Das Synagogengebäude in Niederzissen im Wandel der Zeit Synagoge – Schmiede – Erinnerungs- und Begegnungsstätte

Anne Wagner/Richard Keuler

m 9. November 2009 hat der Gemeinderat Niederzissens, von 1979 zufolge, soll in dem Avon Niederzissen den Ankauf der ehema- verschollenen Memorbuch der ehemaligen jü- ligen Synagoge beschlossen. An diesem histo- dischen Gemeinde ein Eintrag aus dem Jahre rischen Tag wurde 71 Jahre nach der Pogrom- 1250 existiert haben, der einen Hinweis auf nacht („Reichskristallnacht“), in der auch die eine frühe jüdische Gemeinde in Niederzissen Niederzissener Synagoge als Kultraum zerstört enthielt. Sicher und urkundlich belegt ist je- und entweiht worden ist, ein neues Kapitel in doch das Bestehen einer jüdischen Gemeinde in der Geschichte dieses Gebäudes und vor allem Niederzissen seit 1580. Insbesondere zahlreich in der Aufarbeitung des vergangenen Unrechts aufgefundene Rechnungen und Quittungen an der ehemals großen jüdischen Gemeinde aus den Beständen der Burgherren zu Olbrück Niederzissens aufgeschlagen. bezeugen seither die Zahlungen von Schutz- Aber wie war der Weg bis zu diesem Beschluss? geldern, Begräbnisgebühren oder Gewerbesteu- Er kann als steinig, holprig und mühsam be- ern der Niederzissener Juden an die jeweiligen schrieben werden. Die Wegbereiter haben dabei Herren. einen langen Atem und viel Durchhaltevermö- In Niederzissen gehörten Juden über Jahrhun- gen bewiesen. derte zur Dorfgemeinschaft und hatten für das Dorfleben eine wichtige Bedeutung. Sie sie- Zur Geschichte der Juden in Niederzissen delten schwerpunktmäßig in der Mittelstraße, Einer Bestätigung Richard Bergers, des Sohns die deshalb im Volksmund auch „Judengasse“ des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde genannt wurde. 1925 waren 73 der insgesamt

Heimatjahrbuch Kreis 2011 u 179 Das ehemalige Synagogengebäude in Niederzissen, Zustand 1949

1258 Einwohner von Niederzissen jüdischen willkommener Vorwand für das als „Reichs- Glaubens. Die Geschichte der jüdischen Ge- kristallnacht“ bezeichnete Pogrom vom 9. bis meinde endet nach den Jahren der Verfolgung zum 11. November 1938 gegen die deutschen 1942 mit der Deportation der hier noch leben- Juden. In der Nacht zum 10. November 1938 den Juden in Konzentrations- und Vernich- wurde auch die Niederzissener Synagoge ent- tungslager. weiht. Die Einrichtungsgegenstände, Lesepult, der Thoraschrein und Bänke wurden zerschla- Zur Geschichte der Synagoge gen, Bücher und Gebetsrollen auf die Straße bis zur Zerstörung 1938 geworfen und die Lampen des Deckenleuchters Am 3. Juni 1838 konnte die jüdische Ge- nach Aussage eines Zeitzeugen zerschossen. meinde Niederzissen für 100 Taler ein zuvor Was genau in der Nacht vom 9. auf den 10. No- landwirtschaftlich genutztes Grundstück mit vember 1938 in Niederzissen geschehen ist, ist Wohnhaus und Scheune in der Mittelstraße bis heute nicht geklärt. Ein Gerichtsverfahren erwerben. Am 14. Juli 1841 begann der Bau hat es wegen der begangenen Straftaten auch der Synagoge, die 1844 fertig gestellt wurde. nach Ende des 3. Reiches nicht gegeben. Die jüdische Gemeinde hatte damit ein großes Gottes- und Versammlungshaus. Ihre Mit- Die Zweckentfremdung der Synagoge glieder kamen überwiegend aus dem Bereich Vertreter der noch existierenden jüdischen Ge- der heutigen Verbandsgemeinde und meinde mussten die verwüstete und dadurch zwar aus , , , Hain, entweihte Synagoge auf staatlichen Druck hin , Lederbach, , Niederzis- noch 1938 verkaufen. Sie bevorzugten das Kauf- sen, Rieden, Spessart, Volkesfeld, Wehr, Weiler angebot von August Blankart, einem Schmied und zeitweise Königsfeld mit den Dörfern De- aus Niederzissen. Dieser hatte bereits 1914 von denbach und . einer jüdischen Familie sein Wohnhaus in der Der Mord an dem deutschen Gesandtschafts- Mittelstraße, direkt gegenüber der Synagoge, rat Ernst vom Rath am 9. November 1938 in gekauft und unterhielt seither gute und enge Paris diente dem deutschen NS-Regime als Kontakte zu seinen jüdischen Nachbarn.

180 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011 Am 28. April 1939 wurde vor Notar Dr. jur. aufgeworfen oder auch nur erwähnt hatte. Sie Adams in der Kaufvertrag abgeschlos- verwiesen auf die angespannte Finanzlage im sen. Seither betrieb die Familie Blankart in dem Gemeindehaushalt, befürchteten unkalkulier- ehemaligen Synagogengebäude eine Schmie- bare Kosten durch den möglicherweise durch de, die 1955 um einen Anbau zur Werkstatt Altöl des Schmiedebetriebes belasteten Boden für Traktoren und Landmaschinen erweitert sowie nicht absehbare Renovierungs- und Fol- wurde. Zu diesem Zweck wurde das ehemalige gekosten. Ihrer Ansicht nach wäre das Projekt Badehaus abgerissen und der gesamte Vorhof auch ein zu hohes Risiko für die Gemeinde und als Park- und Lagerfläche befestigt. Seit der würde sich nicht realisieren lassen, bzw. sich Schließung des Betriebes Anfang der 1990er auf längere Sicht hin nicht rentieren. Jahre stand die „alte Schmiede“ leer. Ein öffentlich bestellter und vereidigter Sach- verständiger hat allerdings danach festgestellt, Stillstand und Beginn eines dass das Erdreich unter der Betonbodenplatte Umdenkungsprozesses der alten Schmiede nicht mit Schadstoffen kon- Als der Handwerksbetrieb nach über 10 Jahren taminiert ist. Stillstand abgemeldet wurde, war der Zeitpunkt gekommen, an dem ein erstes Umdenken be- Initiativen des Kultur- und gann. Der damalige Ortsbürgermeister Karl- Heimatvereins versus Gemeinderat Heinz Bersheim nahm Anfang 2007 Kontakt Der Kultur- und Heimatverein Niederzissen e.V. mit Familie Blankart auf und besichtigte mit erarbeitete daraufhin ein konkretes Nutzungs- dem Bauausschuss die „alte Schmiede“, um sich und Finanzierungskonzept für ein „Haus der ein Bild vom Zustand des Gebäudes zu ma- Kultur“. Dieses Konzept sah vor, dass beide Ge- chen. Um ein Kaufangebot abgeben zu können, bäudeteile - ehemaliger Synagogenraum und hat der Gutachterausschuss des Kreises Ahr- Werkstattanbau – als Ganzes oder getrennt für weiler nach einem entsprechenden Beschluss kulturelle Zwecke genutzt werden sollten. Die des Gemeinderates, ein Verkehrswertgutachten Bandbreite reichte dabei von Konzerten über erstellt. Dieses war die Grundlage für erste kon- Lesungen, Wechselausstellungen bis zur mu- krete Gespräche mit der Eigentümerfamilie über sealen Dauernutzung zur Heimatgeschichte einen eventuellen Verkauf des Anwesens. und jüdischen Geschichte Niederzissens. Die Im Rahmen der Moderation zur Dorferneuerung Kosten für die Umsetzung dieses Konzeptes von Niederzissen widmete sich im März 2008 wurden auf rund 250000 Euro geschätzt, die eine öffentliche Veranstaltung dem Thema zum größten Teil durch Zuschüsse und Zusagen „ehemalige Synagoge“. Es sollte dabei die Frage gedeckt werden. Der Gemeinderat hat sich nach erörtert und geklärt werden, ob das ehemalige den zahlreichen Vorarbeiten des Kultur- und Synagogengebäude von der Gemeinde gekauft Heimatvereins erst wieder im November 2008 werden sollte, um es zu erhalten und eventuell und danach noch zwei weitere Male mit der als Heimatmuseum mit einer Ausstellung zur Frage des Ankaufs beschäftigt, die am 3. Juni jüdischen Geschichte Niederzissens zu nutzen. 2009 in der Ablehnung des Ankaufs durch die Die professionelle Dorfmoderatorin Christiane Gemeinde gipfelte. Hicking hatte im Verlauf der anschließenden, sehr kontroversen, teilweise äußerst heftigen Erfolgreiches Bürgerbegehren und emotionalen Diskussion alle Mühe, diese Die Enttäuschung über die Ablehnung des zwischen den sich abgrenzenden Lagern der Kaufs durch die Gemeinde war bei einigen Befürworter und Gegner der Erhaltung des Sy- Niederzissener Bürgerinnen und Bürgern so nagogengebäudes zu steuern. tief, dass sie schnell den Entschluss fassten, ein Die Gegner des Plans wehrten sich sehr heftig Bürgerbegehren nach § 17 a der Gemeindeord- und nachdrücklich gegen das erneute Aufrei- nung Rheinland-Pfalz durchzuführen, um die ßen historischer Wunden und alter Schuldfra- Aufhebung des ablehnenden Gemeinderatsbe- gen aus der NS-Zeit, die allerdings niemand schlusses zu erreichen. Doris, Anne und Norbert

Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011 u 181 Wagner, Brigitte Decker und Dieter Lukas initi- ierten die Bürgerinitiative „Bürgerentscheid für den Erhalt der ehemaligen Synagoge Niederzis- sen“ und sammelten innerhalb von 6 Wochen 354 Unterschriften. Sie übertrafen damit die vorgeschrieben Zahl von mindestens 15 % der Wahlberechtigten der Gemeinde. Damit war der Gemeinderat verpflichtet, erneut über den An- kauf zu beschließen oder einen Volksentscheid herbeizuführen. Kommunalwahl, neue Überlegungen und Beschlüsse Die Kommunalwahl im Juni 2009 brachte eine grundlegende Änderung in der Zusammenset- zung der 20 Mitglieder des Gemeinderates (CDU 9, SPD 6, FWG 5) und an der Gemeindespitze. Neuer Ortsbürgermeister wurde Richard Keu- ler, der sich als Vorsitzender der örtlichen CDU und auch des Kultur- und Heimatvereins stets für den Erhalt der ehemaligen Synagoge /alten Schmiede sowie deren Nutzung als Museum und Veranstaltungsraum eingesetzt hat. Die bereits bei dem ablehnenden Gemeinde- Befunduntersuchung in der ehemaligen Syna- ratsbeschluss vom 3. Juni 2009 vorliegenden goge durch Restaurator Ferdinand Lawen Zusagen der Landeskulturstiftung, den Ankauf zu einem Drittel mitzufinanzieren, der Lan- neu bewertet. Dabei spielte die von der Bür- desdenkmalpflege und der Dorferneuerung gerinitiative eingeforderte Stellungnahme der Rheinland-Pfalz, die Renovierung mit erheb- Staatskanzlei Rheinland-Pfalz zur geschicht- lichen Mitteln zu unterstützen und des Kultur- lichen und kulturellen Bedeutung des Gebäudes und Heimatvereins, sich mit Eigenleistungen zu und der darin aufgefunden Quellen und kleinen beteiligen, wurden in den von Richard Keuler Gegenstände aus der Zeit der aktiven jüdischen initiierten, fraktionsübergreifenden Gesprächen Gemeinde bis 1938 eine entscheidende Rolle. In seiner Sitzung am 9. November 2009 hat der Gemeinderat von Niederzissen den Ankauf der ehemaligen Synagoge, deren Erhaltung und Nutzung als Erinnerungs- und Begennungs- stätte beschlossen. Das erfolgreiche Bürgerbe- gehren konnte für erledigt erklärt werden. Wie geht es weiter? Die Gemeinde Niederzissen ist jetzt Eigentüme- rin der ehemaligen Synagoge und beginnt mit der Renovierung. Aufgrund der Empfehlungen der Landesdenkmalpflege und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz hat die Gemeinde mit einem in der Denkmalpflege erfahrenen Archi- Übergabe der Unterschriften des erfolgreichen tekten und der tatkräftigen Unterstützung durch Bürgerbegehrens die Verbandsgemeindeverwaltung Brohltal die

182 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011 bisherigen Renovierungskonzepte überarbeitet keiten. Dazu zählen der jüdische Friedhof, die und bereits restauratorische Befunduntersu- ehemaligen Schulgebäude, der Sauerbrunnen, chungen durchführen lassen. Diese sind für der Bahnhof, die Henk’s Mühle, der Luftschutz- die Entscheidungen zur Innengestaltung, wie bunker im Trassberg und weitere kulturell und zum Beispiel des Anstriches und der Motive heimatgeschichtlich bedeutende Stätten. Es im Deckenbereich, sowie der Wiederherstellung wird spannend in Niederzissen. Ein Besuch der der ehemals großen Empore erforderlich. geschichtsbewussten Brohltalgemeinde lohnt In der Sitzung am 28. Juni 2010 hat der Ge- sich schon jetzt. meinderat Niederzissens dem überarbeiteten Konzept mit einem Kostenvolumen von 370000 Anmerkung: EUR zugestimmt, zu dessen Finanzierung Zu- Der Beitrag referiert die Ergebnisse der Facharbeit von Anne Wagner, die von ihr 2009 in der Jahrgangsstufe 12 des Rhein-Gymnasiums Sinzig ver- schüsse und Zuwendungen in Höhe von 90% fasst wurde. Ihre Ausführungen wurden allerdings um die Ausführungen erwartet werden. zur jüngsten Entwicklung ergänzt.

Mit der Renovierung und Nutzung wird ein Quellen und Literatur: bedeutender Teil der Ortsgeschichte wieder - Gemeinde Niederzissen (Hrsg.): Chronik Niederzissen. Geschichtliches der sichtbar und ein wichtiger Eckstein innerhalb Brohltal-Gemeinde in Wort und Bild. Niederzissen 1992. - Landkreis Ahrweiler (Hrsg.): Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz. Bad des zukünftigen Kulturweges und der an die- Neuenahr-Ahrweiler 1989. sem liegenden ausgewiesenen Sehenswürdig- - Internetrecherche; Befragung von Zeitzeugen

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