Ein nur noch seltenes Paar Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend – Strategien gegen den Generationenabriss Von Volker Giersch

Die Konferenz der Gremienvorsitzenden der Landes- ie öffentlich-rechtlichen Rundfunk- D anstalten verlieren die jüngeren Be- rundfunkanstalten (GVK) hat 2007 beschlossen, völkerungsgruppen zunehmend an die private Konkurrenz – besonders sich intensiver mit dem Thema »Erreichbarkeit der im Fernsehen. Nicht nur bei den 15- bis 29-Jäh- rigen, sondern auch bei den 30- bis 49-Jährigen Jugend« zu befassen, und im März 2008 bereits prägen niedrige und weiter sinkende Markt- anteile das Bild. Das Durchschnittsalter der eine Tagung zu diesem Thema veranstaltet. Ziel dieser ARD- und ZDF-Zuschauer ist auf gut 60 Jahre gestiegen. Tendenz weiter steigend. Es droht ein Aktivitäten war und ist zum einen eine Bestands- Generationen abriss. Überzeugende Strategien, die auf eine erfolgreiche Ansprache der jün- aufnahme, zum anderen die Identifizierung von innova- geren Altersgruppen zielen, sind bislang kaum erkennbar. Sie sind aber dringend nötig, denn tiven Konzepten und Ideen für eine erfolgreiche der Befund ist gleichermaßen eindeutig wie alarmierend. Ansprache junger Menschen in den Fernseh- und Hör- _  3ZSP^`YO^_PTRPYOP^/`]NS^NSYT__^LW_P] funkprogrammen sowie den Online-Angeboten Bei den öffentlich-rechtlichen TV-Programmen ist inzwischen fast die Hälfte der Zuschauer der ARD. Die Intendantinnen und Intendanten werden über 65 Jahre alt – also im Rentenalter. Nur rund fünf Prozent sind unter 30. Das durch- dazu ein Strategiepapier entwickeln. Und auch in die schnittliche Zuschaueralter liegt beim Ersten inzwischen bei 59,8 Jahren, beim ZDF bei 60,6 ARD-Leitlinien für die Jahre 2009/2010 ist die Initiative Jahren und bei den Dritten noch höher: bei 60,9 Jahren. Der Vergleichswert der privaten der GVK schon eingeflossen. Sender liegt mit etwa 45 Jahren weit darunter. Der durchschnittliche Zuschauer des öffentlich- rechtlichen Rundfunks ist also um rund 15 Jahre älter als derjenige der privaten Anbieter. Sorge macht insbesondere, mit welchem Tempo das Durchschnittsalter bei den Öffent- lich-Rechtlichen ansteigt. In den vergangenen 15 Jahren nahm es bei der ARD um elf Jahre, beim ZDF um acht Jahre zu. Das ARD- und ZDF-

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend ARD-JAHRBUCH 08 23 Fernsehpublikum altert damit mehr als dreimal so stark wie das Fernsehpublikum insgesamt. Wenn dieser Trend weiter Bestand hat, werden die Zuschauer der Öffentlich-Rechtlichen in zehn Jahren im Durchschnitt gut 66 Jahre alt sein. Bei RTL und Sat.1 stieg das Durchschnitts- alter nur um rund 3,5 Jahre. Bei ProSieben ging es sogar um 1,5 Jahre zurück. Insgesamt ist also eine fortschreitende Spaltung des Fern- sehmarkts zu beobachten: Die Älteren sehen öffentlich-rechtlich, die Jüngeren privat. Im Hörfunk ist die Situation weniger dra- Moderieren »DASDING.tv«: Domenica Berger matisch, in der Tendenz aber ähnlich. Hier und Rainer Jilg. behaupten die ARD-Programme gegen eine zahlenmäßig große Konkurrenz bei den 14- bis 29-Jährigen immerhin einen Anteil an der Auch wenn man den Fernsehkonsum allein Tagesreichweite von 36,5 Prozent. Bei den 30- nimmt, ist der Anstieg der Sehdauer mit zuneh- bis 39-Jährigen sind es sogar 44,0 Prozent, bei mendem Alter deutlich zu erkennen. Sie wächst den 50-Jährigen und Älteren über 61 Prozent. von 100 Minuten bei den 14- bis 19-Jährigen auf Vor zehn Jahren waren es 43,3, 48,4 und 63,2 156 Minuten bei den 20- bis 29-Jährigen und 192 Prozent. Der Rückgang ist also bei den Jünge- Minuten bei den 30- bis 39-Jährigen (Gesamt- ren stärker als bei den Älteren, aber deutlich durchschnitt der Erwachsenen 223 Minuten). weniger ausgeprägt als im Fernsehen. Allerdings Aus diesen Fakten lassen sich zwei Schlüsse verfügen die Landesrundfunkanstalten im ziehen: Erstens, dass die jüngeren Menschen Hörfunk auch über ausgesprochene Jugendpro- über die klassischen Medien Fernsehen und gramme und über Popwellen, die gerade die Hörfunk durchaus zu erreichen sind – wenn mittleren Jahrgänge gut erreichen. auch nicht ganz so gut wie die älteren. Und _ zweitens, dass sich die rasche Alterung des  5`RPYOWTNSPYLNSbTPaZ]ÍMP]3Õ]Q`YV »öffentlich-rechtlichen Fernsehpublikums« nur  `YO1P]Y^PSPYP]]PTNSML] zum kleinen Teil mit dem spezifischen Medien- Ein viel genannter Grund für das hohe und verhalten der Jugend erklären lässt. weiter steigende Durchschnittsalter bei den _ Öffentlich-Rechtlichen liegt im abweichenden  9TPO]TRP!bPT_P]^TYVPYOP8L]V_LY_PTWP Medienverhalten der Jugend-Jahrgänge. In der  MPTUÍYRP]PYE`^NSL`P]Y Tat nutzen Jugendliche zwischen 14 und 19 Jah- Der Kern des Problems liegt woanders. Er liegt ren die Medien Fernsehen und Hörfunk weit darin, dass die Öffentlich-Rechtlichen bei den unterdurchschnittlich – insgesamt 195 Minuten Zuschauern unter 50 Lebensjahren in beträcht- täglich. Das ist nur etwa halb so lange, wie die lichem Ausmaß Marktanteile verlieren. Beson- Zuschauer und Zuhörer aller Altersgruppen ders ausgeprägt ist der Akzeptanz-Schwund bei diese Medien nutzen. Jugendliche sind mehr den Unter-30-Jährigen. online als vor dem Fernseher. Und sie hören Das Erste erreicht in dieser Altersgruppe (14 ebenso viel Musik aus der Retorte (MP3), wie bis 29 Jahre) nur noch einen Marktanteil von sie Radio hören. fünf Prozent (2007). Das ZDF liegt mit 4,1 Pro- Dieser Befund gilt allerdings nur für die zent noch darunter. Denselben Wert erzielen »Teens«. Denn mit zunehmendem Alter gleicht die Dritten zusammen. Zum Vergleich: Markt- sich das Medienverhalten rasch den Durch- führer ProSieben kam auf 17,4 Prozent, RTL auf schnittswerten an. Bereits bei den 20- bis 29-Jäh- 16,8 Prozent. rigen steigt der Radio- und Fernsehkonsum auf Im Klartext bedeutet das: Wenn Jugendliche 330 Minuten täglich an. Das sind bereits gut 80 und junge Erwachsene ihr Fernsehgerät an- Prozent des Durchschnittswerts für alle Alters- schalten, entscheiden sie sich nur zu etwa 15 gruppen (409 Minuten). Bei den 30- bis 39-Jäh- Prozent für öffentlich-rechtliche Programme rigen wird dieser Durchschnittswert mit 391 Mi- und zu mehr als 85 Prozent für die privaten Sen- nuten fast erreicht. der. Bezogen auf alle Zuschauer kommen die Öffentlich-Rechtlichen – Das Erste, die Dritten

24 Artikel ARD-JAHRBUCH 08 _ und das ZDF – dagegen auf einen Marktanteil  4YOPY?Z[ăþOP^1P]Y^PSPY^Y`]XT_ von rund 40 Prozent. Die Quote für die 14- bis  >[Z]_aP]_]P_PY 29-Jährigen liegt also bei nur etwa einem Drittel ARD und ZDF ziehen im Wettbewerb um die der Gesamtquote der Öffentlich-Rechtlichen. Jüngeren insbesondere deshalb den Kürzeren, Weit unterdurchschnittlich ist der Marktan- weil sie zu wenige Programme für diese Ziel- teil der öffentlich-rechtlichen TV-Programme gruppe anbieten. In der Hitliste der 50 Sen- mit rund 24 Prozent übrigens auch in der dungen, die Teens und Twens 2007 in besonders Gruppe der 30- bis 39-Jährigen, also bei den großer Zahl eingeschaltet haben, kommen die »Middle Agers«. Anlass zur Sorge gibt insbe- Öffentlich-Rechtlichen praktisch nicht vor; sondere das Ausmaß, mit dem die Öffentlich- Ausnahme: bei der Übertragung herausragender Rechtlichen bei den jüngeren Zuschauergrup- Sportereignisse (z. B. Fußball- und Handball- pen in den vergangenen 15 Jahren an Akzeptanz Weltmeisterschaften). Hier gibt es vier Treffer, _verloren haben und immer noch verlieren: alle vom Ersten. Und bei Unterhaltungsfor- Bei den 14- bis 19-Jährigen ist der Marktan- maten heißt der traurige Befund: Fehlanzeige. teil von ARD und ZDF zusammen von be- »RTL und ProSieben«, so bilanzierte es der achtlichen 40,1 Prozent in 1992 auf nunmehr ARD-Vorsitzende Fritz Raff kürzlich, »dominie- 12,4 Prozent in 2007 gesunken, bei den 20- bis ren diese Liste mit einer Klarheit, die betroffen 29-Jährigen von 41,2 auf 13,5 Prozent. Das sind machen kann.« immerhin Marktanteilsverluste in der Größen- Erstaunlich ist, dass diese Betroffenheit bis- _ordnung von zwei Dritteln und mehr. lang keine stärkere Bereitschaft zum Wandel Selbst bei den noch nicht im dualen System auslöst. Ist da bereits Resignation im Spiel, oder fernsehsozialisierten 30- bis 49-Jährigen hat sich ist es bewusstes strategisches Kalkül, vor allem der Marktanteil der Öffentlich-Rechtlichen seit auf die älteren Zuschauer zu setzen? Befürchten 1992 fast halbiert – von 45,8 auf 23,9 Prozent. ARD und ZDF, dass ihre Gesamtquote sinken Tröstlich ist da allenfalls der Umstand, wird, wenn sie die Programme stärker auf jün- dass sich der Akzeptanz-Schwund in den letz- gere Menschen zuschneiden? ten fünf Jahren etwas verlangsamt hat – vor Bezogen auf die Hauptprogramme mag ein allem bei den 14- bis 19-Jährigen. Dennoch ist solches Risiko durchaus bestehen. Zumindest der Negativtrend keineswegs gebrochen. Die ist a priori nicht auszuschließen, dass man mit Entwicklung der Marktanteile zeigt bei allen einem »jüngeren« Programm in der Übergangs- Altersgruppen unter 50 Jahren bis zuletzt nach zeit mehr ältere Zuschauer verliert als jüngere unten. Steigende Marktanteile erreichen ARD hinzugewinnt. Doch dürfte sich der Schwund und ZDF erst in den Rentnerjahrgängen. Bei bei den Älteren in engen Grenzen halten, wenn den Ab-65-Jährigen liegt die Quote inzwischen ARD und ZDF gemeinsam und behutsam um- bei 65 Prozent. Vor zehn Jahren lag sie noch bei steuern. weniger als 60 Prozent. Die Hoffnung nun darauf zu setzen, dass die Alterung der Gesellschaft die Quoten von ARD und ZDF insgesamt stabil halten wird, wäre allerdings verfehlt. Denn es ist keineswegs ein Automatismus, dass sich die Menschen mit fortschreitendem Alter den Öffentlich- Rechtlichen zuwenden. Vielmehr deuten die Ergebnisse der Medienforschung darauf hin, dass jüngere Generationen, deren Sehgewohn- heiten bereits stark von den Privaten geprägt wurden, auch im Alter für die öffentlich-recht- lichen Sender nicht mehr so leicht zu erreichen sind wie jene Jahrgänge, die ausschließlich mit öffentlich-rechtlichen Programmen aufgewach- Ein Versuch, das Thema Sport in einer Call-in- sen sind. Sendung humorvoll umzusetzen: Im Ergebnis bedeutet das: Sender, die heute Arnd Zeigler in »Zeiglers wunderbare Welt des an Akzeptanz bei der Jugend verlieren, werden Fußballs« im WDR Fernsehen morgen und übermorgen mutmaßlich auch bei der Gesamtquote zurückfallen.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend ARD-JAHRBUCH 08 25 Überdies besteht dann ja auch die Möglich- Rechtlichen mit einer markenorientierten Stra- keit, eine stärkere Differenzierung im gesamten tegie beginnen, desto besser sind die Erfolgsaus- Programm-Portfolio zu wagen. Warum nicht _sichten. eines oder mehrere Programme so gestalten, Drittens braucht es Zeit, bis eine stärkere dass sie verstärkt jüngere Menschen anspre- Programmausrichtung auf die Jugend die ge- chen? Immerhin bieten ARD und ZDF zurzeit wünschte Wirkung entfaltet. Es wird nicht auf 21 deutschlandweit empfangbare Fernsehpro- Anhieb gelingen, entsprechende Programm- gramme an. Bei kaum einem dieser Programme formate zu entwickeln und den bestmöglichen liegt das Durchschnittsalter nennenswert unter Programm-Mix für eine Verjüngung des Fern- 60 Jahren. Am niedrigsten ist es mit 49 Jahren sehpublikums zu finden. Vielfach wird man bei EinsFestival, mit 54 Jahren bei PHOENIX sich auf dem Weg von Versuch und Irrtum und mit 57 Jahren bei . herantasten müssen. Je früher und beherzter die _ Öffentlich-Rechtlichen damit beginnen, desto  3ÕNS^_PEPT_QÍ]PTYPP]QZWR]PTNSP]P,Y^[]LNSP besser_ die Erfolgsaussichten.  OP]5ÍYRP]PY Viertens macht es Sinn, Strategien der Keine Frage: Es ist eine riesige Herausforde- Jugendansprache auf Erkenntnissen aus der rung, die jüngeren Zuschauergruppen in großer Medien- und Jugendforschung aufzubauen. Zahl mit qualitätsvollen Informations- und Auf diesem Forschungsgebiet gibt es hierzu- Unterhaltungsangeboten zu erreichen. Und nur lande bislang noch erhebliche Defizite. Da das kann das Ziel sein. Aber die Möglichkeiten Forschungsprojekte Zeit brauchen, sollten sie dazu sind noch keineswegs ausgereizt. MDR- schnellstmöglich gestartet werden – am besten Intendant Udo Reiter hat völlig Recht, wenn er in enger Abstimmung oder gar in Kooperation sagt: »Man kann nicht auf der einen Seite im- zwischen ARD und ZDF. mer einen mangelhaften Informationsstand jun- ger Leute und niedrige pädagogische Ansprüche Bildung für die Jüngeren: Homepage von mancher Privatprogramme beklagen und ande- »Planet Wissen« mit dem Angebot rerseits nichts dagegen tun.« zum Thema »Olympische Spiele« aus der Das Thema Ansprache der Jugend gehört »Multimedia-Galaxie« deshalb verstärkt in den Fokus der programm- strategischen Überlegungen der Öffentlich- Rechtlichen. Und zwar rasch, denn die Zeit _drängt: Erstens droht ansonsten eine Diskussion darüber, ob die Öffentlich-Rechtlichen ihren Funktionsauftrag noch hinreichend erfüllen. Dieser Auftrag verpflichtet sie ja u. a. dazu, »die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen« und durch ihre Angebote »den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern zu för- dern«, wie es im Entwurf zum 12. Rundfunk- änderungsstaatsvertrag heißt. Diese Aufgaben _ lassen sich befriedigend nur dann erfüllen,  2P^LX_^_]L_PRTPYÕ_TR wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade Positiv ist, dass die Öffentlich-Rechtlichen bei auch die nachwachsenden Generationen in an- der gezielten Ansprache junger Leute bereits auf gemessenem Umfang erreicht. Bei anhaltendem wichtige eigene Erkenntnisse zurückgreifen kön- Schwund der jüngeren Zuschauer wächst jeden- nen. Das zeigt die Übersicht über die Jugend- falls das Risiko, dass über kurz oder lang auch angebote der ARD, die die ARD-Geschäftsfüh- die Akzeptanz für die Gebührenfinanzierung rung auf Bitte der Gremienvorsitzenden erstellt _schwindet. hat. Auch die von der GVK im März 2008 Zweitens muss es im ureigenen Interesse veranstaltete Fachtagung zur Jugendansprache von ARD und ZDF liegen, junge Menschen hat bestätigt, dass zahlreiche gute Formate, in- möglichst frühzeitig an ihre Programme zu bin- novative Konzepte und kreative Ideen bereits den und die Marken ARD und ZDF in deren vorhanden sind, bisher aber nur punktuell zum Köpfen zu verankern. Je früher die Öffentlich- Erfolg führen.

26 Artikel ARD-JAHRBUCH 08 Die Gremienvorsitzenden halten deshalb eine ARD-Gesamtstrategie zur Ansprache Ju- gendlicher und junger Erwachsener für notwen- dig. Sie muss medienübergreifend und marken- bildend angelegt sein und den Pool der Ideen, Erfahrungen und Projekte in der ARD konse- quent ausschöpfen. Klar ist aber auch: Ein Patentrezept für die erfolgreiche Ansprache der Jugend gibt es nicht. Dagegen spricht schon die Differenziertheit der Jugend, die laut Jugendforschung weder alters- noch verhaltensabhängig in einer »Jugendkul- tur« fassbar ist. Umso mehr wird es nötig sein, an einer Vielzahl von Stellschrauben zu drehen. _  -PS`_^LXPAP]UÍYR`YROP^2P^LX_[]ZR]LXX^ Der strategische Schwerpunkt einer stärkeren »quer«-Moderator Christoph Süß (l.) mit Ausrichtung auf jüngere Zielgruppen muss Wolfgang Krebs als Double des bayerischen darin liegen, das gesamte Programmangebot Ministerpräsidenten Günther Beckstein behutsam zu »verjüngen«. Zum einen bedeutet das, in die Programme der Öffentlich-Recht- lichen – insbesondere die zuschauerstarken sowohl Jugendliche als auch »Middle Agers« Hauptprogramme – mehr Angebote für die jün- interessieren. Zu nennen sind hier etwa die Sen- geren Zuschauergruppen aufzunehmen. Zum dereihe »Ich mach’s!« von BR-alpha, die über anderen gilt es, die Machart und Anmutung des Fernsehen und Internet 350 Berufsbilder vor- gesamten Programmangebots stärker als bisher stellt, die WDR/SWR-Kooperationen »Planet am Geschmack und an den Präferenzen der Zu- Wissen« (unter Beteiligung von BR-alpha) und schauer in den jüngeren und mittleren Alters- »Planet Schule«, »TV-Klassiker« wie das BR- gruppen auszurichten. Mehr junge Gesichter, Informationsmagazin »quer« oder auch die TV- mehr jugendrelevante Themen, neue jugendge- und Internetangebote zu Naturwissenschaften, rechte Programmkonzepte, mehr multimediale Sprachen, Kultur und Geschichte. Letztere sind Formate heißt das Rezept. Dies sowohl bei In- zum Teil bereits auch als Unterrichtsmaterial formation, Bildung und Kultur als auch in der aufbereitet. Unterhaltung. »Gerade auch bei ihren fiktio- Im fiktionalen Bereich fällt auf, dass an- nalen Produktionen müssen sich die Öffentlich- spruchsvolle Filme wie »Die Flucht«, »Conter- Rechtlichen verstärkt bemühen, das Lebensge- gan« oder »Die Frau vom Checkpoint Charlie« fühl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen überdurchschnittlich hohe Marktanteile von 10 besser anzusprechen«, sagte Fritz Raff auf der bis 13 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen errei- Fachtagung der GVK. Dieser Erkenntnis sollten chen konnten. Diese Filme waren eingebettet in bald auch Taten folgen. ein multimediales Begleitangebot zu den histo- Natürlich darf der öffentlich-rechtliche rischen, rechtlichen und gesellschaftspolitischen Rundfunk dabei nicht sein besonderes Profil Fragen. Gerade auch dieses zusätzliche Informa- verlieren. Es wäre falsch und letztlich kontra- tionsangebot wurde von den Jüngeren intensiv produktiv, junge Menschen mit Angeboten zu genutzt (vgl. Medienforschung 2007). gewinnen, die nicht spezifisch für den öffent- Als positives Signal für eine behutsame »Ge- lich-rechtlichen Rundfunk stehen. Sendungen samtverjüngung« möchte ich 3sat erwähnen. wie »Bruce« Darnell sind der falsche Weg. Die Obwohl 3sat ein so genanntes Kulturprogramm Herausforderung liegt vielmehr darin, bei den ist, liegt der Altersdurchschnitt der Zuschauer Jugendlichen mit Qualität zu punkten. Neben bei 57 Jahren, und das ohne Sport, ohne Tele- entsprechenden Programmangeboten gilt es novelas, ohne Werberahmenprogramm. Da- dazu auch, »Marken« zu entwickeln, die für hinter stehen Originalität und Kreativität sowie Qualität, Originalität und Kreativität stehen. die Entwicklung der Gesamtanmutung hin Keine Frage: Es gibt bereits eine Vielzahl zu einem jüngeren und frischeren Aussehen von qualitätvollen Angeboten, für die sich (Studio bau, Kulissen, Trailer, Audience Flow, Farben, Moderatorenauswahl, Sprache etc.).

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend ARD-JAHRBUCH 08 27 Der Schlüssel zum Erfolg liegt letztlich da- einem begleitenden Online-Portal im Netz, sei rin, die Jugendansprache als Querschnittauf- es N-JOY vom NDR, 1LIVE vom WDR, YOU gabe zu begreifen. Das heißt, bei jedem Format, FM vom HR, MDR SPUTNIK, Bremen Vier jedem Beitrag zu fragen, wie er relevanter und von , Fritz vom RBB oder 103.7 attraktiver für die jüngeren Zuschauergruppen UnserDing vom SR. Diese spezifischen Jugend- gestaltet werden kann. wellen erreichen bereits erfolgreich die jüngere _ Zielgruppe (mit einem Durchschnittsalter von  8PS]X`W_TXPOTLWP1Z]XL_P!XPS] 26 bis 35 Jahren) und können über ihre Internet-  U`RPYOZ]TPY_TP]_P4Y_P]YP_LYRPMZ_P präsenz verstärkt dazu beitragen, die Jugend mit Ein Erfolg versprechender Weg, jüngere Zu- dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk »bekannt schauergruppen zu erreichen, sind multimediale zu machen« und für weitere Angebote – auch Angebote. Das gilt insbesondere dann, wenn aus dem TV-Bereich – zu interessieren. sie Möglichkeiten zur Interaktivität und zur Darüber hinaus macht es Sinn, das Internet unmittelbaren Beteiligung an der Gestaltung künftig verstärkt als Wegweiser hin zu jugend- einer Sendung bieten. Zu den innovativen Bei- orientierten Sendungen und Formaten zu nut- spielen, die es im Bereich der ARD bereits gibt, zen. Bislang findet sich auf der Startseite der zählt das SWR-Hörfunkangebot DASDING. ARD Mediathek nur die Kategorie »Kinder und Hier besteht für junge Leute die Möglichkeit, Familie«. Hier besteht, ebenso wie auf nahezu selbst Radio zu machen und mit ihrem Beitrag allen Startseiten der einzelnen Landesrund- auf der entsprechenden Online-Plattform zu funkanstalten, dringend Nachbesserungsbedarf. erscheinen. Ergänzt wird das Angebot noch um Warum nicht ein über die ARD Mediathek er- eine wöchentliche Fernsehsendung. Richtung- reichbares »Jugendportal« entwickeln, das einen strukturierten Überblick über all jene Angebote gibt, die sich an jüngere Zuschauergruppen richten? Denn attraktive Jugendangebote kön- nen nur dann die gewünschte Akzeptanz errei- chen, wenn sie auch gefunden werden. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen ausrei- chenden Entwicklungsspielraum im Online-Be- reich zu gewähren. Ein Fernseh- oder Hörfunk- programm ohne Internet auftritt wird bei den Jugendlichen nur geringe Chancen haben. _  4YYZaL_TZY^bP]V^_Ê__PY Um die Innovationskraft der Öffentlich-Recht- lichen weiter zu stärken, wäre es denkbar, Rosemarie Bundz, Moderatorin von »Innovationswerkstätten« bei einzelnen Lan- »Südwild« (BR) desrundfunkanstalten einzurichten, in denen insbesondere auch Jugendliche ihre Ideen ein- weisend ist auch das neue – ebenfalls trimediale bringen können. Ansatzpunkte dazu gibt es – Format »Südwild« (BR). Es zeigt im Baye- bereits – u. a. beim SR. Hier wurde die Konzep- rischen Fernsehen und auf seiner Homepage tion für die SR-Jugendwelle 103.7 Unser Ding »User generated content« (Video-Clips), wobei seinerzeit von Jugendlichen für Jugendliche die Internet-Nutzer über die Aufnahme in die entwickelt (vgl. ARD-Jahrbuch 04/05, S. 78). Das TV-Sendung entscheiden. ist ein guter Weg, der authentische Produkte Gerade solche auf das Nutzungsverhalten verspricht. der Jugend zugeschnittenen Internetangebote _ versprechen Erfolg. Denn die Jugend legt  ’,`OTPYNP1WZb‘Y`_ePY großen Wert auf die spezifischen Möglich- Ein weiterer Ansatzpunkt liegt darin, den keiten, die das Internet bietet – etwa auf auto- »Audience Flow« im Umfeld massenattraktiver nome Recherchemöglichkeiten, Interaktivität, Sendungen zielgerichtet zu nutzen. Die Öf- zeitsouveräne Nutzung, Podcasts, Chats und fentlich-Rechtlichen erreichen durchweg eine Communities. Entsprechend sind auch alle jun- hohe Einschaltquote bei Jugendlichen, wenn gen Hörfunkwellen der ARD inzwischen mit

28 Artikel ARD-JAHRBUCH 08 sie herausragende Sportereignisse übertragen. Deshalb sollten sie die Chance konsequent nutzen, im Umfeld solcher Übertragungen ju- gendorientierte Sendungen auszustrahlen und Jugendliche damit für ihre Hauptprogramme zu interessieren. In den ARD-Leitlinien für 2009/2010 (vgl. Dokumente), in denen auf Drängen der GVK das Thema »Jugend« erstmals vertieft behandelt wird, ist eine solche »jugend-affinere« Gestal- tung des Programms in Aussicht gestellt. _ Im Gespräch auf dem GVK-Forum: Oliver  >NSLQQ`YRPTYP^PTRPYPY?A"5`RPYOVLYLW^ Pocher (l.) und der künftige Programmdirektor MDR-Intendant Udo Reiter hat öffentlich vor- des Ersten, Volker Herres geschlagen, einen der ARD-Digitalkanäle in ei- nen Jugendkanal umzuwandeln. Der ARD-Vor- sitzende Fritz Raff hält das für einen möglichen Orches tern oder Jugendsendungen in die Schu- Weg, verbindet damit aber die Frage, ob es Sinn len, ini tiieren dort Wettbewerbe, Lesefeste oder macht, eine gesellschaftlich relevante Gruppe in Radio nächte, bieten Mitmachmöglichkeiten für einen weiteren Spartenkanal abzudrängen. Das die Jugendlichen oder auch Fortbildungsange- ist aber keineswegs eine zwangsläufige Folge. bote für die Lehrer. Vieles davon hat dann wie- Natürlich kann und darf ein Jugendkanal der Eventcharakter und vermittelt Wissen mit nicht der einzige Weg sein, die jüngeren Zu- Spaßfaktor. Hierauf lässt sich aufbauen. schauer zurückzugewinnen. Und natürlich _ muss es darüber hinaus immer auch Ziel sein,  /TP2A6bTWW?]PTMP]MWPTMPY jüngere Zuschauer verstärkt ins ARD-Haupt- Das Thema Jugendansprache muss und wird programm zu ziehen. Die Frage ist nur, ob in der ARD in den kommenden Monaten und eine Jugend-Strategie hinreichend erfolgreich Jahren mehr und mehr zu einem Kernthema sein kann, wenn wir den jüngeren Zuschauern werden. Die GVK wird dabei weiterhin Motor nicht zugleich auch eine feste Heimat in der öf- und Treiber sein. Sie will die Gremien der ein- fentlich-rechtlichen Medienwelt anbieten. Aus zelnen Rundfunkanstalten sensibilisieren und meiner Sicht zumindest ist das eine notwendige ihnen Fakten, Argumente und Anregungen an Erfolgsbedingung – natürlich aber keine hinrei- die Hand geben. Sie will – etwa durch Fach- chende. tagungen wie das diesjährige GVK-Forum in _ München – aktiv zum Informations- und Mei-  :QQ",T]"AP]LY^_LW_`YRPY`YO6ZZ[P]L_TZYPY nungsaustausch innerhalb der ARD beitragen.  XT_-TWO`YR^PTY]TNS_`YRPY Gerade das »Voneinander-Lernen« ist ja einer Veranstaltungen mit Eventcharakter tragen be- der Vorteile, die föderale Systeme bieten. Und reits heute dazu bei, dem öffentlich-rechtlichen sie will in Gesprächen mit Fachleuten und in Rundfunk ein »jüngeres« Gesicht zu geben. Diskussionen untereinander eigene Ideen entwi- Aber es gibt durchaus noch Spielraum für ckeln und sich auf diese Weise fit machen, das zusätzliche jugendorientierte »Events«. Als Thema innerhalb der ARD offensiv vorantrei- Basis könnten etwa auch traditionelle Fernseh- ben zu können. und Hörfunkangebote dienen (beispielsweise Gespannt sein darf man jetzt auf das Stra- »Tatort«-Public-Viewing). tegiepapier, das die Intendanten der GVK im Ein Erfolg versprechender Weg zur Jugend- April dieses Jahres zugesagt haben. Es wäre ansprache liegt auch in Partnerschaften mit wünschenswert, wenn es neben grundsätzlichen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Aussagen bereits auch konkrete Vorschläge ent- Qualitätvolle Inhalte dafür gibt es gerade in den halten würde, die sich schon bald programm- Bereichen Bildung, Wissen und Information lich umsetzen lassen. in großer Zahl. Gelungene Beispiele für eine solche Zusammenarbeit finden sich im Kontext AZWVP]2TP]^NS!AZ]^T_ePYOP]OP] der bereits erwähnten Formate »Ich mach’s!« 6ZYQP]PYeOP]2]PXTPYaZ]^T_ePYOPY und »Planet Wissen«. Zudem gehen bereits `YOOP^>="=`YOQ`YV]L_^ fast alle Anstalten mit ihren Hörfunkwellen,

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