr. Enkelmann, Dagmar DIE LINKE 19.07.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.07.2012 Dr. Franke, Edgar SPD 19.07.2012 Veit, Rüdiger SPD 19.07.2012 Golze, Diana DIE LINKE 19.07.2012 Zöller, Wolfgang CDU/CSU 19.07.2012 Groth, Annette DIE LINKE 19.07.2012

Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 19.07.2012 Anlage 2 (B) Höger, Inge DIE LINKE 19.07.2012 Erklärung nach § 31 GO (D)

Humme, Christel SPD 19.07.2012 der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Viola von Cramon- Dr. h. c. Kastner, SPD 19.07.2012 Taubadel, Harald Ebner, Katrin Göring-Eckardt, Susanne Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Konstantin von Notz, Dr. Harald Terpe und Daniela Wagner Kolbe, Daniela SPD 19.07.2012 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf Lay, Caren DIE LINKE 19.07.2012 eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Leidig, Sabine DIE LINKE 19.07.2012 Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- Lötzer, Ulla DIE LINKE 19.07.2012 rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 19.07.2012 eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- DIE GRÜNEN bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus Dr. Ott, Hermann E. BÜNDNIS 90/ 19.07.2012 DIE GRÜNEN – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung Dr. Ratjen-Damerau, FDP 19.07.2012 am Europäischen Stabilitätsmechanismus Christiane (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)

Dr. Reimann, Carola SPD 19.07.2012 – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäi- Dr. Ruppert, Stefan FDP 19.07.2012 schen Rates vom 25. März 2011 zur Ände- rung des Artikels 136 des Vertrags über die Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 19.07.2012 Arbeitsweise der Europäischen Union hin- DIE GRÜNEN sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist Schäfer (Köln), Paul DIE LINKE 19.07.2012 (188. Sitzung, Tagesordnungspunkt 50 a bis e) 22842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) In einer schwierigen Krisensituation hat der Deutsche chen der Euro-Zone und damit einen großen Rückschritt (C) Bundestag heute mit der Entscheidung für den ESM in der europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabi- nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, sondern für lisierung der Europäischen Union, des Euro und der eu- Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels vom ropäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig 28. Juni 2012 gehen in die richtige Richtung, um den getroffenen Vereinbarungen zur Einführung einer Fi- Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den nanztransaktionsteuer, die Zusagen für mehr nachhaltige Teufelskreis aus Banken- und Staatsschuldenkrise zu Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie durchbrechen. Wichtige Schritte zur Bereitstellung von die stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträ- notwendigen Investitionsmitteln wurden vereinbart. gen an den ESM sind wichtige und notwendige Schritte zur Stabilisierung der EU und zur Stärkung der Demo- Zusätzlich fordern wir weitere Schritte zur Lösung kratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnahmen- der Euro-Krise. Ein konkreter und realistisch umsetzba- paket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke rer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend grüne Handschrift trägt. für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverständi- Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre genrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro- hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt. Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende Schuldenabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd, mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen wenn die Kanzlerin sich einer inhaltlichen Debatte um waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland, konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie- in diesem Punkt umdenken müssen. Mit ihrer Weigerung gen, und die soziale Schieflage hat sich weiter ver- einer realistischen Altschuldenregelung gefährdet sie die schärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht. positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt. Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo- und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden. balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisen- Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt- bewältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen Das Europäische Parlament muss in seiner Entschei- Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen. dungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone (B) also eine europäische Regierung, etabliert werden. Dies (D) sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu- erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf sammenschlüsse von Staaten. Europa muss beweisen, Europa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlosse- Schuldenabbaupfad, Stärkung von Investitionen und de- nem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in mokratischer Entwicklung Europas wird die Krise über- Verbindung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen wunden werden können. für ein solches entschlossenes Handeln. Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak- Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind das von tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fis- Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö- kalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung sung. Deswegen stimmen wir heute für den Fiskalpakt eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen- und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver- hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und zur Ver- Europa entschieden. Nun gilt es, dafür einzustehen. ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig; denn nur ausreichend finanzierte Anlage 3 Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. Erklärung nach § 31 GO In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, der Abgeordneten Dr. Birgit Reinemund (FDP) dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen zur namentlichen Abstimmung über den Ent- können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Län- schließungsantrag: Verfassungsmäßigkeit der der und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich be- bestehenden Ungleichbehandlung eingetrage- grenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben. ner Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver- (187. Sitzung, Tagesordnungspunkt 11 a) pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In- Die FDP hat in der Koalition mit der Union zahlrei- vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik che Schritte zur Gleichstellung eingetragener Le- und dem ESM stärken die wirtschaftliche Leistungs- benspartner durchgesetzt, so die volle Gleichstellung im fähigkeit der EU und sind so in unserem eigenen Inte- Beamten-, Richter- und Soldatenrecht, bei der Erbschaft- resse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinanderbre- steuer und Grunderwerbsteuer sowie beim BAföG. Auf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22843

(A) Initiative des Bundeswirtschaftsministers ist im aktuel- was sich im andauernden Defizitverfahren bezüglich des (C) len Entwurf des Jahressteuergesetzes die Gleichstellung Stabilitäts- und Wachstumspakts, der Arbeitslosenquote bei den vermögensbildenden Leistungen vorgesehen. usw. zeigt. Die Schieflage der Bankenbilanzen ist dem- Die Bundesjustizministerien bereitet zudem ein Rechts- zufolge ein Spiegelbild der gesamtwirtschaftlichen bereinigungsgesetz für das Recht eingetragener Le- Lage. Es wäre deshalb erforderlich, wenn Spanien einen benspartnerschaften vor, mit dem die Gleichstellung in Antrag auf Rettungshilfen nicht nur für seine Banken einer Reihe von weiteren Rechtsbereichen umgesetzt stellen würde, auch wenn dadurch offensichtlich würde, werden soll. dass die bisher aufgespannten Rettungsschirme maßlos überfordert würden. Außerdem wären dann natürlich die Anders als im Koalitionsvertrag angelegt, ist die Konditionalitäten sehr viel strenger. Diese werden durch steuerliche Gleichstellung der Lebenspartner mit der Ehe den Einstieg in eine direkte Bankenrekapitalisierung immer noch nicht umgesetzt. Insbesondere im Einkom- – und als solche sehe ich den vorliegenden Antrag – um- mensteuerrecht gibt es aus unserer Sicht ein verfassungs- gangen bzw. gebrochen. gemäßes Gebot, angesichts der gleichen Unterhalts- und Einstandspflichten wie bei Ehegatten die Lebenspartner Insofern sehe ich einen starken Vertrauensverlust auch in der Einkommensteuer wie Ehegatten zu behan- auch zu den Beschlüssen der jüngsten Gipfelbeschlüsse deln. vom 28./29. Juni 2012. Dort wurde festgelegt, dass eine direkte Bankenrekapitalisierung erst ermöglicht werden Als Abgeordnete der FDP-Bundestagsfraktion teilen kann, wenn eine gemeinsame europäische Bankenauf- wir das Ziel der völligen Gleichstellung eingetragener sicht besteht. Die Verhandlungen dazu sollen aber erst Lebenspartnerschaften mit der Ehe, insgesamt können im Herbst aufgenommen werden. wir aber wegen des bestehenden Koalitionsvertrages mit CDU und CSU dem vorliegenden Entschließungsantrag Ferner sehe ich eine Ungleichbehandlung von „Pro- nicht zustimmen. grammländern“. In den Gipfelbeschlüssen vom 29. Juni 2012 wird auf Gleichbehandlung ausdrücklich hingewie- Wir fordern aber den Bundesminister der Finanzen sen. Folgerichtig hat Irland bereits Anfragen gestartet, auf, als weiteren Schritt zur Gleichstellung unverzüglich sein allgemeines Restrukturierungsprogramm zu den Be- einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Ungleich- dingungen eines sektoralen Bankenprogramms verglei- behandlung bei Einkommensteuer, Wohnungsbauprä- che Spanien umzuwandeln, zumindest aber bereits ge- mie und Riester-Rente aufgehoben wird. troffene Vereinbarungen zurückzunehmen. Sehr skeptisch stehe ich der vorgesehenen Eigentümer- Anlage 4 respektive Gläubigerbeteiligung bei der Rekapitalisie- (B) rung spanischer Banken gegenüber. Anders als in (D) Erklärungen nach § 31 GO Deutschland tragen spanische Banken nicht ausreichend zur Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfe zur Bewältigung der Finanzkrise in Spanien bei; zumin- zugunsten Spaniens; Einholung eines zustim- dest sind bestehende Regelungen äußerst intransparent. menden Beschlusses des Deutschen Bundestages Aber nicht nur in dieser Hinsicht sind die Formulierun- nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 1 gen des Memorandum of Understanding, MoU, äußerst und 4 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes dehnbar. So können die Finanzhilfen auch an bereits ver- (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäi- staatlichte Banken ausgereicht und zum Ankauf von schen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten Staatsanleihen auf dem Primär- und Sekundärmarkt ver- Spaniens (Tagesordnungspunkt 1 b) wendet werden. Nach Ziffer 14 Abs. 6 Buchstabe h ist ein autonomes Vertragsveränderungsverfahren erlaubt. Demnach können die Vertragsparteien die Finanzverein- Veronika Bellmann (CDU/CSU): Dem Antrag der barung selbstständig ändern und dadurch unter Umstän- Bundesregierung auf Finanzhilfen zugunsten Spaniens den die Haftung Spaniens aushebeln. Damit ist die Fi- kann ich nicht zustimmen. nanzvereinbarung ein wesentlicher Schritt hin zu einer Die Verletzung des Bail-out-Gebotes setzt sich auch Vergemeinschaftung der Bankschulden, die neben die in diesem Antrag fort. Es gibt keinen Grund, allgemein- fortschreitende Vergemeinschaftung der Staatsschulden europäische Steuergelder in spanische Kleinbanken, also tritt. nicht systemrelevante Banken zu geben. Insofern ist dies Außerdem halte ich es für kritisch, zum jetzigen Zeit- ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StabMechG. Dort heißt es: punkt einen Vorratsbeschluss über bis zu 100 Milliarden „Notmaßnahmen im Sinne von Abs. 1 können auf An- Euro zu fassen, wo einerseits der konkrete Bedarf des trag eines Mitgliedstaates des Euro-Währungsgebietes spanischen Bankensektors erst im September/Oktober zum Erhalt seiner Zahlungsfähigkeit ergriffen werden, 2012 konkretisiert werden soll. Andererseits ist im Hin- wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro- blick auf die geplante Überführung der spanischen Ban- Währungsgebietes insgesamt zu wahren.“ Hilfen für kensektorhilfe von EFSF in den ESM meines Erachtens nicht systemrelevante Banken sind demnach unzulässig. auch der Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts Falls also einzelne spanische Banken Insolvenz an- am 12. September 2012 abzuwarten. melden müssten, ist dadurch nicht der Euro als Gemein- schaftswährung gefährdet. Spanien hat auch nicht nur Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich stimme ein Bankenproblem, sondern ein strukturelles Problem, heute mit Nein gegen die Finanzhilfen für die spanischen 22844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) und europäischen Banken, weil nicht diejenigen belohnt Spanien gegen das Verarmungsprogramm der spani- (C) werden dürfen, die die Krise selbst mit zu verantworten schen Regierung und der Troika. Die Solidarität im Wi- haben. Jahrelang haben die spanischen Banken Millio- derstand ist es, die das Spardiktat der herrschenden Klasse nenprofite mit der Immobilienspekulation erzielt. Nun brechen kann. machen die europäischen Regierungen die privaten Schulden der Banken zu Staatsschulden. Sie wollen, Que la crisis la paguen los capitalistas! dass die Arbeiterinnen und Arbeiter das Geld bezahlen, was die Banken im Kasino verzockt haben. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ich habe heute ge- gen den Antrag der Bundesregierung über die „Finanz- Es ist unerträglich, dass die Allgemeinheit für Speku- hilfen zugunsten Spaniens“ gestimmt, weil durch diese lationsverluste zur Kasse gebeten wird, während die „Hilfen“ die Profite der spanischen Banken auf Kosten Banken so weiter wirtschaften können wie bisher. Was der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen wir brauchen, ist die Entmachtung der Banken und der und Rentner und sozial Ausgegrenzten gesichert werden Finanzmärkte. Bevor man daran denken kann, Banken sollen. mit Steuergeldern zu sanieren, müssen diese vergesell- schaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt wer- Mit diesem neuen „Rettungspaket“ für den spani- den. schen Bankensektor ist der von den Herrschenden gepre- digte Mythos von der sogenannten „Staatsschulden- Kein einziger Cent der bereitgestellten 100 Milliarden krise“ in Europa entlarvt: Nicht die Schulden der EU- Euro wird der spanischen Bevölkerung zugutekommen. Staaten sind die Ursache der Krise, sondern der von den Weil sie die Kredite an die Banken nicht mehr zahlen entfesselten Finanzmärkten getriebene Kapitalismus. konnten, mussten 400 000 Familien in den letzten Jahren Bevor die Wirtschafts- und Finanzkrise ausgebrochen aus ihren Wohnungen ausziehen. Die Banken werden ge- ist, lag die Staatsverschuldung Spaniens 2007 bei rettet, diese Familien nicht. Im Rettungspaket für die 36,3 Prozent. Auch heute ist sie niedriger als die der Banken ist stattdessen ein Angriff auf soziale Errungen- Bundesrepublik. Die Finanzklemme, in der heute schaften der spanischen Arbeiterbewegung enthalten. Es Spanien steckt, wird durch die undemokratischen Rating- werden Arbeitsmarkt- und Steuerreformen, Privatisie- agenturen immer enger gezogen und geht auf die Speku- rungen, Liberalisierungen und höhere Strompreise gefor- lationen der privaten Banken zurück, die sich mit dert. Die spanische Regierung hat vier Kürzungspakete gewinnbringenden Immobilienkrediten verzockt haben. innerhalb von sechs Monaten verabschiedet. Sie hat Mil- Diesen privaten Banken und nicht dem spanischen Staat liarden in Bildung und Gesundheitswesen gekürzt, Leh- oder der spanischen Bevölkerung soll jetzt „geholfen“ rerinnen und Lehrer entlassen, Studiengebühren um werden. (B) 66 Prozent erhöht. Nun will sie unter anderem Eisen- (D) bahn, Flughäfen und Häfen privatisieren und die Mehr- Dabei werden die Kosten erneut durch die Steuerzah- wertsteuer drastisch erhöhen. ler getragen. Mit dem von der Euro-Gruppe gebilligten sogenannten Memorandum of Understanding wird die Die letzte Arbeitsmarktreform machte Entlassungen spanische Politik gezwungen, die massiven Sparpro- billiger und führte die Rente mit 67 ein. Die Beschäftig- gramme zu intensivieren und immer größere Teile des ten müssen die Folgen ertragen. Ein Drittel der Erwach- Sozialstaats für den neoliberalen Umbau der Gesell- senen und die Hälfte der Jugendlichen sind arbeitslos. schaft zu zerstören. Schon heute sind über 24 Prozent 11 von 45 Millionen Einwohnern sind arm. Wie in Grie- der spanischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer chenland bringen sich immer mehr Menschen aufgrund arbeitslos. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt zwischenzeit- von finanziellen Problemen selbst um. lich bei über 50 Prozent. Die Ausgrenzung von Migran- 2011 haben Aktivistinnen und Aktivisten der Indi- tinnen und Migranten aus dem spanischen Arbeitsmarkt gnados-Bewegung nach ägyptischem Vorbild Plätze in führt zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Situation. 70 Städten besetzt. Der Widerstand gegen die Kürzun- Wenn dann als Alternative für die spanischen Jugend- gen wächst. Beim zweiten Generalstreik streikten im lichen die deutsche Politik eine Anwerbeoffensive für März mehr als 10 Millionen Beschäftigte. Am 22. Mai Ausbildungsplätze in Deutschland propagiert, ist dies gab es den ersten Generalstreik der Geschichte im ge- mehr als zynisch. samten Bildungswesen, von den Kindergärten bis zu den Unis. Derzeit befinden sich die Bergarbeiter im unbefris- Diese verfehlte und versagende Wirtschafts- und teten Generalstreik, denn die Regierung will die zuge- Finanzpolitik in Europa muss endlich beendet werden, sagten Kohlesubventionen streichen und Tausende ent- da sie zu Sozialabbau, Ausgrenzung und Zerstörung lassen. ganzer Regionen und Branchen führt. Dieser neoliberale Umbau des gesamten gesellschaftlichen Systems in Eu- Auch die Beschäftigten in Deutschland zahlen für die ropa ist nicht hinnehmbar. Stattdessen brauchen wir Finanzhilfen für die spanischen Banken. Es sind ihre dringender denn je einen Neustart der Europäischen Steuergelder, die in die Bankenrettung fließen. Ich Union: demokratisch, sozial, friedlich und ökologisch. stimme mit Nein, weil ich dagegen bin, dass die Be- Ein Neustart, in dem die Banken vergesellschaftet wer- schäftigten von den Herrschenden in Europa gegenein- den und dem Wohl der Menschen dienen. ander ausgespielt werden. In diesem Sinne und mit meinem heutigen Nein zum Mein Nein im Bundestag ist ein Ja zum Widerstand. 100-Milliarden-Paket für den spanischen Bankensektor Ich unterstütze den Widerstand der Gewerkschaften in bin ich solidarisch mit dem Widerstand der spanischen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22845

(A) Bevölkerung gegen den erzwungenen Sozialabbau und ganz offensichtlich nicht oder nicht ausschließlich zur (C) den Angriff auf die spanische Demokratie. Rekapitalisierung von systemrelevanten spanischen Ban- ken bestimmt ist und dass die Bundesregierung bisher Dr. Peter Danckert (SPD): Zu meinem Abstim- keine substanziellen Fortschritte bei der Regulierung des mungsverhalten am heutigen Tage erkläre ich Folgen- europäischen Banken- und Finanzmarktes erreicht hat des: noch solche Regulierungen künftig beabsichtigt. Die im Antrag aufgezeigte Bankenhilfe für Spanien ist ebenfalls Ich bin davon überzeugt, dass wir unseren europäi- nicht an entsprechende Bedingungen geknüpft worden. schen Nachbarn in Not helfen müssen; jedoch sollten wir sorgfältig unterscheiden, wem wir helfen. Keine direkte Wenn wir heute dem vorliegenden Antrag zustimmen, Hilfe für Banken war immer unser Credo und sollte dies schaffen wir mit Spanien einen Präzedenzfall inmitten auch bleiben. Zwar sind nach derzeitiger Rechtslage dieser Staatsschuldenkrise, der logischerweise zur Folge – ESM, ESM-Finanzierungsgesetz – keine direkten Hil- haben wird, dass Länder wie Irland ebenfalls eine Lo- fen an Banken möglich, jedoch ist dies bereits konkret ckerung ihrer Bedingungen fordern werden. Italien – als geplant und Bestandteil des heute abzustimmenden Me- drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone – liebäugelt morandum of Understanding sowie des Finanzhilfeab- bereits mit der Möglichkeit, seine Staatsanleihen von der kommens zwischen dem Königreich Spanien und der EFSF auf dem Sekundärmarkt in einer Nacht-und-Ne- EFSF. Dies würde zweifelsohne in einem Fass ohne Bo- bel-Aktion aufkaufen zu lassen, um die gefährlich hohen den enden. spreads zu senken. Mit welcher glaubhaften Begründung werden wir Italien nach einer Zusage an Spanien ähnli- Die Kommission arbeitet gemeinsam mit der EZB che Ersuchen verweigern können? Mit der Unterstüt- und der European Banking Authority – EBA – an der Er- zung von Spaniens Banken, die keineswegs alle system- richtung einer Europäischen Bankenaufsicht, die laut der relevant sind, begeben wir uns in einen Teufelskreis und Schlussfolgerung der Staats- und Regierungschefs vom eine Abhängigkeit der Finanzmärkte, aus der wir nicht 29. Juni 2012 die Voraussetzung für eine direkte Rekapi- mehr herauskommen. talisierung von Banken darstellt. Auch wenn Regie- rungsvertreter gerne den Eindruck erwecken wollen, Deshalb werde ich bei der heutigen Abstimmung da- dies läge noch in ferner Zukunft, so ist in Brüsseler Krei- gegen stimmen. sen vielmehr davon die Rede, dass diese Bankenaufsicht bereits Ende des Jahres arbeitsfähig sein wird. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Nach wie vor bin ich fest davon überzeugt, dass uns der beschrittene Das bedeutet für uns Abgeordnete, dass wir heute ein- Weg zur Euro-Rettung immer tiefer in die kollektive mal mehr über etwas abstimmen sollen, was in absehba- Schieflage führt. Wir befördern derzeit den Dominoeffekt, (B) rer Zukunft überholt sein wird. Es bedeutet darüber hi- (D) den wir eigentlich verhindern wollten – vergleiche meine naus ein Abrücken von sämtlichen politischen Zusagen, Protokollerklärung vom 29. Juni 2012. Trotzdem bin ich die wir bisher getroffen haben. dazu bereit, in jedem einzelnen Fall abzuwägen. So auch Bei den Hilfen für Spanien handelt es sich nicht um im Fall Spanien. Aber hier sehe ich die Voraussetzungen ein klassisches Hilfsprogramm wie bei Portugal oder Ir- für eine Zustimmung aus folgenden Gründen nicht gege- land, sondern um ein sektorbezogenes Programm für die ben: Finanzinstitute. Dies ist zwar ausdrücklich in den Leitli- Erstens. Das zur Verabschiedung stehende Rettungs- nien der EFSF vorgesehen, nicht aber die Möglichkeit, paket für Spanien unterliegt einem schweren Konstruk- die Kredite über Umwege und Tricksereien direkt an die tionsfehler: Mit ihm soll eine sektorale Bankenhilfe Banken fließen zu lassen. Vertragspartner muss immer geleistet werden, ohne dass der spanische Staat dafür der antragstellende Staat, also Spanien, bleiben. Auflagen zu erfüllen hat. Und das, obwohl Bankbilanzen Die konkreten Ergebnisse der Stresstests liegen zum grundsätzlich immer auch die gesamtwirtschaftliche jetzigen Zeitpunkt nicht einmal vor. Mit diesen wird erst Lage eines Landes widerspiegeln. Damit wird ein Prin- Ende September zu rechnen sein. Die Schätzungen der zip ausgehebelt, das bislang noch ein gewisses Maß an Kapitaldefizite bei den betroffenen spanischen Banken Sicherheit in der Krisenbewältigung versprach: das Prin- variieren zwischen 14 und 60 Milliarden Euro. Laut zip Hilfen nur für Gegenleistungen. Mit anderen Worten: Nachbericht zum Ecofin-Treffen am 10. Juli ist diese Wir geben das bisherige Gebot auf, Euro-Ländern nur zu „Unsicherheit“ der Grund dafür, dass man eine Sicher- strikten Konditionen Unterstützung zu gewähren. Die heitsmarge von 38 Milliarden Euro veranschlagt und so- vereinbarten Auflagen beziehen sich nämlich aus- mit auf die zu genehmigenden 100 Milliarden kommt. schließlich auf den Bankensektor. Ich befürchte, dass da- Ob es am Ende des Tages bei den 100 Milliarden bleibt, mit ein Präzedenzfall geschaffen wird, der einen Para- ist in Anbetracht der Erfahrungen mit Griechenland digmenwechsel einleitet. ebenso fragwürdig. Es handelt sich also um eine Art Blankocheck. Zweitens. Auch das Versprechen, Spanien werde für die gewährten Finanzhilfen haften, ist unrealistisch. Da- Darüber hinaus kritisiere ich am vorliegenden Antrag, für spricht einerseits, dass die Finanzhilfen auch an be- dass eine Ermächtigung zu einem Darlehn in einer unbe- reits verstaatlichte spanische Banken ausgereicht werden stimmten Gesamthöhe von „bis zu“ 100 Milliarden Euro sollen. Bei einer Insolvenz dieser Banken wäre Spanien erteilt werden soll, ohne dass der konkrete Finanzbedarf demzufolge in der Zwangslage, Finanzhilfen für das ermittelt und dargestellt worden ist, dass die Bankenhilfe ganze Land beantragen zu müssen. 22846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Andererseits sieht das Abkommen mit Spanien vor, noch ist mit der vorgelegten Vereinbarung erstmalig (C) die Finanzhilfe auf den Europäischen Stabilitätsmecha- nicht allein der spanische Staat Vertragspartner des nismus – ESM – zu übertragen und dann eine unmittel- EFSF. Der spanische Bankenrestrukturierungsfonds bare Rekapitalisierung von Finanzinstitutionen zu FROB wird neben dem spanischen Staat Vertragspartner ermöglichen, sobald „ein einheitlicher Aufsichtsmecha- und übernimmt ausweislich der Nr. 13 der Vereinbarung nismus für die Banken im Eurogebiet geschaffen worden gegenüber dem EFSF die letztendliche Haftung. Der ist“ – Erwägungsgrund Nr. 5 der Präambel. Dies ist mei- FROB ist deshalb viel mehr als nur ein Bevollmächtigter ner Meinung nach ein Versuch, den zweiten vor dem ers- – Agent – des spanischen Staates. Er ist vollwertiger ten Schritt zu machen. Er widerspricht elementar den Vertragspartner des EFSF und tritt in letzter Konsequenz ökonomischen Anreizen. Das Finanzhilfeabkommen bei der Haftung anstelle des spanischen Staates. enthält sogar ein autonomes Vertragsänderungsverfah- ren, das den Vertragsparteien die Kompetenz überträgt, Die Hilfen werden dem spanischen Staat ohne weitere die Finanzhilfevereinbarung eigenständig zu ändern – auf den Staat bezogene Konditionen gewährt. Der Ab- Ziffer 14 Abs. 6 Buchstabe h. Anders ausgedrückt: Die schluss eines Vollprogramms ist gerade nicht Vorausset- Haftung Spaniens kann durch die Vertragsparteien selbst zung für den Erhalt der – indirekten – Bankenhilfe durch ausgehebelt werden, sobald die Beschlüsse der EU- den EFSF. Der Verweis auf die Einhaltung der für Spa- Staats- und Regierungschefs vom 28./29. Juni 2012 um- nien geltenden Empfehlungen des Rates zum nationalen gesetzt sind. Damit wäre der Grundstein für eine künf- Reformprogramm – Ratsdrucksache 11273/12 – ist in tige Vergemeinschaftung von Bankenschulden gelegt. meinen Augen als Ersatz für konkrete Konditionen nicht Richtig wäre es jetzt, im Euro-Raum eine Insolvenzord- geeignet. Abzüglich der Erwägungsgründe werden hier nung für Banken zu etablieren, um die Restrukturierung lediglich acht allgemeine Empfehlungen benannt, die ei- oder geordnete Abwicklung von Banken in einem vor- nen Textumfang von zwei Seiten nicht überschreiten. hersehbaren und transparenten Verfahren zu ermögli- Das halte ich im Blick auf Darlehen in der beabsichtig- chen. ten Gesamthöhe von 100 Milliarden Euro für unzurei- chend. Vor diesem Hintergrund kann ich dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. Darüber hinaus kritisiere ich am vorliegenden Antrag, dass eine Ermächtigung zu einem Darlehen in einer unbe- Rolf Schwanitz (SPD): Die Abstimmungen des stimmten Gesamthöhe von – siehe Drucksache 17/10320, Deutschen Bundestages zum Fiskalpakt und zum ESM Seite 1 – „bis zu“ 100 Milliarden Euro erteilt werden am 29. Juni 2012 waren überschattet vom Ergebnis des soll, ohne dass der konkrete Finanzbedarf ermittelt und dargestellt worden ist, dass die Bankenhilfe ganz offen- (B) Gipfeltreffens der Euro-Länder vom gleichen Tage. In (D) der Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Währungs- sichtlich nicht oder nicht ausschließlich zur Rekapitali- gebiets vom 29. Juni 2012 wurden weitreichende Locke- sierung von systemrelevanten spanischen Banken be- rungen für das gegenwärtige und künftige Euro-Ret- stimmt ist und dass die Bundesregierung bisher keine tungsgeschehen beschlossen. Dazu gehörten vor allem substanziellen Fortschritte bei der Regulierung des euro- die Schaffung einer direkten, nicht über ein einzelnes päischen Banken- und Finanzmarktes erreicht hat noch Mitgliedsland laufenden Rekapitalisierungsmöglichkeit solche Regulierungen künftig beabsichtigt. Die im An- für Banken durch den ESM sowie neue, unkonditionier- trag aufgezeigte Bankenhilfe für Spanien ist ebenfalls tere Hilfen aus dem EFSF/ESM, bei denen nicht mehr nicht an entsprechende Bedingungen geknüpft worden. auf der Grundlage von Troika-Berichten im Detail kon- ditionierte Vollprogramme abgeschlossen werden, son- Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Im Grundsatz bin dern lediglich die Einhaltung der Vorgaben des Europäi- ich bereit, Finanzhilfe für Spanien mitzutragen, wenn schen Semesters, des Stabilitäts- und Wachstumspaktes dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro- sowie der länderspezifischen Empfehlungen zur Bedin- Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die nun vorge- gung gemacht wird. Da dies von der aktuellen Fassung sehene Finanzhilfe zugunsten Spaniens erfüllt jedoch des ESM nicht gedeckt ist, erklärte die Bundesregierung nicht die Voraussetzungen hierfür. am 29. Juni 2012, hinsichtlich des Instruments einer di- rekten Bankenhilfe zu einem späteren Zeitpunkt eine er- Das Gebot strikter Konditionalität wird durch- neute Gesetzesänderung durch das Parlament erwirken brochen, indem die Finanzhilfe an Spanien gewährt zu wollen. wird, ohne dass im Gegenzug angemessene Auflagen für Ich habe den von der Bundesregierung eingebrachten das Land selbst vereinbart wurden. Die sektorale Finanz- Antrag zur Finanzhilfe zugunsten Spaniens heute abge- hilfe für Banken kann nicht darüber hinwegtäuschen, lehnt, weil mit diesem Antrag in meinen Augen die mit dass die Bankbilanzen ein Spiegelbild der gesamtwirt- der Gipfelerklärung vom 29. Juni 2012 beschlossenen schaftlichen Lage des Landes sind. Im Übrigen ermög- Lockerungen ohne weitere parlamentarische Diskussion licht es die Vereinbarung mit Spanien grundsätzlich, die bereits innerhalb des Rechtsrahmens des EFSF weitge- Finanzhilfe auch für den Ankauf von spanischen Staats- hend vollzogen werden. Das mache ich an folgenden Be- anleihen auf dem Primär- oder Sekundärmarkt einzuset- wertungen fest: zen (Ziffer 2 Abs. 2 Buchstabe h und i). Es wäre daher ein nationales Reformprogramm für Spanien erforder- Zwar wird mit dem vorliegenden Antrag noch keine lich, das selbstverständlich die bereits durchgeführten direkte Bankenhilfe durch den EFSF ermöglicht. Den- substanziellen Reformschritte berücksichtigen könnte. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22847

(A) Die Haftung Spaniens für die gewährte Finanzhilfe grenzte Rückkehr zu einer eigenen Währung in Kauf zu (C) wird sich nicht wie vereinbart durchsetzen lassen. Zum nehmen wäre. Für diesen Fall müssten international ak- einen sollen Darlehen auch an bereits verstaatlichte spa- zeptierte Regelungen geschaffen werden. Die Auswir- nische Banken ausgereicht werden, bei deren Insolvenz kungen auf den Finanzsektor müssten in ähnlicher Weise Spanien gehalten wäre, Finanzhilfe für das ganze Land wie nach der Finanzkrise 2007 eingegrenzt werden. zu beantragen. Zum anderen sieht die Vereinbarung mit Spanien bereits vor, die Finanzhilfe auf den Europäi- Ich halte die zwar erheblichen, aber eher kurz- und schen Stabilitätsmechanismus zu übertragen und dann mittelfristigen Risiken dieser Alternative für weniger eine unmittelbare Rekapitalisierung von Finanzinstitu- schwerwiegend als die langfristigen Gefahren für die tionen zu ermöglichen (Erwägungsgrund Nr. 5 der Prä- Stabilität unserer Währung und die politische Stabilität ambel). Hierzu enthält die Finanzhilfevereinbarung so- Europas, die mit der Errichtung einer europäischen gar ein autonomes Vertragsänderungsverfahren, das den Transferunion verbunden wären. Vertragsparteien die Kompetenz überträgt, die Finanz- hilfevereinbarung eigenständig zu ändern (Ziffer 14 Abs. 6 Buchstabe h). Auf diesem Wege kann die Haf- Anlage 5 tung Spaniens durch die Vertragsparteien selbst ausgehe- Erklärung nach § 31 GO belt werden, sobald die Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschefs vom 28./29. Juni 2012 umgesetzt sind. der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Thilo Die Finanzhilfevereinbarung mit Spanien legt damit eine Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Stephan Grundlage für die künftige Vergemeinschaftung von Kühn, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke, Bankenschulden. Stattdessen wäre es geboten, im Euro- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Arfst Wagner Währungsgebiet eine Insolvenzordnung für Banken zu und Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ etablieren, um die Restrukturierung oder geordnete Ab- DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den wicklung von Banken in einem vorhersehbaren und Antrag: Finanzhilfe zugunsten Spaniens; Ein- transparenten Verfahren zu ermöglichen. holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Aus diesen Gründen sehe ich mich nicht in der Lage, § 3 Absatz 2 Nummer 1 und 4 des Stabilisie- dieser Finanzhilfevereinbarung zuzustimmen. rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabi- Arnold Vaatz (CDU/CSU): Ich lehne den Antrag ge- lisierungsfazilität zugunsten Spaniens (Tages- mäß § 3 StabMechG auf Zustimmung des Bundestages ordnungspunkt 1 b) (B) zum Abschluss einer Vereinbarung für Hilfen zugunsten (D) Spaniens mit dem Zweck einer Stabilisierung des dorti- Spanien hatte am Ausgangspunkt der Krise 2007 eine gen Finanzsektors ab. überaus geringe Staatsverschuldung von 42 Prozent des BIP. Erst aufgrund der notwendig gewordenen Rettungs- Der vorliegende Antrag wird zwar unter den Regula- aktionen für den spanischen Finanzsektor stieg die offi- rien der zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabili- zielle Staatsschuldenquote auf über 80 Prozent an, liegt sierungsfazilität, EFSF, gestellt, deren Errichtung ich zu- damit aber immer noch unter der deutschen Schulden- gestimmt habe. Der heutige Antrag umfasst aber auch quote. Trotzdem hat Spanien ein akutes Refinanzie- die spätere Übertragung der Hilfen zugunsten Spaniens rungsproblem und muss vor weiteren Zinssteigerungen auf den Europäischen Stabilisierungsmechanismus, geschützt werden. Das zeigt, dass die von den Regie- ESM. Der Errichtung des ESM habe ich meine Zustim- rungsparteien geprägte Interpretation dieser Krise als mung verweigert, da ich den damit verbundenen Ein- reine Staatsschuldenkrise sachlich falsch ist. Entspre- stieg in eine dauerhafte Stützung nicht wettbewerbsfähi- chend ist auch die Politik, die daraus folgte und einseitig ger Volkswirtschaften in der Euro-Zone ablehne. Ich die staatliche Ausgabenpolitik zu korrigieren versuchte, halte es für ausgeschlossen, auf diesem Weg die notwen- kein geeigneter Ansatz zur Lösung dieser Krise. Im Ge- digen strukturellen Veränderungen durchzusetzen, die genteil: Der spanische Staat wird so derzeit von Finanz- die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder innerhalb der märkten und europäischer Politik zu einer mittel- und Euro-Zone wiederherstellen würden. Daher werden in langfristig schädlichen Kürzungspolitik gezwungen. absehbarer Zeit die Transfers nicht beendet werden kön- Deswegen halten wir generell eine Unterstützung Spa- nen, ohne dass die betreffenden Staaten wieder densel- niens auch für wichtig. Denn jeder Schuldner kann, ben Finanzierungsproblemen begegnen wie derzeit. Die wenn die Zinsen hoch genug steigen, in die Insolvenz Kräfte der noch kreditwürdigen Kernstaaten der Euro- gedrückt werden. Zone werden aber nur für eine sehr begrenzte Zeit aus- reichen, Transfers zugunsten der Staaten zu garantieren, Gleichzeitig besteht der Ansteckungseffekt fort, der die sich selbst am Kreditmarkt nicht mehr finanzieren von Griechenland über Irland und Portugal nun auch können. Spanien und Zypern erfasst. Denn wieder einmal beschränkt sich das von den europäischen Staats- und Notwendig wäre statt fortgesetzter Transfers eine Regierungschefs Vereinbarte auf das kurzfristig Notwen- Rückkehr zu einer strikten und umfassenden Beachtung dige, erreicht aber nicht das mittelfristig Erforderliche. der Nichtbeistandsklausel (No-Bailout). Damit wäre un- Denn der Zinsdruck auf Spanien wird nur insofern weigerlich verbunden, dass auch die Insolvenz eines gemindert, als das derzeit für die Bankenrettung für nö- Staats der Euro-Zone und die gegebenenfalls zeitlich be- tig erachtete Volumen von bis zu 100 Milliarden Euro 22848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) zinsgünstig über die EFSF refinanziert werden kann. nicht spezifiziert. Denn erst nach dem angekündigten (C) Angesichts eines spanischen Refinanzierungsbedarfs Stresstest wird Klarheit darüber herrschen, wie viel zu- von 152 Milliarden Euro allein im Jahr 2013 wird aller- sätzliches Kapital die Banken benötigen und welcher dings unmittelbar deutlich, dass das nicht genügen kann, Anteil davon vom spanischen Staat (über die Finanzie- um auch nur zwei Jahre Stabilität zu sichern, rung der EFSF) getragen werden muss und wie genau Gläubiger beteiligt werden. Dabei ist wichtig zu bemer- Der eigentliche Grund für die dramatische Lage in ken, dass die Ausgestaltung des Stresstests ein Politikum Spanien ist die hohe Verschuldung von Privathaushalten, und keine reine technische Übung von Experten ist. Unternehmen und Banken, die im Zusammenhang mit Denn je nach zugrundegelegtem Szenario wird eine der Immobilienblase entstand. Sie wird erst jetzt nach Bank als überlebensfähig oder systemrelevant gelten und und nach in ihrer vollen Höhe transparent, da die spani- dementsprechend staatliche Kapitalspritzen erhalten schen Aufsichtsbehörden – auch politisch motiviert – oder nicht. Wir halten es vor diesem Hintergrund für versagt haben, das Problem frühzeitig anzugehen. Seit richtig, als Notmaßnahme der EFSF zugunsten Spaniens Monaten nun verschleppt die spanische Regierung die zur möglicherweise kurzfristig notwendigen Rekapitali- Sanierung des maroden Bankensektors. Das wird dazu sierung von Finanzinstitutionen Mittel bis zu einer Ge- genutzt, Verbindlichkeiten der Institute dahin gehend samthöhe von 30 Milliarden Euro zuzustimmen, die bis umzuschichten, dass eine Gläubigerbeteiligung immer Ende Juli 2012 bereitgestellt und von der EFSF in Re- schwieriger wird. Derzeit bieten spanische Banken ihren serve gehalten werden. Für die weiteren 70 Milliarden Nachrangkapitalgebern den Umtausch ihres Kapitals In Euro wäre es hingegen richtig, dass der Bundestag ab- Verbindlichkeiten niedrigerer Haftungsränge an, um stimmt, wenn das Restrukturierungsgesetz in Spanien diese Investoren vor etwaigen Beteiligungen zu schüt- verabschiedet worden ist, die Ergebnisse des Stresstests zen. Wie schädlich diese Entwicklung ist, zeigt sich da- vorgelegt wurden und die Pläne für die Restrukturierung ran, dass Ende 2009 noch über 100 Milliarden Euro an und Abwicklung von Banken im Herbst dieses Jahres Nachrangkapital zur Verfügung standen, die Verluste im über die tatsächlich benötigten Mittel bekannt sind. Jetzt Bankensektor hätten absorbieren können. Doch im April muss der Bundestag eine Generalvollmacht ausstellen, 2012 waren es nach Analystenschätzungen nur noch die wir nicht für vertretbar halten. Im Herbst könnte er rund 57 Milliarden Euro. Jetzt werden signifikante Teile hingegen im Lichte der genannten Schritte eine realisti- des verbleibenden Nachrangkapitals von Kleinanlegern sche Einschätzung über die Lasten und die geplanten gehalten, die aufgrund von Falschberatung und Rück- Maßnahmen vornehmen. Der dadurch entstehende erstattungsansprüchen möglicherweise nicht so leicht Anreiz für spanische Behörden und Troika, die Banken- herangezogen werden können. Das heißt: Wären diese rettung tatsächlich im Sinne des Steuerzahlers zu gestal- Investoren frühzeitig beteiligt worden, wäre ein europäi- ten, wäre – gerade auch vor dem Hintergrund der Er- (B) sches Hilfspaket wahrscheinlich gar nicht nötig gewe- fahrungen bei der Bankenrettung in Deutschland und (D) sen. Heute jedoch ist Spanien auf die Unterstützung der Irland – wichtig gewesen. anderen europäischen Staaten angewiesen. Weiterhin ist besonders problematisch, dass es soge- Dass die Hilfe zweckgebunden ausschließlich für den nannte „Gruppe 3“-Banken geben soll, die bis Juni 2013 Bankensektor gewährt wird, hat vor dem Hintergrund Zeit bekommen, sich über den Markt zu rekapitalisieren. der spanischen Situation zwar eine inhaltliche Plausibili- Angesichts der spanischen Marktsituation ist das nur die tät. Letztlich ist es jedoch der Versuch zu vermeiden, Fortführung der Insolvenzverschleppung. Dies wird ne- dass Spanien zum Programmland wird und damit als ben monatelanger Unsicherheit auch dazu führen, dass Garantiegeber für die EFSF ausscheidet, sowie der Re- diese Banken ihre Verbindlichkeiten weiter Richtung gierung eines großen EU-Mitgliedslands die Schmach minder haftendem Kapital umbauen werden. Um diesen einer allgemeinen Hilfsaktion und damit eines weitge- Prozess nicht fortzuführen, hätten wir eine simultane henden Verzichts auf wirtschaftspolitische Souveränität Sofortkapitalisierung bei systemrelevanten Banken be- zu ersparen. Problematisch ist allerdings weniger dies, fürwortet – und nicht einen stufenweisen Ansatz wie im sondern die Tatsache, dass damit kaschiert wird, dass MoU vorgeschlagen. Bei allen anderen Instituten, die sich Spanien de facto doch zu weitgehenden Austeritäts- sich nicht über den Markt rekapitalisieren können, be- maßnahmen verpflichten musste. So übernimmt der dürfte es einer geordneten Insolvenz. Deutsche Bundestag eben nicht nur die Verantwortung für die Freigabe der Mittel aus dem Bundeshaushalt; Unklar bleiben auch die finanziellen Rahmenbedin- sondern auch für die damit verbundenen Konditionen, gungen bei der Übertragung von notleidenden Aktiva die Spanien weiter in die Rezession treiben, die Arbeits- auf die Vermögensverwaltungsgesellschaft Asset Ma- losigkeit erhöhen und die sozialen Kosten der Krise stei- nagement Company, AMC, die zu einem nicht näher de- gern werden. Dem können wir nicht zustimmen. finierten „tatsächlichen (langfristigen) wirtschaftlichen Wert (real economic value, REV)“ übernommen werden In dem von der Euro-Gruppe und Spanien ausgehan- sollen. delten Memorandum of Understanding, MoU, wird die generelle Absicht geäußert, die Stabilisierung des spani- Hinzu kommt die geringe Möglichkeit zur öffentli- schen Finanzsystems möglichst schonend für den Steu- chen und parlamentarischen Kontrolle der vorgenomme- erzahler zu gestalten. Das ist zwar zu begrüßen, nen Maßnahmen. Dem spanischen Parlament wurden allerdings sind die genauen Konditionen der Banken- Memorandum of Understanding und andere Unterlagen restrukturierung und -abwicklung bei der heutigen Be- gar nicht vorgelegt, eine effektive Kontrolle der Maß- willigung der 100 Milliarden Euro Hilfsgelder noch nahmen zur Bankenstabilisierung ist so nicht möglich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22849

(A) Wir halten eine Überprüfung durch den Europäischen wegnimmt. Anders als von den Rettungseuropäern be- (C) Rechungshof und das Europäische Parlament für erfor- hauptet, hört das Domino nicht auf, wenn man die Schul- derlich. Die Überprüfung durch drei Institutionen, die den weiterer Staaten und ihrer Banken subventioniert, jeweils keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle sondern wenn man diese ordnungspolitische Sünde nicht unterliegen, nämlich EZB, EU-Kommission und IWF, mehr begeht. Erforderlich ist also, dass endlich Staaten kann das Fehlen einer parlamentarischen Kontrolle nicht und ihre Banken die Folgen ihres Handelns tragen. wettmachen. Für Staaten bedeutet dies, dass sie sich mit ihren Unsere Perspektive ist eine andere: Gläubigern auf eine Umschuldung einigen müssen, wenn sie die verlangten Zinsen nicht mehr zahlen kön- – Mit einem Schuldentilgungsfonds kann nicht nur nen oder wollen. Ob man diesen Vorgang Umschuldung, Spanien, sondern auch anderen Ländern die notwen- Schuldenschnitt, Haircut, Resolvenz oder Insolvenz dige Stabilität gebracht werden, während zu stellende nennt, ist unbedeutend. Entscheidend ist allein der Um- Sicherheiten den deutschen Steuerzahler vor Überfor- stand, dass die Vertragsparteien ohne Subventionen und derung schützen. Intervention von Dritten zu einer Einigung kommen. – Mit einem europäischen Ansatz wird der europäische Denn jede Einmischung Dritter zerstört den Effekt, den Bankensektor gleichzeitig stabilisiert. Ein zügig ver- eine Umschuldung haben muss: Sie soll sowohl Gläubi- einbarter EU-Restrukturierungsrahmen stellt sicher, ger als auch Schuldner disziplinieren. Der Gläubiger soll dass dafür vor allem die Kapitalgeber der Banken und lernen, dass er nicht blindlings Staaten Kredit geben nicht die Steuerzahler herangezogen werden. Wo kann, sondern soll das Insolvenzrisiko einpreisen müs- trotzdem staatliche Rekapitalisierung erforderlich sen. Die schuldenden Staaten sollen lernen, dass sie werden sollte, übernimmt ein europäischer Restruk- nicht unentwegt und unbegrenzt ihre verantwortungslo- turierungsfonds die Eigentums- und Kontrollrechte. sen Ausgaben von heute mit ungedeckten Schecks auf die Zukunft finanzieren können. – Mit europäisch koordinierten Vermögensabgaben wird dafür gesorgt, dass die Lasten dieser Krise fair Solange wir diesen Zusammenhang durch staatliches verteilt werden und die soziale Schere nicht weiter Handeln negieren, so lange wird sich die desaströse Si- zunimmt. tuation der Euro-Zone nicht verbessern. Die ökonomi- schen Anreize einer Umschuldung ohne Beeinträchti- Dafür braucht es endlich einen Kurswechsel in gung von außen lassen sich nicht durch politische Europa. Vor diesem Hintergrund enthalten wir uns bei Instrumente simulieren. Schon wegen dieser grundsätzli- dieser Abstimmung. chen Überlegung müssen wir den Antrag der Bundesre- gierung ablehnen, Spaniens Banken und ihre Gläubiger (B) (D) auf Kosten des europäischen Steuerzahlers zu sanieren. Anlage 6 Daneben existieren weitere Gründe, diesen Antrag Erklärung nach § 31 GO abzulehnen: der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP), Erstens. Abkehr von der strengen Konditionalität: Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU), Sylvia Canel (FDP), Jens Ackermann (FDP), Lars Legt man die bisherigen Maßstäbe der Rettungseuro- Lindemann (FDP) und Manfred Kolbe (CDU/ päer an, so bedeutet die Rekapitalisierung von Banken CSU) zur Abstimmung über den Antrag: Fi- eine Abkehr von der versprochenen strengen Konditio- nanzhilfe zugunsten Spaniens; Einholung eines nalität, woran die europäischen Finanzhilfen bislang ge- zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- koppelt waren. Spanien gehört anhand dieser bisherigen destages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Maßstäbe unter ein makroökonomisches Anpassungs- Nummer 1 und 4 des Stabilisierungsmechanis- programm. Es hat mit rund 50 Prozent die höchste musgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen Jugendarbeitslosigkeit Europas und eine reguläre Ar- der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität beitslosenquote von circa 25 Prozent. Es verstößt fort- zugunsten Spaniens (Tagesordnungspunkt 1 b) während gegen die Kriterien des Stabilitäts- und Wachs- tumspakts. Deswegen läuft gegen Spanien ein Verfahren Beim durch die Rettungslogik angestoßenen Euro- wegen übermäßigen Defizits. Die Abbauziele daraus hat Domino fällt ein weiterer Stein. Nach Griechenland, Ir- es verfehlt. Gerade wurde – wie in Griechenland – der land und Portugal geht es nun um das Königreich Spa- Umsetzungszeitraum verlängert. Doch selbst diese auf- nien. Erstmals ist ein Staat mit so hohen Staatsschulden geweichten Abbauziele wird Spanien nach Prognosen betroffen, dass die einfache Übernahme seiner Staats- von Analysten verfehlen. Des Weiteren haben auch Spa- schulden durch die Mitgliedstaaten der Euro-Zone nicht niens Regionen enorme Haushaltslöcher. Schließlich lei- ohne weiteres tragbar ist. Da man den bisherigen Weg det Spanien unter einem ständigen und hohen Kapitalab- nicht weiter beschreiten kann, wird für Spanien erstmals fluss. In der Gesamtschau ist festzustellen, dass Spanien von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Finanzhilfen in einen strukturellen Reformbedarf hat. Das lässt sich Form einer Bankenrekapitalisierungsfazilität bereitzu- nicht wegdiskutieren. stellen. Der genehmigte Betrag umfasst 100 Milliarden Euro. Zweitens. Immobilienblase noch nicht geplatzt: Einmal in Gang gesetzt, kann man das Fallen anderer Die spanische Immobilienblase ist nicht einmal zur Dominosteine nur unterbinden, wenn man einen Stein Hälfte abgebaut. Die Preise sind seit Sommer 2007 um 22850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) nur 19 Prozent gefallen. Sie liegen aber noch zweiein- Genau aus diesem Grund hat bislang kein maßgebli- (C) halbmal so hoch wie Mitte der 90er-Jahre. Dagegen sind cher Politiker die direkte Bankenrekapitalisierung expli- in Irland die Häuserpreise während der Krise um 50 Pro- zit ausgeschlossen. Es wurde lediglich darauf verwiesen, zent eingebrochen. Dieser Einbruch bei den Häuserprei- dass zunächst eine „gemeinsame europäische Banken- sen hat einen entsprechenden Wertberichtigungsbedarf aufsicht“ vorliegen müsse. An dieser wird bereits gear- in den Bankbilanzen ausgelöst. Wenn man den Einbruch beitet, und konkrete Umsetzungsvorschläge sollen im beim irischen Kreditvergabevolumen, der im Zusam- Herbst vorliegen. Zu diesem Sachverhalt passt auch, menhang mit dem Wertberichtigungsbedarf in den Bank- dass die zunächst bereitgestellten 30 Milliarden Euro nur bilanzen steht, mit dem spanischen Kreditvergabevolu- als Reserve dienen und nicht ausgezahlt werden sollen – men ins Verhältnis setzt, so ergibt sich für Spaniens denn jede Auszahlung an Spanien erhöht den spanischen Banken ein Kapitalbedarf in der Größe von mehr als Schuldenstand. Man wartet mit der Auszahlung bewusst 400 Milliarden Euro. Das ist viel mehr als der Bedarf ab, bis man die Möglichkeit der direkten Rekapitalisie- von 52 bis 61 Milliarden Euro, von dem derzeit behaup- rung geschaffen hat. tet wird, er sei eine realistische Schätzung der Höhe der Viertens. Fehlende Systemrelevanz: benötigten Subventionen. Es überrascht also nicht, wenn Bankanalysten ebenfalls zu einem deutlich höheren Der Beschluss der G-20-Staaten, keine systemrele- Wertberichtigungsbedarf kommen. So gibt es etwa eine vante Bank pleitegehen zu lassen, betrifft in Spanien Studie, die einen Wertberichtigungsbedarf auf die verge- allein die Banco Santander, denn diese ist nach den Kri- benen Kredite der spanischen Banken in Höhe von terien des Financial Stability Board die einzige system- 266 Milliarden Euro nennt. In jedem Fall ist das jetzige relevante Bank Spaniens. Die Banco Santander ist aus- Paket deutlich unterdimensioniert. Weitere werden fol- reichend kapitalisiert. Selbst gemäß dem Memorandum of Understanding ist keine der drei größten spanischen gen müssen. Banken zur Rekapitalisierung vorgesehen. Gerettet wer- Drittens. Einstieg in die direkte Rekapitalisierung der den also nur nichtsystemrelevante Banken, das sind lo- Banken: kale und regionale Banken, vor allem Sparkassen. Ohne Systemrelevanz besteht kein Anlass, eine Bank vor der Die Spanien-Hilfe ist keine direkte Rekapitalisierung Insolvenz zu retten. Sie können pleitegehen, ohne das der spanischen Banken, aber doch ein Zwischenschritt Finanzsystem als Ganzes zu gefährden. In diesem Zu- dorthin. Das liegt an der Anrechnung der Sanierungskre- sammenhang erinnere ich an unsere gesetzlichen Vo- dite auf die spanische Staatsschuld. Kredite an Spanien raussetzungen für Hilfen aus der EFSF. In § 1 Abs. 2 in Form der heute beschlossenen Bankenrekapitalisie- StabMechG heißt es: (B) rungsfazilität erhöhen die spanische Staatsschulden- Notmaßnahmen im Sinne von Absatz 1 können auf (D) quote. Die jetzt bereitgestellten 30 bzw. 100 Milliarden Antrag eines Mitgliedstaates des Euro-Währungs- Euro werden spätestens bei Auszahlung die spanische gebietes zum Erhalt seiner Zahlungsfähigkeit er- Schuldenquote erhöhen. Kalkuliert man in einem Ge- griffen werden, wenn dies unabdingbar ist, um die dankenexperiment überschlägig die Staatsschuldenquote Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu Spaniens, wenn alle benötigten Subventionen zur Sanie- wahren. rung des Bankensektors als Kredite an Spanien vergeben würden, so ergäbe sich folgendes Bild: Hilfen für nichtsystemrelevante Banken sind nach deutschem Recht unzulässig. Bei realistischen Wertberichtigungen in Höhe von Fünftens. Keine Beteiligung der systemrelevanten 266 – bzw. 400 – Milliarden Euro erhöht sich die spani- Banken und des Bankensektors insgesamt: sche Staatsschuldenquote von 68,4 Prozent im Jahr 2011 auf 95 Prozent – bzw. 110 Prozent – im Jahr 2012. Die Anders als in Deutschland tragen die spanischen Ban- Folgen sind klar: Ratingagenturen würden Spanien her- ken nicht zur Bewältigung der Finanzkrise in Spanien abstufen und seine Anleihen als Ramsch beurteilen, bei. So leisten nach Auskunft unserer Bundesregierung wenn dies Realität würde. Zusätzlich hat Spanien in ei- spanische Banken zwar Beiträge zum FROB, werden ner unbekannten Größenordnung für spanische Bank- aber weder über eine Bankenabgabe noch über eine frei- schulden gebürgt, insbesondere auch deshalb, um willige Beteiligung an der Bewältigung der Krise betei- Abschreibungen in den spanischen Bankbilanzen zu ver- ligt. In Deutschland haben die Privatbanken freiwillig hindern. Wenn Spaniens Kreditwürdigkeit auf Ramsch 8,5 Milliarden Euro allein zur Abwicklung der Hypo absinkt, so müssten die spanischen Banken diese staat- Real Estate beigetragen. Das auf die spanische Situation lich garantierten Forderungen wertberichtigen. Zusätz- übertragbare Argument war, dass die Stützung der Hypo lich entfiele die Zentralbankfähigkeit dieser Forderun- Real Estate der deutschen Kreditwirtschaft insgesamt gen. Eine Erhöhung der spanischen Staatsschuldenquote nutze. gefährdet daher das Rating Spaniens und in der Folge Während die finanzielle Beteiligung der spanischen das spanische Bankensystem insgesamt. Das ist der Kreditwirtschaft an der Bankenrettung schwach ist, sind Grund, warum in der Rettungslogik die spanischen Ban- die Mitspracherechte an der Mittelverwendung ausge- ken möglichst finanziert werden sollen, ohne die Schul- prägt. Die Sanierung der spanischen Banken liegt in der den des Königreichs Spanien zu erhöhen. Eine direkte Hoheit des FROB, an den die Mittel der EFSF ausge- Rekapitalisierung der spanischen Banken würde indes zahlt werden. Mit der Auszahlung von Sanierungshilfen die Staatsschuldenquote Spaniens nicht berühren. zur Restrukturierung bzw. Abwicklung soll bei den Ban- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22851

(A) ken aus Gruppe 1 und Gruppe 2, die staatliche Hilfen be- men mit den korrespondierenden Derivatepositionen (C) nötigen, noch vor Jahresende begonnen werden. Die zum Jahresabschluss 2011 mit 8,9 Milliarden Euro wert- Gremien des FROB werden jedoch zumindest teilweise berichtigt werden. Für den FROB sind schlimmere Haf- von aktiven Bankmanagern besetzt. Gemäß Nr. 27 von tungssummen zu erwarten, die der europäische Steuer- Anhang 2 zum Memorandum of Understanding sollen zahler auf Jahre hinaus bezahlen wird. die dadurch entstehenden Interessenkonflikte aber erst zum 1. Januar 2013 ausgeräumt werden. Zu diesem Zeit- Siebtens. Anwendung der Regeln mit zweierlei Maß punkt werden die europäischen Subventionen bereits zu spaltet Europa: einem großen Teil verwendet worden sein. Erneut werden die rechtsstaatlichen Regeln Europas Sechstens. Restrukturierung nicht nach ordnungspoli- mit Füßen getreten werden. Während Irland ein umfas- tischen Regeln: sendes Restrukturierungsprogramm bewältigen muss und dies ebenfalls Zypern droht, obwohl beide Länder Schließlich ist das Herausboxen der Eigentümer und nur ein Bankenproblem haben, werden sie anders als der Gläubiger ein schwerer Verstoß gegen ordnungspoli- Spanien behandelt. Dabei hat Spanien neben seinem tische und marktwirtschaftliche Prinzipien. In erster Li- Bankenproblem auch ein tiefgreifendes Strukturpro- nie müssen bei einer Überschuldungssituation die Eigen- blem seiner Wirtschaft. Große und kleine Länder werden kapitalgeber haften. Dies geschieht technisch durch eine in Europa unterschiedlich und ungleich behandelt. Bei Kapitalherabsetzung, aufgrund der sie ihre Beteiligung den Kleinen kommt der Sparkommissar, bei den Großen am Unternehmen verlieren. Für diesen Fall steht das Ei- kommt der Geldkoffer. Diese Ungleichbehandlung zer- genkapital als Haftungsreservoir zur Verfügung. Bevor stört das Europa des Rechts und der Freiheit. es zu einer Subventionierung durch den europäischen Steuerzahler kommt, muss dieses Haftkapital vollständig aufgebraucht werden. Entsprechend einer Antwort des Anlage 7 BMF beläuft sich „die Summe des haftenden Eigenkapi- tals der spanischen Kreditwirtschaft … nach Angaben Erklärungen nach § 31 GO der spanischen Zentralbank auf 249 300 Millionen Euro zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche (Stand 30. April 2012)“. Wenn die uns vorgelegten An- Regelung der Beschneidungen von Jungen (Zu- gaben korrekt sind, dass mit einem Kapitalbedarf zwi- satztagesordnungspunkt 1) schen 52 und 61 Milliarden Euro zu rechnen ist, dann sollte diese Summe leicht aus dem haftenden Eigenkapi- tal der spanischen Kreditwirtschaft aufzubringen sein. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012, in (B) (D) Selbst wenn das Eigenkapital komplett verbraucht dem die Beschneidung eines Jungen als rechtswidrige werden sollte, bestünde kein Anlass, den europäischen Körperverletzung gewertet wurde, hat zu Verunsicherun- Steuerzahler sofort zu belasten. Denn erst müssen die gen einerseits bei jüdischen und muslimischen Reli- Gläubiger der Reihenfolge ihres Ranges nach zwingend gionsgemeinschaften, andererseits bei Ärzten geführt. beteiligt werden. Dies sieht der Antrag des BMF aus- Dem Urteil kommt aber auch weit über die Religionsge- drücklich nicht vor. meinschaften und Fachkreise hinaus große Aufmerk- samkeit zu. Dies geschieht aus gutem Grund, denn die Äußerst intransparent vollzieht sich die Auslagerung Beschneidung – oder auch Zirkumzision – betrifft nicht wertgeminderter Aktiva in die noch zu gründende Asset nur einen, sondern mehrere grundrechtsensible Bereiche. Management Company, – AMC. Die wertgeminderten Aktiva sind in den spanischen Bankbilanzen zu einem Will man rechtliche Regelungen zur Beschneidung bedeutenden Teil nicht wertberichtigt worden. Das liegt treffen, müssen verschiedene miteinander kollidierende unter anderem daran, dass per Sondergesetz das Bilanz- grundrechtlich verbürgte Positionen gegeneinander ab- recht für bestimmte Aktiva so verändert wurde, dass gewogen werden: das Recht auf körperliche Unversehrt- Wertberichtigungen nicht mehr erforderlich waren. Die heit, die Religionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Auslagerung dieser Aktiva erfolgt gemäß Nr. 21 des Me- Erziehung. Das Wohl des Kindes ist ein zentraler Ge- morandum of Understanding zum Real Economic Value. sichtspunkt: Seine körperliche Unversehrtheit und sein Dieser ist indes nicht der Marktwert der Aktiva, sondern Recht, als gleichberechtigtes Mitglied einer Religionsge- wird durch eine Kommission unter Beteiligung von meinschaft aufzuwachsen, müssen im Mittelpunkt der Eurostat bestimmt. Dadurch ist einerseits eine verdeckte Diskussion stehen. Subventionierung eigentlich abzuwickelnder spanischer Banken vorgezeichnet. Andererseits sind Verluste bei Jede Operation erfüllt den Tatbestand der Körperver- der übernehmenden AMC vorprogrammiert, die sich aus letzung. Durch rechtswirksame Einwilligung ist sie ge- der Differenz zwischen Real Economic Value und tat- rechtfertigt und dann straffrei. sächlichem Erlös ergeben. Diese Verluste werden erst Religionsfreiheit umfasst die Freiheit, einen Glauben über den Zeitraum vieler Jahre realisiert werden, da die zu haben, und die Freiheit, den Glauben ausüben zu kön- Aktiva bis zur Endfälligkeit gehalten werden können. nen. Dem FROB droht in Bezug auf die übernommenen spa- nischen Aktiva ein ähnliches Schicksal wie der FMS Der Staat hat die schwierige und verantwortungsvolle Wertmanagement in Bezug auf griechische Staatsanlei- Aufgabe, sowohl die körperliche Unversehrtheit jedes hen: Ihr Griechenland-Portfolio musste kürzlich zusam- Einzelnen zu schützen als auch die Religionsfreiheit zu 22852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) gewährleisten und hierbei auch das Elternrecht auf Er- Die Debatte über religiöse Beschneidungen sollte (C) ziehung zu berücksichtigen. ohne Präjudiz, wie die im Antrag vorgenommene Vor- festlegung, die religiöse Beschneidung weiterhin zu er- In Deutschland muss muslimisches und jüdisches re- möglichen, erfolgen. ligiöses Leben weiterhin möglich sein. Ich begrüße die religiöse Vielfalt, die es in unserem Land gibt. Gleich- Grundsätzlich erkenne ich die Beschneidung als kon- zeitig müssen wir sicherstellen, dass Eingriffe in die kör- stitutives Element des jüdischen und muslimischen perliche Unversehrtheit nur in begründeten Fällen zuläs- Glaubens an. Aus meiner Sicht ist es jedoch geboten, zu sig sind und vor allem medizinisch korrekt und ohne prüfen, ob die Beschneidung nicht auch in einem Alter unnötige Schmerzen durchgeführt werden. erfolgen kann, in dem das Kind selbst in der Lage ist, seine Zustimmung zu geben. Um eine gute Regelung zu finden, dürfen wir nicht vorschnell zulasten des einen oder anderen Grundrechts Eine adäquate Auseinandersetzung mit der religiösen entscheiden. Statt dessen müssen wir eine intensive, Beschneidung sollte aus meiner Sicht neben den Bera- vielschichtige und facettenreiche Diskussion führen. tungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages Hierbei müssen wir die Konsequenzen berücksichtigen, auch eine Einbeziehung des Ethikrates und gegebenen- die die verschiedenen Möglichkeiten mit sich bringen. falls durch die Einsetzung einer Enquete-Kommission Dazu müssen wir das Gespräch mit Vertretern der Reli- erfolgen. In einem solchen, breit angelegten Verfahren gionsgemeinschaften, Medizinerinnen und Medizinern könnte auch über weitere Grenzfälle zwischen religiöser und anderen Fachleuten suchen, alle Argumente abwä- Praxis und rechtsstaatlichen Erfordernissen, wie den gen und auswerten und alle möglichen Blickwinkel ein- Umgang mit dem rituellen Schlachten – Schächten – in nehmen. angemessener Form diskutiert werden. Eine nicht vollständig durchdachte Regelung kann mehr Unruhe stiften als Rechtsfrieden bringen. Wir müs- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen eine ausgewogene, dauerhafte Regelung finden und Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Be- nicht voreilige Entscheidungen treffen. Daher enthalte schneidung kleiner Jungen ist eine sehr schwierige, denn ich mich in der Abstimmung über den Antrag. sie berührt mehrere Grundrechte: die Freiheit der Reli- gion und das Erziehungsrecht der Eltern auf der einen Seite, das Recht auf körperliche Unversehrtheit auf der Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Abwei- anderen. chend vom Votum „Enthaltung“ der Linksfraktion stimme ich diesem Antrag zu. Grundsätzlich bin ich fest davon überzeugt, dass man es Religionsgemeinschaften in unserem Rechtsstaat (B) Die rechtliche Einordnung der Beschneidung muss in (D) nicht erlauben sollte, in andere Grundrechte einzugrei- der Tat so schnell und so gründlich wie möglich geklärt fen, dass ihnen aber eine aktive und gegebenenfalls auch werden. institutionelle Rolle im öffentlichen Leben zukommt. Für mich ist dabei oberstes Gebot: Das jüdische und Wenn Religion, die für viele Menschen eine zentrale muslimische Leben, für das die Beschneidung von Jun- Rolle in ihrem Leben spielt, Teil der politischen Debatte gen eine zentrale religiöse Bedeutung hat, muss weiter- wird, dann werden auch religiöse Traditionen mit Ge- hin in Deutschland möglich sein. genmeinungen konfrontiert, dann müssen sie sich mit der Realität der Gegenwart auseinandersetzen. Das hat Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, zum Beispiel dazu geführt, dass sich katholische Organi- dass die Beschneidung männlicher Kinder nicht ver- sationen am Verfahren der Schwangerschaftskonfliktbe- gleichbar ist mit weiblicher Genitalverstümmelung, die ratung beteiligen. ich verurteile. Diese Diskussion im Hinblick auf die Beschneidung Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der vorgelegte von Jungen ist auch in den jüdischen und muslimischen interfraktionell erarbeitete Antrag findet nicht meine Zu- Religionsgemeinschaften im Gange. Dennoch, das zei- stimmung. gen auch die öffentlichen Meinungsäußerungen der letz- ten Wochen, ist für die große Mehrheit der betroffenen Das Landgericht Köln hat mit seinem Urteil vom Gläubigen die Beschneidung noch immer ein essenziel- 7. Mai 2012 die Beschneidung minderjähriger Jungen les Element ihrer religiösen Identität. Sie zu verbieten, aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverlet- bzw. ihre Ausführung im Zwielicht rechtlicher Unklar- zung gewertet. Grundsätzlich entfaltet die Entscheidung heit zu belassen, würde für viele Jüdinnen und Juden, über den konkreten Einzelfall hinaus keine rechtliche Muslima und Muslime eine Ausübung ihrer religiösen Bindung; dennoch zeigt das Urteil, dass eine grundsätz- Identität in diesem Land deutlich erschweren oder ver- liche öffentliche Diskussion und Bewertung der religiö- unmöglichen. Es bestünde zudem die Gefahr, dass der sen Beschneidungen geboten ist. Eingriff in die sprichwörtlichen Hinterzimmer verlagert würde, wo das Kindeswohl in deutlich größerer Gefahr Die Notwendigkeit in dieser grundsätzlichen Frage, in ist, als das bei der gegenwärtigen Praxis der Fall ist. Form eines Ad-hoc-Verfahrens zu einer zeitnahen ge- setzlichen Regelung zu kommen, ist aus meiner Sicht Der körperliche Eingriff der männlichen Beschnei- mit Blick auf die Komplexität der Thematik nicht ange- dung ist in seinen Auswirkungen zudem offensichtlich messen. nicht derart belastend, dass es klare medizinische War- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22853

(A) nungen davor gäbe. Für einige Regionen der Welt mehr als 100 Jahren nicht mehr mit ihren verstorbenen (C) – wenn auch nicht für unsere – wird die Beschneidung Ehemännern verbrannt werden und die Beschneidung gegenwärtig sogar noch von der Weltgesundheitsorgani- von Mädchen weitgehend verpönt und strafbar ist. Bei sation als Standardeingriff indiziert und aus medizini- der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der schen Gründen auch hierzulande regelmäßig durchge- Nichtdiskriminierung von gleichgeschlechtlichen Part- führt. Zudem ist aus den jüdischen und islamischen nerschaften wurden einige Fortschritte erzielt, aber auch Religionsgemeinschaften selbst bislang noch kein nen- einige Rückschritte verzeichnet. nenswerter Widerstand gegen diese Praxis zu verneh- men. Die Kinder sind nicht das Eigentum der Eltern, der Religionsgemeinschaften oder des Staats. Sie sind Indi- Deswegen ist es geboten, jetzt rechtliche Klarheit zu viduen mit vollen Rechten. Das Kindeswohl zu gewähr- schaffen und den Eingriff – unter Berücksichtigung des leisten, obliegt den Eltern und dem Staat in den gesetzli- größtmöglichen Schutzes der Kinder – zu regeln und zu chen Rahmen. erlauben. Die genaue Ausgestaltung dieser gesetzlichen Regelung sollte unter Einbeziehung medizinischen Rats Der säkulare Staat hat auch die Aufgabe, den Druck und verschiedener Stimmen aus den betroffenen Reli- der Religionsgemeinschaften oder Weltanschauung auf gionsgemeinschaften geschehen. Damit geben wir auch einzelne Individuen abzuwenden oder dies zumindest den Debatten innerhalb dieser Gemeinschaften einen abzumildern, damit sich das Individuum frei entfalten größeren Platz in der Öffentlichkeit. kann (Art. 2 Grundgesetz). Medizinisch notwendige Ein- griffe in die körperliche Unversehrtheit stehen hierbei Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- außer Diskussion. Zur Disposition steht nur, inwieweit NEN): Ich stimme dem Antrag „Rechtliche Regelung die blutigen Rituale der Religionsgemeinschaften, die ei- der Beschneidungen von minderjährigen Jungen“ zu. nen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – sogar bei Kleinkindern – darstellen, allein der Entscheidung Das Landgerichtsurteil vom 7. Mai 2012 entfaltet der Religionsgemeinschaften bzw. Eltern zu überlassen zwar an und für sich keine Bindungswirkung, durch die sind. daraus resultierende Verunsicherung der jüdischen und muslimischen Bevölkerung sowie die Reaktion der Bun- Bei der Beschneidung stellt sich diese Frage vorder- desärztekammer ist ein Handeln aber nötig geworden. gründig. Es besteht sowohl wissenschaftliche wie politi- sche Einigkeit darüber, dass die Zirkumzision einen irre- Ich möchte nicht, dass religiöses Leben in diesem versiblen und nicht zu bagatellisierenden Eingriff in die Land im Untergrund stattfinden muss. Ein Komplettver- Körper von Menschen darstellt. Es ist aber auch soziolo- bot der Beschneidung drängt die jüdischen und muslimi- (B) gischer Fakt, dass sich viele Eltern in der Religions- oder (D) schen Gemeinschaften in den Untergrund. Traditionspflicht sehen, diesen Vorgang bei ihrem Kind vornehmen zu lassen. Anlage 8 Um eine selbstbestimmte Erwachsenenentscheidung Erklärung nach § 31 GO – im Idealfall zu einem unblutigen Religionsbekenntnis – zu ermöglichen, kann der Gesetzgeber einen Übergangs- der Abgeordneten Memet Kilic und Viola von kompromiss vorlegen. Solch eine gesetzliche Regelung Cramon-Taubadel (beide BÜNDNIS 90/DIE mit einer großen, gesellschaftlichen und grundrechtlichen GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Reichweite darf nicht in einem Schnellverfahren erfol- Rechtliche Regelung der Beschneidungen von gen. Dafür müssen gründliche Anhörungsverfahren Jungen (Zusatztagesordnungspunkt 1) durchgeführt werden. Der Grundrechtekatalog unseres Grundgesetzes ist ein guter roter Faden für das Zusammenleben in unserer heterogenen Gesellschaft. Dort werden die Grundfrei- Anlage 9 heiten und Grundrechte und ihre Schranken definiert. Erklärung nach § 31 GO Sowohl die Religionsfreiheit – Glaubensfreiheit, Nichtglauben, Wechsel der Religionen –, aber auch kör- der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin perliche Unversehrtheit sind Grundrechtsgüter. Wenn sie Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Ekin miteinander kollidieren, sind sie abzuwägen, und es Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Renate muss gegebenenfalls ein guter Kompromiss gefunden Künast, Fritz Kuhn und Claudia Roth (Augs- werden. Sowohl die heiligen Schriften der Religionen, burg) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur aber auch die religiösen Riten, Gebräuche und Traditio- Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Re- nen beinhalten naturgemäß alte Elemente, die im Lichte gelung der Beschneidungen von Jungen (Zu- der Vernunft und der neuen Einsichten der Wissenschaft satztagesordnungspunkt 1) neu zu verstehen und zu interpretieren sind. Wir stimmen der Forderung an die Bundesregierung, Die Menschheit kann mit Glück und Stolz darauf zu- einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass rückblicken, dass wir keine Menschenopfer mehr brin- eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jun- gen, die Steinigung von Ehebrechern nicht mehr Teil un- gen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist, serer Rechtsprechung ist, verwitwete Hindufrauen seit zu. 22854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Die Rechtsauffassung eines Richters einer kleinen diskutiert. Das Landgericht Köln kam darin zu der Ein- (C) Strafkammer des Kölner Landgerichts hat zu tiefgreifen- schätzung, dass dem Recht der Eltern auf religiöse der Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen und musli- Erziehung in Abwägung zum Recht des Kindes auf mischen Eltern geführt. Bei der Beschneidung von Jungen körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung handelt es sich um einen klassischen Grundrechtskon- kein Vorrang zukomme, sodass mit der Einwilligung in flikt, der im Wege der praktischen Konkordanz auszu- die Beschneidung ein Widerspruch zum Kindeswohl gleichen ist, wobei jede Grundrechtsposition optimal zu festzustellen ist. Begründet wurde diese in unseren Au- verwirklichen ist. gen richtige Entscheidung damit, dass die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Grundge- Eine Beschneidung ist tatbestandlich – wie jede Ope- setz ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf kör- ration – eine Körperverletzung, die durch rechtswirk- perliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß same Einwilligung gerechtfertigt werden kann und dann Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 Grundgesetz begrenzt sind. straffrei ist. Bei Minderjährigen handeln grundsätzlich die Eltern stellvertretend für das Kind und sind dabei an Wir verkennen nicht, dass die Entscheidung des das Kindeswohl gebunden. Die Wahrung der körperli- Kölner Landgerichts mit erheblichen Irritationen und ge- chen Unversehrtheit und das Recht des Kindes, als voll- sellschaftlichen Verwerfungen, insbesondere bei Ange- wertiges und gleichberechtigtes Mitglied einer Reli- hörigen der jüdischen oder muslimischen Glaubens- gionsgemeinschaft aufzuwachsen, sind jeweils Aspekte gemeinschaft, verbunden sein kann. Sie können nur des Kindeswohls. Der körperliche Eingriff bei einer Be- schwer oder überhaupt nicht verstehen, weshalb eine schneidung ist ein irreversibler Eingriff mit niedriger Ein- über viele Generationen vollzogene Praxis ihres Glau- griffstiefe, soweit er medizinisch fachgerecht durchgeführt bensbekenntnisses nun in Deutschland verboten und wird. Er wird zum Teil auch aufgrund von hygienischen strafrechtlich relevant sein soll. Dennoch können Grund- und prophylaktischen Überlegungen durchgeführt. In den rechtsfragen nach unserer Auffassung aber nicht allein abrahamitischen Religionen ist das Beschneidungsgebot mit Verweis auf das tradierte Handeln und dadurch be- das erste und zugleich die Begründung des Bundes mit antwortet werden, dass man ein rechtliches Problem auf Gott. Daher ist es für Juden zentral und für die meisten einen scheinbar rechtsfreien Raum verschiebt. Muslime unverzichtbar. Tatsächlich ist die Frage der Strafbarkeit der religiös Der Staat muss bei einer rechtlichen Regelung darauf motivierten, medizinisch nicht indizierten Beschneidung achten, dass die Beschneidung medizinisch fachgerecht von Kindern aber seit langem ein gesellschaftliches von qualifizierten Fachleuten durchgeführt wird. Hier- Thema in Deutschland. Bei der religiös motivierten, me- durch verwirklicht er das Kindeswohl und schützt die dizinisch nicht indizierten Beschneidung von Mädchen Gesundheit des Kindes – Art. 2 GG. Im Falle einer Ille- (B) – genitale Verstümmelung – hat sich in Deutschland in (D) galisierung der Beschneidung käme es sicher häufiger zu den letzten Jahren ein breiter ablehnender gesellschaftli- nicht fachgerechten Eingriffen durch unqualifizierte Be- cher Konsens herausgebildet. Auch bei der religiös moti- schneider. Dies gilt es zu vermeiden. Jüdischer Glaube, vierten, medizinisch nicht indizierten Beschneidung von Islam und Christentum gehören zu Deutschland. Dies Jungen hat dessen kritische Reflexion in den letzten Jah- wollen wir heute mit unserer Abstimmung auch zum ren erkennbar zugenommen. So verwies zum Beispiel Ausdruck bringen. das „Deutsche Ärzteblatt“ bereits im Jahre 2008 auf die strafrechtliche Relevanz solcher Eingriffe und empfahl den Ärzten, diese abzulehnen. Das Urteil des Landge- Anlage 10 richts Köln ist deshalb in unseren Augen kein singuläres, abweichendes Ereignis. Es ist in unseren Augen viel- Erklärung nach § 31 GO mehr nur ein vorläufiger Status einer neuen, auf dem der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Ingrid Grundgesetz fußenden und sich im Interesse des Kindes- Arndt-Brauer, Bärbel Bas, Angelika Graf wohls vollziehenden rechtlichen Weiterentwicklung in (Rosenheim), Angelika Krüger-Leißner, Caren Deutschland. Ausdruck dieser Weiterentwicklung ist Marks, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), nicht zuletzt auch die Verabschiedung der UN-Kinder- Bernd Scheelen und Andrea Wicklein (alle rechtskonvention und deren Ratifikation in Deutschland. SPD): zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Dass es sich bei der religiös motivierten, medizinisch Jungen (Zusatztagesordnungspunkt 1) nicht indizierten Beschneidung von Jungen um einen schädigenden, irreversiblen Eingriff im Sinne einer tat- Wir haben heute gegen den Antrag gestimmt, weil das bestandlichen Körperverletzung handelt, erscheint uns Recht der Eltern auf religiöse Erziehung des Kindes unstreitig und klar. Die Häufigkeit der damit verbunde- nach unserer Meinung keinen Vorrang hat gegenüber nen, zum Teil sehr schweren gesundheitlichen Kompli- dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrt- kationen wird in der Literatur sehr unterschiedlich be- heit und Selbstbestimmung. schrieben. Wir halten eine Komplikationsrate von bis zu 10 Prozent für realistisch. Auch schwere gesundheitliche Seit einigen Wochen wird in der deutschen Öffent- Spätfolgen und Todesfälle werden in der Literatur be- lichkeit das Urteil des Landgerichts Köln zur Strafbar- schrieben. Auch dies spricht für eine sorgsame und keit der Beschneidung ohne medizinische Indikation umfängliche Diskussion des Themas im Interesse des – Urteil vom 7. Mai 2012, Aktenzeichen 151 Ns 169/11 – Kindeswohls und nicht für eine im Eilverfahren vollzo- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22855

(A) gene unkritische Legitimation der bisherigen Tradition, auch über ihr religiöses Selbstbestimmungsrecht gestellt. (C) wie sie im Antrag präjudiziert wird. Es ist unstrittig, dass es sich bei der Beschneidung eines Menschen, wie bei vielen ärztlichen Behandlungen auch, Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat sich mit juristisch gesehen um eine Körperverletzung handelt. dem von uns abgelehnten Antrag dafür ausgesprochen, Eine solche Körperverletzung ist nicht rechtswidrig, in naher Zukunft eine gesetzliche Regelung zur Recht- wenn der Betroffene einwilligt; bei Minderjährigen wird fertigung der religiös motivierten, medizinisch nicht diese Zustimmung durch die Einwilligung der Eltern indizierten Beschneidung von Jungen zu schaffen. Ein bzw. der Sorgeberechtigten ersetzt. Eindeutig ist aber solches Gesetz stünde in unseren Augen auch im Wider- auch, dass sich die Einwilligung der Eltern vor allem am spruch zum Grundgesetz. Dies vor allem deshalb, weil Kindeswohl orientieren muss; die Rechte der Eltern sind das Grundgesetz weder einen Vorrang des elterlichen durch Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes verfassungsim- Rechts auf religiöse Kindererziehung vor dem Recht des manent begrenzt. Auch die UN-Kinderrechtskonvention, Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestim- der Deutschland beigetreten ist, gibt im Art. 3 vor, dass mung kennt und weil im Grundgesetz durch die Rechte das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Das der Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG in Ver- Landgericht Köln kommt daher aus unserer Sicht hin- bindung mit Art. 136 Abs. 1 WRV die staatsbürgerlichen sichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Güterabwä- Rechte des Kindes richtigerweise nicht beschränkt gung richtigerweise und stringent zu dem Schluss, dass werden. Auch deshalb lehnen wir das Ansinnen des „die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Kna- Antrages ab. ben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiösen gesell- schaftlichen Umfelds noch unter dem des elterlichen Er- Anlage 11 ziehungsrechts dem Wohle des Kindes entspricht. Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG Erklärung nach § 31 GO werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf der Abgeordneten Katja Dörner, Harald Ebner, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ge- Dr. Thomas Gambke, Bettina Herlitzius, Uwe mäß Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG begrenzt.“ Kekeritz, Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Sicherlich wird diese rein juristische Brille einem Ute Koczy, Oliver Krischer, Markus Kurth, wertschätzenden Umgang mit wichtigen Riten und Tra- Monika Lazar, Tabea Rößner, Ulrich Schneider ditionen von Weltreligionen nicht gerecht. Nichtsdesto- und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE trotz dürfen religiöse Riten aus unserer Sicht keinesfalls GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: per se Vorrang vor dem Recht eines Kindes auf körperli- Rechtliche Regelung der Beschneidungen von che Unversehrtheit haben. Eine verfassungsrechtlich (B) Jungen (Zusatztagesordnungspunkt 1) saubere Abgrenzung bestimmter religiöser Riten gegen- (D) über anderen – wie beispielsweise auch gegenüber der Der Deutsche Bundestag soll sich heute – ohne das üb- Beschneidung von Mädchen – halten wir für schwer um- liche Beratungsverfahren und damit völlig überstürzt – setzbar. Daher haben wir die Sorge, dass die Intention zum sensiblen Thema der religiös motivierten Beschnei- des interfraktionellen Antrags, die Beschneidung von dung von Jungen verhalten. Diese Eile wird dem ge- Jungen für grundsätzlich zulässig gesetzlich festschrei- wichtigen Thema nicht gerecht. Nicht nur, dass das Ur- ben zu wollen, Türen öffnet, die sicherlich auch unsere teil des Landgerichts Köln, das ohne Frage für eine Kolleginnen und Kollegen, die den vorgelegten Antrag Verunsicherung jüdischer und muslimischer Gläubiger begrüßen, nicht gutheißen, dies wird im Antrag auch und auch in der Ärzteschaft gesorgt hat, keine rechtliche zum Ausdruck gebracht, verfassungsrechtlich nutzt dies Bindungswirkung entfaltet und zudem bereits vom Mai aber nichts. 2012 stammt, sondern auch, weil der heutige Beschluss des Bundestages an der derzeitigen rechtlichen Situation Der Deutsche Bundestag sollte sich beim heiklen nichts ändert. Die öffentliche Diskussion über das Urteil Thema der religiös motivierten Beschneidung von Jun- des Landgerichts Köln macht deutlich, dass es dem gen im Dialog mit den Religionsgemeinschaften, den Deutschen Bundestag gut anstünde, eine breite Diskus- Ärzteverbänden, den Kinderrechteverbänden etc. um sion zum Thema Beschneidung von Jungen zu führen, eine kultursensible Lösung bemühen, die Kinder als Trä- inklusive der Anhörung von Sachverständigen und der ger eigener Rechte in den Mittelpunkt stellt. Der vorge- Beratung in den Ausschüssen sowie der Kinderkommis- legte Antrag wird diesem Anspruch nicht gerecht. sion des Deutschen Bundestages. So ist es üblich und bei sensiblen Themen ganz besonders notwendig. Selbstver- ständlich ist, dass jüdische und muslimische Traditionen Anlage 12 und Riten zu achten sind und jüdisches und muslimi- sches religiöses Leben in Deutschland weiterhin möglich Erklärung nach § 31 GO sein muss – dies sollte keiner Erwähnung bedürfen. der Abgeordneten Jerzy Montag, Marieluise Beck In der derzeitigen Diskussion und auch im Antrag der (Bremen), Cornelia Behm, Manuel Sarrazin, Fraktionen von CDU/CSU, der SPD und der FDP Beate Walter-Rosenheimer, Daniela Wagner und kommt die Perspektive der Kinder und ihrer Rechte Wolfgang Wieland (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutlich zu kurz. Der Stellenwert religiöser Riten und NEN) zur Abstimmung über den Antrag: der Religionsfreiheit von Eltern wird einseitig über das Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit und Jungen (Zusatztagesordnungspunkt 1) 22856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Die Beschneidung der Penisvorhaut, medizinisch: Wir müssen die politischen und gesellschaftlichen Aus- (C) Zirkumzision, bei männlichen Babys und Kleinkindern wirkungen auf die Betroffenen und die Gesellschaft be- wird auch in Deutschland hunderttausendfach prakti- denken. ziert. Die Gründe sind unterschiedlich, Juden und Mus- Dabei erweist sich gerade das Strafrecht als besonders lime sehen darin ein religiöses Gebot, weil dadurch das ungeeignet für den erforderlichen Ausgleich. Mit dem männliche Kind in die Glaubensgemeinschaft aufgenom- Strafrecht wird gebrandmarkt, was als schlichtweg uner- men und ein Bund zwischen ihm und Gott geschlossen träglich und sozialethisch unakzeptabel anzusehen ist. wird. Andere Eltern lassen ihren männlichen Nachwuchs Ein solches Zeichen in Richtung des Islam wie des Ju- aus hygienischen und medizinpräventiven Gründen be- dentums in Deutschland zu setzen, würde den Rechts- schneiden. frieden in Deutschland erheblich schwerer beeinträchti- In juristischen Fachkreisen wird schon lange über die gen, als es das besagte Urteil aus Köln tut. Ich halte es Frage diskutiert, ob die Beschneidung von der Vertre- für politisch undenkbar, gegenüber den Muslimen in tungsmacht der Eltern und vom ihnen zustehenden Recht Deutschland eine Willkommenskultur einzufordern und der elterlichen Sorge gedeckt ist, ob sie unter dem das Wiederaufleben jüdischen Lebens in Deutschland Schutz der grundrechtlich geschützten freien Religions- wöchentlich zu zelebrieren und diesen Menschen gleich- ausübung steht oder ob sie eine strafbare Körperverlet- zeitig mitzuteilen, dass sie mit dem Staatsanwalt und mit zung ist. Diese Debatte hat aber bis zum Urteil einer Verurteilungen rechnen müssen, wenn sie die Beschnei- kleinen Strafkammer des Landgerichts Köln im Mai die- dung als ein zentrales Gebot ihrer Religionen befolgen ses Jahres nicht zu einer Strafbarkeit der Beschneidung und praktizieren. durch die Justiz geführt. Ganz im Gegenteil: In der zivil- Skeptisch bin ich gegenüber der Ankündigung, in ei- rechtlichen und sozialrechtlichen Rechtsprechung finden nem Gesetz die erlaubte Zirkumzision und ihre Grenzen sich vereinzelt Urteile, die von einer Rechtmäßigkeit ei- festzulegen. Die erhoffte Rechtssicherheit wird ein sol- ner hygienisch einwandfrei und vom medizinisch ge- ches Gesetz schwerlich erbringen können, weil es not- schulten Fachpersonal durchgeführten Beschneidung wendigerweise mit Begriffen befrachtet wird, die selbst ausgehen, soweit diese auf einer einvernehmlichen Er- wiederum durch die freie und unabhängige Justiz ausge- klärung der sorgeberechtigten Eltern beruht. füllt werden müssen. Die in Deutschland gegebene Rechtslage hat bisher weder im Zivilrecht noch im So- Das Kölner Urteil hat zu einer extremen Beunruhi- zialrecht oder im Strafrecht zu einer Ablehnung der Be- gung bei den Muslimen und Juden in Deutschland ge- schneidung durch ein Bundesgericht oder das Bundes- führt. Auch Berufsverbände der Medizinerinnen und verfassungsgericht geführt. Mehr an Rechtssicherheit Mediziner und große Krankenhäuser sprechen von einer kann es in einem Rechtsstaat nicht geben. Trotzdem Rechtsunsicherheit, der sie nicht ausgesetzt sein wollen. (B) stimme ich dem vorliegenden Antrag zu, weil ich ihn in (D) Eine eindeutige Klarstellung des Gesetzgebers ist des- seiner Ausrichtung, eine Botschaft an die muslimischen halb notwendig, um den bisher bestehenden Rechtsfrie- und jüdischen Gemeinschaften, aber auch an die Medizi- den in Sachen Beschneidung minderjähriger Jungen zu nerinnen und Mediziner auszusenden, dass der Bundestag erhalten. Deshalb stimme ich dem vorgelegten Antrag als legitimiertes Gesetzgebungsorgan die medizinisch zu. fachgerechte und vom einvernehmlichen Elternwillen Ich halte, im Gegensatz zu vielen und viel zu lauten getragene Beschneidung für grundsätzlich zulässig und Stimmen aus den Religionsgemeinschaften und den Arzt- nicht für strafbar erklärt, unterstütze. organisationen, die Rechtslage nicht für unklar. Dem Ur- teil eines einzelnen Richters aus Köln, welches keinerlei Bindungswirkung entfaltet und keinerlei neue Standards Anlage 13 setzt und welches im Ergebnis ja sogar zu einem Frei- Amtliche Mitteilungen spruch des angeklagten Arztes führte, wird eine Bedeu- tung zugemessen, welche ihm nicht gebührt. Die zum Der Bundesrat hat in seiner 898. Sitzung am 29. Juni Teil hysterischen Reaktionen auf dieses Urteil gilt es 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- nicht zu befeuern, sondern einzuhegen. stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. einen Einspruch Dabei sind die juristischen Fragen bedeutsam. Ich gemäß Artikel 77 Absatz 3 des Grundgesetzes nicht ein- stehe in voller Überzeugung zum Schutz der körperli- zulegen: chen Integrität von Kindern durch den Staat und die Ge- meinschaft. Ich achte und befürworte das Erziehungs- – Gesetz zur Demonstration und Anwendung von recht der Eltern, die in der Verantwortung stehen, im Technologien zur Abscheidung, zum Transport Rahmen der Rechtsordnung selbstverantwortlich zu be- und zur dauerhaften Speicherung von Kohlen- stimmen, was dem Kindeswohl ihrer Kinder entspricht. dioxid Ich wende mich auch nicht gegen die grundrechtlich ga- – Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer rantierte Religionsfreiheit. Zwischen diesen Rechtsgü- Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbei- tern gilt es einen alle Seiten schonenden Ausgleich zu legung finden. – Gesetz zur Änderung des Rechtsrahmens für Dabei muss uns klar sein, dass die Lösung rechtlicher Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu wei- Konflikte nicht im luftleeren Raum und auch nicht in se- teren Änderungen im Recht der erneuerbaren minaristischen Abhandlungen gefunden werden kann. Energien Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22857

(A) – Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushalts- (C) Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der jahr 2020 die Vorgabe aus Artikel 109 Absatz 3 Wirtschafts- und Währungsunion Satz 5 des Grundgesetzes erfüllt wird. Die Vereinba- rungen mit den Konsolidierungshilfeländern beste- hen unverändert fort. Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: – Der Stabilitätsrat überwacht die Einhaltung der ge- samtstaatlichen Defizitobergrenze. Bund und Länder Eckpunkte einer innerstaatlichen Umsetzung der werden im Stabilitätsrat zusammenwirken, um einer neuen Vorgaben des Fiskalvertrags und des Stabili- Überschreitung der gesamtstaatlichen Defizitober- täts- und Wachstumspaktes grenze nach Artikel 3 des Fiskalvertrags entgegenzu- Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise macht eine wirken. Im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung verstärkte Haushaltsdisziplin für ganz Europa unabding- des Fiskalvertrags sind die hierfür notwendigen Än- bar. Gleichzeitig ist es erforderlich, die Rahmenbedin- derungen des Stabilitätsratsgesetzes vorzunehmen. gungen für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung – Der Bund haftet im Fiskalvertrag im Außenverhält- durch gezielte, strukturelle Maßnahmen zur Stärkung der nis. Er ist bereit, für den Zeitraum bis 2019 das Ri- wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen siko etwaiger Sanktionszahlungen hinsichtlich des zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu verbessern. Der präventiven Arms des SWP zu übernehmen. Fiskalvertrag stellt dabei einen wesentlichen Baustein dar, um die Zielsetzung einer Weiterentwicklung der – Intelligentes Schuldenmanagement: Wirtschafts- und Währungsunion zu einer fiskalpoliti- Angesichts des Fiskalpaktes und des Verschuldungs- schen Stabilitätsunion dauerhaft zu verwirklichen. Der verbots für die Länder ab 2020 können zukünftig ge- Bundesrat bekennt sich zur gemeinsamen Verantwortung meinsame Anleihen von Bund und Ländern vernünf- von Bund und Ländern, die Vorgaben des Fiskalvertrags tig sein. Vor diesem Hintergrund wird der Bund und des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes zusammen mit den Ländern die Voraussetzungen da- zu erfüllen. Der Bundesrat begrüßt, dass Deutschland für schaffen, dass eine gemeinsame Kreditaufnahme mit den verfassungsrechtlich verankerten Schuldenre- von Bund und Ländern („Huckepackverfahren“) geln und der begleitenden Einrichtung des Stabilitätsrats möglich ist. Eine erste Anleihe soll in 2013 emittiert bereits umfassende institutionelle und rechtliche Rege- werden. lungen verabschiedet hat, die die langfristige Tragfähig- keit der Haushalte von Bund und Ländern sichern. – Bund und Länder stimmen darin überein, dass der Entwicklung der Sozialversicherungen und der kom- (B) Hinsichtlich der innerstaatlichen Umsetzung der Vor- munalen Finanzen bei der Einhaltung des Fiskalpak- (D) gaben des Fiskalvertrags und des Stabilitäts- und Wachs- tes eine wichtige Rolle zufällt. Die Entwicklung der tumspaktes, SWP, weist der Bundesrat darauf hin, dass Sozialversicherungen liegt dabei in der Verantwor- Bund und Länder am 24. Juni 2012 folgende Eckpunkte tung des Bundes. Die Länder tragen im Rahmen des vereinbart haben: Fiskalvertrags die Verantwortung für ihre Kommu- – Durch den Fiskalpakt sowie die noch ausstehende nen. Infolge der expliziten Einbeziehung der kom- munalen Verschuldung in die Defizitobergrenze des Konkretisierung bestimmter Vorgaben durch die Fiskalpaktes – im Gegensatz zur deutschen Schul- Kommission werden keine Anforderungen begrün- denbremse – werden die Länder in ihrer Konsolidie- det, die über die Vorgaben des verfassungsrechtli- rungspolitik vor deutlich größere Herausforderun- chen Rahmenwerks zur Begrenzung der Neuver- gen gestellt. Deshalb werden Bund und Länder unter schuldung in den Haushalten von Bund und Ländern Einbeziehung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hinausgehen. ein neues Bundesleistungsgesetz in der nächsten Le- – Die innerstaatliche Umsetzung geschieht durch Festle- gislaturperiode erarbeiten und in Kraft setzen, das die gung der Obergrenze für das gesamtstaatliche struk- rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe in turelle Defizit von maximal 0,5 Prozent des BIP ent- der bisherigen Form ablöst. sprechend den Vorgaben des Fiskalvertrags und des – Bund und Länder stimmen darin überein, dass eine Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Haushaltsgrund- Entscheidung über die Höhe der vom Bund für den sätzegesetz. Durch die noch zu konkretisierende inner- Zeitraum 2014 bis 2019 zur Aufgabenerfüllung der staatliche Umsetzung wird die Haushaltsautonomie Länder zu zahlenden Kompensationen nach Arti- von Bund und Ländern nicht beeinträchtigt werden. kel 143c des Grundgesetzes („Entflechtungsmittel“, – Zur Erfüllung der Vorgaben des Fiskalpaktes tragen zum Beispiel zur Verbesserung der kommunalen Ver- die Länder ausschließlich im Rahmen ihrer verfas- kehrsverhältnisse) im Herbst dieses Jahres erfolgt. sungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie durch – Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates die Einhaltung ihrer bestehenden Verpflichtungen vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 aus Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 143d Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- Satz 4 des Grundgesetzes bei. Die Länder treffen schen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmecha- keine darüber hinausgehenden Verpflichtungen. Ins- nismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung besondere wird die den Ländern durch Artikel 143d der Euro ist Absatz 1 Satz 3 und Satz 4 des Grundgesetzes einge- räumte Handlungsfreiheit beachtet. Die Haushalte und 22858 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012

(A) Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Der Bundesrat hat in seiner 899. Sitzung am 6. Juli (C) Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmecha- 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- nismus stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: und – Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzie- – Gesetz zur Einführung eines pauschalierenden rungsgesetz – ESMFinG) Entgeltsystems für psychiatrische und psycho- somatische Einrichtungen (Psych-Entgeltgesetz – PsychEntG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: – Gesetz zur Erweiterung der jugendrechtlichen Handlungsmöglichkeiten 1. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das Bundesver- fassungsgericht mit seinem Urteil vom 19. Juni 2012 – Gesetz zur Begleitung der Reform der Bundes- die Position des Bundesrates bestätigt hat, dass Er- wehr (Bundeswehrreform-Begleitgesetz – BwRef- richtung und Ausgestaltung des Europäischen Stabi- BeglG) litätsmechanismus eine Angelegenheit der EU im Sinne des Artikels 23 GG sind. Nach dem Bundes- – Gesetz zu dem Protokoll vom 21. Oktober 2010 verfassungsgericht handelt es sich auch bei völker- zur Änderung des Übereinkommens vom 9. Fe- rechtlichen Verträgen um eine Angelegenheit der bruar 1994 über die Erhebung von Gebühren für EU, wenn diese in einem Ergänzungs- oder sonstigen die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren besonderen Näheverhältnis zum Recht der EU Nutzfahrzeugen stehen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusam- menhang auf seine Stellungnahmen in der Bundes- – Achtes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli- ratsdrucksache 369/11 (Beschluss) und Bundesrats- cher Vorschriften drucksache 164/12 (Beschluss). – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 4. Oktober 2. Der Bundesrat betrachtet durch dieses Urteil auch 2003 zur Gründung des Globalen Treuhandfonds seine Position als bestätigt und begrüßt, dass die Zu- für Nutzpflanzenvielfalt stimmung des Bundesrates zu dem Gesetz zu dem – Gesetz zu dem Markenrechtsvertrag von Singa- Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des pur vom 27. März 2006 (B) Europäischen Stabilitätsmechanismus auf Grundlage (D) von Artikel 23 Absatz 1 GG erfolgt. Der Bundesrat – Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des ist weiterhin der Auffassung, dass dies auch für zu- Rechtsextremismus künftige Änderungen des ESM-Vertrages gilt und die Nutzung von Artikel 19 ESM-Vertrag, der eine Än- derung der Finanzhilfeinstrumente durch einstimmi- Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- gen Beschluss im Gouverneursrat ermöglicht, nach ßung gefasst: dem Rechtsgedanken aus den §§ 2 bis 4, 7 und 8 IntVG voraussetzt, dass der deutsche Vertreter im Der Bundesrat begrüßt das Gesetz zur Verbesserung ESM hierzu zuvor durch ein Gesetz im Sinne von der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Mit der Er- Artikel 23 Absatz 1 GG ermächtigt wurde. richtung einer gemeinsamen Datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten wird auch eine wichtige und 3. Die Zustimmung des Bundesrates zu dem vorliegen- richtige Konsequenz aus der unzureichenden Aufklärung den Gesetzespaket erfolgt in der Erwartung, dass die der NSU-Mordserie gezogen. Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der EU im Lichte dieses Urteils Dem Bundesrat erscheinen allerdings die behördli- weiter präzisiert werden. Dies erfordert eine Anpas- chen Befugnisse teilweise nicht weitgehend genug. Ins- sung der Gesetze über die Zusammenarbeit von Bun- besondere reichen die vorgesehenen Befugnisse nicht desregierung und Deutschem Bundestag, EUZBBG, aus, um die Verbunddatei NADIS-neu als umfassendes sowie von Bund und Ländern, EUZBLG, in Angele- Analyseinstrument nutzen zu können. Zudem wird es im genheiten der EU. Der Bundesrat erwartet, dass diese Zusammenhang mit waffenrechtlichen Erlaubnissen als Anpassungen zügig erfolgen, und wird hierzu eine geboten angesehen, auch Abfragen bei den Verfassungs- überarbeitete Fassung des EUZBLG einbringen. schutzbehörden einzuführen. – Gesetz zur Änderung des Bundesschuldenwesen- Der Bundesrat hält damit an seiner in der 893. Sitzung gesetzes am 2. März 2012 beschlossenen Stellungnahme fest (Bundesratsdrucksache 31/12 (Beschluss)) und bittet – Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundestag und Bundesregierung, diese Anliegen in Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2012 nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren umzusetzen. (Nachtragshaushaltsgesetz 2012) – Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungs- – Gesetz zur Besteuerung von Sportwetten gesetz 2012/2013 (BBVAnpG 2012/2013) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 189. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Juli 2012 22859

(A) Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mitge- – Unterrichtung durch die Bundesregierung (C) teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Haushaltsführung 2010 Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- nachstehenden Vorlagen absieht: tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2010 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksachen 17/3781, 17/3956 Nr. 1.5 – Haushaltsführung 2010 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus- Haushaltsführung 2010 haltsjahres 2010 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus- – Drucksachen 17/2123, 17/2373 Nr. 1.3 – haltsjahres 2010 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksachen 17/5647, 17/5820 Nr. 1.9 – Haushaltsführung 2010 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2010 – Drucksachen 17/2689, 17/2971 Nr. 1.12 –

(B) (D)

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