DIE GRÜNEN – 11. WP Fraktionsklausur: 26. 1. 1988

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26. Januar 1988: Fraktionsklausur

AGG, B.II.1, 2139. Überschrift: »Protokoll der 44. Fraktions-Klausur im »Haus am 1 Rhein«, Bonn am 26. 01. 1987«. Zeit: 11.25–20.50 Uhr. Sitzungsleitung: Bärbel Rust.

Anwesend: Abgeordnete: Beck-Oberdorf, Beer, Brahmst-Rock, Briefs, Daniels, Ebermann, Flinner, Garbe, Häfner, Hensel, Hillerich, Hoss, Hüser, Kelly, Kleinert, Knabe, Krieger, Lippelt, Mechtersheimer, Nickels, Oesterle-Schwerin, Olms, Rust, Saibold, Schily, Schmidt-Bott, Schoppe, Sellin, Stratmann, Teubner, Trenz, Unruh, Vennegerts, Vollmer, Volmer, Weiss, Wetzel, Wilms-Kegel, Wollny, Wüppesahl Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeiter: Görg, Vesper (Fraktionsgeschäftsführer)

Antrag Wolfgang Daniels: Öffentliche Sitzung unter Ausschluß der visuellen Medien: mit 7 : 19 Stimmen abgelehnt. Antrag Jutta Oesterle-Schwerin auf Ausschluß der Fraktionsmitarbeitenden: mehrheitlich, bei 4 Gegenstimmen, angenommen.

TOP 1: Thomas Wüppesahl

Bärbel Rust verliest den Beschluß der Sondersitzung vom 21. 01. 88, der Thomas [Wüppesahl] die Möglichkeit gab, bis heute Stellung zu nehmen.2 Thomas [Wüppesahl] sei nicht anwesend3, habe aber wieder einen Brief geschrieben.4 Christa Vennegerts informiert über ihr Telefonat nach der Sitzung mit Thomas Wüppesahl. Sie habe ihn darauf hingewiesen, daß wir das Gespräch suchen. Dies habe er bisher nicht getan. Wir sollten heute beschließen, daß wir Thomas [Wüppesahl] aus der Fraktion ausschließen. Antrag auf geheime Abstimmung. Gerald Häfner: Wir müßten Thomas [Wüppesahl] ausschließen. Den Vorschlag, Pfeiffer das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, habe er in Abhängigkeit von der BILD-Zeitung gemacht. Dadurch bekomme alles eine andere Note, auch der Antrag auf Aufhebung des BILD-Zeitungs-Boykotts.5 Es gebe keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Außerdem habe Thomas [Wüppesahl] in den letzten Tagen zwei Mit- arbeiter entlassen. Das sei menschlich fies und müsse auch Berücksichtigung finden. beantragt Abstimmung. möchte wissen, wie die Situation der Mitarbeiter sei. Michael Vesper: Die Mitarbeiter seien im Kleinert-Pool angestellt, für Thomas Wüppesahl. Wenn es keine freien Stellen gebe, sei es aber schwierig, die Leute weiterzubeschäftigen. Man sei bemüht, daß die Mitarbeiter keine Nachteile dadurch erlitten.

1 Mit einer Pause von 13.20 bis 14.40 Uhr. 2 Zum Hintergrund vgl. Dok. 44, bes. Antrag S. 362 f. 3 Der Abg. Wüppesahl traf später zur Fraktionssitzung ein. 4 Vgl. Dok. 44, Anlage A. 5 Zu dem Antrag vgl. Dok. 43, Anlage C.

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Thomas Wüppesahl (gerade eingetroffen): Zur Kündigung von Christian [Busold]: Er habe aus privaten Bereichen Sachen herausgeholt, mit denen er nichts zu tun habe, z. B. das Redemanuskript von Pfeiffer.6 Er habe auch gelogen, als er dazu befragt worden sei.7 Er wisse auch nicht, ob Pfeiffer der eigentliche Grund für den Ausschluß aus der Fraktion sei. Alles was Pfeiffer gesagt habe, habe sich bestätigt. Einen besseren Kronzeugen könnten wir nicht bekommen. Deshalb sei er das Risiko eingegangen. Der Brief an von Weizsäcker sei sarkastisch und nicht ernst gemeint gewesen.8 Er habe ein großes Interesse, in der Fraktion zu verbleiben und grüne Politik zu machen. Lilo Wollny: Sie verstehe sein Mißtrauen nicht, im Vorfeld darüber zu reden. Den Grund, hier nichts zu besprechen, sei gewesen, daß er die Veranstaltung nicht absagen wollte. Sie frage, ob er sich einem Votum der Fraktion unterworfen hätte. Thomas Wüppesahl: Natürlich, er habe keinen Alleingang gemacht. Wolfgang Daniels: Es sei nicht nur Pfeiffer, sondern der Wortbruch, nicht mehr aktiv in den Wahlkampf9 einzugreifen. Er habe sich diesem Beschluß widersetzt. Thomas Wüppesahl: Der Fraktionsbeschluß sei durch Fristablauf erledigt. Er müsse sich in Schleswig-Holstein integrieren. Dort stoße er auf eine dicke Mauer. Insofern wollte er den Grünen zeigen, daß er was für sie tue. Wilhelm Knabe möchte wissen, ob die Absicht, Pfeiffer als Ministerpräsidenten vorzuschlagen, Realität oder Unterstellung sei. Thomas Wüppesahl: Ministerpräsident wäre nie erwogen worden. Es gebe ein Angebot auf Unterstützung und den Vorschlag auf Listenplatz 2. Wolfgang Daniels möchte wissen, ob Thomas [Wüppesahl] einen Ausschluß als Kriegserklärung empfinde oder ob er sich vorstellen könne, daß der Beschluß zu einem späteren Zeitpunkt rückholbar sei. Thomas Wüppesahl: Er würde nicht auf die Fraktion einprügeln. Er möchte das grüne Projekt fördern, auch wenn er ausgeschlossen werde. Antrag auf Schluß der Redeliste. Dietrich Wetzel: Thomas [Wüppesahl] überlege immer allein und wir hätten es auszubaden. Deshalb könne er nicht länger Mitglied der Fraktion bleiben. Er möchte von Thomas [Wüppesahl] wissen, wie er zur Mitnahme vom Mandat stehe. Gerald Häfner: Das grüne Projekt sei ein gemeinsames Projekt und habe spezifische Qualitäten erarbeitet (moralische Glaubwürdigkeit). Er arbeite nur für sich, möglicher- weise zum Schaden von Schleswig-Holstein. Er möchte wissen, wie sich Thomas [Wüppesahl] bei einem Ausschluß verhalte. Thomas Wüppesahl: Das Mandat werde er nicht zurückgeben. Er wäre dann existentiell am Ende. Wenn die Prozesse10 abgeschlossen seien, stehe die Frage für ihn an. Die Partei lasse ihn finanziell im Stich.

6 Zu den Ausführungen des ehemaligen Medienreferenten Pfeiffer auf einer vom Abg. Wüppesahl organisierten Pressekonferenz vgl. Dok. 44, Anm. 3. 7 Mit Schreiben vom 1. Februar 1988 an den Fraktionsvorstand verwahrte sich der Fraktionsmitarbeiter Busold gegen die – wohl unberechtigten – Vorwürfe des Abg. Wüppesahl. Vgl. AGG, B.II.1, 2140. 8 In einem Schreiben an Bundespräsident von Weizsäcker schlug der Abg. Wüppesahl vor, dem ehemaligen Medienreferenten in der niedersächsischen Landesregierung, Pfeiffer, das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Zu dem Schreiben vom 21. Dezember 1987 vgl. AGG, B.II.1, 2298. 9 Am 8. Mai 1988 fanden in Schleswig-Holstein Landtagswahlen statt.

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Christa Nickels: Er habe die Fraktion als Plattform mißbraucht. Thomas [Wüppesahl] sei nicht bereit, sich an was zu halten. Es sei ein Vertrauensmißbrauch und nicht zu entschuldigen. Thomas Wüppesahl: Was Christa [Nickels] gesagt habe, sei moralisierend. Er stelle sich nicht als armer Tropf hin, er wüßte, was er gemacht habe. Abstimmung, Thomas Wüppesahl aus der Fraktion auszuschließen: 31 : 3 : 4.11 Thomas Ebermann: Stellenbesetzung Öffentlichkeitsreferat: Er sei verärgert, da die Vorstandsmehrheit beschlossen habe, daß die internen Bewerberinnen für diese Stelle ungeeignet seien. Er beantrage, daß der Beschluß rückgängig gemacht werde und der neue Vorstand die Bewerberinnen überprüfe. Otto Schily: Wir sollten ohne Debatte im Sinne von Thomas [Ebermann] entscheiden. Abstimmung: bei 1 Enth. ist der Antrag von Thomas [Ebermann] einstimmig angenom- men.

TOP 2: Bericht des »alten« Fraktions-Vorstandes Waltraud Schoppe: Ein schriftlicher Rechenschaftsbericht des Vorstandes werde noch vorgelegt. Erfreulich sei gewesen, daß die Sechsergruppe12 nie Schwierigkeiten auf der menschlichen Ebene gehabt habe. In der Sache habe es harte Auseinandersetzungen gegeben, aber die Arbeit sei so gewesen, daß die daran Beteiligten Achtung vor den Positionen der anderen gehabt hätten. Darauf sollte man auch bei dem neuen Vorstand Wert legen. Ihre Erfahrung in der spezifischen Zusammensetzung habe gezeigt, daß ein Teil der Fraktion diesem Vorstand die Solidarität aufgekündigt habe, offensichtlich, weil man sich nicht repräsentiert gefühlt habe. Dies habe sich auch in den mäßig besuchten Fraktionssitzungen und im Parlament gezeigt. Als Gruppe habe sie sich nur in wenigen Augenblicken gefühlt. Wenn man sich als Gruppe fühlen solle, müsse man darauf achten, daß möglichst viele aus der Fraktion sich mit den Leuten aus dem

Vorstand identifizieren könnten. Deshalb unterstütze sie ein 2 : 2 : 2 Modell. Andererseits müsse sie sagen, daß ihr so viele Querelen und Krisenregelungsgespräche aus ihrer Zeit im Frauenvorstand unbekannt seien. Wir sollten unser Licht aber nicht unter den Scheffel stellen. Wo Politik gemacht werde, würden auch Fehler gemacht. Der nächste Vorstand brauche mehr Solidarität der Gesamt-Fraktion. Bärbel Rust: In einem Punkt hätten sie viel Prügel eingesteckt: Die integrative Arbeit sei vernachlässigt worden. Das sei einfach nicht wahr. Sie könne nur bestätigen, was Waltraud [Schoppe] zu den Querelen gesagt habe. Die Vertraulichkeit müsse auch weiterhin gewahrt bleiben. Das sei strömungsübergreifend und auch positiv gewesen. Wir müßten bestimmte Verhaltensregeln beachten, bei 44 Leuten Wege finden, die ak- zeptiert werden könnten, aber nicht jede(r) dürfe eine Pressemitteilung herausgeben. Sie finde es wichtig, nicht gegenseitig auszugrenzen, sondern wir müßten dialogfähig bleiben, das Gute aus verschiedenen Gruppen herausziehen, keine Verhinderungstaktik anwenden. Der neue Fraktionsvorstand sei darauf angewiesen, daß der Wille zur Zusammenarbeit bestehe. Der Vorstand müsse gestützt werden.

10 Zum Strafverfahren gegen den Abg. Wüppesahl vgl. bereits Dok. 22, Anm. 2. 11 Mit Wirkung vom 26. Januar 1988 wurde der Abg. Wüppesahl aus der Fraktion DIE GRÜNEN ausgeschlossen. 12 Dem Fraktionsvorstand 1987/88 gehörten die Sprecher/innen Schoppe, Rust und Ebermann sowie die Parlamentarischen Geschäftsführer/innen Kleinert, Vennegerts und Hensel an.

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Hubert Kleinert: Es habe Schwierigkeiten gegeben, die die Arbeit behindert hätten. Die Anlässe seien bekannt und vielfach diskutiert. Entscheidend für die Grünen sei, was zu diesen Auseinandersetzungen beigetragen habe. 1987 sei die Möglichkeit der rot/grünen Alternative zum vorhandenen Machtblock in den Hintergrund getreten. Es sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, daß wieder die Rückwendung zu sozial/liberal sein könne. Grüne hätten auf diese Wende noch keine angemessene Veränderung gefunden. Der Erfolg der Anfangszeit sei vorbei, weil Themen von anderen Parteien aufgegriffen würden. Trotz dem Höhepunkt der Eskalation im Herbst13 gebe es doch noch Gemeinsamkeiten, das habe sich in den letzten Wochen bei dem Atomskandal14 gezeigt. Einschätzung der parlamentarischen Tagesarbeit und mangelnde Präsenz im Plenum: Wir müßten aufräumen mit dem Eindruck, daß die Fraktion schlechter gearbeitet hätte, als die vorherige Fraktion. Die Quantität sage das Gegenteil. Auch wenn Quantität noch nichts über Qualität aussage und weniger oft besser sei. Nach seiner Einschätzung lägen die Mängel in der Koordination. Er frage sich, ob die AKs handlungsfähiger gemacht werden müßten. Wir müßten auch darüber nachdenken, ob die Instanz des erweiterten Fraktionsvorstandes, wie es ihn in der letzten Fraktion gab15, wieder aufgenommen werden sollte (z. B. FV + 1 VertreterIn der AKs – auch in FV-Sitzungen). Möglicherweise sei dann mehr Kompetenz gegeben als im letzten Jahr. Was ihm unangenehm aufgefallen sei, sei die Unleidlichkeit von Kritik gewesen, wenn was nicht so geklappt hätte. Es werde dem anderen ein Maximum von Absicht unterstellt, nicht zu wollen. Stilfragen müßten wir versuchen zu ändern. Insgesamt sei das Jahr nicht so schlecht gewesen wie der öffentliche Eindruck. Karitas Hensel: Sie habe wenig mit der Vorstandsarbeit zu tun gehabt, außer den Fraktionsvorstandssitzungen. »Wir waren 4 Neulinge, konfrontiert mit einer Masse an Fraktionsproblemen.« Die ersten Monate seien sehr schwierig gewesen. Sie habe für ihre Person sehr früh festgestellt, daß ein 6. Mitglied überflüssig sei. Mehr Kooperation habe sie sich vorgestellt, nicht nur Vertreterfunktion. Es sei kein schlechter Vorstand gewesen, wie im Flurfunk erzählt wurde. Menschlich hätten sich oft enttäuschende Dinge entwickelt. Sie brauche das Gespräch mit den anderen, das habe ihr gefehlt. Der Vorstand brauche Solidarität. Das habe zu immer mehr Lustlosigkeit geführt, was sich auf die Stimmung und die Fraktionsarbeit übertrage. Sie hoffe, daß sich das ändere. Christa Vennegerts: Zur PGF: Es sei schwierig, das anders zu organisieren, als als Stellvertreterfunktion. Sie sehe es nicht so negativ wie Karitas [Hensel]. Die Fraktionssitzungen lägen ihr im Magen. Inhaltliche Diskussionen und bessere Vorbereitung seien gefordert worden. Bei Anträgen seien die Reihen aber leer gewesen. Die Fraktion müsse den Sitzungen mehr politisches Gewicht geben. Daß manches für die Zukunft besser werde, sei ihre Hoffnung. Waltraud Schoppe: Die Ansprüche seien andere geworden als vor einem Jahr. In diesem Zusammenhang sei das Manifest der Mitte gut, um neue Gedanken und Ideen fortzuentwickeln.16 Als Resultat der Spaltdiskussion werde der Anspruch gestellt, einen

13 Zur Auseinandersetzung innerhalb der Fraktion um die Rolle von Realos und Fundis vgl. bes. Dok. 38, TOP 2. 14 Zu dem Skandal um die Hanauer Nuklearunternehmen vgl. zuletzt Dok. 43, TOP 3. 15 In der 10. Wahlperiode (1983–1987) setzte sich der Erweiterte Fraktionsvorstand aus dem eigent- lichen Fraktionsvorstand sowie zusätzlich aus den politischen Koordinatoren der einzelnen Arbeitskreise zusammen. 16 Moderate Vertreter innerhalb der GRÜNEN kamen am 9. Januar 1988 in Mainz zusammen, um für eine mittlere politische Linie zwischen dem - und Realo-Flügel zu werben. Sie veröffentlichten

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versöhnenden, integrierenden Impuls zu geben. Wir sollten den Sechserblock diskutieren, ob er wirklich so integrativ sei. Thomas Ebermann: Er glaube, daß es nichts bringe, sich nach einem politisch nicht erfolgreichen Jahr daraus zurückzuziehen und den Fleiß, die Einzelgespräche und administrativen Aufgaben herauszuheben; die politische Arbeit aber in den Hintergrund zu stellen und zu kaschieren. Er denke an die Konflikte zurück und mag am Ende von Episoden nicht romantisieren. Seine Erinnerung sei nicht so nah wie Waltrauds [Schoppe] Darstellungen, er sei in der Minderheit gewesen und es wäre mit harten Bandagen gekämpft worden. Entweder wir kriegten es hin, Stahlpolitik, Friedenspolitik, Wahlniederlagen nicht strömungspolitisch zu diskutieren oder das münde in einem unpolitischen Appell. Ein Rechenschaftsbericht sollte politisch sein und nicht mehr Respekt fordern. Politische Hoffnungen seien gescheitert im Hinblick auf seine Position. Persönliche Erklärung Bärbel Rust: Sie finde nicht o.k., daß nach den Stellungnahmen alle von Thomas [Ebermann] so hingestellt würden, daß nur menschliche Bewertungen erfolgt seien. Waltraud Schoppe: Die vorliegende Erklärung zur DDR sollte als Stellungnahme der Gesamt-Fraktion herausgegeben werden. Das Papier ist nicht konsensfähig. Eine Redaktionsgruppe überarbeitet den Text und legt eine neue Beschlußvorlage nach der Pause vor. Pause: 13.20 bis 14.40 Uhr. Das neue Papier wird bei einigen Enthaltungen angenommen (Anlage).17

TOP 3: Allgemeine Aussprache/Wahlen GO-Antrag Wolfgang Daniels: Es stehe ein Modell im Raum und wir sollten erst klären, ob wir einen Block wollen.18 Gegenrede -Oberdorf: Erst sollten Kandidaturen angemeldet werden. Antje Vollmer: Ihr Vorschlag: Erst Kandidatur anmelden, dann Aussprache, dann ein Meinungsbild über das Modell erstellen. – Konsens – Vorschläge zur Kandidatur: SprecherInnen PGF Christa Vennegerts Hubert Kleinert Regula Bott Jutta Oesterle-Schwerin Peter Sellin Helmut Lippelt Uwe Hüser } im Block Eckhard Stratmann Christa Nickels Gerald Häfner Wilhelm Knabe

das »Manifest – Grüner Aufbruch ’88«. Zum Manifest vgl. AGG, B.II.1, 5253; auszugsweise veröffentlicht in: »Frankfurter Rundschau«, 7. Juli 1988, S. 17, und 8. Juli 1988, S. 10 f. Zur Gruppe »Grüner Aufbruch ’88« vgl. auch den Artikel »Wahre Größe. Die zerstrittenen Grünen suchen nach einer neuen Formel zur Gewaltfrage«; »Der Spiegel«, 52/1987, S. 23 f.; ferner den Artikel »Grüne: Auf durch die Mitte«; »taz«, 11. Januar 1988, S. 1 f. 17 Vgl. hier Anlage A. 18 Zum Vorschlag einer »Blockwahl« des neuen Fraktionsvorstands vgl. hier Anlage B.

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Otto Schily

Antje Vollmer Marieluise Beck-Oberdorf } im Block Ludger Volmer GO-Antrag Otto Schily: Er kandidiere nicht. Er möchte eine Entscheidung herbeiführen, ob wir das Paket wollen oder nicht, dann hätten wir eine klare Basis für die KandidatInnenliste. Er möchte auch die Meinung der VertreterInnen über eine offene Wahl haben. Gegenrede Imma Hillerich: Sie halte eine Abstimmung über die Paketlösung jetzt nicht für gut. GO-Antrag Helmut Lippelt: Er unterstütze Otto [Schily]. Er möchte sich nur als Kandidat vorstellen, wenn die Blocklösung scheitere. GO-Antrag Otto Schily: Generaldebatte über Vorschlag einer Paketlösung: bei 3 Enth. angenommen Christa Nickels: Der Blockvorschlag sei bekannt. Wir hätten über NUKEM vergessen, wie dreckig es der Fraktion gehe. Die Spaltung sei unter der Decke, aber nicht weg. Waltrauds [Schoppe] Meinung, die Aufkündigung der Solidarität, bestreite sie. Die Leute seien in ihrer eigenen Einschätzung so sicher, daß sie allein arbeiten könnten. Sie bräuchten kein 2 : 2: 2 Modell und keine Repräsentanten. Man müsse eine Option finden, wo man nicht mehr den Hegemonialanspruch halte, Diskussionsprozesse organisiere und nicht Flügel repräsentiere. Sie möchte mit Leuten arbeiten, die über den Tellerrand ihres Flügels sähen. Der Vorstand dürfe nicht nur Kraft für Binnenprozesse aufwenden. Reibereien müßten gering gehalten werden. Das scheine ihr in diesem Block gegeben. Es handle sich um Leute, die politisch für Schwerpunkte ausgewiesen seien. »Wir brauchen nicht nur einen PGF, der die GO gut tricksen kann.« Die Ursache für das Blockmodell sei: keine wildwüchsige Kandidatur. Deshalb auch die Bedingung, im Block zu kandidieren. Ihr Anspruch: Wir verstehen was vom Job, haben Ideen, wollen Widersprüche in Debatten organisieren. Wenn man Versöhnungszeichen setzen wolle, könne man das mit dieser Gruppe. Helmut Lippelt: Es ständen 2 Modelle im Raum, das 6er Modell und das traditionelle. Es sei ein Risiko, daß der Idealzustand im 2. Modell nicht erreicht werde. Eine übersehba- re Gruppenbildung sei in diesem Augenblick die angemessene Antwort auf den gegenwärtigen Zustand. Integration könne zugunsten der Gruppe beantwortet werden. Er unterstütze die Gruppe. Das bringe den BuVo in Legitimationsschwierigkeiten. Er halte sich für konfliktfähig genug für den Vorstand, wenn die Gruppe abgelehnt werden sollte. Jutta Oesterle-Schwerin hält die 6er Gruppe für eine tolle Idee, mit den richtigen Leuten. Sie habe Vertrauen darin und könne die politischen Nuancen verkraften. Die Fraktion brauche Frieden. Sie finde das nicht erpresserisch, das schaffe optimale Arbeitsbedingungen. Bedenken habe sie allerdings auch bei der Medienmacht von Antje [Vollmer]. Sie stelle ihre Kandidatur zurück bis das Team gewählt sei oder nicht. Otto Schily: Die Grundstimmung in der Fraktion drücke sich bis in die Partei aus, die Überdruß an bestimmten Diskussionsprozessen hatte. Der »Aufbruch« sei bisher noch nicht inhaltlich gefüllt worden, daraus mache er noch keinen Vorwurf. Er habe breite Sympathien in der Partei und wahrscheinlich auch hier. Er frage die Gruppe, ob sie diesem Anspruch gerecht werde. Eine Gruppe, die sich selbst abkapsele und eine neue Gruppe bilde, könne den Anspruch nicht erheben, integrativ zu sein. Die Gruppe hebe

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sich auf ein Podest. Sie lehne eindeutige Dominanz ab, fordere sie aber für sich. »Woher nehmt ihr das Recht, ihr seid die einzigen Dialogfähigen und grenzt dann andere aus?« Gegensätze müßten ausgetragen werden. NUKEM sollte kein innerparteilicher Leim sein, war aber doch ein positives Konsenselement. Arbeitsfähigkeit sei zum Vorschein gekommen. So schlecht gehe es der Fraktion nicht, wie es im Anfang des Briefes19 stehe. Die Fraktion verdiene es nicht, daß sie sich entsouveränisieren lasse. Wenn man über Blockauflösung rede, sollte man Vorgespräche nicht nur in der eigenen Gruppe führen. Diese Gruppe habe nicht die Exklusivität für Integration. Ein solcher Block könne unserem Anspruch nicht gerecht werden. »Vogel friß oder stirb«, sei für die Fraktion nicht denkbar. Marieluise Beck-Oberdorf: Diesem Modell vorweggegangen sei eine politische Diskus- sion, da zwei politische Flügel es geschafft hätten, alle Inhalte zu subsumieren und alles nur zu erschlagen. Folgend dieser politischen Analyse brauchten wir eine Erholungspause. Deshalb komme der Versuch, mit einem Team anzutreten, um Partei und Fraktion diese Pause zu ermöglichen. Wir wollten den Flügelstreit heraushaben und Luft kriegen für politische Fragen. Bei einer anderen Lösung werde jede Gruppe wieder erst auf sich setzen. Es könne nicht für immer so sein, daß sich Teams zur Verfügung stellen. Aber für jetzt sei es die beste Möglichkeit. Dietrich Wetzel: Er habe Zweifel, ob der Vorschlag geeignet sei, die Fraktion in eine Phase zu führen, wo sie an wichtigen Fragen arbeite. Er verstehe, daß man auf klimatischer Ebene versuche, gute Bedingungen zu schaffen. Ob das nun ein Team sei, sollte eine Entscheidung der Fraktion sein. Er sei »für freie Wahl, gegen Erpressung«. Wie die Fraktion zu integrieren sei, müsse die Fraktion entscheiden. Er frage nochmal, ob Einzelwahl möglich sei, das brauche er für die Unabhängigkeit bei der Abstimmung. Aus seiner Sicht stelle es sich so dar, daß das Modell den Ausschluß einer ganzen Richtung in der Fraktion bedeute. Die Behauptung, hier handle es sich um einen integrationsfähigen Vorstand, sei falsch. Dieser Vorschlag grenze aus. Mit der Argumentation sei er nicht einverstanden. Die Schuldzuweisung an die Realos könne er nicht billigen. Er wünsche sich Einzelwahl, wo zwei Kriterien eine Rolle spielen sollten: 1. Die Kompetenz der Leute, das grüne Projekt vollständig zu vertreten. 2. Daß es sich um Leute handele, die von dieser Selbstbeschränkung Abstand nehmen. Antje Vollmer: Der richtige Vorstand für die richtige Situation, sei die Frage. Sie halte diesen Vorschlag eigentlich für zu früh. 1. Es gebe weiter noch keinen Konsens, als daß es eine Krise gebe. Sie glaube, daß der Strömungsstreit noch nicht beendet sei. 2. Verstehe sie das Mißtrauen, weil noch nicht klar sei, was der »Aufbruch« wolle. Sie wollten gerade k e i n e n 3. Block. Das sei noch nicht durch die Praxis belegt.

Sie bräuchten die Gruppe, um die Schwäche zur Stärke zu machen. Auch der 2 : 2 : 2 Vorschlag sei noch nicht wirklich fundiert und altes Denken. Er gehe von Blöcken aus. Das Gruppenmodell sollte propagiert werden bei den Grünen (Bsp. Grüne NRW). Ob es sich um ein demokratisches Verfahren handle, sei eine ernste Frage; aber deshalb hätten sie es so rechtzeitig gemacht, daß in aller Ruhe überlegt werden könnte. Sie sage ausdrücklich, daß es keinen Schmollwinkel oder sonst was gebe. Die Frage der Einzelkandidatur sei mehrfach diskutiert worden. Jede(r) habe gesagt, er/sie kandidiere nur in der Gruppe. 2 Fundis, 2 Realos und sie in der Mitte, damit fühle sie sich überfordert. »Seelenarbeit« wolle sie nicht mehr leisten. Die Verantwortung dafür wolle

19 Gemeint ist der Vorschlag vom 25. Januar 1988; hier Anlage B.

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sie nicht übernehmen. »Ihr solltet wissen, daß ich es mir nicht leisten kann, anders zu handeln als zu reden.« Sie finde es notwendig, den erweiterten Fraktionsvorstand wieder einzuführen. Willi Hoss: Siehst Du nicht die Gefahr, daß sich außerhalb des Vorstandes Gruppen bilden? Antje Vollmer: Sie sei eine in der Gruppe, die glaube, daß es noch zu früh sei. Sie glaube, daß die Fundis denken, sie sollten nun überall ausgeschlossen werden. Sie könne nur auf die Erfahrungen hinweisen, die mit ihnen gemacht wurden. »Wir wollen kein Block sein.« Regula Bott: Sie bedaure, wie wenig eine politische Begründung gegeben werde, auch für den »Aufbruch«. Das einzige sei die Absicht und Drohung, daß erst mal diese Flügel weg müßten. Sie möchte daran erinnern, daß es im Unterschied zu vor einem

Jahr nicht mehr möglich sei, einen gemeinsamen Wahlkampf zu führen, z. B. in Schleswig-Holstein. Auch Christa Nickels und Antje [Vollmer] sprächen über das »Ministermodell« und sähen Fundis als Fundamental-Verweigerer. Sie möchte auch Dietrich [Wetzel] widersprechen. Es gehe nicht darum, Realos wegzudrängen. Es gehe nicht nur um die Fraktion, sondern um das, was politisch dahinterstehe. Vor einem Jahr sei Fundi Ebermann noch wählbar gewesen, aber heute eine Fundi Bott nicht mehr. Gerade die Pose »Friedensstifterin« nähmen Antje [Vollmer] viele nicht mehr ab. Antje [Vollmer] sei die, die dazu aufgerufen habe »boykottiert das Hauptquartier« und bezüglich Anne Schulz (BDK) gesagt habe: »Wenn das Macht bekommt, wandere ich sofort aus in jedes Exil.« Wer im Vorfeld mit solchen Äußerungen agiere, könne nicht die Pose der Friedensstifterin in Anspruch nehmen. Man könne keine friedlichen Umgangsformen für Fundis erwarten.

Sie sei für das 2 : 2 : 2 Modell, weil sie möchte, daß alle Positionen vertreten seien. Nur so glaube sie, daß Integration möglich sei. Unter den Tisch zu kehren, gehe nicht. Wesentlicher, als daß es sich um einen undemokratischen Block handele, sei, daß ganz klar Politik gemacht werde, nicht aus Opferbereitschaft. Dahinter stehe ausschließlich die Absicht, Fundis auszuschließen.

Halo Saibold: Sie finde das 2 : 2 : 2 Modell nicht gut, weil die Stellung der Fundis überbewertet werde. Das sei ein falsches Signal nach außen. Diese Konstellation bringe keine bessere Arbeit. Es sei eine typische Äußerung von Fundis und Realos, daß Zoff nebenbei sein werde, und deute auf eine neue Einigkeit von Fundis und Realos hin. Sie glaube, daß bei dem 6er Modell sicher die Voraussetzung gegeben sei, daß keine Position unter den Teppich gekehrt werde. Sie könnte sich auch andere Leute in der Gruppe vorstellen, aber sie unterstütze dieses Modell. Es sei eine Gratwanderung – effektiv zu arbeiten, die grüne Sache weiterzutreiben und nicht in alte Strukturen zu verfallen. Sich um einen 3. Weg zu bemühen, sei bei diesen Personen zum großen Teil gegeben. Polarisierung tue uns nicht gut. Für sie sei dieses Modell ein letzter Versuch und sie wünsche sich, daß dies auch in die Partei hinaus Auswirkung zeige. Christa Vennegerts: Was wir alle nicht wollten, sei der personelle Flügelstreit. Sie wehre sich aber dagegen, daß nur dieses Modell Integration gewährleiste. Es gebe strittige Inhalte zu klären, die bestehen und die es weiterhin geben werde. Sie hielte es für falsch, so zu tun, als gebe es diese unterschiedlichen Positionen nicht. Diese Positionen müßten auch vertreten sein. Wenn wir ein Signal senden wollten, brauchten wir »Pluralismusausstrahlung«, weg von Querelen, hin zur inhaltlichen Positionsbestimmung. Es sei ein Versäumnis der Partei, daß strittige Inhalte nicht in der Partei geklärt würden, sondern in der Fraktion. Es gebe durchaus auch andere Leute, die zusammenarbeiten könnten. Sie finde unterschiedliche Positionen im Vorstand

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gleichgewichtig gut und habe Probleme mit der Positionsbestimmung der Mitte. In vielen Arbeitsbereichen laufe es gut, es habe gute Anträge gegeben, nicht nur Scherbenhaufen. Es seien durchaus Inhalte gelaufen. Wilhelm Knabe: Er unterstütze das Projekt, wenn auch mit gewissen Bedenken. Der »Aufbruch« sei die Fortsetzung seines Briefes »Auf zu neuen Ufern«.20 Die Bedeutung der Ökologie müsse wieder in den Vordergrund gerückt werden. Integration der Flügel sei bei der Absprache nicht gelaufen. Integrationsziele seien sonst nur schwer erreichbar. »Ein Jahr der Ruhe« sei richtig, das Modell sei aber noch zu früh. Er wünsche der Gruppe Erfolg, auch wenn er es klüger gefunden hätte, auch Leute wie z. B. Dietrich Wetzel anzusprechen oder Öko-Sozialisten. Lilo Wollny: Sie habe Schwierigkeiten mit den Flügeln. Am liebsten hätte sie eine Grund- satzdiskussion darüber, ob die Ziele noch gleich seien. Wenn sie sich je ausgegrenzt gefühlt habe, dann von den Realos. Sie sehe die Probleme darin, daß wir vielleicht nicht mehr die gleichen Ziele hätten oder eine unterschiedliche Vorstellung, diese zu erreichen. Sie finde das vorgeschlagene Modell geeignet und es müßte von allen akzeptiert werden können. »Ruhe« dürfe allerdings nicht Grabesruhe sein. Thomas Ebermann: Marieluise [Beck-Oberdorf] habe gute Fähigkeiten, die Ängste und persönlichen Befürchtungen der Fundis und Realos zu referieren. Wie sehe es aber aus, wenn es um die eigene Gruppe gehe. Es sei richtig, daß sie augenscheinlich befürchte, daß wir zu krummen Kombinationen bereit seien, um nicht aus den politischen Führungsgremien der Partei herausgedrängt und als untergeordnete Kraft mitgeführt zu werden. Deshalb auch die Opposition gegen dieses Modell. Die medienmäßige Botschaft des »Aufbruch« sei, daß Fundis und Realos weggedrängt würden. Man dürfe ihm nicht abpressen, daß er alles glaube, was man sage. Bemerkenswert sei, die Realos wollten nur dann ein 2 : 2 : 2 Modell, als es schien, daß sie unterrepräsentiert seien. Alles Vertrauen darüber hinaus könne sich nur so lange manifestieren, wie er zurückblicken könne, und nur da, wo es freiwillig bestehe. Nur aus der Mehrheitsposition heraus könne man für Minderheit sein. Antjes [Vollmer] Äußerung, sie könne sich nicht leisten, anders zu reden als zu handeln, finde er selbstgerecht. Machtpolitik sollte bei euch angeblich nicht gelten. Man brauche sich aber nur Interviews anzusehen, so könne man Integration nicht umschreiben. Er habe Angst davor, daß man als Fundi in eine Rolle gerate, daß man ein sogenanntes Schmuckstück sei, aber einflußlos. Wenn man keinen Einfluß habe, komme das Lob, wenn man ungefiltert wirke, werde es als Gefahr dargestellt. GO-Antrag auf 5 Min. Redezeitbegrenzung: mit 16 : 10 angenommen. Peter Sellin: An inhaltlichen Fragen entlang habe die Gruppe unterschiedliche

Positionen, das mache sich fest z. B. bei Frauenpolitik, Volksentscheid, Israel, Ditfurth. Das lasse sich nicht unter Flügelexponenten subsumieren. Das an inhaltlichen Positionen entscheidende konstruktive Moment müsse wieder hereinkommen. Laufende wechselnde Mehrheiten müßten die Gruppe tragen. Er habe sich im letzten Vorstand bei inhaltlichen Fragen nicht authentisch vertreten gefühlt. »Wir wollen Entscheidungen, nicht Entscheidungsbemühungen.« Der BuVo führe inhaltliche Debatten nicht. Das Konfliktmanagement sei über die Bundesversammlung hinweggeglitten. Leute, die einen konstruktiven Teil leisten wollten, bekämen gar keine Arbeitsplattform.

20 Vgl. hier Anlage C.

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Gerald Häfner: Er habe sich inhaltlich dem Brief der 2321 sehr nahe gefühlt und auch dem »Aufbruch« menschlich. Was das Vorgehen betreffe, sei er anderer Meinung. Er halte das für den falschen Weg. Er sei gegen das Paket und für freie Kandidatur und Wahl. Die Fraktion müsse eine Findungsmöglichkeit haben und zu demokratischen Formen zurückkommen. Wir bräuchten integrative Leute, aber frei. Ein neuer Block diskreditiere die Sache. Er frage sich, ob nicht schon viel zu viel von Macht geredet wurde. »Es war nicht so gemeint«, mag ja sein, das helfe nicht. Der Eindruck bestehe nach außen. Block und Gruppe, das sei kein Unterschied. Es sei Erpressung, zu sagen, wir nehmen die Wahl nicht an, wenn eine(r) nicht gewählt wird. Er möchte auf einer freien Basis integrative Leute wählen. Er selbst kandidiere nur, wenn der Block abgelehnt werde.

Ludger Volmer: Die 2 : 2 : 2 Lösung habe nicht nur den Sinn zu demokratisieren, sondern sei auf Kandidatenmangel zurückzuführen. Wir würden kritisiert, weil wir angeblich den Alleinanspruch mit unserem Integrationsmodell erhöben. Das 2 : 2 : 2 Modell sei nur Machtpolitik, nicht integrativ. Der Flügelstreit habe sich verselbständigt. Moderierung und Organisierung des politischen Disputs, keine falsche Harmonie wollten sie erreichen. »Wir sind nicht harmonisch, aber wir wollen Konflikte so organisieren, daß nicht die Reproduktionsbasis verlorengeht.« Hubert Kleinert: Zur Blocklösung: 1. Vom Anspruch einer demokratischen Wahl sei sie höchst problematisch. 2. Die personelle Konstellation laufe darauf hinaus, daß die Realos ausgegrenzt seien, das bedeute, daß sie in bundespolitischen Gremien unterrepräsentiert seien und hier gar nicht. 3. Das Beispielhafte dieses Konzeptes (Vorleistung, Signal Bundespartei) werde nicht eingelöst werden können. Den Fraktionsvorstand könne man sehr schnell austauschen. Die Konstellationen in der Bundespartei ließen sich nur schwer auflösen. Dies sei nur eine Schwächung der Realos. 4. Er bestreite den Anspruch auf Integration. Wenn Antje [Vollmer] sich überfordert fühle, zusammen mit 2 Fundis und 2 Realos im Vorstand zu arbeiten, wie solle das denn sein, wenn die Leute der Flügel gar nicht vertreten seien? Das werde doch dann nur noch schlimmer. fragt, warum nicht geklärt werde, ob diese Gruppe hier die Mehrheit habe oder nicht, dann könnten wir uns doch diese Diskussion schenken. Sie habe Angst, daß man sehr schnell denke, nur in der Gruppe könne man das lösen. Ihr fehle die politische

Position in dem Papier, keine Einzelposition, sondern die der Gruppe, z. B. zur Koalitionsbildung. Antje [Vollmer] als notorische »Parteiretterin«, das könne nicht sein, solche Konzepte bräuchten wir nicht. Die Fraktion habe auch Gutes gemacht. Warum sage man davon nichts. Im Oktober habe Lukas Beckmann versucht, sie für den »Auf- bruch« zu gewinnen. Er habe von Antje [Vollmer] als Fraktionssprecherin geredet. Den Brief der 23 habe sie unterschrieben, aber diese Gruppe möchte sie nicht. Es sei Machtpolitik, der angeblich offene »Aufbruch« sei nur Taktik. Wir bräuchten kein neues Programm und mehr Papiere. Sie möchte einzeln wählen und frei. Die Fraktion sei durchaus entscheidungsfähig. Eckhard Stratmann: Den Impuls der 23 habe er auch unterschrieben. Die Gruppe sei nicht mehr der Impuls. Das 2 : 2 : 2 Modell sei eine Möglichkeit, kein Dogma. Es könne nur mehrheitsfähig sein, wenn es die eindeutige Dominanz einer Strömung ablöse,

21 Zu dem »Brief der 23« vgl. Dok. 41, Anlage B.

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Blöcke aufbreche und arbeitsfähig sei. Daran müsse sich der Fraktionsvorstand messen lassen. »Was ihr euch nicht vornehmt, ist Integrationsfähigkeit. Wenn ihr einen Flügel ausgrenzt, habt ihr keine Mehrheit.« Die Struktur sei nicht auf Integration angelegt und deshalb sei er auch dagegen. Wenn das 2er Modell den Anspruch habe, arbeitsfähig zu sein, dürfe es nicht so sein, daß ein Betonproporz aufgebaut werde. Er habe den Eindruck, auch die Flügel seien für dieses Modell noch nicht reif. Die 6er Gruppe reduziere die Wahlmöglichkeiten auf Blockwahlmechanismus, ohne die Möglichkeit zu differenzieren – auch für die Partei, das sei nicht zufällig. Antje Vollmer: Das Modell sei eine Risikobegrenzung. Der Vorteil sei, daß man sich vorstellen könnte, was auf uns zukomme. Bei jeder Wahl komme i r g e n d w a s dabei heraus. Es gebe Wahlabsprachen, die auch nicht demokratisch seien. Wir müßten immer in inhaltlichen Fragen von wechselnden Mehrheiten Zustimmung holen. Offenheit könne man nicht per Abstimmung in der Fraktion schaffen. Persönliche Erklärung Christa Nickels: Wenn man eine Sache nicht in Ordnung finde, solle man nicht von Verschwörungstheorien reden. Wenn wir nicht angetreten wären, wäre es auch nicht erpresserisch. Es gab eine schriftliche Vorstellung. Sie habe es dieses Jahr nötig, in der Gruppe zu kandidieren. Wenn ihr sagt nein, ist das doch o.k. Uwe Hüser: Er sei froh über diese Diskussion, allein dafür habe sich dieser Vorschlag gelohnt. Es gebe offensichtlich zwei Modelle vom Fraktionsvorstand, das von seiner Gruppe vertretene und das andere Modell, daß jede Gruppe vertreten sein solle, um die unterschiedlichen Positionen darzustellen. Drei Meinungen nach außen zu transportieren könne nicht die Lösung sein und gewährleiste keinen nachhaltigen Diskussionsprozeß. Ihn störe, daß angeblich versucht werde, die Fraktion zu erpressen und die »Machtergreifung«. Wir bereichern die Wahl um eine Möglichkeit, weil keine(r) aus persönlichen und politischen Gründen allein kandidieren wolle. Daraus dürfe kein Vorwurf konstruiert werden. Die Gründe bittet er zu akzeptieren. Wir könnten diese Arbeit nur machen, wenn gewährleistet wäre, daß das Modell von einer Mehrheit in der Fraktion getragen würde. Angelika Beer: Arbeits- und Integrationsfähigkeit reiche nicht aus. Konfliktfähigkeit sei wesentlich und das könne von der Gruppe nicht geleistet werden. Konflikte würden den weiteren Weg der Gruppe bestimmen, sonst sei das Gruppenkonzept kaputt. Es gebe durchaus Leute in dem 2 : 2 : 2 Modell, die in der Lage seien, das zu machen und wo eine Konfliktbereitschaft bestehe. Die Darstellung als Block mache es ihr unmöglich. Es würden durchaus einige Personen des Blocks in das 2er Modell passen. Waltraud Schoppe: Es sei nicht ein Paket gegen das andere. Die 2er Gruppe mache die politische Option, alle Meinungen zu integrieren. Sie halte das für notwendig und habe keine großen Affinitäten zu den Fundis. Ihr Resultat der Spaltungsdiskussion sei, daß diese Partei den Versuch machen müsse, daß die Gruppen an Punkten, wo

Kontroversen scharf aufgebrochen seien (z. B. Gewaltfrage), sich einander annähern können. Das Gruppenmodell habe ausgrenzenden Charakter. Weder Realos noch harten Fundis sei eine Identifikation angeboten. Welche Wirkung hat der Mittelblock auf den BuVo? Es trete das gleiche ein wie damals. Ein mit Fundis ausgestatteter Vorstand werde kompensiert durch die andere Seite. Ein Fehlschluß sei, davon auszugehen, daß es möglich sei, Beruhigung in die Partei zu bringen von einer einzigen Gruppe aus. Sie sei dagegen. Am kritischsten finde sie die Blocklösung. Das sei Entmündigung, allein zu meinen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, auch andere wollten das Beste für die Grünen.

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Dora Flinner: Wir könnten alle unsere Frau stehen. Die Blocklösung sei Erpressung. Durchaus seien unter den 6 Leuten welche, die ihr Vertrauen genössen. Sie werde hier doch erpreßt, damit auch die Leute, die ihr Vertrauen hätten, in den Vorstand kämen. Das lehne sie ab. Hier werde die Selbstbestimmung immer so rausgestellt, aber in diesem Fall werde sie doch überfahren. Charlotte Garbe: Die Grünen hätten eine große Fähigkeit entwickelt, an der sie große Kritik üben müsse. Immer mehr sei im Vordergrund, daß wir uns mit uns und unseren Befindlichkeiten beschäftigten. Wir ließen außen vor, was unsere Wähler wollten. Das Gros der Wähler wolle Reformpolitik und Umweltpolitik aufgezeigt haben. Das Ziel sei noch ziemlich klar, nur die Wege dahin nicht. Sie möchte nach außen signalisiert haben, daß Realos Reformpolitik weitertreiben wollten. Deshalb sei sie gegen den Block und für 1–2 Realos im Vorstand. Otto Schily stellt die Integrationsfähigkeit von Ludger [Volmer] im Zusammenhang mit seinem Rücktritt22 infrage. Er möchte eine freie Wahlentscheidung. Abkapselung habe stattgefunden. Es gebe keine Souveränität dieser Gruppe, dann müßte das Päckchen aufgeschnürt werden können. Es sei besser, daß das Gremium, was die Fraktion repräsentiere, die Konflikte in sich habe. Die Krise könne nur überwunden werden, wenn man auf eine neue Ebene komme, nur dann werde Dynamik daraus, keine Krisenverwaltung. Die Debatte sei spannend gewesen. Wir sollten uns entscheiden, von diesen Clubtreffen wegzukommen und mehr Offenheit untereinander zu praktizieren. Persönliche Erklärung Ludger Volmer: Er sei nicht aus Beleidigung zurückgetreten. Persönliche Motive wären wesentlich gewesen. Es erfolgt eine Abstimmung, ob ein Meinungsbild über die Blocklösung hergestellt werden soll. 32 : 2 sprechen sich dafür aus. Meinungsbild Blocklösung: bei 39 abgegebenen Stimmen wird die Blocklösung mit 6 : 23 abgelehnt. Abstimmung über die Reihenfolge der SprecherInnen-Wahl: Frau, Frau, Mann: Votum 20 : 6 : 2. Wahlergebnis: Sprecherin: 1. Wahlgang 2. Wahlgang 3. Wahlgang Halo Saibold 15 16 16 Regula Schmidt-Bott 14 19 18 Christa Vennegerts 8 zurückgezogen Enthaltungen 2 4 5

Sprecherin: Jutta Oesterle-Schwerin 11 13 15 Halo Saibold 11 9 – Christa Vennegerts 17 17 22 Enthaltungen 2 Sprecher: Gerald Häfner 13 14 15 Wilhelm Knabe 5 2

22 Am 6. September 1986 trat Ludger Volmer von seinem Amt als Sprecher der Bundestagsfraktion zurück.

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Helmut Lippelt 11 21 22 Eckhard Stratmann 5 zurückgezogen Enthaltungen 2 1 1 ungültig 1

Parlamentarische Geschäftsführung: PGF [1. Wahlgang] [2. Wahlgang] [3. Wahlgang] Hubert Kleinert 18 20 22 nein 11 8 7 Enthaltungen 8 5 5 ungültig 3 3

Stellvertr. PGF Charlotte Garbe 16 16 16 Ellen Olms 10 14 13 Lilo Wollny 10 zurückgezogen Enthaltungen 1 5 6 ungültig 1

Stellvertr. PGF Helga Brahmst-Rock 11 14 13 Ellen Olms 20 18 18 Enthaltungen 3 3 4 Protokoll: Gundi Görg

Anlage A

26. Januar 1988: Pressemitteilung Nr. 91/88 der Fraktion DIE GRÜNEN. AGG, B.II.1, 2139.

Erklärung der Fraktion DIE GRÜNEN IM anläßlich ihrer Klausurtagung am 26. Januar 1988 Absurde Tatvorwürfe als Vorwand für den preußischen »Polizeiknüppel« – Grüne Bundestagsfraktion fordert Freilassung der inhaftierten Mitglieder von Friedens- und Menschenrechtsgruppen in der DDR

Die Fraktion DIE GRÜNEN IM BUNDESTAG verfolgt mit Betroffenheit die zunehmenden, gezielten Verhaftungen von Mitgliedern der Initiative »Frieden und Menschenrechte« und der Regisseurin Freya Klier. Wie dem schon inhaftierten Liedermacher Stephan Krawczyk werden auch ihnen landesverräterische Beziehungen vorgeworfen. Die Absurdität dieser Ermittlungsverfahrensgründe ist besonders den Mitgliedern unserer Fraktion bewußt, die Ralf Hirsch, Bärbel Bohley, Wolfgang Templin und

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Werner Fischer aus zahlreichen Gesprächen persönlich kennen- und schätzen gelernt haben. Wie Stephan Krawczyk und Freya Klier setzen sich alle für eine demokratische Öffnung der DDR ein, in der unterschiedliche Meinungen als authentischer Ausdruck der Gesellschaft respektiert und in den politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Damit stehen sie in Widerspruch zu dem Wahrheitsmonopolanspruch der SED. Anstatt einen breiten Dialog über Demokratie und Menschenrechte zu führen, greift die DDR-Führung zu Methoden aus alten Tagen des preußischen Obrigkeitsstaates, mit Verschwörungstheorien politisch Andersdenkende auszuschalten. Es ist geradezu ein Hohn auf das Wirken von Rosa Luxemburg, wenn ihrer in einer Demonstration gedacht wird und gleichzeitig eine Politik und Methoden angewandt werden, gegen die sich Rosa Luxemburg energisch eingesetzt hat. Mit ihrem repressiven Vorgehen als Signal an die gesellschaftlichen Gruppen, eine Erweiterung demokratischer Spielräume nicht weiter zuzulassen, verspielt die SED- Führung die Chancen auf eine lebenswertere Gesellschaft im Inneren und erschwert zugleich eine Politik für alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik und im Westen, die sich für einen offenen und gleichberechtigten Dialog mit der DDR einsetzt. Der eklatante Verstoß gegen eingegangene Verpflichtungen, wie sie im gemeinsamen Papier von SED und SPD niedergelegt wurden, setzt die SED dem Verdacht aus, sie betreibe ein Doppelspiel und schürt damit genau die alten antikommunistischen Deutungsmuster. Dem Abbau von Feindbildern werden damit seitens der SED selbst schwere Hindernisse in den Weg gelegt. DIE GRÜNEN IM BUNDESTAG fordern die Partei und Staatsführung der DDR auf, alle Inhaftierten unverzüglich freizulassen, Bespitzelung, Errichtung [sic] und Kriminalisierung kritischer Personen und Gruppen sofort einzustellen und allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Versammlung zu garantieren.

Anlage B

25. Januar 1988: Vorschlag der Abgeordneten Marieluise Beck-Oberdorf, Uwe Hüser, Christa Nickels, Peter Sellin, Antje Vollmer und Ludger Volmer für die Neuwahl des Fraktionsvorstands. AGG, B.II.1, 5241.

KANDIDATUR FÜR DEN FRAKTIONSVORSTAND Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie schlecht es der Fraktion geht, ist allen bewußt. Der Flügelstreit hat ihre Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Strukturprobleme und ein ungesundes Betriebsklima erschweren die nötige Kooperation. Viel Kraft wird fehlinvestiert. Das öffentliche Erscheinungsbild ist äußerst mittelmäßig. Die politische Qualität ist erheblich gesunken. Darüber, daß sich dies alles schleunigst zum Besseren wenden muß, sind wir uns einig. Auch darüber, daß der Fraktionsvorstand dabei eine entscheidende Rolle spielen kann. Angesichts der Probleme, die bewältigt werden müssen, ist es fraglich, ob die Fraktion die Wahl des Vorstandes den Stimmungen des Augenblicks auf der Wahlversammlung

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überlassen sollte. Wir meinen, daß es sinnvoll ist, mit einem Muster in die Wahlen hineinzugehen, das den zu lösenden Problemen angemessen ist. Unseres Erachtens muß der Vorstand vorrangig drei Aufgaben erfüllen: 1. Er muß die eindeutige Dominanz einer politischen Strömung ablösen. 2. Er muß den negativen Einfluß der Flügelextreme auf die Fraktion aufbrechen. Der überzogene Flügelstreit an sich ist zum größten Problem geworden. 3. Er muß in sich arbeitsfähig sein, um die Fraktion arbeitsfähig machen zu können. Arbeitsfähigkeit ist keine politische Nebensächlichkeit, sondern Voraussetzung zur Entfaltung qualifizierter Politik. Deshalb stellen wir uns zur Wahl. Und zwar als Gruppe. Wir, das ist nicht »die Mitte«. Was die politischen Inhalte angeht, die wir vertreten, und die Vorstellung von ihrer Umsetzbarkeit, sind wir recht unterschiedlicher Meinungen. Das politische Spektrum, das wir repräsentieren, reicht von »Öko-Sozialisten« über »Unabhängige« bis zu »linken Realos«. Unser Ziel ist es nicht, eine neue »Mittelströmung« in der Partei als die dominante Kraft durchzusetzen. Wir wollen die dialogfähigen Teile der bestehenden Flügel zusammenführen und – vielleicht auch mit Ausstrahlung in die Partei? – die Diskursfähigkeit der Fraktion wiederherstellen. Ein wenig mehr Ruhe in die Arbeit zu tragen scheint uns in diesem Jahr, wo wir zwei wichtige Landtagswahlen zu bestehen haben, nicht das geringste aller denkbaren Ziele. Wir wollen nicht die politischen Kontroversen durch eine spießige Harmonie ersetzen. Aber wir wollen die politischen Themen aus dem abstrakten Kampf um Flügelhegemonie lösen und für die programmatische und tagespolitische Arbeit der Fraktion fruchtbar machen. Wir wollen nicht ein Vorstand sein, in dem einzelne auf Kosten der anderen zu brillieren versuchen, sondern der durch eigene Solidität die Konsolidierung der Fraktion beginnt. Dies zu leisten, dürfte schwieriger sein, als es sich anhört. Deshalb meinen wir: Ein Vorstand muß so besetzt sein, daß er nicht mehr Energie nach innen hin, in die Verarbeitung von Reibereien, Konkurrenz und Mißgunst investieren muß als in die Neuorganisation der Fraktionsarbeit. Voraussetzung dafür ist ein über alle inhaltlichen Differenzen hinweg bestehendes grundsätzliches Vertrauen untereinander. Wir haben uns zusammengefunden, weil wir glauben, in diesem Sinne kooperationsfähig zu sein und innere Reibungsverluste zu minimieren. Jede/r von uns könnte sich, was einzelne Personen angeht, auch andere Varianten vorstellen; doch das Sechser-Pack, das wir hiermit anbieten, war unsere gemeinsame Schnittmenge. Die Mehrheit von uns hat eigentlich privat und familiär alle Hände voll zu tun. Wenn sie trotzdem kandidiert, dann nur, weil sie das Vertrauen hat, daß diese Gruppe mit diesem Umstand solidarisch umgeht und private Schwächen der einen nicht zu politischen Vorteilen von anderen genutzt werden. Es wäre fatal, wenn Engagement unausweichlich in Verschleiß enden müßte. Für jede/n von uns war deshalb von vornherein klar, daß er/sie nicht solo kandidieren würde. Das bitten wir, nicht anzuzweifeln. Warum kandidieren wir dann, wenn privat eine Menge dagegen spricht und ein (Gruppen-) Modell nötig macht, gegen das mensch aus prinzipiellen Gründen vieles einwenden könnte?

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Wir kandidieren, weil wir uns zutrauen, mit Eurer Unterstützung die Fraktion wieder flottzukriegen. Vier von uns haben bereits dem Fraktionsvorstand angehört und sich auch ansonsten in die inneren Angelegenheiten von Fraktionsführung eingemischt (Marie-Luise [Beck-Oberdorf] 1983, Antje [Vollmer] und Christa [Nickels] 1984, Ludger [Volmer] 1986). Wir wissen also, was auf uns zukommt. Was Ihr fachpolitisch von uns erwarten könnt und was nicht, das wißt Ihr selbst aus z. T. fünfjähriger Zusammenarbeit. Wir haben uns folgende Aufgabenverteilung vorgestellt: Marieluise [Beck-Oberdorf], Antje [Vollmer] und Ludger [Volmer] sollten SprecherInnen werden; Uwe [Hüser], Christa [Nickels] und Peter [Sellin] Parlamentarische Geschaftsführerlnnen. Marie-Luise [Beck-Oberdorf] würde die Frauen- und die Arbeits- und Sozialpolitik repräsentieren; Antje [Vollmer] würde den innen-und ökologiepolitischen Bereich über- nehmen; Ludger [Volmer] wäre für Außen- und Wirtschaftspolitik zuständig und könnte vom Vorstand her den Fraktionsschwerpunkt »außenwirtschaftliches Umbauprogramm« koordinieren. Christa [Nickels], Peter [Sellin] und Uwe [Hüser] wollen gleichberechtigt die parlamentarischen Geschäfte führen. Christa [Nickels] ist in dieser Rolle bei den anderen Parteien bereits berüchtigt. Peter [Sellin] und Uwe [Hüser] können als Finanz- und Wirtschaftsfachmenschen diesen Aspekt im Vorstand mitvertreten und wollen sich vor allem auch dem inneren Fraktionsmanagement widmen. Um die Planungs-und inhaltliche Koordinationsarbeit auf mehr Schultern zu verteilen und selbst sofort ein Stück Machtverzicht zu leisten, wollen wir möglichst schnell den »erweiterten Vorstand« wieder aktivieren. Wir haben unser Modell frühzeitig zur Diskussion gestellt, damit Ihr Euch eine Meinung bilden und es gegen andere Modelle abwägen könnt. Dem 2–2–2-Modell, das parallel zu unserem Angebot diskutiert wird, stehen wir allerdings sehr skeptisch gegenüber. Der amtierende Vorstand wäre nicht besser gewesen, wenn statt einem zwei Fundis vertreten wären. Der Versuch, die gesamte Breite im Vorstand zu repräsentieren, und dies über ein Quotensystem, birgt die Gefahr, daß der völlig überzogene Flügelstreit sich im Vorstand nur verdichtet. Als Problemlösungsinstrument fiele dieses Organ dann aus.

Unser Modell bietet gewiß keine Garantie, daß es bergauf gehen wird, u. E. aber eine mögliche Chance für die Fraktion. Deshalb bieten wir es an. Falls Ihr die Dinge anders seht – wir werden uns auch ohne Vorstandsamt nicht in den Schmollwinkel zurückziehen, da könnt Ihr sicher sein.

Anlage C

[ca. September/Oktober 1987]: Denkschrift des Abgeordneten Wilhelm Knabe für die Mitglieder der Partei DIE GRÜNEN. AGG, B.II.1, 820.23

AUF ZU NEUEN UFERN!

Wider die Resignation bei den GRÜNEN

23 Im Kopf der Hinweis: »Nur an unsere Mitglieder. – Liebe Presseleute, natürlich ist das nicht geheim, aber laßt es uns mal unter uns ausmachen!«

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Was ist das Ziel der GRÜNEN: Bewußtseinswandel oder Macht? Mit diesen Worten kann man die Überlegungen der Gründungsmitglieder der GRÜNEN vielleicht beschreiben. Wir wollten etwas Neues, wir wollten einen Aufbruch zu neuen Ufern, suchten nach einer neuen Kultur, einer politischen Kultur, die Minderheiten achtet, die sich nicht in Sprechblasen erfüllt, sondern das Ganze im Auge hat, die weitere Zukunft, und nicht von Wahltermin zu Wahltermin hetzt. Die wichtigste Grundlage war unsere Sorge um die Erde, um das, was andere Umwelt nennen. Wir sahen die enge Bindung des Menschen an die Grundelemente Boden, Wasser und Luft, seine vielfältige Verflechtung mit all den anderen Lebewesen und maßten uns nicht an, sie weiter gedankenlos zu vernichten wie die Generation um uns herum. Ja, wir haben etwas erreicht. Bewußtseinswandel hat stattgefunden. Viel mehr Menschen als wir wissen, sorgen sich um ihre Umwelt, hatten unheimliche Hoffnung auf DIE GRÜNEN gesetzt, daß sie hier beispielhaft vorangehen, die Altparteien unerbittlich drängen, mehr zu tun, aber nicht nur reden, sondern selbst auch handeln. Aber da waren noch viele andere, in den Städten die Mitglieder von Mieterinitiativen, Hausbesetzer und engagierte Leute, die sich nicht mit der Zerstörung der Städte ab- finden wollten, der Räumung alter Quartiere zugunsten des Profits. Da waren die Leute in der Dritten-Welt-Bewegung, Frauen und Männer, die begriffen hatten, daß wir unseren Konsum nicht weiter ausbauen können, daß die Dritte und Vierte Welt verhungert, wenn wir die Ausbeutung durch die Industrienationen nicht stoppen. Viel Idealismus war in diesen Gruppen und viel Bereitschaft, etwas zu tun. Und da waren natürlich die kampferprobten Mitglieder der K-Gruppen, die wußten, was Imperialismus bedeutete, die den Kapitalismus aufs Schärfste ablehnten und bekämpften, auch wenn sie sich in seinen Nischen einrichten mußten. Hinzu kamen selbstbewußte Frauen, die gleiche Rechte forderten, die im grünen Projekt ihre Ziele endlich praktisch durchsetzen wollten. In dieser Zeit des Zusammenwachsens, des Aufbruches, war eine unerhörte Bereitschaft zum Lernen vorhanden, zum Lernen voneinander, zum Hören aufeinander; und wenn mensch sich stritt, versuchte mensch eine Linie zu finden, die weiterführte. Es war trotz allem ein konstruktiver Dialog. Aber heute, im Jahre 1987, hat sich die Situation geändert. Bewußtseinswandel oder Macht? Beides scheint in weite Ferne gerückt. Nach all den Feindseligkeiten der letzten Monate glaubt man uns kein Wort mehr, erscheinen wir wie ein Haufen Versprengter, bei denen jeder nur an sich selber denkt. Nicht nur einmal mußte man sich schämen, bei den GRÜNEN zu sein, trotz aller Anstrengung, etwas besser zu machen. Das erste Mal ging mir das in Duisburg bei der Ansprache des Indianers so, der glaubte, DIE GRÜNEN wären aufgestanden, die Erde zu bewahren, der Seelenverwandtes vermutete und uns seine tiefe Zuneigung und Anerkennung aussprach. Dieses Lob machte mehr als alles andere deutlich, wie weit wir vom Ursprung des Aufbruchs schon entfernt waren. Das zweite mal schämte ich mich aus ganz anderem Anlaß. Als die Fraktion geschlossen vor der syrischen Botschaft demonstrierte, um die Palästinenser in ihrer tödlichen Bedrohung zu entlasten, rollte zur gleichen Zeit eine Pressekonferenz der Realos ab, und so kam im Fernsehen kein Wort von unserer Aktion. Die ganze Fraktion hatte beschlossen zur Botschaft hinzugehen, aber einige waren nicht gekommen oder verschwanden sehr schnell wieder, ohne daß wir es wußten. Ihnen ging es nur um Macht, um die künftige Macht in Hessen, an der man sich die Beteiligung sichern

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wollte. Gut, in der Politik mag das erlaubt sein. Aber bei den GRÜNEN war es ein Bruch der Solidarität, der sich bitter rächte. – Natürlich hatte dieser Bruch Geschichte, hatte Ursachen. Mit gnadenloser Härte hatten die Fundis um Jutta Ditfurth und Manfred Zieran alle Versuche der Realos in Hessen bekämpft, die SPD zunächst zu tolerieren und später mit ihr zusammenzugehen. Das war keine Unterstützung, die der Verhandlungskommission mehr Durchschlagskraft gegeben hätte, ihr Rückhalt [gegeben hätte] durch konkrete Forderungen, auf die sie sich berufen konnte; nein, es wurde Verrat geschrien, und immer wieder blanker Egoismus unterstellt, den man in der Regel nur bei sich selber nicht sieht. So verhärteten sich die Fronten eben bis zu jenem Alleingang in Bonn. Bei den Waldwanderungen und Abendveranstaltungen in den Kreis- und Ortsverbänden erlebe ich etwas anderes. Da gibt es nicht diese zu allen Kompromissen bereiten GRÜNEN oder solche, die nur auf Grundsätze schwören und sich keinen Millimeter bewegen. Nein, ich treffe immer wieder Leute, die ihre Grundsätze haben, ihre Utopien und Ziele behalten und trotzdem Schritt für Schritt das Mögliche ver- suchen. Warum kann man das nicht auch in den Spitzengremien tun? Da ist ein drittes Erlebnis auf der BDK in Oldenburg, das den Anlaß zu diesem Schreiben gab: Dr. Bonhoeffer trägt ein Stück seiner Lebensgeschichte vor, wie er als etablierter Arzt und Professor über Jahre, Jahrzehnte gewirkt hat, bis ihm die Erleuchtung kam, daß er einen anderen Weg gehen müsse. Robert Jungk hatte diesen Funken ausgelöst. Und mitten in diesen Lebensbericht, der doch nur stellvertretend für all die anderen Freunde der Böll-Stiftung und viele GRÜNE stand, wurde gepfiffen, ge- klatscht und »Aufhören« oder »Thema« gerufen. Ich habe mich zutiefst geschämt und doch zum Frauenblock hinter mir gerufen: »Laßt das.« Doch in den Gesichtern sah ich nur die Verbitterung der vielen Jahre, Verbitterung, die nicht mehr zuhören kann. Und dann die leidenschaftliche, doch gnadenlose »Abrechnung« von Anne Schulz. Genau sie hat mit einem ähnlichen Appell die Bundesversammlung in Duisburg überrumpelt, die drei Sprecher auf einen Schlag zu wählen, so daß jede rationale Abwägung, daß sich alle GRÜNEN im Vorstand vertreten sehen müssen, unterblieb. Anne [Schulz], Du hast doch die GRÜNEN mitgegründet in Nordrhein-Westfalen. Manche Menschen reifen und ge- winnen an Güte. Willst Du nur an Schärfe gewinnen? Bist Du glücklich darüber? Haben Dich Enttäuschungen so zugerichtet? Antje [Vollmer], ich kann schon verstehen, daß Du vor dieser Härte und Unduld- samkeit lieber ins Exil flüchten möchtest. Doch es gibt kein Exil. In anderen Ländern redet man nicht nur, sondern legt die Leute um: In Medellin in Kolumbien starben bereits zweitausendachthundert in diesem Jahr. Und das ist nur ein Beispiel. Nein, wir müssen standhalten, müssen uns organisieren, neue Kraft holen und weitermachen. Das grüne Projekt darf nicht eingehen. Die Bundesrepublik braucht es und auch unsere Nachbarländer! Vielleicht haben wir den Funken der grünen Bewegung hinüber geweht und bekommen jetzt Hilfe von ihnen, wenn wir selbst nicht weiter können. Denn das ist klar: Aus eigener Kraft aus dem Sumpf herausziehen geht nicht; und im Sumpf stecken wir drin, ganz tief. Ein Bundesvorstand, der das nicht einmal merkt, der eine Krise nicht zur Kenntnis nimmt und sie als Befindlichkeit von Personen verniedlicht, zeigt nur, daß er überhaupt keine Sensibilität mehr besitzt. Leute, es gibt Menschen, die das noch empfinden können, und nicht nur empfinden, sondern auch ausdrücken, wie Antje [Vollmer] und Petra [Kelly]. Wer mit den Verfolgten der Nazi-Herrschaft heute mitleidet, wer die Verfolgten in anderen Ländern mit Rat und Tat unterstützt und bei den Mächtigen der Welt für ihre Freilassung kämpft, der hat noch diesen Empfänger für die Stimmen und Gefühle der Menschen.

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Der kann sie auch ansprechen. Es ist ja nicht umsonst, daß gerade diese beiden Frauen für die GRÜNEN viele Menschen gewonnen haben. Darum gebt nicht auf, macht weiter! Doch vielleicht müßt Ihr eins tun, weniger als Einzelkämpferin auftreten – wie in den letzten Jahren – ohne Abstimmung mit anderen, immer oder fast immer allein, sondern Freunde und Freundinnen suchen, um das Projekt gemeinsam zu retten. Im wirbelnden Wasser müssen die Ruder zur gleichen Zeit eintauchen. Ein Ruderschlag auf einer Seite läßt das Boot im Kreis herumtanzen und bringt es nicht voran. Ihr drei Hamburger: Thomas [Ebermann], Christian [Schmidt] und Rainer [Trampert]. Dank für den inhaltlichen Beitrag. Aber Ihr stellt nur Dissens fest und seht nicht mehr das Gemeinsame bei den GRÜNEN. Habt Ihr vergessen, daß wir als Bündnis angetreten sind? Den Staat haben wir schon damals unterschiedlich gesehen. Wir waren einig in der Kritik, aber wo sind denn bessere Vorbilder im praktischen Leben der Völker? Wir beschlossen, das Thema hat noch Zeit. Und am Ausstieg rüttelt doch keiner, es sei denn, Joschka [Fischer] möchte mal wieder Schlagzeilen machen, um die dann wieder dementieren zu können. Nein, da sind wir uns einig. Und bei der NATO-Frage müßt Ihr zur Kenntnis nehmen, daß Raus-Rufen nicht reicht. Da muß ein Konzept her vom Zustand danach. Doch nun zu Euch, Ihr vielen, die Ihr mit Trauer, Verzweiflung oder Lethargie geantwortet habt auf die letzten Ereignisse, auf den Abstieg der GRÜNEN. Denkt daran, die Republik braucht die GRÜNEN und auch die Erde. Wir sind ein Stück des Selbsterhaltungstriebes dieser Biosphäre, die sich nicht zugrunde richten lassen will von Unvernunft und Habgier und auch nicht von Parteigezänk und Flügelschlagen. SED und SPD haben zueinandergefunden und trotz unterschiedlicher Positionen das Gemeinsame formuliert: Das Überlebensinteresse und den notwendigen Einsatz dafür. Und Ihr wollt das nicht fertigbringen, über Strömungsgrenzen hinweg? Macht Euch eins klar: Wir brauchen zweierlei: glaubwürdige Menschen und glaubwürdige Inhalte. Wir brauchen Menschen, die andere gewinnen, überzeugen und nicht totreden oder abschrecken wie viele unserer jetzigen Führungsfiguren. Ich kann zur Zeit niemanden guten Gewissens werben, in die Partei DIE GRÜNEN einzutreten, es sei denn, er oder sie hätte die Kraft und den Mut, sie mit zu verändern, zu ihren Ursprüngen zurückzuholen. So rufe ich: Auf zu den Quellen der GRÜNEN, zu den vier Säulen: ökologisch – sozial – basisdemokratisch und gewaltfrei! Heute verraten ja Führungsfiguren alle diese Grundsätze. Von Ökologie wird oft ge- redet, aber ein Bundesvorstand schafft es in zwei Jahren nicht, ein Referat dafür einzurichten. Er ignoriert den klaren Auftrag, von der Bundesversammlung schon vor Jahren gegeben, auch über zwei, drei Jahre hinweg. Und sozial? Da kann doch eine Regionalmitarbeiterin an ihrer alten Stelle gekündigt und bei den GRÜNEN angefangen haben und plötzlich erklärt ein Abgeordneter, nein, ich unterschreibe auch einen 3- Monats-Vertrag nicht. Soll die Frau auf der Straße stehen? Von Gewaltfreiheit wollen wir nicht reden. kämpft als einsamer Rufer noch für Soziale Verteidigung. Die anderen verschwenden daran schon keinen Gedanken mehr. Und doch ist diese Ge- waltfreiheit eine der tragenden Säulen eines zivilen Widerstandes und der Entwicklung einer neuen politischen Kultur. Wie sangen wir? »Das stete Wasser bricht den Stein«; doch manche werfen ihn lieber sich gegenseitig an den Kopf, bildlich oder in Natur. Was ist zu tun? Ich wiederhole: Erstens: Besinnen auf die Anfangsgründe! Der ökologische Ansatz ist nicht widerlegt. Er ist nötiger als je zuvor. Und wenn wir diesen Ansatz verfolgen, mit Mut und

Ausdauer und Überzeugungskraft, dann sehen wieder 90 % der Deutschen ein, daß es DIE GRÜNEN geben muß. Zur Zeit erachten uns schon viele für entbehrlich.

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Zweitens: Zusammenschließen! Gemeinsam müssen wir, gleich in welchem Gremium, in der Fraktion, bei Mitarbeiterin oder in Kreis- oder Ortsverbänden uns mit Leuten treffen, die ähnlich denken, die Utopie bewahren und trotzdem Schritt für Schritt das Nötige tun. Drittens: Strukturen ändern! Wir brauchen die Urabstimmung als demokratisches Mittel. Wir brauchen den Schutz der Minderheit, das Rederecht und auch das

Festschreiben im Programm und in der Aussage. Die 51 %-Mehrheiten sind tödlich, insofern war das 2/3-Quorum für die Stiftung schon sinnvoll. Wir brauchen mehr Konsens. Und der wächst nur aus Toleranz. Auch wenn wir zu unseren Zielen stehen, entscheidet sich die Zukunft der GRÜNEN nicht nur auf einer Ebene. Laßt mich drei nennen. 1. In den Kreisverbänden entscheidet das Klima, ob Ihr Leute abschreckt oder gewinnt. Deshalb hat jedes Mitglied eine riesige Verantwortung für unser Projekt. 2. Im Bundesvorstand entscheidet die Fähigkeit, Debatten zu organisieren und nicht zu majorisieren, ob wir eine lebendige Partei bleiben oder eine Sekte werden. Die zarte Selbstkritik nach Oldenburg bietet jedenfalls einen Schimmer von Hoffnung, aber ein paar neue Leute täten schon gut. 3. In der Bundestagsfraktion müssen wir die Atomisierung der Struktur überwinden, ge- meinsam die Schwerpunkte suchen und zäh daran arbeiten mit allen unsern Mitarbeitern. Schließlich heißt es, einen Vorstand zu wählen auf Zeit, aber dann müssen wir ihm auch Vollmacht geben auf Zeit, für uns zu sprechen und ihn dabei zu unterstützen. Wenn wir draußen im Land horchen, was man von uns erwartet, und hier gute Vorschläge machen, haben wir unseren Teil zum Gelingen getan. Ein Dank zum Schluß an all die GRÜNEN, die ich landauf, landab getroffen habe, die das Notwendige taten und ein Auge für den Nächsten hatten. Gebt nicht auf. DIE GRÜNEN brauchen Euch.

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