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PERSONALFÜHRUNG 6/2018 23 Ritter ohne Furcht und Adel Das Spitzenpersonal im Bundesministerium für Arbeit und Soziales

PERSONALFÜHRUNG 6/2018 24 SCHWERPUNKT DIE NEUE BUNDESREGIERUNG

s wäre ein Bild für die Götter: Hu- ARBEITNEHMERRECHTE bertus Heil stürzt sich von der Büh- UND SOZIALSTAAT Ene in die Arme einer dicht gedräng- ten, ekstatisch jubelnden Menge, die ihren Das Gespräch verrät zweierlei: Hier ist je- Rockstar nach einem tollen Konzert förm- mand, der fürchtet, sich im stressigen Ber- lich auf Händen trägt. Doch „Stage Div­ liner Politikbetrieb ein paar Pfunde zu viel ing“ käme U2-Fan Heil nie in den Sinn, angefuttert zu haben (obwohl er in der Rie- „weil ich glaub‘, ich bin ge des Spitzenpersonals immer noch eine or- Als Kind wollte er Ritter werden, zu schwer“, sagt er im dentliche Figur abgibt). Und hier ist jemand, verwarf diesen Plan aber, nachdem Interview mit Deutsch- der als Bundesminister für Arbeit und Sozi- landfunk-Nova-Mode- ales in der 19. Legislaturperiode ein zwar er gemerkt hatte, dass es den Aus­ ratorin Rahel Klein, kurz berechenbarer, aber nicht leichter Gesprächs- bildungsberuf­ nicht mehr gibt. Nun ist vor der Bundestagswahl partner für die Wirtschaft sein könnte. Heil 2017. Er sitzt am Bier- tritt das Amt in der Nachfolge von Andrea Bundesarbeitsminister­ tisch vor einem „Späti“, Nahles an, die aus Sicht der SPD viel er- und Burgherr über den größten Ein- so heißen in Berlin die reicht hat, zum Beispiel Rente mit 63, Min- zelposten im Bundeshaushalt. Er sieht Kioske, und plaudert da- destlohn, Leitplanken für die Arbeitnehmer­ rüber, was die SPD nach überlassung. Beim Wähler ist davon wenig eine Parallele zwischen seinem frühe- einer gewonnenen Wahl angekommen, gemessen an den Ergebnis- ren Berufswunsch und dem, was er so vorhätte. sen der Bundestags- und diverser Landtags- wahlen. Der neue Bundesarbeitsminister soll heute macht: wehrhaft den Schwachen Im Grunde ist es der Mas- nun auf dem Kerngebiet der Sozialdemo- helfen. Heils Stil wird als schnörkellos, terplan für den Bundes- kratie – Arbeitnehmerrechte und Sozial- frei von Allüren und effektiv beschrie- arbeitsminister, der da- staat – verlorenen Boden gutmachen. mals, als SPD-General- ben. An seiner neuen Wirkungsstätte sekretär, wahrscheinlich Wie das funktionieren könnte, verrät Heil unterstützen ihn erfahrene Topbeamte noch nichts von seiner kurz nach seiner Berufung ins GroKo-Ka- und eine Newcomerin. neuen Aufgabe wusste. binett. Er wolle sich um die Zukunft der Teilzeitbeschäftigte sol- Arbeit kümmern, um „gute Arbeit“, die len einen Rechtsanspruch die Chancen der Digitalisierung nutze. Der DER AUTOR auf Rückkehr in Vollzeit „starke und handlungsfähige Sozialstaat, CHRISTOPH STEHR ▶ erhalten – ein gescheiter- auf den sich die Menschen wirklich verlas- Wirtschaftsjournalist, Hilden tes Vorhaben der SPD sen können“, ist sein Leitbild. Sein Berufs- ▶ redaktion@ in der alten GroKo –; wunsch aus Kindertagen, nämlich „Ritter“, stehr-hilden.de Pflegeberufe müssen auf- hilft ihm sich zu orientieren: Man brauche gewertet werden, etwa eine „ordentliche Rüstung“ und „Anstand durch einen allgemein- und Tugenden“, um den Schwachen zu verbindlichen Sozialta- helfen. Wahrhaft und wehrhaft – so stellt rifvertrag; Abschaffung sich Heil die Politik vor, die er in den der sachgrundlosen Be- nächsten Jahren vertreten will. fristung von Arbeitsverträgen; Stärkung der Tarifbindung, der Mitbestimmung und NIEDERLAGEN der Arbeitnehmervertretungen; mehr Lohn- GUT WEGGESTECKT gerechtigkeit zwischen Männern und Frau- en; Sicherung des Rentenniveaus und Ein Ritter, aber einer von der unpräten- Grundrente. tiösen Sorte. Heil kämpft sich durch, eher pragmatisch als programmatisch. Er sei ein „sehr professioneller Politiker“, sagte der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende im , . Heil

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könne inhaltliche Impulse geben, vor al- neral“ wollte damit Struktur in den Wahl- dam. Natürlich kann ein Abgeordneter lem zu Wirtschaft, Innovation und Bil- kampf bringen, immerhin ein Versuch, die nicht nebenher Vorlesungen besuchen, also dung, aber er verstehe auch etwas von Or- von Pleiten, Pech und Pannen heimgesuch- schrieb sich Heil an der FernUniversität ganisation. Das gehört sich auch für je- te Kampagne zu retten. Schulz war damals Hagen ein und hangelte sich von Schein manden, der gleich zweimal als General- von internen Querelen schwer angeschla- zu Schein. „Das war schon ein harter Akt, sekretär oberster Wahlkampfmanager der gen, seine größten Widersacher hießen Olaf aber das war notwendig, weil, ich wollte SPD war. Von 2005 bis 2009 sowie von Scholz und . Als Heil dann das fertigbringen“, sagte er, kurz bevor er 2006 seinen Abschluss machte. Heute, mit 45, gehört Heil zu den alten Hasen im Parlament. Er war von Oktober 2009 bis Juni 2017 und von Dezember 2017 bis März 2018 stellvertretender Vorsit- zender der SPD-Bundestagsfraktion; saß in verschiedenen Parlamentsaus- schüssen, wobei sich sein Schwerpunkt auf Wirtschaft und Bildung herausbil- dete.

HUBERTUS HEIL BJÖRN BÖHNING LEONIE GERBERS Heil ist im starken Niedersachsenflügel der Sozialdemokraten beheimatet: ge- boren in Hildesheim, evangelisch, Abi­ tur und Zivildienst in Peine, verheiratet, zwei kleine Kinder. Mit 16 trat er in die SPD ein, war von 1991 bis 1995 Juso-Bezirksvorsitzender in Braun- schweig, von 2001 bis 2007 stellvertre- tender Vorsitzender des SPD-Unterbe- zirks Peine und des SPD-Bezirks Braun- schweig, ab Dezember 2009 Vorsitzen- der des SPD-Bezirks Braunschweig, ab ROLF SCHMACHTENBERG 2011 Mitglied des SPD-Parteivorstands. Als Student arbeitete er für die branden­ Juni bis Dezember 2017 diente Heil sei- seine Bewerbung um den Posten des Ers- burgische Landtagsabgeordnete Heidrun ner Partei in dieser Funktion. 2009 ver- ten Parlamentarischen Geschäftsführers der Förster und war Geschäftsführer der Arbeits­ loren die Sozialdemokraten bei der Bun- SPD zurückzog, um den Weg für Frakti- gemeinschaft für Arbeitnehmerfragen im destagswahl rund elf Prozentpunkte und onschefin Nahles freizumachen, sammelte SPD-Landesverband Brandenburg. Die holten nur 23 Prozent der Stimmen; bei er weitere Punkte im Rennen um ein Spit- Mitgliedschaft bei der IG Metall rundet der Wahl 2017 bedeuteten 20,5 Prozent zenamt. So wurde er „ministerabel“ und sein sozialdemokratisches Profil ab. einen neuen Minusrekord. bekam den Zuschlag für das Ressort Ar- beit und Soziales. HERZSCHRITTMACHER Die Niederlagen hatten unterschiedliche FÜR SOZIALE GERECHTIGKEIT Ursachen, die nicht dem Generalsekretär SPD-KARRIERE angekreidet wurden – vor allem 2017, als AUS DEM BILDERBUCH Bei seiner ersten Regierungserklärung im sich der „Schulz-Effekt“ in den „Schulz- Bundestag trat der neue Bundesarbeitsmi- Defekt“ umkehrte. Heil hatte damals noch Dass er sich durchbeißen kann, hat Heil nister selbstbewusst auf. „Das Ministerium 13 Wochen bis zum Wahltag. Er legte im schon als junger Mann bewiesen. Als er für Arbeit und Soziales ist die Herzkammer Willy-Brandt-Haus ein 13-seitiges Papier 1998 in den Bundestag zog, direkt gewählt der Bundesregierung. Wenn es hier zur auf den Tisch, für jede Woche eine Seite, für den Wahlkreis Gifhorn-Peine, war er Herzrhythmusstörung kommt, dann gibt dicht beschrieben mit Themen und Paro- 25 und Student der Politikwissenschaft es nicht nur soziale Verwerfungen, sondern len, die man vorantreiben sollte. Der „Ge- und Soziologie an der Universität Pots- auch wirtschaftliche“, sagte Heil. Sein Plan

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ist, die soziale Marktwirtschaft zu stärken ERFAHRUNG PLUS FRISCHER WIND regionalen Grundsicherungssatz liegen wird, und so „die Spaltung in der Gesellschaft“ einer weiter verbesserten Erwerbsminde- zu überwinden. Konkret bedeutet das: stren- Das Team, mit dem der Bundesarbeitsmi- rungsrente, einer Rentenversicherungspflicht gere Regeln für sachgrundlose Befristun- nister diesen Kraftakt meistern will, vereint für Selbstständige und weiteren Verbesse- gen, Sachgrundbefristungen und Arbeit auf Erfahrung und – hoffentlich – einigen fri- rungen bei der Mütterrente für Mütter mit Abruf; Recht auf befristete Teilzeit; Förde- schen Wind. Anette Kramme, 50, war be- drei und mehr Kindern.“ rung von Familienarbeitszeitmodellen; In- reits unter Andrea Nahles Parlamentarische tegrationsprogramm für Langzeitarbeitslo- Staatssekretärin. Die Juristin und Fachan- Als streitbare Sozialdemokratin mit eher linken Positionen gilt Kers- tin Griese, 51, die zweite Parlamentarische Staatsse- kretärin im Bundesarbeits- ministerium. Die Histori- kerin und Politikwissen- schaftlerin, die in der evan- gelischen Kirche engagiert ist, unter anderem als Rats- mitglied der EKD, hatte ih- ren Schwerpunkt ursprüng- lich auf die Themen Fami- lie, Kinder, Religion gelegt. Im Bundestag, dem sie seit 2000 angehört, leitete sie von 2002 bis 2009 den Aus- schuss für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend. Danach befasste sie sich zu- nehmend mit Arbeitsmarkt- Heil wolle sich um die Zukunft der Arbeit kümmern, um „gute Arbeit“, die die Chancen der Digitalisierung nutze. Der „starke und handlungsfähige Sozialstaat, auf den sich die Menschen wirklich verlassen können“, ist sein Leitbild. politik und war von 2014 bis 2018 Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und se; nationale Weiterbildungsstrategie; mehr wältin für Arbeitsrecht sitzt seit 1998 für Soziales. Griese hat zweimal das Direkt- Geschlechtergerechtigkeit und Entgelttrans- die SPD im Bundestag. Aufgewachsen in mandat für den nordrhein-westfälischen parenz; Masterplan gegen Kinderarmut. , fand sie während des Studiums an Wahlkreis Mettmann II geholt, zog zuletzt Wie viel sich hiervon verwirklichen lässt, der Universität Bayreuth zur Politik, wur- aber über die Landesliste in den Bundes- weiß Heil natürlich nicht. de 1998 Vorsitzende des SPD-Unterbe- tag ein. „Soziale Gerechtigkeit, Chancen zirks Bayreuth und 2007 Vorsitzende des für alle Menschen, die Zukunft des Ar- Wer nun glaubt, hier gehe ein großer Um- SPD-Bezirksverbands Oberfranken. Von beitsmarkts und die Inklusion von Men- verteiler ans Werk, irrt. Heil lehnt das be- 2009 bis 2013 war Kramme Sprecherin schen mit Behinderung sind mir Herzens- dingungslose Grundeinkommen ab; die der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und anliegen“, sagt Griese. Starke Betriebsräte Agenda 2010 hat er stets verteidigt, weswe- Soziales, bevor sie den Posten der Parla- und Arbeitnehmerrechte stehen ebenso auf gen ihn die Linke-Vorsitzende Katja Kip- mentarischen Staatssekretärin antrat. Sie ihrer Agenda. ping als „Hartz-IV-Vollzugsminister“ be- gilt als Fachfrau für Rentenpolitik. „Mir schimpft. „Wir wollen nicht Armut bloß persönlich ist insbesondere wichtig, dass BEAMTE MIT SPD-BEZUG verwalten, sondern für jeden Chancen auf wir der Union unsere Vorstellungen über ein selbstbestimmtes Leben schaffen“, hält eine Rentenreform haben überstülpen kön- Zum Spitzenpersonal im Bundesarbeitsmi- Heil dagegen. Wäre der Spruch vom „For- nen mit einer Haltelinie beim Rentenni- nisterium gehören außerdem die Beamte- dern und Fördern“ nicht so ausgelutscht, veau von 48 Prozent statt 46,4 Prozent – ten Staatssekretäre. Leonie Gerbers, 47, würde er hier passen. Vollbeschäftigung soll zunächst – bis 2025“, sagt sie, „mit einer kommt aus dem Bundeswirtschaftsminis- den Weg in die soziale Gerechtigkeit ebnen. Grundrente, die zehn Prozent über dem terium, wo sie zuletzt die Unterabteilung

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„Umwelt, Klima, Bio-Ökonomie“ leitete. Senatskanzlei des Landes Berlin, anschließend wurde er Chef der Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Senatskanzlei. Als Staatssekretär widmet er sich nun der neuen Soziologie und Volkswirtschaftslehre war Abteilung DA (Digitalisierung und Arbeitswelt) sowie der Abtei- sie unter anderem Referentin beim SPD- lung III (Arbeitsrecht und Arbeitsschutz) und der Unterabtei- Parteivorstand und koordinierende Refe- lung VI b (Internationale Beschäftigungs- und Sozialpolitik). rentin für Wirtschafts- und Arbeitsmarkt- politik in der SPD-Bundestagsfraktion. Ihre Zu wenig Frauen, zu wenig Ostdeutsche – diesem Vorwurf muss längste Station hatte sie von 1999 bis 2009 sich die neue Bundesregierung stellen. Bundesarbeitsminister Heil hat mit drei Staatssekretärin- nen zumindest in einem Punkt gegengesteuert. Was die Ostkomponente betrifft, kann er den Beamteten Staats- sekretär Dr. Rolf Schmach- tenberg aufbieten, der zwar „Wessi“ ist, aber direkt nach der Wende in Brandenburg viele Jahre arbeitete. Der 58-jährige Mathematiker und Volkswirt ist seit 2002 im Bundesarbeitsministerium tä- tig, zuletzt als Leiter der Ab- teilung V „Teilhabe – Belan- ge von Menschen mit Behin- derung, Soziale Entschädi- gung und Sozialhilfe“. Von 1991 bis 2001 war Schmach- tenberg Leiter der Abteilung Zum Spitzenpersonal im Bundesarbeitsministerium gehören unter anderem die Beamteten Staatssekretäre (v. l.): Rolf Schmachtenberg, Leonie Gerbers und Björn Böhning. Arbeit im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Bran- als Referentin im Bundesministerium für denburg. Im Jahr 1990 beriet er die SPD (DDR) zu Wirtschafts- Familie, Senioren, Frauen und Jugend. der fragen. Schmachtenberg ist künftig zuständig für die Abteilun- Seite von Bundesarbeitsminister Heil ist gen IV (Sozialversicherung und Alterssicherung) und V (Teilha- sie nun für die Zentralabteilung sowie für be von Menschen mit Behinderungen, Sozialhilfe und Soziale die Abteilungen I (Grundsatzfragen des So- Entschädigung) sowie die Unterabteilung VI a (Europäische Uni- zialstaats, der Arbeitswelt und der sozialen on, Europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik) und die Grup- Marktwirtschaft) und II (Arbeitsmarktpo- pe EF (Europäische Fonds für Beschäftgung). litik, Ausländerbeschäftigung, Arbeitslosen- versicherung und Grundsicherung für Ar- VORSICHT VOR RUCKARTIGEN MANÖVERN beitsuchende) zuständig. Es ist normal, dass Minister Fachkräfte aus der eigenen Partei – Bis in den SPD-Parteivorstand hat es der und mit entsprechenden beruflichen Positionen – in Spitzenäm- Beamtete Staatssekretär Björn Böhning, ter hieven. Allerdings gibt es Ausnahmen, einige Ministerien set- 40, geschafft: Von 2004 bis 2011 gehörte zen auf Staatssekretäre, die zumindest nicht von der Papierform er dem Spitzengremium an, zudem war er her auf Konsens gebürstet sind. Bundesarbeitsminister Heil ver- mehrere Jahre Juso-Bundesvorsitzender. traut lieber auf bewährte Gesichter, was nicht falsch sein muss. Der Diplom-Politologe leitete von 2007 Für das Personalmanagement in Unternehmen ist nur entschei- bis 2011 den Bereich „Politische Grund- dend, dass ein verbindlicher Kurs über die nächsten Jahre einge- satz- und Planungsangelegenheiten“ in der halten wird – möglichst ohne ruckartige Manöver. •

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