ANDREAS MÜHE ANDREAS Schauspieler Mühe, Regisseur Donnersmarck in Los Angeles: Es ist fast so, als dokumentierten sie hier die deutsche Einheit

OSCARS Das Leben neben dem anderen Der Darsteller Ulrich Mühe hat dem Film „Das Leben der Anderen“ zum Oscar verholfen, er gab der Stasi sein Gesicht. Er hoffte, mit diesem Erfolg seiner ostdeutschen Vergangen- heit entkommen zu können – doch sie holt ihn immer wieder ein. Von Alexander Osang

ls der Oscar spät in der Nacht die ihnen aus, drückt sie, küsst sie, er weiß, „Nee“, sagt Susanne Lothar. Feier über den Bergen Hollywoods dass er seinen Oscar mit ihnen teilen muss, Sie hat in dieser Nacht viel getrunken, Aerreicht, ist Ulrich Mühe schon fast und er weiß auch, dass das nicht geht. gelacht und geweint, sie hat mehrfach ge- auf dem Weg ins Bett. Der Oscar kommt in Ulrich Mühe und seine Frau Susanne sagt, dass dieser Oscar auch ihrem Mann einer schwarzen Stretchlimousine und liegt Lothar nähern sich der Traube um Don- gehöre, einmal erklärte sie einer älteren in der Hand von Florian Henckel von Don- nersmarck und seinen Oscar von hinten. Dame aus Süddeutschland: „Ulrich Mühe nersmarck. Donnersmarck hüpft um das Susanne Lothar klopft dem großen Mann ist dieser Film.“ Also klopft sie weiter auf Auto, lacht und zerrt immer wieder Mit- auf den Rücken seiner Smokingjacke. Don- den Smokingrücken, bis Donnersmarck glieder der Filmcrew in seine Nähe und da- nersmarck merkt es nicht, er küsst gerade sich endlich umdreht und auch Ulrich mit auf die Bilder der Fotografen und Ka- einen Direktor des Bayerischen Rund- Mühe in seine Arme nimmt. Es gibt ein meramänner. Mehr als 50 Mitarbeiter von funks. Susanne Lothar klopft stärker. paar Fotos mit Regisseur und dem Haupt- „Das Leben der Anderen“ sind nach Los „Florian“, ruft sie. darsteller, dann steigt Donnersmarck mit Angeles gekommen, um diesen Sieg zu fei- „Lass ihn mal, Suse“, sagt Mühe und seinem Oscar die palmengesäumte Treppe ern. Donnersmarck streckt die Arme nach lächelt. hinauf zu der Villa eines deutschen Holly-

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ne Lothar hat recht: Ulrich Mühe ist die- ser Film. „Dass ich den ungeheuren Triumph des Films nie reinen Herzens genießen konnte, ist natürlich bedauerlich. Der Erfolg war immer irgendwie angeknabbert“, sagt er. Es blieb noch die Hoffnung auf den Oscar, das Unvorstellbare. Vielleicht würde ihn Hollywood erlösen, die Liebe der ganzen Welt. Am Freitagnachmittag, kurz nachdem Mühe in Los Angeles gelandet war, be- suchte er mit seinem Regisseur das „Wen- demuseum“ von Culver City, wo ein paar fleißige Kalifornier Strandgut des Ost- blocks zusammengetragen haben. In ei- nem Lagerhaus zwischen zwei Auto- bahnen kann man hier riesige Ölgemälde mit ukrainischen Bäuerinnen bei der Getreideernte betrachten, Brigadetage- bücher eines Frankfurter Rangierbahn- hofs, den Spind und das Protokollbuch eines Offiziers der NVA-Grenztruppen sowie Büsten von Lenin, Thälmann, Ul- bricht und Felix Dzierzynski, oft mit ab- geschlagener Nase. Donnersmarck gab eine kleine Pressekonferenz im Mobiliar einer Parteischule des Zentralkomitees. Damit man sich mal eine Vorstellung ma- chen kann. Mühe ist zum ersten Mal in Los Ange- les. Er wartet still an der Tür, während Donnersmarck noch ein letztes Mal durch die Requisiten der untergegangenen Welt läuft. Mühe ist 14 Stunden um die Welt geflogen, und dann zeigen sie ihm hier zuallererst die Stullenbüchsen von DDR- Grenzern.

ABACA / FACE TO FACE (O.); BUENA VISTA (U.) BUENA VISTA (O.); FACE TO / FACE ABACA „Seltsam“, sagt er. „Fast unheimlich, das Oscar-Gala in Los Angeles, Filmszene*: Mühe hat sein Leben in diesen Film gesteckt hier zu sehen.“ Ulrich Mühe sagt nicht viel auf den wood-Regisseurs, um mit den anderen zu in diesen Film gesteckt. In einem Inter- Empfängen, Preisverleihungen und Sym- feiern. Mühe und seine Frau steigen den view mit dem Regisseur Donnersmarck posien, durch die sie ihn in den folgenden Berg hinunter in die Stadt, um zu schlafen. hatte er seine Ex-Frau Jenny Gröllmann Tagen jagen, vielleicht liegt es am Englisch, Von hinten sehen sie nicht wie Gewinner als IM der Staatssicherheit bezeichnet. Es aber sicher auch an Florian Henckel von aus, eher wie ein Paar, das einen langen war eine Auskunft, die er von der Birthler- Donnersmarck, der alles sagt. Abend hinter sich hat. Behörde erhalten hatte, und es passte zum Es ist nicht so, dass sich der große Mann Mühes ältester Sohn Andreas aber, der Film, der den Einbruch der Staatsmacht in den Mittelpunkt drängt. Er ist der mit nach Los Angeles gekommen ist, sagt, ins Private beschreibt. Mittelpunkt. Er ist charmant und schnell dass er seinen Vater in dieser Nacht seit Doch Jenny Gröllmann war todkrank, und selbstbewusst. Er weiß, was man in langer Zeit wieder einmal kraftvoll gese- sie kämpfte um ihre Unschuld, und die Ak- einer 45-Sekunden-Oscar-Dankesrede sa- hen habe. Andreas Mühe ist Fotograf, er ist tenlage war nicht so eindeutig, wie Mühe gen kann, was in einer Live-Schaltung in Karl-Marx-Stadt geboren und in Ost- vorgab. Während Jenny Gröllmann im zum „heute-journal“ und was zu einem aufgewachsen, er hatte immer Kon- Sterben lag, führte Mühe einen hässlichen aufgeregten spanischen Kamerateam. Er takt zu Ulrich Mühe, auch nachdem der Kampf mit deutschen Gerichten, um wei- spricht Englisch, Französisch, Russisch, seine Mutter für die Schauspielerin Jenny terhin behaupten zu können, was er für Italienisch und ein bisschen Spanisch. Wie Gröllmann verließ und Jenny Gröllmann die Wahrheit hielt. Er verlor ihn. Er hätte amerikanische Spitzensportler erkundigt für Susanne Lothar, er hat seinen Vater ihn auch gar nicht gewinnen können, nicht sich auch Donnersmarck immer erst nach auch durch das vergangene Jahr begleitet. mal, wenn er recht gehabt hätte. Kein dem Namen seines Gesprächspartners Er war schlapp im Kopf zum Schluss, sagt Mann gewinnt einen Kampf gegen eine und vergisst ihn dann nicht mehr. Er Andreas Mühe. sterbende Frau. scheint in jeder noch so kleinen Situation Ulrich Mühe hat dem deutschen Oscar- Begleitet von dieser Ehetragödie, tra- zu versinken. Film „Das Leben der Anderen“ nicht nur ten der Film und sein Hauptdarsteller Ulrich Mühe beherrscht die meisten die- sein Talent gegeben und nicht nur seine ihren Weg nach oben an. Mühe wurde ser Fähigkeiten nicht, und so steht er meist Zeit, das haben alle getan, die dem Film erst als bester deutscher und dann auch an der Seite und lächelt. Auf dem Empfang zum Erfolg verhalfen, Mühe hat sein Leben als bester europäischer Schauspieler aus- in der Residenz des deutschen Konsuls gezeichnet. Zwischen beiden Ehrungen wartet er mit seiner Frau neben der Tür * Oben: mit der Schauspielerin Penélope Cruz; unten: starb Jenny Gröllmann. Der Film mischte wie der Ostbesuch. Der Abend wird von Ulrich Mühe in „Das Leben der Anderen“. sich mit Mühes Leben. Seine Frau Susan- Audi gesponsert, es sind also ein paar

der spiegel 10/2007 179 LÜDERS / T & LÜDERS Familienvater Mühe in Ost-Berlin (1988)*, Demonstration auf dem Alexanderplatz (1989), Darsteller Mühe in seinem Hotelzimmer in Los Angeles:

Automenschen da, ein paar Filmleute und „Es hat doch keinen Zweck hierherzu- ter und galten als Traumpaar des DDR- Thomas Gottschalk. gehen, um zu warten, dass sie auf dich auf- Films. Sie zogen ins Nikolaiviertel, wo Gottschalk sagt zu Ulrich Mühe: „Ja, merksam werden“, sagt Susanne Lothar. auch Markus Wolf lebte. hallo, der Mann sieht ja viel besser aus als „Was willst du uns damit sagen, Suse?“, Ab Mitte der achtziger Jahre durfte im Film.“ fragt Mühe. Mühe auch in den Westen reisen. In ei- Mühe lächelt scheu, seine Frau Susanne „Dass es nur eine Handvoll Schauspieler nem Gespräch mit dem „Neuen Deutsch- Lothar klammert sich in seine Armbeuge. gibt, die wirklich einzigartig sind. Die an- land“ sagte er, dass er ein politischer „Liegt vielleicht an der Jacke, die er im deren sind einfach nur gut“, sagt sie. Schauspieler sein möchte, jemand, der Film anhatte“, sagt Gottschalk, grinst und Mühe sieht aus dem Fenster, irgendwann „keine Ruhe geben, aufstöbern und stören setzt sich an den Tisch, an dem auch Don- sagt er: „Ich würde hier gern vier, fünf möchte“. Er suchte die Nähe zu Heiner nersmarck und der deutsche Konsul sit- Jahre leben und arbeiten.“ Müller. In den Wendetagen spielte er unter zen. An Mühes Tisch sitzen keine Promi- Ulrich Mühe wurde in Grimma gebo- Müller den Hamlet, den auch andere älte- nenten. Später sagt ein deutscher Gast lei- ren, einer sächsischen Kleinstadt zwischen re Kollegen gern gespielt hätten. se zu einem anderen: „Der Mühe ist mir Leipzig und Dresden, er lernte auf der Be- Am 4. November 1989 sprach Mühe auf unheimlich. Ich denke die ganze Zeit, der triebsberufsschule „Makarenko“ in Leipzig der großen Demonstration auf dem Alex- ist wirklich bei der Stasi.“ Baufacharbeiter mit Abitur. Matthias Oeh- anderplatz. Dann fiel die Mauer. Zunächst Am Tag vor den Oscars trifft Mühe zum me, der heute einen Verlag in Berlin leitet, sei er über den Mauerfall enttäuscht ge- traditionellen Oscar-Empfang in der Feucht- war in seiner Klasse. Er erinnert sich, wie wesen, fast depressiv geworden, sagt er, wanger-Villa Aurora ein, als Donnersmarck Mühe mörtelbeschmiert auf den Leipziger und auch sauer auf das eigene Volk, das bei gerade weg ist. Mühe kommt zu spät zur Baustellen erklärte, dass er Schauspieler den ersten freien Wahlen ausgerechnet die Party, weil er im Gegensatz zu Donners- werden wolle. Auf der Schauspielschule in CDU wählte. marck keine Polizeieskorte gestellt bekam. Leipzig war Mühe ein heiterer, lustiger und Bei einer Inszenierung von Thomas Er isst etwas, gibt ein paar Interviews und fleißiger Student, sagt Heike Jonca, die da- Langhoff in Salzburg lernte Mühe die west- möchte dann schnell zurück ins Hotel, um mals in seinem Studienjahr war. Er habe deutsche Schauspielerin Susanne Lothar sich vor dem Sony-Empfang am Abend ein viel Einsatz darauf verwandt, seinen säch- kennen, Tochter der Schauspielerlegende bisschen auszuruhen. Wir fahren in einem sischen Akzent wegzuschleifen. Die bei- Hanns Lothar und damals gerade ein Star Mietwagen den langen, gewundenen Sunset den gingen zusammen ans Theater in Karl- mit „Lulu“ von Zadek. Er verliebte sich in Boulevard zurück nach West Hollywood, Marx-Stadt, wo Mühes Talent schnell auf- sie, trennte sich von Jenny Gröllmann und wo das Filmteam wohnt. In 24 Stunden ist fiel. Er war ein agiler, sehr körperbetont dann auch vom Deutschen Theater. Mühe die Oscar-Verleihung. spielender Schauspieler, sagt Corinna Har- ging jetzt nicht nur weiter nach Westen, er Mühe sagt, er wisse nicht, ob er und Se- fouch, die Mühe in Karl-Marx-Stadt traf. verließ den Osten. Und sein Blick auf seine bastian Koch mit auf die Bühne gehen. Sei- Mühes erste Frau war Dramaturgin am Vergangenheit begann sich zu verändern. ne Frau und sein Sohn beschließen: Er Karl-Marx-Städter Theater, sie brachte „Ich wollte noch mal neu anfangen“, muss mit auf die Bühne. Mühe nickt. Als Freunde wie Volker Braun und Christoph sagt Mühe. „Wir haben ja in unseren In- wir durch Beverly Hills rollen, reden sie Hein mit in die Beziehung, sagt Heike Jon- szenierungen alles immer auf die DDR re- über die hohen Hecken, die Swimming- ca. In Berlin wurde Mühe an der Volks- duziert. Shakespeare ist schon mehr ge- pools und die Schwierigkeiten der deut- bühne, am Deutschen Theater und später wesen als dieses kleine, verpisste Land. Ich schen Stars, sich hier durchzusetzen. auch beim Film zum Star. Ulrich Mühe hei- wollte das hinter mir lassen. Auch weil es ratete Jenny Gröllmann, deren Poster über am Deutschen Theater so eine Bunker- * Mit Ehefrau Jenny Gröllmann und Tochter Anna seinem Bett gehangen haben soll, als er mentalität gab. Da stand die Luft. Ich hab Maria. ein Teenager war. Sie bekamen eine Toch- ja bis 1996 als Gast gespielt. Ich war immer

180 der spiegel 10/2007 Kultur PETER KROH / BERLINER KURIER / PICTURE-ALLIANCE (M.); ANDREAS MÜHE (R.) (M.); ANDREAS KURIER / PICTURE-ALLIANCE PETER KROH / BERLINER Er fliegt Stunden um die Welt, und dann zeigen sie ihm zuallererst die Stullenbüchsen von DDR-Grenzern

mal im Hause, das war total unangenehm, Es war sein erster Westfilm, der seine gearbeitet haben sollte, ohne dass sich je wenn ich da in die Kantine kam. Ein biss- Ostvergangenheit unmittelbar berührte, jemand darüber beschwerte. Er wollte chen, nur ein bisschen ist es so wie bei den und er sagt, alles sei wieder aufgebrochen. trotzdem erst nicht darüber reden. Don- Emigranten, die nach ’45 zurückkamen. Marie Gruber, eine andere Ostdeutsche, nersmarck sagt, er habe vier Stunden mit Denen wurde aus dem Weg gegangen.“ die im Film mitspielte, las das Drehbuch ihm gesprochen und immer gehofft, dass „Uli wirkte immer alleene. Er hat nie als Komödie, Mühe aber spürte, „dass Ulrich Mühe allein darauf zu sprechen mitjesoffen“, sagt Michael Gwisdek, mit ich in der DDR eigentlich immer Angst komme. Aber der kam nicht drauf, und so dem Mühe am Deutschen Theater spielte. hatte, Angst vor Willkür und Übergriffen“, fragte Donnersmarck danach. Und Mühe „Mir wird schnell schlecht“, sagt Mühe. sagt er. antwortete. Mühe zog nach Wien, nach Er hat mit Florian Henckel von Don- „Ich habe im Nachhinein erfahren, dass und nach Charlottenburg. Anna, seine nersmarck über das Drehbuch geredet, und meine damalige Frau die ganze Zeit über Tochter aus der Ehe mit Jenny Gröllmann, mit der Zeit wurde er mehr als ein Haupt- bei der Staatssicherheit als IM gearbeitet begleitete ihn, mit Susanne Lothar bekam darsteller. Donnersmarck war jung und aus hat“, sagte Mühe am Ende des Gesprächs. er zwei weitere Kinder. Er spielte in dem Westen, er versuchte, sich in dem Ge- Er hat es eingeordnet, verpackt, erklärt. „Schtonk“ und zwei Hauptrollen in ver- strüpp der DDR-Vergangenheit zu orien- Die Stelle ist inzwischen verboten worden, störenden Filmen von . Er tieren, wo jeder eine andere Geschichte Bücher wurden geschwärzt, und Mühe hat machte Fernsehen, Filme und Theater und zu erzählen hatte. Donnersmarck sprach sich verpflichtet, dies nie wieder zu be- führte in einer Inszenierung von Heiner mit Opfern und Tätern, am Ende folgte er haupten. In einer überraschenden Presse- Müllers „Auftrag“ zum ersten Mal Regie. seinem Gefühl. erklärung vom Anfang des Jahres räumte Ulrich Mühe wurde sein Zeuge, er das ein, nicht ohne es mit einem ver- „ICH WAR FÜR DIE DAGEBLIEBENEN sein künstlerischer Beistand in der kürzten Heiner-Müller-Zitat zu kommen- Fremde, obwohl Donnersmarck tieren: „Die Worte fallen in das Getriebe EINE STÄNDIGE BEDROHUNG.“ zunächst gar nicht gewusst hatte, der Welt, uneinholbar.“ das Mühe aus dem Osten kommt. Jenny Gröllmann war zu diesem Zeit- Ulrich Mühe schien im Westen angekom- Es war mehr eine Haltungsfrage. Donners- punkt ein halbes Jahr tot. Warum konnte men zu sein. Die alten ostdeutschen Kol- marck wollte einerseits ein Königsdrama er nicht einfach Ruhe geben? legen traf er bei Premierenpartys, sie grüß- erzählen, ein Märchen von Gut und Böse, „Man versucht das, was man getan hat, ten sich freundlich, auch ein bisschen das die ganze Welt versteht, doch er schien wozu man beigetragen hat, wozu man distanziert, weil Mühe bei öffentlichen es auch mit dem richtigen ostdeutschen Le- steht, zu dieser Rolle, zu diesem Film, eben Gelegenheiten manchmal sagte, er habe in ben unterfüttern zu wollen. In Ulrich Mühe zu beglaubigen über die eigene Biografie“, einer Diktatur gelebt. Manche von ihnen bündelte sich beides. Die Kunst und das sagte Mühe bei einem Gespräch vor drei sagen, Mühe habe berühmte Frauen und Leben. Mühes Kopf war auf allen Filmpla- Wochen in Berlin. „Was wahrscheinlich zu Regisseure gesammelt, um immer weiter katen und auch auf dem Umschlag des großen Missverständnissen führt.“ aus der sächsischen Provinz wegzukom- Filmbuchs von „Das Leben der Anderen“. Es war nicht leicht, sich damals mit Ul- men. Mühe sagt, er habe versucht, einen Für das Buch gab Mühe seinem Regis- rich Mühe in Berlin zu verabreden. Die klaren Abstand zu formulieren, zu dem, seur ein Interview, in dem er über seinen Stadt war ein Minenfeld. Es gab die Kolle- was war. Er glaubte, den Osten hinter sich Abschied von der DDR redete, seine Illu- gen, die Mühe als Verräter an der Zeit sa- gelassen zu haben, bis er den Hauptmann sionen, Ängste, Träume und auch über hen, die sie zusammen erlebt hatten, als Wiesler in Florian Henckel von Donners- Jenny Gröllmann. Mühe hatte bereits 2001 Geschichtsklitterer. Es gab die Freunde marcks Film „Das Leben der Anderen“ in einem Artikel der „Super Illu“ gelesen, Jenny Gröllmanns, die sie in den Tod be- spielte. dass seine Ex-Frau für die Staatssicherheit gleitet und sich geschworen hatten, ihren

der spiegel 10/2007 181 „Natürlich gab es Momente, wo ich dach- te: Hätt ich es nur nicht gemacht“, sagte Mühe. „Wenn es um die Arbeit geht, die Schauspielerei und die Kunst, bin ich gern bei Projekten, die polarisieren, die provo- zieren, die aufregen, als Person selber bin ich dafür überhaupt nicht geschaffen, wenn das dann zurückschlägt. Aber ich muss doch die Wahrheit sagen dürfen. Wenn mir ein Schornsteinfeger entgegenkommt, und ich sage zu dem, du bist ein Schornsteinfeger, und der sagt, das musst du mir erst mal be- weisen, dann stimmt was nicht.“ Hat es ihn kaltgelassen, dass Jenny Gröllmann sterbenskrank war? „Ach, nein. Ich musste es unserer Toch- ter Anna doch 1998 sagen, die damals noch bei mir lebte.“

ULLSTEIN BILDERDIENST / DPA BILDERDIENST ULLSTEIN Mühes Emotionen flackerten wie eine Schauspieler Mühe, Kollege Manfred Krug*: „Der Erfolg war immer angeknabbert“ Lichtorgel in dem weißen Raum. Er war traurig, wütend, entschieden, ratlos, be- Ruf zu schützen, solange sie leben. Es gab nen weißen Tisch in diesem Raum, an herrscht, verwirrt. Manchmal hatte man Anwälte, die darauf warteten, dass Mühe dem sich zwei Stühle gegenüberstanden, den Eindruck, er stritte mit sich selbst wie ein falsches Wort sagt. eine Verhörsituation. An der Wand gab Jerry Lewis als verrückter Professor. Die Dinge waren außer Kontrolle gera- es eine Taste, das sei die „Service Event Eine Kollegin aus Karl-Marx-Stadt sagt, ten. Mühe sagte, er würde sich gern in ei- Taste“, sagte der Page, wir sollten sie dass Mühe seine erste Frau manchmal auf- nem Hotel treffen, aber die meisten Hotels drücken, wenn wir etwas brauchten. Dann forderte, ihn in seinem Zimmer festzubin- lagen ihm zu sehr im Osten, und so führte ließ er uns in unserer weißen Zelle allein. den, damit er sie nicht betrügen könne. uns schließlich ein Page irgendwann in ei- Es war fast, als träfe man sich im Clean- Der erste Mann von Jenny Gröllmann sagt, nen völlig weißen Raum im achten Stock room einer Computerfirma oder in einem Ulrich Mühe habe von ihr zuletzt gefor- eines Hotels am Ku’damm. Es gab nur ei- großen Ei. dert, dass sie ständig im Deutschen Thea- Hat er jemals bereut, den Kampf gegen ter sitzen müsse, um zu kontrollieren, dass * 1993 bei Dreharbeiten zu dem Film „Der Blaue“. seine Frau angefangen zu haben? er sie nicht verlasse. Man müsse Schau- Kultur spieler vor sich selber schützen, hat Mühe ihr israelischer Begleiter stundenlang am geben hat. Er findet es schäbig, wie sich einmal gesagt. Jetzt sagt er: „Natürlich hät- Checkpoint Charly festgehalten, sagt sie. Mühe seiner Ex-Frau gegenüber verhalten te man sagen können, dass man die letzten „Und nach der Vorstellung habe ich dann hat, er mag den Film nicht, weil er eine Fragen in diesem Interviewbuch hätte weg- noch irgendwelche schlechten Hackbäll- DDR zeige, die es so nicht gegeben habe. lassen sollen.“ chen in einem Restaurant Unter den Lin- Henry Hübchen möchte nicht, dass seine Mühe wirkt mitunter wie ein Spielball den gegessen. Die Kellner waren grauen- Kinder und Enkelkinder einmal glauben, er äußerer Kräfte. Vielleicht ist er deswegen voll. Das war das erste und letzte Mal, dass habe in so einem Land gelebt. Es gibt ein so ein großer Schauspieler. Ein Kollege ich drüben war.“ Man kann sich vorstellen, paar Schauspieler, die Rollen in Filmen ab- sagt, Mühe habe sich auch außerhalb des was sie Mühe geraten hat. Auch Mühes gesagt haben, weil Ulrich Mühe mitspielte. Theaters immer verkleidet. Er wollte auch erste Frau habe ihn bestärkt, standhaft zu Ulrich Mühe hat einen hohen Preis aussehen wie ein politischer Künstler. Zu bleiben, sagt ihr Sohn Andreas Mühe. dafür bezahlt, dass er politischer Schau- DDR-Zeiten sei er herumgelaufen wie spieler wurde. Mühe saß in seiner Brecht, später dann wie Peymann. KOLLEGEN SAGTEN ROLLEN AB, Wohnung, nur 200 Meter von Als Ulrich Mühe die Unterlassungs- seiner sterbenden Ex-Frau ent- erklärung zugeschickt wurde, hieß es zu- WENN MÜHE MITSPIELTE. fernt, und wartete auf Gerechtig- nächst, er unterschreibe. Eine Stunde spä- keit. Karin Pragal, eine der Frau- ter hieß es, er unterschreibe doch nicht. Jenny Gröllmann war die Frau in der Mit- en, die Jenny Gröllmann in ihren letz- Wenn man das hört, sieht man ihn schwan- te, vielleicht erklärt das etwas, wer weiß. ten Lebenstagen betreute, sagt, dass die ken, zittern. Ulrich Mühe ist eigentlich kein Es heißt, seine Tochter Anna habe ihn kranke Frau sich „Das Leben der An- mutiger Mensch, sagen Kollegen, die ihn gebeten aufzuhören, ihre Mutter zu be- deren“ auf DVD angeschaut habe. Der von früher kennen. Er habe lange über- kämpfen. Mühe bekam Briefe der Regis- Film habe ihr sehr gut gefallen. Es wirkt legt, ob er auf der Demonstration am seure Dominik Graf und Caroline Link, alles so sinnlos. Heiner Müller hat ein- 4. November wirklich reden solle. Jenny die ihn baten, seine Ex-Frau in Ruhe zu las- mal gesagt: „Ulrich Mühe wird den ersten Gröllmann habe ihm zugeraten. Man fragt sen. Er erhielt einen Brief des Westjour- Schritt in eine Rolle nicht tun, bevor er sich, wer ihn heute berät. Mühe sagt, er nalisten Peter Pragal, auf den Jenny Gröll- vom letzten Schritt eine Ahnung hat, der habe eigentlich keine Freunde. Er habe sei- mann angesetzt worden sein soll. Pragal ihn vielleicht aus der Kurve trägt.“ Aber ne Familie. machte ihn auf die Ungereimtheiten in der Müller ist tot. Seine Frau Susanne Lothar mag den Stasi-Akte aufmerksam, er bot an, sich mit Ende des Jahres rief Ulrich Mühe bei Osten nicht. Sie fühlt sich von ihm nicht ihm zu treffen. Mühe antwortete nicht. Donnersmarck an und sagte: „Florian, ich angenommen. Sie war 1983 einmal in Ost- Die ehemaligen Ostkollegen grummeln kann nicht mehr.“ Berlin, um am Deutschen Theater „Ge- still, wie sie es immer getan haben. Es gibt Am Vormittag nach der Oscar-Nacht spenster“ zu sehen, mit dem Mühe ein kollektives Unbehagen, dem der Schau- holt Ulrich Mühe seinen Regisseur im berühmt wurde. Bei der Einreise wurde spieler Henry Hübchen seine Stimme ge- Beverly Wilshire Hotel ab, wo „Pretty Wo- Kultur

Arbeit einfließen ließen, während er jah- relang in seinem Spiel immer nur auf ir- gendwelche Erich-Honecker-Äußerungen reagiert habe. Er hatte plötzlich das Ge- fühl, dass seine Westkollegen viel mehr ge- lebt hatten als er. Man kann sich vorstellen, wie ihn das Leben des jungen, großen Mannes beeindruckt hat, der ihm hier ge- genübersteht. Donnersmarck ist ein Ministrant, der mit Marx, Lenin und Trotzki aufwuchs, weil seine Mutter Kommunistin war und sein Vater Katholik, seine Familienwurzeln las- sen sich bis ins 14. Jahrhundert verfolgen, er hat in Oxford und Leningrad studiert, er ist verheiratet, hat zwei Kinder und hat als Junge in New York mit seinem Bruder in den Gummizellen der ehemaligen Irren- anstalt auf Roosevelt-Island gespielt, einer Insel im East River, wo die Familie lebte. Donnersmarck ist ein beeindruckender Mann, und manchmal schaut ihn Ulrich Mühe an wie seinen Vater. Zwischen den Interviews für das „heute- journal“ und die „Tagesthemen“ soll Don- nersmarck die Frage beantworten, ob er manchmal daran gezweifelt habe, Ulrich Mühe diesen Kampf kämpfen zu lassen. „Ja, natürlich gab es diese Momente“, sagt Donnersmarck, und für einen Augen- blick wird sein Gesicht erstaunlich ratlos, doch dann strafft er sich und sagt: „Es wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen. Man muss für die Dinge einstehen, die man für richtig hält. So bin ich erzogen worden, und so lebe ich mein Leben.“

MARC PITZKE MARC Das Problem ist nur, dass es nicht nur Darsteller Mühe, Ehefrau Susanne Lothar in Los Angeles: „Ulrich Mühe ist dieser Film“ sein Leben ist. Es ist auch das Leben des anderen. man“ spielte und Donnersmarck mit seiner mehr hergeben. Mühe nickt. Auf dem Am Abend vor seiner Abreise sitzt Ul- Frau wohnt. Mühe wartet im Wagen. Dach des Sendegebäudes knöpft sich rich Mühe in einem Restaurant in West Ulrich Mühe ist nicht mit auf die Bühne Mühe sein schwarzes Hemd auf und zeigt Hollywood. Seine Frau und sein Sohn sind gestürmt, als sein Film den Oscar gewann. das T-Shirt, das er drunter trägt. „Grimma einkaufen gegangen. Mühe ist zum ersten Er kann aber sagen, wie hoch Florian – Sachsen“ steht auf dem T-Shirt. Er hatte Mal seit Tagen ganz allein. Der räumliche Henckel von Donnersmarck sprang, als es auch gestern Abend an. Es sollte Glück Abstand zu Deutschland habe ihm gutge- Cate Blanchett „“ rief. Er erzählt, bringen, sagt er. Der Bürgermeister von tan, sagt er. Und in der Nacht hat auch sei- wie sie nach der Preisverleihung den Weg Grimma hat auch schon eine SMS ge- ne Tochter angerufen, um ihm zu gratulie- aus dem Kodak Theater zum Governor’s schickt. Donnersmarck lächelt. Es liegt viel ren. Mühe sieht entspannt aus. Irgendwo in Ball gegangen sind. Donnersmarck hat mit Platz zwischen Eastwood und Grimma. Er der Stadt plant sein Regisseur das weitere Paul Haggis diskutiert, dem Mann, der im Leben. Am 2. Mai wird Donners- vorigen Jahr den Oscar für „L.A. Crash“ AM TELEFON SAGTE MÜHE: marck 34 Jahre alt. Danach möch- bekam. Mühe staunt darüber, wie selbst- te er das Wort Stasi nicht mehr in verständlich sich sein Regisseur in dieser „FLORIAN, ICH KANN NICHT MEHR.“ den Mund nehmen, sagt er. Für Welt bewegt. Er selbst hat Clint Eastwood sein nächstes Filmprojekt wird er getroffen und ihm gesagt, dass er seine Fil- hat alles bekommen, was er wollte, den mit seiner Familie wahrscheinlich nach Los me sehr mag. Oscar und den Segen der Kanzlerin. In Angeles ziehen. Und was hat Eastwood gesagt? Berlin diskutieren sie gerade darüber, Don- „Es wäre toll, wenn ich wie Florian die „Danke“, sagt Mühe. nersmarcks Königsdrama im Geschichts- Chance hätte, das abzulegen und zu sa- Donnersmarck trägt immer noch seinen unterricht zu zeigen. gen: anderes Thema“, sagt Mühe. „Aber Siegersmoking, die Fliege liegt offen überm Die beiden Männer stellen sich für das das geht nicht.“ Hemd, er hat den Oscar in der Hand und Foto einander gegenüber. Der riesige Don- Es sieht nicht so aus, als hätte ihn Holly- sagt, er habe praktisch nicht geschlafen. nersmarck beugt sich über den kleinen, wood erlöst. Mühes Sohn Andreas will die beiden Män- schmalen Mühe. Es ist fast so, als doku- Heute Morgen im Bett, als er aufwachte ner auf dem Dach eines Sendegebäudes mentierten sie hier auf einem Dach in Los und alle anderen noch schliefen, habe er ei- fotografieren, wo Donnersmarck zu zwei Angeles die deutsche Einheit. nen Moment wach gelegen und sich nur über Interviews erwartet wird. Für eine Vier- Mühe hat mal erzählt, wie es ihm gefal- den Oscar gefreut, sagt Mühe. Er schaut da- telstunde liegt der Oscar in Ulrich Mühes len habe, dass die Schauspieler bei den bei wie Hauptmann Wiesler in der Schluss- Schoß. Donnersmarck sagt, dass er ihn Proben im Westen ihre Erfahrungen von szene von „Das Leben der Anderen“. Als er nicht gravieren lassen will. Er will ihn nicht Indienreisen oder Frankreichstudien in die begreift, dass nicht alles umsonst war. ™

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