Heft 4, Dezember 2015 / 95. Jahrgang E 1459

Badische Heimat Mein Heimatland ISSN 0930-7001 Zeitschrift für Landes- und Volkskunde, Natur-, Umwelt- und Denkmalschutz

IMPRESSUM Gesamtherstellung: Rombach Verlag Herausgeber Unterwerkstraße 5 Landesverein Badische Heimat e. V. 79115 Freiburg i. Br. Hansjakobstr. 12 E-Mail: [email protected] 79117 Freiburg Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig. Landesvorsitzender: Dr. Sven von Ungern-Sternberg Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Verkaufs- Chefredakteur: preis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Heinrich Hauß, Weißdornweg 39, 76149 Tel.: (07 21) 75 43 45 Jahrespreis für Einzelmitglieder 32,– €. Preis des Heftes Fax: (07 21) 92 13 48 53 im Einzelverkauf für Nichtmitglieder 11,50 €. Nachbe- stellung eines Heftes für Mitglieder 8,– €. Geschäftsstelle: Haus Badische Heimat Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind ausschließlich Hansjakobstr. 12, 79117 Freiburg deren Verfasser verantwortlich. Für unverlangte Manu- Tel. (07 61) 7 37 24, Fax (07 61) 7 07 55 06 skripte, Bildmaterial und Besprechungsstücke wird keine Geschäftszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00–12.00 Uhr Haftung übernommen. Rücksendung bei unangeforder- Internet: www.badische-heimat.de ten Manuskripten erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. E-Mail: [email protected] Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung behält sich der Landesverein vor. Veröffentlichte Manuskripte Zahlstellen des Landesvereins: gehen in das Eigentum des Landesvereins über. • Postbank Karlsruhe IBAN: DE33 6601 0075 0016 4687 51 BIC: PBNKDEFF Die Herausgabe dieser Zeitschrift • Sparkasse Freiburg – Nördlicher Breisgau wird vom Land Baden-Württemberg, IBAN: DE48 6805 0101 0002 0032 01 vertreten durch das Regierungsprä- BIC: FRSPDE66XX sidium Freiburg, unterstützt.

»Sitzmal« im Schlossgarten, noch verhüllt mit einem Tuch in den badischen Farben (Foto: Heinrich Hauß)

481_Impressum.indd 481 29.11.2015 11:22:06 Inhalt

EDITORIAL »Arbeitsstand öffentlich zur Diskussion gestellt« Editorial Die Stadt neu denken Sven von Ungern-Sternberg ...... 484 Eines der bedeutendsten städti- schen Projekte Zu diesem Heft Heinrich Hauß ...... 532 Heinrich Hauß ...... 485

Ausstellung populärer Formate: AUFSÄTZE: Museum am Markt und Museen SCHWERPUNKT KARLSRUHE 300 im Bauwagen Ausstellungen in Karlsruhe Heinrich Hauß ...... 536 im Jubiläumsjahr Versuch einer Dokumentation »Karl Drais – Heinrich Hauß ...... 487 Erfinder, Beamter und Demokrat« Ausstellung zum Stadtgeburtstag Ein Rückblick auf die Ausstellung in der BBBank-Zentrale »Karlsruher TulpenKULTur« Hans-Erhard Lessing ...... 539 Markgraf Karl Wilhelm und seine Gartenkunst« in der »Zustand 300« Badischen Landesbibliothek Stadtansichten von Wilhelm Kratt Karen Evers ...... 489 (1910) und Zwischenzustand 2015 Karl Wilhelm – Wie er wirklich war Dirk Altenkirch ...... 546 Jacqueline Maltzahn-Redling ...... 498 Eine andere Chronologie und En Voyage – eine andere Erzählweise die Europareisen der Genug gejubelt!? – Karoline Luise von Baden Pleiten, Pech & Glücksfälle der Ausstellung im Stadtgeschichte Generallandesarchiv Karlsruhe Heinrich Hauß ...... 548 Wolfgang Zimmermann ...... 510

»Der helle Stern Karoline Luises Blumen für Karlsruhe überstrahlt alles« 9. – 30. August 2015 Karoline Luise von Baden im Fasanenschlösschen in Ausstellungen und Katalogen Eröffnungsrede der Ausstellung Heinrich Hauß ...... 518 am 9.8.2015 Erwin Vetter ...... 551 Das Karlsruhe Friedrich Weinbren- ners und Arthur Valdenaires Die GLOBALE. Ausstellung in der Städtischen Galerie Das neue Kunstereignis im und der Badischen Landesbibliothek digitalen Zeitalter Heinrich Hauß ...... 527 Peter Weibel ...... 553

482 Inhalt Badische Heimat 4 / 2015

482_Inhaltsverzeichnis.indd 482 30.11.2015 17:30:46 AUFSÄTZE AUS DEM LANDESVEREIN

Das Haus Baden und sein Geschenk Vorstellung des Heftes 3/2015 an Karlsruhe zur Stadtgründung der Badischen Heimat Anna zu Stolberg ...... 561 mit Schwerpunkt Bruchsal Heinrich Hauß ...... 624 Die Preisträger des Denkmalschutz- preises Baden-Württemberg 2014 Anerkennung für vorbildliche PERSONALIA Sanierungen durch private Eigentümer Gerhard Kabierske ...... 568 Helmut Engler Heinrich Hauß ...... 626

Der Zugriff der Könige Ausgezeichnet mit der Heimatme- Eine elsässische Geschichte aus daille Baden-Württemberg: dem 17. Jahrhundert Thomas Adam Peter Brugger ...... 586 Fabian Heretsch ...... 626

Alex Möller (1903–1985) – 75. Geburtstag Dr. Beat Trachsler der »heimliche Ministerpräsident« Ein Leben für Menschen, des Landes Baden-Württemberg Kunst und Kultur in den 1950er Jahren Elmar Vogt ...... 627 Eine biographische Notiz aus Anlass des 30. Todestages Michael Kitzing ...... 599 JAHRESRÜCKBLICKE

Regionalgruppe Karlsruhe ...... 630 Chinesisches im badischen Barock Eine Erinnerung aus gegebenem Anlass Regionalgruppe Bruchsal ...... 631 Johannes Werner ...... 611 Regionalgruppe Mannheim ...... 632

Regionalgruppe Pforzheim...... 633 GEDENKTAGE BADISCHER GESCHICHTE Regionalgruppe ...... 634

Oktober 1815: Regionalgruppe ..... 634 200 Jahre seit Goethes letztem Besuch in Karlsruhe Persönliche Begegnung mit Johann Peter Hebel Spendenaufruf Heinrich Hauß ...... 617 Sven von Ungern-Sternberg ...... 637

Badische Heimat 4 / 2015 Inhalt 483

482_Inhaltsverzeichnis.indd 483 30.11.2015 17:30:47 Editorial

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

das vorliegende Heft knüpft an das Karlsruher Stadtjubiläum an. Es bietet gelungene »Nachle- sen« zu dem so erfolgreichen Jubiläumsbuch »Karlsruhe – Aufgefächert« und weitere Aufsätze. Mittlerweile hat es in Baden-Baden und Freiburg am 1. Dezember interessante Buchpräsenta- tionen gegeben. Mit dem Band »Baden – Tag für Tag« ist unserem Chefredakteur Heinrich Hauß wieder ein großer Wurf gelungen. Wir werden darüber im nächsten Heft berichten. Im Spendenaufruf gehe ich auf die Bemühungen um unser denkmalgeschütztes Haus in Frei- burg-Littenweiler ein. Die Spendenbereitschaft unserer Mitglieder ist uns eine große Hilfe! Frau Dorothee Kühnel hat die Lektoratsarbeit unserer Publikationen – Schrift enreihe und vierteljährliche Publikation »Badische Heimat« – an Frau Dr. Anna zu Stolberg übertragen. Frau Dr. zu Stolberg war bisher am Badischen Landesmuseum Karlsruhe tätig. Sie wird auf Grund ihrer langjährigen Berufserfahrung die neue Aufgabe engagiert und kompetent wahrnehmen. Dorothee Kühnel gebührt für die engagierte und verlässliche Lektoratsarbeit und der Zusam- menarbeit mit dem Chefredakteur Herrn Hauß in den Jahren 2003 bis 2015 aufrichtiger Dank. Frau Kühnel wird auch weiterhin in der Funktion als Vorstandmitglied und Schrift führerin für den Landesverein tätig sein. Im Januar wird das schon lange erwartete Buch über die Geschichte des Naturschutzes in Baden erscheinen, das erstmals dessen wechselhaft e Geschichte umfassend darstellt. Auch die Rolle der Badischen Heimat bei der Entstehung des Naturschutzgedankens wird darin ausführ- lich beleuchtet. Nun Ihnen allen aber eine interessante Lektüre des vorliegenden Heft es. Heinrich Hauß als Chefredakteur, den Autoren, Dr. Anna zu Stolberg, dem Rombach-Verlag für das wiederum gute Miteinander – allen sei hier noch einmal herzlich gedankt.

Und Ihnen, den Mitgliedern der Badischen Heimat, Dank für Ihre Verbundenheit und Treue. Mit Wünschen für eine besinnliche Adventszeit, für schöne Festtage und ein gutes Jahr 2016!

Herzlichst Ihr

Dr. Sven von Ungern-Sternberg, Landesvorsitzender

484 Sven von Ungern-Sternberg – Editorial Badische Heimat 4 / 2015

4484_Editorial1Ungern-Sternberg.indd84_Editorial1Ungern-Sternberg.indd 484484 229.11.20159.11.2015 12:29:2412:29:24 Zu diesem Heft

Nachhaltigkeit eines Stadtjubiläums

Die Badische Heimat hat zum 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe die Publikation »Karls- ruhe – Aufgefächert. Aspekte und Perspektiven der Kultur in der Stadt« im Mai 2015 herausgebracht. Die Buchvorstellung hat dankenswerterweise der Badische Gemeindever- sicherungsverband übernommen. Gewissermaßen als Ergänzung präsentieren wir im Heft 4/2015 im Sinne nachhaltiger Veranstaltungen die Serie »Karlsruhe 300 im Rückblick: Die Ausstellungen. Die Kataloge«. Die umfangreiche Besprechung mit 12 Beiträgen der wichtigs- ten Ausstellungen im Jubiläumsjahr gibt stellenweise auch Gelegenheit zu kritischen Bemer- kungen. Das Projekt konnte nicht allein mit den Beiträgen der Redaktion bewältigt werden. Ich danke deshalb besonders für die Mitarbeit Frau Karen Evers und Frau Jaqueline Maltzahn-Redling, Herrn Dirk Altenkirch, Herrn Prof. Dr. Hans-Eberhard Lessing, Herrn Erwin Vetter, Herrn Prof. Dr. Peter Weibel und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann. Zum Rückblick auf das Stadtjubiläum gehört auch das Geschenk des Hauses Baden, »ein Zeichen dafür, dass der Faden zwischen der Stadt und dem Hause Baden nie abgerissen ist« (F. Mentrup, StadtZeitung 27.6.2015). Frau Dr. Anna zu Stolberg beschäft igt sich in dem Aufsatz »Das Haus Baden und sein Ge- schenk an Karlsruhe zur Stadtgründung« mit einem Sessel, einer Bronzeplastik auf einem Baumstumpf, im Schlossgarten Karlsruhes von Stefan Strumbel zu Ehren des Stadtgründers Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach. Die Enthüllung des »Sitzmals« am 16. Juni 2015, dem Vorabend der Stadtgründung, durch den Stift er SKH Bernhard Prinz von Baden habe ich mit entsprechenden Fotos festgehalten. Wir dürfen in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass bis zum 31.1.2016 in der Städ- tischen Galerie in Off enburg eine Werkschau Strumbels zu sehen ist. Zum 300. Geburtstag der Stadt Karlsruhe gehört auch die Erinnerung an den dritten und letzen Besuch Goethes in Karlsruhe vom 3. bis zum 5. Oktober 1815. Die in der Literatur viel- fach gewählte Perspektive des Besuchs wird für dieses Mal verlassen. Die Erinnerung Goethes an die vor 40 Jahren ergangene Einladung nach Weimar, bei der Karlsruhe und Heidelberg eine entscheidende Rolle spielten, wird als entscheidendes Datum der Goethischen Biografi e begrif- fen und überlagert die Begegnungen in Karlsruhe. Ausgegangen wird dabei von einem Brief Goethes an Bergrat Voigt: »Es ist wundersam genug«.

Badische Heimat 4 / 2015 Heinrich Hauß – Zu der vorliegenden Publikation 485

485_Editorial Hauss.indd 485 29.11.2015 11:28:33 Auff ällig ist auch, dass Goethe von der Begegnung mit Weinbrenner nur konstatiert: »Wein- brenner führte mich in seinen Werken herum«. Hätten doch Weinbrenners Werke das »Auge durch Größe und Körperlichkeit füllen können«. Dr. Gerhard Kabierske beschreibt fünf mit dem Denkmalschutzpreis ausgezeichnete vorbild- liche Sanierungen durch private Eigentümer in Külsheim, Salem-Mittelstenweiler, Sigmaringen, Bad Liebenzell und Rottweil. Der Preis wird gemeinsam vom Schwäbischen Heimatbund und dem Landesverein Badische Heimat ausgelobt. Anlässlich der Aufl ösung des regionalpolitischen und administrativen Elsass am 1.1.2016 be- schäft igt sich Peter Brugger in seinem Aufsatz »Der Zugriff der Könige« mit der dreieinhalb Jahrhunderte bestehenden »politischen, juristischen und administrativen Zusammengehörig- keit« des Elsass (Ansätze des Conseil Souverain d´Alsace seit 1658). Michael Kitzing beschreibt in dem Aufsatz »Alex Möller – der heimliche Ministerpräsident« den Westfalen als »prägende Persönlichkeit der südwestdeutschen Landespolitik«, der sich aber auch für Belange des badischen Landesteiles eingesetzt hat.

Heinrich Hauß

»know your roots«, Stefan Strumbel, Einladungskarte des Hauses Baden zur Einweihung des Denkmals zu Ehren des Stadtgründers Karl Wilhelm

486 Heinrich Hauß – Zu der vorliegenden Publikation Badische Heimat 4 / 2015

485_Editorial Hauss.indd 486 29.11.2015 11:28:33 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Ausstellungen in Karlsruhe im Jubiläumsjahr Versuch einer Dokumentation Heinrich Hauß

Was bleibt? Zeit der Abfassung waren die Ausstellungen Wir halten es für sinnvoll, am Ende des Stadt- noch nicht eröff net. Die Frage, was nach allen jubiläums die verschiedenen Ausstellungen, die Events Greifb ares bleibe, wurde auch in einem im Zusammenhang mit dem Stadtgeburtstag Kommentar der BNN gestellt. Unter anderem gezeigt wurden, in unserer Publikation zu do- wurde darauf hingewiesen, dass das Schloss kumentieren. Im Zusammenhang mit aufwän- »als Mitte und Herz« Karlsruhes wiederent- dig produzierten Katalogen entsprechen sie der deckt wurde (28.9.2015). Allerdings, das muss vielfach geforderten Nachhaltigkeit. Auch zei- angemerkt werden, nur eventgestützt. gen die Ausstellungen, welches Bild, welche Bil- der im wörtlichen Sinne die Stadt Karlsruhe von 1. Karoline Luise: Europäische Dimensionen sich entwirft oder entwerfen lässt. Zwei der ge- Markgräfi n Karoline Luise von Baden über- nannten Ausstellungen sind Landessausstellun- strahlt im Jahre 2015 alles. Sind ihr doch gleich gen, die anderen Ausstellungen gehen auf das zwei Ausstellungen gewidmet. Die Meister- Engagement staatlicher Institutionen zurück. Sammlerin Karoline Luise von Baden im der Die mäßigen Besucherzahlen der beiden Kunsthalle und En Voyage – Die Europareisen Landesaustellungen (Karl Wilhelm 35 000, der Karoline Luise von Baden im Generallandes- Karoline Luise 33 000) signalisieren ein gerin- archiv. Beide Ausstellungen sind das Ergebnis ges Interesse an Geschichte. Eine Dokumenta- intensiver wissenschaft licher Vorarbeiten auf ei- tion scheint auch im Sinne der Leser der Badi- nem europäischen Horizont. Sie geben Einblick schen Heimat sinnvoll, weil, wie man kürzlich in das Zeitalter der Aufk lärung am Oberrhein, konstatierte, immer noch viele Städte und ihre in die neue Wissenskultur, der Kultur am Hof Bewohner in Baden »auf Karlsruhe schauen«. und den Kunstmarkt im 18. Jahrhundert. Beide Ohne Zweifel bilden die Ausstellungen in Ausstellungen werden von hervorragend gestal- ihrer Vielfalt und thematischen Dichte einen teten wissenschaft lichen, thematisch weit gefä- Höhepunkt im Festivalsommer. Sie sind auch cherten Publikationen begleitet: »Aufgeklärter die Veranstaltungen, die man in einer Do- Kunstdiskurs und höfi sche Sammelpraxis« und kumentation gewissermaßen über den Tag »Karoline Luise von Baden. Die Meister Samm- hinaus »dingfest« machen kann. lerin« (beide im Deutschen Kunstverlag). Die Dokumentation kann auch gesehen werden als eine Ergänzung zu unserem Buch 2. Weinbrenner und Valdenaire »Karlsruhe – Aufgefächert. Aspekte und Die Ausstellungen Friedrich Weinbrenner Perspektiven der Kultur in der Stadt«. Zur 1766–1826. Architektur und Städtebau in der

Badische Heimat 4 / 2015 Ausstellungen in Karlsruhe im Jubiläumsjahr 487

4487_#12-0_Ausstellungen87_#12-0_Ausstellungen inin KarlsruheKarlsruhe imim Jubiläumsjahr.inddJubiläumsjahr.indd 487487 229.11.20159.11.2015 11:30:5811:30:58 Städtischen Galerie und Stadt und Schloss vor ten Jahrzehnte begleiten. Was bleibt ist das 1945. Historische Fotografi en aus Arthur Valde- »Klima« der »Off enheit und Ernsthaft igkeit«, naires Denkmalinventar in der Badischen Lan- mit der das Projekt verfolgt wurde. desbibliothek zeigen ein Karlsruhe, das einmal eine schöne Stadt war. Die Ausstellung »Fried- 5. »Genug gejubelt?!« rich Weinbrenner« hat ein breites Presseecho Die Doppelausstellung Genug gejubelt?! im erfahren. Beide Ausstellungen sind Ergebnisse Stadtmuseum und im Pfi nzgaumuseum ist langjähriger wissenschaft licher Arbeit. die einzige Ausstellung zur Stadtgeschichte Zusammen mit den Ausstellungen Karl im Jubiläumsjahr. Auff ällig ist die Beschei- Wilhelm im Badischen Landesmuseum und denheit mit der die Ausstellungsmacher ihr Karlsruher TulpenKULTur. Karl Wilhelm und Konzept präsentieren: Es soll ein »kleines seine Gartenkunst in der Badischen Landes- Ausrufezeichen« gesetzt werden. Es entsteht bibliothek bilden die genannten Ausstellungen der Eindruck, als wolle man unter allen Um- die Auseinandersetzung mit der Geschichte ständen mit der Ausstellung nicht die Festi- im Jahre 2015. Die Ausstellungen erinnern valstimmung stören. Und so wird nicht Stadt- auch an die Karlsruher Stadtgeschichte. Von geschichte »in einem anderen Licht« gezeigt, diesen 300 Jahren waren immerhin 237 Jahre sondern Geschichten, die aus der Geschichte auch badische Geschichte in Karlsruhe. heraus gefallen sind.

3. Zustand 300 6. Populäre Formate Der Architekturfotograf Dirk Altenkirch Populären Formaten entsprechen die Ausstel- kontrastiert in der Fotoausstellung Zustand lungen Leben 20.15 – Erinnerungen an heute 300 Stadtansichten des Fotografen Wilhelm im Museum am Markt und die Ausstellungen Kratt von 1910 mit Aufnahmen des »aufge- in sieben Bauwägen Museen des Volkes auf wühlten« Karlsruhe im Jahre 2015. Einige dem Friedrichsplatz. In diese Kategorie gehört dieser Aufnahmen wurden als großformatige wohl auch die Ausstellungen im Stadtmuseum Drucke auf PVC-Planen im Hof der Firma und im Pfi nzgaumuseum »Genug gejubelt?!« Gerstaecker Bauwerk in Karlsruhe präsentiert. Der Ausstellung hätte man einen zentralen 7. Ausstellung in der BBBank Ort in der Innenstadt gewünscht. Die Ausstellung Karl Drais – Erfi nder, Beam- ter, Demokrat wurde von der BBBank veran- 4. Karlsruhe neu sehen: staltet und versucht, Karl Drais in ein neues Städtebauliches Projekt Licht zu setzen. Eine besondere Stelle nimmt die Ausstellung Die Stadt neu denken im Schlachthof zum 8. Die »Globale« des ZKM Th ema Karlsruhe neu denken ein. Ihr ging Mit der »Globale« blickt Karlsruhe weit hin- die Ausstellung »Die Stadt neu sehen. 10 Fra- aus ins 21. Jahrhundert. Die Globale des ZKM gen an Karlsruhe« (2013) im PrinzMaxPalais präsentiert zum Stadtjubiläum ein »neues, voraus. Beide Ausstellung sind Phasen eines polyphones multipolares Kunstformat« und »Diskussionsprozesses zwischen Bevölke- »thematisiert die kulturellen Eff ekte der Glo- rung, Planern und Politikern«, der das »be- balisierung, welche das Leben auf unserem deutendste städtebauliche Projekt« der letz- Planeten verändern.«

488 Heinrich Hauß Badische Heimat 4 / 2015

4487_#12-0_Ausstellungen87_#12-0_Ausstellungen inin KarlsruheKarlsruhe imim Jubiläumsjahr.inddJubiläumsjahr.indd 488488 229.11.20159.11.2015 11:30:5911:30:59 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Ein Rückblick auf die Ausstellung »Karlsruher TulpenKULTur« Markgraf Karl Wilhelm und seine Gartenkunst« in der Badischen Landesbibliothek

Karen Evers

Anlässlich des 300. Geburtstags der Stadt Karlsruhe zeigte die Badische Landesbibliothek vom 11. Februar bis zum 25. April 2015 die publikumswirksame Ausstellung »Karlsruher Tulpen- KULTur. Markgraf Karl Wilhelm und seine Gartenkunst«, die von einem breit gefächerten musealen Begleitprogramm umrahmt wurde. Im Zentrum dieser Ausstellung standen die re- nommierten »Karlsruher Tulpenbücher«, die sich heute in der Badischen Landesbibliothek sowie im Generallandesarchiv befi nden und für die Öff entlichkeit nun erstmals gemeinsam präsentiert wurden.

Anlässlich des 300. Geburtstags der Stadt der Badischen Landesbibliothek besichtigt Karlsruhe zeigte die Badische Landesbiblio- werden (http://digital.blb-karlsruhe.de/doc/ thek vom 11. Februar bis zum 25. April 2015 page/tulpe). die Ausstellung »Karlsruher TulpenKULTur. Rund 5000 verschiedene Tulpensorten Markgraf Karl Wilhelm und seine Garten- und zahlreiche botanische Raritäten wa- kunst«, in der erstmals für kurze Zeit alle vier ren am Lebensende von Markgraf Karl Wil- erhaltenen barocken Florilegien des Stadt- helm im Karlsruher Schlossgarten zu be- gründers Markgraf Karl Wilhelm III. von Ba- wundern. Seine kostbaren Pfl anzen ließ er den-Durlach (1679–1738) gemeinsam für die in farbenprächtigen Aquarellen von profes- Öff entlichkeit präsentiert wurden. Die Bände sionellen Blumenmalern in den berühmten werden heute in der Badischen Landesbiblio- »Karlsruher Tulpenbüchern« porträtieren, thek (Sign. K 3301 und K 3302) sowie im Ge- die im Zentrum der publikumswirksamen nerallandesarchiv Karlsruhe (Sign. Hfk -Hs Aus stellung standen. Für jeweils vier Wo- Nr. 263 und 269) aufb ewahrt. Im Kontext der chen waren ausgewählte Blätter aus den Blu- Ausstellung wurden die vier Blumenbücher menbüchern zu sehen, so dass insgesamt drei darüber hinaus auch digital zusammenge- unterschiedliche Phasen der Hängung im führt und können fortan weltweit in elektro- Ausstellungsraum der Badischen Landes- nischer Form in den Digitalen Sammlungen bibliothek zu entdecken waren. Ergänzt wurde

Badische Heimat 4 / 2015 Ein Rückblick auf die Ausstellung »Karlsruher TulpenKULTur« 489

489_Evers - Tulpenausstellung.indd 489 29.11.2015 12:57:11 blume und spielte in der Garten- kunst eine so bedeutsame Rolle, dass zur Zeit Sultan Süleymans I. (1494–1566) ein regelrechter Tul- penwahn in Istanbul herrschte. Es etablierte sich ein reger Han- del mit der Zwiebelpfl anze, und auch in der osmanischen Kunst lässt sich das beliebte Tulpenmo- tiv seit dem 16. Jahrhunderts viel- fach fi nden, wie beispielsweise im Dekor von illuminierten Hand- schrift en oder keramischen Er- zeugnissen wie etwa der belieb- ten İznik-Ware. Um 1560 wurde die Tulpe dann auch in Europa bekannt. Unmittelbar beteiligt an dieser Entwicklung waren die re- nommierten Naturforscher Kon- rad Gesner (1516–1565) sowie Carolus Clusius (1526–1609). Im Garten des Augsburger Bankiers Johann Heinrich Herwarth hatte der Schweizer Botaniker Gesner im Jahr 1559 wahrscheinlich zum Tulpenaquarell aus dem Karlsruher Tulpenbuch (Karlsruhe, ersten Mal eine rote Tulpe gese- Badische Landesbibliothek, hen. Für sein geplantes Pfl anzen- Sign. K 3302, Blatt 31) buch »Historia Plantarum« stellte Gesner über 500 Pfl anzenaqua- relle zusammen, die sich heute in die Schau rund um das Phänomen der Tulpo- der Universitätsbibliothek Erlan- manie durch einen umfassenden Einblick in gen-Nürnberg befi nden. Zwei der darin ent- die Kulturgeschichte der Tulpe und die Ent- haltenen Aquarelle einer roten und einer gel- wicklung der europäischen Gartenkunst. ben Tulpe gelten als die ersten Darstellungen von Tulpen in Europa überhaupt und dienten als Vorlage für einen Holzschnitt, der meh- Die Blume aus dem Morgenland rere Abhandlungen Gesners über die Tulpe kommt nach Europa illustrierte. 200 Jahre später verlieh Carl von Linné (1707–1778) der Gartentulpe sogar den Eingeführt aus Persien entwickelte sich die wissenschaft lichen Namen »Tulipa gesneri- Tulpe bereits im 15. Jahrhundert in der Os- ana«. Gesner und auch Clusius näherten sich manischen Kultur zu einer begehrten Mode- der Tulpe erstmals auf dem wissenschaft -

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 490 29.11.2015 12:57:12 Kupferstichporträt des flämischen Naturforschers Carolus Clusius (1526–1609) auf dem Frontispiz seines Werkes »Rariorum Plantarum Historia« (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Sign. 114 C 65 R)

Unterschiedliche Tulpenarten in Carolus Clusius Werk »Rariorum Plantarum Historia« lichen Gebiet der Botanik. In seinem Werk (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, »Rariorum Plantarum Historiae« beschreibt Sign. 114 C 65 R) Carolus Clusius im Jahr 1601 Dutzende von Tulpen hinsichtlich ihrer Form, Farbe und Blütezeit. Bereits 1573 hatte Kaiser Maximi- lian II. den Flamen zum Obersten des Kaiser- Tulpomanie und Börsencrash lichen Hofgartens in Wien ernannt, wo Clu- in den Niederlanden sius sich eingehend mit den aus der Türkei eingeführten Tulpen beschäft igte. Da er weit- In den folgenden Jahrzehnten entwickelte reichende Kontakte zu Gelehrten besaß, und sich Holland zu einem namhaft en Zentrum seinen Briefen häufi g einige Tulpenzwiebeln des Blumenzwiebelhandels. Zentrum der beilegte, verbreitete sich die Pfl anze sukzes- Tulpenzucht war Haarlem, doch mit wach- sive in ganz Europa. Als man Clusius dann sender Nachfrage breiteten sich die Tulpen- im Jahr 1593 als Botaniker an die Universität felder auch in Delft , Rotterdam und Utrecht nach Leiden berief, gelang ihm dort erstmals aus. Um 1620 galt die Tulpe in den Nieder- die Kultivierung der Tulpe auf holländischem landen, Deutschland sowie Flandern als die Boden. Der Grundstein für das spätere Phä- Modeblume schlechthin und hatte sich eine nomen der »Tulpomanie« war somit gelegt. exponierte Stellung innerhalb der Garten-

Badische Heimat 4 / 2015 Ein Rückblick auf die Ausstellung »Karlsruher TulpenKULTur« 491

489_Evers - Tulpenausstellung.indd 491 29.11.2015 12:57:12 kultur erobert. Blumen im Garten zu züchten gen Lustgarten an. Die folgenden Generatio- und diese zu bunten Sträußen zu arrangieren, nen führten dieses Blumenerbe fort: Bereits war ein neues Phänomen der Zeit und spiegelt der Urgroßvater von Markgraf Karl Wilhelm, sich in jener Epoche in den unzähligen hol- Friedrich V. von Baden-Durlach (1594–1659), ländischen und fl ämischen Blumenstillleben war ein passionierter Blumenfreund, der ei- von Künstlern wie etwa Ambrosius Bos- nen Band mit zahlreichen Pfl anzenaquarellen schaert (1573–1621) anschaulich wider. hinterließ (GLA, Sign. Hfk -Hs Nr. 261). Rund Der »Kult um die Tulpe« führte zu fl orie- 80 Blätter darin widmen sich der Tulpenblüte. renden Geschäft en, so dass Sammler bereits Vermutlich inspirierte dies auch seinen Sohn in den 1620er Jahren horrende Preise für ihre Friedrich VI. von Baden-Durlach (1617–1677), Zwiebeln einfordern konnten. 1623 wurde die bei dem Maler Johann Bartholomäus Braun begehrte Sorte Semper Augustus, eine rot- (1626–1684) in der Zeit um 1660 einige Blu- weiß gefl ammte Blume, für 1000 Gulden pro menporträts in Auft rag zu geben. Dieser heute Zwiebel gehandelt. Angesichts eines durch- in der Niedersächsischen Staats- und Univer- schnittlichen Jahreseinkommens von 150 sitätsbibliothek Göttingen verwahrte Band Gulden stellt dies eine heute unvorstellbare mit dem Titel »Flora picta« (Sign. 2° Cod. Ms. Summe dar. Seit 1633 zogen die Preise konti- Uff . 40e Cim.) enthält ca. 200 Darstellungen, nuierlich weiter an, immer neue Züchtungen unter denen besonders viele Tulpen zu entde- kamen auf den Markt, der Handel mit Tulpen cken sind. Er gilt daher als Vorläufer der be- wurde gerade auch wegen der scheinbar wie rühmten von Markgraf Karl Wilhelm in Auf- zufällig hervorgebrachten Farb- und Form- trag gegebenen »Karlsruher Tulpenbücher«. varianten zum Spekulationsgeschäft . Für drei Als Karl Wilhelm 1709 die Nachfolge sei- Zwiebeln der Semper Augustus wurde im Jahr nes Vaters antrat, war er bereits bestens mit 1637, dem Höhepunkt der Tulpomanie, die der Blumenzucht vertraut und trug in Dur- exorbitante Summe von 30 000 Gulden gebo- lach eine beachtliche Pfl anzensammlung zu- ten. Kurz danach brach die Spekulationsblase sammen. Von 1713 hat sich ein gedruckter zusammen. Katalog des dortigen Schlossgartens (GLA, Sign. Hfk -Hs Nr. 107) erhalten, der rund 2121 unterschiedliche Pfl anzenarten dokumen- Die Markgrafen von Baden tiert. Darunter fi nden sich u. a. 1163 verschie- und ihre Liebe zu den Tulpen den Tulpensorten, 124 Hyazinthen sowie 88 Sorten Iris. Rund 100 Jahre später hielt die Tulpe dann Einzug in den neu angelegten Karlsru- her Schlossgarten. Doch war Markgraf Karl »In seinem Carolsruh ein Eden Wilhelm nicht der erste seiner Familie, den sich erbaut […]«1: Die Anlage des die edle Pfl anze in den Bann gezogen hatte. Karlsruher Schlossgartens Schon gegen Mitte des 16. Jahrhunderts, kurz nachdem die Markgrafen von Baden ihre Re- Karl Wilhelms gestiegene Repräsentationsbe- sidenz nach Durlach verlegt und ihren neuen dürfnisse und seine ambitionierten Pläne im Stammsitz in der Karlsburg begründet hat- Metier der barocken Gartenkunst waren in ten, legten diese im Jahr 1565 einen prächti- der kleinen Residenz Durlach jedoch nicht zu

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 492 29.11.2015 12:57:12 realisieren. Nur wenige Kilometer entfernt legte er am 17. Juni 1715 daher den Grundstein für sein neues Schloss. Das absolutistische Ideal von Schloss Versailles war Vorbild für die gesamte Neuan- lage mit ihren 32 Alleen, die sich wie Sonnenstrahlen vom zentra- len Schlossturm in alle Richtun- gen ausbreiteten. Zwei Jahre später legte der Pa- riser Gärtner Berçeon dann ei- nen terrassenförmigen Lustgar- ten nach französischem Vorbild an, denn auch der von André Le Notre (1613–1700) konstruierte Schlossgarten von Versailles be- saß Modellcharakter. Für den formalen Garten »à la française« gab es seit 1709 mit der Abhand- lung »La theorie et la pratique du jardinage« von Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville (1680– 1765) zudem eine verbindliche Publikation, die nachweislich in der Karlsruher Hofb ibliothek vor- handen war und einen wichtigen Schritt zur Etablierung der Gar- tenkunst als eigenständige Kunst- form darstellte. Außergewöhnlich war die Ausrichtung des Karlsru- Karlsruher Tulpenneuzüchtung mit dem Titel »Marggraf Louis von Baaden« her Schlossgartens nach Süden (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Sign. K 3302, Blatt 4) hin, weshalb man vermutet, dass dies aus klimatischen Gründen geschah. Die Folge war allerdings, dass es keine repräsentative Zufahrt zum gen. Carl Eduard Vehse (1802–1870) berich- Schloss gab und die Anfahrt entlang des Ost- tet, dass man »den Landesherren selbsteigen fl ügels erfolgen musste. Waren Karl Wilhelm in einfacher grüner Jacke fl eißigst in seinem seine Blumen wichtiger als die barocken Ge- Schlossgarten die Schaufel führen und den pfl ogenheiten? Spaten handhaben«2 sah. Mehrfach unter- Er selbst galt als leidenschaft licher Gärtner nahm Karl Wilhelm aufgrund seines Interes- und war voller Interesse für botanische Fra- ses für die Tulpenzucht Reisen nach Holland,

Badische Heimat 4 / 2015 Ein Rückblick auf die Ausstellung »Karlsruher TulpenKULTur« 493

489_Evers - Tulpenausstellung.indd 493 29.11.2015 12:57:12 Die Karlsruher Tulpenbücher

Und nicht nur dies: Wohl kein an- derer Barockfürst ließ vermutlich so viele Tulpen malen wie Karl Wilhelm, der eine Sammlung von rund 6000 Pfl anzenaquarellen hinterließ. Da mehr als 5300 dieser Blätter der Darstellung von Tulpen gewidmet waren, kam es zur po- pulären Betitelung der Werke als »Karlsruher Tulpenbücher«. Ur- sprünglich existierten von diesen Großfoliobänden 20 Stück, jedoch wurden beim Brand der Badischen Landesbibliothek in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1942 16 von ihnen zerstört. Die heute noch erhaltenen Exemplare befi n- den sich in der Badischen Landes- bibliothek sowie im Generallan- desarchiv Karlsruhe. Dass die Urheberinnen dieser Aquarelle die viel zitierten »Karls- ruher Tulpenmädchen« waren, Darstellung einer bizarr geformten Papageientulpe mit stimmt jedoch nicht. Zwar um- dem Namen »Peroquet Rouge« im Karlsruher Tulpenbuch. Das Aquarell stammt aus der Hand des bekannten gab sich Karl Wilhelm in seinem Blumenmalers August Wilhelm Sievert Schloss mit zahlreichen Mätres- (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Sign. K 3302, Blatt 14) sen, so dass sogar am Hof von Ver- sailles Gerüchte über ihn kursier- ten, aber erst im 19. Jahrhundert verschmolzen die Vorstellungen seine Tulpenzwiebeln bezog er von insge- von amourösen Abenteuern und Tulpenlei- samt 17 verschiedenen holländischen Züch- denschaft zur Idee der Karlsruher Tulpen- tern. Weder Kosten noch Mühen wurden ge- mädchen, die im Dienst von Karl Wilhelm die scheut, um den Karlsruher Schlossgarten mit zahlreichen Tulpen des Karlsruher Schloss- botanischen Raritäten zu bepfl anzen. Im Jahr gartens abmalten. Ausschlaggebend hierfür 1736 verzeichnete man im Karlsruher Schloss- war wohl ein Brief des Schrift stellers und Ge- garten eindrucksvolle 4769 verschiedene Tul- lehrten Friedrich Leopold Brunn (1758–1831) pensorten. Darunter fanden sich auch einige aus dem Jahr 1789 mit einer Beschreibung des Karlsruher Neuzüchtungen. Karlsruher Schlosses, in der es heißt: »weiter

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 494 29.11.2015 12:57:13 oben fi nden sich noch jetzt vier und zwanzig leere Stübchen oder kleine Zellen, die von eben so viel jungen Mädchen bewohnt wur- den. Sie waren alle gleich geklei- det und ihre Bestimmung war, die prächtigen und kostbaren Tulipa- nen des fürstlichen Gartens […] sauber zu malen«3. Fälschlicher- weise wurde so kolportiert, dass die angestellten Hofsängerinnen die Tulpen malten, doch erledig- ten dies in Wirklichkeit professi- onelle Blumenmaler, von denen einige sogar namentlich bekannt sind. Am Karlsruher Hof waren etwa Georg Dionysius Ehret, der später zu einem der bekanntesten Blumenmaler des 18. Jahrhun- derts avancieren sollte, die Brü- der August Wilhelm und Ernst Friedrich Sievert, Philipp And- reas Eichrodt, Heinrich Lihl so- wie zwei Frauen mit den Namen M. Erlacher und A. S. Mez be- schäft igt. Doch nur wenige Werke Darstellung zweier Granatäpfel wie etwa die imposante Darstel- (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Sign. K 3301, Blatt 143) lung einer Papageientulpe wur- den auch signiert. Neben Tulpen und Narzissen lassen sich in den Blumenbü- chern zahlreiche Darstellungen von Hyazin- Für den Markgrafen nach Afrika: then, Ranunkeln, Anemonen und Aurikeln Der Hofgärtner Christian Thran entdecken. Es ging dem Auft raggeber um eine geradezu wissenschaft liche Erfassung der ein- Die Aquarelle der Karlsruher Blumenbücher zelnen Blumen. Mithilfe der Malerei konnten bezeugen zudem, wie sehr der Stadtgründer alle individuellen Details der Blüten festge- an der Artenvielfalt des Karlsruher Schloss- halten werden, während das Blattwerk bei der gartens interessiert war. Darstellung häufi g vernachlässigt wurde. Die Um in den Besitz exotischer Samen und einzigartigen Aquarelle tragen bis heute dazu Schösslinge zu gelangen, entsandte der Mark- bei, dass die einstige Pracht des Karlsruher graf seinen »Kunst- und Lustgärtner« Chris- Schlossgartens nicht in Vergessenheit gerät. tian Th ran (1701–1778) im Jahr 1731 sogar auf

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 495 29.11.2015 12:57:13 eine Expedition bis nach Nord- afrika, die im Auft rag von Kur- fürst Friedrich August I. von Sachsen (1670–1733) durchge- führt und fi nanziert wurde. Ein botanisch-wissenschaftlicher Pfl anzenkatalog des Karlsruher Schlossgartens, heute in der Uni- versitätsbibliothek Erlangen- Nürnberg verwahrt (H 61/TREW. Ex 1021), entstand direkt nach der Afrikareise von Christian Th ran und listet mehr als 2000 Pfl an- zensorten auf. So fi nden sich in diesem auch viele Nutzpfl anzen wie Ananas, Kaff ee, Lorbeer, Ba- nane sowie Melonenbaum und Granatapfel. Auch eine ansehnliche Oran- gerie war in Karlsruhe vorhan- den: Die Pomeranzen-, Orangen- und Zitronenbäume schmück- ten in der warmen Jahreszeit die Hauptalleen und Randbezirke des Schlossgartens, während sie im Winter in beheizten Gewächs- häusern untergebracht waren. Ein Inventar über »sämtliche Hoch- Amaryllis aus dem Karlsruher Blumenbuch fürstliche Orangerien zu Hofe zu (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Sign. K 3301, Blatt 42) Carolsruhe als Durlach« (GLA, Sign. Hfk -Hs Nr. 222) verzeich- net im Jahr 1727 für den Karlsru- her 1924 und für den Durlacher Schlossgarten 2667 Zitrusgewächse. Auch Der Karlsruher Schlossgarten Pfl anzen wie Oleander, Lorbeer, Palmen, am Lebensende von Granatäpfel (Abb. 6) und Ölbäume sind für Markgraf Karl Wilhelm den Karlsruher Schlossgarten nachzuweisen. Diesen seltenen und exotischen Pfl anzen des Im Mai 1738 erlitt Markgraf Karl Wilhelm Karlsruher Lustgartens widmet sich vor allem von Baden-Durlach einen Schlaganfall. Der der noch heute gebundene Band mit der Sig- Dichter Barthold Heinrich Brockes verar- natur K 3301 in der Badischen Landesbiblio- beitete den Todesfall kurz darauf in dem thek. Gedicht »Unverwelcklich-blühendes Ehren-

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 496 29.11.2015 12:57:13 Mahl« (BLB, Sign. RH O42B 62,5,4 RH) und Tulpomanie: Die Tulpe in der Kunst des 16. und 17. rühmte Karlsruhe als denjenigen Ort, an dem Jahrhunderts, hrsg. von André van der Goes, Dres- den 2004. der »große Blumen-Pfl eger Carl der Floren Annette Borchardt-Wenzel: Karl Wilhelm und sein wahres Schatzhaus« errichtete. Lyrische und Traum von Karlsruhe: Ein Badener im großen musikalische Zeugnisse für die Blumenliebe Welttheater, Gernsbach 2013. Karl Wilhelms existieren aber bereits aus Friedrich Leopold Brunn: Briefe über Karlsruhe, neu herausgegeben von Gerhard Römer, Karlsruhe der Zeit vor der Gründung Karlsruhes. 1713 1988. führte man in Durlach erstmals das Singspiel Mike Dash: Tulpenwahn: Die verrückteste Spekula- »Celindo. Hochgepriesene Gärtnertreue« auf. tion der Geschichte, München 1999. Mit der gefeierten Hauptfi gur des Gärtners Anne Goldgar: Tulipmania: money, honor, and knowledge in the Durch golden age, Chicago 2008. Celindo war niemand anderer als Markgraf Hans Merkle: Carl Wilhelm – Markgraf von Baden- Karl Wilhelm selbst gemeint. Durlach und Gründer der Stadt Karlsruhe (1679– Nachfolger Karl Wilhelms wurde sein En- 1738): Eine Biografi e, Heidelberg 2012. kel Karl Friedrich (1728–1811), der 1738 je- Anna Pavord: Die Tulpe: Eine Kulturgeschichte, doch erst neun Jahre alt war, so dass bis zu Frankfurt am Main 1999. Peter Pretsch (hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe): seiner Mündigkeit ein Regentschaft srat tä- Eine Afrikareise im Auft rag des Stadtgründers: tig war. Der Schlossgarten blieb während- Das Tagebuch des Karlsruher Hofgärtners Chris- dessen erhalten; der Pfl anzenbestand wurde tian Th ran, Karlsruhe 2008. kontinuierlich vermehrt. Erst mit der Schaf- Gerhard Stamm: Karlsruher Tulpenbuch. Eine Handschrift der Badischen Landesbibliothek mit fung einer axialen Zufahrt zum Karlsruher einer Einführung von Gerhard Stamm, Karlsruhe Schloss nahm Karl Wilhelms Nachfolger eine 1982. Umgestaltung des Schlossgartens vor, bei der Carl Eduard Vehse: Süddeutsche Fürstenhöfe, Bd. 2, ein großer Teil des mittleren Blumenparterres Karlsruhe 1921, S. 256–266. entfi el. Im Laufe seiner Regierungszeit entwi- ckelte Markgraf Karl Friedrich ebenfalls ein Anmerkungen großes Interesse an der Botanik. Seine Ehe- frau Karoline Luise von Hessen-Darmstadt 1 Zitat aus dem Gedicht »Auf eine Hyazinthe« (1743) (1723–1783) unterhielt enge Kontakte zum von Carl Friedrich Drollinger (1688–1742). 2 Vehse 1921, S. 256–266. schwedischen Naturforscher Carl von Linné 3 Brunn 1988, S. 24. und plante sogar ein umfangreiches Sammel- werk mit Kupferstichen sämtlicher Pfl anzen des Karlsruher Schlossgartens herauszubrin- gen, das die wissenschaft liche Erfassung aller vorhandenen Pfl anzen fortgeführt hätte.

Literaturverzeichnis Anschrift der Autorin: Karen Evers Badische Landesbibliothek Ausstellungskatalog »Mit 100 Sachen durch die Lan- Presse- und Öffentlichkeitsarbeit desgeschichte«. Erbprinzenstraße 15 Mit 100 Sachen durch die Landesgeschichte: Jubilä- 76133 Karlsruhe umsausstellung zum 50. Geburtstag des Landes E-Mail: [email protected] Baden-Württemberg, Karlsruhe 2002. www.blb-karlsruhe.de Ausstellungskatalog »Tulpomanie«.

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489_Evers - Tulpenausstellung.indd 497 29.11.2015 12:57:13 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Karl Wilhelm – Wie er wirklich war

Jacqueline Maltzahn-Redling

Von kräft iger Statur, energisch, klug, charmant und höchst attraktiv soll er gewesen sein: Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach. Mit der Gründung der Residenz Carols’ Ruhe 1715 schrieb der Markgraf eine wahre Erfolgsgeschichte. Heute ist Karlsruhe mit rund 300 000 Einwohnern nach Stuttgart die zweitgrößte Stadt des Landes Baden-Württemberg. Aus An- lass des 300-jährigen Stadtjubiläums würdigte das Badische Landesmuseum Karlsruhe in seiner Großen Landesausstellung Karl Wilhelm 1679–1738 erstmals Leben und Wirken des legendären Stadtgründers und konnte hierfür kostbare, sehr persönliche, nie zuvor öff entlich gezeigte Exponate in die ehemals markgräfl iche Residenz zurückholen. Aus dem Zusammen- spiel von barocker Rauminszenierung und neuen Vermittlungsformaten gelang eine lebendige, informative Ausstellung, die nicht nur den Karlsruhern in Erinnerung bleiben wird.

Vor Kraft strotzend, willensstark, umfang- gerade 30 Jahre alt. Die Markgrafschaft Ba- reich gebildet und äußerst charmant soll, so den-Durlach, durch territoriale Zersplitte- die Chronisten, Markgraf Karl Wilhelm ge- rung bereits geschwächt, war durch Kriege wesen sein. Wesentlich zu diesem Bild trugen und Hungersnöte stark in Mitleidenschaft ge- auch die häufi g zitierten Worte eines Zeitge- zogen.2 nossen, des Historikers Johann Daniel Schöpf- Dennoch zeigte sich Markgraf Karl Wil- lin (1694–1771), bei: Da die Natur, so schrieb helm sehr ambitioniert, seinen Aufstieg an er 1766 in seiner badischen Geschichte1, sich die Führungsspitze auch äußerlich zu de- nicht entscheiden konnte, ob sie nun aus ihm monstrieren. Er versuchte zunächst mit allen einen Herkules oder Amor, den Sohn der Ve- Mitteln, die Karlsburg, die alte markgräfl iche nus, machen sollte, entschied sie sich schließ- Residenz in Durlach, auszubauen. Dieser Plan lich für beides. scheiterte jedoch an der städtebaulichen Situ- Als sein Vater Markgraf Friedrich VII. ation, den zu hohen Baukosten und nicht zu- Magnus 1709 starb und Karl Wilhelm die letzt an den Bewohnern selbst, die wenig Be- Schlachtfelder des Spanischen Erbfolgekriegs reitschaft zeigten, Grundstücke zu verkaufen (1701–1714) verlassen musste, um die Staats- und höhere Abgaben zu leisten, mit denen ihr geschäft e und damit ein Territorium mit rund neuer Landesherr sein ehrgeiziges Bauprojekt 47 000 Einwohnern zu übernehmen, war er zu fi nanzieren gedachte. Da bereits sein Vater

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 498 29.11.2015 12:45:51 chronisch knapp bei Kasse gewesen war, er- wiesen sich die fi nanziellen Ressourcen, auf die Karl Wilhelm zurückgreifen konnte, als äußerst bescheiden. Auch standen Investiti- onen für den Wiederaufb au seines Landes an. Der weitsichtige Karl Wilhelm hatte bei sei- nem Regierungsantritt bereits die Konsolidie- rung des Staatshaushaltes im Blick. Mit eiserner Disziplin und straff er Hand machte er sich daran, den Staat und die Ver- waltung neu zu ordnen und die Korruption zu bekämpfen. Unter seiner Regierung sollte ein schärferer Wind wehen! Von seinen Beamten erwartete der neue Landesherr absoluten Ge- horsam, Pünktlichkeit und Pfl ichtbewusst- sein! Das machte aus Sicht Karl Wilhelms eine größere Kontrolle erforderlich! Zu den Neuerungen, die er einführte, gehörten u. a. der Amtseid und eine wöchentliche Audienz. Markgraf Karl Wilhelm, Werkstatt Johann In seinem zentralistischen Verwaltungssys- Ludwig Kisling, um 1775 (© Badisches tem behielt Karl Wilhelm als höchste Instanz Landesmuseum Karlsruhe, Foto: Th. Goldschmidt) die Oberaufsicht und gab sich damit als abso- lutistischer Staatsmann. Das gültige Strafrecht sah zwar weiterhin tracht. Auch eine Zweitehe, die sein Schwager, Folter und Blutgerichte vor, doch ließ Karl der württembergische Herzog Eberhard Lud- Wilhelm in seinen Urteilen zuweilen Gnade wig zuvor mit seiner Geliebten Wilhelmine walten. Im Falle eines 14-jährigen Jungen, der von Grävenitz geschlossen und damit einen der Sodomie an einem Kalb überführt wor- handfesten Skandal ausgelöst hatte, zog der den war, verzichtete der Landesfürst auf die badische Markgraf nicht in Erwägung. Zu gesetzlich vorgesehene Hinrichtung und ver- groß war seine Furcht davor, in der Öff ent- wies den Delinquenten nach einer Prügel- lichkeit, wie der württembergische Herzog strafe lediglich des Landes. Hatte ihn seine zu zuvor, als Bigamist beschuldigt zu werden. dieser Zeit entbrannte Liebe zu Eberhardine Außerdem sah das von ihm selbst erlassene Luise von und zu Massenbach, Tochter eines Landrecht, über das er sich auch als vorbildge- schwäbischen Barons, gar milde gestimmt? bender Landesherr nicht hinwegsetzen wollte, Seit 1709 pfl egte Karl Wilhelm eine leiden- für das »Laster zweyfacher Ehe« eine harte schaft liche Liebesbeziehung mit der 19-Jäh- Strafe vor: Darin heißt es, »[…] so achten Wir rigen. Eine Scheidung der dynastischen Ehe doch/daß solche Ubelthat einem Ehebruch/ mit Magdalene Wilhelmine, die 1697 von sei- ihrer Enormitaet halben/vorzuziehe seye. nen Eltern und dem Hause Württemberg im Setzen/ordnen und wollen demnach/daß wo Interesse der territorialen Stärkung arrangiert ein Ehemann ein ander Weib/oder ein Ehe- worden war, kam für ihn jedoch nicht in Be- weib einen andern Mann/bey wehrender ers-

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 499 29.11.2015 12:45:52 stand ganz im Zeichen des Absolutismus. Als barocker Fürst liebte er Prachtentfaltung und große Gesten. Doch die Residenz seiner Vor- fahren in dem beengten Städtchen Durlach erschien ihm für Inszenierungen dieser Art ungeeignet. In der weiten, noch unbesiedel- ten Rheinebene, im markgräfl ichen Wald- und Jagdgebiet fand Karl Wilhelm dagegen ideale Bedingungen vor, um seine Vision von einer barocken Schlossanlage, die nach allen Regeln zeitgemäßer Baukunst und nach dem Vorbild von Versailles errichtet werden sollte, realisieren zu können. Am 17. Juni 1715 war es soweit: Markgraf Karl Wilhelm von Baden- Durlach legte den Grundstein zu seiner neuen Residenz. Die Symmetrie und Harmonie der Archi- tektur mit ihren klaren Formen und Struk- turen sollte den landesherrlichen Ordnungs- willen und seine Staatsidee zum Ausdruck Markgräfin Magdalene Wilhelmine von bringen. Der neue Fürstensitz hatte, so die Baden-Durlach, Philipp Heinrich Kisling, Vorstellung des Markgrafen, ein dauerhaft es 1738–1742, Öl auf Leinwand (© Staatliche Schlösser und Gärten Symbol seiner selbst zu sein und sollte ihm Baden-Württemberg, Schloss Ludwigsburg) endlich die Kulisse bieten, die eines Markgra- fen aus dem Hause Baden-Durlach würdig schien. ter Ehe/wissentlicher und betrüglicher weiß/ Anlässlich der Gründungsfeier war dem in gestalt der Ehe/nimmt auch solche zwifa- Grundstein auch ein vom Prorektor des Dur- che Ehe/mit dem Beyschlaff vollbringet/der lacher Gymnasiums, Johann Caspar Malsch, oder dieselbe […] an Leib und Leben gestrafft verfasstes Gedicht beigelegt worden, das die werde.« Hoff nung aller Anwesenden auf eine blü- Der verliebte Karl Wilhelm wollte die Af- hende Zukunft zum Ausdruck bringen sollte: färe dennoch nicht als kurzfristiges amourö- Möge dieser Stein, welcher jetzt von Karl ses Abenteuer verstanden wissen und setzte gelegt wird, um in die aufgegrabene Erde ver- daher einen »eheförmlichen« Vertrag auf, in senkt zu werden, und zugleich den zu den Ge- dem er Eberhardine Luise zu ewiger Liebe stirnen aufgebauten Turm zu tragen, fortbe- und Treue verpfl ichtete. Um sie materiell ab- stehen und Jahrhunderte überdauern, und je zusichern, überschrieb er ihr Schloss Wangen länger er dauert, desto mehr möge er auch er- im Breisgau und der 1710 geborenen gemein- starken und sich ausbreiten. samen Tochter Caroline Luise das südlich von Karlsruhe gelegene Gut Hohenwettersbach. Nach den Regeln eines idealisierenden Ord- Das Leben des Markgrafen Karl Wilhelm nungsprinzips erbaut, erhob sich im Zentrum

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 500 29.11.2015 12:45:52 kranz waren als Sinnbild seiner Staatsmacht und der das Land und die Untertanen ordnen- den Kräft e gedacht. Die Radialstraßen trugen zunächst die Namen der Ritter des »Ordens der Treue«, der noch am Gründungstag von Karl Wilhelm gestift et worden war. Der ihm von den Ordensrittern geleistete Treueschwur sollte sich symbolisch auch in der Namensge- bung widerspiegeln: Auf dieser Treue, so der

Fidelitas-Orden, Karlsruhe, um 1900 Wunsch Karl Wilhelms, sollte seine Stadt für (© Badisches Landesmuseum Karlsruhe, die Ewigkeit gebaut sein. Foto: Th. Goldschmidt) Mit der Grundsteinlegung zum Turm, der Urzelle der Schlossanlage, begann 1715 auch die Geschichte der nach ihm benannten Stadt der symmetrischen Gesamtanlage der acht- Carols’ Ruhe. eckige Turm. Von hier führten – gleich den Als weitsichtig für die Entwicklung seiner Strahlen einer Sonne – 32 Wege ins markgräf- Residenzstadt erwies sich Karl Wilhelms Ent- liche Land hinaus. Der Schlossturm und der schluss, 1715 einen Freiheitsbrief zu versen- aus Wegen gebildete, umlaufende Strahlen- den, um für seine neu zu gründende Stadt

Ordensstauten des Fidelitas-Ordens, Karlsruhe, 1716, Pergament, Karlsruhe, Generallandesarchiv Inv. 47/1642, Eigentum Haus Baden

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 501 29.11.2015 12:45:52 Bürgerannahmegesuchen waren dem protes- tantischen Karl Wilhelm allerdings die Ver- mögensverhältnisse der Zuwanderer wichti- ger als deren Konfession. Antragsteller ohne jegliches Vermögen lehnte er kategorisch ab. Nach drei Jahren Bauzeit konnte der Mark- graf 1718 seine neue Residenz beziehen. Für ihn begann nun auch ein neuer Lebensab- schnitt – mit eigenem Hofstaat, jedoch ohne seine Frau Magdalene Wilhelmine und den drei gemeinsamen Kinder Karl Magnus (geb. 1701), Friedrich (geb. 1703) und Auguste Mag- dalene (geb. 1706), die weiterhin die mark- gräfl iche Residenz in Durlach bewohnten. In den nun folgenden 20 Jahren, bis 1738, widmete sich der Staatsmann Karl Wilhelm seinen landesherrlichen Aufgaben. Vor allem Fragen der Haushaltssanierung und Wirt- schaft sförderung trieben ihn um. Die im Zuckerstreuer. Durlach, um 1725, Fayence, Absolutismus vorherrschende Idee des Mer- BLM Inv. L 350, Dauerleihgabe Schloss Favorite, kantilismus zielte auf eine Sicherung und Er- Rastatt (© Badisches Landesmuseum Karlsruhe, höhung der Einnahmequellen auf der Grund- Foto: Th. Goldschmidt) lage staatlich gelenkter wirtschaft sfördernder Maßnahmen. Wie viele deutsche Fürsten ver- suchte auch Karl Wilhelm, durch die Grün- Handwerker und Gewerbetreibende anzu- dung u. a. von Tabak- und Fayencemanufak- locken. Mit der Ausarbeitung dieses Privile- turen, die Ausfuhr der Produkte und hohe gienbriefes betraute er den Kammerproku- Importzölle die stark in Mitleidenschaft ge- rator Johann Georg Förderer von Richtenfels. zogene Staatskasse wieder aufzufüllen. Erfolg Zu den 18 landesherrlichen Privilegien ge- bei der Konsolidierung der Finanzen erhofft e hörten u. a. die Zusicherung von kostenlosem sich Karl Wilhelm auch von den Naturwis- Bauland und -holz sowie eine Steuerbefreiung senschaft en. In seinen Laboratorien arbeite- für die Dauer von 20 Jahren, ein Privileg, das ten von früh bis spät Ärzte, Apotheker und bereits sein Vater Friedrich VII. Magnus 1699 Laboranten fi eberhaft an alchemistischen seinen Neubürgern zugestanden hatte. Die im Formeln, die unedle Metalle in Gold um- Westfälischen Frieden besiegelte Religionsto- wandeln sollten. Karl Wilhelm, seit jeher von leranz fand darin ebenso ihren Niederschlag. Neugier getrieben, kommentierte regelmäßig Carols’ Ruhe gehörte bald zu den Städten, in die Laborprotokolle. Nach 14 Jahren und her- der neben der lutherischen Landesreligion ben fi nanziellen Rückschlägen erlosch aller- Katholiken, Reformierte, also Calvinisten, dings auch diese Hoff nung. und Hugenotten sowie Juden ihren Glauben Sein weiteres Interesse galt der Nutzbar- praktizieren durft en. Für die Bewilligung von machung der natürlichen Reichtümer seines

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 502 29.11.2015 12:45:52 Landes. So trieb er die Gewinnung von Gold Nach Italien, dem Land, das er als jun- und Silber voran und versuchte, mit der Er- ger Prinz während seiner Bildungsreise be- richtung eines Fürsten- und Heilbades in reist und lieben gelernt hatte, entsandte Karl Langensteinbach, einem zwischen Karlsruhe Wilhelm seinen begabten Violinisten Johann und Pforzheim gelegenen kleinen Ort, zah- Melchior Molter, um die »italienische Manier« lungskräft ige Kurgäste anzuziehen. zu erlernen. Dort traf der spätere Hofk ompo- Bei aller Sorge um die Staatsfi nanzen durf- nist die großen Musiker Antonio Vivaldi und ten – zu des Fürsten Divertissements – die Alessandro Scarlatti. Lustbarkeiten nicht zu kurz kommen. Mit Musik sorgte für Karl Wilhelms Ruhe und großem Aufwand widmete er sich seinen Entspannung von täglichen Regierungsge- zahlreichen Neigungen und Interessen. Schon schäft en. Hoch in seiner Gunst standen die zu Lebzeiten legendär war die Leidenschaft Hofsängerinnen, die ein festes Gesangs – und des Markgrafen von Baden-Durlach für die Tanzensemble bildeten. Aus einfachen Ver- Botanik und insbesondere für die Tulpen. So- hältnissen stammend, erhielten die stimm- gar August der Starke, Kurfürst von Sachsen, begabten jungen Frauen Unterricht bei fran- (1670–1733) soll ihn um seinen Lustgarten zösischen Tanzmeistern. Sie wirkten bei der beneidet haben. Seit 1711 war Karl Wilhelm Tafelmusik und bei Auff ührungen im Hof- daher mehrfach nach Holland aufgebrochen. theater mit. Einige der Sängerinnen bewohn- Wenn unter lautem Kanonenhall die vielbe- ten kleine Kammern im Turm des Schlosses. staunte markgräfl iche Schiff sjacht in Schröck am Rhein (dem heutigen Leopoldshafen) ablegte, begab sich Karl Wilhelm nicht als Staatsmann, sondern als Blumenliebhaber auf die Reise. In Amsterdam und Haarlem, dem berühmten Blumenzentrum, wo er bald schon ein kleines Anwesen sein eigen nannte, besuchte er Gartenanlagen, nahm an Tulpen- auktionen teil und investierte ein Vermögen in Tulpenzwiebeln. Weitab vom strengen Hof- zeremoniell durft en sich die Mitreisenden auf diesen mehrmonatigen Reisen bei Trinkgela- gen und Bordellbesuchen vergnügen. Nicht selten kehrte der Markgraf auch mit exoti- schen Tieren an Bord, wie Paviane, Tiger und Papageien, in die Markgrafschaft zurück. Größtes Vergnügen fand Karl Wilhelm am Ballett, an Dramen und derben Possen- spielen, und nicht zuletzt an der italienischen Oper. Dafür hielt er sich eine feste Hofk apelle, Serinette zum Abrichten von Singvögeln, die mit 32 Musikern und zeitweise bis zu 86 Mirecourt, um 1770 Sängerinnen deutlich über dem Standard ver- (© Badisches Landesmuseum Karlsruhe, gleichbarer Fürstenhöfe lag. Foto: Th. Goldschmidt)

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 503 29.11.2015 12:45:53 Prospekt der Stadt- und Schlossanlage, Christian Thran, Karlsruhe 1739, Kupferstich (© Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

Von dort war das markgräfl iche Schlafgemach sprächsthema! Dort lebte Liselotte von der über eine Galerie und den Gang im Westfl ü- Pfalz (1652–1722), die mit Herzog Philipp von gel direkt erreichbar. Wohl sehr zur Freude Orléans (1640–1701), dem Bruder des franzö- des Markgrafen! Von den insgesamt weit über sischen Königs Ludwig XIV. (1638–1715), ver- 140 Sängerinnen, die bis 1733 in seinen Diens- heiratet war. Sie empörte sich über Karl Wil- ten standen, stellte er bei etwa 20 seine landes- helms »ridicüles Serail« und bezeichnete ihn herrliche Zeugungskraft von Gottes Gnaden in ihren berühmten Briefen als großen Nar- unter Beweis. ren, als »Narr in Folio«. Die amourösen Abenteuer am Karlsruher Doch mit fortschreitendem Alter fühlte Hof wurden sogar am französischen Hof Ge- sich Karl Wilhelm, der einst badische »Her-

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 504 29.11.2015 12:45:53 kules«, zunehmend erschöpft . Traurige Ereig- seine letzte Ruhestätte. Damit hatte sich Karl nisse wie der Tod seiner drei ehelichen Kinder Wilhelm gegen eine Beisetzung in der Schloss- und die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit und Stift skirche in Pforzheim entschieden, trugen zur Verschlechterung seines Gesund- der ursprünglichen Grablege der badischen heitszustandes bei. Als am 6. Juni 1737 seine Markgrafen. Über der Krypta erhebt sich seit Leibärzte einen Schlaganfall mit vorüberge- 1825 die von Friedrich Weinbrenner geplante henden Lähmungserscheinungen diagnosti- Pyramide, die bis heute ein Wahrzeichen der zierten, ließen sie ihn schnellstens zur Ader. Stadt Karlsruhe ist. Karl Wilhelm spürte nun, mit Mitte 50, die Folgen starken Rauchens und einer fettlas- Ad notam: Rund 890 km von Karlsruhe ent- tigen, kalorienreichen Ernährung. Überge- fernt liegt das polnische Carlsruhe. Beim Bau wichtig wie er war, litt er an Atemnot und ei- seines Jagdsitzes 1748 orientierte sich Herzog nem Engegefühl im Brustbereich. Am 11. Mai Carl Christian Erdmann von Württemberg- 1738 begab er sich noch einmal an den Ort sei- Oels am badischen Karlsruhe. ner früheren Gemüthsergötzung, den vielge- rühmten Karlsruher Lustgarten, wo er einst 300 Kanarienvögel hielt und sich mit der Seri- Karl Wilhelm – Die Große nette zuweilen die Zeit vertrieb. Dort bot ihm Landesausstellung im Badischen der Anblick der über 6000 Pomeranzen- und Landesmuseum Karlsruhe Zitronenbäume vielleicht einen Moment der Freude. Auch war die Blütezeit seiner geliebten Als legendärer Stadtgründer, passionierter Tulpen noch nicht vorüber, und die Farben- Tulpenzüchter und nicht zuletzt als badischer pracht der über 5000 Sorten überwältigend. Casanova blieb er der Nachwelt in Erinne- Die »über 2000 unterschiedliche(n) Gattun- rung: Markgraf Karl Wilhelm von Baden- gen der raresten exotischer und indianischer Durlach. Bei aller romantischen Verklärung Gewächse«, die in den Gewächshäusern den und Legendenbildung ist es jedoch sein ehr- Winter überstanden hatten, erschienen ihm, geiziges Bauprojekt, die Residenz in Karls- sein Ende ahnend, als Sinnbild seiner Herr- ruhe, womit der badische Landesfürst weit schaft von Gottes Gnaden. An diesem Ort der über die Grenzen des deutschen Südwestens Ruhe »worauf die lieblich süssen Düft e von hinaus nicht nur sich selbst ein Denkmal Narden und von Balsam rauchen, worauf viel von historischer Bedeutung geschaff en hatte. Millionen Düft e von Mosch(us) und Ambra Nach der Grundsteinlegung zum Schloss- sich erheben«, wie der Dichter Barthold Hein- bau am 17. Juni 1715 sollte sehr bald die nach rich Brockes in seinem Ehren-Mahl für Karl seinem Gründer benannte Stadt daraus her- Wilhelm 1738 den Garten beschrieb, hier war vorgehen: Carols’ Ruhe. Heute ist die badi- es, »da der theure Marggraf von uns noch sche Metropole mit rund 300 000 Einwoh- gestern Abschied nahm. Seht, Kinder! Sprach nern nach Stuttgart die zweitgrößte Stadt des Er bey den Tulpen, wie wir die Blätter fallen Landes Baden-Württemberg. Eine wahre und seh’n, so wird es auch bald Mir ergeh’n.« Karl auch badische Erfolgsgeschichte! Wilhelm starb am 12. Mai 1738 in den frühen Zum 300. Stadtjubiläum Karlsruhes wür- Morgenstunden in seinem Schlafgemach. Die digte das Badische Landesmuseum daher evangelische Stadtkirche in Karlsruhe wurde erstmals den Markgrafen von Baden-Durlach

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 505 29.11.2015 12:45:53 mentarisch gebliebene Bild Karl Wilhelms zu vervollständigen. Eine Sensation war beispielsweise der Fund eines Frauenbildnisses, das wir anhand eines Gemäldeinventars aus dem 18. Jahrhundert eindeutig als Eberhardine Luise von und zu Massenbach identifi zieren konnten. Spätes- tens seit 1709 verband den verheirateten Karl Wilhelm mit dieser jungen, bis dahin nur na- mentlich bekannten Schwäbin eine mehrjäh- rige Liebesbeziehung, aus der zwei gemein- same Kinder hervorgingen. Auf der Suche nach Objekten gelang es uns auch, das Original des bislang lediglich als Kopie bekannten Bildnisses des Hofgärtners Christian Th ran in Privatbesitz ausfi ndig zu Eberhardine Luise von Massenbach, machen. Somit fand auch dieses Exponat zum Künstler unbekannt, 1. Hälfte 18. Jh., ersten Mal den Weg in eine Ausstellung. Öl auf Leinwand (© Freiherr von Dass das beim Adel seinerzeit sehr verbrei- Massenbach’sche Waldstiftung, Schwaigern) tete Tabakrauchen ebenfalls zu Karl Wilhelms Vorlieben gehörte, belegten sorgfältige Recher- chen im Familienarchiv. Demnach befanden und rückte seine Person in drei chronologisch sich 73 Tabakspfeifen in Karl Wilhelms Be- aufeinanderfolgenden Hauptthemenberei- sitz. Darunter auch eine kunstvoll geschnitzte chen ins Zentrum der Großen Landesausstel- Meerschaumpfeife – eine von zahlreichen lung Karl Wilhelm 1679–1738. Leihgaben des Hauses Baden, Salem – die mit Für die kulturhistorisch ausgerichtete Prä- dem markgräfl ichen Wappen versehen und sentation, deren Besonderheit auch darin be- von einem silbernen Fürstenhut bekrönt, zu stand, dass sie am Originalschauplatz, dem den Highlights der Ausstellung gehörte. ursprünglichen Fürstensitz, stattfand, war es uns gelungen, kostbare, sehr persönliche Ex- ponate aus öff entlichen und privaten Samm- lungen in die Schlossräume zurückholen. Ebenso erwiesen sich umfangreiche Recher- chen in den Archiven, insbesondere im Ge- nerallandesarchiv in Karlsruhe, als sehr er- giebig bei der Spurensuche. Dabei kamen u. a. Schreibübungs- und Studienheft e des jungen Karl Wilhelm zutage, Briefe, Rezeptbücher, Urkunden und Pläne, die nun erstmals der Öff entlichkeit gezeigt werden konnten und Meerschaumpfeife aus Karl Wilhelms die es ermöglichten, das bislang eher frag- Besitz, 18. Jh. (© Haus Baden, Salem)

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 506 29.11.2015 12:45:53 Impression aus der Ausstellung (© Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Foto: ONUK)

Vor barocker Kulisse – Ausstellungsbereich, der mit der Geburt Karl Die Inszenierung Wilhelms 1679 begann, wurden die Besucher, ganz im Sinne des Barock, mit einem (opti- Ein barockes Th ema gestalterisch umzuset- schen) Paukenschlag in Empfang genommen. zen, zumal in Räumen, deren ursprüngliche Dort übernahm eine lebensgroße Nachbil- Charakteristik durch nutzungsorientierte dung3 des einstigen Schlossherrn persönlich Baumaßnahmen im 20. Jahrhundert verloren die Begrüßung vor barocker Th eaterkulisse. gegangen ist, stellte das Ausstellungsteam vor Hautnah, so die kuratorische Idee, und mit eine besondere Herausforderung. Als Vorgabe einem Augenzwinkern, sollten die Besucher für die Raumentwürfe des externen Ausstel- ihren Karl Wilhelm erleben und Selfi es ma- lungsbüros diente das kuratorische Konzept, chen, ein Angebot, das von allen Altersgrup- ein über 130 Seiten umfassendes Drehbuch, in pen gerne angenommen wurde! dem die rund 250 Exponate 27 Th emenberei- Dieser erste von drei Hauptthemenberei- chen zugeordnet waren. chen wurde als begehbares Barocktheater Karl Wilhelm von Baden-Durlach war ein gestaltet, für dessen Bühnenbild der »Stadt- absolutistischer Fürst und als solcher liebte brand in Durlach«4 als Vorlage diente. Die er, wie seine Zeitgenossen, die großen Gesten Darstellung der brennenden Residenzstadt ist und theatralischen Inszenierungen. Im ersten die einzig erhaltene und verweist auf die ver-

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 507 29.11.2015 12:45:54 heerende Zerstörung Durlachs durch franzö- Ordens, das Ordenskreuz Karl Wilhelms, eine sische Truppen während des sog. Pfälzischen vergoldete Taufgarnitur, ein Familienporträt Erbfolgekriegs (1688–1697). Damit lieferte und nicht zuletzt ein beschrift etes Holzbrett das Leitmotiv des ersten Raums die inhaltli- von 1726 als beredtes Zeugnis für Karl Wil- che Überleitung zum zweiten Ausstellungsbe- helms Geselligkeit. reich, der sich der neuen Residenz in Karls- Der letzte Ausstellungsteil mit dem Raum- ruhe widmete. titel »Ein Barockfürst zwischen Lust und Um diesen Teil zu erreichen, musste der Be- Last« umfasste die Jahre in der Karlsruher sucher eine Waldinszenierung durchschrei- Residenz bis zu Karl Wilhelms Tod 1738. ten, die gestalterisch Bezug nahm auf die Ver- Hier fand sich der Besucher in einem nach legung der ehemaligen Residenz Durlach in dem barocken Ordnungsprinzip angelegten das markgräfl iche Jagdrevier, den Hardtwald. Lustgarten wieder, in dem an zentraler Stelle Von der Jagdfl inte, über einen Deckelpokal ein Tulpenbeet inszeniert war. Die Architek- bis zum Hundehalsband mit markgräfl ichem tur bestand aus einzelnen raumschaff enden Wappen wurden hier Exponate gezeigt, die »Bosketten«, in denen Th emen wie Merkan- auf das fürstliche Jagdprivileg des Markgra- tilismus, Alchemie, Hofmusik, Reisen und fen Karl Wilhelm verwiesen, der 1709 durch Botanik beleuchtet wurden. Wie belesen und den Tod seines Vaters Friedrich Magnus an wissbegierig Karl Wilhelm tatsächlich war, die Regierungsspitze aufgerückt war. belegte beispielsweise die Inszenierung seiner Die strahlenförmige Anlage der Karlsru- umfangreichen Hofb ibliothek. Auch der Hof- her Residenz war im nun erreichten zweiten staat war mit 471 Schachfi guren eindrücklich Ausstellungsbereich gestalterisch aufgegrif- in Szene gesetzt. fen. Über die gesamte Länge gespannte, rote Inhaltlich ergänzt wurden die Originalob- Richtschnüre liefen auf die abschließende jekte durch audiovisuelle Medienstationen, Raumgrafi k – einer Vergrößerung des Ideal- die als Vertiefungsebenen dem Besucher die plans von 17215 – zu und bündelten sich im Möglichkeit boten, weitere Details beispiels- Schlossturm, der Urzelle der Gesamtanlage. weise über Karl Wilhelms Strafrecht oder den Parallel darunter montierte Stellwände und ihm gewidmeten Fürstenspiegel »Politischer Vitrinen zeigten Baupläne, Urkunden, den Lustgarten eines Regenten« von 1709 zu er- Privilegienbrief und Objekte, wie beispiels- fahren. weise eine Lade der Schreinerinnung von 1717, Als überaus erfolgreich erwies sich ein und liturgische Geräte, die die Anfänge der neues Vermittlungsformat, die sogenannten Stadtentwicklung dokumentierten. Auf diese Sprechenden Bilderrahmen. Das Porträt Karl Weise bildete die raumgreifende Architektur Wilhelms, dem das im Besitz des Badischen eine sichtbare Symbiose mit der inhaltlichen Landesmuseums befi ndliche Originalge- Ausrichtung dieses Th emenbereichs. mälde und Hauptmotiv der Großen Landes- Gewissermaßen als Herzstück der Ausstel- ausstellung zugrunde lag, konnte der Besu- lung lag – als Raum im Raum – die nun fol- cher per Knopfdruck animieren. Die aus ku- gende begehbare »Schatzkammer«. Hier wur- ratorischer Feder stammenden Sprechtexte den exklusiv Objekte aus dem Familienbesitz basierten inhaltlich auf Originaldokumenten. des Hauses Baden gezeigt. Zu den Highlights Auf diese Weise kam Karl Wilhelm selbst zu gehörten u. a. die Ordenspokale des Fidelitas- Wort und erzählte auf amüsante Weise ein-

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 508 29.11.2015 12:45:54 zelne Lebensepisoden aus der Ich-Perspek- 3 Zur Errechnung der Größe der Silikon-Figur lag tive. dem Maskenbildner der Gipsabguss der Karl Wil- helm Büste von 1729 zugrunde. 4 Th eophil Wahrmund, nach Matthäus Merian d. J., Schirmherren der Großen Landesausstellung: Kupferstich, 1691, Karlsruhe Stadtarchiv, Inv. 8/ Ministerpräsident des Landes Baden-Würt- PBS oXIIIa 192a. temberg Winfried Kretschmann, Bernhard 5 Heinrich Schwartz, Prospekt der Schloss- und Stadtanlage, Karlsruhe, 1721, Kupferstich, o. Inv. Prinz von Baden

Ausstellungskatalog: Karl Wilhelm 1679–1738, 336 S., farbige Abb., Abb. aller Exponate, ein Standardwerk

Anmerkungen

1 Johann Daniel Schöpfl in, Historia Zaringo baden- sis, Karlsruhe 1766. 2 Im Kampf um die politische Vormachtstellung in Europa lieferten sich der französische König Anschrift der Autorin: Ludwig XIV. (1638–1715) und Kaiser Leopold I. Jacqueline Maltzahn-Redling (1658–1705) aus dem Hause Habsburg erbitterte Kuratorin und Projektleiterin Schlachten. Die Markgrafschaft Baden-Durlach Schloss Neuenbürg geriet dabei immer wieder zwischen die Fronten 76337 Waldbronn der Kriegsgegner Frankreich und das Heilige Rö- [email protected] mische Reich.

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498_Maltzahn-Redlin_Karl Wilhelm.indd 509 29.11.2015 12:45:54 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

En Voyage – die Europareisen der Karoline Luise von Baden Ausstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe

Wolfgang Zimmermann

Zum Karlsruher Stadtgeburtstag 2015 lud das Generallandesarchiv seine Besucherinnen und Besucher zu einer Reise der besonderen Art ein: Gemeinsam mit der gebildeten Markgräfi n Karoline Luise von Baden konnten sie die Metropolen Europas besuchen, aber auch die badi- schen Lande kennen lernen. Wertvolle Exponate aus den eigenen Beständen zusammen mit hochkarätigen Leihgaben aus Museen machten deutlich: In der Aufk lärungszeit wurde Europa zu einem realen „Erfahrungsraum“. Die junge Residenzstadt Karlsruhe wurde zu einem klei- nen, aber veritablen Punkt auf der intellektuellen Landkarte des Kontinents.

Reisen, so formulierte im Jahr 1765 die Ency- Austausch im privaten Rahmen oder in ge- clopédie, mache nach dem Urteil von aufge- lehrten Gesellschaft en orientierte sich nicht klärten Menschen einen wichtigen Bestand- mehr an nationalen, territorialen oder kon- teil in der Ausbildung der Jugend aus. Reisen fessionellen Grenzen. Durch den Austausch bereichere den Geist (»l’esprit«), erweitere das von Briefen entstanden Netzwerke gebildeter Wissen und bekämpfe nationale Vorurteile. Korrespondenzpartner und -partnerinnen. Was man auf Reisen lerne, so fährt das re- Reisen trugen ihren Teil bei zum Aufb au einer nommierte Lexikon der französischen Auf- »aufgeklärten Öff entlichkeit«. Europa wurde klärung fort, könne nicht durch die Lektüre zu einem Erfahrungsraum ganz neuer Art. von Büchern oder durch die Berichte anderer In der Ausstellung »En Voyage«, die im ersetzt werden. Karlsruher Jubiläumssommer 2015 im Gene- In fast schon pathetischen Worten be- rallandesarchiv gezeigt wurde, ging es also schreibt der knappe Lexikoneintrag ein ge- nicht um Urlaubsfeeling und Freizeitkultur, wandeltes Lebensgefühl. Aufgeklärte Men- sondern die Schau vermittelte den zahlreichen schen, »personnes éclairées«, wie sie der Text Besucherinnen und Besuchern vielfältige Ein- nennt, erschlossen sich in der zweiten Hälft e blicke in die Kultur- und Geistegeschichte des des 18. Jahrhunderts neue Horizonte des For- 18. Jahrhunderts und zeigte zugleich neue schens und des Wissens. Der intellektuelle Seiten der Persönlichkeit der gebildeten und

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510_Zimmermann - En vojage.indd 510 29.11.2015 13:40:49 Antonio Canal, gen. Canaletto (Nachahmer), Der »Bucintoro«, das Staatsschiff Venedigs am Molo, wohl 3. Viertel des 18. Jahrhunderts (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

kunstsinnigen Markgräfi n Karoline Luise von Bänden im Großherzoglichen Familienarchiv Baden (1723–1783). im Generallandesarchiv erhalten, bildete dafür Die Ausstellung war eng verbunden mit die singuläre Quellengrundlage. der Großen Landesausstellung »Die Meister- Als Kunstsammlerin, selbst malend und Sammler. Karoline Luise von Baden« in der in vielen Bereichen forschend, belesen und Staatlichen Kunsthalle. Beide Ausstellungen sprachgewandt machte Karoline Luise ge- basieren auf einem gemeinsamen Forschungs- meinsam mit ihrem Gatten, Markgraf Karl projekt, an dem neben den beiden Karlsruher Friedrich (1728–1811), Karlsruhe – quasi aus Einrichtungen die Università della Svizzera dem Nichts heraus – zu einem sicher kleinen, italiana, vertreten durch den Kunsthistoriker aber durchaus veritablen Punkt auf der kul- Christoph Frank, mitarbeitete und das von der turellen Landkarte Europas. Durch ihr dich- VolkswagenStift ung, Hannover, großzügig fi - tes Netzwerk an Korrespondenzpartnern und nanziell gefördert wurde. In dem Projekt be- durch ihre zahlreichen Reisen suchte sie den trachteten die Partner die badische Markgräfi n Anschluss der jungen Residenz an die intel- und ehrgeizige Kunstsammlerin konsequent lektuellen Metropolen des Ancien Regimes – »im europäischen Kontext«, wie es program- Begründung genug, diese Persönlichkeit der matisch der Untertitel des wissenschaft lichen Karlsruher Öff entlichkeit im Jubiläumsjahr Begleitbandes umschreibt. Die Korrespondenz 2015 näher zu bringen. der Markgräfi n, zusammen mit weiteren wich- In beiden Ausstellungen, in der Kunsthalle tigen Unterlagen zu ihrer Persönlichkeit in 154 wie auch im Generallandesarchiv, nahm je-

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510_Zimmermann - En vojage.indd 511 29.11.2015 13:40:50 Jean François Janinet nach Pierre-Antoine Demachy, Blick auf Paris vom Pont Royal nach Osten, um 1784/87 (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

weils ein prächtiger Schreibtisch der Kunst- Karoline Luise von Baden aus dem Haus schreinerfamilie Roentgen einen wichtigen der Landgrafen von Hessen-Darmstadt lebte Platz ein. Wir wissen, dass Karoline Luise an seit 1751 als Gattin des fünf Jahre jüngeren diesen Sekretären gearbeitet, Briefe gelesen Markgrafen Karl Friedrich in Karlsruhe. Seit und Schreiben verfasst hat. Diese Möbelstü- 1763 sind fast jährlich Reisen von ihr in weite cke standen paradigmatisch für Austausch Teile des Reichs, aber auch in verschiedene und Kommunikation, für Off enheit und die Regionen Europas belegt: in die Niederlande, Bereitschaft Neues zu erfahren und ständig nach Frankreich und Italien. Paris lag ihr be- den eigenen Horizont zu erweitern. In der sonders am Herzen: drei Mal, 1771, 1776 und Vorbereitung der Ausstellung waren wir uns 1783, fuhr sie in die Metropole an der Seine. einig, dass dieser Blick für den Geburtstag von Die Ausstellung im Foyer des Generallan- Karlsruhe angemessen ist, weil er ein wichti- desarchivs stellte drei Reisen genauer vor: die ges Charakteristikum der Stadt am Oberrhein Parisreise 1771, die Reise nach (Nord-) Italien zum Ausdruck bringt, die sich seit ihrer Grün- 1780 und als Besonderheit die Reise in die ba- dung nach außen, zu den Nachbarn hin ori- dischen Oberlande, also die südlichen Teile entierte, Impulse aufnahm und so Bestandteil der Markgrafschaft , 1773. Ein Sonderraum dieser europäischen Kernregion wurde. war als Kabinett gestaltet, in der die letzte

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510_Zimmermann - En vojage.indd 512 29.11.2015 13:40:50 immer wieder auf drei Aspekte, die in be- sonderer Weise als prägende Konturen der Persönlichkeit der Markgräfi n verstanden werden können.

Je criens le mediocre – ich hasse das Mittelmaß

Klappfächer mit antiken Szenen, Dieser Satz der Markgräfi n, den sie im Hin- Venedig 1760/80 (Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Foto: Thomas Goldschmidt) blick auf ihr Gemäldekabinett geschrieben hat und der immer wieder in der Großen Landes- ausstellung der Staatlichen Kunsthalle zitiert wurde, lässt sich – fast als Credo-artige Aus- Reise der Markgräfi n nach Paris nachgezeich- sage – auf das gesamte Schaff en der Markgrä- net wurde, auf der sie 1783 überraschend ver- fi n übertragen. Wenn Karoline Luise etwas starb. tat, dann nicht so nebenher, sondern mit vol- Besucherinnen und Besucher waren einge- ler Kraft – dies gilt auch für das Reisen. laden, mit der Markgräfi n auf Reisen zu ge- Denn Reisen war für sie keine Erholung, hen: Stadtansichten, Porträts, Dokumente, ein sondern harte Arbeit, dies begründete sich Trinkhumpen aus dem Forsthaus Kandern nicht nur aus den mühsamen Begleitum- und eine edle Sektfl öte, made in Gaggenau, stände: das permanente Schaukeln und Pol- aber auch die neuesten Haarmoden und die tern in den nur dürft ig gefederten Kutschen, aktuellen Modetrends aus Paris für das Jahr einfache Unterkünft e, Unfälle, die ungewollte 1770 waren zu sehen. Unterbrechungen mit sich brachten. Die sorg- Der umfangreiche Katalog, der in einem fältig geplanten Routen und die dicht gefüll- Band die beiden Ausstellungen in der Kunst- ten Besichtigungsprogramme forderten die halle und im Generallandesarchiv reich be- Reisegruppe und ließen wenig Raum für Er- bildert dokumentiert, hält über das Ende des holung. Festjahres 2015 hinaus die Ergebnisse der Prä- Karoline Luise ging immer bestens vorbe- sentationen fest. Auf ihn sei auch an dieser reitet auf Reisen. Ihre Agenten in Straßburg Stelle ausdrücklich verwiesen. und Paris hatten die erforderliche Literatur Welcher Persönlichkeit konnten die Besu- für sie zu besorgen. In der Ausstellung wa- cherinnen und Besucher in der Ausstellung ren die Reiseführer zu sehen, mit denen sie begegnen? Es gehört für Historiker zu den 1780 nach Italien aufb rach und in die sie zuvor schwersten Aufgaben, aus Dokumenten und in Karlsruhe ihre Notizen eingetragen hatte. Berichten, also aus Fragmenten eines geleb- Die Stadtpläne, die die Markgräfi n in Paris ten Lebens, ein Bild zu entwerfen, das der be- erwarb, haben sich im Generallandesarchiv schriebenen Person angemessen ist. Bei den erhalten. Lange Exzerpte von Kunstwerken, Führungen durch die Ausstellung, in den aber auch Beschreibungen von interessanten Einträgen im Gästebuch, aber auch bei den naturkundlichen Sammlungen belegen, wie Begleitveranstaltungen kam das Gespräch penibel sie ihre Reiseziele auswählte. Aber

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510_Zimmermann - En vojage.indd 513 29.11.2015 13:40:50 Stadtplan von Paris, 1768 (Generallandesarchiv Karlsruhe)

auch die Kurse der Postkutschen studierte der heutige Besucher wahrscheinlich ande- Karoline Luise vor Reisebeginn, schließlich ren Gemälden den Vorzug geben. Es ist off en- galt es im Ausland keine Zeit zu verlieren und sichtlich, dass gerade auf der Italien-Reise der vor allem unnötige Kosten zu verursachen. Führer von Nicolas Cochin, sie kannte den Man ließ sich nicht so leicht von verschlosse- Autor von ihren Parisbesuchen, ein tatsächli- nen Kirchentüren abwimmeln, und Karoline cher Führer war, dessen Prioritäten sie folgte Luise war auch zu einem klaren Urteil bereit: und dessen Urteil sich durchaus in den über- das Maison Carée in Nimes fand ihren Beifall, lieferten Mitschrieben wiederfi ndet. während die römischen Bauten in Verona, vor allem die Arena, dagegen nach ihrem Urteil stark abfi elen. Dennoch war sie natürlich auch Die Vielwißerin, in der Auswahl der Sehenswürdigkeiten ein Vielfragerin von Baden Kind ihrer Zeit und deren Vorlieben: vergeb- lich suchen wir auf den Besichtigungslisten Sie ist oft zitiert, diese Wendung, mit der Jo- von Paris die Kathedrale Notre Dame und die hann Caspar Lavater in einem Brief an Goe- Sainte-Chapelle. Auch in den Uffi zien würde the – wohl etwas spöttisch – die Markgräfi n

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510_Zimmermann - En vojage.indd 514 29.11.2015 13:40:50 beschrieben hat. Aber der Züricher Th eo- loge trifft ihren Charakter wohl sehr gut: Die Markgräfi n ging den Dingen auf den Grund – und dies durchaus auch einmal im wörtlichen Sinn. Auf der Reise durch die Obere Mark- grafschaft 1773 wollte die Reisegruppe sich über den Bergbau im Schwarzwald informie- ren. In Sulzburg stieg Karoline Luise kurzer- hand mit ihrem Mann und den beiden ältesten Söhnen in den Stollen ein und ließ sich unter Tage durch die Bergknappen deren Arbeit er- klären. Zuvor hatte man sich die erforderliche Schutzkleidung angezogen. Karoline Luise schreckte vor nichts zurück; bisweilen hört man in den Quellen förmlich das Stöhnen der Hofb eamten, »auch das noch«. So am 25. Au- gust 1773: In Hasel, einem kleinen Weiler im Wiesental, hatte der Ingenieur Johann Sebas- tian Clais eine Tropfsteinhöhle geöff net: das Bergmännleinsloch bzw. die Erdmannshöhle. Er lud die markgräfl iche Familie ein, als erste Karl Friedrich Autenrieth (?), Markgräfin gemeinsam mit ihm diese Höhle zu besich- Karoline Luise von Baden, 1783 (Staatliche tigen. Die Höhle habe «solche Zimmer und Kunsthalle Karlsruhe) Gänge, die eine kleine Stadt vorstellen und ein jedes Zimmer hat wieder seine besonde- ren Schönheiten«. Natürlich wollte man diese und publikumswirksamen Vor-Ort-Termin. Höhle sehen. Karl Friedrich und Karoline Sie ließ sich anschließend Gesteinsproben aus Luise stiegen in den Berg ein, allerdings ge- Hasel zusenden und analysierte sie auf deren trennt und auch die drei Buben wurden auf die mineralogische Zusammensetzung. Es ging beiden Gruppen verteilt. In der Ausstellung der Fürstin um tatsächliches Erforschen und waren zwei großformatige Sepia-Zeichnun- Verstehen, nicht um ein vordergründiges, un- gen dieser Gesteinsformationen von Friedrich verbindliches Anschauen. Wilhelm Gmelin ausgestellt: Sie lassen ahnen, welchen Eindruck die Welt unter Tage auf die Besucher machte. Der Chronist hielt fest: Die Fürstin – Landesmutter – Markgräfi n »verwechselten Ihren Anzug mit Mutter: Rollenzuschreibungen ganz gemeinen Kleidern und krochen selber und Lebensentwürfe mit dem unermüdeten Auge des Kenners und im späten 18. Jahrhundert Forschers der Natur in den schauerhaft en Ge- wölben herum«. Karoline Luise gab sich aber Karoline Luise verstarb überraschend auf ih- nicht mit dem Besuch der Höhle zufrieden, rer dritten Reise nach Paris. Bei der Ankunft sozusagen als einem politisch willkommenen des Leichnams in Karlsruhe in der Nacht des

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510_Zimmermann - En vojage.indd 515 29.11.2015 13:40:51 18. April 1783 hielt der badi- sche Hofprediger eine kurze Ansprache, in der er die be- sonderen Eigenschaft en und Verdienste der Markgräfi n drei verschiedenen Dimensi- onen, vielleicht eher drei Rol- len, die sie auszufüllen hatte, zuschrieb: der Fürstin, der Landesmutter und der Mut- ter. Interessanterweise werden ihre intellektuellen Fähigkei- ten der »Fürstin« subsumiert: »reich an Talenten und ausge- breiteten Kenntnissen, groß an Geist, Verstand und Muth Sammlung von Schreiben der Markgräfin Karoline Luise von […] klug in ihren Geschäft en«, Baden an ihren Sohn, Prinz Friedrich (Generallandesarchiv Karlsruhe, Eigentum des Hauses Baden) so würdigt er sie. Füllen wir den Begriff der »Fürstin« – wie auch von dem Hofprediger so getan – mit der Konnotation Die »Landesmutter«, die natürlich nicht der »Amateurin«, der Liebhaberin der Wis- ohne den »Landesvater« als Regenten zu senschaft en und Künste, so wird uns deutlich, verstehen ist, begegnete den Besucherinnen wie meisterhaft Karoline Luise es verstand, und Besuchern der Ausstellung auf der Reise die verschiedenen Rollenzuschreibungen mit durch die Oberlande. Zusammen mit Karl ihren eigenen Vorstellungen von einem erfüll- Friedrich spazierte Karoline Luise am Spät- ten Leben zu verbinden. In Paris 1771 gelingt nachmittag durch die Innenstädte von Em- es der Markgräfi n geschickt, die repräsenta- mendingen und Schopfh eim. Das Fürsten- tiven Verpfl ichtungen und die Erziehung der paar nahm Bittschrift en an und kümmerte Prinzen mit ihren persönlichen Interessen zu sich um die Sorgen der Menschen vor Ort – verbinden. Sie tauchte ein in die intellektuel- so lautet die symbolische Botschaft . In Kan- len Milieus der Stadt, besuchte Ateliers und dern ließ sich die Familie im Eisenwerk auf Galerien, verkehrte in Versailles aber auch mit die Waage setzen – so wissen wir, dass die der Dauphine Marie Antoinette, der Toch- füllige Markgräfi n nur wenig leichter war als ter der Kaiserin Maria Th eresia. Gleichzeitig ihr Mann. Im dortigen Forsthaus trank die sorgte sie dafür, dass die drei Prinzen auf Spa- Familie einen Schluck aus der Goldenen Sau, ziergängen genügend frische Luft bekamen dem traditionsreichen Humpen, und trug und täglich Unterricht erhielten. Und wenn sich gemeinsam in das Willkommbuch des auch dem Erbprinzen an einem Vormittag Hauses ein. Stolz schrieb der 10-jährige Prinz sechs Zähne im Oberkiefer gezogen wurden, Ludwig: »Den 22. August habe ich aus der so durfe er nur ein Mittagessen im berühmten goldenen Sau getruncken und bin doch nicht Salon der Mme Geoff rin fehlen, mehr nicht. zu Boden gesuncken.«

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510_Zimmermann - En vojage.indd 516 29.11.2015 13:40:51 Mit dem kleinen Ludwig sind wir bei der zeln, sie malte auch einfühlsame Porträts von dritten Dimension der »Mutter« angekom- Kindern und Ehemann. Und es gab kaum men. In ihren privaten Briefen lernten die eine Reise, auf der die Markgräfi n nicht von Besucherinnen und Besucher in der Ausstel- ihrem kunstsinnigen und einfühlsamen Sohn lung eine andere Seite der Markgräfi n ken- Friedrich begleitet wird. nen: War Karoline Luise auf Reisen oder hiel- Erst wenn wir diese neu gewonnene ten sich andere Familienmitglieder nicht am Emotio nalität verstehen, können wir begrei- Karlsruher Hof auf, so überbrückten regelmä- fen, wie tief die Familie vom Tod der Mutter ßige, fast tägliche Briefe die Trennung. Die in Paris 1783 getroff en wurde und warum ihr gefühlsbetonten Schreiben zeigen, dass nicht Andenken bei Mann und Kindern so intensiv nur die gehobenen Schichten des Bürgertums gepfl egt wurde. Die private Trauer der Fami- vom »Zeitalter der Empfi ndsamkeit« geprägt lie schloss deshalb die Ausstellung ab, nicht wurden. die Rituale des Staatsbegräbnisses und das Die Briefe, die Karoline Luise mit ihrem Begräbnis in der Pforzheimer Fürstengruft . Mann Karl Friedrich austauschte, lassen eine Nähe spüren, die deutlich macht, dass ihre Ehe nicht allein dynastischen Erfordernissen Begleitpublikationen geschuldet war, sondern durch eine tiefe Zu- neigung und Emotionalität ausgefüllt wurde. Die Meister-Sammlerin. Karoline Luise von Baden, Sehnsucht und Vertrauen, Humor und gleich- hg. von Holger Jacob-Friesen und Pia Müller- Tamm in Verbindung mit Christoph Frank und berechtigter Gedankenaustausch fi nden sich Wolfgang Zimmermann. München: Deutscher in den Schreiben. Die tiefen, epochalen Brü- Kunstverlag 2015. che des 18. Jahrhunderts zwischen dem Stadt- Aufgeklärter Kunstdiskurs und höfi sche Sammel- gründer Karl Wilhelm und seinem Nachfol- praxis. Karoline Luise von Baden im europäischen Kontext, hg. von Christoph Frank und Wolfgang ger und Enkel Karl Friedrich werden vielleicht Zimmermann in Verbindung mit Holger Jacob- gerade in dieser familiären Binnenperspek- Friesen und Wolfgang Zimmermann. München: tive deutlich. Es ist die »Geburt der moder- Deutscher Kunstverlag 2015. nen Familie«, wie es einmal ein angelsächsi- scher Kulturwissenschaft ler beschrieben hat, der wir hier begegnen. Aus dem Fürstenpaar wurde ein Ehepaar, wurden Eltern, aus den Prinzen somit auch Kinder: Man ließ die bei- den ältesten Söhne deshalb 1771 nicht allein Anschrift des Autors: auf Kavalierstour nach Paris, sondern wan- Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann delte die Fahrt kurzerhand in eine viermo- Generallandesarchiv Karlsruhe natige familiäre Familienreise um. So konn- Nördliche Hildapromenade 3 ten sich die Eltern persönlich um ihre Söhne 76133 Karlsruhe [email protected] kümmern. Die Mutter ließ den kleinen Sohn [email protected] auf dem Brief an den Papa einen Gruß krit-

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510_Zimmermann - En vojage.indd 517 29.11.2015 13:40:51 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

»Der helle Stern Karoline Luises überstrahlt alles« Karoline Luise von Baden in Ausstellungen und Katalogen

Heinrich Hauß

I. Publikation: Aufgeklärter Kunstdiskurs und Höfische Sammelpraxis Karoline Luise von Baden im europäischen Kontext

Das vielschichtige und ambitionierte Projekt der internationalen Forschung versteht sich als »integraler Bestandteil« der großen Landesausstellung. »Die Meister-Sammlerin Karoline Lu- ise von Baden« und die thematische Sonderausstellung »En Voyage« im Generallandesarchiv. Aufsatzband und Katalog sollen sich gegenseitig ergänzen. Das Forschungsprojekt zeigt nicht nur paradigmatisch die »Mechanismen des europäischen Kunstmarkts des 18. Jahrhunderts«, sondern bietet auch »wichtiges Material zur höfi schen Kultur der Zeit.« Das Sammeln der Mark- gräfi n ist auf »aufgeklärte Erkenntnis und eigenständige Durchdringung des Gegenstandes« zu- rückzufuhren und nicht »auf eine immaterielle Appropriation«. »Die Verknüpfung von Kunst- werken mit literarischen Korrespondenzen und zeitgenössischer Kunstliteratur verleiht dem Malereikabinett in einer europäischen Gesamtschau schärfere Konturen« (Vorwort).

Das Buch »Aufgeklärter Kunstdiskurs« beschäft igt sich mit vier Schwerpunkten: 1. Regionalität und europäischer Horizont 2. Kennerschaft und künstlerische Praxis 3. Kunstmarkt und Geschmacksbildung 4. Repräsentation und Ästhetik

Die Publikation behandelt eine Fülle von Aspekten des 18. Jahrhunderts in bewundernswerter Dichte – wie Aufk lärung, politische und kulturelle Handlungsspielräume, neue Wissenskultu- ren, Kulturtransfer, Netz der Aufk lärer am Oberrhein, Gelehrtenkorrespondenz und Modelle der künstlerischen Praxis.

Der badische Hof öff nete sich in der zweiten Hälft e des 18. Jahrhunderts den neuen Wissenskul- turen der Aufk lärungszeit Im einleitenden Aufsatz erläutert W. Zimmermann die Zusammenhänge zwischen den politi- schen Veränderungen am Oberrhein zum zeitlichen Fixpunkt 1750, den Wandel in der Binnen-

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 518 29.11.2015 16:42:30 struktur in den Territorien und den Wandel in den Wissenskulturen im Zusammenhang mit der Hinwendung der höfi schen Kultur zur Privatheit. Der »gesellige Hof, der die Diff erenz zwischen höfi schem und bürgerlichem Selbstverständnis aufh ob«, »bildete den Rahmen für den Aufb au des privaten Malereikabinetts durch Karoline Luise« (S. 18). »Privatheit« als »neue soziale und kulturelle Praktik« öff nete sich der »neuen Wis- senskultur«, die sich von der »barocken Kultur des Zeigens« absetzte und sich zu einem »ord- nenden und abstrahierenden Verstehen« hinwendete.

Das enge Netz der Aufk lärer am Oberrhein Der Aufsatz von Wilhelm Kreutz »Aufk lärung am Oberrhein« geht der Frage nach, ob in der zer- splitterten Oberrheinregion signifi kante Unterschiede in den Aufk lärungsprozessen festzustel- len sind oder ob Gemeinsamkeiten überwiegen. Kann man von »Aufk lärungen am Oberrhein« oder von »einer oberrheinischen Aufk lärung« sprechen? Der Aufsatz gelangt zu der Einsicht, dass das Netzwerk der Aufk lärer am Oberrhein durch briefl ichen oder persönlichen Kontakt eng geknüpft war und das Netzwerk das Adjektiv »oberrheinisch« verdient.

Karoline Luises Korrespondenznetz erreichte eine europäische Dimension Th orsten Huthwelker behandelt Karoline Luises Korrespondenznetz. Karoline Luise war »nicht nur einen Meistersammlerin, sondern auch eine meisterliche Briefeschreiberin«. Huthwelker stellt am Beispiel der Gelehrtenkorrespondenz exemplarisch die Vernetzung ihrer Korrespon- denz dar. Über 800 Briefe von Gelehrten zeugen von einem regen Gedankenaustausch. Straß- burg war dabei das »wichtigste Sprungbrett« für die Verbindung nach Paris. Die »tragende Rolle im oberrheinischen Kommunikationsraum« nahm Straßburg ein. Weitere Städte spielten eben- falls eine Rolle: Den Haag, Mannheim, Wien, Darmstadt, Frankfurt. Karoline Luise »zeigt sich uns als integriertes Mitglied der europäischen Wissensgesellschaft «.

»Eine der am besten informiertesten Amateurinnen ihrer Zeit« Nach Franks Aufsatz zu »Kunst, Korrespondenz und Marktgeschehen« sind in den Terri- torien des Alten Reichs zwei Vorstellungen vom Sammeln zu unterscheiden: eine politisch und repräsentativ motivierte und eine persönlich, diff erenziert und aufgeklärt ausgerichtete. Die zweite Haltung mit ihrem Drang nach Erkenntnis und Durchdringung des Gegenstan- des fi nden wir bei Karoline Luise. Mit ihrem »Mahlerey-Cabinet« ist Karoline Luise »etwas durchaus Einzigartiges« gelungen. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung von Agenten in der »Republique europenneene des arts« und den Kulturtransfer des interkulturellen europäi- schen Austauschs.

»Kunst und Wissenschaft gaben ihr die Möglichkeit, sich jenseits der aristokratischen ›conduite‹ zu bewegen« Der Aufsatz »Fürstin und Femme Savante« von Martin Schieder stellt in der zweiten Hälft e des 18. Jahrhunderts eine »Transformation des aristokratischen Reiseverhaltens« fest, zugunsten von Information und Bildung an Stelle von Repräsentation und Konvention. »Karoline Luise gelingt es also, ihre repräsentativen Verpfl ichtungen, ihre pädagogischen Aufgaben sowie ihre persön-

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 519 29.11.2015 16:42:31 lichen Interessen und Talente miteinander zu verbinden. Dabei bieten ihr Kunst und Wissen- schaft die Möglichkeit, sich jenseits der aristokratischen ›conduite‹ innerhalb einer überständi- schen und nationalen Bildungselite zu bewegen«.

»Die Markgräfi n verkörpert das Nebeneinander zweier Modelle künstlerischer Praxis« Charlotte Guichard Aufsatz »Amatrice« unterscheidet zwei Modelle künstlerischer Praxis in der Zeit der Aufk lärung: ein höfi sches Modell und ein mondän-städtisches. »Die Markgräfi n von Baden verstand es geschickt, aus unterschiedlichen – mondänen wie höfi schen Quellen zu schöpfen, um ein repräsentatives Herrscherinnenbildnis zu schaff en«. Künstlerische Praxis, Sammelpräferenzen und Formen der Geselligkeit machten sie »ganz und gar zu einer Amateu- rin im Sinne der Aufk lärung.«

»Ihre Kopien sind Ergebnisse ihres umfassenden Kunststudiums« »Kopieren war für die Markgräfi n, nach Katharina Weiler, zu einem Synonym geworden für das Studium und Nachempfi nden Alter Meister, zum Experimentierfeld malerischer Übersetzungs- praktiken, etwa von Öl, Pastell und schließlich zur Voraussetzung für das eigene künstlerische Schaff en«. Die Leihgaben aus dem kurfürstlichen Kabinett Karl Th eodors in Mannheim spielten dabei eine bedeutende Rolle.

»Streben nach sinnvoller Ordnung und Erkenntnisgewinn« Sarah Salomon interpretiert das »Mahlerey-Cabinet« als »markantes Beispiel« für den »Über- gang der Sammlungen aus dem Bereich der Macht in den des Wissenserwerbs«. Das Laborato- rium der Markgräfi n in ihren privaten Gemächern umfasste unter anderem eine umfangreiche private Forschungsbibliothek, ein Studierzimmer, ein naturwissenschaft liches Versuchslabor, ein Atelier sowie eine Porzellan- und Naturaliensammlung. Karoline Luise verwendete je nach Kontext ihr Laboratorium als Kunstwerk, wissenschaft liches Studienobjekt oder als praktisches Arbeitsmaterial.

»Karoline Luise legte Wert darauf, Methoden selbst auszuprobieren« Astrid Reuter behandelt in ihrem Aufsatz »Künstlerische Praxis und Kennerschaft « die Bedeu- tung von Jean Etienne Liotard für die künstlerische Ausbildung Karoline Luises. »Der Blick auf die Pastellmalerei verdeutlicht exemplarisch, dass ihr Wissensdurst nicht nur ästhetische Fragen berührte, sondern alle technisch-praktischen Probleme«. Als nachhaltiges Zeugnis ihrer Bekanntschaft mit dem Künstler kann das Porträt Liotards von Karoline Luise gelten. Das Bildnis »lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei wesentliche Aspekte künstlerischen Handelns: das aufmerksame Betrachten und die Bereitschaft zur praktischen Umsetzung«.

»Überlegener Geschmack einer der wenigen Sammlerinnen, das das Zeitalter die Aufk lärung her- vorgebracht hat«. Karoline Luise verfolgte »aufmerksam die kleinste Bewegung auf dem Pariser Kunstmarkt, der in den 60er Jahren einen spektakulären Aufschwung erlebte«. Bei ihren Ankäufen stützte sie

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 520 29.11.2015 16:42:31 sich vor allem auf den Händler Jean Henri Eberls (1726–1803) aus Straßburg, der ihr ganzes Vertrauen besaß und der einer ihrer wichtigsten Agenten war. 1771 verwirklichte Karoline Luise ihren »lang gehegten Traum, die französische Hauptstadt mit ihren Kunstschätzen, den Ateliers der Künstler und den Kabinetten der Sammler zu entdecken« (Patrik Michel, Die unwidersteh- liche Anziehungskraft des Pariser Kunstmarktes).

»Der Umgang mit Kunst war für sie vor allem ein Akt der Selbstaufk lärung« Agent für den holländischen Kunstmarkt war für die Markgräfi n Gottlieb Heinrich Treuer in Den Haag. Holger Jacob Friesen entwickelt in der Arbeit »Je Crains le mediocre« Grundsätze ihres Sammelns, die er in fünf Prinzipien zusammenfasst: Geschmack, Authentizität, Qualität, Preisbewusstsein und Haltung zu Kunst. Sie werden in dem Satz zusammengefasst: »Mit wa- chem Geist und genauen Vorstellungen suchte sie aus, mit nüchterner Klugheit kauft e sie. Die erworbenen Werke betrachte sie mit Wissbegierde und hoher Intelligenz, wobei sie ihre Kennt- nisse systematisch erweiterte«. »Sie verfolgte dabei keine aufk lärerische Absicht und suchte nicht die Öff entlichkeit. Der Umgang mit Kunst war für sie vor allem ein Akt der Selbstaufk lärung«.

Katalog: Aufgeklärter Kunstdiskurs und Höfische Sammelpraxis. Karoline Luise von Baden im europäischen Kontext. Christoph Frank und Wolfgang Zimmermann (Hrsg.) in Verbindung mit Holger Friesen und Pia Müller-Tamm, 2015

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 521 29.11.2015 16:42:31 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

II. Die Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden

Große Landeausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe 30. Mai – 6. September 2015

Das Malereikabinett Karoline Luises von Baden im europäischen Kontext

Die Ausstellung »präsentiert die badische Markgrä- fi n als Kunstliebhaberin und Meister-Sammlerin«. Im Zentrum steht Karoline Luises Gemäldesamm- lung, das sogenannte Malereikabinett. »Darüber hi- naus führt die Ausstellung vor Augen, wie sich Ka- roline Luise von einer praktizierenden Amateurin zu einer hervorragend informierten Kennerin entwi- ckelte«. Bei dem Projekt handelt es sich um ein »viel- schichtiges Forschungs- und Ausstellungsprojekt«. 1980 veröff entlichte Jan Lauts »Karoline Luise. Ein Lebensbild aus der Zeit der Aufk lärung«, zum 200. Todestag. 1983 widmete das Badische Landes- museum Karoline Luise eine monografi sche Ausstel- lung (10. September – 20. November 1983). Der Fokus lag auf der Person der Markgräfi n und ausdrücklich nicht »auf ihrer Zeit« wie bei der Ausstellung zuvor über Karl Friedrich. Im Vorwort zum Katalog heißt es: »Das Gedenken an eine bewunderungswürdige Frau zu feiern und wieder zu beleben haben sich zur 200. Wiederholung ihres Todesjahres alle Institutio- nen ihrer einstigen Residenz zusammengefunden«. Die an der Ausstellung Beteiligten »wollen möglichst viele Dinge zeigen, auf denen Caroline Luises Hand und Auge erweislich geruht haben, wir wollen den

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 522 29.11.2015 16:42:31 Zauber der Persönlichkeit nicht missen.« Über die historische Zeit hinaus wollen Ausstellung und Katalog die Markgräfi n schildern als »ein hohes Muster menschlicher Möglichkeiten für alle Zeiten« (Vorwort). In der Ausstellung im Jahre 2015 geht es dagegen darum, »eine über die Persönlichkeit der Sammlerin hinausgreifende Perspektive zu eröff nen« (Katalog S. 13). Die Ergebnisse des »übergreifenden« Forschungsansatzes werden in den beiden Ausstellungen und Katalogen präsentiert. Die Sammeltätigkeit Karoline Luises wird in europäischen Zusammen- hängen gesehen und erhält, über die Person Karoline Luises, Namen der Agenten wie Eberts, Wille, und dem Sammler Conte de Vence. Die Markgräfi n wird eingebettet in das Netz des Kunstmarktes und Kulturtransfers und tritt als Person zurück oder wird mindestens relati- viert. Das ist ein Verfahren, das wir auch bei Karl Friedrich beobachten konnten. Historische Persönlichkeiten werden relativiert, indem sie in das Umfeld ihres Wirkens und der daran be- teiligten Personen zurückversetzt werden. »Unser Interesse gilt nicht allein Karoline Luise und ihrem Malereikabinett, sondern auch dem dichten Netz europaweit gespannter Beziehungen«. »Unsere Fragestellung gilt dem europaweiten Kulturtransfer mit seinen unterschiedlichen Ak- teuren – den Agenten und Korrespondenten, den Amateuren und Kennern, den Händlern und konkurrierenden Sammlern – der Zirkulation der Bilder auf dem Kunstmarkt und im Auktions- wesen so wie den Medien des intellektuellen Austauschs und der Geschmacksbildung so etwa den literarischen Journalen und der Reproduktionsgrafi k«. Das Malereikabinett der Markgräfi n ist aber nicht nur ein »Höhepunkt der Sammlungsge- schichte des Hauses Baden«, sondern es steht auch »an der Schwelle des modernen Kunstmu- seums« (Katalog S. 14). Die Ausstellung stellt das Malereikabinett und seine Entstehungsgeschichte in insgesamt 16 Kapiteln vor. Die Informationstafeln zu den einzelnen Th emen sind im Textumfang so gehalten, dass sie vom Besucher leicht rezipiert werden können. Th emen der Ausstellung sind: »Die umfassende Bildung und die Freude an der Kommunika- tion, die Grundlagen von Karoline Luises Sammeleifer und Sammelerfolg waren: die Verbin- dung mit zwei so unterschiedlichen Künstlern wie Jean-Etienne Liotard, der für einen makel- losen Realismus steht, und Francois Boucher, Meister rokokohaft er Fantasien, die gezeichneten und gemalten Werke von Karoline Luises eigener Hand; Vergleich mit zwei anderen auf hohem Niveau dilettierenden Frauen der Zeit, Wilhelmine von Bayreuth, Schwester Friedrichs des Gro- ßen, und Marie Christine von Österreich, Tochter der Kaiserin Maria Th eresia; zwei wichtige Berater und Agenten der Markgräfi n, Jean Henri Eberts und Johann Georg Wille; die berühmte Pariser Sammlung des Conte de Vence, die Quelle und Vorbild für das Karlsruher Malereika- binett war; die teils übernommenen, teils im Auft rag Karoline Luises neu angefertigten histo- rischen Bilderrahmen; die sammelnden, Kunst refl ektierenden und schaff enden Korrespon- dentinnen und Korrespondenten in Frankreich, Italien und England; die überwiegend in ihr letztes Lebensdrittel fallenden Deutschland und Europareisen der Markgräfi n; die Naturalien- sammlung, die den Kosmos ihres vernetzten Denkens auf einer weiteren Ebene deutlich macht; schließlich ein Epilog zur Nachwirkung des Malereikabinetts« (Katalog S. 15).

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 523 29.11.2015 16:42:31 Im Folgenden versuchen wir, einige Stationen der Ausstellung zu cha- rakterisieren. Die Entstehungsgeschichte des Malereikabinetts greift in dem Kapitel »Die historische Minerva und Vielwisserin Badens« zurück auf Karoline Luises Ausbildung in Darmstadt. Der Ruf einer »Hessischen Minerva« eilte ihr nach Karlsruhe voraus. Der »inspirierende Unterricht« Johann Peter Jobs legte die Grundlage für die umfassende Bildung Karoline Lu- ises. Der Hofmaler Johann Christian Fiedler hat die 11-jährige Prinzessin 1734 porträtiert und hält den »freundlich – aufgeschlossenen Ausdruck« des Mädchens fest. Die Ausstellung führt mit übersichtlichen Informationstafeln auf Deutsch und Französisch den Besucher auf das je- weilige Th ema des Saales ein.

Die Abteilung »Der Genfer Pastellmaler Liotard als Sammler und Leh- rer Karoline Luises« stellt den renommierter Pastellmaler vor. In ihm lernte Luise Karoline »schon früh einen etablierten und hoch geschätz- ten Pastellmaler kennen«. Bei der Kaiserkrönung in Frankfurt 1745 wurde sie mit ihm bekannt. Er porträtierte die 22-jährige Karoline Lu- ise (1745/46). Mit Liotard gewinnt sie einen »exzellenten Gesprächs- partner und Lehrer«. »Eingeführt in eine künstlerische Welt, die weit über das in Darmstadt übliche hinausging, verstärkte die Bekanntschaft mit Liotard die künst- lerischen Interessen Karoline Luises und legte damit einen wichtigen Grundstein für ihre eigene praktische Arbeit wie auch ihre Sammeltätigkeit«.

»Boucher und seine Wirkung auf den Karlsruher Hof« thematisiert die große Kennerschaft Bouchers und der Expertise, von der die Markgrä- fi n profi tierte. »Im Deutschland des 18. Jahrhunderts steht die Mark- gräfi n nicht nur als Auft raggeberin Bouchers, sondern auch als Samm- lerin von Bouchers grafi schem Werk«. Um 1760 hielt sie ihn für »den bedeutendsten zeitgenössischen Maler«. Karoline Luise gelang es den »Style Boucher« mit der Berufung des Malers Joseph Melling an den Karlsruher Hof zu holen. Ab 1759 nahm sie die »professionelle Expertise« bei der Abwicklung der Neueinkäufe in Anspruch. 1760 erteilte sie Auft räge an Boucher zu den Pastoralen »Schäfer und Schäferin« und »Zwei Schäferinnen«.

Das Th ema »Karoline als Zeichnerin und Malerei« geht davon aus, dass die Pastellmalerei einen wichtigen Teil des Werks von Karoline Luise ausmacht. Sie lieh sich aus der kurfürstlichen Sammlung Karl Th eodors von der Pfalz bedeutende Gemälde und Zeichnungen aus, um sie zu kopieren. Die Kopiertätigkeit ist insofern wichtig, als sie der Gründung ihres eigenen Malereikabinetts voraus ging. »Kopieren wurde für die Markgräfi n zum Synonym für das Studium Alter Meister und zum Ex- perimentierfeld malerischer Übersetzung«. Die Kopien Karoline Luises waren ein Mittel »durch

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 524 29.11.2015 16:42:31 das nachempfi nden von Gemälden Alter Meister zu vertieft er Kennerschaft verschiedener Tech- niken, künstlerischer Handschrift en, Kompositionen und Sujets zu gelangen« (K. Weiler).

Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Marie Christine von Österreich (1742–1798) und Karoline Luise »vertieft en die im Rahmen der fürstli- chen Erziehung gelegten Grundlagen der künstlerischen Praxis in spä- teren Jahren. Aus dilettierender Kunstübung erwuchs Kunstverstand, der im Aufb au der Sammlungen seinen Niederschlag fand«. Aus Wil- helmines Kunstförderung ging das Opernhaus in Bayreuth hervor, Ma- rie Christine hatte Anteil an der Entstehung der Sammlung des Her- zogs von Sachsen-Teschen, Karoline Luises privates Studienkabinett bildete den Grundstock der heutigen Sammlungen der Karlsruher Kunsthalle.

Jean-Henri Eberts und Johann Georg Wille: Zwei Berater Vorgestellt wird Jean-Henri Eberts (1726– 1803), einer der einfl ussreichsten Kunstagenten Karoline Luises. Eberts war an einem Großteil der wesentlichen Erwerbungen Karlsruhes di- rekt oder indirekt beteiligt. Erhalten haben sich insgesamt 46 der über Eberts erworbenen Gemälde, etwa ein Drittel der heute in der Kunsthalle erhaltenen 151 Gemälde. Der dauerhaft in Paris residierende Kupferstecher Johann Georg Wille (1715–1808) gehörte »zu den bedeutendsten und engsten Beratern in künstlerischen Fragen«. »Auf der Auktion der Sammlung des Comte de Vence, die in Paris vom 9. bis zum 17. Februar 1761 erhebliches Aufsehen erregte, erwarb Wille nur wenige, wenngleich hochrangige Bilder für Karoline Luise«.

Die Sammlung des Conte des Vence und ihre Versteigerung 1761. Die Versteigerung vom 9. bis 17. Februar 1761 gehörte zu den aufsehenerre- gendsten Ereignissen der Pariser Kunstwelt. Karoline Luise erwarb 17 Werke aus der Sammlung des Grafen. Schwerpunkt der Sammlung lag auf den »kleinformatigen feinmalerischen Holländern des 17. Jahrhun- derts, Karoline Luises Erwerbungen aus der Sammlung des Comte de Vence waren für die Konstitution des Karlsruher Malereikabinetts von überragender Bedeutung«. Von den 200 Bildern ihrer Sammlung befi n- den sich heute noch 115 Gemälde im Besitz der Kunsthalle.

Man hat beklagt, dass der Besuch der Ausstellung mit nur 33 000 Besuchern äußerst mäßig gewesen sei (BNN 8.9.2015). Das hängt damit zusammen, dass die Ausstellung einem wissen- schaft lichen Spezialgebiet – dem europäischen Kunstmarkt – gewidmet war und die Person Karoline Luises demzufolge in größere Zusammenhänge eingeordnet wurde. Das »Phänomen Karoline Luise« war ein »glücklicher Moment innerhalb der Geschichte des Sammelns«, schon

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 525 29.11.2015 16:42:31 sechs Jahre nach ihrem Tode (1783) nicht wiederholbar. Bewundernswert aber bleibt, »die ebenso kunstsinnige wie geschäft stüchtige, ambitionierte und wissbegierige Fürstin, die sich innerhalb eines ausgedehnten Netzwerks von Agenten Händlern und Gelehrten sowie in den eigenen Rei- hen geschickt und selbständig zu bewegen weiß« (Andrea Gnam, NZZ 26.6.2015).

DIE

MEISTERKaroline Luise von Baden SAMMLERIN Katalog: Die Meister-Sammlerin, Karoline Luise von Baden, hrsg. von Holger Jacob-Friesen und Pia Müller- Tamm, in Verbindung mit Christoph Frank und Wolfgang Zimmermann, 2015

Alle Detailabbildungen aus dem Katalog:

Johann Christian Fiedler: Prinzessin Karoline Luise von Hessen-Darmstadt, S. 42 Jean-Étienne Liotard: Selbstbildnis mit langen Bart, 1751/52, S. 76 Gustaf Lindberg: Francois Boucher, 1741, S. 85 Prinzessin Karoline Luise von Hessen Darmstadt, 1745/46, Titelbild Jean-Étienne Liotard: Marie Christine von Österreich, 1762, S. 149 Emanuel Handmann: Jean-Henri Eberts , 1759, S. 178 Jean Baptiste Greuze, Johann Georg Wille, 1763, S. 189 Charles Nicolas Cochin d. J.: Claude Alexandre de Villeneuve, Comte de Vence, 1744, S. 206

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518_#12-1_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Karoline Luise.indd 526 29.11.2015 16:42:31 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Das Karlsruhe Friedrich Weinbrenners und Arthur Valdenaires Ausstellung in der Städtischen Galerie und der Badischen Landesbibliothek

Heinrich Hauß

I. Von Weinbrenner erzählen Nie zuvor wurde das umfangreiche Schaffen des Stadtplaners und Architekten in dieser Vollständigkeit dokumentiert Ausstellung in der Städtischen Galerie, 27. Juni 2015 – 4. Oktober 2015

Weinbrenners nicht ersetzen, aber von ihm erzählen können,« schreiben Gerhard Kabi- erske und Joachim Kleinmanns in der Einfüh- rung zum Katalog. Julian Hanschke präzisiert den fragmentarischen Erhaltungszustand des Weinbrenner’schen Werkes: »Aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes der wenigen noch vorhandenen Bauten Friedrich Weinbrenners gestaltet sich eine umfassende Beurteilung von Weinbrenners architekto- nischem Werk für den heutigen Betrachter problematisch. Im Zuge der starken Bevölke- rungsentwicklung, welche die Stadt Karlsruhe in der zweiten Hälft e des 19. Jahrhunderts verzeichnete, hatte bereits wenige Jahre nach Weinbrenners Tod ein weiterer Stadterneue- rungsprozess eingesetzt, dem zunächst große Teile des Weinbrenner’schen Bürgerhausbe- standes zum Opfer fi elen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden aus den un- »Ausstellung und Katalog beruhen auf dem terschiedlichsten Gründen auch prominente Überlieferten, auf alten Bauten und den ar- Bauten, darunter das alte Karlsruher Th eater, chivalischen Quellen, die das verlorene Werk der Gotische Turm im Erbprinzengarten, die

Badische Heimat 4 / 2015 Das Karlsruhe Friedrich Weinbrenners und Arthur Valdenaires 527

527_#12-2_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Weinbrenner.indd 527 29.11.2015 11:53:58 Synagoge, das Ettlinger Tor und das Palais der mit dem dieser badische Schinkel zu Werke Markgräfi n Christiane Louise samt Nebenge- ging« (Amber Sayah, StZ). bäude. Noch vernichtender hat sich schließ- Gottfried Knapp hat in seiner Würdigung lich jedoch die Zerstörung der Karlsruher In- der Ausstellung in der Süddeutschen Zeitung nenstadt im Zweiten Weltkrieg ausgewirkt. am 25.8.2015 geschrieben: »Wenn man die ar- Da die Hauptbauten im Innern modern wie- chitektonischen Meisterwerke des Klassizis- der aufgebaut wurden, hat sich bis heute kein mus in Berlin und München in ihrem heuti- einziger Innenraum Friedrich Weinbrenners gen Zustand mit dem vergleicht, was von den in seinem Originalzustand erhalten« (S. 141). gleichrangigen Werken in Karlsruhe übrig ge- Nach all den Bränden, Abbrüchen und blieben ist, dann kann man nur traurig oder Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg zornig werden«. und danach ist von den »Bauten des großen Nur der Marktplatz mit Pyramide, Stadt- badischen Baumeisters kaum etwas erhalten, kirche und Rathaus vermittelt »noch etwas schon gar nicht in seiner Heimatstadt«. Nicht vom Geist der klassizistischen Baukultur einmal mit Weinbrenners Hauptwerk, der Via Weinbrenners«. triumphalis hat es die Geschichte gut gemeint. Die Weinbrenner Ausstellung kann nach »Generationsbedingte Verachtung des Klassi- unserer Meinung nicht ohne Folgen bleiben zismus, Verkehrsbedürfnisse, Spekulationsin- für die Neugestaltung des Marktplatzes nach teressen, die Bomben des Zweiten Weltkriegs der Fertigstellung der U-Strab. In einer Ver- so wie fehlendes Gespür für die architektoni- anstaltung des Stadtplanungsamtes zur Zwi- sche und städtebauliche Qualität haben im- schenbilanz der Planungen der Kaiserstraße mer wieder zu empfi ndlichen Verlusten an der und des Marktplatzes am 13. März 2014 ver- Bausubstanz geführt, und dies bis in unsere kündete der Baubürgermeister zum Erstau- Tage« (S. 220). »Nur wenige Architekten sei- nen des Publikums, dass zu den Haltestel- ner Zeit hatten Gelegenheit, eine ganze Stadt len-Zugängen auf dem Marktplatz bereits nach ihren ästhetischen Vorstellungen zu pla- ein eigener Wettbewerb stattgefunden habe nen und zu bauen« (K. J. Philipp). Aber ge- und dass Ergebnisse des Wettbewerbs »zu nau diese einmalige Chance wird dem Werk achten« seien. Dr. Gottfried Leiber hat im Weinbrenners auch zum Verhängnis. Stück Anschluss an das Stadtbauforum einen Brief für Stück fallen seine Bauten den Erweiterun- an die Leiterin des Stadtbauamtes, Frau Prof. gen der Stadt zum Opfer. Dr. Karmann-Woessner, geschrieben. Dort So wird denn das verlorene Werk Wein- heißt es: brenners gewissermaßen in der Ausstellung »Problematisch erscheinen mir bei dem durch Pläne, Zeichnungen erstmals in einer vorliegenden Entwurf zur Neugestaltung des bisher nicht bekannten Weise wiederherge- Marktplatzes die stark über das Platzniveau stellt. »Noch nie zuvor ist das umfangreiche herausragenden betonierten Treppenwangen Schaff en des Stadtplaners und Architekten in der U-Bahnzugänge. Zwar sollen sie verklei- dieser Vollständigkeit dokumentiert worden: det werden, aber dennoch: inselartig stören sie vierhundert Blätter, Zeichnungen, Pläne, Fo- durch ihre massive Ausführung die ansonsten tografi en, digitale Rekonstruktionen und Mo- freie Platzfl äche, wirken fremd. Warum wählt delle zeugen von dem ungeheuren Fleiß, der man zum Schutz nicht ein durchbrochenes Effi zient und dem Durchsetzungsvermögen, schmiedeeisernes Geländer in angemessener

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527_#12-2_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Weinbrenner.indd 528 29.11.2015 11:53:59 Form und Qualität? Nahe liegendes Beispiel: Gesellschaft (Kasig) bei der »Gestaltung« der Notausgang aus der Tiefgarage am Fried- des Marktplatzes rücksichtslos Weinbren- richsplatz. Ein ganz anders Problem wird sich ners städtebauliche Platz-Intention missach- auft un, wenn es um die Lage und Form der tet. In dem Katalog zur Ausstellung verwei- vorgesehenen Lift häuser geht.« sen die Autoren auf zwei Fotoaufnahmen des Noch am Ende der Gymnasialzeit Wilhelm Marktplatzes, die um 1890 bzw. 1897 gemacht Hausensteins um 1900 war von Weinbrenners wurden (3.25 u. 3.26), die »zeigen, wie wich- Bauten noch so viel übrig, dass er später 1930 tig für die stadtbauliche Wirkung die Leere in der »Badischen Reise« rückblickend schrei- des Stadtraums und die ruhige Struktur des ben konnte: » Ich suche mir mein Karlsruhe; Pfl asterbelags war« (S. 235). Vorschläge wegen von allen Abscheulichkeiten blicke ich weg des »veränderten Klimas und des Lebensge- und suche das Wesen der Stadt, die meiner fühls der Menschen« den Platz vielleicht mit Jugend, meinen Leben eine Grundschicht gab, »mehr Grün und Wasser« zu verändern, sind der ich treu bin«. Hausenstein erlebte noch unakzeptabel (Leserbrief BNN am 29.8.2015). ein Weinbrenner-Karlsruhe, wie es in den Gottfried Leiber hat auch zu diesem Ansin- Fotografi en Kratts (1910) gegenwärtig ist. Er nen Stellung genommen. Der Marktplatz in konnte noch stolz sein, »in der Stadt Wein- Karlsruhe war bislang eine ungestörte, homo- brenners groß geworden zu sein« (1891–1900). gene und Ruhe ausstrahlende Flächeneinheit Schloss, Schloss- und Marktplatz, das »Wesen zwischen den Monumentalbauten Rathaus der Stadt«, so schrieb er rückblickend 1930, und Kirche. Er soll nun künft ig durch das Zu- geben seinem Leben »eine Grundschicht, der behör der Treppen zur U-Strab massive Ein- ich treu bin«. Im Jahre 2015 kann von einer bauten ertragen – ist das noch immer nicht »Weinbrenner-Stadt« im Sinne einer Wahr- genug? Muss nicht unser aller Ziel sein, den nehmung eines solchen »Wesens der Stadt« Marktplatz als einmaliges Kulturdenkmal, so keine Rede mehr sein! Dies umso weniger weit wie nur irgend möglich, unverändert zu als die Karlsruher Schieneninfrastruktur- erhalten?

Katholische Kirche St. Stephan

Badische Heimat 4 / 2015 Das Karlsruhe Friedrich Weinbrenners und Arthur Valdenaires 529

527_#12-2_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Weinbrenner.indd 529 29.11.2015 11:53:59 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

II. Stadt und Schloss vor 1945 Historische Fotografien aus Arthur Valdenaires Denkmalinventar

Ausstellung in der Badischen Landesbibliothek, 13. Mai – 27. August

Blick auf das historische Karlsruhe Landesbibliothek eine faszinierende Auswahl Anlässlich des 300. Stadtgeburtstages präsen- von historischen Fotografi en aus dem Inven- tierte das Südwestdeutsche Archiv für Archi- tar des Karlsruher Kunsthistoriker Arthur tektur und Ingenieurbau in der Badischen Valdenaire (1883–1946). Das 1940 verfasste Inventar der Karlsruher Kunstdenkmäler Ar- thur Valdenaires wurde nach über 70 Jahren in der Bearbeitung von J. Kleinmanns veröf- fentlicht. Als Bildmaterial hatte Valdenaire über 5600 Glasplatten-Diapositive und etwa 1000 Schwarz-Weiß-Abbildungen zusam- mengetragen. Arthur Valdenaire wurde am 12. März 1883 in Bretten geboren. 1901 nahm er das Archi- tekturstudium an der Technischen Hoch- schule Karlsruhe auf. 1913 legte er an der TH Karlsruhe seine Dissertation über »Weinbren- ners künstlerische Erziehung und der Aus- bau Karlsruhes« vor. Dabei handelte es sich um zwei Kapitel seiner später bei C. F. Mül- ler in Karlsruhe verlegten Weinbrenner-Mo- nographie. 1918 erhielt er eine Anstellung als Assistent von Max Laeuger an der TH. 1927 wurde er an der Gewerbeschule angestellt. Als Assessor wurde er an die Gewerbeschule nach Lahr und dann nach Ettlingen versetzt. 1932 gelang ihm die Rückkehr nach Karls- ruhe. 1934 wurde er dem Badischen Landes- amt zur Dienstleistung zugewiesen. Hier, am Gewerbeamt entstand das Manuskript für die »Kunstdenkmäler der Stadt Karlsruhe«. Nach 1945 wurde er von der Militärregierung zum

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527_#12-2_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Weinbrenner.indd 530 29.11.2015 11:53:59 höchsten deutschen Beamten im Badischen Im Großherzogtum Baden wird der Hofmaler Ministerium für Kultus und Unterricht, Ab- und Architekt August von Bayer am 3. März teilung Kunstsammlungen und Museums- 1853 zum ersten »Conservator der Kunstdenk- pfl ege ernannt. Nur fünf Monate nach sei- mäler« berufen. 1887 beginnt die Inventarisa- ner Ernennung, am 1. Februar 1946, ist er im tion mit den Bau- und Kunstwerken des Krei- Alter von nur 52 Jahren gestorben. Zum Ab- ses Konstanz. In den Jahren 1933–1942 wird schluss und zur Veröff entlichung seines Ma- die Reihe fortgesetzt. Bis 1942 erscheinen sechs nuskriptes kam es in der Folge nicht mehrt. Bände. Valdenaires »Karlsruhe« und sein In- Nach über 70 Jahren gilt die Veröff entli- ventar wäre der siebte Band gewesen. chung des Manuskriptes auch als »posthume Eine Auswahl der Fotos wird in der Aus- Würdigung der Verdienste des Verfassers der stellung nach Sachgruppen wie Schloss, Baugeschichte und der Denkmäler der Stadt Marktplatz, Rathaus und Stadtkirche oder Karlsruhe. Text und Bildmaterial sind, ge- Botanischer Garten und das nicht wieder rade weil das Dargestellte zum größten Teil aufgebaute Hoft heater präsentiert. Die ausge- zerstört ist, eine unerschöpfl iche Quelle zur wählten Fotos geben einen Blick frei auf das Geschichte der Stadt und ihrer Bauten.« historische Karlsruhe. Gerade anlässlich des Es ist zu hoff en, dass Valdenaires »Kunst- Stadtjubiläums ist es wichtig, ein Bewusstsein denkmäler der Stadt Karlsruhe« sensibel ma- zu schaff en für die Tatsache, dass Karlsruhe chen für das, was an historisch bedeutsamer im Zweiten Weltkrieg weit mehr an histori- Bausubstanz auf uns gekommen ist und ent- scher Bausubstanz verloren hat, als im Allge- schieden mehr Verständnis für dessen Erhalt meinen heute noch bewusst ist. wecken (Nach J. Kleinmanns). Sehr übersichtlich und informativ sind die Die Denkmalpfl ege wird etwa um 1800 zu Informationstafeln gestaltet: Historische Fo- einer institutionellen Aufgabe. Voraussetzung tografi en, Biografi e Valdenaires, Valdenaire dafür war die Kenntnis des Denkmalbestandes. als Denkmalspfl eger und »Was ist ein Denk- Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sind erste malinventar?« Dazu Informationen über saai systematische Inventare im Sinne einer wissen- (Südwestdeutsches Archiv für Architektur schaft lichen Quellensammlung festzustellen. und Ingenieurbau), das 1989 gegründet wurde.

Mühlburger Tor, nach 1913 (Foto: Stadtarchiv Karlsruhe)

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527_#12-2_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Weinbrenner.indd 531 29.11.2015 11:53:59 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

»Arbeitsstand öffentlich zur Diskussion gestellt«

Die Stadt neu denken Eines der bedeutendsten städtischen Projekte

Ausstellung in der Fleischmarkthalle 16. Juni – 26. Juli 2015

Heinrich Hauß

1. Die Stadt neu denken nächsten Jahrzehnte«, Grundlage für einen »Die Ausstellung präsentiert, was Expertin- Diskussionsprozess zwischen Bevölkerung, nen und Experten aus Planung, Politik und Planern und Politikern. Es geht darum, die Bürgerschaft im Rahmen des Leitbildprozes- Vorstellungen »im Raum zu testen« und zu ses bislang entwickelt haben. Zu sehen ist kein sehen, ob sie dann sich als »tragbar« erweisen. fertiger Leitbild-Plan, keine Blaupause für die Es geht bei dem Prozess des Räumlichen Zukunft – gezeigt werden verschiedene Ent- Leitbildes »nicht um räumliches Wachstum wicklungsoptionen für Karlsruhe«. »Das oder Schrumpfung, sondern um die Bewäl- räumliche Leitbild ist eine der bedeutendsten tigung der vielfältigen demografi schen, kli- städtebaulichen Projekte derer sich Karlsruhe matischen, energetischen, verkehrlichen und in den letzten Jahrzehnten angenommen hat.« strukturellen Veränderungsprozesse inner- Es handelt sich dabei um eine »Vorstellung der halb der bestehenden äußeren baulichen gewünschten Entwicklung der Stadt für die Grenzen bis zur Veränderung von Smart-

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532_#12-3_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Stadt neu denken.indd 532 29.11.2015 11:55:43 City-Strategien.« (Karmann-Woessner). Die doch ein Ganzes?« beschäft igte sich mit »he- Funktion des Leitbildes ist einzuschätzen als terogenen Stadtkörper« und »den zahlreichen »eine Vereinbarung, gemeinsam in eine Rich- historischen Stadtkernen«. »Wie plant man tung zu gehen«. eine Planstadt weiter?« war der Suche gewid- met, wie man einer »expandierenden Stadt« 2. »Zehn Fragen an Karlsruhe« (2013) umgehen soll (S. Hüger / Th . Müller, Zehn Der Ausstellung in der Fleischmarkthalle ging Fragen an Karlsruhe). eine Ausstellung »Die Stadt neu sehen – 10 Fra- gen an Karlsruhe« im Stadtmuseum vom 19.7.– 3. Planungswerkstatt (30.1.2014–4.6.2015) 27.10.2013 voraus. Sie sollte »die Zukunft sop- Die erste Phase der Öff entlichkeitsarbeit tionen der Stadt in Form von Denkanstössen wurde fortgesetzt in der Planungswerkstatt. veranschaulichen. Mit zum Teil provokanten Sie begann mit einem Auft akt am 30.1.2014, Fragen wurden zukünft ige Handlungsräume setzte sich in drei Etappen in den Mona- aufgezeigt«. »Die zehn Fragen sollten als Aus- ten März bis Mai fort und endete mit ei- gangsbasis für die Planungswerkstatt zu einer nem Finale am 4.6.2015. In der Planungs- kreativen Auseinadersetzung mit der Stadt- werkstat stellten drei Teams ihre Entwürfe entwicklung führen und zugleich das Inter- vor (Machleidt GmbH mit sinai / Berlin und esse der Bürgerschaft für den Prozess der Erar- SHP Ingenieure Hannover, berchtoldkrass beitung eines Räumlichen Leitbildes für Karls- space&options / Karlsruhe mit Urban Cata- ruhe wecken« (Hüger / Müller). Wichtig dabei lyst Studio / Berlin, West 8 / Rotterdam mit war, »für den Prozess der Leitbildfi ndung ei- verkehrplus / Graz). nen geeignete Plattform zu schaff en, die ein entscheidender Bestandteil des Prozess selbst ist« (Karmann-Woessner). Mit der Frage »Wo fängt Karlsruhe an?« wurde auf den regionalen Kontext hingewie- sen. Wachstum, Vernetzung und Einbindung Karlsruhes wurden thematisiert. Mit den Frage »Dem Rhein so nah« und »Mehr Licht in den Hardtwald« ging es um das Verhältnis Karlsruhes zum Fluss und dem zukünft igen Umgang mit dem Hardtwald. Die Ausstel- lung beschäft igt sich mit den Stadteingang- situationen (»Bin ich schon drin?«) und der Weiterentwicklung der Verkehrssysteme. Die Frage »Was ist die Südbanane?« zielte auf den »Transitraum Süd als für Karlsruhe wichtigs- ter Verkehrsachse.« Die »Weiterentwicklung des Hochschul- und Wissenschaft sstandort Karlsruhe« wie »die aktuelle Transformati- onen in Teilen der Innenstadt« wurden an- gesprochen. Die Frage »Stadt in Teilen oder

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532_#12-3_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Stadt neu denken.indd 533 29.11.2015 11:55:44 4. Stoßrichtungen der Ausstellung Hauptbahnhof ist als attraktiver südlicher Die Ausstellung in der Fleischmarkthalle Anziehungspunkt zu gestalten. markiert einen »Zwischenhalt auf dem Weg zur Verabschiedung des Räumlichen Leitbil- Mehr Wohnen: des Karlsruhes 2016« und stellt den Arbeits- Sanierung älterer Quartiere und die Weiter- stand zur Diskussion. entwicklung bestehender Stadteile. Entwickelt wurden in der Ausstellung sie- ben Stoßrichtungen, die sich im Laufe der Coole Quartiere: letzten Jahre aus der Planungswerkstatt und Gemeint ist die Klimaanpassung in den Quar- den Diskussionen mit den Fachleuten und der tieren. Beitrag der begrünten Stadträume zur Öff entlichkeit herauskristallisiert haben. »Sie Reduktion der Aufh eizung. beschreiben Wege, wie sich die Stadt Karls- ruhe für ihre zukünft ige Entwicklung ›neu Dynamisches Band: denken‹ will«. Die sieben Stossrichtungen Verbindungen und Wachstumspole für das sind: Gewerbe. Die Bereiche der Südtangente und Klare Konturen, Grüne Adresse, Starke der Bahn sind zu einer verbindenden Struktur Mitte, Mehr Wohnen, Coole Quartiere, Dy- zu entwickeln. namisches Band und Urbane Nähe. Urbane Nähe: Klare Konturen: Karlsruhe als Mobilitätshauptstadt Deutsch- »Klare Konturen heißt, dem Ankommenden lands. Neue Wege der Erreichbarkeit und Ver- zu zeigen, wo Karlruhe wirklich beginnt.« Gilt netzung. Jeder soll innerhalb kurzer Zeit die als ein Leitmotiv seiner räumlichen Entwick- Einrichtungen für den täglichen Bedarf sowie lung. Eingangbereiche und Stadtreingänge Freiräume und Parkanlagen erreichen kön- werden baulich oder landschaft sarchitekto- nen (Dederer, Sgobba, Nollert). nisch so gestaltet, dass sie gute Orientierung Sympathisch ist, dass Markus Neppl in bieten. seiner Schlussbetrachtung in der Publika- tion das Ergebnis des erarbeiten Entwurfs Grüne Adresse: nicht »vorschnell als großen Erfolg« be- »Zwei Landschaft räume ragen als zukünft ige zeichnen möchte. »Was aber auf jeden Fall Handlungsfelder für die Stadtentwicklung he- bleibt, ist die große Off enheit und Ernsthaf- raus: der Hardtwald und der Rhein.« Mit ei- tigkeit, mit der sich alle Akteure an diesem nem Rheinpark kann die Idee, Karlsruhe, an Vorhaben beteiligt haben. Diese entstandene den Rhein anzuschließen, verwirklicht wer- Klima ist vielleicht die wichtigste Vorausset- den. zung für ein gemeinsames Handeln. Sicher- lich wird man nach einiger Zeit refl ektieren Starke Mitte: müssen, was aus den Stoßrichtungen, Visi- Die Attraktivität Karlsruhes als Zentrum onen und dem guten Klima geworden ist.« einer wirtschaft starken Region soll ausge- (Seite 194). baut werden. Neue Entwicklungsräume sind nach Süden zu schaff en und die Kriegsstraße als Barriere muss überwunden werden. Der

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532_#12-3_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Stadt neu denken.indd 534 29.11.2015 11:55:44 Literatur

Die Stadt neu denken. Die Zeitung zur Ausstellung des räumlichen Leitbildes Karlsruhes. Herausgegeben vom Stadtplanungsamt. Redaktion Dr. Markus Nollert, 2015. Auf dem Weg zum Räumlichen Leitbild Karlsruhe. Karlsruher Institut für Technologie. Herausgeber: Stadt Karlsruhe, Stadtplanungsamt. Redaktion Prof. Markus Neppl. u. a., 2015. Fleischmarkthalle

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532_#12-3_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Stadt neu denken.indd 535 29.11.2015 11:55:44 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Ausstellung populärer Formate: Museum am Markt und Museen im Bauwagen

Heinrich Hauß

schaft lichen Lebens. Selbst der in Form einer Postkartensammlung angebotene Katalog und das Ausstellungsdisplay sind mit Blick auf das Th ema gemacht. Als ironischen Hin- weis auf die Baustellen im Zentrum haben die Kuratorinnen ihre Exponate nämlich hinter Absperrungen in Szene gesetzt. Mehr Karls- ruhe 2015 geht nicht« (BNN 24.7.2015). Vom Design, Kuratoren, Objektauswahl, Objekten hinter Baustellengittern bis hin zur Postkartensammlung als Katalog ist die Aus- stellung bewundernswert konsequent konzi- piert. Mehr Ausstellungsstrategie geht nicht. Das Stadtjubiläum machte den Kuratorin- nen der Ausstellung – Brigitte Heck, Heidrun Jecht und Schoole Mostafawy – Lust zu fra- gen: »Was bleibt aus der Gegenwart für die Zu- kunft erhalten?« Die Ausstellung präsentiert einen facettenreichen Ausschnitt unserer Ge- genwart. Vorschläge von Karlsruher Schülern, I. »Mehr Karlsruhe 2015 geht nicht« Studenten und Bürgern als Gastkuratoren er- Leben 20.15. gänzen die Objektauswahl der Museumskura- Erinnerungen an Heute toren. Die Besucher sind durch die Möglich- Museum am Markt keit, mit neun Punkten zu entscheiden, wel- 25. Juli – 8. November 2015 che ihrer Favoriten in die Museumssammlung übergehen sollen, aktiv miteinbezogen. Eine Rezensentin schrieb: »Die Schau ist Der Besucher ist nicht angewiesen auf ein aus mehreren Gründen ein aussichtsreicher mühsames Ausbuchstabieren der Texte, die Kandidat für die beste Ausstellung des Jah- die Objekte vor Ort in kleiner Schrift be- res. Sie vereint eine repräsentative Blütenlese schreiben Auf der Rückseite der Postkar- des Konsums mit kritischen Aspekten gesell- tensammlung können die ausführlichen Be-

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536_#12-4_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Mehr Karlsruhe geht nicht.indd 536 29.11.2015 11:57:30 schreibungen der ausgestellten Objekte be- Die Ausstellung erhebt den Anspruch, eine quem nachgelesen werden. Diese Lektüre ist Sammlung zu sein, »die das Leben im Jahr notwendig, um die »unschätzbar wertvolle 2015 spiegelt.« Der anscheinend alle Generati- Information über uns« zu entschlüsseln, eine onen umfassende Lebensanspruch muss aber kritische Bewertung der Objekte in Gang zu wohl relativiert werden auf die Generation der setzen und zu verhindern, dass alles nur als Fünfzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen, die »witzig« konsumiert wird. auch die Gastkuratoren stellten (BLM Aktuell).

An Stelle eines Katalogs liegt eine Postkartensammlung aller Exponate vor

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536_#12-4_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Mehr Karlsruhe geht nicht.indd 537 29.11.2015 11:57:31 II. Eine Ausstellung in sechs Bauwagen unter freiem Himmel Karlsruher Sammlungen der Museen des Volkes Friedrichsplatz 7. August – 13. September 2015

15 Sammler/innen stellen in sechs Bauwagen mit 20 Th emen zu 16 Komplexen ihre Samm- lungsobjekte aus. Veranstalter ist die Stadt- marketing GmbH/Team KA300, Projektleitung: Angela Pfenninger, Ausstel- lungskurator: Wolfgang Knapp und Elisabeth Voigtländer. Zu den Ausstellungen liegt ein Begleitheft zur Ausstellung vor. Dort werden die 6 Bauwagen, die Th emen und ihre Samm- ler/innen vorgestellt. Durchschnittlich wer- den in einem Bauwagen zwei Sammlungen ausgestellt, stellenweise bis zu drei. Die Idee zu der Ausstellung entstand im Rahmen des Wettbewerbs »15 Ideen für KA 2015«. Zu sehen sind: Karlsruher Musik- geschichte (Martin Christoph), Space de- sign (Ulrich Strecker) Marionetten aus Stab- puppen (Brigitte Breuning) und Makonde- Schnittkunst (Oliver Langewitz), Toaster, Ventilatoren, Serviettenhalter, Aschenbecher Feuerzeuge, Handtaschen (Mirjana Dimi- nic / Vlado Stifanic), Wandvasen (Eva Nirk), Wandmagnete (Manuela Braun), Flaschen- verschlüsse (Franz Wermter), Donald Duck samtkunstwerk« ein, »das viel mehr ist als (Martin Wacker, Karl May (Hans-Jürgen seine Einzelteile«. Wegen der begrenzten Flä- Vogt) und Karlsruher Nippes (Günter Wid- che habe man sich »auf das Wesentliche« be- mann) Floating-Kugelschreiber (Gudrun grenzt (BNN 8.8.2015) Spinger), Karlsruher Fastnacht (Jürgen Olm) Nicht geklärt ist, wie man den Begriff des und Badges (Bernhard Wagner). »Volkes« interpretieren soll. Die Ausstellung Der Kurator Wolfgang Knapp schätzt die präsentiert auch keine »volkstümlichen« Ob- Ausstellung in den 6 Bauwagen als ein »Ge- jekte, die vornehmlich bäuerlicher Natur sind.

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536_#12-4_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Mehr Karlsruhe geht nicht.indd 538 29.11.2015 11:57:31 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

»Karl Drais – Erfinder, Beamter und Demokrat« Ausstellung zum Stadtgeburtstag in der BBBank-Zentrale

Hans-Erhard Lessing

Die Reichsfreiherrn von Drais waren seit der Stadtgründung mit Karlsruhe verbunden, aber nur der letzte Spross der im Mannesstamm ausgestorbenen Draisens brachte es zu Weltruhm. Nachdem auch noch kürzlich dessen Lebendmaske – wie die Goethesche aus der Gallschen Sammlung – wiederentdeckt wurde, wurde es möglich, diese zusammen mit dem neuesten Erkenntnisstand zum Stadtjubiläum auszustellen. Passenderweise jährte sich auch die super- kolossale Tambora-Eruption in Indonesien zum zweihundertsten Male, die ja dann 1816 jene Klimakatastrophe bewirkte, welche den Erfi nder an den Ersatz der verhungernden Reitpferde durch sein Zweirad denken ließ. Konzeption und Inhalt der Ausstellung werden im Folgenden berichtet.

Am 16. Juni wurde diese Ausstellung mit ten, war er doch ein Hofdiener, wie die Beam- Reden von Prof. Dr. Wolfgang Müller, Vor- ten damals genannt wurden. standsvorsitzendem der BBBank, Organisa- Es dauerte nur noch vier Jahre bis zum ent- tor Martin Hauge und Drais-Biograph Prof. scheidenden Fund der Drais’schen Zeitungs- Dr. Hans-Erhard Lessing eröff net, bei musi- anzeige von 1849 über seine Niederlegung der kalischer Umrahmung durch das Duo Atem- Adelstitel. Jähe Erkenntnis: Der Bürger Drais Bogen. war gar kein Monarchist, sondern hat sich un- erschrocken als Demokrat geoutet – ideell auf der Seite der Revolution! Schlagartig passten 1. Warum diese Ausstellung? jetzt alle Puzzleteile zusammen. Alles Lächer- liche und Verächtliche, das man über ihn zu Vor 30 Jahren gab es im Karlsruher Stadtmu- wissen glaubte, wurde von badischen Mon- seum eine Ausstellung zum 200. Geburtstag archisten gestreut, vom Mannheimer Major des Zweiraderfi nders Karl Drais (1785–1851). Seubert über den Heidelberger Mathematik- 13 Jahre später folgte das Gedenken an 150 historiker Cantor bis zum Karlsruher Ge- Jahre Badische Revolution. Auf welcher Seite werbehallenleiter Meidinger. Also musste stand der Erfi nder eigentlich seinerzeit? Alle alles noch einmal auf den Prüfstand. Dies hielten ihn für einen progressiven Monarchis- ist in Hans-Erhard Lessings Biographie1 und

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539_Lessing_Drais.indd 539 29.11.2015 14:44:10 adäquate deutsche Veranstaltungen oder gar ein eigenes Museum/Science-Center gegen- überzustellen, insbesondere in dessen Ge- burtsstadt mit ihrer Technologie-Region. Dies kann nicht gelingen, wenn in den Köpfen der Kulturpolitik Technikphobie im allgemeinen und die überholte Fahrrad- und Drais-Ver- achtung im besonderen weiterhin überwiegen.

2. Engagement der BBBank Karlsruhe

Die BBBank fördert jedes Winterhalbjahr Künstlerausstellungen in der Halle ihrer Zentrale in der Herrenstraße 2–10. Frau Juliane Roth, im Marketing zuständig für diesen Bereich, befürwortete den Vorschlag, die Sommerpause für eine Drais-Ausstel- lung zu nutzen, und erreichte die Zustim-

Lebendmaske von Karl Drais, wohl 1818 mung des Vorstands. Dankenswerterweise (Musée de l’Homme Paris; Foto Bogdan) übernahm die BBBank die Kosten des Eröff - nungsabends und die beträchtlichen Kunst- transport- und Versicherungskosten für die Quellenedition 2003 geschehen mit dem Fa- Original-Laufmaschine aus den Fürstlich zit: Drais war nicht »verkannt« oder gar »kau- Fürstenbergischen Sammlungen zu Donau- zig«, sondern politisch verfolgt – und dies mit eschingen. Diese Leihgabe verdankt sich de- Methoden, die heute als Landfriedensbruch ren Leiter, Herrn Dr. Andreas Wilts. und versuchter Mord zu bestrafen wären. Der 300. Stadtgeburtstag erschien als der richtige Moment, die Stadt mit ihrem großen 3. Die Ausstellungsmacher Sohn wieder in Einklang zu bringen, dessen Lebendmaske jüngst im Depot des Pariser Das Ausstellungsprojekt vereinte drei Ge- Musée de l’Homme wiederentdeckt wurde. schichtsfreunde aus ganz unterschiedlichen Denn ebenso wie Frankfurt seinen Goethe Bereichen. Motor war Martin Hauge, der sel- hat nun Karlsruhe seinen Karl Drais, wobei tene Glücksfall eines geschichtskundigen Fahr- beider Masken damals für die Prominenten- radhändlers im Karlsruher Gewerbehof mit Sammlung des Hirnforschers Docteur Gall Ausstellungserfahrung aus einem deutsch-pol- abgenommen wurden. Bis zum 200jährigen nischen Projekt. Er hatte bereits die Idee der Jubiläum des Fahrrads in 2017 ist nur noch Drais-Leseecken an öff entlichen Plätzen (Cafe wenig Zeit, um der nun weltweiten Rezep- Palaver, Buchhandlung am Kronenplatz und tion von Drais als Erfi nder des Urfahrrads Karlsruher Buchausstellung) realisiert, welche

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539_Lessing_Drais.indd 540 29.11.2015 14:44:11 Ansicht des Mannheimer Schlossgartens 1819 mit Drais auf Laufmaschine (markiert »v.Dr.«), Aquarell von Joseph Karg (1791–1837) (Reiss Engelhorn Museen, Mannheim)

die Karlsruher zum Lesen über den neuen Drais 4. Erkenntnisse zu Karl Drais animieren sollen. Hinzu kam Prof. Dr. Holger Martin, bislang Karlsruhe Institute of Techno- Karl Drais wurde als Reichsfreiherr von Sau- logy (KIT), ebenfalls historisch und literarisch erbronn 1785 in Karlsruhe zu unruhigen Zei- interessiert. Der von ihm konzipierte Karlsru- ten geboren. 5-jährig ging es wegen der Epi- her Drais-Rundgang2 wurde in der Ausstellung lepsie des Vaters in den badischen Hunsrück, mit Fotos von Martin Hauge vorgestellt. Prof. dann zurück nach Gernsbach, wieder zum Dr. Hans-Erhard Lessing, Hauptkonservator Hunsrück und auf der Flucht vor den Franzo- a. D. und nun in Koblenz ansässig, hatte die sen nach Durlach. Den Beruf bestimmte der neue Drais-Biographie und -Quellensammlung Pate und regierende Markgraf Karl Friedrich: 2003 veröff entlicht und auszugsweise hieraus Forstdienst. Doch dank des Bewerberstaus 2010 ein Taschenbuch3 herausgebracht (vergrif- dort konnte der 18-jährige ein Studium bei fen). Die Nachricht von der Wiederentdeckung den Technologen der Universität Heidelberg der Drais’schen Lebendmaske in Paris brachte einschieben. Danach überqualifi ziert, wirkte diese drei zusammen, um eine Kunststoff - er beim Onkel als Forstlehrer in dessen Forst- Kopie zu fi nanzieren, die dann auch ausgestellt lehranstalt zu Schwetzingen und erreichte werden sollte. noch den Status eines Forstmeisters ohne

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539_Lessing_Drais.indd 541 29.11.2015 14:44:11 Ausstellungstafel, auch zum DUDEN-Irrtum: denn Laufmaschine =Laufrad/

Amt. Bei vollen Bezügen beurlaubt versuchte 1812 begann eine Serie von schlechten er sich jetzt in Mannheim als Weißer-Kragen- Ernten, welche den für den Pferdeverkehr Erfi nder ohne eigene Werkstatt, wovon man relevanten Haferpreis ansteigen ließ. Drais in vorindustriellen Zeiten nicht leben konnte. wandte sich jetzt dem Landverkehr zu und

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539_Lessing_Drais.indd 542 29.11.2015 14:44:11 sann auf Ersatz der Zugpferde. Ein vierräd- maschine im Gepäck, der ersten mit Tasta- riger Gartenphaeton mit Trethebelantrieb tur. Wieder daheim unternahm Drais mit durch Lakai im Schwetzinger Schlossgarten dem Erbanteil aus dem Verkauf des elterli- diente ihm als Ausgangspunkt seiner Über- chen Hauses eine Englandreise, um seine zur legungen. Er ließ eine radikal vereinfachte, Stenomaschine weiterentwickelte Schnell- vierrädrige »Fahrmaschine« bauen, worin schreibmaschine den britischen Parlaments- eine Tretmühle direkt auf der Hinterrad- stenographen vorzustellen – leider ohne Er- welle saß. Diese ließ er noch in eine verbes- folg. Ein gewonnener Prozess gegen Kürzung serte Fahrmaschine Zwei umbauen, mit Kur- seiner Pension führte zur Privatrache des un- belwelle zwischen den Hinterrädern, mit terlegenen Anwalts der Gegenseite, der nun der er nach Wien reiste, um sie beim Wie- Drais schadete, wo er nur konnte. Drais’ Be- ner Kongress vorzuführen. Die Fürsten dort kenntnis zu demokratischen Idealen in der schmerzte der hohe Haferpreis aber noch Mannheimer Harmoniegesellschaft machte nicht genug, um an Alternativen zum Pferd ihn zum Staatsfeind und hatte einen Mord- denken zu müssen. anschlag zur Folge, welchem er nur knapp Doch die Klimakatastrophe 1816, im Ge- entging. Vorsichtshalber zog er in den Oden- folge der Eruption des östlich von Java auf der wald nach Waldkatzenbach und dann nach Insel Sumbawa gelegenen Vulkans Tambora, Karlsruhe. Nach Niederschlagung der Ba- ließ die Ernte komplett verderben. Die Folge dischen Revolution durch die Preußen ver- waren Hungersnot, Hafermangel und Pferde- suchte man, ihn zu entmündigen, und be- sterben. Im Juni 1817 ging Drais mit seiner schlagnahmte seine Pension zur Begleichung zweirädrigen Laufmaschine als Reitpferd-Er- der Revolutionskosten. Daher starb Drais satz an die Öff entlichkeit. Wie ein Lauff euer 1851 mittellos. breitete sich die Nachricht aus, und Hand- werker bauten Raubkopien allein aufgrund der Zeitungsnachrichten – schätzungsweise 5. Ausstellungskonzept 5000 bis 10 000 Exemplare weltweit. Doch und -aufbau mit der wieder guten Ernte im Herbst 1817 schloss sich bereits das günstige Fenster für Die besondere Botschaft der Ausstellung war die Erfi ndung. Die Pferde wuchsen nach, und die Neubewertung des Erfi nderlebens auf- schon im Dezember wurde auf den Bürger- grund des aktuellen Forschungsstands. Auf steigen Mannheims das nur dort mögliche eine Gegenüberstellung mit den bisherigen Laufmaschinen-Fahren verboten, später in Falschdarstellungen wurde verzichtet und Mailand, London, New York und sogar Kal- ganz auf die Suggestionskraft der bislang un- kutta. veröff entlichten historischen Farbbilder ge- Neue Funde belegen, dass das eigentliche setzt. Auf rund 30 Tafeln im Format A1 wur- Verhängnis für Drais die Rolle seines Vaters den chronologisch Farbreproduktionen und bei der Todesstrafe für den Kotzebue-Mörder knapper Text in gut leserlicher Schrift ange- Ludwig Sand war. Die Sand-Anhänger schi- ordnet. Die für den Vergleich mit der wie- kanierten den Sohn öff entlich, der schließ- derentdeckten Büste wichtigen authentischen lich 1822 nach Brasilien als Landmesser für Porträtdarstellungen wurden auf Leuchtkäs- sechs Jahre ins Exil ging – mit seiner Schreib- ten montiert.

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539_Lessing_Drais.indd 543 29.11.2015 14:44:11 Ausstellungstafel zum Ansehen von Erfinder und Erfindung 1817

6. Themen der Ausstellung lungen und die Deutung der Laufmaschine als technische Konstruktion4, wenngleich in Schwerpunkte waren der Vergleich der Büste Holz als dem damaligen Maschinenbauma- mit den wenigen authentischen Draisdarstel- terial ausgeführt. Eingangs wurde der mitt-

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539_Lessing_Drais.indd 544 29.11.2015 14:44:11 8. Presseecho

Nachricht hauptsächlich von der wiederent- deckten Draismaske lieferte die Frankfur- ter Allgemeine Zeitung (10.6.2015) und FAZ. NET. Die Ausstellung selbst fand ihren Nie- derschlag in den Badischen Neuesten Nach- richten (17.6.2015) und deren Sonntagsbeilage (30.8.2015), sowie der Rheinpfalz (18.6.2015), ebenso in Online-Ausgaben der Fahrrad- Zeitschrift en und fahrradland-bw.de.

Anmerkungen

1 H. E. Lessing: Automobilität – Karl Drais und die unglaublichen Anfänge, Leipzig 2003. 2 Siehe http://danke-karl-drais.de/index.php/pro- jekte/in-planung. 3 H. E. Lessing: Karl Drais – zwei Räder statt vier Hufe, Karlsruhe 2010. 4 H. E. Lessing: Wie ausgeklügelt war die Laufma- schine? Badische Heimat 2/2010, S. 554 ff . 5 T. Hadland und H. E. Lessing: Bicycle Design – An Illustrated History, Cambridge 2014. lerweile erhärtete Zusammenhang5 der Zwei- raderfi ndung als Reitpferd-Ersatz mit dem zeitgleichen Pferdesterben dargestellt. Dann wurden seine weiteren Erfi ndungen, die Sand- Hinrichtung nebst Exil und die Badische Re- volution thematisiert.

7. Der Karlsruher Drais-Rundgang

Deutlich abgesetzt vom Tafelrundgang wa- ren die Fotos (meist von Martin Hauge) der Stationen des geplanten Drais-Rundgangs in Karlsruhe, die auf einer Wand gegenüber ei- Anschrift des Autors: ner Sitzgruppe angeordnet wurden nebst ihrer Prof. Dr. Hans-Erhard Lessing Verortung in einem Stadtplan-Schema (Hol- Rheinzollstraße 16 56068 Koblenz ger Martin).

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539_Lessing_Drais.indd 545 29.11.2015 14:44:12 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

»Zustand 300« Stadtansichten von Wilhelm Kratt (1910) und Zwischenzustand 2015

Fotoausstellung im Hof des Gerstaecker Bauwerk, Adlerstraße 30 26.9.2015 – 18.12.2015

Dirk Altenkirch

Evangelische Stadtkirche Karlsruhe 2015 Evangelische Stadtkirche Karlsruhe 1910

Karlsruhe feiert in diesem Jahr mit seinem Festsommers vollkommen aufgegraben. Die umfangreichen Festprogramm seinen 300. Bauarbeiten für die U-Strab sind in vollem Geburtstag. Große Teile der Innenstadt, ins Gange. Die Großbaustelle, die für die Karls- besondere die Hauptachse mit dem zentra- ruher Bürger vor allem eine enorme Belas- len Marktplatz sind allerdings zur Zeit des tung darstellt, bietet aber spannende Ein-

546 Dirk Altenkirch Badische Heimat 4 / 2015

546_#12-5_Altenkirch_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Zustand 300.indd 546 29.11.2015 11:59:03 Blick auf den Markplatz von Karlsruhe mit Blick auf den Markplatz von Karlsruhe mit Baustelle und Stadtkirche 2015 Stadtkirche 1910

blicke in die Karlsruher »Unterwelt«. So hat gelöst und nach Standpunkten gesucht, die man im Jubiläumsjahr ausnahmsweise freie für die einrucksvolle Abbildung der heutigen Sicht auf die direkte Umgebung der Ruhe- Situation besonders geeignet sind. Wichtig stätte des Stadtgründers. Der optische Reiz, war dabei nicht, die Ästhetik der Baustelle zu den der aktuelle »aufgewühlte« Zwischen- zeigen, sondern es ging immer darum, sie im zustand bietet und die Kenntnis der Stadt- Kontext zu bekannten und meist historischen ansichten des Fotografen Wilhelm Kratt Bauwerken zu sehen. von 1910 haben den Architekturfotografen In der Ausstellung »Zustand 300« werden Dirk Altenkirch und seien Assistenten Ste- einige dieser Aufnahmen als großformatige fan Schanzenbach inspiriert eine Fotoserie Drucke auf PVC-Planen an der langen Wand zum »Zustand 300« der Stadt im Jahr ihres im Hof der Firma Gerstaecker Bauwerk in Geburtstages zu erstellen. Für ihre Aufnah- Karlsruhe präsentiert. Die Serie beginnt mit men suchten sie dieselben oder ganz ähnli- Gegenüberstelllungen von historischen und chen Standpunkte auf wie damals Wilhelm aktuellen Aufnahmen und entwickelt sich Kratt, um die historischen und die heutigen über freie Motive hin zu detaillierten Fotos Zustände vergleichbar zu machen. Sie haben von Strukturüberlagerungen und ungewöhn- sich aber auch von den Kratt’schen Vorlagen lichen optischen Bezügen.

Badische Heimat 4 / 2015 »Zustand 300« 547

546_#12-5_Altenkirch_Karlsruhe 300 im Rückblick_5_Zustand 300.indd 547 29.11.2015 11:59:04 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Eine andere Chronologie und eine andere Erzählweise Genug gejubelt!? – Pleiten, Pech & Glücksfälle der Stadtgeschichte Doppelausstellung im Stadtmuseum und im Pfinzgaumuseum 26. September 2015 – 27. März 2016

Heinrich Hauß

1. Stadtmuseum Die Geschichte der Stadt soll anlässlich des Stadtjubiläums »gegen den Strich gebürs- tet« werden (Flyer). Die Ausstellung setzt sich damit bewusst von einer konventio- nellen, allzu positiven, hochlobenden Sicht ab. Diese Sicht entspricht einem Trend, al- les möglichst mit Augenzwinkern, mit Iro- nie zu sehen. Mit den Ausstellungen soll am Ende des Festivalsommers »noch einmal ein kleines Ausrufezeichen« (E. O. Bräunche) gesetzt werden. Warum eigentlich nur »ein kleines«? Nach so vielen Event-Formaten mit den Ausstel- lungen ein Fragezeichen und ein Ausrufe- zeichen zu setzen, ist richtig. Allerdings wä- ren ernsthaft ere Ansätze denkbar gewesen, besonders, da durch »eine gegenwartsbezo- gene Markstrategie historische Fakten igno- riert oder zurechtgebogen werden« und »so- lide und wissenschaft lich fundierte Stadtge- schichte« überlagert wird (E. O. Bräunche, BNN 19.9.2015). Mit der Ausstellungskonzep- tion bleibt man aber auf der Linie der leicht verdaulichen Events: »Fortsetzung des ent- spannten und fröhlichen Festivalsommers«. »28 Stationen im Stadtmuseum sowie 15 Stationen im Pfi nzgaumuseum präsentieren

548 Heinrich Hauß Badische Heimat 4 / 2015

548_#12-6_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_11_Genug gejubelt.indd 548 29.11.2015 12:37:25 Territorial- und Alltagsgeschichte, Sozial- 2. Pfinzgaumuseum und Kulturgeschichte, Wirtschaft s- und Ver- kehrsgeschichte, aber auch einzelne Perso- nen und städtebauliche Entwicklungen wer- den unter die Lupe genommen« (Flyer). Die Stadtgeschichte wird »jenseits der üblichen Chronologie und tradierten Erzählmuster« gezeigt. Die beiden Ansätze ermöglichen eine Ausstellung, die eine besondere Leistung des Stadtmuseums zum Stadtjubiläum ist. Sie ist sowohl einfallsreich wie unterhaltend und Schriftzug auf dem Turmberg belehrend. Die Postkarten, die jeder Station beigeben sind, erleichtern die Orientierung und können zur Nachbereitung und zur Er- Die Ausstellung im Pfi nzgaumuseum ist mit innerung von den Besuchern mitgenommen 15 Stationen kompakter und überschaubarer werden. Die Ausstellung zeigt 13 Glückssta- als die Ausstellung im Karlsruher Stadtmu- tionen und 9 Pechstationen. Negative Bot- seum. Die Zeitspanne umfasst Stationen wie schaft en und »Glücksfälle« sind mit den 1196 (Tatort Durlach, ein spektakulärer Kri- Farben rot und grün gekennzeichnet. Sechs minalfall) und 1689 (Zerstörung der Stadt) Positionen, blau gekennzeichnet, fordern und reicht bis 2015 (»Durlach«-Schrift zug am den Besucher auf, selbst wertend Stellung Turmberg a la Hollywood). zu nehmen (z. B. Konversionsgebiet Erzber- Off en zur Entscheidung der Besucher blei- gerstraße, Bewerbung zur Kulturhauptstadt, ben Daten wie 1872 (Firma Gritzner), 1938 Eingemeindung Neureuts und U-Strab). Die (Eingemeindung), 1969 (Roter Turm), 1984 Bewertung der einzelnen Stationen der Stadt- (Weiherhofgelände). Positiv werden die Dur- geschichte werden Jahreszahlen zugeordnet, lacher Fayencen bewertet (1723), der Weinbau die »Glücksreihe« beginnend mit der Jahres- am Turmberg (1832), der Anschluss an das Ei- zahl 1715 (Gratis-Holz für alle Bürger) und senbahnnetz (1881), Deutsche Fußballmeister endend 2008 (Vom Schlachthof zum Krea- auf der Sportschule Schöneck). Negativ be- tivpark). wertet werden die Ereignisse wie der »Gemü- Der Untertitel der Ausstellung »Pleiten segarten der Residenz (Rittnerthof), Nieder- und Pannen« ist wohl einer früheren Fern- geschlagene Revolution 1848« und »Vom ro- sehsendung nachgebildet. Der Sache mehr ten zum brauen Durlach« (1922). entsprechend wäre wohl, weniger reißerisch, Die beiden Ausstellungen sind, bedingt der Titel »Gelungenes und Misslungenes« durch die Th ematik, relativ arm an Objekten. gewesen. So ist zum Beispiel nur die miss- Erfreulich sind deshalb die Zeichnungen der glückte Städtepartnerschaft zwischen Karls- Prinzessin Elisabeth von Baden-Durlach mit ruhe und Phoenix eine echte »Panne«. Der Innenansicht der alten Karlsburg (1660/70), Abzug der Bambi-Verleihung ein »Entzug ei- das Bildnis der Markgräfi n Magdalena Wil- ner Gunst«. helmine mit Wellholz, die Fayencen Durlachs (Terrinen, Birnkrüge), ein Helm der Durla- cher Bürgerwehr und die Weinbergkanone.

Badische Heimat 4 / 2015 Eine andere Chronologie und eine andere Erzählweise: Genug gejubelt!? 549

548_#12-6_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_11_Genug gejubelt.indd 549 29.11.2015 12:37:26 1984 offen

Das Schlimmste verhindert? Übersichtskarte der städtebaulichen Ziele der Sanierung Durlachs 1984. »Bloß nicht so wie im Karlsruher ›Dörfle‹ sollte es werden, wo man bei der Flächensanierung seit 1954 rücksichtslos Straßenzüge mit historischem Baubestand niedergerissen hat.«

1841 Glück

Benz oder Drais? Die Antwort heißt Kessler. Maschinen von Kessler und Martiensen, um 1850. Kessler baute 1842 die erste badische Lokomotive. »Häufig wird die Frage gestellt, ob nun der Fahrraderfinder Freiherr von Drais oder der Vater des Automobils Carl Benz, beides Karlsruher, für die Stellung der Stadt als Mobilitätsstadt größere Bedeutung hat. Die Antwort kann nur Emil Kessler heißen.«

1893 Glück

»Bal´werra d´Mädle jetz´ Professer.« Oberprima des Mädchen- gymnasiums, 1911 in einem Schulraum des heutigen Fichte-Gymnasiums. Am 16. Dezember 1893 wurde in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium eröffnet. Viele begegneten der Neuerung anfangs mit Misstrauen.

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548_#12-6_Hauß_Karlsruhe 300 im Rückblick_11_Genug gejubelt.indd 550 29.11.2015 12:37:26 Karlsruhe 300 im Rückblick. Die Ausstellungen. Die Kataloge.

Blumen für Karlsruhe 9. – 30. August 2015 im Fasanenschlösschen Eröffnungsrede der Ausstellung am 9.8.2015

Erwin Vetter

Reinheit Mariens, die Nelke für die Wund- male Christi, die Rose für die Liebe. Mit den Blumen schenkt man Symbolik, die keine Worte braucht, als Lob, Blumen sind für Aner- kennung, Liebe, Bewunderung, Glückwunsch. Die Blumen sind Mittel einer wortlosen Kom- munikation: lasst Blumen sprechen. Blumen künden Wärme, Lebensfreude, Helligkeit oder Kompassion. Der Weg des Göttlichen durch die Welt: Fronleichnamsprozessionen. Maler haben zu allen Zeiten Blumen ge- malt mit dem tiefen dem Künstler eigenen Verständnis für diese Symbolik oder einfach nur farbenprächtig. Rot für die Liebe, Gelb für die Herrschaft , Grün für die Natur, Blau für das Romantische, die blaue Blume des Nova- lis als Zeichen für eine bessere Welt, unver- gesslich beim 90. Geburtstag: die Abneigung gegen Gelb und die Aussage: wir könne fast alles. Aber selbst der größte Wissenschaft ler kann nicht das Wunder der kleinen Wiesen- blume nachbauen. Die Natur ist einzigartig und Blumen sind Ursymbole der Menschheit. Emil Wachter, der tief fühlende und nach- denkliche, der vielseitige und wissende Blumen sind Symbole: für das Leben, für die Künstler, hat dies alles verstanden und sein Liebe, für den Glauben für die Schönheit und Wissen in Kunst verwandelt, in wunderbare Kraft der Natur. Die weiße Lilie steht für die Blumenbilder und Stillleben, die den heutigen

Badische Heimat 4 / 2015 Blumen für Karlsruhe 551

551_Vetter_Blumen für Karlsruhe.indd 551 29.11.2015 17:29:47 Tag schmücken. Ich erinnere mich an die erste – als Höhepunkt der menschlichen Existenz Begegnung mit EW, der mir bei der Eröff nung – Karlsruher Künstler mit Ihnen zusammen. des Ettlinger Schlossfestspiele Glückwünsche Die Ausstellung ist tituliert mit »Blumen für sandte, ein kleines Aquarell, eine rote Rose im Karlsruhe«. Das soll heißen: Glückwunsch für grünen Blumentopf. die Jubiläumsstadt, die der Menschheit trotz Bewundernswert: das war kein naturalisti- ihres jugendlichen Alters Atemberaubendes sches Bild, sondern hingehauchter Gedanke gegeben hat: seit der Gründung Freiheit der einer Blume mit angedeuteten Blättern, die Religion und Befreiung von Leibeigenschaft , Rose ein Feuerkopf, voll im Licht, von Schat- das erste Parlament im schönsten Parlaments- ten begleitet. Die voll im Licht stehende Rose gebäude, die erste moderne TH, Kunstakade- sagt Farbe und Frische an. Sonst verschwimmt mie, Kunsthalle und ZKM/HfG, Hertz, Drais, die Realität ins Schemenhaft e, Mystische, At- Benz, Haber, heute Rihm, Sloterdijk, Weibel, mosphärische. Der Dreiklang des Aquarells, Gerichte. Wenn ein Mannheimer Ettlinger so Wasser, Farbe, Papier, schafft eine poetische lobt und liebt, dann muss etwas dran sein. Vor Eleganz, eine Leichtigkeit sondergleichen. allem lobe und genieße ich aber die badische Selbst einem künstlerisch unmusikalischen Lebensfreude, die hier zuhause ist. Die wün- Betrachter wird klar, dass das Schöne eher in sche ich uns jetzt bei und mit den Bildern des dem Unsagbaren und Unsichtbaren zum Aus- badischen Künstlers Emil Wachter in seiner druck kommt. Die auf den ersten Blick »un- Herzkammer Karlsruhe. vollständigen« Blumenbilder Wachters sind ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürft ig – durch die eigene Phantasie des Betrachters. EW hat bei mir mit diesem Anstoß »Blu- mendenken« angeregt und ich wurde bei Rei- sen gewahr, was Blumen für die Menschen be- deuten: angefangen bei den fl oralen Grund- rissen der ersten Tempel der Menschheit auf Malta bis hin zu den herrlichen Gärten in England und Frankreich. Dies alles endete bei Anschrift des Autors: mir in der Landesgartenschau 88. Dr. Erwin Vetter Mit dieser Ausstellung feiern wir, Stift ung Vordersteig 12a und Freundeskreis Emil Wachter, unseren 76275 Ettlingen [email protected] Emil, den großen, menschenfreundlichen und

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551_Vetter_Blumen für Karlsruhe.indd 552 29.11.2015 17:29:48 Die GLOBALE. Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter

Peter Weibel

Das neue, polyphone, multipolare Kunstformat GLOBALE des ZKM, Labor und Akademie zugleich, begann mit dem 300-jährigen Jubiläum der Stadt Karlsruhe im Juni 2015 und dauert 300 Tage bis zum 17. April 2016 an. Es thematisiert die kulturellen Eff ekte der Globalisierung und Digitalisierung, welche das Leben auf unserem Planeten verändern. Ausstellungen, Kon- zerte, Performances, Vorträge, Konferenzen und Symposien zeigen erstmals die entscheiden- den künstlerischen, sozialen und wissenschaft lichen Tendenzen des 21. Jahrhunderts.

300 Jahre Karlsruhe – Rahmen des Stadtgeburtstages und in Ko- 300 Tage GLOBALE. operation mit dem Stadtmarketing verlagerte Anlässlich des Stadt- das ZKM die GLOBALE zunächst in den öf- geburtstages veran- fentlichen Raum und zog mit Performances staltete und veranstal- und Skulpturen ein breites Publikum in Bann. tet das ZKM | Zent- Eine der ganz großen Attraktionen waren da- rum für Kunst und rüber hinaus die Schlosslichtspiele. Medientechnologie Karlsruhe im ZKM sowie Während zu Beginn der GLOBALE die an ausgewählten Orten der Stadt eine neue Kunst in den Außenraum wanderte, holte das künstlerische Manifestation: die GLOBALE. ZKM die Natur in die Museumsräume. Mit Diese Folge von untereinander verschränkten Cloudscapes machten die Stuttgarter Ener- Ausstellungen und Auff ührungen, Installati- gietechnik GmbH Transsolar und der Archi- onen und Environments, Forschungspräsen- tekt Tetsuo Kondo aus Japan eine reale Wolke tationen und Filmvorführungen, Lesungen erfahrbar, die durch die Lichthöfe schwebte. und Vorträgen, Performances und Aktio- Gleichzeitig konnten die Besucher in den au- nen, Konzerten und Konferenzen setzt sich diovisuellen Großinstallationen micro | ma- mit zwei Th emenfeldern auseinander: Glo- cro von Ryoji Ikeda eintauchen in riesige balisierung und Digitalisierung, welche das Datenwolken. Leben der Menschen auf dem Planeten Erde gegenwärtig enorm verändern. Was Richard Buckminster Fuller bereits 1968 in Opera- Ausstellung und Welt im Wandel ting Manual for Spaceship Earth (Bedienungs- anleitung für das Raumschiff Erde) monierte, Wie die GLOBALE inhaltlich dem digitalen das Fehlen einer Gebrauchsanleitung für das Wandel gewidmet ist, so ist auch das Ausstel- Raumschiff Erde, gilt heute umso mehr. Im lungsformat prozesshaft , Labor und Akade-

Badische Heimat 4 / 2015 Die GLOBALE. 553

553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 553 29.11.2015 19:49:50 das globale Internet nicht vor- stellbar. Globalisierung und Digitalisierung bewirken ein weltweites Datennetz, das eine globale Synchronisation der Ereignisse, aber auch neue Formen von Asynchronizität zur Folge hat. Das Zusammen- treff en divergierender Auff as- sungen von Kunst, Religion, Moderne und Gesellschaft , aus globaler Perspektive di- gital und simultan vermittelt, Leandro Erlich, Pulled by the Roots, 2015, Außeninstallation mit Kran kann zu Kriegen, aber auch zu (© Leandro Erlich Studio, Foto © ZKM | Karlsruhe, Foto: ONUK) unvorhergesehenen Überein- stimmungen führen. »Global« bedeutet heute mie zugleich, ein polyphones und multipola- eine einerseits simultane Sicht auf die Welt res Ereignis. Doch mit der GLOBALE ist keine als Mündungsgebiet vieler kultureller, sozialer geopolitische Ausdehnung des Kunstsystems und religiöser Strömungen mit andererseits auf bisher marginalisierte Länder und auch wiederum unterschiedlichen Geschwindig- keine postkoloniale Kartografi e unterreprä- keiten. Wir verfolgen die monetären, religiö- sentierter Kunstkontinente intendiert. Die sen, sozialen, kulturellen, technischen Bewe- Gleichberechtigung der Kulturen der Welt, gungen täglich im Internet, Fernsehen, Radio, gerade wegen ihrer Diversität, hat das ZKM in Zeitungen etc. Wir folgen den großen Da- bereits mit mehreren Symposien und Ausstel- tenströmen um den Globus, aber wir wissen lungen zum Th ema gemacht, zuletzt mit Th e noch nicht, in welches Meer diese Strömun- Global Contemporary (2011/2012). Vielmehr gen und Bewegungen münden. sollen die kulturellen Eff ekte der Globalisierung und Digi- talisierung, die wechselseiti- gen Beeinfl ussungen von ver- schiedenen Kulturkonzepten dargestellt werden. Der Be- hauptung vom Clash of Civi- lizations (Samuel Huntington, 1996) kann die Option einer Confl uence of Cultures (Pe- ter Weibel) gegenübergestellt werden. Globalisierung ist ohne Transsolar + Tetsuo Kondo, Cloudscapes, 2015 technische Innovationen wie (© ZKM | Karlsruhe, Foto: Harald Völkl)

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 554 29.11.2015 19:49:51 Was die Migration der Menschen, die welt- weiten Flüchtlingsströme betrifft , wissen wir allerdings, dass sie im Meer ertrinken – ein Zeugnis nicht nur globaler Inhumanität und Ungerechtigkeit, sondern auch ein Versagen der zivilisatorischen Institutionen. Ist dieses Versagen ein Erbe des 20. Jahrhunderts? Und ergreift das 21. Jahrhundert die Chance, die soziale Lage der Mehrheit der Menschen le- benswerter und humaner zu gestalten? Auf diese Fragen geben in den Aktionen und Aus- stellungen der GLOBALE nicht nur Künst- lerInnen, sondern auch KabarettistInnen, MusikerInnen, DJ’s, Wissenschaft lerInnen online und offl ine Auskunft . Die GLOBALE lässt entscheidende künstlerische, soziale und wissenschaft liche Tendenzen des 21. Jahrhun- derts sichtbar werden.

Noetische Wende: von sprach- und bild- zu Die Elefantenuhr des al-Jazar‐ı, werkzeugbasierten Kulturen Rekonstruktion, Konya Science Center, Bursa, Installationsansicht Allahs Automaten. Artefakte der arabisch-islamischen Globalisierung und Digitalisierung haben Renaissance (800–1200), ZKM | Karlsruhe 2015 nicht nur die Welt verändert, sondern auch (© ZKM | Karlsruhe, Foto: Jonas Zilius) die Funktion und den Kontext von Kunst, ebenso die Art und Weise, wie Kunst prä- sentiert wird. Die GLOBALE will die Vielfalt und den Reichtum der gegenwärtigen Kunst der Kunst oder Wissenschaft als Kunst (Paul jenseits der Markt- und Auktionskunst ab- Feyerabend, 1984). bilden. Heute nähern sich Kunst und Wis- Sprache war für Jahrtausende das Medium senschaft durch gemeinsame neue techno- der Weltbeschreibung und -veränderung. In logische Tools einander an. Die Werkstätten der Bibel heißt es »Am Anfang war das Wort« der KünstlerInnen gleichen gelegentlich den und noch bei Ludwig Wittgenstein steht im Laboren der Naturwissenschaft lerInnen. Die Tractatus logico-philosophicus (1921): »Die aktuelle Verschränkung von Kunst und Wis- Grenzen meiner Sprache bedeuten die Gren- senschaft erinnert an das 17. Jahrhundert, an zen meiner Welt«. Diese philosophische An- das Siglo de Oro und an die Renaissance. Wir schauung wurde 1967 von Richard Rorty als sprechen daher von einer um arabische und linguistic turn bezeichnet. Darauf folgten die asiatische Quellen erweiterten Renaissance Ausrufungen des pictorial turn (1991) durch 2.0: einer neuen Verwissenschaft lichung W. J. T. Mitchell und des iconic turn (1994)

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 555 29.11.2015 19:49:51 durch Gottfried Boehm. Wenn wir allerdings dem Gemälde verbannt war, kehrte der Ge- unsere Umwelt genauer betrachten, können genstand als realer Gegenstand in die Kunst wir uns kaum der Beobachtung verschlie- zurück. Auf Kasimir Malewitschs Selbstdar- ßen, dass die Grenzen unserer Welt mit den stellung der Darstellungsmittel antwortete Grenzen unserer Werkzeuge übereinstimmen, Marcel Duchamp (1913) mit der Selbstdarstel- und eine noetische Wende vorschlagen: Auf lung der Gegenstände. Das Ergebnis war – pa- Wörter und Bilder als mentale und manuelle rallel zur Entwicklung der Abstraktion – die Werkzeuge folgen die Werkzeuge der analo- umfassende Substitution der Repräsentation gen und digitalen Technologie. durch Realität. Landschaft smalerei wurde durch Land-Art ersetzt, Stillleben durch Ob- jektkunst, mit Farbe gemaltes natürliches Repräsentation und Realität Licht durch künstliches reales Licht, gemalte Wolken durch reale Wolken, gemalte Kör- Lange Zeit galten Religion, Kunst, Politik und per der Porträtmalerei durch Body-Art, etc. Philosophie als die dominierenden und rivali- Schließlich wurde das reale Publikum Teil sierenden Systeme der Welterklärung. Seit der des Kunstwerks. Neuzeit sind Naturwissenschaft und Technik Parallel zur Abstraktion und dem Neuen als Referenzsysteme hinzugekommen, die mit Realismus in der Kunst – beide Ergebnisse ihrer Werkzeugkultur die Welt konstruieren. der Krise der Repräsentation – haben sich Auch die Kunst möchte an der Konstruk- nach 1945 verstärkt neue Kunstmedien her- tion der Welt teilhaben. Dieses Moment der ausgebildet: die Kunstformen des bewegten Handlung hat die Kunst im 20. Jahrhundert Bildes wie Film, Video und computerbasierte mit dem Paradigmenwechsel von der Reprä- interaktive Installationen. Diese Neuen Me- sentation zur Realität eingeleitet. Zu Beginn dien haben die Gegenstandswelt wieder re- des 20. Jahrhunderts begann die Krise der Re- präsentiert. Aber indem sie Bewegung, Ton, präsentation. Mit Punkt, Linie, Fläche, Farbe Farbe mit dem Bild vereinigten, wirkten diese hat die Malerei Mittel entwickelt, mit denen Künste so realistisch wie nie zuvor. Die Neuen die sichtbaren Formen der Gegenstandswelt Medien haben den Ton und die Handlung in darstellbar sind. Solcherart war Leonardo da die Kunst eingeführt. Nach der ikonischen Vincis Programm, welches die Basis für die und linguistischen kam es zur performativen Kunst als Repräsentation lieferte. Um 1900 Wende. Alle klassischen Kunstformen wie wurde die gegenstandsgebundene Lokalfarbe Musik, Malerei, Skulptur wurden zu Hand- zur reinen Farbe verabsolutiert. In der Folge lungsformen. Die neue Kunst ist performativ wurden auch Punkt, Linie, Fläche von ihren und handlungsorientiert. mimetischen, repräsentativen Funktionen be- freit. Das Ergebnis war die abstrakte Malerei. Die Mittel der Malerei dienten nicht mehr der Exo-Evolution und Infosphäre Darstellung der Gegenstandswelt, sondern die Darstellungsmittel Punkt, Linie, Strich, Fleck, Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Fläche, etc. stellten sich selbst dar. Nachdem Material- und Werkzeugkultur. Von der Na- nur die Darstellung der Darstellungsmittel notechnologie bis zu den 3D-Druckern eröff - legitim war und der Gegenstand als Bild aus nen sich Perspektiven für eine neue (4.) in-

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 556 29.11.2015 19:49:51 Nandita Kumar, eLEmeNT: EaRTh, 2014, Nandita Kumar, pOLymORpHic hUMansCApE, Glasflasche, Holz, Acrylplatten, Draht, 2013, Glasflasche, Kupfer, Acryl, Solarzellen, Verlötung, Platinenkomponenten, Platinenkomponenten, Raspberry Pi, Sensor, Installationsansicht Exo-Evolution, LCD, Installationsansicht Exo-Evolution, ZKM | Karlsruhe 2015 (© ZKM | Karlsruhe, ZKM | Karlsruhe 2015 (© ZKM | Karlsruhe, Foto: Jonas Zilius) Foto: Jonas Zilius)

dustrielle Revolution, für eine Industrie 4.0. Monstern, ausgestattet mit Sensoren und Al- Die neuen Materialtechnologien und Herstel- gorithmen, die unser Verhalten dirigieren, bei lungstechniken werden von der Architektur Trunkenheit am Steuer wird das Auto zum bis zur Medizin unser Leben radikal verän- Beispiel nicht starten beziehungsweise stehen dern. Mithilfe künstlicher Gewebe werden bleiben. In seinem Buch Mechanization Takes biologische Defekte, zum Beispiel Unfall- und Command hat Sigfried Giedion 1948 diese Kriegsverletzungen »repariert«. Mit intrave- Entwicklung beschrieben. Doch die »tech- nösen Sensoren werden Herzinfarkte verhin- nische Kehre« (Martin Heidegger) transfor- dert, künstliche, außerhalb des Körpers an- miert die Welt tiefer. Um uns herum wird im- gebrachte Wirbelsäulen und Nervenkorsette, mer weniger Natur und immer mehr Technik sogenannte Exo-Skelette, werden körperlich sein. Nicht die Natur umgibt uns, sondern wir Behinderten helfen, sich zu bewegen. Häuser umgeben und umzingeln die Natur. Das Zeit- und Autos werden zu intelligenten Soft ware- alter des Anthropozän ist angebrochen.

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 557 29.11.2015 19:49:51 zeug des Menschen. Mit den Händen schuf der Mensch Werke, darunter Werkzeuge, mit denen er wiederum neue Werkzeuge schaf- fen konnte. Mit den Werkzeugen trat der Mensch aus der natürlichen Evolution heraus und wurde zum ersten »Freigelassenen der Schöpfung« (Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784–1791). So entstand aus der Hand das Handwerk und aus dem Handwerk die tech- nische Kultur. Seit der maschinellen Revolu- tion wurden immer mehr natürliche Funkti- onen und Organe in technische Werkzeuge ausgelagert beziehungsweise exteriorisiert: die Hand in den Hammer, der Fuß in das Rad, das Auge in das Mikroskop oder Teleskop, die Stimme in das Mikrofon, usw. Mit der wis- senschaft lichen Revolution der Neuzeit und der folgenden industriellen Revolution, für welche die Gleichung »Machinery, Materials, and Men« (Frank Lloyd Wright, 1930) gilt, Daniel Widrig, Transhuman Female und hat der Mensch Werkzeuge geschaff en, die es Transhuman Male, 2015, 3-D gedruckte ihm erlaubten, die Grenzen seiner natürlichen Objekte, Installationsansicht Exo-Evolution, ZKM | Karlsruhe 2015 (© ZKM | Karlsruhe, Organe zu überschreiten und ihre Defekte zu Foto: Jonas Zilius) kompensieren. Seit der digitalen Revolution werden immer mehr mentale Prozesse exte- riorisiert: neuronale Netze in Rechenmaschi- nen, Denkvorgänge in Algorithmen, usw. Die Exteriorisierung geht so weit, dass sogar nach Seit Jahrtausenden haben Menschen mit Leben außerhalb der Erde gesucht wird (Exo- ihren Händen und Augen, ihren natürlichen Biologie, Exo-Planeten). Schließlich soll das Werkzeugen, Kunst hergestellt. Das Auge, Leben selbst, die Fortpfl anzung des Lebens, das lichtverarbeitende Sinnesorgan, ist die vom Menschen externalisiert und im Labor beschränkte Antwort der Evolution auf die künstlich und technisch hergestellt werden lichtausstrahlende Sonne. Das Ohr ist die evo- können. lutionäre Antwort auf die Existenz von Schall- Die Welt der natürlichen Organe ist Pro- wellen. Das luft verarbeitende Organ Lunge ist dukt der Evolution. Das Heraustreten des die evolutionäre Antwort auf die luft gesättigte Menschen aus der natürlichen Evolution durch Atmosphäre, die das Ergebnis eines Millionen die Summe aller Werkzeuge, Maschinen und von Jahren währenden Prozesses der Photo- Medien bildet die Exo-Evolution – eine von synthese ist. Indem der Mensch sich aufrich- Menschen gemachte und gesteuerte Evolution tete, wurden die Hände zum ersten Werk- künstlicher Organe beziehungsweise Werk-

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 558 29.11.2015 19:49:51 zeuge. Die Konturen dieser Exo-Evolution be- ginnen wir gerade erst zu erahnen. Die Erde ist seit ihrer Entstehung von ei- nem elektromagnetischen Feld umgeben. Dennoch wurde die Entdeckung der Magnet- eigenschaft en der Erdkugel (William Gilbert, 1600) erst vor circa 130 Jahren durch Hein- rich Hertz nutzbar gemacht, der durch seine Funkenexperimente nachwies, dass Licht aus elektromagnetischen Wellen besteht. Seitdem können Nachrichten durch elektromagneti- sche Wellen verbreitet werden. Darauf beruht Emma Charles, Fragments on Machines, 2013, die telematische Kultur, von Telefonie bis 1-Kanal-HD-Video, Farbe, Ton, 17 Min., Videostill Television, die durch die Trennung von Bote und Botschaft gekennzeichnet ist. Daten rei- sen ohne (Körper des) Boten. Zu den Rätseln der Evolution gehört, wa- men, die das vom Menschen seit 130 Jahren rum uns die Natur nicht mit natürlichen eroberte erweiterte Spektrum der elektro- Organen ausgestattet hat, um ein größeres magnetischen Wellen benutzen. Doch ist da- Spektrum der elektromagnetischen Wellen rauf zu achten, dass der von der Natur Freige- wahrzunehmen. Der Mensch musste sich da- lassene nicht zum Gefangenen einer Sicher- her selbst künstliche, technische Organe wie heits-Junta wird. Freiheit für die Infosphäre Radio, Radar, Telefon, Fernseher, Satelliten sollte Gesetz sein und ein elft es biblisches Ge- und Smartphones bauen, um das Spektrum bot wäre notwendig: »Du sollst nicht begeh- der für den Menschen zugänglichen elek- ren deines Nachbarn Daten«. tromagnetischen Wellen zu erweitern. So Die Atmosphäre ist ein Produkt der Evo- entstand nach der Atmosphäre eine immer lution, die Infosphäre ein Produkt der Exo- größer und dichter werdenden digitale In- Evolution. Alle vier Parameter beeinfl ussen fosphäre. Dieses weltweite, den Erdball um- sich wechselseitig. spannende Netzwerk von drahtlosen Funk- verbindungen garantiert den globalen Daten- austausch von der Börse bis zum Flugverkehr Reset der Moderne und die Organisation des Verkehrs von Wa- ren und Menschen. Wir leben somit in einer Die GLOBALE hat mit einem Tribunal be- neuen Sphäre, der Infosphäre, die für das Le- gonnen, einem öff entlichen Prozess gegen die ben von sieben Milliarden Menschen auf die- Verbrechen des 20. Jahrhunderts an Mensch, ser Erde ebenso notwendig geworden ist wie Tier und Natur – die totale Entwertung des die Atmosphäre. Für das 21. Jahrhundert gilt Lebens. Die GLOBALE wird mit der Konfe- daher die Gleichung: »Medien, Daten und renz Next Society enden, die Lösungen und Menschen« (Peter Weibel, 2011). Optionen für das 21. Jahrhundert entwirft . Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es nun Dafür ist es notwendig, die Moderne und ihre neue elektronische und digitale Kunstfor- Grundlagen kritisch zu untersuchen. Die Mo-

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 559 29.11.2015 19:49:52 derne war ein Zeitalter der Extreme (Th e Age liche Ursache für die humanitären Katastro- of Extremes, Eric Hobsbawm, 1994), ein Jahr- phen, fordert uns heraus und fordert uns auf, hundert extremer Grausamkeiten und Ent- neue Instanzen zu schaff en, die uns vor einer hemmungen. 250 Millionen Tote aus rein po- Wiederholung der Katastrophen des 20. Jahr- litischen Gründen und verwaltungstechnisch hunderts bewahren. Forschungsergebnisse

organisierte Tötungsindustrien verbieten es, wie Geoff rey Ozins Vision einer CO2-Fabrik, von einem Jahrhundert der Rationalität und die den Sauerstoff abspaltet, oder die künst- Zivilisation zu sprechen. lichen Utopien von Biomista (Koen Vanme- Die Ausstellung von Bruno Latour, Reset chelen) vermögen den BesucherInnen Opti- Modernity!, kündigt bereits im Titel an, dass mismus zurückzugeben – den Glauben und wir die Moderne von vorn beginnen müssen die Hoff nung, dass die Menschheit doch eine und dabei behutsam überprüfen sollten, wel- Chance hat, die Probleme selbst zu lösen, die che Bausteine der Moderne wir noch verwen- sie schafft . den wollen, welche Module der Moderne noch zukunft sfähig sind. Die Ausstellung von Yuko Hasegawa, New Sensorium, kritisiert – aus asiatischer Sicht – die Moderne als europä- isch-nordamerikanische Konstruktion. Pan Gongkais Ausstellung Der Modernisierungs- weg der chinesischen Kunst zeigt eine Alterna- tive, nämlich den chinesischen Weg der Mo- Anschrift des Autors: derne. Peter Weibel Die GLOBALE ist eine Manifestation im Tel: +49 (0) 721/8100-0 Horizont der Hoff nung. Das Versagen der In- Fax: +49 (0) 721/8100-1139 [email protected] stitutionen im 20. Jahrhundert, eine wesent-

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553_Weibel_Das neue Kunstereignis im digitalen Zeitalter.indd 560 29.11.2015 19:49:52 Aufsätze

Das Haus Baden und sein Geschenk an Karlsruhe zur Stadtgründung

Anna zu Stolberg

Das Haus Baden schenkte der Stadt Karlsruhe zum 300. Geburtstag ein Denkmal an ihren Vorfahren und Stadtgründer Markgraf Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach. In Auft rag ge- geben wurde das Kunstwerk von Prinz Bernhard von Baden bei dem bekannten badischen Künstler Stefan Strumbel. Die feierliche Übergabe an die Karlsruher Bürger fand am 16. Juni 2015, am Vorabend der Stadtgründung, im Schlosspark in Karlsruhe statt.

Der Anlass kannten: Der fast 18 Meter hohen pinkfar- benen Kuckucksuhr, die 2012 zum 900. Ge- Am Dienstag den 15. Juni 2015 um 19:30 Uhr burtstag Badens das Eingangsportal zierte. war es soweit! Am Vorabend der Stadtgrün- Denn diesen angesagten Künstler aus Baden- dung von Karlsruhe vor 300 Jahren fand im Schlossgarten, in unmittelbarer Nähe zum Schlossturm, die feierliche Enthüllung der mit großer Spannung erwarteten Gabe des Hauses Baden an die Karlsruher Bürger statt. Mehr als 400 Gäste waren der Einladung der markgräfl ichen Familie gefolgt, erfreu- ten sich am gestift eten Fass Wein und an der Musikkapelle des Bundes Heimat und Volks- leben e. V., Deutschlands größtem Trachten- dachverband, dessen Protektor Prinz Bern- hard von Baden ist. Was mochte die riesige badische Fahne wohl verbergen? Mit dieser Frage beschäft ig- ten sich vor allem viele Kunstinteressierte aus der Region, die den Künstler des Denkmals, den Off enburger Stefan Strumbel, bereits von einer früheren Arbeit am Karlsruher Schloss Noch verhüllt die badische Fahne das Kunstwerk

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561_Stolberg_Salem.indd 561 29.11.2015 17:27:33 Mitglieder des Bundes Heimat und Volksleben e. V. sorgten für die musikalische Unterhaltung und den feierlichen Rahmen der Veranstaltung

Württemberg hatte Seine Königliche Hoheit dauerhaft e Weise«, so der Prinz. »Wir woll- Prinz Bernhard von Baden damit betraut, ten zum Geburtstag der Stadt ein Geschenk eine Bronzeplastik als Geschenk seines Hau- mitbringen, das auch bleibt«. Vor allem Jün- ses an die Stadt Karlsruhe zu entwerfen. gere und Kinder könnten nicht mehr erzäh- Das Denkmal ist dem Ahnherren der Mark- len, von wem die Stadt, in der sie wohnen, ih- grafen von Baden und Gründer der ehemali- ren Namen erhalten hat oder was es mit der gen Residenzstadt »Carols’ Ruh« gewidmet, »Ruhe« im Stadtnamen auf sich hat. Bereits dem absolutistisch regierenden Herrscher 1915, anlässlich des 200-jährigen Stadtjubilä- Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach (1679– ums, wollte die Familie ein Reiterstandbild zu 1738). Für Prinz Bernhard ist das 300. Stadt- Ehren des Stadtgründers im Schlosspark auf- jubiläum am 17. Juni ein guter Anlass, um stellen doch der Beginn des Ersten Weltkriegs an den Stadtgründer und Namensgeber von verhinderte die Ausführung. Karlsruhe zu erinnern, der in der Stadt selbst Anwesend waren zu diesem Event u. a. die bisher nur wenig präsent ist. »Wir möchten markgräfl iche Familie als Stift er, vertreten an den Stadtgründer erinnern, jedoch nicht durch SKH Markgraf Max von Baden und in Form eines fl üchtigen Events, sondern auf seine Frau Valerie sowie Prinz Bernhard und

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561_Stolberg_Salem.indd 562 29.11.2015 17:27:34 SKH Markgraf Max von Baden SKH Prinz Bernhard von Baden und Markgräfin Valerie und Prinzessin Stephanie

seine Frau Stephanie, Herr Oberbürgermeis- Basis dienen sollte. Das Material Holz war für ter Dr. Frank Mentrup, der Künstler Stefan den Künstler naheliegend, steht es doch für Strumbel und der Moderator Herr Markus den Ort des »Gründungstraums« der späte- Brock vom SWR. Die Enthüllung des bis da- ren Stadt, den Karlsruher Hardtwald: »Die hin geheim gehaltenen Werks wurde beglei- Wurzeln verweisen auf die Verbindung der tet von einer Gesprächsrunde zwischen dem heutigen Familie mit dem Stadtgründer von Stift er, dem Oberbürgermeister und dem Karlsruhe und zu Salem am Bodensee, dem Künstler. heutigen Familiensitz, in dessen Wäldern der Baum gefällt wird.« Es sei ferner ein Symbol für die Forstwirtschaft und steht damit für Der Anfang das Prinzip der Nachhaltigkeit. In Schonach, wo Stefan Strumbel schon Begonnen hatte das nun präsentierte Projekt seine berühmten Kuckucksuhrenmodelle fer- bereits Monate zuvor. Im März 2015 wurde im tigen lässt, wurde der Salemer Baumstumpf Markgräfl ichen Forst von Prinz Bernhard und dann zur Kunst. Über die endgültige Form dem 36-jährigen Stefan Strumbel ein Baum- des Denkmals wurde Stillschweigen bewahrt, stumpf ausgesucht, der für das Denkmalkon- erst im Verlauf des Fertigungsprozesses wur- zept als Ausgangsmaterial und künstlerische den weitere Einzelheiten preisgegeben.

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561_Stolberg_Salem.indd 563 29.11.2015 17:27:34 Stadtgründers Karl Wilhelm und für die ge- stalterische Umsetzung erwies sich die Wahl des Künstlers als Glücksgriff . »Das Th ema hat mich schon deshalb begeistert, weil ich gebür- tiger Badener bin und sich für mich hier die wunderbare Gelegenheit ergibt, sowohl für den Begriff als auch den Th emenkomplex ›Heimat‹, der schon lange Teil meiner künstlerischen Auseinandersetzung ist, eine Form zu fi nden und an einen konkreten Ort zu binden.« Von einem solchen Künstler war kein Al- lerweltsdenkmal zu erwarten, kein typisches Porträt in Herrschaft spose, ausgearbeitet wurde ein alternativer Denkmalbegriff und damit genau das, was Prinz Bernhard erwar- tete: »Wir, meine Familie und ich, möchten ein zeitgemäßes Denkmal, kein Reitermonu- ment, keinen in die Ferne weisenden prophe- tischen Fürsten, kein Heldendenkmal«, Stefan Strumbel »spricht mit seiner Arbeit Menschen an, indem er Moderne mit Bezug zu Heimat Künstler unter sich: Markus Lüpertz im Gespräch mit Stefan Strumbel und Geschichte aufl ädt. Er erreicht ein breites und junges Publikum und verfügt über eine Bildsprache, die verhindert, dass falsche Vor- Der Künstler urteile befördert werden.« »Der Gestaltungs- vorschlag Stefan Strumbels stellt die tradi- Der 1979 in Off enburg geborene Stefan tionellen Muster unserer Erinnerungskultur Strumbel ist derzeit einer der wichtigsten in Frage, die selten den öff entlichen und pri- Gegenwartskünstler Baden-Württembergs. vaten Facettenreichtum einer Persönlichkeit Nicht nur in seiner Heimat Deutschland, einzufangen vermag.« Bei Strumbel fi ndet sondern weltweit erreicht er mit seiner pla- der Prinz eine Bildsprache, die den Heimat- kativen Bildsprache und seinen poppig-sub- begriff in eine heutige Sprache übersetzt und versiven Interpretationen des Begriff s »Hei- damit war er genau der richtige Künstler zum mat« ein breites Publikum und ist vertreten Gedenken an einen absoluten Herrscher, der in Museen und bei Sammlern im In- und später, trotz fortschrittlicher Reformen, selbst Ausland. Sein künstlerisches Werk zeichnet der eigenen Familie suspekt erschien. sich aus durch ein schöpferisches Assoziati- onsvermögen mit ästhetischen Grenzüber- schreitungen, das typische Heimatklischees Das Kunstwerk oft ironisch verfremdet. In der künstlerischen Auseinandersetzung Wie sieht es denn nun aus, das lange geheim mit der Persönlichkeit und dem Wirken des gehaltene Kunstwerk?

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561_Stolberg_Salem.indd 564 29.11.2015 17:27:35 Ein Sessel, das Geschenk des Hauses Baden an die Stadt Karlsruhe

Es ist ein Sessel aus Bronze, mit vielen De- innert der Künstler an den Gründungsmythos tails verzierte, für dessen grün patiniertes von Karlsruhe: Während einer Jagd überkam Fundament und die Sitzfl äche der Baum- Markgraf Karl Wilhelm mitten im Hardtwald stumpf aus Salem die Vorlage war. Damit er- plötzlich die Müdigkeit und er träumte von

Der Sessel lädt alle Besucher zum Sitzen und Träumen ein

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561_Stolberg_Salem.indd 565 29.11.2015 17:27:35 diese direkte Zugänglichkeit besonders wichtig. Nur wenn die Besucher das Denkmal un- mittelbar angehen, beschauen und berühren können, würde sein erarbeitetes Konzept er- fahrbar und verständlich. »Das hier ist ein Denkmal nicht für unsere Familie sondern für die Menschen die hier leben, für die Karlsruher« erläutert Prinz Bernhard während der Ent- hüllung. »Vieles erklärt sich auch im Namen von Karls- Der QR-Code leitet zeitgemäß Smartphone und ruhe. Hier kann man ruhen Pad zur App Karl Wilhelm Denkmal beziehungsweise auch sitzen«. Fotos: Heinrich Hauß; Abb. 7: Wikipedia, Der Sessel sei »eine Einladung © Jörgens.mi / CC-BY-SA-3.0, eigenes Werk an alle Bürgerinnen und Bür- ger der Stadt, Platz zu nehmen, zu träumen und nachzuden- einer Stadt, die wie ein Fächer aufgebaut sei ken über Vergangenheit, Gegenwart und Zu- und als zentraler Punkt ein prächtiges Schloss kunft «. Man wolle keinen barocken Despoten habe. Die Idee der Fächerstadt Karlsruhe war auf den Sockel heben, sondern einen Fürsten, geboren und am 17. Juni 1715 wurde mit der der seiner Gründung Religionsfreiheit brachte, Grundsteinlegung unter dem Schlossturm den Staatshaushalt sanierte, Audienzen für der Gründungsakt vollzogen. das Volk einführte und ein leidenschaft licher Mit der für den Künstler typischen Ironi- Förderer der Künste war. sierung der Heimatikonographie steht hier Auch Oberbürgermeister Frank Mentrup nun – an Stelle eines imposanten Reiterstand- war angetan von der unerwarteten Gestalt bildes oder eines Fürsten in herrschaft licher des Denkmals: »Einfach toll«, meinte er sicht- Pose – ein Sessel. Einladend steht er da, nicht lich begeistert. Für ihn ist das Denkmal auch majestätisch abschreckend, ein wenig erhöht ein Zeichen dafür, dass der Faden zwischen auf einer fl achen Empore, führen drei Stufen der Stadt und dem Haus Baden nie abgeris- zu ihm hinauf. Jeder kann sich setzen und mit sen sei.»Ohne Karl Wilhelm gäbe es Karls- dem Schlossturm im Hintergrund, wie Karl ruhe nicht«. Markgraf Karl Wilhelm sei aber Wilhelm vor 300 Jahren, in den Wald blicken nicht nur der Stadtgründer, sondern auch ein und den eigenen Träumen nachhängen. Man sehr bemerkenswerter Mensch gewesen. Mit muss danach nicht unbedingt gleich eine seinem absolutistischen Ansatz habe er auch Stadt gründen. die Moderne in die Stadt gebracht, sprich Strumbel ist es gelungen für den Schloss- auch badische Mentalität und Off enheit. Und park ein alternatives Denkmal und ein inter- genau dieses spiegele sich auch in Strumbels aktives Kunstwerk zu schaff en. Für ihn war Kunstwerk wieder.

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561_Stolberg_Salem.indd 566 29.11.2015 17:27:35 Dass Karl Wilhelm nun wirklich in un- Einstieg bieten. Ziel der App ist es, nicht nur serer Zeit angekommen ist, zeigt auch ein die aktuellen digitaltechnischen Optionen bei großer QR-Code, mit dem der Künstler die der Vermittlung und Erschließung von Infor- rechte Seite der Empore ausgestattet hat. Die- mationen zu nutzen, sondern mit der Konzep- ser leitet zur App »Karl Wilhelm Denkmal«, tion und Umsetzung einer App insbesondere die auch kostenlos im App Store zum Her- für die jüngere Generation einen didaktisch unterladen zur Verfügung steht. Sie ermög- neuartigen Weg in die eigene Geschichte auf- licht es den Denkmalbesuchern per Smart- zuzeigen. phone oder Pad Hintergrundinformationen zum Stadtgründer, der Residenzgründung, dem Künstler und seinem Werk sowie zu den Markgrafen von Baden zu erhalten. Die erläu- ternde App lehnt sich graphisch zum einen an das Kunstwerk, zum anderen an den be- Anschrift der Autorin: rühmten Fächerplan der Stadt Karlsruhe an. Dr. Anna zu Stolberg Sie erschließt über drei Ebenen die genannten Storrentorstraße 16 Informationen, wobei auf der Startseite vier 76593 Gernsbach Schlüsselbegriff e einen jeweils zielgerichteten [email protected]

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561_Stolberg_Salem.indd 567 29.11.2015 17:27:35 Die Preisträger des Denkmalschutzpreises Baden-Württemberg 2014 Anerkennung für vorbildliche Sanierungen durch private Eigentümer

Gerhard Kabierske

Nun schon seit 15 Jahren wird der Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg vom Schwäbi- schen Heimatbund und dem Landesverein Badische Heimat gemeinsam ausgelobt, wobei die Finanzierung seit 2006 der Wüstenrot Stift ung zu verdanken ist. Alle zwei Jahre werden jeweils fünf vorbildliche Beispiele prämiert. Das Preisgericht setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der beiden auslobenden Vereine, der Wüstenrot Stift ung, der Landesdenkmal- pfl ege, des Städtetags Baden-Württemberg und der Architektenkammer Baden-Württemberg.

Denkmalschutz und Denkmalpfl ege ha- doch konkret um die Feststellung einer Denk- ben – so kann man den Eindruck gewinnen maleigenschaft bzw. um geforderte Korrektu- – an Boden in unserer Gesellschaft eingebüßt, ren an baulichen Eingriff en am eigenen Haus nicht nur, aber auch im deutschen Südwesten. geht, so steht es mit der Akzeptanz auf Seiten Das Primat von wirtschaft sfi xiertem Den- der Bauherrn selbst aus kulturinteressierten ken, gewandelte Leitbilder in der Architektur, Schichten oft nicht zum Besten. Denkmal- der Rückzug des Staates bei der Bezuschus- pfl eger werden häufi g als Vertreter einer un- sung von denkmalbedingten Mehrausgaben geliebten und allmächtigen Verwaltung gese- und nicht zuletzt die schon mehrfach verän- hen, die Bürger in ihrem Selbstbestimmungs- derten Verwaltungsstrukturen in der Denk- recht als Eigentümer einengen. Aufl agen malpfl ege, die zusammen mit verordneten werden nicht verstanden, Bauverzögerungen Stelleneinsparungen dazu führen, dass eine und Mehrkosten befürchtet. Jeder Denkmal- ausreichende Beratung von Denkmaleigentü- pfl eger kann von leidigen Fällen berichten, in mern kaum mehr geleistet werden kann. Alle denen man sich jedem Argument verschloss diese Faktoren haben es in den letzten Jahren und kurzerhand vollendete Tatsachen ge- nicht einfacher gemacht, die Pfl ege der viel- schaff en wurden. Dennoch gibt es sie durch- fältigen »Denkmallandschaft « Baden-Würt- aus noch – die Privateigentümer mit Verant- temberg, wie sie August Gebeßler, der lang- wortungsgefühl für ihr Haus und seine His- jährige Präsident des Landesdenkmalamts, torie, mit Freude an einem baulichen Zeugnis, einst propagierte, erfolgreich zu bewältigen. das Geschichte tradiert, und mit Interesse an Zwar freuen sich die Welterbestätten im Land einer Weitergabe des Erbes an künft ige Gene- über wachsende Besucherzahlen. Auch außer- rationen! Ihnen eine öff entliche Anerkennung gewöhnliche Bauzeugnisse der Vergangenheit für eine besonders vorbildliche Sanierung zu- ziehen am »Tag des Off enen Denkmals« Scha- kommen zu lassen, ist das Ziel des Denkmal- ren von neugierigen Bürgern an. Wenn es je- schutzpreises Baden-Württemberg.

568 Gerhard Kabierske Badische Heimat 4 / 2015

568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 568 30.11.2015 17:52:04 Der Heilige Josef mit dem Jesuskind am preisgekrönten Fachwerkhaus in Külsheim war spurlos verschwunden. Heute ist er nach der vorbildlichen Haussanierung wieder in sein Schutzhäuschen an der Giebelseite zurückgekehrt

Die Jurymitglieder hatten auch dieses Mal unter Anwesenheit von Staatssekretär Ingo keine leichte Aufgabe, unter den 40 eingegan- Rust am 29. April 2015 in der Stadthalle Sig- genen Bewerbungen fünf besonders vorbildli- maringen überreicht. Als Zeichen der Aner- che Sanierungen für die Prämierung zu fi nden. kennung erhielten die Bauherren eine Prämie Nach der Vorauswahl, der Besichtigung von von 5000 Euro sowie eine Bronzeplakette zur 13 Objekten sowie intensiven Diskussionen Anbringung an ihrem Gebäude. Zudem ist wurden für die Preisrunde 2014 folgende Ob- die Auszeichnung mit Urkunden für die Ei- jekte ausgewählt, die neben der Qualität des gentümer sowie für die beteiligten Architek- denkmalgerechten Umgangs auch die Vielfalt ten und Restauratoren verbunden. der Denkmallandschaft Baden-Württemberg dokumentieren: ein ländliches Fachwerkhaus in Külsheim, das ehemalige Torkelgebäude Rettung eines Fachwerkhauses in in Mittelstenweiler bei Salem, ein Beamten- Külsheim im Main-Tauber-Kreis wohnhaus in Sigmaringen, das ehemalige in letzter Minute Diakonissenheim in Bad Liebenzell sowie das Direktions- und Verwaltungsgebäude der Wer die Vergabe des Denkmalsschutzprei- früheren Pulverfabrik in Rottweil. Die Preise ses Baden-Württemberg über die Jahre hin- wurden im Rahmen einer Festveranstaltung weg aufmerksam verfolgt hat, dem dürft e der

Badische Heimat 4 / 2015 Die Preisträger des Denkmalschutzpreises Baden-Württemberg 2014 569

568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 569 30.11.2015 17:52:05 Name Harald Brode nicht unbekannt sein. Kultur- denkmale in problemati- schem Zustand, hauptsäch- lich aus seinem Lebens- umfeld im nordöstlichen Baden-Württemberg zwi- schen Kocher und Main, ziehen Harald Brode schon seit über zwei Jahrzehnten magisch an. Man gewinnt fast den Eindruck, dass er sich umso stärker engagiert, je aussichtsloser ein Fall er- scheint. Obwohl eigentlich Psychologe von Beruf, hat er sich, gemeinsam mit sei- nen vier Mitstreitern von Wieder ein Schmuckstück im Ortsbild von Külsheim: der »Interessensgemein- das von Harald Brode gerettete Fachwerkhaus schaft Sanierung histori- scher Bauten«, als Retter von eigentlich schon aufgegebenen Objekten den Ort zwischen Tauberbischofsheim und ausgewiesen. Auch im Fall des zweigeschossi- Wertheim gekommen, weil er zufällig in der gen Fachwerkhauses in Külsheim macht Ha- lokalen Presse von zwei Abbruchkandidaten rald Brode seinem Ruf alle Ehre. Er war in gelesen hatte, die sich jedoch wegen ihrer Um- bauten als wenig interessant herausstellten. Dafür stieß er in der Nachbarschaft auf ein völlig heruntergekom- menes zweigeschossiges Haus mit Satteldach, das bei aller Vernachlässigung noch viel Originalsubstanz aufwies. Unter dem brö- ckelnden Putz kam frän- kisches Zierfachwerk zum Vorschein und originale bleiverglaste Fenster zeug- ten von besseren Zeiten. Wie er auf dem Külsheimer Die gute Stube im Erdgeschoss zeigt eine überraschend reiche Rathaus erfuhr, war auch Ausstattung mit halbhoher Holzvertäferung und stuckierten Decken für dieses kleine Anwesen

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 570 30.11.2015 17:52:05 ein Abbruchantrag gestellt worden, der kurz vor der Genehmigung durch die Denkmalbe- hörden stand. Es hatte sich wegen des maro- den Zustandes kein Kaufi nteressent für das Gebäude gefunden, das im Internet lange er- folglos auf der Liste der verkäufl ichen Denk- mäler des Regierungspräsidiums angeboten worden war. Laut Inschrift auf dem Eckständer ist das Haus 1707 errichtet worden. Die später er- folgte dendrochronologische Untersuchung der Balken des Obergeschosses und des Dachstuhls bestätigte dies. Verschiedene Beobachtungen legen jedoch nahe, dass zu- mindest im Erdgeschoss auch ältere Bauteile Verwendung fanden. Das Haus war off en- sichtlich nie Teil eines bäuerlichen Anwe- sens mit Nebengebäuden und hat auch nie zu einem größeren Grundstück gehört. Des- halb hatte man über einem gewölbten Kel- lerraum, der vor der südlichen Giebelwand als Sockel vorspringt, Erde aufgeschüttet, Die originale Haustür war schon in den Handel um wenigstens ein kleines Hausgärtchen zu gelangt. Nun bildet sie wieder das einladende Entree des Gebäudes ermöglichen. Später wurde ein Erdgeschoss- raum als Stall genutzt, worunter die Bausub- stanz erheblich litt. Allerdings konnte man schon im ruinösen Zustand des Hauses er- Alle Schwierigkeiten fochten ihn nicht an, kennen, dass die Qualität des Zierfachwerks auch nicht die Tatsache, dass seine langjährigen und die Ausstattung des Hauses mit Holz- Mitstreiter bei Sanierungen aufgrund der noch vertäferungen, Stuckdecken und gusseiser- laufenden Arbeiten am Oberen Schloss in In- nen Ofenplatten über das übliche Niveau gelfi ngen keinen Bedarf verspürten, sich einen eines einfachen dörfl ichen Hauses hinaus- weiteren Problemfall aufzuhalsen. Schon vier gingen. Ob das Haus vielleicht einst einem Wochen nach seinem ersten Besuch in Küls- Händler gehörte? Eine geschnitzte Haustür heim war Brode Eigentümer des Hauses und war, wie Brode erfuhr, bereits bei einem Bau- wagte sich im Alleingang an die Sanierung, für teilehändler in Würzburg gelandet, und eine die er sich wie üblich mit großer Eigenbeteili- Heiligenfi gur aus dem 19. Jahrhundert, die gung bei allen anfallenden Arbeiten engagierte in einem verglasten Schutzhäuschen in goti- und die sich über viereinhalb Jahre hinziehen schen Formen den Giebel zierte, war spurlos sollte. Zunächst musste die akute Einsturzge- verschwunden – alles schien auf das sichere fahr abgewehrt werden, da die Tragfähigkeit Ende des Hauses hinauszulaufen, bis Harald der Kellerdecke durch kontinuierliches Ein- Brode eingriff . dringen von Wasser nicht mehr gewährleistet

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 571 30.11.2015 17:52:05 Seit dem Abschluss der Sanierung 2013 ist das Haus, das jetzt neben einer Ferienwoh- nung im Erdgeschoss im oberen Stockwerk eine Mietwohnung beherbergt, wieder zu einem Schmuckstück im Ortsbild von Küls- heim geworden. Die originale Haustür des 18. Jahrhunderts mit einer Reliefdarstellung eines Pelikans ist ebenso zurückgekehrt wie die Statue des Hl. Josef mit dem Jesuskind aus dem 19. Jahrhundert, die mit Hilfe von Nachbarn ausfi ndig gemacht werden konnte. Von Brode eigenhändig restauriert, steht sie wieder an ihrem angestammten Platz an der Giebelseite. Die Sanierung setzt Maßstäbe in Külsheim, wo noch manch anderes quali- tätvolle Kulturdenkmal auf eine ähnlich sorg- fältige Sanierung wartet. Die Jury war sich ei- nig, dass Harald Brode nach seinem Engage- ment beim Alten Spital in Neuenstein 2002, dem »Schlössle« in Untermünkheim 2006 und dem Oberen Schloss in Ingelfi ngen 2010 Die sorgfältig restaurierten historischen Fenster wurden für eine bessere Energiebilanz ein weiterer Denkmalschutzpreis für seinen mit zusätzlichen Innenfestern ergänzt beispielhaft en Einsatz in Külsheim gebührt. Auf einzigartige und eigenständige Weise hat er durch sein Lebenswerk zur Erhaltung der Denkmallandschaft in Baden-Württemberg war. 25 verrottende Holzsprieße wurden durch beigetragen. eine sichere Abfangkonstruktion ersetzt, der erwähnte gewölbte Außenkeller unter dem Gärtchen stabilisiert. Erst danach konnte ein Schonendes Konzept für ein Restaurator die historischen Befunde ermitteln, landwirtschaftliches Gebäude: die als Grundlage für die Wiederherstellung Der ehemalige Torkel des Hauses im Äußeren und Inneren dienten. in Salem-Mittelstenweiler Wie üblich bei Brode – er nennt sein Vorgehen »psychologisch« –, wurden zunächst die Fassa- Helga und Dirk Schumacher aus Sindelfi n- den saniert, um möglichst schnell Fortschritte gen, selbst als Fachleute im Baugewerbe tätig, erkennen zu lassen, die für den langen Atem machten sich auf die Suche nach einer Im- der Gesamtbaumaßnahme unerlässlich sind. mobilie, die sie als Ferienhaus nutzen woll- Vor allem die Innenräume brachten manche ten und die nach ihrem Rückzug aus dem Be- Überraschung. So erwiesen sich die Stuckatu- rufsleben auch dauerhaft es Domizil werden ren nach der Befreiung von unzähligen Farb- sollte. Nachdem sie schon mehrere Häuser schichten als überraschend fein profi liert. zwischen Schwarzwald und Oberschwaben

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 572 30.11.2015 17:52:06 Auch nach der Sanierung hat sich der Charakter des Torkels als landwirtschaftliches Gebäude ohne Einbußen erhalten.

besichtigt hatten, lasen sie in einer Anzeige Fenstern barg die Gefahr, das Kulturdenkmal im Internet von einem Torkelgebäude, das in Wirkung und Aussage unweigerlich zu be- in Bodenseenähe von der markgräfl ich-ba- einträchtigen. dischen Verwaltung in Mittelstenweiler bei Errichtet worden war der Funktionsbau im Salem zum Kauf angeboten wurde. Der Orts- Jahr 1786 durch das Kloster Salem, das hier termin geriet zum Schlüsselerlebnis, denn der die Trauben seiner umliegenden Weingärten stattliche Fachwerkbau mit seinem mächti- pressen ließ. Nach dem Ende des Weinanbaus gen Walmdach, am Rand des Dorfes in Obst- im 19. Jahrhundert verschwand der gewaltige baumwiesen gelegen, sagte ihnen sofort zu. Kelterbaum, den das Gebäude ursprünglich Der Erwerb des Baues in der vom Kloster Sa- beherbergte. Es diente daraufh in als Scheune lem historisch geprägten Kulturlandschaft und Stall, wozu die Einfahrt an der östlichen wurde zur Herzensangelegenheit, auch wenn Traufseite zu einem großen Tennentor er- beiden von vornherein klar war, dass sich ihr weitert worden war, während die eigentliche Anliegen mit diesem Objekt nicht ohne wei- Torkelzufahrt an der südlichen Seite zum Er- teres realisieren ließ: Ein wie immer gearteter schließungsweg hin unverändert geblieben Umbau des Torkels mit einer Unterteilung des ist. Die extensive Nutzung bewirkte, dass der beeindruckenden stützenfreien Innenraums ehemalige Torkel ohne größere Eingriff e die unter off enem Dachstuhl oder der Einbau von Zeiten überstanden hat, wenngleich es auch

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 573 30.11.2015 17:52:06 zu Schäden gekommen war, bedingt durch mangelhaft e Bauunterhaltung der letzten Jahrzehnte. Vor allem die konstruktiven Höl- zer im Sockelbereich und die eindrucksvolle, weit gespannte Dachkonstruktion mit zwei- fach liegendem Stuhl und einfachem Hänge- werk mussten dringend repariert werden. 2012 erwarb Familie Schumacher den Bau. Ihr denkmalpfl egerisches Konzept, das sie zusammen mit der Architektin Corinna Wagner-Sorg aus Überlingen entwickelt ha- ben und das 2013/14 in die Praxis umgesetzt wurde, fand das uneingeschränkte Lob der Jury: Im Unterschied zu den Überlegungen anderer Kaufi nteressenten, die einen Umbau zu einem Wohnhaus mit einer oder gar meh- reren Wohneinheiten im Sinn hatten, basiert ihr Ansatz auf dem Verzicht der Umnutzung für Wohnzwecke und auf dem Verzicht auf bauliche Eingriff e in bisher unbeschadete Durch den Verzicht auf einen Ausbau blieb der Substanz. Stattdessen entstand das eigentli- großartige Raumeindruck des Torkels erhalten che Ferien- und Altersdomizil der Schuma- chers in gebührendem Abstand zum Torkel, ein kleiner Wohnhausneubau in Holzfer- Grundstück in unmittelbarem Anschluss tigbauweise, westlich auf dem weitläufi gen an die dörfl iche Nachbarbebauung gelegen. Der Torkel konnte vor die- sem Hintergrund als Ein- raumgebäude mit seiner spezifi schen Aussagekraft erhalten bleiben. Er dient lediglich Atelier- und Aus- stellungszwecken der Ei- gentümer, die sich in ihrer Freizeit mit Malerei und Fotografie beschäftigen. Und selbst diese Funktion wird nur von Frühjahr bis Herbst möglich sein, da die Schumachers den Einbau einer Heizung als nicht ver- Auch das im 19. Jahrhundert eingebaute Scheunentor einbar mit der Bausubstanz blieb erhalten und wurde vorsichtig repariert verwarfen.

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 574 30.11.2015 17:52:06 Die Öff nungen wurden hinter den histori- schen Toren und Klappläden mit einfachen Holz-Glas-Elementen geschlossen. Die für den Gesamteindruck so wichtigen großen Dachfl ächen erhielten als Ersatz für die zu einem Bau des 18. Jahrhunderts wenig pas- sende moderne Pfannendeckung wieder eine angestammte Eindeckung in Biberschwänzen. Fehlstellen am Putz der Fachen wurden au- ßen wie innen nur ausgebessert und farblich angepasst, sodass die Haptik der historischen Oberfl ächen bewahrt blieb. Der zuvor nur gestampft e Lehmfußboden erhielt einen Be- lag aus lose verlegten Backsteinen. Eventuell durch das Fundament eingedrungene Feuch- tigkeit kann über einen Randstreifen aus Kies entlang der Außenwände wieder verdunsten. In die sogenannte Torkelstube, den ehema- ligen Rückzugsraum des Keltermeisters, seit jeher als »Haus im Haus« eingestellt in eine Ecke des Kelterraums, wurden eine Küchen- zeile sowie eine Toilette eingebaut, neben der Der Blick in das Dachwerk zeigt die Qualität Elektroinstallation das einzige Zugeständnis der Zimmermannsarbeit des 18. Jahrhunderts an moderne Ansprüche. Den Denkmalschutzpreis erhalten die Bau- herren nicht nur für ihren vorbildlichen An- kel, mit Zimmerer-, Dachdecker- und Holz- satz, der das Gebäude in seiner Authentizität arbeiten an Konstruktion, Toren und Läden erhalten hat, sondern auch für ihre Bereit- wiederum seine besonderen Fähigkeiten unter schaft , die notwendigen handwerklichen Ar- Beweis gestellt. beiten am Torkel in größter denkmalpfl ege- rischer Sorgfalt ausführen zu lassen. Sichern, Bewahren, Reparieren war hier das erklärte Das Familienerbe behutsam Ziel. Am Anfang stand eine akribische Bau- weitertradiert: aufnahme und Schadenskartierung. Schon Ein biedermeierliches Beamten- dabei kam dem Unternehmen die Professio- wohnhaus in Sigmaringen nalität der Zimmermannsfi rma von Sebastian Schmäh aus Meersburg zugute, der die Holz- Meinrad Foerster erinnert sich noch gut an arbeiten dann auch ausführte. Er war der Jury das kalte Schlafzimmer, in dem er als Kind bereits 2012 durch seine Leistungen bei den zu Besuch in Sigmaringen bei den drei unver- Reparaturen am damals prämierten Haus am heirateten Großtanten schlief. Hier, im alten Münsterplatz in Überlingen positiv aufgefal- Beamtenwohnhaus von biedermeierlichem len. Nun hat er mit seinen Arbeiten am Tor- Zuschnitt, schien die Zeit stehen geblieben

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 575 30.11.2015 17:52:06 Das Beamtenwohnhaus in der Sigmaringer Karlstraße mit ihrer Bebauung des 19. Jahrhunderts

zu sein. Die besondere Atmosphäre mitsamt ten des Fürsten von Hohenzollern, und das den alten Möbeln und Porträtgemälden der Schicksal wollte es, dass er sein neues spät- Vorfahren machte auf ihn einen großen Ein- klassizistisches Haus mit zwei Stockwerken druck und hat ihn nie mehr losgelassen. Ob- und Mädchenkammern unter dem Satteldach wohl heute durch seinen Beruf als Fachinge- schon im Jahr nach dem Bezug wieder ver- nieur für Fernsehstudios in einer ganz entge- lassen musste, weil er nach Bistriz, dem Be- gengesetzten, modernen Welt unterwegs, war sitz des Fürsten in Böhmen, versetzt wurde. es für ihn selbstverständlich, das Erbe, das Erst Jahrzehnte später kehrte die Familie in auf ihn zukam, nicht als Last zu empfi nden, ihr Heim nach Sigmaringen zurück. 1893 sondern als eine Herausforderung, die es zu wurde das Haus um eine Fensterachse nach meistern galt. Süden verlängert und die Fassade mit Putz- Der ursprüngliche Bauherr, Meinrad Foers- rustizierungen dem inzwischen herrschen- ters Urururgroßvater Johann Michael Buck, den historistischen Geschmack angepasst. hatte das Haus 1837/38 an der neu angelegten Hundert Jahre lang sollte das Haus nun über Karlstraße in Sigmaringen erbauen lassen, wo mehrere Generationen den Mittelpunkt der sich oberhalb des Langen Gartens in Nach- Familie Buck bilden, bis in den 1990er Jahren barschaft zum Prinzenpalais fürstliche Ver- die letzte Bewohnerin verstarb. Man erwog waltungsgebäude und »bessere« Wohnhäuser den Verkauf, und der Abbruch des Anwesens reihten. Buck war Hofk ammerrat in Diens- schien nahe, da es der Stadt Sigmaringen einer

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 576 30.11.2015 17:52:07 Es war ein weitreichender Entschluss für ihn und seine Frau Inkelore, war doch da- mit verbunden, den bishe- rigen Lebensmittelpunkt in Berlin aufzugeben und weitab in die südwestdeut- sche Provinz überzusiedeln. Zunächst bezog man eine provisorische Wohnung im Dachgeschoss des Hauses, denn beide waren der Mei- nung, dass die geplante Sa- nierung nur mit Anwesen- heit vor Ort bewerkstelligt werden könne. Erste Bera- tungen mit Sanierungsfach- leuten, die Grundrissän- derungen, neuen Fenstern und einer Außendämmung oberste Priorität einräum- ten, entsprachen überhaupt nicht den Vorstellungen der Foersters. Es war dann ein Glücksfall, dass sie in Corinna Wagner-Sorg aus Überlingen – wir kennen sie schon von der ebenfalls prämierten Sanierung des Die charakteristischen Oberflächen von Holz und Putz wurden Torkels in Salem-Mittel- wiederhergestellt. Der Flur im Erdgeschoss mit Glasabschluss zum stenweiler – eine Architek- Treppenhaus und dem alten Dielenboden tin fanden, die ihre Auf- fassung einer behutsamen Renovierung teilte. Die Un- Straßenplanung im Weg stand. Glücklicher- terstützung der Denkmalpfl ege war einem weise scheiterte das Verkehrsprojekt, weil der solch vorsichtigen Vorgehen sowieso sicher. ebenfalls erforderliche Eingriff in den angren- Die Authentizität des Hauses sollte auf jeden zenden Park nicht durchzusetzen war. Fall erhalten bleiben, selbst wenn dies mit ge- Nach zehn Jahren des Leerstands, die dem wissen Einschränkungen im Hinblick auf heu- Haus nicht gut getan hatten, entschloss sich tigen Wohnkomfort verbunden war. Meinrad Foerster 2006 nach Regelung der Erb- Zunächst bekam der Restaurator Jürgen angelegenheiten, sich des Hauses anzunehmen. Schulz-Lorch aus Sigmaringen den Auft rag

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 577 30.11.2015 17:52:07 bar gemachten historischen Kachelöfen geheizt. Innenputze wurden wei- testmöglich erhalten, kon- serviert und mit histori- schen Techniken ausge- bessert, Türen, Gewände und Holzwerk ebenfalls lediglich konserviert und anschließend nach Befund wieder gefasst. Histori- sche Marmorierungen hin- ter den Öfen im Erweite- Die großzügige Wohnung der Foersters im Obergeschoss mit den rungsteil der 1890er Jahre ererbten Möbeln. Die Kachelöfen stammen hier aus den 20er Jahren besserte man aus und er- gänzte sie wo nötig. Bei zu einer ausführlichen Untersuchung der his- Einbauten wie dem Glasabschluss im Flurbe- torischen Oberfl ächen, die den Befund vieler reich des Erdgeschosses wurden die zeittypi- historisch relevanter Putzschichten, bauzeit- schen Oberfl ächen, etwa eine Holzimitation licher Türen, Gewände und Beschläge bestä- tigte. Vor allem zeigte sich, dass der Fassa- denputz mit seinen Gliederungen von 1893 in guten Zustand war und fast vollständig erhal- ten werden konnte. 2011/12 wurde die Sanie- rung schließlich realisiert. Das Wenige, was in den letzten Jahrzehnten hinzugefügt worden war – PVC- und Teppichbeläge über den alten Holzböden, die entstellenden Kunststoff roll- läden, ein Windfang im Erdgeschoss und die Verkleidung der originalen Kalksteintreppe am Hauseingang mit Granitplatten – wurde zurückgebaut. Die Installationen wurden er- neuert, die alten einfach verglasten Fenster und Vorfenster sowie das gesamte Holzwerk repariert, wobei angesichts des knappen Bud- gets die Bauherren enorme Eigenleistungen einbrachten. Die Innenfensterläden wurden wieder gangbar gemacht und Vertäferun- gen hergerichtet. Um störende Heizkörper in den Fensternischen zu vermeiden, erhielt das Die historischen Fenster wurden bewahrt und Obergeschoss eine umlaufende Sockelhei- bieten dank der Vorfenster eine ausreichende zung. Zusätzlich wird mit den wieder gang- Wärmedämmung

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 578 30.11.2015 17:52:07 mit Bierlasur, wiederhergestellt. Das Äußere erhielt nach Befund den charakteristischen ockergelben Anstrich zurück. Heute bewoh- nen die Foersters in sechster Generation – und mit ihrem 2012 geborenen Sohn Arthur nun auch schon in siebter – das Obergeschoss. Das Erdgeschoss ist an eine Notarskanzlei vermietet. Betritt man das Haus, so erlebt man den inspirierenden Eindruck, einen in- takten authentischen Bau zu erleben, dem die Zeitläufe nicht geschadet haben. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Foersters be- wusst einen Großteil der ererbten alten Fa- milienmöbel und sonstigen mobilen Aus- stattungsgegenstände des 19. und frühen 20. Jahrhunderts weiternutzen wollten. Sie wur- den, wo nötig, sorgfältig repariert, und die- nen der Familie wie selbstverständlich auch heute noch in einem modernen Alltag, ohne dass sich dabei ein allzu musealer Charakter einstellen würde. Die lebendigen Oberflächen der freigelegten und restaurierten Dielenböden Gelungene Umnutzung eines Großbaues für Wohnzwecke: Das ehemalige Diakonissenheim gen eine besondere Bindung zu diesem Bau- in Bad Liebenzell werk entwickelt. Errichtet worden war der Großbau 1911/12 In seiner Jugend wurde Johannes Haag im- als Ferien- und Pfl egeheim des württembergi- mer wieder mit dem großen, breit hingela- schen Diakonissenvereins, der Ende der 20er gerten Gebäude mit tief heruntergezogenen Jahre mit 1435 Schwestern nicht weniger als Dächern und teilweiser Schindelverkleidung vierzig Krankenhäuser betrieb. In der guten am Waldrand oberhalb von Bad Liebenzell Luft des Nordschwarzwaldes sollte hier den konfrontiert. Er kam dorthin, um seinen er- »arbeitsmüden und erholungsbedürft igen blindeten Großvater zu besuchen, der hier in Schwestern eine wertvolle Stätte der Stärkung seinen letzten Lebensjahren von Diakonissen und Erholung« geboten werden. Die Entwürfe betreut wurde. Noch heute zeigt er Besuchern stammten von dem namhaft en Architektur- das Zimmer, das den letzten Rückzugsort des büro Bihl & Woltz, das zwischen den 1880er alten Mannes bildete. Und wahrscheinlich und 1930er Jahren vor allem in Stuttgart tätig stünde das außergewöhnliche Kulturdenkmal war. Das Büro baute häufi ger für den Diako- nicht mehr, hätte der heutige Bauunternehmer nissenverein, aber auch das etwa gleichzeitig nicht aufgrund seiner persönlichen Erfahrun- entstandene Stuttgarter Lindenmuseum, das

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 579 30.11.2015 17:52:08 Tief heruntergezogene Dächer und die Teilverschindelung lassen das ehemalige Erholungsheim in Bad Liebenzell kleiner erscheinen als es tatsächlich ist. Nichts verrät außen die Umnutzung in Wohnungen

Schramberger Rathaus oder der Bahnhof in Erholungsheim kam noch die eines Pfl egehei- Feuerbach gehören zum Werk dieser Architek- mes hinzu. Seit den 70er Jahren standen frei- ten, die in Bad Liebenzell ihren Namen selbst- lich größere Investitionen an, die der Verein bewusst am Haupteingang einmeißeln ließen. angesichts der Tatsache, dass es immer weni- Das am Sanatoriumsbau der Zeit orientierte ger Diakonissen gab, nicht mehr aufb ringen symmetrische Gebäude mit fünf Geschossen, konnte. 1986 musste das Heim schließlich aus einem Mittelrisalit und seitlichen Flügeln ent- wirtschaft lichen Gründen geschlossen werden. sprach einerseits den damaligen modernsten Der folgende Leerstand ließ die Bausubstanz Ansprüchen an Bautechnik, Funktionalität rasch verkommen. Feuchtigkeit, Frost und und Hygiene. Andererseits versuchten die Ar- ungeeignetes Material führten dazu, dass die chitekten, den großen Baukörper gemäß den Farbschichten von nahezu allen gestrichenen Vorstellungen der Heimatschutzbewegung der Putzfl ächen abblätterten. Hinzu kam Vanda- Jahre vor dem Ersten Weltkrieg durch Putz, lismus durch Eindringlinge, die Fenster ein- Schindeln und hohe Dächer mit charakteris- schlugen und die Innenwände großfl ächig tischen Krüppelwalmen der Landschaft und mit Sgraffi ti besprühten. Die rechtliche Situa- den lokalen Traditionen des Schwarzwalds tion war von mehrmaligem Eigentümerwech- einzupassen. Über Jahrzehnte diente der Bau sel und Zwangsversteigerungen bestimmt. seiner Bestimmung. Bei einer Renovierung Überlegungen für eine Kurklinik zerschlugen in den 1950er Jahren hatte man vor allem die sich. Abbruchgesuche verschiedener Investo- sanitären Bereiche modernisiert und die of- ren wurden eingereicht. Das Ende des zum fenen Liegeloggien auf der Bergseite durch Schandfl eck für den Kurort gewordenen Baues Fenster geschlossen. Neben der Funktion als schien nur noch eine Frage der Zeit, nachdem

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 580 30.11.2015 17:52:08 nehmen eine ungemein schonende Umnut- zung und Sanierung. Sein wirtschaft liches Konzept ging davon aus, den Bau fortan mit großzügigem Wohnen in Eigentum bzw. zur Miete zu reaktivieren. Dabei wurde der Feh- ler vermieden, das Haus mit Funktionen zu überfrachten, die einerseits teure Eingriff e in die Bausubstanz notwendig gemacht und andererseits vom ursprünglichen Charakter wenig übrig gelassen hätten. Das Gebäude be- herbergt heute ganze zehn Wohnungen, keine davon ist weniger als 200 Quadratmeter groß. Die Grundrissstruktur konnte dabei wei- testgehend beibehalten werden. Abtrennun- gen beiderseits des zentralen Treppenhauses führen pro Stockwerk in je zwei weitläufi ge Wohnungen, die durch den bisherigen Mittel- fl ur erschlossen werden. Auch die einzelnen Raumzuschnitte blieben weitgehend erhalten. Selbst in den Toiletten wurde die charakteris- tische, jeweils doppelte Anordnung aus der Das restaurierte Entree lädt wieder Zeit der Heimnutzung beibehalten. Bäder von zum Betreten des Baues ein opulenter Größe wurden in den bereits früher geschlossenen Loggien installiert. Die Jury auch ein Projekt zur Umwandlung in 20 Woh- war beim Rundgang überrascht darüber, wie nungen aufgegeben werden musste, das eine individuell sich die einzelnen Wohneinheiten völlig neue Erschließung mit der Zerstörung von 40% der vorhandenen Substanz mit sich gebracht hätte. Johannes Haag, als Un- ternehmer erfahren in der Modernisierung von Alt- bauten, beobachtete den Niedergang des Gebäudes vor dem Hintergrund sei- ner persönlichen Erinne- rungen über Jahre hinweg mit Sorge. Es gelang ihm, das riesige Anwesen zu er- werben, und er realisierte 2012/13 mit seinem Unter- Blick in den Flur einer der weitläufigen Wohnungen

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 581 30.11.2015 17:52:08 trotz der relativ festgelegten Disposition mit von Rottweil im Taleinschnitt des Neckars Mittelfl ur und rechts und links anschließen- gelegen, gehört in mehrfacher Hinsicht zu den Räumen gestalten und möblieren ließen. den erfreulichen Unternehmungen im Land. Denkmalpfl egerisch vorbildlich war auch Mit dem »Gewerbepark Neckartal«, der mit sonst der Umgang mit dem Überkommenen: einer vielfältigen Infrastruktur aus Arbei- Die vielen originalen Sprossenfenster aus der ten und Wohnen, Freizeit und Gastronomie, Erbauungszeit vor dem Ersten Weltkrieg wur- Dienstleistung und Kultur innovative Wege den sorgfältig repariert. Dabei wurden die beschreitet, konnte seit 1993 eine trostlose durch Witterung beschädigten Wetterschen- Industriebrache mit einer großen Anzahl von kel erneuert, allein 800 Scheiben mussten neu Gebäuden unterschiedlichster Funktionen eingeglast werden. Zusätzliche Kastenfenster reaktiviert werden. Dass es sich bei etlichen hinter den originalen Verbundkonstrukti- der heruntergekommenen Bauten zudem um onen führen zu einer energetisch optimalen Kulturdenkmale handelt, erwies sich keines- Verbesserung. Im Inneren wurden die Wände wegs als Hemmnis. Gerade dadurch, dass im von ihren abblätternden Farbschichten befreit Neckartal großer Wert auf denkmalpfl egeri- und mit geeigneten Farben nach Befund neu sche Zielsetzungen gelegt wird, hat sich das gefasst. Das Holzwerk von 80 Innentüren Unternehmen in besonderer Weise profi lie- wurde ebenso restauriert wie die historischen ren können. Zweifellos kommt dabei dem Terrazzoböden. Der Windfang mit seiner kas- Engagement von Hermann Klos und Günther settierten Decke bietet Bewohnern und Besu- Seitz und ihrer mittlerweile bundesweit täti- chern wieder einen repräsentativen Empfang. gen »Holzmanufaktur Rottweil GmbH« eine Der in den 1950er Jahren in das Zentrum des Schlüsselrolle zu. Bereits 1999 erhielten sie für Treppenhauses im Mittelbau eingebaute Auf- die Sanierung des ehemaligen Badhauses als zug wurde mit neuer Technik und einer aus Restaurant und Th eaterstätte einen Denkmal- Sicherheitsgründen heute geforderten Glas- schutzpreis, 2006 folgte ein weiterer für die einhausung wieder gangbar gemacht. Die Umwandlung des früheren Sozialgebäudes verwahrlosten Außenanlagen wurden wie- und der Arbeiterkantine zu Funktionsbauten derhergestellt, dabei die ehemalige Liegehalle der Holzmanufaktur. 2014 bewarben sie sich rekonstruiert und erhalten gebliebene unter- mit zwei weiteren Sanierungsbeispielen des geordnete Ökonomiebauten wie der Hühner- Neckartalensembles: dem alten, zur Lackiere- und Schweinestall vorbildlich repariert und rei der Holzmanufaktur umgebauten Pump- neu gestrichen. Als Abstellraum für die Be- werk sowie dem sanierten ehemaligen Direk- wohner tun sie heute wieder gute Dienste. tions- und Verwaltungsgebäude der Pulver- fabrik. Die Jury sprach letzterem angesichts der abermals überzeugenden denkmalpfl ege- Meisterleistung: rischen Leistung von beispielhaft em Charak- Umbau des Direktions- und ter einen Preis zu. Verwaltungsgebäudes Die Baugeschichte des langgestreckten, un- der Pulverfabrik in Rottweil mittelbar zwischen Steilhang und Haupter- schließungsstraße gelegenen Direktorenge- Die Umnutzung des ausgedehnten Areals der bäudes mit der Adresse Neckartal 100 ist so ehemaligen Pulverfabrik, direkt unterhalb komplex wie die Entwicklung der Pulverfabrik

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 582 30.11.2015 17:52:08 Das Verwaltungs- und Direktionsgebäude der ehemaligen Pulverfabrik Rottweil. Hinter dem großen Fenster im Obergeschoss befand sich das Büro des Fabrikleiters

selbst, die hier von den 1840er Jahren bis 1945 einen Anbau nach Osten verlängert. In des- kontinuierlich wuchs und gerade in Zeiten, in sen Obergeschoss markiert seitdem eine aus denen Aufrüstung betrieben oder Kriege ge- der Reihe fallende große Fensteröff nung mit führt wurden, besonders prosperierte. So ist einem aus der englischen Landhausarchi- es nicht verwunderlich, dass der Höhepunkt tektur übernommenen »bow window« das der Expansion unmittelbar vor dem Zweiten Büro der Fabrikleitung. Das heutige Gesamt- Weltkrieg erreicht war, als auf dem Werksge- bild wird aber vor allem geprägt von einem lände nicht weniger als 140 Bauten standen. nochmaligen Umbau aus der Phase im Zuge Den Kern des heutigen Direktionsgebäudes der Aufrüstung des nationalsozialistischen bildet das erste eigens für die Pulverfabrik er- Deutschlands 1937. Der charakteristische, richtete Gebäude, 1840 entstanden als Wohn- mit Kalkstein verkleidete Haupteingang, die und Verwalterhaus der Unteren Mühle, der repräsentative Treppe zu den Direktionsräu- Keimzelle der Fabrik. Es handelte sich um ein men und die Ausstattung der Treppenhalle spätklassizistisches Haus mit zwei Geschos- mit Bleiglasfenstern sind typische Zeugnisse sen und Walmdach. In eingeschossigen sym- jener Zeit. Nachdem der Besucher am Ein- metrischen Anbauten waren Werkstätten un- gang einen monumentalen Reichsadler pas- tergebracht. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg siert hat, wird auf den Fenstern im Oberge- wurden die Flügel für die gewachsene Ver- schoss vor den Direktionsräumen dargestellt, waltung aufgestockt, 1922 das Haus durch zu welchen Zwecken Pulver durch die Jahr-

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 583 30.11.2015 17:52:08 hunderte Verwendung fand. Dass diese Fenster nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Fabrik nach dem von den Alliierten erzwunge- nen Ende der Sprengmit- telproduktion von dem Textilhersteller Rhodia ge- nutzt wurde, nicht entfernt, sondern durch vier weitere, von denselben Künstlern stammenden und stilistisch ähnlichen Farbglasfenstern zum Th ema Textilproduk- Dokument der Vergangenheit der Gebäude im Neckartal als tion ergänzt wurden, de- Pulverfabrik. Die erhalten gebliebenen Farbglasfenster der monstriert deutsche Konti- Umbau- und der Erweiterung des Gebäudes in den 1930er Jahren nuität über die sogenannte »Stunde Null« hinweg. Nach dem Rückzug der Firma Rhodia aus Objekten, für das rasch eine neue Funktion Rottweil in den 70er Jahren drohte mit dem gefunden werden konnte. Zwar bot sich der gesamten Fabrikgelände auch das ehema- Bautypus für die Fortführung einer Büronut- lige Verwaltungsgebäude zu verfallen. Leer- zung geradezu an, doch bildeten Größe und stand und eine temporäre Nutzung als Über- Zuschnitt für potentielle Interessenten ge- gangswohnheim leistete dem Vorschub. Auch wisse Probleme. Erst die Planung unter Lei- im Zuge der Umnutzung zum Gewerbepark tung der Architekten Dominik Burkard und gehörte das Gebäude zunächst nicht zu den Alfons Bürk, die – dem Konzept des Gewer- beparks entsprechend – auf eine Mischnutzung setzte, ermöglichte die Revitali- sierung des Baues. 2010–12 wurde er saniert, um heute eine Rechtsanwaltskanz- lei, die Büros zweier Fir- men für medizinische Ge- räte sowie eine Spedition, aber auch ein Studio für orientalischen Tanz zu be- herbergen. Dies gelang den Architekten mit erstaunlich wenig Eingriff en in die Ge- bäudestruktur. An der lan- Moderne Büros in sorgsam restaurierter Hülle gen Hauptfront musste im

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568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 584 30.11.2015 17:52:09 der Holzmanufaktur nicht anders kennt. Die Fenster ertüchtigte man energetisch ohne Be- einträchtigung des Erscheinungsbildes durch innere Kastenkonstruktionen oder Einbau von Dichtungen und Isolierscheiben. Aber auch andere Gestaltungselemente, wie etwa die Stuckprofi le der Decken, die Sollnhofer Kalksteinplatten auf Böden und in Fenster- nischen oder die Handläufe aus Aluminium wurden meisterlich aufgearbeitet. Die weni- Der repräsentative Hauptzugang gen neuen Bauteile, wie etwa die unter die De- aus den 1930er Jahren cke oder an Wände gehängten Heizradiatoren Bildnachweis: alle Aufnahmen Bernd Hausner, Landesamt für Denkmalpflege sowie die Glaswand zur Unterteilung des frü- heren Sitzungssaals im Obergeschoss, setzen sich in ihrer Materialität und Form bewusst vom historischen Bestand ab, ohne dass die westlichen Teil zur besseren Erschließung Kontraste den Gesamteindruck stören wür- nur eine Fensteröff nung zur Tür vergrößert den. werden. Auch im Inneren blieben die Raum- zuschnitte weitestgehend erhalten. Beispiels- weise bot sich der ehemalige Zeichensaal der Konstruktionsabteilung für die Tanzschule geradezu an. Das fast durchweg aus der Bauphase der 1930er Jahre stammende historische Holz- werk der Fenster und Türen, Parkettböden, Wandvertäferungen, Kassettendecken sowie der Einbauschränke bis hin zur hölzernen Anschrift des Autors: Telefonkabine und Wandvitrine wurde dabei Dr. Gerhard Kabierske Karlsburgstraße 5 in höchster handwerklicher Qualität repariert, 76227 Karlsruhe wie sie die Jury des Denkmalschutzpreises von

Badische Heimat 4 / 2015 Die Preisträger des Denkmalschutzpreises Baden-Württemberg 2014 585

568_Kabierske_Denkmalschutzpreis.indd 585 30.11.2015 17:52:09 Der Zugriff der Könige Eine elsässische Geschichte aus dem 17. Jahrhundert

Peter Brugger

Am 1. Januar 2016 wird in Frankreich die regionalpolitische und administrative Einheit El- sass aufgelöst. Sie hatte, von den reichsdeutschen Zwischenzeiten abgesehen, seit dreieinhalb Jahrhunderten in unterschiedlichen Formen Bestand. Das Land mit seiner sehr besonderen Geschichte und Bevölkerung wird nun in eine Großregion eingebettet sein, die von der Ile de France bis zum Rhein reicht. Was wird die Umarmung mit sich bringen? Sind weitere Verluste an Eigenart zu erwarten? Die Anfänge der Geschichte können Sie in dem folgenden Beitrag kennen lernen.

Zu Beginn des Jahres 1629 gab der Erste in Meerssen das großväterliche Erbe defi ni- Minister im französischen Kronrat, Kar- tiv untereinander aufgeteilt haben. Das Land dinal Richelieu (1585–1642), seinem Kö- zwischen Vogesen und Rhein wurde zeit- nig eine weitreichende Empfehlung. Frank- weilig zu einem der wichtigsten kulturel- reich, stellte er Ludwig XIII. (1601–1643) len und wirtschaft lichen Zentren im oberen vor, müsse der Sicherung des europäischen Deutschland. Gleichgewichts wegen Passagen einrichten Dort herrschten später die Habsburger, und befestigen, auf denen französische Trup- das Haus Österreich, über die maßgeblichen pen aus dem Inneren des Landes durch Loth- Landstriche. Dynastisch-familiär in ihrem ringen und das Elsass zum Rhein und von da Hausbesitz seit 1131 und dann auch als Kaiser ins Herz des »Heiligen Römischen Reiches über das Reichsland. Eine einheitliche Lan- Deutscher Nation« vorstoßen könnten. Loth- desherrschaft , ein das ganze Elsass umfas- ringen und das Elsass waren damals beide sendes Staatsgebilde, hatte es seit dem frühen Teil des kaiserlichen Imperiums. Unter nicht Mittelalter nicht mehr gegeben. Das Elsass ganz urkundenfesten Umständen waren die war kleinteilig geworden, in zahlreiche un- drei lothringischen Bistümer Metz, Toul abhängige Reichsritterschaft en gestückelt, in und Verdun 1552 unter französische Kont- Gebiete der Bischöfe von Straßburg und von rolle gewechselt. Das Elsass mit seiner ale- Basel, in Klosterbesitz von Murbach und an- mannischen und im Norden zu einem klei- deren Ordensgemeinschaft en und vor allem nen Teil fränkischen Bevölkerung, mit seiner in den stärksten politischen Faktor neben der im Mittelalter aufsprießenden selbstbewuss- Familie der Habsburger, die Dekapolis. Diese ten Stadtlandschaft , gehörte ununterbrochen war ein Bund von zehn reichsfreien elsässi- zum germanisch-deutschen Teil des Reichs, schen Städten und Städtchen. 1354 unter dem seit die Enkel Karls des Großen im Jahr 870 Schutz von Kaiser Karl IV. gegründet, hatte er

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 586 30.11.2015 17:21:17 Straßburg war reichsfreie Stadtrepublik und lange vor dem Zugriff der Könige geschützt (Foto: © ADT67, C. Fleith)

die konfessionelle Spaltung durch die Refor- katholischen Kirchengüter an ihre früheren mation überlebt und sich als ein Hort hart- Besitzer zurückzugeben. Das betraf auch die näckigen Zorns wie auch juristischen Wider- protestantische Freie Reichsstadt Straßburg stands erwiesen, als man nach dem Dreißig- und ihr Münster. Richelieu empfahl wie im- jährigen Krieg von ihm verlangte, dem König mer Diskretion und warnte vor Übereilung. an der Stelle des Kaisers Dienstfertigkeit zu Das Königreich solle seine Ziele verdeckt hal- schwören. ten. Die Erwartung, dass die Stadt Straßburg Richelieu sah 1629 den Kaiser in einer Po- aus Ärger über das kaiserliche Edikt ihre sition der Stärke. Ferdinand II. konnte zu die- Rheinbrücke und die damit verbundene Er- sem Zeitpunkt seiner Sache aus vielerlei poli- richtung eines Brückenkopfs für Frankreich tischen und militärischen Zusammenhängen freigeben würde, war stets im Kern der dip- heraus so sicher sein, dass er sich erlaubte, ein lomatischen Bemühungen präsent, wurde in- Restitutionsedikt zu erlassen, das die pro- haltlich aber kaum thematisiert. Der Magis- testantischen Herrschaft sorgane im Reich trat der Stadt fühlte sich mangelhaft infor- verpfl ichtete, alle seit 1552 übernommenen miert und überrumpelt, als die Off erten des

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 587 30.11.2015 17:21:18 Ensisheim, Palais de la Régence, bis 1632 Sitz der vorderösterreichischen Regierung (Foto: © Musée de la Régence, Ensisheim)

französischen Königs auf dem Tisch lagen. Erweiterung der Landesgrenzen oder ein Zu- Man dankte höfl ich und verlegen und blieb gewinn an Bevölkerung. Das konnten allen- auf eine möglichst neutrale Weise reichstreu. falls Sekundärfolgen sein. Frankreich wollte Dies war der erste, sehr verhaltene, Versuch das Kraft feld der imperialen Ellipse durch- eines Zugriff s des Königreichs Frankreich auf brechen, das die »Casa de Austria« mit den der elsässischen Seite des Rheins. Es ging um Brennpunkten in Madrid und Wien über Eu- die Passage, nicht um das Land. Der Versuch ropa gespannt hatte. Die Umklammerung des scheiterte. Landes durch die Habsburger sollte gelöst und In den Folgejahren gelang es Richelieu, eine neue kontinentale Rangordnung zwi- nicht zuletzt durch weitere handfeste Geld- schen den Mächten hergestellt werden. angebote, den schwedischen König Gustav II. Dazu brauchte die französische Politik das Adolf (1594–1632) mit einer schlagkräft igen Elsass, das im Netz der Heerstraßen Europas Armee über die Ostsee nach Deutschland zu an einem Knotenpunkt lag. Von Süden her rufen. Der bis dahin schon zwölf Jahre lang bildete es zwischen der immer noch zu Spa- die deutschen Landschaft en verheerende nien gehörenden Freigrafschaft Burgund und Krieg nahm eine Wendung. Richelieu kam den habsburgisch-spanisch gebliebenen süd- dem Ziel seiner Kriegspolitik näher. Nicht die lichen Niederlanden einen in unterschied- Glaubensfragen interessierten ihn, nicht die lichen Besitzverhältnissen zum Reich gehö-

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 588 30.11.2015 17:21:18 renden Korridor. Und auch den kaiserlichen Armeen, die aus den österreichischen Erblan- den oder aus Oberitalien in Richtung Brüssel und Antwerpen unterwegs waren, öff neten die Breisacher und Straßburger Rheinbrü- cken den Weg durch das Elsass auf dem eige- nen Grund. Richelieu suchte den Durchgang in die andere Richtung herzustellen. Eigenen Grund hatte er nicht. Darum musste Frank- reich einen, besser noch zwei Füße auf den Boden des Elsass bekommen. Die Schweden hatten sich nach ihrer An- kunft in Deutschland erfolgreich gegen die kaiserlichen Kräft e in Sachsen und Bayern geschlagen. Sie waren zugleich Vorkämpfer des Protestantismus und Zuarbeiter des ver- halten gegen das Reich agierenden katholi- schen Frankreich. Im Dezember 1632 zogen sie, nachdem ihr König Gustav-Adolf auf dem Schlachtfeld von Lützen gefallen war, unter General Horn ins Elsass ein. Ohne zu zögern, Breisach am Rhein galt als uneinnehmbar, der »Schlüssel des Reichs« begab sich die Freie Reichsstadt Straßburg un- (Foto: © Breisach Touristik) ter ihren Schutz. Die Robustheit der von den Schweden eingesetzten Söldner war auch bei ihren Glaubensbrüdern gefürchtet. »Bald kommen die Kaiserlichen und ver- orte der abziehenden Schweden im Elsass zu prügeln die Schweden«, steht in der Chro- übernehmen. Das wurde vertraglich geregelt. nik der Franziskaner des Vogesenstädtchens Den darniederliegenden Städten und sonsti- Th ann, »dann kommen die Schweden und gen Gebietsorganen wurden von Frankreich verprügeln die Kaiserlichen. Das Massaker Schutzverträge angeboten. Schutz den Katho- nimmt kein Ende.« Nie wieder sind Dörfer liken vor den Schweden, Schutz den Protes- und Städte des Elsass so verwüstet gewesen tanten vor den Österreichern. Beide waren in wie nach den beiden Jahren der schwedischen ihren jeweiligen Minderheitsgemeinden der Besatzung. Die vorderösterreichische Verwal- Konfession wegen schon verfolgt und vertrie- tung wurde evakuiert. Fluchtartig zogen sich ben worden. Der französische König trat als die Österreicher, die oberrheinische Aleman- rettender Engel auf. Seine Beauft ragten bestä- nen waren, aus ihren angestammten Gebieten tigten, dass nach dem Krieg die staatsrecht- zurück. lichen und politischen Verhältnisse wieder Es war die Chance Richelieus. Zwei Jahre in den alten Zustand zurückgeführt würden. später, nach einer schweren schwedischen Die Protektion wurde als Übergangslösung Niederlage bei Nördlingen, begannen fran- angeboten, die allerdings militärischen Cha- zösische Truppen nach und nach die Stand- rakter hatte und die Anwesenheit einer Gar-

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 589 30.11.2015 17:21:18 PFALZ-ZWEIBRÜCKEN HANAU-LICHTENBERG BISTUM STRASSBURG STADT STRASSBURG REICHSRITTER RAPPOLTSTEIN DIE 10 REICHSSTÄDTE VORDERÖSTERREICH MÖMPELGARD/WÜRTT. FLECKENSTEIN

Das Elsass 1648, nach G. Livet, in: L'intendance d'Alsace sous Louis XIV, Paris 1956

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 590 30.11.2015 17:21:19 nison in dem jeweiligen Vertragsort voraus- zösischer Hand, beide Rheinübergänge. Poli- setzte. Es fällt auf, wie unterschiedlich fran- tisch der eine, Straßburg, immer noch Freie zösische und deutsche Historiker noch durch Stadt, die Neutralität für sich beanspruchte, das ganze 19. Jahrhundert die Vorgänge um militärisch der andere, Breisach, die unüber- die französische Protektionspolitik im Elsass windbare Festung, der Schlüssel des Reichs. beschrieben haben. Die einen berichteten von Dieses Hindernis zu brechen, traf Richelieu unterwürfi gen Hilfegesuchen der Bürger- im Oktober 1635 in Saint-Germain-en-Laye meister und Räte, die anderen von Hass und eine geschäft liche Vereinbarung mit Herzog Empörung gegen die mit den Franzosen ver- Bernhard von Sachsen-Weimar. Der war ei- handelnden Kontaktpersonen. An dem klei- ner der gefürchteten, ihrer brillanten strategi- nen Beispiel wird deutlich, wie die Erzählung schen Operationen wegen aber auch bewun- eines extremen Vernichtungsgeschehens, ei- derten Kriegsunternehmer. Für die Zeit bis zu ner Geschichte von Überlebensnot und Tod, einem Friedensschluss wurden ihm vier Mil- in der Betrachtung der nachfolgenden Gene- lionen Livres pro Jahr zugesagt, wenn er dafür rationen sich in nationale Legenden verlieren ein Heer von 18 000 Mann in den Dienst der kann. französischen Krone stellte. Außerdem bot König Ludwig XIII. schrieb im Frühjahr Frankreich ihm ein Stück aus den vorderös- 1635 an den Herzog von Lothringen, nun sei terreichischen Gebieten des Elsass als persön- das Elsass gänzlich von feindlichen Truppen liches Herzogtum an, sofern er es schafft e, das befreit. Wen meinte er? Den Herzog von Loth- Land endgültig aus der Herrschaft der Habs- ringen selbst, der als Reichsfürst auch in den burger zu lösen. Der Vertrag untersagte ihm, Jahren der Protektion immer wieder plün- in den vorgesehenen elsässischen Kernzonen dernd und sengend durch die Lande beidseits an den katholischen Glauben des Volkes zu des Rheins gezogen war? Oder meinte der Kö- rühren. Richelieu brachte im Elsass, das er nig seine bewährten schwedischen Verbünde- nun schon als zum katholischen Frankreich ten? Oder aber die Inhaber der Reichssouve- gehörend antizipierte, nach langer Zeit wieder ränität und deren habsburgisch-spanische seine kirchlichen Wurzeln ins Spiel. Verwandtschaft ? Befreit, schrieb der franzö- Herzog Bernhard stand in Sachsen-Wei- sische König, von wem auch immer, – auch mar außerhalb der Erbfolge. Dem vom Kai- das war eine Legende, die an der Geschichte ser initiierten Prager Frieden von 1635 hatte vorbeierzählte. er sich als einer von nur zwei die Unterschrift Richelieus indirekte Kriegsführung stand verweigernden Reichsfürsten entzogen. Der im Elsass kurz vor dem Erfolg. Der Kardinal Pakt mit dem französischen König war ver- empfahl wie immer Geduld, Diskretion und lockend. Zuallererst musste er die militäri- undurchsichtige Freundlichkeit. Im Unter- schen Voraussetzungen schaff en. Weite Ge- schied zu den Kämpfen in den Territorien der biete am Oberrhein wurden inzwischen wie- Spanier hielt er Frankreich am Rhein weiter- der von Reichstruppen kontrolliert. Im März hin aus dem Kriegsgeschehen heraus. Er hatte 1638 schlug Bernhard bei Rheinfelden ober- im Elsass ein Besatzungsregime errichtet, halb Basel die Generäle von Weerth und Sa- ohne dass dafür nennenswert militärischer velli und ihren bayerisch-kaiserlichen Trup- Einsatz hätte erbracht werden müssen. Nur penverband. Anschließend besetzte er Frei- Straßburg und Breisach waren nicht in fran- burg. Damit war der Weg frei nach Breisach

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 591 30.11.2015 17:21:21 am Rhein, das bei Freund und Feind als uneinnehmbar galt. In fünf Monaten Belagerung hungerte Bernhards Armee die dreitausend Mann starke kaiserliche Besatzung von Breisach aus. Am 17. Dezem- ber 1638 wurden die Tore der Festung geöff net. Vierhun- dert überlebende kaiserliche Soldaten konnten mit freiem Geleit in Richtung Straßburg abziehen. Von 4000 Zivil- personen überlebten nur 150 Hunger und Krankheit in der Stadt. Zwei große Heereskon- Breisach Gutgeselltor. Die Einnahme der Stadt durch Bernhard tingente des Kaisers, die mit von Sachsen-Weimar 1638 schloss dem französischen König das frischer Kampfk raft und Ver- Elsass auf (Foto: © Breisach Touristik) pfl egung der Festung zu Hilfe eilen sollten, hatte der Belagerer, was ihm wurde fallen gelassen. Die eroberten Gebiete fachlich hohe Anerkennung eintrug, in drei sollten dem Königreich unmittelbar erhalten Tagesmärschen Entfernung aufgespürt und bleiben. Paris berief einen Königsleutnant als abgefangen. Der »Schlüssel des Reichs« lag Verwaltungschef mit Sitz in Breisach, der in jetzt in der Hand Frankreichs. den besetzten Gebieten für Rechtspfl ege, Po- Es hatte ein Nachspiel gegeben: Die Beauf- lizei und Finanzen zu sorgen hatte. Ein Stück tragten Richelieus verlangten sofort nach der Frankreich war das schon. Der Kardinal legte Kapitulation, Breisach für den König in Besitz im übrigen Wert auf die Auskunft , dass die zu nehmen. Bernhard von Sachsen-Weimar Juristen der Krone bei ihrem intensiven Stu- lehnte ab. Er verstand den Vertrag von Saint- dium des Kriegsrechts kein Argument gegen Germain nicht so, als ob ihm ein Herzogtum eine Annexion von Gebieten gefunden hatten, unter französischer Hoheit überlassen wer- wenn diese im Krieg erobert worden sind. Ri- den sollte. Richelieu hingegen sah keinen von chelieus Frankreich wollte in den anstehen- Frankreich unabhängigen deutschen Reichs- den Verhandlungen um eine Friedensord- fürsten mehr im Elsass. Der Konfl ikt wurde nung für Europa respektabel bleiben. durch den Tod des Weimarers beendet. Er Am 24. Oktober 1648 wurden in Müns- starb am 16. Juli 1639 im nahen Neuenburg am ter die Verträge zum Westfälischen Frieden Rhein am Sumpffi eber. Es gab anderslautende unterzeichnet, mit dem der Dreißigjährige Gerüchte. Sie wurden nicht belegt. Bernhards Krieg zu einem Ende kam. Fünf Jahre lang verwaiste Armee blieb in Diensten des franzö- hatten im Vorlauf die Vertreter Frankreichs sischen Königreichs. Das Szenario für einen und des Kaisers über die Bedingungen ver- Platzhalter in einem Puff erstaat, wie es dem handelt, unter denen die französische Krone Herzog von Sachsen-Weimar zugedacht war, im Elsass zufrieden gestellt werden könnte.

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 592 30.11.2015 17:21:21 Die vormals Freie Reichsstadt Weißenburg wurde im Winter 1677/78, wie viele andere befestigte Orte im Elsass, auf Befehl Ludwigs XIV. verwüstet und angezündet Schlettstadt war ein wehrhaftes Mitglied des (Foto: © ADT67, C. Fleith) Zehnstädtebunds (Foto: © ADT67, C. Fleith)

Im nachfolgenden Artikel 89 wird jedoch festgehalten, dass für beachtliche Teile des El- Frankreich, inzwischen von Mazarin regiert, sass weiterhin das Recht der Reichsunmittel- konnte Forderungen stellen, es war politisch barkeit gelte. Ausdrücklich genannt werden und militärisch im Vorteil. Das Reich musste u. a. die Freie Reichsstadt Straßburg, die Be- verhandeln. Da man sich nicht einig wurde, sitztümer von Bischöfen und Klöstern, große sind widersprüchliche Ergebnisse beurkundet und kleine Grundherrschaft en, die zu den worden. In den Artikeln 75 und 76 des Ver- Reichsständen gehörten, und die zehn Städte trags werden Rechte des Kaisers, des Reichs der Dekapolis. Die französische Krone, so hält und des Hauses Österreich an die französi- Artikel 89 fest, wird in diesen Fällen kein Vor- sche Krone abgetreten. Demnach gehörten recht geltend machen, sondern sich mit den die Landgrafschaft en im oberen und im un- Rechten zufrieden geben, wie sie bisher das teren Elsass nunmehr zu Frankreich. So ver- Haus Österreich nutzen konnte. standen es auch die Franzosen. Die kaiserli- Da die Kontrahenten beide das Elsass kann- che Partei erhärtete das Ergebnis durch die ten, konnten sie nicht übersehen, dass die ge- Erklärung, der Verzicht gelte für ewige Zeiten nannten Artikel des Vertrags über den West- und sei in jedem denkbaren Zusammenhang fälischen Frieden inhaltlich nicht zusammen- unwiderrufl ich. passten. An der Stelle eines zukunft sfähigen

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 593 30.11.2015 17:21:21 Ergebnisses, auf das sie sich nicht einigen wollten, hatten beide Parteien die ausgeklü- gelte Vorlage für eine spätere Fortsetzung des Streits erar- beitet. »Der Stärkere wird es zu seinem Vorteil auslegen«, sagte der kaiserliche Gesandte Dr. Vollmar zum Schluss. Sein französischer Kollege Ser- vien fügte noch vor der Unter- zeichnung dem Artikel einen Nachsatz an. »Ita tamen«, be- gann der, »soweit o.k.«, könnte man übersetzen, da es in kor- Hagenau, Vorort der Dekapolis, des elsässischen Zehnstädtebundes. rekter Sprache kaum auszu- Die Ancienne Douane, das alte Zollhaus von 1518 drücken ist, »soweit o.k.«, je- (Foto: © [email protected]) doch besteht Einverständnis, dass durch die hier angezeigte Erklärung die höchste Souveränität in keiner Colbert de Croissy berief 1658 den »Conseil Weise geschmälert wird, die der französischen Souverain d’Alsace« als oberste Gerichts- und Krone weiter vorne im Vertrag zuerkannt wor- Verwaltungsbehörde. Er richtete ihn in Ensis- den ist. Behauptung und Dementi sind in ei- heim an der Stelle der früheren vorderöster- nen einzigen Paragraphen gepresst. »Une sé- reichischen Regierung ein. In dem Hohen Rat mence éternelle de guerres« wird ein Teilneh- wurde erstmals der Ansatz für ein politisch, mer zitiert, eine Kriegssaat, die nie verdorrt. juristisch und administrativ zusammenge- In den ersten Jahren nach 1648 erschütterte hörendes Elsass entworfen. Es war ein bedeu- der Adelsaufstand der Fronde das französi- tender Moment für die elsässische Geschichte. sche Königreich. Mazarin hatte sich ins Exil Dreieinhalb Jahrhunderte lang blieb die Ge- zurückgezogen. An konsequente, politisch schlossenheit zwischen Jura und Pfälzerwald, gesteuerte Aufb auarbeit war nicht zu denken. dem Rhein und der Kammlinie der Vogesen Als Mazarin zurückkam, ernannte er Colbert das topographische Grundmuster der elsässi- de Croissy zum Intendanten. Der Bruder des schen Identität, stabil in den Wechselfällen der berühmten Finanzpolitikers schafft e es, mit Geschichte, bestätigt durch die seit über tau- weitreichenden Zuständigkeiten, Geradlinig- send Jahren unveränderte Sprachgrenze. Ende keit und Sensibilität innerhalb einiger Jahre, des Jahres 2015 wird es aufgelöst. Aber diese die nach dem Westfälischen Vertrag Frank- Geschichte steht auf einem anderen Blatt. reich einwandfrei zustehenden Teile des Lan- Ludwig XIV. übernahm nach dem Tod Ma- des in eine königliche Provinz zu überführen. zarins 1661 die Staatsführung. Er forderte die Auf deren Landkarte gab es allerdings weiße zehn Reichsstädte auf, ihm den Treueid zu Flecken. Die Liste aus Artikel 89 des Vertrags leisten. Die Städte wiesen darauf hin, dass blieb vorläufi g unberücksichtigt. dem französischen König ihnen gegenüber

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 594 30.11.2015 17:21:21 ein Schutzrecht zustehe, nicht aber die terri- toriale Oberhoheit und lehnten ab. Schließ- lich wichen sie einzeln dem auf sie ausgeüb- ten Druck. Gleichzeitig verständigten sie Kai- ser und Reichstag über ihre ausweglose Lage und klagten vor den dortigen Instanzen. Er- staunlicherweise wurde vom Reichstag eine Art Schiedsgericht mit französischer Beteili- gung gebildet. Dessen Arbeit verlief allerdings im Sande. Einen Willen, einander entgegen zu kommen, gab es auf keiner Seite. Überdies versetzten die Feldzüge Ludwigs XIV. gegen die spanisch-niederländischen Provinzen und gegen Holland Europa in Alarm. Die sich da- raus ergebende Mobilisierung des Reichs be- rührte auch die Oberrheingegend. Der fran- zösische König ließ in Erwartung einer In- vasion der kaiserlichen Armeen in der Nacht zum 14. November 1672 die Rheinbrücke bei Straßburg zerstören. Damit waren die Han- Das Fischertor gehört zu den wenigen delsstraßen ins Reich für die neutrale Stadt Bauten aus dem Mittelalter, die 1677 in unbrauchbar geworden. Empörung wurde Hagenau den Feuersturm überstanden haben laut, weit über das Elsass hinaus, am deut- (Foto: © [email protected]) lichsten in Straßburg selbst und in den zehn elsässischen Reichsstädten. Der Befehlshaber der französischen Truppen am Rhein, Fürst ihre Repräsentanten, die ihn begrüßen woll- Condé, schrieb an den Kriegsminister in Pa- ten, am Straßenrand stehen. Sechstausend ris, die Autorität des Königs nehme im Elsass Bauern und Bergarbeiter aus der Umgebung mit jedem Tag ab. Die Städte, weit davon ent- mussten anfangen, die Festungsmauern zu fernt, sich seiner Politik unterzuordnen, seien schleifen. Ein paar Tage später war Colmar geradezu seine Feinde geworden. Der Adel eine off ene Stadt, genau wie Schlettstadt, Ha- verhalte sich nicht anders. »Ich glaube, der genau, Weißenburg und die anderen, deren König sollte sich die Zeit nehmen und Colmar Befestigung der König zur Zerstörung freige- und Hagenau zur Besinnung bringen«. geben hatte. Ihrer Stadtwürde beraubt, wur- Ludwig XIV. kam im August 1673, 35 Jahre den sie eine leichte Beute für die vagabundie- alt, entschlossen, dem Widerstand der Reichs- renden Truppen. städte ein Ende zu setzen. Colmar, die rebel- Der Bund der zehn Städte hatte über drei lischste unter ihnen, hatte seit Tagen einige Jahrhunderte Bestand gehabt. Er war die äl- Imponierkanonen auf die Wälle gestellt. Über teste durchgängig dokumentierte politische Mannschaft en, sie zu bedienen, verfügte Col- Vereinigung, die das Elsass als Ganzheit ab- mar nicht. Der König ließ die Stadt unverzüg- deckte. Nach der Katastrophe von 1673 exis- lich besetzen, Haus für Haus entwaff nen und tierte er formal bis zur Revolution von 1789

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 595 30.11.2015 17:21:21 sen, die an Ort und Stelle nachgerechnet wer- den konnten. Zum Abschluss der Kriege, die Ludwig XIV. in den 70er Jahren in den Niederlanden geführt hatte, erreichte er 1679 in Nimwegen von Spanien die Überlassung der ansehnlichen Freigrafschaft Burgund und des langen, Frank- reich zugewandten niederländischen Festungs- gürtels, der von der Nordsee bis an die Mosel reichte. Österreich musste die Stadt Freiburg im Breisgau an das Königreich abtreten. Die Unklarheit der Vertragstexte von Müns- ter und Nimwegen stellte Frankreich eine Plattform bereit, von der aus die angestrebte territoriale Konsolidierung vorangetrieben werden konnte. Es war nun möglich, gültige Lehensverhältnisse mit Hinweis auf aus dem Mittelalter überkommene rechtliche Rege- lungen, in Frage zu stellen. Die französische Buchsweiler war der Hauptort der Grafschaft Regierung richtete dafür im Osten des Lan- Hanau-Lichtenberg. Wie die Nachbarterritorien durchlief diese ein Reunionsverfahren zur des, in Breisach, Besançon und Metz Reuni- Feststellung der französischen Oberhoheit onskammern ein. Unter der Maske gerichtli- (Foto: © ADT67 / C. Fleith) cher Seriosität sorgten diese dafür, dass bei- spielsweise die reichsrechtliche Urkunde über ein Lehen durch eine lehnsrechtlich franzö- weiter. Den ehemaligen Freien Reichsstädten sische ausgetauscht werden musste, weil man wurde eine gewisse Selbständigkeit bei der eine unauslöschbare Abhängigkeit vom fran- Gestaltung ihrer inneren Ordnung gewährt. zösischen Krongut entdeckt haben wollte. Ju- In allen Hauptsachen unterstanden sie jedoch risten beider Länder nannten das Verfahren den ortsansässigen Beamten der königlichen später Missbrauch. Aber es führte ans Ziel. Militär- und Zivilverwaltung. Man konnte z. B. den Herzog von Pfalz-Zwei- Frankreich kämpft e unter Ludwig XIV. brücken, einen Reichsfürsten, der über große entschiedener denn je um die Unverletzbar- Gebiete im Elsass verfügte, vonseiten Frank- keit seiner nordöstlichen Grenzgebiete. Das reichs neu belehnen und ihm den Huldigungs- Einfallstor vor den weiten Ebenen mit ihren eid des Lehnsmanns gegenüber dem französi- Ausläufern von Lothringen bis in die Picar- schen König abfordern. Sein Land war dann die sollte gesichert werden. Die Umsicht und mit dem Krongut wiedervereint: Reunion. diplomatische Intelligenz eines Richelieu wa- Hätte der Herzog abgelehnt, wäre er mit einer ren der französischen Politik gegen Ende des Strafe belegt und das Gebiet entzogen worden. 17. Jahrhunderts abhanden gekommen. Sie Für einen Reichsfürsten sei das Verfahren war bestimmt vom Willen nach Durchset- moralisch belastend, wurde in der Umgebung zung in Angriff und Abwehr, nach Ergebnis- des Kaisers geäußert. Die meisten nahmen die

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 596 30.11.2015 17:21:22 Das Straßburger Münster und sein Schatzhaus: Le Musée de L’Oeuvre Notre-Dame im Vordergrund (Foto: © ADT67 / C. Fleith)

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 597 30.11.2015 17:21:22 Belastung auf sich. In jedem Fall konnte an- sach, Landau und die elsässischen Reunio- schließend einer der weißen Flecken auf der nen anzubieten. Ludwig XIV. und Frank- französischen Elsasskarte eingefärbt werden. reich brauchen dringend Frieden. Auch der Der letzte verbliebene weiße Fleck wies auf Anspruch der Bourbonen auf die spanische das reichsunmittelbare Straßburg. Die Stadt- Krone ist im Angebot. Die Alliierten auf der republik hatte ihre politische Unabhängigkeit anderen Seite des Tischs reagieren überheb- über die Jahre weitgehend unbeschädigt er- lich und rechthaberisch. Schon ist der Augen- halten können. Inzwischen formierte sich um blick vorbei. Straßburg und das Elsass bleiben ihre Mauern ein Stück Frankreich. Es war ab- in Frankreich und der Rhein ist die Grenze. zusehen, dass der König sich nicht länger damit würde abfi nden wollen, wenn hier ein kaiserli- cher Fremdkörper in seiner inzwischen ziem- Literatur (Auswahl): lich aufgeräumten Landschaft stehen bliebe. So kam es, wie es kommen musste: die Fran- Rodolphe Reuss: Histoire d‘Alsace, Paris 1912. zosen hatten im Spätsommer 1681 ihre Pläne Paul Lévy: Histoire linguistique d’Alsace et de Lor- raine, 2 Bde., Paris 1929. gemacht und die Straßburger schnell festge- L. Sittler: Geschichte des Elsass, 2 Bde., Kolmar 1942. stellt, dass sie dem Ansturm nicht gewachsen Marcel Simon (Hg.): Deux siècles d’Alsace française, sein würden. Sie riefen um Hilfe, aber niemand Strasbourg 1948. kam. Der Zeitpunkt war aufmerksam gewählt: Georges Livet: L’intendance d’Alsace sous Louis XIV, 1648–1715, Paris 1956. der Kaiser beschäft igte sich im Osten des Fritz Dickmann: Der Westfälische Frieden, Müns- Reichs mit Ungarn und Türken. Also sprach ter 1959. man miteinander, draußen auf dem Feld, und Lucien Sittler: Der elsässische Zehnstädtebund, Ess- ließ dann die Kürassiere und Infanteristen linger Studien, 1964. Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg, Göt- durch die halbgeöff nete Tür herein. tingen 1985. Es ist schwer zu verstehen, sieht man sich Philippe Dollinger (Hg.): Histoire de l’Alsace, Tou- den Vorgang dieser Annexion an, warum louse 1991. französische Kommentatoren gerne von la Michael Erbe (Hg.): Das Elsass, Stuttgart 2002. François Bluche (Hg.): Dictionnaire du grand siècle, reconquête, der Wiedereroberung Straßburgs Paris 2005. sprachen. Auf welche Vorgeschichte sollte das Bernard Vogler: Geschichte des Elsass, Stuttgart 2012. bezogen werden? Eine gewaltige symbolische A. Overmann: Die Abtretung des Elsass an Frank- Bedeutung hatte es jedoch, dass Ludwig XIV. reich im Westfälischen Frieden, in: Zeitschr. f. d. Geschichte des Oberrheins, 1904/05. am 23. Oktober 1681 im wieder katholisch gewordenen Münster der Stadt den alten la- teinischen Hymnus Te Deum laudamus an- stimmen ließ. Das Elsass war nun komplett in Frankreich, französisch war es noch nicht. Nachtrag: Zwei Kriege und zwei Friedens- konferenzen später, im Mai 1709 in Den Haag. Der französische Außenminister Colbert de Anschrift des Autors: Torcy macht ein Angebot: was das Elsass be- Dr. Peter Brugger treff e, sei er vom König bevollmächtigt, den lebt in Grunern 77219 Staufen im Breisgau Verzicht der Krone auf Straßburg, Kehl, Brei-

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586_Brugger_Der Zugriff der Könige.indd 598 30.11.2015 17:21:22 Alex Möller (1903–1985) – der »heimliche Ministerpräsident« des Landes Baden-Württemberg in den 1950er Jahren

Eine biographische Notiz aus Anlass des 30. Todestages

Michael Kitzing

Bekannt geworden ist Alex Möller als erster sozialdemokratischer Bundesfi nanzminister, doch schon vor seinem Wechsel als Abgeordneter nach Bonn im Jahr 1961 gehörte Möller für ein- einhalb Jahrzehnte zu den prägenden Persönlichkeiten der südwestdeutschen Landespolitik. Die vorliegende Studie zeigt auf, wie sich Möller im Stuttgarter Landtag für die Belange des badischen Landesteiles eingesetzt hat, aber auch zum wortgewaltigen Verfechter der Interes- sen von Opfern des Nationalsozialismus wurde.

Einleitung

Die Auseinandersetzungen im Vorfeld der Abstimmung über die Gründung des Süd- weststaates am 9. Dezember 1951 wurden insbesondere in der ehemaligen badischen Landeshauptstadt Karlsruhe mit großer Lei- denschaft geführt – manchen Zeitgenossen erinnerte diese Leidenschaft schon an die po- litische Hitze der Wahlkämpfe in der End- phase der Weimarer Republik.1 Die hier auf- brausende Leidenschaft stand freilich in mar- kantem Gegensatz zu der ansonsten recht ruhigen politischen Szene am Ende der 40er und am Beginn der 50er Jahre. Auf Seiten der Altbadener waren es in Karls- ruhe die beiden CDU-Abgeordneten Adolf Kühn und Friedrich Werber2, die ihre Über- zeugung in der Parole zusammenfassten »wir 3 Alex Möller (Archiv der Sozialen Demokratie / bleiben Baden treu«. Die Vorstellung eines Friedrich Ebert Stiftung) Zusammengehens zwischen Baden und Würt-

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 599 29.11.2015 16:07:05 temberg stellte für Werber ein Horrorszenario Baden und Württemberg-Hohenzollern. Kurz, dar. Immer wieder rief er der Karlsruher Be- der Zusammenschluss Badens und Württem- völkerung ins Gewissen, 1939 habe man die im bergs bedeute die Überwindung der Klein- Vorfeld der Auseinandersetzungen mit Frank- staaterei im Südwesten. reich evakuierten Badener in Württemberg als Der Ausgang der Südweststaatsabstim- »Westwallzigeuner« beschimpft – wenn man mung in Karlsruhe ist bekannt. Zwar ent- nun in Württemberg für eine Vereinigung mit schied sich die Mehrheit der Karlsruher Be- Baden eintrete, so geschehe dies doch letztlich völkerung für die Wiederherstellung des nur darum, weil sich Württemberg den ba- Landes Baden der Weimarer Republik, je- dischen Markt wie auch die natürlichen Res- doch wünschte die Mehrheit in Nordbaden sourcen des Landes sichern wolle. insgesamt den Länderzusammenschluss, so- Den Gegenpart zu Friedrich Werber bildete dass entsprechend dem umstrittenen Abstim- »der Herr Möller«, – der ja, so Werber, auch mungsmodus die rechtliche Grundlage für erst seit 1943 in Karlsruhe wohne – der Ge- die Bildung des Landes Baden-Württemberg neraldirektor der Karlsruher Lebensversiche- 1952 gegeben war. – Dieses hat in den 1950er rung und Vorsitzende der SPD-Fraktion im Jahren neben Reinhold Maier, Gebhard Mül- Landtag von Württemberg-Baden, Alex Möl- ler und Kurt Georg Kiesinger vor allem Alex ler. Die Argumentation Möllers unterschied Möller geprägt, so sehr, dass dieser von Th eo- sich fundamental vom Auft reten Werbers. Ers- dor Eschenburg als »heimlicher Ministerprä- terer appellierte mit großer Leidenschaft und sident« apostrophiert wurde. – Doch wer war persönlichem Einsatz an das Gefühl der Men- Alex Möller, dessen Tod sich am 2. Oktober schen, an ihre Liebe zur badischen Heimat, die dieses Jahr zum dreißigsten Mal jährt? Wie er nicht unter württembergischen Einfl uss se- kam der gebürtige Westfale überhaupt nach hen wollte. Die ganze Argumentation Wer- Karlsruhe und worin bestehen im Einzel- bers, so Möller, zeichne sich nur dadurch aus, nen seine Verdienste um die Gründung und dass dieser an der Sache vorbeireden wolle Konsolidierung des Landes Baden-Württem- und einen Gegensatz zwischen »gelb-rot-gel- berg? In diesem Zusammenhang soll auch das ben Volkshelden« und »schwarz-rot-goldnen Selbstverständnis Möllers als Parlamentarier Landesverrätern« herstellen wolle.4 Tatsäch- beleuchtet und aufgezeigt werden, wie eng lich, so die Überzeugung Möllers brächte ein seine Biographie mit der Geschichte des Stutt- Zusammenschluss von Baden und Württem- garter Landtages, ja des Landes Württemberg- berg der Region Karlsruhe nur Vorteile. Das Baden bzw. Baden-Württemberg insgesamt in Land Südbaden zeichne sich durch eine hohe den Jahren 1946–1961 verwoben ist. Verschuldung aus und sei allein nicht über- lebensfähig. Anders dagegen der von Möller angestrebte Südweststaat, der ein krisenfestes I. Von Dortmund nach Karlsruhe Land darstelle, fi nanziell das »Ideal eines Fi- nanzausgleichs auf engem Raum«5 bedeuten Zum politischen Lebensweg könne, kulturell Höchstleistungen vollbringen Alex Möllers 1903–1945 und verwaltungstechnisch viel kostengünsti- ger arbeiten werde als die drei südwestdeut- Alex Möller wurde am 26. April 1903 in Dort- schen Nachkriegsländer Württemberg-Baden, mund als Sohn eines Eisenbahners geboren.6

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 600 29.11.2015 16:07:06 Durch den Beruf des Vaters war auch der des Frühjahr 1933 in Schutzhaft , aus der er ledig- Sohnes zunächst vorgezeichnet. Auf die mitt- lich entlassen wurde, um an der Abstimmung lere Reife 1919 folgte eine Lehre bei der Ei- zum preußischen Ermächtigungsgesetz teil- senbahn, wobei nicht bekannt ist, welche zunehmen. Wie seine gesamte Fraktion hat Tätigkeiten Möller hierbei genau ausgeführt Möller diese Zustimmung versagt und wurde hat. Gleich seinem Vater hat sich Möller bei erneut verhaft et. Die kommenden Jahre be- der Eisenbahnergewerkschaft engagiert, 1928 deuteten somit den Verlust der wirtschaft li- war er als Gewerkschaft ssekretär in Halle/ chen wie der politischen Existenz. Den einzi- Saale tätig. Zugleich folgte Möller seiner per- gen Ausweg brachte der Wechsel in die Versi- sönlichen Berufung bzw. seinem Traumberuf cherungsbranche, in der Möller seit 1936 für Journalist, politisch engagierte er sich seit die Karlsruher Lebensversicherung tätig war.9 1922 in der SPD. Zuvor hatte er bereits drei Obwohl er sich auch in seinem neuen Beruf Jahre in der Jugendorganisation der links- seitens der NS-Machthaber Nachstellungen liberalen Deutsch-Demokratischen Partei ge- ausgesetzt sah, erfolgte noch bis 1944 der wirkt.7 Aufstieg zum stellvertretenden Vorstandsmit- Bei den Maiwahlen 1928 kandidierte er glied seiner Gesellschaft . Nach dem Ende des erstmals für den preußischen Landtag – mit Zweiten Weltkriegs wurde Möller als einziges, Erfolg. Möller wurde zum jüngsten Mitglied politisch unbelastetes Vorstandsmitglied von in der Geschichte dieses Hauses. Gemäß sei- der amerikanischen Besatzungsmacht zum ner eigenen Erinnerungen muss sein Auft re- Vorstandsvorsitzenden der KLV bestellt. In ten sehr forsch gewesen sein. So war er der dieser Funktion hat er seine Gesellschaft für Überzeugung, dass der Fraktionsvorstand fast ein Vierteljahrhundert maßgeblich ge- überaltert und in seinem ganzen Vorgehen zu prägt. bürokratisch sei; hier müsse »frischer Wind« hinein. Tatsächlich konnte sich Möller off enbar II. Politischer Neubeginn in der Unterstützung namhaft er Fraktionsmit- Württemberg-Baden 1945–1952 glieder sicher sein. So arbeitete er auf Rat- schlag des preußischen Ministerpräsidenten Das neuerliche politische Engagement Möl- Otto Braun fraktionsintern am Abschluss lers begann bereits kurz nach dem Ende des des preußischen Konkordats von 1929 mit. Krieges und der Besetzung Karlsruhes durch Nach der erneuten Wahl in den preußischen die Franzosen. Mit ausdrücklicher Genehmi- Landtag 1932 erfolgte bereits der Aufstieg in gung der Besatzungsmacht wandte sich Möl- den Fraktionsvorstand. Zugleich machte sich ler in einer Rede unter dem Titel »Der Weg Möller einen Namen als scharfzüngiger Red- in die Zukunft « an die Bevölkerung.10 Hierin ner, der wiederholt die Nationalsozialisten warb er für einen Wiederaufb au auf demo- wie auch den von Reichskanzler Franz von kratischer Grundlage im Angesicht der tota- Papen nach dem Preußenschlag eingesetzten len Niederlage. Ziel müsse es sein, den Deut- Reichskommissar scharf kritisierte.8 schen ihre obrigkeitsstaatliche Gesinnung zu Nachdem Möller bereits während der Land- nehmen, die auch dann nicht widersprochen tagssitzungen von nationalsozialistischen Ab- habe, wenn die Obrigkeit erklärt habe, fünf geordneten bedroht worden war, kam er im und zwei ist acht. Hier gelte es aufzustehen

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 601 29.11.2015 16:07:06 und zu sagen »nein, fünf und zwei ist sieben« erfolgte 1946 die Wahl in die Verfassung- und den Mut zum selbständigen Denken und gebende Landesversammlung und noch im Handeln zu besitzen. Gerade als ehemaliger gleichen Jahr in den Landtag von Württem- Parlamentarier der Weimarer Zeit verspürte berg-Baden. War Möller in der Verfassung- Möller die Verpfl ichtung, auch in der zwei- gebenden Landesversammlung im Grunde ten deutschen Demokratie Verantwortung zu überhaupt nicht hervorgetreten, so stieg er in übernehmen und für demokratisches Gedan- der Folgezeit rasch auf. Schon 1946 wurde er kengut bei den vielen politisch Indiff erenten zum stellvertretenden Vorsitzenden der SPD- und Mitläufern des NS-Systems zu werben. Landtagsfraktion sowie des Finanzausschus- In einer zweiten großen öff entlichen Rede ses im Landtag gewählt. Innerhalb weniger 1946 trat Möller erneut hervor.11 Dieses Mal Jahre sollte Möller an die Spitze beider Gre- stand jedoch die Auseinandersetzung mit mien treten und genoss hier schon bald den den Besatzungsmächten im Mittelpunkt sei- Ruf eines strengen Kontrolleurs der beiden ner Ausführungen. Zwar bekannte sich Möl- Finanzminister Heinrich Köhler (1946–1949) ler unumwunden zu den Verbrechen des Na- und Edmund Kaufmann (1949–1952). tionalsozialismus und zur deutschen Schuld, Bei Köhler kritisierte er dabei bevorzugt jedoch betonte er in gleicher Weise, dass bei- dessen Patronagepolitik zugunsten von CDU- spielsweise auch der französische Botschaft er Anhängern und ganz besonders ehemaliger und spätere Hochkommissar André Francois Zentrumsmitglieder.13 Vor allem aber war Poncet Hitler förmlich hofi erte und salonfä- Möller immer wieder sichtlich darum be- hig gemacht habe. Hinzu trat die Forderung müht, den Staatshaushalt von unnötigen Ver- an die Alliierten: »Gebt unsere Kriegsgefan- waltungskosten zu entlasten, wie auch eine genen frei«. schlanke und zugleich eff ektive Verwaltung, Gegen einiges Widerstreben, denn Möl- aus demokratietheoretischen Überlegun- ler betonte immer wieder, die beiden gerade gen heraus für ihn eine Notwendigkeit dar- vorgestellten Reden hätten den Abschluss sei- stellte.14 So habe die Geschichte gezeigt, dass nes politischen Wirkens darstellen sollen12, sich der einzelne Betrieb zum Konzern und sich dieser zum Monopolbetrieb entwickelt habe, der den Konsumenten in vollständiger Abhängigkeit halte und genauso sei »die die- nende Verwaltung zur herrschenden Büro- kratie geworden, der sich der Einzelne hilfl os ausgeliefert fühlt«. Die jüngste Vergangenheit habe freilich gelehrt, welche Bedeutung eine Mammutbürokratie für eine Diktatur habe; läge es doch im Wesen eines diktatorischen Staates »mit Hilfe einer weit reichenden und selbstherrlichen Verwaltung dem Volk seinen Willen aufzuzwingen«. Das Kennzeichen ei- ner Demokratie lag für Möller jedoch gerade Landtagsgebäude in der Stuttgarter Heusteigstraße darin begründet, dass die Willensbildung (Landesmedienzentrum Baden-Württemberg) des Volkes dem Verwaltungshandeln voraus-

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 602 29.11.2015 16:07:06 ging. Im Sinne eines demokratischen Staates württemberg-Hohenzollern beklagt, die nicht musste es nach Ansicht Möllers schließlich kompromissfähig seien, weil sie gewohnt sein, dass die Verwaltungstätigkeit dort ihre seien, mit absoluter Mehrheit zu regieren. Grenze fi nden müsse, wo die zwingenden und Auch war die CDU 1952 für Möller kein zu- berechtigten Interessen der Gesellschaft ge- verlässiger Partner, da diese in Südweststaats- genüber dem Einzelnen endeten. anhänger einerseits und Altbadener anderer- Der von Möller somit stets aufs Neue ein- seits gespalten war.16 geforderte Bürokratieabbau sollte entgegen Das Jahr 1953 brachte schließlich die seiner Erwartung jedoch auch mit der Grün- Wende. Nachdem Reinhold Maier im Bun- dung des Südwestsstaates nicht erreichten desrat der Europäischen Verteidigungsge- werden können – im Gegenteil: Die Verwal- meinschaft (EVG) wie auch dem Generalver- tungskosten des neuen Bundeslandes sollten trag auf Druck der FDP-Bundesparteispitze über 40% über denen der drei Nachkriegslän- und gegen den Willen des sozialdemokrati- der liegen!15 schen Koalitionspartners zur Mehrheit ver- holfen hatte, kam es, wenn auch mit einigen Monaten Zeitverzögerung, zum Bruch des III. »Meine Fraktion besteht nicht sozial-liberalen Regierungsbündnisses.17 Be- aus ›Nicke-Männern‹« reits im Juli hatte Möller in einer denkwür- digen Abendsitzung im Ludwigsburger Rats- Zur Rolle Möllers bei den Regierungs- keller mit Gebhard Müller die Modalitäten für bildungen der 1950er Jahre und sein ein gemeinsames Regierungsbündnis erörtert Selbstverständnis als Parlamentarier und auf diese Weise die Wahl Müllers zum Ministerpräsidenten vorbereitet.18 Nachdem Sein Scheitern im Hinblick auf eine Reduk- die CDU bei den Bundestagswahlen im Sep- tion der Verwaltungskosten im Zuge der Lan- tember 1953 die absolute Mehrheit errungen desgründung hinderte gleichwohl nicht den hatte, konnte Möller schließlich darauf ver- weiteren Aufstieg Möllers, der auch im Land- weisen, dass es nicht sinnvoll sei, die Verfas- tag Baden-Württemberg an die Spitze der sung des neuen Bundeslandes gegen den Wi- SPD-Fraktion und des Finanzausschusses trat, derstand der stärksten politischen Kraft zu womit ihm gleichsam die Rolle eines »Königs- verabschieden. machers« bei den Regierungsbildungen der Kam es 1953 somit zur Bildung der Allpar- Jahre 1952, 1953 und 1958 zukommen sollte. teienregierung, so wurde diese bei den Wah- Hatte er 1952 noch für die Bildung einer len 1956 bestätigt, jedoch wechselte Gebhard Dreierkoalition aus FDP, SPD und dem Bund Müller Ende 1958 an die Spitze des Bundes- der Heimatvertriebenen und Entrechteten verfassungsgerichts. An seine Stelle trat nun- (BHE) plädiert, so war der Koalitionswechsel mehr Kurt Georg Kiesinger.19 Auch bei der und die Wahl Gebhard Müllers zum Minis- Bildung des ersten Kabinetts Kiesinger kam terpräsidenten im Herbst des darauf folgen- Möller erneut eine Schlüsselrolle zu, galt es den Jahres ebenfalls vor allem das Werk Möl- doch die SPD in der Regierung zu halten, lers. nachdem anlässlich der Wahl der neue Minis- Noch 1952 hatte Möller den Hochmut der terpräsident im sozialdemokratischen »Vor- CDU »Landesfürsten« in Baden und Süd- wärts« aufgrund seiner NS-Vergangenheit

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 603 29.11.2015 16:07:06 angegriff en worden war, ohne dass sich der ratsvertreter zu instruieren, oder das Recht, »Vorwärts« in der Lage sah, die gegen Kiesin- über die Zahl und Kompetenzabgrenzung der ger vorgebrachten Behauptungen plausibel zu Ministerien zu entscheiden) berauben. belegen. Möller war es in dieser Situation, der Wenn auch Möller mit diesen Anschauun- sich gegen das eigene Parteiorgan schützend gen gegen den versierten Juristen Gebhard vor Kiesinger stellte und die eigenen Partei- Müller nur bedingt durchdringen konnte, so freunde letztlich doch zur Wahl Kiesingers kam dem Parlament gerade bei der Grün- veranlasste. dung und dem inneren Ausbau des Landes Gemäß Möllers Selbstverständnis lag das Baden-Württemberg während der 1950er Zentrum politischen Handelns jedoch nicht Jahre natürlich eine besonders zentrale Rolle bei der Regierung, sondern vor allem beim zu. So hat Möller großen Anteil an der Aus- Parlament. Wenngleich nun das Verhält- arbeitung der so genannten Aufb augesetze, nis Möllers zu Gebhard Müller als hervorra- darunter das Landesverwaltungsgesetz, das gend bezeichnet werden darf, beide pfl egten Landespolizeigesetz und das Landtagswahl- auch privaten Kontakt, so fi nden sich in den recht; vor allem aber prägte Möller die Aus- Landtags- und Ausschussprotokollen gleich- formulierung des Finanzausgleichsgesetzes wohl zwischen beiden Politikern immer wie- zwischen dem Land Baden-Württemberg der ausführliche Diskussionen über die Ver- und seinen Kommunen, ein Gesetz, das all- teilung der politischen Gewichte zwischen gemein als vorbildlich für entsprechende Be- Parlament einerseits und Regierung anderer- stimmungen auch in anderen Bundesländern seits.20 Für Möller stand fest, dass es sich bei angesehen wurde.22 seiner Fraktion nicht um »Nicke-Männer« handeln dürfe21, die gleichsam jeden Geset- zesentwurf der Regierung passieren ließen. IV. Anwalt badischer Interessen Vielmehr kam dem Parlament die Aufgabe im Stuttgarter Landtag zu, die Gesetzentwürfe der Regierung kritisch durchzuarbeiten bzw. selbst mit Initiativge- Möllers Einsatz für Wissenschaft, setzen hervorzutreten. Auch wünschte Möl- Kultur und Kunst in Nordbaden ler eine stärkere Beachtung parlamentarischer Vertreter bei Staatsbesuchen, genauso wie er Bei den Abstimmungskämpfen der Jahre die Überzeugung vertrat, dass bspw. auch die 1950/51 hatte Möller – wie eingangs gehört Instruktion des Bundesratsvertreters nicht al- – immer wieder darauf hingewiesen, dass lein der Regierung überlassen werden dürfe. Karlsruhe und Baden entgegen der Behaup- Vielmehr könne auch hierüber ein für die Re- tungen Friedrich Werbers nicht zur »schwä- gierung bindender Parlamentsbeschluss statt- bischen Kolonie« herabsinken würden, son- fi nden. Letzten Endes, so der Heidelberger dern vielmehr vom Länderzusammenschluss Staatsrechtler Otto Gönnenwein, wollte Möl- nur profi tieren könnten. Dementsprechend ler mit seinen Anschauungen die Regierung stand Möller gerade gegenüber seiner heimi- zu einem reinen Vollzugsausschuss des Parla- schen Wählerschaft in Karlsruhe wie auch ments herabdrücken und diese jeglicher eige- der Wählerschaft des badischen Landesteils ner vom Parlament unabhängiger Rechte (wie insgesamt in einer Bringschuld. Tatsächlich eben beispielsweise das Recht, den Bundes- konnte Möller für sich in Anspruch nehmen,

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 604 29.11.2015 16:07:06 als Landtagsabgeordneter ein ohne Zweifel Ende der 50er Jahre ging schließlich der beredter Anwalt der Interessen dieses Landes- Bau eines ersten aus der freien Wirtschaft teils zu sein. Dabei kam ihm zugute, dass er fi nanzierten Studentenwohnheims auf die einerseits ein ranghoher Parlamentarier war, Initiative Möllers zurück.25 Möller wollte hier jedoch auch über Kontakte in Wirtschaft und ein Wohnheim schaff en, mit dem zunächst Kultur verfügte – beispielsweise war Möller einmal die Wohnungsnot der Studenten zu seit 1951 Vorsitzender des Verwaltungsrats dieser Zeit gelindert werden sollte. Gleichzei- des Süddeutschen Rundfunks! tig sollte der Bau speziell an die Bedürfnisse Um den drohenden Verlust an Zentralität der Studenten einer Technischen Hochschule Karlsruhes nach dem Wegzug der Regierungs- angepasst und mit vertretbaren Mieten ver- bürokratie zu verhindern, hat sich selbstver- bunden sein. Zwar kam das Wohnheimpro- ständlich auch Alex Möller für die Stärkung jekt zustande, auch erhielt das Wohnheim der dort verbliebenen Strukturen eingesetzt, der Karlsruher selbst in der überregionalen so genossen vor allem das Badische Staatsthe- Presse hervorragende Kritiken, fi nanziell ater23 und schließlich die Karlsruher Univer- wurde es jedoch zur wahrhaft sozialen Tat. sität die besondere Förderung des General- Für die Karlsruher Leben und ihre Gesell- direktors. Mit der 1951 erfolgten Ernennung schaft er sprang lediglich eine Rendite von ei- Möllers zum Ehrensenator der TH Karlsruhe nem Prozent heraus. Dies hat Möller jedoch und zwei Jahre später mit der Ehrenpromo- nicht davon abgehalten, in den 60er Jahren tion der bauwissenschaft lichen Fakultät wür- gesetzliche Bestimmungen anzuregen, die digte die Karlsruher Hochschule das zuver- den Bau von Studentenwohnheimen auf der lässige Engagement Möllers im Stuttgarter Grundlage privater Initiative attraktiver ge- Landtag für die Belange der Institution.24 So stalten sollten. hat Möller dazu beigetragen, eine Verlegung Das größte Projekt Möllers in Nordba- der TH nach Ettlingen oder auch den Zusam- den, das dieser in seiner Eigenschaft als Ver- menschluss mit der TH Stuttgart zu vermei- waltungsratsvorsitzender des Süddeutschen den, letzteres hätte den Abzug einer ganzen Rundfunks anregte, war jedoch schon 1952 Reihe von Fakultäten bedeutet. Vor allem aber die Wiederbegründung der Schwetzinger war Möller sprichwörtlich der Architekt des Schlossfestspiele.26 Hier wollte Möller ein be- Wiederaufb aus, der die Zuweisung von Gel- wusstes Gegengewicht zur »Woche der Un- dern für den Neu- bzw. Wiederaufb au der terhaltungsmusik« und den »Tagen zeitge- Universität im Landtag sicherstellte. In glei- nössischer Musik« in Stuttgart schaff en. Auch cher Weise bemühte sich Möller erfolgreich sollte der Hörerschaft des SDR gerade im Um- um die Erweiterung des Lehrangebots und feld der Neugründung des Bundeslandes be- um die Förderung der Bibliothek, zudem trat wiesen werden, dass sich der Sender auch in der Generaldirektor bzw. seine Gesellschaft der nordbadischen Provinz engagierte. Letzt- als Mäzen hervor, der Preise für gelungene endlich ist es Möller in Schwetzingen gelun- Abschlussarbeiten und Dissertationen stift ete, gen, innerhalb weniger Jahre Festspiele zu or- genauso wie Exkursionen, etwa der Geogra- ganisieren, die überaus schnell zu Renommee phen, in das Ferienhaus der Karlsruher Ver- kamen – schon 1960 wurden 150 Sendungen sicherung in Rothaus im Schwarzwald, jeder- aus dem Programm der Schwetzinger Fest- zeit eingeladen waren. spiele in allen fünf Kontinenten übertragen.

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 605 29.11.2015 16:07:06 V. »Wiedergutmachung – der Wiedergutmachungsverwaltung nicht Wunsch und Praxis« dulden, vielmehr müsse im Zweifelsfalle im- mer zu Gunsten des Opfers entschieden wer- Über die Vertretung regionaler Belange hin- den, hänge doch hiervon das weitere Ansehen aus wurde seit November 1955 die Frage nach Deutschlands in der Weltöff entlichkeit ab. Entschädigung und Wiedergutmachung für Tatsächlich ist es Möller gelungen, bei Jus- Opfer des Nationalsozialismus zum zentra- tizminister Haussmann einen Sinneswandel len politischen Th ema Möllers.27 Auf einer herbeizuführen. So stellte die sozialdemo- gemeinsamen Amerikareise mit einer Dele- kratische Allgemeine Zeitung im September gation der Regierung und des Landtages war 1956 befriedigt fest, dieser sei bei einem Ame- Möller darauf aufmerksam gemacht worden, rikabesuch förmlich geläutert worden29, auch dass die Ansprüche von Opfern des National- wurde seitdem die Entschädigung und Wie- sozialismus in Baden-Württemberg überaus dergutmachung von Opfern des Nationalsozi- schleppend behandelt wurden – z. T. wurden alismus off ensichtlich wesentlich beschleunigt. die Anspruchsberechtigten förmlich schika- niert. So weigerte sich das Land Baden-Würt- temberg einem ehemaligen Schutzhäft ling VI. Rückschläge eine Entschädigung auszuzahlen, weil die- ser nicht in der Lage sei, den Namen seines Die Einführung des Lottospielbetriebes Peinigers während der Schutzhaft zu benen- und das Scheitern der Kabinettsreform nen. Für Möller war dies ein »schlimmer Zu- – Wechsel in die Bundespolitik stand«28, hatte er doch selbst die leidvolle Er- fahrung der Schutzhaft hinter sich, aus der Hatte Möller 1956 mit seinem erfolgreichen heraus er feststellen musste, auch ihm habe Einsatz zugunsten der Opfer des NS-Regims sein Bewacher nicht seinen Namen genannt, auf dem Höhepunkt seines Ansehens gestan- sondern, so Möller in einer Landtagsdebatte, den, so war sein Einfl uss seit den Wahlen zum er habe höchstens noch einen in die Fresse zweiten Landtag rückläufi g. Sicherlich konnte bekommen. Insgesamt listete Möller fast 30 die von ihm geführte SPD-Fraktion sowohl derartige Fälle auf, die in zwei Denkschrift en bei der infrastrukturellen Erschließung des dem für die Ausführung der Entschädigung Landes sowie beim Neubau von Schulen und zuständigen Justizministerium übergeben Sportstätten nennenswerte Erfolge erzielen.30 wurden. Möller ist jedoch persönlich mit zwei zentra- Immer wieder betonte Möller auch, es gehe len Anliegen gescheitert. nicht an, wenn 600 anhängige Fälle bei den Dies betraf zunächst einmal die Einfüh- Wiedergutmachungskammern von gerade rung des Zahlenlottos. Am Ende der 40er einmal drei (!) juristisch geschulten Mitar- Jahre hatte Möller selbst an der Einführung beitern behandelt würden. Genauso wenig des Totospielbetriebs mitgewirkt, diese wurde Verständnis hatte er, wenn sich Justizminis- nicht zuletzt mit dem Argument motiviert, ter Wolfgang Haussmann zu der unglück- man brauche die Erlöse des Totos u. a. zur lichen Bemerkung verstieg, bei manchem Förderung von Sport und Kultur.31 Die Ein- der Antragsteller handle es sich um Renten- führung des Lottospielbetriebs lehnte Möl- jäger. Einen solchen Geist wollte Möller in ler jedoch konsequent ab, wobei er wieder-

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 606 29.11.2015 16:07:06 holt vorrechnete, dass es sich beim Lotto im Koalition der Verlierer«33 aus CDU, FDP und Grunde genommen um Betrug handle, weil BHE. Zur Verärgerung Möllers wurde dabei die Gewinnerwartung über alle Maßen klein nunmehr auch die ursprünglich von ihm an- sei. Freilich konnte die Haltung Möllers die geregte Kabinettsverkleinerung vollzogen. Einführung des Lottospielbetriebs zwar ver- Im folgenden Jahr entfaltete Möller eine zögern, nicht jedoch verhindern, zumal die fast schon hektische Oppositionsarbeit, in potentiellen Einnahmen des Spielbetriebs in deren Rahmen durch eine Vielzahl von An- Nachbarbundesländer abwanderten bzw. ab- trägen und Anfragen die Regierung in Be- zuwandern drohten. drängnis gebracht werden sollte bzw. er die Eine noch größere Niederlage bedeutete für SPD als jederzeit regierungsfähige Alternative Möller schließlich das Scheitern einer Kabi- darstellen wollte.34 Freilich konnte Möller an nettsreform. Gerne hätte Möller an die Stelle dieser Stelle keine Wirkung entfalten – das einer Allparteienkoalition im Jahr 1956 ein Hauptaugenmerk des Generaldirektors rich- schwarz-rotes Kabinett gesetzt, damit ein- tete sich vielmehr schon auf die kommende hergehend wollte er das Kabinett von zwölf Tätigkeit in der Bundesrepublik. auf sieben Köpfe verkleinern.32 Jedoch sprach Mit der Bundestagswahl 1961 begann man sich innerhalb der baden-württember- gleichsam der zweite Abschnitt der politi- gischen SPD gegen den Willen Möllers, der schen Laufb ahn Möllers, in den folgenden kurzzeitig zurücktrat, für die Beibehaltung Jahren ist es ihm gelungen, zu einem der prä- der Allparteienkoalition aus. Da innerhalb genden Köpfe innerhalb der deutschen Sozi- dieser Koalition keine Partei bereit war, eines aldemokratie aufzusteigen. So war er gleich- ihrer Ministerien aufzugeben und Vorschläge zeitig fi nanzpolitischer Sprecher seiner Partei in der Regel immer nur darauf zielten, den je- im Bundestag wie auch Mitglied des Bundes- weiligen Koalitionspartner zu schwächen, parteipräsidiums. In diesen Funktionen hat er wurde eine Kabinettsreform am Ende ver- das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz mitge- unmöglicht. Selbst die sozialdemokratischen prägt, insbesondere das Steuerungsmittel der Minister wachten furchtsam über die einzel- mittelfristigen Finanzplanung geht auf Alex nen Kompetenzen ihrer Häuser und waren zu Möller zurück, zudem war er Initiator und keinerlei Zugeständnissen bereit. Moderator bei der Neuregelung der Finanz- Zwar hatte Möller, dies wurde bereits ge- ausgleichsgesetze zwischen Bund, Ländern nannt, nochmals wesentlichen Einfl uss auf und Gemeinden im Jahr 1969 – eine Regelung, die Bildung des ersten Kabinett Kiesinger, die die weitgehend bis zur deutschen Wiederver- Landtagswahl 1960 brachte jedoch das Aus- einigung Bestand haben sollte. scheiden der Sozialdemokraten aus der Re- Schließlich war Möller der erste sozialde- gierung. Immerhin honorierte der Wähler mokratische Bundesfi nanzminister und zu- die parlamentarische Arbeit der SPD und ih- gleich der letzte Finanzminister, dem es bis res Spitzenkandidaten Möller mit einem An- 2014 gelingen sollte, einen ausgeglichenen steigen des Stimmanteils von 28,9% auf 35,4%, Bundeshaushalt vorzulegen. Jedoch war Möl- während CDU und FDP erhebliche Verluste ler auch derjenige, der schon früh die Ge- hinnehmen mussten. Gleichwohl bildete Kurt fahren einer Schuldenspirale erkannte und Georg Kiesinger sein zweites Kabinett als, um letztlich aus Protest gegen übermäßige Re- in den Worten Möllers zu bleiben, »kleine form- bzw. Ausgabewünsche seiner Kabi-

Badische Heimat 4 / 2015 Alex Möller (1903–1985) – der »heimliche Ministerpräsident« 607

599_Kitzing_Alex Möller.indd 607 29.11.2015 16:07:06 2 Zu Friedrich Werber vgl. Michael Kitzing: Fried- rich Werber, in: Baden-Württembergische Bio- graphien 5 (2013), S. 467–469. 3 Badische Neueste Nachrichten 28.11.1951: »Wir bleiben Baden treu!« Eine Kundgebung der Ba- dener in überfülltem Studentenhaus. – Die drei folgenden Zitate Werbers ebd. 4 Badische Neueste Nachrichten 24.11.1951: Land- tagsabgeordneter Alex Möller: Lasst am 9. De- zember Herz und Verstand sprechen! 5 Verhandlungen des Zweiten Württ.-Bad. Land- Sitzungssaal des Landtags für die Jahre tags, S. 96. – Zum Eintreten Möllers für den 1947–61 nach der Restaurierung im Jahr 1986 Südwestsstaat aus fi nanz- und wirtschaft spoli- (Landesmedienzentrum Baden-Württemberg) tischen Erwägungen vgl. auch die von ihm mit unterzeichnete Beilage zu den Badische Neueste Nachrichten 29.11.1951: Warum wollen wir den Südweststaat; oder das im Nachlass Möllers ent- nettskollegen zurückgetreten ist. Somit hat haltene Manuskript: Der Südweststaat – fi nanz- politisch gesehen (BA Koblenz NL Alex Möller, Möller die Bundespolitik der 1960er und Nr. 1178); Wirtschaft srevue Nr. 50 v. 10.12.1948: 1970er Jahre maßgeblich beeinfl usst, zuletzt Zum süddeutschen Zusammenschluss: Ausgegli- als außenpolitischer Sonderbeauft ragter des chen und krisenfest (hinterlegt, in: BA Koblenz Bundeskanzlers, der sich mit den deutsch- NL Alex Möller, Nr. 1178). 6 Allgemein zu Alex Möller vgl. u. a. Alex Möl- amerikanischen Kulturbeziehungen beschäf- ler: Genosse Generaldirektor. München/Zürich tigt hat, genauso wie er nunmehr auch im 1978; Ders.: Tatort Politik. München/Zürich Dienste des Bundeskanzlers mehrfach über 1982; Winnifred Schunck: Alex Möller. Gestal- Fragen der Entschädigung und Wiedergut- tung durch Mandat. Die Jahre bis 1961. Unver- öff entlichte Magisterarbeit an der TH Karls- machung für bislang vergessene Opfern des ruhe 2003; Paul Feuchte: Alex Möller, in: Ba- Nationalsozialismus verhandelt hat. den-Württembergische Biographien 1 (1984), Seine größte politische Bedeutung freilich S. 240–245; Gabriele Metzler: Alex Möller, in: hatte Möller, jedoch – wie ihm sein Fraktions- Reinhold Weber / Ines Mayer (Hg.): Politische Köpfe aus Südwestdeutschland. Stuttgart 2006, kollege Wilhelm Keil schon beim Wechsel in S. 321–331. die Bundespolitik prophezeite – in der süd- 7 Zum politischen Engagement Möllers in der westdeutschen Landespolitik: »Du wirst si- Weimarer Zeit vgl. Michael Kitzing: Alex Möl- cher in Bonn in die vordersten Reihen treten, ler: Generaldirektor, Parlamentarier, Minister. Eine Würdigung anlässlich des 25. Todestages, aber wahrscheinlich einer unter mehreren in: ZGO 158 (2010), S. 513–538, hier: S. 514–516; sein, im Landtag warst Du einer über vielen, Ders.: Der Manager der Heusteigstrasse. Der und die vielen werden Dich sehr vermissen.«35 Beitrag Alex Möllers zu Entstehung und Kon- solidierung des Südweststaates, in: Markus Raasch / Tobias Hirschmüller (Hg.): Von Frei- heit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Anmerkungen Gesellschaft der Moderne in Th eorie und Pra- xis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Ge- 1 Überblick über die Entwicklung der Südwest- burtstag. Berlin 2013, S. 709–736, hier: S. 710 f. staatsfrage aus Karlsruher Sicht vgl. Susanne (jeweils mit weiterführenden Literaturhinwei- Asche / Ernst Otto Bräunche: Karlsruhe – die sen). Stadtgeschichte. Karlsruhe 1998, S. 520–526, 8 Alex Möller: Rede zum Zwickelerlass. Karlsruhe 735–738. 1973.

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 608 29.11.2015 16:07:06 9 Zur Tätigkeit Möllers in der Versicherungsbran- Vorwärts gegen Kiesinger in: Vorwärts 5.12.1958, che vgl. Alex Möller: Ein Arbeitsleben für die As- Weit ist der Weg zurück nach Bonn. sekuranz. Karlsruhe 1973. 20 Zur folgenden Kontroverse über die Verteilung 10 Alex Möller: Der Weg in die Zukunft . Karlsruhe der machtpolitischen Gewichte zwischen Parla- 1945. – Das folgende Zitat ebd., S. 14. ment und Regierung vgl. Auszug aus dem Pro- 11 Möller: Genosse Generaldirektor (wie Anm. 6), tokoll der Sitzung des Ältestenrates vom 14. De- S. 24 f.; zur Rede Möllers vgl. auch Badische zember 1954, in: BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. Neueste Nachrichten 17.12.1946. 778. 12 Zur anfänglichen Weigerung Möllers wieder ein 21 Schwarzwälder Bote 11.12.1953; vgl. auch politisches Amt zu übernehmen vgl. Alex Möller: Schunck: Gestaltung durch Mandat (wie Anm. Genosse Generaldirektor (wie Anm. 6), S. 32–34. 6), S. 53. 13 Vgl. Fritz Ulrich / Alex Möller: Einheit und Frei- 22 Zu den Finanzausgleichsgesetzen zwischen dem heit für einen gemeinsamen Staat Württemberg- Land Baden-Württemberg und seinen Kom- Baden-Hohenzollern. Stuttgart 1948, S. 43–45. munen vgl. Walter Kübler: Die fi nanziellen 14 Zum Folgenden vgl. Alex Möller: Etat-Debatte Beziehungen des Landes zu den Gemeinden und zum Staatshaushalt 1947. Karlruhe 1947, S. 11 f. Kreisen, in: Reinhard Appel / Max Miller / Jan 15 Vgl. Martin Carl Häußermann: Das Regierungs- Ph. Schmitz (Hg.): Baden-Württemberg. Land präsidium Freiburg – Die Geschichte einer staat- und Volk in Geschichte und Gegenwart. Stutt- lichen Mittelinstanz im deutschen Südwesten, gart 1961, S. 74–81; Paul Feuchte: Verfassungsge- in: Paul-Ludwig Weinacht (Hg.): Die badischen schichte von Baden-Württemberg. Stuttgart 1983, Regionen am Rhein. 50 Jahre in Baden-Württem- S. 329 f. berg – Eine Bilanz. Baden-Baden 2002, S. 193– 23 Zur Geschichte des Staatstheater nach 1945 vgl. 208, hier. S. 200 f. Wilhelm Kappler: Das Badische Staatstheater 16 Alex Möller: Blick zurück nach vorn. Ein In- nach dem Kriege, in: Karlsruhe heute und mor- terview im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart gen. 1970, Heft 2, S. 20–23; 1971, Heft 2, S. 19–23; zum Th ema Baden-Württemberg. Festgabe des Heft 3/4, S. 22–25; Material zum Eintreten Möl- Landtages von Baden-Württemberg aus Anlass lers für die Belange des Staatstheaters vgl. u. a. BA des 80. Geburtstages von Bundesfi nanzminister Koblenz NL Alex Möller, Nr. 817. a. D. Professor Dr.-Ing. E. h. Dr. rer. nat. h.c. Alex 24 Vgl. BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. 2236–2237. Möller. Stuttgart 1983, S. 34 f. 25 Ebd., Nr. 2242. 17 Zu den Ursachen für das Scheitern des sozial- 26 Jörg Hucklenbroich: »… wirklich gute Butter!« liberalen Regierungsbündnisses vgl. Möller: Alex Möller und die Gründung der Schwetzin- Genosse Generaldirektor (wie Anm. 6), S. 131 f.; ger Festspiele, in: Musik in Baden-Württemberg. Klaus-Jürgen Matz: Grundlagen und Anfänge Jahrbuch 2012, S. 191–196; BA Koblenz NL Alex von Baden-Württemberg 1948–1960, in: Hans- Möller, Nr. 2220–2228. martin Schwarzmaier / Gerhard Taddey (Hg.): 27 Vgl. Alex Möller: Wiedergutmachung – Wunsch Handbuch der Baden-Württembergischen Ge- und Praxis. Karlsruhe 1956; Möller, Alex: 1. Er- schichte. Die Länder seit 1918. Stuttgart 2004, gänzung zur Denkschrift Wiedergutmachung – S. 519–590, hier: S. 562 f.; Hans-Joachim Mann: Wunsch und Praxis, dem Justizministerium des Die SPD in Baden-Württemberg von 1952 bis zur Landes Baden-Württemberg im Mai 1956 über- Gegenwart, in: Jörg Schadt / Wolfgang Schmierer reicht. o. O. 1956; Möller: Genosse Generaldirek- (Hg.): Die SPD in Baden-Württemberg. Von den tor (wie Anm. 6), S. 145–155; grundsätzlich zu- Anfängen der Arbeiterbewegung bis heute. Stutt- dem BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. 1223–1231. gart 1979, S. 233–299, hier: S. 234 f. 28 Möller: Genosse Generaldirektor (wie Anm. 6), 18 Zum Treff en im Ludwigsburger Ratskeller vgl. S. 148. Klaus-Jürgen Matz: Reinhold Maier. Eine poli- 29 AZ 1.–2.9.1956: Dr. Haussmann geläutert heim- tische Biographie. Düsseldorf 1989, S. 426–429; gekehrt! Hat der Justizminister seine Einstellung Matz: Grundlagen und Anfänge (wie Anm. 17), zur Wiedergutmachung revidiert? S. 564 f. 30 Zum Turnhallen- und Sportstättenneubau vgl. 19 Zur Rolle Möllers bei der Wahl Kiesingers zum Alex Möller: Tätigkeitsbericht der Landtags- Ministerpräsidenten vgl. BA Koblenz NL Alex fraktion, 31.3.1958, S. 3, in: BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. 772; die folgend genannte Polemik des Möller, Nr. 1752.

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 609 29.11.2015 16:07:06 35 Wilhelm Keil an Alex Möller am 7.10.1961, zit. 31 Verhandlungen des Ersten Württ.-Bad. Landtags, nach Möller: Genosse Generaldirektor (wie S. 2149 (hier befürwortet Möller die Einführung Anm. 6), S. 226. des Toto-Spielbetriebes) – zur Ablehnung des Zahlenlottos durch den Generaldirektor vgl. Alex Möller: Das Lotto – unter die Lupe genommen. Illusionen über Gewinnchancen – Die Verant- wortung des Staates, in: Badische Neueste Nach- richten 21.9.1975, sowie BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. 1245–1246. 32 Zum Th ema Ministergesetz vgl. BA Koblenz NL Alex Möller, Nr. 1258. 33 Möller: Genosse Generaldirektor (wie Anm. 6), S. 167. Anschrift des Autors: 34 Die Antwort auf die Koalition: Rechenschaft sbe- Dr. Michael Kitzing richt d. SPD-Landtagsfraktion von Baden-Würt- Samlandstraße 31 temberg, 15. Mai 1960–30. Juni 1961/SPD-Land- 78224 Singen a. H. tagsfraktion. Stuttgart 1961.

Auf Jahr und Tag. Die Fortsetzung der erfolgreichen Vortragsreihe zur Freiburger Stadtgeschichte erscheint nun als Buch in der Reihe „Schlaglichter regionaler Geschichte“. Sie wird vom Landesverein Badische Heimat zusammen mit Abteilung Landesgeschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg herausgegeben. Ausgehend von besonderen Tagen in der Freiburger Geschichte werden die vergange- nen 500 Jahre wieder zum Leben erweckt. Das thematische Spektrum reicht vom Bauern- krieg und der Hexenverfolgung im 16. Jahr- hundert über die vorderösterreichische, fran- zösische und badische Zeit bis hin zu den beiden Weltkriegen und dem Wiederaufbau der Stadt im 20. Jahrhundert. Auf gut lesbare Art führt der Band durch die Geschichte Freiburgs. Das Buch kostet 26 Euro und wird bei einer Bestellung unter Tel. 0761-150 675-70 oder [email protected] versandkos- tenfrei und mit Rechnung zugesandt.

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599_Kitzing_Alex Möller.indd 610 29.11.2015 16:07:06 Chinesisches im badischen Barock Eine Erinnerung aus gegebenem Anlass*

Johannes Werner

Inzwischen schaut die ganze Welt auf China – aber nicht zum ersten Mal. Im 17. und voll- ends im 18. Jahrhundert trafen erste Berichte aus jenem fernen Reich in Europa ein, und was sie enthielten, regte die europäischen Herrscher nicht nur zur Bewunderung, sondern sogar zur Nachahmung an. Auch unter den badischen Markgrafen beider Linien wurde nun »à la chinoise« gebaut und gemalt, getöpfert und getischlert, ja auch gegessen und getrunken und musiziert; und dies aus gutem Grund.

Für Michael Pohlig Schirmen thronen. Der Schirm war nämlich eine Erfi ndung der Chinesen, die sich erst da- Schon einmal war China ganz nah. Man mals in Europa einbürgerte. musste nur nach Karlsruhe fahren, wie es Und wofür wurden diese Gebäude gebaut, im Jahre 1791 ein gewisser Friedrich Leopold wofür genutzt? Die hohen Herrschaft en tran- Brunn tat, und nicht nur das dortige Schloss, ken in ihnen Tee, eben jenen Tee, der im 17. sondern vor allem auch den hinter ihm liegen- Jahrhundert aus China nach Europa gekom- den Schlossgarten besuchen, der, so Brunn, men und hier sehr schnell bekannt und be- »ohne alle Widerrede zu den reizendsten liebt geworden war. In einem Reisebericht, und angenehmsten dieser Art in Deutsch- der 1675 in Amsterdam gedruckt wurde und land«1 gehörte. Wenn man ihn durchstreift e, den die Historische Bibliothek in Rastatt auf- sah man sich unversehens »in eine chinesi- bewahrt, heißt es: »Die Sineser […] werff en sche Gegend versetzt; indem man vermittels etliche Blaetter in ein Krueglein mit heissem rauher Felsenstufen auf eine mäßige Anhöhe Wasser / lassens ein wenig stehen / biß das hin ansteigt, worauf ein nicht prächtiges, aber Wasser die Krafft der Blaetter an sich gezogen / niedliches und geschmackvoll ausmeublirtes, und trincken es dan fein warm / oder schlurf- chinesisches Sommerhäuschen steht«.2 Die- fen es viel mehr ein / also / dass sie nicht das ses Sommerhäuschen ist zwar verschwunden, geringste von den Blaettern zugleich in den aber ganz in seiner Nähe stand und steht noch Mund / und Magen bekommen.«3 Und natür- immer ein anderes, ähnliches, und unweit von lich tranken die hohen Herrschaft en auch in ihm steht auch noch das sogenannte Fasanen- Karlsruhe ihren Tee aus porzellanenen Känn- schlösschen mit seinen beiden Pavillons, de- chen, Tässchen und Schälchen; sie wurden zu ren Fassaden sinnigerweise mit stilisierten unvorstellbaren Preisen aus China eingeführt, Palmen bemalt sind, und auf deren Dächern bis es gelang, sie auch hierzulande herzustel- chinesische Sitzfi guren mit aufgespannten len. Vorher musste man sich mit gröberer

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611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 611 29.11.2015 16:09:25 Ware, der sogenannten Fayence, behelfen, und chinesischer Figuren von Papiermaché« an- Markgraf Wilhelm fertigte sie in seiner eigens gebracht.5 Chinoiserien schmückten den Ka- gegründeten Manufaktur in Durlach an, die min und die Decke dieses wie auch des nächs- ihre Erzeugnisse mit chinesischen Motiven, ten Raumes. Ein eigenes »Porcellan Zimmer« sogenannten Chinoiserien, nach Augsburger gab es auch, das Hunderte und Aberhunderte Stichen schmückte.4 von ausgewählten Stücken enthielt. In Rastatt Die Rede war bisher von den Markgrafen ließ dieselbe Markgräfi n 1722 die sogenannte von Baden-Durlach, die inzwischen in Karls- »Pagodenburg« erbauen. Und am 11. Januar ruhe residierten; aber auch die von Baden- 1729, in Ettlingen, veranstaltete sie ein chine- Baden, die ihren Hauptsitz in Rastatt genom- sisches Fest, das der Augsburger Kunstverle- men hatten, standen nicht zurück, ja waren ger Johann Christian Leopold immerhin so sogar schon vorangegangen. Zwar nicht im bemerkenswert fand, dass er es auf 23 Kup- dortigen Schloss, aber in dem Lustschlöss- ferstichen festhalten und verbreiten ließ; denn, chen Favorite, das sich die Markgräfi n Au- wie er schrieb, »die Chinesisch und Japani- gusta Sibylla von 1710 bis 1712 erbauen ließ, sche Kaijser würden selber in vergnügteste gab es ein »Chinesisches Zimmer«. Die Entzückung gesetzet werden, wann sie in ei- Wände waren »mit blauem chinesischem Pa- nem so weit entfernten teutschen Pallast ihrer pier bezogen«, und auf ihnen war »eine Reihe Reiche vortreffl ichste Seltenheiten so magnifi c

Schlossgarten Karlsruhe, Chinesischer Pavillon (Foto: Johannes Werner)

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611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 612 29.11.2015 16:09:25 und von einer so hohen Hand so nett rangiret und concentriret erblicken sollten«6. Zu sehen war da etwa »die mit Speissen völlig besetzte Hochfürstliche Panquet-Taff el«, und diese trug, unter anderem, »Pagoden oder Chine- sische Vogelfänger mit gemästen Kramets- Vögeln, eine Pyramide mit Chinesischen Sauren-Kraut, nebst einer Chinesischen Con- fect Schalen und zwei dergleichen Vasen von weisem Wachs, die um und um zur Illumina- tion auf denen Parasols gestanden, eine Pyra- Schlossgarten Karlsruhe, Chinesischer Pavillon, mide mit Austern, eine Chinesische Pastette Dachfigur (Foto: Johannes Werner) und andere auf diese Lands-Art zugerichte Speiße«, und noch manches mehr.7 Und zu diesem Festmahl spielten chinesisch geklei- dete Musikanten auf, die auf umgestimmten nesisches Türmchen, an welchem unzählige Instrumenten eine chinesische Musik spielten Glöcklein im Winde musizierten. Unter die- oder das, was man damals dafür hielt. (Was sem Türmchen in dem innersten Gemache sie spielten, weiß man nicht, aber so schön saß inmitten des getäfelten Bodens ein un- wie das, was wir hier und heute hören, wird förmlicher, kleiner Chinese von Porzellan mit es nicht gewesen sein.) untergeschlagenen Beinen und dickem Bau- Man müsste nun noch Schwetzingen er- che und wackelte einsam fort mit dem dicken wähnen, und zwar nicht so sehr das Schloss Kahlkopfe, als der einzige Bewohner seines als vielmehr seinen Park, in dem es unter an- unsinnigen Palastes.«9 derem eine »Chinesische Brücke« und ein Ohne Zweifel war man in jenem 18. Jahr- Badhaus gibt, das ein mit chinesischen Land- hundert nicht nur hierzulande, sondern über- schaft en geschmücktes Teezimmer enthält; all im sogenannten Abendland überaus be- oder Bruchsal mit seinem Schloss, von dessen geistert für alles, was irgendwie chinesisch Traufe vier Drachengestalten herabschauen, war oder nur zu sein schien. Chinesische Mo- in dessen Schlossgarten ein chinesisches tive prägten, ja überschwemmten geradezu Gartenhaus stand; oder nochmals Bruchsal die Kunst und das Kunsthandwerk bis in die mit seinem alten Zwerchgassenturm, der von Tischlerei, die Weberei, die Druckerei und einem Pavillon à la chinoise bekrönt wurde, natürlich die Töpferei hinein. »Musizierende und mit seinem Belvedere auf dem Steinsberg, und grinsende Chinesen, phantastisch kostü- dessen Seitentürme in ebensolchen Baldachi- miert, Teetrinker und Spaziergänger, über- nen enden; oder den Chinesischen Turm im zierliche Damen, komplimentierende Diener Englischen Garten in München, oder andere versetzen uns in eine amüsante Feerie, deren Bauten in Dresden, Potsdam und anderswo.8 wunderlicher Eindruck noch gesteigert wird Der Dichter Joseph von Eichendorff hat noch durch die schnurrig unregelmäßigen Archi- einen solchen Bau beschrieben, als die Zeit, tekturen und übertrieben wilden Felskulis- dem er angehörte, schon vergangen war: sen.«10 Und diese besondere Begeisterung war nämlich »ein feingeschnitztes, buntes, chi- nur ein Teil einer allgemeinen für alles, was

Badische Heimat 4 / 2015 Chinesisches im badischen Barock 613

611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 613 29.11.2015 16:09:26 exotisch, orientalisch, morgenländisch war – zu. »Man weiß, wie leidenschaft lich das Ba- oder auch, wie gesagt, nur zu sein schien. Chi- rock in weicher Materie gearbeitet hat, näm- noiserie, Japonaiserie, Turcomanie traten zu- lich im Stuck, und welche außerordentlichen sammen auf und gingen ineinander über. Verwendungen es dieser Materie gegeben hat; Und warum? Weil man dort, in der Ferne, die barocken Kirchen mit ihrem Stuckmar- das Fremde sah, das wie immer lockte und mor, mit ihren rahmweißen Standbildern aus reizte; aber auch, weil man dort, wie in einem Stuck, mit ihren wie Schneefl ocken hereinge- Spiegel, sich selber sah, oder vielmehr sich so wirbelten Stuck-Engelchen sagen darüber ge- sah, wie man gerne sein wollte. Die Rede ist, nug aus. Es lässt sich verstehen, dass gerade nach wie vor, von den hohen Herrschaft en, diese Epoche dem Porzellan erfi nderisch nä- deren Hofh altung in jenem Jahrhundert na- her gekommen ist – denn alles geschieht zu hezu asiatische Formen angenommen hatte. seiner Zeit.«13 Aber schon 1919 hatte Hausen- Verfügte der Kaiser von China nicht über stein geschrieben: »Das Barock ist undenk- Tausende von Nebenfrauen? Markgraf Karl bar ohne seine Chinoiserie. Sie aber, mehr als Wilhelm von Baden-Durlach konnte ihm kei- Mode, bedeutet den Zusammenhang des Ba- neswegs das Wasser reichen; aber er baute, als rocks mit der überschwenglich großen Kur- er die Stadt Karlsruhe gründete, zuerst einen vatur Asiens, wo der höchste Reichtum der Turm mit 24 Kammern, »die von eben so viel Kunst zu Hause ist.«14 Und 1921, in seinem jungen Mädchen bewohnt wurden«.11 (Über Früh- und auch Hauptwerk eben über das diesen »lächerlichen Serail«12 mokierte sich Barock hieß es dann, unter anderem: »Das sogar die scharfsichtige und scharfzüngige Barock weiß genau, was Pagoden sind. Es hat Liselotte von der Pfalz.) Und denselben An- eine Fülle exotischer Requisiten. Mit ihnen spruch meldete er an, indem er, wie alle seine spielt es: nicht wie mit Versatzstücken, son- Standesgenossen, Fasanen und Pfauen und dern wie mit Dingen, die zwar das Aroma des andere exotische Tiere züchtete, und indem er Fremden und Jenseitigen mitbringen, aber an in seinen Raritätenkabinetten alles sammelte, dem großen organischen Ablauf des barocken was er erreichen konnte; je ferner und fremder Stils den natürlichsten Anteil haben. […] Das die Herkunft , desto besser. Exotische des Barock, politisch durch den Zu- Die Rede ist, nach wie vor, auch vom Ba- sammenprall des siebzehnten und achtzehn- rock; also von einem Stil, der bis ins 20. Jahr- ten Jahrhunderts mit den Türken vermit- hundert hinein als bloße Prunk- und Pracht- telt, ökonomisch durch die enge Fühlung der entfaltung, als Schwulst, ja als Unkunst ver- Barockepoche – anders: des Merkantilismus achtet wurde. Es war kein anderer als der im – mit den Überseeländern gefördert, kirchen- badischen Hornberg geborene, im badischen geschichtlich durch die Überseemissionen der Karlsruhe aufgewachsene Wilhelm Hausen- Gegenreformation begünstigt, ist abseits des stein, der, als einer der bedeutendsten Kunst- nur Historischen und im Wesen verstanden historiker seiner Zeit, den Stil rehabilitierte, ein Beispiel barocken Triebs zur Universa- ihm wieder sein Recht verschafft e. In seiner lität, in dem ein metaphysischer Hang Sub- großen Kunstgeschichte von 1928 wandte er stanz und Form sucht.«15 sich dem einst so beliebten Porzellan – von Hausenstein hat hier von den Wegen ge- dem hier schon die Rede war – und den aus sprochen, auf denen sich diese west-östliche ihm hergestellten Gefäßen und Gebilden Annäherung ereignete. Was die Türken be-

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611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 614 29.11.2015 16:09:26 trifft , war es der Krieg, in dem ja Markgraf Alfred Döblin (Die drei Sprünge des Wang- Ludwig Wilhelm von Baden, der »Türken- lun) und Bertolt Brecht (Der gute Mensch louis«, die entscheidende Rolle spielte; was von Sezuan); oder vor allem über die chinesi- die Chinesen betrifft , war es der Handel und sche Lyrik, die vielfach übersetzt wurde, auch war es die Mission. Matteo Ricci, ein Jesuit, wenn die Übersetzer ihrer Aufgabe selten ge- konnte sich mit seinen Mitbrüdern schon am wachsen waren.17 Auch wenn sie vieles miss- Anfang des 17. Jahrhunderts in Peking nie- verstanden, trugen ihre Missverständnisse derlassen und stieg am kaiserlichen Hof zu doch Früchte; nicht anders als es im 18. Jahr- höchsten Ehren auf, und zwar vor allem dank hundert geschah. seiner Fähigkeiten als Astronom, Mathema- Halten wir hier ein, und halten wir es mit tiker, Geograph und Kartograph, in denen er Goethe, der in seinem »Westöstlichen Divan« den Chinesen weit überlegen war. In einem behauptet hat, dass die beiden Welten »nicht im Jahre 1711 gedruckten Buch heißt es: »Es mehr zu trennen«18 seien. war der Calender im Königreich Sina biß zur Ankunfft der Apostolischen Missionarien von Sinnig zwischen beiden Welten der Gesellschafft JEsu dergestalt voller Fehler / Sich zu wiegen, lass’ ich gelten; daß die in der Stern-Kunst-Erfahrne daselbst / Also zwischen Ost und Westen ohne Irrthum der Zeit / weder für gewiß vor- Sich bewegen sei zum Besten!19 hero sehen / noch verkündigen konten die Sonn- und Mond-Finsternüssen / wie auch Und in seinen »Noten und Abhandlungen« zu anderer Planeten Schein und Lauff . Als aber diesem »Westöstlichen Divan« meinte er, man der König vernommen hatte / daß einige PP. solle »von unserer Seite die Aufmerksamkeit der Gesellschafft JEsu aus Europa dahin kom- dorthin zu lenken suchen, woher so manches men / welche in der Stern-Kunst treffl ich er- Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden fahren wären / hat er ihnen die Sorge darü- zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hof- ber aufgetragen / die / ob sie wohl hochwich- fen ist«20. Auch der heutige Abend steht ganz tig war / haben sie doch dieselbige willig und im Zeichen dieser Hoff nung – aber auch in gerne über sich genommen / eingedenck / daß der, dass manches von hier nach dort gelan- es ein kräfft iges Mittel seyn würde / im sel- gen möge. Die Geschichte der west-östlichen bigen Reich nach Wunsch den Catholischen Annäherung zeigt, dass die Wege, auf denen Glauben fortzupfl antzen.«16 Ja, es wäre den sie sich ereignete, nicht nur Einbahnstraßen Jesuiten auch fast gelungen, die Chinesen zu waren. Man nahm und man gab, und so war missionieren, zu bekehren, aber der unsin- es recht. Das Zauberwort heißt: Austausch. nige und unselige Ritenstreit machte die viel- versprechenden Anfänge zunichte. (Die Chi- * Vortrag, gehalten vom Verf. unter dem Titel »Schon einmal war China ganz nah« am 26.2.2014 nesen wollten weiterhin ihre Ahnen verehren, beim 2. »Chinesischen Abend« am Wilhelm-Hau- aber die Päpste in Rom glaubten, die diesbe- senstein-Gymnasium in . Diese züglichen Riten verbieten zu müssen.) Schule pfl egt seit einiger Zeit eine Partnerschaft Manches wäre noch zu sagen – auch etwa mit der Jinshan School in Shanghai und gibt ihren über die chinesische Literatur, der die deut- Schülern die Gelegenheit, die chinesische Spra- che zu erlernen; sie hat auch die Berechtigung, die sche Literatur des 20. Jahrhunderts viel ver- offi ziell zertifi zierten Sprachprüfungen (Hanyu dankt, bis hin zu Klabund (Der Kreidekreis), Shuiping Kaoshi) durchzuführen.

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611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 615 29.11.2015 16:09:26 Anmerkungen Bd. 87). Leipzig 1906, S. 19 f.; dazu, mit Vorbehalt: Chisaburo Jamada, Die Chinamode des Spätba- 1 Friedrich Leopold Brunn, Briefe über Karlsruhe. rock. Berlin 1935. Hrsg. von Gerhard Römer. Karlsruhe 1988, S. 28. 11 Brunn, a. a. O. S. 24. 2 Ebd. 12 C. Künzel (Hg.), Die Briefe der Liselotte von der 3 Zit. n. Hans Heid (Hg.), Von erfarung aller land. Pfalz, Herzogin von Orleans. Ebenhausen bei Reiseberichte aus der Zeit des 16. bis zur Mitte des München 1912, S. 387. – Vgl. Leo Balet, Die Ver- 19. Jahrhunderts in der Historischen Bibliothek bürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur der Stadt Rastatt (= Ausstellungskatalog). Rastatt und Musik im 18. Jahrhundert. Straßburg / Leip- 1997, S. 191. zig / Zürich / Leiden 1936, S. 71 f. 4 Zur einschlägigen Produktion der Manufakturen 13 Wilhelm Hausenstein, Kunstgeschichte. Berlin in Durlach, aber auch in Frankenthal, Ludwigs- 1928, S. 348. burg und Schrezheim vgl., mit vielen Beispielen: 14 Wilhelm Hausenstein, Hundertfünfzig Jahre Barock in Baden-Württemberg. Vom Ende des deutscher Kunst. 1650–1800. Berlin 1919, S. 35. Dreißigjährigen Krieges bis zur Französischen 15 Wilhelm Hausenstein, Vom Geist des Barock. Revolution (= Ausstellungskatalog). Bd. 1. Karls- München 1921, S. 64. – Vgl. auch ders., Vom ruhe 1981, S. 383–450. Genie des Barock. München 1962, S. 87. 5 Rudolf Sillib, Schloß Favorite und die Eremitagen 16 Philipp Bonani, Verzeichnüß Der geistlichen Or- der Markgräfi n Franziska Sibylla Augusta von dens-Personen in der Streitenden Kirchen … T.1 Baden-Baden (= Neujahrsblätter der Badischen (= Von den Ordens-Männern). Nürnberg 1711, Historischen Kommission NF 1). Heidelberg 1914, S. 87. S. 42. 17 Vgl. z. B. Robert Neumann, Chinesische Lyrik 6 Zit. n. ebd., S. 71. oder Eine Aff aire in Briefen. In: R. N., Unter fal- 7 Zit. n. ebd., S. 70. – Dazu: Hubert Knauber, Sibylla scher Flagge. Ein Lesebuch der deutschen Spra- Augusta und ihr Chinesisches Fest (= Schrift en che für Fortgeschrittene. Berlin / Wien / Leipzig der Museums-Gesellschaft Ettlingen Bd. 1). Ett- 1932, S. 223–233. lingen 1975. – Vgl. auch: Anna Maria Renner, Si- 18 Johann Wolfgang von Goethe, West-östlicher Di- bylla Augusta. Die Geschichte eines denkwürdi- van. In: J. W. v. G., Werke Bd. 2 (= Gedichte und gen Lebens. Stuttgart 1938, S. 161–165. Epen Bd. 2). Hg. von Erich Trunz. 14. Aufl . Mün- 8 Vgl. insgesamt: Rudolf Niester, Bauten der China- chen 1989, S. 7–270; hier S. 121. Mode des 18. Jahrhunderts in Bruchsal, Karls- 19 Ebd. ruhe und Schwetzingen. In: Badische Heimat 20 Ebd. S. 128. 35 (1955), S. 136–149. – Dazu: Hans Vogel, Der chinesische Geschmack in der deutschen Gar- tenarchitektur des 18. Jahrhunderts und seine englischen Vorbilder. In: Zeitschrift für Kunst- geschichte 1 (1932), S. 322–335; Eleanor von Erd- berg, Der chinesische Einfl uß auf die Gartenbau- ten des 18. Jahrhunderts und den Anfang des 19. Jahrhunderts in Mittel- und Westeuropa. Diss. phil. Bonn 1936, Cambridge (Mass.) 1936. 9 Joseph von Eichendorff , Ahnung und Gegenwart. In: J. v. E., Werke. Hg. von Wolfdietrich Rasch. Anschrift des Autors: 2. Aufl . München / Wien 1982, S. 447–744; hier Dr. Johannes Werner S. 689. Steinstraße 21 10 Richard Graul, Ostasiatische Kunst und ihr Ein- 76477 Elchesheim-Illingen fl uß auf Europa (= Aus Natur und Geisteswelt

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611_Werner - Chinesisches im badischen Barock.indd 616 29.11.2015 16:09:26 Gedenktage badischer Geschichte

Oktober 1815: Zeit von 1775. Dann der biografi sche Bogen, den 200 Jahre seit Goethes er von 1775 bis 1815 in Karlsruhe zog. Weiter das letztem Besuch in Karlsruhe Zusammentreff en des 66-jährigen Goethe mit dem 55 Jahre alten Hebel, der »eine literarische Zelebri- Persönliche Begegnung mit tät in der aufstrebenden Residenzstadt war« (B. Viel). Johann Peter Hebel Dann gibt der Besuch Einblick in das »Zusammen- treff en mit dem Gelehrtenkreis der Stadt« (H. Hel- »Es ist wundersam genug« wig) und in das Haus der Museumsgesellschaft als Heinrich Hauß dem gesellschaft lichen Zentrum der Stadt. Die in Karlsruhe vom 3.–5. Oktober 1815 verbrachte »Es ist wundersam genug«, Zeit lese ich vornehmlich schrieb Goethe im Ok- als bedeutendes Datum tober 1815 an den Berg- der Goethe Biografi e. Ihre rat Christian Gottlob von Bedeutung fasst Goethe Voigt, »dass ich vor vierzig zusammen in dem oben Jahren in diesem Monat erwähnten Brief an Chris- durch eine Kalbsche Sta- tian Gottlob von Voigt. Der fette von Heidelberg nach Aufenthalt in Karlsruhe Weimar gerufen wurde. gibt Goethe Anlass, sich an Welch ein Glück, nach so die Bedeutung Karlsruhes Goethe, Kreidezeichnung unendlichen Ereignissen, und Heidelbergs für seine Karl Christian Gmelin von F. J. Jagemann,1817 immer noch in gleichem Biografi e vor 40 Jahren zu (aus: Mit Goethe am (aus: Goethes Leben und Verhältnis zu stehen und erinnern. »Alte Erinnerun- Oberrhein) Werk, 1966) nach einem solchen Kreis- gen«, die »in Goethe wach werden« (S. Boisseree), so lauf, dieselbe Bahn auf’s neue zu betreten«. scheint es, sind wichtiger als Begegnungen. Die Erinnerung Goethes bezieht sich auf die Be- gegnung mit dem jungen Prinzen Karl August von Weimar (1757–1828) in Karlsruhe. Goethe wurde 1775 – Die Einladung dann von Heidelberg aus nach Weimar berufen. Goethe hat die Bedeutung des Treff ens in Karlsruhe Am 21. Mai 1775 traf Goethe abermals mit dem Erb- für sein Leben in »Dichtung und Wahrheit« beschrie- prinzen Karl August zusammen, der auf seiner Rück- ben. »War ein Spaziergang reise von Paris am badi- durch die Stadt 1815 in vie- schen Hof einkehrte. len Bereichen eine ›Besich- »Am bedeutendsten war tigung von Baustellen‹, so für mich, dass der junge waren nun vor allem um Herzog von Sachsen-Wei- den Marktplatz herum die mar mit seiner edlen Braut, großen Bauvorhaben abge- der Prinzessin Luise von schlossen«. Hessen-Darmstadt hier Der Besuch 1815 in zusammen kamen, um Karlsruhe ist in mehrfa- ein förmliches Ehebünd- cher Weise »merkwürdig«, nis miteinander einzuge- Johann Peter Hebel, um einen Ausdruck Goe- hen. Meine Gespräche mit Friedrich Weinbrenner, Kreidezeichnung von thes selbst zu gebrauchen. den beiden hohen Personen von Feodor Iwanowitsch Feodor Iwanowitsch 1 Kalmück (?), um 1820 Kalmück, 1810/15 Einmal sind es die schon waren die gemütlichsten (aus Katalog: Friedrich (UB Basel) erwähnten »alten Erinne- und sie schlossen bei der Weinbrenner rungen« Goethes an die Abschieds-Audienz wieder- 1766–1826)

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 617 30.11.2015 17:58:39 holt mit der Versicherung: es würde ihnen beiderseits 3.–5. Oktober 1815 – angenehm sein, mich bald in Weimar zu sehen. Prin- Alte Erinnerungen wachen auf zessin Luise von Hessen-Darmstadt lebte nach dem »Reiche Stunden in Karlsruhe« (Oeftering) Tode ihrer Mutter Caroline in Karlsruhe bei ihrer Schwester Amalie«. 3. Oktober 1815: Eine Enttäuschung Ende September fuhr Karl August zur Hochzeit Am 3. Oktober 1815 bricht Goethe um 6 Uhr von Hei- mit Luise Auguste von Hessen-Darmstadt (1757– delberg nach Karlsruhe auf und kommt über Wies- 1830) nach Karlsruhe. Am 12./13. Oktober kam das loch und Bruchsal um 1 Uhr dort an. Goethe wohnte jungvermählte Paar wieder nach Frankfurt. »Es nach Oeft ering vermutlich im »König von England«, wurde verabredet: Ein in Karlsruhe zurückgebliebe- Ecke Ritter – und Kaiserstraße2. Die Anregung, ner Kavalier (von Kalb), welcher einen in Straßburg Karlsruhe zu besuchen, ging vom Großherzog Karl verfertigten Landauer erwarte, werde an einem be- August aus. Goethe ist »zum dankbarsten verpfl ich- stimmten Tage in Frankfurt eintreff en, ich solle mich tet«, dass er ihn aus seinem Heidelberger Kunsttraum bereithalten, mit ihm nach Weimar sogleich abzurei- »nach Karlsruhe dirigieren wollte.« In den Tag- und sen« (Dichtung und Wahrheit, 20. Buch). Am 7. No- Jahrbüchern schreibt Goethe über die in Karlsruhe vember holte von Kalb (1747–1814) Goethe mit der verbrachte Zeit, dass »die kurze dort vergönnte Zeit Kutsche um 5 Uhr morgens in Frankfurt ab. ebenso nützlich wie vergnüglich« angewendet wurde. Erster Gang Goethes war in die Waldstraße 10 zu Jung-Stilling, er wird aber von ihm kalt empfangen. 1774 – Erste Gespräche in Goethe war verstimmt, besonders über Jungs Äuße- Frankfurt und Mainz rung: »Ei, die Vorsehung führt uns schon wieder ein- mal zusammen«. Carl Ludwig von Knebels Verdienst An Knebel schreibt Goethe am 21. Oktober 1815: Schon am 11. Dezember 1774 fand, vermittelt durch »Jung ist leider in seinem Glauben an die Vorsehung den literarisch gebildeten Kammerherrn Carl Lud- zur Mumie geworden«. Jung-Stilling hatte 1808 eine wig von Knebel (1744–1834), Erzieher des Prinzen »Th eorie der Geisterkunde« herausgebracht, eine Konstantin, ein Treff en und Gespräch in Frank- »Provokation des Unzeitgemäßen«, ein »Lehrbuch furt statt. Da der Aufenthalt der jungen Herrschaf- des Unbelehrbaren« (H. Helwig). ten (Prinz Karl August und sein Bruder Konstantin) in Frankfurt nur kurz sein konnte, wurde mir »das Versprechen abgenommen, dass ich nach Mainz fol- 4. Oktober 1815 – gen sollte und dort einige Tage zubringen sollte, wel- Hofrat Gmelin, Hebel und Musik ches ich denn herzlich gern ablegte und mit dieser vor seinen Fenstern vergnügten Nachricht nach Hause eilte, um solche meinen Eltern mitzuteilen« (Dichtung und Wahrheit, Am 4. Oktober 1815 trägt Goethe in sein Tagebuch 15. Buch). »In diesem Augenblick begann Goethes ein: »Hofrat Gmelin. Botanischer Garten. Mittag Geschichte mit Weimar« (R. Safranski). Das Ge- Table d’hote. Gmelin Cabinett: Mineralogie und Geo- spräch wurde in Mainz am 13.–15. Dezember fort- logie; Muscheln; Vögel; Versteinerungen: Oeningen, gesetzt. Bolca. Zu Gmelin. Hebel.« »Knebel war es«, der die zarten Fäden, die sich Im Hause Karl Christian Gmelins (1762–1837) zwischen Frankfurt und Weimar schlangen, knüpft e fand die abendliche Geselligkeit statt. Begegnung »und damit große Dinge für die Entwicklung des mit Johann Peter Hebel (1760–1826) deutschen Geisteslebens anbahnen half« (W. And- Goethe lässt den »geschätzten Kollegen persön- reas). »Die Einladung entsprang eher einem übermü- lich aus den Alemannischen Gedichten zitieren« tigen Einfall, war Caprice, Laune, wie Resultat des (N. Viel). Im Naturalienkabinett ging Goethe mit spontanen Wohlgefallens« (E. Biedrzynski). Hebel umher, wie Biedenfeld berichtet. An Knebel schreibt dann Goethe am 21. Oktober 1815. »Hebel ist ein ganz treffl icher3 Mann«. Zehn Jahre zuvor, am 23. Februar 1805, hatte Goe- the in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung Hebels Alemannische Gedichte rezensiert und He- bel zugestanden, im Begriff zu sein, »einen eigenen

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 618 30.11.2015 17:58:41 wie ein Netzt auswirft , um die Ei- genheiten seiner Lands- und Zeitge- nossen und die Menge ihr selbst zur Belustigung und Belehrung aufzufi - schen«. Ferdinand von Biedenfeld zählt die Personen auf, die als »Morgen- gesellschaft « am Besuch des Natu- ralienkabinetts teilnahmen: »So wanderten wir denn dahin: Goe- the, Hebel, Boeckmann, der Phy- siker, Weinbrenner und ich; un- terwegs stießen noch Haldenwang4 und der Landschaft er Hofmaler Kunz5 zu uns.« Weinbrenner aller- dings fand »den reich eskortierte Besichtigungsgang« (H. Helwig) Markgräfliches Palais, Kupferstich nach C. L. Frommel (aus: Großherzog Leopold von Baden. Regent – Mäzen – Bürger, 1990) »hofschranzig und langweilig« »Am 12. Dezember 1814 konnte Weinbrenner anzeigen, dass das (Biedenfeld). Palais nunmehr soweit hergestellt und beendigt sei« (A. Valdenaire). Im Zusammenhang mit ei- »Opulentestes Bauwerk« von Weinbrenners Oeuvre ner »herrlichen Sonntagsfrühe« in Sessenheim kommt Goethe in Dichtung und Wahrheit (11. Buch) Platz auf dem deutschen Parnaß zu erwerben«. »Sein nochmals auf den »unschätzbaren Hebel« zu spre- Talent beobachtet mit frischen, frohen Blick die Ge- chen. genstände der Natur, die in einem festen Dasein, Um halb 10 Uhr brachte die Museumsgesellschaft Wachstum und Bewegung ihr Leben aussprechen«. Goethe ein »artiges«6 Ständchen. »Er ging vergnügt Der »Landwinkel«, vom dem aus Hebel dichtet, ist im Dunkeln im Zimmer spazieren«, berichtet Sulpiz dabei »äußerst günstig«: »Heiterkeit des Himmels, Boisseree. Die Goethe-Gesellschaft Karlsruhe hat Fruchtbarkeit der Erde, Mannig- faltigkeit der Gegend, Lebendig- keit des Wassers, Behaglichkeit der Menschen, Geschwätzigkeit und Darstellungsgabe, zudringli- che Gesprächsformen, neckische Sprachweise«. Allerdings schrieb Hebel an Hitzig, dass eine Rezen- sion ihm von Voß lieber gewesen wäre, »so hoch mir Goethes Name tönt« (27.3.1805). Goethe hat in »Kunst und Al- tertum« sich nochmals über den »Herrn Hebel« geäußert: »Wün- schen wir sodann dem Oberrhein Glück, dass er des seltenen Vor- zugs genießt, in Herrn Hebel eine Provinzialdichter zu besitzen, der von dem eigentlichen Sinne seiner Landesart durchdrungen, von der Museum in Karlsruhe 1813/14. Ecke Lange Straße/Ritterstraße. höchsten Stufe der Kultur seine Vordere Fassade gegen die Lange Straße. »Gesellschaftliches Zentrum der Umgebungen überschauend, das jungen großherzoglichen Haupt- und Residenzstadt« (O. E. Bräunche) Gewebe seiner Talente gleichsam (aus: Friedrich Weinbrenner. Ausstellung 1977/78, 1977)

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 619 30.11.2015 17:58:41 Großherzog Leopold, Lithographie von Franz Xaver Markgraf Wilhelm von Baden, Lithographie Winterhalter um 1830 (aus: Großherzog Leopold) von Franz Xaver Winterhalter um 1830 Zu den Personen, die Goethe »mit Ehrfurcht und (aus: Großherzog Leopold) Dankbarkeit« nennt, gehören die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner und Hebel

in Zusammenarbeit mit der Chorgemeinschaft »Les neue Gesamtausgabe ab. An Stelle der zur Gewohn- Chanteurs« in Erinnerung an Goethes letztem Be- heit gewordenen Sommerreise in die böhmischen Bä- such in Karlsruhe am 17. Juni 2015 im Vortragssaal der unternimmt Goethe eine Reise in den deutschen der Badischen Landesbibliothek ein Jubiläumskon- Westen. zert gegeben. Nach der Schlacht von Waterloo im Juni 1815 klärt Besondere Bedeutung kommt dem Besuch des Bo- sich nach Goethe »der politische Himmel nach und tanischen Garten zu: »Der Botanische Garten unter- nach auf« (Tag und Jahresheft e) und drängte ihn hielt uns einen ganzen Morgen«. Goethe fasst später zu einer Reise mit Sulpiz Boisserée, dem deutschen nochmals seinen Eindruck von Karlsruhe zusam- Gemäldesammler, Kunst- und Architekturhistori- men: »Die Gartenanlagen und botanische Anstalten, ker. Am 18.September 1815 reist Goethe mit Boisse- schöne naturhistorische und Kunstsammlungen und ree nach Heidelberg. Es kommt zu einer »momen- bedeutende neue Gebäude Gelegenheit gibt zu den tanen Hingabe« an die altdeutsche Kunst, obwohl wichtigsten Betrachtungen.« (Kunst und Altertum). ihn die »ganz unbekannte Welt der Farben und Ge- Nachzutragen sind noch Hebel persönliche Ver- stalten« aus »dem alten Gleise meiner Anschauun- hältnisse im Jahre 1814/15. 1814 wird Hebel in die gen und Empfi ndungen« heraus zu zwingen drohte evangelische Ministerialsektion berufen. Im Sep- (J. B. Bertram). tember 1815 gibt Hebel sein Amt als Gymnasialdi- rektor ab. Im März 1815 teilt Hebel Cotta mit, dass er »vor der Hand an keine Fortsetzung des Calen- 5. Oktober 1815 – Oberbau- ders denken würde«. Grund war die Schwierigkeit direktor Weinbrenner. Palais mit der katholischen Kirche wegen der Erzählung Hochberg. Ein »ungeschicktes »Der fromme Rat«. Mitte Mai 1814 erhielt Goethe von Cotta den »Di- Benehmen« eines Bedienten van« des persischen Dichters Hafi s. Bis zum Som- mer 1814 sind dann bereits über dreißig Gedichte Für den 5. Oktober 1815 trägt Goethe ein: »Zu Ober- des »West – östlichen Divans« entstanden. Im Juni baudirektor Weinbrenner, Restaurationen. Palais 1814 schloss er einen Kontrakt mit Cotta über die von Hochberg. Museum.« Sulpiz Boisseree ergänzt:

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 620 30.11.2015 17:58:41 Markgräfliches Palais, Ausführungsentwurf 1802. Perspektivische Ansicht der Treppenhalle (Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT)

»Morgens früh bei Weinbrenner: Pläne der Stadt Er war am 9. August 1811 Gast an der herzoglichen Carlsruhe: Antikes Th eater, das sich auf zwei Ach- Tafel zu Gotha. Auch hatte er seine 1809 erschienene sen dreht«. Schrift »Über Th eater in architektonischer Hinsicht In den Tag- und Jahrheft en für das Jahr 1815 er- mit Beziehung auf Plan und Ausführung des neuen wähnt Goethe unter Personen, die er »mit Ehrfurcht Hoft heaters zu Carlsruhe« Goethe geschickt (Clau- und Dankbarkeit« zu nennen habe, »in Karlsruhe dia Elwert). die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner und Hebel«. Mit den Grafen von Hochberg sind gemeint: Markgraf Leopold von Hochberg (1790–1852), der Fertig gestellte spätere Großherzog Leopold, und Markgraf Wil- Gebäude Weinbrenners helm Hochberg (1792–1859), der 1812 als General- major die badischen Truppen in Russland führte. Im Zusammenhang mit dem Gespräch Goethes mit Goethe besuchte beide im Markgräfl ichen Palais am Weinbrenner ist es notwendig, sich ein Bild zu ma- Rondellplatz. Markgraf Wilhelm berichtet im Zu- chen, vom den Gebäuden, die bereits fertig gestellt sammenhang mit Goethes Besuch von dem »unge- waren und die von Goethe besichtigt werden konn- schickten Benehmen« des Bedienten. Er meldete sei- ten. Fertig gestellt waren das Markgräfl iche Palais nem Bruder Leopold einen Herrn, » der sich Goethe (1814) und das Gartenhaus des markgräfl ichen Palais nenne, was er aber sei, wisse er nicht«. Weinbrenner (1801). Ebenso das Hoft heater (1808) und die katholi- kannte Goethe übrigen bereits von seiner Reise 1811 sche Kirche (1814). Vom Rathaus nur Teile, und zwar nach Weimar. das Salz- und Mehlhaus (1808) und der hintere Flü-

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 621 30.11.2015 17:58:41 gelbau (1812). Dann der Südfl ügel des Gymnasiums (1802), das Ett- linger Tor (1805), das Wohnhaus Weinbrenners (1801), das Haus des Generals von Beck (1804) und das Haus der Museumsgesellschaft (1814). Die Evangelische Kirche war noch im Bau und wurde erst 1816 eingeweiht. Auf dem Marktplatz war die Holzabdeckung der fürstli- chen Grabstätte in Form einer Py- ramide zu sehen. Über den Zustand der gesamten Stadt gibt es bei Karl August Varnhagen von Ense (1785– 1858) und Friedrich Leopold Brunn Hoftheater in Karlsruhe, 1806, »Das Theater, bey einer Vorstellung, auch (1758–1831) verschiedene Urteile. bey Tage hat mir sehr wohl gefallen« (Goethe an Karl August am Ein Spaziergang durch die Stadt 8. Oktober 1815). »Das Karlsruhe Theater ist das erste große öffentliche 1815 war »in vielen Bereichen eine Hoftheater in dem die deutschen Fürsten Konsolidierung und Besichtigung von Baustellen«, weil Souveränität zum Ausdruck bringen« (Hans Lange) (aus: Friedrich Weinbrenner 1766–1826, 1977) vor allem um den Marktplatz he- rum die großen Bauvorhaben noch nicht abgeschlossen waren. Ale- xander Mohr schreibt: »Karlsruhe um 1815, das hieß für die Einwohner leben auf einer »Ich habe Apercu gehabt« Baustelle – und ein Ende war nicht absehbar«. »Über- all verliefen die am Reißbrett geplanten Straßenzüge Es muss noch auf ein der Begegnung in Karlsruhe im Sande, erhoben sich zwei- oder drei stöckige Neu- vorausgehendes »Apercu« Goethes eingegangen wer- bauten unvermittelt im noch unbebauten Gelände«7. den. Am 2. Oktober 1815 berichtet Boisseree, Goethe Ich nehme an, dass wohl das Markgräfl iche Palais sei »an Eurem Domriß (des Kölner Doms) ein Licht und seine Inneneinrichtung Goethe am nachdrück- aufgegangen«: »Ich habe Apercu gehabt«. »Ich glaube lichsten beeindruckt haben. Eigentümlich aber bleibt, jetzt, das ganze Geheimnis der Architektur heraus zu dass er sich über die klassizistische Architektur Wein- haben«. Und noch bei der Ankunft in Karlsruhe am brenners nicht weiter in seinen Aufzeichnungen ge- 3. Oktober 1815 fängt Goethe dort gleich an, »er habe äußert hat. Wie Weinbrenner fand Goethe sein Glück dem Domriß was abgesehen«. Der Domriß habe ihm in Italien, wie Weinbrenner hatte er »Römisches und »ganz neuen Aufschluss über Architektur gegeben«. Palladianisches verinnerlicht« (G. Everke) – und doch Boisseree drängt Goethe, das gefundene »Prinzip« bestand für Goethe anscheinend keine Notwendigkeit, auszusprechen. Goethe erwidert, es sei »noch nicht nach der Begegnung mit Weinbrenner » allgemeine an der Zeit«8. Das Apercu. der »glückliche Einfall« Betrachtungen einzuschalten«. wie er das zu solchen zur Architektur des Kölner Domes9 steht also men- Anlässen gerne tat. Ebenso fi ndet sich in Hebels Brie- tal am Anfang der Begegnung mit der klassizisti- fen des Jahres 1815 kein Nachhall der Begegnung. schen Architektur Weinbrenners! Erstaunlicher- Die Begegnung Goethes mit den »klugen Leuten« weise kommt Goethe im Gespräch mit Weinbrenner in Karlsruhe – Gmelin, Hebel, Weinbrenner – bleibt auf die doch von ihm so wichtig gehaltene Einsicht nach ihrem Ertrag schwer deutbar. Zumindest führ- in das Wesen der Architektur nicht zurück. Erstaun- ten die Gespräche wohl nicht zu einem »lebendi- lich auch, weil »alles wahre Apercu aus einer Folge gen Ideenaustausch«, obwohl anzunehmen ist, dass kommt und bringt Folge.«10 nichts »Ungleichartiges und Unzusagendes« vorlag. Hatte doch »weder die Einbildungskraft Macht, Voraussetzung allerdings war bei Begegnungen für noch der Verstand Gewandtheit genug«, sich »das Goethe immer, dass ihn »etwas ihn Forderndes und Bild oder den Begriff « von dem unvollendeten Köl- ihn Angehendes« vorlag. Die kurze in Karlsruhe ver- ner Dom zu schaff en, so konnte doch Weinbrenners gönnte Zeit wurde letztlich »ebenso nützlich wie ver- Architektur hinreichend durch »Größe und Körper- gnüglich« angewendet (Tag und Jahresheft e 1815). lichkeit das Auge füllen« (Italienische Reise, über

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 622 30.11.2015 17:58:42 Palladio 19.9.1786) bieten. Doch Goethe konstatiert such in Karlsruhe 100 Jahre nach der Stadtgrün- nur: »Weinbrenner führte mich in seinen Werken he- dung« (16.9.2015 in der Landesbibliothek Karls- rum« (An Karl August 6.10.1815). »Betrachtungen« ruhe). werden nicht mitgeteilt. Auch im Gegensatz zu He- 3 Großartig, herrlich. bel charakterisiert er den möglichen Zusammenhang 4 Christian Haldenwang (1770–1831). Seit 1804 ba- vom Mensch und Werk bei Weinbrenner nicht.11 discher Hofk upferstecher. Heinrich Hauß 5 Karl Kuntz (1770–1830). 1805 zum badischen Hofmaler ernannt. 1804 malte er den »Blick auf Karlsruhe«. Mit von der Gesellschaft war Feo- Literatur dor Iwanowitsch Kalmück (1763–1932), seit 1806 Hofmaler. Zwischen 1810 und 1815 fertigte er eine Willy Andreas: Carl August von Weimar, 1953. Kreidezeichnung von J. P. Hebel an. Effi Biedrzynski: Goethes Weimar, Das Lexikon der 6 Entgegen kommend, freundlich, gefällig. Personen und Schauplätze, 1992. 7 Alexander Mohr, 1815: Im Schatten der neuen Günther Debon: Goethes Begegnungen mit Heidel- Prachtstraßen in: H. Schmitt (Hg.) Alltag in berg. 23 Studien und Miniaturen, 1992. Karlsruhe, S. 69. H. H. Klein hat in einem Vor- Heide Helwig: J. P. Hebel. Biografi e, 2010. trag darauf hingewiesen, dass Karlsruhe in »Her- H. H. Klein: Goethe in Karlsruhe, in: »Gemütlichste mann und Dorothea« nicht vorkommt. Hermann Gespräche«. Goethe in Karlsruhe. Festschrift zum soll auf Reisen gehen und »sehen zum wenigsten 50-jährigen Bestehen der Goethe Gesellschaft Straßburg und Frankfurt und das freundliche Karlsruhe, 2012, S. 43 ff . Mannheim« (Th alia / Die Bürger). Alexander Mohr: 1815: Im Schatten der Prachtstra- 8 Kurzer Überblick, kurz gefasste Darstellung. ßen, in: Heinz Schmitt (Hg.), Alltag in Karlsruhe. »Ein entschiedenes Apercu ist wie ein inokulierte Veröff entlichungen des Stadtarchivs B.10, 1990. Krankheit anzusehen: man wird sie nicht los, bis Wilhelm E. Oeft ering: Goethe am Oberrhein, Zeit- sie durchgekämpft ist«. Ein Apercu ist ein Haupt- schrift Baden Heft 5/1960, 12. Jahrgang. satz, »der ihn wie ein Blitz berührte«. »Jedes be- Wilhelm E. Oeft ering: Mit Goethe am Oberrhein, 1981. deutende Apercu steht in niemandes Gewalt Ulrich Maximilan Schumann: Begegnung mit Wein- und ist über aller irdischen Macht erhaben« (J. P. brenners Karlsruhe (1815), in: Goethe in Karls- Eckermann, Gespräche mit Goethe (11.3.1828)). ruhe, S. 82. 9 In »Kunst und Altertum am Rhein und Main« Städtische Galerie und Südwestdeutsches Archiv für kommt Goethe nicht auf das »Apercu« zu spre- Architektur und Ingenieurbau am KIT, Friedrich chen. Er erwähnt aber ausdrücklich die Organi- Weinbrenner 1766–1826. Architektur und Städte- sation der Steinmetzarbeit durch die »Hütte«. Der bau des Klassizismus, 2015. unvollendete Kölner Dom löste in Goethe »eine Anmerkungen schmerzliche Empfi ndung« und »ein leidiges Gefühl« aus. 1 Nach Goethischem Sprachgebrauch: zwang- 10 Goethe, Aus den Heft en zur Morphologie. Das los, ansprechend (Paul Fischer, Goethes Wort- Apercu ist »ein Mittelglied einer großen, produk- schatz,1929). tiv aufsteigenden Kette«. 2 Nach H. H. Klein wurde der »König von England« 11 Palladio charakterisiert Goethe zum Beispiel als erst 1816 eröff net. Goethe musste also irgendwo »einen recht innerlich und von innen heraus gro- anders genächtigt haben. Vortrag »Goethes Be- ßen Menschen« (Italienische Reise 19.9.1786).

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617_Gedenktage badischer Geschichte.indd 623 30.11.2015 17:58:42 Aus dem Landesverein

Vorstellung des Heftes 3/2015 der Badischen Heimat mit Schwerpunkt Bruchsal Mittwoch, 14. Oktober 2015 Bruchsal, Rathaus Heimattage in einem größeren Zusammenhang betrachtet

Heinrich Hauß

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, lie- ber Th omas Adam, sehr geehrter Herr Teu- schel von der Regionalgruppe Bruchsal, sehr geehrte Frau Burkart, meine Damen und Her- ren, im Jahre 2002 hat die Badische Heimat ein Heft mit Schwerpunkt Bruchsal mit ca. 200 Seiten aufgelegt. Im Jahre 2015 anlässlich der Heimattage Bruchsal ein Heft mit den Schwerpunkt Bruchsal mit ca. 80 Seiten. In »Zu diesem Heft « habe ich deshalb geschrie- ben, dass die beiden Heft e zeitgeschichtliche Dokumente sind. »Welche Th emen mit wel- cher Gewichtung wurden jeweils behandelt, welche Th emen wurden ausgespart?« Die dreizehn Jahre, die zwischen beiden Heft e liegen, gehen auf einen grundlegenden Men- talitätswandel zurück. Anlass für den Schwerpunkt Bruchsal wa- Ich hoff e, Sie haben Verständnis dafür, ren die Heimattage 2015 in Bruchsal, insbe- wenn ich die Heimattage 2015 in Bruchsal in sondere das im Programmheft angezeigte einen größeren Zusammenhang stelle. Symposium »Heimat machen? Geplante und In den letzten zwanzig Jahren sind zwei gelebte Heimat«. Die Heimattage sind so für grundlegende Veränderungen in der Auf- die Redaktion ein Gradmesser für die orga- fassung von Heimat festzustellen. Einmal nisierte und geplante Heimat. Heimattage zei- die Individualisierung des Heimatbegriff s gen, wie »Heimat heute geht«, wie »Heimat vor und zweitens die Enträumlichung der Hei- Ort praktiziert« wird. mat oder die »Loslösung des Selbst von Ort«

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624_Hauß_Heimattage Bruchsal.indd 624 29.11.2015 16:11:25 wahrzunehmen, ist Auf- gabe der Redaktion der Badischen Heimat. Th o- mas Adam hat diese Bot- schaft im Heft klar for- muliert: »Heimat ist off en, Hei- mat muss integrativ sei. Heimat ist teilbar, ist auch für andere da« Heimat »off en halten«, meine Damen und Her- ren, muss aber geleistet werden, ist alles andere Die Autoren und Fotografen bei der Heftpräsentation, auf Einladung der als Konservierung eines Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick im Rathaus (Foto: Fotofreunde Heidelsheim) Besitzes. Sie muss in Zu- kunft in der Dimension einer gesellschaft spoli- (P. Sloterdijk). Die Individualisierung des Hei- tischen, kulturpolitischen Aufgabe wahrge- matbegriff s hängt mit dem »epochalen Trend nommen werden. hin zu individualistischen Lebensformen« zu- Konkret heißt das, dass Städte und Regio- sammen. Die zweite Tendenz hängt mit der nen Integrationsangebote zur Verfügung stel- Mobilität der Menschen zusammen, die ihr Le- len müssen bei gleichzeitiger Behauptung der ben nicht mehr unbedingt an einen Ort binden. Werte ihrer »Lebenswelt«. Die Integrationsan- Heimat ist nicht ohne weiters mehr »verortbar«. gebote sind eine »Chance für die Vergewisse- Folge aus den beiden beschriebenen Ten- rung der eigenen und für das Kennenlernen denzen ist, dass Heimat kein feste Größe mehr anderer Kulturen« (A. Wieczorek). Wie weit ist, oder: man kann sich nicht mehr auf eine Heimat- und Geschichtsvereine an diesem Defi nition einigen, die für alle gelten könnte. Prozess kreativ teilnehmen, hängt von ihrer Der Mentalitätswandel in Sachen Heimat hat Selbsteinschätzung ab. nun Folgen für die »Gestaltung von Heimat«, Ich danke der Oberbürgermeisterin Frau wie sie meiner Ansicht in den Heimattagen Petzold-Schick für ihr ausführliches Grüß- stattfi ndet: Heimat muss organisiert werden, wort im Heft . wird in den Dienst des Marketings genommen Ich danke Herrn Th omas Adam für seine und dient kommunalpolitisch der Herstellung Initiative und die kreative Zusammenarbeit des »Wir-Gefühls« und bezieht auch »gesamt- bei beiden Heft en. örtliche Entwicklungskonzepte« (Programm- Ich danke allen Autorinnen und Autoren, heft ) mit ein. Ich kritisiere diese Entwicklung die mit Beiträgen den Schwerpunkt Bruchsal nicht. Ich stelle diese Entwicklung aus Grün- in unserer Publikation möglich gemacht haben. den der Realitätserfassung nur fest. Und schließlich danke ich allen Bruchsale- Die Heimattage 2015 haben, näher be- rinnen und Bruchsalern, die das Heft mit In- trachtet, auch eine zeittypische Botschaft . Sie teresse lesen. Heinrich Hauß

Badische Heimat 4 / 2015 Vorstellung des Heftes 3/2015 der Badischen Heimat mit Schwerpunkt Bruchsal 625

624_Hauß_Heimattage Bruchsal.indd 625 29.11.2015 16:11:26 Personalia

Helmut Engler sich auch lange Jahre als Vorstandsmitglied in der Stift ung »Humanismus heute« für alte Sprachen ein. »Ein kluger und gelassener Mensch in Zum 75. Jubiläum der Badischen Heimat am 22. einer aufgeregten, hitzigen Zeit September 1985 hielt Engler »als Mitglied der Lan- an deutschen Hochschulen« desregierung und als Bürger« die Festrede. Er gehörte (W. Kretschmann) damals schon seit rund zwanzig Jahren dem Verein an. Er billigte dem Verein zu, dass vieles in unserem Helmut Engler wurde am 14. April 1926 in Freiburg Land heute schlechter aussähe, wenn sich der Lan- geboren und verbrachte auch dort seine Schul- und desverein Badische Heimat nicht so tatkräft ig für die Studienzeit. Er besuchte das Bertholdgymnasium bis Verwirklichung seiner satzungsmäßigen Ziele einge- zum Abitur 1944 und studierte ab 1946 Rechtswis- setzt hätte. Darum riet er auch trotz regionalistischer senschaft en. 1949 und 1953 legte er die beiden juris- Bestrebungen der damaligen Zeit keine »Handbreit tischen Staatsexamina ab und promovierte 1968 zum von den Zielen abzugehen, die in der Gründungssat- Dr. jur. zung des Vereins genannt sind.« Gegen »regionale Von 1953–58 war er am Landesgericht Freiburg oder örtliche Kultur« mahnte er ein »Mindestmaß tätig. 1959, mit 33 Jahren, wurde er zum persönlichen an Kultur« an. Auch müsse es Mindestgrößen geben, Referenten des Präsidenten am Bundesverfassungs- »die erreicht sein müssen, wenn das, was in kleinen gericht, Prof. Gebhard Müller. Anschließend wirkte Räumen getan wird, nicht dürft ig sein soll.« (BH Heft er ab 1963 als Oberlandesgerichtsrat am Oberlandes- 1/1985). Der Hinweis auf »Erhaltung von Werten« der gericht Karlsruhe. Satzung machte es dem Redner möglich, problema- 1968 wurde er als ordentlicher Professor für Bür- tische Aspekte Badens in Baden-Württembergs aus- gerliches Recht und Zivilprozessrecht an die Univer- zublenden. »Kämpferische oder gekränkte Badener« sität Freiburg berufen. 1973 lässt sich Engler, noch schienen »diesem Badener irgendwie suspekt«. keine 50 Jahre alt, zum Rektor der Universität wäh- »Baden-Württemberg – das ging für Engler schon len. Als Kurt Rebmann nach dem Mord an Siegfried in Ordnung, staatsrechtlich wie staatspolitisch« Buback im April 1977 als Generalbundesanwalt nach (Hupka). Die in den verschiedenen Satzungen fest- Karlsruhe wechselt, wird Engler sein Nachfolger als gelegten Ziele werden allerdings schon lange nicht Amtschef des Landesjustizministeriums. mehr bedient. 1978 erhielt Engler unter Ministerpräsident Hans Helmut Engler ist mit 89 Jahre am 25. Oktober Filbinger das Ministerium für Wissenschaft und 2015 in Freiburg gestorben. Heinrich Hauß Kunst. Erst damals wurde Engler Mitglied der CDU. »Ich habe nie beschlossen Politiker zu werden«, sagte er über sich selbst. Er sah sich mehr als Fachmann. Ausgezeichnet mit der Heimat- 1991 kehrte Engler an die Uni Freiburg zurück und medaille Baden-Württemberg: arbeitete auch nach seiner Emeritierung am »Stau- Thomas Adam dinger – Kommentar« zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit. Wer in der Landesbibliografi e Baden-Württemberg Stefan Hupka hat in einem Nachruf der Badischen unter der Rubrik »Autor/beteiligte Personen« den Zeitung Engler das wohl schönste Zeugnis ausge- Suchbegriff »Adam, Th omas« eingibt, erhält weit stellt: »Man hätte sich ihn gut im House of Lords, über hundert Treff er. Zahlreiche Aufsätze zu regio- dem britischen Oberhaus vorstellen können – ein nalgeschichtlichen Th emen (nicht wenige davon in Gentleman mit Bildung, Humor und Stil. Das andere der Badischen Heimat publiziert) erscheinen dann dagegen, was Politik auch oft ausmacht, schien ihm in der Treff erliste, die bis 1989 zurückreicht, dazu die eher fremd zu sein: Das Aufplustern, die Hohlformel eigenständigen Buchpublikationen über den Bauern- oder gar die Schlammschlacht. So fremd, dass man führer Joß Fritz (»Das verborgene Feuer der Revo- sich direkt wundert, wie lange dieser Mann in der lution«, erstmals erschienen 2002), die »Kleinen Ge- Politik ausgehalten hat« BZ 27.10.2015). Engler setzte schichten« von Bruchsal (2006) und dem Kraichgau

626 Personalia Badische Heimat 4 / 2015

626_Personalia.indd 626 29.11.2015 17:31:53 (2010) sowie aktuell, im rheinebene, erschienen 2008 – und »Kleine Ge- September 2015 veröf- schichte des Kraichgaus« unternahm Adam über fentlicht, Adams Buch mehrere Jahre hin Lesereisen durch den gesamten über Naturkatastro- nordbadischen und nordwürttembergischen sowie phen in Baden-Würt- vorderpfälzischen Raum mit insgesamt rund 150 temberg mit dem Titel Vorträgen in Bibliotheken, bei Heimatvereinen und »Feuer, Fluten, Hagel- sonstigen Anlässen. wetter«. Seit 1991 ist Th omas Adam Vorsitzender des Ver- Th omas Adam, pro- eins für Umwelt- und Naturschutz Untergrombach duktiver Autor und be- und gehörte nach der Gründung mehrere Jahre der geisterter Redner bei Vorstandschaft der Streuobstinitiative im Stadt- und seinen historischen Landkreis Karlsruhe an. Dem Untergrombacher Na- Vorträgen, Mitglied turschutzverein wurde im Jahr 2000 der Landespreis Thomas Adam der Badischen Heimat Baden-Württemberg für sein Projekt »Rückgewin- (Foto: Martin Heintzen) und zahlreicher weite- nung der Kulturlandschaft – Erhalt, Stabilisierung rer Heimat- und Kul- und Pfl ege artenreicher Lebensräume« zuerkannt. turvereine im nordbadischen Raum, wurde im Jahr Das Engagement im Naturschutz – von Adam ver- der Heimattage in Bruchsal 2015 in Würdigung sei- standen als Bewahrung und Sicherung der histori- nes regionalgeschichtlichen Engagements mit der schen Kulturlandschaft – hat zu einer intensiven Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg Beschäft igung mit der Landschaft sgeschichte und auszeichnet. Geboren 1967, fast 40 Jahre in Unter- zu zahlreichen Beiträgen auch zu diesem Th ema ge- grombach bei Bruchsal und jetzt in Karlsruhe lebend, führt, darunter Veröff entlichungen über Wiesenwäs- leitet Adam das Städtische Museum und die Kultur- serung, Kopfweiden und Streuobstwiesen. Auch in abteilung der Stadt Bruchsal. Seit seiner Jugend be- der Badischen Heimat erschienen Beiträge zu die- schäft igt er sich mit Heimat- und Regionalgeschichte sem Arbeitsgebiet, darunter 1995 ein Aufsatz über und ist ehrenamtlich im Naturschutz tätig. Aus der den Badischen Naturschutztag von 1936 mit dem Ti- Verbindung zwischen beiden Interessen resultieren tel: »Die Zukunft wird zeigen, daß wir recht hatten«. teilweise auch seine Th emen und Arbeitsschwer- Fabian Heretsch punkte: Umwelt-, Agrar- und Wirtschaft sgeschichte, historische Landnutzungsformen, Geschichte des Naturschutzes selbst. Dazu kommt die Auseinander- 75. Geburtstag Dr. Beat Trachsler setzung mit der Entwicklung der Region Nordbaden Ein Leben für Menschen, Kunst und Kultur und das bewusste Credo, die Heimat geschichtlich und nicht die Geschichte heimatlich sehen zu wol- Die Kunst ist Sprache, len. Erste historische Veröff entlichungen erschienen nichts als Sprache, aber noch zu seiner Schulzeit in den Bruchsaler Lokal- anders als die begriffl iche. medien sowie in Zeitschrift en. Hermann Hettner Im Jahre 1993 erhielt er den Jugendpreis des Lan- despreises für Heimatforschung Baden-Württem- Bei bester Gesundheit berg für seine Arbeit »Anderthalb Jahrhunderte ba- feierte Beat Trachsler discher Eisenbahnbau: Soziologische Betrachtungen am 26. Juli 2015 seinen zu einer umwälzenden Entwicklung« (erschienen 75. Geburtstag. unter dem Titel »Die Elementarbegriff e von Zeit Wie lässt sich das und Raum sind schwankend geworden« in der Badi- umfassende Werk von schen Heimat, Heft 73, 1993). Für die ehrenamtliche Beat Trachsler, dem Un- Heraus gabe der Ortsgeschichte von Gondelsheim ermüdlichen, in einer (»750 Jahre Geschichte im Saalbachtal«) im Jahre knappen Hommage zu 2007 wurde Th omas Adam die Silberne Ehrennadel seinem Ehrentag wür- der Gemeinde verliehen. digen? Vielseitigkeit ist Mit seinen Büchern »Streifzüge zwischen Karls- das treff ende Stichwort. ruhe und Heidelberg« – der ersten kulturgeschicht- Gleichermaßen versiert und engagiert in den Sparten lich-touristischen Würdigung der nördlichen Ober- Kunst- und Literaturgeschichte.

Badische Heimat 4 / 2015 Personalia 627

626_Personalia.indd 627 29.11.2015 17:31:55 Der am 26. Juli 1940 in Basel geborene Jubilar beigetragen, immer wieder ein Altes und doch Neues besuchte das Humanistische Gymnasium und stu- Basel zu zeigen. Die Vielseitigkeit und die Th emen- dierte Kunstgeschichte, Germanistik und Latein. auswahl von Beat Trachsler sind bemerkens- und be- Beat Trachsler promovierte mit einer Disserta- wundernswert. tion über Giottos Einfl uss auf die Wandmalerei des So überrascht es auch nicht, dass er an mehreren Trecento in den Alpentälern der Südschweiz. Von 1972 Publikationen und Aufsätzen über den alemanni- bis 1976 erhielt Beat Trachsler einen Forschungsauf- schen Dichter, Pädagogen und Th eologen Johann Pe- trag des Schweizerischen Nationalfonds über den ter Hebel (1760 bis 1826) mitgearbeitet hat. Für sein Basler Zeichner Emanuel Büchel (1705 bis 1775). vielseitiges Engagement um die Kunst und Kultur Als Dozent für Kunstgeschichte unterrichtete er im Dreiländereck wurde Beat Trachsler 1991 mit der seit 1979 an der Basler Schule für Gestaltung. Ein Johann Peter Hebel-Gedenkplakette der Gemeinde Jahr später wurde Beat Trachsler in die Basler Hebel- Hausen im Wiesental ausgezeichnet. stift ung berufen. Das Anliegen des Jubilars ist die Und was macht der Jubilar, wenn er einmal nicht Pfl ege des bewahrenswerten baseldeutschen Schrift - am Schreibtisch sitzt? tums und des Stadtdialekts. So ist es auch nicht ver- Er beschäft igt sich weiterhin mit »seinen« Lieb- wunderlich, dass der Jubilar bereits 1974 die Leitung lingsmalern, Giotto di Bondone, Urs Graf, Remb- des kleinen Basler GS-Verlag übernommen hat und randt Harmensz van Rijn und Pablo Picasso. Und diesen zu einem renommierten Verlag im Dreilän- wenn es den Jubilar in die Ferne lockt, kann es sein, dereck aufgebaut hat. Zu den bekanntesten Bildbän- dass man dem exzellenten Fotografen und Kunst- den unter der Federführung des Jubilars gehören un- sachverständigen in Florenz, Rom, Venedig oder ter anderem: »Unter Basler Bäumen«, »Hymnen und Paris begegnet, wo er neue Kraft schöpft und Ideen Helge vom Ryy«, »Basel im Schnee«, »Basler Fähren« sammelt. und »Basel z´nacht«. Herzliche Geburtstagsgrüße gehen heute aus dem Mit seinen qualitätsvollen Büchern und Bildbän- Wiesental nach Basel. den hat der Kunsthistoriker Beat Trachsler mit dazu Elmar Vogt

Wir wünschen unseren Mitgliedern in Baden und Freunden in aller Welt ein gutes Jahr 2016

Landesvorstand, Beirat und Regionalvertreter der »Badischen Heimat«

628 Personalia Badische Heimat 4 / 2015

626_Personalia.indd 628 29.11.2015 17:31:55 Aktuelle Konditionen in Ihrer Filiale, unter www.bbbank.de oder Tel. 0 800/40 60 40 124 (kostenfrei) (keine Einbindung von Förderdarlehen). Bearbeitung und Zusage nur an Werktagen (es gilt der Eingangs- gewöhnlich hohem Antragsaufkommen ggf. verzögern. stempel). Die Zusage kann sich bei außer Voraussetzung: Vorliegen aller für die Kreditzusage relevanten Unterlagen. Antragsvolumen bis 250.000,– Euro 250.000,– bis Antragsvolumen Unterlagen. relevanten Kreditzusage für die aller Vorliegen Voraussetzung: 1) Der erste Schritt ins neue Zuhause!

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629_Anzeige BB-Bank.indd 629 29.11.2015 16:45:02 Jahresrückblick der Regionalgruppen 2014 auf das Jahr 2014 Jahresrückblick der Museen und Ausstellungen Regionalgruppe Karlsruhe 2014 In den Bereich der Nahrungs- und Genussmittel führte der Besuch im Pfi nzgaumuseum Durlach Erster Weltkrieg »Der Turmberg und sein Wein«, der ungewöhnli- Ein Schwerpunkt der Regio- chen Zuspruch fand – ob wegen der gelungenen Prä- nalgruppe Karlsruhe der Badi- sentation oder wegen der kleinen Verkostung sei da- schen Heimat war 2014 natür- hingestellt. Interessant war aber auch der Besuch der lich der Erste Weltkrieg. Dazu Sonderausstellung »Durlach gesucht«, durch die Dr. fand im Stadtmuseum eine Alexandra Kaiser führte. Führung durch die Sonderaus- Einem ganz anderen Th ema widmete sich der stellung »Karlsruhe im Ersten Weltkrieg« statt und zweite Besuch im Generallandesarchiv, das eine ebenso eine Führung durch die Ausstellung »Men- Wanderausstellung zeigte »Josef von Rosheim (1478– schen im Krieg 1914–1918 am Oberrhein« im Ge- 1554) – Ein engagierter Jude im Europa seiner Zeit«. nerallandesarchiv Karlsruhe. Ganz besonders be- Dieser außergewöhnliche Mann war der gewählte eindruckend war die Lesung von Susanne Asronye, Vertreter aller Juden des Heiligen Römischen Rei- die die »Feldpost eines Badischen Leib-Grenadiers« ches Deutscher Nation in einer krisengeschüttelten aus Königsbach-Stein herausgegeben und vorgestellt Umbruchszeit. hat. An diesen authentischen Briefen wurde das ganz Ausmaß des Schreckens deutlich. Ganztagesfahrt Die Ganztagesfahrt führte 2014 mit der Schwarz- »Zu Gast bei« waldbahn in die Freie Reichsstadt Gengenbach so der Titel, den die Badische Heimat diesen Besu- mit ihrer historischen Altstadt, dem Narrenmu- chen gegeben hat – war der Regionalverband 2014 seum, dem Kloster und der Klosterkirche und dem am 23. Januar beim evangelischen Oberkirchenrat, Museum »Haus Löwenberg« mit der ungewöhnli- der die Gruppe nicht nur mit den Aufgaben dieser chen Ausstellung »Wasser bewegt / Wasserklang- Institution vertraut machte, sondern sie auch in das bilder«. moderne, beeindruckende Kirchenarchiv führte. Zu Gast waren wir auch in der Stadthalle Karlsruhe, Stadtgeburtstag 2015 in der ihr Architekt, Herman Rotermund, unbe- Ganz im Zeichen des Stadtgeburtstags stand die Mit- kannte Seiten des allseits bekannten Gebäudes zeigte. gliederversammlung am 17. Januar 2015 im »Badi- Ganz anders geartet war natürlich die Besichti- schen Brauhaus«. Dr. Oliver Langewitz vom Stadt- gung der Fabrikationsstätte »Badische Backstube« marketing stellte den Anwesenden das Programm in Ettlingen, in der die jedem Karlsruher bekannte zum Stadtgeburtstag 2015 vor und nahm darüber Bäckerei-Kette zeigte, wo und wie sie die Qualität hinaus noch Anregungen aus den Reihen der An- ihrer Ware neben der Fabrikherstellung mit echter wesenden mit. Auf dieser Mitgliederversammlung Handarbeit aufwertet. wurde beschlossen, nur noch alle zwei Jahre eine Die Exkursion zum Rheinhafen-Dampfk raft werk Mitgliederversammlung durchzuführen. Karlsruhe beschäft igt sich nicht nur mit Fragen rund Im Zusammenhang mit dem Stadtgeburtstag ist um Energie und Ökologie, sondern in der Betriebs- noch zu erwähnen, dass im Januar 2014 unter der besichtigung wurde auch durch den Kraft werks- Leitung von Dr. von Ungern-Sternberg eine Arbeits- durchgang im wahrsten Sinn des Wortes vor Augen gruppe tagte, welche in einer äußerst arbeitsintensi- geführt, wie aus Kohle Strom wird. ven Sitzung die Grundkonzeption des Bandes »Karls- Im wortwörtlichen Sinn zu Gast war die Badische ruhe – aufgefächert« legte, der in der »Schrift enreihe Heimat auch wieder bei ihrem traditionellen Be- der Badischen Heimat« unter der Federführung von such einer historischen Gaststätte. Er fand 2014 im Heinrich Hauß zum Stadtjubiläum erscheinen soll. renommierten »Gasthaus zum Ochsen« in Durlach Marthamaria Drützler-Heilgeist statt. Schrift führerin

630 Jahresrückblick der Regionalgruppen Badische Heimat 4 / 2015 Jahresrückblick 2014 der ten und den nicht minder sehenswerten Schlossgar- Regionalgruppe Bruchsal ten in Karlsruhe. Beides Schöpfungen von Friedrich Weinbrenner. Auf ein durchaus erfolg- und abwechslungsreiches Jahr Donnerstag, 22. Mai: Tagesexkursion ins Tal der 2014 kann die Regionalgruppe Schutter: Lahr – Ettenheim – Ettenheimmünster, Bruchsal zurückblicken. Hier eine Übersicht: Reiseleitung: Herr Jörg Teuschl. Kurzweilig verliefen die Stadtführungen in Lahr Mittwoch, 22. Januar: Dia-Vortrag »Von Burgen, und Ettenheim. Wohl unvergesslich dürft e die Be- Blumen und wilden Bienen – kultur- und naturge- sichtigung der Wallfahrtskirche St. Landolin in Et- schichtliche Eindrücke aus dem Kraichgau«, Refe- tenheimmünster bleiben, wo der einheimische Or- rent: Herr Jürgen Alberti. ganist ein zutiefst beeindruckendes Vorspiel auf der Einmal mehr zog Herr Alberti, seit Jahren Silbermann-Orgel bot. »Stammgast« bei der Badischen Heimat Bruchsal, sehr viele interessierte Mitglieder und Gäste an. Sie Donnerstag, 12. Juni: Wandertag im Kraichgau, brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen, denn ein- Wanderführer: Herr Leininger, Herr Östreicher. mal mehr bot der Referent einzigartige Bilder von Es wird wohl aus Altersgründen der letzte Wan- Tieren, Pfl anzen und fast unbekannten Burgen im dertag gewesen sein, zu dem die bewährten Organi- herrlichen Kraichgau. satoren Herr Leininger und Herr Östreicher luden. Die 22 Teilnehmer vollbrachten bei großer Hitze eine Mittwoch, 19. Februar: Rezitationsabend mit Herrn respektable Wander-Leistung und das schmackhaft e Ernst Pillick. Mittagessen am Tiefenbacher See und ein erfrischen- Auch im Jahre 2014 hatte Herr Pillick einen gran- des Eis in Odenheim waren verdienter Lohn für die diosen Auft ritt Der hochgeschätzte Rezitator sprach vorausgegangenen Anstrengungen. meisterlich Texte von Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz und erhielt für diese neuerliche Donnerstag, 10. Juli: Tagesexkursion ins Hohenlo- Glanzleistung sehr viel Beifall. her Land: Langenburg – Bartenstein, Reiseleitung: Herr Jörg Teuschl. Mittwoch, 19. März: »Merkantiles Industriezentrum Viele neue Eindrücke bescherte die Tagesfahrt ins Saline Bruchsal und seine Wasserversorgung«, Refe- leider zu wenig beachtete Hohenloher Land. Besonders rent: Herr Siegfried Schlegel. interessant für uns Bruchsaler war der Besuch des hüb- Vor zahlreichen Besuchern berichtete Herr Schle- schen Städtchens Bartenstein, in dem Johann Evangelist gel über die untergegangene Saline. Der sorgfältig Brandl (1760–1837) Hofk apellmeister war, ehe er 1789 vorbereitete Vortrag erläuterte anschaulich die tech- Hofmusikdirektor in Bruchsal wurde. nischen Voraussetzungen und glänzte mit reichem Bildmaterial. Donnerstag, 18. September: Halbtagesfahrt Rem- chingen, Reiseleitung: Frau Simone Dietz. Mittwoch, 16. April: Vortrag »Weit mehr als nur ein Unter der abwechslungsreichen Führung von Weinbrenner-Schüler – Heinrich Hübsch«, Referen- Frau Simone Dietz lernten 35 Teilnehmer bei die- tin: Frau Simone Dietz. ser sommerlichen Fahrt die weniger bekannten Immer im Schatten seines Lehrers Friedrich Wein- Orte Remchingen, Singen, Nöttingen und Wilferdin- brenner steht Heinrich Hübsch. Rhetorisch wieder gen kennen. Ein Höhepunkt war die Besichtigung einmal überzeugend, stellte Frau Dietz dar, dass der traditionsreichen Cembalo-Werkstatt Merzdorf. Hübsch das badische Bauschaff en eindrucksvoll prägte. Mittwoch, 22. Oktober: »Wie der Schwarzwald er- funden wurde«, Referentin: Frau Silvia Huth Donnerstag, 24. April: »In diesem Style sollen wir In ihrem ausgezeichneten Vortrag sprach die bauen« – Rund um den Botanischen Garten Karls- engagierte Referentin auch die nicht ganz so glän- ruhe, Führung: Frau Simone Dietz. zenden Seiten dieser herrlichen Landschaft an. Be- Bei zauberhaft em Frühlingswetter führte Frau eindruckend waren wiederum die phantastischen, Dietz nach ihrem ausgezeichneten Einführungs- fesselnden Fotos. Dieser Abend wird wohl lange in vortrag durch den blütenreichen Botanischen Gar- bester Erinnerung bleiben!

Badische Heimat 4 / 2015 Jahresrückblick der Regionalgruppen 631 Mittwoch, 19. November: Bruchsaler Mundartdich- schaft en am Hofe Carl Th eodors – Astronomie, Geo- ter: Herr Peter Oehler däsie, Physik und Meteorologie«. Der Schwerpunkt Auf erfreulich große Resonanz stieß der Vortrag der Museumsführung lag bei den Th emen Astrono- des Mundartdichters und Hobby-Poeten Peter Oeh- mie, Landvermessung und Meteorologie im 18. Jahr- ler, der heiter, aber auch nachdenkenswert, über All- hundert. tagsbeobachtungen, menschliche Eigenschaft en und Im Februar besuchten wir in den Mannheimer Verhaltensweisen berichtete. Natürlich durft e die Reiss-Engelhorn-Museen den zweiten Teil der gro- »gute, alte Zeit« nicht fehlen. Auch zwei Couplets gab ßen Sonderausstellung »Die Wittelsbacher am Rhein. der waschechte Bruchsaler zum besten. Die Kurpfalz und Europa. Zwischen Reformation und Revolution«. Geführt wurden wir wieder von Mittwoch, 10. Dezember: Traditioneller Jahresrück- Frau Tanja Vogel, M. A. Mitarbeiterin der Ausstel- blick und Ausblick auf das Jahr 2015. lung und Mitglied im Vorstand der Badischen Hei- Mit dieser Zusammenkunft fand das Veranstal- mat e. V., Regionalgruppe Mannheim, die uns schon tungsjahr 2015 ein harmonisches Ende. im Oktober 2013 kenntnisreich durch den ersten Teil Mit herzlichen Dankesworten ehrte Vorsitzender der Ausstellung, die Dynastiegeschichte von 1214 bis Jörg Teuschl verdiente Mitglieder und überreichte 1504 geführt hatte. kleine Geschenke. Ganz besonders dankte er Frau In Kooperation mit dem Mannheimer Alter- Elisabeth Burkard, Ehrenmitglied der Badischen tumsverein (MAV) luden wir im März zu einem Heimat, die sich auch in diesem erfolgreichen Jahr Vortrag von Dr. Martin Furtwängler, Mitglied in als zuverlässige, unentbehrliche und unermüdliche der Kommission für geschichtliche Landeskunde Stütze unserer Regionalgruppe erwies. Jörg Teuschl Baden-Württemberg ein: »… ganz ohne Eitelkeit und Machtgier. Der erste badische Staatspräsident Anton Geiß (1858–1944)« hieß der Titel der Vor- Jahresrückblick 2014 tragsveranstaltung im Anna-Reiß-Saal im Museum der Regionalgruppe Mannheim Weltkulturen. Anton Geiß war eine der Persönlich- keiten der Weimarer Republik, die heute weitge- Wie auch 2013 hat die Regio- hend in Vergessenheit geraten sind. Doch mit seiner nalgruppe Mannheim bei ihren Lebensgeschichte verbindet sich der Epochenwech- Veranstaltungen auf eine Mi- sel von der Monarchie zur demokratischen Repub- schung von Führungen durch lik in Baden. aktuelle Ausstellungen, lokal- Am 26. März führte uns Frau Barbara Becker historischen Vorträgen sowie durch die Villa der jüdischen Familie Hecht in L 10, Exkursionen im Mannheimer Stadtgebiet gesetzt. 1 in Mannheim. Die Besichtigung des ehemaligen Neu dazugekommen ist diesmal eine Exkursion in Wohnhauses stand unter dem Ausspruch des Kom- das Naturschutzgebiet Reißinsel Mannheim, die wir ponisten Johannes Brahms: »In Mannheim habe ich wegen des großen Anklangs, im kommenden Jahr an so viel Hübsche(s) und Schöne(s) zu denken«. Seit ähnlich wiederholen möchten. 1997 erinnert am Eingang des Hauses eine Gedenk- Bei unseren Veranstaltungen konnten wir wieder tafel an die Eheleute Helene und Felix Hecht. Als Jü- auf die Unterstützung unserer Mitglieder im Stadt- din wurde Helene Hecht 1940 mit einem Sammel- archiv Mannheim-ISG, in den Reiss-Engelhorn-Mu- transport nach Gurs deportiert und verstarb auf dem seen und beim Mannheimer Altertumsverein, im Transport. Zum Gedenken an Helene Hecht und ihre TECHNOSEUM und auf das Entgegenkommen an- Förderung von Kunst und Kultur vergibt die Stadt derer Mannheimer Institutionen setzen, denen ich Mannheim alle zwei Jahre den mit 3000 Euro dotier- an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte. ten Helene-Hecht-Preis. Heute nutzt das Zentralin- Die Veranstaltungen des Vereins Badische Hei- stitut für Seelische Gesundheit das historische Ge- mat-Ortsgruppe Mannheim begannen im Januar bäude als Tagesklinik der Klinik für Psychiatrie und 2014 mit einer Führung durch die Sammlungen des Psychotherapie. TECHNOSEUM Museum für Technik und Arbeit Im Mai galt wieder ein Architekturdenkmal in Mannheim. Der ehemalige Konservator des Mu- Mannheims unsere Aufmerksamkeit. Pfarrer Jürgen seums und nunmehrige Vorstandsvorsitzende der Steinbach führte durch die evangelische Christus- Regionalgruppe Mannheim, Dr. Kai Budde führte kirche am Werderplatz in der Mannheimer Oststadt. durch die Ausstellung: »Die Pfl ege der Naturwissen- Die Veranstaltung wurde durch unser Vorstandsmit-

632 Jahresrückblick der Regionalgruppen Badische Heimat 4 / 2015 glied Herrn Dr. Konrad Exner organisiert, der uns geschoben als präsentiert. Fehlende Beschrift ungen auch im Mai 2013 die katholische Heilig-Geist Kir- und verschmutzte Figuren tragen das Ihrige dazu bei. che mit ihrer Göckel-Orgel von 1950 vorgestellt hatte. Ohne die Ausführungen von Frau Braun hätte sich In Kooperation mit dem Stadtarchiv Mannheim- uns vieles nicht erschlossen. ISG und den Mannheimer Stadtführungen e. V. bo- Unsere letzte Veranstaltung im Jahr führte uns ten wir als letzte Veranstaltung vor der Sommer- Ende November in die archäologischen Restau- pause im August eine Stadtführung zum Th ema rierungswerkstätten der Reiss-Engelhorn-Mussen. »Der Erste Weltkrieg in Mannheim« an. Frau Dr. Su- Die Abteilung Archäologische Denkmalpfl ege und sanne Schlösser, Mitarbeiterin im Stadtarchiv Mann- Sammlungen der Reiss-Engelhorn Museen in Mann- heim-ISG führte uns zu verschiedenen Stadtpunk- heim besitzt eine Werkstatt für die Restaurierung tetafeln im Mannheimer Stadtgebiet, an denen sich und Konservierung historischen Sammlungsgutes Aspekte zum Leben im Ersten Weltkrieg aufzeigen und aller Frischfunde aus Grabungen im Stadtgebiet lassen. Die Stadtpunktetafeln wurden von der Stadt Mannheim. Die Restauratoren Peter Will und Chris- Mannheim und dem Stadtarchiv entwickelt und in- toph Röber gaben uns Einblick in das Aufgabenge- formieren in Mannheim über Stadtgeschichte, Kul- biet und die Arbeitsmethoden der Restauratoren. turgeschichte, Migrationsgeschichte sowie über ver- Dr. Kai Budde schiedene Epochen. Nach der Sommerpause im September ging es zur Liebfrauenkirche, der Kirche der katholischen Kir- Jahresbericht 2014 chengemeinde im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. der Regionalgruppe Pforzheim Wieder war es Dr. Konrad Exner aus dem Vorstand der Regionalgruppe Mannheim, der diesen Besuch Das Veranstaltungsjahr 2014 vorbereitet hatte. brachte einen Umbruch in un- Da sich die Badische Heimat in ihrer Satzung auch serer Veranstaltungsarbeit. dem Schutz von Natur und Landschaft verpfl ichtet Durch ihre berufl iche Umorien- hat, nahmen wir im Oktober einen geführten Spa- tierung steht uns Frau Claudia ziergang über die Reiß-Insel auf. Geführt wurden Baumbusch leider nicht mehr wir vom Naturschutzbeauft ragten der Stadt Mann- zur Verfügung. Sie war über 20 heim, Herrn Dr. Gerhard Rietschel. Die Reißinsel ist Jahre an der Gestaltung unserer Programme betei- das älteste und das bekannteste Naturschutzgebiet ligt und hatte zahlreichen Mitgliedern und Freunden in Mannheim. Die Insel gehört zu den bedeutends- der Regionalgruppe Pforzheim der Badischen Hei- ten Auenschutzgebieten am Oberrhein. Das in einem mat Kunst und Kultur unseres Landes und der an- Rheinbogen westlich vom Stadtteil Neckarau gele- grenzenden Gebiete näher gebracht. gene Gebiet kam durch eine Schenkung des einsti- Umso erfreulicher ist es, dass einige unserer Mit- gen Besitzers der Insel, Konsul Karl Reiß Anfang des glieder in die entstandene Lücke einsprangen und für 20. Jahrhunderts in den Besitz der Stadt Mannheim. 2014 ein kleines, aber feines Programm auf die Beine Mit Beginn der kalten Jahreszeit verlagerten wir stellten. Erster Höhepunkt war eine Tagesfahrt ins unsere Aktivitäten in geschlossene Räume. Weithin benachbarte Württemberg nach Ochsenhausen. Die unbekannt ist, dass sich im Mannheimer Schloss Klosterkirche St. Georg, eine Fahrt mit der Öchsle- eine Gipsabguss-Sammlung berühmter Antiken be- bahn, die Besichtigung von Schloss Warthausen und fi ndet. Diese war lange Studiensammlung der Fa- vieles mehr konnten die zahlreichen Teilnehmer der kultät Klassische Archäologie. Gleichzeitig ist sie ein Fahrt erleben. Widerhall der ehemals berühmten, zur Mannheimer Im Sommer erkundeten wir die badische Quadrat- Zeichnungsakademie gehörenden Abgusssammlung. stadt Mannheim bei einer pfälzischen Stadtführung, Diese Sammlung mit der Kuratorin Frau Dr. Clau- den Luisenpark und das Planetarium der Stadt. dia Braun zu studieren, hatten wir im November die Unsere Veranstaltung im Oktober war den Farb- Gelegenheit »Der Mannheimer Antikensaal als Pil- glasfenstern der Künstler Charles Crodel, Valentin gerschrein für Kunstbegeisterte im 18. Jahrhundert« Feuerstein und Klaus Arnold in der Pforzheimer lautete das Th ema. Schlosskirche St. Michael gewidmet. Wie erfuhren Leider ist die heutige Aufstellung auf dem obers- Interessantes über die Baugeschichte der Kirche und ten Podest des Treppenhauses des Schlossfl ügels Ost die Neugestaltung der bunten Glasfenster nach dem keine besonders glückliche. Sie wirkt dort mehr ab- Wiederaufb au des im Krieg zerstörten Gotteshauses.

Badische Heimat 4 / 2015 Jahresrückblick der Regionalgruppen 633 Ende November durft en wir eine tolle Führung mehr über die Geschichte der Russlanddeutschen zu durch das Pforzheimer Stadttheater genießen. Nicht erfahren, deren Vorfahren in unvorstellbar großer nur die Bühne des Dreispartenhauses, sondern auch Anzahl im 18. und frühen 19. Jahrhundert aus Ba- ein gründlicher Rundgang durch die verschiedenen den gen Osten ausgewandert sind (14. Mai). Werkstätten und ein Überblick über die eingesetzte Die Ur-Rastatterin Brigitte Wagner sorgte für Technik begeisterten die Teilnehmer bei ihrem Blick einen weiteren großartigen Höhepunkt nach der hinter die Kulissen. Sommerpause mit einem einzigartigen Mundart- Wir hoff en nun, dass sich die Mitglieder der Regi- abend. onalgruppe Pforzheim auch weiterhin aktiv an der Im November berichtete Martin Walter über die Gestaltung des Veranstaltungsprogrammes beteili- Anfänge der Automobilindustrie in Mittelbaden. gen werden, um unsere ehrenamtliche Vereinsarbeit Daneben engagierte sich die Rastatter Regional- weiterführen zu können. gruppe in der Denkmalpfl ege und hat gemeinsam mit dem Historischen Verein Rastatt die Sanierung der Kunststeinplastik »Kabelbär Bruno« mit initiiert Jahresrückblick 2014 der und begleitet. Regionalgruppe Rastatt Das Resümee für das Jahr 2014 fällt wieder sehr positiv aus. Mit fast 500 Besuchern haben wir das Die Regionalgruppe Rastatt hat doch sehr hohe Niveau der letzten Jahre halten kön- im Berichtsjahr 2014 insgesamt nen. Martin Walter zehn Vortragsveranstaltungen organisiert und durchgeführt. Dabei waren die Th emen der Jahresrückblick 2014 der Referenten durchweg sehr un- Regionalgruppe Schwetzingen terschiedlich. Zum einen gab es regionale Schwerpunktsetzungen wie mit dem PPT- Am 19.2.2014 begann das Pro- Vortrag zum Pfeifer-Brunnen in Rastatt von Peter gramm des Jahres 2014 mit Hauns (18. Juni) oder den sehr unterhaltsamen Bei- der Mitgliederversammlung trag von Franz Mors zu »Weihnachten in Rastatt« mit der Badischen Heimat Bezirk zahlreichen Geschichten, Bräuchen und Traditionen Schwetzingen. Bei dieser Ge- (17. Dezember). legenheit konnte das verdiente Natürlich hat die Badische Heimat den Ersten Mitglied Karl Fichtner aus dem Weltkrieg thematisiert: »Die Krise spitzt sich zu«, Kreis der Beiräte verabschiedet ein Th ema, das viele Menschen interessiert und das werden. Sein Engagement für Schwetzingen wurde Michael Feik in gewohnt professioneller Manier dar- zuletzt durch die Verleihung der Ehrennadel des Ar- gelegt hat. beitskreises Heimatpfl ege Regierungsbezirk Karls- In Rastatt spielt die Geschichte der Barockzeit eine ruhe gewürdigt. Im Übrigen wurden die bisher ak- entscheidende Rolle und so zog der Beitrag von Dr. tiven Vorstände und Beiratsmitglieder in ihren Äm- Irmgard Stamm über den »edlen Ritter Eugen von tern bestätigt. Savoyen« die zahlreichen Besucher in ihren Bann (12. Die Mitgliederversammlung des Landesvereins Februar). Irmgard Stamm berichtete äußerst kennt- Badische Heimat fand am 25.10.2014 in Rastatt statt. nisreich über den Vetter des Markgrafen Ludwig Im Bibliothekssaal des Ludwig-Wilhelm-Gymnasi- Wilhelm von Baden. ums fanden sich dieses Mal vor allem die Vorstände Dr. Rüdiger Hitz informierte uns im Monat darauf der Bezirksgruppen ein, die das eine oder andere (12. März) über die Geschichte und die Entwicklung Th ema auch engagiert diskutierten. Das Protokoll des Tourismus im Schwarzwald. wird in der nächsten Ausgabe der Badischen Heimat Manfred Berberich erläuterte und erklärte unter nachzulesen sein. dem Motto »Spaziergänge mit den Göttern« in faszi- Der Nachmittag stand im Zeichen einer Führung nierender Weise die Schlösser und Schlossgärten von durch die gut besuchte Sonderausstellung »… dass Schwetzingen und Rastatt. aller Krieg eine Th orheit sey.« mit Stadtarchivar Oli- Rastatt war schon immer eine Stadt, in der sich ver Fieg. Er vermittelte den Besuchern die Bedeu- viele Kulturen trafen und getroff en haben. Und so tung des vor dreihundert Jahren geschlossenen Frie- erschien es uns konsequent von Olga Raisch etwas dens von Rastatt verbunden mit Aspekten der Lokal-

634 Jahresrückblick der Regionalgruppen Badische Heimat 4 / 2015 Regionalgeschichte im Spanischen Erbfolgekrieg in Die Vortragsfolge erweiterte Hans-Peter Sturm Baden. am 6.11.2014 im Karl-Wörn-Haus mit einem Refe- rat über den Schöpfer des in der Welt der Garten- Vorträge und Museumsführung baukunst berühmten Schwetzinger Kreisparterres. Am 22.2.2014 stand eine Führung durch die Son- In seinen Ausführungen »Zum 300. Geburtstag: derausstellung »Die Wittelsbacher am Rhein« Der Hofgärtner Johann Ludwig Petri – sein Werk in im Mannheimer Reiß-Engelhorn-Museum und Schwetzingen und Zweibrücken« zeichnete er dessen Schloss auf dem Programm. Die Nachfrage war so gartenkünstlerisches Schaff en nach. groß, dass neben unserem Mitglied und Schlossfüh- Wolfgang Schröck-Schmidt verfolgte am rer Dr. Ralf Wagner noch eine zweite Gruppe ein- 13.11.2014 im Karl-Wörn-Haus die Planungen für gesetzt werden musste. Anlass der Sonderausstel- den Schwetzinger Schlossgarten bis in die Mitte des lung war die im Jahr 1214 erfolgte Übertragung der 18. Jahrhunderts zurück. In seinen Ausführungen Pfalzgrafschaft bei Rhein an die Familie der Wit- »Der Masterplan. Der geheimnisvolle Schlossgar- telsbacher. tenplan des Renovatoren Krönert« legte er dar, wie Es folgte am 20.3.2014 ein Vortrag von Dr. Ralf die Landschaft sarchitekten Petri, Bibiena und Pigage Wagner mit dem umfassenden Titel »Im 17. und 18. den Plan Krönerts als Grundlage zum Ausbau des Jahrhundert«. Er widmete sich darin Kurfürst Carl Schlossgarten benutzten. Philipp von der Pfalz (1661–1742). Dessen eigene Mit dem Vortrag von Birgit Hiefner-Konietzko Hochzeiten (er war dreimal verheiratet), aber auch »Unterwegs im 18. Jahrhundert. Von der Lust und die Hochzeiten seiner drei Enkeltöchter und deren Last des Reisens« verblieb man in der Zeit der höfi - ehrgeizige politische Hintergründe sowie das kur- schen Kultur der Ära des Kurfürsten Carl Th eodor. pfälzische Eheleben wurden näher beleuchtet. Denn An Hand von vielen Bildbeispielen wurde beschrie- großes Aufsehen hatte seinerzeit (1688) Carl Philipps ben, wie man zu Fuß, per Postkutsche oder mit dem Heirat mit der polnischen Prinzessin calvinistischen Schiff reiste. Oder warum ein Posthorn lebensnot- Glaubens Luise Charlotte von Radziwill (1667–1695), wendig war. Und schließlich auch die Reisekosten, der Witwe des Markgrafen Ludwig von Branden- die häufi g nach dem Gewicht des Passagiers berech- burg-Preußen, erregt, die unter romantischen Um- net wurden. ständen zustande gekommen war. Die Referentin Sieglinde Rieder verblieb auf dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg eingeschlagenen höfi schen Pfaden. Am 7.4.2014 Aus Anlass des Gedenkens an den Beginn des Ersten stellte sie »Maria Leopoldine – Bayerns letzte Kur- Weltkriegs vor 100 Jahren referierte Rainer Heying fürstin. Das Enfant Terrible des wittelsbachisch-bay- am 29.9.2014 über »Das Attentat von Sarajevo (28. rischen Königshauses« vor. Maria Leopoldine wurde Juni 1914). Die Opfer, die Täter, die Folgen.« Der de- als 18-jährige Habsburgerin mit dem betagten Kur- taillierte und kenntnisreiche Vortrag fand gut in- fürsten Carl Th eodor von der Pfalz (1724–1799) ver- formierte Zuhörer so dass sich eine sehr engagierte heiratet. Nach dessen Tod verhandelte sie geschickt, Diskussion anschloss. Die aktuelle Forschungslage damit Bayern nicht an Österreich fi el. Sie führte ein sowie die Würdigung des Ereignisses in Serbien atemberaubend dynamisches Leben und erwarb mit standen dabei im Mittelpunkt. ihrem sicheren Instinkt für Geschäft liches ein riesi- Der Heimat- und Brauchtumsverein Brühl/Rohr- ges Vermögen. hof lud von Juli bis September in die Villa Meixner Einen beträchtlichen Teil des Hofl ebens in zu der Ausstellung »Das Luft schiff in der Kunst Ge- Schwetzingen spielte sich in den dortigen Garten- mälde, Plakate und Grafi ken«. Zahlreiche Leihgaben anlagen ab. Der Autor Manfred Berberich stellte am aus dem Aeronauticum in Nordholz, dem Nieder- 15.5.2014 unter dem Th ema »Spaziergänge mit den sächsischen Landesmuseum in Oldenburg, dem Zep- Göttern. Antike Mythologie in historischen Gär- pelin-Museum in Friedrichshafen, dem Zeppelin- ten« seine in einem Buch verarbeiteten Eindrücke Museum in Meersburg sowie aus Privatbesitz ermög- vor. Er vermittelte den Zuhörern die historischen lichten diese ungewöhnliche Sicht auf Luft schiff e. Bekenntnisse zu den grundlegenden europäischen Nicht zuletzt würdigte man damit auch, dass Brühl Werten, Ideen und Visionen, eng verknüpft mit den der zweitwichtigste Standort für den Luft schiffb au antiken Göttern und Helden. Er ging dabei insbe- in Deutschland war. Mit dieser war eine zweite Aus- sondere der Bildprogrammatik fürstlicher Gärten stellung im gleichen Haus verbunden: »Brühl 1914. auf den Grund. Ein Dorf zieht in den Krieg« erinnerte ebenfalls an

Badische Heimat 4 / 2015 Jahresrückblick der Regionalgruppen 635 den Beginn des Ersten Weltkriegs. Zahlreiche Mit- zeigt sich in würdiger Form. Dem Initiator Karl glieder der Badischen Heimat folgten der Einladung Fichtner sowie allen Beteiligten in Politik, Verwal- und ermöglichten so den großartigen Erfolg der bei- tung und Ehrenamt, die sich für das Gelingen die- den Projekte. ser Grabstätte eingesetzt haben, gilt unser herzlicher Dank. Mehrtagefahrt Eine Studienreise führte in der Zeit vom 16.6. bis Sonstige Veranstaltungen zum 20.6.2014 nach Burgund. Ausgehend von Dijon, Am 11.10.2014 wurde in das Kulturzentrum der VHS der Residenzstadt der Herzöge Burgunds, besuchte Schwetzingen eingeladen. Im dortigen Franz-Danzi- man die Städte Beaune und Tournus sowie die ehe- Saal traten »Les Troubadours und Alexander Rajcsa- maligen Abteien von Vézelay, Fontenay und Cluny. nyi. All meine Gedanken, die ich hab« auf und boten Eingerahmt wurde die Reise von einem Besuch der eine musikalische Reise durch verschiedene Epochen Automobilsammlung Schlumpf in Mulhouse am An- mit Lesung eigener Gedichte. Der Abend wurde von fang und einem Besuch in Colmar auf der Rückfahrt. Achim Klotz (Gesang), Michael Reinig (Dudelsack Eine Nachbetrachtung im Restaurant »Bootshaus« in und Schäferpfeife), Rudi Sailer (Akkordeon) sowie Ketsch schloss die Fahrt endgültig ab. Alexander Rajcsanyi (Autor) gestaltet. Im Rahmen des bundesweiten Tags des off enen Hebeltrunk 2014 Denkmals öff nete das »Blau-Museum« in Schwet- Am 27.9.2014 fand der traditionsreiche – da seit 100 zingen erstmals seine Pforten. Etliche Mitglieder der Jahren begangen – »Hebeltrunk« mit einer Kranznie- Badischen Heimat folgten auch hier der Einladung derlegung am Hebel-Grab und der Preisverleihung und lernten die Konzeption des neuen Museums. mit anschließendem Festvortrag im Palais Hirsch statt. Oberbürgermeister Dr. René Pöltl legte zusam- Danksagung men mit Bürgermeister Martin Bühler aus Hausen Die erwähnten Veranstaltungen wurden in enger und im Wiesental einen Kranz am Grab des Dichters bewährter Kooperation mit der VHS Schwetzingen, nieder. Prälat Prof. Dr. Traugott Schächtele sprach der Stadt Schwetzingen, dem Stadtarchiv Schwetzin- dazu die Worte. In seinen Ausführungen stand die- gen, dem Karl-Wörn-Haus Schwetzingen und den ses Mal Johann Peter Hebel als »Grenzgänger« im Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Würt- Mittelpunkt. »Grenzgänger« zwischen Deutschland temberg vorbereitet. Der Dank gilt auch der Presse und der Schweiz, zwischen Hausen und Basel, zwi- für ihre ausführliche und positive Berichterstattung schen Th eologie und Pädagogik, zwischen Kirche über die angebotenen Veranstaltungen. Sie stellt da- und Politik. Bürgermeister. Martin Bühler rezitierte mit auch eine wichtige Säule der Dokumentation dar. Johann Peter Hebels »Der Wegweiser. Guter Rath Abschließend sei an dieser Stelle allen Mitarbeiterin- zum Abschied« in gewohnt perfekter alemannischer nen und Mitarbeitern für die geleistete Arbeit, ohne Mundart. die das ehrgeizige Programm nicht durchzuführen Die Schülerin Elia de Maria von der Schimper- gewesen wäre, herzlich gedankt. Realschule und der Abiturient Jan Kappenstein konnten in diesem Jahr von Oberbürgermeister Dr. Im Internet fi nden Sie uns unter: http://www. René Pöltl mit der Hebelmedaille ausgezeichnet wer- badische-heimat.de/neu/regional/schwetzingen.htm den. Eine auf ein Jahr begrenzte Ehrenmitgliedschaft Dr. Volker Kronemayer in der Badischen Heimat rundete die Auszeichnung ab. Den anschließenden Festvortrag »Friede ernährt – Unfriede verzehrt« hielt Th eologin Ulrike Müller zu Hebeltexten, dem die vielen Hebelfreunde im vollbe- setzten Saal aufmerksam folgten.

Ehrengrab für Unselt Am 20.11.2014 wurde auf dem Schwetzinger Fried- hof die Grab- und Erinnerungsstätte des Hofgärtners und Spargelpioniers Gustav Adolph Unselt der Öf- fentlichkeit übergeben. Dank der geschickten Hand von Frau Malinowski sowie dem gärtnerischen Auge von Herrn Nerz ist das Unselt-Grab nun fertig und

636 Jahresrückblick der Regionalgruppen Badische Heimat 4 / 2015 Landesverein Badische Heimat e. V. Haus Badische Heimat Hansjakobstraße 12 79117 Freiburg i. Br. Tel. 07 61/7 37 24 Fax 07 61/7 07 55 06 Landesverein für Heimat-, Volks- und Landeskunde, Natur- und Umweltschutz, Denkmal- und Kulturpfl ege, Mundart und Familienforschung. Gegründet 1909

Freiburg, im Dezember 2015 Erneuter Spendenaufruf

Liebe Mitglieder und Freunde der Badischen Heimat!

Der vorjähriger Spendenaufruf für die anstehende Sanierung unseres »Hauses der Badischen Heimat« in Freiburg-Littenweiler (Fenster, äußere Fassade, Behebung statischer Probleme) hat eine erfreuliche Resonanz ge- funden. Nahezu 80 Mitglieder haben mit ihren Beiträgen bereits einen Grundstock von 7000 € gelegt. Noch einmal vielen Dank für Ihre Hilfe! In der Sache selbst haben nun wichtige Gespräche mit den Denkmal- schutzbehörden (Stadt Freiburg und Regierungspräsidium) stattgefunden. Unser Haus hat die nach dem Denkmalschutz höchste Einstufung – jede bauliche Aktivität bedarf einer zusätzlichen Überprüfung und Genehmi- gung. In der fachlichen Beratung wird uns wir durch engagierte und kompetente Mitglieder sehr geholfen, u. a. durch die Architektin und Münsterbaumeisterin Dipl.-Ing. Yvonne Faller oder den Karlsruher Kurator Dr. Gerhard Kabierske unterstützt. Hier sind wir auf einem guten Wege. Die Arbeiten sollen im Frühjahr 2016 ausgeschrieben und vergeben werden. Natürlich bemühen wir uns – bereits mit Erfolg – um zusätzliche Hilfe von dritter Seite. Wir werden in unserem Bemühungen befl ügelt, wenn auch dieser Spendenaufruf – der natürlich gegen Spen- denquittung dem Finanzamt vorgelegt werden kann – wieder so positive Reaktionen hervorrufen würde. Wir werden Sie über Maßnahmen und Kosten natürlich in den Heft en des kommenden Jahres auf dem Laufen- den halten.

Schon jetzt danke ich für Ihre Hilfe!

Dr. Sven von Ungern-Sternberg, Landesvorsitzender

Badische Heimat 4 / 2015 Spendenaufruf 637

637_Spendenaufruf.indd 637 29.11.2015 16:45:35 Landesverein Badische Heimat e. V.

VORSTAND DES LANDESVEREINS BADISCHE HEIMAT E. V. Landesvorsitzender Dr. Sven von Ungern-Sternberg Tel. dienstl. 07 61 / 7 37 24 Hansjakobstr. 12 Fax dienstl. 07 61 / 7 07 55 06 79117 Freiburg [email protected] Stellv. Landesvorsitzender Dr. Volker Kronemayer Tel. priv. 0 62 02 / 7 37 34 Erzbergerstr. 45 Fax priv. 0 62 02 / 92 05 05 68782 Brühl [email protected] Landesrechnerin Margrit Roder-Oeschger Tel. 01 71 / 8 90 29 37 Im Weingarten 8 [email protected] 79594 Inzlingen Chefredakteur Heinrich Hauß Tel. 07 21 / 75 43 45 Weißdornweg 39 Fax 07 21 / 92 13 48 53 76149 Karlsruhe [email protected] Schriftführerin Dorothee Kühnel Tel. 0 74 42 / 12 16 63 Landhausstr. 10 [email protected] 72250 Freudenstadt Internetbeauftragter Dr. Christoph Bühler Tel. 0 62 21 / 78 37 51 und Öff entlichkeitsarbeit Lochheimer Str. 18 Fax 0 12 12 / 6 22 33 66 65 69124 Heidelberg [email protected] Beisitzer Dr. Reinhard Bentler Tel. 07 61 / 5 31 72 Am Rebberg 34 79194 Gundelfi ngen Beisitzer Jürgen Ehret Tel. 0 76 34 / 18 87 Schwarzwaldstr. 30 [email protected] 79423 Heitersheim Beisitzer Joachim Müller-Bremberger Tel. priv. 0 76 66 / 88 03 09 Kaiserstuhlstr. 19 [email protected] 79211 Denzlingen Beisitzer Dr. Bernhard Oeschger Tel. 0 76 21 / 4 57 81 und Tel. 07 61 / 7 37 24 [email protected] BEIRAT Prof. Dr. Kurt Andermann Nibelungenring 79 Tel. 07 21 / 9 26 26 72 76297 Stutensee [email protected] Prof. Dr. Gerd F. Hepp Speckbacherweg 14 Tel. 0761 / 43318 79111 Freiburg [email protected] Dr. Kurt Hochstuhl Staatsarchiv Freiburg Tel. 0761 / 3 80 60 11 Colombistr. 4 Fax 0761 / 3 80 60 13 79098 Freiburg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Wolfgang Hug Hagenmattenstr. 20 Tel. 07 61 / 6 26 83 79117 Freiburg [email protected] Wolfram Jäger Ostpreußenstr. 14 Tel. 07 21 / 1 33 10 25 76228 Karlsruhe [email protected] Dr. Gerhard Kabierske Karlsburgstr. 5 Tel. priv. 07 21 / 49 51 92 76227 Karlsruhe Tel. dienstl. 0721 / 6 08-4 61 51 [email protected] Elisabeth Schraut Röntgenstr. 6 Tel. 07 21 / 2 95 30 76133 Karlsruhe [email protected] Dr. Gerhard Stratthaus Landtag von Baden-Württemberg Tel. 07 11 / 2 06 39 88 Konrad-Adenauer-Str. 3 [email protected] 70173 Stuttgart Prof. Dr. Paul-Ludwig Weinacht Rossstr. 27 Tel. 0 93 65 / 91 14 97261 Güntersleben [email protected]

6638_Vorstände38_Vorstände Landesverein.inddLandesverein.indd 638638 229.11.20159.11.2015 16:45:5216:45:52 REGIONALGRUPPEN

Baden-Baden Dieter Baeuerle Tel. u. Fax priv. 0 72 21 / 3 19 53 Schlossstraße 8 [email protected] 76530 Baden-Baden

Bruchsal Jörg Teuschl Tel. u. Fax 0 72 51 / 6 29 34 An der Schanze 21 [email protected] 76703 Kraichtal-Unteröwisheim

Elisabeth Burkard Tel. u. Fax 0 72 51 / 1 82 11 Mozartweg 9 76646 Bruchsal

Freiburg Dr. Bernhard Oeschger Tel. 0 76 21 / 4 57 81 und Tel. 07 61 / 7 37 24 [email protected]

Julia Dold Tel. 07 61 / 6 81 48 44 Konradstr. 15 [email protected] 79100 Freiburg

Heidelberg Dr. Christoph Bühler Tel. 0 62 21 / 78 37 51 Lochheimer Str. 18 Fax 0 12 12 / 6 22 33 66 65 69124 Heidelberg [email protected]

Karlsruhe Dr. Hans-Jürgen Vogt Tel. 07 21 / 9 50 49 51 Durmersheimer Str. 53 [email protected] 76185 Karlsruhe

Lahr Gabriele Bohnert Tel. dienstl. 0 78 21 / 9 10-0416 Stadtarchiv Fax dienstl. 0 78 21 / 9 10-70416 Rathausplatz 4 [email protected] 77933 Lahr

Lörrach Inge Gula Tel. 0 76 21 / 5 34 06 Brunnenstraße 19 [email protected] 79541 Lörrach

Mannheim Dr. Kai Budde Tel. privat 06 21 / 2 71 50 L 11, 9 [email protected] 68161 Mannheim

Pforzheim Dieter Essig Tel. 0 72 34 / 84 02 Im Hasenacker 31 Fax 0 72 34 / 94 80 17 75181 Pforzheim [email protected]

Rastatt Martin Walter Tel. dienstl. 0 72 22 / 3 81 35 81 Kreisarchiv Tel. priv. 0 72 25 / 98 54 38 Am Schlossplatz 5 [email protected] 76437 Rastatt

Schwetzingen Dr. Volker Kronemayer Tel. priv. 0 62 02 / 7 37 34 Erzbergerstr. 45 Fax priv. 0 62 02 / 92 05 05 68782 Brühl [email protected]

GESCHÄFTSSTELLE

Karl Bühler Hansjakobstr. 12 Tel. 07 61 / 7 37 24 Daniela Koehler 79117 Freiburg Fax 07 61 / 7 07 55 06 [email protected]

6638_Vorstände38_Vorstände Landesverein.inddLandesverein.indd 639639 229.11.20159.11.2015 16:45:5216:45:52 5 0 : 6 4

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