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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

„Spazierstock, Hut und Notenpapier“ – Musiker Museen im Lande (5) Friedrich Silcher im Remstal

Mit Antonie von Schönfeld

Sendung: 10. Februar 2017 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2017

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„Spazierstock, Hut und Notenpapier“ - Musiker Museen im Lande (5)

Friedrich Silcher im Remstal

Signet

- mit AvS

„Spazierstock, Hut und Notenpapier“ -?Der Hut liegt gut sichtbar auf dem Biedermeier-Sofa! Notenpapier werden wir heute blätterweise in den Händen halten und den Spazierstock gibt es in der Gegend gratis dazu: In der vorläufig letzten SWR2-Musikstunde über Musiker-Museen im Lande besuchen wir heute in Schnait im Remstal das Friedrich Silcher Museum!

Titelmusik

Von Düsseldorf nach Siegen über Bonn in den Odenwald nach Buchen und heute ins Remstal - unsere Museumstour in dieser Woche neigt sich dem Ende zu: Auf Reisen kommen einem häufig Ideen zu weiteren Reisen - hier sind sie quasi thematisch vorgegeben und schon bei diesen ersten fünf Musiker-Museen ergeben sich Querverbindungen und Bezüge auch zwischen den einzelnen Musikern und Museumsorten: Natürlich haben die Gebrüder Busch die Musik von Beethoven und Schumann interpretiert, ob sie allerdings Joseph Martin Kraus gekannt haben, dessen Musikerlaufbahn sich vor allem in Schweden abgespielt hat, das bezweifle ich. Dafür schlage ich mit Friedrich Silcher heute den Bogen zurück zu Robert Schumann in der Bilker Straße in Düsseldorf und zu seinem Nachbarn : Denn Silcher war es, der die berühmten Zeilen von Heines „Loreley“ in Musik gesetzt hat:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Dass ich so traurig bin; Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

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Musik 1 Friedrich Silcher 2´14 <14> „Loreley“ Camerata Musica Limburg Ltg. Jan Schumacher GEN 89138, LC12029

Die „Loreley“ von Heinrich Heine in der Vertonung von Friedrich Silcher, schlank interpretiert von der Camerata Musica Limburg. (Ich muss allerdings gestehen, dass ich für dieses Lied verdorben bin: als Kind habe ich die Augsburger Puppenkiste geliebt - und die Szene mit dem Walross und Ping auf der Scholle im Duett drängt sich sofort ins Hör-Gedächtnis...)

Die Sehnsucht, das Fortziehen und Abschied nehmen sind uralte Themen, die in der Lyrik wie in der Musik zu allen Zeiten aufgegriffen werden - und in dem Genre, in dem Wort und Ton, Vers und Melodie eng miteinander verbunden sind: dem Volkslied. Wohl kaum ein Komponist hat soviel für das ‚Genre Volkslied’ getan wie Friedrich Silcher: Über 300 Lieder hat er mit Liedsätzen versehen und veröffentlicht - von der einfachen Begleitung bis zum vierstimmigen Satz, rhythmisch eher anspruchslos und harmonisch eingängig, man sollte die Lieder singen können, das stand für ihn im Vordergrund. Die Texte vieler dieser Lieder stehen in der Mundart seiner Heimat: Friedrich Silcher war Schwabe.

Musik 2 Friedrich Silcher 3´03 <10> Das schwäbische Brünnele „Jetzt gang i ans Brünnele“ Andreas Weller, Tenor Götz Payer, Klavier M0278450 010 CARUS/SWR

„Jetzt gang i ans Brünnele“ - das schwäbische Volkslied in einem Satz von Friedrich Silcher, Andreas Weller wurde am Klavier begleitet von Götz Payer. 4

Volkslieder haben einen schweren Stand bei uns - zu belastet sind Begriffe wie „Volk“ oder „Heimat“, und dann umgibt sie auch noch die Atmosphäre des Biederen: Wir denken an betuliche Texte, eingängige Melodien und vielleicht noch die „Dienstmagd-Begleitung“, eine zweite Stimme, die einfach eine Terz tiefer singt als die Melodie und so parallel geführt wird.

Volkslieder werden wiederentdeckt: Das Volkslied-Projekt von Carus-Verlag und SWR2, für das viele Lieder in ganz unterschiedlichen Besetzungen, mal mit bekannten Sängern, mal mit Kinderstimmen oder auch im Chorsatz aufgenommen wurden - dieses Projekt jedenfalls ist ein Erfolg!

Dass Singen gut tut, ist inzwischen eine allgemein anerkannte Tatsache. Volksliedtexte mögen im Duktus vergangener Zeiten stehen (und es gibt große Unterschiede in der Qualität der Texte) - doch viele der Themen bleiben ewig gleich und bewegen uns heute wie früher: Liebe, Abschied, Sehnsucht, Trauer, - eben alles, was das Gemüt berührt. - Wer Friedrich Silcher besucht, kommt jedenfalls am Singen nicht vorbei:

Musik 3 Friedrich Silcher 3´26 <4> Untreue „In einem kühlen Grunde“ amarcord M0317433 004 MDG, LC12029

Friedrich Silcher - „In einem kühlen Grunde“, gerade gesungen vom Vokal-Ensemble amarcord.

Der „Wein- und Silcher-Ort Schnait“ mit dem Silcher-Museum liegt im Remstal. Wer von Westen kommt wie ich, muss zunächst an Stuttgart vorbei, - und das Straßengewirr hier hat etwas Verwirrendes: Autobahn - Landstraße - Kreisverkehr - irgendeine Osttangente - wieder eine Schnellstraße. Als ich schließlich im Osten von Stuttgart Richtung Remstal und Weinstadt und dann Richtung Schnait abbiege, drossele ich das Tempo gern auf ‚50’ und dann auf ‚30’: Beutelsbach - Schnait, und 5 hier in den Ort, links halten und hinter der Kirche St. Wendelin gleich rechts auf den Parkplatz - von der Fassade grüßt mich ein ernsthaft-freundliches Gesicht: Friedrich Silcher! Das Gemälde aus dem 19. Jahrhundert in Großformat hängt außen an der Wand des neueren Teils des Museums und Silcher sieht jung genug darauf aus, dass er noch den Dorfschulmeisterposten innehaben könnte - oder war er schon Musikdirektor an der Universität Tübingen - ?

Es ist ein Ausschnitt aus dem sogenannten „Hochzeitsbild“, gemalt um 1822 von Christoph Friedrich Dörr, Silcher war da Anfang dreißig und schon fünf Jahre Musikdirektor der Universität Tübingen. Seine Frau Luise war erst 17 Jahre alt, doch sie sehe ich nicht: Der Ausschnitt an der Fassade zeigt nur den jungen Ehemann - doch was hat er seiner Luise für Lieder komponiert, - schwäbische Lieder:

Mei Mädle hot e G’sichtle als wie ne Roseblatt und hot e Haut wie Sammet wie koine in der Stadt; mei Mädle hot e Herzle, des könnt net lieber sei, und wenn i brav bin, schreibt se mi in ihr Herzle nei...

Musik 4 Friedrich Silcher 1´00 <36> „Mei Maidle hot e G’sichtle“ Cornelius Hauptmann, Bass Klaus Melber, Klavier M0335853 036 CARUS 83.143, LC3989

„Mei Mädle hot e G’sichtle“ von Friedrich Silcher, Cornelius Hauptmann, sang die Zeilen des Verliebten und am Klavier begleitet hat ihn Klaus Melber.

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Ich komme im Winter nach Schnait - da ist das Museum eigentlich geschlossen, doch die Museologin Elisabeth Hardtke, die das Haus seit vergangenem Jahr leitet, öffnet gerne. Sie hat es auch nicht weit: Als Kustodin wohnt sie mit ihrer Familie gleich mit im Haus - sozusagen Tür an Tür mit Silcher.

Der erste Eindruck ist ein großzügiges Treppenhaus, weiße Wände und viel Holz: Ich stehe im Anbau, gebaut Anfang der 90er Jahre. Zur Rechten, im Erdgeschoss des alten Hauses, ist die jeweilige Wechselausstellung untergebracht. Zur Linken die üblichen Garderobenräume, der private Teil des Hauses - und ein Tisch mit Informationsmaterial: Prospekte vom Silcher-Museum liegen da, von verschiedenen Veranstaltungen oder eben Sonderausstellungen wie der laufenden „Lied, Lyrics und Wein - Silchers Lieder und ihre Dichter“, und da liegen noch verschiedene Ausgaben einer Zeitung und eine Aufforderung - gedruckt auf Stapel von Postkarten: Die Zeitung trägt den Titel „Singen“ und wird vom Schwäbischen Chorverband herausgegeben. Und die Aufforderung lautet genau gleich - jetzt allerdings mit Ausrufungszeichen versehen: „Singen!“

Musik 5 Friedrich Silcher 2´50 <10> „Ännchen von Tharau“ (Simon Dach) Camerata Musica Limburg Ltg. Jan Schumacher GEN 89138, LC12029

„Ännchen von Tharau“ von Simon Dach, für Männerchor von Friedrich Silcher, hier gesungen von der Camerata Musica Limburg, die Leitung hatte Jan Schumacher.

Unter dem Motto „Schwäbische Leidenschaften“ hat sich der Schwäbische Chorverband eine witzige Postkarten-Reihe einfallen lassen: Ins Auge springen die Fotos: eine Brezel, eine Kehrschaufel und ein Teller mit „Spätzle und Linse und Saidewürscht’“ (hot mei Oma handg’schabt und i hans immer gern gesse!) und die vierte Leidenschaft der Schwaben steht als Aufforderung unter dem jeweiligen Bild: „Singen!“ 7

Und jetzt weiß ich auch, wer der Hausherr hier im Silcher-Museum ist: der Schwäbische Chorverband, er hat das Museum 1912 gegründet. Viele der unzähligen Liederkränze und Chöre, die im 19. Jahrhundert in Schwaben gegründet worden sind, gehen zurück auf Silchers Initiative, das Singen unters Volk zu bringen. Hier im Treppenhaus hängt beispielsweise die Fahne des „Liederkranzes Sulzbach“ von 1842 mit einem Engel, der schwebend die Leier zupft und hingebungsvoll singt. Und oben unterm Dach ist eine große Ausstellung zur Geschichte des Schwäbischen Sängerbundes zu sehen.

Und das ist jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt, um noch einmal zurück zu spulen und ein zweites Mal hier im Silcher-Museum anzukommen, dieses Mal jedoch von der anderen Seite, hinter der Kirche und unterhalb des jetzigen Eingangs. Wenn ich von dieser Seite ankomme, dann stehe ich vor der alten Schnaiter Dorfschule: Ein gut erhaltenes, pfleglich restauriertes Fachwerkhaus, die grünen Fensterläden passend zum roten Fachwerk. Die Fenster haben noch die alte Aufteilung mit vielen kleinen Scheiben - das Haus steht für eine andere Zeit. Mit der Kirche nebendran ergibt sich ein natürlicher Innenhof, nach alten Zeugnissen haben sich hier früher an lauen Sommerabenden die Dorfbewohner getroffen, um gemeinsam zu singen und ihr Viertele zu trinken - pardon: „ze schlotze“!

Musik 6 Friedrich Silcher 2`26 <11> „Der Wirtin Töchterlein“ SWR Vokalensemble Stuttgart Ltg. Rupert Huber M0084168 011 CARUS 83.322, LC3989

„Der Wirtin Töchterlein“ von Friedrich Silcher, Rupert Huber hat das SWR Vokalensemble Stuttgart geleitet.

Die alte Schnaiter Schule ist Silchers Geburtshaus, hier ist er 1789 auf die Welt gekommen, da war sein Vater bereits seit einigen Jahren der hiesige Dorfschulmeister. 8

Wenn ich die alte Haustür rechts liegen lasse und wieder den heutigen Eingang nehme, in den ersten Stock hinaufgehe und mich zum Altbau wende, dann komme ich direkt in die alten Wohnräume der Familie Silcher: ein Blick in die Küche, einen in die Kinderstube, dann in die Wohnstube mit dem wunderbaren gusseisernen Ofen von 1778, einem grünen Bauernschrank, Tisch und Stühlen, einer Wanduhr. Die meisten Möbel sind nicht original von der Familie Silcher, doch die ehemalige Lehrerwohnung ist so eingerichtet, wie es bei Dorfschulmeistern um 1800 üblich war. Einen Raum weiter stehen wir in Silchers Geburtszimmer: Das Tafelklavier an der Wand - gebaut um 1805 - ist eines seiner Lieblingsklaviere gewesen, an dem er viel gesessen hat. - Friedrich Silcher übrigens hat nicht nur Volkslieder gesammelt, bearbeitet und komponiert, er hat auch Variationsreihen über Melodien geschrieben, auch über das Lied: „In einem kühlen Grunde“:

Musik 7 Friedrich Silcher 4´55 <10> Variationen für das Pianoforte über das Volkslied: „In einem kühlen Grunde“ Susan Wenckus, Klavier CARUS 83.322, LC3989

Variationen über das Volkslied: „In einem kühlen Grunde“ von Friedrich Silcher, gespielt von Susan Wenckus.

Der Sohn des Dorfschulmeisters sollte in die Fußstapfen des Vaters und des Stiefvaters treten: Der Vater war plötzlich gestorben, als Friedrich sechs war; die Mutter, die mehr Kinder zu versorgen hatte, heiratet jetzt den Nachfolger ihres Mannes, Heinrich Weegmann, - so ist sie versorgt und kann sogar im Schulhaus wohnen bleiben. Friedrich hatte das Glück, dass sein musikalisches Talent früh erkannt und gefördert wurde. Er macht also die Ausbildung zum Lehrer und kehrt dann zunächst nach Schnait zurück als „begabter und gebildeter Jüngling, der ein treffliches musikalisches Talent hat“ (wie es in einer Beurteilung heißt) und unterstützt eine Weile den Stiefvater. Doch lange bleibt Silcher nicht in Schnait, seine Wanderjahre beginnen - Fellbach, Schorndorf, Ludwigsburg - und die Jahre der schwierigen Entscheidung, ob er sich 9 ganz dem Lehrberuf verschreiben soll oder doch Musiker werden will. Den Ausschlag gibt die Begegnung mit zwei Komponisten: Silcher studiert Klavier und Komposition bei und bei :

Musik 8 Johann Nepomuk Hummel 4´45 „Rondo all’Ungharese“ op.107 Nr.6 Howard Shelley, Klavier M0013872 015

Howard Shelley mit dem „Rondo all’Ungharese“ op.107 Nr. 6 von Johann Nepomuk Hummel.

Letztlich hat Friedrich Silcher die Synthese seiner beiden Leidenschaften gefunden: Nur wenige Jahre nach seiner Entscheidung für eine freie Musikerlaufbahn wird er an die Universität Tübingen berufen als erster Musikdirektor, und hier bleibt er von 1817 bis zu seinem Tod 1860. Damit hat er einen enormen Weg zurückgelegt: vom Sohn eines Dorfschullehrers bis zum Universitätsprofessor, von den engen Räumen des Schulhauses in Schnait in ein großzügiges Haus in Tübingen.

Vielleicht aber wichtiger als die Stellung war die Tatsache, dass er hier seine Begeisterung für den Lehrberuf mit seiner Leidenschaft für Musik verbinden konnte: Seine Lebensaufgabe hat Silcher in der musikalischen Erziehung der Gesellschaft gesehen. Pestalozzi mag hier Pate gestanden haben mit seiner Idee, Musik und Gesang als „wichtigstes Mittel zur sittlichen Veredelung und wahren Bildung des Menschen“ einzusetzen.

Silcher hat sich dieser Aufgabe angenommen, indem er mehr als 300 Volkslieder gesammelt, bearbeitet oder selbst komponiert hat. Er schreibt dazu:

„Ich habe seit geraumer Zeit angefangen, die besten, alten Volkslieder mit ihren Melodien, theils aus dem Wunderhorn, Herder u. andern Sammlungen, theils aus dem Munde des Volks selbst, u. zwar nicht ohne große Mühe, zu 10

sammeln, um auch dieses Bedürfnis, das sich überall laut ausspricht, so zu befriedigen, wie es bis jetzt noch nicht geschehen ist, nämlich die Melodien dem Volke, jetzt wieder veredelt, 4stimmig u. zwar ebenso einfach in ihren Mittelstimmen zu geben. Daß ich mich hinsichtlich der Wirkung derselben nicht getäuscht habe, beweist der Enthusiasmus, mit welchem diese Lieder, so oft ich sie bis jetzt habe singen lassen, von den Gebildetsten sowohl als von den untern Volksklassen, aufgenommen worden sind.“ (soweit Silcher)

Musik 9 Friedrich Silcher 3`48 <18> Soviel Stern am Himmel stehen Singer Pur OC 824, LC 12424

„Soviel Stern am Himmel stehn“ - ein Gedicht aus „Des Knaben Wunderhorn“ hier in der Vertonung von Friedrich Silcher und gesungen vom Ensemble „Singer pur“.

Wenn man die Räume der ehemaligen Dorflehrerwohnung gesehen hat, geht es hinüber in den neuen Teil des Hauses - das eigentliche Silcher-Museum: die Größe dieses Raums hier im Neubau lässt noch einmal die Enge der Wohnstuben nachempfinden.

Auch in diesem modernen Ausstellungsraum stehen Möbel: Diese hier stammen aus Silchers Nachlass und der andere Stil verdeutlicht noch einmal Silchers Laufbahn: vom Dorf in die Stadt, vom Dorflehrer zum Universitätsprofessor - hier stehen ein Sekretär, ein runder Tisch, das gestreifte Biedermeier-Sofa - und ein weiteres Klavier: Ab und zu werden hier, im großen Silcher-Saal, kleinere Konzerte gegeben. Zahlreiche Dokumente und Gegenstände aus Silchers Besitz veranschaulichen seine Geschichte, Schautafeln führen uns durch die Lebensstationen des Komponisten und durch sein breit gefächertes Werk:

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Da liegt sein Taktstock aus Gold und Elfenbein von 1855, und da stehen silberne Pokale und ein Glöckchen mit einem Griff in Form einer Lyra - die Ehrengabe eines Liederkranzes. - Ob der Chorleiter Silcher damit seine Sänger und Sängerinnen zur Ruhe gerufen hat? Akustische Beispiele für gelungene Chorinterpretationen jedenfalls gibt es auch.

Noch ein Stockwerk höher zeigt im neuen Teil (wie erwähnt) der Schwäbischen Chorverband seine eigene Geschichte: Die beginnt mit der Gründung der ersten „Liederkränze“ um 1810, erzählt von den frühesten deutschen Sängerfesten, die ab 1827 in Württemberg veranstaltet worden sind und führt über den Zusammenschluss der Sängervereine zum Schwäbischen Chorverband im Revolutionsjahr 1849 und weiter bis in die Gegenwart. Drüben im Altbau, über der Lehrerwohnung, wird u.a. noch von der Rezeption Silchers erzählt. In einer Vitrine sind Plattencover von alten Singles zu sehen und ich bin überrascht, wer alles Silcher-Lieder gesungen hat: Eines seiner bekanntesten Lieder beispielsweise haben Marilyn Monroe und aufgenommen: Der singt zwar auf Englisch von einem „Wooden Heart“ - doch Sie werden es trotzdem sofort erkennen:

Musik 10 Volkslied 2´03 Weisman, Benjamin/Kaempfert, Bert „Wooden heart“ (Muss i dennzum Städtele hinaus) Elvis Presley 00316 Ltg. Jan Schumacher M0393872 01-040

„Please don’t break my heart in two“ - Elvis Presley mit „Wooden Heart“ bzw. „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Presley hat dieses Lied in dem Film „G.I. Blues“ von 1960 gesungen, in dem er in einer Szene in ein Puppentheater schlüpft und zur Puppe Grete einen äußerst charmanten Hans gibt und selber singt.

Gerade solche bekannten Melodien haben immer wieder Komponisten dazu eingeladen, sie zu parodieren, so wie den Wiener Geiger und Komponisten Moritz 12

Kässmeyer. In einem Lexikon wird Kässmeyer „gediegene Satztechnik und eine stark humoristisch-parodistische Ader“ zugeschrieben. In seiner Version von „Muss i denn zum Städtele hinaus“ für Streichquartett ist das ein oder andere Instrument denn auch gern mal vorlaut:

Musik 11 Moritz Kässmeyer 3´00 <8> Abschied „Muss i denn zum Städtele hinaus“ Leipziger Streichquartett MDG, LC12029

Das Leipziger Streichquartett spielte die Bearbeitung des Volkslieds „Muss i denn zum Städtele hinaus“ von Moritz Kässmeyer.

Und ich muss jetzt allmählich ‚zum Friedrich Silcher Museum in Schnait hinaus’ - die Museumstour dieser Woche nähert sich ihrem Ende. Die Vielfältigkeit der einzelnen Häuser hat mich - trotz des Wissens, dass sie individuell geführt werden - überrascht, und auch wenn man manche Museen virtuell besuchen kann, dann ersetzt das doch in keiner Weise den wirklichen Besuch: Es fehlt dann das Knarren der Stufen, der Geruch eines Hauses, der Blick aus dem Fenster, - das, was man Atmosphäre und neudeutsch ‚authentisch’ nennt. Und es fehlt das Erkunden der Umgebung: Am Silcher-Museum vorbei führt beispielsweise ein Liederweg in die Weinberge von Schnait: In regelmäßigen Abständen stehen da Liedertafeln, auf denen die Texte zulesen sind. Und da die meisten Melodien bekannt sind, die Texte häufig nicht, kann man hier innehalten und wirklich singen - Silcher hätte vermutlich seine Freude daran gehabt!

Übrigens gibt es eine Rebsorte, die den Namen des Komponisten trägt, sie ist noch gar nicht so alt: ‚Silcher’ ist eine Kreuzung zwischen Kerner und Silvaner, die 1951 an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau gezüchtet worden ist. Der Wein des Silcher wird als fruchtig und harmonisch beschrieben und angebaut wird er natürlich in Württemberg.

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Aus diesem Museum komme ich also mit unzähligen Liedern im Ohr, mit einer Flasche Wein unterm Arm und auch durchaus neuem Respekt für diesen Komponisten, der übrigens nicht nur Lieder und Chorsätze geschrieben und herausgegeben hat: Seine zwei Ouvertüren für Orchester beispielweise kennt kaum jemand. Friedrich Silcher ist immer wieder gerne nach Schnaidt zurück hierher gekommen. In einem Brief an seine Schwiegermutter schreibt er im Frühjahr 1825:

„Vor einer Stunde sind wir vergnügt hier angekommen. Die Luise hat sogleich ihre Geschäftigkeiten hervorgesucht, Baumwollgarn abgehaspelt und - was weiß ich - ich habe ein Stück Apfelkuchen zu mir genommen. Die Schnaither Schwestern haben alles nett hergerichtet.

Morgen wollen wir übrigens erst anfangen, in unserem Blütenthal recht eigentlich das Landleben zu genießen. Ich werde mit Luise am Forellenbach hinauf durch das herrliche Thälchen ziehen, bis wir an einen lieblichen Hügel kommen, wo sie ihre Veilchen findet und ich das Schillersche Sprüchlein aus der ‚Johanna von Orleans’ beten muß: ‚Ihr Plätze aller meiner stillen Freuden’.

Ich denk, die Luise wird gern hier sein.“

Musik 12 Friedrich Silcher 6´00 <1> Ouvertüre in Es-dur Radio-Sinfonieorchester Stuttgart Ltg. Rupert Huber CARUS 83.322, LC3989

Die Musikstunde geht zu Ende mit der Ouvertüre in Es-Dur von Friedrich Silcher. Rupert Hubert hat das SWR Sinfonieorchester Stuttgart geleitet.

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Und damit geht auch unsere Tour zu „Musiker-Museen im Lande“ zu Ende, doch das Wochenende steht vor der Tür, - vielleicht haben Sie Interesse, die Dinge selbst noch einmal in Augenschein zu nehmen und machen sich auf den Weg ?

Wie immer finden Sie die Manuskripte zu den Sendungen im Netz auf der Homepage von SWR2, und da finden Sie auch die Sendungen zum Nachhören, sie stehen jeweils sieben Tage online.