Hoffnung bis zum Tod. Wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt – der Fall des Edmund Molnar aus Hallein

Valerie Stejskal∗

Abstract

Eine öffentlich geäußerte Beleidigung Adolf Hitlers durch einen Soldaten konnte während des Nationalsozialismus als Wehrkraftzersetzung bezeichnet und verurteilt werden. In der vorliegenden Arbeit wird ein solcher Fall näher beleuchtet. Bei dem Verurteilten handelt es sich um den gebürtigen Halleiner Edmund Molnar, welcher am 14. August 1943 verhaftet und am 26. Mai 1944 im Alter von 21 Jahren erschossen wurde. Zahlreiche Briefe, offizielle Doku- mente und ein von ihm während seiner Gefangenschaft geführtes Tagebuch lassen es zu, Details über seine Verhaftung und den Haftverlauf zu rekonstru- ieren und analysieren. Neben einer chronologischen Analyse des Falles, wird dieser in einen breiteren Kontext eingebettet und das Verurteilungsverfahren sowie die Gefangenschaft und der Urteilsvollzug jener Zeit exemplarisch un- tersucht.

1. Einleitung

Im Nationalsozialismus wurden tausende Menschen aufgrund von Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet. Diesen Tatbestand erfüllten Vergehen, die von äußerst geringfügigen Äußerungen oder Taten bis hin zu Fahnenflucht und Selbstverstümmelung reichten. Unter den Opfern war auch der gebürtige Halleiner Edmund Molnar. Sein Verge- hen beschränkte sich auf zwei regimekritische Aussagen in Gegenwart eines anderen Solda- ten. Trotz der Verurteilung zum Tode wusste Edmund Molnar besonders wegen der langen Wartezeit zwischen Verhandlung und Vollzug bis kurz vor seinem Tod nicht, ob er nun tat- sächlich hingerichtet werden würde oder nicht. Er hielt diese Erfahrungen in der Gefangen- schaft bis zu seiner Erschießung in einem Tagebuch fest. Viele weitere Quellen (siehe Quel- lenkorpus) werden in die folgende Arbeit einbezogen. Da eine komplette Aufarbeitung in diesem Rahmen zu weitläufig wäre, lautet das Ziel dieses Artikels, den Fall des Edmund Molnar zu rekonstruieren und ihn wo möglich in einen größeren Kontext einzubetten. Dabei

∗ Valerie Stejskal, BA, Studierende im Masterstudium Geschichte an der Paris Lodron Universität Salzburg. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2015/16 bei Ao. Univ.-Prof. DDr. Gerhard Ammerer als Seminarar- beit eingereicht. 66 wird bezüglich diverser Handlungen des Strafverfahrens auch auf die vorgegebenen Nor- men der Gesetzbücher und deren Umsetzung durch die Wehrmachtsjustiz Bezug genom- men. Doch wie konnte es bei Edmund Molnar überhaupt zu einer Anklage kommen? Wes- halb verbrachte er zwischen der Verurteilung am 16. November 1943 und der Vollstreckung des Todesurteils am 26. Mai 1944 eine derart lange Zeit im Gefängnis und wie erging es ihm dort? Aufgrund der zahlreichen schriftlichen Quellen – angefangen beim Tagebuch, über Gnadengesuche, bis hin zu Anwaltsbriefen –, die noch vorhanden sind, lassen sich diese Fragen gut beantworten. Der Akt zu dem Gerichtsverfahren dürfte nach dem momentanen Forschungsstand – Nachforschungen im Bundesarchiv Deutschland/Abteilung Militärarchiv – nicht mehr existieren, er wird den zahlreich zerstörten Gerichtsakten dieser Zeit zugeord- net. Die Originalquellen befinden sich ausschließlich im Privatbesitz der Familie Molnar, welcher ich, als Großnichte des Edmund Molnar, selbst angehöre. Neben diesen schriftlichen Aufzeichnungen basiert die Arbeit zudem auf mündlichen Überlieferungen der Familie.

2. Quellenkorpus

Der Quellenkorpus zu Edmund Molnar umfasst viele einzelne offizielle Dokumente, private Briefe, Fotos, Notizhefte und das Tagebuch aus der Zeit der Gefangenschaft sowie ein paar wenige persönliche Gegenstände. Die Briefsammlung ist nach den jeweiligen Absendern geordnet, wie etwa „Briefe meiner Brüder“, „Briefe meiner Schwestern“, „Briefe meiner El- tern“ etc. und umfasst auch die Antwortbriefe Edmunds. Während seiner Zeit in der Deut- schen zeichnete und schrieb er Notizen in ein Heft, auch Zeitungsausschnitte und kleine Landkarten sind darin enthalten. Neben der privaten Korrespondenz zwischen Edmund und seiner Familie finden sich außerdem Briefe weiterer Beteiligter an die Familie. Die zuvor erwähnten offiziellen Dokumente setzen sich zusammen aus sämtlichen Gnaden- gesuchen, Erkundigungen und Benachrichtigungen, Bescheinigungen, Anwaltsbriefen etc.1 Je nach Empfänger/-in und/oder Absender/-in sind die allesamt in deutscher Sprache ver- fassten Briefe handschriftlich oder maschinell aufgesetzt worden. Über die Angaben in den Quellen – wie beispielsweise zu Bombenangriffen, dem Beerdigungsort etc. – sind im Rah- men dieser Arbeit Nachforschungen durchgeführt worden, um deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Eine weitere wichtige Quelle stellen zudem Gesetzbücher aus der Zeit des Nati-

1 Siehe Quellenkorpus Edmund Molnar, Privatbesitz der Familie Molnar.

historioPLUS 4 (2017) 67 onalsozialismus dar.2 Auch ein von mir durchgeführtes Interview mit Dr. Clemens Molnar, einem Bruder Edmunds, zählt zu den Quellen, auf welche sich vorliegende Arbeit stützt. Zu diesem Zweck wurde es als Tonaufnahme aufgezeichnet. Da das Interview zwischen dem Großvater als Interviewten und der Enkelin als Interviewerin stattfand, verkörpert es mehr einen familiären Dialog, in welchem es in erster Linie um die Bestätigung von Fakten und Details, wie etwa dem Berufsstand Edmunds oder den Zusammenhang von Ereignissen ging. Somit stellt dessen Inhalt eine parallele Nacherzählung und Bestätigung des bereits durch schriftliche Aufzeichnungen rekonstruierten Falles dar, welcher jedoch für eine gelin- gende Aufarbeitung und Analyse maßgeblich war, da ohne die Erinnerung eines Zeitzeugen bzw. Involvierten viele Quellen nicht mehr hätten zugeordnet werden können.

3. Methodik und Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit basiert in erster Linie auf der eigenen Analyse und Kritik des vorlie- genden Quellenbestandes. Dank der vielschichtigen erhaltenen Dokumente ist es möglich, die Fragestellung nicht nur von der Aussagekraft einer Quelle abhängig zu machen, sondern mehrere Schriftstücke heranzuziehen und zu vergleichen. Besonders der Hergang der Dis- kussion, welche zur Anklage Edmund Molnars führte, ließ sich durch eine vergleichende Analyse rekonstruieren. Inhalt und Sprache der jeweiligen Quellen hängt sehr stark von der Person ab, für die sie verfasst wurden. Dieser Faktor wurde in der Analyse – besonders bei der Aufarbeitung des Tagebuches – berücksichtigt. Außerdem ist zu beachten, dass es sich bei Quellen, wie etwa den Briefen und dem Tagebuch, um Ego-Dokumente handelt, die als äußerst subjektive Quellen charakterisiert und dementsprechend kritisch analysiert werden müssen. Zwar gibt es bereits kurze Darstellungen des Falles Edmund Molnar, jedoch können diese in erster Linie nur als Einführung in die Thematik angesehen werden und behandeln jeweils nur Teilaspekte: Im Rahmen eines Ausstellungsführers des Keltenmuseums Hallein im Gedenkjahr 1988 wurden die Fälle dreier Halleiner Opfer des Nationalsozialismus teil- weise aufgearbeitet. Aufgrund der guten Quellenlage in Molnars Fall wurde dieser detail- liert erläutert. Neben einer kurzen Fallrekonstruktion lassen sich darin auch Auszüge aus

2 Vgl. Strafrecht der deutschen Wehrmacht. Militärstrafgesetzbuch, Kriegssonderstrafrechtsverordnung, Kriegs- strafverfahrensordnung, Verordnung gegen Volksschädlinge, Reichsstrafgesetzbuch, Disziplinarstrafordnung, Beschwerdeordnung u. a. einschlägige Bestimmungen, 2. Auflage, München u. a. 1939.

historioPLUS 4 (2017) 68 dem Tagebuch und anderen Quellen, darunter der Abschiedsbrief, finden.3 Eine weitere Transkription besagten Abschiedsbriefes stand 50 Jahre nach der Hinrichtung Molnars in einem Artikel der Halleiner Zeitung vom 26. Mai 1994, welcher ausführlich an seinen Fall erinnerte.4 Zusätzlich wurden im Zuge des Stolpersteinprojektes5 auch über Edmund Mol- nar vermehrt Beiträge im Internet publiziert, um Schicksale dieser Art einer breiteren Öffent- lichkeit zugänglich zu machen.6 Im Unterschied dazu umfasst dieser Aufsatz eine detaillier- tere und umfassendere Rekonstruktion sowie eine kritische Analyse des Hergangs. Zum allgemeinen Thema der Arbeit liegen mittlerweile auch einige wissenschaftliche Arbeiten vor. Dabei wurde besonders auf Publikationen der Historiker/-innen Ela Hornung, Fritz Wüllner, Maria Fritsche und Wolfgang Neugebauer zurückgegriffen.7

4. Lebenslauf und familiärer Hintergrund

Edmund Molnar kam am 7. März 1923 als Sohn von Edmund Molnar und Anna Molnar, geb. Pfnier, in Hallein zur Welt. Er war der Siebte von insgesamt zehn Geschwistern. Edmund Molnar sen. war Tischlermeister in Hallein. Seine Werkstatt befand sich im selben Haus wie die Wohnung der Familie: auf dem damaligen Karolinenplatz, dem heutigen Edmund- Molnar-Platz. Die Familie war römisch-katholisch und stand der christlich-sozialen Partei nahe, welche 1933 zur Vaterländischen Front und unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und später Kurt Schuschnigg zu einer faschistischen Bewegung umfunktioniert wurde.8 Edmund Molnar sen. war einer der wenigen Menschen, die am 10. April 1938 in Hal- lein gegen den „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland stimm-

3 Vgl. Christian GALSTERER / Wolfgang WINTERSTELLER, März 1938. „Anschluß“ in Hallein und Umgebung. Aus- stellung im Gedenkjahr 1988, Begleitbroschüre zur Ausstellung: „1938 − Anschluß in Hallein und Umgebung“ im Keltenmuseum Hallein, Hallein 1988, 29–31. 4 Vgl. N. N., Griff in die Geschichte, in: Halleiner Zeitung, 26.05.1994, 6. 5 Dieses Kunstprojekt von Gunter Demnig widmet sich europaweit im Zuge der Erinnerungskultur jenen Men- schen, welche durch Vertreibung oder Vernichtung Opfer des Nationalsozialismus wurden. Um auf diese Schick- sale aufmerksam zu machen, werden biografische Informationen zu den Personen in Pflastersteine aus Messing eingraviert und vor dem letzten freiwilligen Wohnort derselben verlegt. Siehe: N. N., Stolpersteine, online unter: http://www.stolpersteine.eu (06.06.2017). 6 Siehe dabei unter anderem: N. N., Stolpersteine Hallein. Ein Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig. Mol- nar, Edmund, online unter: http://stolpersteine-hallein.at/edmund-molnar/ (09.02.2016). 7 Vgl. Maria FRITSCHE, Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien 2004; Ela HORNUNG, Denunziation als soziale Praxis. Fälle aus der NS-Militärjustiz, Wien u. a. 2010; Wolfgang NEUGEBAUER, Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938–1945, in: Gerd. R. Ueberschär, Hg., Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, Berlin / New York 2011, 31–41; Fritz WÜLLNER, Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung. Ein grundlegender Forschungsbericht, 2. Auflage, Baden-Baden 1997. 8 Siehe dazu ausführlich: Emmerich TÁLOS / Wolfgang NEUGEBAUER, Hg., Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur 1933–1938, 7. Auflage, Wien / Berlin 2014.

historioPLUS 4 (2017) 69 ten.9 Der Fotokopie des Abstimmungsergebnisses in einer Museumsbroschüre des Halleiner Keltenmuseums zufolge, stimmten in der Stadt Hallein 5.268 Menschen mit „Ja“ und nur 19 mit „Nein“. Im ganzen Gerichtsbezirk Hallein gab es 13.507 Ja- und nur 35 Gegenstimmen.10 Weitere Vorfälle führten dazu, dass die gesamte Familie in Hallein als Gegner des National- sozialismus galt.11 Soweit bekannt ist, betätigte sich die Familie aber nicht aktiv im organi- sierten Widerstand gegen das NS-Regime.12 Edmund Molnar jun. (siehe Abb. 1) besuchte die Pflichtschule in Hallein und absol- vierte eine Lehre zum Schlosser. Anschließend arbeitete er bei der Halleiner Schlosserei Döttl. 1941 wurde er gemeinsam mit seinen Brüdern Rupert und Fritz Molnar zum Wehr- dienst einberufen. Den Kontakt mit der Familie hielt er mittels Briefen und Paketen auf- recht.13 Im August 1943 befand er sich in Cilli, der damaligen Untersteiermark (heute Celje in Slowenien).14 Dort wurde er am 14. August 1943 angeklagt. Nach seiner Verhaftung kam er in verschiedene Gefängnisse und nach der Urteilsverkündung in Berlin-Tegel nach Spandau, wo er die letzten Monate bis zu seiner Hinrichtung verbrachte. Am 26. Mai 1944 wurde er in Berlin-Tegel im Alter von 21 Jahren erschossen.15

Abb. 1: Foto von Edmund Molnar

9 Vgl. Interview mit Dr. Clemens MOLNAR. 10 Vgl. GALSTERER / WINTERSTELLER, März 1938, 22. 11 Dabei wird beispielsweise auf andere Meinungsäußerungen und etwa die Kaufanfrage eines Möbelstücks Be- zug genommen, welches Edmund Molnar sen. angefertigt hatte und ein potentieller Käufer als Geschenk für Adolf Hitler erwerben wollte. Molnar soll dies mit den Worten „bevor ich dieser Bagage den Kasten gebe, hau ich ihn vorher noch zusammen“ verweigert haben. Siehe dazu: Interview mit Dr. Clemens MOLNAR. 12 Vgl. ebd. 13 Vgl. ebd. 14 Vgl. Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 11.08.1943. 15 Vgl. Edmund MOLNAR, Tagebuch, Privatbesitz der Familie Molnar, verfasst im Wehrmachtsuntersuchungsge- fängnis Berlin-Tegel und Berlin-Spandau, Berlin 1943–1944; Meldebestätigung von dem Heeresjustizinspektor an Edmund Molnar sen. in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Charlottenburg 31.05.1944.

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5. Der Fall Edmund Molnar

Die Forschung der letzten ca. 20 Jahre nennt teils sehr unterschiedliche Zahlenangaben über die vom NS-Militärrecht verurteilten Soldaten im gesamten Deutschen Reich. Aus der jünge- ren Literatur geht hervor, dass insgesamt etwa 50.000 Todesurteile von der NS-Militärjustiz ausgesprochen wurden, darunter allein ca. 30.000 bis 35.000 gegen Angehörige der Wehr- macht. Tatsächlich wurden von diesen ca. 20.000 bis 23.000 vollstreckt, wobei jedoch eine Vielzahl der Aufzeichnungen nicht mehr vorhanden und eindeutige Zahlen somit nicht mehr ermittelbar sind.16 5.000–6.000 ausgesprochene Urteile erfolgten, Maria Fritsche zufol- ge, aufgrund von Wehrkraftzersetzung – meist wegen Selbstverstümmelung oder Kriegs- dienstverweigerung.17 Die Zahl der Verurteilten Österreicher, welche in der Deutschen Wehrmacht dienten, beruht einzig auf Hochrechnungen und Schätzungen: Insgesamt sollen ca. 2.660 zum Tode und davon 456 wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt worden sein.18 „Die größte Gruppe der wegen ‚Wehrkraftzersetzung‘ verfolgten Personen machten die ‚Defaitisten‘ aus, Menschen also, die die Kriegslage und den Kriegsausgang pessimistisch oder einfach nur realistisch beurteilten.“19 Weitere Betroffene kamen aus jedweder politi- scher Richtung, so beispielsweise Widerstandskämpfer oder auch die häufig wegen Wehr- kraftzersetzung angeklagten Zeugen Jehovas, welche den Nationalsozialismus an sich ab- lehnten.20 Der Fall Edmund Molnar kann als Beispiel für die NS-Militärjustiz im Umgang mit der in der NS-Terminologie so bezeichneten Wehrkraftzersetzung gesehen werden. Die fol- gende Darstellung behandelt dessen einzelne Phasen von der Anklage bis zur Vollstreckung des Urteils 1944.

5.1 Von der Anklage nach Berlin-Tegel

Edmund Molnar war schon 1941, mit gerade achtzehn Jahren, in die Wehrmacht einberufen worden. Den Adressen seiner Briefe zufolge war er Ende 1941 bis Anfang 1942 beim Reichs- arbeitsdienst (RAD), Wachkommando 3/331 in Dornbirn stationiert. Anschließend kam er

16 Diese Daten beruhen auf: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Hg., Mitteilungen, NS-Militärjustiz: „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ 218 (Oktober 2014), online unter: http://www.doew.at/cms/download/6kqmt/218-1.pdf (24.10.2016), 1; HORNUNG, Denunziation, 61. Die Daten der verwendeten Literatur beziehen sich diesbezüglich großteils auf die statistischen Auswertungen Fritz Wüll- ners, siehe dazu: WÜLLNER, NS-Militärjustiz; Manfred MESSERSCHMIDT / Fritz WÜLLNER, Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende, Baden-Baden 1987. 17 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 23 f. 18 Vgl. ebd., 25. 19 HORNUNG, Denunziation, 61. 20 Vgl. NEUGEBAUER, Österreich, 34 f.

historioPLUS 4 (2017) 71 zu den Gebirgsjägern in die Panzerjägerersatzabteilung I in die Kaserne Löberfeld bei Erfurt. Schließlich wurde er nach Cilli in die Reserve- und danach in die Ersatzabteilung 48 der Panzerjäger verlegt. Im Jahr 1943, vor seiner Anklage, schrieb er noch von dort nach Hause, dass er gerade Führerscheine, unter anderem für den Zugkraftwagen, mache. Nebenbei er- wähnte er, dass es nun ein „Standesgericht in Cilli“ gebe und „auch zimlich [sic] viele er- schossen werden.“21 Zur Zeit seiner Anklage war er ebendort, in der Panzerjägerersatzabtei- lung 48, stationiert.22 Die Informationen über den Hergang des verhängnisvollen Gespräches, welches zu seiner Anklage führte, beruhen größtenteils auf mündlicher Überlieferung und wenigen dar- aus entstandenen Niederschriften, die jedoch den eigentlichen Hergang teilweise wider- sprüchlich wiedergeben. Doch auch in einzelnen Briefen aus der Familienkorrespondenz und der Anwälte sind Äußerungen über den Hergang enthalten. Demzufolge hatte sich Molnar mit einem anderen Soldaten, einem zivilberuflichen Autolackierer aus Innsbruck mit dem Nachnamen Pfarrwallner, unterhalten. Auch andere Soldaten waren während des Ge- sprächs zugegen. Pfarrwallner war den Berichten zufolge überzeugter Nationalsozialist. Im Zuge einer hitzigen Diskussion äußerte sich Edmund diesem gegenüber abfällig über Adolf Hitler. Konkret sagte er, Hitlers Mutter sei Jüdin und wenn er in ein Hotelzimmer käme, würde er das Bild von Hitler gegen die Wand drehen.23 Pfarrwallner ging daraufhin zum Kompanieschreiber und ließ am 14. August 1943 eine Anzeige gegen Molnar verfassen, die schließlich dem Kompaniechef vorgelegt wurde. Wie aus der vorhandenen Forschungsliteratur hervorgeht, waren die Behörden auf Denunziation durch Soldaten etc. angewiesen, besonders beim Militär wurde dieses System gefördert.24 Das Gesetz forderte auf, „Verfehlungen“ anderer Soldaten zu melden: „Jeder Soldat ist verpflichtet, zersetzenden Reden entgegenzutreten und Meldung zu erstatten. Gemeldete Fälle sind vom Vorgesetzten zu prüfen.“25 Vom Staat wurde zwar einerseits die Denunziation gefördert, da diese der Machtsicherung diente, andererseits aber genau dieses Verhalten missbilligt, da es als moralisch schlecht galt. Denunziation kam in allen Gesell- schaftsbereichen vor, sei es nun im privat-/zivilen oder beruflich-/militärischen Bereich.26

21 Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 28.06.1943. 22 Vgl. Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 09.07.1943. 23 Vgl. SCHNEIDER, Brief des Rechtsanwaltes an Rechtsanwalt Dr. Blaschke in Berlin, Privatbesitz der Familie Mol- nar, Berlin 19.05.1944. Rechtsanwalt Dr. Schneider gab an, die Bestätigung der Aussagen von Edmund Molnar persönlich zu haben. 24 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 64. 25 Ebd., 39. Siehe dazu ausführlich: Rudolf ABSOLON, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg. Sammlung der grundlegenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Als Manuskript abgedruckt, Bundesarchiv Abt. Zentral- nachweisstelle, Kornelimünster 1958, 90. 26 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 67 f.

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Am 25. August 1943 informierte ein Soldat die Eltern Molnars darüber, dass ihr Sohn wegen „einer Dummheit“27 in Arrest sitze und sie sich keine Sorgen machen sollten, wenn sie vorübergehend keine Post von ihm erhalten würden.28 Edmund saß in dieser Zeit in Ar- rest in Cilli – in seinen Tagebuchaufzeichnungen vermutete er zehn Tage29 – und wurde an- schließend in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis nach Graz verlegt. Von dort aus kam er nach Berlin. Am 7. September 1943 wurde er für eine Nacht in das Zellengefängnis Moabit in der Lehrter Straße eingeliefert.30 Dieses Gefängnis wurde während des Zweiten Weltkrie- ges sowohl von der Wehrmacht, der Polizei als auch der Gestapo als Untersuchungshaftan- stalt genutzt.31 Einen Tag später überstellte man ihn in das Wehrmachtsuntersuchungsge- fängnis Berlin-Tegel, in welchem er bis zur Verhandlung blieb.32

5.2 Das Urteil

Am 16. November 1943, drei Monate nach der erfolgten Anzeige, fand die Hauptverhand- lung am der Wehrmachtskommandantur in Berlin-Charlottenburg statt. Molnar vermerkte hierzu in seinem Tagebuch, dass er zum ersten Mal in seinem Leben ge- fesselt und anschließend mit dem Auto zum Gericht gebracht worden war. Die Verhandlung mit der Anklage der Wehrkraftzersetzung dauerte von 13:00 Uhr bis 13:30 Uhr, also nur eine halbe Stunde.33 Die Position der Angeklagten war bei einer Verhandlung sehr schlecht, es sei denn, sie hatten einen engagierten Anwalt an ihrer Seite. Dies war allerdings auch bei einem zu befürchtenden Todesurteil selten der Fall.34 Gab es einen Anwalt, so war das Verhältnis zwi- schen Angeklagten und Rechtsbeistand oft schlecht, wie die Historikerin Ela Hornung fest- stellt. Jedoch hing auch dies stark von den Individuen beziehungsweise deren Fähigkeiten ab.35 Molnars Familie dürfte sich intensiv um die Unterstützung eines Anwaltes bemüht ha- ben. Aus den Unterlagen geht hervor, dass unterschiedliche Anwälte mit der Angelegenheit befasst waren. So vertraten ihn zu Beginn der Rechtsanwalt Dr. Waldemar Adler und gegen

27 N. N., Brief eines Soldaten an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 25.08.1943. 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 1. 30 Vgl. Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Bereich Denkmal (Berlin). Zellengefängnis Moabit, online unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/de- /denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09050274 (09.01.2016); MOLNAR, Tagebuch, 1 f. 31 Vgl. Jochen GESTER, „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt...“ Der „Geschichtspark ehemaliges Zellengefäng- nis Moabit“ in Berlin, in: SoZ - Sozialistische Zeitung (November 2007), 24, online unter: http://www.die-welt- ist-keine-ware.de/vsp/soz-0711/071124.php (26.11.2016). 32 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 1 f. 33 Vgl. ebd., 2. 34 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 100 f. 35 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 55.

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Ende des Verfahrens Dr. Alois Blaschke. Auch Rechtsanwalt Dr. Schneider dürfte zeitweise in die Betreuung des Falles involviert gewesen sein.36 Um welche Personen – die Einstellung zum Nationalsozialismus etc. betreffend – es sich bei diesen Anwälten handelte, war im Zu- ge dieser Arbeit nicht ermittelbar. Im Nationalsozialismus existierten im Militär viele unterschiedliche Gerichte, wie et- wa zahlreiche Feldkriegsgerichte und das Reichskriegsgericht in Berlin.37 Der Terminus Wehrkraftzersetzung beinhaltete im Dritten Reich eine Vielzahl an Delikten: Im Strafrecht der deutschen Wehrmacht38 wird innerhalb der Kriegssonderstrafrechtsverordnung unter § 5 die der Wehrmacht erläutert.39 Im Wesentlichen werden darunter drei Varianten der Wehrkraftzersetzung angeführt: Zum Ersten die öffentliche Aufreizung/Aufforderung, die Dienstpflicht zu verweigern beziehungsweise zu irritieren. Zweitens fiel Anstiftung eines anderen Soldaten zu Widerstand, Fahnenflucht etc. darunter. Und drittens der Versuch, sich oder andere durch Selbstverstümmelung, dem Dienst in der Wehrmacht zu entziehen. Die Todesstrafe war die häufigste dafür herangezogene Strafe, jedoch war in „minder schweren Fällen“40 eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe möglich. Zudem konnte bei beiden Strafen dem Angeklagten das Vermögen entzogen werden.41 Die Tat, welche Edmund Molnar ange- lastete wurde, fiel damals dem ersten untergeordneten Vergehen der Wehrkraftzersetzung zu. Seine Aussagen konnten als zersetzend gewertet werden und waren öffentlich, also in Gegenwart von anderen Soldaten, vorgebracht worden.

„Äußerungen, die vor Personen fielen, welche zum Freundes-, Verwandten- oder Kameradenkreis des ‚Täters‘ gehörten […], waren nur dann als nichtöf- fentlich zu behandeln, wenn objektiv Gewähr gegeben war, dass die Äuße- rungen über diesen Kreis nicht hinausgetragen wurden.“42

Diese Regel wurde später jedoch insofern eingeschränkt, als dass die „Öffentlichkeit“ an- fangs als Voraussetzung galt und später undeutlich in der Rechtsprechung eliminiert wur- de.43 So wurde bei Verhandlungen meist die „Öffentlichkeit“ nicht mehr nachgeprüft, son-

36 Vgl. Waldemar ADLER, Gnadengesuch des Rechtsanwaltes an das Gericht der Wehrmachtkommandantur Ber- lin-Charlottenburg, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 17.11.1943; SCHNEIDER, Brief an Blaschke, 19.05.1944; SCHNEIDER, Brief des Rechtsanwaltes an Rechtsanwalt Dr. Blaschke in Berlin, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 13.06 1944. 37 Detailliert nachzulesen in FRITSCHE, Entziehungen, 96 f. 38 Strafrecht. 39 Vgl. ebd., 47. 40 Ebd., 47. 41 Vgl. ebd., 47. 42 HORNUNG, Denunziation, 62. 43 Siehe dazu ebd., 62.

historioPLUS 4 (2017) 74 dern einfach „formelhaft behauptet“44. Zudem wurde die Strafverfolgung während des Zweiten Weltkrieges deutlich intensiviert. Die Zersetzung der Wehrkraft begann nicht erst bei der tatsächlichen Vollziehung (etwa konkreter Taten oder Anstiftung), sondern bereits bei der Möglichkeit, dass diese ein- treten könne (etwa geäußerte Zweifel/Kritik).45 So konnte „jegliches disziplinwidriges Ver- halten […] leicht als gemeinschaftsschädlich beurteilt“46 und dadurch mit dem Tod bestraft werden. Die Kriegssonderstrafrechtsverordnung des Dritten Reichs existierte bereits seit 1938, wurde aber im Laufe des Krieges des Öfteren novelliert.47 Andere, wie beispielsweise das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, wurden in ihren Grundzügen übernommen und abgeändert.48 Letzteres enthält den § 94, welcher Angriffe gegen den Führer, ob nun tätlich oder verbal, behandelt. Diese Beleidigungen wurden dem Gesetz zufolge „nur mit der Er- mächtigung des Führers und Reichskanzlers verfolgt“49. Als Strafen für verbale Beleidigun- gen waren nur Gefängnis- oder Geldstrafen angeführt.50 Fraglich bleibt, inwieweit Hitler solche Fälle tatsächlich zugetragen wurden. Anfangs gab es noch Listen der Todesurteile, die in der Reichskanzlei vorgelegt wurden, schließlich sollte dies jedoch vereinfacht und Hitler nur mehr besondere Fälle unterbreitet werden.51 In der Militärjustiz wurde bereits „ein Witz über den ‚Führer‘ […] als Angriff auf die ‚Volksgemeinschaft‘ und ‚Manneszucht‘ gewer- tet“52. Da Molnar die Aussagen in seiner Dienstzeit als Soldat gegenüber anderen Soldaten tätigte, wurde nicht das zivile, sondern das militärische Strafrecht herangezogen. Das Delikt der Wehrkraftzersetzung schloss somit „jede kritische Äußerung über den NS-Staat, seine Institutionen oder Führungskräfte“53 ein. Daraus wird ersichtlich, dass die Aussagen Ed- mund Molnars offiziell ausreichten, um wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt zu werden. Bei der Hauptverhandlung am 16. November 1943 waren zwei Zeugen zugegen. Zum einen der Anzeiger Pfarrwallner und zum anderen der Soldat Schnetzer.54 Von der Zeugenaussage Schnetzers ist bekannt, dass er die Äußerungen Molnars nicht ernst genom- men habe. Jedoch wurden nicht nur diese Zeugenaussagen berücksichtigt, sondern auch

44 Ebd., 62 f. 45 Vgl. ebd., 62, 65. 46 Ebd., 54. 47 Vgl. ebd., 45, 47. 48 Vgl. Strafrecht, 53. 49 Ebd., 86. 50 Vgl. ebd., 86. 51 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 58. 52 FRITSCHE, Entziehungen, 91. 53 Ebd., 94. 54 Vgl. Österreichischen demokratischen Freiheitsbewegung. Bereichsleitung Hallein, Bestätigung des Falles Ed- mund Molnar an die Familie Molnar, Privatbesitz der Familie Molnar, Hallein 10.08.1945.

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Berichte aus dem Umfeld des Angeklagten herangezogen. Dieser Weg entsprach dem übli- chen Vorgehen der Nationalsozialisten.55 Somit gab es einen Bericht von der NSDAP- Ortsgruppe in Hallein und einen weiteren von der Kompanie Molnars in Cilli. Der Bericht der Halleiner Ortsorganisation der NSDAP war äußerst negativ, was auf das anti- nationalsozialistische Image der Familie zurückzuführen ist. Um eine positive Fürsprache für Edmund Molnar aus der Heimatstadt zu erzielen, bemühten sich die Eltern und auch Bekannte der Familie um eine Besprechung mit dem damaligen Bürgermeister Alexander Gruber sowie dem Kreisleiter Rudolf von Kurz, wurden aber immer wieder abgewiesen. Zuletzt meinte Gruber entschuldigend: „Molnar habe zu sehr den Führer beleidigt.“56 Kurz sagte jedoch offen: „Der Junge ist ein brauchbarer Bursche, aber aus dieser Familie können wir ihn nicht brauchen.“57 Der Bericht der Kompanie fiel hingegen sehr positiv für den An- geklagten aus; darin wurde unter anderem sein gutes Verhalten betont.58 Die halbstündige Verhandlung endete mit der Verkündung des Todesurteils auf- grund von Wehrkraftzersetzung. Das Delikt wurde nur in absoluten Ausnahmefällen milder bestraft, die Todesstrafe war zu jener Zeit üblich.59 Laut Angaben des Anwalts Dr. Waldemar Adler konnten dem Vorsitzenden der Hauptverhandlung zufolge mildernde Umstände – untadeliges Verhalten, Minderjährigkeit – nicht geltend gemacht werden. Doch der Richter hatte diesbezüglich in die Urteilsbegründung unter Abschnitt IV. einfließen lassen, dass ein Gnadengesuch nach der Verhandlung eine mögliche Milderung darstellen könne.60 Gnaden- gesuche hatten in der Regel keine beziehungsweise kaum aufschiebende Wirkung, es sei denn, der Richter hatte – wie bei Molnar – eine mögliche Begnadigung und Umwandlung der Strafe bereits in Betracht gezogen.61 Einen Tag nach dem Urteil, also am 17. November 1943, verfasste Rechtsanwalt Dr. Adler das erste Gnadengesuch an das Gericht. Darin bat er um Umwandlung des Urteils in eine Freiheitsstrafe. Zudem wiederholte er Teile der Verhandlung sowie des Urteils und wies darauf hin, dass Molnars Aussagen auf Provokationen Pfarrwallners zurückzuführen seien.62 Es folgten zwei offizielle Gesuche: Eines von Hedwig Pripadlo, einer Schwester Mol-

55 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 70. 56 Die ursprünglichen Berichte der NSDAP-Stelle in Hallein und der Kompanie in Cilli sind nicht mehr vorhan- den. Den Inhalt betreffende Aussagen sind auf folgende Quellen zurückzuführen: Freiheitsbewegung, Bestäti- gung an Familie Molnar, 10.08.1945; Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Fami- lie Molnar, Berlin 13.03.1944. 57 Freiheitsbewegung, Bestätigung an Familie Molnar, 10.08.1945. 58 Vgl. Fritz MOLNAR, Brief an Familie Molnar, 13.03.1944. 59 Vgl. ADLER, Gnadengesuch an Wehrmachtkommandantur, 17.11.1943; HORNUNG, Denunziation, 56 f. 60 Vgl. ADLER, Gnadengesuch an Wehrmachtkommandantur, 17.11.1943. 61 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 120; HORNUNG, Denunziation, 56. 62 Vgl. ADLER, Gnadengesuch an Wehrmachtkommandantur, 17.11.1943.

historioPLUS 4 (2017) 76 nars, und ein weiteres von einem entfernten Verwandten aus Karlsbad. Das Gesuch von Hedwig Pripadlo ging im März 1944 an die Kanzlei des Führers in Berlin, in welchem sie den Vorfall nochmals schilderte. In dieser Zusammenfassung gab sie jedoch an, dass ihr Bruder vom Anzeiger, welchen sie als Feind darstellte, zum Trinken verleitet worden sei und somit unter Alkohol unerlaubte Reden geführt habe, die aber nicht seiner Gesinnung entsprächen. Des Weiteren führte sie die Familie als sehr kinderreich und treu an, erwähnte das hohe Al- ter der Eltern und den Dienst vieler Verwandter in der Wehrmacht. Sie bat schließlich da- rum, den Fall erneut zu prüfen, auch im Hinblick auf Trunkenheit, und die Strafe eventuell durch Versetzung an die Front zu mildern.63 Die Höhe eines Strafmaßes wurde in der Regel jedoch nicht durch Trunkenheit verringert.64 In diesem Kontext existiert noch ein weiteres Gnadengesuch von Molnars Mutter. Es ist jedoch fraglich, ob dieses tatsächlich eingereicht wurde. Möglicherweise wurde es zu- sammen mit Hedwig Pripadlo’s Gesuch an die Reichskanzlei gesandt. Der Bruder Fritz, wel- cher sich zeitweise zur Unterstützung seines Bruders in Berlin aufhielt, teilte der Mutter brieflich mit, dass er für sie ein Gnadengesuch in der korrekten Form vorbereitet habe, wel- ches sie, ohne sich über den Inhalt sehr aufzuregen, einfach abschreiben solle.65 Das letzte offizielle Gesuch ist dem der Schwester sehr ähnlich und ging an Reichs- minister Seyss-Inquart. Der Verfasser, einem Anwaltsbrief zufolge Dr. Scholz aus Karlsbad, war der Onkel des Mannes von Hedwig Pripadlo und, wie es dem Schreiben zu entnehmen ist, mit dem Adressaten aus der Kindheit bekannt. Er erwähnte ebenfalls ausdrücklich die „politisch richtige Gesinnung“66 der Familie und des Sohnes Edmund. Zudem gab er an, dass Edmund den Alkohol nicht im Geringsten gewöhnt sei und die Aussagen nur getätigt habe, um den anderen Soldaten zu ärgern. Des Weiteren hielt er fest, dass Edmund bei allen anderen in der Truppe sehr beliebt sei und sich nie wirklich mit Politik, sondern nur mit sei- ner Arbeit beschäftigt habe.67 Der Inhalt dieser Gnadengesuche stellt nicht die tatsächliche Einstellung der Verfas- ser dar. Sie wurden an bestimmte Personen gesandt, um ein konkretes Ziel – eine Aufhebung oder Umwandlung des Urteils – zu erreichen, demnach sollten sie eine nationalsozialistische Überzeugung der Familie und besonders die Edmunds möglichst glaubhaft aufzeigen. Alle

63 Vgl. Hedwig PRIPADLO, Gnadengesuch an die Kanzlei des Führers und Reichskanzlers in Berlin, Privatbesitz der Familie Molnar, Sternberg 07.03.1944. 64 Vgl. HORNUNG, Denunziation, 56. 65 Vgl. Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 11.03.1944. 66 SCHOLZ, Gnadengesuch an Reichsminister Dr. Seyss-Inquart in München, Privatbesitz der Familie Molnar, Karlsbad o. D. 67 Vgl. ebd.

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Gesuche blieben unbeantwortet, doch auch die Bestätigung des Urteils war Monate später nach wie vor nicht erfolgt. Neben den Gnadengesuchen gab es auch Nachfragen und Erkun- digungen von Verwandten und Bekannten bezüglich des Falles und etwaiger Rückmeldun- gen auf Gnadengesuche.

5.3 Haft in Berlin-Tegel und Berlin-Spandau

Nach der Verkündung des Urteils blieb Edmund Molnar noch bis zum 27. November 1943 im Gefängnis Berlin-Tegel und wurde anschließend nach Berlin-Spandau überstellt. Wäh- rend dieser Zeit blieb er Tag und Nacht gefesselt und wechselte mehrmals das Abteil.68 Der Tagebucheintrag vom 26. und 27. November 1943 skizziert besonders deutlich, wie sein All- tag im Gefängnis aussehen konnte:

„Großangriff auf Berlin-Tegel, ich glaubte es sei meine letzte Stunde. Ja ich glaube man kann sich das nicht vorstellen wenn man das nicht selber erlebt hat. Ich stand gefesselt in meiner Zelle ohne Bekleidung, wärend [sic] nicht weit von mir eine Bombe die Gefängnismauer zeriß. Die Kirche vor meinem Fenster brante [sic].“69

Sechsunddreißig Seiten des A5 großen Tagebuchs sind in der Handschrift Molnars beschrie- ben.70 Der erste Eintrag begründet sogleich dessen Entstehung: „sollte mein Urteil wirklich bestätigt werden, so soll dieses Büchlein die letzte Erinnerung von mir für meine lieben El- tern sein.“71 Ein weiterer Grund könnte eine Art Beschäftigungstherapie in der Gefangen- schaft gewesen sein. Zu Beginn erwähnte er, dass ihm seine „Tagblätter“72 weggenommen worden waren und er deshalb die ersten Einträge aus der Erinnerung niedergeschrieben habe. Ab 30. Dezember 1943 schrieb er fast täglich.73 Das Tagebuch wurde nach seinem Tod zusammen mit anderen Gebrauchsgegenständen seinen Eltern übersandt.74 Die letzten Tage des November 1943 und den folgenden Dezember verbrachte Mol- nar bereits im Gefängnis Berlin-Spandau. Dort war er nicht mehr alleine in einer Zelle und musste außerdem nur noch nachts Fesseln tragen. Zudem wurde er nun regelmäßig von ei- nem Geistlichen besucht. Der Pfarrer Georg Jurytko begleitete ihn während seiner Zeit im

68 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 2. 69 Ebd., 3. 70 Die Handschrift stimmt mit anderen Briefen und Dokumenten Edmund Molnars überein. 71 MOLNAR, Tagebuch, 1. 72 Ebd., 1. 73 Vgl. ebd., 4. 74 Vgl. Interview mit Dr. Clemens MOLNAR.

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Gefängnis und schließlich auch zu seiner Hinrichtung. Einen Rosenkranz, welchen ihm der Pfarrer schenkte, trug er eigenen Angaben zufolge stets bei sich in der Tasche.75 Nach dem Tod Edmunds stand Georg Jurytko mit der Familie Molnar in Briefkontakt. Er schilderte Molnars Verhalten während der Gefangenschaft und der Exekution.76 Georg Jurytko (1902– 1971) betreute viele Gefangene im Gefängnis Berlin-Spandau und war bei zahlreichen Er- schießungen anwesend. Nach dem Krieg setzte er sich für das Gedenken an diese Opfer des Nationalsozialismus ein.77 Molnars Zellenkameraden wechselten während seines Aufenthaltes in Spandau mehrmals. Der erste Häftling musste nach kurzer Zeit zurück nach Tegel. Daraufhin kam der Gefangene Karl Wacht aus Wien.78 Einige Zeit später, am 11. Februar 1944, bekamen sie mit Oberfeldwebel Heinz Wieprecht einen dritten Häftling in die Zelle. Dieser wurde laut der Tagebuchaufzeichnung am 17. März 1944 hingerichtet. Am 16. März verzeichnete Edmund Molnar, dass das Urteil von Heinz bestätigt worden sei. Am 17. März beteten sie zusammen mit dem Geistlichen für den Freund und am 18. März waren sie nur mehr zu zweit in der Zelle. An diesem Punkt findet sich der einzige Eintrag in dem Tagebuch, der nicht von der Hand Molnars stammt: Heinz Wieprecht hatte ihm einige Abschiedsworte in sein Tagebuch geschrieben.79 Der Vorfall ging Edmund sehr nahe und er schrieb: „Ich weis [sic] nicht wie lange ich nimmer geweint habe, doch heute Nacht konnte ich meine Tränen nicht halten.“80 Bereits am 19. März bekamen sie einen Soldaten mit dem Vornamen Bernhard als dritten Mann in die Zelle. Im Folgenden erwähnte Edmund Molnar seine Zellengenossen meist nur noch beiläufig. So gab er des Öfteren an, dass den anderen die Zigaretten ausgingen und er von seinem Vorrat, welchen er immer wieder von seiner Familie oder auch, wie die anderen, als Sonderzuteilungen vom Gefängnis bekam, abgab. Auch bei der regelmäßigen Beichte und Kommunion erwähnte er seine Mithäftlinge.81 Am 27. April 1944 gab er nur beiläufig an, dass er jetzt mit Karl wieder alleine sei, weil der „Zellenkamerad B. Z.“82 nach Tegel ge- kommen sei. Wieder einen Tag später, am 28. April 1944, kam ein neuer Häftling namens

75 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 4, 12. 76 Vgl. Georg JURYTKO, Briefe des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Ber- lin-Gatow 06.1944–05.1947. 77 Vgl. N. N., St. Raphaels-Kirche, Georg Jurytko, Rudolf Schwarz, online unter: http://www.gedenktafeln-in- berlin.de/nc/gedenktafeln/gedenktafel-anzeige/tid/st-raphaels-kirche/ (10.02.2016). 78 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 5. 79 Vgl. ebd., 13, 17 f. 80 Ebd., 17. 81 Vgl. ebd., 22 f., 25. 82 Ebd., 30.

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Gerhard zu ihnen.83 Diese Änderung ist der letzte Eintrag im Tagebuch hinsichtlich des ste- ten Wechsels seiner Mithäftlinge. Der Bruder Fritz teilte seinen Eltern brieflich mit, dass seinen Erkundigungen zufol- ge, die Haftbedingungen in Berlin-Tegel ganz in Ordnung seien.84 Auch durch die Aufzeich- nungen Molnars entsteht der Eindruck, dass die Bedingungen in diesem Gefängnis nicht so schlecht wie in Berlin-Tegel oder im Zellengefängnis Moabit waren. Jedoch sind diesbezüg- lich die Adressaten und Adressatinnen – nämlich in beiden Fällen die Eltern Edmund Mol- nars – zu berücksichtigen, da sie der Grund für eine positive Umschreibung der Umstände gewesen sein könnten. Über die Arrestzeit in Cilli und im Gefängnis in Graz geht aus den Aufzeichnungen nichts hervor. Am 2. März 1944 wurde Molnar auch in der Nacht von den Fesseln befreit, wozu er schrieb: „Es ist ganz ein seltenes Gefühl ohne Fesseln zu schlafen.“85 Zwei Monate später wurden sie ihm schließlich am 10. Mai in der Nacht wieder angelegt.86 Die Wanzen in den Betten stellten eine Plage für die Gefangenen dar, die Molnar nicht ohne Ironie schilderte: „2.4.44. Heut Vormittag, hatten wir eine Wanzenschlacht, wie sie die Menschheit noch nie gesehen hat. Beide Betten haben wir bis auf den Grund zerlegt.“87 Auch die Zellenreinigung versuchten sie anscheinend selbst zu bewerkstelligen. Die Waschschüssel, so schrieb er, musste daher zusätzlich für das Auswischen des Zellenbodens herhalten. Ab und an konn- ten sich die Gefangenen gründlich waschen und die Haare schneiden lassen. Bei gesundheit- lichen Problemen war es scheinbar möglich, Medikamente zu erhalten, wie man zwischen den Zeilen aus dem Tagebuch herauslesen kann.88 Eine Sonderzuteilung Zigaretten von Sei- ten des Gefängnisses fand stets freudige Reaktionen unter den Gefangenen. Als jedoch ein Insasse beschuldigt wurde, am Abend zum Fenster hinausgeraucht zu haben, wurde den Gefangenen vom 15. bis zum 24. Jänner die Raucherlaubnis entzogen. Beiläufig erwähnte Molnar, dass er mit Bernhard das Brettspiel Dame spielen konnte.89 Von seiner Familie erhielt Edmund Molnar regelmäßig Briefe und Pakete. Darin wa- ren Kekse, Zigaretten, Feuersteine, Schreibzeug, aber auch Kleidungsstücke – nachdem ein- mal bei einem Brand Wäschestücke von ihm verbrannt waren, dies offiziell bestätigt und neue Wäsche erlaubt worden war. Aufgrund der häufigen Zustellungen bekam er jedoch

83 Vgl. ebd., 30, 32. 84 Vgl. Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 20.03.1944. 85 MOLNAR, Tagebuch, 13. 86 Vgl. ebd., 33. 87 Ebd., 22. 88 Vgl. ebd., 8, 28. 89 Vgl. ebd., 5, 7, 28 f.

historioPLUS 4 (2017) 80 eine Rüge vonseiten der Gefängnisleitung, welche ihm auftrug, nachhause zu schreiben, dass er nicht mehr so viel Post erhalten dürfe.90 Vor allem Briefe waren für ihn in der Wartezeit von großer Bedeutung. Im Tagebuch notierte er wiederholt, wann und von wem er Post erhielt. Meist finden sich darunter die Namen seiner Geschwister und seiner Eltern. An den Feiertagen stellte er seinen eigenen Angaben zufolge Bilder seiner Familie auf, um sich ihnen näher fühlen zu können. Besuchs- erlaubnis erhielt er jedoch eher selten. Dennoch bekam er beispielsweise Besuch von seinen Anwälten Dr. Adler und Dr. Schneider, aber auch von seinem Bruder Fritz, als dieser sich seinetwegen zeitweise in Berlin aufhielt. Bei Bombenangriffen erwähnte er häufig seinen Bruder Rupert, welcher ebenfalls in der Wehrmacht war, und lässt seine Sorge um ihn er- kennen.91 Molnar erlebte in seinen verschiedenen Zellen in Berlin zahlreiche Fliegerangriffe. Diese ordnete er stets den „Tommis“92 zu und verzeichnete sie zusammen mit Datum und Uhrzeit in seinem Tagebuch. Zwei anschauliche Beispiele für derartige Fliegerangriffe bieten folgende Aufzeichnungen:

„29.1.44. Und so wie der gestrige Tag endete fing der heutig[e] an. Es war eine tolle Nacht Phospfor [sic] rauschte wie Regen am Fenster vorbei. Jedoch bin ich gut weggekommen. Hoffentlich auch Perti [Rupert]. Der Angriff war in den Morgenstunden von 3:00–4:30.“93

„30.1.44. Heute kann ich 2 Fliegerangriffe verzeichnen, der 1. war harmlos in der Zeit von 12:00–13:00. Aber dafür der 2. um so stärker von 20:00–21:00 ei- nen Stock über uns brante [sic] es, die Nacht war hell wie der Tag. Mir hat es gereicht.“94

Für die Gefangenen war besonders der Sonntag ein gefürchteter Tag: Wie den Tagebuchauf- zeichnungen zu entnehmen ist, war es – offiziell oder im Glauben der Gefangenen – üblich, die zum Tode Verurteilten an diesem Tag für ihren letzten Weg abzuholen. Edmund Molnar erwähnte häufig, wie erleichtert er und die anderen immer gewesen waren, wenn ein Sonn- tag ohne große Schrecken vorübergegangen war.95 Aus einzelnen Kommentaren in den Auf- zeichnungen und Briefen geht hervor, dass Molnar zunehmend an starken Depressionen litt,

90 Vgl. ebd., 22. 91 Vgl. ebd., 16, 21, 27 f. 92 Ebd., 3. „Tommy“ war der Spitzname für einen britischen Soldaten und geht auf den ganzen Namen „Thomas Atkins“ zurück. Vgl. John LAFFIN, Tommy Atkins. The Story of the English Soldier, Sparkford 2004, vii–iv. 93 MOLNAR, Tagebuch, 9. 94 Ebd., 9. 95 Vgl. ebd., 18, 14.

historioPLUS 4 (2017) 81 was zum größten Teil auf die Ungewissheit über sein Schicksal, aber auch auf den Mangel an Beschäftigung zurückzuführen ist.96 In seinem Tagebuch beschrieb er Alpträume: „22.5.44. Eine schaurige Nacht ist vorbei. In dieser Nacht kam mir mein Urteil wieder einmal so auf grausamste Art in den Sinn“97 und: „Heute Nacht hatte ich einen schrecklichen Traum, doch will ich hoffen, daß er nicht zur Wirklichkeit wird.“98 Manchmal glaubte er einen Hoff- nungsschimmer für die Aufhebung oder Umwandlung seines Urteils erahnen zu können. Diese Hoffnung dürfte unter anderem auf die lange Dauer zwischen seiner Verhandlung und der Bestätigung des Urteils zurückzuführen sein. Immerhin lagen zwischen dem Urteil und dem Vollzug gut sechs Monate. Edmund zählte die Tage seit seiner Inhaftierung und auch die Wochen seit der Urteilsverkündung.99 Auch Pfarrer Jurytko erwähnte später in seinen Briefen an die Familie Molnar, dass ihrem Sohn die Gefangenschaft stark zugesetzt und er stets einen „schmerzlichen Zug“ um den Mund gehabt habe, sich aber, wie er meinte, auf den Himmel freute.100 Die Gedichte, Gebete und Lieder, welche Edmund zuweilen in seinem Tagebuch festhielt, haben meist ei- nen religiösen und zudem trübsinnigen Charakter. So schrieb er beispielsweise ein „Gebet einer Mutter“101 nieder. Aus anderen Gedichten hielt er aus der Erinnerung heraus nur ein- zelne Strophen fest, wie beispielsweise aus dem Gedicht „Das Grab“, verfasst von Johann Gaudenz Freiherr von Salis-Seewis102: „Das arme Herz, hiniden [sic] von manchen Sturm bewegt, es findet seinen Frieden Erst wenn es nimmer schlägt.“103 Edmunds letzter Tagebucheintrag stammt vom 24. Mai 1944, zwei Tage vor seiner Hinrichtung. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er noch nichts von der bevorstehenden Exekution gewusst haben. Auch an diesem Tag verzeichnete er Fliegerangriffe und berichtete von ei- nem Flugzeug, dessen Absturz er von der Zelle aus beobachten konnte.104 Besonders die letz- ten beiden Sätze dürften für die Familie ein – wenn auch sehr kleiner – Trost gewesen sein: „So eben erhielt ich zwei Briefe einen von Hedi u. einen von Mutter im letzteren waren

96 Vgl. etwa ebd., 28; Fritz MOLNAR, Brief an Familie Molnar, 20.03.1944; Georg JURYTKO, Brief des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 10.02.1945. 97 MOLNAR, Tagebuch, 35. 98 Ebd., 16. 99 Vgl. etwa ebd., 29. 100 Vgl. JURYTKO, Brief an Familie Molnar, 10.02.1945. 101 MOLNAR, Tagebuch, 19. 102 Vgl. Johann Gaudenz von SALIS-SEEWIS, Gedichte, hg. von Karl-Maria Guth, Berlin 2015, 21. 103 Zitiert nach: MOLNAR, Tagebuch, 23. Originaltext von dem Dichter Salis-Seewis: „Das arme Herz, hinieden. Von manchem Sturm bewegt, Erlangt den wahren Frieden. Nur, wo es nicht mehr schlägt.“ SALIS-SEEWIS, Grab, 21. 104 Vgl. MOLNAR, Tagebuch, 35.

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10 Feuersteine u. Zigarettenpapier. Es ist immer ein schöner Tag, wenn man von den Lieben Post erhält.“105

5.4 Bestätigung des Urteils und Strafvollzug

Von der Anzeige bis zum Vollzug war Edmund insgesamt 286 Tage106, mehr als neun Mona- te, eingesperrt. Während der langen Haftdauer, ohne Klarheit über sein Schicksal, entwickel- te Molnar Theorien, wie es ablaufen könnte. So schrieb beispielsweise sein Bruder Fritz, Ed- mund habe gehört, dass es eine Frist zwischen Urteil und Vollzug gäbe, die 18 Wochen be- trage.107 Durch Vergleiche mit anderen Fällen, in welchen die Vollstreckung schneller ging, glaubten sie zuweilen, dass die lange Dauer der Haft auf eine mögliche Entlassung hindeu- te.108 Dem Gesetz nach sollten Todesurteile sogleich nach ihrer Bestätigung durchgeführt werden.109 Im Fall Edmund Molnars wurde jedoch – eventuell aufgrund einer möglichen Begnadigung – die Bestätigung lange ausgesetzt. Maria Fritsche weist darauf hin, dass lange Wartezeiten häufig waren und die Häftlinge in dieser Zeit „unter einem enormen psychi- schen Druck“ standen.110 Aus den Aufzeichnungen wird ersichtlich, dass bei Molnar, seiner Familie und auch seinen Anwälten gegen Ende die Vorstellung einer möglichen Begnadi- gung dominierte. Einen Hinweis darauf bietet unter anderem ein Brief des Rechtsanwaltes Dr. Schneider an Dr. Alois Blaschke über dessen Besuch bei dem Gefangenen am 18. Mai. Darin gab er an, den Gefangenen noch kurz zuvor besucht zu haben. Molnar wusste aber nichts von einer Bestätigung des Urteils oder einer bevorstehenden Hinrichtung, vielmehr sei er sogar überzeugt gewesen, dass der Urteilsvollzug ausbleibe.111 Die Bestätigung des Urteils erfolgte, laut Rechtsanwalt Dr. Schneider, offenbar völlig überraschend am 4. Mai 1944.112 Der Verurteilte, seine Familie und seine Anwälte waren darüber vorab nicht informiert worden. Molnar selbst dürfte am 25. Mai 1944, einen Tag vor seiner Hinrichtung, über die nun kurz bevorstehende Exekution benachrichtigt worden sein. In die letzten Stunden seines Lebens gibt ein inoffizieller Abschiedsbrief, welcher über Um- wege und lange Zeit später die Familie in Hallein erreichte, Einblick; Frau Feuerle, die Mut- ter des Häftlings Gerhard Feuerle, schickte ihn an die Familie Molnar. Edmunds Aufzeich-

105 Ebd., 36. 106 Errechnete Tage zwischen 14.08.1943 und 26.05.1944. 107 Vgl. Fritz MOLNAR, Brief an Familie Molnar, 20.03.1944. 108 Vgl. ebd. 109 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 120 f. 110 Vgl. ebd., 120 f. 111 Vgl. SCHNEIDER, Brief an Blaschke, 13.06.1944. 112 Vgl. ebd.

historioPLUS 4 (2017) 83 nungen im Tagebuch zufolge, war er zu diesem Zeitpunkt mit Karl Wacht und Gerhard113 in einer Gefängniszelle. Höchstwahrscheinlich war dieser Gerhard der Sohn der Familie Feuer- le. Ihm gelang es, den Brief, welchen Molnar teils selbst geschrieben teils diktiert haben soll, seiner Mutter zu geben und ihr noch von der letzten Zeit seines Zellengenossen zu erzählen. Demzufolge redeten die Männer die ganze Nacht hindurch. Gerhard Feuerle, welcher eben- falls wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt war, wurde später, den Angaben der Mutter zufolge, in ein geschickt und galt während des Briefkontaktes der beiden Fa- milien noch als vermisst.114 Der Abschiedsbrief vom 25. Mai beinhaltet zuversichtliche und scheinbar ruhige Worte für die Familie. Molnar ermahnte seine Schwester Hedwig, an ihr Kind zu denken, und erwähnte seine Vorfreude auf ein Wiedersehen im Himmel. Voraus- schauend meinte er, dass sein Tod eines Tages vielleicht einen Sinn haben werde.115 Nach Angaben des Pfarrers Jurytko fand die Überstellung des Häftlings von Spandau nach Berlin- Tegel noch am Tag vor der Hinrichtung statt.116 Die genaue Reihenfolge der Informationen, Gespräche und des Transportes nach Tegel sind nicht mehr eindeutig festzustellen, da die Angaben diesbezüglich nicht übereinstimmen. Der Historikerin Maria Fritsche zufolge war es üblich, dem Todeskandidaten oder der Todeskandidatin zu gestatten, einen Abschiedsbrief zu schreiben und mit einem Geistli- chen zu reden.117 Einen solchen offiziellen Brief gibt es auch von Edmund Molnar. Diesen verfasste er am 26. Mai 1944, wenige Stunden vor seiner Hinrichtung. Darin wiederholte er vieles aus dem ersten Abschiedsbrief und dankte allen, insbesondere seinen Geschwistern Fritz und Hedwig. Des Weiteren bat er, seine Leiche der Familie zu übergeben und beendete den Brief mit den Worten: „So meine Lieben, nun ist gerade der Gefängnisgeistliche bei mir gewesen und ich muß schließen ... und empfehle Euch Gott. Euer Mundi.“118 Die Hinrichtungen erfolgten meist durch Erschießung. In den Wehrmachtshaftanstal- ten waren die Wachmänner oder andere Soldaten zumeist die Vollstrecker. Unter § 103 der Kriegsstrafrechtsverfahrensordnung sind die Richtlinien zur Vollziehung der Todesstrafe enthalten. Darin steht unter anderem, dass ein Geistlicher mehrmals mit dem/der Verurteil-

113 Der Nachname geht aus den Aufzeichnungen nicht hervor. Aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Gerhard Feuerle. 114 Vgl. FEUERLE, Briefe an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Schwäbisch Gmünd 1946–1951. 115 Vgl. Edmund MOLNAR, Abschiedsbrief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Spandau 25.05.1944. 116 Vgl. Georg JURYTKO, Bestätigung des Pfarrers an o. A. (vermutlich an die Gemeinde Hallein zwecks Bestäti- gung des Falles Edmund Molnar), Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 17.11.1953. 117 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 122. 118 Edmund MOLNAR, Abschiedsbrief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin- Tegel 26.05.1944.

historioPLUS 4 (2017) 84 ten sprechen dürfe, der/die Verurteilte meist gefesselt und ihm/ihr je nach Bedarf auch die Augen verbunden wurden. Das Urteil wurde nochmals laut vorgelesen. Danach mussten sich die Schützen in fünf Schritt Entfernung aufstellen und der/die Verurteilte wurde von mehreren Männern zugleich erschossen. Anschließend sollte laut Gesetz ein Sanitätsoffizier den Tod feststellen und der Vorgang schriftlich festgehalten werden.119 Die Hinrichtung von Edmund Molnar dürfte sehr ähnlich abgelaufen sein. Am 30. Jänner 1947 berichtete Pfarrer Jurytko der Familie Molnar in einem Brief detailliert den Hergang. Demnach fand die Hinrichtung um 8:20 Uhr morgens statt. Der Familie gegenüber bezeichnete er das Verhalten ihres Sohnes als ruhig und gefasst. Zudem beschrieb er den Verurteilten zuvor als wehmütig, kurz vor seinem Tod aber als munterer. Molnar soll den Pfarrer gebeten haben, seiner Familie zu schreiben und von ihm zu grüßen. Kurz vor der Hinrichtung, schrieb Jurytko, habe Molnar ihn noch einmal angesehen und seinen Blick dann zum Himmel hinauf gerichtet. Acht Kugeln sollen ihn ins Herz getroffen haben. Er habe kurz geröchelt und sei danach sofort tot gewesen.120 Diese Beschreibung ist neben den subjektiven Wahrnehmungen des Erzählers, besonders im Hinblick auf die Adressaten und Adressatinnen zu lesen, welche Grund für den Berichterstatter gewesen sein könnten, den tatsächlichen Hergang möglicherweise zu beschönigen, um der Familie Trost zu spenden. Die Leiche wurde nicht, wie es Molnars Wunsch gewesen wäre, seiner Familie aus- gehändigt. Zwar war es den Angehörigen gesetzlich gestattet, den Leichnam zu beerdigen, doch eine Überstellung in die Heimatstadt war nicht erlaubt.121 Georg Jurytko soll noch zu- gesehen haben, wie die Särge122 auf einen dreirädrigen Tempowagen geladen wurden, er durfte jedoch selbst nicht bei der Bestattung anwesend sein. Die Beisetzung erfolgte damals auf dem Friedhof in den Kisseln in Berlin.123 Am 31. Mai 1944 wurde vom Heeresjustizinspek- tor folgende Information über die Hinrichtung Edmund Molnars an die Familie Molnar in Hallein gesandt:

„Das am 16.11.1943 gegen Ihren Sohn, den Gefreiten Edmund Molnar ergan- gene Todesurteil ist nach Bestätigung am 26.5.1944 auf dem Schießplatz in Berlin-Tegel vollstreckt worden. Todesanzeigen oder Nachrufe in Zeitungen,

119 Vgl. Strafrecht, 212 f.; FRITSCHE, Entziehungen, 122. 120 Vgl. Georg JURYTKO, Brief des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Ber- lin-Gatow 30.01.1947. 121 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 122. 122 Der Pfarrer Georg Jurytko erwähnte explizit in seinem Brief an die Familie Molnar mehrere Särge die abtrans- portiert wurden, dies lässt die Vermutung zu, dass an diesem Tag mehrere Todesurteile vollzogen wurden. Vgl. JURYTKO, Brief an Familie Molnar, 30.01.1947. 123 Vgl. ebd.

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Zeitschriften und dergl. sind verboten. Ein letzter Abschiedsbrief Ihres Sohnes ist beigefügt.“124

6. Reaktionen und Aufarbeitung nach 1945

Wie aus obigem Zitat hervorgeht, war es Angehörigen verboten, Nachrufe etc. über den Hingerichteten zu publizieren. Maria Fritsche zufolge hielten sich jedoch nicht alle Hinter- bliebenen daran.125 Von Edmund Molnar existiert eine Parte (siehe Abb. 2), welche den Satz „wurde im Alter von 21 Jahren wegen einer geringfügigen Äußerung, zufolge Angeberei durch einen Kameraden, […] hingerichtet“126 beinhaltet. Die Parte enthält zudem ein Bild von Edmund aus seiner Gefangenschaft und Auszüge aus dem Abschiedsbrief vom 26. Mai.127 Dieser Aussage und den Angaben von Molnars Bruder, Dr. Clemens Molnar, zu- folge, dürfte die Parte wohl erst nach dem Krieg entstanden sein, das genaue Datum bleibt unklar.128

Abb. 2: Parte zu Edmund Molnars Tod

124 Meldebestätigung von dem Heeresjustizinspektor an Edmund Molnar sen., 31.05.1944. 125 Vgl. FRITSCHE, Entziehungen, 122. 126 Parte zu Edmund Molnars Tod, Privatbesitz der Familie Molnar, Hallein o. D. 127 Vgl. ebd. 128 Vgl. Interview mit Dr. Clemens MOLNAR.

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Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in Hallein drei Plätze nach Opfern des Natio- nalsozialismus – Johannes Pramer, Josefine Lindorfer und Edmund Molnar – umbenannt, diese sollten stellvertretend für alle NS-Opfer Halleins gelten.129 Im Zuge dessen wurde auch der Karolinenplatz in den „Edmund-Molnar-Platz“ umbenannt.130 Am 27. Jänner 1947 bestätigte der Verband ehemaliger politisch verfolgter Antifa- schisten des Landes Salzburg schriftlich, dass Edmund Molnar von den „braunen Verbre- chern hingerichtet worden“131 sei. Ein weiteres Dokument, diesmal von der Österreichischen demokratischen Freiheitsbewegung der Bereichsleitung Hallein, welches bereits am 10. August 1945 verfasst worden war, gilt als erste offizielle Bestätigung der Ermordung Edmund Molnars durch die Nationalsozialisten.132 Das Dokument enthält eine detaillierte Zusammenfassung des Falles. Jedoch gibt es an, Edmund habe die Aussagen gemacht, dass die Mutter Hitlers eine Jüdin sei und Hitler Österreich ohne den Willen des Volkes über- nommen habe.133 Diese letzte Aussage lässt sich zuvor schon in einzelnen Briefen als Gerücht finden.134 Nach einem Besuch bei Edmund im Gefängnis gab Fritz Molnar jedoch an, dass die Annahme einer solchen Aussage nicht der Wahrheit entsprochen habe.135 Die Anklage- schuld wird in diesem Dokument einzig dem Denunzianten zugeschrieben. Demnach sei der Kompanieschreiber von Pfarrwallner gedrängt worden und der Kompaniechef habe beide gerügt, da er ohne eine schriftliche Anklage den Fall anders hätte behandeln können. Diese Angaben bezüglich der Alleinschuld des Denunzianten und eine Freisprechung anderer Be- teiligter sind im Anbetracht des Zeitraumes äußerst kritisch zu betrachten, da es nach 1945 galt, die eigene Position zu rechtfertigen. Auch die abgewiesenen Ansuchen der Familie beim Kreisleiter und dem Bürgermeister von Hallein sind in dem Schreiben enthalten. Schließlich wurden noch weitere Personen, mit möglichen Informationen zu dem Fall, ange- führt und der Abschiedsbrief abgedruckt sowie das Tagebuch erwähnt. Edmund wurde in dem Schreiben noch „als ein treuer Österreicher der sich offen gegen die Machtgier des Hit- lerismus bekannte“136 gerühmt und bestätigt, dass er einzig wegen seiner eigenen politischen

129 Vgl. N. N., Griff, 6. 130 Vgl. Ernst PENNINGER, Die Straßennamen der Stadt Hallein, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 110 (1970), 297–364, hier 317 f. 131 Verband ehemaliger politisch verfolgter Antifaschisten. Land Salzburg, Bestätigung des Falles Edmund Mol- nar an die Bezirksleitung in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Salzburg 27.01.1947. 132 Vgl. Freiheitsbewegung, Bestätigung an Familie Molnar, 10.08.1945. 133 Vgl. ebd. 134 Vgl. etwa Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 16.03.1944. 135 Vgl. Fritz MOLNAR, Brief an Familie Molnar, 20.03.1944. 136 Freiheitsbewegung, Bestätigung an Familie Molnar, 10.08.1945.

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Anschauungen und der seiner Eltern hingerichtet worden sei.137 Diese Anerkennung als poli- tisch Verfolgter war nach dem Krieg von größter Bedeutung, da nur diese laut Opferfürsor- gegesetz von 1947 als Opfer anerkannt wurden und auf diese Weise eine Rehabilitierung möglich war.138 Die offizielle Rehabilitierung der nach dem NS-Militärrecht Verurteilten erfolgte erst viele Jahre später. Vorerst wurden die Urteile vieler Delikte rechtlich übernommen und die Verurteilten nicht als NS-Opfer angesehen.139 Ein Umdenken auf diesem Gebiet fand in Deutschland ab den 1990er Jahren statt. Jedoch erst im Jahr 2002 wurden diese – unter ande- rem wegen Wehrkraftzersetzung – Verurteilten rehabilitiert beziehungsweise freigesprochen und ihren Angehörigen Rechte zugesprochen. In Österreich wurde diese Opfergruppe erst 2005 anerkannt; 2009 wurde schließlich ein Gesetz zur Aufhebung und Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit erlassen.140 Im Rahmen der Stolpersteinaktion verlegte man auch in Hallein Steine, welche an NS-Opfer in Form von kleinen Messingtafeln im Pflaster erinnern. Darunter findet sich ein vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Molnar am Edmund-Molnar-Platz in Hallein, welcher im Jahr 2013 verlegt wurde.

7. Resümee

Konkrete Zahlen der durch das NS-Militärrecht wegen Wehrkraftzersetzung Verurteilten sind nicht ermittelbar, da zahlreiche Akten nicht mehr existieren. Schätzungen zufolge dürf- te es sich ungefähr um 5.000–6.000 Hingerichtete handeln. Der überwiegende Teil der Le- benswege dieser Opfer kann aufgrund fehlender Quellen nicht rekonstruiert werden. Ist je- doch eine solche Analyse in Einzelfällen möglich, werfen diese eine Vielzahl an nahezu un- berücksichtigten Forschungsfeldern auf. Trotz einer Reihe vorliegender wissenschaftlicher Arbeiten fehlen nach wie vor tiefgehende Detailanalysen zu Einzelfällen, welche etwa sozia- le, hygienische und gesundheitliche Probleme von Opfern aufgreifen. Wie hier deutlich wurde, gibt es noch keine Antworten hinsichtlich der Frage der zugelassenen Anwälte und

137 Vgl. ebd. 138 Vgl. David FORSTER, Die Zweite Republik und die Wehrmachtsdeserteure. Fürsorge und Entschädigung für Opfer der NS-Militärjustiz, in: Peter Pirker / Florian Wenninger, Hg., Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nach- wirkungen, Wien 2011, 242–254, hier 243 f. 139 Vgl. Antrag an den Deutschen vom 29.08.1990: Rehabilitierung und Entschädigung der unter der NS-Herrschaft verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“, online unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/077/1107754.pdf, Drucksache 11/7754, (22.01.2016). 140 Vgl. dazu HORNUNG, Denunziation, 39–41; DÖW, NS-Militärjustiz, 2.

historioPLUS 4 (2017) 88 deren Auswahlschema bei Strafprozessen in der Zeit des Nationalsozialismus. Vor allem aber fehlen Arbeiten über den Umgang mit Opfern der Militärjustiz nach 1945. Dank der guten Quellenlage konnten Verfolgung und Ermordung von Edmund Mol- nar hingegen untersucht werden. Bei ihm war es weniger die Schwere der Aussagen als vielmehr seine politische Anschauung und die seiner Familie, welche zu einer Verurteilung und schließlich zu seiner Hinrichtung führte. Die umfangreiche Quellenlage ließ es zu, die Vorgehensweise der Nationalsozialisten exemplarisch zu erforschen. Besonders das wäh- rend seiner Gefangenschaft von Edmund Molnar geführte Tagebuch ermöglicht einen tiefe- ren Einblick in seine persönliche Lage und Erfahrungen.

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Anhang

Quellen

Johann Gaudenz von SALIS-SEEWIS, Gedichte, hg. von Karl-Maria Guth, Berlin 2015. Strafrecht der deutschen Wehrmacht. Militärstrafgesetzbuch, Kriegssonderstrafrechtsver- ordnung, Kriegsstrafverfahrensordnung, Verordnung gegen Volksschädlinge, Reichsstrafgesetzbuch, Disziplinarstrafordnung, Beschwerdeordnung u. a. einschlä- gige Bestimmungen, 2. Auflage., München u. a. 1939.

Quellenkorpus Edmund Molnar, Privatbesitz der Familie Molnar

Waldemar ADLER, Gnadengesuch des Rechtsanwaltes an das Gericht der Wehrmachtkom- mandantur Berlin-Charlottenburg, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 17.11.1943.

FEUERLE, Briefe an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Schwä- bisch Gmünd 1946–1951.

Georg JURYTKO, Briefe des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 06.1944–05.1947.

Georg JURYTKO, Brief des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 10.02.1945.

Georg JURYTKO, Brief des Pfarrers an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 30.01.1947.

Georg JURYTKO, Bestätigung des Pfarrers an o. A. (vermutlich Gemeinde Hallein zwecks Be- stätigung des Falles Edmund Molnar), Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Gatow 17.11.1953. Meldebestätigung von dem Heeresjustizinspektor an Edmund Molnar sen. in Hallein, Pri- vatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Charlottenburg 31.05.1944.

Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 28.06.1943.

Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 09.07.1943.

Edmund MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 11.08.1943.

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Edmund MOLNAR, Tagebuch, Privatbesitz der Familie Molnar, verfasst im Wehrmachtsun- tersuchungsgefängnis Berlin-Tegel und Berlin-Spandau, Berlin 1943–1944.

Edmund MOLNAR, Abschiedsbrief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Spandau 25.05.1944.

Edmund MOLNAR, Abschiedsbrief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin-Tegel 26.05.1944.

Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 11.03.1944.

Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 13.03.1944.

Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 16.03.1944.

Fritz MOLNAR, Brief an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 20.03.1944. N. N., Brief eines Soldaten an die Familie Molnar in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Cilli 25.08.1943. Österreichischen demokratischen Freiheitsbewegung. Bereichsleitung Hallein, Bestätigung des Falles Edmund Molnar an die Familie Molnar, Privatbesitz der Familie Molnar, Hallein 10.08.1945.

Hedwig PRIPADLO, Gnadengesuch an die Kanzlei des Führers und Reichskanzlers in Berlin, Privatbesitz der Familie Molnar, Sternberg 07.03.1944.

SCHNEIDER, Brief des Rechtsanwaltes an Rechtsanwalt Dr. Blaschke in Berlin, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 19.05.1944.

SCHNEIDER, Brief des Rechtsanwaltes an Rechtsanwalt Dr. Blaschke in Berlin, Privatbesitz der Familie Molnar, Berlin 13.06 1944.

SCHOLZ, Gnadengesuch an Reichsminister Dr. Seyss-Inquart in München, Privatbesitz der Familie Molnar, Karlsbad o. D. Verband ehemaliger politisch verfolgter Antifaschisten. Land Salzburg, Bestätigung des Fal- les Edmund Molnar an die Bezirksleitung in Hallein, Privatbesitz der Familie Molnar, Salzburg 27.01.1947.

Interviews

Interview mit Dr. Clemens MOLNAR, geb. 1931, Hallein 19.02.2016.

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Literatur

Rudolf ABSOLON, Das Wehrmachtsstrafrecht im 2. Weltkrieg. Sammlung der grundlegenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Als Manuskript abgedruckt, Bundesarchiv Abt. Zentralnachweisstelle, Kornelimünster 1958.

David FORSTER, Die Zweite Republik und die Wehrmachtsdeserteure. Fürsorge und Ent- schädigung für Opfer der NS-Militärjustiz, in: Peter Pirker / Florian Wenninger, Hg., Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nachwirkungen, Wien 2011, 242–254.

Maria FRITSCHE, Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien 2004.

Christian GALSTERER / Wolfgang WINTERSTELLER, März 1938. „Anschluß“ in Hallein und Umgebung. Ausstellung im Gedenkjahr 1988, Begleitbroschüre zur Ausstellung: „1938 – Anschluß in Hallein und Umgebung“ im Keltenmuseum Hallein, Hallein 1988.

Ela HORNUNG, Denunziation als soziale Praxis. Fälle aus der NS-Militärjustiz, Wien u. a. 2010.

John LAFFIN, Tommy Atkins. The Story of the English Soldier, Sparkford 2004.

Manfred MESSERSCHMIDT / Fritz WÜLLNER, Die Wehrmachtjustiz im Dienste des National- sozialismus. Zerstörung einer Legende, Baden-Baden 1987.

Wolfgang NEUGEBAUER, Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938–1945, in: Gerd. R. Ueberschär, Hg., Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Fa- schismus in Europa 1933/39 bis 1945, Berlin / New York 2011, 31–41. N. N., Griff in die Geschichte, in: Halleiner Zeitung, 26.05.1994, 6.

Ernst PENNINGER, Die Straßennamen der Stadt Hallein, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 110 (1970), 297–364.

Emmerich TÁLOS / Wolfgang NEUGEBAUER, Hg., Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kul- tur 1933–1938, 7. Auflage, Wien / Berlin 2014.

Fritz WÜLLNER, Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung. Ein grundle- gender Forschungsbericht, 2. Auflage, Baden-Baden 1997.

Onlineressourcen

Antrag an den Deutschen Bundestag vom 29.08.1990: Rehabilitierung und Entschädigung der unter der NS-Herrschaft verfolgten Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und

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„Wehrkraftzersetzer“, online unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd- /11/077/1107754.pdf, Drucksache 11/7754, (22.01.2016). Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Hg., Mitteilungen. NS- Militärjustiz: „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ 218 (Oktober 2014), online unter: http://www.doew.at/cms/download/6kqmt/218-1.pdf (24.10.2016).

Jochen GESTER, „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt...“ Der „Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit“ in Berlin, in: SoZ - Sozialistische Zeitung (November 2007), 24, online unter: http://www.die-welt-ist-keine-ware.de/vsp/soz-0711/071124.php (26.11.2016). N. N., St. Raphaels-Kirche, Georg Jurytko, Rudolf Schwarz, online unter: http://www.gedenktafeln-in-berlin.de/nc/gedenktafeln/gedenktafel-anzeige/tid- /st-raphaels-kirche/ (10.02.2016). N. N., Stolpersteine, online unter: http://www.stolpersteine.eu (06.06.2017). N. N., Stolpersteine Hallein. Ein Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig. Molnar, Ed- mund, online unter: http://stolpersteine-hallein.at/edmund-molnar/ (09.02.2016). Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Bereich Denkmal (Berlin). Zellengefängnis Moabit, online unter: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_daten- bank/de/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09050274 (09.01.2016).

Abbildungen

Abb. 1: Foto von Edmund Molnar, Privatbesitz der Familie Molnar, Hallein o. D. Abb. 2: Parte zu Edmund Molnars Tod, Privatbesitz der Familie Molnar, Hallein o. D.

Empfohlene Zitierweise:

Valerie STEJSKAL, Hoffnung bis zum Tod. Wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt – der Fall des Edmund Molnar aus Hallein, in: historioPLUS 4 (2017), 65–92, online unter: http://www.historioplus.at/?p=770. Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.

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