Uferschutzverband Thuner- und Brienzersee Jahrbuch 2012

Jahrbuch 2012 Uferschutzverband Thuner- und Brienzersee

Herausgegeben vom Uferschutzverband Thuner- und Brienzersee UTB mit finanzieller Unterstützung durch SWISSLOS / Lotteriefonds Kanton

Selbstverlag des UTB

Verantwortlich für die Redaktion: Gisela Straub und Sibylle Hunziker

Layout: T homann Druck AG Grundschrift: Frutiger light Umschlag: G etreidelter Bock im Kanal Ost. S ammlung Krebser, Thun.

Satz, Druck: T homann Druck AG Brienz Buchbinderei: Schlatter AG Bern

Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2012 by UTB Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des UTB ist unzulässig.

...und führen, wohin Du willst.

(Frei nach Helmut Gollwitzer) Organisation 2012

Vorstand Andreas Fuchs, Interlaken Präsident Peter Zingg, Vizepräsident Ulrich Blunier, Gunten Fachinstanz Finanzen Andreas Huggler, Brienz Fachinstanz Landschaft /Kulturlandschaft Anita Knecht, Gwatt Fachinstanz Kommunikation/Landschaft Hansjürg Wüthrich, Thun Fachinstanz Kommunikation

Beirat Christoph Diez, Grosshöchstetten Christian Siegenthaler, Johann Gimmel, André Sopranetti, Einigen Marianne Hassenstein, Steffisburg Rudolf von Gunten, Ingrid Hofer, Unterseen Ernest Wälti, Bönigen Emil Huggler, Niederried bei Interlaken Marco Wälti, Därligen Markus Niklaus, Hünibach Hans-Ulrich Wenger, Längenbühl Peter Santschi, Brienz

Rechnungsrevision Rudolf Bachmann, Peter Heim, Christian Ott, Unterseen

Bauberatung Christian Gafner, Spiez und Gemeinden Thun, Hilterfingen, Andreas Fuchs, Interlaken Oberhofen, , Interlaken, Seen im Thuner Westamt Christina Thöni-Kaufmann, Brienz Gemeinden am Brienzersee Oliver von Allmen, Interlaken Gemeinden Därligen, , Spiez, , Beatenberg (Sundlauenen), Unterseen Jahrbuch 2012 Gisela Straub, Sibylle Hunziker, Wilderswil

Geschäftsstelle des Uferschutzverbandes Thuner- und Brienzersee Seestrasse 2, 3600 Thun Tel. 033 222 87 15, Fax 033 222 87 27 [email protected], www.u-t-b.ch

Thun, 1. November 2012

6 Inhalt

Geschäftsteil

Jahresbericht des Präsidenten...... 9

Protokoll der Generalversammlung UTB 2012...... 13

Neue Mitglieder...... 19

Sponsoren...... 20

Berichte der Bauberater...... 21

Anita Knecht Projekt «Treffpunkt Pilgerweg» �������������������������������������������������������������������35

Peter E. Zingg Naturschutzgebiet Weissenau-Neuhaus...... 39

Hans Fritschi Wasservogelzählungen vom Thuner- und Brienzersee...... 45

Natur

Hans Fritschi Ornithologische Höhepunkte an Brienzersee und Aare...... 47

Linus Cadotsch Die Wasseramsel...... 49

Heini Hofmann Weiden und Wasser...... 61

7 Christian Gnägi Das Wallis zu Besuch im Berner Oberland – Findlinge zwischen Sieben Hengsten und Nieder-Simmental...... 75

Geschichte

Benedikt Horn Alte Wege im östlichen Oberland im Spiegel ihrer Geschichte...... 87

Kurt Wellenreiter Peter Flück (Schopfer), Schiffmann am Fluhberg zu Brienz...... 125

Andreas Zurbuchen-Dauwalder Brennholzflösserei im Gebiet von ...... 137

Sibylle Hunziker Neue Wege erhalten und nutzen...... 141

Berühmte Köpfe

Andreas von Waldkirch Emanuel Hahn (1800 – 1867)...... 151

Kunst

Sibylle Hunziker «Mensch, wer bist Du?»...... 155

Anhang

Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge 2012...... 171

In eigener Sache...... 173

Das Redaktionsteam...... 174

8 Jahresbericht des Präsidenten 2012

30 Jahre sind vergangen seit der Annahme des See- und Flussufergesetzes durch das Berner Stimmvolk im Juni 1982. Und noch immer sind einige Ufer- schutzpläne nicht erstellt oder noch nicht rechtskräftig, obschon das Gesetz für die Planung eine Frist von fünf Jahren vorsah.

Trotzdem, ohne dieses Gesetz hätte sich die Arbeit für den UTB in den vergan- genen Jahren wesentlich schwieriger gestaltet, und dank dem Gesetz und den darauffolgenden Uferschutzplanungen sind vielerorts ansprechende Ufer- wegabschnitte und einladende Freiflächen entstanden.

Während 50 Jahren zuvor hatte sich der Uferschutzverband bereits dafür ein- gesetzt, dass Kehrichtdeponien direkt am See aufgeschüttet und zu Rastplät- zen umgestaltet wurden, wie etwa an der Krattighalde (später Milchbar, Lido) oder im Wychel Oberried, oder hatte Gemeinden unterstützt bei der Schaf- fung von Freiflächen und Badeplätzen, indem er den Landerwerb finanziell unterstützte und die Gestaltungsvorschläge gleich selber lieferte und deren Umsetzung mitfinanzierte, so etwa in der Gemeinde Spiez die Badeanlagen in Faulensee, Einigen und in der Bucht Spiez.

Was ist heute noch zu tun? Die letzten Planungslücken sind zu schliessen, wobei darauf zu achten ist, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den privaten angemessen berück- sichtigt und durchgesetzt werden. Zahlreiche Massnahmen warten noch auf die Umsetzung, wobei eine zeitliche Ausdehnung der Realisierung nicht a pri- ori schlecht ist, da neue Erkenntnisse und Bedürfnisse berücksichtigt werden können, wie etwa ökologische Aufwertungsmassnahmen oder Renaturie- rungen. Dank dem Engagement vieler Gemeinden sind diverse Projekte in Pla- nung oder Ausführung, was beim finanzierenden SFG-Fonds zu Liquidi- tätsengpässen führt, auch unter diesem Aspekt ist eine zeitliche Ausdehnung nicht falsch, da sonst die Beitragssätze reduziert werden müssten.

Längerfristig müsste aus dem Fonds die Werterhaltung der gebauten Anlagen sichergestellt werden, denn oft sind noch die Folgekosten ein grosses Hinder- nis für die Umsetzung geplanter Massnahmen.

9 Während dank des See- und Flussufergesetzes die Arbeit für den UTB erleich- tert wurde, ist sie durch den zunehmenden Siedlungsdruck schwieriger ge- worden: wo bislang villenartige Einzelbauten in grosszügiger Garten- oder Parkumgebung standen, werden in verdichteter Bauweise die Möglichkeiten der Zonenordnung voll ausgeschöpft. Auch wenn die einzelnen Projekte ge- stalterische Qualitäten aufweisen, wird durch Baukuben, Stützmauern und das Verschwinden des grünen Zwischenraums die Kulisse, beispielsweise an der «Riviera», zunehmend städtisch.

Die Bauberatung ist gefordert, mit Blick auf das gesamte Landschaftsbild den Einzelfall zu betrachten und gegebenenfalls zu intervenieren.

Projekte Mit der Übernahme der Trägerschaft für das Projekt «Treffpunkt Pilgerweg» nahm der UTB die alte Tradition wieder auf, durch das Organisieren von Ar- beitseinsätzen einen aktiven Beitrag zu leisten zugunsten Landschaft, Mensch und Kultur.

Mit der Sanierung der Lucktreppe am Pilgerweg zu den Beatushöhlen wurde an einem der ersten Projekte der Verbandsgeschichte Werterhaltung betrie- ben: der Ausbau der Lucktreppe und des Pilgerwegs von Merligen bis zur Manorfarm Ende der Dreissigerjahre war ein durch den UTB geleitetes Be- schäftigungsprogramm mit rund 13‘000 Verpflegungstagen. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Arbeitsamt und dessen Vorsteher Hans Luck erhielt die Treppe ihren Namen.

Über die weiteren Aktivitäten im Rahmen des Projektes berichtet Anita Knecht in ihrem Jahresrückblick.

Das Projekt «Aareraum Bödeli» hat sich erfreulich weiterentwickelt: die Mach- barkeitsstudie über 15 ausgewählte Massnahmen wurde fertiggestellt und abgeliefert. Die Gemeinde Interlaken hat für vier Massnahmen die nächsten Planungsschritte ausgelöst, Anfang Dezember fand dazu eine Startsitzung mit dem Planungsteam statt.

10 11 Exkursionen Wiederum konnte der UTB zwei interessante Veranstaltungen anbieten: Im Frühjahr fanden sich rund 40 Interessierte zum Besuch der Fischzuchtanlage Faulensee ein und die Exkursion im Spätsommer führte zum Wasserbauprojekt Schwandi-Ey mit der Aufweitung der Kander zwischen Frutigen und Reichen- bach.

Beiträge Der Vorstand prüfte diverse Gesuche und konnte für zwei Projekte einen finanziellen Beitrag sprechen: Das Buchprojekt von Fritz von Gunten über «Seen und Seelenlandschaften – sagenhafte Begegnungen an über 80 Seen im Kanton Bern» befasst sich mit dem Wasser als landschaftsprägendem Element und liegt damit im Bereich der Kernelemente unserer Verbandstätigkeit. Das älteste Rundbildpanorama der Welt, das Wocher-Panorama im Schadau- park, verdient einen verbesserten Zugang und mehr Präsenz. Unser Beitrag an den Erhalt des Rundbildes hat eher symbolischen Charakter.

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine unterhaltsame Lektüre mit dem vorliegenden Jahrbuch!

Interlaken, im Dezember 2012

Andreas Fuchs Präsident

12 Protokoll Generalversammlung UTB 2012

Ort Hotel Royal St. Georges, Interlaken Datum 10. Februar 2012 Zeit 15.30 –17.15 Uhr

Anwesend 60 Personen (UTB Vorstand Anita Knecht, Peter Zingg, Hansjürg Wüthrich, Ulrich Blunier, Andreas Huggler) Leitung Andreas Fuchs, Präsident Protokoll Adrian Siegenthaler, Geschäftsstelle

Traktanden 1. Protokoll der 79. GV vom 11. Februar 2011 2. Jahresbericht 3. Jahresrechnung 2011 4. Budget 2012 5. Wahlen 6. Verschiedenes

Der Präsident Andreas Fuchs begrüsst die Mitglieder, die Ehrenmitglieder Oskar Reinhard und Katharina Berger, Beiräte, Bauberater, Gemeindevertreter, Personen aus der Politik, Jahrbuchmitarbeiter/innen (Redaktionsteam und Autoren), die Presse, vertreten durch Frau Hunziker vom Berner Oberländer, Frau Schütz von der Jungfrauzeitung sowie Herrn Aplanalp vom Radio Beo, Vertreter aus befreundeten Verbänden und Vereinen sowie die Gäste zur 80. UTB Generalversammlung. Er bedankt sich bei der Presse für die erfolgte Buchbesprechung des Jahrbuches 2011. Zur Generalversammlung wurde statutenkonform eingeladen. Die Versammlung ist somit beschlussfähig. Er nimmt die eingegangenen Entschuldigungen zur Kenntnis, verzichtet jedoch auf deren Verlesung. Stimmberechtigt sind alle Mitglieder sowie Gemeinde- vertreter von Mitgliedergemeinden.

Der Präsident verliest die Traktandenliste. Anschliessend an die Generalver- sammlung folgt ein Referat von Fred Heer zum Thema: Die Ableitung der Kan- der (1711–1714) in den Thunersee und ihre Folgen. Herr Heer ist ehemaliger Berufsoffizier, war während seiner Schulzeit und später als Bautechniker von der Linthkorrektion unter Conrad Escher fasziniert und in diesem Zusammen- hang auf die Ableitung der Kander gestossen.

13 Dieses Jahr wird die GV musikalisch umrahmt mit dem Violinisten Alexandre Dubach aus Thun, der zur Eröffnung spielt und im Jahrbuch 2011 inklusive Musik CD porträtiert wird.

1. Protokoll der GV vom 11. Februar 2011 Das Protokoll ist im Jahrbuch 2011 abgedruckt (Seite 13 –18). Auf das Verlesen wird verzichtet, eine Diskussion wird nicht verlangt. Das Protokoll wird einstim- mig genehmigt.

2. Jahresberichte Der Präsident Andreas Fuchs informiert die Versammlung über die Arbeit des Vorstandes im vergangenen Jahr. Diese Informationen sind im Jahresbericht 2011 auf Seite 9 –12 des UTB Jahrbuch 2011 nachzulesen.

2011 war das Jahr der Freiwilligenarbeit. Der Präsident bedankt sich bei den Personen, die jeweils solche Einsätze organisieren und durchführen. Ruedi Wyss z.B., der im vergangenen Jahr die Uferputzete und einen Pflegeeinsatz der Odd Fellows in der Weissenau organisierte. Der UTB wurde vom Verein Thunersee Hohgant angefragt, ob er die Träger- schaft des Projekts Treffpunkt Pilgerweg ab 2012 übernimmt. Nach dem Scheitern des Naturparks Thunersee Hohgant wird die bisherige Trägerschaft, der Verein Thunersee Hohgant, aufgelöst. Der UTB Vorstand hat beschlossen, die Trägerschaft zu übernehmen, da die Zielsetzung des Projektes in den Tätigkeitsbereich des UTB passt. So werden mit dieser Arbeit Natur- und Kul- turwerte am Thuner- und Brienzersee erhalten. Sinnstiftende Arbeiten werden von Freiwilligen gemeinsam mit lokalen Bau- oder Forstunternehmen ausge- führt. Anhand von Bildern zeigt der Präsident realisierte Massnahmen.

Die drei UTB Bauberater wurden im vergangenen Jahr gefordert. Im Jahrbuch sind die Tätigkeitsberichte ab Seite 19 – 36 abgedruckt. Und bereits wartet eine neue Herausforderung mit der geplanten Überbauung des Hamberger Areals am Brienzersee.

Peter Zingg berichtet im Jahrbuch auf Seite 39 – 43 über das Naturschutzge- biet Weissenau. Der neugeschaffene Hide in der Weissenau erfreut sich gros- ser Beliebtheit. Hans Fritschi von Pro Natura Berner Oberland lobte den Neu- bau, der viel Platz und einen guten Schutz für Vogelbeobachtungen bietet. Der

14 Präsident bedankt sich bei den zahlreichen Sponsoren, die mit ihren Spenden einen Grossteil der Baukosten abgedeckt haben.

Für die durchgeführten Wasservogelzählungen bedankt sich der Präsident bei Hans Fritschi und seinen Helfern. Die Resultate der Zählung sind im Jahrbuch 2011 ab Seite 44 nachzuschlagen.

Für das vorgelegte Jahrbuch 2011 bedankt sich der Präsident bei dem Redak- tionsteam Gisela Straub und Ernest Wälti für die tolle Arbeit. Das Jahrbuch ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der UTB-Tätigkeit.

Vizepräsident Peter Zingg stellt den Jahresbericht des Präsidenten zur Diskus- sion und bedankt sich für sein grosses Engagement. Der Jahresbericht des Präsidenten wird mit Applaus genehmigt. Der Präsident bedankt sich bei der Versammlung für das Vertrauen.

Alexandre Dubach spielt mit ausdruckstarker Virtuosität ein Musikstück, welches zur Örtlichkeit der Versammlung passt, die Ouverture von Rossinis «Wilhelm Tell».

3. Jahresrechnung 2011 Der Präsident übergibt das Wort dem Vorstandsmitglied Ulrich Blunier. Er prä- sentiert der Versammlung die Jahresrechnung 2011. Diese schliesst mit einem Aufwand von Fr. 109’941.60 gegenüber Einnahmen von Fr. 70’791.76 ab. Daraus resultiert ein Ausgabenüberschuss von Fr. 39’149.84. Budgetiert war ein Aufwandüberschuss von Fr. 48’300.00. Der Kontrollstellenbericht des Revisors Ruedi Bachmann weist ein Verbandsvermö- gen von Fr. 714’527.09 per 31.12.2011 aus. Nach Abzug des Stammfonds und des zweckgebundenen Legats Stähli für Uferbestockungen stehen für das lau- fende Geschäftsjahr noch Fr. 582’705.44 zur freien Verfügung. Der Revisor empfiehlt der Versammlung die Rechnung zu genehmigen. Der Präsident fragt die Versammlung, ob weitere Erläuterungen zur Rechnung gewünscht wer- den. Dies ist nicht der Fall. In der Abstimmung wird die Jahresrechnung 2011 genehmigt, und die Organe werden damit entlastet.

15 4. Budget 2012 Ulrich Blunier erläutert der Versammlung das Budget für das Jahr 2012 mit einem Ausgabenüberschuss von Fr. 35’800.00. Der Vorstand empfiehlt der Versammlung, das vorgelegte Budget zu genehmigen. Die Versammlung stimmt dem Budget 2012 zu. Für einen sorgsamen Umgang mit den Finanzen ist gesorgt. Das Geld wird benötigt für den laufenden Geschäftsgang sowie für Projektanschubfinanzierungen durch den UTB. Das Defizit beläuft sich im üblichen Rahmen.

5. Wahlen Dieses Jahr finden keine Wahlen statt.

6. Verschiedenes Der Präsident fragt die Versammlung, ob Wortmeldungen unter diesem Trak- tandum gewünscht sind.

Wortmeldungen aus der Versammlung Peter Fiechter, Präsident der Fischereipachtvereinigung Interlaken, orientiert die Anwesenden über die Tätigkeiten des Pachtvereins sowie die verschie- denen zukünftigen Herausforderungen. Herr Fiechter weist darauf hin, dass der Kanton in der Wasserstrategie einige Anliegen der Fischereipachtver- einigung Interlaken miteinbezogen hat. Seit Januar 2012 befindet sich das Schweizerische Kompetenzzentrum der Fischerei in Bern. Die Nähe zur natio- nalen Politik und dem Bundesamt für Umwelt ist von Vorteil für die Anliegen der Fischerei. Ein aktuelles Thema in der Region ist das Phosphatmanagement im Brienzersee. Die Ausfällung der Phosphate in den örtlichen ARAs ist zu überprüfen. Die Kormoranpopulation in der Schweiz ist im letzten Jahr erneut angewachsen. In Deutschland wurde ein Kormoranmanagement eingeführt. Eine Regulierung der Art in der Schweiz ist aus Sicht der Fischerei wünschens- wert. Markus Meyer, der Präsident des Bernisch kantonalen Fischerei-Ver- bandes, hat die Wahl in den Nationalrat leider nicht geschafft. Im vergangenen Jahr wurde erneut eine Aareputzete durchgeführt und ein Fischereikurs ange- boten. Die Aufwertung der Aare auf dem Bödeli sei eine super Sache und habe Modellcharakter. So konnte bereits eine massive Zunahme der Äschenlarven festgestellt werden. Die Äsche kann nach dem Moratorium der vergangenen Jahre wieder befischt werden. Maximal 2 Fische / Tag resp. 20 Fische pro Jahr. Herr Fiechter weist zum Schluss auf ein neues Buch hin, das die Rückkehr des

16 Lachses dokumentiert. Früher sei der Lachs bis in die Aareschlucht geschwom- men. Er bedankt sich für die gute Zusammenarbeit mit dem UTB und freut sich auf weitere Gewässerrenaturierungen in der Region.

Der Interlakner Gemeinderat Kaspar Boss überbringt die Grüsse der Gemeinde Interlaken, gratuliert zum Jubiläum und bedankt sich für das Jahrbuch. Der UTB zeige ein grosses Engagement zur Erhaltung eines intakten Lebensraums, was der lokalen Bevölkerung und den Touristen zu Gute kommt. Er freut sich auf eine weiterhin konstruktive Zusammenarbeit zwischen UTB und der Ge- meinde Interlaken.

Walter Fuchs aus Belp bedankt sich für das Jahrbuch. Es sei das bedeutendste heimatkundliche Werk aus der Region. Herr Fuchs unternimmt in der Region Wanderungen und Führungen und wird immer wieder darauf angesprochen, ob Inhalte aus den UTB Jahrbüchern kopiert werden können oder ob es eine Bibliothek zur Ausleihe gibt. Ältere Bücher seien nach wie vor gefragt.

Der Präsident bedankt sich für die Wertschätzung. Er bestätigt, dass die Jahr- bücher sehr gefragt sind, beispielsweise auch als Grundlage für wissenschaft- liche Arbeiten. Viele Artikel sind direkt auf die Natur bezogen. Auf der UTB Internetseite ist eine Bibliographie verfügbar. Auch besteht die Möglichkeit, Jahrbücher über die Geschäftsstelle zu beziehen, wenn es von den gewünsch- ten Jahrgängen überzählige gibt.

Herr Eyer übt Kritik an der Aktion der Aareputzete. Die Notwendigkeit der Flussputzete zeige, dass es am politischen Willen der Littering-Bekämpfung fehle. Seiner Meinung nach muss ein Ranger mit Polizeigewalt eingesetzt wer- den, der die Menschen, die die Aare als Abfalleimer benutzen, büssen und somit erziehen kann.

Der Präsident bedankt sich bei Ulrich Zingrich aus Unterseen für seine Arbeit im Naturschutzgebiet Weissenau. Ueli Zingrich war während 25 Jahren ne- benamtlich als UTB Werkmann tätig. Er hat den Wanderweg durch das Natur- schutzgebiet unterhalten. Er war der Garant, dass die Abfälle in der Weissenau entsorgt wurden. Die Arbeiten konnten nun an den Werkhof Unterseen über- tragen werden.

17 Ernest Wälti hat als Jahrbuchredaktor gemeinsam mit Gisela Straub sechs Aus- gaben realisiert. Ernest Wälti gibt dieses Amt nun ab. Er hat viel persönliches Engagement eingebracht. Der Grund für seinen Austritt ist seine künstlerische Tätigkeit, der er sich in Zukunft vermehrt widmen will. Der Präsident übergibt ihm und Gisela Straub ein Geschenk als Dankeschön. Der Abschied fällt umso leichter, weil Ernest Wälti aktiv selber mitgeholfen hat, das Redaktorenteam wieder zu vervollständigen. Mit Sybille Hunziker konnte eine erfahrene Persön- lichkeit für diese Arbeit gewonnen werden.

Der Präsident orientiert die Versammlung über verschiedene Termine: 25.2.2012 Uferputzete Weissenau, 8.30 Uhr bis 10.00 Uhr, inkl. Verpflegung 17.3.2012 Exkursion Fischzucht Faulensee 8.9.2012 Exkursion Wasserbauprojekt Schwandi-Ey Frutigen 15.2.2013 UTB GV

Der offizielle Teil der Generalversammlung schliesst um 17.00 Uhr.

Anschliessend folgt das Referat «Die Ableitung der Kander (1711–1714) in den Thunersee und ihre Folgen» mit Fred Heer.

Für das Protokoll: Adrian Siegenthaler, 10. Februar 2012.

18 Neue Mitglieder 2012

– AEK Bank 1826, Hofstettenstrasse 2, 3601 Thun – Berner Heimatschutz, Regionalgruppe Thun-Kandertal-Simmental-Saanen, 3604 Thun – Flück Daniela, Brüggbühlstrasse 88, 3172 Niederwangen – Fuchs Guggisberg + Partner Architekten AG, Weissensteinstrasse 87, 3000 Bern 14 – Glatthard Adrian, Mettliweg 2, 3855 Brienz – Marti Christian, Büelmatt 23, 6204 Sempach – von Gunten Fritz, Balmerstrasse 8, 3006 Bern

Mitgliederbestand 2011 2012

Gemeinden 19 19 Korporationen & Gesellschaften 75 77 Einzel- und Paarmitglieder mit Jahresbeitrag 397 384 Ehrenmitglieder 2 2

Total 493 482

Thun, 1. November 2012/as

19 Der UTB dankt den Sponsoren der Produktionskosten für das Jahrbuch 2012 – Interlaken Tourismus, Höheweg 37, 3800 Interlaken; www.interlaken.ch – Bank EKI, Rosenstrasse 1, 3800 Interlaken; www.bankeki.ch – Berner Kantonalbank, Höheweg 35, 3800 Interlaken; www.bekb.ch – Raiffeisenbank , Beim Ostbahnhof, 3800 Interlaken; www.raiffeisen.ch/jungfrau – Die Mobiliar, Generalagentur Interlaken-Oberhasli, Spielhölzli 1, 3800 Unterseen; www.mobi.ch – Golfclub Interlaken-Unterseen, Postfach 110, 3800 Interlaken; www.interlakengolf.ch – Thomann Druck AG, Gewerbezone Nord, Museumsstrasse 23, 3855 Brienz; www.thomann-druck.ch

Dank gebührt im Weiteren wegen Honorarverzichts Andreas Zurbuchen Sibylle Hunziker Andreas von Waldkirch

20 Berichte der Bauberater 2012

Brienzerseegemeinden Christina Thöni-Kaufmann, Planerin, Brienz

Nach einem abwechslungsreichen Bauberaterjahr ist es wiederum Zeit, eines der Bauprojekte näher zu beschreiben. Ich habe mich für das momentan grösste Projekt am Brienzersee entschieden: In Oberried sollen anstelle der Feuerwerkskörperfabrik nun Ferienwohnungen entstehen.

Projektzoom Resort Brienzersee – Areal Hamberger, Oberried Kurz vor Redaktionsschluss, am 23. November 2012, wurde in Oberried die Überbauungsordnung für das geplante Ferienresort vom Souverän mit deut- lichem Mehr genehmigt und somit ein weiterer Schritt in Richtung der Reali- sierung gemacht. Bis 2015 sollen auf dem heutigen Areal der Hamberger AG total 145 Ferienwohnungen entstehen. Daneben sind auch Läden, Restaurants und ein Schwimmbad geplant.

Der vorliegende Überbauungsplan ist aufgrund eines Projektwettbewerbes entstanden. Die geplante Bebauung erscheint dem Gelände und der land- schaftlich einmaligen Lage angepasst und funktionell.

Die in den Überbauungsvorschriften umschriebenen baulichen und gestalte- rischen Grundsätze sind aus Sicht des UTB realistisch und verträglich.

Die meisten der 19 Baufelder sind entlang der Staatsstrasse angeordnet, die- nen als Lärmschutzriegel und konzentrieren die Baumasse am Rande der Par- zelle, so dass gegen den See eine maximale Freifläche erhalten bleibt. 12 Bau- felder liegen im nördlichen Teil des Geländes, 3 Baufelder im Westen, weitere 3 Baufelder im Osten des Grundstücks näher zum Seeufer, dazu auch das Schwimmbad. Die Moos-Pinte, das heutige Verwaltungsgebäude der Hamber- ger AG, die «Säge» direkt am Seeufer und andere bestehende Gebäude sollen erhalten bleiben.

21 Mitwirkung UTB Die Bauberatung des UTB hat im Rahmen des öffentlichen Mitwirkungsverfah- rens «Überbauungsordnung mit Änderung Uferschutzplanung Nr. 1 Moos» und des Baureglements im Februar dieses Jahres eine Stellungnahme verfasst und eingereicht.

Die darin umschriebenen Anmerkungen, Fragen oder Feststellungen wurden durch das Planungsteam entgegengenommen und beantwortet, respektive in die UeO eingearbeitet. Wichtigste Anliegen waren die Sicherstellung eines durchgehenden Uferweges, der möglichst freie öffentliche Zugang zum Areal und der Verzicht auf eine Lärmschutzwand entlang der Staatsstrasse.

Durchgehender Uferweg Ein überaus positiver Aspekt einer Umnutzung des Areals ist, aus Sicht des Uferschutzverbandes Thuner- und Brienzersee, die öffentliche Zugänglichkeit und ein durchgehender und abwechslungsreicher Uferweg.

Ebenfalls sollen die vorgesehenen Restaurants in der Säge am See und in der Moos-Pinte öffentlich werden. Auch Ufer-Wanderer werden neu das Areal beleben und geniessen können.

Materialisierung/Gestaltung/Farbgebung Aufgrund der Bedeutung eines Bauvorhabens für den Ort und auch für die gesamte Landschaft des Brienzersees hat der UTB ein Mitspracherecht in Be- zug auf die Gestaltung, Materialisierung und die Farbgebung bei den weiteren Verhandlungsschritten gewünscht.

22 Dazu wurde die Bauberatung schon durch die Planungsbeauftragten an einem Gespräch genauer informiert und Gestaltungdetails wurden dargelegt und erläutert. Als Hauptbauelemente sind Holz, Glas, helle Fassadenflächen und Sockelbereiche aus Naturstein vorgesehen.

Erschliessung Die Erschliessung des Areals erfolgt über die heutige Zufahrt, die geringfügig ausgeweitet wird. Die Parkierung der Fahrzeuge ist in einer Einstellhalle vorge- sehen und die arealinternen Fahrten werden auf das Notwendigste beschränkt. Zu Fuss ist das Resort über den neuen Uferweg erreichbar, und ein dichtes Fusswegnetz verbindet die einzelnen Gebäude miteinander.

Naturinventar und Lärmgutachten Aufgrund der Mitwirkungseingabe von Pro Natura wurde ein Naturinventar erstellt, welches die Grundlage für Massnahmen zum Schutz seltener Tier- und Pflanzenarten schafft und zum Erhalt von wertvollen Lebensräumen dient. In einem Lärmgutachten wird zudem festgehalten, dass die vorgegebenen Grenzwerte trotz Staatsstrasse und Eisenbahn eingehalten werden.

23 Weiteres Vorgehen Mit der genehmigten Überbauungsordnung ist für das Resort Brienzersee ein wichtiger Schritt gemacht. Damit mit den ersten Bauarbeiten begonnen wer- den kann, müssen allerdings 55 Wohnungen verkauft sein. Gemäss Presse- berichten sind momentan 8 Wohnungen reserviert. Die Wohnungen sind ge- mäss den Überbauungsvorschriften zu bewirtschaften.

Als nächste Planungsetappe steht das Baubewilligungsverfahren an. Wenn al- les nach den Vorstellungen der Investoren läuft, steht das Resort Brienzersee in drei Jahren.

24 - - - nicht einseh nicht erledigt bar, erledigt erledigt erledigt pendent Bericht an Regierungs statthalter, erledigt Hinweis von Nachbar er halten. Nicht geprüft Status erledigt 19.12.2011 6.8.2012 20.2.2012 19.11.2012 29.10.2012 25.6.2012 1.10.2012 22.10.2012 Datum 27.12.2011 -

2 .

2 durch Sonnen-Flachkollektoren m 15 2 Neubau von 2 Einfamilienhäuser am Wyngarteweg am Einfamilienhäuser Neubau 2 von und 12 10 Umbau und Sanierung Wohnhaus an der Dorfstras- se Dorfstrasse Därligen (Du Lac). Einsprache von der vorhanden Denkmalpflege Dorfstrasse räume, Umgestaltung Höhlenmuseum mit neuem Eingansbereich Abbruch der bestehenden Scheune und Siloplatte Silos, drei Jauchgrube, mit Neubau von; Mistplatz und Zufahrt zu Jauchgrube struktion m 75 Sanierung Gebäudehülle, Renovation Innen- Neubau thermische Metallkon Solaranlage auf Beschrieb Überdachung bestehende Lagerbox mit Balmholz Tonnendach, Ersatz der bestehenden Schwimmbadkollektoren 35 m Neubau 2 EFH Umbau und Sanierung Wohnhaus Neubau Appartmenthaus Neubau AppartmenthausNeubau mit Garagenunterbau, Appartmenthaus Projektänderung Neubau Appartmenthaus an der Abbruch Scheune, Neubau Jauchgrube, Silos Mistplatz und Sanierung Gebäudehülle Gebäudehülle Sanierung Beatushöhlen Solaranlage Steckbrunnen Projekt Überdachung bestehende Lagerbox Schwimmbadkollektoren auf Dach Därligen Därligen Därligen Därligen Beatenberg Beatenberg/ Sundlauenen Beatenberg Gemeinde/Ort Beatenberg Beatenberg/ Sundlauenen ova ova ova ova ova ova ova Bauberater ova ova

25 Status erledigtiO, erledigtiO, erledigtiO, erledigtiO, pendent nicht behandelt nicht behandelt erledigt VORSICHT erledigt nicht behandelt Datum 26.12.2011 27.7.2012 3.8.2012 1.10.2012 26.11.2012 28.11.2011 12.12.2011 12.12.2011 16.1.2012 30.4.2012 -

Beschrieb Neubau Stahlkonstruktion für Storenanlage, Zone Uferschutzplan 4. Alte Nr. Sagi Umnutzung Fabrikgebäude mit Abstellräumen zu 2 Wohnungen Neubau MFH mit Einstellhalle Pfaffenacher im Neubau von 6 Doppeleinfamilienhäusern an der Dorfstrasse mit Einstellhalle Neubau von 2 Mehrfamilienhäusern an der Dorfstrasse. Überschreitung der Gebäudehöhe. an der Seestrasse 64 Neubau DRFH am Höhenweg Einigen Genehmigung der geringfügigen Änderung Ufer schutzplan 8 Einigen Nr. – Tellergut West. Projektstudie Haus am See. Bauprojekt nicht einge- reicht worden Erweiterung der Wellness-Anlage, see- Erneuerung Terrasse, der Erweiterung seitiger und OG. Balkone 2. UeO im 1. Belvedere 39, Schachenstrasse Sanierung Wohnhaus mit Abbruch und Neubau Anbau. Einbau Lukarne, Abbruch und Neubau Garage, Neubau Bade und Anlegesteg. Ausnahme ausserhalb der Bauzone Projekt Neubau Stahlkonstruktion mit Neubau mit Stahlkonstruktion Sonnenstore Umnutzung und Umbau Fabrikgebäude Neubau MFH Neubau 6 EFH Neubau 2 MFH Neubau MFH Seestrasse 64Neubau DRFH Einigen Abbruch bestehendens EFH und Neubau MFH Uferschutzplan 8 Einigen Nr. Haus am See Belvedere Hotel Erweiterungen Sanierung Wohnaus Dorfstrasse Einigen Gemeinde/Ort Leissigen Leissigen Leissigen Leissigen Leissigen Spiez Spiez/Einigen Spiez/Einigen Spiez/Einigen Spiez Spiez/Einigen Bauberater ova ova ova ova ova ova ova ova ova ova ova

26 erledigt nicht behandelt wird neu aufgelegt erledigt erledigt erledigt erledigt erledigt pendent pendent 21.5.2012 4.6.2012 11.6.2012 18.6.2012 16.1.2012 10.9.2012 17.9.2012 29.10.2012 12.11.2012 12.11.2012 Abbruch Restaurant und Neubau Tenne Mehr- familienhaus am Dorfgässli 2 Faulensee. technischer Gebäudehüllensanierung, Spiez 26 Schachenstrasse Neubau öffentliche Erschliessungsstrasse Gwatt- zentrum Einigen mit Brücke über Kanal; Neubau Beleuchtung. Standort Uferschutzzone Nr.10 Anbau Balkon an Nordwest- und Südostfassade Hotel Restaurant Seerose. (Material und Farbe wie bestehende Balkone) Erweiterung der Wellness-Anlage, Erweiterung der Terrasse, Erneuerung seeseitiger und Balkone im 1. OG.2. UeO Schachenstrasse Belvedere 39, Spa Ausbau Zelthäuser. 3 aller Fassadensanierung und Wellness und Therapieräume zu Hotelneubau. Solarnutzungvon Hüllenflächen Kollektorenmit Neubau EFH Seeweidweg Faulensee Oberlandstrasse.der Erstellung Vordach über Kellertreppe. Balkonverglasung im OG und neuer Balkon im DG auf der Westseite des bestehenden Strandhauses Abbruch Restaurant und Tenne Neubau MFH Umbau mit Aufstockung EFH Umbau und Aufstockung EFH mit wärme- Neubau öffentliche Erschlies- sungsstrasse Gwattzentrum Hotel Restaurant Seerose, Anbau Balkon Belvedere Hotel Erweiterungen Zelthäuser Fassadensanierung Gwatt Zentrum Neubau EFH Neubau 2 MFH Oberlandstrasse Abbruch MFH bestehend und Neubau 2 MFH an Verglasung Balkon, Riedweg 4 Verglasung des bestehenden Süd-Westbalkons und Manorfarm Balkonverglasung Spiez /Faulensee Spiez Spiez/Einigen Spiez /Faulensee Spiez Spiez Spiez /Faulensee Spiez Spiez /Faulensee Unterseen ova ova ova ova ova ova ova ova ova ova

27 - Status Gespräch mit Bauverwal tung. Ohne erledigtFB, STNA, Forderung Baugesuch, erledigt Einsprache, erledigt STNA via Heimatschutz, erledigt STNA, erledigt 1 STNA = 22.05.2012 STNA2. = 03.09.2012 erledigt Datum 18.1.2012 31.5.2012 7.5.2012 22.5.2012 7.6.2012 7.5.2012 10.9.2012 - Beschrieb Aufbau eines WH auf Grundmauern ehemaliges ehemaliges Grundmauern WH auf eines Aufbau Fabrikgebäude und neue Erschliessung mit erhal- tenswertem bestehenden selben der Gebäude auf Parzelle offeneAnbau Unterstände/ 2 Terrainanpassungen, Nutzungsanpassugnen; Fassadenveränderungen, Baugesuchkein vorgelegt Aufbau Lukarnen und Balkone, Fassadenveränderungen Einkleidung verputzte Brüstung mit Eternitplatten, Anfrage Farbgestaltung und Fassadenveränderungen mit Umbau Anbauten Balkone und Erschliessungselement Ersatzneubau maximaler mit Wohnhaus Parzellen ausnutzung auf Gebäudelinien best. Gebäude Änderung Uferschutzvorschriften Projekt ZPP für Hauptstrasse 118/120 - - - Projekt Voranfrage: Umbau/Erweiterung/Umnut zung Fabrikgebäude zu WH, Hauptstrasse 118/120 Einsicht: Umnutzung Gewerbe- 7 Seestrasse gebäude, Umbau/Erweiterung Baugesuch: Wohn- und Gewerbehaus, Seestrasse 9 Voranfrage: Sanierung Terras plan Sektor C Voranfrage: Umbau WH, Hauptstrasse 86, Uferschutzplan Sektor B Baugesuch: Ersatzneubau best. WH, Hauptstrasse 40, Ufer- schutzplan Sektor A Änderung USP (Teilrevision) senbrüstung Tea-Room Walz, Uferschutz Hauptstrasse 102, Gemeinde/Ort Brienz Brienz Brienz Brienz Brienz Brienz Brienz Bauberater ct ct ct ct ct ct ct

28 STNA, pendent STNA, erledigt pendent STNA, erledigt STNA, erledigt STNA, erledigt STNA, erledigt pendent Einsprache, Verfahren nicht abge- schlossen 9.9.2012 27.9.2012 20.11.2012 13.2.2012 7.3.2012 20.9.2012 15.10.2012 17.11.2012 4.4.2012 - - - Umbau mit Fassadenveränderungen, Anbauten Anbauten Fassadenveränderungen, mit Umbau Balkone und Nebenräume an erhaltenswertes Objekt. Nutzung neu als Ferienwohnungen Einbau Fenster und Türen anstelle Industrietore Aufbau eines WH auf Grundmauern ehemaliges ehemaliges Grundmauern WH auf eines Aufbau Fabrikgebäude und neue Erschliessung mit erhaltenswertem bestehenden der Gebäude auf selben Parzelle öffentliches Mitwirkungsverfahren Überbauungs «Areal Hamberger»ordnung Änderung mit Ufer schutzplan «Moos» 1, und Baureglement Nr. Renovation ohne Änderung Fenstergrössen ohne Renovation Sanierung und Umbau bestehendes Wohnhaus, Anbau Zimmer und unterirdischer Kellerraum nordseitig, Einbau Wärmepumpe, Erstellen 2 Auto- abstellplätze Anbau überdeckter Kellerraum, Einbau integrierte Solaranlage auf bestehendem Dach Neubau Doppelgarage im Obergeschoss und 1.5 Zimmerwohnung im Untergeschoss, Neubau 2 neue UmgebungsgestaltungVelounterstände, erneutes Baugesuch der immer noch hängigen Nebenan mit Bauüberschreitungen Wohnhaus an Umgebungsgestaltungen und lagen - - - Voranfrage: Umbau/Erwei terung Objekt Ländteweg 3, Uferschutzplan Sektor 2 Baugesuch: Projektänderungen Baugesuch: 9 Seestr. Umbau/ErweiBaugesuch: terung /Umnutzung Fabrik- gebäude zu WH, Hauptstrasse 118 / 120 Mitwirkung ÜO: Projekt Areal Moos Hamberger, Anfrage: Fensterrenovation, Fensterrenovation, Anfrage: Parz. Urisbalmweg 69, Baugesuch: Umbau / Sanierung + Anbau Wohnhaus, See- mattenweg 23, Uferschutzplan Zone A Baugesuch: Anbau Wohnhaus, Ursisbalmweg 28, Uferschutzplan Baugesuch: Neubau Doppel- garage + Wohnung, Schoren- Uferschutzplan strasse 18, Projektänderungen Baugesuch: UmgebungsgestalWohnhaus, tung, Nebenanlagen, Eyenweg 828, Uferschutzplan Zone C Brienz Brienz Brienz Oberried Niederried Niederried Niederried Niederried Ringgenberg ct ct ct ct ct ct ct ct ct

29 - Status pendent Mail STNA, erledigt STNA, erledigt Einsprache, Verfahren nicht abge- schlossen STNA, erledigt erledigt FaBer, Auf lagen und Bedingungen, pendent Datum 23.1.2012 14.2.2012 17.4.2012 9.1.2012 16.7.2012 2.8.2012 30.10.2012 - - Beschrieb 11. Sitzung Arbeitsgruppe 11. bestehen in Seniorenzimmern 2 von Vergrössern Veränderungen. relevanten Keine Volumen. dem öffentliches Mitwirkungsverfahren Überbauungs Bönigen Parkhotel ordnung Abbruch eines bestehenden Gartenrestaurant- Unterstands einseitig offen. Neubau eines Garten- restaurants mit 30 Sitzplätzen Umnutzung bestehendes Lagergebäude in eine Zimmer1.5 Wohnung Keine Einsicht von See da hinter Häuserreihe her, an Seestrasse. Keine schriftliche Stellungnahme verfasst, nur mündliche Absprache mit RSA. erscheinen massvoll Massnahmen baulichen Die und verträglich. Als Ersatz für einen bereits früher gefällten Hofbaum wird eine Ersatzpflanzung beantragt. In Zusammenhang mit der Uferschutz- planung wird die Sicherstellung des Uferweges verlangt.» - - - - Projekt Arbeitsgruppe: Uferschutzpla nung Erweiterung Baugesuch: Seniorenzimmer Hotel Schlössli, Seestrasse 34, Uferschutzplan Mitwirkung ÜO: Bönigen Projekt Parkhotel Baugesuch Abbruch und Ersatz Erweiterung Gartenrestaumit rant, Im Feld 17a, Uferschutz-rant, Im Feld 17a, plan Sektor C» enhaus mit Aussenparkplätzen, Im Feld, Hotelzone SFG» wirtschaftsbetrieb, Lanzena 30, Interlaken, Landwirtschaftszone, Uferschutzzone U1» Voranfrage Umnutzung best. Lagergebäude, im Mätteli 27, SFG Zone Sektor A1 Baugesuch Neubau Mehrfamili Erweiterung Land«Baugesuch Gemeinde/Ort Bönigen Bönigen Bönigen Iseltwald Iseltwald Interlaken Bauberater ct ct ct ct ct ct fu

30 - - STNA, weitere Planungs schritte erforderlich, pendent FaBer, Auf lagen und Anpassungen, pendent FaBer, Auflagen, pendent STNA FaBer erledigt FaBer, sämtliche Fachstellen eine lehnen Wand gem. Voranfrage pendent ab, 19.9.2012 23.8.2012 4.10.2012 1.5.2012 25.10.2012 27.8.2012 - - Begehung Projektvorstellung. mit Problematisches Land Erscheinungsbild, Gebäudevolumen und schaftsverträglichkeit vertieft muss geprüft werden, UeO erforderlich. einer Ausarbeitung Kritik an Zerstörung der Trockenmauer entlang der Seestrasse und der dominanten Erscheinung des Sockelgeschosses. Forderung detailliertem nach Umgebungsgestal tungsplan mit Hinweis auf eine landschaftsverträg- Gesamterscheinung. liche Voranfrage Baugesuch gestalterische Aufwertung, Einwendungen keine Gemäss USP ist eine seeseitige Wegführung vor- gesehen. Einfriedungen über m werden 1.20 nur befürwortet, wenn der Uferweg rechtlich sicherge- stellt ist. Die Gestaltung des Uferstreifens müsste werden. aufgezeigt ebenfalls - - Voranfrage Abbruch und Wiederaufbau Hotel Du Lac Merligen, Hotelzone und Ufer- schutzzone A hauses, Seestrasse 195, Merligen, Wohnzone nach SFG Baugesuch: Neubau EFH anstelle eines bewilligten Zweifamilien Baugesuch: Abbruch best. Wohnhaus und Neubau von 2 MFH, Fällen von geschützten Bäumen, Oberländerweg 42, Merligen Voranfrage und Baugesuch Umbau Haus Rebmann, Stock- Erhaltungs Merligen, strasse 4, zone A nach SFG Voranfrage Erstellen einer Lärmschutzwand entlang der Kantonsstrasse, Seestrasse 22, Gunten, Uferschutzzone A und Erhaltungszone B nach SFG Sigriswil Sigriswil Sigriswil Sigriswil Sigriswil fu fu fu fu fu

31 Status FaBer, Anträge und Forderungen, pendnet FaBer, Auflagen, pendent erledigt Datum 9.11.2012 28.8.2012 27.9.2012 - Beschrieb In der Voranfrage wird das Erscheinungsbild heftig kritisiert. Im Baugesuch wird die Kritik teilweise be- rücksichtigt, als Forderung UTB bleiben Anträge zu detaillierterer gestalterischen und Verbesserungen Umge verbindlicher sowie ein Materialisierung bungsgestaltungsplan. Zum Bauvorhaben wurde bereits im Rahmen einer Voranfrage Stellung bezogen. Die Bedenken richten sich gegen eine zu helle und flächenhafteFassa- dengestaltung. Auf eine Lärmschutzwand aus Glas ist zu verzichten. Anfrage eines Nachbarn Nichteinhalten betr. von Bauvorschriften. UTB verzichtet auf eine Eingabe, da er im ersten Baubewilligungsverfahren nicht beteiligt war. Projekt Voranfrage + Baugesuch mit Neubau Wohnüberbauung 4 MFH, Herzogenacker, Gunten, UeO Herzogenacker Baugesuch Abbruch best. Wohnhaus, Neubau MFH, Um- gebungsgestaltung, Schoren 21, Oberhofen, Erhaltungszone, USP Ost Schoren Baugesuch (nachträglich) Überbauung Rufelistrasse Rufeli, 13, Thun Gemeinde/Ort Sigriswil Oberhofen Thun Bauberater fu fu fu

32 Zu den weiteren Beiträgen

Wie schon in den vorigen Jahrbüchern hat sich das Redaktionsteam wieder ein Hauptthema ausgesucht, nämlich Wege, räumliche, zu Land und zu Wasser, und solche im übertragenen Sinne, Lebenswege.

Auf alten Handels-, Kirch- und Alpwegen, von Schiffern und Flössern werden Sie durch viele hundert Jahre Oberländer Geschichte geführt – und darüber hinaus in die grosse, weite Welt. Auf Spaziergängen und Wanderungen rund um Thuner- und Brienzersee können Sie 25 verschiedene Weidenarten kennen lernen und den einzigen Singvogel, der tauchen kann. Geologen und Höhlen- forscher nehmen Sie mit auf die Suche nach den Spuren eines längst ver- schwundenen Gletschers.

Und mit dem Künstlerinnen-Portrait entführen wir Sie in diesem Jahr auf die Bretter, die die Welt bedeuten, mischen uns unter die Mimen, Gaukler und Verwandlungskünstler und verlassen für Momente den Weg des Alltäglichen.

33 34 Anita Knecht

Projekt «Treffpunkt Pilgerweg»

Das Pilgern erlebte in den letzten Jahrzehnten einen massiven Aufschwung. Die Anzahl der Pilgernden steigt seit vielen Jahren in regelmässigen Abständen an. 2011 haben sich 183 500 Pilger in Santiago de Compostela registrieren lassen. Alleine in der Schweiz sind jährlich ca. 10 000 Pilger unterwegs.

Ein landschaftlich besonders attraktives Teilstück des Pilgerweges bildet die Region Thuner- und Brienzersee. Der Weg ist zwar gut unterhalten, trotzdem besteht Handlungsbedarf: Viele Begleitmauern am Weg zerfallen, standort- fremde Pflanzen verdrängen zunehmend die einheimische Flora, Trocken- standorte wachsen zu, der Blick auf See und Bergpanorama wird durch auf- kommende Gehölze versperrt. Um die Natur- und Kulturwerte zu erhalten, sind deshalb Pflegeeingriffe nötig. Aus diesem Grund wurde das Projekt

Ralligen – Situation vor dem Einsatz

35 «Treffpunkt Pilgerweg» im Jahre 2006 (Trägerschaft: Verein Thunersee- Hohgant) ins Leben gerufen. Nachdem der Verein im Frühjahr 2012 aufgelöst worden war, hat der UTB die Trägerschaft dieses Projektes übernommen.

Ziele Mit dem «Treffpunkt Pilgerweg» verfolgt der UTB hauptsächlich drei Ziele:

– Werte erhalten und entwickeln: Den Erholungswert des Pilgerweges sowie die Natur- und Kulturwerte erhalten und entwickeln. Das Wegstück entlang des Thuner- und Brienzersees wird zu einem der schönsten Abschnitte des historischen Pilgerweges. Den Pilgern bleibt dieses Stück in guter Erinne- rung, so dass sie wieder zu Besuch kommen.

– Sinnstiftend arbeiten: Anlässlich von Freiwilligeneinsätzen am Pilgerweg be- gegnen sich Jung und Alt aus verschiedenen Regionen und Ländern, sie machen neue Erfahrungen und identifizieren sich über ihr Werk mit der Region.

– Regionale Wertschöpfung fördern: Die Freiwilligen übernachten vor Ort, kaufen Ihre Verpflegung in Dorfläden ein und benutzen den öV. Bau- materialien und -dienstleistungen werden wenn möglich vom lokalen Ge- werbe bezogen.

Massnahmen Das Projekt besteht aus einer Vielzahl von Massnahmen wie: Trockenmauern, Plätze und historische Bauten sanieren sowie Waldränder, Baumreihen, Hecken und Weiden pflegen. Die Massnahmen werden vorgängig mit den Grundeigentümern besprochen und konkretisiert. Begleitet werden die sinn- stiftenden und lehrreichen Einsätze von Fachleuten wie Förstern, Wegmeistern und Trockenmauerspezialisten. Fachtechnisch schwierige Arbeiten werden von Profis ausgeführt. Von 2006 bis 2012 wurden insgesamt 42 Massnahmen um- gesetzt.

Unter der Trägerschaft des UTB wurden dieses Jahr zwei zerfallene Trocken- mauern (beim Gut Ralligen, Merligen und beim Widmannsplatz, Sundlauenen) neu aufgebaut. Zusätzlich ist die Lucktreppe, Sundlauenen, mitsamt der Brüs- tungsmauer und Mauerkrone professionell saniert worden.

36 Situation nach dem Einsatz – wunderschöne Trockenmauer in hervorragender Qualität

Ausblick Bis jetzt beschränkten sich die Massnahmen auf die Strecke zwischen Neuhaus und Hilterfingen. Neu wurden diesen Sommer auch Massnahmen zwischen Brienz und Interlaken in den Massnahmenkatalog aufgenommen. Für diesen Abschnitt werden neue Gesuche an potenzielle Finanzgeber eingereicht.

Finanzierung Bis jetzt wurde das Projekt von Bund, Kanton, Gemeinden, Fonds Landschaft Schweiz, Lotteriefonds des Kantons Bern, Regionalkonferenz Oberland-Ost, Sophie und Karl Binding Stiftung, Dr. Bertold Suhner-Stiftung, Schweizerische Stiftung Pro Patria, Balmholz AG, Beatushöhlen-Genossenschaft und weiteren Gönnern unterstützt. Die Finanzierung des langfristig ausgelegten Projektes ist jedoch noch nicht gesichert. Jeder Beitrag ist willkommen!

Der UTB freut sich, mit diesem Projekt beizutragen, dass konkrete Taten zu- gunsten der Natur- und Kulturlandschaft umgesetzt werden.

37 Teilnehmende von Workcamp aus Ungarn, Deutschland, Polen, Japan, Frankreich, Spanien, Korea und Russland

Fotos: Anita Knecht

38 Peter E. Zingg

Naturschutzgebiet Weissenau-Neuhaus

Im Mai führte ich eine Exkursion für eine Schülergruppe aus Habkern durch und Ende Juli, zusammen mit Anita Knecht, konnten wir auf Anfrage eine Weissenau-Exkursion für den Sierra Club California, eine der grössten Umwelt- organisationen in den USA, durchführen.

Pflegeeinsätze Ein Exemplar des Japanknöterichs (invasiver Neophyt) zeigte sich im Juli un- mittelbar hinter der Fahrverbotstafel beim Eingang ins Naturschutzgebiet Weissenau (Seite Bermudawiese). Ruedi Wyss machte dem Eindringling in der Folge den Garaus.

Zum Schutz des Schilfs wird das Schwemmholz regelmässig entfernt. (Foto: Peter Zingg)

39 Erfreulicherweise melden sich alljährlich Freiwillige für Pflegeeinsätze in der Weissenau, so dass nebst der institutionalisierten Uferputzete jeweils am letz- ten Samstag im Februar, auch im Berichtsjahr wiederum mehrere zusätzliche Einsätze durchgeführt werden konnten (vgl. Tabelle). Koordination und Lei- tung erfolgten durch den Gebietsbetreuer Ruedi Wyss der Abteilung Natur- förderung des kantonalen Amtes für Landwirtschaft & Natur. Der Golfclub Interlaken-Unterseen stellte, wie in den vergangenen Jahren, die notwendigen Geräte zur Verfügung. Herzlichen Dank an alle für Ihren Beitrag.

Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Arbeiten unter Leitung der Abtei- lung Naturförderung zusammen:

Zeitpunkt ausgeführte Arbeiten Zweck, Ziel Leitung Mitbeteiligte

Januar Sicherheitsholzerei: Sicherheit für Wegbe- Ruedi Förster, 5 Pappeln entfernt, 4 Aren nutzer gewährleisten. Wyss Golfplatz- Flachmoor entbuscht Erhaltung Flachmoor- angestellte vegetation

Januar – Mitarbeit beim Erneuern Amphibien-Ersatz- IC Infra- Seematter AG, Februar des Amphibien-/Seerosen- lebensraum für die Be- consult R. Wyss (ANF), teiches einträchtigungen durch B. Lüscher die Seeregulierung (KARCH), UTB

Februar Jährliche «Uferputzete»: Schilfrückgang eindäm- Ruedi UTB- 2 m3 Schwemmholz und men bzw. verhindern, Wyss Mitglieder, 0.3 m3 Kehricht aus dem Kehricht beseitigen Fischer, Jäger, Schilfgürtel und Schilf- Hardermanne schutzzaun zusammenge- und weitere tragen und weggeräumt freiwillige Helfer April Schwemmholz und 200 Schilfrückgang eindäm- Ruedi Schulklasse Liter Kehricht entfernt men bzw. verhindern, Wyss Kehricht beseitigen

Ende Juni 160 Aren mit Goldruten- Neophytenausdehnung Ruedi bewuchs vor dem Blühen eindämmen Wyss gemäht August 460 kg Goldruten ausge- Neophytenausdehnung Ruedi 30 Personen rissen eindämmen Wyss der Swisscom August Goldruten und Buddleja Neophytenausdehnung Andraes Freiwilligen- (Sommerflieder) ausge- eindämmen Fuchs, einsatz der rissen Peter Odd Fellows Zingg Interlaken Schwemmholz und Schilfrückgang eindäm- Ruedi Pfadfinder Kehricht einsammeln men bzw. verhindern, Wyss Interlaken Kehricht beseitigen

40 Neues Totholz nach dem Sturm im August (Foto: Peter Zingg)

Unter «besondere Witterungsereignisse» ist der Sturm Mitte August zu er- wähnen. Am Uferweg wurde der Weg durch umstürzende Bäume bzw. herausgerissene Wurzelteller an mehreren Stellen aufgerissen. Der Werkhof Unterseen reparierte den Weg rasch. Eine Eiche in der Nähe des Hide trotzte dem Sturm, geriet aber dennoch in Schräglage und der gekippte Wurzelteller hinterliess am Wegrand einen Aufriss. Ob sich der Baum halten kann, wird die Zukunft zeigen. Auf der Strecke des langen Stegstückes wurden die Stämme einer Schwarzpappel und Birke auf unterem Drittel gebrochen. Das stehende Totholz wird zukünftig Insekten, Vögeln und vielleicht auch Fledermäusen in der einen oder anderen Form dienlich sein. Auch das übrige ins Schutzgebiet gestürzte Sturmholz bleibt dort liegen und wird dem natürlichen Abbau über- lassen. Solche Sturmereignisse produzieren jeweils Fallholz, das durch Bäche in den Thunersee gelangt und mit den vorherrschenden Westwinden später ans obere Seeende zur Weissenau getrieben wird. Auch dieses Jahr lagerten sich deshalb beachtliche Mengen Schwemmholz im Uferbereich der Weissenau ab.

41 Der Seerosenteich kurz nach Fertigstellung der Arbeiten Mitte Februar (Foto: Peter Zingg)

Informationsaustausch Am 8. November fand die sechste Weissenaukonferenz statt. Die Weissenau- konferenz kam seinerzeit zustande, um Konflikte zwischen den Anliegen des Golf Clubs und dem «Naturschutz» konstruktiv lösen zu können. Mit der letz- ten Renaturierungsetappe des Golfplatzes (Bermudawiese) konnte auch der das Schutzgebiet spangenförmig umfassende Wassergraben, mit beidseitigem Einlauf in den See, vollendet werden. Dies schien nun den Wasserabfluss aus dem Golfplatzareal zu verbessern, womit ein wichtiger Streitpunkt entschärft wurde. Die gute Zusammenarbeit zwischen dem kantonalen Gebietsbetreuer Ruedi Wyss und den Verantwortlichen des Golfplatzes verbesserte die Situati- on zusätzlich, so dass das Interesse an der Weissenaukonferenz merkbar nach- gelassen hat. Da keine grösseren anstehenden Probleme in Aussicht sind, wurde beschlossen, sich ab kommendem Jahr, jeweils im November, nur noch in kleinem Kreis zu treffen. Dieses Treffen wird dann im Stil einer Unterhalts- sitzung, ev. mit vorgängiger Begehung im Gelände stattfinden.

42 Der Seerosenteich am 10. März (Foto: Peter Zingg)

Seerosenteich Die Ausbaggerung und Vergrösserung des stark verlandeten Seerosenteichs (auch Ritschard-Weiher genannt) als Ersatz für die Seeregulierung (uner- wünschte Reduktion von Fläche und Tiefe der Amphibienlaichgewässer durch Absenkungen in Hochwasser-Risikosituationen) wurde nun im Winter 2011/12 durchgeführt. Bereits im Sommer 2012 gab es wieder blühende Seerosen, und Amphibien hatten sich auch eingefunden. Der Teich soll mindestens alle 4 Jahre (anlässlich der ausserordentlichen Seeabsenkungen im Winter) trocken gelegt werden. Dies erfolgt über einen seeseitig eingebauten Schieber. Da- durch kann das Fischereiinspektorat allfällig vorhandene Fische ausfischen. Raubfische, wie z.B. Hechte, im Teich fressen die Kaulquappen der Amphibien. Je nach Entwicklung (Zuwachsen) muss der Teich ungefähr nach zehn Jahren wieder komplett ausgebaggert werden.

43 Konflikte zwischen nutzen und schützen In der Weissenau ist der Konflikt zwischen den Schutzinteressen und den Be- dürfnissen der Menschen (Freizeit, Erholung) nichts Neues. Eine besondere Kumulierung von «Begegnungen» erlebte ich allerdings am 10. März 2012 als ich eine Frau, weit vom Weg entfernt, im Schilf Holzstücke für Bastelzwecke sammeln sah, eine Familie mit Kindern am Ufer im Schutzgebiet am Picknicken sichtete und die Jungwacht sich im Abseilen von der archäologisch geschütz- ten Ruine Weissenau übte. Selbstverständlich gaben sich alle unwissend bezüglich der Schutzbestimmungen.

44 Hans Fritschi

Wasservogelzählungen vom Thuner- und Brienzersee vom November 2011 und vom Januar 2012

Die bewährten Teams an Thunersee, Bödeli-Aare und Brienzersee wurden auch bei den beiden letzten Wasservogelzählungen der Schweizerischen Vo- gelwarte Sempach durch neue Zählerinnen und Zähler verstärkt. Allen sei für ihren Einsatz herzlich gedankt.

Die Ergebnisse

1. Thunersee 12.11.2011 14.1.2012 Haubentaucher 82 99 Schwarzhalstaucher 7 27 Zwergtaucher 46 67 Kormoran 12 7 Graureiher 6 5 Weisswangengans 2 2 Rostgans 0 1 Höckerschwan 75 88 Stockente 710 1000 Krickente 0 30 Schnatterente 1 9 Kolbenente 7 8 Tafelente 162 143 Reiherente 254 335 Büffelkopfente 1 1 Schellente 3 34 Gänsesäger 28 41 Teichhuhn 2 8 Blässhuhn 613 668 Steppenmöwe 0 2 Lachmöwe 749 1406 Sturmmöwe 0 8

45 Mittelmeermöwe 32 35 Eisvogel 3 0 Bergstelze 16 14 Wasseramsel 31 21

Gefangenschaftsflüchtlinge und Fremdlinge Mandarinente 4 0 Hausgans 2 2 Hausente 1 3

2. Brienzersee 12.11.2011 14.1.2012 Haubentaucher 16 30 Schwarzhalstaucher 1 2 Zwergtaucher 10 16 Prachttaucher 1 0 Höckerschwan 11 15 Stockente 181 205 Kolbenente 1 2 Tafelente 6 9 Schellente 0 2 Reiherente 39 45 Gänsesäger 1 10 Blässhuhn 105 111 Lachmöwe 150 153 Mittelmeermöwe 10 10 Sturmmöwe 0 4 Bergstelze 3 1 Wasseramsel 4 4

Gefangenschaftsflüchtlinge und Fremdlinge Hausente 4 6

46 Hans Fritschi

Ornithologische Höhepunkte an Brienzersee und Aare

Ein Prachtskerl am Brienzersee Die Wasservogelzählung vom 12. November 2011 brachte eine grosse Über- raschung. Ein paar Tage zuvor hatten mir Ruth und Hans Meyer-Baudenbacher aus dem Stedtli von einem ihnen unbekannten Vogel berichtet, den sie auf ihrem Spaziergang in Bönigen beobachtet hatten: Für einen Haubentaucher war er zu gross und zu gedrungen, für einen Kormoran zu grau, auf dem Rücken zu gesprenkelt beziehungsweise zu gestreift.

Das Zählteam «Eisenbahnviadukt Goldswil – Häfeli Bönigen» hatte dann das Glück, den Unbekannten auf der Mole beim «Täggelibock» zu sichten, er tauchte in der Bucht vor dem Sendli intensiv nach Fischen: Vor uns hatten wir einen Prachttaucher!

Prachttaucher im Jugendkleid (Foto: Ruedi Aeschlimann)

47 Die Statistik der Schweizerischen Vogelwarte Sempach erfasst die Zeit ab 1967, in dieser Periode ist kein Prachttaucher auf dem Brienzersee registriert worden. Auf dem Thunersee sind in dieser Zeit nur einzelne Prachttaucher verzeichnet worden: sieben Mal bei Januar- und zwei Mal bei November-Was- servogelzählungen.

Der Prachttaucher, Gavia arctica, lebt in der wärmeren Jahreszeit auf den Bin- nenseen und an den Küsten Nordeuropas und Nordasiens; er überwintert grösstenteils an den Küsten Mittel- und Südeuropas. Bei uns ist er nur Durch- zügler, er wird vor allem im Spätherbst vereinzelt an Binnengewässern ange- troffen. Er ernährt sich von Fischen.

Ein Notfall in der Goldey Wegen der Abnahme von Prüfungen legte ich meinen täglichen Schulweg vom Steindler nach Interlaken Ost für einmal am frühen Samstagmorgen des 4. Februar 2012 zurück. Die Goldey-Promenade präsentierte sich anders, ruhiger als an Werktagen: kein Gegenverkehr, keine Hunde mit Begleitung.

Kurz nach dem Goldeysteg schreckte ich auf: Meterhoch spritzte das Wasser in Ufernähe auf, war ein Hund oder gar ein Kind ins kalte Wasser gefallen? Zum Glück nicht – eine Trüsche und ein Kormoran waren in grosser Not. Der Vogel versuchte, den gegen 40 Zentimeter langen Fisch aus einer Spalte in der Ufermauer herauszuziehen, was schliesslich auch gelang. Doch nun musste der grosse Fang noch in die zum Verschlingen richtige Position gebracht wer- den, dies jetzt noch unter Beobachtung eines Menschen... Mit Mühe und Not verschlang der Kormoran seine Beute, setzte zum Flug an, was ihm zwei Mal wegen Übergewicht misslang, dann suchte er Richtung Staatsschleuse das Weite.

48 Linus Cadotsch

Die Wasseramsel

Auffällig und doch gut getarnt, ein plumper Vogel und doch ein geschickter Jäger. Man entdeckt ihn vorwiegend an Gebirgsbächen, von Stein zu Stein hüpfend, ins kalte Nass springend oder tauchend. Ja, die Wasseramsel ist der einzige Singvogel, der schwimmen und sogar tauchen kann. Dafür hat sich die Evolution etwas ganz Besonderes ausgedacht.

Der Lombach plätschert in den noch feuchten Morgenstunden dieses Som- mertages. Ich bin beinahe alleine. Einzelne Jogger und Hundespaziergänger treffe ich an. Aber nur wenige Passanten erkennen den emsigen Vogel im Bachbett. Das ungeübte Auge übersieht die Wasseramsel (Cinclus cinclus) zwi- schen Steinen und bewegten Wasserläufen schnell. Und hat man ihn endlich entdeckt, ist es meistens schon zu spät und der Vogel entwischt aus dem Sichtfeld. Wenn man jedoch die Wasseramsel länger beobachten kann, ist es eine Freude, dem Verhalten dieses spannenden Vogels zuzusehen.

Auch bei eisigen Temperaturen findet die Wasseramsel Insektenlarven.

49 Unterschiedliche Jagdstrategien Es ist Morgen, und wie für die meisten Vögel ist dies die eifrigste Zeit der Futtersuche. Am Ufer des Lombachs stöbert die Wasseramsel scheinbar uner- müdlich zwischen Steinchen, immer auf der Suche nach Insekten, sie wühlt in Blätterhaufen oder dreht manchmal jedes einzelne Blatt um. Dieses Verhalten erinnert an Amseln (Turdus merula), die in unseren Gärten auf Futtersuche sind. An Land sucht die Wasseramsel aber eher selten nach Insekten. Meistens sucht sie im feuchten Bachbett nach ihrer Nahrung.

Im flachen Gewässer schwimmt die Wasseramsel. Dabei ist der Kopf unter Wasser, Hinterteil und Schwanzfedern ragen aus dem Wasser. Etwa alle fünf Sekunden hebt sie den Kopf kurz aus dem Wasser und taucht ihn danach gleich wieder unter. Die Strömungsrichtung scheint dabei nicht entscheidend zu sein. Ich beobachte die Wasseramsel, wie sie teils mit dem Strom schwimmt, teils dagegen oder auch seitlich zur Strömung.

Gerade eben keucht mir ein schweissgebadeter Jogger entgegen, von seinen Ohrstöpseln schallt mir Musik entgegen. Seine Gedanken scheinen ganz wo- anders weit weg vom Lombach zu sein. Schade um das Spektakel der Natur, an dem er soeben vorbeigerannt ist.

In tieferen Gewässern wie zum Beispiel bei der Aare auf dem Bödeli zwischen der Aarebrücke beim Bahnhof Interlaken und dem Thunersee taucht die Was- seramsel.

Die Wasseramsel taucht mit einem «Köpfler» unter, bis zum Grund des Flusses, wo sie sich mit den Füssen an Steinen festhält. Manchmal läuft die Wasseram- sel auf dem Bachgrund und sucht so nach Nahrung. Beim Tauchen macht sich die Wasseramsel die Strömung zu Nutze, die ihr Auftrieb oder Abtrieb gibt. Der Tauchgang dauert normalerweise weniger als zehn Sekunden, selten aber auch bis zu dreissig Sekunden. Dabei erreicht die Wasseramsel Tiefen bis zu sechzig Zentimeter, in Ausnahmefällen bis zu sechs Metern!

Wenn die Wasseramsel Futter gefunden hat, taucht sie auf und fliegt mit vollem Schnabel auf einen erhöhten Stein, wo die Nahrung verzehrt wird.

50 Das Tauchverhalten kann man übrigens sehr schön an der Aare von der alten Holzbrücke in Unterseen beim Spital aus beobachten. Mit Geduld und etwas Glück und einem nicht zu hohen Wasserstand während der kälteren Jahreszeit sieht man mehrere Wasseramseln, wie sie über die Aare fliegen, sich kopfüber ins Wasser stürzen und abtauchen. Bei wenig Wasser sieht man die Taucher von der Holzbrücke aus auch gut unter Wasser.

Hoher Energiebedarf und Nahrung Die Wasseramsel braucht vergleichsweise viel Energie. Schliesslich taucht und schwimmt sie im kalten Wasser und muss im Flug eine vergleichsweise grosse Anstrengung vollbringen, ihr beträchtliches Gewicht in der Luft zu halten. Den grossen Energieverbrauch kompensiert sie durch eine ergiebige Nahrungsauf- nahme. Die Wasseramsel verzehrt durchschnittlich knapp 80 Gramm pro Tag, bei einem Körpergewicht von 60 –70 Gramm, also bis zu knapp 130% des Eigengewichtes.

Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Fliegenlarven wie Köcherfliegenlarven (Trichoptera), Eintagsfliegenlarven (Ephemeroptera) und Steinfliegenlarven (Plecoptera). Aber auch Würmer, kleine Schnecken und Fischchen werden von der Wasseramsel verzehrt.

Der Anteil der Nahrung an Insekten liegt zwischen 77% und 88%. Die rest- lichen Beutetiere werden als Ausweich- und Gelegenheitsnahrung betrachtet.

Amsel nicht gleich Amsel Es ist Vormittag geworden. Immer mehr Menschen erscheinen am Lombach. Eine ältere Spaziergängerin spricht mich auf mein Fernglas an, sie möchte wissen, was ich beobachte. Ob dieser Vogel mit der «Gartenamsel» verwandt sei, fragt sie. Der Name trügt. Die Wasseramsel gehört nämlich nicht zur Familie der Drosseln (Turdidae), sondern zur eigenständigen Familie der Wasser- amseln (Cinclidae).

Bis heute ist unsicher, wer die nächsten Verwandten der Wasseramseln sind. In der Literatur finden sich widersprüchliche Angaben. Entweder sind die Dros- seln oder die Zaunkönige (Troglodytidae) die nächsten Verwandten.

51 Rein vom Körperbau und von der Verhaltens- und Bewegungsweise erkennt man rasch Parallelen zwischen Zaunkönig und Wasseramsel. Andererseits ha- ben sowohl Drosseln sowie Wasseramseln im Jugendstadium eine gespren- kelte Brust, was auf eine nähere Verwandtschaft hinweisen könnte.

Der Lebensraum Das Interesse der Spaziergängerin scheint geweckt zu sein. Wo und wie man denn so eine Wasseramsel finden würde. Der klassische Lebensraum der Was- seramsel ist der rasch fliessende und saubere Gebirgsbach. Dieser kann auch einen Meter schmal sein und auf einer Höhe von bis zu 2800 m ü.M. liegen. Ufer, die von Bäumen und Gestrüpp bewachsen sind und so einen Schutz vor Raubvögeln sichern, werden bevorzugt. Die Wasseramsel bleibt wenn möglich auch im Winter hier, eisige Temperaturen und zugefrorene Bäche können sie aber abwärts treiben, oft zum nächsten (Stau-)See. Im Falle der Lombach- Wasseramsel ist dies der Thunersee oder die Aare bei der Weissenau. Vögel, die in kalten Jahreszeiten ihr Brutgebiet verlassen, aber nicht in den Süden ziehen, sondern nähere, meist wärmere Gebiete aufsuchen, nennt man Strich- vögel, zu denen auch die Wasseramsel gehört.

Wasseramseln sind keineswegs hemerophob (Kulturflüchter). So kommen an der Engstligen in Frutigen an besiedelten Abschnitten Wasseramseln vor, ob- wohl hier die Ufer stark verbaut sind. Andererseits können sie sich Brücken als Neststandort zunutze machen. Nur wenige Vögel sind so eng an einen Lebensraumtyp gebunden, wie die Wasseramsel.

Im Berner Oberland habe ich Wasseramseln bisher an folgenden Gewässern gesehen: Lombach, Lütschine, Giessbachfälle, Kander (bis ins Gasterntal), Engstligen, Thuner- und Brienzersee während kalten Tagen, an der Aare auf dem Bödeli (Raum Bödelibad und Weissenau) und an der Aare Richtung Bern.

Artspezifisches Verhalten Woran erkennt man die Wasseramsel? Die auffallendsten Verhaltensmerkmale sind das Blinzeln, Knicksen, Schwimmen, Tauchen und ihr schriller Gesang. Auch wenn man einen Vogel aus grosser Distanz im Bachbett entdeckt, ist es einfach, eine Wasseramsel von anderen Arten zu unterscheiden. Nur wenige Vogelarten bewegen sich überhaupt in diesem Lebensraum. Einzig Bach- und Bergstelze (Motacilla alba und Motacilla cinerea) kommen hier regelmässig vor,

52 sind aber durch ihren wellenförmigen Flug gut vom niedrigen, flachen Flug von der Wasseramsel zu unterscheiden, die ihrerseits am permanenten Flügel- schlag zu erkennen ist. Wasseramseln sind höchst selten ausserhalb des Bach- betts (z.B. während des Nestbaues oder während den wilden Verfolgungs- jagden bei territorialen Verletzungen) anzutreffen.

Zwei ganz arttypische Bewegungsarten sind das Blinzeln und Knicksen.

Das Blinzeln ist eine typische Verhaltensweise der Wasseramsel, hier am Flaz Vegl in Samaden (GR).

Sitzt die Wasseramseln auf einem Stein, fällt einem schnell auf, dass in kurzen Abständen, teils beinahe im Sekundenrhythmus, meist aber in grösseren Inter- vallen ein weisses Häutchen über das Auge zuckt. Es ist die Nickhaut (Mem- brana nicitans), die störende Partikel vom Auge wischt. Die Nickhaut kommt übrigens nur reinigender Funktion nach. Während dem Tauchgang ist sie nicht über das Auge gezogen; auch wenn die Nickhaut lichtdurchlässig ist, würde sie die Sicht erschweren.

Oft synchron zum Blinzeln knickst die Wasseramsel. Sei es während der Fut- tersuche, während der Nistmaterialsuche, bevor das Weibchen das Nest betritt

53 oder die Jungvögel auf ihre futterbringenden Eltern warten, das Knicksen scheint zu diesem scheinbar nervösen Vogel zu gehören. Nach jedem Knicks hat der Körper der Wasseramsel eine wenig veränderte Haltung. Im Vergleich zum Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) bewegt sich der Körper bei der Wasseramsel nur auf und ab.

Blinzeln und Knicksen drücken sicher die innere Erregung aus. Je intensiver die Bewegungen, umso höher ist die Unruhe des Vogels. Man vermutet, dass den beiden für Wasseramseln typischen Bewegungsformen auch eine Mitteilungs- funktion zukommt. Die beiden Gesten sind auch in grösserer Entfernung sicht- bar und möglicherweise wirksamer als Rufe, die im lauten Bachplätschern gerne untergehen. Apropos: Wasseramseln verzichten tatsächlich auf Warn- rufe.

Frühes Balzverhalten und Gesang Der Gesang der Wasseramsel ist schroff, beinahe etwas metallisch. Es ist kein fliessender Singsang, sondern eher eine schnelle Folge von verschiedenen ein- zelnen Tönen. Am häufigsten ist das Lied der Wasseramsel im Winter und im frühen Frühling zu hören und gehört meist zur Balz oder zur akustischen Mar- kierung des Reviers. Die Balz der Wasseramsel beginnt tatsächlich schon im Winter, teils sogar im Dezember. Es ist schon erstaunlich, wenn man bei ei- sigen Temperaturen am verschneiten, halb gefrorenen und scheinbar leblosen Lombach entlangläuft und Wasseramselgesang vernimmt. Der Höhepunkt der Balzstimmung wird zwischen März und April erreicht. Zu dieser Zeit beginnt das Vogelgezwitscher anderer Arten erst langsam. Nach April hört man nur noch selten eine Wasseramsel singen.

Typisch für die Balz ist das «Umhertanzen» des Männchens um das Weibchen. Den Kopf wirft es dabei unnatürlich in den Nacken, und es präsentiert seinen weissen Brustlatz.

Ungewöhnlich für die Wasseramsel ist auch das Flugverhalten während der Balz. Einzig in dieser Zeit folgt die Wasseramsel nicht «stur» dem Wasserlauf, sondern fliegt bis weit in die höheren Etagen der umliegenden Bäume auf. Ob es sich bei diesem Verhalten um eine Verfolgungsjagd unter den Partnern handelt oder um das Verscheuchen eines Eindringlings in ein fremdes Revier, ist nicht leicht zu unterscheiden.

54 Am frühen Nachmittag beobachte ich einen Hund, wie er versucht, nach einer Wasseramsel zu schnappen. Es ist ein kläglicher Versuch, aber der aufge- schreckte Vogel fühlt sich gezwungen, mehrere hundert Meter den Lombach hinab zu flüchten. Ich suche den Blickkontakt des Hundebesitzers. Hier gäbe es einige Wasseramseln, die sein Hund gern jage, aber der würde sowieso nie eine erwischen, meint er.

Da hat der gute Herr hoffentlich Recht, denke ich mir. Ich erinnere mich an einen Vorfall während der Brutzeit: Eines Tages entdeckt ein Labrador das Nest, bellt es während Minuten an, kommt aber glücklicherweise nicht an das Nest heran. Todesmutig umfliegt das Männchen den Hund, stürzt mit durch- dringendem Geschrei direkt auf ihn zu, um im letzten Moment auszuweichen. Es gelingt tatsächlich, dass David Goliath vertreibt. Hunde stellen sicher keine direkte Gefahr für Wasseramseln dar. Aber einen zusätzlichen Stressfaktor zur natürlichen Belastung sind sie allemal.

Nest Der Nestbau beginnt je nach Witterung um Mitte März. Beide Geschlechter beteiligen sich am Bau, das Engagement bei den Männchen kann aber stark variieren. Den «Innenausbau» übernimmt in der Regel das Weibchen.

Als Nistmaterial wird fast ausschliesslich Moos verwendet. Das Moos stammt oftmals aus der unmittelbaren Nähe des Nests. Beim Aufnehmen des Mooses klaubt die Wasseramsel mit raschem und energischem Picken das Moos vom

Links: Nest in der Steinwand am Lombach. Rechts: Kugelnest auf einer Astgabelung

55 Stein. Oft taucht sie das Moos kurz ins Wasser. Damit lässt sich das Moos einfacher verformen und der Neststruktur ideal anpassen.

Manchmal wird das Moos im Trockenen wild mit dem Kopf hin und her ge- schüttelt. So werden die Moosteile entwässert und gelangen nicht klatschnass ins Nest.

Besonders in der Endphase des Nestbaus werden auch verwelkte Rotbuchen- blätter aus dem vergangenen Herbst verarbeitet. Wahrscheinlich werden diese fürs Auspolstern genutzt. Die Mitverwendung der Blätter hängt auch mit der Nesthygiene zusammen. Die beispielsweise vom Kot der Nestlinge beschmutz- ten Blätter können schnell und einfach ersetzt werden. Ein weiterer Zweck ist die Wärmeisolation.

Brut und Aufzucht Die Bebrütung erfolgt ausschliesslich durch das Weibchen. Es besitzt im Ver- gleich zum Männchen einen Brutfleck. Die Bebrütung beginnt frühestens mit der Ablage des zweitletzten Eis, meistens jedoch erst bei vollzähligem Gelege. Die Anzahl Eier liegt im Normalfall zwischen 4 und 6.

Das Weibchen sitzt meist zwischen 20 bis 40 Minuten auf der Brut. Darauf folgt ein 5 bis 15 Minuten langer Ausflug. Diese Zeitstruktur behält das Weib- chen während der ganzen Brut über bei.

Das Männchen hält sich meist in der Nähe des Nestes auf und scheint Wache zu halten. Gelegentlich besucht es seine Partnerin am Nestrand, selten kommt

Durch rasche Kopfbewegungen entwässert diese Wasseramsel ein Stück Moos, bevor dieses ins Nest gebracht wird

56 Auch wenn das Junge schon ausgeflogen ist, wird es noch von seinen Eltern gefüttert. es auch zu Futterübergaben. Wasseramseln zeigen keinen Sexualdimorphis- mus (Männchen und Weibchen sehen gleich aus), einzig während der Brut- saison kann man die Geschlechter anhand des Verhaltens unterscheiden. Die Brutdauer beträgt zwischen 14 und 18 Tage.

Jungvögel In den ersten Lebenstagen bedeckt ein dünnes Daunenkleid die Nestlinge. Nach etwa sieben Tagen öffnen sie ihre Augen zum ersten Mal. Noch während der Nestzeit tauschen die Nestjungen ihr schieferfarbenes Daunenkleid in das wasserabweisende Jugendkleid.

Nach 20 bis 24 Tagen verlassen die Jungvögel ihr Nest. Sie bleiben aber in der Abhängigkeit der Eltern. Die Jungvögel werden in geschützten Bereichen des Ufers von beiden Elternteilen gefüttert. Muss sich allerdings die Mutter um ihre Zweitbrut kümmern, übernimmt alleine das Männchen die Fütterung.

Die Fütterung der ausgeflogenen Jungvögel ist ein unüberhörbares Ereignis. Fliegt ein Elternteil heran, piepen die Jungen in sehr hohen Tönen, je näher der Elternteil kommt, umso intensiver und lauter wird das Piepen. Trotz des rau- schenden Lombaches sind die eindringlichen Rufe der Kleinen bis mehrere hundert Meter weit zu hören.

Sobald ein Elternteil auftaucht, wird er stürmisch von den ungeduldigen Jung- tieren umworben. Dabei öffnen sie ihre Schnäbel so weit als möglich. Übrigens knicksen und blinzeln die Kleinen schon wie die Grossen.

57 Abwanderungen der Jungvögel Jungvögel, die die Selbstständigkeit erlangt haben, suchen nach einem eige- nen Revier, und zwar meist bachaufwärts. Dabei kann es vorkommen, dass sie die Wasserscheide überfliegen und so in benachbarte Einzugsgebiete anderer Abflusssysteme gelangen.

Dieses Abwandern konnte durch Beringungen bewiesen werden. Die Entfer- nung zwischen Beringungsort und dem Wiederfund beträgt meist weniger als 20 Kilometer. Jedoch wurden in Einzelfällen Distanzen von über 100 Kilometer gemessen. Beispielsweise fand man ein Weibchen, das in der Nähe von Solo- thurn beringt wurde, in Gressoney im Piemont (Italien), in rund 160 Kilometer Entfernung südlicher Richtung wieder.

Am späteren Nachmittag tauchen immer mehr Leute am Lombach auf. Fami- lien, Biker und ganze Schulklassen. Von der morgendlichen Idylle ist kaum was übrig. Die renaturierten und verbreiterten Stellen am Lombach sind ideale Naherholungsgebiete für die lokale Bevölkerung. Dort, wo am Morgen noch die Wasseramseln nach Insekten suchten, werden die Cervelats über dem of- fenen Feuer gebrätelt. Von der Wasseramsel nimmt wohl kaum jemand Notiz. Diese werden je länger der Tag dauert, immer weniger aktiv, widmen sich der Gefiederpflege oder ruhen sich einfach auf einem Stein im Schatten aus.

Morphologische Besonderheiten Man würde nicht denken, was für ein besonderer Vogel in der Wasseramsel steckt. Ihre spezialisierte Anpassung an den Lebensraum verdankt die Wasser- amsel bestimmten individuellen Raffinessen.

Die Wasseramsel lebt mit dem Dilemma, dass sie möglichst leicht für den Flug sein sollte, jedoch für das Tauchen ein gewisses Gewicht haben muss. Im Ge- gensatz zu den meisten anderen Vogelarten besitzt die Wasseramsel keine hohlen Knochen, sondern (mit Ausnahme der Schädelknochen) mit Mark ge- füllte Knochen. Dies macht den Vogel nicht gerade zu einem besonders wen- digen Flugakrobaten, was besonders beim Losfliegen bemerkbar ist. Immerhin erreicht die Wasseramsel eine Fluggeschwindigkeit von 50 km/h.

Die Nasenlöcher sind durch ein Häutchen verschliessbar, was ein Tauchen er- laubt, ohne dass Wasser in die Nase eindringt. Weiter besitzt die Wasseramsel

58 eine gut entwickelte und etwa 10-mal grössere Bürzeldrüse als Sperlingsvögel gleicher Grösse.

Ein intaktes und gepflegtes Gefieder, inklusive Daunen, schützt wie eine was- serabweisende Körperbedeckung vor Durchnässung und Wärmeverlust. Diese abweisende Wirkung kommt einerseits durch die besondere Federstruktur zu- stande, andererseits durch das Sekret der Bürzeldrüse, welches der Vogel im- mer wieder einstreichen muss. Dieser Effekt ist mit einem Menschen, der unter einer Regenjacke einen warmen Pullover trägt, zu vergleichen.

Zusammenfassung Wohl kein anderer Singvogel ist so gut ans Wasser angepasst wie die Wasser- amsel. Durch ihre besonderen Verhaltensweisen wie das Schwimmen oder Knicksen, zählt sie für die Beobachtung sicher zu den attraktivsten Brutvögeln der Schweiz. Der Lebensraum der Wasseramsel ist der Gebirgsbach. Wasser- amseln wurden bis über 2500 m ü.M. festgestellt. Unter Wasser sucht der scheue Vogel nach Insektenlarven. Der weisse Brustlatz ist das auffälligste Kör- permerkmal, was den Vogel im gleissenden Wasserspiel aber gerade eben schwer erkennbar macht.

Die Vogelwarte Sempach gibt einen Schweizerischen Bestand von 3000 – 5000 Paaren an (2004). Die Wasseramsel ist keine bedrohte Art.

Der Lombach als Lebensraum Die Sonne verabschiedet sich hinter dem Horizont, es dämmert langsam. Um diese Zeit sucht die Wasseramsel ihren Schlafplatz im Schutz vor Niederschlag und Wind auf. Den Lombach teilen nun die Wasseramseln mit mir fast alleine. Vor dem Einschlafen widmet sich die Wasseramsel nochmals ausgiebig der Gefiederpflege, sie nimmt ein Bad, knickst und begibt sich zum definitiven Schlafplatz.

Ein faszinierender Vogel denke ich mir. Schade, nehmen so wenige Leute Notiz von ihm. Klar, der Lombach steht im Konflikt, vielen Interessengruppen Platz zu geben. Alle meine geschilderten Begegnungen haben tatsächlich stattge- funden und zeigen die verschiedenen Wahrnehmungen des Lombachs. Biker und Jogger sehen in ihm ein Trainingsgelände in der Natur, Hundebesitzer einen Tummelplatz für ihre Vierbeiner, Spaziergänger vielleicht einen Ort der

59 Ruhe und Familien mit Kindern einen Spielplatz mit Brätelstelle. Alle Nutzer haben ihr gutes Recht auf den Lombach. Nichtsdestotrotz wird es eng für unsere Wasseramsel. Ihren Lebensraum, ja, ihre Lebensgrundlage beanspru- chen wir Menschen als einen Ort der Freizeit. Dem einen geht es um Zeitver- treib in der Natur, dem anderen um seine Existenz!

Die Wasseramsel profitiert von den zwei renaturierten Bereichen am Lombach. Eine höhere Artenvielfalt in renaturierten Bachstellen ist bewiesen, was auch der Wasseramsel zu Gute kommt. Dennoch finde ich es heikel, wenn sich ausgerechnet der Mensch den Platz für seine Freizeit annektiert, den er doch eigentlich der Natur zurückgeben wollte. Ausserdem finde ich es besorgniser- regend, wie sich der Schmetterlingsflieder am Lombach ausbreitet. Und das ausgerechnet an renaturierten Bereichen! Neuerdings wuchert auch noch der Japanische Knöterich am Lombach.

Die Wasseramsel ist kein gefährdeter oder gar vom Aussterben bedrohter Vogel. Ich bin gespannt wie sich dies in Zukunft entwickeln wird. Der Klima- wandel und die vermehrte Wasserkraftnutzung wird die Wasseramsel nicht verschonen. Schon heute brütet die Wasseramsel früher als noch vor 30 –70 Jahren (ORNIS 2/03 (April 2003)). Wenn Vögel früher brüten, ist ein plötzlicher Kälteeinbruch wahrscheinlicher, der die Brut gefährdet. Oder was geschieht, wenn Gebirgsbäche von geschmolzenen Gletschern nicht mehr gespeist werden?

Ich denke, im Grossen und Ganzen kommt die Wasseramsel mit der jetzigen Situation am Lombach gut zu recht. Sie ist sicher auf die Sensibilisierung und den Respekt der Menschen mit der Natur angewiesen. Niemand soll der Was- seramsel unwissentlich schaden. Ich will niemanden davon abhalten am Lom- bach zu spazieren, joggen oder Ruhe zu finden. Im Gegenteil! Ich wünsche allen eine spannende Beobachtung der Wasseramsel und die Erkenntnis, was für ein spezieller Vogel an unseren Gewässern lebt.

Der Beitrag basiert auf der Matura-Arbeit des Verfassers bei Axel Budde am Gymnasium Interlaken.

Sämtliche Abbildungen stammen vom Verfasser.

60 Heini Hofmann

Weiden und Wasser – zwei Unzertrennliche Ein ökologisch und wirtschaftlich wertvolles Laubgehölz

So wie Weidenkätzchen zum Frühling gehören, dürfen geflochtene Körbe auf dem Bauernmarkt nicht fehlen. Das Handwerk des Korbers ist uralt und zeitlos. Früher pflanzten Bauern Weiden entlang von Gewässern, stutzten sie zu Kopfweiden und nutzten die Ruten zur Herstellung ihrer Körbe. Heute erlebt die Flechtkunst ein Revival. Doch leider müssen die Weidenruten jetzt importiert werden. Aber bezüglich Vielfalt der Weiden ist der Raum Thuner- und Brienzersee immer noch ein eigentliches Eldorado.

Als Kosmopoliten sind Weiden weltweit verbreitet (ausser Australien und Ma- laiischer Archipel). Tropische Meeresküsten behagen ihnen ebenso wie kalte Regionen und unwirtliches Gebirge. In der Schweiz leben mehr als 30 Arten, was rund einem Zehntel des Gesamtvorkommens entspricht. Speziell Kopfwei- den sind ein traditionelles Element der Kulturlandschaft in Wasserlaufnähe; ihre Ruten werden seit der Bronzezeit genutzt. Im Bereich des Thuner- und Brienzersees, wo mehr als zwei Drittel (!) aller helvetischen Weiden vertreten sind (vgl. Kasten), taucht die Weide auch in verschiedenen Flurnamen (Im Widi, etc.) auf.

Weiden sind Vagabunden Als anspruchslose, lichthungrige Pionierpflanzen lieben sie offene Landschaf- ten und bevorzugen eher feuchte Böden. Sie sind eigentliche Vorboten der Waldbildung, werden durch diese dann aber auch wieder verdrängt. Daher sind sie, im Vergleich zu andern Gehölzen, so etwas wie botanische Zigeuner und haben auch keine extrem hohe Lebenserwartung, maximal 50 bis 100 Jahre.

Vier Lebensräume sagen ihnen ganz besonders zu: Rohböden und Rutschhän- ge, Flussauen und Kiesbänke, Sümpfe sowie alpine Geröll- und Felshänge. Einer Überschüttung des Wurzelraumes begegnen sie durch rasche Wurzel- neubildung, und weil ihr Holz von Hohlräumen durchzogen ist, durch die Sau- erstoff bis zu den Wurzeln gelangt, gedeihen sie auch in übernässten Böden.

61 Die Silberweide – die hochwüchsigste unter allen einheimischen Weiden.

Zum Pioniergeist der Weiden passt ihre vielfältige Gestalt. Zwar sind alle Wei- den Laubgehölze, und fast alle werfen im Herbst ihre Blätter ab. Doch sie va- riieren von stattlichen Bäumen bis zu krautigen Zwergsträuchern. Im alpinen Raum, wo über 50 Prozent der einheimischen Weiden vorkommen, passen sie sich mit Kleinwuchs dem rauen Klima an und ertragen locker eine acht- bis zehnmonatige Schneebedeckung.

Kleinster Baum der Welt Typischer Vertreter der bis zu 25 Meter hohen Baumriesen unter den Weiden ist die Silberweide, die sich als hochwüchsigste einheimische Art gegenüber andern Bäumen des Auwaldes durchzusetzen vermag. Umgekehrt begegnet man auf Riedflächen der Grauweide als typischer Vertreterin der bis zu 6 Meter hohen Sträucher.

62 Die strauchartige Ohrweide liebt staunasse Böden in der Moorlandschaft.

Weiden als Heilpflanzen

Die Weidenrinde enthält Salicin, das im Körper zur schmerzlindernden und fieber- senkenden Salicylsäure umgewandelt wird. Die heilende Wirkung von Weidentee war schon Hippokrates bekannt. 1874 wurde Salicylsäure erstmals synthetisch her- gestellt, war aber ungeniessbar, da sie die Magenschleimhaut schädigte.

1897 gelang Dr. Felix Hoffmann eine verträgliche Synthese namens Acetylsalicyl- säure – woraus zwei Jahre später das Medikament Aspirin entstand, ein Allerwelts- Remedium, das, gleich wie das später dazugekommene Alka-Seltzer, wohl die meisten kennen. Wollte man heute den gewaltigen Verbrauch an Salicylderivaten noch mit Weidenrinde decken, bräuchte es weltweit eine Anbaufläche in der Grös- se Europas!

63 Beispielhaft dagegen für die Winzlinge unter den Weiden, das heisst die im Gebirge beheimateten Zwerg- oder Teppichsträucher, ist die Krautweide, der «kleinste Baum der Welt». Sie kann es sich leisten, weil Lichtkonkurrenten fehlen, über den Boden zu kriechen und dabei die Erdwärme zu nutzen und zugleich den Sturmwinden zu trotzen.

Quendelblättrige Weide: wächst langsam und steigt im Gebirge am höchsten.

Netzweide: steigt bis 3000 m ü.M. und erträgt zehn Monate Schneebedeckung.

64 Seidenhaarige Weide – zu finden im Blockschutt schattig-feuchter Nordhänge.

Im Gegensatz zu Baumweiden im Tiefland sind alpine Weiden strauchartig.

65 Vergessenes Nischenprodukt?

Früher waren Flechtwaren gefragt und alltäglich: Körbe, Hutten, Korbflaschen, Weidezäune, Fischreusen, Vogelbauer, Korbstühle, Kinderwagen – und Munitions- körbe. Doch die allmähliche Industrialisierung des Handwerks war nicht qualitäts- fördernd. Schliesslich machten billige Importware und der aufkommende Papp- karton die Korbflechter brotlos. Ab 1950 wurde kein Lehrling mehr ausgebildet.

Wo bleiben die Pioniere? Jedoch: Ab 1977 wendete sich das Blatt; neue Lehrverträge wurden abgeschlos- sen, 1987 ein anerkanntes Berufsbildungsreglement realisiert und 1989 die Inter- essengemeinschaft Korbflechterei Schweiz (IGK Schweiz) gegründet. Momentan stehen zwei Lernende im ersten von neu drei Lehrjahren. Nach Lehrabschluss wer- den sie als erste die neue Berufsbezeichnung «Korb- und Flechtwerkgestalter/-in» tragen. Tendenz bei den Neueinsteigern: Frauen dominieren.

Etwas erstaunlich ist, dass Weidenruten, die heute berufsmässig verflochten wer- den, fast ausschliesslich von ausländischen Weidenkulturen stammen, also impor- tiert werden müssen. Gefragt wären daher landwirtschaftliche Pioniere, die prü- fen, ob sich da nicht eine neue Nischenproduktion generieren liesse.

Randberuf mit Zukunft Aktuell gibt es in der Schweiz rund 40 hauptberufliche Korbflechter/-innen, ent- weder selbständig tätig oder Werkstättenleiter/-in einer sozialen Institution mit Korbflechterei. Initiativer Präsident der IGK Schweiz ist Pepito F. Zwahlen, der in Grabs SG ein Atelier für Flechthandwerk führt und selber aus der einstigen Korber- Hochburg Rüschegg BE stammt.

Bescheiden aber überzeugt stellt er fest: «Wir sind zwar ein Randberuf, aber stolz auf unser Handwerk, egal ob wir Neuanfertigungen oder Restaurationen, Ge- brauchsutensilien oder Kunstobjekte machen. Konkurrenzdenken gibt es bei uns nicht; man hilft sich gegenseitig aus, und jedes Mitglied zeichnet sich ohnehin durch seine flechterische Handschrift aus».

Demos auf dem Ballenberg Einer der wenigen Orte in der Schweiz, wo das Handwerk des Korbers noch demonstriert wird, ist das Schweizerische Freilichtmuseum. Doch in Fachkreisen versteht man dies nur als ideales Vorzeige-Podium; denn der Beruf selber betrach- tet sich alles andere als museumsreif.

66 Die Weiden der warmen Tieflagen und der kalten Gebirgszonen unterscheiden sich aber nicht nur in der Grösse, sondern auch in verschiedenen botanischen Details, so unter anderem darin, dass die Kätzchen, das heisst die ährenför- migen Blütenstände der ersteren vorwiegend von Insekten, jene der letzteren mehrheitlich vom Wind bestäubt werden. Die nächsten Verwandten der Wei- den, die Pappeln, unterscheiden sich unter anderem durch hängende Blüten- kätzchen.

Links: Beliebte Zierweide ist die Reifweide, weil Frühblüher mit grossen Kätzchen. Rechts: Biene an Salweide-Kätzchen: Weiden tragen entweder nur männliche oder (wie hier im Bild) nur weibliche Blüten, sind also zweihäusig und nicht zwittrig.

Herr und Frau Weide Die meisten Pflanzen dieser Erde – über 90 Prozent – tragen zwittrige Blüten. Anders die Weide; sie hat entweder nur weibliche oder männliche Blüten, was fachsprachlich Zweihäusigkeit bedeutet. (Ausnahme: Weiden-Kreuzungen wie etwa die Trauerweide.) Vorteil solch strikter Geschlechtertrennung: keine In- zucht fördernde Selbstbestäubung. Nachteil: Rund die Hälfte aller Weidenge- hölze produzieren keine Samen.

Die mit einem Haarschirm ausgestatteten Weidensamen sind federleicht (10 000 wiegen 1 Gramm!) und können vom Wind kilometerweit verfrachtet werden. Weil sie kein Nährgewebe enthalten, sind sie nur wenige Tage keim- fähig. Die Flughaare kleben nach der Landung am Boden fest und bringen dadurch den Keimling in aufrechte Lage – vergleichbar mit den Stützen einer Mondlandekapsel.

67 Anders bei der ungeschlechtlichen Vermehrung, die es bei Weiden ebenfalls gibt; denn Weidensprossen bewurzeln sich bei Bodenkontakt rasch, egal, ob sie von der Pflanze getrennt sind oder nicht. Diesem Umstand verdankt die Bruchweide sogar ihren Namen: Die Wasserströmung reisst Sprossen dieser brüchigen Auwaldweide ab und schwemmt sie später wieder an Land, wo sie rasch Wurzeln schlagen.

Bevorzugter Lebensraum der Bruchweide sind die Ufer von Wasserläufen.

68 Vielseitiger Nutzen Weil sie als Pionierpflanzen geringe Ansprüche stellen und weil ihre Wurzeln tief ins Erdreich vordringen, eignen sie sich im Landschaftsbau zur Stabilisie- rung vernässter Rutschhänge. Junge Zweiglein der Silber- und Purpurweide dienen zum Aufbinden von Pflanzen, speziell Reben, weil sie den Vorteil ha- ben, nicht einzuschneiden.

Am bekanntesten ist der Nutzen der Kopfweiden. Um geeignete Ruten zum Binden und Flechten zu erzeugen, werden die Weiden alljährlich auf Brusthö- he zurückgeschnitten, wodurch kopfartige Verdickungen entstehen; daher der Name. Als Bau- und Brennholz eignet sich das weiche Holz der Weiden nicht; lediglich die Holländer verwenden das Holz von Silberweiden zur Fertigung ihrer Klompen (Holzschuhe). Und im Frühling, wenn die Weiden im Saft ste- hen, basteln Kinder die beliebten Weidenpfeifen.

Knorrige Kopfweiden sind ein traditionelles Element der Kulturlandschaft. Früher dienten ihre Ruten der Korbflechterei.

69 Weiden-Eldorado Thuner- und Brienzersee

Von 32 in der Schweiz vorkommenden Weidenarten sind stolze 25 im Bereich Thuner- und Brienzersee beheimatet:

Silberweide Alpen-Purpur-Weide Bruchweide Purpurweide Lorbeerweide Moorweide Mandelweide Spiessblättrige Weide Korbweide Stinkweide Grossblättrige Weide Schweizer Weide Ohrweide Seidenhaarige Weide Salweide Kurzährige Weide Aschgraue Weide Krautweide Reifweide Quendelblättrige Weide Lavendelweide Stumpfblättrige Weide Alpen-Schwarz-Weide Netzweide Schwarzwerdende Weide

Im Bereich Thuner- und Brienzersee nicht vertreten:

Waldsteins Weide Kahle Weide Apenninenweide Laggers Weide Zweifarbige Weide Heidelbeerblättrige Weide Blaugrüne Weide

Mit Weiden lässt sich Grünarchitektur gestalten – wie bei dieser Weidenkirche.

70 Knorrige Kopfweiden bieten zudem Nischen für Höhlenbrüter unter den Vö- geln und für Fledermäsue sowie Nahrung für unzählige Insekten, von Blatt- wespen über die Raupen des Weidenbohrers (Nachtfalter) und verschiedener Schmetterlinge wie Grosser Fuchs, Abendpfauenauge oder Trauermantel bis hin zu Käfern wie Weberbock und Rosenkäfer, Wildbienen und Ameisen, ja sogar Pilzen und Misteln. Nicht zu vergessen der Biber, der eine Vorliebe für weichholzige Weiden hat und dabei gleich ganze Arbeit leistet.

Weichholzige Weiden fällt der Biber mit Vorliebe; sie dienen zum Burgbau.

Weiden sind Biotope für Insekten und Raupen (z.B. vom Grossen Fuchs).

71 Weiden in der Poesie

Da Weiden Affinität haben zu Wasser und Sümpfen und somit zu unheimlichen Orten mit potentiellen Gefahren, wurden sie zum vielzitierten Objekt von Denkern und Dichtern, meist im Zusammenhang mit Wehmut, Trauer und verborgenen Ängsten.

In der griechischen Mythologie finden sich Weiden im Hain der Gattin des Unter- weltgottes Hades, und der germanische Totengott Widar hauste wohl nicht um- sonst in einem Weidengebüsch, ja selbst bei Harry Potter taucht die «Peitschende Weide» auf.

Überall wird sie besungen, die Weide, sei’s im biblischen Psalm oder in Goethes Erlkönig sowie in unzähligen Gedichten, von Friedrich Rückert, Niklaus Lenau und Marie Ebner-Eschenbach über Hermann Löns, Rainer Maria Rilke und Günther Eich bis zum Bernischen Heimatdichter Hermann Hofmann.

Junge Weide

Im Morgenwind schwankt eine junge Weide Und glänzt und flimmert wie Silber und Seide; Sie wiegt sich und biegt sich im Glitzerkleide Und leuchtet über die blühende Heide.

Es rieseln rauschend aus ihrem Gehänge Goldregen nieder und Silbergesänge; Der Morgenwind trägt die heimlichen Klänge Hinweg über Heide, Hügel und Hänge.

Wie Schnüre voll köstlicher Perlen sinken Aus leuchtender Höh’ die Zweige und blinken Im Morgenstrahl, und die Blättlein trinken Das goldene Licht und wehen und winken. Zeichnung: Bruno Moser

Hermann Hofmann

72 Weiden als Wappenzier

Weil sie ein Charakteristikum der Landschaft sind und früher wirtschaftliche Bedeutung hatten, verwundert es nicht, dass Weiden auch in Ortsnamen aufschei- nen. Zum Beispiel Wittenbach SG, dessen Name sich vom mittelalterlichen Leh- enshof «Widenbächli» ableitet. Das Gemeindewappen zeigt diesen von Weiden gesäumte Bach.

Ebenso Widnau SG, das als Hofbezeichnung «Widenouwe» (mit Weiden bestan- dene Aue) in einer Urkunde von 1303 erwähnt wird. Oder Widen AG, wo in einem Dokument des 12. Jahrhunderts auf ein Landgut namens «Wyda» (bei den Weidenbäumen) hingewiesen wird. Und schliesslich Saulcy JU, das sich vom französischen «saule» (= Weide) ableitet. Aber auch in der Oberpfalz gibt es eine Ortschaft namens Weiden.

Weiden tauchen häufig in Flurnamen und auch in Ortswappen auf (v.l.n.r.): Wittenbach SG, Widnau SG, Widen AG, Weiden (Oberpfalz).

Zierformen der Salweide, die durch ihren besonderen Wuchs gefallen.

73 Auf Schwemmland mit hohem Grundwasserstand gefällt es der Reifweide.

Weiden als Zierpflanzen

Eigentlich sind Weiden unscheinbare Gehölze. Jene mit speziellem Wuchs oder besonders auffälligen Kätzchen jedoch wurden zu beliebten Zierpflanzen. So die männlichen einheimischen Sal- und Reifweiden aufgrund ihren speziell anmutigen «Büseli» und die Schwarzährige Weide aus Japan wegen ihrer schwarzen Kätz- chen. Oder die Wehmut verbreitenden Trauer- und Hängeweiden, die aus Kreu- zungen entstehen. Ferner die Korkenzieherweide mit ihrem Spiralwuchs sowie die kurzlebige Prachtweide mit den ungewöhnlich grossen Blättern. Bei Floristinnen beliebt als Dekorationsmaterial ist die Drachenweide mit den kleinen silbrigen Kätzchen.

Bücher zum Thema – Anleitung zum Flechten mit Weiden; Haupt Verlag, ISBN 978-3-258-06798-8 – Weiden, Binsen, Peddigrohr; Haupt Verlag, ISBN 3-258-06045-2 – Weidenbauten für naturnahe Gärten; av buch, ISBN 978-3-7040-2332-2

Bilder: Botanischer Garten St. Gallen

74 Christian Gnägi

Das Wallis zu Besuch im Berner Oberland Findlinge zwischen Sieben Hengsten und Nieder-Simmental

Der Traum vom Meer Wer vom Thuner- und Brienzersee aus in den nahegelegenen Erholungsgebie- ten der Voralpen unterwegs ist, muss nicht vom Meer träumen – er wandert auf ehemaligem Meeresboden. Natürlich liegt dies nicht gerade auf der Hand, wenn man vor den imposanten Steilwänden der Stockhorn-Kette, des Sigris- wiler Grats oder des Hohgants steht. Vielleicht haben Sie aber auch schon Versteinerungen gefunden, Muscheln oder Ammoniten, die diese Behauptung belegen. Fundorte liegen zum Beispiel am Aufstieg zum Sigriswiler Rothorn, im Justistal, im Stockental, im Gantrischgebiet oder am Güggisgrat und im Seefeld. Auch die Gesteine der Voralpen, Kalk, Mergel, Sandstein und Flysch, sind in unterschiedlicher Tiefe im Meer entstanden. Das Gebiet zwischen Si- griswilgrat und Hohgant war eine Zeit lang sogar Küstenregion. Davon zeugen die früher abgebauten Kohlelager zwischen und Gemmenalp, die aus den Sumpfgebieten der Lagunen entstanden. Doch seit wir den Meeres- anschluss ans Jura- und Kreidemeer verloren, ist viel Zeit vergangen, sehr viel sogar – leider, ein bisschen Meer in der Schweiz wäre doch schön! Vielleicht, wenn wir nur lange genug warten, kommt es wieder? Zweimal hat es uns ja schon besucht seither, in der Zeit der Molassegesteine, die von ca. 32–11 Millionen Jahren abgelagert wurden. Es sind Nagelfluh, Sand- und Siltsteine. Sie bestehen aus dem Abtragungsschutt der werdenden Alpen und bauen das voralpine Hügelland sowie das Mittelland auf, inklusive und rechte Thuner- seeseite ab Ralligen. Seit dieser anfänglich noch subtropisch geprägten Zeit wurde es immer kälter, ja sogar sehr kalt, bis in den letzten 2.5 Millionen Jahren die Gletscher mindestens fünfzehnmal ins Mittelland vorstiessen.

«Vrzeuet doch ke Chäs!» In den letzten paar Millionen Jahren entstanden in den Kalkformationen ausgedehnte Höhlensysteme, wie das Siebenhengste-Hohgant-System, das zweitgrösste der Schweiz. Regen- und Schmelzwasser spülten Steine von der Oberfläche in die Höhlen hinunter. Diese Höhlensysteme wuchsen mit der Eintiefung der Talböden durch die Gletscher immer mehr in die Tiefe. Dadurch fielen mit der Zeit die oberen, älteren Höhlenniveaus trocken. Die darin abge-

75 lagerten Schotter blieben somit liegen und wurden nicht mehr weitertranspor- tiert. Ganz im Gegensatz zu den oberirdischen Ablagerungen an den Talhän- gen, die laufend abgetragen werden. Somit können Höhlen uralte Steine ent- halten, die aus Tälern stammen, die es längst nicht mehr gibt. Sie erzählen uns ein Stück Landschaftsgeschichte, von der es sonst kaum mehr Zeugen gibt. Jedenfalls staunten die Höhlenforscher Pierre-Yves Jeannin, Philipp Häusel- mann und Alex Hof nicht schlecht, als sie im Siebenhengste-Hohgant-System plötzlich Gerölle von Granit, Glimmerschiefer und Quarzit fanden. Im west- lichen Teil der Schweiz sind solche Gesteinsarten nur im Aar-Massiv und im Wallis (Penninische Alpen, Gotthardmassiv) anstehend, aber sicher nicht in den Voralpen. Doch wie kamen diese Steine hierher? Sofort wurden die Gletscher ins Spiel gebracht. Die hatten ja riesige Findlinge ins Mittelland geschleppt, warum sollte der Aaregletscher nicht auch diese Steine auf den Sieben Hengs- ten liegen gelassen haben, so quasi als Mitbringsel, bevor er sich wieder zu- rückzog? Ja, aber so einfach war die Geschichte nun doch nicht. Jedenfalls nicht für Professor Christian Schlüchter, Eiszeitgeologe an der Uni Bern. Erstens gab es bisher keine Anhaltspunkte, dass der Aaregletscher je die Höhe der Sieben Hengste erreichte. Und zweitens enthielten ja auch die Napfmolasse und die Flysch-Einheiten, die auf der Alpennordseite vor den Kalkwänden an- stehen, kristalline Gerölle. Die Napfmolasse geht auf ein Flusssystem aus der Zeit der Alpenfaltung zurück, das sein Einzugsgebiet südlich des heutigen Aar- massivs hatte. Die Barriere des Aarmassivs entstand erst viel später. Die Ge- rölle in den Flyschen sind noch älter und stammen aus vergangenen Küsten- gebirgen. Schlüchter argumentierte, es könnte ja sein, dass die Molasse und der Flysch einst die Sieben Hengste bedeckten und die Gerölle von da in die Höhlen eingeschwemmt worden waren. Aber nicht nur aus den Höhlen, son- dern auch von der Geländeoberfläche sind lockere Ablagerungen bekannt, die kristalline Gerölle enthalten. Die beiden ausgedehntesten liegen auf den Sie- ben Hengsten und zwischen den Stockeseen beim Stockhorn (Abb. 1). Wir können nur vermuten, dass sie auch im Bereich des heutigen Thunersees vor- handen waren, aber hier bereits abgetragen wurden. Der unterdessen verstor- bene Geologieprofessor Fritz Nussbaum glaubte in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts, er habe in den Gesteinsbrocken bei den Stockeseen den Beweis gefunden, dass der Rhonegletscher einst vom Mittelland auf die Voral- pen überfloss. Man stelle sich nur das nötige Eisvolumen vor, denn die Funde liegen auf 1750 m ü.M. Das Mittelland wäre somit unter einer Eisdecke gele- gen, die höher gereicht hätte als der grösste Teil des heutigen Juras. Das ging

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Alpine Metamorphosezonen Grünschieferfazies Mt. Collon Amphibolitfazies Zone Zermatt-Saas-Fee Eclogittfazies 10 km © Swisstopo

Abb. 1: Übersichtskarte dem Oberländer Geologen Paul Beck denn doch zu weit, und er widersprach dieser Behauptung heftig. «Vrzeuet doch ke Chäs!» würde man auf Bern- deutsch sagen, doch dies gehört sich natürlich unter Wissenschaftlern nicht. Doch war damit der Hahnenkampf lanciert. Denn wer wollte sich schon mit Paul Beck anlegen, der damaligen Geologiegrösse im Kanton Bern. So ver- schwand das Thema für Jahrzehnte vom wissenschaftlichen Tisch – aber nicht die kristallinen Gerölle aus dem Simmental. Nur von Ohr zu Ohr munkelten die Geologen untereinander, der Rhonegletscher sei vielleicht eben doch mal im Oberland gewesen, inkognito. Erst die Höhlenforscher rollten den Krimi mit ihren Funden aus den Sieben Hengsten wieder auf.

Knochen, Feuersteine und Gletscherzeugs Als die Gebrüder Andrist im letzten Jahrhundert mit ihren Freunden die Simm- entaler Höhlen nach prähistorischen Artefakten durchforschten, fanden sie neben Feuersteinen und Höhlenbärenknochen noch ganz anderes. Beim Ranggiloch (1845 m ü.M.; Abb. 1) im Walop stiessen sie am Eingang überra- schend auf grundmoräneartige Ablagerungen mit kristallinen Geschieben.

77 Einige davon wiesen Kratzer auf, wie sie nur durch Eistransport entstehen. In einem Gletscher, vor allem an seiner Basis, werden unter hohem Druck Steine übereinander geschliffen. Die härteren Körner hinterlassen dabei auf den wei- cheren charakteristische Spuren (Abb. 2). Unter den ortsfremden Gesteinen war auch Amphibolit, ein metamorphes Gestein (Umwandlungsgestein), das aus den Schweizer Préalpes romandes (Romanische Voralpen) und der vorge- lagerten Molasse unbekannt ist. Auch in der Chilchli-Höhle (1810 m ü.M.; Abb. 1) fanden Andrists & Co. kristalline Gerölle, wie zum Beispiel Quarzit (Abb. 2). Quarzit entsteht aus Sandstein, wenn er genügend stark von andern Gesteinen überlagert wird, wie dies während der Alpenfaltung der Fall war. Er findet sich zwar auch in verschiedenen Decken der Préalpes romandes, aber dort wurde er nur wenig umgewandelt und enthält zusätzlich noch recht viel Calcit. Diese Funde waren nun schon eine kleine Sensation. Denn anstehender Quarzit, wie jener der Chilchli-Höhle, der auf mehr als 300°C erwärmt wurde, ist im westlichen Teil der Schweiz nur aus dem Wallis bekannt. Die Umwand- lung der Gesteine (Metamorphose) verstärkt sich mit zunehmendem Druck und steigender Temperatur. Geologen ordnen sie deshalb nach Zonen (Fazies) mit ähnlichen Temperatur-Druck-Verhältnissen und benennen sie nach charak- teristischen Gesteinstypen, die dann neu entstanden (Grünschiefer, Amphi- bolit, Blauschiefer und Eklogit; Abb. 1). Ab etwa 300°C beginnt die Grünschie- ferfazies, in der erste Mineralumwandlungen stattfanden und verschiedene neue, eben grüne Minerale gebildet wurden. Dann folgen die Amphibolit-, Blauschiefer- und Eklogitfazies. Jedenfalls war mit diesen Funden klar, dass der Simmengletscher einmal das Nieder-Simmental bis über 1800 m ü.M mit Eis gefüllt hatte. Das ist eine 1000 m mächtige Eisschicht, bezogen auf den heu- tigen Talboden. Aber wie war er nur zu den Walliser Quarziten und Amphi- boliten gekommen?

Was das Nieder-Simmental sonst noch zu bieten hat Auf dem Rundweg um die Stockeseen könnte einem kurz vor dem Schnee- lochsattel ein weisser Quarzitblock mit gelben Flechten auffallen (Abb. 2). Wo kommt denn der plötzlich her? Ringsum hat es nur Kalkfelsen. Die Wiese ist denn auch mit Malmkalkblöcken übersät, die vom Cheibehore herunterdon- nerten. Weit und breit kein anstehender Quarzit. Etwa eine Fehlplatzierung vom geologischen Lehrpfad? Daneben liegen eingewachsene Granite und braune Sandsteine, die auffällige orange Dolomitkörner enthalten. Die äus- seren 5 –10 cm sind stark verwittert, die Blöcke liegen also schon lange da.

78 Abb. 2: Gekritztes Geschiebe und weisser Quarzitblock

Das Kalkbruchstück aus dem Ranggiloch zeigt einige Merkmale, die Gletschergeschiebe charakterisieren können: – konkave Einbuchtungen – nur gerundete Kanten – Kratzer, die durch härtere Körner/Geschiebe in Scherzonen des Gletschers entstehen

Der 70 cm grosse Block liegt mit vielen anderen Findlingen zwischen den Stockeseen. So stark metamorpher Quarzit (500 – 600 °C) kommt in den Préalpes romandes nicht anstehend vor, sondern im westlichen Teil der Schweiz nur im Wallis.

Solchen Sandstein gibt es hier sonst auch keinen, aber er steht an der Basis der Niesen-Decke im Ober-Simmental an. Ja – sind die Stockeseen denn Überbleib- sel eines ehemaligen Simmelaufs, als das Simmental noch auf dieser Höhe lag? Wo die Simme damals durchfloss ist unbekannt, aber Blöcke dieser Grösse können nicht mehr durch einen Fluss transportiert werden. Flussschotter bestehen zudem bereits nach wenigen Transportkilometern mehrheitlich aus gerundeten Komponenten. Einen ehemaligen Simmelauf können wir durch diese Blöcke also nicht stützen, eher haben sich die Stockeseen in Megadolinen1) gebildet, da sie ursprünglich auch durch Höhlensysteme ab- flossen. Beim Bau des Verbindungsstollens für die Elektrizitätsgewinnung wur- den grosse Höhlengänge angefahren. Auch diese Blöcke gelangten also wäh- rend einer mächtigen Vergletscherung durch den Simmengletscher hierhin. Im oberen Teil der Wiese liegt ein Block, der wie Nagelfluh aussieht (Abb. 4). In

1) Dolinen sind Trichter, die durch Kalklösung oder Einsturz von Höhlen entstehen.

79 Abb. 3: Schneelochsattel Der Blick vom Strüssligrat (Stockhorn) zeigt den verkarsteten und unterhöhlten Nordabhang des Cheibehore und die heutige, reliktische Ausdehnung des Sediment- körpers mit kleinen und grossen Findlingen. einer sandigen Grundmasse sind kleinere und grössere Steine, mal gerundet, mal mehr kantig, eingelagert. Diese Komponenten stammen aus Ablage- rungsgesteinen und aus kristallinen Einheiten. So genau hatte ihn Fritz Nuss- baum jedoch nicht angeschaut, als er die Funde vom Schneelochsattel der Naturforschenden Gesellschaft von Bern vorstellte. Er war so begeistert über all die kristallinen Gesteinsarten, die er gefunden hatte. Dieser «Nagelfluh- block aus der mittelländischen Molasse» diente ihm als Kronzeuge für den Besuch des Rhonegletschers. Heute ist bekannt, dass die Westschweizer Molasse, die dem Stockhorn-Gantrischgebiet vorgelagert ist, so gut wie keine kristallinen Gerölle enthält. Also wurde die «Mittelland-Hypothese» erschüt- tert. Die genaue Analyse (Dünnschliff) zeigte denn auch, dass der Block am wahrscheinlichsten verkitteten Ablagerungen eines früheren Gletschervor- stosses entstammt.

An der Universität Bern wollte man es noch genauer wissen. Auf dem Schnee- lochsattel wurde ein Schacht gegraben, bis man «auf Granit» stiess: nicht wirklichen Granit, aber betonartig zementierten Schotter. Kalksinter, der aus

80 dem Sickerwasser ausgeschieden worden war, hatte die Gerölle zusammenge- kittet. Sie waren durch das Schmelzwasser eines Gletschers erst wenig weit transportiert worden, da sie noch keine schön gerundeten Formen aufwiesen. Zwischen diesem Schotter und den Blöcken an der Oberfläche lag eine mäch- tige, feinkörnige Schicht, die am ehesten als durchgewitterte Moräne ange- sprochen werden kann (Abb. 4).

Das Cheibehore, das über den Stockeseen thront, ist durchlöchert wie ein Emmentaler Käse. Kaum ein Regentropfen gelangt von seiner Nordflanke in die Stockeseen. Alles versickert im Nirwana des Karstuntergrunds (der aber ursprünglich schon mit den Stockeseen in Verbindung stand). Mehr als 20 Höhlen wurden dort kartiert. Das meiste sind enge, nahezu senkrechte Schachthöhlen, die nur mit Kletterausrüstung bezwungen werden können. Ein Kontrollgang mit dem Höhlenforscher Philipp Häuselmann zeigte, dass in min- destens vier Höhlen in der Umgebung der Stockeseen ortsfremde Gerölle vom Typ Schneelochsattel eingespült worden waren. Dies könnte darauf deuten, dass der Sedimentkörper ursprünglich ausgedehnter war oder dass mit der Gletscherschmelze Gerölle direkt in die Höhlen eingespült wurden.

Abb. 4: Konglomeratblock und Schachtgrabung Schneelochsattel Der über einen Meter breite nagelfluhartige Block stammt nicht aus der mittel- ländischen Molasse, sondern ist vermutlich ein später weitertransportiertes Stück aus einem zementierten glazialen Schotterpaket.

Der Tiefblick in den Grabungsschacht zeigt am Boden den verkitteten Schotter und an den Wänden die feinkörnige Deckschicht, die auch einzelne durchgewitterte Sand- steine und verschiedene kristalline Geschiebe enthielt (Tiefe 1.7 m).

81 Was die Sibe Hängste dazu zu sagen haben Die Sieben Hengste sind ein grandioses Karstgebiet (Abb. 5). Querfeldein un- terwegs zu sein, ist ein Abenteuer. Nicht nur, weil man sich im geheimnisvollen Nebel verlaufen könnte. Es braucht auch einige Aufmerksamkeit, um nicht plötzlich zu stolpern und auf Nimmerwiedersehen in einer tiefen Karstspalte zu verschwinden. Die meisten dieser Spalten stehen in einer wassergängigen Verbindung mit den darunter liegenden Höhlen, die schliesslich in den Thuner- und Brienzersee münden. Höhlenforscher trugen Granite, unterschiedlichste Glimmerschiefer und Gneise, stark metamorphe Quarzite, Gabbro (Tiefenge- stein) und Amphibolite herauf, die vom einsickernden Wasser hinunter gespült worden waren. Alles Gesteine, die in der Niederhorn-Hohgant-Kette nirgends als anstehendes Gestein vorkommen. Entweder sind die entsprechenden Ge- rölle und die Höhlen uralt oder die Steine wurden von weither transportiert.

Abb. 5: Sibe Hängste –Wagenmoos –Seefeld Der Blick vom Gemmenalphorn aus zeigt eindrücklich, wie die mächtigen Schichten des Hohgant-Sandsteins (bewachsen) im Seefeld den Schratten-Kalk überlagern. Dass der Sandstein einst auch das Karrenfeld der Sibe Hängste bedeckte, davon zeugen einzelne Blöcke in den Karstschächten. Im Mittelgrund liegt die Alp Oberbergli und dahinter das Trockental mit dem Wagenmoos.

82 Abb. 6: Geologische Schätze der Sibe Hängste Links: Allalin-Gabbro aus der Zone Zermatt-Saas Fee (siehe Abb. 1) Mitte: Metaperidotit aus den Penninischen Alpen oder dem Gotthard-Massiv Rechts: Serpentinit (aus einem «Murmeli-Huuffe») Breite der Steine 5 – 10 cm.

Zwischen Wagenmoos und Oberbergli verläuft ein idyllisches Trockental, das die Sieben Hengste vom Seefeld trennt. Hier ein Seelein und dort ein Moor mit Wollgras. Am Rand einige Felsen mit Versteinerungen und mitten drin ein Bächlein. Es entspringt im Wagenmoos, verschwindet aber bald in einer Doline und sorgt im Höhlensystem für Geröllnachschub. Wer vom Oberbergli her kommt, dem fällt auf, dass der Senn hier eine farbige Kiesmischung auf den Weg streute. Besonders weisse Quarzite stechen hervor, aber auch schwarze Kiesel und selten mal ein grüner Serpentinit oder sonst etwas Exotisches. Erst recht erstaunlich ist, was das Wagenmoosbächlein in den Untergrund beför- dert: Da sind auch Granite darunter, Gneise, Glimmerschiefer, und mit viel Glück ist sogar ein Gabbro zu entdecken. Vielleicht ist es doch nicht das Ge- rölldepot des Senns? Die «Importgesteine» fielen auch André Minet auf, der diese Ablagerung in einem Höhlenforscherbulletin beschrieb. Er war mit seiner Vermutung einer Gletschermoräne ganz nahe an den Untersuchungsergebnis- sen der letzten Jahre. Noch schwach vorhandene Kritze auf den schwarzen Kieselkonkretionen und die mehrheitlich nur kantengerundeten Komponen- ten lassen eine, allerdings verschwemmte, Ablagerung in einem glazialen Um- feld vermuten. Dies stimmt mit früheren Untersuchungen von Pierre-Yves Jeannin in drei Höhlen der Sieben Hengste überein, die ebenfalls einge- schwemmte Moräne enthalten. Und überhaupt, die Murmeltiere wussten es schon längst: Ihr «Aushub» enthält mitunter die schönsten Museumskollekti- onen an farbigen Geröllen (Abb. 6).

83 Das Rätsel der Walliser Souvenirs Die Vergletscherungen prägten unsere Landschaft ganz stark, vor allem die Täler. Sie räumten viel Material weg und deponierten es weiter unten wieder. Wir wissen heute, dass unter dem Thuner- und Brienzer-See tiefe Becken lie- gen, deren Felsgrund teils unter dem Meeresspiegel liegt, und das flache Mit- telland wäre ein Grand Canyon, der ebenfalls auf Meeresniveau reicht, würde man alles Lockermaterial wegräumen. Aus ein paar übriggebliebenen Steinen nun eine verschwundene Landschaft zu rekonstruieren, ist ein schwieriges und notgedrungen etwas spekulatives Unterfangen. Allalin-Gabbro aus dem Saas- Tal im Wagenmoos (Abb. 6), Peridotit (Tiefengestein des Erdmantels) und schwach metamorphe Amphibolite vom Mt. Collon (Abb. 1) auf dem Schnee- lochsattel, metamorphe Quarzite aus den Penninischen Alpen an beiden Orten – alles Gesteinsarten, die heute nur noch im Wallis anstehen. Die nordalpinen Flysche enthalten keine dieser Gesteine und die Molasse nur im Schuttfächer des Napfs einige davon. Doch ein Flusstransport ist undenkbar, da die letzten Gerölle, die aus dem Mittelwallis in die Nagelfluh gelangten, 20 Millionen Jahre alt sind. Ein Überfliessen von Rhoneeis über Berner Oberländer Pässe ist also die wahrscheinlichste Erklärung für die kristallinen Gerölle und Blöcke auf dem Alpenrand. Solche Transfluenzen wurden eigentlich schon lange vermu- tet. Lag der Rhonegletscher doch sogar in der letzten Vergletscherung, die nicht die grösste war, direkt vor der Gemmi. An der Grimsel konnte vor weni- gen Jahren anhand von Fliessmarken ein Abfluss des Rhoneeises nach Norden nachgewiesen werden, und Walliser Findlinge im oberen Saanegebiet (Col des Mosses) sind schon länger bekannt.

Die Simmentaler Findlinge nahmen vermutlich einen anderen Weg als dieje- nigen der Sieben Hengste. Dies lässt sich daraus schliessen, dass auf den Sieben Hengsten nur Gesteine aus dem oberen Teil des Wallis (bis und mit Vispertäler) gefunden wurden, im Simmental aber zusätzlich Gesteine aus dem Val d’Hérens, das noch weiter westlich liegt. Auf den Sieben Hengsten und im Simmental fehlen aber jegliche Leit-Gesteine aus dem Unterwallis. Dies spricht dagegen, dass das Rhoneeis vom Mittelland her überfloss, wo die Unterwalliser Gesteine in den Moränen vorhanden sind, sondern eben eher über Pässe des Mittelwallis, z.B. Vorläufer der heutigen Gemmi und des Sanetschpasses.

84 Aus alter Zeit Altersbestimmungen an Quarziten aus den Höhlen der Sieben Hengste lassen vermuten, dass die Ablagerungen mit Walliser Zuschuss sehr alt sind. Sie könnten vor fast zwei Millionen Jahren begonnen haben und fanden vermut- lich während mehreren Vergletscherungen statt. Ein Eistransport von einer «Ur-Gemmi» zu den Sieben Hengsten setzt allerdings andere Talverläufe als heute voraus. Heute würde das Eis durchs Aaretal bei Thun abfliessen und nicht auf die andere Seite zu den Sieben Hengsten gelangen. Untersuchungen des Siebenhengste-Hohgant-Höhlensystems zeigen aber, dass das Haupttal des Berner Oberlands anfänglich noch über einen «Ur-Grüenebergpass» Rich- tung Mittelland verlief (Paläo-Zulgtal, Abb. 1). Erst während der letzten Million Jahre tieften die Gletscher den Durchbruch zwischen Stockhorn und Sigriswil- grat noch um mehr als einen Kilometer ein. Vielleicht floss die Aare ja damals über den Brünig und nicht Richtung Interlaken (Paläo-Aaretal, Abb. 1)? Ein Weg, der jedenfalls durch den Aaregletscher auch in der letzten Vergletsche- rung wieder eingeschlagen wurde. Damit könnte der Oberlauf dieses Tals durchaus in einem «Ur-Kandertal» gelegen haben – natürlich hoch über dem heutigen Talboden.

Literaturauswahl Ein ausführliches Literaturverzeichnis findet sich in Gnägi (2008), hier folgt deshalb nur eine kleine Auswahl.

Andrist David, Flükiger Walter, Andrist Albert, 1964: Das Simmental zur Steinzeit. Bern.

Audra Philippe, Bini Alfredo, Gabrovsek Franci, Häuselmann Philipp, Hobléa Fabien, Jeannin Piierre-Yves, Kunaver Jurij, Monbaron Michel, Sustersic France, Tognini Paola, Trimmel Hubert, Wildberger Andres, 2006: Cave genesis in the Alps between the Miocene and today: a review. Zeitschrift für Geomorphologie N.F. 50:153-176. Berlin.

Gnägi Christian, 2008. Hochgelegene Lockergesteine am bernischen Alpenrand. Diss Uni Bern.

Gnägi Christian & Schlüchter Christian (im Druck): High-altitude erratics in the Bernese Alps (Switzerland). Swiss Journal of Geosciences.

85 Häuselmann Philipp, Granger Darryl E., Jeannin Pierre-Yves & Lauritzen Stein-Erik, 2007a: Abrupt glacial valley incision at 0.8 Ma dated from cave deposits in Switzerland. Geology 35/2:143–146.

Jeannin Pierre-Yves, 1991: Mise en évidence d’importantes glaciations anciennes par l’étude des remplissages karstiques du Réseau des Sieben Hengste. Ecl. geol. helv. 84/1:207– 221. Basel.

Kelly Meredith A., Buoncristiani Jean-François & Schlüchter Christian, 2004: A reconstruction of the last glacial maximum (LGM) ice-surface geometry in the western Swiss Alps and contiguous Alpine regions in Italy and France. eclogae geologicae Helvetiae 97/1:57–75. Basel.

Kesselring Martin, 1975: Höhlenführer Stockhorn. Zeitschrift der Jugendorganisation der Schweizerischen Gesellschaft für Höhlenforschung Bern 3/1975:1– 40.

Minet André, 1971: Etude préliminaire de la région des Sieben Hengste (Eriz, Be). Actes du 4e Congrès national de spéléologie. Stalactite Suppl. 6:35 – 48, Neuchâtel.

Nussbaum Fritz, 1906: Die eiszeitliche Vergletscherung des Saanegebietes. 1946: Über die Höhe des eiszeitlichen Rhonegletschers am Nordrand der Préalpes Romandes. Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Bern. N. F. 3.

Alle Bilder stammen vom Autor.

86 Benedikt Horn

Alte Wege im östlichen Berner Oberland im Spiegel ihrer Geschichte

«Sicherlich müssen Sie sich jedoch von der Vorstellung verabschieden, die Kirchwege seien irgendwann systematisch geplant und gebaut worden.» (Vinzenz Bartlome, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Staatsarchiv des Kantons Bern)

Sechs Kapitel dieses Artikels sind hier aus Platzgründen nur als kurze Einfüh- rung wiedergegeben. Der jeweilige Volltext ist von der Homepage des UTB – www.u-t-b.ch – abrufbar. Wer keinen Internet-Anschluss hat, kann die fehlenden Teile kostenlos beim Autor beziehen. Das Literaturverzeichnis gilt für den ganzen Beitrag.

Alte Wege … wozu viele Seiten über alte Saumwege, Kirchwege, Alpwege, Holzwege, Bergwege, Wasserwege? Wir brauchen doch moderne, aktuelle Führer, Karten, GPS-Daten! Aufmerksame Wanderer, deren Ziel nicht in erster Linie das Tempo, sondern das Erwandern von Natur und Kultur ist, stellen immer wieder fest, dass gewisse Wegabschnitte, oft über grössere Distanzen, mit offensichtlich alten, unbehauenen Steinen gepflastert oder talseitig mit kunstvoll erstelltem Trocken-Mauerwerk befestigt sind (Abb. 1, 2 und 3). Wie kommt es, dass nicht nur stark frequentierte Saumwege und Talstrassen, son- dern auch Alpwege und Kirchwege, Holz-Schleifwege und Bergwege «der ersten Stunde» mit für damalige Verhältnisse enorm grossem Aufwand erstellt wurden? Diese kurze Arbeit erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sie soll vielmehr anregen, unsere interessante Gegend mit offenen Sinnen zu er- wandern. Die Lektüre verlangt ein gewisses Verständnis für historische Fakten und Zusammenhänge. Das Wort «historisch» wird aber im Titel bewusst ver- mieden, da es ein offizielles «Inventar historischer Wege der Schweiz» gibt. Das Zentrum für Verkehrsgeschichte «ViaStoria» führt dieses Inventar in enger Zusammenarbeit mit der Universität Bern weiter, eine sehr aktive Arbeitsgrup- pe (1) engagiert sich um Erhalt und Belebung historischer Verkehrswege.

87 Abb. 1: Wegrand / Pflasterung Saumweg Grimsel

Im Gebiet des engeren Berner Oberlandes sind in den letzten Jahren nebst der «Via Jacobi», dem Jakobsweg, besonders die «Via Sbrinz», der alte Saumweg von Sarnen via Brünig oder Jochpass, Grimsel und Griespass ins Pomatt, und die «Via Cook» bekannt geworden. Als Einstieg ins faszinierende Thema Kul- turwege sei besonders Liebhabern schöner Bilder das prächtige Buch «Alte Wege – neu gesehen» von H.-D. Finck empfohlen (2). «ViaStoria» kümmert sich nicht nur um alte «Weitwanderwege», sondern auch um kurze, historisch wertvolle Wegabschnitte in der ganzen Schweiz.

Römerwege Unmittelbare Spuren haben die Römer im Berner Oberland kaum hinterlassen. Bezüglich Weg- und Strassenbautechnik allerdings waren sie führend. Volltext nachzulesen im Internet*.

Das Transit-Wegenetz: Saumwege Der Saumweg über die Grimsel ins Goms und von dort über den Griespass nach Norditalien war für die wirtschaftliche Entwicklung des östlichen Berner Oberlandes, insbesondere des Oberhasli, von grösster Bedeutung. Volltext nachzulesen im Internet*.

Verlauf und Konstruktion der Saumwege Die Saumwege wurden mit grosser Sorgfalt dort erstellt, wo das Gelände dies überhaupt erlaubte, wo möglichst selten Lawinen, Hochwasser oder Felsstürze drohten und wo andererseits dank Sonneneinstrahlung damit gerechnet wer-

88 den konnte, dass der Saumpfad, wenn immer möglich, von Juni bis Oktober nicht wegen Schnees unpassierbar war. Aktuelles Beispiel: Der Saumpfad über die Grimsel verlief zwischen Boden und auf der Sonnseite unter Meidung des «Spreitlaui-Grabens», wo heute nicht nur Lawinen, sondern als Folge des Anstieges der Permafrostgrenze und heftiger Niederschläge auch grosse Murgänge nicht nur die einzige Passstrasse zwischen dem Berner Ober- land und dem Wallis, sondern auch eine internationale Gaspipeline bedrohen.

Wo es sinnvoll war, wurde der Weg auf seiner ganzen Breite mit grossen Stei- nen gepflastert (Abb. 1/5). Besonders stabile Verhältnisse wurden durch Steil- stellen kleiner Steinplatten erreicht (Abb. 13). Die talseitige Begrenzung der Saumwege wurde, wo nötig, durch eine massive Trockenmauer befestigt, (Abb. 3, sowie M. Lutz, 12). Viele dieser Mauern sind uns nach Jahrhunderten erhalten. Leider dienten in späteren Zeiten, als die Erschliessung der Pässe mit Strassen begann, die alten Saumpfade der lokalen Bevölkerung oft als kosten- günstige Steinbrüche. Insbesondere war es offenbar lohnend, die kleinen Steinplatten der Querabschläge zu entfernen: Um solche Steine zu behauen, bedurfte man eines Steinmetzes, der Abtransport fertiger Platten war mit einem Karren und noch effizienter im Winter mit einem Schlitten und einem Maultier möglich.

Abb. 2: Wegrand Saumweg Faulhorn

89 Abb. 3: Stützmauer (Trockenbau) Faulhornweg

Abb. 5: Pflasterung und Querabschlag (Entwässerungsrinne)

Ohne Querabschläge ist ein Weg in kurzer Zeit dem Untergang geweiht: Hier sammelt sich bei Regen oder Schneeschmelze das Wasser alle 20, 50 oder 100 Meter, um seitlich talwärts abzufliessen (Abb. 5).

Die meisten Saumwege sind über grosse Distanzen 2 Meter breit, um das problemlose Kreuzen von Saumtieren mit ihrer Last zu erlauben. Ein Saumtier mit Seitenlasten ist an die 1,5 Meter breit. Wollte eine Säumerkolonne ihr oft 10 oder 12 Stunden entferntes Tagesziel erreichen, hatte man bereits damals keine Zeit für mühsame Kreuzungsmanöver. Als eindrucksvolles Beispiel der Anpassung der Wege an Gelände und Anforderungen finden wir am Gries- pass oberhalb Stocke zahlreiche Wegreste, die jeweils zum Gletscher führten.

90 Abb. 13: senkrecht eingebrachte Pflasterung

Eine Gletscherquerung war stets eine «Schlüsselstelle», und der Rückgang der Gletscher forderte oft jährlich eine Anpassung der Zugangswege an der geeig- neten Stelle.

Auf die bautechnischen Wunderwerke in der Schöllenen- und Gondoschlucht sei hier nicht im Detail eingegangen, hingegen auf die Hählenplatte am Grim- sel-Saumweg oberhalb Handegg. Hier wurden 16 Stufen direkt in den kom- pakten Granit gehauen (Abb. 6). Ohne Kunstbauten nicht passierbare Felsplat- ten gehörten seit jeher zu den ganz grossen Hindernissen und Herausforde- rungen. Als Hannibal im Jahre 218 vor Chr. die Alpen von West nach Ost überquerte, um Rom von Norden her anzugreifen (Schlacht am Trasimenischen See) war eine grosse Felsplatte «Schlüsselstelle», die es mit 50‘000 Mann, 10‘000 Pferden und 37 Elefanten zu überwinden galt. Die Platte wurde mit Feuern und Glut erhitzt und in der Folge mit Eis und Essig abgekühlt, was im Granit zu Rissen führte, die dann den Bau von Stufen erlaubten (13). Ob sich die Erbauer des Grimsel-Saumpfades an der Hählenplatte ähnlicher Tricks be- dienten, ist nicht überliefert. Sehenswert sind die Stufen in jedem Fall, umso mehr, als zwanzig Gehminuten Richtung Grimsel bei «Chüenzletännle» eine der ältesten, sehr gut erhaltenen Brücken steht (Abb. 7).

Selbstverständlich wollte auch die Obrigkeit in Bern etwas vom Handel über die Pässe profitieren. Nebst den üblichen Pass-, Brücken- und Wegzöllen erhob Bern für jedes Stück Vieh, das ausgeführt wurde, ein so genanntes Trattengeld (Tratte = Wechsel). Die grossen Schwierigkeiten mit dem Inkasso dieser bei Bauern und Händlern wenig beliebten Steuer führte bereits nach 30 Jahren wieder zur Abschaffung des Trattengeldes.

91 Abb. 6: Hählenplatte, Grimsel-Saumweg oberhalb Handegg

Wege im Alpenraum Der schweizerische Alpenraum war mit Ausnahme des grossen St. Bernhard und weniger Stellen im Tessin und in Graubünden vom Wegenetz der Römer praktisch nicht erschlossen. Die Entstehung des Wegenetzes im Lauf der Jahr- hunderte ist sehr interessant. Wir unterscheiden zwischen lokalen und regiona- len Wegen einerseits und einem Transitwegenetz andrerseits. Diese einzelnen Wege fügen sich zu einem mehr oder weniger dichten Wegenetz zusammen.

Grundsätzlich wurden Wege erstellt, um leichter von A nach B zu gelangen: Transport von Waren, Arbeit in der Vieh- oder Landwirtschaft, Jagd, täglicher Gang zur Wasserquelle, Besuch des Gottesdienstes, usw. Das gesamte Wege- netz diente aber auch der Kommunikation von Mensch zu Mensch und von Region zu Region, da es weder Zeitungen noch Telefon, Radio, TV, SMS oder e-mail gab. Entsprechend gross war oft die Unsicherheit unter der Bevölke- rung, ob es sich bei einer Meldung um eine Tatsache oder nur um ein Gerücht handelte. Ein lateinisches Sprichwort sagt, dass das Gerücht beim Herumge- hen wachse: Es war an Wege gebunden (J.-N. Kapferer, 14).

Lokales und regionales Wegenetz Es bestehen kaum Zweifel, dass während Jahrhunderten das lokale und regio- nale Wegenetz für die Bevölkerung von ausschlaggebender Bedeutung war.

92 Abb. 7: Historische Brücke «Chüenzletännle» (Grimselweg)

Die Wege entstanden beim Gehen, zuerst als lokale Trampelpfade, die später bei Bedarf an heiklen Stellen, beispielsweise Bachquerungen, mit einfachen baulichen Massnahmen verstärkt wurden. Die Wege verbanden die Wohn- siedlungen mit Quellen, Ställen, Weideland und Äckern, mit dem Wald als Hauptenergielieferant, mit den Alpen, mit der Kirche, mit benachbarten Sied- lungen. Die Bevölkerung lebte auf sich allein gestellt und von Importen weit- gehend unabhängig. Die lokalen Wege passten sich in ihrem Verlauf so gut wie immer möglich den geografischen Gegebenheiten wie Steilhänge, Wald, Felsen, Flüsse usw. an, Erfahrungen der lokalen Bevölkerung wurden sorgfältig berücksichtigt. Nur wenige Güter, wie z.B. Salz, mussten oft über grosse Dis- tanzen herbeigeschafft werden. Auf einige typische regionale Wege wird wei- ter unten näher eingegangen.

Talstrassen Als Beispiel für den Zustand von Talstrassen sei hier die Strasse vom Bödeli nach erwähnt. Chr. Rubi (10) schildert die Verhältnisse eindrucks- voll. Als Landvogt Gabriel Gross 1744 ins Gletschertal ritt, um Familien, die nach Amerika auswandern wollten, von ihrem Vorhaben abzuhalten, musste der Schlossweibel mit Helfern vielerorts den Weg bahnen und Gebüsch und Zäune entfernen. Noch Ende des 18. Jahrhunderts war der Weg so schmal, dass ein Reiter ein entgegenkommendes einspänniges Pferdefuhrwerk vieler-

93 orts nicht kreuzen konnte, ohne Zäune zu entfernen. Wie bereits bei den Römern, waren auch später nur sehr oft begangene und wichtige Strassenab- schnitte gepflastert, sonst dominierten Schotter- und Kieswege, die nach Ge- wittern oder während der Schneeschmelze oft einem Bachbett glichen, der Boden bestand aus Schlamm, grossen Steinen, Sand, Wurzelwerk. Auch die Talstrasse musste von den Bäuerten in «Gmeinwärch» unterhalten werden, die Anstösser versuchten dabei, die Zäune möglichst weit in den Weg zu setzen, um sich schadlos zu halten. Verglichen mit der «Talstrasse» nach Grindelwald, waren Saumwege über Grimsel- oder Griespass geradezu Luxusstrassen! Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte der Talweg von kleinen Fuhrwerken einigermassen hindernisfrei befahren werden.

Am Wegrand An zahlreichen alten Wegen finden wir, sozusagen als «Wegbegleiter», histo- rische Bauten und Denkmäler, die dem Auge weniger entgehen, wenn man sich informiert hat. Für das leibliche Wohl und für eine einfache Unterkunft sorgten Tavernen und Schenken, die teilweise heute als Gasthäuser noch ihre Funktion ausüben. Auf den Pässen stehen seit Jahrhunderten Hospize, die ar- chitektonische Wunder sind. Häufig findet das geschulte Auge alte Mühlen und Schmieden. Kaum zu übersehen sind in der Regel Kapellen und Kirchen, die nicht nur für Pilger, sondern auch für Säumer und Landsknechte ihre Be- deutung hatten. Man stellte anspruchsvolle Wege unter den Schutz Gottes oder eines Heiligen.

Der Orientierung dienten immer wieder «Steinmännchen». Unerlässlich waren Dorfbrunnen: ein Maultier trinkt im Sommer «bei der Arbeit» täglich etwa 15 Liter Wasser.

Ein interessantes Relikt sind die «Stundensteine», die leider im Kanton Bern vielerorts einer Strassensanierung zum Opfer gefallen sind. Die meisten Stun- densteine wurden nach 1825 versetzt. Ursprünglich fanden sich von Bern bis auf die Grimsel 24 Steine, bis Brienz fehlen einige, im Hasli alle Steine. Gemäss Regierungsbeschluss vom 4.10.1978 stehen sämtliche noch vorhandenen Stundensteine unter Denkmalschutz. Abb. 9 zeigt den Stein in der Aegerti, von Wilderswil, Autobahneinfahrt Richtung Interlaken Ost «XII Stunden von Bern». Obschon die Bevölkerung früher kleiner war, lief man schneller: Bis 1837 be- trug eine Wegstunde 18‘000 Berner Schuh, dies sind 5279 Meter. Seit 1838

94 Abb. 9: Stundenstein in der Aegerti (Wilderswil) misst eine Schweizer Wegstunde 16‘000 Schweizer Fuss, dies sind 4800 Me- ter, also pro Stunde fast 500 Meter weniger! Die Masse sind zu besichtigen im Durchgang des Zytglogge-Turmes in Bern. (B. Weber, 15). Weitere Stunden- steine finden sich beim Kreisel in der «Lütschere» kurz vor Interlaken, bei Schwendi/Grindelwald, an der Hauptstrasse kurz vor Zweilütschinen sowie in der riesigen Stützmauer kurz vor . Zweck der Stundensteine war am ehesten, immer wieder daran zu erinnern, wer «Herr im Lande» ist, wie weit es bis zur hohen Obrigkeit in Bern noch sei. Die kurz bemessenen Marsch- zeiten erlaubten sicher weder lange Tavernenbesuche noch längere Marsch- pausen.

Wenig bekannte Erscheinungen an Wegen sind die «Gruebis»: Das Gruebi ist ein einfacher Holzunterstand mit drei Wänden und einem Dach, der Wander- ern Schutz vor Witterung und Ruhe auf langen Märschen bieten sollte. Im Berner Oberland wird das Gruebi meist «Schärm» genannt. Beispiele: Harder- manndli, Oberes Lauchbühl an der grossen Scheidegg, Faulhornweg (Egg im Sägistal, Burgi, Widerfeld), Alpweg Iselten, Bonere am Bergweg Gletscher- schlucht – Alpiglen, alter Kirch-und Alpweg Lauterbrunnen – Mürren und bei

95 Abb. 10: Gruebi (Schärm) am Weg Oberried-Vogtsällgäu

«Spychern» am Alpweg von Oberried zur «Vogts Ällgäu» (Abb. 10) (Chr. Do- erfel, 16). Die runden Pavillons an der Harderpromenade (Lustbühl, Hohbühl) und im Rugen sind im Prinzip «Luxus-Gruebeni» aus der Zeit des aufkom- menden Tourismus, und zum Geniessen der grossartigen Aussicht selbstver- ständlich ohne Wände.

Kirchwege Ähnlich den Alpwegen sind Kirchwege mehr als «lokale Trampelpfade» aber doch nicht überregionale Transitrouten oder Saumwege. Sie sind entstanden für und durch den Besuch des Gottesdienstes in derjenigen Kirche, der ein Dorf zugeteilt war. Bis ins Jahr 1528 war die Bevölkerung des Berner Ober- landes katholisch. Die neue Glaubenslehre der grossen Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin hatte bei den Oberländern anfänglich einen schweren Stand. Insbesondere der energische Kampf Zwinglis gegen die Reisläuferei be- deutete für viele junge Männer und Familienväter den Verlust der Existenz- grundlage. Der karge Boden gab zur Ernährung der oft kinderreichen Familien zu wenig her, das Risiko in fremden Kriegsdiensten war sehr gross. Während die Innerschweizer Kantone beim alten Glauben blieben, erzwang Bern im Oberland die mit Gewalt. Am 13.3.1528 gab der Probst des Au- gustinerklosters Interlaken der Regierung in Bern bekannt, dass er die Verwal- tung des Klosters «nicht mehr auszuüben wüsste, könnte noch wollte» (H. Michel, 17) und dass es sein Wille sei, von diesem Amt gegen gerechte Ent- schädigung enthoben zu werden. Die Regierung akzeptierte den Wunsch, aber die Bevölkerung kam sich betrogen vor: letztlich handle es sich um das Gut der Bevölkerung, das dem Kloster zur treuhänderischen Verwaltung über-

96 geben worden sei. Die Bevölkerung des Oberlandes sah, dass sie vom Regen in die Traufe geraten war, eine Delegation der Oberländer wurde in Bern gar nicht empfangen. Vielmehr zögerte Bern nicht, seine erdrückende Übermacht drastisch zu demonstrieren: Geschützt durch ein Heer von über 5000 Solda- ten, schied Schultheiss von Erlach auf der Höhematte Interlaken die Guten von den Übeltätern, und letztere mussten sich eine «Strafpredigt» in 12 Punkten anhören, wurden aber begnadigt. Einzelne renitente Glaubensverweigerer wurden auf barbarische Art «gevierteilt», indem man an beiden Armen und Beinen ein Pferd anband und den Körper in vier Teile riss. Andere Glaubens- verweigerer wurden «gnädig» durch Enthauptung gerichtet. Der «Tarif» für Glaubensverweigerer und säumige Kirchgänger war somit klar, und es lag auf der Hand, sonntags den Gottesdienst in der zugewiesenen Kirche zu besu- chen, auch wenn sie mehrere Wegstunden entfernt war. Diese Hintergründe machen verständlich, dass es galt, Wege zu erstellen, die den sonntäglichen Predigtbesuch auch bei Regen und Schnee erlaubten.

Die Weisung, den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen, kam zwar von der Obrigkeit in Bern, um die Wege kümmerte sich diese Obrigkeit aber nicht, dies war Angelegenheit der Dorfgemeinschaften. Die Wegbefestigungen mussten in tausenden von Arbeitsstunden im Frondienst und weitgehend ohne Hilfs- mittel erstellt werden. Bekannt waren in dieser Zeit zum Bewegen grösserer Steinblöcke das Hebelgesetz und die schiefe Ebene, beides kann bei routi- nierter Anwendung den Kraftaufwand erheblich vermindern. Da und dort wurden zum Schleppen von Blöcken über grössere Distanzen wohl auch soge- nannte Steinschlitten mit Ochs, Pferd oder Maultier eingesetzt. Dass Hebevor- richtungen im Sinne von Kränen mit Winden oder Treträdern nach dem Fla- schenzugprinzip, wie sie bereits von den Griechen in der Antike verwendet wurden, zum Einsatz kamen, ist eher unwahrscheinlich (J. G. Landels, 18).

Vier Anlässe wurden von der Kirche jeden Sonntag «angeboten»: 1. Die «Kinderlehre» als erster kirchlicher Unterricht. Die Kinder wurden oft begleitet von ihren Müttern. In der Regel fand die Kinderlehre unmittel- bar vor dem Gottesdienst statt. 2. Der eigentliche Gottesdienst, der dem Pfarrer eine beachtliche Gedan- ken- und Redefreiheit einräumte. Liberale Denkweise war zwar erlaubt, durfte aber nicht von der Kanzel verkündet werden. 3. Das Verlesen der «amtlichen» Mitteilungen: ohne Zweifel Hauptgrund,

97 warum die Obrigkeit in Bern auf dem obligatorischen Besuch des Gottes- dienstes beharrte. 4. Das Chorgericht, dessen Verhandlungen in der Regel unmittelbar im An- schluss an den Gottesdienst stattfanden.

Folgen der Reformation, Sittenmandate, Chorgericht Die Zeit nach der Reformation brachte der Bevölkerung im Berner Oberland eingreifende Veränderungen, die sich in den verschiedenen Quellen überaus spannend verfolgen lassen. Volltext nachzulesen im Internet*.

Der Kirchweg Habkern – Unterseen – Goldswil Bis zum Bau der Kirche Unterseen Ende des 15. Jahrhunderts und der Kirche Habkern (1666) war das Dorf Habkern in Goldswil kirchengenössig. Nach der «Chronik des Habkenthales» von Pfarrer A. E. Walthard (1855) sollen die Gläu- bigen von Habkern gar in Würzbrunnen im zur Kirche gegangen sein. Von der romanischen Kirche Goldswil (um 1190) steht heute noch der eindrucksvolle Turm (Abb. 12). Die Überlieferung, dass die Bevölkerung von Habkern den Gottesdienst in Goldswil via Alp Horet und Hardergrat besucht habe, war kaum die Regel. Es ist durchaus möglich, dass gesunde Leute aus

Abb. 12: Turm der Kirchruine Goldswil

98 den Bäuerten Bohlseite oder Schwendi bei guten Verhältnissen diesen «di- rekten» Weg dem Umweg über Unterseen vorgezogen haben. Ein zeitlicher Gewinn war es kaum. Gustav Ritschard und Emil Schmocker beschreiben in ihrem Buch (24), wie die kurze Holzleiter, auf der jeweils der Sarg mit dem Verstorbenen getragen wurde, stets dort deponiert wurde, wo sich der letzte Todesfall ereignete, so hätte man die Leiter nicht lange suchen müssen. Wie oft tatsächlich Verstorbene von Habkern über den Hardergrat auf den Friedhof in Goldswil getragen wurden, ist kaum eruierbar, da die Kirchrodel über den Transportweg Verstorbener nicht Auskunft geben. Überliefert ist auch, dass Tote im Winter hoch am Grat «deponiert» worden seien. Im Frühling sei der Sarg über die langen Lawinenzüge in einem der zahlreichen steilen Gräben nach Goldswil geschleppt worden. Ist die Geschichte nicht wahr, ist sie doch gut erfunden, wir wissen ja, wie Ereignisse durch mündliche Überlieferung recht rasch geändert und ausgeschmückt werden…

Die in Frage kommenden Wege von Habkern auf den Hardergrat sind kaum befestigt, hingegen finden wir auf der Südseite sowohl beim «Rotenfluhweg» als auch beim Weg durchs «Graaggentor» Mauerbefestigungen. Ob diese schönen Wege in erster Linie dem Transport von Bergheu aus den «Graagen- rechten» ins Tal dienten, oder ob sie in der Tat für den Besuch des Gottesdiens- tes in Goldswil gebaut wurden, lässt sich nicht belegen. Der Rothenfluhweg zeigt sehr typische Merkmale eines Holzschleif-Weges, indem die Kurven auf der Innenseite steil und breit «geglättet» sind. Wie für Holzwege typisch, hört der breite Weg im «Roniwald» plötzlich auf, bis zum Grat zieht sich dann nur noch ein schmaler, teilweise abschüssiger und nicht ungefährlicher Pfad. Hier wurden kaum je Kinder zur Taufe und Tote zur letzten Ruhestätte getragen!

Viel wahrscheinlicher ist, dass bereits vor dem Bau der Kirche Unterseen, wo Habkern Ende des 15. Jahrhunderts kirchengenössig wurde, der Kirchweg über Bort – Stollen – Rüti aufs Bödeli führte. Was den Ausschlag gab, diesen Weg an der Sonnseite anzulegen, ist nicht zu ermitteln, sind doch beide Flan- ken des Habkerntales geologisch ausserordentlich instabil. Die kostspieligen Probleme mit der späteren «Habkern-Strasse» an den «läbigen» Nordflanken des Harders wurden von U. Flück (25) eindrücklich beschrieben. Oberamtmann Steiger beurteilte die Strasse 1823 als im Winter gefährlich und im Sommer selbst bei trockenem Wetter «für jeden andern als die Bewohner des Tales, die von Jugend auf an diese Strasse gewohnt sind, fast unbrauchbar».

99 Was ohne Zweifel zutrifft, ist die Bemerkung von Ritschard/ Schmocker, dass sich durch die gemeinsamen Kirchenbesuche auch im bürgerlichen Leben nä- here Beziehungen unter den kirchgenössigen Gemeindebewohnern ergeben hätten. Wir wollen den Kirchenbesuchern nicht unterschieben, während des Gottesdienstes unerlaubt irgendwelche Beziehungen angeknüpft zu haben, aber vor und nach der Predigt bot sich dazu Gelegenheit genug. Insbesonde- re der anschliessende Besuch der Taverne oder Pinte dürfte Kontakte erleich- tert haben. Den besten Einblick geben die Chorgerichtsmanuale, und diese zeigen, dass es oft keineswegs beim «Händchenhalten» blieb. Es ist auch we- nig wahrscheinlich, dass die Habker Kirchgänger ihren mehrstündigen Heim- weg unter die Füsse genommen haben, ohne sich vorher zu verpflegen. In der Tat fällt auf, dass in Ringgenberg-Goldswil wie in Habkern recht viele Leute den gleichen Namen (z.B. Zurbuchen) tragen. Ob dies allerdings auch stati- stisch signifikant ist, muss bezweifelt werden. Aus Gründen des Persönlich- keits- und Datenschutzes wurde auf Nachforschungen verzichtet. Mindestens so typisch wie die gemeinsamen Namen ist das unverkennbare Wörtchen «nüd», wobei das ü in einer subtilen Mischung zwischen ö und ü ausgespro- chen wird. Dieses «nüd» wird nur in Habkern, Ringgenberg und Iseltwald gesprochen.

Während die alten Kirchrodel und Chorgerichtsmanuale für die meisten von uns kaum lesbar sind, fasst G. Buchmüller im «Hardermannli» (26) die «Ge- schichte der Kirche Habkern» sehr schön zusammen. Interessante Details er- wähnt auch M. Sooder (27). Uns interessiert die Zeit vor 1666, damals wurde nämlich die heutige Kirche von Habkern eingeweiht. Bis 1471, als die Kirche Unterseen eingeweiht wurde, war Habkern (wie Unterseen und Ringgenberg), wie oben erwähnt, kirchgenössig in Goldswil.

Der Weg zur Kirche führte vom «Bären» unterhalb der heutigen Strasse talaus- wärts nach Bort und dort steil in den Graben des Bühlbaches. Von hier über kleine Weiden und durch Wald zu den Wiesen von Stollen und Rüti und hier steil im Zick-Zack talwärts nach St. Niklausen, dem Fuss des Harder folgend bis zur Aare, die erst zwischen 1855 und 1863 kanalisiert wurde: Bau der «oberen Staats-Schleuse» zur Regulierung des Brienzerseepegels, Kanal vom Brienzer- see bis zur Schleuse Unterseen mit einem Totalgefälle von 3 Fuss und Sohlen- breite von 70 Fuss. Vorher erlaubte die Aare am Fuss des Felsbollwerkes des «Hohbühl» eine Passage für Fussgänger höchstens zeitweise. Um nach Golds-

100 Abb. 4: Hohbühl Blick auf Aare Richtung West wil zu gelangen musste also das Hohbühl (Abb. 4) überschritten werden. Der Anstieg von Westen gegen das Hohbühl erfolgte kaum durch die heutige «Harderpromenade» vom Lustbühl, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit vom «Säumätteli» her: Am Westende der kleinen Wiese sind im steilen Wald Spuren eines alten Pfades mit talseitig grossen Randsteinen auszumachen.

Wenn wir davon ausgehen, dass Kinderlehre und Predigt von 11 bis 13 Uhr dauerten, mussten die Habker spätestens um 7 Uhr früh starten, die Kirchgän- ger von Schwendi und Bohlseite noch eine halbe Stunde früher. Und dies im «Normalfall», im Sommer bei trockener Witterung. Bereits bei Nässe ist der Weg von Bort bis Rüti heikel, bei Eis und Schnee gefährlich. Und am Nachmit- tag hiess es, die ganze Strecke mit über 500 m Steigung zurück zu gehen.

Eine erhebliche Erschwernis des Kirchganges waren nicht nur Krankheit und Behinderungen, sondern beispielsweise die Taufe. Die bernisch obrigkeitlich kontrollierte Kirche verlangte eine Taufe vor dem 8. Lebenstag. Hauptgrund war nicht etwa die damals noch sehr hohe Säuglingssterblichkeit, sondern die permanente Angst der Regierung vor den Aktivitäten der Kapuziner im Entle- buch sowie der Täufer.

Grösste Herausforderung war ohne Zweifel der Transport von Verstorbenen auf den Friedhof. Natürlich war die Bergbevölkerung damals selten überge- wichtig und im Vergleich zur heutigen Zeit wohl sehr gut trainiert. Bilder, wie

101 sie Gustav Ritschard in seinem Buch (24) gezeichnet hat, dürften wohl seltene Ausnahmen gewesen sein.

Überliefert ist auch, dass Totentransporte im Winter vermieden wurden, indem Menschen, die die kalte Jahreszeit im Bergdorf kaum mehr überstehen wür- den, bereits im Herbst ins Tal transportiert wurden. Und es soll vorgekommen sein, dass sich «Abgeschobene» im Tal so gut erholten, dass sie im Frühjahr aus eigener Kraft wieder ins Bergdorf zurückgekehrt sind. So, wie der Autor die Menschen von Habkern während Jahrzehnten kennen gelernt hat, dürften sich allerdings auch alte und gebrechliche Einwohner nur in Ausnahmefällen diesem «Abschieben» unterzogen haben.

Der Einbezug von Erzählungen, Erinnerungen und Überlieferungen in Suchar- beit und Quellenstudium ist stets eine Gratwanderung. Sehr oft ist an zahl- reichen Überlieferungen ein Körnchen Wahrheit, irgendein Ereignis ist mögli- cherweise oder sogar wahrscheinlich einmal geschehen. Es braucht aber so wenig, dass das Wort «jeweils» hinzukommt. Es ist nicht auszuschliessen, dass einmal eine Nonne des Klosters Interlaken ein unerwünschtes Kindlein am Weg nach Habkern deponiert hat. Es ist auch möglich, dass sie das Kind unter eine Buche gelegt hat. Daraus aber zu folgern, der Name Zurbuchen komme von den Findelkindern aus dem Kloster Interlaken, die «jeweils» bei dieser Buche abgelegt worden seien, ist unwissenschaftlich und nicht erlaubt.

Abb. 8: Gsteigkirche

102 Auch der wesentlich kürzere Kirchweg nach Unterseen blieb nicht ohne Pro- bleme. Um den Familien die Taufe zu erleichtern, kam der Pfarrer von Unter- seen bei Bedarf in die Kapelle nach Habkern, um die Kinder zu taufen. Die Pfarrherren nahmen diesen mühsamen Weg aber nur sehr ungern auf sich, sie beschwerten sich bei der Obrigkeit, dass man auf dem Weg nach Habkern nasse Schuhe bekomme, was überhaupt nicht zu bezweifeln ist. Dass die Ob- rigkeit in Bern zu Gunsten der Pfarrherren entschied, ist ebenfalls nicht zu bezweifeln. Mütter, Gotten und Hebammen hatten damals keine Stimme und kein Recht. Unterseen warf den Kirchgängern aus Habkern vor, sie würden weder an die Kosten des Sigristen, noch der Kirche genügend bezahlen, zu- dem würden die Habker an jährlich drei Abendmahlen sechs Mass Wein kon- sumieren, ohne die Kosten zu begleichen.

Der Kirchweg heute ist als Wanderweg in gutem, als historischer Kirchweg in eher schlechtem Zustand. Steinpflasterung ist nur noch an vereinzelten Stellen, besonders im Steilstück östlich der Rüti, vorhanden. Die ursprünglich mit Stei- nen gefertigten Querabschläge muss man suchen, sie sind heute durch Rund- holz ersetzt. Besonders zugesetzt hat dem alten Kirchweg im Jahr 2000 die Verlegung der Abwasserleitung von Habkern, die vom Bühlbach bis in die Rüti längs oder unter dem alten Weg verläuft. Diese Streckenführung war ohne Zweifel ein Gebot der Vernunft und der Kostenreduktion. Unterhalb der Rüti ist vom alten Weg nichts mehr zu sehen.

Seit 1666 hat das Dorf Habkern seine eigene Kirche und einen Pfarrer. Ganz selbstlos hat die bernische Obrigkeit dieser Kirche nicht zugestimmt. Habkern lag aus bernischer Optik gefährlich nahe der katholischen Innerschweiz. Der Gefahr, dass bei Schicksalsschlägen ein Kapuziner aus dem Entlebuch beige- zogen wurde, musste vorgebeugt werden.

Der Kirchweg von Sundlauenen nach Beatenberg Während Jahrhunderten besuchten die Kirchgänger von Beatenberg den Got- tesdienst in drei verschiedenen Kirchen: Die Bäuert Schmocken war in Sigriswil kirchgenössig, die Kirchgänger von Spirenwald mussten gute 500 Höhenme- ter zur Kapelle bei der Beatushöhle absteigen, Waldegg war der Kirche Golds- wil zugeteilt, ein sehr weiter Kirchweg… Die starke Zunahme von Pilgerströ- men aus der Innerschweiz auf dem Jakobsweg, mit Begleiterscheinungen wie Bettler und Tagediebe, weckte bei der Bevölkerung den berechtigten Wunsch,

103 Abb. 15: Pflasterung Faulhornweg (Alp Bach) eine eigene Kirche im Dorf zu haben. Das Dorf genoss die volle Unterstützung der bernischen Obrigkeit, ihr war seit der Reformation 1528 der Heiligenkult ein Dorn im Auge. Der Priester von Sankt Batten wurde entlassen, die Inner- schweiz reagierte empört.

1534 erhielt das Dorf eine einfache Holzkirche, 1674 wurde die heutige Kirche gebaut. Jetzt wurden sowohl Waldegg als auch Sundlauenen und Schmocken der Kirche Beatenberg zugeteilt. Die Regierung in Bern wollte den Besuch der Pilgerstätte bei der Höhle nachhaltig unterbinden, was selbst mit einer klafter- dicken Mauer nicht gelang: diese wurde mehrmals von wütenden Inner- schweizern niedergerissen und von Bern sofort wieder aufgebaut… Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts lösten die ersten Naturforscher und später «Tou- risten» die Pilger ab, bei der Höhle kehrte Ruhe ein (M.R. Hartmann, 28). Zu- letzt wurde sogar die Glocke der Höhlenkapelle, die lange Zeit in der Kirche Beatenberg läutete, wieder an ihren Ort zurück gebracht. Der «Kirchweg» von Sundlauenen zur Kirche Beatenberg weist vielerorts die typische stabile Kon- struktion alter Kirchwege auf. Im Gegensatz zu den Kirchwegen und Habkern, die im Winter oft nur schwer zu bewältigen sind, ist der am Südhang gelegene Kirchweg Sundlauenen – Beatenberg mit gutem Schuhwerk prak- tisch ganzjährig begehbar. Die Vegetation auf den steilen Wiesen östlich des «Fitzligrabens» ist derjenigen auf dem «Bödeli» oft um Wochen voraus!

Der Kirchweg von Isenfluh nach Zweilütschinen Das Dörflein Isenfluh, heute zur Gemeinde und Kirchgemeinde Lauterbrunnen gehörend, war während Jahrhunderten in der Kirche Gsteig kirchengenössig

104 (Abb. 8). Für Liebhaber historischer Wege ist dieser Kirchweg ausserordentlich interessant. Seiner Bedeutung als Kirchweg gemäss, wird der Weg von Isen- fluh in Richtung Kirche beschrieben. Der Weg beginnt im unteren Dorfteil von Isenfluh und führt recht steil zwischen Holzzäunen über die Wiesen an den Waldrand. Kurz über dem oberen Ende des Kehrtunnels der Isenfluh Strasse betritt man den Wald und zugleich Gemeindeboden von Wilderswil.

Der Isenfluh Spiraltunnel – er bewältigt mehr als 270 Grad – ist in mehrfacher Hinsicht ein Kuriosum: Es ist der einzige Strassenspiraltunnel in Europa. Zudem hat der Tunnel zwei Namen: Unten heisst er «Chuchischleif» und oben «Luegi- wald».

Der Kirchweg führt zuerst im Zick-Zack durch eine steile Waldpartie zwischen zwei Felswänden talwärts. Hier finden wir die höchsten Trockensteinstütz- mauern des Weges, und hier ist exemplarisch zu beobachten, welche verhee- rende Wirkung Wasser auf einen Weg hat, wenn es nicht rasch und nachhaltig abgeleitet wird. Nach dieser «Schlüsselstelle» ist das Gelände etwas weniger steil. Wir sehen am Weg sehr schön die Pflasterung, teils mit flach liegenden Steinen, teils mit senkrecht eingebrachtem Kopfsteinpflaster (Abb. 15). Ausge- zeichnet unterhalten sind die Querabschläge, durch die das Schmelz- und Re- genwasser regelmässig abfliessen kann, ohne dass sich auf dem Weg Wildbä- che bilden (Abb. 5). Kurz bevor wir den Talboden erreichen, überschreiten wir einen kleinen Bach über eine riesige Steinplatte. Die Fortsetzung des «Kirch- weges» via Bahnhof Zweilütschinen durch den alten Fahrweg nach Gsteigwiler und zur Kirche Gsteig wurde über die Jahrzehnte weitgehend Opfer der Mo- dernisierung. Mit der Zeit gehen muss auch der Gasthof Steinbock: Aus der ehemaligen Taverne wurde 1797 der heutige «Steinbock», das Restaurant ist heute ein «Steakhouse». Modernisiert wurde auch die Holzbrücke aus dem Jahr 1754: Nach dem Hochwasser von 2005 wurde eine hydraulische Hebevor- richtung eingebaut (Abb. 11).

Der Kirchweg vom nach Meiringen Der alte Kirchweg in seiner heutigen Form ist zwar sicher nicht Jahrhunderte alt, seine Anlage im überaus steilen Gelände mit hohen talseitigen und berg- seitigen Stützmauern (Trockenmauerwerk) ist dennoch sehr interessant. Insbe- sondere beeindruckt, dass die Mauern dem grossen Hangdruck hervorragend Widerstand leisten.

105 Abb. 11: Gsteigbrücke Wilderswil

Alpwege Sie sind weder lokale Trampelpfade noch über grosse Distanzen führende Saumwege, sondern die bevorzugten und oft einzigen Verbindungen zum Bestossen entlegener Viehsömmerungsgebiete. Das Bestossen der Alpgebiete durch bestimmte, meist burgerlich organisierte Gemeinden ist ein Bände fül- lendes Thema. Interessante geschichtliche und soziale Zusammenhänge wie Erbe, Heirat, Eroberung, Tausch, Abgeltung, usw. erklären, warum z.B. Unter- seen Alprechte auf Sefinen hat, warum Bönigen auf Alp Suls und Ringgenberg auf Alp Horet Alp- und Kuhrechte besitzt, warum auf den Alpen von Iselten Vieh aus zahlreichen Dörfern gesömmert wird und dass die Alp Winteregg bei Mürren seit Jahrhunderten von Bäuerten im Thuner Westamt bestossen wird. Immerhin sei erwähnt, dass die Bernische Obrigkeit Unterseen 1528 für seine «Berntreue» während der Reformationswirren mit 100 Kuhrechten auf Alp Sefinen belohnt hat (J. C.Remijn, 20). Zahlreiche Autoren (z.B. H. Michel, 17) vermitteln interessante Details zu Alp- und Kuhrechten. Diese Rechte sind kei- neswegs ein historisches Relikt, sondern auch heute immer wieder Anlass zu oft heftigen Auseinandersetzungen.

Der auf eine Alp führende Weg ist seit Jahrhunderten Angelegenheit der Alp- schaften, und der Unterhalt der Wege erfolgt auch heute weitgehend in Form von «Gmeinwärch», das heisst, jeder Besitzer von Alprechten ist verpflichtet, jähr-

106 lich anteilmässig eine bestimmte Zahl Stunden oder Tage zu investieren, Hand anzulegen und körperlich oft schwere Arbeit zu leisten. Ebenfalls in die Pflicht genommen sind die Einwohnergemeinden, auf deren Gebiet der Weg verläuft.

Das Bestossen von Alpen mit Vieh aus dem Unterland ist nicht neu: Während heute die Tiere soweit wie möglich mit Spezialfahrzeugen transportiert wer- den, war früher das Bestossen der Alp ausserordentlich aufwändig: Auf der Alp Winteregg bei Mürren wurde Vieh aus dem Thuner Westamt gesömmert (K.Stauffer, 29). In Thun wurden die Tiere auf einen «Bock» oder ein Ledischiff verladen und bis ins Neuhaus gefahren. Der weitere Weg betrug dann immer noch an die 6 Stunden. Im Jahre 1774 betraf dies nicht weniger als 89% der Kuhrechte auf Alp Winteregg. Auch die Tiere von Beatenberg wurden auf ihrer langen Reise zum Bäderhorn quer über den See mit Schiffen transportiert, bevor sie in mehreren Etappen das Gebiet um den Jaunpass erreichten.

Selbst wenn heute beim Alpaufzug grosse Distanzen meist mit Lastwagen bewältigt werden, wird dem Bestossen der Alp und der Rückkehr ins Tal durch die Bauern und zahlreiche Helfer grosse Bedeutung zugemessen. Die Alpauf- und -abzüge erfolgen auch im Tal nicht auf irgendwelchen Schleichwegen, sondern in der Regel auf der Hauptstrasse. Es ist dringend zu wünschen, dass diese «verkehrsberuhigenden» traditionellen Anlässe auch in Zukunft ihren Stellenwert behalten. Sobald sich das Vieh auf dem eigentlichen «Alpweg» befindet, ist es wesentlich sicherer, als auf öffentlichen Strassen. Die Alpwege werden durch die Bestösser rechtzeitig vor der «Züglete» in Stand gestellt.

Es fällt auf, dass «Zügelwege» oft besser unterhalten sind, als ganz in der Nähe verlaufende offizielle Bergwanderwege, wohl weil die Zuständigkeiten ge- nauer geregelt sind. Als ein Beispiel für viele sei der Zügelweg von Gsteigwiler auf die Alp Breitlauenen im Vergleich mit dem markierten Bergwanderweg von der Kirche Gsteig nach Breitlauenen unterhalb ihrer Kreuzung mit der Forststrasse erwähnt.

Alpweg Gündlischwand – Iselten Etwas im Detail sei ein Alpweg erwähnt, der wohl bald der Geschichte ange- hören wird: der Alpweg von Gündlischwand auf die Alpen von Iselten. Die Alp Iselten gehört mit 572 Hektaren Beizugsgebiet zu den grössten Alpen im Berner Oberland und umfasst die Alpen Inner-Iselten (oder Herren-Iselten) und

107 Äusser-Iselten (oder Bauern-Iselten). Die 262 Kuhrechte sind im Seybuch minu- tiös festgehalten und entsprechen 309 Normalstössen. Ein Normalstoss ent- spricht Weideland, das für eine Grossvieheinheit für 100 Tage reicht. Die Tiere auf Iselten kommen aus zahlreichen Gemeinden, bis zum Passwang im Jura.

Die Besitzer von Kuhrechten an Äusser-Iselten leisten jährlich 12 Stunden «Gmeinwärch» pro Kuhbsatz (Anzahl Kühe, die ein Besitzer von Kuhrechten auf die Alp bringt), die Besitzer von Kuhrechten an Inner-Iselten 8 Stunden: Unterhalt des Alpweges, Erstellen und im Herbst Abräumen des Alphages. Für nicht geleistete Arbeit sind 15 Franken je Stunde zu bezahlen.

Die Alpen von Iselten wurden nicht erst seit ihrer ersten urkundlichen Erwäh- nung (1261), sondern möglicherweise bereits Jahrhunderte vorher genutzt. Bereits 1285 vereinbarten die Propstei des Klosters Interlaken und Berchtold von Wädiswil die erste «Sey-und Weidegangs-Ordnung». Tauschgeschäfte von Kuhrechten waren oft Teil eines grösseren Handels.

Bezüglich Wege ist interessant, dass sich der Staat Bern 1811 verpflichtet hatte, an den Alpweg nach Iselten jährlich 12 Franken (!) Unterhaltskosten zu bezah- len. Heute ist die Gemeinde Gündlischwand verpflichtet, den Alpweg zu un- terhalten. 1866 wurde ein Vertrag zwischen dem Staat Bern, damals Besitzer der Alpen von Iselten und Gsteigwiler, unterzeichnet, der einen Weg von der Schynigen Platte aufs Faulhorn ermöglichte. Am 23.12.1867 verkaufte der Staat Bern Iselten für 168‘000 Franken an 29 Käufer.

Der Alpweg zieht sich von Gündlischwand zuerst durch schönen Buchenwald bergwärts. Auf 800 m Höhe kreuzt der Alpweg die Forststrasse. Bis hierher werden die Rinder heute in der Regel in Viehtransportfahrzeugen gebracht. Der verbleibende Aufstieg von 800 Höhenmetern durch den sehr steilen Weg ist immer noch eine Zerreissprobe für Vieh und Älpler. Selbst bei trockener Witterung ist der Weg mit seinen bis 50 cm hohen Stufen und kurzen expo- nierten Stellen eine Herausforderung. Die bei einer steilen Felspassage ange- brachten Drahtseile sind wohl für Touristen eine Hilfe, aber sicher nicht für Kühe und Rinder. Bei Regen oder Schnee, der Alpaufzug fällt oft in die Zeit der «Schafskälte» Mitte Juni, wird der Aufstieg zur Überlebensübung. Seit 800 Jahren wird durch diesen Alpweg auf die Alpen von Iselten gezügelt. Als «Al- ternative» stand während Jahrzehnten eine kleine Seilbahn zur Verfügung, die

108 von den zuständigen Amtsstellen längst abgesprochen ist. Die Zufahrt zu den Alpen von Iselten von Alp Hintisberg durch einen Tunnel war seit Jahren ge- plant, wurde aber von engagierten Naturschützern nachhaltig verzögert.

Was nach Eröffnung der Strasse mit dem Alpweg geschehen wird, ist unklar: Das Schicksal der meisten nicht mehr regelmässig begangenen Wege ist das «Verganden». Innert weniger Jahre wird der Weg von Gras, Büschen, und Brombeeren überwuchert, Wanderer haben keine Lust, solche Wege zu bege- hen. Typisches Beispiel ist der Weg von Gsteigwiler über die steilen Alpen von Bürgle zur «Scharte» und ins Bigelti unterhalb der Schynigen Platte. Dieser Alpweg war noch vor wenigen Jahrzehnten zur Bewirtschaftung der Alpen der kleinen Gemeinde Gsteigwiler von grosser Bedeutung. Auf Alp Oberbürgle erlebten während des 2. Weltkrieges zwei junge Männer den Abwurf von 500 Phosphorbrandbomben (H. Häsler, 30). Der Weg wird von Jahr zu Jahr schlech- ter begehbar. Wo sich nicht Idealisten finden, die einen solchen Bergpfad frei- willig unterhalten, wie z.B. Böniger Vereine für den Weg von Bönigen durchs Rohriwang aufs Laucherhorn oder die «Harderfründe» für den Interlakner und Unterseener Hausberg, ist das Schicksal des Weges oft besiegelt.

Es ist aber nicht nur der kaum mehr finanzierbare Unterhalt, der alte Wege zerfallen lässt. Eine unwahrscheinliche Wucht können auf Bergwegen talwärts fahrende «Downhill»-Biker entwickeln. In kurzer Zeit entstehen besonders bei Stufen tiefe Spuren, die durch das Regen- und Schmelzwasser rasch zu gros- sen Rinnen ausgewaschen werden. So wird innerhalb weniger Monate zer- stört, was vorher während Jahrzehnten oder Jahrhunderten der normalen Belastung standhielt: Beispiel Alpweg von Lauterbrunnen nach Mürren.

Der Alpweg von Oberried bis Vogts-Ällgäu Der heutige Bergwanderweg von Oberried über die Ällgäulücke nach Kemme- ribodenbad mit seinen über 1300 Höhenmetern Steigung ist ein Lehrstück, wie sich Wege im Laufe der Zeit gewandelt haben. Erste Dokumente des Ober- rieder Alpgebietes «Vogts-Ällgäu» datieren von 1411, es ist jedoch wahr- scheinlich, dass Walter von Eschenbach 1275 die Alp König Rudolf von Habs- burg übergab. Vogt und damit pachtzinspflichtig war ein Philipp von Ringgen- berg, daher wohl der Name «Vogts-Ällgäu». Über die komplizierten Erbgänge und Verkäufe informiert ein spannender Bericht von P. Wälti (31). Die zahl- reichen Irrungen und Wirrungen wurden ohne Zweifel verstärkt durch die An-

109 spruchsrechte der Bäuerten von Ebligen und Niederried, da die drei Dörfer oft in Dokumenten als Einheit mit «Ried» bezeichnet wurden. Später kam es auch zu Streitereien zwischen Burgern, mittellosen Einwohnern und Auswärtigen. Erst 1844 wurde durch ein obergerichtliches Urteil entschieden, dass die Alp nicht den Burgergemeinden, sondern den Grundeigentümern dieser Dörfer gehöre. 1872 schliesslich wurde die Alpgenossenschaft gegründet, deren Re- glement vom bernischen Regierungsrat nach langem Hin und Her genehmigt wurde. Das Eigentums- und Nutzungsrecht ist an mehrere Voraussetzungen gebunden: Ein Einwohner muss seit mindestens drei Monaten «in bürgerlichen Ehren» Grundeigentum in Niederried, Oberried oder Ebligen besessen haben. Das Vieh muss mit Raufutter aus den drei Gemeinden innerhalb der Gemein- den überwintert werden.

Während früher jede Familie eine Kuh oder deren zwei auf der Alp sömmerte, existieren heute nur noch wenige Landwirtschaftsbetriebe. Ein grosser Teil des Viehs auf Vogts-Ällgäu stammt aus dem oder von anderswo her. Seit Jahrhunderten verbindet ein solider Weg die Alpen von Vogts-Ällgäu mit Oberried. Verständlicherweise machten auch die Niederrieder Anspruch auf eine direkte Verbindung auf die Alp geltend. Bis zur «Weissenfluh» war dies

Abb. 14: Wildheugebiet Brienzergrat (Oberried – Ällgäulücke)

110 kein Problem. Der Weg vom Weissenfluhhüttli bis auf den Grat («Tritt») ist für Kühe je nach Beurteilung von Fachleuten für Grossvieh kaum oder gar nicht begehbar.

Ohne sichere Wegverbindung wäre die grosse Alp wertlos, sie umfasst ge- mäss Grundbuch 360 ha Weideland und 54 ha Wald. Bis zu «Spychern» (Abb. 10), kurz unterhalb der Waldgrenze, verlief der Alpweg näher dem Hirscheren- graben, einerseits lawinensicher, andrerseits steinschlagsicherer entlang der Egg. Der heutige Weg bis an die Waldgrenze ist wohl 100 Jahre alt und in sehr gutem Zustand. Von der Waldgrenze bis in die Ällgäulücke ist nichts von alten Wegvarianten bekannt. Auch von Ebligen aus besteht ein entsprechender Weg. In vielen kurzen Kehren und recht steil windet er sich zwischen dem Urweidligraben und der Bolauene bis aufs «Bitschi» (oder Bitschigrind), wo er auf den Weg von Oberried her trifft. Interessantes Detail: Während die Alp- rechte durch obergerichtliches Urteil klar den Besitzern und Nutzern zugespro- chen wurden, ist der aufwändige Unterhalt des Alpweges bis in die Ällgäu- lücke Angelegenheit der Einwohnergemeinde.

Bauern mit Vorsassen, konnten die Alpen von Vogts-Ällgäu immer in zwei Etappen bestossen. Wer mit dem Vieh von den Dörfern am Brienzersee zur Alp hochsteigen musste, hatte mit etwa sechs Stunden «Züglete» zu rechnen. Z’Alp gezügelt wurde hauptsächlich während der Nachtstunden, die Gratlücke durfte aber am Bsatz-Tag nicht vor Mitternacht überschritten werden. Der Käse, der während des Sommers hergestellt wurde, musste während des Som- mers mit dem Tragräf auf den Grat getragen, dort auf Hori-Schlitten geladen und ins Dorf transportiert werden. Eine Kuh produziert pro Alpsommer Milch für 80 bis 100 kg Käse, der Besitzer musste vier mal 20 bis 25 kg Käse in die Gratlücke tragen.

Seit einigen Jahren wird das Vieh mit Viehtransportern über Interlaken – Thun – Schallenberg auf die Alp gefahren. Was eines Tages mit dem Alpweg ge- schieht, wenn er kaum mehr genutzt wird, steht in den Sternen… Die Veröf- fentlichung einer Liste mit «bedrohten Bergwegen abseits der Wanderauto- bahn» wäre ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist das regelmässige Be- gehen eines Weges für dessen Erhalt unerlässlich, andrerseits muss man bei «Werbung» für schmale und oft heikle Wege bei Unfällen mit rechtlichen Problemen rechnen.

111 Dieser Alpweg wurde während Jahrhunderten nicht nur zum «zügeln» be- nutzt, sondern auch zum Transport von Bergheu, das in den teilweise extrem steilen Bergwiesen zwischen Wald und Grat gemäht wurde. Genutzt wurde grundsätzlich im Zwei-Jahres-Rhythmus. Eine wahrlich historische Luftaufnah- me aus dem Jahre 1920 (Abb. 14) dokumentiert, in welch extremen Lagen Bergheu gemäht, getrocknet, an Tristen gelagert wurde, um schliesslich im Herbst, bevor Schnee lag, mit Schlitten ins Dorf hinunter transportiert zu wer- den. Während Jahrzehnten dienten von «Spychern» bis unmittelbar über das Dorf Oberried zwei Heuseile dem kräftesparenden Transport der Heuballen.

Der Wasserweg Der seit Jahrtausenden bewährte Weg auf dem Wasser war für die wirtschaft- liche Entwicklung des Berner Oberlandes von grösster Bedeutung. Volltext nachzulesen im Internet*.

Holz-Schleif-Wege Holz als älteste Energiequelle musste in enormen Mengen geschlagen und an den Ort seiner Verwendung transportiert werden. Volltext nachzulesen im Internet*.

Der «multifunktionale» Weg vom Thunersee über das Birchi nach Beatenberg Der Weg von Beatenbucht nach Beatenberg ist von seiner Geschichte und Funktion her ausserordentlich interessant, er soll an dieser Stelle als anre- gendes Beispiel erwähnt werden, was Wege uns zu erzählen haben. Anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Thunersee-Beatenberg-Bahn hat das Organisati- onskomitee an der «oberen Leue» eine informative Tafel anbringen lassen. Der Weg diente den Kohleschleifern, auch «Fergger» genannt, zum Transport der Braunkohle aus dem Gebiet Vorsass – Niederhorn an den Thunersee. Über die Geschichte des Kohle-Abbaus im Gebiet Beatenberg–Gemmenalp berichtet Breitschmid (38).

In umgekehrter Richtung diente der Weg dem Transport von gebranntem Kalk vom Kalkofen an der «oberen Leue» nach Beatenberg, unter anderem zum Bau zahlreicher Hotels Ende des 19. Jahrhunderts. Derselbe Weg diente aber auch dazu, Getreide von Beatenberg nach Merligen zu bringen, um dort Brot zu backen, das in der Folge auf demselben Weg wieder in die Hotels nach

112 Beatenberg gebracht wurde. Die Frauen aus Merligen benutzten den Weg, um ihr Gemüse in grossen Hutten nach Beatenberg zu tragen, um dieses dort in den Hotels zu verkaufen. Seit Jahrhunderten diente der Weg den Bauern, um ihr Vieh zum Transport über den See nach Beatenbucht zu treiben.

Heute dient der gut unterhaltene Weg ausschliesslich den Wanderern, und es ist zu hoffen, dass mit den Bikern eine einvernehmliche Lösung gefunden wer- den kann, bevor die historisch wertvolle Substanz des Weges zerstört ist. Alte Wegelemente sind in erster Linie unterhalb der «obere Leue» als Querabschlä- ge und im unteren «Birchi» als Pflasterung und Stützmauern zu sehen. Die talseitige Befestigung des Weges mit oft riesigen Steinen ist über erstaunlich grosse Teile des Weges erhalten.

Die «obere Leue» hat im Übrigen nichts mit Löwen zu tun, sondern mit dem Ausdruck «leue» für «Ausruhen». Es bestehen kaum Zweifel, dass sowohl die Kohle-«Fergger», als auch die Gemüsefrauen aus Merligen bei ihrer schweren und schwersten Arbeit das Bedürfnis hatten, gelegentlich eine kurze Pause einzulegen. Die Tatsache, dass die damaligen jährlichen Unterhaltskosten für den Weg mit Fr. 70.– , dies entsprach etwa 50 Taglöhnen, deutlich höher wa- ren als die Ausgaben für verunglückte Mitarbeiter, gibt einen Einblick in die sozial äusserst problematischen Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert.

Bedrohungs-Szenarien für Menschen … und für Wege Seit Jahrhunderten sind die Bedrohungen, denen Menschen und damit auch Siedlungen und Wege ausgesetzt sind, praktisch die Gleichen. Volltext nachzulesen im Internet*.

Meiringen als Beispiel wiederholter Naturkatastrophen Wenn wir mit offenen Augen von der Michaelskirche Meiringen zum Alpbach wandern, wird uns bewusst, mit welchen Problemen bezüglich Naturgewalten schon unsere Vorfahren konfrontiert waren. Die Urgewalt des Föhns ist für die Region Meiringen und das Haslital geradezu sprichwörtlich. Grösste Katastro- phen bei Föhnsturm waren immer Dorfbrände.

Vor einigen Jahrzehnten ging ein grosser Felssturz hinter dem Dorf Meiringen nieder. Während Jahrhunderten überschwemmte der Alpbach das Oberdorf mit der Michaelskirche in unregelmässigen Abständen. Die «Lengemmüür»,

113 ein gewaltiger Schutzdamm aus dem Jahre 1734, ist eindrucksvoller Zeuge, wie sich die Bevölkerung seit Jahrhunderten gegen Naturereignisse wirkungs- voll zu schützen weiss.

Als Folge der Klimaerwärmung und des schwindenden Permafrosts nehmen Murgänge an Zahl und Intensität deutlich zu.

Vor Hungersnot war auch das Haslital, direkt an der Grenze zwischen dem Kanton Bern und der Innerschweiz, nicht verschont, und auch hier hatte die Bevölkerung unter kriegerischen Ereignissen zu leiden. 1668 war die Region von der Pestepidemie schwer betroffen.

Gast und Tourismus im Zentrum Welche Bedeutung dem Wohl des Gastes gerade zu Beginn des Tourismus- zeitalters beigemessen wurde, soll eine Weisung Kasthofers dokumentieren, die er zur Bepflanzung längs von Spazierwegen im Rugen bei Interlaken erliess: Hier mussten Buchen gepflanzt werden, die genug Schatten spendeten, damit der vornehmblasse Teint der Damen aus ganz Europa keinen Schaden nahm (41). Kasthofers Feststellung (42) ist zwar 200 Jahre alt, aber unverändert gül- tig, es geht um den Hohbühlwald oberhalb der Aare und BLS-Gleise: «Die Kulturen, die hier wie im Rugen vorgenommen wurden, sollten nicht nur ein- trägliche Wälder schaffen, sondern auch zur Verschönerung der vielbesuchten Gegend dienen, die in Ermangelung anderer Industriezweige von fremden und einheimischen Lustwandlern grosse Vortheile gewann. Die in beiden Wal- dungen angelegten Wege dienen nicht bloss dem Transport des Holzes, son- dern auch zum Genuss der Reisenden».

Der Faulhornweg Wer ein Projekt erfolgreich realisieren will, hält sich an die Devise «tue Gutes und rede oder schreibe darüber». Nicht nur Zermatt und seinem Gornergrat als exklusive Attraktion war die äusserst originelle Beschreibung durch Mark Twain vergönnt (43), der sehr beliebte und witzige Autor hat auch das Berner Oberland bereist und originell beschrieben (44). Ausserdem kann das Faulhorn zu den berühmtesten Gästen der ersten Stunde den Komponisten Felix Men- delssohn-Bartholdy zählen. 1831, während seiner ersten Wanderung durch die Schweiz, verbrachte er mitten im Sommer einen herrlichen Sonntag bei einem Älplerfest auf dem Männlichen, wo er ordentlich mitzechte. Am fol-

114 genden Tag wurde er anlässlich der Besteigung des Faulhorns von einem Wet- tersturz mit Schneesturm überrascht. In einem Brief erwähnt er lobend, wie die Handwerker, die mit dem Bau des Berghauses beschäftigt waren, ihm in ihrer Hütte Schutz vor Schnee und Sturm gewährten und wie das Feuer mehr Rauch als Wärme erzeugt habe (R. Wyss, 45).

Bereits 1822 stellte der Unterseener Stadthauswirt Samuel Blatter bei der hohen Obrigkeit in Bern ein Gesuch, auf dem Faulhorn ein «Häuslein» (!) zur Beherber- gung von Gästen errichten zu dürfen. Einen Monat später war Blatter im Besitz der Bewilligung, mit der Auflage, dem Ausbau und Unterhalt des Weges Beach- tung zu schenken. Der Bau verzögerte sich um zehn Jahre, das Berghaus konnte erst 1832 seinen Betrieb aufnehmen (46). Der Verlauf des Faulhornweges bis zum «Waldspitz» ist nicht unbestritten: Der kürzeste Anstieg führt von Gydis- dorf über das «Räckholtertor» zum Waldspitz. Eine Variante, die ebenfalls eine saumtiertaugliche Konstruktion aufwies, führt über die Aellfluh und Nodhalten zum Waldspitz. Heute erhalten sind in erster Linie Wegstrecken, bei denen die Pflastersteine nicht flach, sondern senkrecht im Boden verankert wurden, soge- nanntes Kopfsteinpflaster, sowie kurze Passagen zwischen Waldspitz und Bach- see (Abb. 2, 3, 15 und 16). Wer letztlich den Faulhornweg mit welchen zeit- lichen, personellen und finanziellen Mitteln gebaut hat, ist nicht eindeutig ak- tenkundig. Die Anstösser waren es kaum, hatten sie doch an den durchzie-

Abb. 16: Brücke am Faulhornweg (eine durchgehende Platte ca. 350–400 kg!)

115 henden Gästen und Saumtieren wenig Interesse. Die Obrigkeit hat damals grundsätzlich nur gefordert und befohlen und kaum finanzielle Unterstützung gewährt. Grindelwald selbst hätte zwar mit Gästen, die oft während Wochen im Tal weilten, durchaus Interesse gehabt; wenn man Berlepsch (34) glauben will, war die finanzielle Lage des Gemeinwesens für nachhaltigen Wegbau aber kaum ausreichend. So blieb dem Wirt Samuel Blatter die Finanzierung des Er- schliessungsweges von 4 1/2 bis 5 Stunden überlassen – nebst dem Bau eines Hotels in 2680 m Höhe – eine enorme finanzielle Herausforderung. Im Gegen- satz zum Hotelbetrieb, der bei guter Führung immerhin eine Rendite einbringen konnte, war der Weg reiner Idealismus. Und doch: ohne «anständigen» Weg keine Gäste!

Alte Reiseführer vermitteln viele interessante Details, aber nur wenig Angaben zu den Wegverhältnissen. Heinrich Zschokke (1771–1848), engagierter Schrift- steller, Erzieher und Förderer der Volksbildung, weist in seinem Buch (47) da- rauf hin, wie im Tal von Grindelwald zahllose Kirschbäume die Hütten beschat- ten, daneben Gerste und Roggen gedeihe. Dann schildert Zschokke einen fast unglaublichen Fall, wie der Mensch auch in auswegloser Lage einen Weg fin- den könne: 1787 brach der Grindelwalder Wirt Christian Bohren auf dem obe- ren Gletscher in eine Spalte ein, stürzte 64 Fuss hinunter, brach sich dabei ei- nen Arm und fand entlang des eiskalten, abfliessenden Gletscherwassers «auf Bauch und Knien unter Todesangst und Schmerzen sich schleppend mit Ent- zücken das Tageslicht wieder». Besonders interessant ist der Hinweis Zschok- kes, dass ums Jahr 1500 ein offener Pass mehrere Stunden durch das Gebirg ins Wallis geführt habe, woher auch Taufen und Hochzeiten in die Kirche Grin- delwald gekommen seien. Strahleggpass? Oder doch eine Verwechslung mit der Wetterlücke im Lauterbrunnental? Die Diskussion über Wärmeperioden unserer Erdatmosphäre ist offensichtlich nicht neu… Das Faulhorn lobt Zschok- ke als «höchste aller menschlichen Wohnungen unseres Erdtheils mit seinem 3-stöckigen Hospiz und allen Bequemlichkeiten für Gäste». Wer sich für sorg- fältige und doch originelle Schilderungen unseres Landes und Volkes, der Ver- schiedenheiten von Sprache, Sitten, Kleidung, Ernährung interessiert, dem sei das Vorwort dieses Buches bestens zur Lektüre empfohlen!

Es waren aber nur vereinzelte Gäste, die den langen und bei Wetterstürzen keineswegs ungefährlichen Weg aufs «Hore» in Angriff nahmen. Der Lehrer, Bergführer, Schriftsteller und Regierungsrat Samuel Brawand schreibt (46):

116 «Wir müssen in Betracht ziehen, dass den Touristen damals unsere vorzügliche Ausrüstung fehlte. Nagelschuhe kannte man kaum. Die Kleidung war eng und unbequem. Die Frauenzimmer hatten Mühe, ihre Röcke aufzustecken, damit sie ihnen einigermassen freien Schritt liessen.»

Weitere 80 Jahre später sind Nagelschuhe bereits wieder Geschichte… Immer- hin weist G. Walser in seiner Schrift (48/49) darauf hin: «Wer die hohen Alpen besteigen will, der trete in Namen Gottes die Reise an, befehle sein Leib und Seele seinem Gott. Dennach lasse er sich ein paar Schuhe mit dicken Sohlen zurichten und die Absätze und Sohlen mit Schirm-Nagelköpfen dicht beieinan- der beschlagen, gleich ob er mitten im Winter über glattes Eis reisen wollte. Wer dieses nicht beachtet, geht unsicher.» Schuhnägel mit Schirmköpfen gibt es immer noch, damals waren sie eine Ausnahme. Erstaunlich ist auch, dass es Schuh-Paare noch gar nicht so lange gibt. Vorher handelte es sich bei den Schuhen eigentlich um eher unförmige «Lederbeutel mit einem Schnürsys- tem». Wer sich persönlich ein Bild über das Schuhwerk «aus alten Zeiten» machen will, kann heute wieder solche Schuhe kaufen oder selbst herstellen (50/51).

Nutzen wir noch die «treugemeinten Rathschläge, basierend auf mehr als 30-jähriger Erfahrung» von Berlepsch (34), obschon der Autor droht, «böswil- lige oder von kleinlichem Brodneid diktierte, hämische Bemerkungen über das vorliegende Buch nicht zu achten». Noch bevor er Grindelwald über die «Hasli- Scheidegg» erreicht, kritisiert der energische Herr den Weg vom oberen Glet- scher ins Dorf: «Der weitere Hinabweg zwischen Holzhägen ist oft bodenlos schmutzig, die Gemeinde hat in letzterer Zeit etwas gethan, aber alle Bemü- hungen sind bei dem faulschiefrigen Terrain fruchtlos und eine gründliche Aus- besserung übersteigt die beschränkten Mittel der Gemeinde». Berlepsch emp- fiehlt als Ausgangspunkt für die Besteigung des Faulhorns trotz «enorm hoher Preise» die «Hasli-Scheidegg», der Gipfel des Faulhorns sei in 4 Std, auch mit Pferd, «nicht streng» zu erreichen. Von Grindelwald aufs Faulhorn koste ein Pferd 17, bei Übernachtung 25 Franken. Vom Weg wird nur der Abschnitt ab Bachsee erwähnt «über schiefriges, fauliges Gestein (woher der Name Faul- horn)». Die Wirtschaft sei in Hand eines einfachen, freundlichen Grindelwalder Bauern, Bedienung gut, Preise nicht zu hoch, Aussicht eine der Überwälti- gendsten… und «Hinabweg nach Grindelwald geeignet, stolper-müde Füsse in Verlegenheit zu bringen».

117 Auf den Spuren Churchills zum Gleckstein Der Pfad zum Gleckstein ist auch bereits historisch, bis 1870 mussten die Alpi- nisten der ersten Stunde allerdings in einer Höhle nächtigen. 1870 bauten Grindelwalder Bergführer ein Steinbiwak mit Schrägdach, 1880 entstand die erste Hütte und 1902–04 wurde die heutige Glecksteinhütte als Hotel gebaut. Der Bau einer Bahn aufs Wetterhorn musste wegen des ersten Weltkrieges eingestellt werden. Der Glecksteinweg ist ohne Zweifel einer der anspruchs- vollsten Bergwege der Region. Und auf ihm haben sich im Verlauf der letzten 150 Jahre Persönlichkeiten von Rang und Namen bewegt, allen voran die zahl- reichen hervorragenden Grindelwalder Bergführer, aber auch Leute, die mit Sport laut eigenen Aussagen wenig am Hut hatten: Als man Churchill mit 90 Jahren fragte, welches das Geheimnis seines hohen Alters sei, sagte er «no sports!». Der gleiche Churchill, ohne Zweifel einer der bedeutendsten Staats- männer der Geschichte, hat am 13.8.1894 in der Glecksteinhütte genächtigt und am folgenden Tag in Begleitung von drei Führern das Wetterhorn bestie- gen. Dem schwindelfreien und trittsicheren Bergwanderer sei als Ziel das Chrinnenhorn empfohlen, der Gipfel ist in 1½ Stunden ab Hütte zu erreichen, der Weg ist sehr gut markiert, Tiefblick und Aussicht sind atemberaubend!

Kulturschaffende im hinteren Lauterbrunnental Goethes Gedicht «Gesang der Geister über den Wassern», nach dem Anblick des Staubbachfalles in Lauterbrunnen am 14. Oktober 1779 in Thun niederge- schrieben, ist genial. Da Goethe über die Kleine und Grosse Scheidegg nach Meiringen und von dort nach Thun wanderte, sah er zahlreiche weitere über- aus eindrucksvolle Wasserfälle. Es ist durchaus möglich, dass das «stufenweise zum Abgrund» fliessende Wasser im Tal von Rosenlaui oder bei den grossar- tigen Wasserfällen bei Unterbach beobachtet wurde. Goethes Beschreibung des Aufstieges zum Obersteinberg, Tschingelgletscher und Oberhornsee lässt Freuden und Strapazen der Pioniere unseres Bergtourismus nachfühlen. Was der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy wenige Jahre später schrieb, ist am ehesten Ausdruck von Neid oder Spott: «Ich komme eben von einem Spa- ziergange gegen den Schmadribach und das Breithorn zu her. Alles was man sich von der Grösse und dem Schwunge der Berge denkt, ist nichts gegen die Natur. Dass Goethe aus der Schweiz nichts Anderes zu schreiben gewusst hat, als ein paar schwache Gedichte und die noch schwächeren Briefe, ist mir eben- so unbegreiflich wie vieles Andere in dieser Welt». Bereits damals geziemte es sich nicht, den «Dichterfürsten» in Zweifel zu ziehen…

118 Der Saumweg von Stechelberg über Trachsellauenen zum Obersteinberg zog aber nicht nur Dichter und Komponisten an: das Gemälde des Schmadribachs mit dem Breithorn im Hintergrund von Josef Anton Koch gehört zu den be- rühmtesten romantischen Darstellungen der Bergwelt überhaupt. Was den Oberhornsee betrifft, sei erwähnt, dass er offenbar im Oktober 1779 nicht ausgetrocknet war, denn dies hätte Goethe, der die Natur scharf beobachtete, zweifellos erwähnt. Aber «neu» ist das Austrocknen im Herbst überhaupt nicht: Hans Michel schrieb schon 1950 (17), dass der See im Herbst austrock- ne…

Interessant am Saumweg vom ehemaligen Zinn- und Bleibergwerk Trachsel- lauenen über die Alpen von Ammerten zum Hotel Obersteinberg ist nebst der grossartigen Natur und Flora die Tatsache, dass heute nach wie vor von Juni bis Oktober täglich Material für das Hotel «gebastet» wird. Innert einer Woche trägt das Tier auf seinem speziellen Lastsattel nahezu gleich viel Material auf die Alp, wie der Helikopter in einem Flug befördert.

Der alte Weg in die «Kretinenheilanstalt» Abendberg (Wilderswil) Johann Jakob Guggenbühl war der erste Mediziner, der an der Universität Bern das Studium mit dem «Doktorat» abschloss. Nach einer eindrucksvollen Begegnung mit einem geistig und körperlich behinderten jungen Mann in der Jugendzeit verfolgte Guggenbühl sein Leben lang die Vision, geistig und kör- perlich behinderten Kindern wäre zu helfen, wenn sie in einer Höhe über tau- send Metern in gesunder Luft und bei gesunder Ernährung aufwachsen.

Kretinismus ist die Folge eines Jodmangels in der Schwangerschaft: Es kommt zu einer schweren Schilddrüsen-Unterfunktion mit Kropf, Minderwuchs, Schwerhörigkeit und gestörter Hirnentwicklung. Als Lehrer im damaligen «Bil- dungszentrum» Hofwil lernte Guggenbühl Karl Kasthofer kennen, einen inter- national bekannten Forstwissenschafter. Auf dem Abendberg führte Kast- hofer Freilandversuche mit Nutzpflanzen durch. Guggenbühl konnte die Besit- zung erwerben und schon bald wohnten auf dem Abendberg dreissig, später fünfzig Behinderte. Für Details sei auf die interessante Arbeit von R. Streuli (52) verwiesen. Der Zugangsweg war nicht nur zur Sicherstellung der Infrastruktur nötig, sondern auch wegen der vielen Besucher aus ganz Europa: Wissen- schafter, Regierungsdelegationen. Der Betrieb auf dem Abendberg war zwei-

119 fellos eine sozialmedizinische Pionierleistung. Leider war Guggenbühl nicht zu überzeugen, dass die wissenschaftliche Basis seiner Arbeit falsch war: Kretinis- mus ist nicht heilbar, wirksam ist einzig die Vorbeugung, z.B. mit jodiertem Kochsalz.

Wasserfälle life: Alpbachschlucht Meiringen Ein überaus spannender Halbtagesausflug, empfehlenswert in Kombination mit dem Kirchweg Hasliberg – Meiringen. Man startet bei der Michaelskirche Meiringen, die sozusagen Symbol ist für die Bevölkerung des Haslitales, die sich durch Schicksalsschläge und Widerwärtigkeiten aller Art nicht unterkrie- gen lässt. Vorbei an teilweise 500-jährigen Häusern, den einzigen, die drei Dorfbrände überlebt haben, erreichen wir die 250-jährige, massive Schutz- mauer (Lengemmüür), die das Dorf nach den üblen Erfahrungen von 1734 vor den Hochwassern des Alpbachs schützt. Normalerweise erscheint der Alpbach als harmloser Bergbach, er hat aber mehrmals bewiesen, dass er auch sehr bösartig sein kann. Unmittelbar nach der Brücke über den Alpbach sind so- wohl der «Felspfad» (blauweiss), wie auch der alte Kirchweg markiert. Wir steigen den alten Kirchweg hoch bis zur fünften Haarnadelkurve. Eine Infotafel hält fest, dass der Felspfad kein Spaziergang sei. Schwindelfreiheit und Tritt- sicherheit sind unerlässlich, Kinder sind mit einer Reepschnur zu sichern. Der Weg ist auf der gesamten Länge bergseits mit Drahtseilen abgesichert, er darf nur bergwärts begangen werden, der Zutritt im «Schrändli» ist nicht möglich. Der «Weg durch die Schlucht mit Wasserfällen» wurde vor 120 Jahren eröff- net, er war zu Beginn eine grosse Attraktion, zerfiel dann aber während der beiden Weltkriege und der Krisenjahre. 2006 hat eine initiative Gruppe Einhei- mischer mit sehr viel Freiwilligenarbeit den Felspfad hervorragend saniert. Das Erlebnis in der engen Schlucht mit den zahlreichen Wasserfällen ist grossartig (Information/Bilder: 53). Die Stufen des Weges sind teilweise recht hoch, an einer Stelle ist der Weg nass und schmierig, was die Attraktion des Pfades noch erhöht. Im «Schrändli» verlässt man den Felspfad und steigt auf dem histo- rischen Kirchweg entweder bergwärts nach Hasliberg-Reuti oder talwärts zu- rück nach Meiringen.

120 Fazit und Ausblick Das östliche Berner Oberland ist «steinreich» an historischen Wegen verschie- denster Art. Ein Weg ist ja nie Selbstzweck, er hat immer eine Aufgabe zu erfüllen und ist somit ein wichtiges Zeitdokument. Wenn alte Stundensteine dem Ausbau einer Kantonsstrasse zum Opfer fallen, oder eine Abwasserlei- tung unter einem alten Kirchweg verlegt wird, ist dies zwar aus historischer Sicht bedauerlich, aber vernunftmässig oft nicht zu umgehen. Unsere Vorfah- ren wussten sehr genau, wo sie ihre ersten Trampelpfade legten und diese später ausbauten. Die Gemeinde Habkern legte ihre Abwasserleitung, im Ein- verständnis mit dem Kanton, auf der «sichern» Seite unter den historischen Kirchweg. Die Transitgas-AG verlegte ihre Gasleitung bei Guttannen auf der Seite des Spreitgrabens, die Folgen sind verheerend.

Besonders interessant sind nebst alten Dokumenten von Alpen, den so ge- nannten Seybüchern, und Kirchrodeln auch Briefe und Reiseführer der ersten Touristen, die das Berner Oberland besuchten.

Die in der vorliegenden Arbeit näher beschriebenen Wege sind nur Beispiele, es gibt im Oberhasli, im Gebiet der beiden Oberländer Seen und in den Lüt- schinentälern zahlreiche weitere alte oder uralte Kirchwege, Alpwege, Holz- wege, Berg- und Saumwege. Bis zum Bau eigentlicher Strassen und Bahnen war der Wasserweg ohne Zweifel die leistungsfähigste Verbindung. Es lohnt sich in unserer schnelllebigen Zeit, gelegentlich zu überlegen, was unsere Vor- fahren geleistet haben, um Sonntags die Predigt zu besuchen, im Frühling die Alp zu bestossen, den Herbstmarkt in Unterseen zu besuchen oder gar mit Pferden oder Rindern aus dem Oberland nach Lugano oder Domodossola auf den Herbstmarkt zu ziehen.

Während noch vor 100 Jahren mit Mann und Pferd riesige Mengen Bau- und Brennholz aus unseren steilen Wäldern geschafft wurden, sind wir heute trotz modernster Errungenschaften nicht mehr in der Lage, einigen Neophyten Herr zu werden.

Moderne analytische Methoden (C14-Zerfall) erlauben es, organisches Mate- rial, z.B. Pfeilbogen vom Lötschenpass, altersmässig recht genau einzuordnen. Bei anorganischem Material wie Steinen ist dies nicht möglich, hingegen kann die Bestimmung des Alters einer Flechte auf dem Stein unter Umständen inte-

121 ressante Hinweise geben. Gewisse Flechten wie die Landkartenflechte Rhizo- carpon geographicum wachsen extrem langsam z.B. 4mm in 100 Jahren, und werden teilweise bis 9000 Jahre alt eingestuft! (54).

Faszinierend, ja, schon fast ein «Krimi» wäre es, mit gentechnischen Analysen die «Spuren» bekannter Benutzer alter Wege, J.W. Goethe, A. von Haller, F. Mendelssohn, Handelsleute, Pilger, Söldnerführer, zu verfolgen, doch dürften gesetzliche Regelungen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes dies verun- möglichen.

Wenn es gelingt, das Interesse von Wandernden etwas «weg von der Uhr» auf Natur, Geschichte und Kultur zu lenken, ist das Ziel dieser Arbeit erreicht.

Dank Folgenden Personen bin ich für ihre tatkräftige Hilfe beim Verfassen der Arbeit zu grossem Dank verpflichtet (in alphabetischer Reihenfolge): Ueli Bettschen, Ing. HTL, Strasseninspektor Oberland Ost i.R., Matten (Viele Vorschläge) Aloys von Graffenried, Hausarzt i.R., Biglen (Stundensteine, Lötschenpass) Claude Hämmerly, Pfarrer und Berufsschullehrer, Habkern (Kirchwege) Ernst Herzog, Bergvogt der Alpen Iselten, Wilderswil (Alp Iselten) Irene Horn, Interlaken für ihre grosse Geduld Matt Horn, Interlaken («Chum mer z’Hilf» bei Computerproblemen) Oskar Reinhard, Oberförster i.R., Matten (kritische Durchsicht und zahlreiche Vorschläge) Paul Zurbuchen, Oberried (Alpweg Vogts-Ällgäu) Meiner Frau und den Wanderkameraden Ruedi Reinhard sel. und Peter Kernen möchte ich für die Begleitung bei ungezählten interessanten Wanderungen herzlich danken. Grossen Dank verdient das Redaktionsteam für die wertvolle, konstruktive Mitarbeit.

122 Die am häufigsten beigezogenen Literaturquellen Publikationen aus dem Jahrbuch Uferschutzverband Thuner- und Brienzersee seit 1976

Publikationen von Kulturwege Schweiz ViaStoria (früher Bulletin IVS)

Rubi Chr. und Rubi R.: Im Tal von Grindelwald, Bd. 1 – 6. Verlag Sutter Grindelwald

Michel H.: Buch der Lauterbrunnen. Verlag Ruch-Daulte 1970

Remijn J.C.: Kirchengeschichte Unterseens. Verlag Schlaefli Interlaken 1979

Schläppi E.: Geschichte Unterseen. Verlag Schlaefli Interlaken 1979

Gallati R.: Interlaken vom Kloster zum Fremdenkurort sowie Aarmühle – Interlaken, eine Ortsgeschichte. Beide Verlag Schlaefli Interlaken 1979 resp. 1995

Buchmüller G.: Die Entstehung der Kirche und Kirchgemeinde Habkern. «Hardermannli» 10.2.74 sowie St. Beatenberg, Geschichte einer Berggemeinde. Verlag K. J. Wyss 1914

Ritschard G., Schmocker E.: Das Wildheuen in Ringgenberg. Eigenverlag 1980

Berlepsch H. A.: Reisehandbuch Schweiz. 1882

Zschokke H.: Die klassischen Stellen der Schweiz. 1842

Das vollständige Literatur- und Quellenverzeichnis (Nrn. 1 bis 54) ist abrufbar im Internet.*

* www.u-t-b.ch

123 124 Kurt Wellenreiter

Peter Flück (Schopfer) Schiffmann am Fluhberg zu Brienz

Bis vor wenigen Generationen war das Schiff eines der wichtigsten Trans- portmittel im Berner Oberland. Kurt Wellenreiter kennt diese Zeit noch aus Erzählungen. Mit grossem Detailreichtum und in der Form einer Familien- erzählung führt Wellenreiter mitten hinein in diese Welt, in der Güter mit Muskelkraft transportiert wurden. (Anm. der Redaktion)

Peter Flück, 1847–1930, war verheiratet mit Barbara Linder, 1848 –1937. Dem Ehepaar wurden sieben Kinder, sechs Mädchen und ein Knabe, geschenkt. Peter Flück und seine Familie wohnten im westlichen Teil des alten Brienzer Hauses am Fluhberg.

Wohnhaus am Fluhberg, Brienz. Foto: Robert Wellenreiter, 1925/26

Die Liegenschaft grenzte im Norden an die Hauptstrasse und reichte im Süden direkt an den Brienzersee. Durch den Bau der Brünigbahn 1888 wurde der direkte Seeanstoss, wo Peter Flück seine Schiffländte besass, unterbrochen. Ihm wurde aber ein privater Bahnübergang mit automatisch schliessendem

125 Peter und Barbara Flück-Linder. Foto: Robert Wellenreiter, um 1925/26

Eisentor errichtet. Der direkte Zugang zum See war für Peter Flück wichtig, da er ein Einmann-Gewerbe als Schiffmann ausübte. Gemäss der Burgerchronik von Brienz nannte man den Berufsmann mit eigenem Schiff Schiffmann, die Angestellten eines Schiffmanns nannte man Schiffer. Im Jahr 1852 hatten in Brienz dreiundzwanzig Personen mit Burgernamen und sicher auch noch an- dere Beschäftigung als Schiffer oder Schiffbauer.

Weil die Brünigbahn anfänglich nur bis Brienz fuhr, erfolgte der Weitertrans- port für Personen und Waren auf dem Seeweg. Der Umschlag gab Arbeit. Als 28 Jahre später der Bau der Strecke Brienz – Interlaken fertig war, konnte die Brünigbahn direkt bis Interlaken verkehren. Durch diese Umstellung haben viele Schiffsleute ihre Beschäftigung verloren.

126 Peter Flücks «Schweli» mit «Bock». Foto: Robert Wellenreiter, 1925

Bau und Probleme beim Besitz eines Schiffes Peter Flück war ein eigenständiger Mann. Er war für die damalige Zeit mit 1,95 m Grösse und kräftiger Statur eher eine spezielle Person. Mit seinem Schiff ruderte er immer alleine über den See. Das Rudern erfolgte stehend mit gekreuzten Rudern; diese Art ergab einen grösseren Hebelarm und einen län- geren Schiebeweg.

Neben dem Wohnteil des Hauses hatte es einen grossen Schopf, da wurden in Eigenarbeit die Schiffe gebaut und im Winter repariert. Die Schiffe wurden mit einem Flaschenzug über Rundholz-Rugel vom See her in den Schopf gezogen. Ein Schiff in dieser Grösse kann man nicht wie die kleineren Ruderboote zum Schutz vor Wellen an Land ziehen. Das Schiff muss auf dem Wasser bleiben,

127 auch schon wegen dem Austrocknen der Holzwände. Da an die Landungs- möglichkeiten am Fluhberg ohne Wellenschutz nicht zu denken ist, musste Flück eigenhändig eine «Schweli» (Wellenbrecher) bauen. Dies tat er ohne Einwilligung des Staates. Er wurde deshalb gebüsst, es ist verwunderlich, dass sich sogar der Regierungsrat von damals (1915) mit dem Problem beschäftigte.

Wenn im Winter der Seespiegel tief stand, musste Flück sein Schiff im soge- nannten «Näseli» überwintern. Das «Näseli» war eine kleine, in den See vorspringende Wiese mit einer kleinen Scheune darauf, gelegen östlich von Bottenbalm am Brienzerberg. Auch dort hat Flück eine Schweli mit Steinen errichtet, zum Schutz seines Schiffes gegen den gefürchteten «Mittnächtler» (Nordwind). Diese Wiese und der Landungsplatz wurden in den 50er Jahren infolge Stollenbaus mit Ausbruchmaterial zugeschüttet.

Brienzer Sand Durch die technische Erschliessung des Berner Oberlandes mit Bahn und Dampfschiffen begann die Blüte des Tourismus. Dieser förderte auch den Bau von Hotels, besonders im Raum «Bödeli» (Interlaken). In der Zeit von 1890 bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 war der Hotelneubau enorm. Die Bauerei erforderte die Zufuhr von Baumaterial. Die Baumeister wussten auch schon damals von der guten Qualität des Brienzer Sandes. Der Sand stammte vom Aaredelta, das entstanden war, weil sich der Geschiebetransport zum See nach der Melioration der Aare zwischen Meiringen und dem Brienzersee 1866 –1876 enorm erhöht hatte.

Peter Flück erkannte früh das Geschäft. Er war der erste Schiffmann, der das Baumaterial über den See und die Aare bis zur Haberdarre in Unterseen trans- portierte. Die Haberdarre ist vor den drei Schleusen auf dem Bödeli, die Aare ist nur bis dort schiffbar.

Die Aufbereitung von Sand auf dem Aaredelta erfolgte mittels eines Stand- siebs. Anschliessend musste das Schiff mit «Stossbären» (Karretten) beladen werden. Als Mass galt die Anzahl «Bären», es brauchte 16 Stück für einen Kubikmeter. Peter Flück konnte diese Menge laden, das Gewicht entsprach für nassen Sand fast 2 Tonnen.

Rechts: Protokollauszug aus der Sitzung des Regierungsrates

128 129 Der Umladeort für Waren und Tiere war das Sendli, unten am See. Die Sand- transporte erfolgten bis Unterseen, da der Umlad auf Fuhrwerke zu aufwändig war. Das leere Schiff musste dann, in Beizug von Gehilfen, an einem Seil gegen die Strömung der Aare flussaufwärts gezogen werden. Das Rudern gegen die Strömung wäre nicht möglich gewesen.

Der Weg der Aare entlang besteht heute noch. Man erkennt, dass der alte Baumbestand auf der Landseite des Weges steht, damit das Hinaufziehen der Schiffe (Treideln) nicht behindert wurde. Bei dem Bau der grossen Brünigbahn- Brücke über die Aare kam der südliche Pfeiler mitten in den Weg zu stehen. Für die Schiffsschlepper wurde wasserseitig auf Stahlträgern eine Umgehung konstruiert, diese ist später infolge Nichtgebrauchs abgebrochen worden.

Beim Sendli hielt man Ausschau auf Ware oder auch Personen zum Mitneh- men, damit kein Leertransport zurück nach Brienz erfolgen musste.

Da mit der Zeit immer mehr Sand-Ausbeuter auf dem Aaredelta auftauchten, beschloss die Schwellenkorporation, für das weggeführte Material eine Ge- bühr zu erheben. Die Gebühr für einen Kubikmeter Sand betrug für gewerb- liche Zwecke Fr. 1.–. Für privaten Gebrauch war es gratis. So wurde nicht nur per Schiff, sondern auch mit Fuhrwerken auf dem Aaredelta Sand abgeführt.

Peter Flück hatte seine Kundschaft nicht nur in Unterseen, er belieferte an alle Ortschaften am See. Leider ist heute nicht mehr möglich, ausfindig zu ma- chen, wie hoch der Transport-Lohn damals war.

Die Langsamkeit und der «Rinner» (Strömung) Zur damaligen Zeit musste alles mit eigener Muskelkraft bewältigt werden. Deshalb war es wichtig, irgendwie die Natur zu nutzen. Jeder Bock, wie da- mals die Schiffe genannt wurden, besass einen Mast, woran bei Rückenwind ein Flachsegel aufgehängt wurde.

Es gab noch eine weitere Möglichkeit, die Natur auszunützen. Der Autor weiss nicht, ob die Fischer oder die Schiffer als Erste die Entdeckung machten. Der Brienzersee wird nämlich in 2 Strömungs-Systeme geteilt. Der obere Teil zwi- schen «oben am See» bis ca. Giessbach-Unterholz Richtung Ebligen-Bachtale Wildbach ist ein Strömungsteil, der andere der untere See als Ganzes. Wahr-

130 Postkarte vom Fluhberg 1902 mit Peter Flücks Schiff scheinlich unter Einfluss des Mondes laufen die Strömungen einmal links und auch rechts herum, aber beide gleich. Dies ergibt in der Grenzzone eine ge- genläufige Strömung. In dieser Zone war früher, bei der Schleppfischerei mit Rudern, fast ein Fischfang garantiert. Offenbar hatte es durch die Bewegung des Wassers mehr Sauerstoff und auch Nahrung im Wasser.

131 Brienz

Aare

Giessbach

Der «Rinner»: Die Strömungsrichtungen auf dem Brienzersee

Die Schiffer, aber auch die Holzflösser, wussten von der Strömung, und so wurden die Transporte möglichst bei der richtigen Richtung ausgeführt. Der Fahrweg vom Aaredelta in Richtung Interlaken erfolgte immer über Giessbach, Iseltwald und Bönigen – schon wegen dem kürzeren Weg, und unweit vom Ufer entfernt war der «Rinner» am aktivsten. Da sich ein beladenes Schiff durch Ruderarbeit sehr langsam fortbewegte und es viele Stunden dauerte bis nach Interlaken, mussten solche Hilfen ausgenützt werden. Es soll eine Verkür- zung der Transportzeit von einer bis zwei Stunden ausgemacht haben.

Das Milchschiff Vom Herbst bis in den Winter, wenn die Bauerei im Bödeli kaum Baumaterial benötigte, hatte Flück die Möglichkeit, täglich einen Frühtransport mit Milch auszuführen. Viele Brienzer Bauern besassen am Brienzerberg Weiden, worauf an den meisten Orten auch eine dazugehörende Scheune stand, mit Stall, Diele und Schlafgelegenheit. Damals wurden im Herbst die Futtervorräte vom Sommer verfüttert. Da die Bergstrasse noch nicht bestand und die Mobilität nur zu Fuss oder über den See möglich war, blieben die Bauern tagelang bei den Tieren. Da die Milch nur zum Teil selber verwertet wurde, konnte die üb- rige täglich am Morgen früh zu Fuss zum See nach Bottenbalm unter der Engi

132 gebracht werden. Dort hat Peter Flück die Milch übernommen und mit seinem Schiff über den See nach Tracht gerudert. Natürlich konnten auch Personen für ein paar Rappen mitfahren.

Peter Flück, wie vorher auch schon erwähnt, hatte ja sein Schiff im Winter im «Näseli» stationiert. Von dort sind es nur ein paar 100 Meter bis Bottenbalm, aber von zu Hause am Fluhberg bis zu seinem Schiff war es gleichwohl ein Fussmarsch von gut einer halben Stunde.

Im Herbst, wenn der Käse von den Axalp-Alpen auf Hornschlitten ins Tal trans- portiert wurde, war der Einschiffungsplatz beim sogenannten Kässchleif, westlich von Bottenbalm. Da gab es für die Schiffmänner auch wieder für ein paar Tage Arbeit.

Navigation Wenn im Herbst die Nächte kühler werden, entsteht auf dem See oft der so- genannte Bodennebel. Da damals die Schiffer kaum einen Kompass besassen, war es sicher schwierig, bei Nebel über den See zu rudern. Sie machten sich ein einfaches Hilfsmittel zu Nutze. Jeder Bock führte eine lange dünne Stange mit, die «Treidelstrange». Die brauchte man bei dem Aufwärtsziehen in der Aare bei Interlaken, um das Schiff vom Ufer fern zu halten und zugleich als Hilfe zum Schieben.

Die Stange hatte am dickeren Ende ein Nagelloch, ein solches besass auch das Schiff am Heck. So wurde die Stange mit einem grossen Nagel lenkbar befes- tigt. Sie zeigte wie ein grosser Zeiger rückwärts in den See, so wurde sie nach- gezogen. Der Ruderer sah dann grob, ob er einen Bogen fuhr, und konnte entsprechend korrigieren.

Auch horchten sie auf das Fahren der Dampfbahn oder beobachteten die Strö- mung der Aare, so verfehlten sie das Ziel am Aenderberg vom Fluhberg aus um höchstens 100 m.

Schlussbetrachtungen Nach Schulaustritt des einzigen Sohnes von Peter Flück, Johannes, mit Jahr- gang 1884, trat dieser auch ins Geschäft, zur Unterstützung seines Vaters. So konnten sie die mühsame Ruderarbeit zu zweit erledigen.

133 Elisabeth Flück «Schopfer Lisi», Tochter von Peter und Barbara Foto: Kurt Wellenreiter, 1970

134 Schiffsausflug mit dem «Schopfer Lisi» und dem Autor Kurt mit seiner Schwester Elsa, 1936. Foto: Robert Wellenreiter

Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als die ersten Aussenbord- motoren auftauchten, erwarb Flück mit einem Bankkredit einen Motor. Ob- schon dieser nicht immer wie heute in der perfekten Funktion lief, war es doch eine grosse Erleichterung und Errungenschaft. Nur, diese sollte nicht lange dauern. Das Schiffergeschäft brachte so wenig Verdienst ein, dass der Motor nach einem Jahr wieder veräussert werden musste. Von da weg war wieder die Muskelkraft gefragt.

135 Peter Flück starb 1930, dann musste sein Sohn (ledig) das Geschäft alleine weiter führen. Dieser ist 1935 irgendwo auf dem See verunglückt. Das war das Ende des Schiffergeschäfts.

Bei Flücks wohnte noch die ledige Tochter Elisabeth (1894), «Schopfer Lisi», die ihre Eltern im Alter auspflegen musste. Sie ist im hohen Alter von 90 Jahren gestorben.

Der Autor ist auf der Ostseite des Hauses aufgewachsen, und so kam es oft zu Besuchen bei Lisi, die dann von der Familiengeschichte des Schiffmanns Peter Flück aus der «Guten alten Zeit» erzählte.

136 Andreas Zurbuchen-Dauwalder

Brennholzflösserei im Gebiet von Habkern

Habkern liegt im Grenzgebiet zwischen dem Oberemmental und dem Berner Oberland, mit der Hügelkette zwischen Hohgant und Augstmatthorn als Wasserscheide. In alter Zeit galt das Gebiet als schwer zugänglich und abgeschieden. Doch die Habker Bauern wussten das Quellgebiet von Emme und Lombach für den Holztransport zu nutzen.

Habkerns Waldanteil beträgt rund 50 Prozent oder 2550 Hektaren. Der Holz- handel war deshalb seit jeher wichtig. Doch in Zeiten, als die Menschen für Heizung, Industrie und Gewerbe fast ausschliesslich auf Holz angewiesen waren, drohte schnell einmal die Übernutzung der Wälder.

Übernutzung der Wälder Bereits 1606 und 1641 gab es Verordnungen der Berner Regierung für alle Aare- und Emmenämter «gegen die Verwüstung der Wälder und Flössung ausser Landes». Grund war der zunehmende Bedarf der Städte an Brennholz. Die Regierung schloss für die Versorgung der Stadt Bern Lieferungsverträge ab. Aus dem Oberland waren dies zwischen 1730 –1750 jährlich 3000 Klafter «bis die dortigen Staatswaldungen niedergehauen seyn werden». Der Anstel- lung eines Flossinspektors folgte 1786 eine erste grosse, moderne Forstord- nung, die alle Ausfuhr ohne Bewilligung des Rats verbot. Um 1800 bezieht die Stadt Bern jährlich bereits 6000 Klafter Holz aus dem Oberland.

Doch auch für den Betrieb einer Glashütte im Harzisboden bei Habkern wurde um 1760 im Steiniwald am Hohgant geholzt und im Leimbach geflösst. Für die Herstellung von 100 Kilo Glas waren mindestens 100 m3 Holz nötig. Mit dem Betrieb weiterer Glashütten im benachbarten Schangnau waren im Frühjahr jeweils 2 Monate lang über 50 Flösser und fast das ganze Jahr über 10 Holz- spalter beschäftigt.

Viel Holz erforderte zudem die Milchzuckerproduktion durch das Verdampfen der Ziegerschotte bis ums Jahr 1900 auf den Habker-Alpen. Für 50 kg «Zucker- sand» wurde 1 Klafter Holz benötigt. Der enorme Holzbedarf führte zu einer Übernutzung und massiven Verkleinerung der Waldfläche.

137 Abb. 1: Waldausbreitung in Habkern um 1900 (links), Abb. 2: Waldausbreitung in Habkern 2007 (rechts)

Brennholz für die Industrie 1827 erhält die Aareflösserei Aufschwung durch die Ausdehnung des Eisen- werks von Roll in Gerlafingen. Der Verbrauch ist enorm. Die Holzlieferungen aus dem Emmental und Entlebuch betragen den 5-fachen Jahresverbrauch der Stadt Bern. Bereits 1810 schloss die Bergschaft Lombach in Habkern mit Herrn Ludwig von Roll, Besitzer und Eigentümer der Bergwerke des Kantons Solo- thurn, einen Holzliefervertrag über 2000 Klafter Holz ab. Die Abholzung und Abfuhr sollten innert 10 Jahren geschehen.

Nach dem Berner Kantonsforstmeister Marchand ist die Waldzerstörung in unserem Lande um die Mitte des 19. Jahrhunderts nirgends so gross wie im Emmental. Doch als Eisen, Kohle und Brennholz infolge des Bahnverkehrs in beliebiger Menge eingeführt werden kann, verbietet der Kanton Bern 1870 die fast gegenstandslos gewordene Trift (Schwemmen oder Klusen in Wildbä- chen) und Flösserei (Flusstransport mit Flössen). Seit einigen Jahrzehnten breitet sich der Wald wieder aus, eine im ganzen Alpenraum festzustellende Erscheinung (Abb. 1 und 2).

Betrieb einer Klus Die Wildbäche des Habkerntals verunmöglichten einen Transport ganzer Holz- stämme, weshalb in den Gräben sogenannte Klusen (Abb. 3) aufgebaut wur- den – eine Technik, die auch andernorts im Berggebiet angewendet wurde.

138 Abb. 3: Bau einer Klus in Habkern/BE um 1900 (links), Abb. 4: Überreste einer Klus in Habkern/BE (rechts)

Das Holz wurde bereits im Winter durch Reisten zu den Klusen transportiert, dort zu Spälten oder Klötzen gerüstet und zwecks Einmessung klafterweise aufgeschichtet. Mit den aus Rundholz gebauten Schleusen wurden mit dem Hochwasser der Schneeschmelze im Frühjahr gewaltige Wassermengen auf- gestaut. Das Holz wurde dabei vor die Tore der Klus gelegt. Beim Öffnen der Tore wurde das Holz schliesslich durch den Wasserschwall ins Tal hinunterge- schwemmt. Nach dem Betrieb wurden die meisten Klusen wieder abgebaut. Reste der Einrichtungen zum Flössen sind in einzelnen Gräben noch vorhanden (Abb. 4). Im Habkerntal konnten aufgrund des Flurnamens «Klus» sechs solche Bauwerke nachgewiesen werden.

Da sich einzelne Spälten im Bachbett verkeilten, mussten sie mit Flösserhaken gelöst werden, und dies bei eisigen Wassertemperaturen und glitschigen Stei- nen (Abb. 5) – eine gefährliche Arbeit. Abraham Blatter aus Habkern verun- fallte 1848 beim Flössen im Räbloch im Alter von 31 Jahren tödlich. Um 1915 wurde in Habkern das letzte Mal eine Klus geöffnet. Das Holz wurde bei der Räbenbrücke im Schangnau aus dem Wasser gefischt. Dies geschah mit Hilfe von schräg in den Bach gebauten Holzrechen. Der Weitertransport erfolgte mit Pferd und Wagen (Abb. 6).

139 Abb. 5/6: Flössersituationen in der Kiene, bei Reichenbach im Kandertal

Quellen – Grossmann, Heinrich. Flösserei und Holzhandel aus den Schweizer Bergen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts – Schenk, Paul. Die Glashütten im Schangnau und ihre Besitzer – Bilder: Privatarchiv Andreas Zurbuchen (1,2,3,4); Sammlung von Förster Fritz Bettschen-Zahler (5,6), Kontakt über www.barlok.ch

140 Sibylle Hunziker

Neue Wege erhalten und nutzen

Heute sind Strassen- und Schienennetze im Wesentlichen gebaut. Jetzt geht es darum, die Infrastruktur zu erhalten und effizient zu nutzen. Der neue regionale Verkehrs- und Siedlungsrichtplan der Regionalkonferenz Oberland- Ost gibt einen Überblick über die Pendenzenliste in der Region.

397 Kilometer Strassen und 120,57 Kilometer Bahngleise stehen zwischen dem Krattiggraben und der Grimsel heute zur Verfügung. Nicht eingerechnet sind dabei Standseilbahnen und Seilbahnen, Wald- und Alpstrassen sowie wei- tere kleinere Zubringer- und Güterwege oder Wanderwege.

Von allen Regionen im Kanton Bern verfügt das östliche Berner Oberland über die beste Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr (öV). Das liegt zum Teil an der langen Tourismustradition, aber auch an der Topographie. «Durch die lineare Siedlungsstruktur aufgrund der Täler kann mit einem linearen öV-Sys- tem ein Grossteil der Gemeinden nahezu optimal und sehr effizient erschlos- sen werden», erläutert Mathias Boss, Verkehrsplaner der Regionalkonferenz Oberland-Ost. «Das ist einfacher, als wenn man grosse Flächen mit Netzen erschliessen muss.» Die Struktur spiegelt sich auch in den Zahlen: Die Haupt- achse ist mit 59 Kilometern Nationalstrasse erschlossen – mehr als ein Viertel des gesamten, 202,9 Kilometer langen Nationalstrassennetzes im Kanton Bern. Anteilmässig weniger Aufwand braucht es hingegen für die «Feinvertei- lung». So machen die 177 Kilometer Kantonsstrassen im östlichen Oberland nicht einmal einen Zehntel der 2102 Kilometer aller bernischen Kantonsstras- sen aus, und mit 161 Kilometern Gemeindestrassen erster und zweiter Klasse kommt das Oberland-Ost knapp auf einen Zwanzigstel der total 33 238 Kilo- meter Gemeindestrassen im Kanton.

Die Ausgangslage «Das Strassen- und Bahnnetz der Region ist im Wesentlichen gebaut», stellt der Verkehrsplaner fest. Jetzt muss diese Infrastruktur vor allem noch unter- halten, vor Naturgefahren geschützt und optimal genutzt werden. «Allerdings braucht es noch lokale Ergänzungen – zum Teil auch, um die bestehende In-

141 frastruktur effizienter zu nutzen.» Dabei geht es zum einen um bauliche, zum anderen um organisatorische Massnahmen – angefangen von der Raumpla- nung bis zur Koordination der Fahrpläne im öffentlichen Verkehr.

Die Koordination von Verkehrs- und Raumplanung ist für die Region Oberland- Ost schon im Regionalen Richtplan angelegt, mit dem die damalige Regional- planung Oberland-Ost seit 1984 die in den 1970er Jahren einsetzende schwei- zerische Raumplanungsgesetzgebung umsetzte.

142 Viel Verkehr auf dem Bödeli – aber auch Grünflächen zwischen den wachsenden Siedlungen. (Foto: Sibylle Hunziker)

«Der grosse Erfolg dieser Planung ist, dass sich bis heute auf dem Bödeli kein Siedlungsbrei entwickelte, sondern das damals noch bestehende Landwirt- schaftsland zwischen Interlaken, Matten, Bönigen und Wilderswil erhalten werden konnte – und damit auch das Landschaftsbild mit den kleineren Dör- fern rings um die Agglomeration Interlaken.» Weniger Erfolg hatte die schon damals angestrebte Begrenzung des Autoverkehrs zugunsten von platz- und energiesparenden Alternativen wie Fuss- und Veloverkehr sowie öffentlichen Verkehrsmitteln. So sank der Anteil der Velos am Pendlerverkehr zwischen

143 1970 und 2000 von 53 auf 31 Prozent – wobei dieser Misserfolg in der Ver- kehrsentwicklung wohl zumindest teilweise die Kehrseite der Raumplanungs- Erfolge ist: Weil das östliche Oberland ausserhalb der grossen Wirtschaftszen- tren liegt, war der Druck auf die Landreserven hier etwas weniger stark, was die Einhaltung der Raumplanungsziele erleichterte; anderseits aber wuchs die Einwohnerzahl der attraktiven, gut erschlossenen, aber ruhigen Oberländer Gemeinden stärker als die Zahl der Arbeitsplätze vor Ort, so dass die Arbeits- wege länger wurden und über die üblichen «Velodistanzen» hinauswuchsen. Zugleich nahm auch der Anteil des öffentlichen Verkehrs ab.

Eine Wende gelang nach 2000 mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrsan- gebots, insbesondere den dichteren Bahn- und Busfahrplänen, im Kanton Bern insgesamt: Heute wird der öffentliche Verkehr wieder mehr genutzt als im Jahr 2000, während der Anteil des motorisierten Individualverkehrs leicht zurückgegangen und der Anteil des Langsamverkehrs wenigstens konstant geblieben ist.

Solche Zahlen sind für die Verkehrsplanung wichtig. «Aber Statistiken geben nur Auskunft über die Vergangenheit», erläutert Matthias Boss. «Die Einschät- zung künftiger Entwicklungspotentiale sind jedoch nicht nur eine Sache der Mathematik, sondern mindestens ebenso sehr auch eine Frage unterschied- licher Einschätzungen und Interessen, die politisch ausgehandelt werden müs- sen.» Verhandelt, entschieden und finanziert wird die Verkehrspolitik auf drei Ebenen: Bund, Kanton und Gemeinden. Dazu kommt in grossen Kantonen die Regionalplanung – eine Institution, die im relativ geschlossenen Oberland-Ost traditionell gut akzeptiert wird.

Den Rahmen für die regionale Verkehrsplanung gibt die kantonale Gesamtmo- bilitätsstrategie vor, die eine nachhaltige Entwicklung anstrebt: Ein gutes und bezahlbares Angebot soll die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse heutiger und künftiger Generationen möglichst energieeffizient erfüllen und insbesondere möglichst wenig nicht erneuerbare Energien verbrauchen. Zur Umsetzung dieser Forderungen geht die Region Oberland-Ost in ihrer Ent- wicklungsstrategie vom Grundsatz aus, Verkehr nach Möglichkeit zuerst zu vermeiden, erst in zweiter Linie vom Privatauto auf den öffentlichen und den Langsam-Verkehr zu verlagern und schliesslich den Verkehr insgesamt verträg- lich zu gestalten.

144 Verkehr vermeiden Um Verkehr zu vermeiden, setzt die Region nach wie vor auf Raumplanung: Auf die Erhaltung von relativ kompakten Siedlungen auf dem Bödeli und den Schutz der Fruchtfolge- und übrigen Landwirtschaftsflächen dazwischen vor Zersiedelung. «Dabei können die Gemeinden auf die Rückendeckung des Kan- tons Bern zählen, der traditionell relativ streng darauf achtet, dass nicht mehr Bauland eingezont wird als die gesetzlich vorgesehen Reserven für jeweils 15 Jahre», erläutert Matthias Boss. Wie schwierig es allerdings ist, motorisierten Verkehr zu vermeiden, zeigt die ständig wachsende Zahl von zum Teil CO2- intensiven Grossanlässen auf dem ehemaligen Militärflugplatz Interlaken, denen erst mit der laufenden Erarbeitung eines Nutzungsreglements eine Obergrenze gesetzt werden soll.

Neuen motorisierten Individualverkehr zumindest teilweise vermeiden helfen Planungsauflagen, die für Einkaufszentren und andere Publikumsmagneten sowie für neue Wohnquartiere die Anbindung an den öffentlichen Verkehr vorschreiben.

Neben der Raum- und Ortsplanung setzen auch die verfügbaren Mittel dem Ausbau von Strassen, der jeweils neuen Verkehr anzieht, gewisse Grenzen. Dabei geht es nicht nur um Baukosten, die sich für Kantonsstrassen je nach technischen Schwierigkeiten um einen Mittelwert von 10 Millionen Franken pro Kilometer bewegen, sondern auch um den Unterhalt des immer grösseren Strassennetzes. Diese Kosten machen bei den Kantonsstrassen nach Angaben von Ulrich Seewer, Leiter der Abteilung Gesamtmobilität der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion, noch einmal fünfzig Prozent der Baukosten aus – das sind im Durchschnitt etwa 5 Millionen Franken pro Kilometer für den betrieblichen und baulichen Unterhalt über die gesamte Lebensdauer einer Strasse oder rund 75 000 Franken pro Kilometer und Jahr.

Verkehr verlagern Am meisten Massnahmen plant die Regionalkonferenz auch für die nächsten vier Jahre im Bereich Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr – ein Bereich, in dem sich Region und Gemeinden schon bisher erfolgreich für den Ausbau von attraktiven Angeboten eingesetzt haben.

145 Grössere Projekte stehen insbesondere für die Verbesserung der Umstiegs- möglichkeiten vom Privatauto oder vom Velo auf den öffentlichen Verkehr an (Park-and-Ride/Bike-and-Ride). Dringend nötige zusätzliche Veloabstellplätze sind beim touristisch wichtigen Bahnhof Wilderswil geplant. Zudem soll ge- prüft werden, ob ein Park&Ride auf dem benachbarten ehemaligen Militär- flugplatz Interlaken sinnvoll ist.

Für den Nahverkehr wurden in den letzten Jahren neben Buslinien, welche die grösseren Destinationen rund um die Zentren tagsüber im Stunden- oder so- gar Halbstundentakt bedienen, in den Agglomerationen Meiringen, Interlaken und Grindelwald auch Ortsbusse eingeführt oder bestehende Ortsbusange- bote verbessert; bereits bewährt haben sich auch Nachtkurse fürs Wochen- ende. Das Thema Viertelstundentakt für die stark frequentierte Buslinie Interlaken-Wilderswil, das vor allem wegen der knappen Anschlüsse an den Bahnhöfen Wilderswil und Interlaken West zur Diskussion stand, wurde auf die nächste Planungsperiode verschoben – zumal die Planer erwarten, dass die Einhaltung des engen Busfahrplans zwischen den beiden Bahnhöfen nach der Einführung der Selbstkontrolle seltener zur Zitterpartie wird. Bereits beschlos- sen ist hingegen die Verlängerung der Wilderswiler Linie, die auch das Regio- nalspital in Unterseen bedient, bis in die neue Unterseener Wohnsiedlung Wellenacker.

Um mit effizienteren Abläufen unnötigen Verkehr zu vermeiden, aber auch zur Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr und zur Förderung des Langsamver- kehrs, achten Transportunternehmen, Tourismusorganisationen und Gemein- den schliesslich auf eine gute Information der ständigen Wohnbevölkerung und der Touristen.

Eine Daueraufgabe für die regionalen Verkehrsplaner ist die Feinarbeit an Fahr- plänen mit guten Anschlüssen sowohl für die Pendler, die aus den Tälern in die Zentren und weiter Richtung Bern zur Arbeit fahren, als auch für die Touristen, die zwischen den grossen SBB-Bahnhöfen Bern und Luzern unterwegs sind und die von Interlaken aus sowohl Anschlüsse an den Fernverkehr als auch in die Jungfrauregion erwarten. Noch einen Schritt weiter Richtung Anbindung an das internationale Verkehrsnetz führen die bestehenden direkten Zugver- bindungen von Interlaken via Basel nach Berlin sowie der neue TGV-Kurs nach Paris. Zudem steht das Lobbying für die Wiedereinführung direkter Züge zum

146 Flughafen Zürich und eine neue Verbindung zum Flughafen Genf zuoberst auf der Pendenzenliste der Regionalkonferenz – wobei allerdings zuerst der Schie- nen-Engpass im Berner Wylerfeld beseitigt werden muss. Diese Verbindungen dienen zwar in erster Linie der Tourismusförderung, dürften aber auch die Verlagerungsziele der Verkehrsplanung unterstützen. «Tourismus ist für die Verkehrsplanung immer ein schwieriges Thema», erläutert Matthias Boss. Wie weit der öffentliche Verkehr genutzt werde, sei zum Teil auch eine kulturelle Frage. «Aber ein attraktives Angebot im öffentlichen Verkehr ist immer ein gute Voraussetzung dafür, dass es auch genutzt wird.»

Verträglich gestalten Versteht man unter «verträglich gestalten» das Vermeiden von Verkehrsstaus, die Verkehrsteilnehmer stören und in den Dörfern auch die Anwohner belästi- gen, gehört in diesen Bereich vor allem die Umfahrung Wilderswil. Hier geht es allerdings auch noch um eine verbesserte Erreichbarkeit der grossen Touris- musdestinationen in der Jungfrauregion und um die Verbesserung der Sicher- heit für den Langsamverkehr im Siedlungsgebiet. Ein zusätzlicher Nutzen ergibt sich aus der Möglichkeit, die Unterführung im ersten Teil der Umfahrung bei Hochwasser als Entlastungsstollen zu brauchen. Das nötige Geld für das 76-Millionen-Projekt hat der Kanton nicht vor 2018. Auf dem Wunschzettel der Region steht daneben auch ein Tunnel durch den Brünig für die A8. Für den Bund steht dieses Projekt in absehbarer Zeit allerdings nicht zur Debatte, da die Nationalstrasse im östlichen Oberland ihre Auslastugsgrenze bei weitem noch nicht erreicht hat.

«Grosser Nachholbedarf besteht beim Langsamverkehr», sagt Verkehrsplaner Boss. Das ist eine Hypothek des Strassenbaubooms der Nachkriegsjahrzehnte, als «Mobilität» primär «Auto-Mobilität» bedeutete und der Strassenbau oft wenig verträglich mit der Umwelt oder nur schon mit anderen Formen von Mobilität ausfiel. Das zeigt sich an der grössten Schwachstelle des regionalen Langsamverkehrs, dem Fehlen einer sicheren Velo- und Fussgängerverbindung am oberen Thunersee; hier steht eine Verbindung zwischen Spiez und Inter- laken auf dem Programm (die Federführung liegt beim Kanton). Allerdings ist der Platz eng – besonders vor der Ortseinfahrt Interlaken West, wo es zudem einen Ersatz für den durch den immer intensiveren Verkehr zerschnittenen Wildkorridor braucht.

147 Wie selektiv Mobilität in den letzten Jahrzehnten wahrgenommen wurde, zeigt auch der Verlust von Bewegungsfreiheit für Fahrende in Europa. Keine Ausnahme ist die Region Oberland Ost: Die Suche nach geeigneten Standplät- zen steht zwar als gemeinsame Aufgabe für Kanton und Gemeinden auf der Pendenzenliste; eine Lösung ist allerdings nicht in Sicht.

Fast verschwunden sind schliesslich auch Transporte auf dem Wasser. Der energieeffiziente Transport von Massengütern wird heute vor allem noch vom Steinbruch Balmholz genutzt, der in Sundlauenen direkt am See liegt und

Die Anfänge des modernen Strassenbaus im Kanton Bern

In seiner 2011 veröffentlichten Dissertation «Strassen für alle» zeigt Daniel Flückiger am Beispiel des Kantons Bern, wie der moderne Strassenbau und die flächendeckende Erschliessung des bernischen Territoriums im 19. Jahrhundert durch die stärkere Mitsprache der betroffenen Bevölkerung gefördert wurde.

Zwar propagierten schon im Ancien Régime aufgeklärte Regierungs- und Verwal- tungsleute Strassen als Mittel zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Weil aber der Staat seine Strassenbaukosten mit Zöllen finanzierte, fand Strassenbau nur dort statt, wo Zölle zu holen waren – also rund um die Wirt- schaftszentren. Allerdings deckten die Zölle nicht alle Kosten, und ein grosser Teil des Aufwands wurde von den Gemeinden vor Ort mit Gemeinwerk (Arbeits- und Transportleistungen der Gemeindemitglieder) getragen; doch der Einfluss der be- troffenen Bevölkerung auf die obrigkeitlichen Strassenbaupläne war im Ancien Régime gering.

Flächendeckend gefördert wurde der Bau neuer Strassen abseits der grossen Zen- tren durch die Institutionalisierung der Mitsprache «von unten» – oder zumindest der wirtschaftlichen Eliten der ländlichen Gebiete – im modernen, demokratischen Staat nach der liberalen Revolution von 1830. Im neuen Parlament hatten nicht mehr die Stadtberner Patrizier, sondern Vertreter der ländlichen Regionen die Mehrheit. So konnte eine höhere finanzielle Beteiligung des Staates auch an Stras- sen ins Berner Oberland und andere «Randregionen» durchgesetzt werden. Und sobald eine Region «ihre» Strasse bekommen hatte, war das ein Präzedenzfall, mit dem auch andere ihre Forderung nach einer eigenen Strasse begründen konnten. Dabei konnten sich die Politiker auf die nach wie vor anerkannte Begründung

148 dessen Schiffe ihre Fracht in Scherzligen auf die Bahn verladen können, und auch die Kanderkies AG hat noch ein paar eigene Schiffe. Ansonsten fehlt heute zum einen die Infrastruktur für ein Umsteigen auf den Wasserweg, und zum andern sind die Energiepreise vorläufig noch so tief, dass eine solche Lösung wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig ist.

Die grössten Chancen haben Alternativen zum motorisierten Individualver- kehr, wo dieser sich selbst zu ersticken droht. Ein umfangreiches Projekt zur Förderung des Langsamverkehrs für die Feinverteilung innerorts ist das noch

stützen, dass Strassenverbindungen dem Güteraustausch dienen und damit die wirtschaftliche Entwicklung fördern – und so zuletzt wieder dem ganzen Kanton zugute kamen.

«Von 1823 bis 1844 vervierfachte der Kanton Bern die Dichte des staatlichen Stras- sennetzes von 80 auf 280 Meter Streckenlänge pro Quadratkilometer», schreibt Daniel Flückiger. Daraus, dass Bern mit seinem Strassenbau damals sogar wirt- schaftlich führende Länder wie England, Frankreich und Preussen weit hinter sich liess, schliesst der Autor, dass für den Strassenbauboom weder die wirtschaftsthe- oretische Begründung noch die moderne Technik oder eine moderne Verwaltung ausschlaggebend war, sondern das politische Mitbestimmungsrecht der Regionen – etwas, das Bern den wirtschaftlichen Grossmächten voraus hatte.

Am Beispiel der 1817–1829 gebauten neuen Simmentalstrasse zeigt Flückiger aber auch, wie schon vor der Machtergreifung der ländlichen Eliten dezentraler Stras- senbau für die Wirtschaftsförderung von Randregionen vorangetrieben wurde: Zum Erfolg führten damals neben einer geschickten Politik bernischer Verwal- tungsleute eine Kombination von technischen Neuerungen, die dem Staat einen billigeren Strassenbau und eine stärkere Auslagerung der Kosten auf die Gemein- den erlaubten, und das «Gemeinwerk», mit dem die betroffenen Gemeinden diese Mehrbelastung auffingen und so trotz der obrigkeitlichen Sparsamkeit die Verbesserung ihrer Infrastruktur vorantreiben konnten – sofern sie sich einen Nut- zen von der Strasse versprachen.

Daniel Flückiger, Strassen für alle. Infrastrukturpolitik im Kanton Bern 1790 –1850. 2011, hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, Baden, und Historischer Verein des Kantons Bern. ISBN 978-3-03919-219-9.

149 im letzten Jahrhundert lancierte Projekt «Crossbow» der Agglomeration Inter- laken. «Crossbow» soll dazu beitragen, den Verkehr «verträglich zu gestalten» – im weiteren Sinn eines Versuchs, die Anliegen sämtlicher Verkehrsteilneh- mer, der Anwohner von Verkehrswegen und der auf den Verkehr angewie- senen Wirtschaftszweige bei kleinstmöglicher Umweltbelastung unter einen Hut zu bringen. Das Projekt kombiniert eine Vielzahl von Massnahmen, die von Parkplatzbewirtschaftung und Parkleitsystemen für Reisecars und Personen- wagen über Verkehrsberuhigung bis zur visuellen Gestaltung des Strassen- raums, etwa mit Alleebäumen, reichen. Die langen Diskussionen zur Umset- zung fast jedes einzelnen Punktes bestätigen: Verkehrsplanung berührt die unterschiedlichsten Interessen und ist in erster Linie eine politische Frage.

150 Andreas von Waldkirch

Emanuel Hahn 1800 –1867

1800 wird Emanuel Hahn in Ostermundigen als erstes von 6 Kindern geboren. Er macht eine Bäckerslehre. 1820 leistet er seinen schweizerischen Militär- dienst. Dann schreibt er sich in die königliche Kadettenschule in Berlin ein.

1821 tritt er ins Füsilierbataillon in Wetzlar ein, das er 1824 als Leutnant ver- lässt – zu einer Zeit, da sich viele gebildete junge Europäer aus Bewunderung für die antike griechische Kultur, «die Wiege der europäischen Zivilisation», für den Unabhängigkeitskampf der Griechen gegen das osmanische Reich be- geistern.

Hahn tritt dem philhellenischen Corps bei, in dem sich Freiwillige vor allem aus dem deutschen Sprachraum, aber auch aus anderen europäischen Ländern organisieren, um die Revolution der Griechen zu unterstützen, und reist via Genua nach Nafplion in Griechenland. Er schliesst sich dort den Truppen des französischen Obersten Fabvier an. Erstes Gefecht in Tripolis. Hahn erkrankt an einem heimtückischen Fieber (Malaria ?), reist zurück nach Europa. In Livorno wird er dank finanzieller Unterstützung aus der Philhellenen-Kasse von Jean Gabriel Eynard aus Genf gesund gepflegt.

Zurück in Griechenland nimmt er unter Fabvier am Feldzug auf der Insel Euböa teil. In der Schlacht bei Chaidari, heute ein Vorort von Athen, zeichnet er sich 1826 aus. Die in der Akropolis von den Türken eingeschlossenen Griechen brauchen dringend Munition und Lebensmittel. Hahn wird beauftragt, mit 500 Leuten die türkischen Linien zu durchbrechen und den Eingeschlossenen die benötigte Munition zu bringen. Jetzt wird er selber auf der Akropolis ein- geschlossen. Nach 6 Monaten Kampf kapituliert er. Er entgeht der Gefangen- schaft und schliesst sich jetzt als Oberleutnant den regulären griechischen Truppen an. Der Versuch, 1827 die Insel Chios den Türken zu entreissen, miss- lingt.

1828 –1833 keine Nachrichten von Hahn. 1833 ist er in Nafplion zugegen, als der neugewählte bayrisch-griechische König Otto ankommt. Er wird Stadt- kommandant von Patras. Dann erhält er das Kommando über das 4. Jäger-

151 In Gsteig bei Interlaken erinnert ein Grabstein an die Begeisterung für den griechischen Unabhängigkeitskampf, die im 19. Jahrhundert auch viele Schweizer ergriff. (Fotos: Sibylle Hunziker)

bataillon. Ab 1943 befehligt er die Garnison von Navarino. 1844 wird er zum Oberst befördert. 1845 kurzer Aufenthalt in der Schweiz.

1845 Heirat mit der 26 Jahre jüngeren Maria, Tochter des Barons Des Granges. Hahn besitzt in Athen ein Haus. 1849 stirbt Maria wegen Komplikationen mit ihrer Schwangerschaft. 1853 wütet in Athen die Pest. Hahn engagiert sich in der Krankenpflege. Er wird zum Präsidenten der Stiftung für Kriegswitwen und -waisen gewählt.

152 Gsteig war zu General Hahns Zeit Interlakens Pfarrkirche und Friedhof.

153 1855 wählt ihn König Otto von Griechenland zu seinem Adjutanten, 1860 zum Inspektor der Infanterie. 1861 wird Hahn Generalmajor. 1862 Ausbruch der Revolution gegen König Otto in Nafplion. Hahn wird beauftragt, den Aufstand in Nafplion niederzuschlagen, was ihm auch gelingt. Kurzer Ferienaufenthalt in Bayern und in der Schweiz. Bei seiner Rückkehr nach Athen hat sich aber der Aufstand weiter ausgebreitet. Er verschanzt sich mit dem König im Königs- palast am Syntagma in Athen. Im Oktober 1862 muss Hahn kapitulieren. Der König flieht mit seiner Familie auf einem englischen Schiff und kehrt nach Bayern zurück. Hahn geschieht wegen seiner Verdienste in den Befreiungskrie- gen nichts. 1865 kehrt er aber trotzdem in die Schweiz zurück.

1867 stirbt er in Interlaken und wird auf dem Friedhof von Gsteig begraben.

154 Sibylle Hunziker

«Mensch, wer bist du?»

2012 feierte das «Stedtlitheater» seinen 30. Geburtstag. Geleitet wird das «Hausensemble» des Unterseener Stadtkellers seit seiner Gründung von der Schauspielerin und Regisseurin Beatrice Augstburger.

«Mensch, wer bist du? Mensch, woher kommst du? Mensch, wohin gehst du? – Das sind die zentralen Fragen menschlichen Lebens und menschlicher Sinn- suche. Und Theater ist dazu da, dass Menschen mit Figuren in einer Geschich- te mitfühlen können und dadurch angeregt werden, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.» Beatrice Augstburgers Antwort kommt ohne Zögern, wenn man sie nach dem Grund für die Leidenschaft fragt, mit der sie ihr Leben lang – die letzten 30 Jahre vor allem im Stadtkeller Unterseen – Theater macht. Und ihr Grund ist zugleich so weit, dass darin Strindbergs «Traumspiel» und Hauptmanns «Ratten» ebenso Platz haben wie die leichte Komödie «Arsen und Spitzenhäubchen» oder ein Krimi von Agatha Christie, moderne Klassiker wie Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Ödön von Horvath, Thornton Wilder oder Tennessee Williams ebenso wie Michael Endes postmoderne

Alexander Fernandez und Suéli Lopes in Michael Endes «Gauklermärchen», Stadtkeller 2011.

155 «Arsen und Spitzenhäubchen» mit Barbara Nilli und Henriette Studer, Stadtkeller Unterseen 2000. (Sibylle Hunziker/Oberländisches Volksblatt)

Märchen oder Markus Köbelis «Zimmer frei» und Michael McKeevers «Will- kommen in deinem Leben» – zwei Stücke von zeitgenössischen Autoren, die das Stedtlitheater in seinem Jubiläumsjahr 2012 gab. Dabei hat sich die Thea- tertruppe keineswegs immer nur dem Ernst des tiefen Sinns ergeben; auch wenn ausgesprochene Komödien selten auf dem Programm standen, so hat- ten selbst schwerblütige Tragödien wie «Endstation Sehnsucht» im Stadtkeller ihre heiteren Momente. Augstburger & Co. hielten sich dabei aber stets an Curt Goetz’ Definition von Humor: «Neben Geist und Witz setzt er vor allem ein grosses Mass von Herzensgüte voraus, von Geduld, Nachsicht und Men- schenliebe.»

Wir gründen ein Stadttheater Curt Goetz spielte auch bei der Gründung des Stedtlitheaters eine wichtige Rolle. Und das kam so: 1979 feierte Unterseen sein 700-Jahr-Jubiläum. Zur Feier des runden Geburtstags restaurierten einige Unterseenerinnen und Un- terseener, angeführt vom damaligen Baupräsidenten Alfred Gafner, in Fron- arbeit das ehemalige Übungslokal der Feuerwehr unter dem Gemeindesaal

156 und gründeten die Vereinigung Pro Stadtkeller. Das Thuner Schönautheater weihte den Stadtkeller mit dem Ur-Faust ein. Und seither hat die Oberste Stadt an der Aare das, was zuvor als Markenzeichen der Landeshauptstadt etwas weiter unten an der Aare galt: Ein Kleintheater in einem mittelalterlichen Altstadtkeller.

«Ich gab damals Stellvertretung für den Unterseener Lehrer Walter Seiler, der an der Aktion beteiligt war und der im Schönautheater mitspielte», erinnert sich Beatrice Augstburger. Und weil sie als Bernerin wusste, was sich für ein Kellertheater gehört, fragte sie Seiler, ob denn der Stadtkeller auch ein Hausensemble habe, was Seiler verneinte, worauf Augstburger und ein paar Gleichgesinnte in die Hände spuckten und 1982 das «Stedtlitheater» gründeten.

«Zum Teil waren es Leute wie Kathrin Dasen, die schon im Schönautheater gespielt hatten, zum Teil kamen sie aus den Interlakner Tellspielen – etwa Res Frutiger, der dem Stedtlitheater 20 Jahre treu blieb und der heute bei den Bödeli-Spillüt ist, und etwas später auch Hanspeter Brammann und Susanne Modica, die in den letzten Jahren wieder in unseren Silvester-Produktionen gespielt hat. Auch der Mime Willi Fiolka war dabei. Und ein paar Mitglieder hatten noch gar keine Theatererfahrung», erinnert sich die Regisseurin.

Wo früher Unterseener Feuerwehrleute geübt hatten, wie man eine bren- nende Friteuse fachgerecht löscht, übte jetzt das neue Amateurtheater mit dem Feuer der Begeisterung. 35 Proben waren es bis zur Premiere, meldete das «Oberländische Volksblatt», in dem Redaktor Ueli Flück am 25. April 1983 eine halbe Seite Platz machte, um das neue Theater vorzustellen. «Genügend Zeit zum Proben ist für jedes Theater wichtig, ob nun die Leute schon Erfah- rung mitbringen oder Anfänger sind», sagt Beatrice Augstburger. «Nur so kann ich mit den Spielern so lange arbeiten, bis sie sich in ihren Rollen wohl fühlen. Erst, wenn man die Koordination von Bewegung, Text und Mimik au- tomatisiert hat, kann man im Notfall auch eine kleine Panne umspielen.»

«Mit Goetz ging’s gut» Am 7. Mai 1983 hiess es im Stadtkeller Unterseen zum ersten Mal «Vorhang auf» für das Stedtlitheater. Auf dem handgeschriebenen und von Vreni Balmer entworfenen Programm, dessen schnörkellose Gestaltung bis heute keinen

157 In den ersten Jahren standen für das Stedtlitheater auch Gastspiele in Beatenberg, Grindelwald, Meiringen oder Brienz auf dem Programm.

Staub angesetzt hat, standen «Minna Magdalena», «Nachtbeleuchtung» und «Hund im Hirn» von Curt Goetz. «Die Texte und Situationen bieten so viel Komik, dass Übertreibungen in der Darstellung der Wirkung nur Abbruch tun», warnte die Regisseurin ihre Spieler – und sie nahmen sich die Mahnung zu Herzen und umschifften alle Absturzgefahren bravourös.

«Mit Goetz ging’s gut», titelte Annemarie Günter nach der Première in der «Berner Zeitung» und schrieb: «Der Applaus des grossen Publikums bewies es: Die Première des Stedtlitheaters war ein Erfolg. Curt Goetz siegte zusammen mit den neun Schauspielern über Lampenfieber und Unterschiede zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen, zwischen Schweizerhochdeutsch und Fast- bühnenhochdeutsch, zwischen Pantomimenbeweglichkeit und einheimischer Zurückhaltung. ... Das Stedtlitheater liess die drei Einakter leben und wäre wahrscheinlich auch in den strengen Augen des Schauspielers Curt Goetz nicht durchgefallen.» Und Ueli Flück zitierte im «Oberländischen Volksblatt» den Gemeindepräsidenten Ernst Schläppi: «Das Stedtlitheater wertet nicht nur den Stadtkeller, sondern auch das Stedtli auf» und berichtete von der allgemei- nen Freude über die «beschwingt heitere Aufführung». «Nur in einem hat sich Beatrice Augstburger getäuscht», stellte der Redaktor fest: «Im Publikum. ‹Ich habe meine Spieler darauf vorbereitet, dass wir anfänglich keineswegs vor ausverkauftem Haus werden spielen können, dass wir erst bekannt und akzep- tiert werden müssen›, erzählte die Theater-Frau vor wenigen Wochen. Und nun mussten am Première-Abend sogar noch zusätzliche Stühle herange- schafft werden.»

158 Der Zauber des Laientheaters Das Bühnenbild war «für verschiedene Orte verwendbar und mit Privatautos transportierbar gebaut», erinnert sich Beatrice Augstburger. «Denn in den ersten Jahren organisierten wir mit Hilfe von Theaterbegeisterten vor Ort noch eine richtige Tournee mit Gastspielen in Grindelwald, Brienz, Meiringen, Beatenberg und Oberhofen.» Mit der Zeit konnte der grosse Aufwand jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden, und heute steht pro Saison neben den zehn Vorstellungen im Stadtkeller nur noch ein Gastspiel in der Alten Oele Thun auf dem Programm. «Trotzdem haben wir immer noch Grindelwalder, Meiringer und Beatenberger Publikum», erzählt Augstburger mit Freude und Stolz. «Aber heute gehen wir nicht mehr zum Publikum, sondern unser Publi- kum kommt zu uns nach Unterseen.»

Das Vorbild für die ursprüngliche Idee eines Theaters, das jeden Tag an einem neuen Ort spielt, war die Deutschfreiburgische Theatergruppe. Beatrice Augstburger hatte ab den 1970er Jahren in der heute noch aktiven Gruppe gespielt und inszeniert.

«Der Gesang vom lusitanischen Popanz» in einer Inszenierung der Deutsch- freiburgischen Theatergruppe mit Marianne Tschirren, Beatrice Augstburger und Heidi Bouquet. (Foto: Deutschfreiburgische Theatergruppe)

159 «Bei diesen Aufführungen mussten immer alle alles machen: Bühnenbild auf- bauen, Kasse betreuen, Scheinwerfer einrichten und spielen. Dieses Ganzheit- liche macht einen sehr grossen Teil des Charmes kleiner Theater aus. Und man ist näher beim Publikum.» Solche Erfahrungen bestärkten Augstburger in ihrer Liebe zum Theater abseits der grossen, durch und durch professionellen Häuser, hatten sie doch noch etwas von dem Zauber, der sie als Kind zum klassischen Theater gezogen hatte.

Die Bretter, die die Welt bedeuten Beatrice Augstburger ist im liberalen Berner Bürgertum aufgewachsen und stand mit fünf Jahren zum ersten Mal auf den Brettern, die die Welt bedeuten – als Elevin der Berner Ballettschule im traditionellen Weihnachtsmärchen für Kinder im Kursaal. «Später habe ich meine Mutter einmal gefragt, warum sie mich ins Ballett gesteckt habe, und sie erzählte mir, wie ich eines Tages aus dem Kindergarten heimgekommen sei und ihr mitgeteilt habe: ‹Mami, ich will ins Ballett›.» Mit zwölf Jahren musste sie ihren Traum vom Tanzen wegen Problemen mit den Füssen allerdings aufgeben. «Doch zum Glück war der Musiklehrer meiner Berner Sekundarschule selber Konzertsänger und Beauf- tragter des Stadttheaters für Opernchöre.» So sang Beatrice Augstburger schon bald im Kinderchor des Stadttheaters – als erstes in der «Tosca». «Damals konnte man sich als kleines Mädchen noch hinter irgendwelchen Bühnenbildteilen verstecken und lauschen, wenn man selber gerade nichts zu tun hatte», erinnert sich die Schauspielerin, die sich als Zuschauerin und Zu- hörerin bis heute nichts Schöneres als Opern vorstellen kann. «Später mussten wir dann allerdings jeweils in der Kantine auf unseren Einsatz warten.»

«Unter der Leitung von Prof. Dr. Kurt Pahlen erlebten wir eine schöne Zeit; er hatte einen guten Draht zu Kindern.» Und im Alter von 14 Jahren erhielt Beatrice Augstburger ihre erste Sprechrolle – den Lausejungen Poní in «Pinocchio», dem für seine Streiche lange Eselsohren wachsen.

Nach der Schule entschied sie sich zunächst für einen «Brotberuf», «aber der Ärmel war definitiv im Theater hängen geblieben.» So besuchte sie das Lehrerseminar mit seiner idealen Kombination aus bodenständigen und musischen Fächern. «Es war eine wunderbare Zeit: Ich bekam Klavier- und Gesangsunterricht, konnte mit 17 noch anfangen, Geige zu spielen, und durf- te abends regelmässig meine Mutter ins Theater begleiten.»

160 Die erste Sprechrolle: Beatrice Augstburger als Poní im Weihnachtsmärchen Pinocchio (Stadttheater Bern, Foto zvg).

Kaum hatte sie das Lehrerinnen-Patent in der Tasche, bereitete sich Augstbur- ger sofort auf die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule am Konservato- rium Bern vor. «Zu den Voraussetzungen gehörte damals der Besuch externer Kurse, in denen man während eines halben Jahres schon mal die Eignung abklären konnte, und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Denn schon da- mals warnte man uns, es gebe im deutschen Sprachraum 16 000 unter- beschäftigte Schauspieler.»

In der Schauspielschule und später, als sie sich ihre Sporen als Regieassistentin abverdiente und für den Lebensunterhalt Stellvertretungen in der Schule über- nahm, lernte sie zweierlei: «Das professionelle Theater ist ein unheimlich hartes Pflaster mit einer gnadenlosen Konkurrenz und starken Hierarchien. Und ich merkte, wie wichtig für mich selber der Kontakt zur Welt ausserhalb des Theaters war und wie viel ich als Mensch, als Schauspielerin und als Regis- seurin von den Menschen lernen konnte, die in ganz anderen Welten lebten und die ganz andere Erfahrungen mitbrachten.»

Die positiven Seiten beider Welten fand Augstburger schliesslich im Klein- theater und in der Zusammenarbeit mit Laien.

161 Die Freiheit der Laienspieler Mit ungebrochenem Einsatz lebt Beatrice Augstburger bis heute für das Theater – und ein Stück weit auch im Theater. «Als Amateurtheater sind wir froh, dass uns die Gemeinde den Stadtkeller zur Verfügung stellt und dass wir mit den Eintritten die Auslagen für Aufführungsrechte, Werbung, Bühnenbild, Kostüme und Requisiten decken können.» Für Lagerräume bleibt da kein Geld übrig. Also lagert der mittlerweile nicht unbeträchtliche Fundus des Stedtlithe- aters zu Hause bei Spielern und der Regisseurin. Schon vor Beatrice Augstbur- gers Wohnungstür im Dachstock des einfachen Chalets steht als Garderobe der Tresor aus «Frank der Fünfte». Im Estrich nebenan hängen sieben Laufme- ter Kostüme – viele davon selber geschneidert, aber auch ein paar Prunk- stücke, die bei der Liquidation des traditionsreichen Berner Kostümverleihs «Charade» günstig erworben wurden. Und im Wohnzimmer trifft man etliche Möbelstücke aus «Zimmer frei», «Scherz beiseite» oder anderen Produktionen wieder, deren Bühnenbild nicht gerade Verwüstung oder – wie die konsequent

Sieben Laufmeter Kostüme hängen in Beatrice Augstburgers Estrich – sogar Madame Pompadour könnte der Stedtlitheater-Fundus ausstatten.

162 Miss Marple im Stadtkeller: Arnold Abegglen, Carmela Sonderegger, Suéli Lopes, Hildegard Jasser und Andreas Gautschi in «Scherz beiseite» (2008).

schiefen Tische, Stühle und Buffets aus «Arsen und Spitzenhäubchen» – eine sonstwie aus dem Lot geratene Welt darstellten. Für Beatrice Augstburger ist es schön, in den Erinnerungen an frühere Inszenierungen und den potentiellen Hilfsmitteln kommender Attraktionen zu wohnen – und abwechslungsreich. «Gegen Ende Winter, wenn das Bühnenbild im Stadtkeller langsam Gestalt annimmt, lebe ich manchmal in einer halb leeren Wohnung.»

Dass man neben dem Laientheater einen Brotberuf braucht, um die eigene Leidenschaft finanzieren zu können, war Beatrice Augstburger immer klar, und sie empfindet es auch nicht unbedingt als Nachteil. «Man muss die Menschen kennen lernen, um spielen und inszenieren zu können.» Zudem gebe die finanzielle Unabhängigkeit den Laien Freiheiten, wie sie Profis nie haben. «Hier bei uns kann einer auch König Lear spielen, wenn er will. Im professionellen Betrieb bleiben solche Rollen für die meisten Schauspieler ihr Leben lang unerreichbar.» Zudem sind die Laienspieler nie dem Regisseur ausgeliefert. «Regie ist hier einfach eine Arbeit unter anderen.» Auch das kommt Augstbur- gers Theaterideal entgegen. «Ich würde nie von einem Spieler verlangen, sich auf der Bühne dermassen zu entblössen, wie das auf grossen Bühnen vor-

163 «Rumhängen» – Wie geht denn das? Melchior Meyer und Hildegard Jasser in «Zimmer frei» (Stadtkeller, Silvesterproduktion 2011). kommt. Ich finde das auch schlicht unnötig.» Denn wenn Menschen ihre Ge- fühle ausdrücken, ist das nie nur Natur, sondern sie bedienen sich dabei immer auch kulturell kodierter Zeichen – einer in der jeweiligen Kultur üblichen Kör- persprache. «So muss ich von einer Schauspielerin zum Beispiel nicht verlan- gen, dass sie sich für eine Verführungsszene auszieht – etwas, das Laien oft gegen den Strich geht; es gibt genug andere Möglichkeiten, solche Absichten und Gefühle sehr differenziert auszudrücken. Und wenn wir gemeinsam pro- bieren, finde ich das spannender, als wenn ich die Spieler nur meine eigenen Vorstellungen umsetzen liesse.»

Natürlich freut sich Beatrice Augstburger, dass einzelne junge Ensemble- mitglieder dermassen Feuer fingen, dass sie das Stedtlitheater für eine profes- sionelle Ausbildung verliessen. Aber die meisten frönen ihrer Leidenschaft in der Freizeit. «Theater machen ist ein aufwändiges Hobby. Aber es ist auch sehr schön und befriedigend, wenn man zusammen mit anderen ein Stück erarbei- ten kann.»

164 Nie ausgelernt Ihre eigene Erwerbsarbeit ausserhalb des Theaters sah Beatrice Augstburger nie nur als «Brotkorb». «Durch die Stellvertretungen in der Schule lernte ich alle Altersstufen kennen. Das waren spannende Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.» Später wurde sie durch einen Zufall Segellehrerin bei der Segelschule Thunersee im Neuhaus – und konnte ein weiteres Hobby zum Beruf machen.

«Doch mit 34 Jahren dachte ich: Jetzt war ich immer nur auf der Sonnseite des Lebens. Irgendwie schien mir plötzlich alles zu einfach, und ich hatte das Ge- fühl, ich sollte vielleicht auch einmal noch andere Seiten kennen lernen.» Nur: was? Auf Vorschlag der Berufsberatung meldete sie sich für die Ergotherapie- Aufnahmeprüfung an. «Dafür brauchte es aber ein dreimonatiges Sozialprak- tikum. Ich arbeitete als Schwesternhilfe im Spital Interlaken. Und da merkte ich: Das ist es, genau das will ich noch dazu nehmen.» Diesen Entschluss hat sie bis heute nicht bereut. «Es ist eine Arbeit nahe an den Menschen.»

«Alle Jobs aneinander vorbei zu organisieren war nicht immer leicht, vor allem wegen der Schichtarbeit im Pflegeberuf», sagt Augstburger. Doch Ausgleich und zahlreiche Momente wunschlosen Glücks findet sie immer wieder in der Bergwelt, auf dem Thunersee und in der Weissenau, wo sie die Vögel, die Bäume, das Schilf und das Spiel von Licht und Wind über dem Wasser beo- bachten, die Einheit mit der Natur erleben kann. «Man geht eine Viertelstunde von einem Ende der Weissenau zum andern – und ist ein anderer Mensch.»

30 – und kein bisschen müde Eine Konstante in Augstburgers Leben blieb seit 1982 das Stedtlitheater, das sich auf die Aufführung von Stücken aus der «Weltliteratur» in Hochsprache spezialisierte. «Nicht, weil ich Mundartstücke nicht gut fände», sagt Beatrice Augstburger. «Ich sehe selber gerne ab und zu Mundartstücke und gehe auch an Theater der Jodlervereine.» Sie ist überzeugt, dass das ganze Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten das kulturelle Leben einer Region reich macht. Und ihre Erfahrung gibt ihr Recht. «Es war wunderbar zu erleben, dass wir alle diese grossartigen Texte interpretieren konnten. Und die Leute kamen» – nicht nur in Unterseen mit dem relativ grossen Einzugsgebiet, sondern auch in einem Ort wie Meiringen, wo das Stedtlitheater lange mit der Kulturgruppe «Zwirbel» zusammengearbeitet hat.

165 In den letzten Jahren verzeichnete das Stedtlitheater allerdings einen Publi- kumsrückgang, ähnlich wie auch andere kulturelle Angebote. «Zum Teil liegt es wohl daran, dass die Leute im Beruf zunehmend eingespannt sind und sie abends lieber zu Hause bleiben. Zudem ist das kulturelle Angebot in der Region erfreulich gewachsen – weit stärker als die Bevölkerung, und selbst der interessierteste Mensch kann nicht unendlich viele Anlässe besuchen. Und viel- leicht machen auch die neuen Medien etwas aus.» Allerdings glaubt Augst- burger nicht, dass das Bedürfnis, gemeinsam etwas zu unternehmen, ganz verschwindet, zumal das Stedtlitheater, ähnlich wie andere Kulturangebote, in jüngster Zeit wieder ein vermehrtes Publikumsinteresse feststellt. «Wirklich schlecht ist es uns sowieso nie gegangen. Beim Stedtlitheater hatten wir im- mer das Glück, dass ein grosses Stammpublikum unsere Arbeit all die Jahre mit Interesse verfolgt, uns begleitet und getragen hat.»

Im Ensemble gab es zu keiner Zeit Nachwuchsprobleme. Zwar können Ama- teure selten ständig Theater machen. Aber viele kehrten nach einer ausbil- dungs-, berufs- oder familienbedingten Pause wieder zurück. Auch neue

Schlussapplaus für die «Chinesische Mauer» – Teil eines grossen Ensembles im kleinen Theater, Stadtkeller 2004.

166 Das Ensemble von «Alpenkönig und Menschenfeind» in der Probenbesprechung, Stadtkeller 2005.

Leute kamen dazu. Und 2004 «erbte» das Stedtlitheater eine ganze neue Generation hoch motivierter und engagierter Spielerinnen und Spieler von einem Musical-Projekt der Jugendarbeit Bödeli.

«Ein Selbstläufer ist ein Amateurensemble trotzdem nicht», sagt Beatrice Augstburger. «In einem Laientheater müssen sich die Leute wohl fühlen; schliesslich zwingt sie ja keiner, all die Anstrengungen auf sich zu nehmen.» Das heisst zum Beispiel, dass die Regisseurin die Stücke so aussucht, dass sie alle Rollen mit den vorhandenen Leuten besetzen kann, und dass keiner mit seiner Rolle überfordert ist oder sich damit langweilt. «Auch für das Zusam- menspiel in der Gruppe muss das Stück stimmen. Und ich achte darauf, einen Spieler nicht immer in die gleiche Schublade zu stecken.» Das verlangt Flexibi- lität und Geduld. «Dass wir 2004 genau das Ensemble beisammen hatten, das wir für Max Frischs ‹Chinesische Mauer› brauchten, war ein Glücksfall; darauf hatte ich zehn Jahre gewartet.» Geht einmal doch nicht ganz alles auf – wenn etwa eine engagierte Spielerin zu Gunsten einer anderen auf eine grosse Rolle verzichten muss – gibt es das nächste Mal einen Ausgleich. Das ist mög- lich, weil das Stedtlitheater bewiesen hat, dass es einen langen Atem hat. Und weil es ein Ort ist, an dem die Menschen neben der Pflege ihrer gemeinsamen Leidenschaft auch miteinander reden können – über alles und jedes, und sogar über das, was sie in ihrem Innersten bewegt. «Kürzlich sagte einer der jüngs- ten Spieler, er habe sehr gute Kollegen, mit denen er über viele Themen reden könne; aber für Gespräche über Dinge wie den Sinn des Lebens brauche er

167 uns.» Auch das freut Beatrice Augstburger sehr – dass es den Beteiligten all die Jahre hindurch gelungen ist, eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens auf- zubauen, in der solche Gespräche möglich sind.

Vor einigen Jahren hat das Stedtlitheater sogar noch ein kleines Schwester- theater entwickelt: Die Silvesterproduktionen speziell für Leute, die aus beruf- lichen Gründen nicht an die regelmässigen Proben für die «grossen» Produk- tionen kommen konnten. «Wenn wir nur zu Dritt oder zu Viert sind, können wir uns mit dem Probenplan besser anpassen», sagt Beatrice Augstburger. Und der Erfolg bei Spielenden und Publikum ermutigt das Stedtlitheater auch diesmal zum Weitermachen.

Vielseitiges Engagement Neben ihrem Engagement im Stadtkeller betreut Beatrice Augstburger immer wieder andere Projekte, in denen oft auch andere Mitglieder des Stedtlithea- ters mitmachen. So inszenierte sie in den 1980er Jahren verschiedene Stücke für die Oberländer Kammerbühne, darunter eine Freilichtaufführung von Büchners «Leonce und Lena», die im Thuner Bonstettenpark als Tableau vivant begann und endete. In jüngerer Zeit zeichnete die Regisseurin verantwortlich für das Musical «Freude» der Stadtmusik Unterseen und die interdisziplinäre Produktion «Les violons du roi» von Musiker, Musiklehrer und Geigenbau- meister Olivier Krieger, mit der die Musikschule Oberland und die Geigenbau- schule Brienz den 30. Geburtstag der Musikschule im Kunsthaus Interlaken feierten.

Vor zehn Jahren schliesslich half die vielseitig interessierte Künstlerin und Pädagogin bei der Gründung der Interlakner «Zauberlaterne», dem Filmclub für Kinder, die sie seither zusammen mit Lebenspartner und Stedtlitheater- Mitglied Arnold Abegglen moderiert und als Animatorin begleitet.

Auch einen Ausflug in die grosse, weite Filmwelt hat Beatrice Augstburger einmal unternommen – als sie in den 1970er Jahren zusammen mit ihrem da- maligen Partner die Verantwortung für die Produktion von «Brot und Steine» mit Lilo Pulver übernahm. «Das war natürlich spannend; aber das Theater ist

Die erste Silvesterproduktion des Stedtlitheaters: «Honigmond» von Gabriel Barylli mit Beatrice Augstburger, Sabine Wohlleber und Susanne Modica (2007).

168 169 Das «Gauklermärchen» ist zu Ende. Stadtkeller 2011. mir doch näher.» Wo Szene für Szene gefilmt und erst durch Schnitt zu einem Ganzen gefügt werde, fehle ihr das Gefühl des grossen Bogens, meint Augst- burger – und vor allem der Kontakt zum Publikum.

Die Kunst des flüchtigen Augenblicks «Als Schauspieler im Theater arbeiten wir wie die Bienen, die den süssen Nektar der Literatur sammeln. In den Proben hat das Ensemble ein halbes Jahr Zeit, das Stück zu verdauen und das Konzentrat aus Ideen und Gefühlen, das Wissen, das es sich erarbeitet hat, in zwei Stunden dem Publikum darzubie- ten.» Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine Einbahn-Veranstaltung. Die Macht des Publikums im Theater – und besonders im Kleintheater – ist gross. «Das Publikum kann uns tragen – und das tut es in den allermeisten Fällen mit grosser Intensität. Es ist eine alte Erfahrung, dass Wissen eine Art Energie ist: Wenn ein bestimmtes Wissen im Raum steht, wissen es plötzlich viele; davon erzählen auch die Patentämter, die bei grossen Erfindungen meist mehrere Meldungen innert kurzer Zeit bekommen.» Ähnlich funktioniert auch das «Phänomen Theater»: «Wenn das Ensemble konzentriert spielt und das Publikum will, fliesst die Energie, und sie können gemeinsam Unvergessliches und Wunderbares erleben.»

Fotos: Adolf Schmitter (wo nicht anders vermerkt)

170 Verfasserinnen und Verfasser der Beiträge 2012

Linus Cadotsch Aufgewachsen in Unterseen, Matura am Gymnasium Unterseen. Nach einem Jahr Zivil- dienst – unter anderem bei der Vogelwarte Sempach – seit September 2012 Studium der Geographie an der Universität Bern; Unterseen

Hans Fritschi Sekundarlehrer, phil. hist., Unterricht an Volks-, Berufsfachschule und Universität, Vize- präsident von Pro Natura Berner Oberland; Unterseen

Christian Gnägi Dr. Matura und Ausbildung zum Landwirt. Bergbauer u.a. im Berner Oberland. Arbeit als Reallehrer, 2001– 2005 berufsbegleitendes Studium an der ETH Zürich und der Univer- sität Bern (Geografie, Biologie, Geologie und Ökologie, mit Schwerpunkt Natur- und Landschaftsschutz). 2008 Dissertation zur eiszeitlichen Landschaftsentwicklung des ber- nischen Alpenrands am Geologischen Institut der Universität Bern. Inhaber der Firma weg>punkt (www.weg-punkt.ch); Herzogenbuchsee.

Heini Hofmann Zootierarzt und freier Wissenschaftspublizist; Jona

Benedikt Horn, Professor Dr. Hausarzt i.R., 25 Jahre Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Universität Bern. Verheiratet, vier erwachsene Kinder, zahlreiche Hobbies: Musik, Theater, Schreiben, Wandern, Natur, Haus und Garten; Interlaken

Sibylle Hunziker Siehe Angaben zum Redaktionsteam

Andreas von Waldkirch geboren 1942, dipl. Ingenieur ETH, pensioniert. Interesse an Militär- und Technikge- schichte. Stammt mütterlicherseits aus einer griechischen Familie und stiess auf Reisen und durch Interesse an der neueren griechischen Geschichte auf das Thema der vielen Schweizer im griechischen Unabhängigkeitskampf.

171 Kurt Wellenreiter 1933 in Brienz geboren, aufgewachsen am Fluhberg in demselben Haus wie Peter Flück, besuchte die Schulen in Brienz. Nach erfolgreicher Lehre als Elek- tromechaniker Weiterbildung zum Elektroniker; Brienz

Andreas Zurbuchen-Dauwalder Aufgewachsen in Habkern, Elektroingenieur, Ranger und Bernischer Gemein- defachmann. Mitinitiant der IG Ortsgeschichte Habkern, freiwilliger Natur- schutzaufseher, Jäger und leidenschaftlicher Dorfchronist; Habkern

172 In eigener Sache

Im Redaktionsteam ist es zu einem «fliegenden Wechsel» gekommen: Statt Ernest Wälti leiten nun in Zukunft Sibylle Hunziker und ich zusammen die Redaktion.

Die Jahrbücher 2006 bis einschliesslich 2011 haben Herr Wälti und ich gemein- sam gestaltet, mit manchen Autoren um Inhalt und Gestaltung gerungen. Wir haben Enttäuschungen erlebt, haben Begeisterung erfahren, uns gegenseitig geholfen, unterstützt – fast ein full-time-job, der sehr viel Zeit absorbierte, Zeit, die Ernest Wälti jetzt gerne für sich verwenden möchte, vor allem für seine Malerei und für das Hobby, ein Landwirt zu sein.

Herzlichen Dank, Ernest, für die gemeinsame Zeit!

Gisela Straub

173 Das Redaktionsteam 2012

Gisela Straub Geboren 1944, aufgewachsen in Hannover, Studien der Rechtswissenschaft und Rhetorik in Göttingen und Bern, Juristin und Essayistin, langjähriges Vor- standsmitglied von Pro Natura Berner Oberland. Sandstrasse 21 F, 3860 Meiringen, Telefon 033 971 39 13 E-Mail: [email protected]

Sibylle Hunziker Geboren in Stuttgart 1963, aufgewachsen in Unterseen, Studium der Ge- schichte und allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität Bern, arbeitet heute als freie Journalistin. Kupfergasse 3, 3812 Wilderswil, Telefon 033 822 75 90 E-Mail: [email protected]

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