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Polit-PR „Ein heißer Ritt“ Steffen Seibert moderierte viele Jahre lang die Nachrichtensendungen im ZDF. Seit fünf Wochen schlägt er sich nun als Regierungssprecher durch den Berliner Politikbetrieb. Ein Job, der offenkundig weit mehr stresst. Von Markus Feldenkirchen

etzt, da es Abend geworden ist, sieht Als ihn auf einer man die Spuren, die das Monster am Bühne des Presseamts der Welt Jtag hinterlassen hat. An Steffen Sei - des Monsters präsentierte, wirkte berts Stirn klebt der Schweiß. Die sonst Seibert ganz anders als an diesem so gescheitelten Haare sind für seine Ver - Abend in seinem neuen Büro. „Je hältnisse völlig aus dem lot geraten. Sein mehr Kontakte Sie haben, desto Hemd hat er bis knapp über den Bauch - weniger muss ich mich darum nabel aufgeknöpft, auf Brusthöhe baumelt kümmern“, sagte die Kanzlerin der Krawattenknoten. Der Mann mit dem und versprach: „ich werde versu - faltenfreien Gesicht, der einzige 50-Jähri - chen, mich so vernünftig wie mög - ge, der noch im Kinderkanal moderieren lich zu verhalten, um es ihnen könnte, wirkt ziemlich zerzaust. möglichst leichtzumachen.“ Das Monster des Politikbetriebs scheint Seibert stand daneben, die Wan - bereits an ihm zu nagen. Es rauscht, nervt, gen noch rosig wie Kochschinken, stellt Fallen, kitzelt und ärgert, macht ge - die Haare noch glänzend. Er wirk - lassene Menschen zu nervösen Menschen. te wie frisch geduscht und sah un - Steffen Seibert hatte die Kraft des Berli - fassbar gesund aus. Das musste ner Monsters bislang nicht zu spüren be - sein. oder das ZDF. kommen. Er wohnte in Wiesbaden und Er sei neu in einer Behörde, neu arbeitete in . Dort stand er abends in der Politik und neu in , in einem Fernsehstudio und erzählte, was sagte Seibert. Und er sei dankbar, das Monster am tage wieder produziert dass er diese neue Welt jetzt ken - hatte. „ich kannte den Berliner Betrieb nenlernen dürfe. nur aus Schaltgesprächen“, sagt Seibert. Es ist interessant, mit seinen Au - Nun muss er mit dem Monster tanzen. gen auf diese Welt zu blicken, weil Es war wieder ein hektischer Regie - es der frische Blick eines Unschul - rungssprechertag. Seibert ist furchtbar digen ist, die Ansicht eines Neulings. früh aufgestanden, hat Zeitungen gelesen, Er trägt noch jenes Staunen in sich, um viertel vor acht hat er der Kanzlerin das die meisten Angehörigen des vorgetragen, was in den Zeitungen steht, politischen Betriebs längst gegen die so ging es weiter. Er hat den ganzen tag Routine – oder schlimmer: gegen an ihrer Seite verbracht, ihr Rhythmus den Zynismus – eingetauscht haben. ist jetzt sein Rhythmus. in leipzig steigt Angela Merkel Seibert hat erst mal Durst. Er hievt sich vor dem Hochhaus der dortigen aus dem Sofa, läuft durch sein kahles Re - Energiebörse aus ihrer limousine gierungssprecherbüro, hält am Konferenz - und spurtet, umhüllt von einem tisch mit den Konferenzgetränken, hebt tross aus leibwächtern, Energie - eine Flasche vom tablett. „oh. tomaten - börsenvertretern und weiteren saft!“, sagt er. „ich glaube, hier muss mal Herren, die ihre Bedeutung von das Sortiment gewechselt werden.“ Das ihr ableiten, dem Aufzug entge - Sortiment stammt noch von seinem Vor - gen. Seibert hat Mühe, dem tross gänger , der das Amt im zu folgen, eine Mitarbeiterin des Sommer verließ, um intendant des Baye - Presseamts steckt ihm noch einen rischen Rundfunks zu werden. Das Mons - Stoß Papiere zu, da schließen sich ter hatte lange genug an ihm gezehrt. die türen des Aufzugs. Mit einem Seibert tauscht den tomatensaft gegen Sprung zwängt er sich noch hinein. ein Wasser und setzt sich wieder. Er er - Früher war sein leben vom zählt, wie spannend der Job sei, die neu - takt der „heute“-Sendungen dik - en Erfahrungen, der Austausch mit der tiert, der Alltag hatte ein Ziel, auf Kanzlerin, und dass es toll sei, sich derart das alles zusteuerte. Wenn die Sen - anstrengen zu müssen, in einem neuen dung moderiert war, war die Ar - Gebiet. beit vollbracht. Der politische Be - Aber dann entfährt ihm ein „Wahn - trieb aber kennt keine Zielpunkte, sinn“. Er merke erst jetzt, wie viel Zeit er stürmt hektisch voran, reiht ter - er beim ZDF doch gehabt habe. min an termin, Erklärung an Er - Kanzlerin Merkel, Sprecher Seibert: Der frische Blick eines

188 der spiegel 38/2010 klärung, Meldung an Meldung, und am men“, woraufhin Seibert wieder rauseilt aber diese Auffassung geht dann doch et - Ende ist selten was vollbracht. und den Befehl an den oberbürgermeis - was zu weit. Politiker mögen ihre Arbeit Nach dem Gespräch mit den Energie - ter ins Höfliche übersetzt: „Herr Jung, zu Recht als Dienst an der Gemeinschaft leuten soll es eine Pressekonferenz im 19. mögen Sie vielleicht auch noch mal zur verstehen. Seibert aber dient allein der Stock geben. Der Raum quillt fast über Kanzlerin reinkommen?“ Regierung und seiner Kanzlerin. Und die vor Journalisten, es riecht wie im Puma - Seibert hält den Stoß Papiere im Arm, dient in ihren guten Momenten vielleicht käfig. „Puh“, sagt Seibert. „Sonderunterrichtung für Frau Bundes - der Gemeinschaft. in schlechten aber Merkel bleibt im türrahmen stehen kanzlerin“ steht auf dem Deckblatt. Jede nicht, und schlechte Momente hatte ge - und erteilt Anweisungen. „So, Norbert, Stunde spuckt der Betrieb solche Stapel rade diese Regierung zur Genüge. du kommst mit rein“, sagt sie zu Umwelt - aus, Meldungen, die gesichtet werden, Als Seibert mit seiner Erklärung fertig minister Röttgen. „Jojo, komm ich“, mur - Kommentare, die kommentiert werden ist, schiebt er die Papiere vor sich mit melt der Norbert. Als sie im Raum ist, müssen, ein ewiger Prozess aus Aktion den Fingerkuppen übereinander, ganz ruft Merkel: „Der Jung soll auch mal kom - und Reaktion. akkurat, so wie er früher im ZDF die Während Seibert im Stehen Blätter mit den Nachrichten übereinan - die alten Meldungen auswertet, derschob, bis keines mehr über das an - spricht die Kanzlerin bereits ins dere lugte. Mikrofon und produziert die „Das war ein relativ heißer Ritt heute“, nächsten Meldungen – obwohl sie sagt er später in seiner Dienstlimousine. nichts Neues zu sagen hat. Es Er hat jetzt 50 Minuten Zeit, fürs Mittag - wirkt bisweilen, als hinke Seibert essen. Seibert möchte ins Café des Bode- noch hinterher, als müsse er sich Museums. Eine Empfehlung seiner Frau, an den rasenden takt des Mons - die als Künstlerin und Mutter ihrer drei ters erst gewöhnen. Kinder in Wiesbaden lebt und mit der er Es ist Freitagvormittag, Regie - auf Festen noch immer knutscht, als seien rungspressekonferenz, eine Veran - sie frisch verliebt. „ich kann die einschlä - staltung, bei der Seibert und die gigen lokale von Mitte schon nicht mehr 14 Sprecher der Ministerien wie sehen“, sagt Seibert. Es ist seine fünfte die Hühner auf der Stange sitzen Woche im Amt. und die Fragen der Hauptstadt - Als der Wagen vor der Museumsinsel journalisten parieren sollen. in der hält, ruft er: „Wir sind ja bei der Kanzle - Regel wollen die Journalisten die rin um die Ecke, da kann sie uns ja ei - Regierung überführen, dass sie gentlich auch bekochen.“ Er geht dann sich untereinander nicht einig ist. doch ins Museumscafé. Das hieße dann Streit, und aus Hier, mitten in Mitte, ist das Rauschen Streit lassen sich Schlagzeilen ge - des Betriebs für eine Weile nicht zu ver - winnen. nehmen. Seibert scheint das zu genießen, Heute geht es um die Einigung er bestellt Matjes und lässt es sich schme - zwischen der Regierung und den cken. Gerade will er zu einer ausgeruhten Atomkonzernen. in den Medien Reflexion über Politik ausholen, da zuckt ist der Eindruck aufgekommen, es der Blackberry in seiner Hosentasche. gebe ein Geheimpapier, das ver - Gleich darauf zuckt auch Seibert. Das schwiegen werden sollte. Seibert Newscenter seines Bundespresseamts soll diesen Verdacht nun bekämp - schickt ihm frische Meldungen hinterher. fen. Er liest eine Erklärung ab, mit Neues vom Monster. weicher, vertrauenserweckender „Ach guck mal, da kann ich mich selber Stimme, vertraut aus all den Jah - lesen“, sagt er und schaut gebannt auf ren, in denen er im Fernsehen im - sein Display. Da steht: „Seibert weist alle mer die Fakten berichtete, das, Vorwürfe zu Geheimpapier zurück.“ Als was wirklich geschehen war. Und auch die anderen Meldungen gelesen wenn man einmal nicht genau sa - sind, steckt er das Handy zurück in die gen konnte, was geschehen war, Hosentasche und schaut zur Büste, die in der Unübersichtlichkeit von über ihm hängt. „Uiihh, wir sitzen unter Kriegen etwa, dann sagte Seibert der Allegorie der Wachsamkeit“, sagt er. das dazu. „Na das passt ja.“ Nun aber ist seine Sprache Ein seltsamer Job sei das, er enge einen durchtränkt mit Eindeutigkeit. irgendwie ein. Seibert legt die Hände auf „Das ist schon ziemlich revolutio - den Brustkorb. Am Vortag zum Beispiel när“, preist er die Pläne der Regie - habe er mit der Kanzlerin bei einem Es - rung gern. oder: „Hier entsteht sen in kleinem Kreise bei gediegenem ein zukunftsweisendes Energiekon - Ambiente gesessen. Es sollten ruhige, ge - zept.“ Und damit’s alle kapieren: pflegte Gespräche werden, aber Seibert „Davon hat jeder Bürger was.“ musste ständig vor die tür rennen, weil K C

E Seibert sagt, er verstehe beide es in seiner Hose vibrierte und alle Welt B M A

L Rollen – die des Journalisten und nach dem Geheimpapier fragte. Das P

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A die des Regierungssprechers – als Monster verlangte nach Aufmerksamkeit. I T S I

R Dienst an der Gemeinschaft und Er habe sich bei jedem Rausgehen ent - H C -

S an der Demokratie. Er mag ein schuldigt, richtig unangenehm sei das ge - N A

H guter Moderator gewesen sein und wesen. Er sei sich vorgekommen, sagt Sei - Unschuldigen auch ein guter Sprecher werden, bert, „wie ein Verhaltensauffälliger“. ◆

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