GRENZLAND OBERNBERG 1918-1965 GRENZLAND am Inn zwischen Obernberg, , St.Georgen, und Kirchdorf

Ein Beitrag zur Geschichte des Innviertels [Band 2/2018]

1 Aus dem Inhalt

SOMMERBAUER Ehrentraud und EICHSTEININGER Hannes: Die Stunde Null: Obernberg1945 „Traudi“ Sommerbauer über ihren Vater, das Kriegsende und ihre Obernberger Kindheit zwischen 1938-1949 9

EICHSTEININGE Hannes:Nationalsozialismus in Obernberg, Gründe für den Beitritt und die Entnazifizierung nach 1945 12

EICHSTEININGE Hannes: Die Obernberger Ortsgruppe der NSDAP, - Die Entwicklung im Grenzland von 1933-1938 17

HÖRTL Hans: Das Gausängerfest in St. Georgen 1937 21

SCHWARZMAYR Julia: St. Georgen 1943: Bauer wegen zu wenig Ablieferung von Milch angeklagt! 22

EICHSTEININGER Hannes: NS Opfer in Obernberg und im Grenzland - Von Euthanasieopfern, Widerstandskämpfern und KZ-Insassen 23 EICHSTEININGER Hannes: Ein Obernberger Pfarrer in Dachau - Die Leidensgeschichte von Anton Berndl 25

EICHSTEININGER Hannes: Nationalsozialismus in Reichersberg - Eine Übersicht anhand der Meldebögen von 1946 27 LINDENTHALER Christine: Das Schicksal der frühen Geburt 30

EICHSTEININGER Hannes: „Dass die widerwertig sect nit abnimmt“ - Vor 500 Jahren begann die in Obernberg 38 EICHSTEININGER Hannes: Eine eigene Geschichte: Schule in Obernberg von 1918-1961 44 EICHSTEININGER Hannes: Antiesenhofen 1918 – 1965 - Eine kurze Geschichte anhand der Schulchronik 54 SCHIRER Renato: DIE HEIMATFRONT im - Die Konkursmasse der im sechsten Kriegsjahr 58

EICHSTEININGER Hannes: Die Volksschule Reichersberg - Eine kurze Erzählung anhand der Schulchroniken 75 EICHSTEININGER Hannes: „[…] Da wir annehmen, daß Ihre Grenzlandschule nicht mit reichen Geldmitteln versehen ist […].“ Die Geschichte der Volksschule Kirchdorf am Inn 1918-1965 79 EICHSTEININGER Hannes: St. Georgen: 1918-1965 - Eine Bilanz aus Schul- und Pfarrchronik 84

BILLINGER Karl: Das „Vogelparadies“ am Innstausee Obernberg 91 WIPPLINGER Fritz: - Hochburg der Fleckviehzucht (1945-1965) 95 UNGER Ilse: Die Überquerung des Inns 1918-1965 97 SCHIRER Renato: DAS LUFTKRIEGSGESCHEHEN IN UNSERER NÄHEREN HEIMAT 103 WIESENBERGER Josef: Die letzte Brauerei von Obernberg am Inn 110 PUTZINGER Johannes: Die wechselvolle Geschichte des Stiftes Reichersberg von 1920 bis 1965 113

Pranz Josef: Eine Jugend im Kriegseinsatz - Die Erzählung eines der letzten Gurtner Rudolf: Von St. Georgen in die Welt und wieder zurück. 174 Zeitzeugen 119 Fischer, Johanna: Großdirn, Großknecht und s‘Kuchl: Zechmeister Anna „Der Wunsch nach Frieden: Dass man nach draußen Von der Rangordnung am Land 178 gehen konnte, ohne Angst, erschossen zu werden.“ 125 Strobl Marianne: „Die Wiener haben bei den großen Bauern um Essen Hubauer Elisabeth und Jakob: Erinnerungen 181 gebettelt.“ 127 Hopfgartner Marianne: Bomben in Katzenberg 185 Reiter Gertraud: Szenen einer harten Kindheit 128 Redhammer Fritz: Fast gestorben - weil der Vater bei der NSDAP war. Watzinger Maria: Eine Obernbergerin erinnert sich: 186 Arbeitseinsatz in Ostpreußen, das erste Gehalt in Reichsmark 129 Brettbacher Wilhelm: Von Volksempfängern und Spargeschäften 187 Reiter Gertraud: 1941 von Jugoslawien ins Innviertel 131 Schusterbauer Berta: Bettelleutfenster in Viehhausen 189 Brettbacher Margarete: Aus großer Armut zur Geschäftsfrau: Oblinger Aloisia: Kriegsgefangene in St. Georgen 190 In Obernberg hatten wir auch viele Neider! 132 Aschenberger Hans: Ein Direktor erinnert sich. 192 Gruber Helga / Herbert: Putta Walter: Einmal Kanada und zurück 194 Eine Kindheit zwischen Tulln und Antiesenhofen 133 Wintersteiger Roswitha: Flucht nach Obernberg 195 Ibinger Hubert: Wie man einen Lanz startet 138 Mayrhofer Max: Wir hatten damals keine Perspektive 196 Fritz Ingeborg: 1945: Bei Kriegsende in Obernberg zu Tode gefürchtet und überlebt. 140 Fototeil 199 Lissl Karl: Erinnerungen an das alte Antiesenhofen 143 Redhammer Maria: Trotz aller Not: Team Geschichte: Der Stand der Forschung 2018 242 Mit dem Motorrad von Reichersberg zum Großglockner! 145 Meindl Katharina: Von Lebensmittelmarken und Panzern, IMPRESSUM: die in Katzenberger Wiesen stehen. 147 Herausgeber: Hanns Eichsteininger, Büro: Hoher Markt 18, 4910 Ried Lang Gertraud und ihr weiter Blick in die Vergangenheit Obernbergs 150 [email protected], www.itiscool.at Schachinger Konrad: Vom Analaphabten zum Filialleiter - eine Jugend in Mörschwang 156 REDAKTION: Endl Theresia: Lebensmittelkarten, „Flak-Mädchen“ und die Amis 160 Hannes Eichsteininger, Stefan Berghammer, Franziska Laufenböck, Schärdinger Franziska : Es vergeht fast kein Tag, an dem du nicht daran Martina Stockinger denkst. So ein Krieg prägt sich schon ein. 162 DRUCK: Hackinger Erich: NS-Zeit und der Wiederbeginn in St.Georgen 164 Vorzugsausgabe: H+S Druck, 4910 Ried Baumgartner Alois: Die Amerikaner und das Kriegsende in Ort 168 Für den Inhalt ist alleine der betreffende Autor verantwortlich. Vervielfätligung, Kopien oder Verwendung der hier verwendeten Bilder sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung der jeweiligen Schönberger Theresia und Alois erinnern sich an früher 171 Autoren gestattet. Vorzugsexemplare des Buches können im LEADER Büro in Obernberg Putta Helmut: Als wir nach dem Krieg in Obernberg (Bezirksgerichtsgasse 5) und der Sparkasse Obernberg erworben werden! Sind diese Exemplare mit den Handgranaten gespielt haben... 172 vergriffen, bestellen Sie das Buch bei Amazon oder im Buchhandel!

2 Zum Geleit Liebe Geschichtsinteressierte!

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ besagt das Zitat von Wilhelm von Humboldt aus dem 18. Jahrhundert. Die Jugend ist unsere Zukunft. Durch das LEADER-geförderte Projekt „Oral History“ setzen sich die Schülerinnen und Schüler von heute mit unserer regionalen Geschichte aktiv auseinander. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen beeinflussen sie die Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft. Das Prinzip der Nachhaltigkeit verfolgt LEADER Mitten im Innviertel in einer Vielzahl von Projekten. Ziel ist es, die ländliche Region zu stärken und ihre vie- len (teils verborgenen) Schätze hervorzuholen. Mittels adäquaten Projekten aus den Bereichen Wertschöpfung, Kultur, Natur und Gemeinwohl werden viele nachhaltige Ideen umgesetzt, die einen wesentlichen Nutzen für die Einwohner der Mitgliedsgemeinden darstellen. Alle Vereine, Institutionen und Einzelpersonen sind herzlich eingeladen, sich mit ihren Ideen zu beteiligen, um unsere Region noch lebens- und liebenswerter zu gestalten. Nähere Infos unter: www. mitten-im-innviertel.at

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Mag. Markus Wiesbauer, LEADER Manager

Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir!

Geschichte ist spannend. Vor allem wenn Menschen aus ihrem eigenen Leben erzählen. Erzählungen aus einer Zeit, die keine einfache war. Die ersten Schritte der Demokratie brauchten Zeit, Mut und Vertrauen in eine gute Zukunft. Aus der Hoffnung auf eine gute Zukunft wurden jedoch Leid und Schmerz durch einen schrecklichen Krieg, der zahlreichen Menschen das Leben kostete und Städte und Dörfer in Schutt und Asche legte. Die Sehnsucht nach Frieden motivierte zum Wiederaufbau unseres Landes zu einer unabhängigen Nation mit einer lebendigen Demokratie. Auch in unserer Gemeinde war diese Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Während des Krieges mussten die Männer an die Front und viele kamen nicht wieder zu ihren Familien zurück. Auf den Bauernhöfen arbeiteten die Frauen und versuchten das Leben auf dem Land irgendwie aufrecht zu halten. Neben Dienstboten waren auch Flüchtlinge und Kriegsgefangene in St. Georgen. Nach dem Krieg leisteten die Vereine und vor allem die Schule einen wichtigen Beitrag für das Zusam- menleben im Dorf.

Am Deckblatt der gebunden Sammelwerke der Volksschulzeit stand seit den 50er Jahren der Leitspruch: „Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir“. In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wächst das Interesse für Neues in der Gegenwart. Lernen bedeutet auch, sich in der Gesellschaft zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen und nach vorne zu schauen. Werte, die auch in Zukunft wichtig für unser Zusammenleben sind.

In diesem Sinne möchte ich meine Wertschätzung für die Entstehung dieses Buches zum Ausdruck bringen! Gerhard Wipplinger, Bürgermeister St. Georgen bei Obernberg am Inn

Liebe Obernbergerinnen und Obernberger!

Kaum eine andere Gemeinde im Innviertel von der Größe Obernbergs verfügt über eine ähnliche interessante Ge- schichte wie die Marktgemeinde Obernberg. Erstmals erwähnt vor über tausend Jahren, erhielt der Ort vor gut 800 Jahren vom Passauer Bischof Wolfger durch den Bau der Burg und die Errichtung des heutigen Marktplatzes das jetzige Aussehen. Es folgten im Mittelalter weitere historische Marksteine, wie die Verleihung des Marktrechtes, der Erhalt eines eigenen Wappens und auch das Recht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit. Die Einnahmen durch die Innschiff- fahrt, als Folge auch die Entstehung der Brauereien und Gasthäuser brachten Obernberg Ansehen und bescheidenen Wohlstand.

Das nun vorliegende Buch beschäftigt sich mit dem Zeitabschnitt 1918 bis 1965. Die Geschichte dieses Zeitraums ist nicht zu verstehen ohne die vorgezeichneten, großen historischen Ereignisse. Im vorliegenden erwähnten Zeitraum spielten sich, begnadet durch den schönen, großen und mit stuckverzierten Häusern versehenen Marktplatz, große historische Feste ab, wie die Pferdemärkte oder ein riesiges Erntedankfest mit großem Festzug. Schließlich die 1000- Jahr Feier, ebenso mit einem überaus langen Festzug und einem historischen Festspiel verschönert. Der vorliegende Geschichts-und Bildband beendet gleichsam diesen Abschnitt der Geschichte mit der Fertigstellung der Brücke um das Jahr 1965. Im Übrigen freut es mich, dass Obernberg bereits über eine Reihe von Personen verfügt, die sich mit der Geschichte des Ortes beschäftigen und ein riesiges Archiv an Unterlagen, Fotos, Dokumenten oder Ähnlichem gesam- melt hat. Ich möchte den beteiligten Schülern der NMS und den Fachhistorikern herzlich gratulieren! Bürgermeister Martin Bruckbauer in Zusammenarbeit mit dem Heimatforscher Mag. Herbert Schachinger

3 Geschätzte Leserinnen und Leser!

Die NMS Obernberg war, das ist vielen nicht bekannt, die erste Hauptschule des Bezirkes Ried. Seit dem Schuljahr 1921/22 bestand in Obernberg (damals noch am oberen Markt) die Bürgerschule. Mit dem Hauptschulgesetz von 1927 wurde die Bürgerschule zur Hauptschule Obernberg. Seither hat unsere Schule vielfältig auf das kulturelle und soziale Geschehen des Marktes und der Anrainergemeinden eingewirkt. Rechnet man die Zeit der Bürgerschule mit ein, so sind seit fast 100 Jahren Generationen von Schülerinnen und Schülern durch unsere Schule gegangen. War das in den 20er und 30er Jahren nur wenigen Kindern, meistens wohlhabenderen, vergönnt, so wurde unsere Hauptschule nach dem 2. Weltkrieg zu einer echten Gesamtschule, die von den allermeisten Kindern unseres Schulrayons besucht wurde. Mit der Einrichtung des Schülerheims, das es ermöglichte, auswärtige Kinder zu betreuen, wurde es auch für Schüler aus Schärding, Braunau oder gar dem Nachbarland Deutschland interessant, unsere Hauptschule zu besuchen. In den fast 100 Jahren ihres Bestandes hat die Schule auch viele Impulse von der Gemeinde empfangen, da wäre etwa nur an den Neubau der Schule am heutigen Standort in den 1960er Jahren zu denken. Im Buch „Grenzland Obernberg“ (1918-1965) hat ein Autorenkollektiv aus 10 Historikern und Naturforschern zur Geschichte unserer Region und auch zur Schulgeschichte Obernbergs geforscht. Als Schulleiter freut es mich, dass die Geschichte unserer Schule Thema hi- storischer Betrachtungen ist. Das umso mehr, als zwei Jahrgänge unserer vierten Klassen mit langen Interviews, die sie mit ihren älteren Verwandten geführt haben, das Buch um eine Facette reicher gemacht haben. Ich wünsche dem Buch eine hohe Auflage und eine interessierte Leserschaft. Direktor Ludwig Schmidleithner

Über dieses Buch

Inhalt

Wie kamen wir zu unseren Themen und warum war uns gerade dieses Thema wichtig? Im neuen Buch zur Geschichte unseres Grenzlandes wollten wir Themen aufgreifen, denen sich die bisherige Forschung nicht oder nur ungenügend an- genommen hat oder bei denen es einfach andere historische Fragestellungen gibt als früher. So werden Sie in den histori- schen Beiträgen nur solche finden, die völlig neu konzipiert wurden und zu denen auch neue bzw. ungesichtete Quellen zur Verfügung standen. Die historischen Fragestellungen sind für die Gegenwart von 2018 natürlich andere als etwa zu der Zeit, in der die sog. Brandstetter Chronik entstand. Es ist auch so, dass dieses Buch nicht den Anspruch erhebt, die Obernberger (immer inklusive der Anrainergemeinden gedacht!) Geschichte akkurat abzubilden. Diese Freiheit erlaubt es uns etwa, die Chroniken der einzelnen Schulen genauer darzustellen, was neben einem Informationsgewinn auch einen „Hallo-Effekt“ hat, wenn man die zahlreichen Fotos betrachtet, auf denen oft genug heutige Erwachsene verewigt sind. Leider sind in praktisch keiner Schule die Fotos aller Jahrgänge durchgehend erhalten, zumindest nicht für unseren Betrachtungszeitraum von 1918-1965. Warum gerade 1918-1965?

Diese Einteilung ist – Sie ahnen es – nicht willkürlich. Das Jahr 1918 markiert für Österreich das Ende des 1. Welt- krieges und ist heuer ein Gedenkjahr. In die frühen 60er Jahre fallen praktisch alle Volksschulbauten des Grenzlandes außerhalb Obernbergs sowie die Eröffnung der Hauptschule und der Brückenbau in Obernberg. Da ab 1965 sowohl die neuen Möglichkeiten der Fotografie als auch die Informationsvielfalt generell massiv zunahmen, haben wir uns für diesmal entschlossenen, das Buch mit diesem Jahr abzugrenzen. Da das Buch aber auch ein Reihentitel ist („Beiträge zur Geschichte des Innviertels“), deren 2. Band Sie eben in der Hand halten, ist eine Fortsetzung – etwa zu 100 Jahre Hauptschule Obernberg – nicht ausgeschlossen. Dieses Jubiläum feiern wir 2021/2022. Der erste Band der „Beiträge zur Geschichte des Innviertels“ befasste sich übrigens 2015 mit der spannenden Geschichte von St. Martin im Innkreis und trägt den Titel „Das Wunder von St. Martin“. Die Vorzugsausgabe ist leider vergriffen, über Amazon oder den stationären Buchhandel ist das Buch aber jederzeit lieferbar.

Von der inhaltlichen Arbeit in diesem zeitlichen Rahmen gibt es im Buch eine begründete Ausnahme: Die Darstel- lung der Reformation (=Lutherbewegung) im 16. und 17. Jahrhundert. Im Zuge des Lutherjahres wurde erstmals der Versuch unternommen, die für Obernberg hochspannende Geschichte der Reformation und späteren Kelchbewegung darzustellen – und hier einer breiteren Leserschaft erstmals zu präsentieren. Zur NS-Zeit

Wer sich lokalgeschichtlich aufmacht, den Gesamttopos NS-Zeit zu erarbeiten, erkennt schnell, dass den intensiven und vielfältigen Publikationen auf nationaler Ebene in den letzten Jahren etliche professionelle regionalgeschichtliche Dar-

4 stellungen mit Schwerpunkt zur NS-Zeit folgten. Die überwältigende Mehrheit dieser Veröffentlichungen sind – auch wenn die jeweiligen Titel meist etwas anderes suggerieren – Publikationen zur Opfergeschichte und zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus.1 Eine Darstellung zur Struktur und Geschich- te des Nationalsozialismus zu schreiben fehlte bisher. Aus gutem Grund. So et- was ist auf regionaler Ebene mühsam. Zu kleingestaltig ist das geschichtliche Wirken, zu offensichtlich lokale Verwer- fungen und das Handeln Einzelner. Und was regional schon schwierig aber nicht unmöglich ist,2 stößt lokalgeschichtlich auf noch größere Bedenken. Wir haben es für das Grenzland Obernberg trotzdem versucht. Sie werden merken, dass im Das TEAM Geschichte im April 2019 (Foto: Eichsteininger) Buch einige Namen handelnder Personen aus der NS-Zeit ausgeschrieben wurden, andere hingegen nicht. Wir haben folgende Vorgehensweise dazu gewählt: Wer in der NS-Zeit eine öffentliche Funktion wahrnahm (Zellenleiter, Ortsgruppenleiter…) war Teil des öffentlichen Leb- ens und hat ein öffentliches Amt bekleidet. Sich damit Kritik und der Nennung seines Namens auszusetzen ist gängige Praxis – auch heute. Daher haben wir Personen, bei denen dies so zutrifft, genannt. Bei allen anderen Personen der NS- Zeit haben wir es schweren Herzens nicht getan. Es ist leider keine ganz befriedigende Lösung, Namen nicht zu nennen, die auf das nationalsozialistische Weltbild in Obernberg, Reichersberg und St. Georgen (die anderen Orte wurden zum Thema nicht beforscht) teilweise großen Einfluss hatten, aber kein offizielles Amt innehatten. Die Konstruktion hält aber, und das war in dem Fall entscheidend, rechtlich. Grundsätzlich stehen wir dazu, nach so langer Zeit,und nach dem Tod der Protagonisten historisch ordentlich – und das heißt mit allen Daten und Fakten – zu arbeiten. Eine Ausnahme von der Namensnennung gibt es aber: Dort wo Angehörige aus unserer Gegend im Euthanasieprogramm der Nazis ums Leben gekommen sind, wurde durchgehend anonymisiert – aus verständlichen Gründen. Bei anderen Opfern oder Widerstandskämpfern sahen wir keinen Grund zur Anonymisierung. Das öffentliche Interesse schlägt hier das evtl. vorhandene Interesse am Personenschutz. Auch dazu haben wir einen Rechtsbeistand konsultiert. Datenschutz

In der Gegenwart Bücher – vielleicht noch mit etlichen Fotos – zu verfassen, gleicht einem Drahtseilakt an den dat- enschutzrechtlichen Bestimmungen entlang. Die geltenden Bestimmungen waren schon streng und wurden mit der neuen Datenschutzverordnung, die seit Ende Mai 2018 gilt, noch einmal verschärft. Ich habe diesem Sachverhalt auch Rechnung getragen, indem das Buch rechtlich ausdrücklich von mir als Privatperson herausgegeben wird und der Aus- gabezeitpunkt auf den 22. Mai festgelegt wurde. Aber auch dann wäre ich verpflichtet, auf jedem Foto, das jünger als 70 Jahre ist, den Fotografen und – falls dieser nicht zu eruieren ist – was häufig der Fall ist, alle Abgebildeten nachweis- lich um die Erlaubnis zum Abdruck zu ersuchen. Wir haben in der Richtung viel getan. Es wurde kein Foto ohne die Erlaubnis des Fotobesitzers in das Buch aufgenommen, jedes Archiv aus dessen Bestand wir schöpfen, wurde schriftlich um Erlaubnis ersucht. Eine Benachrichtigung aller auf den Fotos abgebildeten Personen war aber einfach unmöglich.

Daher kann es evtl. vorkommen, dass gerade Ihre Abbildung auf einem unserer Fotos Ihr Missfallen erregt. In diesem Fall melden Sie sich bitte, wir treten dann an den Verlag heran, und versuchen dieses eine Foto aus dem Buch zu neh- men und nicht mehr weiter abzudrucken. Fehler

Dieses Buch umfasst 250 Seiten. Das ist eine Menge Raum für Fehler aller Art. Gerne nehmen wir sachliche Kritik auf und arbeiten die Korrekturen inhaltlich in die 2. Auflage des Buches ein. Über Anreden

Der Wesen eines Buches, ja das Ziel, muss es sein, die Inhalte lesbar und verständlich aufzubereiten. Das ist bei kom- plexen sozialen oder historischen Abläufen und Interaktionen manchmal schwer, an anderer Stelle aber nicht. So er- spare ich den Lesern – und Leserinnen – den permanenten Verweis auf beide Geschlechter. Ebenso streichen wir den

1 Die zwei bekannteren Beispiele dazu sind „Im Heimatkreis des Führers“ von Florian Schwanninger (2005), in denen der Widerstand und die Verfolgung im Bezirk Ried thematisiert wird und “Nationalsozialismus im Bezirk : Widerstand und Verfolgung 1938-1945“ von Gottfried Gansinger (2016). 2 Vgl. „Entnazifizierung im regionalen Vergleich“ von Walter Schuster und Wolfgang Weber ( 2004)

5 ansonsten inflationär vorkommenden Zusatz „am Inn“ im Zusammenhang mit den Ortsnamen der Innregion. Dass Obernberg, St. Georgen oder Kirchdorf am Inn liegen, darf in unserer Region als bekannt vorausgesetzt werden.

Da eine Verwechslungsgefahr mit anderen Gemeinden gleichen Namens bei uns nicht gegeben ist, da es sich ja nie um Kirchdorf an der Krems oder St. Georgen an der Gusen etc. handelt, haben wir so entschieden. Zum Dritten haben wir uns entschlossen, vom Vorwort abgesehen, auf Berufstitel oder akademische Grade in der Namensnennung der Beiträge zu verzichten. Der Grund ist – wie in den beiden obigen Fällen – einfach die verbesserte Lesbarkeit der Texte selber und kein anderer. Und daher folgt hier die Vorstellung unserer Autoren ein einziges Mal mit Titeln (in der Reihenfolge des ersten Erscheinens im Buch). Autoren

Mag. Eichsteininger Hannes, BEd. schreibt in Einzelartikeln über die Schulgeschichte in den fünf Grenzlandgemein- den, über den Beginn des Nationalsozialismus in der Grenzregion sowie über die Entnazifizierung in den Gemeinden Reichersberg und St. Georgen nach 1945. Außerdem schreibt er über das protestantische Obernberg vor 500 Jahren.

Der geprüfte St. Georgener Heimatforscher Hörtl Hans beschreibt das Gausängerfest in St. Georgen 1937.

Schwarzmayr-Lindinger Julia beschreibt an einem Einzelfall ihrer Familie, wie das NS-System die Leute einschüch- terte.

Magistra Lindenthaler Christine beschreibt am Beispiel ihrer Familie das Schicksal eines Familienmitglieds in der NS-Zeit und dessen langen Schatten.

Der erfahrene Militärhistoriker Renato Schirer schreibt über die Heimatfront im Innviertel, insbesondere im Grenz- land sowie über den Luftkrieg im Innviertel und seine Auswirkungen auf die Grenzlandregion.

Der Obernberger Autor und Naturforscher Billinger Karl, BEd. schreibt über die Veränderung der Vogelpopulation am Inn.

Ing. Wipplinger Fritz schreibt über die Geschichte der Fleckviehzucht in Obernberg.

Die geprüfte Heimatforscherin Unger Ilse hat uns ermöglicht, aus einer ihrer unveröffentlichten Arbeiten einen Ar- tikel zu gestalten.

Der Obernberger Geschichtsforscher Wiesenberger Josef schreibt über die letzte Brauerei von Obernberg.

Der Pfarrer von Ort und , der Archivar des Stiftes Reichersberg, Magister Johannes Putzinger, Can. reg. schreibt über die wechselvolle Geschichte des Stiftes Reichersberg von 1920-1965. Das TEAM Geschichte

Es wird Ihnen beim Lesen auffallen: Oft steht unter Beiträgen „Team Geschichte“. 14 junge Leute haben in einem auf zwei Jahre gestreckten Projekt das Geschichtshandwerk von der Pieke auf gelernt, mit allem, was heute dazuge- hört: Forschen im Archiv, Fotografieren, Kurrentlesen… Klaglos sind sie an Nachmittagen, freien Tagen und auch an Wochenenden zur Stelle gewesen, um Geschichte zu gestalten – nicht nur zu rezipieren. Zusammengerechnet waren sie so oft da, dass – würde man diese Zeit in den Unterricht einrechnen – drei zusätzliche Stunden Geschichte im Rege- lunterricht dafür notwendig gewesen wären. Im Grunde wurde Geschichte dieses Jahr für die Kinder zum schulischen Hauptfach. Sie hatten mehr Geschichte als etwa Deutsch oder Englisch… Meine Schülerin Julia Schwarzmayr hat für dieses Buch einen Beitrag zur Arbeit des Teams Geschichte geschrieben. Die Interviews

Wie Sie sehen, umfasst das Buch neben den fachspezifischen Aufsätzen der Historiker auch eine ganze Menge an ver- schriftlichten Gesprächen mit Zeitzeugen. Diese Interviews wurden von zwei Jahrgängen der vierten Klassen NMS mit ihren Verwandten oder älteren Nachbarn geführt. Es sind sowohl lange lebensgeschichtliche Erinnerungen darunter, aber ebenso kurze prägnante Gespräche. Teilweise wurden die Verwandten nicht im Einzugsgebiet der Innregion ge- boren bzw. leben auch nicht da. Schweren Herzens haben wir daher einen Teil dieser Interviews nicht in das Buch auf- genommen. Gleiches gilt für Interviews, die uns unvollständig oder als Aufsatz erreicht haben. Auch hier haben es einige Zeitzeugen nicht ins Buch geschafft. Das sagt nichts über die Qualität der Erinnerungen aus. Es sagt etwas darüber aus, dass Bücher auch gewissen Marktmechanismen gehorchen müssen und wir daher nicht in allen Fällen vom erzählenden Topos des Grenzlandes abweichen konnten.

Alle Interviews, soweit sie das Redaktionsteam erreicht haben, gibt es aber bei uns zum Nachlesen und sind somit eine wichtige Quelle für weitere historische Forschungen im Bereich der Oral History. Sie werden auch sehen, dass viele Er- innerungsfragmente sich ähneln. Oft werden zwei idente Sachverhalte von den Zeitzeugen völlig verschieden empfun- 6 den und beurteilt. Das wertet die Erinnerung als historische Quelle nicht ab – auch wenn es Histo- riker gibt, die so denken. Es ist im Gegenteil auch spannend zu fragen, aus welchen Beweggründen geschichtliche Gegebenheiten so unterschiedlich empfunden werden. Viele Erinnerungen sind den nachgeborenen Generationen nicht mehr ohne Hilfe zugänglich. Um sie verständlich zu erhalten, dienen die vielen Fachartikel zum Krieg, der Zeit nach 1945 oder die Artikel zur Schulgeschichte. Auch haben wir uns die eine oder andere An- merkung in den Texten der Zeitzeugen erlaubt. Sponsoren

Die Leader Region Mitten im Innviertel hat uns fi- nanziell geholfen. Ohne diese Unterstützung (und Schüler der NMS beim Transkribieren der Schulchroniken (Foto: Eichsteininger) der des Geschäftsführers Mag. Markus Wiesbauer, ohne den ich wohl kein einziges der Formulare bewältigt hätte) wäre das Buch schlicht und ergreifend nicht möglich gewesen. Danke auch an die anderen regionalen Sponsoren. Besonders bedanke ich mich bei der Firma Fill Gurten, der Metallbaufirma Fiss, der Obernberger Sparkasse, dem regionalen Raikaverbund, der Firma Stelzhammer Haustech- nik, dem Frisörgeschäft Eder, der Firma Platon-IT, dem Obernberger Hofwirtshaus und dem Obernberger Restaurant Olympia sowie den Obernberger GRÜNEN. Der TSV Obernberg 1885 hat uns ebenso unterstützt. Danke!

Aufrichtigen Dank schulden wir so vielen, dass es unmöglich ist, hier alle aufzuzählen! Ich möchte trotzdem einige Menschen und Organisationen herausgreifen, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Mein erster Dank geht an alle Zeitzeugen, die sich so bereitwillig von unseren Schülern und dem Team Geschichte befragen ließen. Über das ohnehin schon besondere Engagement hinaus haben sich die beiden Schüler Franz Einböck und Julia Schwarzmayr besonders hervorgetan. Das Erscheinen einiger der Artikel verdanken wir nur ihnen. Weiters bedanke ich mich bei allen Archiven, die uns so oft unterstützt haben. Dank gilt neben den beiden großen bayerischen Archiven (Hauptstaatsar- chiv und Bayerisches Staatsarchiv) vor allem dem OÖ. Landesarchiv und hier Dr. Josef Goldberger, der uns weit über das normale Maß immer wieder unterstützte. Mein Dank geht auch an die Marktgemeinde Obernberg für die Einsicht- nahme in das Gemeindearchiv und hier besonders an Frau Karin Huber. Den Volksschulleiterinnen von Obernberg, St. Georgen, Reichersberg und Antiesenhofen sowie Kirchdorf meinen Dank für die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Chroniken ihrer Schulen. Ebenso Danke an den Leiter der Obernberger NMS, Herrn Direktor Ludwig Schmidleithner für seine Unterstützung. Mein Dank geht an die Bürgermeister von Obernberg und St. Georgen, Martin Bruckbauer und Gerhard Wipplinger. Sie haben unsere Anliegen stets unterstützt und auch in den Gemeindemedien verbreitet. Ich danke den vielen Menschen, die uns Bilder aus Ihrem Familienalben und privaten Sammlungen überlassen haben. Nur wenige seien genannt: Hans Hathayer aus Reichersberg gehört dazu, die Familie Schlegel aus Reichersberg, Maria Braid aus Kirchdorf, Rudolf Mitterbauer aus Altheim. Ebenso Josef Lindlbauer aus Altheim oder Hans Hörtl aus St. Georgen. Hans Hathayer und Hans Hörtl darf ich ich noch gesondert danken. Ihre Durchsicht hat uns viele neue Erkenntnisse zu Obernberg, Reichersberg und St. Georgen gebracht. Weiters danke ich der Familie Lang aus Obernberg und Josefine Schachinger aus St. Martin. Aus der Privatsammlung von Dr. Stefan Reifeltshammer stammen etliche Bilder, ebenso aus der von Ilse Unger aus Obernberg. Einzelfotos verdanke ich Josef Wiesenberger, Obernberg und der Sammlung Fam. Weissenböck (). Besonders bedanke ich mich auch bei Frau Sommerbauer. „Traudi“ Sommerbauer hat ihre frühe Kindheit in Obernberg verbracht, ihr Vater hat viel fotografiert. Aus diesem Privatarchiv haben wir ausgiebig ge- schöpft. Viele der Fotos sind auch von den befragten Zeitzeugen beigestellt worden. Vielen meinen Kolleginnen danke ich: Corinna Leitner, Susanne Rammerstorfer und Sonja Lengauer sind nur einige davon. Meine Hochachtung geht an das Redaktionsteam, ohne dessen Hilfe ich verzweifelt wäre. Es ist eine Sache, Rechtschreibfehler aus Sachartikeln zu fischen, eine andere ist es, mündliche Überlieferung so zu verschriftlichen, dass sie einerseits lesbar und orthografisch fe- hlerfrei ist aber andererseits den originären Charakter des gesprochenen Wortes nicht verliert. Stefan Berghammer, MA und Franziska Laufenböck, BEd. haben diese mühevolle Aufgabe übernommen. Danke! Hannes Eichsteininger

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Vorzugsexemplare des Buches können im LEADER Büro in Obernberg (Bezirksgerichtsgasse 5) und der Sparkasse Obernberg erworben werden!

7 Schüler 1939 (Foto: Sommerbauer) und unten 2018 (Foto: Eichsteininger)

8 Die Stunde Null: Obernberg1945 „Traudi“ Sommerbauer über ihren Vater, das Kriegsende und ihre Obernberger Kindheit zwischen 1938-1949 s gibt Obernberger Zeitzeugen, die wirklich Obern- Eberger Geschichte gesehen, erlebt und auch erlit- Es gibt Obernberger Zeitzeugen, die wirk- ten haben. Kaum aber erinnert sich jemand klarer und lich Obernberger Geschichte gesehen, er- deutlicher auch an Kleinigkeiten, wie die Tochter des lebt und auch erlitten haben. Kaum aber Hauptschuldirektors Anton Kastenhuber. Ehrentraud erinnert sich jemand klarer und deutlicher 1 – „Traudi“ - Sommerbauer wurde 1938 geboren, im auch an Kleinigkeiten, wie die Tochter des Haupt- selben Jahr kam ihr Vater als Lehrer nach Obernberg. schuldirektors Anton Kastenhuber. Ihre zehn Jahre in Sie erlebte das Kriegsende und die unmittelbare Nach- Obernberg und die Tagebücher ihres Vaters - der hier kriegszeit bis 1949 in Obernberg. Aufgrund eines Arti- Hauptschulleiter war sind ein spannendes Stück Zeit- 2 kels zum Kriegsende wurde der Obernberger Histori- geschichte! ker Herbert Schachinger auf sie aufmerksam und nahm mit ihr Kontakt auf. Ich habe in der Folge ebenfalls nach Ried und zum Ernteeinsatz abkom- lange mit Frau Sommerbauer gesprochen. Neben ihren mandiert.4 Seine zweite große Sorge war es, seine Fami- interessanten Erinnerungen verfügt Traudi Sommer- lie (bald kam ein zweites Mädchen dazu) unbeschadet bauer über eine penibel sortierte Fotosammlung ihrer durch den Krieg zu bekommen. Und das trotz der we- Familie, in der die Fotos zu Obernberg einen großen nigen Lebensmittel, welche die Sommerbauers, anders Anteil haben. Außerdem hat ihr Vater ausgiebig Tage- als viele Bauern, nicht „schwarz“ aufbessern konnten. buch geführt. Wobei Tagebuch eigentlich das falsche Diese Sorgen merkte man Kastenhuber auch körperlich Wort ist - vielmehr ist es eine Hommage eines liebe- an: „Mein Vater, der, als er nach Obernberg kam, 84 kg vollen Vaters an seine Tochter. Die zeitgeschichtlichen wog, hatte bei Kriegsende nur mehr 65 kg.“5 Es finden Informationen sind eher die Nebenprodukte dieses sich etliche Tagebucheintragungen wie diese: „Schade, Zeugnisses. Die Zeitzeugin hat diese, wie die Fotos, dass so wenig zu haben ist. Es ist eben schon das vier- großzügig der lokalgeschichtlichen Forschung zur Ver- te Jahr Krieg.“6 Die Familie wohnte ab 1938 in einem fügung gestellt. Die Familie hatte verwandtschaftliche ehemaligen Gasthaus am Marktplatz, und ab 1943 in Beziehungen nach Bad Ischl und kehrte, so oft es die einer großen gelben Villa im Vormarkt Ufer (in der Situation erlaubte, dahin zurück. Obernberg, das war Nähe der Brücke). Wir verdanken der Zeitzeugin In- für Anton Kastenhuber erst einmal keine Berufung, nenansichten des damaligen Obernberger Lebens. Etwa sondern so etwas wie die Versetzung ans „andere Ende jene, dass die Berliner Kinder, welche 1940 nach dem der Welt“. Kastenhuber, der ab 1943 die Leitung der ersten großen Luftangriff der Royal Air Force auf die Hauptschule übernahm, musste hier den Mangel einer Stadt, zur Erholung in ländliche Gebiete im Süden des kleinen Schule während der Kriegszeit verwalten. Da- Reiches geschickt wurden, nicht so dankbar waren, wie bei schwebte immer die Sorge um die Einberufung über man das angesichts der Situation annehmen hätte kön- ihm. Kastenhuber musste 1939 einige Wochen Militär- nen. Vielfach rümpften die Berliner Kinder die Nase ausbildung absolvieren, die er später wiederholte. Da- über den als rückständig und ärmlich empfundenen bei sollte es aber auch bleiben.3 Zum Kriegseinsatz kam Lebensstandard der Obernberger. „Die Verschickung er nie. Stattdessen wurde er regelmäßig in den Ferien der Berliner Kinder, die eine vor allem, die wir gekriegt haben. Mit der hab ich mich nur gequält! Eine richtige Großstadtpflanzn! Sie kam dann zu anderen Pflegeel- tern. Mein Vater hat dann ins Tagebuch geschrieben: „Wir haben bestimmt der Volksgemeinschaft genug geleistet. Man klagt allgemein.“ Soweit Frau Sommer- bauer. Wenige Zeilen weiter schreibt Kastenhuber: „Für 1941 erwarten wir das Ende des Krieges.“ Er hat ja so vieles nicht geschrieben, sagt die Zeitzeugin. „Dass man nicht den falschen Radiosender hören durfte, oder wie penibel die Nazis auch in Obernberg mit dem Verdun- keln waren.“7 1943 wurde Kastenhuber Schulleiter – und schaffte es, der NSDAP auch jetzt nicht beizutre- ten. Kastenhuber, der anfangs durchaus Sympathien für das Dritte Reich und die Person Hitlers gehabt haben mag, wird die Entscheidung des Nichtbeitritts nicht bereut haben. Dem Zwang zum regimetreuen Verhal- Obernberg 1939 (Foto: Sommerbauer) ten konnte er sich dadurch aber nicht entziehen: „Zur

9 Wintersachensammlung für unsere Soldaten gaben wir Skier, Schischuhe und Pelzsachen.“8 „Nicht frei- willig“ – wie Frau Sommerbauer erklärt. Ab Oktober 1944 wird der Schulleiter Verantwortlicher für die Be- treuung der steigenden Zahl der Flüchtlinge. Die Not war groß. Große Zuwandererfamilien stritten sich im Flüchtlingslager um einen Kochtopf – ein Bild, das die Zeitzeugin noch sehr gut vor sich hat. „Und was ich auch nicht vergessen werde, war dann die Zeit der Erstkommunion. Wir haben uns angestellt, die weißen Mäderl für die Erstkommunion und die Buben. Und da war eine dabei, das war ein Flüchtlingskind. Die hat ein braunes Kleid angehabt, mit so großen Karos. Die ist richtig herausgestochen. Und da haben die Frauen eben geredet und sie bedauert. Auf einmal stürzt eine Schulausflug ohne Weg: Die Hauptschule Obernberg fährt mit dem Rad 1949 hin, nimmt das Mädchen und sagt: „Du kriegst von mir zum Kraftwerk Frauenstein. (Foto: Sommerbauer) was!“ Wenig später kommt die mit dem Mädchen wie- der und da hat die ein weißes Kleid an. Einfach toll. Wie sich in dieser Beziehung die Zukunft gestalten wird, Oder wir in Obernberg haben auch den Flüchtlingskin- wissen wir nicht.“10 Es wendete sich nicht zum Besse- dern irgendeine Kleinigkeit geschenkt. Einen Bleistift, ren. Am 20. August kam wieder eine amerikanische Be- einen Farbstift. Das waren schon schöne Gesten.“ So satzung nach Ried und diesmal musste die Familie aus wird der Mangel in Obernberg verwaltet und so gut es der Villa ausziehen. Eine gerade leerstehende Wohnung geht, der Krieg überstanden. Der Einmarsch der ame- im Rathaustor gegenüber der Schule wurde schnell als rikanischen Truppen erfolgt nicht ohne Kampf. Da es neues Zuhause adaptiert. Hier fehlten Badezimmer und Brücken nur in Schärding und Braunau gab, mussten Waschküche – was sicherlich auch der Grund war, dass die amerikanischen Truppen über die beiden Stauwerke die Amerikaner die Villa besetzt hatten.11 bei Ering und Obernberg über den Inn.9 Trotz intensi- ver Arbeit gelang es den amerikanischen Truppen nicht, Über die letzten Unterrichtswochen vor dem Einmarsch die Dammkrone des Obernberger Stauwerks so zu er- schreibt Direktor Kastenhuber: weitern, dass eine Passage mit schwerem Gerät möglich war. Es kam zu einem kurzen Gefecht. So schilderte Ka- „[…] Von Anfang Februar war Schulsperre. Der letzte stenhuber, der ja direkt am Ufer wohnte, die entschei- Unterricht war am 1. Mai. In diesem Schuljahr kann denden Stunden: „Am Mittwoch, den 2. Mai gegen 5 mit einem Unterricht nicht mehr gerechnet werden.“ Uhr abends, erscheinen die Amerikaner bei uns auf dem Außer den Schulabgängern mussten alle Kinder die bayerischen Innufer und beginnen zu schießen, da von letzte Schulklasse in Obernberg wiederholen. Ehren- wenigen deutschen Soldaten das Feuer eröffnet oder er- traud Sommerbauer ergänzt die Erinnerungen ihres Va- widert wird. Unser Haus wird besonders stark beschos- ters: „Wer von zu Hause aus Hilfe gehabt hat, der hat sen, es werden 130-150 Einschläge gezählt. Die Haus- eine Prüfung machen können. Wir waren sechs, die die bewohner sind im Hauskeller. Ich selber lief während Prüfung gemacht haben. Ich musste an der Tafel rech- der Schießerei vom Markt nach Hause, glücklicherwei- nen. 40 weniger 20 ist wieviel, Traudel? Das war bei se ohne getroffen zu werden. Nach etwa zwei Stunden mir 10.“ war die Eroberung Obernbergs vollzogen.“ Die schriftlichen Erinnerungen der Zeitzeugin an diese Die lange Dauer des Einmarsches lag erfahrungsgemäß Maitage lesen sich so: in der besonders vorsichtigen Vorgangsweise der GIs „Eine Granate durchstieß das Fenster und blieb im begründet, die sie besonders in den letzten Kriegstagen ovalen Tischchen knapp vor uns stecken. Also höch- zeigten. Auch hatte man ja am Stauwerk keinen Flan- ste Zeit, in den Keller zu flüchten! Mutter riss meine kenschutz, es musste nach Sprengstoff gesehen werden, wenige Monate alte Schwester aus dem Bettchen, ich etc. packte meine Lieblingspuppe, nur schnell die Trep- Am ersten Mai war in Obernberg der letzte Schultag, am pe hinunter! Aus der Parterrewohnung stürzte Herr Tag darauf marschierten die US-Truppen ein. Obern- Meier, seines Zeichens 200-prozentiger Parteigenos- berg konnte nicht weiter als sechs Kilometer verlassen se. Er, der unsere Familie natürlich immer abgelehnt werden. Die Menschen mussten Gewehre und Fotoap- und, wo es ging, brüskiert hatte, eilte bei seiner pani- parate abliefern. schen Flucht auf der Kellerstiege an mir vorbei, stieß mich dadurch nach hinten, wodurch er zu Sturz kam Kastenhuber weiter: „Am nächsten Tag bekamen wir und bäuchlings die Stufen hinabsegelte. Doch da- Einquartierung von neun Mann, konnten aber in der durch wurde er zu meinem Lebensretter, denn in die- Wohnung bleiben. Diese Einquartierung wiederholte sem Augenblick durchbrach eine Granate die Mauer sich in der kommenden Zeit noch mehrmals. Die Woh- und blieb in der gegenüberliegenden Wand stecken, nung mussten wir lediglich einmal tagsüber räumen. ohne zu explodieren. Sie hätte mir den Leib zerfetzt! 10 In den Stunden, die nun folgten, wurde unser Haus nen wir ihr das nicht uneingeschränkt geben. Es fehlt stark beschossen (am nächsten Tag zählten wir über an allem, an Kleidung und Schuhwerk. Traudel leidet hundertfünfzig Einschläge und das Dach glich einem darunter.“ Die Familie hält sich in der Freizeit viel in Sieb). Wir saßen zitternd auf den Kohle- und Erdäp- der Küche – dem einzigen beheizten Raum – auf. „Die felsäcken, Mutter stillte die Kleine und war überglück- Kinder schlafen in der Küche, fallweise auch die Eltern“, lich, als Vater, der während der Schießerei nach Hause notiert Kastenhuber im Winter 1946. Heute wenig lief, heil in den Keller kam. Herr Meier12 aber, der tap- präsent ist, dass in diesen Jahren neben den Lebensmit- fere Held des Tages, hing am Fenster und brüllte vol- teln auch der Strom rationiert war. „Vormittag zwischen ler Angst und Panik: „Lassts mi außi, lassts mi außi!“ 8-12 Uhr und am Nachmittag von 1-5 Uhr gibt es nie elektrischen Strom, oft auch am Abend nicht. Wir sa- Am nächsten Tag bekamen wir Einquartierung von ßen oft stundenlang im Finstern und verbrannten die neun Mann und einem Schäferhund, der in meinem letzten Kerzen und Traudel hat oft schwer Mühe, die Kinderbett schlafen durfte, worüber ich furchtbar wü- Aufgaben fertig zu bringen.“14 tend war. Wir selber, unsere ganze Familie, musste zum gefürchteten Ehepaar Meier ins Erdgeschoß ziehen. Bei all dem ist die Familie Kastenhuber eine gutsituier- Das war aber gar nicht mehr zum Fürchten, im Ge- te, bürgerliche Familie mit kulturellem Anspruch, die genteil, man war äußerst freundlich zu uns, versorgte sich eine Haushaltshilfe leistet. Aber die Kriegsereig- uns mit Lebensmitteln, von denen wir gar nicht ge- nisse und die Nachkriegsnot bedingen immer wieder glaubt hätten, dass es sie im siebenten Kriegsjahr noch dieses zeitweilige Abgleiten in ärmlichere Verhältnisse. gäbe. Allerdings wurde mein Vater von Herrn Mei- Anton Kastenhuber bemüht sich etwa, aus den Innauen er täglich angefleht, er solle doch ein gutes Wort für selbst geschlägertes Brennholz heranzuschaffen. Weiters ihn bei den Amerikanern einlegen, er habe nie Par- erzählt der Direktor über die schlechte Ernte des Jahres teimitglied werden wollen, aber er hätte müssen ... 1947, Carepakete und immer wieder über die Schule. Langsam geht es dann doch aufwärts. So notiert der Di- Vieles hat sich von diesen letzten Kriegstagen in mein rektor 1948: „In Obernberg werden jetzt die meisten Gedächtnis eingegraben: die weißen Friedensfahnen, Häuser am Marktplatz bunt bemalt, auch das Schul- die erste Schokolade von den „Amis“, das Auf-den- haus hat seine hässliche rote Farbe verloren.“ Ende 1949 Arm-Nehmen meiner kleinen Schwester durch den verlässt die Familie Obernberg, weil Anton Kastenhu- ersten Neger meines Lebens, das natürlich verbotene ber eine Anstellung als Schulleiter an der neugebauten Zuschauen (hinter einem Holzstapel versteckt) von uns Hauptschule Lenzing erhält. Die Familie freut sich auf Kindern bei der Entschärfung einer 500 kg Bombe, die den neuen Ort, der, wie sich Ehrentraud Sommerbau- erste Fahrt zur Großmutter in Bad Ischl nach der Bom- er erinnert, zwar manchmal fürchterlich gestunken bardierung von Attnang-Puchheim, das „Hamstern“ in habe, aber doch sehr modern gewesen sei. Auch habe der Nachkriegszeit, sechs Sardinen (eine Dose) für drei die Familie nicht mehr weit nach Ischl gehabt, das sie Personen (!) als Abendmahlzeit, die Lebensmittelmar- weltoffen und hell in Erinnerung habe. Obernberg da- ken und und und ..., aber auch die Freude über das gegen war für die Familie Kastenhuber intensiv erlebtes Werden und Erstarken eines neuen Österreich.“13 Die Grenzland. Eichsteininger Hannes

Familie Kastenhuber ist in Obernberg festgenagelt: „An 1 Sie taucht in den Kinderfotos immer mit diesem schönen Namen eine Übersiedlung nach Ischl ist nicht zu denken, weil auf, ich erlaube mir, ihn daher hier beizubehalten. Anm. des Verfassers es dort keine Wohnung gibt.“, schreibt Kastenhuber 2 Vgl. www.ooezeitgeschichte.at/Zeitzeugen/Zeitzeugin_SommerbauerE abgerufen am 21.02.2018 1945 in sein Tagebuch. Er wird als einzige nicht natio- 3 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenken- nalsozialistisch „belastete“ Lehrkraft auch dringend ge- nung, Jahr 1939 4 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenken- braucht. Und: die Lebensmittelsituation ist auch nach nung, Jahr 1940 dem Krieg eine prekäre. „Am liebsten hat sie (Anmer- 5 Lebensgeschichtliches Gespräch mit der Zeitzeugin Ehrentraud Sommerbau- er, 08.02.2018 kung: Traudi, die Tochter) ein Butterbrot. Leider kön- 6 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenkennung, Jahr 1943 7 Lebensgeschichtliches Gespräch mit der Zetzeugin Ehrentraud Sommerbauer, 08.02.2018 8 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenkennung 9 Hier sei auf den ausführlichen Aufsatz zur militärischen Besetzung des Bezir- kes Ried und dem Innviertel in diesem Buch durch den Militärhistoriker Renato Schirer verwiesen. Anm.d.Verfassers 10 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenkennung, Überschrift: 7,1/2 Jahre 11 Vgl. Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenken- nung, Überschrift: 7,1/2 Jahre 12 Es ist mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei dem Genannten um Leopold Mayer, dem Professor für Welthandel an der Uni Wien gehandelt hat, der nach dem Krieg trotz seiner NS-Verstrickungen als Autor und Wissenschaftler weiter Karriere machte. Anm. des Verfassers 13 www.ooezeitgeschichte.at/Zeitzeugen/Zeitzeugin_SommerbauerE.html Wörtliche Übernahme des 2. Teiles dieses Aufsatzes. Abgerufen am 21.02.2018 14 Handgeschriebenes Tagebuch von Anton Kastenhuber, ohne Seitenkennung Traudi Kastenhuber mit ihrer Mutter,1940, (Foto: Sommerbauer)

11 Nationalsozialismus in Obernberg Gründe für den Beitritt und die Entnazifizierung nach 1945

eschichte kann oft recht unangenehm sein. Und Ggerade in kleineren Gemeinschaften tendieren da- 1938-1945 war ein sehr großer Teil der – her die lokalen Historiker dazu, die NS Zeit gar nicht zumindest der wohlhabenderen und er- oder recht episodenhaft zu behandeln. Bis vor 20 Jahren wachsenen – Obernberger Bürgerschaft des findet man in den Ortschroniken der Gemeinden daher oberen Marktes bei der NSDAP. Viele dieser auch dazu nur wenig mehr als ein paar Eckdaten (die Menschen waren bereits vor 1938 Parteimitglieder alte Obernberger Chronik ist da keine Ausnahme). Das (sogenannte „Illegale“). Was hat diese Menschen ist aus der damaligen Sicht sehr verständlich. Die NS bewogen, was war ihr Schicksal und wie ist es ihnen Jahre haben nicht nur Millionen Menschen das Leben ergangen? Wo sind auch die Unterschiede zwischen gekostet und ungeheuren materiellen und psychischen Ihnen? Wie erklärt sich die hohe Zahl an NSDAP Mit- Schaden angerichtet. Die Risse gingen noch tiefer. Das gliedern in Obernberg? vertraute dörfliche Umfeld wurde politisch zersplittert und den Menschen das dreifache ideologische Brechen Wahrscheinlichkeit einige Kriegsverbrecher. Es waren des sozialen Gefüges zugemutet: Einmal 1934 mit dem viele Menschen dabei, die aus familiären Gründen zur Ständestaat, 1938 mit der NS-Zeit und 1945 mit der Partei gingen, andere wurden beruflich vom Arbeitge- Rückkehr zur republikanisch-demokratischen Staats- ber dazu gedrängt. Viele verspürten Hass gegen die alte form. Das hat dazu geführt, dass in den Ortschroniken Ordnung – gerade auch, wenn sie von Heimwehrleuten bis vor wenigen Jahren wenig mehr als einige Floskeln oder VF-Funktionären benachteiligt, geschlagen oder zur Nazizeit zu finden gewesen sind. Vor etwa 15 Jah- eingesperrt worden waren. Und viele sahen mit dem ren begannen dann auch Lokalhistoriker diese Zeit zu mächtigen Deutschland eine neue Weltordnung her- erarbeiten – und das taten sie auf der Opferseite. Und aufdämmern, groß und glänzend. 1945 wusste man es praktisch nur dort. Ein erster richtiger Ansatz sicher- besser. Spätestens. Hoffentlich. lich, auf dem wir aber nicht stehenbleiben sollten. Sonst besteht die Geschichte der Nazizeit nur aus Opfern, alle Die Volksabstimmung nach dem Einmarsch 1938 er- anderen Menschen verschwimmen unscharf und un- gab in Obernberg eine Mehrheit von 968 Ja Stimmen, fixiert als „Täter“. Das soll nicht sein. 1938-1945 war bei einer Gegenstimme. In Kirchdorf und St. Georgen ein sehr großer Teil der – zumindest der wohlhabende- gab es je zwei Gegenstimmen, in Antiesenhofen bei 488 ren und erwachsenen – Obernberger Bürgerschaft des Stimmzetteln keine einzige. Hort des Widerstandes – oberen Marktes bei der NSDAP. Viele dieser Menschen wenn man so will – war Reichersberg. Hier gab es 951 waren bereits vor 1938 Parteimitglieder (sogenannte Wahlberechtigte und vier Gegenstimmen. Der Mix aus „Illegale“), andere waren Sympathisanten. Was hat die- Anschlussbegeisterung und Einschüchterung bei der se Menschen bewogen, was war ihr Schicksal und wie Abstimmung machte solche grotesken Ergebnisse auch ist es ihnen ergangen? Wo sind auch die Unterschiede bei uns möglich. Natürlich gab es mehr Hitler-Gegner zwischen ihnen? vor Ort, als es die Abstimmung zum Ausdruck bringt. Allerdings gab es in Obernberg auch jede Menge Un- Wie erklärt sich die hohe Zahl an NSDAP Mitgliedern terstützung für das neue Regime. 1945 wurden dann in Obernberg? Wir finden in der Gruppe der NSDAP alle ehemaligen Nationalsozialisten in Listen erfasst. Es Mitglieder aus Obernberg Menschen, die einfach nur gab 1945 Meldeblätter für ehemalige Nationalsoziali- über die Runden kommen wollten, es sind aber auch sten, Bewerber um die Mitgliedschaft und Mitglieder ausgewiesene linientreue Nazis dabei – und mit großer der Wehrverbände SS, SA, NSKK und NSFK. Sie wa- ren von den NSDAP Mitgliedern selber auszufüllen. Diese Meldeblätter sind interessanter als die Registrie- rungsblätter von 1947, da sie von einem lokalen Ge- meindegremium (der „politische Ausschuss“) gewichtet und korrigiert wurden und oftmals wertvolle Ergänzun- gen enthalten, die uns den ideologischen und biogra- fischen Hintergrund des Registrierten näherbringen. Diese Meldeblätter sind für Obernberg erhalten. NS- DAP Mitglied konnte man ab 18 Jahren werden (gegen Kriegsende auch mit 17). Die jüngste Obernbergerin auf der Meldeliste ist 1927 geboren. Die NS-Familien standen nach dem Kriegsende und dem Einmarsch der Amerikaner 1945 unter großem Heldengedenktag im März 1941, Kriegerdenkmal neben dem Rathaustor (Foto: Sommerbauer) Druck. Galten sie im Sinne der Betätigung für die NS-

12 DAP als „belastet“, mussten sie mit Versetzung oder Kündigung rechnen (wenn sie im öffentlichen Dienst tätig waren), ebenso waren Geldbußen oder Sühnedien- ste (Trümmer aufräumen) bzw. Gefängnisstrafen vorge- sehen. Die Betroffenen argumentierten daher begreifli- cherweise in eine Richtung, die den eigenen Beitrag am Aufbau des NS-Systems meist möglich klein darstellen sollte. Der Blockleiter etwa musste seine „Stelle trotz Weigerung übernehmen.“1 Junge Frauen seien vom „BDM zur NSDAP überstellt worden“, ohne dass sie ge- fragt worden wären. Einige Obernberger rechtfertigten sich, sie wären formell erst 1938 zur NSDAP gekom- men und hätten „ab Februar 1943 infolge Einberufung zur Wehrmacht keinerlei Mitgliedsbeiträge entrichtet.“2 Irgendwie reingerutscht, könnte man meinen („Mitläu- fer“ hat man damals gesagt). Dieselbe Person war aller- dings bereits 1927 wegen NSDAP Betätigung auffällig gewesen und in Obernberg als „überzeugter Nazi“ be- kannt. Hochinteressant ist daher die Einschätzung des Selbstgebastelte NS-Symbolik illegaler Obernberger Nationalsozialisten schon erwähnten lokalen Entnazifizierungskomitees (Foto: Landesarchiv OÖ.) auf Gemeindeebene. Dieser Ausschuss wurde in den jeweiligen Gemeinden von den neuen Gemeindever- angegeben habe, dass ich 1937 einige kleine Spenden antwortlichen gebildet. Die Männer dieses Gremiums Beiträge [für die NSDAP, Anm.] gegeben habe. Es ist – Gegner des NS-Regimes wussten sehr gut, was von daher nicht ausgeschlossen, dass ich in den Aufzeich- den jeweils Registrierten zu halten war, gerade wenn sie nungen der NSDAP schon seit einem früheren Datum ortsansässig waren und man sich über Jahrzehnte kann- als Parteimitglied geführt werde. Vielleicht weil ich im te. Der Hauptteil der Sichtungen der Meldebögen wur- Jahr 1933 bei der Gründungsversammlung der NSDAP de von Franz Öttl und Georg Putta durchgeführt. Dem in Obernberg anwesend war.“3 Es ist zwar möglich, dass Gremium gehörten aber auch Personen des damaligen sich die NSDAP Mitglieder im Einzelfall manchmal Gemeinderates an (Dr. Kubizceck, Josef Kornecny, Jo- selber nicht ganz sicher waren, wann sie den nun der hann Freller und Johann Moser sowie Josef Stranzin- Partei beigetreten waren. Aber die Tatsache, dass gera- ger). Auch wenn der Ausschuss oftmals von der illega- de die Illegalität, das heißt die Mitgliedschaft bei der len NS-Vergangenheit der NSDAP Mitglieder wusste, NSDAP vor 1938 mit recht hohen Strafen bedroht war konnte man das häufig nicht verifizieren. Schriftliche und nicht zur Entregistrierung führte, mag viel stärker Unterlagen der Zwischenkriegszeit fehlten nach 1945 dazu beigetragen haben, sich, so es irgendwie ging, nicht häufig und es dürfte auch so gewesen sein, dass viele als Illegaler zu outen. Frau Sageder wird vom Ausschuss frühe „Illegale“ gar keinen formellen Mitgliedsausweis jedenfalls Rechtschaffenheit beschieden: „Anfangs Idea- besessen haben bzw. diesen bewusst vernichtet hatten. listin die sich bei Kriegsbeginn von der NS-Ideologie Da die NSDAP während der Ständezeit in Österreich lossagte !“4 (Rechtschreibfehler im Originalzitat!) Oft verboten war, konnte der Besitz eines entsprechenden können wir nur indirekt auf die Falschaussagen schlie- Ausweises auch nur hinderlich sein. Bei Leopoldine ßen, wenn etwa Personen, die erst im Mai 1938 der Sageder aus Obernberg, 1938 Zellenleiterin, klingt das NSDAP beigetreten sein wollen, nach dem so: „Bezüglich der Dauer meiner Mitgliedschaft vom sofort Blockleiter oder gar Zellenleiter wurden. In an- 1.5.1938 bis 27.4.1945 bemerke ich, dass ich […] auch deren Fällen versuchten die Registrierten auch einfach sich mit „alternativen“ Fakten aus der Affäre zu ziehen. Wurden sie dabei vom Ausschuss aber erwischt, musste eine Erklärung her. Eine besonders kreative findet sich hier: „Mein Bruder T., der damals Ortsgruppenleiter war, glaubte für mich etwas Besonderes zu tun, als er in mein Karteiblatt unrichtigerweise seit 1934 bei der SA u. Scharführer eintrug. Überdies gab er mir pro Forma die Funktion eines Propagandaleiters der Ortsgruppe, die nicht vom Kreisleiter bestätigt wurde und die ich auch niemals ausübte. Da obige Eintragungen nicht der Wahrheit entsprechen, glaubte ich sie bei der letzten Registrierung nicht anführen zu müssen.“5 Auch beim Zellenleiter Anton Voglmaier kommt der Ausschuss zu anderen Ergebnissen als der Registrierte. Dieser nimmt für sich in Anspruch erst 1938 in die Partei eingetreten Gemeindeamt, Kriegszeit (Foto: Unger) zu sein. Als Träger der Ostmarkmedaille und aufgrund 13 einer NS-Vorverurteilung aus der Ständezeit höchst un- Gar nicht so wenige Obernberger NSDAP Mitglieder wahrscheinlich.6 Andererseits sind mit Fortdauer des sind während des Krieges auch aus der Partei ausge- Krieges Menschen in die Funktion des Zellenleiters ge- treten bzw. ausgeschlossen worden. Sie werden in den langt, die erst spät der Partei beigetreten sind. Etwa Wil- Entnazifizierungslisten aber trotzdem geführt. Leider linger Stefan, der in Obernberg Zellenleiter war.7 geben die Listen keine Auskunft, warum etwa eine NS Mitgliedschaft während des Krieges erloschen ist. Es Die meisten Obernberger Lehrer waren erst gegen Ende muss nicht immer die Einsicht in das Verbrechen der 1938 oder später (1941) zur NSDAP gekommen. Darin Nazis gewesen sein, oft war es auch schlichter Geldman- liegt kein besonderer Widerstandsgeist. Für Lehrer gab gel den Mitgliedsbeitrag betreffend. Das mehrmalige es meist andere Regeln den Beitritt in die NSDAP be- Nichttragen des Parteiabzeichens reichte in einigen Fäl- treffend, da sie ja vorher Teil der Vaterländischen Front len auch, um seine Parteimitgliedschaft zu gefährden. (VF) gewesen waren. Diese Mitgliedschaft bei der VF Daher sind die handschriftlichen Anmerkungen des war für Lehrer verpflichtend gewesen, genauso wie ih- politischen Ausschusses auf den Meldebögen doppelt nen nun die Mitgliedschaft in der NSDAP nahegelegt wichtig. Der Obernberger Hilfsarbeiter H. war etwa wurde, diese aber – anders als die Mitgliedschaft bei der nur ein Jahr von 1939-1940 bei der NSDAP und nach VF - nicht verpflichtend war. Eine ideologische „Kar- eigenen Angaben bei keiner der NS Gliederungen aktiv riere“, wie die des Obernberger Lehrers Franz Kastner, (SS,SA…). Die Gemeindevertretung stuft ihn trotzdem war typisch: Bis 1938 Mitglied der VF, dann aus Strafe so ein: „Überzeugter Nazi! Unbelehrbarer Fanatiker!“ dafür vom NS-Re- Der Sparkassenlei- gime dienstversetzt, ter Max Herndl, hat er schließlich der NSV Kassier 1941 die Aufnah- und Träger von NS me in die NSDAP Parteiauszeichnun- erreicht. Nach dem gen war, wurde als Krieg galt Kastner „Fanatischer Natio- dann als belastetes nalsozialist“ einge- NSDAP Mitglied stuft. Er war aller- und wurde wieder dings nach eigenen versetzt. Ähnliches Angaben erst nach gilt für den Schul- 1938 zur NSDAP leiter Ernst Kut- gekommen. Um- schera, der sich aber gekehrt wurde der überdies bis 1941 Kaufmann K. der als Blockwart betä- bereits 1933 der Par- tigte. Auch der Lei- tei beigetreten war, ter der Volksschule, zwar als „über- Preischler Johann, Die Durchdringung des öffentlichen Lebens durch den NS-Staat. (Foto: Sommerbauer) zeugter Nazi!“, war bei der NSDAP. aber offenbar als Von den länger in Obernberg wirkenden männlichen „harmlos!“ eingestuft. Seine Mitgliedschaft sei nur „Aus Lehrern konnte sich nur der seit 1943 als Direktor der Geschäftsgründen!“ erfolgt. Eine Phrase, die wir öfters Hauptschule wirkende Anton Kastenhuber der NSDAP lesen. Ebenso oft lesen wir, dass jemand nur aus „Exi- Mitgliedschaft dauerhaft entziehen. Folgerichtig wurde stenzgründen!“ dabei war. Besonders glimpflich ging es er auch nach dem Krieg in seiner Funktion bestätigt für einen Registrierten aus, wenn der Ausschuss zum und erst 1948, auf eigenem Wunsch, von Obernberg Schluss kam, man wäre ein „Mitläufer aus Existenz- weg versetzt. Kastner hingegen war belastet, obwohl gründen!“ gewesen. er niemals offensiv für die NSDAP eingetreten war. Er gilt für das Obernberger Entnazifizierungsgremium als Wie sieht es bei Ehepartnern aus? Weniger häufig als „Mitläufer aus Existenzgründen.“8 Für alle Angestellten man glauben möchte, waren beide Ehepartner bei der des öffentlichen Lebens war es schwer sich dem ideo- NSDAP (häufig nur der Mann). Allerdings gab es na- logischen Sog der Nazis zu entziehen. Leichter hatten türlich auch engagierte NS-Frauen. Etwa Prilmann es die freien Gewerbetreibenden und die Bauern. Wäh- Maria, geboren 1901, die Ortsfrauenschaftsleiterin und rend diese in Obernberg kaum eine Rolle spielten (eine Trägerin von Parteiauszeichnungen war. Folgerichtig Ausnahme ist Georg Bienl, der 1943-1944 die Funkti- sieht sie der politische Ausschuss der Gemeinde als „Fa- on eines Zellenleiters übernahm), wurden die Gewerbe- natische Nationalsozialistin“. Frauen wurde insgesamt treibenden im Markt Obernberg in der überwiegenden aber eher zugestanden, „harmlose Mitläuferin“ gewesen Mehrheit zu Stützen des NS-Regimes. Als Beispiel sei zu sein, der Mann war in der Einschätzung recht oft ein hier Josef Mitterbauer angeführt. Der Fotograf betrieb „Gesinnungslump!“ oder schlicht „fanatisch!“9 Der in Obernberg ein kleines Fotogeschäft. Er war mehrere „Gesinnungslump“ war nach der Diktion des Ausschus- Jahre Blockleiter und vom Oktober 1944 bis Kriegsende ses ein Obernberger, der ein wenig zu häufig und radi- Zellenleiter. kal seine politische Einstellung gewechselt hatte. In der

14 abgemilderten Variante gibt es noch das Vokabel des „Politischen Regenbogens“ – auch auf jemanden ge- münzt, der schon überall dabei war. Die Meldeblätter zeigen auch, wie sich der Nationalsozialismus durch die Familien zieht. Als Beispiel sehen wir das an der Familie Orlinger. Orlinger Rudolf, geboren 1895, war Zollbe- amter und Blockleiter, Orlinger Emilie, Hilfsstellenlei- terin NSV und deren Tochter, geboren 1924, BDM Führerin. Einige Obernberger waren Träger der Ost- mark-Medaille, eines NS Ordens, der denjenigen verlie- hen wurde, die sich um die Vereinigung von Österreich mit Deutschland verdient gemacht haben. Der Logik folgend hat es sich hier zum großen Teil um Personen Mitarbeiter der Baufirma Fürst bei einer Firmenfeier 1941. (Foto: Hörtl) gehandelt, die bereits für die Nazis aktiv waren, als diese in Österreich verboten waren. Solche Personen wurden den sich nach dem Krieg auch in Obernberg. Sie waren schneller als „fanatische Nazis“ eingeschätzt, als jene, auffallend oft auch Funktionäre: Etwa Rienzner Heinz, die erst nach der Besetzung Österreichs um Aufnahme 1940 aus Meran ausgewandert, nach Burghausen ge- in die NSDAP angesucht hatten. Ein Beispiel dafür ist langt und von dort 1945 in Obernberg gelandet. All Benno Juffmann, geboren 1898. Der gebürtige Vorarl- diese Fälle hat der „Politische Ausschuss“ der Gemeinde berger arbeitete in der Apotheke. Er war in Obernberg Obernberg 1946 und 1947 behandelt. Dabei kamen Zellenleiter und Träger der Ostmarkmedaille. Beinahe die Mitglieder durchaus zu differenzierten Einschätzun- folgerichtig datiert sein Beitritt zur NSDAP in das Jahr gen, die auch auf uns Heutige ausgewogen und fair wir- 1934. Während des Krieges war er bei der Waffen SS im ken. Der Obernberger Gewerbetreibende und SS-Offi- Rang eines Haupttruppenführers.10 Auch Lindinger zier P. galt für die einen Ausschussmitglieder als „Fana- Franz, geboren 1908, ein früherer Gendarm, war Träger tischer Nazi!“ oder als „Unbelehrbar!“. Handschriftlich der Ostmarkmedaille. Er war als Illegaler bei der NS- finden wir aber auch folgende Notiz: „Soll sich während DAP und in Obernberg Blockleiter11. Eine kleine aber der Militärzeit und Gefangenschaft sehr geändert auffällige Gruppe sind jene NS-Mitglieder, die im Zuge haben.“14 Verbunden mit einem Namen, bei dem weite- von Fluchtbewegungen in Obernberg gelandet sind. re Auskünfte einzuholen wären. Nicht alle, die 1938- Der bekannteste davon war der stellvertretende Direk- 1945 in Obernberg eine tragende Rolle spielten, sind in tor der Wiener Creditanstalt. Dieses große Bankhaus, den Obernberger Meldedaten erfasst. Und nicht alle ra- hatte in der NS Zeit eine enge Bindung an die NSDAP dikalen Nationalsozialisten hatten offizielle Funktionen und führte etwa auch Zahlungen an und von Konzen- über. Einerseits hat eine Anzahl von NSDAP Mitglie- trationslagern durch. Inwieweit man Krapp eine per- dern den Krieg nicht überlebt, andererseits wurden sönliche Involvierung in ein Verbrechen nachweisen ranghöhere NSDAP Mitglieder (Ortsgruppenleiter, konnte, ist unbekannt. Der Obernberger Ausschuss Bürgermeister) automatisch als belastet eingestuft und schreibt allerdings voller Empörung: „Kriegsverbrecher! ins dafür eingerichteten Lager Camp Marcus W. Orr In Obernberg unbekannt! Will nicht zurück nach Wien („Glasenbach“) gebracht. Sie waren also zu der Zeit, als da angeblich seine Frau nicht transportfähig ist.“ (sic!) die Meldedaten erhoben wurden, gar nicht in Obern- Ein anderer sehr prominenter NS-Parteigänger war der berg. Hier sind wir dann auf die eingangs erwähnten Universitätsprofessor Mayer Leopold. Der überzeugte Registrierungsdaten angewiesen, die späteren Datums Nationalsozialist machte in der Nazizeit Karriere und sind. Ihre Erhebung hat seine Grundlage in einer No- wurde 1944 Rektor der Hochschule für Welthandel.12 velle des Verbotsgesetzes von 1947. Die Registrierungs- Nachdem er von Obernberg wieder nach Wien übersie- daten erhalten keine Gewichtung lokaler „Entnazifizie- delt war, wurde er mit einem Habilitationsverbot be- rer“ mehr. Die Erhebungen sind sozusagen der letzte legt, konnte aber wieder an der Hochschule arbeiten. Ausfluss um das Bemühen einer echten und schonungs- Mayer Leopold starb 1971. Mit großer Wahrscheinlich- losen Entnazifizierung. Tendenziell war es 1947 eher keit ist es dieselbe Person, an die sich Ehrentraud Som- schon so, dass weite Teile der Bevölkerung (vor allem merbauer (Tochter des HS-Direktors Kastenhuber, vgl. natürlich die Betroffenen selber) endlich einen den Artikel dazu in diesem Buch) als „200%igen Nazi“ Schlussstrich unter die NS Zeit ziehen wollten. In den erinnert. Ein anderer, eher hochrangiger NS-Vertreter, Folgejahren wurden dann auch fast alle NS-Mitglieder ist vermutlich erst nach dem Krieg nach Obernberg ge- „entregistriert“ – heißt von weiteren Strafen, Berufsver- langt: Gammer Rudolf, geboren 1903, war 1942-1943 boten etc. befreit. Auf jeden Fall finden sich in den 47er Kreisleiter von . Er begegnet uns nur in den Regi- Unterlagen auch die ranghöheren Obernberger Natio- strierungsblättern von 1947. 1945 war er nicht in nalsozialisten: Franz Höllinger, 1904 geboren, war Lei- Obernberg. Es ist gut möglich, dass er versucht hat, sich ter der Obernberger Sparkasse und trat unmittelbar in Obernberg eine neue Existenz aufzubauen. Er hatte nach Hitlers Machtergreifung 1933 der NSDAP bei bereits vorher 18 Monate verschärfter Haft in Ried ab- und war bereits bei der Gründung der Obernberger zusitzen gehabt.13 Etliche Südtiroler, die 1940 in den Ortsgruppe dabei. Er war Ortspresseamtsleiter, vor al- süddeutschen Raum (zwangs)ausgesiedelt wurden, fin- lem aber 1939-1940 Ortsgruppenleiter der NSDAP.

15 rikaner gesperrt wurde, befinden sich unter den Partei- mitgliedern der NSDAP etliche dieser Flüchtlinge. Trotz all dieser Unwägbarkeiten war die Zahl der NS- Mitglieder in Obernberg sehr viel höher als im Schnitt von Oberösterreich. Hier weisen Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher eine Quote von 8,1% aus,20 woge- gen sie bezogen auf die Einwohnerzahl von 1939 für Obernberg 14,29% beträgt. Während die NSDAP bei aller Popularität in den Landgemeinden rund um Obernberg rein quantitativ doch ein Randphänomen in der Bevölkerung blieb, hat sie hier die Mitte der Gesell- schaft erreicht und war eine bürgerliche Volksbewegung geworden. Eichsteininger Hannes

Die inhaftierten Nazis fühlten sich als Kriegsgefangene (Prisoners of War) und 1 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter B. schrieben entsprechende Briefe aus Glasenbach ins Innviertel. 2 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter B. (Foto: MS Eichsteininger 3 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter Sageder, Leopoldine Wie viele andere Parteimitglieder der ersten Stunde, 4 ebenda 5 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter T. übernahm er offizielle Funktionen in der Obernberger 6 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter NDSAP. Wesentlich länger als Franz Höllinger übte der Volgmaier Anton jr. 7 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter promovierte Apotheker Franz Mohar die Stelle als Orts- Willinger Stefan gruppenleiter aus. Der in Lienz geborene Apotheker 8 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter P. war bis 1940 Zellenleiter und ab da bis Kriegsende 9 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Meldeblätter 15 der Familie H. Ortsgruppenleiter der NSDAP. Der Ortsgruppenleiter 10 Vgl. OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Melde- in der illegalen Zeit war der überaus aktive Tischlermei- blätter der Familie J. 11 Vgl. OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Melde- ster Karl Rammerstorfer, geboren 1902. Er gab vor der blätter der Familie L. Polizei an, von 1936-1937 Ortsgruppenleiter gewesen 12 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Mayer_(Wirtschaftswissenschaftler), abgerufen am 05.01.2018 zu sein, man kann aber davon ausgehen, dass er diese 13 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 73. Registrierungs- Tätigkeit insgeheim bis zum Einmarsch 1938 ausgeübt blatt zu Gammer Rudolf 14 Vgl. OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 78. Melde- hat. Die Lücken, die Rammerstorfer selbst angibt, rüh- blätter des Namens P. 16 ren daher, dass er im August 1937 inhaftiert war. Wäh- 15 Vgl. OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Registrierungsblätter, Schachtel 73. rend die kleinen „Mitläufer“ meist bereits 1947 entregi- Registrierungsblatt Mohar, Franz 16 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P /III-1319/1937/Gendarmerie striert werden, zieht sich der Prozess für die Obernber- Obernberg an die BH Ried ger NS-Prominenz noch länger hin. Zugute kam ihnen 17 Die Geschichte dieser Personengruppe ist noch weitgehend unbeforscht. Vgl. dazu etwa: Angerer, Christian und Ecker, Maria: Nationalsozialismus in Oberöster- die schon angesprochene Stimmung in Österreich, wel- reich, Opfer Täter, Gegner, Innsbruck 2014, S.347-350 che größtenteils einen Abschluss der NS-Prozess will. 18 Die Zahl ergibt sich aus den Meldelisten der Gemeinde Obernberg, datierend auf den Februar 1946. Anm. des Verfassers Bis 1950 wurden auch die ehemaligen Ortsgruppenlei- 19 Daher kommt man bei Durchsicht der Registrierungsbögen von 1947 dann sogar ter entnazifiziert. Die lange Verfahrensdauer war indes- auf 229 registrierte Nationalsozialisten. Anm. des Verfassers sen eine schwere finanzielle Bürde für die Betroffenen. 20 http://www.ooegeschichte.at/epochen/oberoesterreich-in-der-zeit-des-national- sozialismus/ooe-1938-1945-eine-chronologie/ns-verwaltung/die-partei.html, abge- Berufsverbote, öffentliche Stigmatisierung, dazu ein rufen am 10.02.2018 manchmal jahrelanges Prozessieren hat viele an den Rand ihrer Existenz gebracht und sie auch oft politisch ernüchtert. Die meisten haben sich zwar sozial in das Gemeindeleben eingefügt, sich politisch aber – mit we- nigen Ausnahmen – nie wieder aktiv betätigt.17 Wie ist die Zahl der Nationalsozialisten in Obernberg insge- samt zu bewerten? Der Markt Obernberg weist für die Volkszählung 1939 eine Einwohnerschaft von 1532 Personen aus. 1945 sind in Obernberg 219 Nationalso- zialisten registriert18. Nicht enthalten sind in dieser Zahl jene Menschen, die im Krieg gefallen sind, die in Kriegs- gefangenschaft waren oder auswärts Sühnedienste we- gen der NS-Mitgliedschaft leisten mussten.19 Enthalten sind hingegen alle Flüchtlinge, welche Parteimitglieder waren, insbesondere jene Wiener, die aus Furcht vor der Roten Armee oder aus Furcht vor Repressalien durch die neue österreichische Regierung nach Obernberg ge- flohen sind. Da der Inn nach dem Einmarsch der Ame- 16 Die Obernberger Ortsgruppe der NSDAP Die Entwicklung im Grenzland von 1933-1938 ine Möglichkeit legal auf sich aufmerksam zu ma- Echen, hatte die „Hitlerpartei“, wie sie in der Ver- Ein Teil der bekannten Obernberger Natio- botszeit1 bei uns häufig genannt wurde, nach dem nalsozialisten war bereits seit 1933 aktiv. So Verbot im Juni 1933 nicht mehr, weswegen man sich aktiv wie die NSDAP Obernberg und Um- vor allem auf Schmierereien, Papierbölleranschläge2 gebung war selten eine andere Innviertler Ortsgruppe. Die BH-Akten, die heute das und das Schmuggeln von NS-Schriften über den Inn Landesarchiv OÖ. verwaltet, sprechen da eine eindeu- verlegte. Es gab etliche Obernberger, die in ihrem NS- tige Sprache. Da es in Obernberg als auch in Antiesen- DAP Mitgliedsantrag anführten, sie hätten bereits in hofen einen Gendarmerieposten gab, wurden die An- der Verbotszeit NS-Schriften (häufig den „Österreichi- zeigen wegen NS-Betätigung dort aufgenommen. War schen Beobachter“) über den Inn geschmuggelt.3 Diese in Obernberg die Oberschicht des Marktes NS-affin, so Arbeit war für die Ausführenden hochriskant. Wurden stammten die Aktivisten aus den Ortschaften Reichers- sie erwischt, warteten Gefängnisstrafen von mehreren berg und Ort eher aus bescheidenen Verhältnissen. Monaten, wie im Falle des H., der wegen Verteilung des „Beobachters“ zu vier Monaten schwerer Kerker 4 eine nicht geringe Machtfülle – und damit auch einen verurteilt wurde. Die NS-Gruppen von Antiesenhofen großen Arbeitsbereich. Was mit ein Grund sein dürfte, kooperierten mit denen aus Ort und die Obernberger dass die Inhaber der Leiterstelle mehrmals wechselten. mit der Reichersberger und St. Georgener NSDAP. Was die Wichtigkeit der Obernberger Zelle – neben Deswegen wurde die am Anfang (die NSDAP Obern- der Grenznähe – noch ausmacht, war die Tatsache, dass berg wurde 1933 gegründet) eher kleine Partei bald der Rieder Kreisleiter Gittmaier die Obernberger Orts- größer. Diese Arbeitsteilung wurde auch nach 1938 gruppe mitbegründet hatte.6 Er war auch nach dem An- beibehalten und ist an der Parteistruktur klar abzuse- schluss sehr oft in Obernberg. Seine Gesprächspartner hen: St. Georgen und Reichersberg waren während der waren Karl Gamisch und Josef Streisslberger, die in der Kriegszeit nur „Zellen“ (also ohne eigene Ortsgrup- Verbotszeit Blockwarte waren. Ab 1937 stand der Orts- pe) und der Obernberger Ortsgruppe untergeordnet. gruppenleiter Karl Rammerstorfer der Ortsgruppe vor.7 Im November 1938 kam Gauleiter Eigruber zu einem Vor allem Gamisch und Rammerstorfer wurden von vielbeachteten Besuch nach Obernberg, um die große den österreichischen Behörden immer wieder in Haft Obernberger Ortsgruppe aus der Taufe zu heben. 800 genommen. Das geschah teilweise auch ohne Angabe Leute im Schnellingersaal und davor hörten die Eigru- von Gründen, eben nur, weil die Befürchtung da war, berrede, die mit Lautsprechern auf den Platz übertragen 5 sie könnten die Ortsgruppe weiter ausbauen. In einem wurde. Der Obernberger Ortsgruppenleiter hatte also Verhör gibt Karl Rammerstorfer an, seit Neujahr 1937 die Obernberger Ortsgruppe geleitet zu haben. Den Mitgliederstand gibt er – aus verständlichen Gründen – mit 12 Personen sehr niedrig an. Als eingesetzte Block- warte nennt er damals Josef Streisslberger und Karl Ga- misch.8 Vielleicht auch aufgrund dieser Aussage wendet sich die BH-Ried Karl Gamisch zu. So wurde dieser 1937 zu ein Monat Arrest verurteilt, ohne dass es dafür ein Urteil oder auch nur eine stichhaltige Begründung gegeben hätte!9 Auch Streisslberger war dadurch wieder mit einer längeren Haft bedroht. Der autoritäre öster- reichische Ständestaat ging gegen seine Gegner nicht zimperlich vor! Das zeigt auch der Fall des in Kirchdorf wohnhaften O., der in Ried in einem Gasthaus laut sagte, dass der Bundeskanzler Schuschnigg ein Tsche- choslowake sei. Für diese „Beleidigung“ bekam er einen Monat Gefängnis.10 Ein Obernberger wurde mit einem Monat Arrest bedroht, weil er ein Abzeichen des Preu- ßenkönigs Friedrich des Großen getragen hatte. Die BH-Ried sah darin eine „Ersatzhandlung“ zum Tragen des verbotenen NS-Abzeichens.11 Ein Jahr zuvor war der Obernberger Leo G. mit einer Dass es nach dem Ersten Weltkrieg - selten aber doch - auch privates Notgeld kleinen Hakenkreuzfahne erwischt worden, die er ver- gab, ist wenig bekannt. Hier ein schön gestalteter Notgeldschein des Rennver- eins Obernberg. (Foto: MS Eichsteininger) deckt getragen hatte und musste deswegen einen Mo-

17 nat ins Gefängnis. Nicht nur die Nationalsozialisten staunten über diese doch recht hohen Strafen (Verwal- tungsstrafen!). Wie meistens in solchen Fällen war das Gasthaus der öffentliche Ort, in dem das Vergehen er- kannt wurde. Die Armbinde mit dem Hakenkreuz exi- stiert noch und befindet sich im Landesarchiv OÖ.12 Noch aus einem anderen Grund ist die Sache interes- sant. Karl Gamisch, der gegen die hohe Strafe des Leo G. rechtlich vorging, rechtfertigte sich damit, dass einer der Augenzeugen in Racheabsicht gegen Leo G. handel- te, da er Hiebe von einem Nazi erhalten habe, die auf den „Gummiwurst-Sontag“ zurückgehen.13 Damals wa- ren Obernberger NS-Anhänger und Mitglieder der VF gewaltsam aneinandergeraten und es hatte etliche Ver- letzte gegeben. Dieser „Gummiwurst-Sonntag“, der in Ein Bild mit Seltenheitswert: Die Reichersberger Stiftsmauer war von illegalen der Überlieferung der ältesten Obernberger noch recht Nazis beschmiert worden. Bekannte Nationalsozialisten wurden zum Reini- präsent ist, ist in der dokumentarischen Überlieferung gungsdienst herangezogen. (Foto: ÖNB/Anno) ansonsten kaum zu finden. beschränkt haben, den Karl Gamisch in seinem Brief Der Gummiwurst-Sonntag an die BH-Ried anführt.17 Das Fehlen von Toten erklärt das NS-Blatt „Österreichischer Beobachter“ mit der Sucht man nach Gründen, welche die überproportio- „Besonnenheit“ der Betroffenen, dürfte aber eher im nale Hinwendung Obernbergs zum Nationalsozialis- Überraschungsmoment und der überlegenen Bewaff- mus erklärt, so mag man diesen an einem Tag Ende Juli nung der Angreifer begründet gewesen sein. Nachdem 1934 finden. Die österreichweit gescheiterte Revoluti- man die NS-Sympathisanten mit dem Aufhängen und on der Nationalsozialisten, die mit der Ermordung des Erschießen bedroht hatte, und die Situation zu eskalie- Bundeskanzlers Dollfuß am 25. Juli 1934 begann, führ- ren drohte, entschied sich der Chef der Obernberger te innerhalb einer Woche zu Auseinandersetzungen in Gendarmerie doch noch zu einem Anruf bei der Rie- ganz Österreich. Im Bezirk Ried rief sie nirgendwo en- der Bezirkshauptmannschaft. Bezirkshauptmann Alfred ergischere Reaktionen hervor als in Obernberg am Inn. Kolbe, der erst seit April im Amt war und die Ver- In einer offenbar konzertierten Aktion marschierten hältnisse in Ried noch zu wenig kannte, aber insgesamt Heimwehrtruppen und VF-Funktionäre aus der gan- der NSDAP durchaus Sympathien entgegenbrachte,18 zen Gegend (vor allem aus St. Martin und Ort) nach ordnete die sofortige Freilassung der meisten Angehal- Obernberg, um dort gegen die ansässigen Nazis vor- tenen an. Auch sechs noch verbliebene Inhaftierte wur- zugehen, welche die „Macht an sich reißen wollten.“14 den nach wenigen Tagen freigelassen.19 Die Obernber- Tatsächlich waren diese in den Wochen davor recht ak- ger Gendarmerie, die sich bei der ganzen Sache nicht tiv gewesen. Im Juni 1934 gab es eine gemeinsame Ak- durch übermäßige Professionalität und Einsatzfreude tion der Antiesenhofener und Orter Nazis. Am 10. Juni ausgezeichnet hatte, verstieg sich zu folgendem Archi- wurden allerorten (mit Zentrum Reichersberg) Haken- veintrag: „Im hiesigen Rayon blieb es ruhig. Es wurden kreuze mit Wagenschmiere aufgemalt.15 Grund genug […] lediglich 6 Personen verhaftet.“ Mit der Jagd nach für die Bezirkshauptmannschaft in allen Gemeinden den Obernberger Nationalsozialisten wurde auch der Reinigungskommandos einzurichten (bekannte Natio- Turnverein Obernberg am 29. Juni 1934 aufgelöst und nalsozialisten), welche die Schmierereien wieder zu ent- die wichtigsten Vertreter (soweit es nicht ohnehin die fernen hatten. gleichen Personen waren) kurzfristig festgesetzt.20 Lei- der erfahren wir nichts über die Anzahl der insgesamt In Obernberg waren im Jahr 1934 lt. Pfarrchronik 20 festgesetzten Personen – was ein wichtiger Rückschluss Mann Heimwehr in zwei Gasthäusern stationiert, vor auf die Stärke der Obernberger NSDAP 1934 gewe- der Apotheke soll sich ein Maschinengewehr befunden 16 sen wäre. Das NS-Blatt „Österreichischer Beobachter“ haben. Bei den bekannten Obernberger Nationalso- schreibt in seiner Rückschau von 1938 lediglich, dass zialisten wurden Hausdurchsuchungen gemacht und „17 Kronzeugen jederzeit erscheinen und alles beei- diese dann unter Schlägen (die Angreifer waren mit Ge- den (…)“ könnten.21 Für die lokale Parteiprominenz wehren und Gummiknüppeln bewaffnet) auf die Straße in Obernberg wurde der „Gummiwurstsonntag“ am getrieben. Die politisch bereits gespaltene Obernberger 29. Juli 1934 zum Gründungsmythos: „Dies alles mus- Gendarmerie (mehrere Beamte waren regimetreu, an- sten sie erdulden nur weil sie als Nationalsozialisten dere auf der Seite der Nationalsozialisten) entschied bekannt waren und von einigen Hetzern (…) verfolgt sich für ein Nichteingreifen, was die Rachegelüste der wurden.“22 Heimwehrleute noch angetrieben haben mag. Die auf- gescheuchten Opfer dürfte die Aktion auf dem falschen Teilweise zeigten die NS-Anhänger in den Obernberger Fuß erwischt haben. Gegenwehr in organisierter Form Gasthäusern vor und nach dem „Gummiwurstsonntag“ ist nicht bekannt und dürfte sich auf den Faustschlag ihre Gesinnung ganz offen. Gerade bei größeren Ver-

18 anstaltungen war das der Fall. So etwa anlässlich eines gegeben. Die Obernberger Gegend war den Behörden 1934 veranstalteten Motorradspektakels, dass die Teil- schon deswegen verdächtig, weil die Gemeinden an der nehmer im Gasthaus des Max Hohla ausklingen ließen. Grenze lagen. Immer wieder flüchteten Nationalsozia- Die offenbar betuchten Gäste machten mit „Heil Hit- listen über den Inn nach Deutschland. Dort, wo diese ler!“ Rufen auf sich aufmerksam.23 Die zahlreichen an- Flucht mit der Zille und in der Nacht erfolgte, kamen wesenden Obernberger NS-Anhänger, die sich immer die Flüchtenden meist ohne Probleme nach Deutsch- wieder im Hohla-Gasthaus trafen, gaben an, keine Heil land. Wo man nur Briefe schmuggelte und den Auf- Hitler Rufe gehört zu haben. Die BH-Beamten wussten wand einer nächtlichen Überquerung scheute, war man natürlich, wo sich die ortsbekannten Nazis aufzuhalten auf die Obernberger Drahtseilfähre angewiesen. Und pflegten und stellten das Gasthaus unter Beobachtung. hier kontrollierten die Zollbeamten, wie man aus den Der Wirt Max Hohla stand wie sein Sohn auf einer ge- immer wieder gefundenen Briefen an die Geflüchteten heimen Liste von Motorradbesitzern aus Obernberg, (teilweise schlossen sich diese der österreichischen Le- denen die Gendarmerie illegale – nationalsozialistische gion an) weiß.30 Auch wer sich zu sicher war und die – Tätigkeiten zutraute.24 Gleiches galt für das Wirtshaus Überfahrt mit der Zille am Tag wagte, konnte hin und in Graben, in dem sich die dortigen NS-Vertreter trafen. wieder erwischt werden. „Als Karl. H. bereits die Zil- Auch hier kam es immer wieder zu NS-Betätigungen.25 le bestiegen hatte (…) sprang Gendarm F.H. aus dem Die führenden Nationalsozialisten, die in Obernberg Gebüsch und forderte den H. unter Androhung ei- gut vernetzt waren, und eher der Oberschicht angehör- nes Waffengebrauchs auf, wieder zurückzufahren und ten, dürften von der Bespitzelung bald Wind bekom- zu landen.“31 Aber auch erlaubte, reguläre Besuche in men haben. Es ist auffällig, dass sich im Fahndungs- Deutschland tragen die Gefahr der Destabilisierung der netz der „Gasthausspione“ bald nur mehr Menschen in Grenzregion in sich. So besuchten 1935 Landwirte aus prekären Arbeitsverhältnissen verfingen, die spätabends Obernberg und St. Georgen eine Tierschau in Pocking. und oft angetrunken ihren Unmut über die Vaterlän- „Man hat die Angekommenen empfangen und ihnen dische Front äußerten. Als Beispiel sei hier der Zeuge nur das Schönste von dem Gezeigten vorgeführt. Die J. W. angeführt, der nach einem von ihm belauschten Folge ist, daß die Erwähnten überzeugt sind, daß es un- Gespräch angibt: „B. hat sich im Gasthause (…) mir ter Hitler besser ist als in Österreich.“32 Andere verfolg- gegenüber (…) geäußert, daß die vaterländische Front te Nationalsozialisten wählten entferntere Ziele. Der eine Mißgeburt sei und das die jetzt dazugehen lau- Beamtenanwärter K. aus Reichersberg hätte wegen der ter Falotten sind“.26 Gerade für die hart arbeitenden Verteilung von Flugblättern für die NSDAP eine Ar- Knechte, die sehr wohl realisierten, dass die Fabriksar- reststrafe antreten sollen. Einigermaßen ratlos schreibt beiter ihnen einkommensmäßig davonzogen und dass der Postenkommandant von Antiesenhofen an die BH- die starre ständische Ordnung, wie sie in Österreich Ried: „Ad obigem Auftrag wird angezeigt, daß K. seine in den 30er Jahren etabliert wurde, Wachstumsbremse Strafe bisum nicht angetreten hat und er am 20.7.d.J. war, konnte die „Hitlerpartei“ eine Alternative sein. So nach Italien abgereist ist. Er soll dort in Stellung getre- meint ein Obernberger Hilfsarbeiter 1935: „Wir Arbei- ten sein und dürfte kaum mehr zurückkehren. Dessen ter müssen die Beamten erhalten, Der Klerus, die Gen- Adresse ist dermalen unbekannt.“33 Einem weiteren Akt darmerie alle anderen Beamten gehören weg, niemand zu der Geschichte K. verdanken wir die Einsicht, dass kann uns retten als der einzige mein bester Freund, Mitte 1933 zwar eine bereits starke Obernberger NS- “.27 (sic!) Ebenfalls fast typisch für die Zeit, DAP bestand, die Reichersberger Partei, zu welcher der jene Begebenheit, in welcher der Franz S. für die Win- K. gehörte, aber noch sehr am Anfang stand.34 Die Po- terhilfe der VF28 in Obernberg sammeln geht und dabei stenkommandanten von Antiesenhofen und Obernberg an den Nationalsozialisten B. gerät. Dieser erklärte für hatten damals eine wichtige Funktion. Kamen illegale die Sammlung nichts zu geben, da es eine eigene solche Nationalsozialisten in das Fadenkreuz der Staatsmacht, Winterhilfe für in Not geratene NS’ler gebe. Es gebe so wurde von den Postenkommandanten eine polizeili- mehr Nazis als früher, so der B. „[…] und auch sie sind che Einschätzung des Betroffenen abgegeben. So entla- einmal froh, wenn sie in diese Kluft schliafn (anziehen) stet etwa der Obernberger Kommandant einen offenbar können.“ Solche Aussagen brachten den Betroffenen Bekannten, der im Kaffeehaus Freimüller in Obernberg meist mehrere Wochen bzw. auch Monate Gefängnis „Heil Hitler!“ gerufen haben soll, so: „Das politische in Ried ein. Nachdem die Anzeige dann erfolgte, ver- Verhalten des Angezeigten war bisher immer vollkom- suchten die Angezeigten ihre Aussagen kleinzureden men einwandfrei und ist W. bisher als Motorradfahrer und verwiesen meist auf gesteigerten Alkoholkonsum. und Heimwehrmann beim hiesigen Posten für eventu- Die Reichen hatten andere Möglichkeiten. Etwa jener elle Ordonanzdienste in Verwendung und war derselbe Reichersberger Bauer, der während der Erntezeit im stets gerne bereit, sich selbst samt seinem Motorrade Herbst 1934 gegen die Heimwehren agitierte und ei- der Gendarmerie zur Verfügung zu stellen.“35 In dem nen seiner Arbeiter beleidigte. Nachdem dieser ihn an- Fall konnte die Obernberger Gendarmerie mit diesem zeigte, konnte er sich zumindest den bekannten Rieder Eintreten eine von der BH-Ried bereits ausgesprochene Anwalt Reinhold Graf leisten. Nachdem der Bauer G. Arreststrafe für W. ungeschehen machen. auch noch seine Absicht bekundet hatte, der VF beizu- treten, dürfte die Sache dann auch im Sand verlaufen Es wäre jetzt aber ein falsches Bild, zu glauben, die Aus- sein.29 Natürlich war solche Finanzkraft nicht jedem einandersetzungen dieser Jahre hätten sich nur zwischen

19 der Gruppe kam es aber wegen des Einmarsches nicht mehr.38 Genauso erging es der NSDAP Obernberg. Auch hier wurde ein Teil der Führungsriege Ende 1937 inhaftiert, um die Namen der restlichen führenden Köpfe zu erfahren. Die belasteten Personen, die bei der Vernehmung alle angaben, „mittellos“ zu sein, gehörten als Kaufleute, Schuhmachermeister und Uhrmacher zu den besser verdienenden Obernbergern. Mit dem Ein- marsch im März 1938 begann dann auch für Obernberg die NS-Herrschaft. Durch die intensive Vorarbeit der starken illegalen NSDAP war die NS-Partei in Obern- berg zu einer Volksbewegung geworden, der große Tei- le der Bevölkerung anhingen. Wie überall erfolgte die Illegale Nazis schmuggelten NS-Zeitungen meist mit egenen Zillen . Hier eine Umgestaltung des Gemeinderates, das Verbot aller ka- Aufnahme aus dem Jahr 1943. (Foto: Sommerbauer) tholischen Vereine. Alle drei Geistlichen (Nußbaumer, Falkensteiner und auch der pensionierte Pfarrer Peham) der Gendarmerie und der NSDAP abgespielt. Als wei- wurden vorläufig in „Schutzhaft“ genommen. Pfarrer tere politische Faktoren galten die Heimwehren. Diese Nußbaumer, der Ehrenbürger von Obernberg gewesen waren bis etwa 1935 bei uns recht einflussreich, gingen war, wurde diese nach dem Einmarsch aberkannt. Die dann aber in der Vaterländischen Front (VF) auf (was NS-Zeit endete erst nach sieben Jahren, am Nachmit- nicht ohne Reibungen abging und in Antiesenhofen tag des 2. Mai 1945, mit dem Beschuss und dem Ein- etwa zu massiven politischen Auseinandersetzungen marsch der US-Truppen im Markt Obernberg.3 9 bei der Besetzung des Bürgermeisteramtes führte). In Eichsteininger Hannes Obernberg rückten die Nationalsozialisten nach dem 1 Der Terminus „Verbotszeit“ wurde von der NSDAP selber geprägt. Da er aber auch Februarputsch von 1934, der in ganz Österreich das im Zuge der Entnazifizierungsverfahren gängig war, erlaube ich mir die Verwendung des Wortes, weise aber hier auf seinen Ursprung hin. Anm. des Verfassers Verbot der SPÖ mit sich brachte, als Feindbild ins Zen- 2 Das sind gerollte Zeitungspapierpakete mit Sprengstoff und einer Zündschnur drinnen. Anm. des Verfassers trum von Heimwehr und VF. Charakteristisch im Um- 3 Leider ist die Mitgliederkartei des Kreises Ried nach dem Krieg verschollen. Sie wurde gang miteinander ist jene Episode, in der ein SA-Mann nicht von den Nazis selber vernichtet – da man sie während der Entnazifizierungsverfahren in Ried noch hatte. Der leider schon verstorbene exzellente Rieder Historiker Franz Ramin- und ein Heimwehrmann in Reichersberg über die Frage ger hat sie als junger Mann selber noch gesehen. Anm. des Verfassers 4 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried/St.P/III-1319/1937/Verhandlungsschrift der der Nachtruhe aneinandergerieten: „[…] B. weigerte BH-Ried gegen H. 5 Innviertler Heimatblatt, 24. November 1938, S.8 sich und machte gegenüber dem Heimwehrmann fol- 6 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried/St.P/III-1319/1937/Gendarmerie Obern- berg an die BH Ried gende Äusserungen: „Von dir lasse ich mich überhaupt 7 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933- nicht ins Bett schaffen, du scheiss Heimwehrer du. Ich 1938, Anzeige der Gendarmerie Obernberg 8 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried/St.P/III-1319/1937/Gendarmerie Obern- werfe dich hinaus auf den Misthaufen und bringe dich berg an die BH Ried 9 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933- um. Ihr Scheiss Heimwehrer mit eurem Führer Star- 1938, Anzeigenkonvolut gegen Karl Gamisch 10 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1513/1936/Strafverhandlungs- hemberg, ihr könnt ja sonst nichts als stehlen, das hört schrift BH Ried gegen O. 11 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1513/1937/BH Ried, Verwar- man ja überall reden. Ich bin ein S.A. Mann und bleibe nung gegen F. es auch. Ich habe auch beim Juliputsch mitgemacht.“36 12 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933- 1938, Anzeige gegen Leo G. Oft gerät die Kritik am ungeliebten Regime bei aller 13 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933- 1938, Brief des Karl Gamisch an die BH-Ried Bitterkeit ins Groteske. So wird ein Obernberger vom 14 Österreichischer Beobachter S. 48-49 (7/1938) 15 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 26, BH Schreiben an den Rei- Pfarramt angezeigt, weil er sein Kind 1935 (in Abwe- chersberger Bürgermeister. 16 Vgl. handgeschriebene Pfarrchronik Obernberg, Eintrag zum Jahr 1934 senheit des Obernberger Pfarrers Johann Nußbaumer, 17 Vgl. Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen eine Vertretung war da) den Namen Adolf Horst ge- 1933-1938, Brief des Karl Gamisch an die BH-Ried 18 Vgl. https://e-gov.ooe.gv.at/bgdfiles/p3917/Kolbe_Alfred.pdf geben hat. Die Anlehnung an Hitlers Vornamen und 19 Vgl. Gendarmeriechronik des Postens Obernberg, 1934, Eintrag vom 25.Juli 20 Vgl. handgeschriebene Pfarrchronik Obernberg, Eintrag zum Jahr 1934 den bekannten Nationalsozialisten Horst Wessel war 21 Österreichischer Beobachter S. 48 (7/1938) 22 Österreichischer Beobachter S. 48 (7/1938) offenkundig. Der betroffene Vater rechtfertigt sich da- 23 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 26, Anzeige des Postens Obern- berg an die BH-Ried. mit, dass der Ortspfarrer auf ihn schlecht zu sprechen 24 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 26, sei und den Namen damit, […]weil es ein deutscher 25 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 26/2: Nachrichtendienst-Dienst- schreiben, BH-Ried. Name ist, und ich glaube, daß ich mein Kind deutsch 26 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933-1938, BH-Anzeigeakt gegen A.B. Rechtschreibung im Original übernommen! taufen lassen kann. […] Horst ist ein reiner deutscher 27 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried,, Schachtel 26/2, Nachrichtendienst 1935, An- zeige gegen B. Name, bzw. ein protestantischer Name; es ist selbstver- 28 Vaterländische Front 29 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 406, Verwaltungsstrafen 1933-1938, ständlich, daß ich ihm diesen Namen geben kann, weil Vernehmungsprotokoll der Gendarmerie Antiesenhofen im Fall G. 37 30 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 19 -1938, wir Österreicher doch auch Deutsche sind.“ Strafverhandlung gegen A.S 31 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried,, Schachtel 26/2, Nachrichtendienst 1935, Straf- verhandlungsschrift gegen H. Die BH-Ried arbeitete im Zusammenspiel mit den bei- 32 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried,, Schachtel 26/2, Nachrichtendienst 1935 33 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1285/Arreststrafe K. den Gendarmerieposten Obernberg und Antiesenhofen 34 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1285/Gendarmeriekommando 1937 auch an der Zerschlagung der recht starken illega- Antiesenhofen an die BH Ried, 7.Juni 1933 35 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1513/1936/ Gendarmeriekommando len SA von Ort. Die Gruppe, die Exerzierübungen ab- Obernberg an die BH Ried, Juli 1936 36 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried,, Schachtel 26/2, Nachrichtendienst 1935, An- hielt, wurde von den eigenen Leuten verraten. Mehrere zeige der Gendarmerie Antiesenhofen gegen Josef B. 37 OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, Schachtel 404, Verwaltungsstrafen 1933-1938, Verhaftungen wurden vorgenommen und Tatprotokol- Strafverhandlungsschrift gegen B. aus Obernberg 38 Vgl. OÖLAV: Politische Akten der BH Ried, St.P / III-1661/1937/ Verhandlungsschrift le der betroffenen Personen erstellt. Zur Zerschlagung gegen S. 20 Das Gausängerfest in St. Georgen 1937

m Jahre 1937 wurde in St. Georgen bei Obernberg das GAUSÄNGERFEST Unterinngau des Oberö- I sterreichischen Sängerbundes ausgerichtet. Anlass war das 50-jährige Bestandsjubiläum der 1. Bauernliedertafel St. Georgen, die im Jahre 1885 gegründet wurde. Viele Vereine aus dem Sänger–Gau waren gekommen, um mit der 1. Bauernliedertafel in St. Georgen das Ju- belfest zu feiern. Verdiente Gründungsmitglieder der 1. Bauernliedertafel wurden hier 1937 geehrt.

Der Obmann der 1. Bauernliedertafel, Schulleiter Her- mann Edtbauer, konnte viele Gäste aus nah und fern begrüßen. Viele Gastvereine, auch aus dem reichsdeut- schen Raum, nahmen mit ihren Fahnen an der Ver- anstaltung teil. Daher sieht man auf den Bildern die Hakenkreuzfahne neben der Kruckenkreuzfahne des österreichischen Ständestaats. Solche außergewöhn- lichen Aufnahmen sind selten!

Hans Hörtl

Seltene, kaum bekannte Bilder des Gausängerfestes in St. Georgen bei Obernberg 1937. (Fotos: Hörtl Hans / Liedertafel)

21 St. Georgen 1943: Bauer wegen zu wenig Ablieferung von Milch angeklagt! Auch auf den Bauernhöfen in unserer Gegend bekam Wie wenig die Nazis vor erpresserischen Aktionen ge- man die Willkür der Nationalsozialisten zu spüren, wie gen die Landbevölkerung zurückschreckten, zeigt der auch der folgende Fall zeigt. Am Brandmeierhof in St. Fall eines St. Georgener Landwirts, der es Georgen durchlebte man vom Frühjahr 1943 bis zum sich mit der NS-Bürokratie verscherzte. Herbst 1944 nicht nur wegen der Kriegssituation eine Zumindest er konnte sich wehren und mit turbulente Zeit. Der damalige Bauer Georg Schwarz- Hilfe eines Anwalts das Schlimmste verhin- mayr-Lindinger wurde in einer Anklage beschuldigt, dern. gegen das Gesetz der Schädigung der Kriegswirtschaft verstoßen zu haben. lm Falle einer Verurteilung musste man schon bei geringfügigen Verstößen mit schweren Gefängnisstrafen bis zur Todesstrafe rechnen. lm be- schriebenen Fall wurde unterstellt, „Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören“, zurückgehalten zu haben und dadurch „böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet zu haben“. Dazu sollte erwähnt werden, dass Georg mit den Ideen der NSDAP nicht viel am Hut hatte und nicht besonders „koopera- tionsbereit“ war. Ihm wurde von der „Landesbauern- schaft Oberdonau“ vorgeworfen, zu wenig Milch abge- liefert zu haben und dadurch die Selbstversorgerquote überschritten zu haben. Tatsächlich lieferte er nur den Rahm ab und verarbeitete die Magermilch zu Käse und die anfallende Molke wurde an seine Schweine verfüt-

tert. Diese Vorgehensweise war zu dieser Zeit unüblich. Aberkennung der Kinderbeihilfe durch die NSDAP (Foto: Schwarzmayr) Glücklicherweise konnte er mit Hilfe seines Anwalts den Beweis erbringen, die daraus gewonnenen Produk- te (Käse und Schweinefleisch), wie gesetzlich angeord- Verfahrens beantragt. Der Staatsanwalt wies diesen An- net, abgeliefert zu haben. Daraufhin wurde er vom Son- trag jedoch ab. Daraufhin strich ihm der Kreisleiter der dergericht beim Landgericht Linz freigesprochen. Die NSDAP in Ried Kinderbeihilfe und Ausbildungsbeihil- anklagende Behörde reagierte beleidigt. Deshalb wurde fe für seine vier Kinder. Kurz darauf war die Zeit der ihm einen Monat später ohne Angabe von Gründen Nationalsozialisten abgelaufen und von da an blieb er verweigert, Landwirtschaftslehrlinge auf seinem Betrieb von weiteren einschränkenden Maßnahmen verschont. auszubilden und es wurde die Wiederaufnahme des Schwarzmayr-Lindinger Julia

Aberkennung des Ausbildungsrechtes 1944 (Foto: Schwarzmayr)

22 NS Opfer in Obernberg und im Grenzland Von Euthanasieopfern, Widerstandskämpfern und KZ-Insassen

er an die Verfolgten in der NS-Zeit denkt, der In Obernberg, Reichersberg, St. Georgen What häufig das Schicksal der Juden vor Augen. und Kirchdorf gab es auch Widerstand Diese Bevölkerungsgruppe befindet sich mit einer Aus- und Verfolgung. Auffallend sind zwei nahme nicht unter den Opfern aus den Gemeinden Gruppen: Die hohe Anzahl der Spanien- Obernberg, St. Georgen, Reichersberg und Kirchdorf kämpfer (die dann meist im KZ Dachau – einfach, weil es hier keine jüdischen Bürger gab. Viel inhaftiert wurden) und die Häufung je- ner Menschen, die vor allem aufgrund physischer und schwerer wiegen die Opfer, welche in den Euthanasie- geistiger Behinderung ermordet wurden. Daneben gibt anstalten Niedernhart und Hartheim ermordet wurden. es Einzelfälle, wie dem jener Jüdin, die wegen des Hörens Hier handelt es sich um Menschen unterschiedlichen von „Feindsendern“ im KZ landete - und überlebte. Alters. Die Auslöschung „unwerten Lebens“ – auch als Aktion „T4“ bekannt, ist berüchtigt. Über 70.000 Menschen, vorwiegend mit geistigen, körperlichen und Hartheim wurden meistens durch Giftgas ermordet, in Niedernhart war das Ermorden mit der Giftspritze oder seelischen Beeinträchtigungen wurden insgesamt er- 4 mordet.1 Diese Tötungen, ab 1940 begonnen, wurden überdosierten Medikamenten der Regelfall. Allerdings 1941 im Deutschen Reich immer bekannter, was Hit- gab es auch natürliche Todesursachen in Niedernhart ler persönlich im August 1941 zur deren Einstellung – ob jemand gezielt ermordet wurde oder es sich um bewog. Viele der Obernberger Opfer sind erst danach natürliche Todesursachen handelte, ist im Einzelfall oft gestorben, da sie offenbar erst nach Ende der „T4“ Tö- schwer zu eruieren, weil begreiflicherweise praktisch alle Hinweise auf Überdosierungen und gezielte Tötungen tungen von Hartheim in die Anstalt Niedernhart bei 5 Linz kamen oder überhaupt nur von Obernberg nach in den Akten fehlen. Niedernhart eingewiesen wurden. Einige der Getöteten Die Zahl der Obernberger Opfer ist hoch, von den der- wurden auf den ersten Blick auch in Deutschland er- zeit 94 bekannten Euthanasieopfern des Bezirkes Ried6 mordet bzw. in Tötungsanstalten eingeliefert So etwa 2 kommen acht aus unseren Gemeinden. Aber nicht alle Margarete B. aus Obernberg. Sie wurde offenbar 1940 Opfer aus unserer Gegend waren „Euthanasieopfer“. in die Anstalt Brandenburg an der Havel verlegt. 9000 Menschen sind dort im Zuge von „T4“ ermordet wor- den. Auch Ludwig E. aus St. Georgen wurde im selben Jahr anscheinend nach Brandenburg/Havel eingeliefert. Er war vorher bereits in Hartheim. In Baden-Württem- berg befand sich die Tötungsanstalt Grafeneck. Franz A. aus St. Georgen wurde offenbar dorthin verbracht. Allerdings sind diese Angaben mit Fragezeichen behaf- tet. Wie der Leiter des Dokumentationszentrums Hart- heim, Peter Eigelsberger, weiß, wurden die Todesbe- scheinungen zwar von diesen deutschen Anstalten aus- gestellt, meistens wurden die Menschen aber trotzdem in Oberösterreich umgebracht. Man wollte mit diesem Versteckspiel nur vermeiden, dass Angehörige die To- ten noch einmal sehen wollten – was bei der kurzen Guernica in Spanien nach der Zerstörung durch die Legion Condor Distanz von Hartheim nach Obernberg ja möglich ge- (Foto: Deutsches BA Bild 183-H25224) wesen wäre.3 In der Mordanstalt Niedernhart bei Linz verloren die meisten Menschen aus unseren Gemein- den das Leben: Johanna K. verliert dort ihr Leben. Sie Andere Bürger aus Obernberg und Umgebung kamen wird 1939 eingeliefert und 1941 ermordet. Kreszenz in Dachau ums Leben oder wurden dort inhaftiert und G. aus Obernberg wird dort ebenfalls 1939 eingelie- überlebten. Pater Berndl ist so ein Fall (vgl. den aus- fert, sie wird im Februar 1942 ermordet. Johann B. führlichen Artikel dazu), aber auch Georg Hirsch. Er aus Obernberg wird 1942 nach Niedernhart gebracht wurde im Februar 1940 in Dachau eingeliefert und war – er überlebt nur wenige Wochen. Aloisia M. wird im bereits vorher in Mauthausen und Sachsenhausen inhaf- April 1943 eingeliefert und am nächsten Tag ermordet. tiert. Am 5. Juni 1940 wurde er in Dachau ermordet. Josef E. aus Obernberg überlebt nur zwei Tage und 7 Der in Kirchdorf am Inn lebende Johann Knirzinger stirbt im Jänner 1943. Er wird gerade einmal 14 Jahre wurde nach Dachau eingeliefert und im Mai 1944 ins alt. Nur wenige, wie Franz A., werden aus Niedernhart KZ Neuengamme überstellt. Vermutlich ist er auf dem entlassen. Sie kommen meist in andere Lager, wie eben Weg dorthin ermordet worden.8 Rudolf Lentner, gebo- Franz A., der vorher in Hartheim war. Die Opfer in ren 1902 in Obernberg, wurde in der NS-Zeit politisch

23 verfolgt und vermutlich am 30. August 1944 in Wien hingerichtet.9 Fischer Josef aus Obernberg wurde 1914 in Obernberg geboren. Er wurde 1940 nach Dachau gebracht, nachdem er bereits vorher in Mauthausen inhaftiert gewesen war.10 Aber es gab auch Widerstand gegen das NS- Regime, der mit Obernberg verbunden werden kann: Der nach dem 2. Weltkrieg in Obernberg lebende Trafikant Stadlbauer Josef (in Spanien, Deckname: Watzek Rudolf) war einer der Fe- bruarkämpfer11 auf der Seite des Schutzbundes gegen den Heimatschutz und das Bundesheer. Er emigrierte 1934 in die Sowjetunion und ging 1937 nach Spanien, um gegen das faschistische Franco-Regime zu kämpfen. Nach seiner Rück- kehr wurde er vier Jahre in Dachau inhaftiert. Nach dem Krieg war er KPÖ Mitglied und Teil der Zivilverwaltung Mühlviertel. Gestorben ist der Wahlobernberger 1973 in Obernberg. Ein anderer Spanienkämpfer aus Überzeugung war der St. Georgener Ferdinand Schaller. Der Ange- Schloss Hartheim, heute eine Gedenkstätte (Foto: Wikipedia) stellte war überzeugter Kommunist und emigrierte 1937 in die Sowjetunion. Von dort ging er nach transporten ihres Geburtsortes Frankenthal nach Dach- Spanien und ist im Bürgerkrieg 1938 gefallen. Zu bei- au16. Wahrscheinlich hat Frau Weynen ihre Ehe zu ei- den Spanienkämpfern hat das Spanienarchiv des Do- nem „Deutschen“ zu diesem Zeitpunkt noch geschützt kumentationsarchivs des österreichischen Widerstands oder die Familie lebte damals schon woanders. Inwie- in Wien umfangreiche Personendossiers. In Obern- weit die „Selbstanzeige“ der Irma Irene Weynen von berg 1910 geboren, wurde Wiesbauer Rudolf 1943 des ortsansässigen Nationalsozialisten initiiert war – was, Hochverrats (bzw. der Vorbereitung dazu) beschuldigt wenn man die Parallelen im Fall des Pfarrers Berndl vor und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.12 sich hat, naheliegt, wäre Gegenstand weiterer regional- geschichtlicher Forschungen zu Obernberg. Auch vereinzelte Widerstandsaktionen gab es in Obern- berg. So tauchten im Oktober 1939, also kurz nach Obernberg hat einen sehr schönen Kulturweg, mit Kriegsbeginn in Obernberg Flugblätter auf, auf denen vielen interessanten Infotafeln, engagiert gepflegt vom geschrieben stand: „Adolf H. der Menschenmörder“ so- Musealverein. Vielleicht wäre bei einer allfälligen Neu- wie: „Göring und Heß sind Lausbuben.“13 Trotz eifrigen gestaltung auch Platz für eine Tafel, die auf das Schick- Nachforschens fand die Linz, die sich der Sache sal der Obernberger NS-Opfer hinweist? annahm, die Täter nie. Bis heute ist unbekannt, wer der Eichsteininger Hannes oder die hellsichtigen und tapferen Menschen waren,

die ein ungewöhnlich frühes Zeichen dafür setzten, dass 1 https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4, abgerufen am 11.01.2018 nicht alle Menschen in Obernberg mit der NS-Herr- 2 Aus Gründen des Schutzes nachgeborener Kinder und Verwandte der Eutha- schaft einverstanden waren. Die Obernberger Flugblat- nasieopfer erfolgt die Abkürzung der Nachnamen. Anmerkung des Verfassers 3 Vgl. Gespräch des Autors mit Peter Eigelsberger in Hartheim am 23.01.2018 taktion ist eine der wenigen, gerade in der ersten Phase 4 Vgl. Häupl, Waltraud: Spuren zu den ermordeten Kindern und Jugendlichen erschreckend schwachen, oberösterreichischen Wider- in Hartheim und Niedernhart, 2012, Klappentext 5 Vgl. Gespräch des Autors mit Peter Eigelsberger in Hartheim am 23.01.2018 standsaktionen gegen das Regime und anders als etliche 6 Gansinger, Gottfried: Nationalsozialismus im Bezirk Ried, Widerstand und andere14 auch bisher nirgends dokumentiert. Verfolgung 1938-1945 7 https://stevemorse.org/dachau/dachau.html , abgerufen am 12.01.2018 8 Schriftliche Mitteilung der Gedenkstätte Neuengamme, 15.11.2018 Wie am Anfang festgestellt, gab es viele Arten der Ver- 9 Anfrage an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, folgung im Dritten Reich, nicht nur die Judenverfol- 15.01.2018 10 https://stevemorse.org/dachau/dachau.html, abgerufen am 12.01.2018 gungen. Eine Jüdin gab es in Obernberg doch: Die Frau 11 Im Februar 1934 erhoben sich ein der SPÖ nahestehender bewaffneter Ver- jenes Mannes, der den Kraftwerksbau in Obernberg lei- band, eben der Schutzbund, gegen die autoritär agierende österreichische Regie- rung. Anm. des Verfassers tete. Hier lebte sie bis 1944, ehe sie doch noch in die 12 Vgl. Gansinger, S.208 Fänge der NS-Maschinerie geriet. Wegen angeblichem 13 Vgl. Politische Akten der BH Ried, Schachtel 26, BH Schreiben des Gendar- Hören von Feindsendern, soll sie sich selber (!) angezeigt meriepostens Obernberg an die Gestapo Linz, 11. Oktober 1939 14 Vgl. Angerer Christian und Ecker Maria: Nationalsozialismus in Oberöster- haben. Sie wurde dann in ein KZ verbracht, überlebte reich, Opfer.Täter.Gegner, 2014, S. 309-332 aber den Krieg.15 Die Biografie von Irma Weynen (ge- 15 Vgl. Gansinger, S.124 16 http://juden-in-frankenthal.de/mitteilungen-an-die-medien/2013, abgeru- borene Nachmann) und ihres Mannes Rudolf Weynen fen am 23.01.2018 ist nur recht rudimentär bekannt. Die Informationen gehen im Wesentlichen auf eine Zeitzeugin zurück. Je- denfalls waren die Nachmanns nicht unter den Juden-

24 Ein Obernberger Pfarrer in Dachau Die Leidensgeschichte von Anton Berndl

m 15.3.1940 kam ein zurückhaltender, angeneh- Einer Pfarrerköchin seine Liebe zu geste- Amer und vor allem ungemein gebildeter Mensch hen, konnte im Dritten Reich KZ bedeu- nach Obernberg: Pater Anton Berndl. Er übernahm hier ten. Zumindest wenn man zur falschen das Benefiziat und sollte in Obernberg und Umgebung Zeit am falschen Ort war und Pfarrer mithelfen, die kirchliche Struktur aufrechtzuerhalten, und Jesuit war. Die Leidensgeschichte die von den Nazis überall angegriffen wurde. Er wirkte des hochgebildeten Jesuiten und Obern- hier fast zwei Jahre – dann wurde er von der GESTA- berger Pfarrers Anton Berndl ist traurig - PO verhaftet und es begann ein Martyrium, das Anton und ohne die Mithilfe lokaler NSDAP praktisch nicht denkbar. Berndl für drei Jahre in das Konzentrationslager nach Dachau bringen sollte. Wer war der Mann, auf den die NS-Schergen so viel Aufmerksamkeit richteten? der NS-Zeitschrift „Österreichischer Beobachter“ auf- taucht. Dort ist von einem Geistlichen die Rede, der Berndl wurde am 9. August 1896 in Langenlois in NÖ „[…] seiner standhaften Haushaltsgehilfin so lange Lie- geboren. Seine Eltern waren Weinhauer. Der begabte besanträge machte, bis es zu seiner Verhaftung kam.“5 Junge absolvierte das Gymnasium am Jesuitenkolleg in Oberhollabrunn, wo er 1914 maturierte. Im Anschluss Warum wurde Berndl überhaupt verhaftet? Ganz klar ist war er drei Jahre im Wiener Priesterseminar, dann trat das nicht. Offenbar haben mehrere Gründe mitgespielt. er 1917 bei den Jesuiten in St. Andrä im Lavanttal1 ein. Priester waren ja den Nazis verhasst, solche die den Jesu- Es war ein armes Stift – so arm, dass in den 20er Jahren iten angehörten, besonders. Berndl war Jesuit. Und die der wertvollste Besitz des Stiftes, die Original Guten- NS-Medien zogen 1941 ohnehin eine mediale Hetz- berg Bibel – das wertvollste Buch der Welt – verkauft kampagne durch, welche sich speziell gegen die Jesuiten 6 werden musste um die Stiftsgebäude zu erhalten.2 richtete. Von der Rieder Staatsanwaltschaft wurden nicht näher ausgeführte „sittliche Verfehlungen“ geltend Nach der zweijährigen Probezeit (Noviziat) wurde gemacht.7 Anders als heute waren sexuelle Verbalinjuri- Berndl zum Philosophiestudium (1919-1921) und en kein strafbarer Tatbestand. Eine Anklage wurde da- Theologiestudium (1921-23) nach Innsbruck geschickt. her auch nie erhoben. In einem vertraulichen Schreiben Priesterweihe: 1924 in Linz. an das bischöfliche Ordinariat schildert Pfarrer Falken- steiner seine Sicht der Dinge. Offenbar hatte Berndl mit Als Altphilologe wurde er anschließend als Gymnasial- einer der damaligen jungen 18-jährigen Hausgehilfin- lehrer für Latein und Griechisch im Jesuitenkolleg am nen angebandelt. Die Sache wurde publik. Als vorder- Freinberg in Linz eingesetzt. Als die Schule 1938 von gründige Demütigung wurde Berndl zur Untersuchung Nationalsozialisten geschlossen wurde, musste er ans auf Geschlechts- Stiftsgymnasium der Benediktiner in St. Paul im La- krankheiten zur vanttal wechseln. amtsärztlichen Untersuchung Als 1940 auch St. Paul aufgehoben wurde, kam er als nach Ried vor- Seelsorger nach Obernberg. Hier arbeitete er bis 29. geladen. Anstatt, Oktober 1941. Die Pfarrchronik Obernbergs berichtet: was klug gewesen „Welch traurige Überraschung als der Pfarrer an diesem wäre, aus Obern- Tage von Reichersberg heimkehrend seinen Mitarbeiter 3 berg wegzugehen, nicht mehr antraf!“ Er war ohne Rechtsgrundlage von blieb Berndl dort der Geheimen Staatspolizei verhaftet worden und wur- und wurde 8 Tage de in der Folgezeit nach Ried und Linz und schließlich 8 4 später verhaftet. in das Konzentrationslager Dachau überstellt.“ Pfarrer Die Obernberger Falkensteiner ist entsetzt, wurde er doch selber noch NSDAP hatte die am gleichen Tage auf dem lokalen Gendarmerieposten Priesterschaft of- einem scharfen Verhör unterzogen. Das weist darauf fenbar genau im hin, dass die lokalen NS Größen über die Vorgänge Auge. So genau, zumindest sehr gut informiert waren – wenn sie nicht dass das bischöf- gar selber an der Verhaftung direkt mitwirkten. Leider liche Ordinariat gibt auch die erst nach dem Krieg verfasste Pfarrchronik Der Jesuit Anton Berndl (Foto: Archivs der öster- reichischen Provinz der Gesellschaft Jesu) sich energisch wei- über diese Jahre keinen Aufschluss darüber. Die örtli- gerte einen weite- chen Nationalsozialisten spielten den Fall zumindest an ren Jesuiten hierher die Presse weiter, da der Fall im November 1941 auch in zu schicken.9 Pfar-

25 rer Falkensteiner musste vorderhand ohne geistli- che Hilfe auskommen. Berndl befand sich offen- bar bis Jänner 1942 im Rieder Gefängnis, dann wurde er in Linz gefangen gehalten und von da an bis Kriegsende nach Dachau überstellt. Das Datum ist strittig. Das Jeusitenarchiv gibt an, Berndl wäre bis Juni im Polizeigefängnis in Linz inhaftiert gewe- sen, das Archiv in Dachau führt ihn ab 13. Jänner im Lager (Häftlingsnummer: 30409). Im Gegensatz zu den polnischen Geistli- chen, hatten die deutschen Eingangstor zur Gedenkstätte Dachau (Foto: Diego Delso) und österreichischen Geistlichen im Lager grundsätz- lich eine reelle Überlebenschance. Ab 1942 wurde die Erlaubnis zum Erhalt von Paketen für diese Gruppe österreichischen Häftlingen wurden nur wenige befreit. Die anderen starben, wurden vorzeitig entlassen oder erleichtert. Damit konnten die Geistlichen im Lager 11 Tauschhandel betreiben und im Zuge dessen auch in we- in andere Lager überstellt. Berndl gehörte zu den 45 niger gefährliche Arbeitskommandos gelangen. Alleine Geistlichen, die von den US-Truppen im Lager befreit die Tatsache, dass Berndl die lange Zeit von 1942-1945 wurden. Nach der Befreiung ist der Pfarrer sehr ge- im KZ überlebte, lässt vermuten, dass es beim Obern- schwächt und verbringt eine Auszeit bei seiner Familie berger Geistlichen ebenso war. Natürlich hatte er, was in Niederösterreich. Ab 1947 finden wir ihn wieder als im KZ unerlässlich war, auch Glück im Unglück. Bis Gymnasiallehrer (Latein, Griechisch, Englisch) in St. Mitte 1942 wurden die Geistlichen in Dachau extrem Paul im Lavanttal. Hier wirkt er drei Jahre, ein Jahr brutal behandelt. Auch Berndl kam gleich nach seiner dann im Jesuitenkolleg in Wien-Kalksburg und weite- Ankunft in den „Invalidenblock“, was einem Todesur- re sechs Jahre im Kloster Freinberg bei Linz. Hier war teil durch Giftmord gleichzusetzen war. Da zu diesem Berndl bereits in den 40er Jahren, vor seiner Verhaf- Zeitpunkt aber Gerüchte über Vergasung und Giftmor- tung, zur Erholung gewesen. de an Priestern von Dachau nach außen an die deutsche Von 1958-1968 war Berndl dann Seelsorger bei den Öffentlichkeit drangen, wurden Berndl und andere im Schwestern der Petrus Claver-Sodalität in Maria Sorg/ August 1942 aus dem Todesblock herausgeholt und 10 Lengfelden bei . Er starb dort am 3. März etwas besser behandelt. Von den 447 deutschen und 1968, nach kurzer Krankheit. Es war die Tätigkeit in Obernberg, die den Pfarrer ins KZ brachte. Er ist ein Obernberger NS-Opfer. Eichsteininger Hannes

1 Vgl. Lehner, Martina: schriftliche Auskunft zum Leben des Berndl, Anton vom 11.01.2018. Original im Besitz des Autors. 2 Erworben hat die Bibel übrigens die amerikanische Kongressbibliothek. Zu Weihnachten wird die Bibel jedes Jahr im Fernsehen präsentiert - eine Bibel, die dem armen Lavantaller Stift gehört hatte. Anm. des Verfassers 3 Handgeschriebene Pfarrchronik, Band 20. Jahrhundert, Obernberg, Jahres- eintrag 1940, ohne Seitenkennung 4 Chronik der Pfarrgemeinde Obernberg, 20. Jahrhundert (handschriftlich ohne Seitenkennung), Jahr 1941 5 Österreichischer Beobachter, November 1941, S.31 6 Vgl. Österreichischer Beobachter, November 1941, S.31 7 Vgl. Mittendorfer, Johann: Oberösterreichische Priester in Gefängnissen und Konzentrationslagern zur Zeit des Nationalsozialismus (1938-1945), S.93 8 Vgl. Diözesanarchiv Linz, CA10 Schachtel 39/Fasz.03, Brief des Pfarrers Fal- kensteiner an das Ordinariat (29.10.1941) 9 Vgl. Vgl. Diözesanarchiv Linz, CA10 Schachtel 39/Fasz.03, Antwort des Or- dinariats (01.11.1941) 10 Mittendorfer, S.93 11 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Pfarrerblock_(KZ_Dachau) abgerufen Dienstantritt von Berndl in Obernberg: am 16.01.2018 (Foto: Archivs der österreichischen Provinz der Gesellschaft Jesu)

26 Nationalsozialismus in Reichersberg Eine Übersicht anhand der Meldebögen von 1946

ie NSDAP in Reichersberg bildete wie die die Par- Die NSDAP in Reichersberg spielte - ver- Dtei in St. Georgen nur kurz eine eigene Ortsgrup- glichen mit der Obernberger - nur die pe aus und wurde schließlich der NS-Gruppe von zweite Geige. Nach dem Krieg machte sich Obernberg zugeschlagen. Die späteren Zellenleiter wa- der erste Reichersberger Nachkriegsge- ren ab 1939 die höchsten Parteikader vor Ort und alle meinderat daran, die Nationalsozialisten dem Ortsgruppenleiter von Obernberg untergeordnet. in Meldelisten zu erfassen. Diese sind heu- Natürlich gab es auch einige wenige höhere NS-Kader te die wichtigsten historischen Dokumente zur Befor- vor Ort, diese hatten ihre NS-Karriere aber nicht in schung der lokalen Reichersberger NS-Geschichte. Reichersberg gemacht, wurden aber nach dem Krieg sehr wohl hier als Nationalsozialisten registriert. Eine männlichen Nationalsozialisten standen nur 31 weibli- enge Zusammenarbeit der örtlichen NS-Kader gab es che gegenüber. Erklärt werden kann das unter anderem bereits in der illegalen Zeit vor 1938 – wie einige Böl- mit wirtschaftlichen Vorteilen, welche der Beitritt leranschläge in Ort und Obernberg belegen, an denen brachte. Und da die Männer damals ungleich mehr im Reichersberger mitwirkten (siehe dazu den Artikel über Erwerbsleben standen als Frauen, ergibt sich ein ent- die NS Zeit in Obernberg). Für die Geschichte der NS- sprechendes Gefälle bei den Parteieintritten. Dafür wa- DAP in Reichersberg wurden für diesen Aufsatz vor ren jene Frauen, die beitraten, dann entweder eher allem die Meldeblätter der NSDAP Mitglieder nach „harmlos“ (abhängig vom Dienstgeber, vom BDM 1945 verwendet. Die Angaben dazu mussten 1945 von überstellt1) oder werden als „fanatische Parteigenossin“ den Parteimitgliedern per Strafandrohung (bzw. der beschrieben. Diese sind dann häufig jünger, etwa die DJ Nichtausgabe von Lebensmittelmarken) gemacht wer- Führerin S., über welche der PA schreibt: „Hat sich als den. Die Zahlen beziehen sich auf die gemeldeten Fälle DJ.Führerin sehr hervorgetan, und hat auf die Kinder mit Stand Februar 1946, Gemeinde Reichersberg. Bür- sehr grossen Einfluss ausgeübt, und zwar im nationalso- ger, die zu diesem Zeitpunkt außerhalb waren (Verzoge- zialistischen Sinne.“2 Die Charakterisierung der „Ehe- ne, Kriegsgefangene, Lager Glasenbach, Gefallene…), maligen“ durch den Nachkriegsgemeindeausschuss ist sind nicht erfasst. Umgekehrt sind aber jene ortsfrem- dabei keineswegs gehässig, wie man erwarten hätte kön- den Flüchtlinge erfasst, die 1946 in Reichersberg waren nen. So wurde etlichen Parteimitglieder beschieden, und bei der NSDAP waren. Darunter sind mehrere „harmlose und arbeitssame Menschen“ zu sein und sich Wiener, die sehr bald (1931-1932) der NSDAP beige- nur aus wirtschaftlicher Not der NSDAP zugewandt zu treten waren, über die aber die Nachkriegsgemeindever- haben. Oder es wird festgestellt, dass diese zwar durch tretung von Reichersberg, welche mit der Registrierung und durch Nazis waren, aber auch fleißige Arbeiter.3 So- beauftragt war, wenig wusste. Inwiefern einige dieser gar bei Blockleitern, wie Flotzinger Martin, geboren Flüchtlinge hohe Funktionäre des NS-Staates waren, 1903, ist der politische Ausschuss zu einem differenzier- muss daher offenbleiben. Mit all diesen angeführten ten Urteil in der Lage. Der Betroffene sei ein „arbeitsa- Unwägbarkeiten kann man zu Reichersberg aber sagen: mer fleißiger Mensch. In seiner politischen Anschauung Es haben sich im Februar 1946 107 registrierte Natio- hat er sich nie hervorgetan.“4 Solche Einschätzungen nalsozialisten in Reichersberg aufgehalten. Auffallend waren für die Betroffenen wichtig, schließlich wollten ist, wie überall, das Geschlechterungleichgewicht. 76 alle „entregistriert“, heißt von der Naziliste gestrichen werden. Warum? Das Verbotsgesetz sah für Perso- nen, die zwischen 1933 und 1945 ihren ordentli- chen Wohnsitz in Österreich hatten und Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Organisationen, wie SS oder SA waren, eine Registrierungspflicht vor. Diese Personen mussten Sühnebeiträge zahlen und Arbeit (meist beim Wiederaufbau) leisten. Regi- strierungspflichtige Personen waren von öffentlich- rechtlichen oder sonstigen Dienstverhältnissen zum Bund, zu den Bundesländern, zu den Gemeinden, zu sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften ausgeschlossen. Für sie galten ebenso Berufsverbote für einige Berufe in der Privatwirtschaft (leitender Posten in der Wirtschaft, Prokurator, Unterneh- mensführung, Rechtsanwalt, Notar, etc.). Außer- Als „Grenzschutz“ auftretende - Heimwehr; auf der Jagd nach den Reichersbergern dem waren sie vom Wahlrecht ausgeschlossen.5 und Obernberger Nationalsozialisten vor 1938 (Foto: Fam. Schlegel) Unter den höherrangigen Parteikadern finden wir

27 in Reichersberg fünf ehe- malige Zellenleiter und sechs Blockleiter. Wer 1938 angab, der NS-Par- tei bereits vor dem März 1938 beigetreten zu sein, galt als sogenannter „Ille- galer“ und durfte vorerst nicht mit der Streichung von der Liste der belaste- ten Nationalsozialisten rechnen. Auch waren die Geldstrafen für „Illegale“ 1945 noch empfindlich hoch. Verglichen mit Nachbargemeinden war die Zahl derer, die über ihr Beitrittsdatum logen, in Reichersberg sehr hoch: 34 Personen schwindelten Reichersberg und das Stift, ein Foto aus dem Jahr 1945 (Foto: Fam. Schlegel) offenbar hier und gaben an, der Partei erst nach 1938 beigetreten zu sein. Darunter Zellenleiter oder solche derverzeichnis der NSDAP des Kreises Ried zugreifen Personen, die am Anschlusstag bereits in Uniform Spa- konnten, ebenso auf ein Register der NSV (=National- lier gestanden hatten! Charakteristisch der Fall des Karl sozialistische Volkswohlfahrt). Generell ist der PA der Z., der angab, der Partei im August 1938 beigetreten zu Gemeinde Reichersberg auch dann sehr kritisch, wenn sein. Wörtlich meint der Reichersberger politische Prü- er Fälle von Vorteilsnahme bedingt durch die Parteimit- fungsausschuss (in Folge PA) dazu: „War illegal, beim gliedschaft während der NS Zeit zu erkennen glaubt. So Einmarsch der deutschen Truppen 1938 war er bereits nahm das Gremium es dem Zellenleiter Puttinger Ma- in der braunen Uniform voll tätig.“6 Auch beim Zellen- thias, geb. 1891, übel, dass er vor dem Krieg führender leiter Zahrer Josef, geboren 1892, der seinen NSDAP Gemeinderat gewesen war und nach dem Anschluss Eintritt mit 1940 angibt, sind Zweifel angebracht. Dem dann sofort das Lager gewechselt hatte. Einer anderen Zellenleiter der NSV (=Nationalsozialistische Volks- Notiz des PA verdanken wir die Information, dass Herr wohlfahrt), Reischauer Fritz, geb. 1896 wirft der Politi- P., der sich freiwillig zur SS meldete, „fanatische“ Briefe sche Ausschuss (PA) vor, durch seine Kontakte in der nach Hause geschrieben haben soll. Soweit so normal. NSDAP die Baubewilligung für sein Haus bekommen Diese Briefe wurden dann aber auf den Zellenabenden zu haben. Und auch Franz Schwarzbauer, immerhin verlesen, wo sie „[…] den Unwillen der nicht Pg.(=Par- drei Jahre Zellenleiter, der angab der Partei am 1. Mai teigenossen) erregt(en). Fanatischer National- 1938 beigetreten zu sein, glaubte der Ausschuss nicht. sozialist!!!!!“10 So schrieb der PA voller Empörung. In- Das Gleiche gilt für Felix Mayer, der 1939-1941 Zellen- teressant dabei ist, dass NS-Parteiveranstaltungen in leiter war und angab, am 13. März 1938 beigetreten zu Reichersberg offenbar auch von anderen Personen als sein.7 Großbötzl Josef, geboren 1895, war unmittelbar den Nazis besucht wurden, was sonst eher selten ge- nach dem Anschluss Bürgermeister. Also folgerte der schah. Kaum finden wir Berichte über ausgeschlossene PA, vermutlich ganz zu Recht, dass auch er ein Illegaler Parteimitglieder. In Reichersberg (aber auch in St. sein müsse.8 Zarte Zweifel sind auch bei der Zellenleite- Georgen) haben wir aber doch einige solche Fälle. Da rin der NS Frauenschaft Hedwig Wagner, geboren 1884, schrieb der PA über Herrn P. Folgendes: „War illegaler angebracht. Die Lehrerin gab an, erst 1940 der Partei Pg. wurde von der Partei laut Beschluss des NSDAP beigetreten zu sein. Sie musste sich überdies bei ihrer Kreisgerichtes ausgeschlossen, und ist seither Gegner Registrierung mit der Tatsache herumschlagen, dass sie der NSDAP.“11 Ein Ausschluss musste noch kein Akt vom NS-Staat mit der Silbernen Medaille für Volks- des Widerstandes sein. Das mehrmalige Nichttragen tumspflege ausgezeichnet worden war.9 Andere, wie des Parteiabzeichens oder die Nichtbezahlung des Mit- Frau G., erfanden eine komplett neue Vita. Sie erdich- gliedsbeitrages reichten für einen Ausschluss oft aus. tete eine Mitgliedschaft bei der Vaterländischen Front Menschlich verständlich, dass die Betroffenen nach und gab weiter an, 1942 von der NSDAP (der sie erst dem Krieg aus dieser Formalsache oft eine Form des 1939 beigetreten sein will) hinausgeworfen zu sein. Al- politischen Widerstandes herleiteten. Recht bitter ur- les gelogen, befand der PA: Die Frau war seit 1934 ille- teilte der PA über so manche NSDAP Bäuerin: „Als gal bei der Partei und war nie ausgetreten bzw. rausge- selbständige Bäuerin hätte sie keine Ursache gehabt der worfen worden. Es ist evident, dass auch die Reichers- Partei beizutreten. War eine durchdrungene National- berger Gemeinderäte bei der Erforschung der Biografien sozialistin.“12 Auch eine Reichersbergerin, die angab, zumindest zweitweise auf das leider nicht mehr existie- erst spät der Partei beigetreten zu sein, entrüstete den rende, in Ried damals aber noch aufliegende, Mitglie- PA besonders. Die Wahrheit sei eine andere: „Als De-

28 glieder eher dem kleinbäuerlichen Milieu mit 2-3 Joch Grund oder der Handwerkerschicht entsprangen. An- ders als etwa in Obernberg handelt es sich bei den NS- DAP Mitgliedern nur selten um Mitglieder der örtli- chen Oberschicht. Reichersberg hatte 1939 1442 Ein- wohner. Nach dem Krieg wurden 107 NS Mitglieder gezählt. Da sich die Bevölkerung in den Kriegsjahren geändert hat und auch viele gefallen sind, kann die pro- zentuelle Zahl der Parteimitglieder für Reichersberg nur eine Annäherung sein und es werden vermutlich etwas mehr gewesen sein als 7,4%, da ja Gefallene und Gla- senbach-Internierte in der Rechnung nicht erfasst sind. Die Chronik der Gendarmerie Antiesenhofen weiß von 104 Registrierten in Reichersberg.16 Hier fehlen aber si- Die Bauernschaft in Reichersberg war abhängig von den Hofbegehern der NS- cher noch einige Nachregistrierte. Es waren insgesamt Zeit. (Foto: Fam. Schlegel) aber wohl weniger als im oberösterreichischen Durch- 17 nunziantin gefürchtet. Beim Umbruch 1938 ausgeartet schnitt. Hier liegen wir bei 8,1%. Von Reichersberg in einen Siegesrausch von 14 Tagen. Gilt allgemein als als einer NS-Hochburg kann man also nicht sprechen. 13 Illegal!!!!! 8.11.1936 laut Kartei!!!!!!“ (sic!) Dort wo Eichsteininger Hannes NS-Mitglieder an wichtigen Machthebeln saßen, konn- ten sie diese Macht entweder zum Wohle der Bevölke- rung einsetzen oder aber im Sinne des Regimes. Der 1 Dieser Entlastungsgrund wird immer wieder angeführt. Es gibt derzeit keinen Bauer M. tat Letzteres: „War durchdrungener National- fachlichen Anhaltspunkt, dass es wirklich automatische Überstellungen gab. sozialist. Gefürchtet als Hofberater bei Hofbegehungen Alle Indizien sprechen dagegen. Es war auch bei Übertritten aus dem BDM wegen der Ablieferung.“14 Die Bauern lebten in den sie- immer eine handschriftliche Unterschrift der Antragstellerin notwendig. Anm. des Verfassers ben Jahren von 1938-1945 in einem engen Wirtschafts- 2 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, korsett. Erzeugte Lebensmitteln mussten zum Großteil Reichersberg, Meldeblätter S. 3 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, abgeliefert werden. Wie viel, das wurde im Vorhinein Reichersberg, Meldeblätter H. durch die oben erwähnten Hofbgehungen festgelegt. 4 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter F. Eine freundliche Einschätzung seitens des Begehers war 5 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Verbotsgesetz_1947 für die einzelnen Bauern manchmal eine Existenzfrage. 6 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Umgekehrt hatte der Begeher hier die Möglichkeit, un- Reichersberg, Meldeblätter Z. 7 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, liebsame Personen wirtschaftlich zu schädigen. Wenig Reichersberg, Meldeblätter M. beliebt waren beim PA jene Reichersberger, die schon 8 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter G. mehrmals die politische Heimat gewechselt haben. 9 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, „War ein Farbenkastl, hat sich bei jeder Partei schon Reichersberg, Meldeblätter W 15 10 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk betätigt.“ - so ein wenig schmeichelhaftes Urteil. Ins- Ried, Reichersberg, Meldeblätter P. gesamt fällt in Reichersberg auf, dass die NSDAP Mit- 11 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Meldeblätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter P. 12 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Melde- blätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter Z. 13 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Melde- blätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter P. 14 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Melde- blätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter M. 15 OÖLAV, Akten zur Entnazifizierung, Melde- blätter, Schachtel 79, Bezirk Ried, Reichersberg, Meldeblätter H. 16 Chronik der Gendarmiere Antiesenhofen, ohne Seitenkennung, Eintrag vom 15.2.1946 17 http://www.ooegeschichte.at/epochen/obero- esterreich-in-der-zeit-des-nationalsozialismus/ ooe-1938-1945-eine-chronologie/ns-verwal- tung/die-partei.html, abgerufen am 10.02.2018

Abtransport der Reichersberger Glocken, eine Aufnahme aus dem Jahr 1943 (Foto: Fam. Schlegel)

29 Das Schicksal der frühen Geburt

hnliche Geschichten mögen sich in vielen anderen Dieser Artikel beschreibt den Prozess des Familien auch ereignet haben, in denen die jungen Ä langsamen Hineinschlitterns eines jungen 1 Menschen nicht „Gnade der späten Geburt“ genos- Obernbergers in die Kriegsgeschehnisse des sen, d.h. sie waren alt genug, um in die Mühlen dieser 2. Weltkriegs und soll ein Beispiel sein, wie schrecklichen Zeit zu kommen. Als Gnade der späten es wohl vielen anderen jungen Menschen Geburt bezeichnete der ehemalige deutsche Bundes- damals gegangen sein mag. Der Artikel will kanzler Kohl jene Menschen, die ab 1930 geboren wur- über die Darstellung eines Einzelschicksals jene Gene- den und somit zu jung waren, um in eine Täterrolle zu ration ins Licht rücken, die das Schicksal der frühen Ge- kommen. Der Text gibt auch einen Einblick in Ge- burt in den 1920ern hatte. Die Ausführlichkeit der Dar- schehnisse, die andernorts stattfanden, aber über die stellung ist möglich, da die Korrespondenz meines On- Briefe nach Obernberg hintransportiert wurden. kels Toni Mayerhofer mit seinen Eltern vorhanden ist. Im 2. Weltkrieg sind 93 Obernberger gefallen und wei- tere 28 ohne jede weitere Nachricht an ihre Angehö- „Feindsender“ im Radio, obwohl das mit hohem Risiko rigen nicht mehr zurückgekehrt. Legt man statistische verbunden war und weigerte sich standhaft, der NSDAP Daten aus der Volkszählung von 1934 zugrunde, ist beizutreten. Gebürtig 1895 war er bei Kriegsausbruch jeder 6. männliche Obernberger diesem schrecklichen schon 44 Jahre alt und wurde als Vater von sechs Kin- Krieg zum Opfer gefallen. Manche Familien haben dern nicht eingezogen. Er war allerdings als Waffenmei- nicht nur einen geliebten Menschen verloren, sondern ster in Obernberg tätig. Im sogenannten „Schnellinger sogar mehrere. Haus“, wo die Familie im 2. Stock zur Miete wohnte, lagerten Panzerfäuste, Pistolen und andere Waffen, die Dass die - an sich wunderbare und höchst professio- er zu verwalten hatte. Die Adresse am Marktplatz wäh- nelle - Ortschronik die nationalsozialistische Zeit kaum rend der NS Zeit lautete: Adolf-Hitler-Platz 7b. beleuchtet, ist weder verwunderlich noch Einzelfall: Auch in den 1970ern, 30 Jahre nach Kriegsende, war Antons Bruder Fritz Mayerhofer jedoch war überzeugter der schmerzfreie historische Rückblick noch schwer. Nationalsozialist und verweigerte sich selbst 1945 noch Selbst jetzt, 80 Jahre nach dem „Anschluss“, ist es im- der „Entnazifizierung“, die erst 1948 durchgeführt mer noch nicht ganz leicht, diese Zeit aufzuarbeiten. Es wurde. Es ist nicht klar, weshalb er seinen Bruder An- hat in Obernberg kaum Widerstand gegen den Natio- ton während des Krieges nicht denunzierte, aber wohl nalsozialismus gegeben, die ideologischen Risse gingen deshalb, weil die gemeinsame Mutter im Haushalt des mitten durch Familien hindurch. Bruders lebte. Mein Onkel Anton Mayerhofer, „Toni“, wurde am 3. Das Verhältnis des jugendlichen Toni zu seinem On- Mai 1927 als Sohn von Anton und Franziska Mayerho- kel Fritz dürfte jedoch gut gewesen sein. In Briefen, die fer in Mühlheim am Inn, dem Geburtsort seiner Mut- Toni aus der „Deutschen Hauptschule“ in Bad Ischl ter geboren. Gefallen ist er als Mitglied des „11. SS schreibt, wo er die 5. Klasse Mittelschule absolviert, er- Panzerbataillons“ am 27. April 1945, 11 Tage vor der kundigt er sich während der ersten Kriegsjahre bestän- Kapitulation Deutschlands und sechs Tage vor seinem dig nach Onkel Fritz, wo er jetzt stationiert sei (dieser 18. Geburtstag. Er wurde von slowenischen Partisanen war Magazineur in Maribor) und wie es ihm gehe. Die in Hartberg in der Oststeiermark erschossen. beiden kommunizierten auch später per Feldpost mit- einander und wollten stets in freundlicher Weise vonei- Mein Großvater, Anton Mayerhofer, war überzeugter nander wissen. Nicht-Nationalsozialist, hörte heimlich den britischen Im Schnellinger Haus durfte nicht kritisch über die Na- tionalsozialisten gesprochen werden, das erzählte mei- ne Großmutter später noch oft. Es gab dort nur eine befreundete Familie, bei der man nicht Angst haben musste, angeschwärzt zu werden. Der Alltag in dem da- maligen Mietshaus war aber geprägt von Begegnungen: Die Toilette war ein Plumpsklo am Gang, das Wasser musste vom Ziehbrunnen am Marktplatz geholt wer- den und die wöchentliche Körperpflege ereignete sich im öffentlichen Badhaus im heutigen „Angerhofer Haus“. Man begegnete sich also ständig und die Gesin- nung musste verborgen werden, beziehungsweise waren über weite Strecken einfach existenzielle und nicht po- Feindsender hören war gefährlich! (Foto: Wikipedia) litische Themen für die Familie vorrangig. Immerhin

30 war meine Großmutter aber auch stolz auf ihr silbernes de von den Schulferien kamen, die sie offenbar dennoch Mutterkreuz. bekommen hatten, der Flakabteilung zugeteilt. Wieder sah Toni das Positive: „Die Verpflegung ist nicht schlecht Im Mai 1943, Toni war gerade 16 Jahre geworden, be- und sehr viel“. Langsam wächst er in den militärischen kam er die Einberufung zur Stellung. In einem Brief Alltag hinein: Tagsüber haben die Jungrekruten wenig aus Bad Ischl an die Eltern schreibt er: „Am Montag, zu tun, da es sich ja um ein Übungslager handelt. Er for- den 17.5. müssen wir zur Stellung (nur: genannt wird es dert daher brieflich Lesestoff von seinen Eltern an und amtsärztliche Untersuchung), wegen der Heimatflak. Vor etliche andere Utensilien, wobei Reisnägel wichtig sind, einigen Tagen sagte der Herr Direktor: „Wir Jungen von denn mit ihnen kann man Bilder an die Wand pinnen. den Jahrgängen 1926 und 1927 sollen uns keine Hoffnung Wieder schwärmt er vom guten Essen erstmals auch machen auf Ferienfreuden oder sonst noch etwas, denn wir von den Ausbildnern: „Die Ausbildner sind prima“. Je- müßen fast bestimmt (99 Prozentig) zur Wehrmacht als doch kommt er bald von dort weg nach Rainbach im Luftnachrichtenhelfer oder Heimatflak.“(….) Nun ist Mühlviertel. Von dort will er einmal wissen, ob es wahr wohl die schönste Zeit vorbei, denn bei diesem Verein wird sei, dass Tiefflieger einen Zug und einen Autobus in der wohl alles militärisch werden. Wenn wir wüßten, wo wir Nähe von Ried angegriffen hätten. hinkämen, wäre es ja schon viel besser, aber kannst nichts machen! Was ist mit den Hasen? Wollt ihr welche? Frau Im November fordert er Schulbücher an, da die schu- Gruber hat genug (…), In Ischl bekommt man recht gute lische Ausbildung im Lager fortgeführt würde. Er be- Torten beim Zauner.“ tont, dass es ihm gut gehe und dass sich niemand Sor- gen um ihn machen müsse. Die Situation wird mit einer Die Sorglosigkeit, mit der von diesem Ereignis berich- großen Selbstverständlichkeit hingenommen, es klingen tet wird, mit nahtlosem Übergang zum Thema Essen, keine Ängste durch, möglicherweise auch aus Angst vor das übrigens dominierende Thema vieler Briefe, ver- der Briefzensur. Am 17. November wird er zur leichten deutlicht die Dimension der Ahnungslosigkeit, was ihn Flak mitten in den Göring Werken verlegt und schreibt erwartete. Es könnte beinahe etwas Vorfreude aus den weiter über zivile Themen: Dass er unbedingt bis zum Zeilen herauszulesen sein. Bereits im Februar hatte er 25.11. beim Landesforstamt in Salzburg angemeldet sich selbst für die Division Göring interessiert und hat- werden müsse, weil er Förster werden möchte und dass te von seinem Vater einen schriftlichen Rüffel erhalten. er Zivilkleider braucht, weil sie alle die „Wanzen“ hät- Freiwillige, die noch nicht zur Stellung aufgerufen wa- ten und die Kleidung entwanzt würde. Zufällig kommt ren, brauchten die Unterschrift des Vaters zur Meldung, er hier mit einem anderen Obernberger in dieselbe Ba- diese wollte mein Großvater ihm nicht gewähren. Al- racke: Mit Hubert Reinthaler. Schnell ändert sich auch lerdings war es für Vater Anton Mayerhofer schon von die Versorgungssituation, die Sprache wird ernster: „Die Interesse, dass Tonis Unterkunftgeber in Bad Ischl, ein Verpflegung ist nun nicht mehr allzu reichlich. (..) Nun Herr Heger, der im Februar „einrücken“ musste, ihm 2 darf man auch nicht mehr schreiben, wo man ist, einer ist Pistolen nach Obernberg mitgab, wo sie dem Lager des schon verwarnt worden.(..) Gestern haben wir die Stahl- „Waffenmeisters“ hinzugefügt wurden. helme bekommen. Heute als Nachtmahl nur Quargel.“ (..) Wir liegen zwischen 2 riesigen Gasometern, es ist nun nicht Vom 3. Jänner 1943 ist ein Brief erhalten, denn die mehr 100%ig sicher“. Mutter, Franziska Mayerhofer, an Toni geschrieben hat. Sie schreibt von ihrer Betroffenheit, dass ein Verwand- Am 22.11. bittet er für sich und Reinthaler Hubert um ter aus Mühlheim im Lazarett liege und sie „ganz krank ein „Freßpackerl“, und dass es nur „Bims“ gäbe statt darüber“ sei, mit dem anschließenden Appell an den Kaffee: „Wir haben schon 3 Tage keinen Kaffee erhalten, Sohn: „Bitte Toni, schau das Dir nichts passiert, ich hätt mir ist das aber ganz gleich, denn die schwarze Schledern keine Freud mehr auf der Welt wenn ich auch nicht mehr ist sowieso als ungezuckerte nicht gut“. Und an anderer alle beisammen hätt.“ Stelle: „Weißt Du Mama, was ich mir wünsche, wenn ich heimkomme: Kannst Du nicht einige Gläser einwecken mit Am 10. September 1943 kam Toni zum Reichsarbeits- Hasenjunges und einer eingebeizten Henne. So was wäre dienst (RAD), zunächst in die Kaserne nach Linz Weg- mir jetzt am Allerliebsten, ich würde dafür auf Schnitzel scheid, zusammen mit allen gleichaltrigen aus seiner und Schweinsbraten und alles verzichten.“ Klasse. Von dort wurden sie sofort weiterbefördert in eine „Stellung“, wo sie eine gemeinsame Baracke bezo- Er gibt viele Einblicke in den Alltag im Lager: „Die gen. Den Ort der Stellung durfte er nicht bekanntge- Wäsche wird sowieso jede Woche gewechselt. Eines ist nur ben, er machte es am nächsten Tag trotzdem: „Wir sind dumm, daß mir das Schuhzeug nicht richtig paßt, und ich einer schweren Flakabteilung zugeteilt worden, wir sind daher mit den Fußlappen, die dadurch zusammenrutschen auf einer Anhöhe zu Fuß eine Stunde außerhalb Steyregg immer wunde Füße habe. Daher brauche ich auch die So- (...) Wir Ischler sind alle bei den Geschützen, weil wir alle cken sehr notwendig.“ groß und stark sind (...). In 10 Minuten beginnt bei den Soldaten das Scharfschießen auf Luftsäcke“. Jeden Tag schreibt er einen Brief an die Familie zuhau- se und beklagt sich manchmal, dass er so wenig Post Ohne irgendeine Ausbildung, lediglich aufgeteilt nach bekommt. Er weiß nicht, dass seine Mutter sich selbst Größe und Tauglichkeit, wurden die Burschen, die gera- das Essen vom Mund abspart, weil der Vater als Maler

31 im Winter kaum Arbeit hat und die Mutter teilweise selbst zu den Bauern nach St. Georgen geht um ein biss- chen Schmalz. Beim Kaufmann Gailling und den an- deren Nahversorgern in Obernberg kaufen sie Lebens- mittel auf Kredit. An die Großmutter Therese schreibt Toni: „Mir geht es ganz gut, was mir abgeht, weißt Du ja. Das weiß ich aber ganz bestimmt, wenn ich nach Hause komme, esse ich Euch arm.“ Oder an einem anderen Tag: „Liebe Mama kannst Du mir Ratschläge geben für etwas zu kochen, wo man nichts braucht und doch essen kann.“ In den Göring Werken gibt es im November große Scheinwerfer Übungen, die Propagandazwecke erfüllen: „Gestern haben die Scheinwerfer große Übung gehabt: Es Obernberg, Ufertor. Zeichnung Direktor Preischler war ein großartiges Bild. Die ca. 40 x 60 cm Scheinwerfer (Foto: SCR Volksschule Obernberg) und 20 x 200 cm Scheinwerfer spannen ein Netz über die Stadt“. Rudolf, welcher sich schon früh mit Kunstmalerei be- schäftigte, fragt er: „Ich bin schon neugierig, wie Du den Und immer noch kommen die Interessen des Jugend- Marktplatz gezeichnet hast. Zeichne mir auch einmal was, lichen durch: Als Briefmarkensammler bekam er vom aber recht schön, denn ich möchte es in meinem Spind auf- KdF (Organisation „Kraft durch Freude“, die für die machen, Du weißt schon, auf ungefähr Kartenformat.“ Gestaltung, Überwachung und Gleichschaltung der Freizeitgestaltung der Bevölkerung gegründet worden Anfang Dezember kommt die Truppe für einige Tage war) Post. „Bitte Papa gehe zum Freimüller und schaue zu einer Übung nach Oggau im Burgenland, mit einem daß ich die (Marken) vom Arbeitsdienst – 4 Werte sind Zwischenstopp in Wien, wo er am Bahnhof einen Zug es – bekomme. Weiter sind jetzt welche herausgekommen. Volksdeutscher aus der Knin sieht: „Ich kann euch mei- Deutsche Goldschmiedekunst“. Zum Geburtstag des Va- ne Eindrücke nur in einem Wort schildern und das heißt ters schickt er diesem eine Postkarte mit der Abbildung „furchtbar“. eines Hitlerjungen als Luftwaffenhelfer, grüßt den Papa Dennoch ist die alltägliche Wahrnehmung nicht aus- aber mit einem „kräftigen Weidmannsheil“, nicht mit schließlich mit Kriegsthemen gefüllt: „Den Neusiedler- dem Hitlergruß. see habe ich mir ganz anders vorgestellt, er ist sozusagen Und schließlich kommen die ersten Berührungen mit nur eine Wasserlacke gegen unsere herrlichen Gebirgsseen. dem kalten Gesicht des Krieges: „Der Vater von unserem Halb mit Schilf zugewachsen, bietet überhaupt die ganze Batteriechef ist bei einem Bombenangriff auf Mannheim Gegend dort einen trostlosen Eindruck“. (..)„In Schützen getötet worden.“ am Gebirge haben wir Wein zu trinken bekommen und zu meinem Erstaunen billiger als Bier. Habe mir einen Liter Und weiters: „Unser Ausbildner, der Uffz. (Unteroffizier) gekauft und in die Feldflasche gegeben.“ (..) Zu einem Brief Bernard ist auf Urlaub gefahren, die Tommys haben seine seit dem Urlaub hättet Ihr Euch schon aufraffen können.“ Wohnungen in Köln kaputtgeschmissen. Der Bernard ist in Zivil ein hohes Luder.“(..) Er war 1938, als Cham- Immer wieder kommt sein etwas frecher Humor der berlain in Deutschland mit dem Führer, dem Duce und Familie gegenüber zum Ausdruck, der gleichzeitig seine Daladier die großen Besprechungen hatte, sozusagen sein liebevolle Bindung an zu Hause zum Ausdruck bringt: Adjudant.“ „Was hat Euch denn das Christkind alles gebracht, ihr könntet mir das bestimmt einmal schreiben, besonders die Und völlig arglos berichtet er über einen Vorgesetzten Kinder (seine jüngsten Geschwister Max und Poldi), ich folgendes: „Unser Uffz., der uns am liebsten ist, ist Wacht- glaube, sie würden sich dabei nicht überanstrengen. Wenn meister geworden, nämlich der Gasonkel.“ Die Briefe klä- ich im Jänner auf Urlaub komme, hast du, liebe Mama ren nicht darüber auf, weshalb die Bezeichnung „Ga- die Ehre, noch einmal Keks und etwas Bäckerei zu fabri- sonkel“ geführt wurde, noch was der Schreiber selbst zieren.“ über die Vorgeschichte des Offiziers wußte und welche Gedanken er sich dazu machte. Die Versorgungslage im Lager Göring Werke ist sehr schlecht, so dass mit Belohnungen gelockt wurde, wenn Am 26.11.1943 schreibt Toni noch immer aus Linz: jemand Lebensmittel auftreiben könnte, Toni schreibt „Ich habe heute etwas ganz Furchtbares gesehen, näm- an die Eltern: „Nun paßt einmal auf, es wäre nicht dumm, lich wie 2 Ju 88 abgestürzt sind.“ Er beschreibt auf 2 wenn Du das bekommen könntest: Nämlich 200-300 kg Seiten alle Details des Absturzes, inklusive einer kleinen Kartoffeln. Ich könnte dann 10-14 Tage Sonderurlaub Skizze und resumiert : „Das ganze hat nur 10-15 Sekun- bekommen, was das schönste von allem wäre. Wir haben den gedauert und 11 junge Menschen waren nicht mehr.“ nämlich sehr wenig zum Essen. Da will der Chef auf sol- che Weise Abhilfe schaffen.(..) Bitte Papa, schreib sofort Er ist in Gedanken oft in Obernberg. Seinem Bruder zurück, ich warte stündlich auf Antwort. Die Kartoffeln

32 würden dann mit dem Auto abgeholt. Es müssen nicht die dieser neuen Stellung haben wir Vierlings-Flak. Diese schönsten sein.“ Waffe ist sehr interessant. Leider müssen wir da eine neue Ausbildung machen, wir tun uns dabei ganz leicht. Dies Tonis Freund aus dem Schnellingerhaus in Obernberg, ist nun die 3.Waffe, die ich bei diesem Verein kennenlerne. Oswald Irsigler, schreibt zur selben Zeit an die Familie Das ist ganz gut, denn man lernt dabei viel, was einem Mayerhofer, ob sie ihm den Gefallen tun könnten, sei- sonst nie geboten werden könnte. Einesteils bin ich sehr ner Mutter am Hl. Abend 150,00 Reichsmark zu über- froh, nämlich das ich aus den dreimal verfluchten H.G.W.s geben, die er gespart habe und die er ihr zu Weihnachten (Hermann Göring Werken) heraus bin.“ (sic!) schenken wolle. Er erklärt auch, woher er so viel Geld habe: „Seit Mitte August fahre ich auf einem U-Boot, da Es klingt keine kritische Auseinandersetzung mit dem gibt es für jeden Tag 1,50 zurückzulegen und sonstige Zu- Zweck der Waffen durch, lediglich jugendlicher Lernei- lagen. Hier kann ich ja fer und die Hoffnung, so nicht viel an Land dass sich die eigene gehen, so bleibt mir Situation nicht ver- nichts anderes übrig als schlechtert habe durch sparen. (..) Mir geht es die Versetzung. Am immer ganz gut, was 16.2. senden ihm die ich auch von Ihnen Eltern ein Sterbebild- hoffe. (..) Der Toni chen eines Bekannten wird sicher schon beim aus Altheim, der „in Militär sein, hoffent- Minsk nach schwerer lich kommt er wieder Verletzung in solda- gut nach Hause.“ tischer Pflichterfüllung im 33. Lebensjahre den Der Jänner bringt Heldentod starb und jedoch für Toni et- dort im Soldatenfried- was völlig anderes hof beerdigt liegt.“ Toni als extra gebacke- schreibt etwas später ne Weihnachtskeks: Gründung der späteren VOEST nach dem Anschluss 1938 (Foto: BA 183_H06156) ausführlich über einen Er bewirbt sich Luftangriff auf Linz freiwillig für die Luftwaffe und sen- und Steyr, den er in der Stadt miterlebte, da die Frei- det alle erforderlichen Unterlagen dazu ein: willigen vormittags zum Unterricht in die Frankstraße Den ausgefüllten Fragebogen für Freiwillige der Kriegs- mussten. (..) „Ich sage Euch, da hat es in der Luft gesumst marine und der Luftwaffe, den Meldevordruck zur Ein- und gebrumst , das könnt ihr euch nicht vorstellen“. Er stellung von Bewerbern für die Unteroffizierslaufbahnen berichtet weiter, dass „unsere schwere Flak“ nur „leichtes und von Kriegsfreiwilligen in die Wehrmacht, den Störfeuer“ schoss. Er identifiziert sich völlig mit der Auf- Nachweis der arischen Abstammung und einen Lebens- gabe des Auszubildenden und meldet, dass sie, also er lauf. Ein 8-seitiges Merkblatt für die Einstellung von und seine Kollegen, „schon lange können, was die Linzer Freiwilligen in die Luftwaffe liegt ihm vor. Sein Vater Oberschüler können“. verweigert wieder die Unterschrift zur Einverständnis- erklärung, die notwendig gewesen wäre, weil Toni noch Im Februar 1944 wird Linz immer wieder überflogen nicht volljährig war. Toni wird dennoch aufgenommen. und bombardiert . Als er und seine Kameraden am 24.2. Der Vater Anton ist in dieser Zeit schon mit der Jagd im den Abschuss eines viermotorigen Amerikaners in allen Mühlberger Dobel beschäftigt, worüber er am 4. Jänner Einzelheiten beobachten konnten, schreibt er von einem ausführlich Bericht gibt: „großartigen Feuerzauber“, die „Schwere“ hätte „wie toll“ geschossen. Die auf den ersten Blick unbekümmerten „Habe am Freitag im Mühlberger Dobel einen sehr schö- Formulierungen lassen auf den 2.Blick aber doch Unbe- nen Antvogel geschossen mit einem Schuß, aber leider bei hagen durchblicken. Ab jetzt schreibt er, dass er gesund der Finsternis nur den Erpel, 2 Tage darauf die Ente, aber sei und es ihm gut gehe. Es gibt keine politischen Stel- schon ziemlich von Ratten angefressen, gefunden. Am lungnahmen in den Briefen, das Schicksal und die Auf- Abend des gleichen Tages Jagdschluss beim Mühlberger ein gabe werden wie selbstverständlich angenommen. Auch prima Essen gebratene Hausenten, Most , Schnaps, kaltes als er im April für 14 Tage Geschützführer wird, weil die Schweinernes, Hauberling..Das schöne ende dieses Gjoad- Uffz. in anderen Stellungen beschäftigt waren, kommt abends beim Andrel kanst Du ja denken.(..) Habe in der in den Briefen wieder viel anderes Pragmatisches zum Zeit seit Weihnachten 2 Fasane, 1 Hasen, 1 Erpel (..) und Ausdruck. ein Kitz auf 90 Schritte geschossen, Innereien haben wir heute gegessen.“ Als er wenig später nach Traunstein-Ering versetzt wird und dort im Lazarett Quartier bekommt, weil er Bruch Anfang Februar kündigt Toni einen Heimatbesuch an, operiert werden muss, spricht er davon, dass wohl bis den er am nächsten Tag gleich wieder revidieren muss, 15. Mai „alles vorüber“ sei, er meint damit, dass der da er zu einem anderen Batallion versetzt wurde. „In dortige Stellungsbau abgeschlossen sein müsste. Es sei 33 aber fürchterlich eintönig in Traunstein, was die Fami- RAD –Mann, sondern Arbeitsmann“. Ein anderer Re- lie daran sehen könne, dass er ihnen wieder einmal ei- krut aus Obernberg ist auch in Rainbach: Rudi Putta. nen Brief schreibe, noch dazu einen 2 Seiten langen. Er Er richtet auch seine Grüße aus. Immer wieder fordert langweilt sich weiter fürchterlich, auch an seinem 17. Toni bestimmte Sachen von seinen Eltern aus Obern- Geburtstag, den er in Ering verbringt. Am 4.5.1944 berg an, diesmal ist es Zeitungspapier: „Ihr könntet mir geht er sogar ins Theater, wo er von einem Mädchen eigentlich auch von Zeit zu Zeit eine Zeitung schicken, einen Logenplatz angeboten bekommt. Sie hat die Kar- denn hier bei uns herrscht große Papiernot, man hat nicht ten vom K.d.F. gratis bekommen. Er sieht den Rosen- einmal genug Papier für hinterlistige Zwecke.“ kavalier und beschreibt in gewohnt lustiger Weise die Handlung der ganzen Oper für seine Eltern. Die Mar- Die Ausbildung konzentriert sich in dieser Zeit auf Spa- schallin charakterisiert er folgendermaßen: „Ihr müsst tenübungen, Sport und Infanterieschützenausbildung. nämlich wissen, daß die Fürstin eine alte Schachtel und „Das aber so dicht hintereinander, daß man nicht einmal auch verheiratet ist.“ Zeit hat ein Stück Brot zwischen den einzelnen Diensten zu essen, obwohl mir öfters der Magen kracht.(..) Das Al- Am selben Tag erfährt er, dass er sich nun im Lazarett lerschönste oder besser gesagt das einzig Schöne, das es hier der Bruchoperation unterziehen müsse und deshalb bei gibt, sind die Waldläufe. Es ist einfach wunderbar, das der Musterung bis 1. August zurückgestellt wurde. Er könnt ihr Euch gar nicht vorstellen so durch den herbst- ist stolz, dass neben ihm im Lazarett ein Obergefreiter lichen Wald zu laufen, bergauf, bergab, durch den bunten liegt, der dieselbe Operation gehabt hat. Er hofft auf Mischwald.“ Heimaturlaub nach Pfingsten. Jedoch geht sich wieder kein Urlaub aus, er muss im Juli wieder nach Oggau zur Es wird immer wieder in Aussicht gestellt, dass im No- Übung. Dort sieht er zum ersten Mal Maulbeeren, die vember 1944 die RAD Arbeitsmänner abrüsten dürften, er wie folgt beschreibt: „Maulbeeren, das sind Himbeer was wellenweise vor sich gehen sollte. Bis Weihnachten ähnliche Früchte, die auf den Bäumen wachsen, welche sollten aber wieder alle bei der Wehrmacht sein. Er fragt bis zur Größe einer Linde sind. Die Maulbeeren sind von nach seinen Geschwistern: Fini (Jahrgang 1928), die im schwarzer oder weißer Farbe und sehr süß, daß man gar Rahmen des RAD in Salzburg bei einer nationalsozia- nicht viel von ihnen essen kann.“ listischen Familie als Haushaltshelferin war und Rudi (Jahrgang 1929), ob der auch zum Volkssturm müsse, Im September 1944 geht es weiter mit dem RAD in wie auch wahrscheinlich der Papa. Rainbach im Mühlviertel, von wo er schreibt, dass die Verpflegung nun gut und ausreichend sei. „Nur ist die Übrigens versieht er jetzt die Briefe immer mit der alten Zeit so knapp bemessen, daß man von 6 Uhr Früh bis 10 Adresse: Marktplatz 76/77. Uhr abends keine viertel Minute Zeit hat. Jetzt bin ich schon so müde, daß ich beinahe nicht mehr sehe. Ich bin Und er reflektiert zu Allerheiligen Erinnerungen aus der vorgestern 2 Mal geimpft worden und totzdem muß ich Kindheit: „Da muß ich gerade daran denken, als ich noch mit Spaten und Gewehr exerzieren, ich kann nicht einmal ein kleiner Bub war. Wie Mama am Vorabend mit Groß- richtig die Hand zum Mund führen, so weh tut mir das, mutter immer den Kranz band. Ich weiß noch ganz genau, meine Arme sind ganz dick geschwollen. (..) Ihr braucht das Reisig war meistens in der Blechbadewanne, darauf Euch aber darum nicht um mich zu sorgen. Mir geht es kann ich mich noch ganz gut erinnern“. sonst ganz gut“. Doch in Rainbach wird viel verlangt: „Wir haben die- se Woche noch einen ganz anständigen Schliff, denn wir Akribisch weist er die Eltern darauf hin, dass seine Be- müssen nun alles in 14 Tagen machen, was wir sonst in 50 titelung am Briefkuvert nicht stimme: „Es heißt nicht Tagen gemacht hätten.“ Er weiß noch nicht, dass seine Verlegung an die Front in der Oststeiermark bevorsteht und das harte Training eine Vorbereitung auf die letzte intensive Schulung in Graz kurz vor Kriegseinsatz ist. Am 16.1. 1945 schreibt er die erste Postkarte als „SS Panzergrenadier Mayerhofer A.“ Btl.11 aus der „großen, sehr schönen Kaserne“ Graz Wetzelsdorf, wo ihm die Ausbildung in schweren Infan- teriewaffen bevorsteht. „Ich bin hier in der Stube unter lauter Altreichsdeutschen hauptsächlich Hamburger und Berliner“. Wie zuvor schon aus Linz, berichtet er auch hier von Bombenabwürfen auf Graz. Am 30. Jänner wird er vereidigt und schildert die „feierliche“ Aufmachung dieses Ereignisses zwischen schweren, teilweise erbeuteten Kriegsgeräten: „In der Briefmarke mit positiver Darstellung der Waffen SS (Foto: Materialiensammlung E.H) Mitte stand ein erbeuteter T34 ein russischer Panzer, da-

34 vor eine 3.7 Pak (Panzerabwehrkanone) links und rechts furchtbar. Jetzt habe ich keine Zeit mehr, morgen folgt davon wieder je links und rechts ein Granatwerfer, dann ein Brief. Wir haben keinen Strom, kein Wasser und es ist auf beiden Seiten ein MG 34. Dahinter die SS Fahnen“. schon 10 Uhr Abend. In Graz brennt es sehr stark, Grüße Toni“ (sic!) Er hofft auf ein gutes Führungszeugnis nach einigen Wochen, da er sich als Führerbewerber gemeldet habe, Die Tage darauf berichtet er von schwersten Schäden in was heißen sollte, dass nach guter Führung eine Kom- Graz, jedes 2. Haus sei kaputt, überall Bombentrichter, mission entscheide, zugelassen zu werden. Anschlie- die ganze Zeit „krepierten Langzeitzünder“. „Ihr wißt ja ßend würde die 4 monatige Frontbewährung folgen, gar nicht wie gut ihr es habt, daß ihr nicht in einem sol- bevor die 9 monatige Junkerschule beginnen könne. chen Gebiet lebt, auch in bin froh, daß ich euch sicher Er scheint angetan zu sein von den bevorstehenden weiß.(..) um mich braucht ihr euch nicht zu sorgen, denn Möglichkeiten, es findet sich keine Zeile des Zweifels, um die Zeit wenn die Angriffe stattfinden, sind wir mei- obwohl - oder vielleicht weil - er sich schon inmitten stens im Gelände“. (sic!) des Grauens befindet: „Hier sind 7 Mann eingesperrt, die zum Tod verurteilt sind, 2 davon werden gehenkt und Und nun gibt es auch die ersten Informationen zur die anderen erschossen. Meistens wegen Fahnenflucht und „Frontbewährung“: „In 4-6 Wochen geht es ab zur Front. Mord. Dabei müssen alle Soldaten, die in der Kaserne Hier von der Kaserne geht beinahe alle Wochen eine Kom- sind, zusehen.“ panie an die Front ab. Bald wird es auch mit uns soweit sein. Jetzt Schluß denn ich habe heute Stubendienst und Der Dienst in der Kaserne ist fordernd: „Ihr müßt wis- muß noch zusammenkehren“. sen, hier dauert der Tag 17-20 Stunden, wenn das nicht, reicht wird auch noch die Nacht dazugenommen. (..) Schwer vorstellbar, dass in dieser Situation scheinbar al- Dann sehnt man sich nach gar nichts, nur so schnell wie les was irgendwie an ein normales Leben anbindet, wei- möglich ins Bett“. ter existiert. Die Briefe sind jetzt mit violettem Bunt- stift verfasst, die Schrift ausgebleicht, offenbar gab es Und immer wieder klingt jugendliche Normalität durch keine anderen Schreibwaren mehr. Das Papier stammt und die Selbst-Zuordnung zum System, ja sogar etwas aus einem linierten Heft. Stolz: „Vorige Woche sind wir vom Schnellfotografen ge- knipst worden, wir haben nur 4 Bilder bekommen, von In einem Brief an seinen Bruder Rudolf schreibt er zu- denen wir 3 abgeben mußten, das vierte bekommt ihr, da- erst von seinem Tageseinsatz am Ostbahnhof, wo ein mit ihr seht, wie Euer Sohn Anton in SS Uniform aussieht. großes Wehrmachtslagerhaus „zusammengedroschen“ Ich habe gerade einige Wimmerl gehabt, sogar die sind zu wurde, um im selben Satz noch 2 Zusatzzigaretten zu sehen“. erwähnen, die er heute bekommen habe und die er dem Brief beilege. Er verschiebt das Wiedersehen mit Von den Rauchermarken, die er bekommt, erwirbt er Rudi auf nach dem Krieg, weil es jetzt nicht so aussehe, Zigaretten und Zigarren, die er dem Vater nach Obern- als dass irgendwer einen Abstellungsurlaub bekomme. berg schickt, einmal auch 3 Stück seinem Bruder Rudi. Auch Liebesfilme werden noch im Kasernenkino ge- Die Marken seien „gar keine richtigen Marken, sondern zeigt. Und dennoch: „Jetzt kommen schon alle Tage neue einfache gestempelte Zettel“. Und er interessiert sich stark Soldaten, ein Zeichen, daß es nimmer lange dauert“. für das Weidmannsglück des Vaters: „Jetzt kennt man den Tag schon sehr stark, es wird nicht mehr lange dauern Immer öfter werden Stunden im Luftschutzraum ver- gibt es junge Hasen, die Böcke schieben wohl auch schon bracht und die Verpflegung reicht bei weitem nicht aus. und bis in einem Monat werden die ersten Tauben kom- Er ist auf Lebensmittelmarken und Pakete von zuhau- men. Nun ist die Zeit für das Kleinkaliber, hoffentlich se angewiesen: „Die Tante hat mir auch Brotmarken für bringst Du den Mauser ziemlich oft an die Luft. Hier in 20 Semmeln und 25 Deka Fleischmarken geschickt. 10 den Bergen ist es sehr schön, besonders schön wird es aber Semmeln habe ich gestern schon verspeist“. „Ich bin schon im Frühjahr“. wieder so mager, daß man die Rippen schon vom Hinsehen allein zählen kann. Dafür bin ich im Gesicht schon di- Die Zivilkleidung muss im Februar 1945 nach Hause rekt braun(..) Das kommt davon, wenn man den ganzen geschickt werden, es gibt nun nichts Ziviles mehr für Tag in der frischen Luft und immer im Wald ist“. Es er- die Soldaten. Graz wird heftig bombardiert. „Hier in scheint fast unglaublich, wie sehr die Orientierung auf der Kaserne ist ein Bombenteppich auf einen Friedhof ge- das Gesunde angesichts der Situation noch möglich ist. gangen, da stinkt es jetzt ganz fürchterlich, denn die Toten Es wird nie von Ängsten oder anderen emotionalen Be- liegen kreuz und quer durcheinander.(..) Morgen habe ich wertungen geschrieben, immer gibt es klare Beschrei- einen starken Tag, da muß ich die Bodenplatte vom Werfer, bungen der Situation. die 20 kg wiegt beim Marsch tragen“. Doch immer stärker kommen auch Fantasien an den Aus dem Marsch wurde nichts, denn am nächsten Tag Frühling in Obernberg zum Ausdruck: „Ich würde auch folgt eine Klebekarte mit der Nachricht: „Liebe Eltern, ganz gerne wieder einmal durch den Dobel gehen und heute am 13. waren 3 schwere Angriffe auf Graz. Der schauen, was in den Auen los ist. (..) Wenn die Kinder letzte war ein Nachtangriff, ich kann Euch nur schreiben, wieder einmal um Veilchen gehen dann preßt ihr mir eins

35 und legt es in einem Brief bei. Es freut mich sehr, daß der gesund. (..) Wir sind gegen Pocken und noch gegen Cholera Papa nun auch auf Rehe Weidmannsheil hatte. Das Jahr und Diphterie geimpft worden, habe 3 große Blasen auf 1945 läßt sich also für ihn gar nicht schlecht an.“ Er be- dem Arm und die Brust war stark geschwollen, ist aber kam von daheim Schilderungen des Obernberger Fa- schon wieder in Ordnung.“ schingszuges, wo sein kleiner Bruder Max als Mädchen gegangen war und die Schwester Poldi als Dame, was er Mitte März schreibt er als routinierter Soldat: „Um mich für sehr passend hielt. braucht ihr euch nicht zu sorgen. Ich bin ja nun doch schon über 1 Jahr Soldat und da hat man schon eine ganz andere Er klagt über immer mehr Zeitmangel, 18 Stunden Einstellung als wenn man erst 2 Monate dabei ist“. Tage, die restlichen sechs Stunden müssten für essen, schlafen und waschen reichen. Jeden Tag gab es Mär- Er ist allerdings erleichtert, dass sein Bruder Rudi vom sche mit schwerem Gepäck, die Kleidung sei rampo- Lager daheimgeblieben ist, weil „er vom Zug herunter- niert, er fordert Stopfwolle an und informiert, dass die gefallen ist“. Rudi berichtet an Toni, dass in Obernberg Ausbildung auf acht bis zehn Wochen gekürzt worden schon „fest zum Volkssturm geschanzt“ werde. sei. Es sei ein Glück, dass er immer noch Zigarettenta- Sein Brief vom 21.März 1945 ist geprägt von Hunger bak senden könne, denn um diesen werde mittlerweile und Anstrengung: „Jetzt ist es schon 12 Uhr, Fliegeralarm „direkt gerauft“. und ich habe einen ganz gewaltigen Hunger, aber es be- Anfang März 1945 berichtet er vom Ausbruch der Ruhr steht keine Aussicht, vor 6 Uhr etwas in den Magen zu be- in der Kaserne, weshalb die Gesunden auf dem Dach- kommen“. Und gleich schließt er in gewohnter Manier, boden schlafen müssten. Zum ersten Mal kommt er in eine Beschreibung der ihn umgebenden Frühlingsstim- höchste Gefahr: „Gestern um 11 Uhr war es, wie ich das mung im Wald an, in dem er schon Ringeltauben und furchtbarste bisher in meinem Leben mitgemacht habe. Es Schlüsselblumen gesehen hat. war ein Angriff und wir sind unter den Bombenregen ge- Ein Obernberger Kamerad, der „Murauer“, bringt ihm kommen. Wir hatten Tote und sehr viele Verletzte und viele von Zuhause ein reichhaltiges Packerl, mit dem er gar Verwundete, wie viele, darf ich euch nicht schreiben.“ nicht gerechnet hat und es kommt noch ein bisschen Er behält seinen Schreibstil bei, wo er von einem Satz stärker die Sehnsucht nach zuhause zum Ausdruck: über kulinarische Wünsche von zuhause ohne Überlei- „Der Himbeersaft riecht ganz nach Buchberg. Es tut mir tung wechselt zur Schilderung von lebensbedrohenden sehr gut“. Erlebnissen während der mittlerweile Tag und Nacht Der 25. März 1945 ist ein wunderschöner Frühlingstag stattfindenden Einsätze: „So schickt doch ein Packerl, . Er ist glücklich über die eben bekommene Lebensmit- wenn ein bißerl mürber Strudel mit Apfel oder Marmelade telration von zuhause und „auch nicht beleidigt“, dass er drinnen ist, bin ich nicht beleidigt. Gestern Nachmittag dem Murauer helfen soll, sein Bratlfleisch zusammen zu ist es ums Leben gegangen, wir waren gerade im Wald auf essen, weil dieser Angst habe, dass es sonst schlecht wür- Übung, da sausten plötzlich die Bomben. Wir lagen mitten de. Ansonsten würde es wohl nicht mehr lange dauern, im Bombenteppich. Die Einschläge waren bis auf 1 Meter bis es mit ihnen „dahingehen“ an uns, es gab aber auch Volltref- würde, soll heißen, dass sie an fer, wie durch ein Wunder blieb die Front in der Oststeiermark ich unverletzt. Von uns waren abberufen würden. Im Dach- mehrere verschüttet“. Essen gibt boden, wo sie immer noch iso- es nur noch jeden 2.Tag. liert seien, gäbe es nur Läuse, Jetzt kommt auch erstmals eine Flöhe und Wanzen, nur nichts brutalere Ausdrucksweise vor: zu fressen, das sei auch kein Le- „Der Rudi soll nicht so dumm ben mehr hier. sein und noch auf Lager fahren, Sein letzter Brief stammt vom den Schliff und den Fraß kann er 28. März 1945, wird am 29. später noch genügend auskosten. März fortgeführt und ist acht Eine ganze Woche stark arbeiten Seiten lang. Viele aus der Kom- ist nicht so schlimm als 100 panie hätten den Befehl zum Stunden oder noch mehr mit 20 Einrücken bekommen und es ist kg Eisen auf dem Rücken in den noch ein Nachmittag Zeit, alles Bergen herumzulaufen“. vorzubereiten. Er und Murauer Die Krankheitsfälle in der Ka- sollten auch zur Feldeinheit ver- serne nehmen zu: „Hier haben setzt werden. Den Bescheid zum ungeheuer viel die Ruhr, andere Führerbewerber habe er noch sind verwundet und ein Mann nicht bekommen, rechne aber schon damit. Er hoffe nicht, hat sogar Scharlach, jetzt sind wir Tony sollte sein Obernberg nicht wieder sehen. isoliert. Ich bin immer noch pumperl- (Foto: AK Lindlbauer) dass er bei der Frontbewährung

36 auf Partisaneneinsatz komme. Genau das sollte aber das schwarze Kreuz suchen. 13 Jahre später kommt geschehen. Und wieder träumt er vom Jagen und vom die Nachricht über das schwarze Kreuz, dass Toni in Weidmannsglück: „Ich hätte auch schon einige Male Ge- der Oststeiermark gefallen sei. 13 Jahre lang wusste legenheit gehabt, eine Taube zu schießen, aber ich wüßte die Familie nicht, ob er in Gefangenschaft gekom- dann nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Schade, daß Du men sei oder gefallen war. 1958 wurde sein Leich- daheim (gemeint ist der Vater) nicht solch einen Karabiner nam nach Obernberg überstellt. Er ist im Familien- hast, wie ich einen habe. Er schießt auf 200 m ganz genau grab bestattet. Fleck. Ich habe damit auch schon auf 400 m auf große Einmannscheiben geschossen und auch getroffen“. Wenn man über den Gedanken der „Gnade der späten Geburt“ nachdenkt, kommt einem doch in Schließlich gibt er seinem Bruder Rudi noch den Rat, den Sinn, dass die wirkliche Gnade der späten Ge- doch so lange wie möglich beim RAD zu bleiben, da es burt jene hatten, die erst nach dem Krieg zur Welt dort das beste Essen gäbe, was heute „ja das wichtigste kamen. Die Enkel- und Urenkelgeneration jener sei“. Außerdem verdiente man beim RAD beinahe noch Menschen, die den Krieg zu bewältigen hatten, kön- einmal so viel wie in Zivil und hätte die Jugendzula- nen aus einem gewissen emotionalen Abstand über gen. Tragik oder Schuld ihrer Vorfahren berichten und so spätes Zeugnis ablegen. Keine nationalsozialistische Eilig beendet er den Brief in schnell hingeworfener Gesinnung gehabt zu haben, bedeutete nicht, kein Schrift: „Leider habe ich keine Zeit mehr zu schreiben, es Teil des Systems gewesen zu sein. Ich denke, es ist geht ab. Sofort näheres wenn Zeit“.(sic!) wichtig für uns später Geborene, der frühen Gene- ration gegenüber keinen moralischen Standpunkt Seine Mutter vermerkt später auf dem diesem Brief zu- einzunehmen sondern eher einen bescheidenen. Die gehörigen Kuvert mit einem roten Farbstift: „Letzter Beleuchtung von Einzelschicksalen kann dazu bei- Brief“. Es kommt etwas später noch eine Ansichtskarte, tragen, über eigene Einstellungen zu reflektieren die einen Blumenstrauß zeigt mit der Nachricht: „Recht und in der heutigen Zeit gut überlegte Standpunkte fröhliche Ostergrüße sendet Euch Toni“. Die Mutter einzunehmen. schreibt auf der Vorderseite unter den Blumenstrauß: „Letztes Lebenszeichen von Toni“. Christine M. Lindenthaler, geb. Mayerhofer Toni wird am 27. April 1945 von slowenischen Partisa- Quelle: Briefe von Toni Mayerhofer an seine Familie in Obernberg von nen in einem Garten in Hartberg in der Oststeiermark 1942 bis 1945, u.a. Briefe aus der Familienkorrespondenz erschossen, zusammen mit einem Kameraden. Die Ei- 1 Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl verhalf dieser gentümerfamilie des Gartens begräbt die beiden Solda- Formulierung zu Bekanntheit, erstmals verwendet wurde sie jedoch vom ten dort, es herrscht das Chaos der letzten Kriegstage. Journalisten Günter Gaus. Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gnade_der_ Die Familie in Obernberg lässt ihn über das rote und sp%C3%A4ten_Geburt download 27.1.2018

(Fotos: ANNO/ÖNB) Was sehen Sie in den Bildern oben? Kin- der, genau! Offenbar gut betreute. Es sind Das Buch wird unterstützt von: Kinder in Obernberg. Von 1941. Und be- treut wurden sie von der Nationalsoziali- stischen Volkswohlfahrt (NSV). Wir ler- nen: Nicht überall wo Nationalsozialismus draufstand, war gleich eine Menschenrechtsverletzung TSV Obernberg 1885 die Folge. Auch wenn es mühsam ist: Wir müssen diffe- renzieren. E.H.

37 „Dass die widerwertig sect nit abnimmt“ Vor 500 Jahren begann die Reformation in Obernberg

m Zuge der Landesaustellung 2010 und dem Luther- Obernberg war anders. Ganz anders als Ijahr 2017 wurde vielen bekannt, dass das Innviertel der Rest von Oberösterreich. Zumindest mit Leonhard Kaiser1 einen der ersten evangelischen in Glaubensdingen. Gehörte das Innviertel Märtyrer, der riesigen bis vor die Tore Wiens reichen- damals vor 500 Jahren zu Bayern - das die den Diözese Passau, stellte. Darüber hinaus ist weniger neue evangelische Lehre schnell und brutal unterdrückte - war in Obernberg der Pas- bekannt, dass die Innviertler Märkte und Städte durch- sauer Bischof Landesherr. Er ging - aus wirtschaftlichen aus Hochburgen des Protestantismus in der Zeit von Gründen - gegen die Reforamtion vor allem in Obern- 1520-1620 waren. berg sehr viel zögerlicher vor. Hier ist die Geschichte dazu. Über die Reformation im Pflegegericht Obernberg liegt bis heute keine Untersuchung vor. Nachfolgender kur- „Kelchbewegung“, das heißt. der Spende des Abend- zer Aufsatz möchte das ändern. Obernberg war – an- mahls unter „beyderley Gestalt“ – das heißt, dass den ders. Anders als alle anderen Gemeinden des Bezirkes Kirchenbesuchern bei der Kommunion Brot und Wein Ried. Es war nicht bayerisch, es war dem Bischof von gereicht wurde (sub utraque) im Gegensatz zur katholi- Passau zugehörig. Er war Landesherr und nicht der Bay- schen Tradition mit Brot alleine (sub una). ernherzog. Übte dieser über Feudalrechte, Streitereien mit dem Passauer Bischof etc. einen großen Einfluss Müßig ist die Frage, ob wirklich „90% der Innviertler aus, so wurde Obernberg, anders als fast der ganze Rest und Obernberger Bevölkerung evangelisch waren“2, wie des Innviertels, erst 1782 österreichisch – nicht 1779. dies gerade von evangelischen Proponenten immer wie- Die Geschichte der Protestanten in Obernberg kann der artikuliert wird. Das ist ebenso wenig zu verifizie- man nicht verstehen, wenn man sich nicht vor Augen ren, wie die umgekehrte Meinung, „[…] dass das Evan- führt: Obernberg war nicht bayerisch. Unter der bis- gelische nur eine dumpfe Ahnung bei den Menschen weilen recht laxen Oberherrschaft der Passauer konnte – gerade am Land - gewesen war.“3 Freilich: Anders als sich das evangelische Gedankengut länger halten als in in Ried oder Obernberg, wo ein gebildeter Pfleger mit Bayern, ja länger als im lange evangelischen Oberöster- dem Rat im Rücken (idealerweise noch im Bunde mit reich. Im Kern reduzierten sich die Forderungen der dem Marktrichter und Kastner oder – in Obernberg Evangelischen bei uns bald auf die Forderungen der wichtig – mit dem Mautner4) die herzoglichen Anwei- sungen hintertreiben konnte, sind solche Fälle abseits der Märkte und Städte kaum überliefert. Dort sind wir auf die schriftlichen Berichte der einzelnen Pfarrer an den Geistlichen Rat angewiesen oder auf Visitationsbe- richte an den Herzog bzw. Bischof. Von der Lage am Land erhalten wir eine Begrifflichkeit, durch die Kla- gen der dort installierten Pfarrer über den schlechten Kirchenbesuch oder – häufiger – über heruntergekom- mene Benefiziatshäuser oder die Nichtentrichtung der Stolgebühren. Die Wiedertäufer in Ried und Obernberg

Die im ganzen Kurfürstentum von Anfang an streng verfolgten Christen hatten auch in Ried und Obern- berg einen bösen Blutzoll zu entrichten. Der Passau- er Täuferführer Wolfgang Brandhuber entfaltete eine kurze aber intensive Tätigkeit im Innviertler Raum, so dass sich ab Mitte der 1520er Jahre auch in Ried eine kleine Täufergemeinde bildete.5 Eine andere kleine Täufergemeinde, die Phillipiten, bildeten ebenfalls in den 1530er Jahren eine Gemeinde in Ried. Valentinus Staufer, ein Schulmeister, der in Ried in den 50er Jah- ren wirkte, war nicht wie bisher angenommen evange- lisch, sondern Wiedertäufer.6 Ob sich die Wiedertäu- fer länger in Ried festsetzen konnten ist unklar, ging Typische „Solus Christus“ (Christus alleine) Darstellung, hier aus der die Obrigkeit doch rigoros gegen sie vor. So wurde der Pfarrkirche des evangelischen Ortenburg (Foto: MS Eichsteininger) Täufer Hans Bluetl, der auf einer Missionsreise durch

38 Älteste mir bekannte realistische Darstellung Obernbergs, erst 2017/18 für die Regionalgeschichte gesichtet im Bayerischen Hauptstaatsarchiv durch den Obernberger Histo- riker Josef Wiesenberger. (Foto: BayHStA, Plansammlung 20797) Ried kam, hier verraten, verhaftet, gefoltert und am 24. scheint doch das Vorgehen der Obrigkeit gegen vom ka- Juni 1545 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Ver- tholischen Glauben abweichende Bürger in Obernberg räter soll – laut den mennonitischen Überlieferungen erst spät und gerade zu Anfang mit weniger Konsequenz – Selbstmord begangen haben.7 Auffallend ist, dass in eingesetzt zu haben als in Bayern. Nicht nur die thema- einer Zeit, in der die Wiedertäufer im Rest von Bayern tisierte Grenzlandsituation spielte hier eine Rolle. Der oder Österreich kaum mehr in Erscheinung traten, sie seit 1514 als Administrator wirkende Ernst von Bay- hier in relativ großer Zahl festgenommen und ermor- ern und auch sein Nachfolger Wolfgang Graf von Salm det wurden. Jedenfalls wurden 1585 drei Täufer, Hans gingen nur langsam an die Bekämpfung der Reforma- Aichner, Georg Bruckmaier und Wolf Rauffler in der tion. Sogar der streng gegenreformatorische Urban von Nähe von festgenommen und in Ried hin- Trennbach machte sich in der Praxis erst ab 1580 dar- gerichtet.8 Ebenso erging es 1605 Markus Eder und an, den Bekehrungsversuchen, Mandaten und Befehlen Hans Polzinger, die in festgenommen und auch Taten folgen zu lassen. Das mag zusammen mit dann in Ried enthauptet und verbrannt wurden. Vorher den Aktivitäten der Obernberger Behörden, welche die wurden sie 15 Wochen im Gefängnis gehalten. Auch Passauer Anordnungen mit einem „Eifer“ exekutierten, durch die Folter konnten sie die herbeigerufenen Jesu- der an Arbeitsverweigerung grenzte, auch ein Mitgrund iten nicht bekehren. Der Henker hatte die Anweisung, gewesen sein, dass sich Obernberg zu einem Zentrum die beiden nicht umzubringen, sollten sie widerrufen. der Kelchbewegung entwickeln konnte. Die beiden Täufer widerriefen nicht. An ihr Martyrium wurde später in dem Lied „Hört, hört, und merkt ihr Das Fortschreiten der Reformation erkennt man etwa Gottes Kind, die ihr Liebhaber Gottes sind“ erinnert. an die in Obernberg weit zurückreichenden Ehegelöb- Diese Häufung wiedertäuferischer Tätigkeit noch im nisbücher (ab 1526) und den Ehematriken, die ab 1594 17. Jahrhundert mag insofern Nachwirkungen gezeigt (wenngleich mit Lücken) geführt werden. „Von dem sa- haben, als der Kurfürst wenige Jahrzehnte danach die kramentalen Charakter der Ehe ist in diesem Buch nur Kapuziner nach Ried holte. So mussten nicht wieder dreimal die Rede!“, schreibt der Pfarrchronist Köstel- – wie im Fall von Eder und Polzinger - die Jesuiten bacher um 1878 voller Empörung über diese Einträge aus Schwaben herbeigerufen werden, wenn man eines aber in der Sache richtig. Die Einsicht, wonach die Ehe Täufers habhaft wurde. Auch in Obernberg gab es eine im Protestantismus eben kein Sakrament ist, scheint Wiedertäufergemeinde, die vorerst relativ unbehelligt sich in Obernberg zu Ende des 16. Jahrhunderts voll blieb. Erst 1546 forderte Bischof Wolfgang von Passau durchgesetzt zu haben. vom Obernberger Pfleger Rechenschaft darüber, dass Die ersten energischen Befehle gegen neue Religions- die Obernberger Täufer den Markt und das Hochstift strömungen finden sich in Obernberg in Form von An- verlassen. Vermutlich war der Fortgang aus Obernberg weisungen des Bischofs von Passau an seinen Pfleger vor Teil einer allgemeinen Auswanderungsbewegung der Ort im Jahr 1546. In scharfer Form weist der Bischof Täufer nach Mähren. daraufhin, dass wiedertäuferische Familien, die sich in Die Reformation in Obernberg Obernberg „einschleichen“ wollen, sofort auszuweisen seien. „So sie solches zur Neigung haben, (…) dass sie Auch wenn sich die Passauer Bischöfe der harten ge- der verführerisch sect anhengig gewesen […]“9 sollte genreformatorischen Linie ihrer mächtigen Nachbarn, man sie auch nach einem erfolgten Widerruf nicht wei- der Herzöge von Bayern, nicht entziehen konnten, so ter im Markt lassen. Ihr Besitz sei einzuziehen. Der Pfle- 39 ger, der auch beschuldigt wurde, der Ausbreitung der den Verzicht von des Landes verwiesenen Untertanen Wiedertäufer untätig zugesehen zu haben, rechtfertigt des Bischofs von Passau in das einstige Heimatgebiet sich damit, dass die betreffenden Leute ohnehin bereits zurückzukehren. Nachdem Ausweisungen im 16. Jahr- aus Obernberg wegezogen seien.10 hundert vorrangig in Glaubenssachen erfolgten und in der Menge alle anderen Ausweisungsgründe überla- Die Mandate und Aufrufe der Passauer Bischöfe gehen gerten, wären Unterlagen zum Bruch der Urfehde von immer in zwei Richtungen. Auf der einen Seite ist da hoher Relevanz. Leider sind die diesbezüglichen Unter- das Verbot und die Strafandrohung gegen die neue Leh- lagen nicht mehr erhalten – wie überhaupt für Obern- re, auf der anderen Seite erfolgt meist eine Mahnung berg Unterlagen, die über den großen Marktbrand zu- zu einem gottesfürchtigeren Leben, um eben der Kritik rück – und damit in die Reformationszeit hinabreichen, an der katholischen Kirche den Boden zu entziehen. In selten sind. Wir sind daher auf indirektere Hinweise einem Religionsmandat sieht das so aus: angewiesen. So sehen wir, dass ab Mitte der 1550er Jah- re der Verkauf von Häusern in Obernberg ansteigt – „Sondern noch darüber an etlichen Orten dem gemey- Nutznießer wurden meist Personen aus angrenzenden nen Mann mit verbotner Lehr der Catolischen khirche Gemeinden, die damit das Bürgerrecht erwarben. Zu- zuwider vorgehen und dadurch zu grosser ergernuß ja mindest ein Teil der Transaktionen – die ab 1618 wie- auch gar zue dem abfall orsach geben.“ (…) Und dar- der deutlich abebbten – wurden wohl von Menschen umen so soll khainer auß Euch ainicher verfüerischer getätigt, die aus Glaubensgründen den Markt verlassen Lehr anhangen noch diesselb annderen fürrtragen son- mussten.12 Beurkundet finden wir, dass der Pfleger von der bey […] bestendiglich besten verharen, wie Gött- Obernberg 1563 sein Haus verkaufte.13 Möglicherweise liche Schrift und der Catolishen lerrer verstanndt und hatte der Pfleger damals schon Probleme wegen seiner außlegung außweisen und gemaint haben.“ laschen Haltung in Religionsdingen. Wir finden ihn al- lerdings auch 1580 noch bzw. wieder in Obernberg. In Diesem Teil, des ab 1560 erstmals ergangenen Religi- 14 onsmandats, folgt die Mahnung eines gottgefälligeren der Folge zog sich der Pfleger Thoman von Preising Lebens. Enthalten soll man sich: „[…] deß verdamb- zum wiederholten Male das Missfallen des Bischofs zu, ten lasters des Gotslesterns und Schwözens noch des da er die „in Religione widerwertigen Bürger“ weder er- Concubinats. (…)Deßgleichen auch der schandtlosen mahnt, noch die bischöflichen Anweisungen nach Lan- desverweisung bei erwiesenem Beharren auf dem evan- Füllerely sonderlich aber in den offnen Tavernen, noch 15 des Spillens, noch sonst aines unbriesterlich ereglichen gelischen Glauben vollzieht. Generell wird das Bild, wanndels und thuens, untersteen noch gebrauchn.“11 das man in Passau von der Renitenz der Obernberger in Glaubensfragen hatte, ab 1570 klarer. In dichter Folge Während ein Religionsmandat viele Adressaten hat wird der Markt mehrmals „visitiert“ – was man nicht (Pröbste, Vikare, Konventualen und Landsassen, Räte, mit Besuch, sondern mit Kontrolle übersetzen muss. Pfleger) sind die Anweisungen an den Pfleger persön- Im Zuge der Visitation des Jahres 1571 lesen wir, dass lich adressierte Schreiben mit Lob, Tadel sowie meistens „[…]mündlicher und brieflicher Relation mit Gnaden Handlungsanweisungen. angehört und vernommen [wurden]. Solches machten wir auch nach vergangener Visitation.“ Obwohl es also Ein interessanter Gradmesser für den Grad der Durch- bereits vorher Kontrollen in Glaubensdingen gab, ist die dringung eines Gerichtsbereiches mit reformatorischen von 1571 die bisher größte und gründlichste. Eine ge- Gedanken sind Archivalien zur Urfehde im Zuge der naue Auflistung, welche Schriften welcher katholischen Reformation. Diese umfassten von rechtlicher Seite Autoren erlaubt sind, ist erhalten. Wir finden darun- 40 ter so klingende Namen wie Johannes Eck und Johan- sich der Pfleger, dass es nicht seine Aufgabe wäre, den nes Dietenberger.16 Bei den populärsten Schriften des rechten Glauben der Bevölkerung am Leben zu halten, Kryptoprotestantismus, dem kleinen Katechismus und sondern die der Geistlichen. Auch stünden die Nauflet- den lutherischen Postillen versuchte man, katholische zer gar nicht in seiner Aufsicht, sondern unter der des Alternativen anzubieten bzw. diese vorzuschreiben.17 Mautners. Thomann von Preising konnte in dieser Frage Es steht sehr zu vermuten, dass die vom Bayernherzog auch nicht mit der Rückendeckung des Rates rechnen, gerade durchgeführte Visitation, die in der Herrschaft der zum größeren Teil selber evangelisch war oder zu- Neurating auch das Gericht Obernberg tangierte, aber mindest der Kelchbewegung nahestand. So stellte sich auch an anderen Stellen auf Passauer Gebiet einwirkte, im Zuge der 1571er Visitation etwa heraus, dass beide den Passauer Bischof zur Entsendung einer notwendi- Marktschreiber Urban Grättinger und Wilhelm Wurm- gen eigenen Kommission bewog.18 Die Folgen dieser höringer der Kelchbewegung oder dem evangelischen Visitation waren drastisch: Wer sich bis Ostern des Fol- Glauben anhingen. In den Befehlen aus Passau wird das gejahres nicht zum Empfang der Kommunion unter thematisiert, sie nehmen auch auf den Rat Bezug. „Ir einer Gestalt bereit erklärte, musste den Markt und das alle, namentlich, Rath und Gemain“22 werden visitiert. Bistum verlassen.19 Das zu überwachen war dann die 1589, nach einer neuerlichen Visitation, listete der Pfle- Sache des Pflegers. Ebenso wie in Ried war das auch in ger in einer langen Liste die Verfehlungen des damaligen Obernberg ein mühsames Geschäft, war doch – über- Pfarrers Hans Huber auf, der sich nach der Meinung raschend für das 16. Jahrhundert – ein Teil der Bevöl- Preisings zu wenig um den Gottesdienst kümmerte und kerung sehr mobil. Und so wie in Ried die Webersleute weder die kirchlichen Zeremonien ordentlich einhalte, die Kommunion versprachen, so taten es in Obernberg noch aufwandsgerechte Stolgebühren verlangte. Kon- die Schiffersleute, die Naufletzer. Zu kontrollieren war kret halte der Pfarrer Fronleichnam keine Predigt, und das bei der mehrmonatigen Abwesenheit während des die Fastenpredigten würden auch nur einmal am Tag Jahres bei diesen Berufsgruppen schwer und durch gehalten und nicht zweimal. Der Pfarrer wiederum re- ebendiese häufige auswärtige Arbeitstätigkeit hatten die dete sich auf seine Gesellpriester aus und auf den we- Betroffenen auch eine erstklassige Rechtfertigung pa- nig katholischen Lebenswandel der Bevölkerung. Und rat. Es war dies für die Betroffenen eine der wenigen tatsächlich: Dass am Sonntag während des Kirchgangs Möglichkeiten, den gegenreformatorischen Bemühun- mehr Leute in den Wirtshäusern anzutreffen seien als gen entgegenzuwirken. Das Verlassen der Kirche vor in der Kirche selber, diese Klage des Pflegegerichtes der Wandlung, die Nichteinhaltung der Beichttermine Obernberg lesen wir immer wieder.23 Die meisten ande- oder auch nur die Ablehnung der Einzelaufzählung der ren Vorwürfe des Pfarrers Huber würde man heute als Sünden sowie das Fleischessen an Fasttagen waren wei- Schlampigkeit im Amt bezeichnen: Altäre werden nicht tere Formen des reformatorischen Protests. gewaschen, Hostien fallengelassen und alle kirchlichen Abgaben vor allem die lukrativen etwa bei der Hochzeit Wurde der Druck der Obrigkeit zu groß – vor allem recht ordentlich erhöht.24 Geschadet hat es dem Pfarrer bei einer Visitation – blieb nur die vorgetäuschte Rück- nicht. Im Gegenteil. Die handschriftliche Pfarrchro- kehr zur alten Religion. Eine solche Visitation war dann nik Obernbergs erinnert sich an ihn als „leutselig“. Er nach außen ein voller Erfolg: „Rath und aine gantze war der Begründer der Obernberger Pfarrmatriken und gemain feyertags zu Morgens umb 8 Uhr.“ Viele hät- dürfte die Taufe auf Deutsch durchgeführt haben. Er ten vormals die „Communion sub utraque“ begehrt, überlebte seinen weltlichen Gegner Preising und starb aber aufgrund der Visitation „in willigen gehorsams zu 1594 in Obernberg.25 Seinen ihm nachgeordneten Ge- ainerlay gestalt“ zurückgekehrt.20 Die „Überraschung“ sellpriestern gegenüber hat er sich nachsichtig gezeigt. war dann immer groß, wenn sich die Kommunikanten Diese hatten Konkubinen im Ort. Als aus einer dieser nach Abreise der Kommission genauso renitent zeigten Liebschaften gleich Zwillinge entsprangen, taufte sie wie ehedem. der Obernberger Volksmund despektierlich „Lueder- bueb [Lutherbub], Kuchlratz. [Küchenratte].“26 Sein Der Pfleger Thomann von Preising, der nicht vom ka- Nachfolger, Thomas Wieser, der selber mehrere Kinder tholischen Glauben abgefallen war, bemühte sich offen- hatte,27 hielt sich dann folgerichtig auch nicht an den bar redlich, die Forderungen aus Passau in Obernberg Zölibat und ließ seine Tochter auch in Obernberg tau- zu vollstrecken, dürfte damit aber in Obernberg recht fen. alleine gewesen sein. Die Hauptforderungen aus Passau waren die Bewahrung des katholischen Glaubens, der Die handfesten Probleme des Pflegers spiegelten sich sich vor allem durch den korrekten Abendmahlsemp- auch in den Zahlen der Bürger und Bauern, die schon fang auszeichnete: „Damit ir alle nameltichen von Rath lange nicht mehr oder noch nie kommuniziert hatten. und gemain in allem bei der alten allgemeinen Catholi- Finden wir 1580 nur sieben Personen (hier allerdings schen Kirche und Ihrer Zugehörigkeit [bleibt], im son- die Frauen nicht gelistet),28 so ist diese Schar nur zwei derlichen aber der Communion under ainer gestallt.“21 Jahre danach auf über 30 Personen angewachsen.29 Die- se haben entweder noch nie oder nur zu besonderen An- Die Klagen des Pflegers über diese Aufgaben, über lässen („hat zu seiner hochzeit communiziert.“) sub una Pfarrer und Bevölkerung geben einen guten Einblick kommuniziert. Dass die Zahl der Widerspenstigen also in die die religiöse Gemengelage der Zeit. So beklagt zu- statt abnahm, mag auch den Religionsmandaten der

41 Bischöfe geschuldet sein, die zwar im Ton recht forsch – und vor allem wohlhabendere Personen des Marktes waren, denen aber – cum grano salis – am Anfang wenig inkludiert waren, muss der wirtschaftliche Schaden für Taten folgten. Es ist nun eine Sache, ob man wie vor Obernberg ein ungeheurer gewesen sein. Es ist daher 1582 nur „[…] die in Religion und catholischer Com- alleine schon aus wirtschaftlichen Überlegungen gut munion widerständigen [Bürger] glaubhaft zu machen“ nachzuvollziehen, dass der Bischof und die Passauer sowie diejenigen, die „mit iren weibern aber nit sub una Domherrn am Anfang versuchten, behutsam und nur comunicieren anzaigen“ wollen, oder ob es tatsächlich mit Ermahnungen gegen die renitenten Obernberger um die Ausweisung und die strafweise Wegnahme der vorzugehen. Das beginnende 17. Jahrhundert sieht wei- Güter ging. Und obwohl sich die Schifffahrtsleute wei- terhin protestantische Pfarrer in Obernberg. 1611 stirbt terhin geschickt entzogen, so weisen die zunehmenden der protestantische Pfarrer Kasper Meyer, danach wech- Mahnungen aus Passau an die jeweiligen Pfleger doch seln die Pfarrer innerhalb weniger Jahre mehrmals – ein in die Richtung einer engmaschigeren ernstgemeinte- Indiz für den steigenden Druck auf die immer noch ren Kontrolle. Insbesondere verfing nun die Idee, keine protestantisch denkende Geistlichkeit des Ortes. Nach- Neubürger oder auch nur Aufenthalte im Markt zuzu- dem von den nächsten vier Pfarrherrn Obernbergs nur lassen, wenn der Zugezogene nicht erwiesenermaßen einer vor Ort gestorben war und die anderen offenbar katholisch war. Das war mit dem seit dem Trienter ihres Amtes enthoben wurden, ändert man in Passau Konzil aufkommenden System der Beichtzettel leicht die Herangehensweise und berief einen ortsfremden ka- zu kontrollieren und machte dann auch den evangelisch tholischen Priester (wohl aus Vorarlberg), Melchior gesinnten Rieder Leinenwebern und den Obernberger Stoll, nach Obernberg.37 Von nun an waren die Pfarrer Naufletzern zunehmend zu schaffen, die ohne diese wieder auf der katholischen Linie. Allerdings hatte die- Zetteln auswärts in Erklärungsnotstand kamen.30 ser stramm katholische Priester noch immer eine Kon- kubine38 - von manchen Gewohnheiten trennt man „Dass die widerwertig sect nit abnimmt“31, stellte 1588 sich auch nach Ende der Reformation offenbar schwer. eine weitere Untersuchungskommission in Obernberg Stoll wurde deswegen in Passau angezeigt. Zu einer Ver- fest. Das war für die Obrigkeit besonders ernüchternd, handlung dürfte es nicht mehr gekommen sein, da der da eine zwischenzeitliche Zählung 1585 die vollständi- Pfarrer noch im gleichen Jahr starb. Damit endet refor- ge Rückkehr zum katholischen Abendmahl gemeldet matorisches Streben und evangelische Gedanken in hatte. Möglicherweise hatte der Pfleger, der unter enor- Obernberg aber nicht.39 Bis 1780 (!) hielt sich in Obern- men Druck von oben stand, hier einfach eine geschönte berg nachweislich der Brauch, den Laien zur Kommu- Meldung nach Passau geschickt, was bei einer externen nion ungesegneten Wein zu reichen. Die Abrechnungen Visitation wie der von 1588 aber auffliegen musste.32 der Pfarre Obernberg und der zugehörigen Filialkirchen Auch für die folgenden Jahrzehnte gibt es noch keinen weisen den „Communiciantenwein“ fast bis zum Ende Grund, von einer vollen Rekatholisierung des Marktes des passauischen Obernbergs 1782 aus!40 Mit dem Erlö- Obernberg auszugehen. Noch 1620 finden sich 20 schen der Reformation im angrenzenden Österreich um Nicht-Kommunikanten. Bemerkenswert ist die Na- 1625 stieg dort der Bedarf nach (illegaler) Reformati- mensgleichheit mit den Visitationsberichten der 1570er onsliteratur. In der Zeit des Geheimprotestantismus in und 1580er Jahre. Die Namen Stauffenecker, Carl oder Österreich wurde Obernberg ein wichtiger Rastplatz Wißpeck finden sich immer wieder33 – es handelt sich für Buchschmuggler, die von Norddeutschland aus pro- offenbar bereits um Nachkommen der ersten Welle an testantische Familien mit Büchern belieferten. Ich sel- evangelisch Gesinnten. Weitere prominente evangeli- ber kaufe als Sammler alter Theologica von oberöster- sche Familien waren die Andorffer, Diramhirn, Pfäffin- reichischen Familien neben alten Bibeln oftmals die ger, Fux und Rädl, sowie die Schmelzing, Schindl und Bücher „Vom wahren Christentum“ von Johann Arndt. Grättinger. Keiner dieser Familennamen findet sich Verkäufer sind meistens Hausruckviertler Familien bis heute im weiteren Obernberger Umfeld – sehr wohl nach Eferding, selten aber doch auch Innviertler Land- aber in größerer Zahl in der Welser, Linzer und Eferdin- wirte. Eine Häufung bei diesen Funden sehe ich per- ger Gegend.34 Einzig die im 16. Jahrhundert evangelisch sönlich um die Publikationsjahre 1739 bis zur Anglie- konnotierte Familie Wurmhöringer findet sich heute derung des Innviertels und Obernbergs (1779/1782) an noch in Antiesenhofen und Reichersberg.35 Das mag als Österreich. Dazu folgende Episode: Eine fast 90-jährige Indiz hinreichen, die unausweichliche Ausweisung der Lohnsburger Landwirtin berichtete mir vor einigen evangelischen Bevölkerung Obernbergs nicht nur in Jahren, dass noch ihr Großvater diese „verbotenen Bü- Richtung Norddeutschland zu denken. Zudem wird cher“ rege gelesen habe, dann aber in der Familie ir- diese Abwanderung nach Österreich vor dem Ende der gendwann kein Interesse mehr bestanden hätte. Als Reformation in Oberösterreich erfolgt sein, was bedin- Kind wurde ihr aber eingeschärft, selber nicht in diesen gen würde, dass ein Großteil der nicht katholischen Be- Büchern zu lesen – woran sie sich gehalten hätte.41 Ein völkerung nach 1580 (vorher erfolgten vom Passauer schönes Beispiel für das – später als angenommen? – Bischof keine Gegenmaßnahmen) aber vor 1626 ab- Erlöschen des evangelischen Glaubens in unserer Ge- wanderte bzw. ausgewiesen wurde. Von den evangeli- gend. Viel häufiger sind solche Glaubenserzählungen schen Bewohnern Obernbergs dürfte ein größerer Teil aber natürlich aus dem Gebiet Grieskirchen-Eferding. ausgewandert sein. Da es sich hier um 250 erfasste (!) Hier hat sich der evangelische Glaube ungleich stärker Personen handelte36 – Gesinde wurden nicht mitgezählt gehalten. Dieser befeuerte dann auch den mobilen

42 Buchmarkt. Die illegalen Buchhändler brachten die da an brauchten sich auch die Obernberger Bürger „heiße Ware“ über die Nordroute Ortenburg-Obern- evangelischen Glaubens nicht mehr als Menschen 2. berg ins damalige Oberösterreich. Buchhändler, die – Klasse fühlen. Eichsteininger Hannes auch wenn sie als reisende Handwerker getarnt waren 1 Die vielen abweichenden Schreibarten sind bekannt, die hier angewandte wird – als Ortsfremde in Obernberg natürlich auffielen. Sie in der Folge – Zitate ausgenommen – beibehalten. Anm. des Verfassers lebten gefährlich. 1733 beschwert sich der Bischof beim 2 Leibinger, Herwig: Die Entwicklung des evangelischen Glaubensbekenntnisses im Innviertel, S.85f. Gespräch des Autors mit Johann D., 28.4.2017 Pfleger von Obernberg und befiehlt die „[…]ausrottung 3 Gespräch des Autors mit Johann D., 28.4.2017. Die Wahrheit dürfte wohl in solcher bücher bei der Überfuhr [nach] Obernberg.“42 der Mitte liegen. Die in den Visitationsberichten genannten Zahlen zur Reichung des Laienkelches – wiewohl obrigkeitsstaatlich erhoben, und damit mit Vorsicht 20 Jahre später hat man dieselbe Situation. Jetzt schreibt zu betrachten – legen dar, dass die Kommunion sub utraque außerhalb der Mär- Passau, dass, um den Schmuggel zu unterbinden „sei kte und Städte nur von einer Minderheit gefordert wurde. Anm. des Verfassers alle möglichste procaution zu gebrauch.“43 Die 4 Obernberg war neben Umschlagplatz für Tiroler Salz auch eine wichtige Maut- stelle der Passauer. Anm. des Verfassers Schmuggler, so warnt Passau, und gibt damit einen in- 5 Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am teressanten Einblick in die Welt der Buchhändler, seien 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ (d._1529) schlau und nähmen alle möglichen kleinen Güterwege, 6 Vgl. Hier irrt die ansonsten sehr verlässliche Brigitte Kaff: Kaff, Volksreligion um der Obrigkeit zu entgehen. Auch an Einfallsreich- S.261 7 Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am tum fehlt es nicht. Ein durchziehender Müller versteckt 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ seine Bücher im Mehl – er wird trotzdem erwischt. (d._1529) 8 Vgl. Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am Überhaupt bringen Handwerksburschen neben umher- 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ ziehenden Klerikern (Vaganten) mehr Bücher ins Land, (d._1529) sowie Kaff, Brigitte, S.252 als die echten Händler. Daher will man ab 1757 „[…] 9 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Wiedertäufer 1546 10 Vgl. Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Wiedertäufer 1546 nun aber ersuchen, Vaganten und Handwerksgesellen 11 Bayerisches Blechkastenarchiv 134 / 134 (vormals Rep.112), Mandate zu visitieren, da man einige lutherische Bücher gefun- 12 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- 44 tenkennung, um 1900 den (habe).“ Andererseits reisen immer wieder Men- 13 Vgl. 11. 1563 XI. 21., Sonntag vor Katharina 1 Hanns Thoman von Prei- schengruppen evangelischen Glaubens durch Obern- sing zum Huebenstein, Pfleger zu Obernperg, verkauft sein Häusl, abgerufen am 20.09.2017 unter: http://www.landesarchiv-ooe.at/Mediendateien/Obernberg- berg. Es handelt sich um Glaubensemigranten, die aus HA.pdf Tirol und Salzburg ausgewiesen wurden. Ihre Reiserou- 14 Auch die Schreibweise Preysing ist bekannt. Anm. des Verfassers te führt des Öfteren durch Obernberg. 1733 weist Pas- 15 Vgl. Kaff, Brigitte: Volksreligion und Landeskirche, S. 126 16 Das hätte es den renegaten Obernbergern ermöglicht, legal die Bibelüberset- sau den Obernberger Mautner an, für diese durchzie- zungen beider Autoren zu lesen – sie sind mit der Luther Übersetzung von 1534 henden Emigranten kurzzeitig Quartiere bereitzustel- zu einem sehr großen Teil ident. Wie findig – oder aber wie prinzipientreu – die Obernberger in der Frage waren, ist nicht überliefert. Anm. des Verfassers len. Auch Kryptoprotestanten betreten immer wieder 17 Vgl. Meindl, Obernberg, S.106 Obernberger Boden. Sie sind aus dem späteren Innvier- 18 Vgl. Meindl, Obernberg, S.104 19 Brandstetter, Hans: Der Markt Obernberg am Inn, S.18 tel (selten) und aus dem oberösterreichischen Haus- 20 Bayerisches Blechkastenarchiv 136 / 98 (vormals Rep.112), In Posessione fidei ruckviertel und dem Zentralraum (häufig) auf dem Weg Chatolica 1570 21 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 ins evangelische Ortenburg, um dort wenigstens einmal 22 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 den evangelischen Gottesdienst zu feiern, ihre Kinder 23 Vgl. Brandstetter, Obernberg, S.18 taufen zu lassen oder zu heiraten. Dieses „Auslaufen“ 24 Vgl. Meindl, Obernberg, S.104 25 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- bleibt natürlich nicht verborgen, und daher ergeht von tenkennung, um 1900 Passau der Befehl nach Obernberg, „derley suspecte 26 Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Seitenken- nung, um 1900 Fremdling“ genau zu kontrollieren. Verdächtige „Aus- 27 Vgl. Kaff, Volksreligion, S.130 läufer“ sollten wie die Vaganten festgenommen und 28 Vgl. Meindl, Obernberg, S.107 29 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 verhört werden. 1753 ergeht an den damaligen Obern- 30 Die Gegenreformation behielt dieses äußerst effiziente Überwachungssystem berger Pfleger Maximilian Stillmaier der Befehl, alle mancherorts bis ins 20. Jahrhundert bei – vielerorts ließ sich von Grundherrn Durchreisenden genau zu kontrollieren – auch wenn und Bauern auch der Messbesuch der Knechte und Mägde kontrollieren. Dass das System natürlich unterlaufen wurde und in Wirtshäusern und andernorts ein diese keine verbotenen Bücher bei sich hätten. Auch schwungvoller Handel mit den Beichtzetteln einsetzte, ist eine andere Geschich- dieser Befehl hat sich wohl gegen die zahlreichen „Aus- te. Anm. des Verfassers 31 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 läufer“ gerichtet. Vier Jahre später ergeht die Anwei- 32 Vgl. Kaff, Volksreligion S.128 sung, keine Dienstboten oder Handwerker in Obern- 33 Vgl. Kaff, Volksreligion S.129 34 Vgl. Österreichisches Telefonbuch, abgerufen am 07.10.2017 unter: herold. berg aufzunehmen, „wegen besorglicher Irrlehr Luthe- at ri“. Sie sollen nicht „ehender in den dienst angenohmen 35 ebenda werden biß sie nicht von den Pfarrern in glaubens Sa- 36 Vgl. Kaff, Volksreligion S.128 45 37 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- chen examiniert worden seind.“ Mit dem Ende der tenkennung, um 1900 Passauer Herrschaft enden die Aufzeichnungen. Obern- 38 Vgl. Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 39 Jede der mir bekannten Darstellungen zur Reformationsgeschichte des Inn- berg war nicht mehr Ausland zu Österreich und dem viertels endet spätestens an dieser Stelle. Anm. des Verfassers (nunmehr tatsächlichen) Innviertel. Andererseits konn- 40 Vgl. Meindl, Obernberg, S. 129 41 Vgl. Gespräch des Autors mit Theresia Glechner vom 27.12.2012 ten nach dem Toleranzpatent von 1781 evangelische 42 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 Bücher auch in Österreich wieder legal erworben wer- 43 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 44 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 den – auch wenn man den ab nun geduldeten Prote- 45 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 46 stanten das Leben noch schwer genug machte. Erst 46 Ausnahmen sind etwa die Vertreibung der Zillertaler Protestanten noch 1837. durch das sogenannte Protestantengesetz von 1961 er- Anm. des Verfassers reichten sie die volle Gleichberechtigung und erst von

43 Eine eigene Geschichte: Schule in Obernberg von 1918-1961

chule in Obernberg, das war während der rund letz- ten hundert Jahre vor allem ein Wechsel zwischen Obernberg und seine Hauptschule - das S ist die Geschichte einer oft unterschätzten Kontinuität und stetiger Entwicklung – im Angesicht Symbiose. Die Hauptschule ist mehr als einer sich rascher entwickelnden Welt. Ab 1921 kam nur eine Bildungseinrichtung. Sie ist Kul- zur existierenden Volksschule Obernberg die neue Bür- turtreffpunkt, Erinnerungsort der meisten gerschule dazu. Sie sollte bald (1927) zur Hauptschule Obernberger, Lernmittelpunkt von je 120- werden. Damit nahm das Hauptschulwesen in Obern- 250 Kindern und Jugendlichen und vieles mehr. Und berg, trotz zunächst weniger eigener Schüler, bald eine das seit fast 100 Jahren. Die Volksschule gibt es noch wichtige soziale und kulturelle Stellung im Markt und länger. Hier ist die Geschichte der beiden Schulen. im Umland ein. Das führte dazu, dass die Umlandge- lige Schulleiter Anton Kastenhuber im Buch „25 Jahre meinden wie Reichersberg, St. Georgen bis hinunter 3 nach Weilbach sich immer auch als Teil einer kulturel- Hauptschule Obernberg am Inn 1921-1946“ , dass sich len Community verstanden, wie es dann bei den großen viele Bürger der Hauptschulgründung besonders an- Faschingsumzügen oder bei der 1000 Jahr-Feier Obern- nahmen und Geld sowie Bauholz stifteten, denn: „Die bergs (1955) zum Ausdruck kam.1 Darüber wurde et- Marktgemeinde Obernberg, seit Jahren wirtschaftlich schwer ringend, wäre nicht in der Lage gewesen, plötz- lichen Kindern mit Installation der Hauptschule eine 4 erzieherische Kontinuität ermöglicht, die vor 1921 un- lich die nötigen Gelder aus eigenem aufzubringen.“ denkbar war. Es konnten nun viele, für die das beruflich So gesehen, hat sich die Finanzlage der Marktgemein- wichtig war, eine über die Volksschule hinausgehende de Obernberg verglichen mit heute gar nicht so sehr Ausbildung durchführen, ohne dafür die katastrophalen verändert. Kastenhubers Buch, „25 Jahre Hauptschu- Anfahrtswege nach Ried oder Braunau, in denen sich le Obernberg am Inn 1921-1946“, enthält neben ei- die nächsten Hauptschulen bzw. Gymnasien befanden, ner kurzen Schulgeschichte vor allem eine Liste aller Schüler und deren Wohnorte, welche die Bürger- und in Kauf nehmen zu müssen. Die Hauptschule war (da- 5 mals!) eine Schule für die Elite, besonderer Begabung Hauptschule von 1921-1946 besucht haben. und /oder elterlicher Wohlstand Voraussetzung. Das damalige Volksschulgebäude wurde provisorisch er- Exemplarisch sehen wir uns das Jahr 1950/51 an: Die weitert, damit dort auch die anfangs kleine Hauptschu- Volksschule Obernberg hatte damals 197 Schüler, am le untergebracht werden konnte. Die erste Klasse hatte Ende des Schuljahres erhielten 26 Kinder (13 Mädchen 1921 27 Knaben und 21 Mädchen. Der Unterricht / 13 Buben), die Hauptschulreife zuerkannt. Schüler, fand von 8-11 Uhr und von 1-4 Uhr am Nachmittag statt, am Donnerstag war frei (dafür war der Samstag die diese Leistung nicht erbringen konnten oder woll- 6 ten, wurden noch drei Jahre in der Volksschuloberstu- ein Schultag!). fe „beschult“, bevor sie nach sieben Schulstufen auch Zur ersten räumlichen Orientierung: Beide Schulen, „Entlasschüler“ waren. Das waren für unser untersuch- Volksschule und Hauptschule, befanden sich am Markt- tes Schuljahr 1950/51 elf Kinder – also weniger, als platz in unmittelbarer Nähe der Kirche. Dort wo heute jene, die in die Hauptschule weitergingen. Nur zwei das Trachtengeschäft Wenger untergebracht ist, war die Schüler nahmen es damals nach der Volksschule auf Volksschule. Daneben, beim ehemaligen Baumgartner sich, eine Gymnasium zu besuchen – häufig das Petri- 2 Bäckerhaus („Pesselhaus“), war die Hauptschule unter- num in Linz. gebracht, die 1927 von Baumeister Fürst zur Haupt- 7 Über die Anfänge der Bürgerschule schrieb der dama- schule ausgebaut wurde . Dort blieben Volks- und Hauptschule, bis nach Raumnot und Baufälligkeit zu Beginn der 60er Jahre zuerst beide Schulen an den heu- tigen Standort Richtung Oberfeld zogen und später die Volksschule ein eigenes Schulgebäude dahinter bekam. Historisch liegt der große Wert für die Forschung zur Obernberger Schulgeschichte darin, dass wir aus zwei reichhaltigen Schulchroniken schöpfen dürfen, in die verschiedene Leiterpersönlichkeiten aus zwei Schulen nicht nur dürre Statistiken verfassten (das zwar auch), sondern vielfach Probleme des Alltags, die Gefahren politischer Entwicklungen und finanzielle sowie logisti- sche Engpässe an den Schulen kommentierten. Die bei- Ausflug 1935: Man beachte den „!“ (Foto: SCR Hauptschule OB) den Schulen waren anders als heute kommunizierende

44 Gefäße, das heißt, dass ein Einsatz von Volksschulleh- und verblieben auf dem Niveau bis die Flüchtlingswelle rern in der Hauptschule üblich war. Der Hintergrund ab 1944 einen abermaligen Anstieg brachte. ist der, dass es damals keine gesonderte Ausbildung zum Bürgerschul- bzw. Hauptschullehrer gab. Junge Lehrer Die damals nur dreiklassig geführte Bürgerschule er- begannen nach der Matura als Volksschullehrer und über reicht 1924 diese Ausbaustufe. Damals wurde bereits ein Kurssystem wurde dann für den jeweiligen Schultyp in der Schule Maschinschreiben unterrichtet. Die erste hin ausgebildet. So kamen etliche Lehrer zu Unterrichts- Schule Österreichs sei das gewesen, vermerkt Anton Ka- erfahrung an der Volksschule und der Hauptschule. stenuber stolz.9 Genau werden die Gelderträge aus Schü- Beispielhaft seien hier Friedrich Fejha, Irmgard Mazoch leraufführungen und Ausstellungen notiert – sind sie und Hauptschuldirektor Hans Buchegger genannt, die für die Lehrmittelkasse doch sehr notwendig. 250 Schil- alle in ihrer langen Dienstzeit in Obernberg hin und ling bringt eine Ausstellung von Schülerarbeiten, 300 her wechselten. Die Fluktuation des Lehrpersonals war, Schilling eine Schüleraufführung im Gesellenvereins- auf die Zeit von 1923-1963 gesehen, viel intensiver als saal.10 Die Sanierung und damit die deutliche Auswei- heute. Das mag überraschen, verhielten sich die Ver- tung der Schülerzahlen der neuen Hauptschule fanden kehrsverbindungen damals doch entgegengesetzt dazu. 1927 statt. Der Hintergrund war das Hauptschulgesetz, Einerseits waren dass ein vierklas- dafür hauptsächlich siges Hauptschul- Verpflichtungen wesen vorsah, was von jungen auswär- natürlich eine neue tigen Lehrern an die vierte Klasse für die neue Obernberger Obernberger Bürger- Hauptschule ver- schule bedeutete. So antwortlich. Diese wurde dann von der wollten dann natür- Gemeinde ein Kredit lich oft wieder weg aufgenommen und aus dem entlegenen das neben der Schule Grenzland! Abgän- stehende Haus ange- ge – ich greife vor – kauft und von Bau- gab es auch aus po- meister Fürst umge- litischen Gründen. baut.11 Dabei wurde Bemerkenswert ist Eine der vielen Ansichten der beiden Schulen, rechts die Hauptschule. Heute ist in dem Gebäu- auch ein Teil der etwa, dass kein einzi- de neben der Kirche ein Trachtenmodengeschäft untergebracht. (Foto: SCR HS OB) Volksschule saniert ger Lehrer der Volks- und – die Schulchro- schule, der 1945/46 in Obernberg unterrichtete, Lehrer nik vermerkt es stolz: „Die Abortanlagen wurden mit im vorhergehenden Jahr war! Hier haben die politi- Wasserspülung gebaut.“12 Hoher Besuch verlor sich schen Verwerfungen eine Rolle gespielt und die Tatsa- selten in den kleinen Markt am Inn. Und wenn doch, che, dass mit einer Ausnahme alle männlichen Lehrer dann waren immer auch die Schüler und die Schule mit Obernbergs bei der NSDAP waren. Die Situation in dabei. Etwa als Bundespräsident Hainisch im Septem- der Hauptschule wurde ergänzt durch die vielen sich ber 1927 Obernberg besuchte. „Auch die Schuljugend in Kriegsgefangenschaft befindlichen Lehrer. Wie um- beteiligte sich am festlichen Empfange. Begleitet von fassend der Kahlschlag an der Volksschule war, zeigt der den Lehrkräften wurden sie dann um 11 Uhr mittags Eintrag in das Konferenzprotokoll vom 17. September zur Aufstellung am festlich geschmückten Marktplatz 1945: „Weisungen der o.ö. Landeshauptmannschaft: geführt. Um halb 12 traf das Staatsoberhaupt ein. (…) Enthebungsdekrete für Hr. Preischler u. Ln.Wenz. Der Bürgermeister stellte ihm die Spitzen der Behörden, Entlassungsdekret für Lehrer Gaßner. Übernahme der Vereine und der angrenzenden Gemeinden vor.“ Ob und Schulleitung durch H. Obl. Bernegger. Überstellung was die „Spitzen der Behörden“ dem Bundespräsident der Ln. Grüninger in den Kreis Schärding, der Ln. vortrugen, ist nicht überliefert. Ab 1929 – die schlechte Baumgartner in den Kr. .“8 Wirtschaftslage lasst grüßen – werden alle Kinder ge- messen und gewogen. Ab 1930 steigen die Schülerzah- Schule in den 20er und 30er Jahren len der Volksschule wieder auf über 200 Kinder an. Im selben Jahr bricht Mumps aus – die Schule wird einige Das Ende des 1. Weltkrieges bedingte, dass Obernberg Zeit geschlossen.13 Ein neu angeschaffter Projektionsap- vom Grenzort des zweitgrößten Landes Europas zum parat (BILD Apparat) revolutioniert den Unterricht. Es Grenzort eines kleinen 6 Millionen-Staates wurde. In können „nicht nur Bilder sondern auch Glasbilder, un- dieser ersten Nachkriegszeit gab es viele Kinder und die entflammbare Filmstreifen und mikroskopische Präpa- Bürgerschule entlastete die Volksschule noch nicht. Das rate vorgeführt werden.“14 Der Apparat (und einige mit hatte zur Folge, dass die Schülerzahlen der Volksschule angekaufte Schulbänke) kostete die stolze Summe von 1918 mit 281 Kindern sehr hoch waren. Ein Höchst- 1306 Schilling. Die Summe bekommt eine Begrifflich- stand übrigens, der später nie wieder erreicht wurde. Be- keit, wenn man weiß, dass zu dieser Zeit der Stunden- reits 1923 waren die Zahlen auf 184 Kinder gesunken lohn eines gelernten Metallarbeiters etwa 1,30 Schilling

45 betrug,15 er dafür also fast ein halbes Jahr hätte arbeiten müssen. Die Zeiten waren hart. Etwas anderes wurde aber dafür lockerer gehandhabt als heute. „Hitzefrei“ gibt es in der Gegenwart nicht mehr (obwohl die Tem- peraturen dazu jeden Anlass böten). Damals schon. In den 30er und 40er Jahren verging kaum ein Jahr, indem nicht im Juni und Juli einige Schultage, ja manchmal komplette Wochen ausfielen – wegen der großen Hitze. So hatte die Volksschule 1931 gleich an sieben Junita- gen ganz oder teilweise „hitzefrei“. Die Eröffnung des Heimathauses 1931 (bereits damals wurde der Platz- mangel im Gurtnertor beklagt) bot Gelegenheit, den Markt durchgehend zu fotografieren, die Bilder finden sich auch in der Chronik der Volksschule.16 Inzwischen wurde die Not der 30er-Jahre aber immer greifbarer. Werken 1934 - mit dem überaus beliebten Lehrer Nowotny (Foto: Lang) Was in der „großen“ Politik zur Radikalisierung der politischen Lager führte, hatte seine Wurzel zu einem 1934 (bürgerkriegsähnliche Zustände mit mehr als 100 Gutteil in Arbeitslosigkeit und Mangel. Und so kamen Toten, Anm.) bringen die Realität aber bald eindrucks- die Not und der Hunger 1933 auch in den Obernber- voll zurück und wirken auch auf die Schule. ger Schulen an. „Infolge der schlechten wirtschaftlichen Der sonst so um Objektivität bemühte Direktor der Lage leiden viele Familien große Not. Der Elternverein Volksschule Herbert Preischler schreibt: „[…] von ei- „Frohe Jugend“ nahm sich der notleidenden Familien nem „wahnsinnigen“ Aufstand der Arbeiter, der durch an und brachte es zu Wege, vielen bedürftigen Kindern 21 17 die pflichtbewusste Entschlossenheit“ der Exekutive Mittagessen zu verschaffen.“ niedergeschlagen wurde. Er lässt damit keinen Zweifel Ein Geniestreich gelang den daran, wo der größere Teil der Lehrerschaft in Obern- Lehrern der Hauptschule berg damals politisch noch Obernberg 1933. Der Schloss- stand. Preischlers echte besitzer und Hochstapler Carl Empörung wurde noch Schappeller, der im Schlosskeller durch Druck von oben von Aurolzmünster die „Raum- verstärkt. Am 16. Februar kraft“ entdeckt zu haben glaub- wurde auch in Obernberg te18, ging 1933 Pleite und sein an beiden Schulen eine Geheimlabor wurde versteigert. Verlautbarung verlesen, in Dieses wurde von der Haupt- der es hieß, dass „vater- schule „(…) um einen geringen landsfeindliche Elemente“ Betrag erworben, wodurch auf in die „Seele unseres braven dem Gebiete der Chemie die Volkes“ den „Samen des Hauptschule Obernberg eine Klassenhasses“ gesät hät- der am besten eingerichteten ten. Von nun an muss je- des Landes wurde:“19 des Kind in der Schule mit „Treu Österreich!“ grüßen. Da es soziale Fürsorge für die Was sich die gar nicht so Armen nur in rudimentärer wenigen armen Arbeiter- Ausprägung gab, musste das kinder Obernbergs dabei Geld dafür woanders her kom- gedacht haben mögen, ist men und so beteiligten sich wie immer in solchen Si- auch die Lehrer – deren Salär ja tuationen nicht überliefert. auch durchaus bescheiden war – An der Spitze beider Schu- „durch geldliche Unterstützung len in Obernberg standen an dieser Aktion.“20 Ob freiwil- damals wertkonservative lig oder nicht ist allerdings die christlichsoziale Lehrer Frage. Um zu Geld zu kommen, und Leiter. Sowohl Josef organisiert die Schule Veranstal- Etz von der Hauptschule tungen. Da begab man sich in als auch Herbert Preischler, der Schule auch gerne in die der Leiter der Volksschu- Vergangenheit und gedachte le, zahlten dafür 1938 mit in einer großen Schulfeier der Amtsenthebung, wandten Befreiung Wiens von den Tür- sich dann aber der NSDAP ken 1683. Die Februarkämpfe Die ersten Fotos aus der Haupschulchronik zeigt die Klassen. zu. Ab 1934 wehte dann (Foto: SCR HS, OB) auch in den Schulen ein 46 herum: Ausflugsfahrten ins Almtal und nach Krems- münster müssen bei den Transportwegen der damaligen Zeit für die Schüler kleine Expeditionen gewesen sein. 28 Auch zweitägige Ausflüge bis in die Steiermark hinein wurden durchgeführt.29 Die NS-Zeit und die Obernberger Schulen

Die ansonsten reiche Quellenlage zur jüngeren Obern- berger Schulgeschichte verdünnt sich in den Jahren 1938-1945. Hauptgrund war, dass die Originaleinträge der Schulchroniken diese Jahre betreffend für alle Schu- len Oberösterreichs entfernt und neu verfasst werden mussten. Das geschah nicht auf Veranlassung der „da- mals etwas duesligen Amerikaner“ wie der Obernberger Die Entlassklasse der Hauptschule 1930 (Foto: SCR HS OB) Chronist Hans Brandstätter flapsig meint, sondern auf Veranlassung der Landesregierung. Die US-Besatzer, die anderer politischer Wind. Waren Abzeichen aller Art, sich mit der Entnazifizierung herumschlagen mussten, die eine politische Gesinnung hätten ausdrücken kön- hatten begreiflicherweise kein Interesse, dass wichtige nen, vor 1934 streng verboten, so wurden nun eben- Schriftquellen, die ihnen dabei helfen konnten, ver- solche erwartet. Erlaubt waren solche, die eine Zuwen- nichtet wurden. Vergessen wurde bei der in nüchterner dung zum Ständestaat zum Ausdruck brachten.22 Dass Sprache gehaltenen Neufassung der Schulschriften al- dann in diesem Umfeld Individualismus und Kreativi- lerdings auf die wenig beachteten Konferenzprotokolle tät nicht gerade überschäumend blühen sollten, dar- der Lehrerkonferenzen. über belehrte der Bezirksschulinspektor die Obernber- ger Lehrerschaft bei einer Inspektion zum Thema Zei- Hier erfahren wir bereits wenige Tage nach dem Ein- chenunterricht: „Es ist nicht Aufgabe der Volksschule marsch, dass ein neuer Wind weht: „Beim Weggehen Künstler heranzubilden, daher vermeide man voreilige grüßt auch die Lehrkraft mit „Heil Hitler“, worauf die technische Schwierigkeiten, wie frühzeitiges Malen mit Kinder den Gruß erwidern und sogleich weggehen kön- 23 Wasserfarben.“ nen. Wird die Lehrkraft auf der Straße mit „Heil Hit- ler!“ gegrüßt, so hat sie auf die gleiche Art zu danken.“ Während der Februarkämpfe fällt auf der Seite des Bun- Zwei Zeilen weiter findet sich dann noch folgender Ein- desheeres der ehemalige Obernberger Bürgerschüler trag: „Die Lesehefte „Mein Vaterland, mein Österreich“ Josef Rauscher.24 Im Sommer wird der Hauptschuldi- und „O du mein Österreich“ sind abzusammeln. rektor Direktor Buchegger Leiter in Braunau, der lang- jährige Lehrer Etz, der die Obernberger Schule mitge- Hierzu muss man sagen, dass in Obernberg beileibe gründet hatte, wird neuer Leiter. nicht nur begeisterte Nazis ihre ureigene faschistische Gesinnung unters kindliche Volk brachten. Sie stan- Als Bundeskanzler Dollfuß 1934 von Nationalsoziali- den hingegen meist selber unter großem Druck. Die sten ermordet wird, kommt es schnell zur Aufstellung Verordnung und Amtsvorschriften, die nach dem Ein- einer Gedenktafel. Beide Direktoren berichten dar- marsch auf die Lehrer einprasselten, verdoppelten sich über.25 Die unruhigen Zeiten hielten die SchülerInnen schnell – darunter wurden recht schnell die Disziplinar- dieser Generation aber nicht von Streichen, Späßen komissionen der Lehrer mit verlässlichen Parteigängern und dem Schwätzen besetzt und genaue ab. Dass es in den Vorgaben über die Schulgottesdiensten Dienstbeschäftigun- manchmal etwas gen ausgearbeitet30. lauter zuging, war Auch war für Lehrer auch damals bereits die Mitgliedschaft so.26 Auch das Zu- beim NS-Lehrer- spätkommen wird bund Pflicht. Schul- häufig beklagt, leiter konnte man ebenso „(…) ist das damals praktisch nur Bekritzeln der Klo- als NSDAP Mitglied settwände gleich- werden. Aber gerade falls zu tadeln.“27 hier, fällt Obernberg Trotz der wirtschaft- später mit einer Aus- lichen Tristesse ka- nahme auf. men die Schulkin- Direktor der Haupt- der erstaunlich weit Ausflüge mit der Bahn gingen immer von Antiesenhofen weg - verbunden mit einem 1-2 stün- digen Anmarsch am frühen Morgen! (Foto: Lang) schule wurde nach

47 dem Einmarsch 1938 der überzeugte Nationalsozialist Ernst Kutschera aus . Er blieb bis 1943 Schulleiter, ehe er zur Wehrmacht einrücken musste. Wie wenig man sich auch NS-skeptischer Lehrer dem Propagandamoloch der Nazis zu entziehen vermochte, zeigt folgender dürre Eintrag: „Am Donnerstag, den 10.2., findet der Jugendapell der H.J statt. […] Nicht- beschäftigte Lehrer führen die Aufsicht.“31 Viel häufiger noch fanden HJ-Apelle und Treffen aber am Sonntag, zeitgleich mit der Sonntagsmesse statt. Der perfide Plan dahinter war es, die Jugendlichen in Entscheidungs- not zwischen dem HJ Besuch und dem Kirchenbesuch zu stürzen. Teilweise finden sich in den Protokollen pointierte Hinweise auf Ärgernisse mit der mächtigen NSDAP. Etwa, wenn der VS-Leiter seine „weiblichen Lehrkräfte“ etwas enervierend schriftlich darauf hin- weist, nicht schon wieder („Unnötiger Urlaub mancher weiblicher Lehrkräfte“) wegen einer NSDAP-Schulung zu fehlen. Die raren Schulfotos jener Zeit zeigen die Teilung der politischen Lager. Auf einem Foto der Ab- schlussklasse von 1940 sieht man etwa die Hälfte der Kinder in der hellen HJ- Uniform. Die anderen tragen neutrale Kleidung. Änderungen des Lehrplanes und die Adaptierung an die deutschen Verhältnisse kommen aber auch recht gut an. So ist der flächendeckende und verpflichtende Turnunterricht für Mädchen eine Re- form, die für viele unserer alten Zeitzeugen positiv kon- Schulentlassfeier des Jahres 1940 (Foto: Sommerbauer) notiert war. Die Schulentlassfeiern jener Zeit fanden für die Hauptschule hinter der Schule statt. An einer Fahne auch für das von der Lehrerin Mathilde Heger betreute wurde die Hakenkreuzfahne aufgezogen und die Feier- Schülerheim mit 20 Kindern. Dieses war 1942 von der lichkeiten wurden jeweils mit dem Hitlergruß beendet. Gemeinde Obernberg eröffnet worden. Im März 1945 Das war so ein in ganz Deutschland vorgesehenes Stan- wurde es endgültig geschlossen, um darin Flüchtlinge dardprozedere und auch die Leiter Kutschera und Ka- unterzubringen.33 stenhuber konnten sich diesem Ablauf nicht entziehen. Im September 1944 erreichte die Hauptschule mit 159 Waren die Möglichkeiten des Übertritts in die Haupt- Kindern gleich einen neuen Höchststand. Man muss schule vor und nach der NS-Zeit von finanziellen Lei- hier immer auch die Kinder der bayerischen Seite mit- stungen der Eltern, evtl. auch Stipendien oder den denken, die in Obernberg die Schule besuchten und Fahrverhältnissen sowie der Intelligenz des jeweiligen ebenso die steigende Zahl der Flüchtlingskinder. Kindes abhängig, so gab es dazu während der NS-Zeit einen anderen Zugang: „Die Hauptschulklausel kann Das letzte Kriegsjahr (1945) war gleichzeitig das Schul- im Sinne der Auslese höchstens einem Viertel der Klasse jahr mit dem häufigsten Unterrichtsentfall. So intensiv, erteilt werden.“32 dass auf Anordnung der amerikanischen Militärregie- rung OÖ der Schulbesuch dieses Jahres für alle Schü- Nach und nach rücken die jüngeren männlichen Lehr- ler ausnahmslos wiederholt werden musste. Der Entfall kräfte zur Wehrmacht ein (Bernögger, Kastner). Als war weniger der unmittelbaren Kriegsgefahr geschuldet Schulleiter fungiert der letzte verbliebene männliche – auch wenn Obernberg mit den beiden Feldflughäfen Lehrer, Anton Kastenhuber. Er schaffte es als einer Münsteuer und Pocking zwei große militärische Ein- von ganz wenigen oberösterreichischen Schulleitern, richtungen in der Nähe hatte, die dann 1945 gegen NICHT der NSDAP beizutreten! Eine erstaunliche Kriegsende noch beide zerstört wurden. Natürlich wur- Leistung. de das Verhalten bei Tieffliegerangriffen im Unterricht Thema. 1945 wurden zur Orientierung und Evakuie- Nur mehr wenige Schulveranstaltungen finden in den rung bei drohenden Angriffen drei blaue Fahnen im letzten beiden Kriegsjahren statt. Die Aufführung eines Gemeindegebiet aufgesteckt.34 Auch Fliegeralarm be- Kasperltheaters ist schon die größte kulturelle Begeben- gann zunehmend den Unterricht zu stören. Das Aus für heit des Jahres 1944, der weiteste Schulausflug dieser einen geordneten Schulbetrieb waren die in mehreren Jahre geht nach Passau. Die schlechter werdende mi- Wellen ab 1944 eintreffenden Flüchtlingstransporte, die litärische Lage wirkte sich direkt auf die Schule aus. ab Mitte 1944 von der Rieder Kreisleitung verstärkt auf Dabei erreicht die Hauptschule mit 135 SchülerInnen die Gemeinden des Antiesentals und des Inns aufgeteilt 1944 einen bisherigen Schülerhöchststand. Das gilt wurden. Hier hat es vor allem St. Martin und eben auch

48 Obernberg betroffen. 124 Flüchtlinge, die im Oktober aus Südungarn zu uns kamen, wurden in der Haupt- schule untergebracht. Als das nicht ausreichte, wurden auch Teile des Gasthauses Doblhammer am Marktplatz zu Flüchtlingsquartieren. Als im November Volksdeut- sche aus Kroatien nach Obernberg kamen, wurden bei- de Schulen ganz gesperrt bzw. Notunterricht gehalten. Mit Not- bzw. Halbtagsunterricht ging es 1945 weiter – meist war aber mehr frei als Unterricht. Der Notunter- richt wurde dreimal die Woche, nach Ostern nur mehr 2 Tage fortgesetzt. Die unterrichtsfreie Zeit hatten sich die LehrerInnen mit der Betreuung der Flüchtlinge zu beschäftigen. Kind und Schüler sein im Obernberg der NS-Zeit – so gleich und doch so anders! Die 4. Klasse der Hauptschule 1940 - etwa die Hälfte der Schüler in den weißen HJ-Hemden, einige dazu mit HJ-Abzeichen! Klar: Vieles aus der Zeit einer aggressiven Diktatur ist (Foto: SCR HS OB) uns fremd – der Hitlergruß etwa. So ganz sattelfest dürften die Kinder bei uns darin auch nicht gewesen auf „ordentliche Badekleider“ und „sittliches Betragen“ wird, weist Direktor Preischler doch darauf hin: „Der Wert zu legen ist – die Lehrer hätten darauf einzuwir- deutsche Gruß „Heil Hitler!“ wird mit der rechten Hand ken. Wir reden, um keine Missverständnisse aufkom- geleistet.“35 Auch sonst dürfte sich der Hitlergruß nicht men zu lassen, von der Freizeit, nicht vom Unterricht. ganz flächendeckend durchgesetzt haben. In den Kon- Straffe sittliche und erzieherische Normen waren ge- ferenzprotokollen wird das Fehlen desselben bzw. das boten, die Schülerzahl pro Klasse war hoch, wie jeder Nichtgrüßen jedenfalls häufig thematisiert. anhand der alten Fotos sehen kann. Einer verordneten Klassenschülerhöchstzahl von 60 Schülern konnte oft Große Veränderungen hat es in den letzten 70 Jahren nicht entsprochen werden. 1945 besuchten 72 Schüler in der Leistungsbeurteilung gegeben. Wenn heute je- die erste Klasse der Volksschule Obernberg. Die betrof- des Kind ein positiv formuliertes freundlich gehaltenes fene Lehrerin klagte – durchaus nachvollziehbar – über schriftliches Feedback mit dem Zeugnis erhält, so wa- Überforderung.37 Modern mutet die Forderung nach ren die damaligen Verhaltensbeurteilungen schonungs- „Richtiger Strenge und Milde“ an, wogegen die For- loser: Wir lesen von „hinterlistigen“ Lügnern, „Gas- derung; „Schläge nur den äußersten Fällen!“ zu verab- senkindern“, „Ruhestörern“, gar von „Gassenbuben, reichen eindeutig nicht ins Heute weist.38 Anderes hat die „große Gauner“ sind. Seltener gibt es „Gassenmäd- auch heute noch Gültigkeit: „Vor Unterrichtsbeginn chen“. Schülerinnen sind eher mal „große Schwätzerin- dürfen die Kinder nicht Lärm machen und Herumlau- nen“. Oft sind die Kinder aber nur „keck“ – manchmal fen, sondern sie sollen sich auf den Unterricht vorbe- rauchen sie aber auch „Tabakwaren“. Auch „unsittliche reiten!“ Auch lauter Gesang in den Pausen wäre einzu- Umtriebe und Gespräche“36 machen den Lehrern das stellen – und dass klassenweises Klogehen der Kinder Leben schwer. Dass in einer faschistischen Diktatur bzw. ein Ärgernis sein kann, wussten die Lehrer von 1938 vorher im Ständestaat wegen strenger Bestrafung nicht ebenso wie die von 2018. gestohlen worden wäre, ist auch ein falscher Gedanke. Die Betragensnoten der Zeit zeigen oft „Diebe“, meist Der Umbruch – der Wiederbeginn 1945 in Verbindung mit dem unvermeidbaren „Gassenjun- gen“ die – natürlich! – in Ufer oder Urfahr wohnen. Es wird wieder stumm gegrüßt – ohne Hitlergruß. Eine uns heute fremde Prüderie zeigt sich daran, dass Die Lehrer werden vom Schulleiter der Volksschule – jetzt Heinrich Bernögger – ermahnt, den „anständigen Gruß“ einzufordern und die Kinder ermahnt, nicht bei den Amerikanern zu betteln.39 Das war allerdings in Obernberg nur die ersten Wochen nach Kriegsende ein Problem, da sich in Obernberg anders als etwa in St. Martin, Ried oder auch Antiesenhofen keine größeren Kräfte der US-Truppen aufhielten. Eine Änderung, die den Kindern sofort ins Auge fiel: Es wurden wieder (an der Vorderwand der Klasse) Kreuze aufgehängt und das Schulgebet wieder eingeführt. Der formelle Gruß nach dem Unterricht hieß übrigens: „Grüß Gott! Wir dan- ken für den Unterricht!“40 Das Jahr 1945 war ein Umbruch, auch mit Blick auf

Schulausflug mit dem Rad 1940 (Foto: Sommerbauer) das Schulpersonal. Während in der Volksschule über-

49 haupt kein Stein auf dem anderen blieb, gab es in der Amerikaner 3,2 kg Schweinefett, 13,5 kg Zucker, 26 Hauptschule Obernberg den auch landesweit seltenen kg Mehl, 568 kleine Tafeln Schokolade und 17 Dosen Fall, dass mit der Person des Leiters Anton Kastenhuber Butter, etc. Daraus richteten die LehrerInnen der Volks- die persönliche Kontinuität gewahrt blieb. Der ruhige und Hauptschulen kleine Pakete für die insgesamt 360 Lehrer und Leiter war ja, wie erwähnt, nie der NSDAP Kinder der beiden Schulen. Nicht viel für den Einzel- beigetreten und wurde daher auch nicht strafversetzt nen, wenn man es überschlägt, andererseits aber auch – wiewohl der kulturaffine und belesene Lehrer die Si- Waren, die für die meisten Menschen damals schwer tuation im Grenzland Obernberg mitunter als Strafe bzw. nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen wa- empfunden haben mag. Irmgard Mazoch, die bereits an ren. Zwar wurden nach und nach Lebensmittel von der Volksschule Obernberg gearbeitet hatte, kam über der Lebensmittelbewirtschaftung ausgenommen, waren eine Salzburger Hauptschule an die HS Obernberg und also auch ohne „Karte“ zu erhalten. Gleichzeitig stiegen blieb dieser überaus engagiert, aber doch auch mit viel die Preise aber teilweise um ein Vielfaches schneller als Eigensinn viele Jahre erhalten. Andere, vor allem die die Löhne. Ein Tatbestand, auf den in beiden Schulch- männlichen Lehrer, wurden nach ihrer Kriegsheimkehr roniken wortreich Bezug genommen wird und sich so erst einmal vom Schuldienst suspendiert, darunter Ernst auch in der Brandstetter Chronik findet.43 Wenn man Kutschera oder Otto Böhm. Im letzteren Fall „erlaubte“ bedenkt, dass ein junger Lehrer damals um 1950 rund die Schulbehörde eine Rückkehr seiner Gattin, Augu- 1500 Schilling verdiente und 1 kg Butter im realen Ver- stine Böhm, (ebenfalls Lehrerin) in den Schuldienst kauf 35 Schilling kostete und dann im Schwarzhandel während der Zeit der Suspendierung des Gatten. Dazu auf 100 Schilling stieg, kann man sich die Not dieser ist anzumerken, dass damals von weiblichen Lehrerin- Tage leicht vorstellen. Die Lehrerentlohnung war – an- nen erwartet wurde bzw. bis 1947/48 auch Gesetz war, ders als heute – sehr schlecht. Ein Bauhilfsarbeiter ver- nach ihrer Heirat aus dem Schuldienst auszuscheiden diente wesentlich mehr als ein junger Lehrer. Auch in (sog. „Lehrerinnenzölibat“). Ausnahmen gab es sozial den Schulen herrschte Mangel überall. Die Chronik der begründet wenige – wie eben in diesem Fall. Im Februar Volksschule hält fest: „Ein ewiger Jammer herrscht noch 1946 wurde Otto Böhm wieder in Dienst gestellt – und (bei) Farbstiften, glücklich, wer noch so einen Schatz seine Frau entlassen. Auch Franz Kastner wurde bald kostbar hütete.“44 Der Mangel an den notwendigsten wieder angestellt. Die Obernberger Lehrer wurden im Gebrauchsgütern macht sich auch hier schon empfind- Zuge der Entnazifizierungsverfahren alle als „Mitläufer“ lich geltend. Die Zeit bis zur Ernte wird noch schwe- bzw. „minderbelastet“ eingestuft. re Sorgen bereiten. „Eine Rechenstunde mit künftigen Schokoladetafeln und Zuckertüten als Erinnerungen Die Weihnachtsfeiern mit den Amerikanern zur Weihnachtszeit zeigte mir ganz, ganz ordentlich die Sehnsucht unserer Kinder nach abwechslungsreicher Teil fast eines jeden Oral-History Gespräches mit heu- Nahrung und Süßigkeiten!“45 Andererseits ging es doch te alten Menschen, die in den späten Jahren 1940-48 auch schon aufwärts. Das Schülerheim wurde wieder Jahren die Schule besuchten, sind die Erinnerungen eröffnet, die ersten Schulausflüge gab es wieder –an an die Weihnachtsfeiern mit den amerikanischen Sol- 41 Tagesziele, wie man sie in den 30er Jahren angefahren daten. Diese vieldokumentierten Feiern blieben auch hatte (Dachsteinhöhlen, Bad Ischl…), kam man aber den Kindern der Volks- und Hauptschule Obernberg in noch nicht wieder heran. reger Erinnerung. Wenn Anton Kastenhuber in seiner Ansprache sagt: „[…] Die Freude in den Kinderaugen Das schulische Leben nimmt wieder Fahrt auf soll seine schönste Weihnachtsfreude sein (der Amerika- ner, Anm.). Wir wollen hoffen, daß der wirkliche Frie- Neben den US-Weihnachtsfeiern (im Gasthof Schnel- de für uns Österreicher recht bald kommt.“42 So sind linger) regte sich das öffentliche Leben wieder. Etwa das sehr ehrlich gemeinte Sätze in einer Zeit, in der es am Pferdemarkt 1947, an dem auch viele SchülerIn- für viele Menschen, auch in Obernberg, jeden Tag galt, nen teilnahmen. Jede Schulfeier, die Feier für Entlas- irgendwie über die Runden zu kommen. Andererseits schüler, die Feier zur Erinnerung an den 13. März 1938 formulierte sich in bewusster sprachlicher Passivität oder auch andere wurde zum Anlass genommen, das auch die Lebenslüge der 2. Republik: „Unser Volk ist neue Österreichbewusstsein zu demonstrieren und zu, kein schlechtes Volk, es ist nur ein armes und unglück- zelebrieren. Der „Tag der Fahne“, der spätere Natio- liches Volk. Im Jahr 1938 hat unser Volk als erstes sei- nalfeiertag, wurde zum wichtigen Tag im schulischen ne Freiheit verloren und jetzt nach dem großen Krieg Leben. Die Schülerzahlen pro Klasse sanken langsam, wird es als letztes Land die Freiheit und den Frieden insgesamt besuchten mit den Flüchtlingskindern aber wieder bekommen. Das hat unser Land wahrlich nicht immer noch 211 SchülerInnen die VS Obernberg. In verdient!“ Andererseits – was hätte Anton Kastenhuber der Hauptschule sind die Zustände damit verglichen vor 360 versammelten Kindern auch viel anderes sagen paradiesisch: Im Jahr 1948 besuchen im Herbst 38 Kin- können? Die anwesenden GIs und die Lehrkräfte wer- der die eine erste Klasse der Hauptschule, 27 sind in den es besser gewusst haben. der anderen ersten Klasse. Dass überhaupt geteilt wer- den konnte, war einer großzügigen Spende einer nach Aus dem Jahr 1947 (die Weihnachtsfeiern fanden bis Amerika ausgewanderten Obernbergerin, Therese Rigg- einschließlich 1948 statt) ist eine saubere handschriftli- le (geb. Schatzl), zu verdanken. Sie hatte über die Jahre che Geschenkliste überliefert. Demnach spendeten die und vor allem ab 1948 immer wieder hohe Summen an 50 die finanzklamme Gemeinde und die Schule gespendet. spüren ist, bringen die Ausflugsfahrten die Obernberger Den reichen Onkel aus Amerika – es gab ihn nicht nur Kinder 1949 wieder an den Attersee und an den Dach- in den damals populären Hans Moser Filmen, sondern stein. Die Dachsteinfahrt ist die erste zweitägige Klas- auch in Echt – auch wenn er im Obernberger Fall eine senfahrt seit den 30er Jahren! Auch die Schule sowie die „Tante“ war. Fenster, durch die es nicht mehr zog und Häuser am Markt werden 1947/48 neu gestrichen. Es Schulbänke, die den Namen verdienten, wurden mit geht wieder aufwärts. dem Geld angeschafft. Nach der hochherzigen Stifterin ist heute zu Recht eine Straße in Obernberg benannt. Wenn der Vorgänger der Nachfolger ist Wie waren die Schülerzahlen in den höheren Klassen? In der dritten Klasse waren 40 Kinder und in der vier- Es ist nicht das Wesen von Schulchroniken spektaku- ten Klasse fast schon gegenwartsgewohnte 23 Schüle- lär Zwischenmenschliches unters Volk zu werfen – da rInnen. Die insgesamt 167 Kinder kamen aus einem - hatte schon der damalige strenge Schulinspektor Rans- verglichen mit heute - viel größerem Einzugsgebiet. Der mayr ein kritisches Auge darauf – einmal im Jahr, die während der NS-Zeit natürlich starke Schulbesuch aus Inspektionen waren gefürchtet. Ab und an gibt es aber dem bayerischen Raum (Egglfing und Kirchham vor doch einen Moment, der uns zwischen den Zeilen lesen allem) verminderte sich, ganz hörte er aber nicht auf. lässt. So bricht das Schriftbild der HS-Chronik 1948. Noch lange besuchten Kinder von dort unsere Haupt- Der Leiter der Hauptschule Anton Kastenhuber, der es schule. Nach Obernberg (64) waren es vor allem Kinder von 1938 über die Umbruchszeit geschafft hatte, wird aus St. Georgen (24), Reichersberg (17) und Kirchdorf als Leiter nach Lenzing versetzt. Ihm folgt mit Josef Etz (17), die an die HS Obernberg kamen. Das ist bis heu- kein Unbekannter. Er war elf Jahre zuvor auch Leiter der te auch noch oft so. Einige Kinder kamen damals aber HS Obernberg gewesen. 1938 musste er als exponier- auch aus , Gurten oder Aurolzmünster. Dafür ter Christlichsozialer seinen Posten räumen. Er wurde war der Zuzug aus Mühlheim, anders als heute, damals zum Lehrer „degradiert“ und nach Lambach versetzt, vernachlässigbar. Immer noch sind 10% der Kinder als was den in Obernberg wohnhaften Lehrer wohl schwer Flüchtlingskinder ausgewiesen. getroffen hat. Sein Nachfolger wurde (nach Kutschera) jener Anton Kastenhuber, der nie der NSDAP beige- Recht rasch kommen ungewöhnlich große Faschings- treten war. Das Verhältnis zwischen den beiden Schul- umzüge (wieder) in Mode. Genau wie der populäre leitern, die auch menschlich so unterschiedlich waren, Kinobesuch, boomen auch sie. Eine der wenigen Gele- war – wie es in der Politik so schön heißt – maximal genheiten, die doch noch große Not kurz zu vergessen – „ordentlich“. Zu unterschiedlich waren die beiden Per- und eine der wenigen Gelegenheiten legal gesellschaft- sönlichkeiten, dirigierend und lenkend Direktor Etz, liche Kontakte mit dem anderen Geschlecht anzubah- freundlich und etwas leise Direktor Kastenhuber. Dass nen! Die wenigen Klassenbilder aus der unmittelbaren das Verhältnis alles andere als amikal war, darauf kann Nachkriegszeit vermitteln oft denselben Eindruck. An man auch schließen, wenn man sieht, dass der erfahrene Jahren sehr junge LehrerInnen, die aber durch die Ver- Lehrer und vormalige Leiter Etz in den Jahren 1945- hältnisse vorzeitig gealtert wirken. Das dreimalige Bre- 48 als einziger Lehrer der Schule nie Klassenvorstand chen des Sozialgefüges nach 1934, 1938 und 1945 geht werden durfte oder wollte. Für die nüchterne Welt einer an einer so sensiblen und exponierten Stelle wie dem Schulchronik relativ gallig bilanziert Josef Etz nach sei- Schuldienst und an den darin tätigen Menschen nicht ner späten Wiedereinsetzung als Leiter 1949: „Ich will spurlos vorüber! nun versuchen, die Hauptschule Obernberg, welche mein Lebenswerk ist, in meinen letzten Dienstjahren Als Leser der Chronik der Volksschule Obernberg stutzt auf jene Höhe zu bringen, auf der sie vor 1938 stand.“ man 1948. Von einer Woche auf die andere ändert sich die Handschrift der Etz war in Obernberg Einträge – unge- gut integriert und be- wöhnlich. In diesem kannt. Er war bestens Fall war der lang- „vernetzt“, wie man jährige Schulleiter heute gerne sagt. „Sei- Johann Preischler ne“ Schule war sein gaznz überraschend Leben. Dass er nach gestorben. 1945 als Lehrer und nicht als Leiter ange- Die Ausflugsfahrten stellt wurde, hatte er der Hauptschule seiner NSDAP Mit- sind ein guter In- gliedschaft zu verdan- dikator, was wirt- ken. Dass sein ehema- schaftlich möglich liger Lehrer nach dem ist. Und so wie Ende Krieg sein Vorgesetz- der 40er Jahre der ter wurde, mag für wirtschaftliche Auf- Josef Etz eine Demü- schwung überall zu Faschingsumzug im Jahr 1947 (Foto SCR HS OB) tigung bedeutet ha- 51 Schräglage der Kids verantwortlich gemacht werden konnte – dieser Gedanke ist damals fremd gewesen. Gerade noch besetztes Ausland – und wir sind schon dort…

1955 zieht die sowjetische Besatzungsmacht aus Österreich und damit auch aus Wien ab. Für das darauffolgende Schuljahr lobt das Unter- richtsministerium die erste Wien Aktion („Wien Woche“) aus. Die HS Obernberg nützt die Ge- legenheit und nimmt als eine von sehr wenigen oberösterreichischen Schulen sofort daran teil. Chor der Hauptschule 1951 (Foto: SCR HS OB) Die uns heute sehr bekannte und kurzweilige Ver- ben. Auch Kastenhuber ist gerne Lehrer und Leiter, die anstaltung war damals um vieles exotischer. Prak- unmittelbare emotionale Bindung zu Obernberg fehlt tisch kein Obernberger konnte oder wollte die elf Jahre ihm aber. Jedenfalls beginnt der neue und alte Leiter Etz zuvor nach Wien fahren – galt es doch über die streng sofort mit großer Tatkraft auf die unhaltbaren Zustände bewachte Zonengrenze ins russisch besetzte Niederöster- (Klotüren nicht schließbar, Raumnot, morsche Decken, reich nach Wien zu fahren. Auch in der NS-Zeit waren etc.) energisch hinzuweisen. Tatsächlich bringt er die solch weite Reisen, gerade in der Kriegszeit (Ausnahme: Gemeinde zur Zusage, ein zweites Stockwerk zu bau- Militär), eher die Ausnahme gewesen. Und so fuhren 26 en. Auch wenn sich die Verhandlungen darüber noch Hauptschulkinder am 8.1.1956 in die Hauptstadt ihres jahrelang hinziehen werden, ist damit der Startschuss Landes, die sie nie zuvor gesehen hatten. Vermutlich hat für den Neubau der Hauptschule am heutigen Stand- eine Kooperation der Obernberger Lehrer mit dem in ort gegeben. In der Zwischenzeit erwies sich die rührige solchen Dingen sehr umtriebigen Leiter der Volksschule Therese Riggle im fernen Kalifornien weiterhin als gute St. Georgen, Hermann Edtbauer, zur Reise nach Wien Wohltäterin der Marktgemeinde. Von allen Seiten um geführt. SchülerInnen der Gegenwart würden über das Geld angegangen, entscheidet sie sich häufig für Zuwen- damalige Programm wohl die Nase rümpfen: Vorträge dungen an die Schule. 1953 sind ihr neue Sessel und zur Wiener Geschichte sonderzahl, Besichtigung des Fußböden zu verdanken, auch für die damalige Zeit so Rathauses und des Parlaments und: „Besuch der gro- exotische Dinge wie ein E-Herd oder ein Klavier gehen ßen Warenhäuser Hermansky und Gerngroß auf der auf ihre Spende zurück46. Überhaupt: Es wird besser. Mariahilferstraße“.50 An der Hauptschule Obernberg Wirtschaftlich ist die Lage schon so gut, dass 1951 in wurden die Wienfahrten dann in den 60er Jahren weni- der Schule für die Italienhilfe gesammelt werden konnte ger häufig und unter Direktor Herzberger in den 70er (Überschwemmungen in der Po Ebene).47 Jahren überhaupt eingestellt. Erst die damaligen Jung- lehrer Ulrike Wiesinger und Norbert Hammerer griffen Die Sorge um die Jugend… die Tradition wieder auf – die Wienfahrten sind seither Dass unsere Jugend faul, genusssüchtig und verdorben ist, weiß man spätestens, seit diese unschönen Anwür- fe auf einer babylonischen Tontafel vor 5000 Jahren auftauchten. Dieselbe Sorge und ihr Impetus auf die Erziehung prägte aber auch die Lehrerschaft der 50er Jahre. Die Sorge im Bezirk Ried: „[…] Die heute auf dem Lande stärker als in den Städten darniederliegen- den sittlichen Verhältnisse, hervorgerufen durch (…) unüberlegtes und verantwortungsloses Verhalten der heranwachsenden Kinder und Jugend durch schlechte und zweifelhafte Lektüre, durch häufige Kinobesuche und allzu häufige Nachgiebigkeit der Eltern.“48 Dazu kommt „[…] die ungesunde Aufreizung des Trieble- bens und der Phantasie der Jugendlichen durch Film und Lektüre.“49 Diese für uns Heutige aus der Zeit gefallenen Bedenken wurden übrigens bei einer Lehrerversammlung vom da- maligen Rieder Bezirksschulinspektor Ransmayr erho- ben. Dass eher die traumatisierenden Kriegserlebnisse, die jahrelange Abwesenheit der Vätergeneration und de- ren seelische Erschütterung für die allfällige psychische Demonstration des neuen Österreichbewusstseins 1953 in der Volksschule Obernberg (Foto VS OB) 52 fixer Bestand- 5 Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am teil des Schul- 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ (d._1529) jahres. 1954 6 Vgl. Hier irrt die ansonsten sehr verlässliche Brigitte Kaff: Kaff, Volksreligion und 1955 sind S.261 für Obernberg 7 Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ Zeiten der gro- (d._1529) ßen Feste. Das 8 Vgl. Vgl. Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, abgerufen am Erntedankfest 16.09. 2017 unter: http://gameo.org/index.php?title=Brandhuber,_Wolfgang_ (d._1529) sowie Kaff, Brigitte, S.252 wird 1954 mit 9 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Wiedertäufer 1546 einem großen 10 Vgl. Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Wiedertäufer 1546 Umzug gefeiert. 11 Bayerisches Blechkastenarchiv 134 / 134 (vormals Rep.112), Mandate 12 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- 1955 feiert man tenkennung, um 1900 dann (ohne dass 13 Vgl. 11. 1563 XI. 21., Sonntag vor Katharina 1 Hanns Thoman von Preising es dafür auch zum Huebenstein, Pfleger zu Obernperg, verkauft sein Häusl, abgerufen am 20.09.2017 unter: http://www.landesarchiv-ooe.at/Mediendateien/Obernberg- nur irgendeinen HA.pdf greifbaren histo- 14 Auch die Schreibweise Preysing ist bekannt. Anm. des Verfassers rischen Grund 15 Vgl. Kaff, Brigitte: Volksreligion und Landeskirche, S. 126 16 Das hätte es den renegaten Obernbergern ermöglicht, legal die Bibelüberset- gegeben hät- zungen beider Autoren zu lesen – sie sind mit der Luther Übersetzung von 1534 te, vermutlich zu einem sehr großen Teil ident. Wie findig – oder aber wie prinzipientreu – die wollte man sich Obernberger in der Frage waren, ist nicht überliefert. Anm. des Verfassers 17 Vgl. Meindl, Obernberg, S.106 an das Datum 18 Vgl. Meindl, Obernberg, S.104 Erntedankfest 1954 (Foto: SCR HS OB) der Lechfeld 19 Brandstetter, Hans: Der Markt Obernberg am Inn, S.18 Schlacht von 20 Bayerisches Blechkastenarchiv 136 / 98 (vormals Rep.112), In Posessione fidei 955 einfach anhängen) 1000 Jahre Obernberg am Inn. Chatolica 1570 21 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 An der groß aufgezogenen Festfeier nahmen Landes- 22 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 hauptmann Gleißner und Bundeskanzler Raab – da- 23 Vgl. Brandstetter, Obernberg, S.18 mals auf dem Höhepunkt seiner Popularität – teil. 24 Vgl. Meindl, Obernberg, S.104 25 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- tenkennung, um 1900 Neben positiv konnotierten schulischen Feiern der aus- 26 Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Seiten- gehenden 50er und 60er Jahre – vor allem der „Tag der kennung, um 1900 Fahne“ (heute Nationalfeiertag) gab es auch Probleme. 27 Vgl. Kaff, Volksreligion, S.130 28 Vgl. Meindl, Obernberg, S.107 So wurde die desolate Lage der Volks- und auch der 29 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 Hauptschule (hier kam der Raummangel als Problem 30 Die Gegenreformation behielt dieses äußerst effiziente Überwachungssystem dazu) ein immer drängenderes Problem. Die Schulch- mancherorts bis ins 20. Jahrhundert bei – vielerorts ließ sich von Grundherrn und Bauern auch der Messbesuch der Knechte und Mägde kontrollieren. Dass ronik der Volksschule, normalerweise ein Sammelsuri- das System natürlich unterlaufen wurde und in Wirtshäusern und andernorts um von Fakten, findet drastische Worte: „Unser Schul- ein schwungvoller Handel mit den Beichtzetteln einsetzte, ist eine andere Ge- gebäude gefährdet Kinder!“. In zwei Räumen brachen schichte. Anm. des Verfassers 31 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 große Teile der Decke ein – wäre das in der Unterrichts- 32 Vgl. Kaff, Volksreligion S.128 zeit passiert, hätte es wohl Tode gegeben. Ein Architekt 33 Vgl. Kaff, Volksreligion S.129 der Landesregierung, welcher den Schaden begutach- 34 Vgl. Österreichisches Telefonbuch, abgerufen am 07.10.2017 unter: herold. at tete, beschied, er „[…] habe schon mehrere Schulen 35 ebenda 51 in noch viel schlimmeren Bauzustand gesehen.“ Das 36 Vgl. Kaff, Volksreligion S.128 hartnäckige Urgieren der Schule und der Gemeinde- 37 Vgl. Köstelbacher-Pfarrchronik, handgeschrieben und gebunden, ohne Sei- tenkennung, um 1900 verwaltung führte aber dann doch zu einer neuerlichen 38 Vgl. Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 Visitation, die über mehrere Rechenmodelle zum Neu- 39 Jede der mir bekannten Darstellungen zur Reformationsgeschichte des Inn- bauentschluss und zum flotten Neubau 1961 führten. viertels endet spätestens an dieser Stelle. Anm. des Verfassers 40 Vgl. Meindl, Obernberg, S. 129 Aber das ist eine andere Geschichte. 41 Vgl. Gespräch des Autors mit Theresia Glechner vom 27.12.2012 42 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 Eichsteininger Hannes 43 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 44 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 45 Herrschaftsarchiv Obernberg, Schachtel 446, Reformation 1571-1807 46 Ausnahmen sind etwa die Vertreibung der Zillertaler Protestanten noch 1 Die vielen abweichenden Schreibarten sind bekannt, die hier angewandte wird 1837. Anm. des Verfassers in der Folge – Zitate ausgenommen – beibehalten. Anm. des Verfassers 2 Leibinger, Herwig: Die Entwicklung des evangelischen Glaubensbekennt- nisses im Innviertel, S.85f. Gespräch des Autors mit Johann D., 28.4.2017 3 Gespräch des Autors mit Johann D., 28.4.2017. Die Wahrheit dürfte wohl in der Mitte liegen. Die in den Visitationsberichten genannten Zahlen zur Rei- chung des Laienkelches – wiewohl obrigkeitsstaatlich erhoben, und damit mit Vorsicht zu betrachten – legen dar, dass die Kommunion sub utraque außerhalb der Märkte und Städte nur von einer Minderheit gefordert wurde. Anm. des Verfassers 4 Obernberg war neben Umschlagplatz für Tiroler Salz auch eine wichtige Mautstelle der Passauer. Anm. des Verfassers

53 Antiesenhofen 1918 - 1965 Eine kurze Geschichte anhand der Schulchronik ie Schulchronik ist – wie an anderen Schulen auch – eine historische Quelle erster Güte. Im Folgen- Antiesenhofen 1918. Auch hier bei uns D zeigt sich der Mangel deutlich. Die Schul- den wurde viel aus dieser Quelle geschöpft, an der man chronik spricht eine deutliche Sprache: – außer dem eklatanten Mangel an Fotos – nichts be- Von Dezember 1918 bis Jänner 1919 war mängeln kann. Etliche Handlungsstränge hat Herbert die Volksschule gesperrt: Die spanische Bitter in seiner verdienstvollen Heimatchronik bereits Grippe, die in ganz Europa Millionen aufgenommen. Mir ist es nun darum gegangen, den Menschen das Leben kostete, hatte auch das Innviertel Blick auf jene Ereignisse zu richten, die der Autor der erreicht.

ten Sammlerobjekten. Die Schülerzahl stieg 1921/22 auf 219 Kinder. Diese waren in aus heutiger Sicht un- glaublich großen Klassen untergebracht: So waren in der 1. Klasse 64 (!) Kinder zu unterrichten, die anderen Klassen hatten zwischen 45-59 Schüler. Das Unter- richtsjahr war damals anders gestaffelt als heute. Die Sommerferien dauerten vom 18. Juli bis 13. August (Erntezeit!) und dann wieder als Herbstferien von 12. September bis 15. Oktober. Die fleißigen Lehrer dieser Tage hatten dazwischen aber keinesfalls immer frei, sondern wurden, je nach politischer Lage, als verlänger- ter Arm des Staates eingesetzt – etwa bei Volkszählun- gen. Auch wurde erwartet, dass bei kulturellen und Bahnhof Antiesenhofen in den 30er Jahren (Foto: Sommerbauer) kirchlichen Veranstaltungen die Lehrer federführend beteiligt waren. Die Lehrer – damals schlecht bezahlt Ortschronik nur am Rande oder gar nicht erwähnt. – hatten anders als die meisten Bauern sehr unter der Antiesenhofen 1918. Auch hier bei uns zeigt sich der Inflation zu leiden. Zwar stiegen auch die Gehälter, aber Mangel deutlich. Die Schulchronik spricht eine deutli- die Preise stiegen schneller. Das führte zum Kaufkraft- che Sprache. Von Dezember 1918 bis Jänner 1919 war verlust und teilweise grotesken Lohn/Preisverhältnissen. die Volksschule gesperrt. Die spanische Grippe, die in So stieg das Gehalt des Oberlehrers Rotter von 227.810 ganz Europa Millionen Menschen das Leben kostete, 1 Kronen im Juni 1922 auf 1,484259 Millionen Kronen hatte auch das Innviertel erreicht. Die beiden Lehrer, im September. Die Versiebenfachung (!) des Gehalts Brückl und Rotter, waren nach dem Krieg erst einmal reichte aber kaum aus, um mit dem Preisniveau mitzu- die beiden einzigen Lehrkräfte. Auch einen neuen Pfar- gehen: So kostete ein Herrenanzug im Juni 1922 noch rer brachte die Zeit: Alois Schauer, der 1919 in Antie- 300.000 Kronen und im September bereits über 1 Mil- senhofen installiert wurde. Wo der Staat nicht mehr lion Kronen. Die Handarbeitslehrerin Rosa Hager ver- helfen konnte, gab es Sammlungen. In der Volksschule diente im September 1922 460.000 Kronen und hätte wurde 1919 etwa für die Sibirienhilfe gesammelt oder zwei Monate dafür arbeiten müssen. Ein simples auch für mittellose Kriegsgefangene. Die Ergebnisse Schreibheft, das 1914 noch 4 Kronen gekostet hatte, waren mit 169 Kronen bzw. 669 Kronen sehr beschei- war nun nicht mehr unter 700 Kronen zu bekommen. den – wie auch, hatten die Menschen doch selber kaum Bei diesen Verhältnissen blieb es, bis 1925 endlich der etwas. 1920 gab es in Antiesenhofen 209 schulpflichti- Schilling eingeführt wurde und sich die Lohn-Preis Spi- ge Kinder, Abgänge in andere Schulen waren damals rale wieder im normalen Rahmen drehte. 1923 wurden noch gering. Ein Schüler besuchte die Bürgerschule in die in Passau neu gegossenen Glocken unter großem Ried, von vier Kindern wird die Schulpflicht verwei- Andrang der Menschen feierlich in Antiesenhofen in gert. Dazu muss man wissen, dass es damals die Volks- Empfang genommen. Die gewieften Antiesenhofener schuloberstufe gab, die – meist dreiklassig geführt – ei- hatten die Glocken in Passau gießen lassen, da der ner vierklassigen Unterstufe folgte. Die Nachkriegswah- Wechselkurs von Mark zu Krone damals sehr günstig len brachten in Antiesenhofen (von 302 abgegebenen war. Über 30 Millionen Kronen waren für die beiden Stimmen) 160 Stimmen für die Christlichsozialen, 113 450 kg und 250 kg schweren Glocken zu erlegen. Auch votierten für die Großdeutschen und 28 für die Sozial- die Wandertage dieser Jahre führten häufig nach Passau. demokraten. Ebenfalls 1920 kamen die ersten Antie- In Antiesenhofen dieser Jahre war es gängig, dass aus senhofener Notgeldscheine auf dem Markt. Herausge- dem Schulausflug ein Ausflug für das ganze Dorf wur- geben um dem allerorten grassierenden Kleingeldman- de. Bürgermeister, Gemeinderäte, auch der Pfarrer: Sie gel Herr zu werden, entwickelten sie sich bald zu belieb- waren meist mit dabei. Praktisch für die Kinder, da der 54 ben. Die Lehrer wurden nicht gefragt. Sie wa- ren Staatsdiener, und in der Ersten Republik lag die Betonung doch sehr auf dem Dienen. So finden wir folgenden Eintrag: „Am 4. No- vember 1933 wurde der provisorische Lehrer Ortner von hier abberufen und angewiesen, den Dienst am 5. November 1933 in St. Mari- enkirchen am Hausruck anzutreten.“3 Das Dollfuß Attentat und die lokalen Feiern dazu nehmen in der Schulchronik keinen breiten Raum ein – anders etwa als in Obernberg. Ver- mutlich war Rotter, der damals schon sehr krank war, durch seine häufigen Absenzen an den Feierlichkeiten auch gar nicht mehr betei- ligt. Er ging 1934 in Pension, nachdem er 38 Jahre als Lehrer gearbeitet hatte, 15 davon in Die Antiesenhofner Schüler 1949 (Foto: SCR Antiesenhofen) Antiesenhofen.4 Sein Nachfolger wurde Johann Bürgermeister häufig eine Jause spendierte. Einträge Freund aus Mörschwang. Im selben Jahr wird wie der folgende sind für uns Heutige banal, für die die Lehrerin Hedwig Peterlechner für die 30-jährige Jugend und die Lehrer der damaligen Zeit war es ein Mitarbeit im Kirchenchor geehrt. 1935 wurde in Antie- freudiger Höhepunkt im Schuljahr: „Im Rathauskeller senhofen ein Gedenkstein für den ermordeten Kanzler wurde das Mittagessen eingenommen. Es erhielt jedes Dollfuß enthüllt. Die Kosten wurden alleine durch eine Kind 2 Paar Würstel in eingekochter Suppe, 2 Brote Sammlung der Schulkinder hereingebracht. Schwächer und eine Flasche Limonade. Das Mittagessen für die als in den Nachbargemeinden scheint die Jugendvolk- Kinder kostete 62 Millionen.“2 Nach Deutschland ging bewegung ausgeprägt. Sie ist eine der Jugendbewegun- es auch des günstigen Wechselkurses wegen. Es gab so- gen Vaterländischen Front. In der Schulchronik wird sie gar Sammlungen in Antiesenhofen und den umliegen- erst 1937 dezidiert erwähnt. Die Jahre 1938-1945 feh- den Volksschulen, um die notleidenden Kinder len in der Schulchronik von Antiesenhofen wie anders- Deutschlands zu unterstützen. Die bitterarme Volks- wo. Die fraglichen Seiten hatten nach einem Erlass von schule in München, eine Stadt, die gerade den Hitler- 1945 entfernt zu werden. Stattdessen trat eine später putsch hinter sich hatte, bedankte sich mit einem verfasste, betont sachlich gehaltene Darstellung der Er- freundlichen und herzerwärmdenden Brief, der zu eignisse der NS-Zeit. Von Schärding kommend treffen Recht in die Schulchronik Eingang gefunden hat. 1924 am 12. März deutsche Truppen in Antiesenhofen ein. leistete sich die Schule eine Fahrt an den Traunsee. Im Der Schulleiter Johann Freund wird seines Postens ent- September 1928 fuhr Bundespräsident Hainisch in hoben. Lehrer Ortner wird neuer provisorischer Leiter, Mitterding durch – alle Kinder und die Gemeindever- er wird später von Oberlehrer Stockhammer abgelöst. treter waren zur Begrüßung angetreten. Auch in den Die Lehrer wechseln nun immer rascher, die männli- folgenden Jahren wurde es nicht fad. 1928 kam ein chen Lehrkräfte werden nach und nach eingezogen, Wanderkino in Antiesenhofen durch und im gleichen Lehrerinnen übernehmen den Unterricht. Im März Jahr schreibt die Schulchronik von einer „15 Jahre alten 1940 kommen holländische Kinder auf Erholungsur- Riesenschlange“, laub nach Antiesenhofen – sie sind vom Unterricht be- welche den Kindern freit. Gegen Jahres- gezeigt wurde. Die ende kommen erho- Schülerzahlen blie- lungssuchende Ber- ben bis in die 30er liner Kinder mehrere Jahre hinein überaus Wochen bei Antie- hoch, meistens über senhofener Familien 200 Kinder aus sie- unter. Die Aktion ist ben Jahrgängen, wel- im Zusammenhang che in nur 4 Klassen mit den ersten unterrichtet wurden. schweren Luftangrif- Ob da noch Unter- fen der Royal Air- force auf Berlin zu richt, wie wir ihn uns 5 heute vorstellen, sehen. Sie bleiben möglich war, müssen fast ein ganzes Jahr die älteren Antie- in Antiesenhofen senhofener entschei- und besuchen hier den, die solche Zu- auch die Schule. Im selben Zeitraum sie- stände noch am ehe- Die Antiesenhofner Kinder 1949 mit der jungen Lehrerin Wagner (Foto SCR Antiesenhofen) sten selber erlebt ha- delten sich in Antie- 55 senhofen auch einige Südtiroler Familien an. 1941 stirbt – erst 48-jährig – Lehrer Johann Freund. Der Winter 1941/42 war nicht nur in Russland kalt. Auch in Antie- senhofen sank die Temperatur auf -31 Grad Celsius! Im Schuljahr 1944/45 wird der Schulunterricht immer weiter eingeschränkt. Flüchtlinge – vor allem aus dem Banat – kommen nach Antiesenhofen und zur Unter- bringung wird die Schule benötigt. Das war im Okto- ber 1944. Die ankommenden Flüchtlinge wurden auf die drei vorhandenen Klassen aufgeteilt. Die Lehrerin- nen wurden zur Betreuung der Flüchtlinge eingesetzt. Ein Notunterricht in verschiedenen Gasthäusern, der 1x die Woche stattfand, war nur ein kleiner Ersatz für den Regelunterricht. Als die Flüchtlinge im Jänner 1945 wieder abzogen, beschlagnahmten Soldaten (es war nicht die Besatzung jener Flakbatterie, welche das Flug- feld in Münsteuer verteidigen sollte sondern andere Sol- daten) alle Unterrichtsräume einschließlich des Lehr- mittelzimmers. Filmgerät, Landkarten und Bilder ka- men in die Gemeindekanzlei, die Amtsschriften (Chro- Antiesenhofener bei der 1000 Jahr Feier Obernbergs 1955 nik, Klassenbücher…) wurden den Lehrerinnen mit (Foto: SCR Antiesenhofen) nach Hause gegeben. Ende Februar zogen die Soldaten 1939 in Betrieb und diente vorerst zu Ausbildungs- wieder ab – die Schulräume wurden dann allerdings zwecken. Die weiteren Angaben zum Flugfeld sind mit von der Flugschule besetzt – wieder war an Unterricht Vorsicht zu genießen: So spricht die Schulchronik etwa nicht zu denken. Ende Februar kamen dann in mehre- davon, dass alle Flieger Mitte April aufgetankt und mit ren Schüben Schlesiendeutsche nach Antiesenhofen Bomben bestückt waren und es beim Angriff vom 16. und mussten untergebracht werden. Nachdem die SA April keine Gegenwehr gab – alles nachweislich falsch. den Ort am 30. April räumte, wurde er am 2. Mai von Aber Lehrer sind eben solche und keine Generäle. Am den Amerikanern besetzt. Die Schulchronik differen- 22.12.1946 fand eine Weihnachtsfeier mit amerikani- ziert genau zwischen diesen durchfahrenden Kampf- scher Beteiligung im Gasthaus Daller statt. „Ein Stück truppen und einer nachrückenden 200 Mann starken lang entbehrter Schokolade wurde besonders bejubelt,“6 Kompanie, die nach Antiesenhofen kam und 6 Wochen weiß die Schulchronik. Hitze- oder kältefrei, das wün- blieb. Dabei wurden etliche Häuser beschlagnahmt. schen sich auch die Kinder von heute. Anders als früher Das Schulhaus wurde im August wieder hergerichtet – gibt es das heute nicht mehr. Sehr wohl aber 1946 auch nur um dann abermals von den Amerikanern in Be- in Antiesenhofen. Wegen der schlechten Witterung schlag genommen zu werden. Als diese abzogen, wurde wurden die Weihnachtsferien vom 07.01 bis zum 14.01 neuerlich gesäubert. Die Lehrerin Hedwig Peterlechner verlängert. Für die Menschen war der Winter sogar käl- übergab die Leitung der Schule an Karl Habicher und ter als der Katastrophenwinter von 1941- es steht dies- so konnte am 17. September 1945 wieder mit dem mal fast kein Brennmaterial zur Verfügung, da das Schulunterricht begonnen werden. Der Unterricht be- Ruhrgebiet noch keine Kohle liefern konnte und ande- ginnt mit 204 Kindern, von denen 65 Flüchtlingskin- re Länder teilweise nicht liefern wollten. So rückte man der sind. Die Schülerzahl sank bis Mitte Oktober um zusammen, ließ eine Klasse teilweise auf und fror sich 40 ab, was zeigt, wie schnell die Flüchtlinge (vor allem im Übrigen durch die Wintermonate. Im Sommer wur- die deutschen) in ihre Heimat, so sie noch eine hatten, den wieder Altstoffe gesammelt und nach Obernberg zurückkehrten. Es folgte ein milder Winter – was bei gebracht. Die Schülerzahlen sanken wieder – 145 Kin- dem Mangel von Brennmaterial ein Segen war. Ab 1945 tauchen immer mehr Kartoffelkäfer auf, weshalb Ar- beitskolonnen aufgestellt werden, um die Käfer zu fin- den. Das übernahm – wie vieles in jenen Tagen – die Schule. Auch beteiligten sich die Schüler an verschiede- nen Sammlungen, wie etwa dem Heikräutersammeln. 137 kg wurden 1946 gesammelt (Scharfgarben, Lin- denblüten…). Im September 1946 wird der Flughafen Münsteuer endgültig liquidiert. Was noch an Alumini- umschrott verfügbar war, wurde in 40 (!) Waggons ver- laden und zum Einschmelzen nach Ranshofen gefahren. Das Flugfeld geht auf das Jahr 1938 zurück, als die deutsche Militärverwaltung vom Stift Reichersberg, den Antiesenhofener und Münsteurer Bauern insgesamt 105 Hektar Grund beschlagnahmte. Der Flugplatz ging Entlassschüler 1958 Foto: SCR Antiesenhofen

56 der besuchten die Schule. 1947 fand die große Wäh- und nach maßlosen Genuß, nach Rekord und billigem rungsreform statt. Damit verlieren auch die als Parallel- Ruhm, verdirbt den Kern unseres Volkes, die Jugend. währung existierenden „Militärschillinge“ ihren Wert. Plakat, Schundfilm und Schundliteratur hämmern täg- Mit Ende des Schuljahres ging Hedwig Peterlechner in lich die entsprechenden Schlagworte in die Gehirne der Pension. Sie hatte 40 Jahre an der Volksschule gewirkt heranwachsenden jungen Menschen.“ 8 Nun, die Welt und entstammte einer wirklich alten Lehrerfamilie. Ihre ist wegen des „medialen Overkills“ der 50er Jahre nicht „Lehrervorfahren“ hatten seit 1600 in Hochburg und untergegangen und die Kritik an der Jugend, welche die anderen Orten des Innviertels gewirkt.7 Zu Weihnach- Folgen des von ihnen nicht verschuldeten Krieges in der ten 1948 fanden letztmalig amerikanische Weihnachts- armen Nachkriegszeit ausbaden muss, erscheint uns im feiern für die Volksschulkinder statt. Langsam erfingen zeitlichen Abstand doch als recht ungerecht… sich Gesellschaft und Gemeinde von den Kriegsfolgen. 1948/49 gibt es neue Öfen und neue Tafeln für zwei Klassen. Die Gemeinderatswahlen von 1949 brachten in Antiesenhofen vorübergehend eine starke dritte Kraft: Der VDU – eine auch aus ehemaligen National- sozialisten hervorgegangene Partei wurde in Antiesenh- ofen die stärkste Kraft. 1950 wurde die neue Brücke über die Antiesen eingeweiht. Das ist als Teil des begin- nenden Baubooms in Oberösterreich zu sehen, der dann in den nächsten Jahren auch viele neue Volksschu- len in unserer Gegend bringen wird. Schwäne waren damals an der Antiesen eine Seltenheit. Leider hielten sie sich auch 1950 nur kurz auf, sie wurden aber von den Schulkindern immer eifrig gefüttert, eines der raren Fotos in der Schulchronik zeigt es. Was macht der Schulleiter Karl Habicher, den die kahle Wiese rund um die Schule störte? Er pflanzt in seiner Freizeit um eigenes Geld viele Obstbäume rund um die Schule. Wer würde das heute tun? 1951 gehen die Ausflüge schon wieder bis Hallein. Auch wenn die Gemeinde in den nächsten Jahren einiges an Geld für die Schule ausgibt, zur notwendigen Generalsanierung reicht es auch 1953 nicht, wie die Schulchronik beklagt. 1953 endet ein ku- rioser Namensstreit. Jahrelang hatten sich Lehrer und Schulleiter an viele österreichische Behörden gewandt, um die ihrer Meinung nach falsche Schreibung des Or- tes „Maasbach“ mit der richtigen „Marsbach“ zu korri- gieren. Viel Zeit und Energie verschwendet die Schule darauf und schließlich entscheidet die Landesregierung Foto: SCR Antiesenhofen für – Maasbach. So ist es bis heute. 1953 bekommt die Kirche drei neue Glocken – 60.000 Schilling kosten sie. Mitte der 50er Jahre beginnt auch der Siegeszug der 1954/1955 – ein großes Jahr für die Schule in Antie- Hagan-Ski. Die Skierzeugung wurde 1926 von Franz senhofen. Nein, nicht der Staatsvertrag! Endlich Gene- Hager aufgebaut und nahm nach dem Krieg schnell zu. ralsanierung und der Einbau „englischer Klosetts“ wie Erst ab 1957 gibt es in der Schulchronik durchgehende die Schulchronik berichtet. Wer einmal ein Schulhaus Fotos der Entlasskinder. Da die Schülerzahlen wieder mit defekten Toiletten riechen musste, nur der kann ansteigen, wird die Schule ab 1961 wieder fünftklassig ermessen, was die nun installierte Wasserspülung für geführt. Eichsteininger Hannes ein Fortschritt und Segen war! 1956 verlässt das Leh- 1 Die nachfolgenden Informationen wurden der Volksschulchronik entnom- rerehepaar Knogler Antiesenhofen. 1955 wirken beim men. Nur direkte Zitate sind dezidiert angeführt. Ebenso Informationen aus Umzug der „1000 Jahr Feier Obernberg“ auch etliche anderen Medien, Anm. des Verfassers Antiesenhofener mit. Das bringt wieder einige Fotos in 2 Handschriftliche Schulchronik der Volksschule Antiesenhofen, Band 1, Jahr 1923, ohne Seitenkennung der – in dieser Hinsicht dürftigen – Schulchronik. In 3 Handschriftliche Schulchronik der Volksschule Antiesenhofen, Band 1, Jahr diesen Jahren setzen die aufwändigen – im Dallersaal 1933, ohne Seitenkennung inszenierten – Muttertagsfeiern ein. Die Außenrenovie- 4 Vgl. Rieder Rundschau, 17.10.1934, ohne Seitenangabe (Einzelartikel) 5 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_der_Alliierten_auf_Berlin, rung der Schule kostet 1956 122.000 Schilling. Im Zuge abgerufen am 03.02.2018 dieser Neugestaltung schuf ein Prof. Degn ein Sgraffito 6 Handschriftliche Schulchronik der Volksschule Antiesenhofen, Band 1, Jahr (eine Art Wandbild) an der Westfassade des Schulhau- 1946, ohne Seitenkennung ses. Bemerkenswert ist die Begründung des rührigen 7 Vgl. Rieder Rundschau, 28.10.1949, ohne Seitenangabe (Einzelartikel) 8 Vgl. Schulchronik, Band 2, ohne Seitenangabe (Einzelartikel) Professors: „Die moderne Jagd nach leichtem Verdienst

57 DIE HEIMATFRONT im INNVIERTEL Die Konkursmasse der Wehrmacht im sechsten Kriegsjahr

m Jahr 1945 gab es im Innviertel nur zwei Garni- Wie stellten sich die letzten Tage des Drit- Isonen, nämlich den Ried im Innkreis mit Schär- ten Reiches im Innviertel dar? Welche mi- 1 ding und . An beiden Orten gab es litärischen Aktionen gab es zwischen Brau- als Anlaufstelle die Einrichtung eines „- nau und Schärding? Welche militärischen Standortältesten“. Die dortigen Kasernen wurden als Bemühungen gab es um die „Innlinie“? Unterkünfte für Ausbildungs- und Ersatzeinheiten des Erstmals unternimmt ein erfahrener Mi- Ersatzheeres genutzt, welche den Ersatz für das Feld- litärhistoriker den Versuch einer umfassenden, streng heer zu stellen hatten. Die Rieder Kaserne, ein Neu- an den Archivalien ausgerichteten, Zusammenschau! bau, hatte man erst kurz vor der Annexion Österreichs in Betrieb genommen. Während des Krieges errichte- sichere Innviertel verlegte. Die Abteilung gehörte zum te man gegenüber zusätzlich ein großes Barackenlager. Ersatzheer und unterstand der Division 418 in Linz, Neben den Einheiten des Ersatzheeres gab es in Ried war insofern ein Sonderfall, da der Verband, abwei- noch die Heeresstandortverwaltung mit dem Dienst- chend von der Regel, auch für Neugliederungen und zweig Verpflegung sowie eine Unterkunftsverwaltung.2 Neuaufstellungen von Verbänden der Flakartillerie des Zu Ried gehörte auch die Kaserne in Schärding, wo ein Heeres herangezogen wurde.5 Als die Front in Osten nä- Heeres-Verpflegungsamt untergebracht war, welches her rückte, unterstellte man Ende März 1945 die Wehr- unter anderen auch das benötigte Stroh für die vielen kreise XVII (Wien) und XVIII (Salzburg) der in Un- einzurichtenden Massenquartiere bereitzustellen hatte. garn kämpfenden Heeresgruppe Süd. Damit verbunden Denn hervorragenden Stellenwert des Dienstzweiges waren auch die Mobilisierung der in den Wehrkreisen „Verpflegung“ zeigt eine Meldung vom 27. April 1945, vorhandenen Truppen des Ersatzheeres und deren Zu- demnach verwaltete die Heeresstandortverwaltung Ried führung als Sicherheitsbesatzung in die Grenzstellung. 164 t Mundverpflegung, von denen 10 t in Braunau la- gerten, und 167 t Mehl, davon 55 t in Braunau. Aber In Ried konnte das nicht so wie ursprünglich geplant auch 3200 t Hartfutter und 11500 t Raufutter, welche zur Durchführung kommen, da hier seit Januar 1945 in etwa 30 Orten in den Kreisen Ried, Schärding, Brau- eine leichte Heeres Flakartillerie-Brigade in Aufstellung nau und Vöcklabruck eingelagert waren.3 war, deren Fertigstellung trotz der Mobilisierung des Ersatzheeres weiter gefördert werden sollte. Daher mus- Ried war auch der Standort eines Wehrbezirkskom- ste der Rieder Verband zumindest in verkleinerter Form mandos, welches der Wehrersatz-Inspektion Linz nach- weiter bestehen bleiben.6 Zum Zeitpunkt der Alarmie- geordnet war und dem die Wehrmeldeämter Ried, rung hatte die Einheit acht Batterien, von denen drei Braunau und Grieskirchen unterstanden.4 Die Truppen auch mit Fliegerabwehrgeschützen ausgestattet waren.7 des Ersatzheeres hatte man im Sommer 1942 in Ausbil- Um das Aufstellungsvorhaben weiterführen zu können, dungs- und Ersatzverbände geteilt, da sich diese Tren- verzichtete man auf den Abtransport der gesamten Ein- nung nicht bewährte, wurden beide Funktionen 1944 heit und bildete stattdessen einen Alarmverband. Die- wieder vereint. Seit dem Sommer 1944 war in Ried die ser setzte sich aus zwei schweren- und einer leichten Heeres-Flak Ersatz und Ausbildungsabteilung 277 sta- Flakbatterie zusammen und wurde zum Abtransport tioniert, welche man auf der Flucht vor den Bomben an die Reichsgrenze bereitgestellt.8 Das Vorkommando aus dem bereits schwer geprüften Wiener Neustadt ins fuhr am Morgen des 27. März 1945 von Ried ab. Die Fahrt ging über Linz und die Phyrn-Strecke nach Selzthal, von hier aus über Bruck an der Mur und den Semmering nach Wiener Neustadt, wo am 28. März entladen wurde.9 Der zweite Transportzug, mit der ersten schweren Alarmbatterie traf dann am Nachmittag des 31. März, von Wiener Neustadt kommend, am Bahnhof Pottendorf ein. Die zweite schwere Alarmbatterie erreichte Wiener Neustadt erst am 1. April und wurde unverzüglich nach Mat- tersburg weitergeleitet, wo sich die Batterie wäh- rend des Ausladens mit angreifender russischer In- fanterie konfrontiert sah. Die Batterie wurde sofort in heftige Kämpfe verwickelt, wobei alle Geschütze verloren gingen.10 Über den Transportweg und das Schicksal der zuletzt verladenen leichten Alarmbat- 11 Der Übergang der US-Truppen bei Braunau - Blick auf Simbach. terie, haben sich keinerlei Berichte überliefert. (Privatfoto eines GIs, MS Eichsteininger)

58 In Braunau gab es neben der Dienststelle des Wehr- erkannte, begann man mit dem Filetieren des Großver- machtsstandortältesten auch noch das bereits erwähnte bandes. Zuerst löste man den Brigadestab samt Stabsbat- Wehrmeldeamt. In der noch aus der Monarchie stam- terie aus dem Torso, um ihn als Artillerie-Regimentsstab menden Kaserne war das Jäger-Ersatzbataillon II./482 z.b.V. einzusetzen.17 In der Folge führte man die Masse stationiert, welches zum Ersatzheer gehörte und eben- der in Ried vorhandenen Soldaten einer infanteristi- falls der Division 418 in Linz unterstand. Die Einheit schen Verwendung zu, wobei die Mehrzahl zum Auffül- bestand im ersten Halbjahr 1944 nur aus einer Stabs- len von Fehlstellen in den Panzergrenadierregimentern und einer Genesenden-Kompanie, sodass die Kaserne des im Verband der 8. Armee kämpfenden Panzerkorps zu dieser Zeit nur zu einem geringen Teil belegt war.12 „Feldherrnhalle“ verwendet wurden.18 So konnte die Erst in der zweiten Jahreshälfte wurde der Verband, Heeresgruppe bereits am 27. April 1945 die Auflösung nun als Jäger- Ersatz- und Ausbildungsbataillon, neu der leichten Heeres-Flakbrigade 510 an die Organisati- formiert und es kamen drei Ausbildungskompanien da- onsabteilung im Generalstab des Heeres melden.19 Trotz zu.13 Mit der Annäherung der Roten Armee und der der beschriebenen Maßnahmen blieb von dem geschei- Unterstellung des Ersatzheeres unter die Heeresgruppe terten Aufstellungsvorhaben eine erhebliche Anzahl von Süd, wurde auch das II./482 in zum Abtransport in die Soldaten im Innviertel zurück, welche man für die Ver- Grenzstellung bereitgestellt, wo es als Sicherheitsbesat- teidigung der Inn-Linie verwenden wollte. zung zum Einsatz kommen sollte. Am 25. März 1945 Unabhängig von den Verbänden des Ersatzheeres ka- wurde die Einheit in Braunau verladen, um nach Ober- men ab März 1945 immer mehr Wehrmachtsdienst- pullendorf transportiert zu werden, wo die Soldaten stellen und Teilverbände von Heer und Luftwaffe ins am 30. März während der Entladung von sowjetischen Innviertel. Den Anfang machte die „Zentralstelle für Truppen überrascht, sofort attackiert und fast gänzlich Funkberatung“, welche Ende März 1945 von Leobers- aufgerieben wurden. In Braunau in der Salzburgertor- dorf nach Ried im Innkreis kam.20 An weiteren Wehr- Kaserne waren nur die nicht kriegsverwendungsfähigen machtsverbänden verzeichnete die letzte Feldpostü- Soldaten zurückgeblieben, wozu dann im April 1945 bersicht von April 1945 neben den bereits bekannten noch Genesende, Urlauber, zurückflutende und ver- Einheiten noch weitere Kommanden, Verbände und sprengte Soldaten von diversen aufgelösten oder zer- Dienststellen.21 Mit Standort Ried im Innkreis wur- schlagenen Dienststellen kamen. So gab es um die Mo- den ausgewiesen: die Transport-Begleitkompanie der natswende April/Mai 1945 in Braunau, abgesehen von Luftwaffe 6/XVII (18.4.1945); die Fliegergeräte Aus- dem Restkommando des Braunauer Ersatzbataillons, gabe- und Sammelstelle 5/VIII (21.4.1945); der Kom- keinerlei Truppen des Heeres, welche man zur Verteidi- mandeur der Luftflottentruppen des Luftflottenkom- gung der Inn-Linie heranziehen hätte können. mandos 4 (22.4.1945) und die 4. Batterie der schweren Flak-Abteilung 237 (v) sowie das Pferde-Lazarett 553 Nach dem Abtransport der Alarmeinheit der Heeres- (3.5.1945).22 Das zuletzt genannte Pferde-Lazarett war Flakabteilung aus Ried und des Jäger-Ersatzbataillons in Reichersberg-Münsteuer, im Bereich des Kobelhol- II./482 gab es im Innviertel an Heerestruppen nur zwei zes, untergebracht, wo bei dem Angriff am 16. April unfertige Abteilungen der leichten Heeresflakbrigade. auch mehrere Pferde getötet und verletzt wurden. Das Die I. Abteilung war im Raum Schärding untergezogen,14 Pferdelazarett, welches durchwegs von russischen Hilfs- während der Brigadestab mit den Führungs- und Ver- willigen betreut wurde, verlegte noch am Morgen des 2. sorgungsteilen sowie der Stab der II. Abteilung in Ried Mai 1945 weiter in Richtung Salzkammergut.23 Nicht waren. Die fünf Batterien der zuletzt aufgestellten II. ins Bild dieser Aufzählung passt die 4. Batterie der Abteilung hatte man auf Quartiere im Landkreis Ried schweren Flak-Abteilung 237 (v) und deren Anwesen- verteilt. Bei allen Batterien fehlte es durchwegs an den heit im Innviertel.24 Es handelte sich hier um eine in vorgesehenen Fliegerabwehrwaffen, ein Teil der Solda- Italien eingesetzte Einheit der Luftwaffe. Da die nach ten verfügte auch über keine eigene Waffe.15 Besonders Italien führenden Eisenbahnstrecken schon seit Wochen beklagenswert war der Zustand der II. Abteilung, de- unpassierbar waren, könnte es sich um eine Personal- ren Aufstellung gerade erst begonnen hatte. Diese war batterie, also ohne Geschütze, gehandelt haben. Auch in Bezug auf Ausbildung und Ausrüstung in noch weit konnten keine Aktivitäten dieser Einheit im Rahmen schlechterem Zustand als die übrigen Teile der Brigade. der letzten Kamphandlungen nachgewiesen werden. Als am 5. April 1945 ein Fernschreiben des Allgemei- nen Heeresamtes einlangte, klärte sich die Situation. Im Rahmen des Rückzuges kamen sicherlich noch weit Denn das Fernschreiben besagte, dass die Aufstellung mehr Dienststellen und Splitter von Einheiten in den der leichten Heeres-Flakbrigade 510 zu entfallen hätte, Landkreis Ried, welche nicht in der Feldpostübersicht da man mittlerweile über Personal und Material ander- aufscheinen. So kam die Nachrichten-Werkstätte der weitig verfügt hatte.16 Heeres-Zeug-Anstalt Wien am 18. April 1945 nach Ursprünglich hatte die Heeresgruppe Süd die Absicht, Ried, wo sie bis zum Eintreffen der Amerikaner ver- die ihr zugeteilte leichte Flakbrigade zur Verstärkung blieb.25 Auch das Reserve-Lazarett Amstetten traf kurz der Abwehrfront im Südosten von Wien einzusetzen. vor dem Einrücken der Amerikaner in Ried ein, wo der Dabei ging man von der Annahme aus, dass dem Groß- spätere langjährige Justizminister Dr. Christian Broda verband lediglich noch einige Fliegerabwehrgeschütze als Schreiber Dienst tat.26 Aus Antiesenhofen, aber auch fehlten. Als die Heeresgruppe ihre Fehleinschätzung aus Weilbach und den umliegenden Weilern, wird von

59 einer militärischen Ausbildungseinheit berichtet, die te. Daher konnte man im April 1945 für den Aufbau Anfang April ins Innviertel kam und der Bevölkerung der Inn-Verteidigung auf vier schwere Batterien, mit je- unter der Bezeichnung „SA-Standarte Feldherrnhalle“ weils sechs Fliegerabwehrkanonen vom Kaliber 8,8 cm, in Erinnerung blieb. Hierbei könnte es sich um den zurückgreifen. Diese waren rund um das in Ranshofen SA-Sturmbann 7 „Feldherrnhalle“ in Wien-Kaltenleut- gelegene Schutzobjekt, die „Aluminiumhütte Mattig- geben gehandelt haben, einen Ausbildungsverband im werk“, gruppiert. Zusätzlich gab es ab Oktober 1944 Rahmen der Wehrmacht, der vor der anstürmenden noch eine schwere Alarm-Flakbatterie, mit vier 8,8 cm Roten Armee am 1. April 1945 nach Westen verlegte.27 Geschützen, in Unterhartberg. Damit standen für den Am 1. Mai 1945 räumte dieser Verband seine bisheri- gen Unterkünfte in Innviertel und verschwand spurlos im Chaos des allgemeinen Zusammenbruchs.28 Im Fe- bruar 1945 zog ein Wehrmachtsgefängnis, mit 50 bis 60 Häftlingen, in der Ortschaft St. Georgen bei Obern- berg unter.29 Da die Feldpostübersicht keine derartige Verlegung verzeichnete, darf angenommen werden, dass es sich um eine Haftanstalt handelte, welche dem Weh- kreiskommando XVII im Wien direkt unterstellt war. In diesem Fall kämen zwei Dienststellen in Frage, die wegen der ständigen Gefahr durch die Bombenangriffe ins sichere Innviertel verlegt haben könnten. Das wäre

einerseits das, zur Wehrmachtskommandantur Wien ge- Der Staudamm bei Ering (Foto: US Army) hörende, Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis Wien, in Wien-Favoriten, in der Hardtmuthgasse 42.30 An- dererseits könnte es sich auch um die, der Wehrmachts- Ausbau der Verteidigungsstellung 24 zum Erdzielbe- kommandantur Linz unterstellte, Wehrmachts-Haftan- schuss bestens geeignete 8,8 cm Flak 37 zur Verfügung, stalt Linz gehandelt haben, wobei die Größenordnung wozu noch über die vier 8,8 cm Geschütze der zu die- der Gefangenkompanie eher für Linz spricht.31 sem Zeitpunkt bereits aufgelösten schweren Alarmbat- Neben den Resten der leichten Heeres-Flakbrigade wa- terie kamen, wo vorerst keine Geschützbedienungen ren es vor allem Einheiten der Luftwaffe, welche im In- vorhanden waren. nviertel das militärische Geschehen der letzten Kriegs- wochen prägten. Die Flugzeugführer-Schule A 115, ur- Besonders eindrucksvoll war auch die Zahl der im Be- sprünglich am Flugplatz in Wels stationiert, war schon reich Braunau und bei den beiden Laufkraftwerken seit längeren im Innviertel. Als im März der Flugbetrieb (Ering-Frauenstein und Egglfing-Obernberg) einge- eingestellt wurde, musste das kriegsverwendungsfähige setzten leichten Fliegerabwehrgeschütze. In diesem Personal der Schule für die Aufstellung der 10. Fall- Bereich konnte man von mindesten dreißig Vierlings- schirm-Jägerdivision abgegeben werden. Ursprünglich Geschützen und etwa zwanzig Einzellafetten, alle vom sollten 700 Mann nach Graz, zu der in Aufstellung Kaliber 2 cm, ausgehen. Das Problem der leichten Flak befindlichen Division, in Marsch gesetzt werden, doch war, dass in diesem letzten Abschnitt des Krieges nur letztlich waren es nur 362 Mann, die Anfang April in mehr minder geeignetes Behelfspersonal zur Bedienung Antiesenhofen den Zug bestiegen. Der Transport sollte der Geschütze zur Verfügung stand und auch das nur Graz nie erreichen, denn er wurde auf Befehl des Luft- in ungenügender Zahl. Hier zeigte sich das allgegen- gaukommandos XVII in den Raum östlich St. Pölten wärtige Problem der kollabierenden Kriegsmaschine. umgeleitet.32 Hier sollten die nur mit Handwaffen aus- Einerseits standen „Kindersoldaten“, Ungarn und rus- gerüsteten Fliegersoldaten, auf Anordnung des Reichs- sische Kriegsgefangene sowie minder geeignetes Be- verteidigungskommissars von Niederdonau, gegen die, helfspersonal an den Flakgeschützen, Jugendliche und im Rahmen der Westumfassung Wiens, aus dem Raum alte Männer wurden im Rahmen des Volkssturms rück- Mödling nach Norden und Nordwesten vorstoßenden sichtlos eingesetzt. Andererseits konnten zehntausende sowjetischen Truppen zum Einsatz kommen.33 Die langgediente und gut ausgebildete Soldaten, vor allem restlichen Rekruten, denen es an infanteristischer Aus- von Marine und Luftwaffe, welche nicht mehr benötigt bildung fehlte und die größtenteils auch unbewaffnet wurden, mangels entsprechender Bewaffnung nicht in- waren, blieben im Innviertel zurück, um hier das Ein- fanteristisch eingesetzt werden. rücken der amerikanischen Truppen abzuwarten. Um zu verstehen, wie es zu dieser beachtlichen Kon- Doch der wichtigste Beitrag zum Aufbau einer Inn-Ver- zentration von annähernd 150 leichten Flakrohren auf teidigung kam von den hier stationierten Einheiten der einen Abschnitt von kaum 25 km kam, bedarf es eines zur Luftwaffe gehörenden Flakartillerie. Die im Innvier- kurzen Rückblicks auf die Entwicklung der Flieger- tel vorhandenen leichten-, schweren Batterien, welche abwehr im Bereich Ranshofen – Braunau – Mining – sich in Luftwaffen-, Heimat- und Alarm-Flakbatterien Obernberg. Schon seit Jänner 1943 gab es in Ranshofen gliederten, gehörten alle zur „Flak-Untergruppe Brau- eine Heimatflak-Batterie, die Hei 4/XVII, mit einigen nau“, dem Stab/schw. Flak-Abt. 805, welche bereits im wenigen leichten Fliegerabwehrgeschützen, zum Schutz Jänner 1944 von St. Valentin nach Braunau verlegt hat- des Mattigwerks.34 Der leichte Einsatz wurde ständig er-

60 weitert und erreichte im Sommer 1944, im Rahmen der er zum Einsatz kamen. Hier handelte es sich möglicher- Flak-Untergruppe Braunau, mit sieben leichten Zügen weise um Geschütze, welche die Untergruppe Braunau und 21 Geschützen, die alle der Heimatflak angehör- mangels Personal nicht mehr besetzen konnte. ten, den Höhepunkt. Ab Dezember 1943 setzte man zum Schutz des Kraftwerks Ering-Frauenstein zwei mit Soldaten bemannte Flak-Züge ein, dieser Einsatz wurde DER AUFBAU EINER VERTEIDIGUNG AM INN bis Ende März 1944 auf fünf Züge erweitert. Die Bat- terie war ausschließlich mit dem 2 cm Flakvierling 38 Während man im Osten noch von einer zusammen- ausgestattet und verfügte damit über 60 Rohre des Kali- hängenden Front sprechen konnte, die zwar vor der bers 2 cm. Als im Juli 1944 bei der Kraftwerksstufe Eg- zahlenmäßig überlegenen Roten Armee ständig zurück- glfing-Obernberg der Aufstau begann, wurde eine wei- weichen musste, war es im Falle der Westfront ganz tere Soldaten-Batterie, ebenfalls mit dem Flak-Vierling anders. Nachdem die Alliierten den Rhein auf breiter 38 ausgestattet, von Linz nach Obernberg verlegt.35 Der Front überquert und große Teile der Westfront im soge- Einsatz zum Schutz der beiden Staumauern, mit jeweils nannten Ruhrkessel einschließen und zur Kapitulation 60 leichten Rohren, blieb bis Oktober 1944 unverän- zwingen konnten, gab es hier keine durchgehende deut- dert. In diesem Monat kam es zu einer gravierenden sche Abwehrfront mehr. Die zumeist isoliert kämpfen- Veränderung, als die im Raum Obernberg eingesetzte den deutschen Großverbände, verstärkt durch Ausbil- leichte Batterie nach Wien abgegeben wurde, aber ihre dungs- und Alarmverbände sowie Volkssturmeinheiten, Geschütze zurück ließ, welche nun von den Soldaten wurden von den amerikanischen, britischen und fran- übernommen wurden, welche bisher an der Staumauer zösischen Divisionen vor sich her getrieben, ohne dass Ering-Frauenstein eingesetzt waren. es den Verteidigern gelang, eine zusammenhängende Die unbesetzten Geschütze im Bereich Ering-Frauen- stabile Front zu bilden. Im April 1945 hatte sich, nach stein sollten von der Heimatflak übernommen und mit dem Fall von Wien, die Ostfront wieder stabilisiert, der Behelfspersonal (Luftwaffenhelfer und Flakwehrmän- befürchtete Durchbruch im Donautal in Richtung auf nern) bemannt werden. Dadurch verdoppelte sich die Linz war ausgeblieben. Auch in Bezug auf die Westfront Hei 4/XVII, welche bisher nur für das Schutzobjekt in sah man in Oberdonau Anfang April 1945 noch keine Ranshofen zuständig gewesen war, innerhalb einer Wo- akute Bedrohung, da die Stoßrichtungen der alliierten che von sieben auf zwölf leichte Flak-Züge, fünf davon Armeen in Richtung Hamburg und Berlin gingen. Für mit dem Flak-Vierling 38. In den Monaten November den oberösterreichischen Raum änderte sich die Bedro- und Dezember 1944 erreichte die Batterie dann sogar hungslage erst Mitte April, als ein Großteil der ame- eine Stärke von 13 leichten Flak-Zügen. Doch dieser rikanischen Truppen an der Westfront plötzlich nach hohe Stand war wegen des fehlenden Behelfspersonals Süden eindrehte. Der Grund für diesen Schwenk war nicht zu halten, so meldete die Hei 4/XVII zum Jahres- die Furcht des alliierten Oberkommandos, dass sich wechsel 1944/45 nur mehr elf Züge. Als in den ersten beträchtliche Teile der Wehrmacht in letzter Minute in Monaten des Jahres 1945 viele Luftwaffenhelfer ihren der imaginäre „Alpenfestung“ verschanzen könnten. Dienst, anlässlich ihrer Einberufung zum Reichsarbeits- dienst (RAD) beendeten, wurde es kritisch. Denn diese Im oberösterreichischen Raum war die 487. Ersatz- und „Schüler-Soldaten“ hatten mit ihrer hohen Motivation Ausbildungsdivision stationiert, welche bereits zur Mo- natswende März/April 1945 ihre kampfkräftigen Teile und Einsatzfreude bisher das Rückgrat der Heimatflak 37 gebildet und mussten ersetzt werden. Seit dem 26. Fe- als Alarmverbände der Ostfront abgeben musste. Nun bruar 1945 gab es bei der Untergruppe Braunau keine wurde dieser Division die Aufgabe übertragen, ein Stel- lungsystem an der Enns und Ybbs sowie am unteren Flakhelfer mehr und als Ersatz standen nun sogenannte 38 Flak-v-Soldaten an den Geschützen.36 Bei diesen „flak- Inn zu errichten. Während die Stellungen im Osten verwendungsfähigen Soldaten“ handelte es sich um Ende April verteidigungsbereit waren, befand sich der Wehrpflichtige, welche man bisher aus gesundheitli- Ausbau an der Westgrenze noch in den Anfängen. Hier chen Gründen zurückgestellt hatte und nun eingezogen gab es, im Unterschied zur Ostfront, keine erfahrene wurden. militärische Organisation, welche den Stellungsbau Doch bald zeigte sich, dass dieser Personenkreis die ab- vorantreiben konnte. Diese Aufgabe mussten die nur gerüsteten jugendlichen Helfer kaum ersetzen konnten. wenig geeigneten zurückgebliebenen Reststäbe der hier Nun kam es immer öfter vor, dass Geschütze wegen liegenden Ersatz- und Ausbildungsverbände überneh- des Mangels an Bedienungspersonal unbesetzt blieben. men. Der Stellungsbau erfolgte damals zumeist durch Auch ließ die Kampfmoral der Flak-Soldaten so wie auch die Reichsverteidigungskommissare (Gauleiter) mittels die des übrigen des Behelfspersonals, mit Blick auf die Volksaufgebot. Das Militär beschränkte sich auf den in Bälde zu erwartende Niederlage, sehr zu wünschen Ausbau einiger Sperren und auf die Vorbereitung der übrig. Unerlaubte Entfernungen von der Truppe oder Sprengung von taktisch wichtigen Brücken. Für einen das Nichterscheinen zum Dienst häuften sich. Trotz der Ausbau von Anlagen zur Ortsverteidigung fehlte es an quälenden Personalnot wurde der leichte Flakschutz Arbeitskräften und Baumaterial, sodass es beim Bau von bei den Staumauern aufrechterhalten. Zu einer letzten zumeist gänzlich ungeeigneten Panzersperren blieb. Un- Änderung kam es, als Ende März 1945 erstmals sechs ter militärischer Anleitung wurden im Bereich zwischen leichte Fliegerabwehrkanonen beim Flugplatz Münsteu- Inn und Antiesen an neuralgischen Punkten des Stra-

61 ßennetzes vereinzelt Sperranlagen vorbereitet, welche nau, Obernberg und Schärding, ergänzt werden, wel- von Maschinengewehrstellungen überwacht werden che die Gauleitung aus entbehrlichen alten Männern sollten.39 und Jugendlichen aus allen Kreisen des Gaues rekrutiert Die für die Inn-Verteidigung zuständige militärische hatte. Des Weiteren wollte man die um Ranshofen sta- Kommandobehörde war das Stellvertretende General- tionierten schweren und leichten Flakbatterien auf die kommando XVII (Wehrkreiskommando XVII) in Wi- Inn-Front aufteilen, umso die fehlende Panzerabwehr en.40 Dieses war seit dem 27. März 1945 in allen terri- und Artillerie zu ersetzen. Die Verteidigungsstellung torialen Angelegenheiten der Heeresgruppe Süd unter- am unteren Verlauf des Inns, die das Gebiet zwischen stellt, und hatte am 2. April Wien in Richtung Westen Braunau/Ranshofen und Passau abdeckte, war in drei verlassen.41 Um den 20. April 1945 wurde das Wehr- Verteidigungsabschnitte gegliedert, nämlich die Kampf- kreiskommando XVII mit der Errichtung und Führung abschnitte Braunau, Schärding und Passau. Der orga- der gegen den Westgegner gerichteten Abwehrfront nisatorisch zum bayrischen Wehrkreis XIII gehörende beauftragt. Die geplante etwa 110 km lange Verteidi- Abschnitt Passau, war in zwei Teile, nämlich die Un- gungslinie, im eigentlichen Sinn war es nicht mehr als terabschnitte „Donau“ und „Inn“ aufgeteilt und wur- eine Sicherungslinie, ging von Wallern (Volary), der de als Eckpfeiler in die Inn-Verteidigung einbezogen. Nahtstelle zu den im Protektorat Böhmen und Mähren Als Abwehrschwerpunkte wurden die Städte Braunau, eingesetzten Kräften LXXXV Armee-Korps aus, über Schärding und Passau bestimmt, wo es überall auch Schwarzenberg – Breitenberg – Gegenbach – Wegscheid Übergänge über dem Hochwasser führenden Fluss gab. – Obernzell und von hier entlang dem Südufer der Do- nau bis nach Passau. Von hier ging die Linie weiter, dem Besondere Schwachpunkte waren die Stauwerksdäm- Ostufer des Inns folgend, über Schärding nach Braunau me bei Ering-Frauenstein und Egglfing–Obernberg und bis zur Mündung der Salzach.42 Als Stellungstrup- sowie an der Donau die Staustufe beim Kachlet-Werk pe stand dem Stellvertretenden Generalkommando die oberhalb von Passau, wo an eine Sprengung nicht ohne auf oberösterreichischen Gebiet stationierte Division weiteres gedacht werden konnte. Die Grenze zwischen 418 (Ersatz- und Ausbildung) zur Verfügung.43 Der Ab- den Abschnitten Braunau und Schärding bildete eine schnitt Wallern, welcher den nördlichen Böhmerwald gedachte Linie von Ried im Innkreis zum bayrischen umfasste, wurde vom Wehrkreiskommando XVII di- Rotthalmünster, wobei Ried zum Abschnitt Schärding rekt geführt. Die Verteidigung des restlichen Teils der gehörte und Kirchdorf zu Braunau. Die Grenze zwi- Verteidigungslinie wurde Generalmajor Paul Wagner schen Schärding und Passau verlief, parallel zur Donau, und seinem Divisionskommando, mit dem zur Divi- auf Höhe von Wernstein. Die beiden Passauer Unterab- sion gehörenden Ersatz- und Ausbildungsverbänden, schnitte waren getrennt durch eine gedachte Linie, von übertragen.44 Der Auftrag lautete, den feindlichen Vor- Achleiten bis hin zur Donau bei Sandbach in Bayern. marsch nach Osten zu verzögern um der gegen die Rote Der Schwerpunkt der Verteidigung im Raum Passau Armee kämpfenden Heeresgruppe Süd möglichst lange lag nördlich der Donau, wo ein Infanterie-Bataillon mit den Rücken freizuhalten. drei Kompanien eingesetzt war. Denn Inn-Abschnitt Der Abschnitt Wallern, welcher den nördlichen Böh- verteidigte ein SS-Pionierbataillon, ebenfalls mit drei merwald umfasste, wurde vom Wehrkreiskommando Kompanien. Davon waren zwei Kompanien auf dem XVII direkt geführt. Die Führung im restlichen Teil bayrischen Ufer und eine Kompanie auf der österreichi- der Verteidigungslinie wurde Generalmajor Paul Wag- schen Seite des Inns eingesetzt.48 Für den Abschnitt ner und seinem Divisionskommando übertragen.45 Der waren auch zwei schwere Flak-Batterien vorgesehen, Auftrag lautete, den feindlichen Vormarsch nach Osten eine davon nördlich der Donau und die Zweite postier- zu verzögern um der gegen die Rote Armee kämpfenden te man auf der bayrischen Seite, zwischen Donau und Heeresgruppe Süd möglichst lange den Rücken freizu- Inn.49 halten. Zur Besetzung des Stellungssystems standen nur Im Abschnitt Schärding führte der Abteilungsstab des die zur Division gehörenden Ersatz- und Ausbildungs- hier eingesetzten Alarmbataillons, welches man aus den verbände zur Verfügung. Nach dem Aderlass für die Restteilen der Rieder Heeres-Flak Ersatz- und Ausbil- Ostfront zur Monatswende März/April 1945 wurden dungsabteilung 277 gebildet hatte. Ähnlich wie in Pas- aus den noch verbliebenen Truppenteilen der Division, sau postierte man auch in Schärding kampfkräftige Teile welche man mittlerweile wieder aufgefüllt hatte, Regi- auf der bayrischen Seite des Inns. Diese Brückenkopf- mentsgruppen, ohne eine feste Gliederung, gebildet.46 stellung, bestückt mit schweren Maschinengewehren Für den Bereich der Inn-Verteidigung zwischen Braunau und 8,8 cm Flak, sollte sicherstellen, dass die Brücke und Schärding, mit unmittelbarer Anlehnung an den bei einer Annäherung des Gegners rechtzeitig gesprengt Abschnitt Passau, wurde eine Regimentsgruppe unter werden konnte. Während man die Priorität auf den Aus- Oberst Colli gebildet, der mit seinem Ausbildungsstab bau der Brückenkopfstellung legte, wurde der Bau von in Gmunden verblieb. Der Regimentsgruppe wurden Kampfdeckungen im Stadtgebiet selbst zurückgestellt. die in Ried verbliebenen Reste der dortigen Heeres-Flak Als der Brückenkopf in der Nacht zum 2. Mai 1945 unterstellt, welche damals jedoch über keine schweren geräumt und die Brücke in den frühen Morgenstunden Geschütze mehr verfügte.47 gesprengt wurde, mangelte es auf der österreichischen Die fehlende infanteristische Kampfkraft sollte durch Seite an einem ernstzunehmenden Stellungssystem. Die drei Volkssturm-Bataillone, die VS-Bataillone Brau- bisher zur Brückensicherung eingesetzt gewesenen 8,8

62 cm Geschütze sollten nun aus vorbereiteten Höhenstel- der letzten Kriegstage, einen bunt zusammengewürfel- lungen neuerlich zum Einsatz kommen. Zur Stärkung ten Haufen von Soldaten. In der Literatur wird neben der Kampfkraft hatte man den schweren Batterien 2 cm dem Infanteriebataillon auch eine Pionierkompanie Fliegerabwehrkanonen, in Einzel- oder Vierlings-Lafet- und eine Alarmkompanie der Luftwaffe sowie die Re- ten, zugeteilt, um damit Flak-Kampftrupps zu bilden. ste einer Panzer-Ersatz-Abteilung genannt. Dazu kam Allerdings fehlte es am wichtigsten Element, nämlich dann noch die Genesenden Kompanie aus der Salzbur- der Mobilität, da es an entsprechenden Fahrzeugen und ger Tor-Kaserne und die Sanitätskompanie 1/17.53 Ur- Transportbehelfen mangelte. sprünglich war für Braunau nur ein Einsatz von zwei schweren Flakbatterien vorgesehen und eine weitere Der Einsatz des Alarmbataillons, dem bis zur letzten Batterie sollte im Bereich Ranshofen verbleiben.54 Doch Minute noch ständig weitere Alarmeinheiten zuge- glaubwürdige Berichte sprechen vom Einsatz schwerer führt wurden, konzentrierte sich auf das Stadtgebiet Flakbatterien bei Burgkirchen, in Aching und bei St. von Schärding und auf die unmittelbare Umgebung. Peter sowie von zwei Batterien im Gebiet von Ransh- In Ried wurden in der Kaserne laufend Alarmeinhei- ofen.55 Zum Teil hatte man den 8,8 cm Batterien auch ten aus Versprengten zusammengestellt, welche dann ein Zug Fliegerabwehrkanonen, vom Kaliber 2 cm, zum in Zugs- bis Kompaniestärke dem Abschnitt Schärding Selbstschutz beigegeben.56 In Braunau errichtete man, zugeführt wurden. Trotzdem standen für die Absiche- ebenso wie In Passau und Schärding, eine Brückenkopf- rung der Uferbereiche zwischen Wernstein und Obern- stellung auf bayrischer Seite. Im Bereich von Simbach berg nur die beiden Volkssturmbataillone zur Verfü- sollte eine mit schweren Waffen verstärkte Infanterie- gung. Obwohl man nicht davon ausgehen konnte, dass kompanie die beiden Brückenauffahrten sichern.57 Als diese mangels entsprechender Bewaffnung und Muni- gegen 11:00 Uhr amerikanische Patrouillen im Gebiet tionsausstattung die fehlenden infanteristischen Kräfte von Simbach gesichtet wurden, verzichteten die hier ersetzen konnten. Die Gefechtsstände des Volkssturms eingesetzten deutschen Sicherungen nachhaltigen Wi- befanden sich in Schärding und in Obernberg, wo es an derstand zu leisten und zogen sich rechtzeitig zurück. Nachrichtenmittel mangelte. So hatten die Bataillons- Nach einem abgesprochenen Sirenensignal wurde die führer des Volkssturmes durchwegs keine Verbindung Straßenbrücke um 12:00 Uhr gesprengt.58 Wer es nicht zu ihren Kompanieführern und diese konnten ihre in geschafft hatte, sich noch rechtzeitig über die Brücke den unwegsamen Inn-Auen eingesetzten Männer auch abzusetzen, kapitulierte einfach und ging in die Gefan- kaum versorgen. Was sich natürlich katastrophal auf die genschaft.59 von vornherein schon schlechte Moral auswirken mus- ste. Da die Priorität beim Ausbau der Verteidigungslinien Die Führung im Abschnitt Braunau hatte der Abtei- bei jenen im Osten lag, kam der Ausbau im Inn-Bereich lungsstab des im Rahmen der Regimentsgruppe (Ers. u. vorerst kaum voran. Zwar wurden entlang des Flusses Ausb.) 577 aufgestellten und für Braunau vorgesehenen Kampfdeckungen ausgehoben und Panzerdeckungslö- schweren Infanteriebataillons übernommen.50 Weite- cher gegraben. Vereinzelt wurde auch im Hinterland ge- re Führungsstäbe waren jene des Volkssturmbataillons schanzt, doch es fehlte durchwegs die planende Hand. Braunau und der zur Luftwaffe gehörige Stab der ortsfe- Die militärische Seite beschränkte sich auf die Vorbe- sten schweren Flakabteilung 805. Für die Verteidigung reitung von Sperrmaßnahmen, so wurden die über den der Stadt hatte man drei Verteidigungslinien vorgese- Inn führenden Brücken zur Sprengung vorbereitet. In hen und auch ausgebaut. Die äußere Linie zog sich von dieser Angelegenheit hatte das Wehrkreiskommando Hagenau über St. Peter, Aching und Ranshofen bis zum VII (München) bereits am 17. April 1945 einen Befehl Inn. Das mittlere Stellungssystem verlief vom Inn über herausgegeben, der eindeutig eine nachhaltige Zerstö- Dietfurt, Haselbach und Lech bis Osternberg. Die letz- rung der Brücken über Salzach und Inn zwischen Frei- te innere Linie bildete dann der Stadtrand selbst.51 Zur lassing und Schärding forderte.60 In diesem Befehl waren Sicherung des österreichischen Ufers zwischen Ransh- jedoch ausdrücklich die Anlagen der Energiewirtschaft ofen und Kirchdorf wurden vier Kompanien aufgebo- und Wasserversorgung ausgenommen, damit war das ten. Der Volkssturm sollte den Bereich zwischen Kirch- Schicksal der Kraftwerksstufen am Inn weiterhin unge- dorf und Hagenau sichern. Der stromaufwärts gelegene klärt. Die Sperrung und Sicherung der beiden zwischen Uferbereich sollte bis auf Höhe von Osternberg durch Braunau und Obernberg gelegenen Kraftwerksdämme Einheiten des Heeres besetzt werden. Dafür hatte man im Falle der Annäherung des Gegners war und blieb ein die Kompanien des schweren Infanteriebataillons und ungelöstes Problem. Teile einer Panzer-Ersatz-Abteilung vorgesehen. Die Dabei zeichnete sich ein schwer überwindbarer Kompe- linke Flanke, der Bereich der Inn-Auen von westlich tenzkonflikt zwischen Bayern und dem Gau Oberdonau von Osternberg bis zur Einmündung der Salzach, sollte ab. Während man in Bayern bemüht war, ein wirtschaft- von einer Abteilung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) liches Chaos zu verhindern und planmäßige Zerstörun- geschützt werden, wobei Anzumerken wäre, dass zu gen im Rahmen der Abwehrkämpfe möglichst gering dieser Abteilung keine Verbindung bestand.52 zu halten oder gänzlich zu vermeiden, sah man das in Die genaue Zusammensetzung der in Braunau einge- Oberdonau ganz anders.61 Vom Gauleiter von Oberdo- setzten Kampfgruppe wird sich wohl nicht mehr ermit- nau, ein fanatischer Nazi, ist bekannt, dass er sich per- teln lassen, handelte es sich doch um eine Schöpfung sönlich um die Sprengung der Innbrücken kümmerte,

63 obwohl diese keineswegs zu seinen Zuständigkeitsbe- war, dass es an einer entsprechenden Koordination reich gehörten. Es darf angenommen werden, dass er zwischen den einzelnen Kampfabschnitten fehlte. So wohl auch eine Sprengung der Staudämme im Sinne wurde erst am 1. Mai 1945 ein Kampfkommandant hatte.62 So erstreckten sich die vorsorglich getroffenen bestellt, welcher die Führung in dem Bereich zwischen Maßnahmen bei den Staudämmen Ering-Frauenstein der Mündung der Salzach und der Abschnittsgrenze und Egglfing-Obernberg vorerst auf das Ablassen der Schärding/Passau übernehmen sollte. Es fehlte vor al- Stauräume und das Öffnen der Wehre. Dadurch wurde lem auch an Nachrichteneinheiten, eine unabdingbare einerseits eine Gefährdung der Bevölkerung durch eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Führung der weit mögliche Flutwelle im Falle eines Bombentreffers an der auseinandergezogenen Verbände. So war man auf das Staumauer vermieden, andererseits erschwerte der rasch postalische Fernsprechnetz angewiesen, welches damals fließende, hochwasserführende Inn auch ein Überque- durchwegs noch handvermittelt war. Dies rächte sich ren des Gegners mit Booten und Fähren. beim Herankommen des Gegners, als viele Vermittlun- Besonders heikel war die Situation beim Staudamm gen plötzlich unbesetzt blieben und die Kommunika- Ering-Frauenstein, da hier an der Unterwasserseite der tion zusammenbrach. Der Ausfall der Nachrichtenver- Kraftwerksbrücke eine zusätzliche Fahrbahn, der Fuß- bindungen im entscheidenden Moment steigerte das gänger-Steg, vorhanden war, der jedoch auch ein Über- allgemeine Chaos noch weiter.65 Eine Ausnahme dürfte queren des Flusses mit leichten Kraftfahrzeugen ermög- nur der Abschnitt Braunau gewesen sein, wo man auf lichte.63 Um eine Sperrung der Übergangsmöglichkeit den Nachrichten-Zug der bisherigen Flak-Untergruppe über die Kraftwerksmauern zu erreichen, musste der Braunau zurückgreifen konnte. So war der am 1. Mai Fußgänger-Steg, aber auch die Fahrbahn der Portalkrä- eingesetzte Kampfkommandant, beschränkt auf den ne, welche die beiden Ufer verband, durch technische Bereich Braunau und ohne Verbindung zu den Stäben Sperren blockiert werden. Die Möglichkeit einer Über- außerhalb Braunaus, bis zum Tag der Kapitulation in querung des Dammes, über das in die Kraftwerksbrücke ständiger Verbindung mit den vorgesetzten Führungs- integrierte Krafthaus und die anschließende Wehr bis stellen. hin zum österreichischen Ufer, verursachte erhebliche Eine weitere Schwäche war, das es nicht gelang die Kopfzerbrechen. Die Techniker des Kraftwerkes ver- im Bereich zwischen Ranshofen und Obernberg zahl- suchten mit Hilfe von sogenannten „Spanischen Rei- reich vorhandenen leichten Fliegerabwehrgeschütze der tern“ und mit zusätzlichen Stahltraversen, welche man „Heimatflak“ in die Abwehr effektiv einzubauen. So mit bestehenden Stahlkonstruktionen verschweißte, die löste sich ab Februar 1945 die „Heimatflak“ im gesam- Übergangsmöglichkeit zu blockieren. Wobei die Sperr- ten Heimatkriegsgebiet immer mehr auf. Die Mehrzahl wirkung durch den Einsatz von mehrfach übereinander der existierenden Batterien wurde wegen des fehlenden gelegten Stacheldrahtrollen verstärkt wurde. Zusätzlich Personals aufgelöst und das Geschützmaterial im Erd- wurden auf der österreichischen Seite Trichterladun- kampf verwendet. In den wenigen noch verbliebenen gen im Boden vergraben, welche nach deren Zündung Batterien fiel mangels Personal ein Geschütz nach dem ein Auf- und Abfahren von der Dammkrone zum Ufer anderen aus, wobei die Schuld daran in erster Linie die durch die entstandenen riesigen Sprengtrichter verhin- für die Personalgestellung zuständigen Dienststellen der dern sollten. Partei traf. Denn die Bereitstellung des Behelfspersonals Ein ähnliches Problem gab es auch bei dem noch un- der zeitlich dienstverpflichteten „Flakwehrmänner“ war fertigen Laufkraftwerk Egglfing-Obernberg.64 Auch nämlich Sache der NSDAP, welche diese Zuständigkeit hier ermöglichte die Fahrbahn der Portalkräne einen einst als probates Mittel der Disziplinierung für wider- Übergang über Krafthaus und Wehranlage zum ande- spenstige Volksgenossen schätzte. ren Ufer. Ein Vorteil war, dass hier der beim Kraftwerk Die Hauptursache für das Desinteresse der NSDAP Ering-Frauenstein vorhandene Fußgänger-Steg fehlte. an der Heimatflak war der allgemeine Mangel an für So gelang es, hier den Übergang über die Dammkrone, die Kriegsaufgaben geeigneten Menschen für Wehr- mit Hilfe von Sperrmaterial und Stacheldrahtrollen, ef- macht, Rüstung und Schadensbeseitigung im Rahmen fektiver zu sperren. Zwar konnten die amerikanischen des Luftkriegsgeschehens. Seit die Gauleitungen immer Pioniere den Übergang in kürzester Zeit für Infanteri- stärkeren Druck auf die Kreisleiter ausübten, möglichst sten passierbar zu machen. Der Versuch, den Übergang viele Personen zur Einberufung in die Wehrmacht nam- für leichte Fahrzeuge benutzbar zu machen, forderte haft zu machen, blieb die Personalbereitstellung für die große Anstrengungen und man brauchte erheblich län- Heimatflak auf der Strecke. Neben den ständigen For- ger als gedacht. Auf der bayrischen Seite hatte man bei derungen des Militärs und aus der Rüstungsindustrie beiden Laufkraftwerken Kampfdeckungen ausgehoben, ,waren neue Aufgaben im Bereich der NSDAP hinzuge- mit dem Zweck, die Zugänge zu den Dämmen unter kommen, wie der Stellungsbau mit Kräften des „Volks- Feuer zu halten. Doch die in diesen kleinen Brücken- aufgebot“ und die Rekrutierungen für den Volkssturm. köpfen eingesetzten Soldaten, mit dem Rücken zum Tatsache ist, dass die im Bereich der Kraftwerksdämme Fluss kämpfend und ohne gedeckte Rückzugsmöglich- noch vorhandene leichten Fliegerabwehrgeschütze alle keit, waren den in bataillonsstärke anrückenden ame- bereits verlassen waren, noch ehe ein amerikanischer In- rikanischen Truppen von vornherein hoffnungslos un- fanterist das rechte Ufer des Inns erreichte. Die unüber- terlegen. sehbaren Auflösungserscheinungen beim Volkssturm Eine besondere Schwachstelle der Inn-Verteidigung hatten auch auf die auf sich gestellten Angehörigen der

64 „Heimatflak“ übergegriffen. Die Soldaten und Flak- Kreis Linz-Land und die Reichsstraße Linz - Wels so- wehrmänner verließen ihre Geschütze und suchten das wie die Räume Lambach, Laakirchen, Gmunden (ein- Weite. schließlich), ausschließlich Traunsee und die Straße Abschließend lässt sich feststellen, dass der Einsatz der Ebensee - St. Wolfang, zuständig. Der 3. Kompanie war Regimentsgruppe im Abschnitt Braunau-Schärding, die als Einsatzgebiet der „übrige Gau Oberdonau“ zuge- sich vor allem auf Kompanien mit Unterstützungswaf- teilt. Das SS-Bataillon sollte vor allem die Ausfallstra- fen stützte, eine geringe Aussicht auf eine erfolgreiche ßen im Gau „sichern“ und den gesamten Verkehr, auch Verteidigung gehabt hätte, wenn genügend infanteristi- den militärischen, kontrollieren. Die Einheit sollte das sche Kräfte zur Besetzung des rechten Ufers vorhanden gesamte zugewiesene Gebiet „Durchkämmen“, wobei gewesen wären. Doch dies war zu keiner Zeit gegeben alle Gendarmerie-Dienststellen entsprechenden Hilfe und die schwachen und kaum bewaffneten Volkssturm- leisten und Unterlagen über Sicherungslager, Bevölke- bataillone waren sicherlich kein Ersatz für die fehlende rung, Einquartierungen, verkehrswichtige Straßen und Infanterie. Wege sowie über besondere politische Verhältnisse und Schwierigkeiten in ihrem Bereich zur Verfügung zu AUGUST EIGRUBER: GAULEITER UND stellen hatten.67 Über das plötzliche Auftreten des „SS- REICHSVERTEIDIGUNGSKOMMISSAR Sicherheitspolizei-Grenadierbataillon Nr. 2 (Suhr)“ ist nur wenig bekannt.68 Doch darf angenommen werden, Die NSDAP weitete ihren militärischen Einfluss im dass jede Menge Gestapo-Angehörige und KZ-Schergen Kriegsverlauf immer weiter aus und kontrollierte letzt- aus Mauthausen, Gusen und den unzähligen Nebenla- lich die Bereiche Luftschutz, Heimatflak, Evakuie- gern die Gelegenheit genützt haben dürften, um in der rungsmaßnahmen, Stellungsbau und zuletzt kam noch Anonymität dieser Einheit unterzutauchen. die Zuständigkeit für die im Herbst 1944 eingeführte Vermutlich ist ein Großteil der in den letzten Tagen des Miliz, dem „Deutschen Volkssturm“, dazu. Mit Be- Krieges erfolgten sogenannten „Endphase-Verbrechen“ zug auf die Inn-Verteidigung war die Partei in Sachen dieser Einheit zuzuschreiben. Auch aus dem Innviertel Heimatflak, Volkssturm und Stellungsbau involviert. gibt es zahlreiche Berichte, so aus Schärding und vielen August Eigruber, ein besonders radikaler Nazi, wurde anderen Orten, über solche Verbrechen, in welche na- in seiner Eigenschaft als Gauleiter und Reichsverteidi- mentlich unbekannte SS-Angehörige involviert waren.69 gungskommissar von Oberdonau in der Endphase des Trotz aller Standgerichtsverfahren und Terrormaßnah- Krieges zur treibenden, destruktiven Kraft in seinem men war das Ende des NS-Regimes in Oberdonau für Gau. Je aussichtsloser die Lage, umso radikaler und Jedermann absehbar und in Bälde zu erwarten. Nichts- brutaler wurde sein Wirken. Der Höhepunkt wurde destoweniger waren die beiden letzten Wochen im April erreicht, als Eigruber Ende März in Wien, wo er sich von rastlosen Aktivitäten der NS-Organisationen ge- gemeinsam mit Ziereis, dem Kommandanten des Kon- prägt. Wobei die Diskrepanz zwischen den Vorstellun- zentrationslagers Mauthausen, bei Heinrich Himmler gen der Gauleitung und der Wirklichkeit immer größer meldete, die Vollmacht zur Verhängung des Stand- wurde. So kam es auch kaum zur Realisierung von An- rechts bekam. Als Eigruber merkte, dass seine Autorität lagen zur Ortsverteidigung, sondern nur zum Bau von im Schwinden war und seine Macht immer mehr ins oft primitiven Panzersperren aus Baumstämmen und Wanken geriet, versuchte er durch Terror gegenzusteu- Pflastersteinen, welche nach der Schließung der Durch- ern. So bekam der als „Mussolini-Befreier“ bekannte fahrtsöffnung ein Durchfahren der Orte durch feindli- SS-Obersturmbannführer Skorzeny, der sich Anfang che Panzer verhindern sollten. Doch Alibi-Sperren die- April kurz in Wien aufgehalten hatte, von seinem Vor- ser Art konnten den ihnen zugedachten Zweck kaum gesetzten Kaltenbrunner die Order, sich bei Gauleiter erfüllen und wurden zumeist von der Bevölkerung noch Eigruber in Linz zu melden. Hier sollte Skorzeny eine zeitgerecht vor dem Einmarsch der Amerikaner wegge- Streifenorganisation zur Kontrolle der von den Fron- räumt. ten zurückflutenden Soldaten aufzubauen. Ab dem 11. April war Skorzeny mit seinem Stab im Großraum Linz, DEM ENDE ENTGEGEN vor allem nördlich der Donau, unterwegs, um hier mit Hilfe der ortsansässigen Behörden, die zahlreichen Ver- Am Freitag, den 27. April 1945, konnten die über- sprengten und Deserteure aufzugreifen. Doch Skorzeny raschten Leser in der letzten Ausgabe des Innviertler war viel zu gewitzt, um sich für Eigruber, mitten im Heimatblatt, der amtlichen Wochenzeitung der NSDAP Zentrum der zusammenbrechenden KZ-Organisation, für das Innviertel, bevor es sein Erscheinen für immer die Finger zu verbrennen. So setzte er sich bereits am einstellte, lesen: „Amerikanische Panzer knapp vor 20. April 1945 in Richtung Salzburg ab.66 Noch vor der Gaugrenze – Tragen wir den Notwendigkeiten seinem Abgang übernahm ein „SS-Sicherheitspolizei- der Front Rechnung“. Übertitelt war der „Durchhalte- Artikel“ mit „Gauleiter Eigruber ruft uns alle zu ent- Grenadierbataillon Nr. 2 (Suhr)“, mit Sitz im Gebäude 70 der Geheimen Staatspolizei in Linz, die Weiterführung schlossener Abwehr auf“. Schon vorher, am Mittwoch des Skorzeny erteilten Auftrags. den 25. April hatte sich der Gauleiter August Eigruber, Nach einem überlieferten Einsatzbefehl sollte die 1. in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommis- Kompanie nördlich der Donau, im Raum Pregarten, sar, über den Rundfunk die unvorbereitete Bevölke- zum Einsatz kommen. Die 2. Kompanie war für den rung mit der Tatsache konfrontiert, „Der Feind steht im

65 Westen nur mehr 20—30 km vor unsere Gaugrenze am Herannahen der amerikanischen Panzerdivision an das Inn“. Dies war für die Menschen ein Schock, da der vorgesetzte Gendarmerie-Kreiskommando in Ried. Zu Wehrmachtbericht an diesem Tag ein Vorrücken der diesem Zeitpunkt hatte die im Rottal vorrückende Pan- Amerikaner in Bayern nicht einmal erwähnt hatte.71 zerspitze bereits die Ortschaft Karpfham erreicht und Auf Seiten der Wehrmacht bestand zu diesem Zeit- befand sich nur mehr 15 km von der Kreisgrenze am punkt noch die vage Hoffnung, den kräftemäßigen weit Inn entfernt. Am frühen Nachmittag kam aus Braunau überlegenen Gegner noch in letzter Minute an den erst die Meldung, dass beide Innbrücken gesprengt wurden im Stadium der Vorbereitung befindlichen Sperrstel- und die Stadt bereits vereinzelt von Artillerie beschos- lungen an der Isar und am Inn oberhalb der Salzach- sen wurde.77 Mündung aufzuhalten, die einen Vorstoß des XXth US-Corps zur Inn-Linie verhindern sollten. Doch der Um 15:45 Uhr wurde gemeldet, dass soeben Tutting rasche Vormarsch machte einen nachhaltigen Ausbau von amerikanischen Truppen besetzt wurde und dass dieser Linien von vorne herein illusorisch.72 So gelang die bayrischen Ortschaften bereits überall weiß geflaggt es den schwachen deutschen Sicherungsverbände nicht, hätten. Nun konnte man von der österreichischen die an der Isar, zwischen und , Seite des Flusses aus beobachten, wie sich die ameri- vorbereitete Sperrlinie zu halten. Unter dem übermäch- kanischen Infanterieverbände zwischen Braunau und tigen Druck des Gegners wurden die wenig kampfkräf- Schärding an das bayrische Ufer heranschoben, wobei tigen Verbände aus der Isar-Linie vertrieben und zogen sich die beiden unzerstörten Kraftwerksdämme Ering- sich auf den Abschnitt Wasserburg – Mühldorf zurück Frauenstein und Egglfing-Obernberg als die zu erwar- und gaben dadurch der 11. US-Panzerdivision den Weg tenden Schwerpunkte abzeichneten. Am nächsten Tag, zum unteren Inn frei.Schon seit dem 25. April konnte Am 2. Mai 1945, wurde die amerikanische Infanterie, man entlang des Inns das Grollen des Artilleriefeuers welche gegenüber dem amerikanischen Panzerverband aus nördlicher Richtung vernehmen, wobei der Kano- weit zurückgeblieben war, in Eilmärschen nachgezo- nendonner von Tag zu Tag lauter wurde, ein sicheres gen. Die vorgeprellte 13. US-Panzerdivision blieb vor Zeichen für das Heranrücken der Front. Von erhöhten Braunau stehen, nachdem am Vortag die beiden Inn- Standorten wie Obernberg und Reichersberg aus konn- brücken noch vor dem Herannahen der Panzerspitze te man in der Ferne die Rauchwolken von zahlreichen gesprengt worden waren, um das bayrische Ufer zwi- Bränden erkennen, welche sich langsam über den Ho- schen Simbach und Mühldorf zu besetzen. Die Spitzen- rizont ausdehnten und die Sonne merklich verdun- meldung des Reichsrundfunks lautete an diesem Tag: kelten.73 Trotzdem sprach der über den Rundfunk ver- „Das Oberkommando der Wehrmacht bekannt: An der breitete Wehrmachtbericht am 26. April 1945 lediglich Spitze der heldenmütigen Verteidiger der Reichshauptstadt von Kämpfen im Bayrischen Wald und ließ damit die ist der Führer gefallen.“ Zum Kriegsgeschehen in Ba- aufmerksam an den Radiogeräten lauschende Bevölke- yern wurde nur von Kämpfen mit der 7. US-Armee im rung des Innviertels weiter im Ungewissen.74 Seit der oberbayrischen Raum, berichtet, Niederbayern wurde Einstellung der beiden in Ried und Braunau gedruck- nicht einmal genannt.78 Im Innviertel, hier besonders ten Wochenzeitungen, des „Innviertler Heimatblatt“ im Gebiet zwischen Inn und Antiesen, wurde die Mel- am 27. April und der „Neue Warte am Inn“, die bereits dung von Hitlers Tod von den sich überschlagenden zwei Wochen früher den Vertrieb einstellte, hungerten Ereignissen überlagert. Hatten doch am späten Nach- die Menschen nach Informationen. Der Mehrzahl blieb mittag die Kämpfe bereits auf das österreichische Ufer als Möglichkeit nur der vom Propagandaministerium übergegriffen und die amerikanischen Truppen mach- kontrollierte Reichsrundfunk, mit seinem kargen In- ten sich bereit den Fluss zu überqueren. Im restlichen formationsangebot, welches sich zumeist im täglichen Innviertel, wo man sich noch nicht mit den Kampf- Wehrmachtbericht erschöpfte. Am 30. April 1945 mel- handlungen konfrontiert sah, bedeutete diese Meldung dete der Wehrmachtbericht, nachdem in den vorherge- für die Einen das Zusammenbrechen ihres bisherigen gangenen Tagen nur von anhaltend starken Feinddruck Weltbildes, während andere darin ein hoffnungsfrohes gegen die Donaulinie zwischen Deggendorf und Ulm Zeichen für ein baldiges Ende des Krieges sahen.79 die Rede war, unvermittelt: „In Niederbayern konnte der Während der Nachtstunden überschritten die Amerika- Feind zwischen Isar und Donau weiter nach Süden Raum ner, verbunden mit einigen Geplänkeln, zum Teil auch gewinnen. Panzerspitzen stehen nördlich von Landshut so- mit Hilfe von Sturmbooten, den Inn. Der Großteil der wie zwischen Freising und Dachau“75. Am nächsten Tag, Infanterie benutzte für den Übergang die beiden unver- es war der 1. Mai 1945, zum Feiern war niemanden sehrten Staumauern und bildete Brückenköpfe bei Mi- zumute, erwähnte der Wehrmachtbericht das militä- ning und in Obernberg, bevor sie am 3. Mai 1945 ihren rische Geschehen in Niederbayern mit keinem Wort, Vormarsch auf österreichisches Gebiet fortsetzten. Der was auf die verunsicherte und verängstigte Menschen Wehrmachtbericht meldete an diesem 3. Mai: „In Ba- nicht gerade beruhigend wirkte. Umso mehr schreckte yern wurden unsere zusammengeschmolzenen Kräfte von der Satz die an den Volksempfängern lauschenden den Amerikanern auf den Inn zurückgedrängt“.80 Doch Menschen: „Aus dem Bayrischen Wald stießen amerika- zwischen Inn und Antiesen konnte man auf diese In- nische Panzerverbände an Passau vorbei und erreichten formation aus dem Radiogerät bereits verzichten, man die Donau östlich der Stadt“.76 Um 10:00 Uhr meldete wusste es zu dieser Zeit bereits besser! das Gendarmerie-Postenkommando in Obernberg das

66 DIE STUNDE DER ENTSCHEIDUNG ren. Als er am späten Abend den Gefechtsstand in der Salzburgertor-Kaserne in Braunau erreichte, standen Der entscheidende Tag für die Inn-Verteidigung war amerikanische Panzer bereits am anderen Flussufer in der 1. Mai 1945. Bereits am Vormittag mussten in der Simbach und die beiden Brücken, sowohl die Straßen- Stadt Passau, unmittelbar vor den anrückenden ame- als auch die Eisenbahnbrücke über den Inn, waren be- rikanischen Truppen, alle Brücken gesprengt werden.81 reits gesprengt.83 In Braunau angekommen bildete Ma- Die rasche Entwicklung der militärischen Lage im Do- jor G. mit Hilfe von Offizieren des im Raum Braunau naubereich führte dazu, dass Passau von drei Seiten um- eingesetzten Infanteriebataillons seinen Stab.84 Über die zingelt und von der Inn-Verteidigung separiert wurde, militärische Lage, sowohl die des Gegners als auch die die sich dadurch auf die Abschnitte Braunau und Schär- Eigene, war nur wenig bekannt, so sollte es zwischen der ding verkürzte. Aus Linz wurde Major Wilhelm G., ein Salzachmündung und Ranshofen noch eine Abteilung kampferprobter Kommandeur und Ritterkreuzträger des Reichsarbeitsdienstes (RAD) geben, zu der jedoch der Panzertruppe, nach Schärding in Marsch gesetzt, kein Kontakt bestand. Am rechten Flügel sicherte das um als Kampfkommandant die Führung der Verteidi- Volkssturmbataillon Braunau die Inn-Front bis knapp gung im Bereich der Inn-Linie zu übernehmen. Der vor Obernberg. Damit standen lediglich im Stadtbe- neuernannte Kampfkommandant fuhr am Morgen von reich einigermaßen kampfkräftige Einheiten zur Verfü- Linz nach Schärding, um hier die nach der Abtrennung gung, welche allerdings nach links und rechts keinen des Abschnittes Passau entstandene Situation zu beur- Anschluss hatten. Dazu kam, dass sich die Bevölkerung teilen. Nach kurzem Aufenthalt in Schärding führte ihn vehement gegen eine Verteidigung der Stadt zur Wehr seine Fahrt weiter entlang des Inns, wo es zu diesem setzte und eine kampflose Übergabe der Stadt verlangte. Zeitpunkt noch keinerlei Meldungen über eine Sich- Dies führte letztlich dazu, dass die Soldaten am 2. Mai tung des Gegners auf der bayrischen Seite des Flusses 1945 ihre Stellungen räumten, um sich bis 15:00 Uhr gab, nach Braunau. Dabei musste er feststellen, dass auf eine Linie drei Kilometer südlich von Braunau zu- die hier eingesetzten Volkssturmbataillone zum größten rückzuziehen. Teil ohne Waffen und Munition waren.82 Eine weitere bittere Erkenntnis war, dass die beiden Staudämme Ebenfalls an diesem 2. Mai übernahm am Nachmittag zwischen Obernberg und Braunau kaum geschützt und der Korpsstab Bork, der am Morgen des 1. Mai bei Brau- nicht nachhaltig gegen ein Überschreiten gesichert wa- nau den Inn überschritten und in St. Gilgen neuerlich seinen Gefechtsstand eingerichtet hatte, die Befehlsfüh- rung im Inn-Salzach-Abschnitt. Doch zu dieser Zeit war die Verteidigung bereits in voller Auflösung, sodass die Befehlsübernahme ohne reale Auswirkungen blieb.85 Zur allgemeinen Überraschung der militärischen und zivilen Führungsstäbe entschied Generalfeldmarschall Kesselring, als der für den Süden, des mittlerweile in zwei Teile gespaltenen Reichsgebiets zuständige Oberbe- fehlshaber, den sinnlosen und verbrecherischen Einsatz der Volkssturmverbände, zumindest an der Inn-Front, unverzüglich zu beenden. Ein diesbezüglicher Befehl wurde am 1. Mai 1945 mittels KR-Blitz-Fernschreiben an alle Gauleiter der Ostmark, die Gauleiter Giesler und Henlein und an die Oberbefehlshaber West und Südost sowie die Heeresgruppen Mitte und Süd über- mittelt. Darin hieß es: „Ein Einsatz des bisherigen Volks- sturm gegen äusseren Feind entfällt mit Ausnahme der Gaue Tirol/Vorarlberg, Steiermark und Kärnten“.86 Es ist heute nicht mehr nachzuvollziehen, ob und wann dieser Befehl der Truppe vor Ort überhaupt bekannt wurde. Auf jeden Fall verlor der Gauleiter von Oberdonau die Möglichkeit, sich unter Berufung auf seine Funktion als Reichsverteidigungskommissar und den hier eingesetz- ten Volkssturm, weiterhin Einfluss auf das militärische Geschehen zu nehmen. Mit Kesselrings Befehl war der von vorneherein zum Scheitern verurteilte Versuch einer Verteidigung der Skizze der geplanten und teilweise auch vorbereiteten Sperrstellungen zur Ver- Inn-Linie hinfällig geworden. Was jedem Soldaten, auch hinderung eines raschen Vorstoßes des Axt US-Corps zur Inn-Linie (NARA den Kampfkommandanten in Braunau und Schärding Freien Militarys Studies B-335). Die schwachen deutschen Sicherungsverbände konnten die an der Isar zwischen Landshut und Deggendorf vorbereitete Sperr- klar war, dürfte bei Eigruber erheblichen Widerspruch linie jedoch nicht halten und wichen auf die Linie Wasserburg – Mühldorf aus. ausgelöst haben. So ließ Kesselring am nächsten Tag zur (Foto Schirer) Bestätigung seines Befehles ein weiteres KR-Fernschrei- 67 abwehrkanonen, verloren.88 DER VORSTOSS DER DES XX. US-KORPS INS INN- VIERTEL

Nachdem die 13. US-Pan- zerdivision den im Aufbau befindlichen Abwehrriegel an der Isar am 1. Mai 1945 durchbrochen hatte, kamen die beiden Kampfgruppen (CCA und CCB) der Divisi- on zügig voran.89 Das Ziel war möglichst schnell den Inn zu Die US-Truppen bei ihrem Vormarsch durch Österreich. Foto: US-Army) erreichen, um einen Übergang zu gewinnen und eine Zerstö- 90 ben mit folgenden Inhalt an die gleichen Empfänger ab- rung der Brücken zuvorzukommen. Das Wetter war setzen: „Ich habe Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass für diese Jahreszeit viel zu kühl, eine tiefliegende, ge- sich die Reichsverteidigungskommissare jeglichen Eingriffs schlossene Wolkendecke lag über dem Land und immer in die militärische Führung zu enthalten haben“.87 Ob- wieder regnete es in Strömen. Für diese Jahreszeit ganz wohl wir die Einzelheiten nicht kennen, dürfte sich der ungewöhnlich, kam es zwischendurch immer wieder zu „Volkssturm-Befehl“, zumindest gerüchteweise, rasch Schneeschauern. Diese langanhaltende Schlechtwetter- front verhinderte auch einen wirkungsvollen Einsatz verbreitet haben. Das führte dazu, dass sich die Volks- th turmbataillone Braunau, Obernberg und Schärding, der taktischen Fliegerkräften (XIX Tactical Air Com- noch bevor ein amerikanischer Soldat seinen Fuß auf mand), welche der 3. US-Armee zur Luftunterstützung das österreichische Ufer setzen konnte, auflösten. Da- beigegeben waren. Nach der Angriffsserie vom 26. April her gibt es weder von alliierter noch von deutscher Seite 1945, in Zusammenhang mit dem Vorstoß auf Passau, einen Bericht, wo im Zusammenhang mit der Überque- als im Kampfabschnitt Schärding drei deutsche Panzer rung des Inns auf Aktivitäten des Volkssturms hinge- und mehrere Lastkraftwagen zerstört und die in der Stadt wiesen wird. Die kampfesmüden Männer der Bataillone aufgefahrenen schweren Fliegerabwehrgeschütze attac- waren einfach nach Hause gegangen, hatten ihre Arm- kiert wurden, traten die amerikanischen Jagdbomber binde abgelegt sowie Waffen und Ausrüstung entsorgt. im bayrisch-österreichischen Grenzgebiet kaum mehr Als sich am 2. Mai 1945, kurz nach 15:00 Uhr, die in Erscheinung. So war es die Wettersituation, welche amerikanischen Vorhuten, teils mit Schlauchbooten, einen massiven Einsatz der taktischen Luftwaffe verhin- zum Teil auch über die Trümmer der im Inn liegenden derte und ersparte dadurch der Region ein Schadens- Stahlkonstruktion der gesprengten Straßenbrücke, nach bild, wie es aus anderen umkämpften Zonen bekannt war.91 Das aus dem bayrischen Ort Kößlarn kommende Braunau vortasteten, waren auch die Spitzen der ame- th rikanischen Infanterieverbände am Fuße der Staumau- 67 Armored Infantry Battalion erreichte am Vormittag ern in Ering und Egglfing angekommen. Nach kurzen des 1. Mai 1945 den Inn auf Höhe der Ortschaft Ering, Feuergefechten waren die Dämme in amerikanischer fuhr jedoch unverzüglich weiter ohne sich um den Stau- Hand. Während der Nachtstunden überquerte die damm mit der nach Frauenstein führenden Kraftwerks- US-Infanterie trockenen Fußes die Dammkronen und brücke zu kümmern. Das erklärte Ziel war nämlich die bildeten am österreichischen Ufer gebracht Brücken- Inbesitznahme der Brücken über den Inn bei Simbach. köpfe in Frauenstein und Obernberg. Diese konnten Als die motorisierte Einheit gegen 15:30 Uhr Simbach erreichte, waren Eisenbahn- und Straßenbrücke bereits bei Tageslicht derartig erweitert werden, dass der Ufer- 92 bereich zwischen Braunau und Obernberg bereits fest gesprengt. Das Vorauskommando der Panzerdivision beschränkte sich darauf, das bayrische Ufer beiderseits in amerikanischer Hand war. Die auf österreichischer 93 Seite vorbereiteten Stellungen wurden Großteils unbe- von Simbach zu besetzen und zu abzusichern. Es war setzt vorgefunden und auch die leichten Flakgeschütze sicherlich eine Fehleinschätzung, die beiden unversehr- waren verlassen. Im Zusammenhang mit dem Vorrüc- ten Staumauern der Laufkraftwerke am Inn, was durch ken der US-Infanterie war es zu mehren kurzen Schuss- die wiederholten Aufklärungsflüge der Artilleriebeob- wechseln gekommen, wobei die Verteidiger zumeist aus achter bekannt war, als für einen Übergang ungeeignet überhöhten Stellungen das Feuer eröffneten, um sich zu halten. Diese Aussage traf bestenfalls auf die Passa- anschließend rasch in Richtung Antiesental abzusetzen. ge von schweren gepanzerten Fahrzeugen zu. So wurde Die kampflose Aufgabe Braunaus war auch das Signal jeglicher Versuch unterlassen, durch ein handstreichar- für das in Schärding eingesetzte Alarmbataillon sich im tiges Vorgehen einen Übergang zu erzwingen und man Schutze der Nacht nach Ried abzusetzen. Dabei ging, überließ die Dämme der nachfolgenden Infanterie. da es an Zugmitteln fehlte, ein wesentlicher Teil der schweren Waffen, darunter auch die in 8,8 cm Flieger- Diese einseitige Festlegung auf eine Inbesitznahme der Brücken bei Simbach und die dadurch bedingte Ent- 68 scheidung, einen sofortigen Übergang über die Kraftwerksdämme zu erzwingen, kostete dem XX. US-Korps fast zwei Tage.94 Trotz der gesprengten Straßen- und Eisenbahnbrücke gelang es, außer- halb des Stadtgebiets von Braunau den Fluss noch am 2. Mai 1945 mit einigen kleinen Booten zu überqueren und einen kleinen Brückenkopf auf der österreichischen Seite zu bilden. Erst als die Stadt Braunau, nach erfolgten Artilleriebeschuss, um 15:00 Uhr kapitulierte, konnten die ame- rikanischen Truppen in kleinen Gruppen, von Simbach aus den Inn überschreiten um die Stadt 95 Die Lage am 2. Mai um 12:00 Uhr. Das Lagebild zeigt, dass Passau von Norden zu besetzen. Der Generalstab des XX. US-Korps ent- durch die 26. US-Infanteriedivision und von Süden durch die 65. US-Infante- schloss sich der 13. US-Panzerdivision den Befehl zu riedivision in die Zange genommen wurde. Der Inn wurde bei Schärding von erteilen ihre Truppen vorerst an Ort und Stelle zu belas- den Spitzen der 65. US-Infanteriedivision und in Braunau von der 13. US-Pan- zerdivision erreicht. Die 71. und 80. US-Infanteriedivision sind weit zurückge- sen und die weit zurückhängenden Infanterieverbände blieben. Die schraffierten Symbole sollen die deutschen Großverbände (Divisio- nachzuziehen. nen) anzeigen, welche die Amerikaner vor sich glaubten. Dadurch bedingt, dass auf deutscher Seite nur Splitter verschiedenster Verbände eingesetzt waren, ergab das für die amerikanische Seite ein verwirrendes und unrealistisches Feindbild DIE 71. US-INFANTERIEDIVISION ÜBER- (NARA, HQ 12th Army Group, Situation Map). (Foto: Schirer) QUERT DEN INN über dem Damm zu bringen. Bis Mitternacht hatte be- Nachdem bekannt war, dass die beiden Kraftwerksdäm- reits das halbe Bataillon den Inn überquert und sich im me unversehrt waren, was durch die Luftaufklärung be- Bereich der Burganlage Frauenstein zur Rundumver- stätigt wurde, erhielt die 71. US-Division den Auftrag, teidigung eingerichtet. Im Schutz der Nacht gelang es möglichst schnell zum Inn vorzurücken und sich diese den Uferbereich in Besitz zu nehmen und nach beiden Übergangsstellen zu sichern.96 In diesem Zusammen- Seiten hin erheblich zu erweitern.100 Bei Tageslicht ge- hang erreichte das der Division zugeteilte Panzerbatail- lang es mit der Feuerunterstützung durch das 1. und 3. lon (761st Tank Battailon) kurz vor dem Morgengrauen Bataillon und mit Hilfe des Einsatzes von Sturmbooten des 2. Mai die Ortschaft Ering, der bereits am Vortag das österreichische Ufer zwischen Obernberg und Brau- von Truppen der 13. US-Panzerdivision erreicht wor- nau zu besetzen. Do konnte das Divisionskommando in den war. Allerdings fuhren die Panzer durch und ließen den Morgenstunden des 3. Mai 1945 auch das ebenfalls den Ort unbesetzt. Nun erst besetzte die A-Kompanie der Division angehörende 14. US-Infanterieregiment die Ortschaft und sicherte mit ihren Sherman-Panzern zum Flussübergang nach Ering beordern. Das Regi- den Bereich des Kraftwerks, um hier die Ankunft der ment ging im Laufe des Nachmittags über den Damm, Infanterie abzuwarten. Da es für die Panzer keine Mög- um dann in der Gegend von Altheim zu biwakieren. lichkeit gab den Fluss zu überqueren, blieben die Panzer Hier bereitete man sich auf dem für den nächsten Tag stehen und warteten auf das Herankommen des 5. US- geplanten Vorstoß in Richtung Wels vor.101 Infanterieregiments, um den geplanten Übergang über Die Baustelle des noch unfertigen Laufkraftwerks Eg- die Staumauer zu decken. Dabei eröffneten die Panzer glfing-Obernberg war dem 66. US-Infanterieregiment auch sporadisch das Feuer, wenn sich Ziele am anderen als Übergangsstelle zugeteilt. Die Spitze des Regiments Ufer des Flusses zeigten.97 erreichte am 2. Mai 1945, nach einen motorisierten Das Kraftwerk Ering-Frauenstein war für eine Über- Gewaltmarsch von fast 100 km, Egglfing gegen 16:30 querung des reißenden und hochwasserführenden Ge- Uhr.102 Auch diesem Regiment waren zusätzliche drei birgsflusses prädestiniert, da es hier an der Staumauer Kompanien zur Verstärkung unterstellt, nämlich eine eine zusätzliche Brücke für Fußgänger und Radfahrer Panzerkompanie, eine Panzerjägerkompanie mit gezo- gab.98 Dies war auch den alliierten Truppen bekannt, genen Panzerabwehrgeschützen und eine Granatwer- ebenso, dass diese auch von leichten Kraftfahrzeugen fer-Kompanie.103 Nach dem Absitzen von den Mann- befahren werden konnte. Das im mittleren Divisionsab- schaftstransportwagen trat das 1. Bataillon sofort zum schnitt operierende 5. US-Infanterieregiment, welches Sturm auf den Kraftwerksdamm an. Mit dem Kom- neben seinen drei Infanteriebataillonen auch über eine mandanten an der Spitze wurde der Zugangsbereich Panzer- und eine Panzerjägerkompanie als zusätzliches gestürmt, wobei man den Eingang zu einem Tunnel Verstärkungselement verfügte, sollte den Übergang er- entdeckte. Nach dem Betreten des dunklen Ganges er- zwingen.99 Wie die Divisionsgeschichte erwähnt, war es kannte man Drähte, welche man durchtrennte, da man das 2. Bataillon des Regiments, welches den Kraftwerks- vermutete, dass sie zu einer elektrischen Zündmaschine damm handstreichartig in Besitz nahm. Da zu diesem führen könnten. Mit dieser Tat wurde nach amerika- Zeitpunkt das zugeteilte Panzerbataillon bereits Damm nischen Angaben die Sprengung des Dammes, durch und Uferbereich sicherte, dürfte es hier kaum mehr 3000 kg Nitroglyzerin, welche man an drei Stellen des einen organisierten Widerstand gegeben haben. Trotz Dammes vorfand, verhindert.104 vereinzeltem Gewehrfeuer vom österreichischen Ufer, Der „After Action Report“ der dem 66. US-Regiment gelang es bis 19:30 Uhr eine Kompanie ohne Verluste unterstellten Panzerjägerkompanie (A Company 635th

69 Tank Destroyer Battailon) beschreibt dieses Geschehen, Dammkronen nicht mit Stacheldrahtrollen verbarri- abweichend von der Schilderung des 66. US-Infanterie- kadieren und mit Hindernissen aller Art verrammeln regiments. Naturgemäß wurden der Anteil und das Ver- hätte müssen. Dass dies geschah, ist auch durch Fotos dienst der Panzerjäger besonders hervorgehoben. Nach bezeugt. Auch hätte ein Blockieren der Zu- und Ab- diesem Bericht erreichte der 4. Panzerjägerzug gleich- fahrten auf der österreichischen Seite durch Trichter- zeitig mit der Infanterie die Staumauer. Eine Gruppe sprengungen wenig Sinn gemacht. Auf das alles hätte Panzerjäger rückte unter dem Feuerschutz eines, auf ei- man verzichten können, wenn an eine ausschließliche nem Jeep montierten, überschweren Maschinengewehrs Sprengung der Dämme gedacht gewesen wäre. Als der zum Damm vor, wo man den Eingang zu einem Tunnel wahrscheinlichste Fall ist anzunehmen, dass man bei- entdeckte, der in den Damm hineinführte. Aus eigenem de Varianten im Auge gehabt und vorbereitet hatte. Entschluss erkundete man den Stollen, wobei man eine So versuchten die vor Ort Verantwortlichen in jedem vorbereitete Sprengladung fand und die dazugehörige Fall auf der sicheren Seite zu sein und einer möglichen Zündleitung zerschnitt. Da aus den auf der bayrischen standrechtlichen Verurteilung und Erschießung, so wie Seite des Kraftwerks angelegten Kampfdeckungen noch im Fall Remagen geschehen, zu entgehen. Ähnlich wie immer vereinzelte Schüsse abgegeben wurden, brachte bei der Reichsbrücke in Wien geschehen, dürfte das man ein 7,62 cm Panzerabwehrgeschütz in Stellung. Sprengkommando auf den Befehl zur Auslösung, der Nachdem man 14 Hohlladungs- und eine Panzer- jedoch nie kam, vergeblich gewartet haben.111 sprenggranate verfeuert hatte, erlosch der Widerstand Die Geschichte der 71. US-Division erwähnt beson- und 40 deutsche Soldaten ergaben sich.105 ders die pioniertechnische Leistung, welche von den Männern des 271. Pionierbataillons (271st Engineer Nachdem die vorbereiteten Sprengladungen unschäd- Battailon) erbracht wurde, um eine Überquerung zu er- lich gemacht waren, konnte mit pioniertechnischer Hil- möglichen. Dazu mussten die errichteten Sperranlagen fe die Dammkrone soweit geräumt werden, dass einzel- zum Teil mit Hilfe von Autogen-Schneidgeräten und ne Soldaten passieren konnten. Nun konnte man auf Sprengladungen beseitigt werden. Am schnellsten ging der österreichischen Seite einen Brückenkopf bilden. dies bei der Staustufe Ering-Frauenstein, wo es überra- Nach einem kurzen Geplänkel mit den sich zurückzie- schend schnell gelang, die vorhandene Fahrbahn noch henden deutschen Soldaten, rückte die US-Infanterie während der Nacht benutzbar zu machen. Bevor die gegen 18:00 Uhr in Obernberg ein.106 Während der amerikanischen Pioniere die Ponton-Brücke zwischen Nachtstunden konnte auch das 2. und 3. Bataillon über Simbach und Braunau errichtet hatten, ging der gesam- die Dammkrone das rechte Ufer erreichen. So war es te Nachschub über den ursprünglichen Fußgänger-Steg. dem 66. US-Infanterieregiment möglich, am nächsten Wesentlich aufwendiger gestaltete sich die Räumung Tag in voller Stärke anzutreten. Im Morgengrauen des bei der Staustufe Egglfing-Obernberg. Hier arbeite- 3. Mai 1945 ging die amerikanische Infanterie vorsich- ten die Pioniere 14 Stunden lang um die Hindernisse tig gegen die deutschen Stellungen, die sich hauptsäch- zu beseitigen. Aber auch nach erfolgter Räumung der lich im Bereich der „Neuen Siedlung“ befanden, vor.107 Dammkronen musste die Infanterie die Mehrzahl ih- Bis 07:30 Uhr war der Markt Obernberg zur Gänze in rer Kraftfahrzeuge, aber auch das schwere Gerät, vorerst amerikanischen Händen.108 am bayrischen Ufer zurücklassen. Im Zusammenhang mit der Überquerung des Inns wäre die Frage zu stellen, ob von deutscher Seite überhaupt an DER VORSTOSS INS INNVIERTEL eine Sprengung der Dämme gedacht war. Die Befehls- lage dazu ist mehr als widersprüchlich. So hatte man Auch am 3. Mai 1945 war das Wetter viel zu kühl für die Bestimmungen für die Zerstörung von wichtigen die Jahreszeit und tagsüber regnete es immer wieder. Brücken, nach dem Debakel mit der über den Rhein Nach der Überwindung des Grenzflusses befahl das bei Remagen führenden Ludendorff-Brücke, mehrfach XX. Korps seinen Infanteriedivisionen mit aller Ener- verschärft. So füllten die diesbezüglichen Befehle der gie und so schnell als möglich nach Osten vorzurüc- obersten Wehrmachtsstellen, welche Zuständigkeit und ken, um die vorgesehene Demarkationslinie, die Enns, Verantwortlichkeit regelten, einen Aktenordner und zu erreichen.112 Von Obernberg aus rückten die beiden waren kaum mehr zu überblicken.109 Doch alle Befehle Bataillone Richtung Ried und Neumarkt vor. Es war und Erlässe hatten eines gemeinsam, Kraftwerksdäm- die Stunde der Improvisation, da man zu diesem Zeit- me als Flussübergänge waren hier nicht vorgesehen, es punkt noch keine Lastkraftwagen und schwere Waffen ging immer über Brückenbauwerke. Im Falle der Inn- über den Inn gebracht hatte. Besonders erfolgreich war Kraftwerke, wo überdies zwei Reichsgaue, zwei Wehr- der Vorstoß des 2. Bataillons, welches mit requirierten kreise und zwei Rüstungsbezirke aneinander grenzten deutschen Kraftfahrzeugen nach Ried unterwegs war und völlig unterschiedliche Ansichten und Meinungen und rasch vorankam. Der Weg führte über Ort und vertreten wurden, fühlte sich niemand für eine klare Re- St. Martin, welches man zur Mittagszeit erreicht hat- gelung dieser Frage zuständig. te und weiter nach Aurolzmünster. Erst kurz vor der Es ist verständlich, dass die amerikanische Seite ihre Stadtgrenze Rieds kam die Kolonne zum Stehen. Den Verdienste um die Sicherung der Übergänge betont auf Höhe der Kaserne hatten sich deutsche Kräfte ver- und ein Befehl zur Sprengung dezidiert angenommen schanzt, von wo aus sie das Feuer eröffneten um den wird.110 Dagegen spricht, dass man in diesem Fall die amerikanischen Vormarsch aufzuhalten.113 Nach einem

70 zeitweise intensiven Gefecht, bei dem auf deutscher schaft und im Raum um Aspach. Erst in Seite neben Handwaffen und Maschinengewehre auch den Morgenstunden des nächsten Tages, es war der 4. leichte Fliegerabwehrgeschütze eingriffen, kapitulierten April 1945, erreichte auch das 5. US-Infanterieregiment 119 die Verteidiger von Ried bei Einbruch der Dunkelheit, das Stadtgebiet von Ried. Auch der 65. US-Infante- nachdem ihre Verteidigungsstellungen am Stadtrand riedivision, welche im Raum Passau und Schärding ein- bereits umgangen worden waren. Die Marschleistung gesetzt war, wurde nun der Auftrag erteilt den Inn zu war, trotz der behelfsmäßigen Motorisierung, mit nur überqueren und in Richtung Linz vorzugehen. Da es 20 km gering, da der Vormarsch durch eine unerwartet jedoch an Brückengerät und an Sturmboote mangelte, große Anzahl von sich ergebenden deutschen Soldaten blieben die Einheiten vorerst auf bayrischer Seite ste- behindert wurde, welche entwaffnet und zu den Sam- hen, während die Artillerie ihre Salven auf das gegen- melstellen geleitet werden mussten.114 überliegende Ufer feuerte. Am Abend des 2. Mai 1945 Parallel zum motorisierten Vorstoß auf Ried, besetzte konnten Teile der Division bei Neuhaus, mit Behelfs- die dem Regiment zugeteilte Granatwerferkompanie mitteln, den Inn überwinden. Zwar konnte Schärding den Flugplatz Münsteuer, wo man die wenigen noch am nächsten Tag, den 3. Mai, eingenommen werden, gebrauchsfähigen Flugzeuge und Einrichtungen zer- doch erst am Vormittag des 4. Mai, als die Reparatur störte.115 Auch jene Kompanien, deren schwere Ausrü- der gesprengten Brücke vollendet war, rückte die Divi- stung sich noch auf bayrischem Gebiet befand, blieben sion auf breiter Front, entlang der nach Linz führenden 120 vorerst im Raum Obernberg. So auch die Panzerjäger- Reichstraße, bis Waizenkirchen vor. Als das XX. US- kompanie, deren 7,62 cm Panzerabwehrkanonen samt Korps nach dem Abschluss der Operationen Bilanz zog, Zugfahrzeugen sich noch jenseits des Inn befanden.116 stellte es nüchtern fest, dass die Kämpfe auf oberöster- Zur Sicherung des Hauptstoßes schwärmten kleine reichischem Boden durchwegs von versprengten Trup- Gruppen von Infanteristen beiderseits der Vormarsch- pen geführt worden seien, die keinerlei Kenntnis über straße aus. Deren Aufgabe die Durchkämmung der ab- die Gesamtlage gehabt hätten. Als entscheidend für die seits der Hauptverbindungswege liegenden Ortschaften Niederlage wurden auf der deutschen Seite der Mangel war, wo nach deutschen Soldaten gesucht wurden, um an Kommunikationsmitteln und das fast völlige Fehlen 121 sie in die Gefangenschaft zu überführen.117 Während von Artillerie angesehen. das 2. Bataillon vor Ried aufgehalten wurde, konnte das 3. Bataillon ohne auf ernstlichen Widerstand zu treffen EINIGE ANMERKUNGEN ZUM LUFTKRIEGS- bis nach Grieskirchen vorprellen. In Summe konnte das GESCHEHEN Regiment am ersten Tag auf österreichischen Boden un- Eine Besonderheit dieser Tage war das völlige Fehlen gefähr 4000 deutsche Soldaten gefangen nehmen.118 der sonst allgegenwärtigen amerikanischen Luftwaffe, Während das 66. US-Infanterieregiment in Richtung welche schon seit langen die absolute Luftherrschaft Ried und Grieskirchen marschierte, sollte das ebenfalls erkämpft hatte. Dafür war eine hartnäckige Wettera- zur Division gehörenden 5. US-Infanterieregiment, nomalie verantwortlich, welche die Flieger am Boden welches bei Ering-Frauenstein den Inn überschritten hielt. So vermerkte der „Report of Combat Operations“ hatte, ebenfalls auf Ried vorrücken. Aufgabe dieses des XX. US-Korps für den 1. Mai 1945 kühles Wet- Regiments war es, das Gebiet zwischen Braunau und ter mit starker Bewölkung und zeitweisen Regengüssen Ried von deutschen Soldaten zu säubern. Das war sowie vereinzelten Schneeschauern. Zum fliegerischen schwierig, da der ständig niederprasselnde Regen die Einsatz des XIX. Taktischen Fliegerkommandos ( XIXth Marschbewegungen der zu Fuß marschierenden Trup- TAC) vermerkt der Bericht „Aviation: No mission flown pen erheblich behinderten. So standen die Spitzen des due to weather“.122 Regiments am Abend des 3. Mai erst auf Höhe der Ort- Auch der nächste Tag, der 2. Mai 1945, brachte kaum bessere Bedingungen. Der wolkenverhangene Himmel über dem Innviertel blieb wetterbedingt leer, obwohl das 20. US-Korps an diesem Tag vor den Städten Passau, Schärding und Braunau stand und sich anschickte auf österreichisches Gebiet vor- zurücken. Das 20. US-Korps musste, bedingt durch die Wetterlage, auf jegliche Unterstützung aus der Luft verzichten.123 Es wäre kaum auszudenken, welches Unheil auf die Landkreise beiderseits des Inns zugekommen wäre, wenn am 1. und 2. Mai der Himmel wolkenlos gewesen wäre und gutes Das Lagebild vom 3. Mai 1945 um 12:00 Uhr zeigt, dass der Inn auf breiter Flugwetter, es der amerikanischen Seite erlaubt Front, zwischen Schärding und Mühldorf überschritten wurde. Die Angaben zu hätte die in Übermaß vorhandenen Kapazitäten voll den Verbänden auf deutscher Seite waren durchwegs falsch und basierten ver- einzusetzen. Wie bereits am Vortag musste das an die mutlich auf einer fehlerhaften Auswertung der Angaben auf den Erkennungsmar- ken gefangengenommener Soldaten. Inn-Linie herangerückte 20. US-Korps auch am 3. Mai (Foto: NARA, HQ 12th Army Group, Situation Map) 1945 wegen des anhaltenden schlechten Wetters ohne

71 Luftunterstützung auskommen.124 Den ganzen Tag war den Truppen zugeführte personelle Ersatz verfügte nur zu einem geringen Teil über eine eigene Waffe. es kühl und regnerisch und die Wolken berührten fast 16 FS, Ob.d.E/AHA/Stab Ia (2) Nr. 18527/45 geh., vom 27.3.1945. den Boden. Das XIXth TAC konnte daher nur 14 Ein- 17 FS, HGr. Süd Ia/Id Nr. 4880/45 geh., an OKH/GenStdH/Org. Abt., vom 13.4.1945, 24:00 Uhr und FS, OKH/GenStdH/Org. Abt. Nr. I/23547 geh. vom 16.4.1945. Der von sätze mit 149 Flugzeugen durchführen. Da es sich in der Heeresgruppe Süd auf dem Kommandoweg aufgestellte Artillerie-Regimentsstab z.b.V. der Mehrzahl um Aufklärungsmissionen handelte, fiel wurde am 16.4.1945 unter der Bezeichnung Art. Rgt. Stab z.b.V. (mot) 624 in den Etat des Heeres übernommen. die Erfolgsbilanz am Abend des 3. Mai mit 4 Lokomoti- 18 FS HGr. Süd Ia/Id Nr. 5495/45 geh., vom 27.4.1945, 22:00 Uhr, an OKH/GenStdH/ Org. Abt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auf die, seit April 1945 in Antie- ven und 47 Waggons eher bescheiden aus. Es war allein senhofen befindliche, Ausbildungskompanie „Feldherrnhalle“ für Angehörige der „Sturm- dieser hartnäckigen Schlechtwetterfront, die bereits seit Abteilung der NSDAP (SA)“ und der „Hitlerjugend“ nicht zugegriffen wurde. 19 FS HGr. Süd Ia/Id Nr. 5495/45 geh., vom 27.4.1945, 22:00 Uhr, an OKH/GenStdH/ Tagen über dem Innviertel lag, zu verdanken, dass es Org. Abt. während der entscheidenden Phase des amerikanischen 20 Den Kern dieser Luftwaffendienstelle bildete die Außenstelle des Fraunhofer-Instituts des Vereins Deutscher Hochfrequenzforscher. Diese zivile Organisation mit ähnlichem Auf- Vormarsches nicht zur Zerschlagung der hiesigen Infra- gabenbereich hatte man als Dienststelle in die Luftwaffe übernommen. struktur durch permanente Attacken aus der Luft kam. 21 Stab und Stabsbatterie leichte Heeres-Flakartillerie Brigade 510; Stab/I. Abteilung mit 1.—5. Batterie leichte Heeres-Flakartillerie Brigade 510; Stab/II. Abteilung mit 6.—10. Doch der amerikanische Vormarsch ging weiter, trotz Batterie leichte Heeres-Flakartillerie Brigade 510 (mit Datum 9.2.1945 in Ried im Inn- des Fehlens jeglicher Unterstützung aus der Luft über- kreis)“. schritten die drei Infanteriedivisionen des 20. US-Korps (65th, 71st, 80th) an diesem Tag ohne größere Schwierig- keiten den Inn. In den späten Nachmittagsstunden traf im Schloss in St. Martin im Innkreis ein amerikanisches Vorkommando ein, um hier Quartier für den Stab des XX. US-Korps zu machen.125 Erst am 4. Mai 1945 än- derte sich die Wettersituation. Mit Tagesanbruch riss die dichte Wolkendecke auf, so dass in den Morgen- stunden drei Einsätze im Bereich des XX. US-Korps ge- flogen werden konnten. Dabei wurden vier Lokomoti- ven, 18 Eisenbahnwaggons und 110 Fahrzeuge aller Art als zerstört oder beschädigt gemeldet.126 Das Innviertel war von den Luftschlägen kaum betroffen, da hier die Gefahr bestand, die vorrückenden eigenen Truppen, die Das Lagebild vom 4. Mai 1945 um 12:00 Uhr zum Teil mit deutschen Fahrzeugen unterwegs waren, (Foto: NARA, HQ 12th Army Group, Situation Map) zu treffen. Durch die Launen des Wetters und die Ent- 22 NARA, MF T-78 roll 129—133, Feldpostübersicht Teil III. Im Nahbereich lagen auch das Fallschirm-Verpflegsamt 1 in Schärding (seit 26.6.1944) und die Sanitäts-Flugbereit- wicklung der militärischen Lage, letztere wurde durch schaft 7 (18.4.1945) in Antiesenhofen. die Sprengung der Innbrücken erheblich beeinflusst, 23 Innviertler Monatsblatt´l, Ausgabe Juni 1985. 24 NARA, MF T-78 roll 129—133, Feldpostübersicht Teil III. war die ärgste Gefahr eines eskalierenden Luftkriegs 25 Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv (ÖStA-KA), NL-Sammlung, Handakte Ferle über dem Innviertel gebannt. Schirer Renato (Heeres-Zeugamt Wien/Nachrichtenwerkstätte). 26 Innviertler Monatsblatt´l, Ausgabe Mai 1985. Broda war in der unmittelbaren Nach- 1 In der Diktion der Wehrmacht damals als „Standorte“ bezeichnet. kriegszeit in Ried politisch aktiv. 2 Diese Verwaltungsbehörde war der Wehrkreisverwaltung in Wien unterstellt. 27 Eine Besonderheit war, dass die in den SA-Kompanien der Wehrmacht eingesetzten 3 US-National Archives (NARA), Microfilm (MF) T-77, roll 867. Außenstelle OKH/Gen- Soldaten auch weiterhin ihre SA-Zugehörigkeit behielten. st StdH/GenQu (W.Kdo. XVII/Qu. z.b.V./IVa), vom 27.4.1945. 28 Renato Schirer, Der Tod des 1 Lieutnant Donald H. Stott am 16. April 1945, in öfh- 4 Das W.B.K. mit seinen drei W.M.Ä. beschäftigte 5 Offiziere, 30 Unteroffiziere und 25 Nachrichten (Informationen der Österreichischen Flugzeug Historiker) Heft 2/1917. Soldaten oder Zivilbedienstete, alles älteres und nicht kriegsverwendungsfähiges Personal. 29 Ortschronik St. Georgen bei Obernberg, S. 117. 5 Renato Schirer, Ried und seine Garnison im Luftkriegsgeschehen der Jahre 1944/45 in: 30 Die heutige „Justizanstalt Wien-Favoriten“. Beide Hafteinrichtungen in Wien und Linz Der Bundschuh, Band 17, Ried im Innkreis 2015, S. 123—140. verfügten im Sommer 1944 zusammen über 4 Offiziere, 85 Unteroffiziere und 45 Mann- 6 Renato Schirer, Die Rieder Garnison im letzten Monat des Zweiten Weltkrieges in: Der schaftsdienstgrade als Stammpersonal. Bundschuh, Band 18, Ried im Innkreis 2014, S. 117—124. 31 Weder das Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis noch die Wehrmachtshaftanstalt hat- 7 Bundesarchiv Berlin (BArch), RH 53-17/92, Gliederung des Wehrkreises XVII, Stand ten etwas mit der SS zu tun. Bei dem in der Ortschronik angesprochenen „Kriegsgericht“, vom 30.11.1944. Neben einer Stamm- und einer Genesenden-Batterie gab es noch vier welches gegen den belgischen Staatsbürger K. ein Todesurteil verhängte, dürfte es sich um Ausbildungsbatterien. Letztere gliederten sich in zwei schwere Batterien, mit jeweils vier 8,8 eines der von Gauleiter Eigruber eingesetztes Standgerichte, entsprechend der von Himmler cm Geschützen der Flak 18, und in eine leichte Batterie, mit vier Geschützen der 2 cm Flak Ende März in Wien an die Gauleiter und Reichsverteidigungskommissare erteilten Voll- 38, sowie in eine Scheinwerferbatterie mit 4 Scheinwerfern. macht, gehandelt haben. 8 NARA, MF T-78 roll 423. Fernschreiben (FS) der Heeresgruppe Süd Ia/Id Nr. 1316/45 32 Der Stab des Luftgaukommandos hatte am 4. April von Wien auf den Fliegerhorst Tulln gKdos, II. Ang., vom 4.4.1945 an OKH/GenStdH/Org Abt, Betr.: Zuführung von Trup- (heute Langenlebarn) verlegt. penteilen des Ersatzheeres der Luftwaffe und der Waffen-SS. 33NARA, MF T-321 roll 114. OKL, LwFüSt, Gruppe II, Liste Verlegung Ostraum, Stand 9 Eine Ausführliche Schilderung findet sich bei Ladislaus/László A. Salamon, In der Gar- 14.4.1945, 24:00 Uhr, hier folgender Vermerk: „Einsatz im Raum Mödling (St. Lg. XVII), nison Ried im Innkreis vor 60 Jahren, in: Der Bundschuh, Band 8, Ried im Innkreis 2005, Befehl Gauleiter. Da die verfügbaren Teileinheiten der Fallschirm-Jägerdivision von Graz S. 73 f. ins Traisental transportiert wurden und später bei Wilhelmsburg kämpften, ist es möglich, 10 Rauchensteiner Manfried, Der Krieg in Österreich 1945, 2. Aufl., Wien 1984, 134 f. dass die Männer letztlich doch noch in die hier eingesetzten Kampfverbände der Division 11 NARA, MF T-78 roll 423. FS HGr. Süd Ia/Ib Nr. 1316/45 gKdos. II. Ang., vom integriert wurden. 4.4.1945, 20:45 Uhr. Das Fernschreiben gibt zwei schwere und eine leichte Batterie der 34 Von der „Heimatflak“ sprach man dann, wenn nur mehr die Position des Geschützfüh- H. Flak-Abt 277 an, welche vom Wehrkreis-Kommando XVII zugeführt und durch die rers durch einen Soldaten besetzt war und die restliche Geschützbedienung durch „Flak- Heeresgruppe Süd in der Front eingesetzt wurden. wehrmänner“ gestellt wurde. Bei den zuletzt genannten Personen handelte es sich um keine 12 BArch, RH 53-17/V. 11, Gliederung des Ersatzheeres mit Wehrkreisverwaltung und Soldaten, sondern um Zivilisten welche auf Zeit zum Kriegsdienst verpflichtet wurden. territorial unterstellten Einheiten und Dienststellen im Wehrkreis XVII, mit Stand vom 35 Der Einsatz Egglfing-Obernberg, wurde wegen der Entfernung zu Braunau in taktischer 25.6.1944. Das Jäger-Ersatzbataillon II./482 hatte am 25.7.1944, vor der Neugliederung, Hinsicht als selbstständiger Luftverteidigungseinsatz geführt. Nur organisatorisch und Ver- folgenden Stand: 15 Offiziere, 119 Unteroffiziere und 334 Mannschaften. sorgungsmäßig war er der Untergruppe Braunau unterstellt. 13 BArch, RH 53-17/V. 92, Gliederung des Ersatzheeres mit Wehrkreisverwaltung und 36 Ludwig Schätz, Schüler-Soldaten, Die Geschichte der Luftwaffenhelfer im Zweiten territorial unterstellten Einheiten und Dienststellen im Wehrkreis XVII, mit Stand vom Weltkrieg, Frankfurt am Main 1972, S. 104. 30.11.1944. 37 Mit 3000 Rekruten der Division wurden mehrere Kampfgruppen mit den dazugehö- 14 Der Abteilungsstab hatte man samt den Führungs- und Versorgungsteilen, in einer rigen Stäben gebildet. Stärke von ungefähr 170 Mann, in Schärding untergebracht. Die jeweils zirka 150 Mann 38 Der Ausbau im Osten, im Bereich von Ybbs und Enns, erfolgte unter der Führung starken fünf Batterien waren in der Schärdinger Vorstadt, in St. Florian, in Wernstein, in des für die Ostfront zuständigen Stabes für die „Befestigungen Südost“ (Festungsbereich Siegharting und in Rainbach sowie in Münzkirchen einquartiert. Südost, Gen.d.PzTrp v. Vormann). 15 Wegen des Mangels an Handfeuerwaffen hatte man den Soldaten von nicht kämpfen 39 So auch an der von Weilbach nach Senftenbach führenden Straße, bei der Abzweigung Teilen, wie Nachrichten- und Versorgungsteile, ihre Handwaffen abgenommen. Auch der nach St. Martin. 72 40 Das nachfolgende hauptsächlich nach NARA, RG-388 (Publication M1035). Foreign (dieser Dienstgrad, eingeführt für Kriegsoffiziere, entsprach etwa einem Gendarmerie Ober- Studies MS # B-207, Gen.d.Inf. Schubert. inspektor) Edwin Langer. Langer war zu dieser Zeit der Stellvertreter des Gendarmerie- 41 Die Führungsstaffel (der engere Arbeitsstab) verlegte in der Nacht vom 4. auf den 5. Kreiskommandanten in Ried im Innkreis. Für die Zurverfügungstellung dieser wertvollen April von Wien nach Dürnstein, am 8. ging es weiter auf den Truppenübungsplatz Döller- Quelle bin ich Herrn Herbert Gruber, Münsteuer, zu Dank verpflichtet, der auch eine Ab- sheim (Allentsteig) und am 10. April wurde Freistadt, der neue Sitz des Stellvertretenden schrift von dem schwer leserlichen Original angefertigt hat. Generalkommandos, erreicht. 74 Wehrmachtbericht 26.4.1945. 42 NARA, Foreign Studies MS # B-216, Generalmajor Paul Wagner. 75 Ebd. 30.4.1945. 43 Divisionskommandeur war Generalmajor Paul Wagner, der Divisionsgefechtsstand be- 76 Wehrmachtbericht 1.5.1945. fand sich in Linz. 77 Tagebuch Langer., 78 Ebd. 2.5.1945., 79 Ebd. 2.5.1945., 80 Ebd. 3.5.1945. 44 Das nachfolgende hauptsächlich nach NARA, Foreign Studies MS # B-216, General- 81 Brückner, S. 220 f. Am 2. Mai um 23:00 Uhr erfolgte die bedingungslose Übergabe major Paul Wagner. Die Division dürfte an die 10000 Mann stark gewesen sein. Nach der der Stadt. Abgabe aller kampffähigen Verbände Ende März an die Ostfront wurde der Großverband 82 Niederschrift mit Mjr. Wilhelm G., Braunau vom 17.9.1975. Demnach verfügten die neuerlich mit Marscheinheiten, Rekruten, Versprengten, Urlaubern, Genesenden und mit Volkssturmbataillone weder über Karabiner noch Munition, sondern waren mit Kleinkali- Personal von entbehrlichen rückwärtigen Dienststellen aufgefüllt, die Kampfstärke betrug bergewehren und Schrottflinten bewaffnet. nur einen Bruchteil von der Verpfleg-Stärke. 83 Vierlinger, S. 105. Um 12:00 Uhr wurde die von Braunau nach Simbach führende Stra- 45 Ebd. ßenbrücke und am frühen Nachmittag die Eisenbahnbrücke gesprengt. 46 Das heißt, die Regimentsgruppen waren unterschiedlich in der Zusammensetzung und 84 Das namenlose Infanteriebataillon war ein Teil der für die Inn-Verteidigung vorgesehene in der Stärke, gleiches galt für die unterstellten Einheiten. Regimentsgruppe (Ers.u.Ausb.) 577. 47 Die für die Inn-Verteidigung vorgesehene Regimentsgruppe (Ers.u.Ausb.) 577 setzte 85 Die der Korpsgruppe Bork unterstellt gewesenen Truppen wurden alle noch sich zusammen aus einen schweren Infanteriebataillon, bestehend aus Panzerabwehrkompa- auf bayrisches Gebiet zerschlagen und gerieten in amerikanische Gefangen- nie, Infanteriegeschützkompanie, Granatwerferkompanie und schwerer Maschinengewehr- schaft. Vgl. dazu Brückner, S.217f. 93 Das zögerliche Verhalten der Vorhut wird kompanie. Zugeteilt waren noch eine Nachrichtenkompanie und eine Pionierkompanie. vision, um die Mittagszeit des 2. Mai 1945 erst An infanteristischen Kräften stand ein Ersatzbataillon mit drei 3 Genesenden- und eine verständlich, da die Masse der Panzerdi im Raum Eggenfelden die Rott überschritten hatte. Stammkompanie sowie zwei Ausbildungbataillone, mit jeweils einer Marschkompanie und 86 NARA, MF T-77 roll 861, frame 608157/8. OKW Führungs- zwei Ausbildungskompanien zur Verfügung. stab B/Org. Nr. 20307/45 gKdos., vom 1.5.1945. Die von den Al- 48 Im Raum Obernzell war am Südufer der Donau eine schwache Abteilung des Reichsar- liierten verfilmte 3. Ausfertigung war jene von Gauleiter Eigruber. beitsdienstes (RAD), mit zwei Kompanien, eingesetzt. 49 Joachim Brückner, Kriegsende in Bayern 1945, Freiburg im Breisgau 1987, S. 218— 87 Ebd. frame 608153. OKW Führungsstab B/Org. Nr. 20314/45 gKdos., vom 2.5.1945. 221. Hier wird ausführlich auf die Verteidigung von Passau eingegangen. Vgl. dazu auch NARA, Foreign Studies MS # B-617, Gen.d.Pz.Trp. Smilo Freiherr v. Lüttwitz, Gefechts- 88 Nicht betroffen waren die schweren Flakbatterien der ehemaligen Flak-Untergrup- bericht des LXXXV. Armeekorps, S. 25—27. pe Braunau unter Oberstleutnant Paul M. Diese blieben im Rahmen der Über- 50 Der Abteilungsstab Infanterie-Ersatz-Bataillon II./482 hatte bereits Ende März Braunau windung der Inn-Linie von den Ereignissen vorerst ausgespart. in Richtung Burgenland verlassen. 89 Die 13th Armored Division unterstand dem XXth Corps (Walker) der 3rd Army (Pat- 51 Litschel, Lanze Schwert und Helm, S. 138. ton), welches zur 12th Army Group (Bradley) gehörte. 52 Ebd. 90 Zum Verständnis der Operationen unverzichtbar ist das Buch von Manfried Rauchen- 53 Ebd. steiner, Der Krieg in Österreich 1945, 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Wien 54 Bericht Wagner. 1984, hier besonders die Seiten 351—354. Einen guten Eindruck der damaligen Stim- 55 Rudolf Walter Litschel, Lanze Schwert und Helm, Linz 1968, S. 138. Dies würde der mung in Oberdonau vermittelt: Slapnicka Harry, Oberösterreich – als es „Oberdonau“ hieß vollen Stärke der schw. Flak-Abt. 805 (o) entsprechen. (1938—1945), Linz 1978, S. 321—340. Vgl. dazu auch Wolfgang Neuwirth, Der Ein- 56 Dies würde der Einsatzform als Flak-Kampftrupp entsprechen, allerdings fehlte es an marsch der US-Truppen in das Inn- und Hausruckviertel im Mai 1945 aus amerikanischer der Motorisierung. Sicht, Bundschuh Nr. 5 (2002), S. 98—105. 57 Litschel, Lanze Schwert und Helm, nennt auch einen Einsatz von zwei motorisierten 91 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Report of Combat Opera- Flakbatterien des Heeres, welche die Abwehr in Braunau verstärkten. Hier könnte es sich tions XXth Corps, 1—8. Mai 1945, 1 May. Vierlinger Rudolf, Das Jahr 1945 an Inn und um Personal der Heeresflak aus Ried im Innkreis gehandelt haben, welches man zur Ak- Rott, Simbach am Inn 1995 und Heimat am Inn, Jahrgang 1972, Simbach am Inn, 1972, tivierung der im Raum Braunau vorhandenen leichten Fliegerabwehrgeschütze, aus den S. 100—113. Das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr herausgege- Beständen der Heimatflak, einsetzte. Die Angabe, dass es motorisierte Batterien waren, darf bene Werk, Brückner Joachim, Kriegsende in Bayern 1945, Freiburg im Breisgau, 1987, ist wegen des Mangels an Kraftfahrzeugen angezweifelt werden. für den Vormarsch des XXth Corps zum Inn unergiebig. 58 Ebd. 92 After Action Report 67th Armored Infantry Battalion (im Internet verfügbar). Verglei- 59 Ebd., S. 138. Die Eisenbahnbrücke wurde erst später, am Nachmittag gesprengt. Mög- che dazu auch: Vierlinger Rudolf, Das Jahr 1945 an Inn und Rott, Simbach am Inn 1995, licherweise sollte auf diesem Weg den zur Brückensicherung eingesetzten Infanteristen ein S. 82f. Rückzugsweg offen gehalten werden. 94 Das Hauptquartier des XXth Corps war vom 2. bis zum 4. Mai im bayrischen Adldorf. 60 BArch, RW 17/56; Wehrkreiskommando VII, Az.: K11/Sp ia/Kdr.d.Pion.-19-Nr. 95 Es waren dies Soldaten des 124. US-Panzerpionierbataillons. 6502/45, geh., vom 17.4.1945. Vgl. dazu auch Brückner, Bayern, S. 71 f. 96 Das folgende nach der Divisionsgeschichte der 71th Infantry Division, S. 86 und 89. 61 Diesseits und jenseits des Inns waren unterschiedliche Reichsverteidigungskommissare, Dieses Werk: „The history oft he 71st Infantry Division, Augsburg 1946“ steht im Internet Rüstungsbevollmächtigte und Wehrkreiskommandanten zuständig. Vgl. dazu Brückner, als PDF zur Verfügung. Die Division bestand aus den Infanterieregimentern 5, 14 und 66. Bayern, S. 62—73, Brücken, Industrie- und Versorgungsanlagen – Rettung oder Zerstö- 97 Die Geschichte des 761st Tank Battalion “COME OUT FIGHTING“, Salzburg 1945 rung? (im Internet verfügbar). Das Bataillon blieb vorerst in Ering. Erst am 4. Mai 1945, um 62 Eigruber wollte auch die wegen der Bombenangriffe im Ischler-Salzbergwerk eingelager- 07:30 Uhr, konnte der Vormarsch nach Österreich aufgenommen werden. ten wertvollen Kunstschätze in die Luft jagen, was zum Glück verhindert werden konnte. 98 Die Arbeiten am Kraftwerk wurden am 9. Februar 1939 begonnen. Der Einstau erfolgte 63 Diese Übergangsmöglichkeit wurde als Ersatz für die durch den Kraftwerksbau erforder- am 9. Juli 1942 und der Vollstau am 1. September 1942. liche Einstellung der Fähre zwischen Ering und Frauenstein geschaffen. 99 Co B 635th Tank Destroyer Battalion und Co A 761st Tank Battalion. 64 Beim Bau des Laufkraftwerks kamen zum Schutz gegen Luftangriffe besondere Bau- 100 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Report of Combat Opera- weisen zum Einsatz, welche es von dem Oberlieger-Kraftwerk Ering-Frauenstein unter- tions XXth Corps, 1—8. Mai 1945, 2 May. An der rechten Flanke der Division war das 14th schieden. Als Schutz vor Treibminen errichtete man flussaufwärts einen stabilen Vorrechen. Infantry Regiment mit Company C 635th Tank Destroyer Battalion; Company B 761st Tank Gegen die Einwirkung von Bomben wurden die Maschinensätze durch massive Montage- Battalion; Company C 81st Chemical Mortar Battalion, eingesetzt. hauben mit Stahlbetonplatten geschützt und unter Wasser schützte eine einen Meter starke 101 Wolfgang Neuwirth, Der Einmarsch der US-Truppen in das Inn- und Hausruckvier- Stahlbetonmauer die Ausläufe der Turbinen. tel im Mai 1945 aus amerikanischer Sicht, in „Bundschuh“ Nr. 5 (2002), S. 102. NARA 65 Eine direkte Funkverbindung zum vorgesetzten Kommando in Freistadt hatte nur die RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. 14th Infantry Regiment, 71st Infantry Kampfgruppe Passau. Braunau und Ried waren über die 100 Watt Funkstellen der Stand- Division, Interview Col. Carl E. Lundquist, CO 14th Inf; 1/Lt Charles W. Cookon, S-1 and ortältesten mit Linz und von dort aus mit Freistadt verbunden. Historian, in Drossendorf, , 26 May 1945. 66 NARA, RG 549, Interrrogation Records Prepared for War Crimes Proceedings at Nürn- 102 Der Baubeginn bei der Baustelle des Kraftwerks Egglfing-Obernberg erfolgte unmittel- berg 1945—1947. Vernehmung am 11.9.1945, S. 3 und S. 12f. bar nach dem Baubeginn bei der Staustufe Ering-Frauenstein. Durch kriegsbedingte Verzö- 67 Der SS-und Polizeiführer Oberdonau, I/Gen.-I-1001/45 vom 24. April 1945. Zitiert gerungen konnte erst im Juli 1944 mit dem Aufstau begonnen werden. Der erste Maschi- nach Harry Slapnika, Oberösterreich als es „Oberdonau“ hieß, Linz 1978, S.335 und 428 nensatz ging dann mit zehnmonatiger Verspätung, am 24. Oktober 1944, in Betrieb und (OÖLA, Pol. Akten, Schachtel 67). die zweite Turbine war zum Zeitpunkt des Herannahens der alliierten Truppen gerade in der 68 Die Bezeichnung „Suhr“ könnte auf den SS-Obersturmbannführer Friedrich Suhr Montage. Beide Dämme erhielten 1943/44 einen grünen Tarnstrich, der das Erkennen aus (6.5.1907-31.5.1946) hinweisen. Suhr war u. a. seit November 1942 Führer des Sonder- der Luft erschweren sollte. Des Weiteren errichtete man jeweils einen Vorrechen, welcher kommandos 4b der Einsatzgruppe C an der Ostfront, ab August 1943 Führer des Einsatz- die Dämme gegen Treibminen schützte. Doch die wirkungsvollste Schutzmaßnahme war kommandos 6 bis November 1943. Danach bis Dezember 1944 Führer einer SS-Kampf- die Stationierung von leichter und schwerer Flak, deren Einsatz seit 1944 von der Flak- gruppe in Frankreich und später SS-und Polizeiführer „Ober-Elsaß“. Untergruppe Braunau wahrgenommen wurde. Die Flak blieb hier bis zum Ende im Einsatz 69 Vgl. dazu Gottfried Gansinger, Nationalsozialismus im Bezirk Ried im Innkreis, Inns- und wurde letztlich in die Inn-Verteidigung einbezogen. bruck 2016. 103 Co A 635th Tank Destroyer Battalion, Co ? 761st Tank Battailon, Co A 81st Chemical 70 Innviertler Heimatblatt, Amtlichen Wochenzeitung der NSDAP für das Innviertel, Aus- Mortar Battalion. gabe 27. April 1945, S. 2. 104 Oberstleutnant Evert S. Thomas wurde für diese Tat auch ausgezeichnet. 71 Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Sowjetunion (CAMO) Bestand 500 105 635th Tank Destroyer Battalion, After Action Report (im Internet verfügbar). Bei dem Findbuch 12450 Akte 181. Wehrmachtsbericht vom 25.4.1945. Diese im Rundfunk ver- Geplänkel um den Staudamm wurden mit den 7,62 cm Panzerabwehrkanonen 1 Panzer- lautbarten Berichte begannen mit den Worten: „Aus dem Führerhauptquartier: Das Ober- spreng- und 14 Sprenggranaten verfeuert. kommando der Wehrmacht gibt bekannt“. 106 Wolfgang Neuwirth, Der Einmarsch der US-Truppen in das Inn- und Hausruckviertel 72 NARA, Foreign Militaries Studies B-335, Generalmajor Müller Manfred, Divisionsstab im Mai 1945 aus amerikanischer Sicht, Bundschuh Nr. 5 (2002), S. 103. NARA RG-407, z.b.V. XIII. Records of the Adjutant General’s Office. Interview T/4 Weldon T. Patton, Sierning, Aus- 73 Tagebuch Langer. Tagebuchaufzeichnungen des Bezirkshauptmanns der Gendarmerie tria, 26 May 1945 (Interview conducted with Regimental records wich were later checked 73 against Periodic Reports). im Zeitraum bis zum 6. Mai viele Kriegsgefangene und eine Menge erbeutetes Kriegsmate- 107 Innviertler Monatsblatt´l, Ausgabe Mai und Juni 1985. rial. Vgl. After Action Report 635th Tank Destroyer Battalion. 108 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Report of Combat Opera- 117 Für den Vormarsch auf österreichischem Gebiet hatte das 652nd(Top.) Bn im April tions XXth Corps, 1—8. Mai 1945, 3 May. 1945 eine „Emergency Road Map 1:300.000/N 49 Passau“ aufgrund einer erbeuteten deut- 109 Hier wirkten sich auch die Aktivitäten des Rüstungsministers Albert Speer aus. Seine schen Straßenkarte von 1941 angefertigt. Demnach orientierte sich der Vormarsch anhand Versuche die Zerstörungsbefehle abzumildern und zu sabotieren, führten zu ständigen Ab- dieser „Emergency Map“. Für die Verfügungsstellung dieser Karte bin ich Herrn Ernst Dürr änderungen der diesbezüglichen Befehle. aus Schärding zur Dank verpflichtet. 110 Hier wird besonders auf die unter Gefahr für Leib und Leben erfolgte Zerschneidung 118 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Interview T/4 Weldon T. der Zündkabel hingewiesen und die Beseitigung der Sprengladungen betont. Zu den Patton, Sierning, Austria, 26 May 1945 (Interview conducted with Regimental records wich Sprengladungen finden sich in den amerikanischen Unterlagen auch widersprüchliche An- were later checked against Periodic Reports). gaben. 119 The history oft he 71st Infantry Division, Augsburg 1946 und Zeitenwende und Stun- 111 Schirer Renato, Die Reichsbrücke im Zweiten Weltkrieg, in Pro Civitate Austriae, Neue de Null: Ried(er) 1945. Eine Spurensuche, Ried im Innkreis 2005, S. 13, 15, 19. Folge, Heft 17, 2012, S. 83—108. 120 Wolfgang Neuwirth, Der Einmarsch der US-Truppen in das Inn- und Hausruckviertel 112 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Report of Combat Opera- im Mai 1945 aus amerikanischer Sicht. In Bundschuh Nr. 5 (2002), S. 99—101. tions XXth Corps, 1—8. Mai 1945, 3 May. 121 Rauchensteiner, Krieg in Österreich, S. 439 Anmerkung 13. 113 Interview vom 26.5.1945 mit Col. A. Regnier, CO, 66th Inantry Regiment und Capt. 122 NARA, AG 314.7, XXth Corps, Report of Combat Operations, 1 May to 8 May 1945, John J. McGillicuddy, Asst S-3. Der Bericht erwähnt dezidiert den Vormarsch von Obern- vom 12.6.1945. G-3 Summary 1 May 1945. berg nach Ried mit erbeuteten Kraftfahrzeugen. 123 NARA RG-407, File Adjutant General´s Office. Headquarter XXth Corps, AG 314.7, 114 NARA RG-407, Records of the Adjutant General’s Office. Report of Combat Opera- Report of Combat Operations, 1 May to 8 May 1945, vom 12.6.1945. Hier: G-3 Summary tions XXth Corps, 1—8. Mai 1945. 2. May 1945. 115 Es war dies die Company „A“, 81st Chemical Mortar Battalion. Vergleiche dazu: The 124 Ebd. G-3 Summary 3 May 1945. history oft he 71st Infantry Division, Augsburg 1946. 125 Podhajsky, Alois: Ein Leben für die Lipizzaner (München1960) 159 f. 116 Erst am 6. Mai um 05:30 Uhr Ortszeit konnte die Kompanie (Co A 635th Tank Destro- 126 NARA RG-407, File Adjutant General´s Office. Headquarter XXth Corps, AG 314.7, yer Battalion) mit voller Ausstattung in Richtung Wels abrücken. Die Kompanie meldete Report of Combat Operations, 1 May to 8 May 1945, vom 12.6.1945. Hier: G-3 Summary 4 May 1945.

74 Die Volksschule Reichersberg Eine kurze Erzählung anhand der Schulchroniken ie Geschichte der Volksschule Reichersberg reicht Die Volksschule Reichersberg - früher un- D– nach Archivalien des Stiftsarchivs – weiter zu- tergebracht in einem der schönsten Plätze rück als die der meisten anderen Anrainergemeinden. Österreichs: im Stift Reichersberg. Die Ge- Immer nahm dabei das Stift eine herausragende Stel- schichte dieser kleinen Schule war immer lung ein1. In der Schulchronik von Reichersberg ist ein geprägt von der Symbiose mit dem Stift, Verzeichnis der Schulmeister erhalten, das bis ins 13. dem Auskommen mit der Fliegerschule und später der Jahrhundert zurückreicht. Auch hier, wie in Obernberg, amerikanischen Besatzungsmacht. Der Traum vom ei- haben sich in der Reformationszeit evangelische Lehrer genen Gebäude sollte sich erst spät erfüllen. festgesetzt. (Im Aufsatz zur Geschichte der Reformation in Obernberg gehen wir darauf näher ein). Fassbar wird – auch in Reichersberg haben damals viele Menschen die Volksschule Reichersberg in der späten churbayeri- ihre Ersparnisse verloren. Den Rest erledigte dann die schen Zeit, als der bayerische Staat mehr und mehr be- Inflation der 20er Jahre. Der Krieg forderte auch unter gann, die Abläufe des Volksschulwesens an sich zu zie- den Lehrerfamilien seine Opfer – so starb der Sohn des hen. Die bayerische Schulordnung wurde so auch 1770 Oberlehrer Schallers noch 1918 im Kriegseinsatz. Der in Reichersberg eingeführt, die Schulpflicht kam ein Herbst 1918 brachte in Reichersberg neben der Not Jahr später. Wiewohl die Schülerzahlen in dieser Zeit auch eine Grippewelle, an der mehrere Menschen star- bis zum Ende der Monarchie natürlich schwankten, so ben und die erst mit Jahresende abflachte. sank die Zahl der Schüler selten unter 110 und betrug häufig (in den Jahren um 1900) mehr als 130. Diese In der ersten Wahl der Republik wurden in Reichers- große Schülerzahl wurde von nur 2 Lehrkräften (Schal- berg 566 Stimmen für die Christlichsozialen abgegeben, ler und Wagner) sowie einer Handarbeitslehrerin (Frau auf die Sozialdemokraten entfielen nur 44 Stimmen. An Rothböck) abgedeckt – heute undenkbar! Im Schuljahr der Vorbereitung der Wahlen nahmen die Lehrer eben- 1917/18 mussten während des Ersten Weltkrieges sieben so teil, wie an der peniblen Erfassung der Daten von der neun Reichersberger Glocken abgeliefert werden. Da Reichersberger Kriegsgefangenen. Diese Arbeit hielt bis der Krieg die öffentlichen Mittel aufzehrte, mussten die Ende 1919 an – besonders die Reichersberger, welche in Schulen sehen, wo sie blieben. Um Lehrmittelanschaf- Italien während der letzten Isonzoschlachten gefangen- fungen zu finanzieren, wurden in Reichersberg von den genommen wurden, kamen spät nach Hause. Ebenso Kindern Brombeerblätter gesammelt, getrocknet und hatte die junge Sowjetunion wenig Motivation, gefan- verkauft. Ebenso wurden Schülerzeichnungen verkauft. gene Österreicher – und Reichersberger in die Heimat Im Jahr 1918 besuchten 135 Kinder die Volksschule in zu entlassen. Mehr als heute waren die Lehrer der Er- Reichersberg! Die kleinen Ortschaften Fraham und Mi- sten Republik als Beamte die „Mädchen für alles!“ Au- naberg hatten jeweils 16 Kinder an der Volksschule, die ßerdem wurde den Lehrern auch von einer lokalen Be- Mehrheit kam mit 90 Kindern freilich aus Reichersberg. hörde auf die Finger geschaut: dem Ortsschulrat. Dieser Die beiden Lehrer der Volksschule Reichersberg waren bestand (meist) aus dem Pfarrer und anderen einflussrei- in der Zeit als (genötigte) Werber für die Kriegsanlei- chen Personen des öffentlichen Lebens. Ab 1918 häufen hen im Einsatz. Da der Krieg bekanntlich verlorenging, sich in den Schulchroniken aller Volksschulen unseres war diese Geldanlage für die Menschen ein Totalverlust Schulbezirks die Klagen über die Inflation. Die Inflati- on lag 1919 bei 149%, bis sie ab 1921 so richtig in Fahrt kam – 1922 waren es 2877% (kein Druckfehler!). Das Verbraucherpreisniveau erhöhte sich von 1914- 1922 um das 14.000-fache!2 Das wäre – flapsig gesagt – als wenn eine Leberkässemmel, die 2009 2 Euro geko- stet hat, heute 28.000 Euro kosten würde. Unvorstell- bar eigentlich. Natürlich wurden auch die Löhne er- höht, aber bei weitem nicht in der Höhe der Inflation! Alle Menschen die Güter besaßen (Bauern etwa), waren von der Inflation in geringerem Maße betroffen, als jene Reichersberger, die auf Geldeinkommen angewiesen waren. Ein Ende findet in der jungen Republik der bis dahin übliche Sonntagsunterricht. Er wird auf die ande- ren Wochentage aufgeteilt und es entsteht die heute ge- wohnte Schulwoche. Im Jänner 1920 setzte nach einem Temperatursturz ein heftiger Orkan ein, der in Rei- chersberg viele Häuser zerstörte. „(…) In Minaberg wurde der neue große Stadel zerstört, beim Feldbauern Notgeldansichten von Reichersberg! (Foto: SCR Reichersberg)

75 in Minaberg das Haus arg beschädigt, viele Dächer, bes. im Stift, arg mitgenommen, Masten der elektrischen Leitung umgeworfen.“3 In Reichersberg wurden bei diesem Sturm Bäume entwurzelt, die man 1799 - in der napoleonischen Zeit gesetzt hatte! Auch 1921 kehren immer wieder Reichersberger aus der Kriegsgefangen- schaft heim. Meist sind das Personen, die in Russland gefangen genommen wurden und durch die Wirren des russischen Bürgerkrieges nicht vorher heimkehren konnten. Mehr als heute standen die Unterrichtszeiten unter dem Einfluss des bäuerlichen Lebens – und der Erntezeit. So dauerten die Sommerferien 1921 vom 14. Juli-14. August und als Herbstferien von 15. September bis 15. Oktober. Im November dieses Jahres nahmen die Reichersberger Lehrer an einer gemeinsamen Leh- rerversammlung aller bayerischen und oberösterreichi- schen Lehrer in Passau teil. Diese Versammlung dürfte im Zusammenhang mit den Bemühungen von Inn- viertler Lokalpolitikern gestanden sein, zumindest das Innviertel an Bayern anzuschließen. Die Volkszählung ergab für Reichersberg 1546 Einwohner, die in 244 Häusern wohnten. 1924 gab es in Reichersberg schwe- ren Hagel – taubeneiergroße Hagelkörner richteten großen Schaden an. Am 28. Oktober 1924 wurde die „1000-jährige Eiche von Obernberg“! (die eigentlich in Mörschwang stand) ein Opfer des Sturms. Mit einem Stockumfang von 11 (!) Metern hat sie zu den größten Bäumen in Österreich gehört. Im Schuljahr 1925/26 Ein rares Bild der Reichersberger Lehrerschaft: Ganz links Hedwig Wagner, wird die 7-jährige Schulpflicht eingeführt. Mitte der ganz rechts Lehrer Hans Winklehner (Foto: SCR Reichersberg) 20er Jahre kommt der Weltspartag auf. Die Schüler aus Reichersberg erhalten 1925 von der Sparkasse Obern- berg ein „Sparblatt“ mit 2 Schillingen Einlage. Die So- zialdemokraten tun sich weiterhin schwer in Reichers- le Schwalben verhungerten, bevor sie in den Süden berg. Bei der NR Wahl 1927 gibt es 727 Stimmen für wegfliegen konnten. So sammelte man in ganz Öster- die Christlichsozialen. Dem stehen 83 Stimmen für die reich (auch in Reichersberg) Geld und flog die Schwal- SPÖ gegenüber, der Landbund kommt auf 65 Stim- ben mit einem Flugzeug nach Italien! Wir sehen: Auch men. Im selben Jahr geht der langjährige Leiter der in Zeiten der materiellen Not, reagiert noch oft die Volksschule Josef Schaller in Pension. Nachfolger wird Menschlichkeit oder hier: die Tierliebe. Warum man in der Oberlehrer Hans Winklehner. Im November kommt der Gegenwart unsere Schüler impft, sieht man ganz Bundespräsident Hanisch nach Reichersberg – die praktisch, wenn man sich Infektionszahlen der 30er Schule beteiligt sich am festlichen Empfang. Einen Aus- Jahre ansieht: 48% der Reichersberger Schüler erkrank- flug der besonderen Art machen die Kinder der Volks- ten 1932 an ansteckenden Krankheiten. Die Schule schule im Jänner 1929: Der Frost gibt die Gelegenheit wurde trotzdem nicht geschlossen. Der Schülerstand über den zugefrorenen Inn nach Bayern zu wandern. 1933: 116 Kinder. Das rauhe politische Klima der Zeit Das Jahr 1929 brachte die Einführung der Suppenkü- schwappt auch auf die Schulen über: Nachdem in che. Die Not der späten 20er Jahre machte sich deutlich Österreich die politischen Parteien verboten wurden im Untergewicht vieler Kinder bemerkbar. Mit Suppen- und sich die Vaterländische Front (VF) etablierte, wur- ausspeisungen wollte man die ärmeren Kinder zumin- de die Mitgliedschaft in der VF auch für die Lehrer dest mit einer warmen Suppe am Tag unterstützen. In Pflicht. Die Lehrer der Volksschule Reichersberg traten der Zeit von 14 Wochen wurde im Bräustübl 700 Por- im Schuljahr 1933/34 bei. Auch den Schülern wird ein tionen Suppe ausgegeben. Mit Frühlingsbeginn schloss Ausdruck „vaterländischer Gesinnung“ nahgelegt. Das die Suppenküche wieder, wurde aber auch die nächsten VF-Schülerabzeichen „Seid einig!“ wurde den Kindern wirtschaftlich schlechten Jahre immer wieder aktiviert. empfohlen, der Gruß „Treu Österreich“ Pflicht. Die Fe- Schulausflüge waren früher das, was man echte „Wan- bruarkämpfe 1934 betrafen unsere Gegend indirekt: dertage“ nennt. Es wurde meist tatsächlich gewandert. Ein Reichersberger, der bei den Alpenjägern des Bun- Zu den raren Ausnahmen der Zeit gehört es, wenn sich desheeres an den Kämpfen teilnahm, fiel und wurde am die Schule „mittels Auto“ einen Ausflug leistet – im Jahr 18. Februar in Reichersberg bestattet. An der Veranstal- 1930/31 nach Schärding. Auch Kurioses verzeichnet die tung mussten die Kinder der Reichersberger Schule teil- Schulchronik: Durch den kalten und langen Winter nehmen. Alle Schulen in Österreich blieben nach dem 1930/31 finden die Schwalben wenig zum Fressen. Vie- Februaraufstand drei Tage geschlossen. Die aufständi-

76 im Stift Fliegerpersonal einquartiert. Ein Teil des Stif- tes beherbergte eine Flugschule. In der Nähe wurde ein Feldflughafen errichtet. Die Schule, die ja ebenfalls im Stift untergebracht war, merkte das sofort. Das Klas- senzimmer der 2. Klasse und dann auch das Lehrmit- telzimmer mussten an das Militär abgetreten werden. Oberlehrer Pöggl wurde auf Dauer zur Wehrmacht ein- gezogen. Auch wenn hin und wieder junge Lehramts- kandidatinnen aushalfen (es gab kaum mehr Männer im Schuldienst!), musste die letzte verbliebene Lehrerin Hedwig Wagner den Unterricht für alle Kinder halten. 1941 besuchten 107 SchülerInnen die Volksschule Rei- chersberg. Die öffentlichen Feiern in Reichersberg wur- den im Laufe des Krieges zurückgefahren, der Muttertag Hirtenspiel in Reichersberg, 1931 (Foto: SCR Reichersberg) war der letzte Tag, der 1944 von der Schulgemeinschaft noch gemeinsam gefeiert wurde. Über das letzte Kriegs- schen Sozialdemokraten wurden in der Schulchronik und Schuljahr fehlen in der Schulchronik die Einträge. als die eindeutig Schuldigen an den Kämpfen punziert, Die „Stunde Null“, mit der der Unterricht wieder be- der Dank galt der „heldenmütigen Exekutive“ die „un- gann, lässt sich in Reichersberg mit dem 18.September ser Vaterland vor dem Ärgsten bewahrt hat.“4 Die Ver- 1945 festlegen. Teilte man das Stift in den Kriegsjahren ankerung der Schuljugend versucht man von Seite der ab 1941 mit der Deutschen Wehrmacht, quartierten VF mit „Jugendtagen“ zu fördern. So ein Tag bestand sich 1945 vorübergehen amerikanische Truppen in den im Grunde aus einem Umzug inklusive Gottesdienst. Stiftsräumlichkeiten ein. Die Schülerzahl sank auf 57 In der Zeit gab es in Reichersberg und vor allem in Kindern, die in 2 Klassen unterrichtet wurden. Obernberg eine sehr aktive NSDAP, die dann am 19. Juli 1933 verboten wurde5. Von da an agierten die Na- Etliche andere schulpflichtige Kinder besuchten umlie- tionalsozialisten im Untergrund und es kam immer gende Volksschulen oder (es gab damals noch die Volks- wieder zu Zusammenstößen zwischen den politischen schuloberstufe!) die Hauptschule in Obernberg. Wegen Lagern (vgl. dazu den Artikel NS-Zeit in Grenzland. der Entlassung und Versetzung etlicher Lehrkräfte (NS Obernberg). Erfreulicher war im Schuljahr 1934/35 das Parteimitgliedschaft) gab es in vielen Schulen entweder 850 Jahrjubiläum des Stiftes Reichersberg, an dem sich einen großen Lehrermangel oder aber ein reges Kom- die Volksschule beteiligte. Eine für damalige Verhältnis- men und Gehen wegen der Strafversetzungen. In Rei- se aufwändige elektrische Lichterinstallation schmückte chersberg musste daher 1945-1946 das Zwei-Klassen- die Stiftsgebäude. Anwesend waren neben dem Linzer system aufgegeben werden, die Schüler wurden nun in Bischof Gföllner auch etliche Mitglieder der Landesre- einer großen Klasse gemeinsam unterrichtet. Das von gierung. Das Stift Reichersberg war damals ein wichti- der Wehrmacht im Stift zurückgelassene Inventar wur- ger Think-Tank in der katholisch ausgerichteten VF. de von den Schülern auf zwei große Lastautos verladen Diese Funktion hat sich Reichersberg – wenngleich un- und nach Ried gebracht. Von dort kam ein kleiner Teil ter anderen Vorzeichen – auch in der 2.Republik be- (die Sportgeräte) nach Obernberg an die Hauptschule. wahrt. Auch die Gemeinde Reichersberg war Teil der In den nächsten Jahren besserte sich die räumliche und landesweit organisierten Verehrungen des „Heldenkanz- personelle Situation: Etliche Flüchtlingskinder kehrten lers“ Engelbert Dollfuß (er war im Juli 1934 von SS- mit ihren Familien in die Heimat zurück oder zogen Leuten ermordet worden). Das obligate Denkmal fiel weiter, die Schule wurde wieder zweiklassig geführt. Im in Reichersberg ein wenig bescheiden aus: Ein Eichen- ganzen Bezirk besserte sich schließlich der Lehrerman- relief des ortsansässigen Stiftszimmermannes musste ge- gel, da die Entnazifzierungsmaßnahmen bei den meist nügen. minderbelasteten Lehrern zu einem Abschluss kamen. Dass 1938 die NS Zeit anbrach, merkte man in der Es fanden wieder erste Schulfeiern statt, etwa 1946 zur Reichersberger (wie in fast allen anderen) Schulchro- 950-Jahr Feier Österreich. Weihnachten wurde von der nik daran, dass die Seiten herausgetrennt wurden. 1945 Schule (im Gasthaus Gaisberger) gleich zweimal gefei- musste diese Zeit „nachgeschrieben“ werden. Die dann ert! Am 21.12.1946 schulintern. Hier wurden „von den amtierenden Schulleiter beschränkten sich auf die sach- Lehrern selbstgebasteltes Spielzeug (Handtaschen, Au- lichste mögliche Form. Wir erfahren etwa, dass Ober- tos)“ an die Kinder verschenkt. „Die Freude der Kinder lehrer Pöggl immer wieder zu Militärübungen einberu- war groß.“ Ebenso groß war die Freude am nächsten fen wurde. 1939 kamen die ersten reichsdeutschen Kin- Tag, als amerikanischen Soldaten die Kinder mit Scho- der nach Reichersberg (17 SchülerInnen). Sie stamm- kolade und Bleistiften beschenkten – seltene Kostbar- ten aus von Luftangriffen gefährdeten norddeutschen keiten in diesen Mangeljahren. Das Schuljahr 1947/48 Gebieten. Es waren nicht die letzten Kinder aus dieser hätte am 15. September beginnen sollen. Hätte – denn Gegend, die nach mehreren Wochen der Erholung aber eine sich rasch in ganz Österreich ausbreitende Kinder- immer wieder nach Hause mussten. Ab Mai 1940 war lähmungsepidemie ließ es geboten erscheinen noch 14

77 Woche gesperrt. Erfreulicher waren die großen Faschingsumzüge (etwa 1957 – es wurde bereits fotografiert!) oder die Mitarbeit der Schule an der 1000 Jahr Feier Obernbergs. Auch an etlichen Veranstaltungen des Stiftes nahmen Schüler und Lehrkräfte immer wieder teil. Beispielhaft sei auf die dreifache (!) Primizweihe 1960 hingewiesen. 1960 wurde die ehemalige Schulleiterin Hedwig Wagner zu Grabe getragen, die 38 lange Jahre (bis 1945) an der Schule unterrichtet hat und Generationen von Kindern aus Reichersberg geprägt hat. Erschüttert liest man in der Chronik

Glockenweihe in Reichersberg 1963 (Foto: SCR Reichersberg) auch immer wieder vom Tod junger Menschen. Ebenfalls beispielhaft war der Fall der kleinen Brigitte Denkmayr herausgegriffen, Tage zuzuwarten, bevor die Schule am 29.9 dann end- die sechsjährig an einem angeborenen Herzfehler starb. gültig losging. Zu Jahresende kamen wieder amerikani- Auf dem Wunschzettel der Lehrer ganz oben stand der sche Soldaten und beschenkten die Schüler der Schule. Wunsch nach einem eigenen Schulgebäude. Dass dieser Der damals sehr viel aufwändiger gestaltete Fasching erst relativ spät – verglichen mit anderen Gemeinden brachte am 10.3.1948 einen Faschingsumzug, an dem – realisiert wird, lag daran, dass viele Kinder die Haupt- sich alle Schüler und die Lehrerinnen beteiligten. Die schule in Obernberg besuchten sowie an der Tatsache, Schülerzahl dieser Jahre überschritt nicht mehr die 100 dass ebenfalls etliche Kinder in die Volksschulen in Ort Schüler Grenze. Dass es wirtschaftlich wieder bergauf und Antiesenhofen gingen, weil ihnen diese räumlich ging, erkennt man an den Ausflügen. So konnte 1950 einfach näher waren. 1962 wurde der Grund für das schon mit einem Autobus zum Mondsee und Attersee Schulhaus gekauft und bereits zwei Jahre später war die gefahren werden. Eine Bootsfahrt über den Mondsee Schule fertig gebaut. Dazwischen nahmen die Kinder bildete den Höhepunkt dieses für die Reichersberger und Lehrer 1963 an der Weihe der neuen Stiftsglocken Kinder sicher denkwürdigen Ausflugs. 1952 schied die teil. Glocken, die unglaublich falsch klingen, wie der Lehrerin Anna Öttl aus dem Reichersberger Schuldienst musikalisch geschulte und hellhörige Schulleiter Hans – sie war seit 1942 an der Schule gewesen. 1952 wurde Aschenberger in der Chronik kritisch anmerkte. die Schule im März wieder für einige Wochen geschlos- sen: Die Herpesviren gingen um. 1953: Die Chronik Mit dem Neubau der Schule und dem Leiterwechsel eröffnet das Jahr mit einem „Cum Deo!“ (- in der heuti- (Aschenberger kommt nach Ried, neu als Leiter war gen säkularisierten Zeit fast schon undenkbar). Otmar Wenzl) begann nun die Schule ein Gesicht zu erhalten, an die sich viele Reichersberger noch aus eige- 1954 verließ Direktor Breneis (seit 1945 an der Schu- nem Erleben erinnern können. le) Reichersberg. Er war aktives Mitglied der Liederta- fel und auch sonst im Ort sehr integriert. Von den in Eichsteininger Hannes Reichersberg 107 schulpflichtigen Kindern besuchte ein immer größerer Teil (30 Kinder) die Hauptschule in Obernberg. Nachfolger als Leiter wurde 1956 der Rie- 1 Alle nachfolgenden Angaben sind – so nicht anders angegeben – der Schul- der Hans Aschenberger, der auf den interimsmäßig in- chronik entnommen. Anm. des Verfassers stallierten Wilhelm Dachs folgte. Damit etablierte sich 2 Beer, Christian: Die wechselvolle Geschichte der Inflation in Österreich, ein Lehrerteam, dass nun einige Zeit den Unterricht be- Wien 2016, in: Monetary Policy and the Economy, Österreichische National- stimmen sollte: Martina Hörzig und Hans Aschenberger bank (Hg), S.15f. 3 Schulchronik der Volksschule Reichersberg, 1. Band, ohne Seitenkennung als Lehrkräfte, Pfarrer Gadringer als Religionslehrer und 4 Schulchronik der Volksschule Reichersberg, 1. Band, ohne Seitenkennung Helene Voglmayr als Handarbeitslehrerin. Am Stefanie 5 Abgerufen unter:https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreich_in_der_ Tag 1954 führten die Schulkinder das Weihnachtsmär- Zeit_des_Nationalsozialismus (3.1) chen „Petrus Christbaum“ auf. Der Gaisberger-Saal (auch die Schreibweise Geisberger gibt es) war bis auf den letzten Platz besetzt, an freiwilligen Spenden kamen für die damalige Zeit üppige 500 Schilling zusammen. Auf den (auch finanziellen) Geschmack gekommen, wiederholte die Schule größere Aufführungen auch die nächsten Jahre, etwa am Muttertag 1955 (im Au- gustinsaal). 1956 forderte die Kinderlähmung in Rei- chersberg ein Todesopfer – die Schule wurde darauf eine

78 „[…] Da wir annehmen, daß Ihre Grenzlandschule nicht mit reichen Geldmitteln versehen ist […].“ Die Geschichte der Volksschule Kirchdorf am Inn 1918-1965 as Ende des 1. Weltkrieges brachte auch für die DSchulen in Kirchdorf das siebenteilige Volksschul- Die Volksschule Kirchdorf am Inn, in system.1 Ein Teil der Gemeindeschüler wurde in Kirch- den 20er und 30er Jahren: Mehr Grenz- dorf und ein anderer, die in der Schulchronik „Paralel- land geht eigentlich nicht mehr. Und doch labteilung“ genannte, im Gasthaus zu Katzenberg un- sollten es Lehrer aus dem Großraum Linz tergebracht. Nach einigem Hin und Her etabliert sich sein, welche die Schulgeschicke der Zeit für die Schule in Kirchdorf der Lehrer Franz Staudinger prägten. Die Kirchdorfer Schulchronik - penibel von den Leitern geführt, ist mehr als ein historischer schu- und für die nachrangige Dependance in Katzenberg der lischer Jahreskalender - sie gibt tiefe Einblicke in das Lehrer Gottfried Baumgartner. Bald kommt im Wechsel Gemeindeleben dieser Zeit! der Lehrer Friedrich Putscher dazu, der in späteren Jah- ren auch die Schulleitung übernehmen wird. Die Eck- gebunden als das heute der Fall ist. Nachdem 1. Welt- punkte des Unterrichtens waren für die Lehrer auch in krieg begann sich das öffentliche kulturelle Leben wie- Kirchdorf über alle Maßen fordernd: Im Schnitt mehr der langsam zu regen. Viele Männer kehrten langsam als 90 Kinder wurden meist zweiklassig unterrichtet. aus der (meist russischen oder italienischen) Kriegsge- Bei Lehrermangel oder – häufiger in der Kirchdorfer fangenschaft heim, viele andere waren gefallen. So wur- Schulgeschichte – längeren Erkrankungen von Lehrern de ein Kriegerdenkmal geplant und im Oktober 1922 wurde auf das einklassige System umgestellt. Das heißt, eingeweiht. Bei der Gelegenheit trat die Sängervereini- dass dann trotz formell sieben Schulstufen alle in einem gung Kirchdorf, die kurz davor gegründet worden war, Raum unterrichtet wurden. Oft wird in Erinnerungen zum ersten Mal öffentlich auf. Im Juni 1923 wurden von Schule berichtet, in der die jüngeren Kinder von die neugegossenen Glocken für die Kirche geweiht. den Schülern der Abgangsklasse unterrichtet wurden Auch Wandertage der Schule gab es damals. Einer der und der Lehrer nur mehr eine letzte Oberaufsicht über- ehrgeizigeren Ziele war 1923 die Gemeinde Gmunden nommen hat. Ein heute fast schon wieder modernes und Ebensee. Abfahrt für die Kirchdorfer Kinder war System („Peer-group-learning“), damals aber aus der um halb sechs am Morgen vom Bahnhof Obernberg- Not heraus geboren. Wie in den anderen Gemeinden Altheim. Viele der Kinder waren vorher noch nie mit auch, gibt es zu dieser Zeit neben einem Bezirksschul- dem Zug gefahren. In Gmunden wurde dann mit dem rat im „fernen“ Ried noch den Ortsschulrat –bestehend Schiff nach Ebensee gefahren – praktisch kein Kind war aus dem (meist) ortsansässigen Schulleiter, dem Bür- jemals (von der Drahtseilfähre über den Inn abgesehen) germeister, dem Pfarrer und weiteren Personen des öf- jemals mit einem Schiff gefahren. Schließlich endete fentlichen Lebens (i.e. einer oder mehrere der größeren der Nachmittag mit einer leichten Wanderung auf ei- Bauern). Die Lehrer der damaligen Zeit waren daher nen Aussichtsberg. Was heute so banal klingt, gipfelt neben der straffen Schulhierarchie (es gab Hilfslehrer, in die Feststellung des Lehrer Staudingers: „Die Kinder provisorische Lehrer, Oberlehrer, provisorische Leiter kamen aus dem Staunen fast nicht zur Besinnung (sic!) und definitive = fixe Leiter) über das Instrument des Sie sammelten hier Eindrücke, die sie in ihrem ganzen Ortsschulrates auch an die Bevölkerung vor Ort stärker Leben nicht mehr vergessen werden.“2 Nachdem auch noch das Salzbergwerk besichtigt worden war, geht es an die lange Rückfahrt. Die Kinder kommen erst um 21.30 Uhr am Abend wieder am Bahnhof in Geinberg an. Solche Wandertage sind einfach der Lage unseres Grenzlandes geschuldet. Noch un- günstiger war es bei einem Ausflug mit der Bahn, wenn man in die andere Richtung nach Passau wollte und der Weg nach An- tiesenhofen zum Bahnhof zu Fuß bewältigt werden musste. Der entsprechende Chro- nikeintrag zu einem Wandertag beginnt so: „4h früh Abmarsch von Kirchdorf a.I. mit 35 Schulkindern nach Antiesenhofen. 2,5 Stunden Marsch. Dort Abfahrt um 7 Kirchdorfer Schule 1934: Links die bildhübsche in jungen Jahren verstorbene Lehrerin Snayder Uhr früh.“ Einem Besuchsprogramm über und rechts Pfarrer Bachböck, der sich auch politisch stark für den Ständestaat engagierte. den ganzen Tag folgten die Kinder offen- (Foto: SCR Kirchdorf) 79 die Lage etwas. Das Bild des „armen Lehrers“ stammt zu Recht aber aus dieser Zeit. Zu sehen ist auch, dass die Gemeinde Kirchdorf in diesen Jahren der Not An- suchen um Beihilfe zum Kauf von Schuhen oder Klei- dung oftmals aus finanziellen Gründen ablehnte. Die Gemeinderatsprotokolle dieser Zeit geben eine Begriff- lichkeit von der großen Not.6 Trotzdem gab es fast je- des Jahr einen Schulausflug in das Salzkammergut! Ab 1930 sind in der Kirchdorfer Chronik die ersten foto- grafischen Dokumente der Kirchdorfer Schulgruppen erhalten. In dieser Zeit wurden die Kinder von den beiden Lehrern Friedrich Putscher und Anna Mayr- hofer unterrichtet. Aber bereits im Jahr darauf verließ Putscher Kirchdorf und nach einem Zwischenspiel war Das Eintreten des Lehrers Leopold Zahrer und des Pfarrers Karl Bachböck für dann mit Alois Holzer eine prägende aber nicht unum- die Heimwehren machte Kirchdorf am Inn zum Umzugsgebiet dieser Verbin- strittene Lehrergestalt in Kirchdorf tätig. Man darf sich dung. Hier die Obernberger Heimwehr in Kirchdorf, vermutlich beim großen Heimwehraufmarsch 1936. (Foto: SCR Kirchdorf) von den langen Einsatzjahren der Schulleiter nicht täu- schen lassen. Das übrige Lehrpersonal wechselte in den bar anstandslos. Nach der Ankunft in Antiesenhofen kleinen Schulen am Inn oft schnell. Zu unterentwickelt am Abend dann der Luxus dieses Ausflugs: „Dort ange- war die dörfliche Infrastruktur, zu weit weg – weiter als kommen, warteten schon 2 Leiterwägen, die uns in un- heute – von den urbanen kulturellen Zentren Wien, seren Heimatort zurückbrachten.“ Die damals „weiche“ Linz oder wenigstens Ried waren Kirchdorf, St. Geor- Krone ermöglichte es den Kindern (nachdem in Pas- gen, Obernberg oder Reichersberg, als dass es junge gut sau in deutsches Geld umgetauscht worden war) auch ausgebildete Lehrkräfte länger hätte halten können. in Passau Mittagessen und Getränke einzukaufen – ein Dort, wo es doch gelang, verwurzelten die Lehrer im damals seltener Luxus. „Das ganze Leben und Treiben Ort und sorgen für die kulturelle Identität nach außen. (…) der lebhaften Stadt, hat den Kindern einen Begriff Hermann Edtbauer war in St. Georgen so ein Beispiel. von Großstadt gemacht.“3 Ein Wort noch zu Deutsch- Oder Leopold Zahrer in Kirchdorf. Andere hatten ihre land: Den Kindern der großen Städte ging es noch we- liebe Not mit der eingeschworenen Dorfgemeinschaft sentlich schlechter als den Kindern bei uns am Land. Es – oder Teilen davon. 1932 kam der Schulfunk nach gab damals in Kirchdorf eine Sammlung für die „armen Kirchdorf. Die ausgestrahlten Sendungen wurden mit deutschen Schulkinder.“4 Das bescheidene Lehrmittel- dem Radioempfänger des Direktors gehört. Wohl auf geld, das damals jede Schule besaß, wurde gut angelegt: Veranlassung des damaligen Bezirksschulinspektors Ein Induktionsapparat und eine elektrische Glocke Gärtner wurde ein langer Passus in die Schulchronik (mit Drücker!) durften es sein. Interessant der Eintrag aufgenommen, dass der Schulfunk „allenfalls zur Er- am Rande: „Unter der Hand gekauft“ steht da. So viel gänzung“ des Unterrichts gedacht sei, diesen aber nicht Offenheit in einem öffentlichen Dokument erstaunt. ersetzen könne. Hätte man damals von den heutigen Es kann vermutet werden dass die Geräte, damals in medientechnischen Möglichkeiten gewusst, wäre man Deutschland gekauft wurden, wodurch man sich den wohl entspannter an die Sache herangegangen. Es war Währungsvorteil der damaligen Zeit geschickt zunutze eine Zeit der schnellen Lehrerwechsel, die dann 1932 machte. Vielleicht sind die Lehrer beim Mittagessen in den Lehrer Alois Holzer nach Kirchdorf brachte. Hol- Passau auf den Geschmack gekommen. Am Wandertag zer stammte aus dem Großraum Linz und war ein jun- lief es ja im Grunde nicht anders. ger Bildungsbürger, offenbar nicht ganz unvermögend. Kirchdorf war gewiss nicht seine Wunschdestination. 1924 wurde ein Teil der Kirchdorfer Häuser mit elek- Das alles können wir aus einem Chronikeintrag erah- trischem Strom versorgt. Der „Chronist“ der Schulch- nen, den ersten, den Holzer selber getätigt hat. ronik stellt sich die bange Frage, ob das Licht auch im Schulhaus bald elektrisch brennen wird. Die Antwort: „15.September 1932. An diesem Tage trifft der neuer- Na,ja. Auf Antrag der Schule wird 1925 die Errichtung nannte Oberlehrer Alois Holzer mit seinen in 2 Autos EINER elektrischen Lampe im Schullehrerzimmer ge- und einem halben Eisenbahnwaggon verstauten Über- nehmigt…5 In der Gemeindepolitik dominierten die siedlungsgut nach sechsstündiger Fahrt von Ansfelden Christlichsozialen mit 8 Mandaten. 4 Mandate gingen gegen halb sieben in Kirchdorf am Inn ein, wo er seine an die Großdeutschen. Die SPÖ spielte in dieser Zeit Wohnung, aufgrund einer am 3. und 4. September per- politisch in Kirchdorf keine Rolle. Die Verarmung gro- sönlich gepflogenen Vorsprache und Verhandlung mit ßer Teile der Bevölkerung ging weiter: 1924 war die In- den Ortsschulräten […], neu ausgemalen und mit neu- flation sehr hoch, die Löhne stiegen nicht im gleichen en Küchenofen versehen antrifft, jedoch noch immer Maße. Sogar die damals sehr staatstreuen Lehrer streik- ohne elektrisches Licht.“ ten, auch die Kirchdorfer Schule blieb am 21.10.1924 geschlossen. Als im März 1925 der Währungsumtausch Holzer, immer adrett gekleidet, war kein Freund der lei- von Krone auf Schilling wirksam wurde, verbesserte das sen Worte. Er brachte das Flair der großen weiten Welt

80 seiner Bezüge. Die Nachricht erreicht Holzer als „Weih- nachtsgeschenk“ am 22. Dezember. Holzer, der ja tief in der Vaterländischen Front verankert war, ist zutiefst verletzt: „Mehr Menschlichkeitsgefühl im Zeitalter des „Vaterländischen Geistes“ hätte man behördlicherseits zeigen können, als einen bekannten schweren Diabeti- ker und Familienerhalter auf die Straße zu setzen. […] So musste der Chronist die „traurigsten Weihnachten“ mit seiner Familie erleben, die zeitlebens verbittert nachwirken werden.“ So der eigene Eintrag Holzers in der Schulchronik. Die Vorwürfe werden so umrissen: Er hätte die Schul- kinder zu häuslicher Arbeit eingesetzt, teilweise über Österreichpatriotismus mit Fragezeichen - Leopold Zahrer und sein Heim- Stunden den Unterricht nicht gehalten und wäre grob wehrnachwuchs 1936 (Jung Vaterland), (Foto: SCR Kirchdorf) und verletzend geworden, wenn ihn Eltern auf sein 8 nach Kirchdorf. Er stellte die Lehrerbibliothek neu auf, Fehlverhalten aufmerksam gemacht hätten. Schwerer inventarisierte und beklagte lautstark den Mangel an Lehrmitteln. Auch will er Licht und Heizung in jedem Raum der Schule. Die Rechnung beträgt über 1000 Schilling – eine gewaltige Summe. Zum Vergleich: Der Stundenlohn eines Metallfacharbeiters betrug damals in etwa eineinhalb Schilling!7 Erschwerend kommt dazu, dass bei Holzer bald eine Zuckerkrankheit diagnostiziert wurde, die zu häufigen Fehlzeiten, und soweit man das heute noch beurteilen kann, wohl auch enormen Stim- mungsschwankungen geführt hat. Das alles bereitete den Boden für eine „Kirchdorfer Schulaffäre“, in der sich am Schluss auch der Landeshauptmann, der Be- zirkshauptmann, der Ortsschulrat, der Pfarrer und viele der betroffenen Schüler und Eltern als Partei wiederfan- den. Am Schluss stellten sich ein Teil der Elternschaft, die Schuldienerin und offenbar auch der Pfarrer Karl Bachböck gegen Holzer. Man wollte ihn loswerden. Es half Holzer vorerst, dass das alles in einer politisch sehr unruhigen Zeit passierte: Der Bürgerkrieg erschütterte 1934 Östereich und Dollfuß wurde von den Nazis er- mordet. Ein Bewohner aus Pirath, Alois Schießl, wurde als Bundesheerangehöriger bei den Linzer Kämpfen des 12. Februars getötet. Der Herr Oberlehrer aus Ans- felden ist ein glühender „Vaterländischer“. Als zum Gedenken an den ermordeten Bundeskanzler Dollfuß in ganz Österreich Gedenktafeln enthüllt werden, in- itiiert Holzer am 1. Oktober 1934 das Pflanzen einer „Dollfuß-Eiche“ in Kirchdorf. Es ist lt. Chronik die erste in ganz Österreich. Die Eiche wird dann fotogra- fiert und Abzüge davon auch an die Witwe von Doll- fuß geschickt. Es ist gut möglich, dass das die vielen Dollfuß Eichen der 3oer Jahre tatsächlich dem Kirch- dorfer Beispiel folgten. 1934 starb die Lehrerin Hermi- ne Snayder, die fast drei Jahre in Kirchdorf als zweite Lehrerin wirkte, mit nur 27 Jahren. Mit ihr hatte sich Holzer gut verstanden. Sie war im Juni im Schulhaus in ihrer Klasse mit den Worten „Herr Oberlehrer, ich ster- be!“ aufgrund eines Erstickungsanfalles zusammenge- brochen. Jedenfalls gärt die Unruhe und kommt dann vor Weihnachten 1936 – für Holzer unerwartet – zum Ausbruch. Mehrere Anzeigen gehen gegen ihn ein und Kirchdorfer Schulgeschichte 1936: Im ersten Bild rechts sitzend der junge Leopold Zahrer, im letzten Bild unten rechts (sitzend) der kosmopolitische und sind so schwerwiegend, dass dieser am 18. Dezember ungewöhnlich gut gekleidet Direktor Alois Holzer. Die charmante Hermine suspendiert wird. Dies geschieht unter Beschränkung Snayder war bereits zwei Jahre davor verstorben. (Foto: SCR Kirchdorf)

81 wog, dass er Kinder körperlich züchtigte – offenbar auch über das damals übliche Maß hinausgehend. So wurde ihm unterstellt, er hätte teilweise bis zur Bewusstlosig- keit zugeschlagen. Aber Holzer kann sich wehren. Er weiß den Bürgermei- ster Engelbert Treiblmayer hinter sich. Er kennt Leute in der Landesleitung der Vaterländischen Front. Sie set- zen sich für ihn ein. Der Bürgermeister von Kirchdorf fährt selber zu Landeshauptmann Gleißner und bean- tragt die Wiedereinsetzung des Oberlehrers, „[…] wid- rigenfalls die gesamten Orts u. Gemeinde Funktionäre ihre Stellen niederlegen würden.“ Der Druck wirkt: Im Jänner hat Holzer seine Stelle wieder. Allerdings ist der Sieg kein vollständiger. Von Linz wird ein eigener Untersuchungskommissär eingesetzt, um die Vorfälle genau zu untersuchen. All das nimmt viel Zeit in An- spruch und leider verblassen daneben auch schöne Er- folge wie die Übermittlung wertvoller Wetterkarten für den Unterricht durch die Hohe Warte. Holzer erreicht, diese Karten geschenkt zu bekommen, „[…] Da wir an- nehmen, daß Ihre Grenzlandschule nicht mit reichen Geldmitteln versehen ist […].“ Der junge Lehrer Leo- Kirchdorfer Lehrkräfte 1954: (von links) Amler Maria, Zahrer Leopold, pold Zahrer, der aufgrund der Schulaffäre zum Direktor Stadlinger Anna, Trinkfaß Josef (Foto: SCR Kirchdorf) aufrückte, hatte die Leiterstelle in Kirchdorf nur kurz inne und muss sie bald wieder an Holzer abgeben. Zah- satztruppen nach Katzenberg verlegt. Mit Kriegsbeginn rer, der sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits in der standen alle Sammlungen (Kräuter, Fallobst etc.) im Jugendarbeit der Vaterländischen Front engagiert hatte, Zeichen des Krieges. Mit Fortdauer häuften sich die wird später zu einem für zwei Kirchdorfer Generationen Altkleidersammlungen – der Winterkrieg in Russland prägenden Lehrer und Leiter der Volksschule werden. zog hier seine Kreise bis nach Kirchdorf. 1942 über- nahm Zahrer die Leitung der Schule in Kirchdorf. 1944 Im März 1938 erledigen sich mit dem Einmarsch der stürzte ein Schulflugzeug (offenbare der Wehrmacht) in deutschen Truppen alle weiteren Streitigkeiten. Bürger- der Nähe von Kirchdorf ab, ein Flugzeugabsturz mit meister, Schulleiter und die VF Führung werden aus- mehreren Toten. Auch wurde das Gemeindegebiet von getauscht. Holzer kommt in eine Linzer Schule, er hat Kirchdorf-Geinberg mehrmals aus der Luft angegriffen. aber zu vielen Bekannten in Kirchdorf auch später noch Durch die Etablierung des Stauwerks bildete sich bis Kontakt gehalten. Wir können die „Kirchdorfer Schul- 1944 der Stausee aus und die Landschaft rund um den affäre“ auch deswegen mit einer gewissen Seriosität be- Inn veränderte sich gründlich. Im Herbst 1944 kamen handeln, weil die Akten eben nicht nur die Meinung viele Flüchtlinge: Volksdeutsche aus dem damaligen Holzers enthalten, sondern wir durch die Anzeigen auch kroatischen Semlin (heute Zemun). Das Dorf platzte über die Vorwürfe und Ängste seiner Gegner informiert bald aus allen Nähten! Zu allem Überfluss sperrte die sind. Man mag Alois Holzer beurteilen wie man will. Er Hauptschule in Obernberg im Herbst 1944 wegen der war ein Mann von Welt, jemand, der sich nichts verbie- Flüchtlinge zu. Die Kirchdorfer Hauptschüler gingen gen ließ. Die Schulchronik seiner Zeit, sonst oft inhalt- kurzzeitig wieder hier in die Schule. Im Februar kamen lich trocken, ist in seiner Zeit ein spannendes lesbares weitere Flüchtlinge, diesmal aus Oberschlesien. Am 4. Dokument mit vielen interessanten Details der Zeit. Mai erreichten amerikanische Truppen das Gemeinde- gebiet. Kurzzeitig wurden in Katzenberg einige US-Sol- Die sieben Jahre der NS Zeit wurden aus den Schul- daten einquartiert. Die Inngrenze wurde geschlossen. chroniken entfernt und nach 1945 neu verfasst. Das Verzweifelte Flüchtlinge und heimkehrende Soldaten ist in ganz Österreich so passiert. Die Eingliederung warteten an beiden Ufern auf eine Gelegenheit, den Kirchdorfs blieb für die Schule ohne größere negativen Strom illegal zu überqueren. Leopold Zahrer verlor vor- Folgen, die Gemeinde Geinberg setzte sich im Gegen- erst seine Leiterstelle. Die vorrangige Aufgabe der neu- teil für einige der dringend notwendigen Sanierungs- errichteten Gemeinde war die Bewältigung der gewal- maßnahmen ein. Die Besetzung Österreichs brachte tigen Flüchtlingsströme. Mit Oktober 1945 mussten auch in den Schulen Änderungen, wie etwa die neue in der kleinen Volksschule auch die Flüchtlingskinder 8-jährige Schulpflicht. Ein Ausflug führte 1940 auf das beschult werden. 130 Schüler wurden von einer einzi- neu entstandene Flugfeld in Reichersberg-Münsteuer. gen (!) Lehrkraft unterrichtet! Über 100 Bücher wurden Die Schüler sahen Flieger starten und landen. Der Leh- im Sommer aus der Lehr- und Schulbücherei entfernt: rer Leopold Zahrer hatte genug zu tun, da er auch die Sie enthielten NS-Gedankengut. Noch 1945 kam Her- Leitung der Schule in Mühlheim übernehmen musste mine Mazoch als zweite Lehrkraft nach Kirchdorf. Die (Lehrermangel). Immer wieder wurden deutsche Er- 82 Eine Riesensumme, die aber tatsächlich von den Kirch- dorfern fast zur Gänze aufgebracht wurde. Zum Ver- gleich: Ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer verdiente 1950 im Schnitt 867 Schilling (brutto!) im Monat. 10 Josef Draxlbauer aus Katzenberg war 1949 lt. Schulch- ronik der erste Absolvent der Kirchdorfer Volksschule, der einen akademischen Titel erwarb – er schloss in diesem Jahr in Wien das Studium Welthandel (heute: Volkswirtschaftslehre) ab. Die Höhepunkte der kom- menden Schuljahre waren die Ausflüge (nach Salzburg, das Haus der Natur gab es damals auch schon) und die jährlichen Erstkommunion. Das Gemeindeleben er- fuhr einen erfreulichen Höhepunkt mit der Weihe der Die Zeit bringt Farbe in die Schulgeschichte - ein Teil der 2. Klasse 1960. neuen Orgel 1951. 1953 wurde ein Diaprojektor an- (Foto: SCR Kirchdorf) gekauft, die Kosten waren für solche Geräte horrend: 3.500 Schilling – in etwa 2 Monatsgehälter eines Leh- hochgebildete Frau wird bald als Hauptschullehrerin rers! 1953 verließ Anni Hörmandinger die Schule und in Obernberg viele Schüler der nächsten Jahrzehnte arbeitete in Geinberg weiter. Sie hatte 8 Jahre in Kirch- prägen. Bei der ersten Wahl nach dem Krieg erhielt in dorf gearbeitet. 1954 wurde ein neues Kriegerdenkmal Kirchdorf die ÖVP 272 Stimmen, die SPÖ kam auf geweiht. 1955 starb Alois Holzer. Er war nach seinem 74 Stimmen. Das amerikanische Rote Kreuz half mit Weggang aus Kirchdorf Lehrer in der Diesterwegschule Kleiderspenden über die ärgste Not hinweg, kinderrei- in Linz gewesen und arbeitete später als Lehrer in der che Kirchdorfer Familien wurden damit unterstützt. Ab Hauptschule Ebelsberg. 1956 starb Friedrich Putscher, 1946 wurde in Kirchdorf wieder eine Zollwache mit 5 der von 1919 bis 1931 in Kirchdorf gearbeitet hatte. Beamten gegründet. Die beiden bescheidenen Schul- Ein Jahr des Abschieds, offenbar. 1956 ging auch Pfar- gebäude wurden noch einmal provisorisch hergerich- rer Trinkfaß aus Kirchdorf weg. Er wurde Stadtpfarrer tet – ein Neubau war in der Not der Nachkriegsjahre in Schwanenstadt. In das Schuljahr 1958/59 fiel die nicht möglich. Wieder besuchten fast 100 Kinder den 200 Jahr-Feier der Pfarre Kirchdorf am Inn. Zu diesem Unterricht, den Unterricht erteilten 1946 Frau Her- Anlass besuchte auch Bundeskanzler Julius Raab Kirch- mine Mazoch und Anna Hörmandinger. Verbittert dorf, der bei dieser Gelegenheit auch zum Ehrenbürger schrieb Anna Hörmandinger in der Schulchronik über ernannt wurde. Dieser für Kirchdorf wichtige Tag fand den nicht bewilligten Schulneubau: „Für das Wohl seinen Niederschlag in einer ausführlichen Fotodoku- der Allgemeinheit hat man nicht viel übrig. Auch eine mentation in der Schulchronik. 1959 wurde nun end- Nachkriegserscheinung!“9 Die Weihnachtsfeier 1946 ist lich mit dem Grundkauf ein erster Schritt in Richtung vielen älteren Kirchdorfern, die damals dabei waren, Schulneubau gesetzt. Nachdem in den folgenden Jahren noch in guter Erinnerung: Die Amerikaner verteilten der Bau ausgeschrieben wurde, konnte dann gebaut wer- 140 Pakete an die Kinder, Süßigkeiten, Stifte – alles war den und am 14. Juni 1964 ist es dann soweit: Die neue wertvoll. 1947 kehrte Leopold Zahrer an die Schule zu- Schule wurde offiziell übergeben. Eröffnungen ziehen rück, Hermine Mazoch ging nach Obernberg ab. Die Politiker ja immer magisch an und so gaben sich an die- Not war noch immer sehr spürbar: Es gab kaum Hefte, sem Tag vom Landeshauptmann abwärts die hohe Poli- Schulsachen waren wie Lebensmittel „bewirtschaftet“. tik die Klinke in die Hand. Der Tag war aber vor allem Das heißt, man konnte sie nur auf Bezugsschein kau- ein Erfolg für den bescheidenen Leiter der Volksschule, fen. Daher wurden die Hefte dieser Zeit vollgeschrie- Leopold Zahrer. Er wirkte seit den 30er Jahren an der ben, jede Zeile ausgenützt. 1948 kamen die Kinder das Schule und beendet seine Lehrertätigkeit erst 1968. letzte Mal in den Genuss amerikanischer Weihnachts- hilfe. Diesmal waren es vor allem Lebensmittelspenden, Eichsteininger Hannes die halfen. Aus dem gespendeten Mehl und Fett wur- den Kipferl gebacken, jedes Kind erhielt eine Tasse mit 1 Alle nachfolgenden Informationen sind, so nicht anders angegeben, der Kirch- braunem Pulver – für die meisten, der erste Kakao! Da dorfer Schulchronik entnommen. Anm. des Verfassers man wusste, dass es den Kindern in den großen Städten 2 Staudinger, Franz: zit.in der Schulchronik der VS Kirchdorf am Inn, 2. Band in diesen Jahren noch schlechter ging, wurden kleine (ab 1919) ohne Seitenkennung 3 Staudinger, Franz: SC-Kirchdorf II Pakete mit Keksen geschnürt und nach Steyr geschickt. 4 Staudinger, Franz: SC-Kirchdorf II 1948 wurden schließlich neue Glocken angeschafft 5 Gemeinde Kirchdorf (Hg.): Natur und Kultur im Einklang – Kirchdorf am (die alten wurden 1942 abgeliefert). Den Großteil der Inn, Ried 2009, S.131 6 Diese Einträge wurden akkurat von Heinz Brandstätter im Buch „Natur und Kosten brachten die vermögenden Grundbesitzer auf, Kultur im Einklang – Kirchdorf am Inn“ aufgearbeitet. In den gekennzeichne- die meisten von ihnen spendeten pro Joch Grund 20 ten Verweisen stütze ich mich auf diese Arbeit. Anm. des Verfassers Schilling. Was die Weihe der Pummerin für Österreich 7 Vgl. http://vgs.univie.ac.at/_TCgi_Images/vgs/20050615155913_QS12E- derKonsum.pdf (abgerufen am 02.01.2018) war, das war die Glockenweihe 1949 für Kirchdorf. Ein 8 Abschrift eines Schreibens des Bezirksschulrates Ried an Alois Holzer vom Symbol, dass es nun wieder besser wird, dass es aufwärts 18.12.1936, Abschrift in der Schulchronik, 2. Band, ohne Seitenkennung geht. Die drei Glocken kosteten über 60.000 Schilling. 9 Hörmandinger, Anna: SC-Kirchdorf II 10 http://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/MOBE/1958Heft10Beil54.pdf ab- gerufen am 04.01.2018 83 St. Georgen: 1918-1965 Eine Bilanz aus Schul- und Pfarrchronik

ach dem Ersten Weltkrieg 1918 war die Not groß St. Georgen: Inflation, die Not der 20er N– das spürte man auch in St. Georgen. Dabei war Jahre und mittendrinnen eine Volksschule. es – anders als in den Städten – nicht so sehr der Hun- Darin unterscheidet sich der Ort nicht so ger, sondern die rapide Geldentwertung, die ab den sehr von Kirchdorf oder Obernberg. Vie- 20er Jahren auch am Land zu spüren war. Der arme les ist aber auch St. Georgener Sondergut: Ort hatte auch keine Kirchenglocken mehr, sie waren Die starke Heimwehrbewegung der 30er Jahre oder die im Zuge des Ersten Weltkrieges abgenommen und auffallend wenigen Nationalsozialisten. Und dann gibt weggebracht worden. Es setzte nun unmittelbar nach es den Mann, der den Unterschied macht: Hermann Edtbauer... Kriegsende eine große Spendenaktion ein, um diesen Missstand zu beheben. Bis heute berührend sind die sei- tenlangen gewissenhaften Einträge in der Pfarrchronik, sich in St. Georgen 145 schulpflichtige Kinder. Dieser welche Familie aus St. Georgen welchen Beitrag dazu Höchststand wurde später nie wieder erreicht! Im Laufe leisten konnte oder wollte. Mehrere tausend Kronen der 20er Jahre setzte sich in St. Georgen der Anbau der (noch ein respektabler Betrag 1919, die Hyperinflation Zuckerrüben durch (wie etwa auch in St. Martin). Der kam erst 2 Jahre später) stehen neben 10, 20 Kronen- Besitzer des Öttlgutes in Nonnsbach, Johann Schwarz- beträge. „Auszüglerin“ steht wie zur Entschuldigung mayr, war hier führend vertreten. Die reifen Zuckerrü- manchmal hinter den kleineren Beträgen.1 Es ist nicht ben wurden nach Suben, in die damals dort existieren- genug. Die Gaben so schreibt Pfarrer Baumgartner gal- de Zuckerrübenfabrik verbracht. Derweilen schritt die lig, „entsprachen mehr dem Wollen als dem Können.“2 Inflation munter fort. Für 1 kg Zucker mussten 1923 Das Problem der langandauernden Spendenaktion war 24.000 Kronen bezahlt werden, 1 kg Rindfleisch konn- es, dass man schließlich doch in die beginnende Inflati- te auch 30.000 Kronen kosten. Da das Spendengeld onszeit hineingeriet, was einen Teil des Spendenwertes nun offenbar reichte, kamen in diesem Schuljahr end- wieder auffraß. lich größere Glocken in unseren Ort: Die größte wog 1070 kg, die beiden anderen 563 bzw. 335 Kilo. Eben- Die Chronik der Volksschule St. Georgen beschreibt falls 1923 machte die Schule den ersten weiteren Aus- es an drastischen Beispielen: „Ein Pferd kostet heute flug nach dem Weltkrieg. Das Ziel war Ebensee und der 20.000 Kronen, für ein Maulwurfsfell werden 20 Kro- Traunsee, wo die Schüler die Saline besichtigten und nen bezahlt.“3 Mit der Eröffnung des Elektritzitätswer- mit dem Dampfschiff fuhren. Die Abfahrts- und An- kes in Röfl hatten die Ortschaften Hub, Hofing, Röfl kunftszeiten waren respekteinflößend: Abfahrt um 5.43 und Nonsbach nun erstmals Strom. Mit der Rückkehr Uhr, Rückkehr um 9 Uhr abends! Der Ausflug fand des Schulleiters Steiner aus der italienischen Kriegsge- am 23. August statt – mitten im Sommer. Der Grund: fangenschaft ging der Ausbau zu einer zweiklassigen Die Herbstferien waren zweigeteilt, im August war im Volksschule mit siebenjähriger Schulpflicht einher. Wesentlichen Schule, dafür gab es damals Herbstferien Wirklich fixiert wurde diese Abkehr von der einklassi- (vom 17. September-17. Oktober). St. Georgen war in gen Volksschule aber erst in späteren Jahren. So kam den 20er Jahren kein gutes Pflaster für kleinere Partei- es 1925/26 zur Rückkehr der Einklassigkeit. Grund: en. Die Christlichsozialen dominierten bei den Wah- „Nur“ 66 Kinder besuchten die Schule, da war eine zweite Klasse wegen der „gerin- gen“ Schülerzahlen nicht notwendig… Breiten Raum in der Schulchronik die- ser Tage nehmen die Brotpreise und die Wechselkurse der Kronenwährung ein. Die Preise stiegen stets schneller als das Gehalt der Menschen – wichtig für Lehrer, die von der bargeldlosen landwirtschaftlichen Gü- terproduktion weitgehend ausgeschlossen und auf ihr Einkommen angewiesen wa- ren. Dass Lehrer, wie sich ältere Menschen noch erinnern, einen Teil des Gehaltes von den Bauernfamilien in Form von Naturali- en bekamen, wurde übrigens in den Not- jahren nach dem Ersten Weltkrieg geboren und hat zumindest bei uns keine länger Der Bau des Kriegerdenkmals 1928 - eines der ersten Fotos aus St. Georgen, die auch Menschen zurückreichende Tradition. 1921 befanden abbilden. (Foto: Pfarrchronik St. Georgen)

84 len überlegen, eine Handvoll Stimmen gab es für die nisch den Ort St. Georgen. Er besichtigte die Kirche Großdeutschen und nur selten welche für die Sozialde- und trug sich in die Gemeindechronik ein. Er ist in Be- mokraten. Die damals schon recht aktive St. Georgener gleitung des Landeshauptmannes Josef Schlegel.6 1929 Bauernliedertafel spendete der Schule 1924 300.000 gibt es Fälle von Keuchhusten und eine Masernepidemie Kronen zum Ankauf von Lehrmitteln. Anders als heute an der Schule. Mit der Ausschaltung des Parlaments in standen die Lehrer nicht nur unter dem Kuratel des Be- Österreich (1933) wurden alle LehrerInnen des Bezirks zirksschulinspektors (heute: Pflichtschulinspektor). Es neu vereidigt. Dies geschah für St. Georgen in der Ge- existierte auch ein eigener Ortsschulrat mit einem ei- meindekanzlei in Obernberg. Auch 1933 kämpfte St. genen Ortsschulinspektor. Im Ortsschulrat waren meist Georgen gegen die Einklassigkeit. Sie wurde für dieses wohlhabende Landwirte, der Pfarrer und der Bürgermei- Schuljahr „[…] bewilligt, unter der Voraussetzung, daß ster vertreten. Neben der Kontrollfunktion hatte diese die Zahl der Schüler mindestens 70 beträgt.“7 1934, Einrichtung auch eine Fürsorgefunktion. So spendete nach dem Bürgerkrieg, hatten alle Lehrkräfte der Va- der Ortsschullinspektor Schneebauer 1924 340.000 terländischen Front beizutreten und ein entsprechendes Kronen für die Schule. Wie wenig man mit so viel Geld Abzeichen zu tragen. Die Lehrer konnten sich dagegen in Zeiten der galoppierenden Inflationszeit erreichen nicht wehren. Ein freudiges Bekenntnis zum „neuen konnte, zeigt die Tatsache, dass mit dem Geld Kruzifixe vaterländischen Staat“ ließ sich so natürlich nicht er- in den Klassenräumen angekauft wurden. Mehr nicht. zwingen. 1933 wurde in Österreich auch eine Volks- Nur wenige Jahre zuvor hätte man damit hunderte neu- zählung abgehalten. Sie ergab für St. Georgen: „830 er Glocken bezahlen können! Im Rahmen eines kleinen im Ort dauernd wohnhafte Personen, 103 Häuser und Festaktes wurden die Kreuze dann vom Vorsitzenden 123 Haushaltungen.“8 Auch Nutztiere wurden diesmal des Ortsschulrates Karl Wiesbauer befestigt. Was in der penibel gezählt. So hat St. Georgen 277 Pferde, 1331 Gegenwart wieder sehr en vogue ist – die Haltung von Rinder, 4671 Schweine und auch 7659 Hühner… Bienenvölkern – war für die Lehrerschaft in den dama- ligen schlechten Zeiten eine wichtige Nahrungsquelle. 1928 wurde in St. Georgen das Kriegerdenkmal einge- Von den Nahrungsmitteln war Zucker eines der teuer- weiht – die Festrede hielt Pfarrer Spanlang, der sich be- sten, was zur Folge hatte, dass auch der Schulleiter Stei- reits zu diesem Zeitpunkt sehr für die Christlichsozialen ner zwei Bienenvölker sein eigen nannte. Im Schuljahr engagierte. Dieses Engagement sollte den St. Martiner hielt die Moderne Einzug in der Volksschule St. Geor- Pfarrer schließlich in der NS-Zeit das Leben kosten.9 gen: Es wurde eine Wasserleitung installiert, was auch dazu führte, dass die Toiletten mit Wasserspülung aus- 1929 wird Bürgermeister Alois Höllerl Ehrenbürger der gestattet werden konnten. Das Wasser wurde – wie die Gemeinde. Im Jahr darauf wird die Pfarrkirche gründ- Schulchronik stolz bemerkt – mit einer Pumpe „[…] lich renoviert – unter anderem wird eine „elektrische 10 die ein Elektromotor antreibt, in die Waschküche und Lichtanlage“ eingebaut. in die zwei Stockwerke gepumpt.“4 Und wie war Weih- nachten 1926? „Am 26. Dezember veranstalteten der Die beginnende Militarisierung der politischen Lager Lehrkörper im Saale des hiesigen Gasthauses eine kleine kommt auch nach Obernberg. Der Wimpel- und Fah- Christbaumfeier. Jedes Kind erhielt ein Geschenk und nenweihe von über hundert Heimwehrmännern am wurde mit Würsteln, Brot und Kracherln bewirtet. Die 2. Juni 1930 folgte die Eröffnung des St. Georgener Schießstandes dieser Heimwehrleute noch am gleichen Mittel dazu wurden durch Spenden der Gemeinde und 11 der Eltern aufgebracht.“5 Tag. Zumindest in St. Georgen marschierte die Heim- wehr gegen einen nicht existierenden Feind: Bei der Am 3. September 1928 besuchte Bundespräsident Ha- Nationalratswahl im November erhielten die Christ- lichsozialen im Ort 216 Stimmen, die Sozialdemokra- ten nur 9! Noch interessanter ist das Abschneiden einer neuen Partei – des Heimatblockes. Diese erst 1930 ent- standene Partei war der verlängerte politische Arm der Heimwehr. Erreichte sie österreichweit nur ca. 8% der Stimmen, so schafften sie in St. Georgen 164 Stimmen – oder 41% der Stimmen! Der große Heimwehrauf- marsch dieses Jahres muss auch unter dem Blickpunkt dieser politischen Einstellung gesehen werden. Auch in den Folgejahren war die Heimwehr (in der Selbstdarstellung meist „Heimatschutz“ genannt) öf- fentlich präsent. Bei Verabschiedungen oder Pensi- onsfeiern waren sie den Menschen so gegenwärtig wie heute der ARBÖ oder ÖAMTC. In St. Georgen war dieser Wehrverband dabei, als die Gedenktafel für die verstorbenen Bundeskanzler Seipel und Dollfuß einge- Auch der Ständestaat kannte die paramilitärische Erziehung. „Marschbereite“ weiht wurde, aber auch bei den Verabschiedungen ver- St. Georgener Kinder 1936 (Foto: SCR St. Georgen) dienter Gemeindemandatare oder Lehrer.12 Dass es sich 85 im Grunde um einen aggressiven bewaffneten Wehrver- der Schulchronik auffallend sachlich. Da ist nicht die band handelte, blendeten viele Menschen aus. Das war Rede vom „Heldenkanzler“ wie in den meisten ande- im Grenzland menschlich auch durchaus verständlich ren Volksschulchroniken unserer Gegend. Nur eine – vom „Klassenfeind“ dem Schutzbund (Wehrverband Gedenkfeier wurde abgehalten, bei der der Bezirksfüh- der SPÖ nahestehend) war in St. Georgen nichts zu rer der VF, der Lehrer Obergottsberger aus Obernberg, sehen. Es wäre nun aber ganz falsch, in unserem Ort sprach. Entweder war der Schulleiter kein Anhänger dieser Tage eine „schwarze“ Einheitsfront – hier Pfarrer, der Vaterländischen Front oder er hielt sich politisch Gemeinde, Bauern und Heimwehr und auf der ande- klug zurück. Lehrer- und Leiterwechsel an der Schule ren Seite die „Roten“ oder später die Nationalsozialisten in St. Georgen: Sowohl der Leiter der Schule Robert zu konstruieren. Oft liefen die Fronten quer durch die Steiner (Pensionierung) als auch die Lehrerin Caroli- konservative Wertegemeinschaft. So wurde dem Pfar- na Pristinger verliessen die Schule. Steiner wird wenig rer die Ehrenbürgerschaft nach 25-jähriger Pfarrleitung später Ehrenbürger von St. Georgen. Damit war Platz trotz eines entsprechenden Antrags des Bürgermeisters für Neues. „Am 10. Feber 1935 traf der neuernannte nicht gewährt. Offenbar hatte sich der Pfarrer etwas zu Oberlehrer Hermann Edtbauer um 12.30 Uhr von intensiv für die Rechte der Landarbeiter eingesetzt; was Ried kommend ein.“16 So vermerkt es die Chronik, die einigen der begüterteren Bauern nicht recht gefiel.13 nun bereits die Handschrift des neuen Leiters hat. Her- Erbittert schreibt Pfarrer Josef Baumgartner in der mann Edtbauer, aus Molln stammend, wird die Volks- Pfarrchronik: „Bemerkenswert ist, daß die Erreger der schule dreißig Jahre leiten und sie prägen, wie kein an- Verärgerung keine Kommunisten oder Nationalsozia- derer Leiter das vor oder nach ihm getan hat. Wohin listen waren, sondern (…) ehemalige Christlichsoziale, die Reise ging, sah man bereits zwei Monate später. Da die entschiedenen Mitkämpfer des Pfarrers bei den vie- lud die Schule zu „einem Nachmittag mit Volksmusik“. len Nationalrats- und Landtagswahlen.“14 Ob sich der Viele weitere Konzerte sollten folgen. Ebenfalls neu: Pfarrer außerhalb der Pfarrchronik – die Brandrede füllt Schülerarbeiten wurden ausgestellt. Der neue Leiter öff- etliche Seiten - auch so deutlich geäußert hat, mag be- nete die Schule ein Stück weit für die Öffentlichkeit. zweifelt werden. Bei der Wahl der Zechpröbste, bei der Das brachte auch Geld in die Schulkasse, das wiederum Renovierung des Hochaltars 1937, etc. war er dringend etwa in eine Ausflugsfahrt mit dem Autobus reinvestiert auf die Spenden der finanzstarken St. Georgener Bauern wurde. Edtbauer fuhr mit den Kindern oft in Richtung angewiesen. In den Folgejahren werden die Einträge Salzkammergut und in die Berge. in der Pfarrchronik immer knapper – was wohl auch der Krankheit Baumgartners (er starb 1941) geschuldet 150 Jahre Pfarre St. Georgen werden 1935 gefeiert. Im war. selben Jahr sind die Schüler auf dem Rieder Volksfest zu finden. Es wurde dort damals gemeinsam mit vie- Abseits dieser Ereignisse machte 1934 die „Kaindlbäu- len anderen Schülern ein „Erntefest“ abgehalten, das in rin“ Marie Priewasser in ganz Österreich Schlagzeilen. der Ständezeit recht aufwändig begangen wurde. Aus Sie gab an, ihr seien zwei Prinzessinnen erschienen, die dieser Zeit stammen die ersten erhaltenen Fotos von sie aus dem Haus begleiteten. Im Stadl eines Verwand- SchülerInnen und den Lehrkräften der Volksschule St. ten verbrachte sie dann die nächsten 25 Tage – ohne Georgen. Die Kinder sangen in Beisein des Landes- Nahrung und ohne sich irgendjemand zu erkennen zu hauptmanns Gleißner mehrere Lieder. Bei diesem Kon- geben. Kurz vor ihrem Hungertod wurde sie doch noch zert war auch der Rundfunk anwesend. Der Gesang entdeckt. Die Bäuerin, die bei ihrer Auffindung völlig der jungen St. Georgener wurde somit eine der ersten klar war, wurde wieder gesund gepflegt.15 Radioübertragungen aus dem Innviertel! Auch jährliche Weihnachtsaufführungen einer kleinen Theatergruppe Den Juliputsch der Nationalsozialisten (Ermordung des wurden üblich. Penibel vermerkt Edtbauer die Einnah- Bundeskanzlers Dollfuß) erwähnt Direktor Steiner in men und Ausgaben in der Chronik. 251 Schilling und 88 Groschen wurden 1935 eingenommen. In den Ferien 1936 wurde die Schule endlich vollstän- dig elektrifiziert. Die Weihnachtsspiele wurden im- mer aufwändiger: 1936 mit einem Vierakter, inklu- sive voller Kostümierung und Kulisse. Aber es geht auch weniger friedlich: „Vormilitärische Jugender- ziehung“ stand 1937 auf dem Programm der Schu- le. Die Schulchronik spricht von „marschbereiten“ Jugendlichen. Die meisten der damals mit den Ski- ern stramm stehenden Kinder wurden einige Jahre darauf allerdings wirklich mit der entsetzlichen Rea- lität eines Krieges konfrontiert. 1937 gibt es neue WC Anlagen. Die Schulchronik vermerkt ein „ge- ruchsloses Schulhaus“. Das Gausängerfest im Juli 1937 und die Weihnachtsfeier im selben Jahr waren 1935: Der junge Edtbauer und seine Schüler auf dem Weg zum Rieder Volksfest die letzten freudigen Ereignisse vor dem Einmarsch (Foto: SCR St. Georgen) 86 Großgemeinde Obernberg schaffen, scheiterte aber letztlich am Widerstand der Bevölkerung. Sehr gut ist aber möglich, dass das Zugeständnis einer eigenstän- digen Gemeinde mit einer NSDAP Quote“ verknüpft wurde – das würde die auffallend vielen Eintritte erst im Jahre 1940 erklären. Eher noch aber haben politi- sche und persönliche Naheverhältnisse geholfen, die Ei- genständigkeit des Ortes (anders als bei Kirchdorf und Mühlheim, die in der gleichen Zeit zur Großgemeinde Geinberg kamen) zu gewährleisten. Mit der Zugehörigkeit zu Hitler-Deutschland änderte sich in der Schule in St. Georgen doch einiges. Die Sam- meltätigkeit der Schulkinder wurde intensiviert. Beina- he monatlich wurde irgendetwas anderes gesammelt: Papier, Geld für die Winterhilfe oder: Eicheln. 682 Kilo davon lieferte die Schule 1939 an das Geinberger La- gerhaus ab. Noch im selben Jahr wurde in Nonsbach ein Steinbeil gefunden. Das Lochbeil stammte aus der Jungsteinzeit. Der Fund war nicht der erste und wird nicht der letzte bleiben. Durch die Menge der Funde kann man annehmen, dass es eine direkte Besiedlung St. Georgens bereits im Neolithikum gab. Da der Weg nach Deutschland jetzt frei war, gingen die nächsten Wandertage der Schule nach Burghausen und an den Königsee. Mit dem Krieg kamen auch die Flüchtlings- kinder: 42 Kinder aus Karlsruhe kamen 1939 nach St. Georgen. Auch wurde die Schulpflicht nun auf 8 Jahre verlängert. In den noch kalten Wintern konnte man wunderbar Schifahren – und wenn mal doch kein Schulausflug 1940: in Passau (Foto: SCR St. Georgen) Schnee war, dann fuhren die St. Georgener Kinder mit Hermann Edtbauer in ein Schigebiet – in den Hausruck- wald. Das war damals kein Problem. Nachdem Edtbau- deutscher Truppen im März 1938. Wie überall existiert er 1940 eingezogen wurde, konnte die Schule nur mehr auch dieser Teil der Schulchronik in St. Georgen nicht einklassig geführt werden. Als Lehrkraft fungierte Franz mehr. Auch der Ortsschulrat wurde nach 1938 neu zu- Kogler, assistiert von der Handarbeitslehrerin Käthe sammengesetzt. Es ist spannend, die im Nachhinein oft Wimmer. Danach folgten häufige kriegsbedingte Leh- konstruierten Einträge für die Jahre 1938-1945 zu le- rerwechsel und Mitlöhner Mathilde aus der Volksschule sen. „An Stelle des bisherigen Schulgebetes wurde ein Obernberg übernahm die Leitung in St. Georgen. allgemeiner Spruch eingeführt.“ Ja: Der Spruch war „Heil Hitler!“ Das wollte oder konnte der übervorsich- Wegen des Lehrermangels ging man aber wieder auf die tige Hermann Edtbauer, der selbst überzeugtes NS- Einklassigkeit zurück. Im Winter 1941 hatten die Kin- DAP Mitglied war und nach dem Krieg die Chronik der im Jänner wegen heftigen Schneetreibens schulfrei. führte, an dieser Stelle nicht schreiben. Für politische Die damaligen Holzöfen waren brandgefährlich: Nach Kontinuität sorgte, dass der Bürgermeister (Alois Höl- den Weihnachtsferien 1942 wurde eine Klasse vorge- lerl) anders als in den meisten Nachbargemeinden nicht heizt. Während der Nacht fing das Holz neben dem von den Nazis abgesetzt wurde. Er überstand politisch Ofen Feuer und der Klassenraum brannte völlig aus. auch den Einmarsch der Amerikaner – eine Seltenheit Der Ernst der Kriegslage wurde bei uns am Land durch in ganz Oberösterreich. die immer häufigeren und zahlreichen Flüchtlingstrecks deutlich. Das Bestreben der neuen Machthaber, im kleinräumi- gen Österreich neue, größere Strukturen zu schaffen, Der Krieg führte dazu, dass die Glocken wieder herun- traf auch St. Georgen. Obwohl der Ort in den 30er ter mussten. Es waren jene Bronzeglocken, die erst 1921 Jahren mit über 800 Einwohnern noch um ein Drit- mit dem Spendengeld der St. Georgener angeschafft tel größer war als heute mit 550 Bewohnern.17 Ob es worden waren, nachdem im Ersten Weltkrieg die alten tatsächlich so war das „[…] die Tatsache, daß das Dorf Glocken ja ebenfalls abgeliefert werden mussten. We- 1938 aber nur eine Handvoll illegaler Nationalsoziali- niger bekannt ist, dass 1943 auch das Kupferdach zu sten verzeichnen konnte, genützt wurde, um die Ein- Kriegszwecken abgedeckt und durch billiges Weißblech gemeindung St. Georgens (…) zu ermöglichen.“18, darf ersetzt wurde (das 19man dann in einer Alibiaktion rot bezweifelt werden. Die Gauleitung wollte wirklich eine anstrich!).

87 Ende 1944 trafen die ersten jugoslawischen Flüchtlinge über die Muttertagsfeiern, die er 1948 und das folgen- in St. Georgen ein. Zu Beginn des Jahres 1945 waren de Jahr abhielt und das Bezirksjugendsingen wieder auf. auch viele deutsche Familien (aus Schlesien) auf der Auch die Weihnachtsfeiern wurden rasch wieder profes- Flucht ins Innviertel. Auch der Luftschutz wurde nun sionalisiert. Einladungen und Plakate werden so kurz ein Thema. Bei Fliegeralarm mussten die Kinder die nach dem Krieg nicht selber zusammengeschustert – Wirtskeller Moser bzw. den Maierkeller beim Wirtshaus nein, es druckte der Rieder Landesverlag! Die weitesten Schachinger aufsuchen. Am 2. Mai trafen amerikani- Wandertage dieser Jahre führten nach Hallein (Besich- sche Truppen in St. Georgen ein. tigung des Salzbergwerkes). Kurios: Wildschweine gab es – anders als heute – in der Inngegend kaum. Das Die Einnahme des Ortes ging nicht ganz ohne Gewalt Auftauchen einer solchen hatte einen langen Eintrag in ab, so fanden noch 2 Soldaten den Tod, etliche andere der Schulchronik zur Folge. Andere Einträge sind ern- wurden von den Siegern entwaffnet. Die Pfarrchronik ster: Ein Bauernsohn aus Hub kehrt nach fünfjähriger berichtet: „Obernberg wurde ohne Widerstand genom- Kriegsgefangenschaft heim. Nur um zu sehen, dass seine men und ein Teil der Fußtruppen schlug gleich die Mutter schwer erkrankt, beide Brüder im Krieg gefallen Richtung St. Georgen (ein). Ungefähr um ½ 9 h abends und sein Vater ebenfalls während seiner Abwesenheit – um 8h flehten wir in einer gekürzten Maiandacht die verstorben war. Wenn man das liest, kann man ermes- Gottesmutter um ihren Schutz an – erreichten die er- sen, wie dankbar die Menschen für Weihnachtsfeiern, sten Amerikaner St. Georgen. Mit heftigem Schießen Faschingsumzüge oder einen Kinobesuch gewesen sein waren sie in den Ort eingezogen. Einige Soldaten, die müssen. Alles, was ein wenig Ablenkung versprach, hier stationiert waren, wurden sofort entwaffnet und wird damals gierig aufgesogen. Auch die Kirche war in abgeführt. Die Zivilbevölkerung blieb vollständig un- den ersten Nachkriegsjahren gut gefüllt, die Spenden an behelligt, auch kein einziges Haus wurde beschädigt. die Kirche machten die Kirchenrenovierung sowie die […] Zwei gefallene deutsche Soldaten.“20 Die beiden Sanierung des Friedhofs 1947/48 möglich.23 deutschen Soldaten fielen in der Nähe der Röfl-Kapelle und wurden auf dem Friedhof beigesetzt.21 Die Schulkinder wurden immer wieder zum Kartof- felkäfersammeln eingesetzt. Dieser damals besonders Am nächsten Tag inspizierten die US-Truppen auch aktive Schädling wurde in unseren Breiten nicht wie die – nun geschlossene – Schule. Der 2. Mai war der anderswo mit dem giftigen Arsen verfolgt (gottseid- letzte Schultag, die Schule öffnete erst wieder am 17. ank), sondern mit der Hand eingesammelt. Unter dem September. Auf Weisung des Bezirksschulrates mussten Slogan „Sei ein Kämpfer, sei kein Schläfer, acht’ auf den dann auch die Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Kartoffelkäfer!“ wurden die Kinder aller Volksschulen Ein Banater Student, Mathias Bolleber, agierte als Aus- in der Umgebung dazu eingeteilt. 1950 besuchten 61 hilfslehrer. Aus dem zerstörten und hungernden Wien Kinder die Volksschule. Der Unterricht wurde von 2 kamen im Sommer 1945 Kinder zur Erholung nach Lehrern erteilt. 1950 wurde das neue Gemeindeamt St. Georgen. Im März 1946 kehrte Hermann Edtbau- von St. Georgen eingeweiht. Edtbauer und die Leh- er aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück. An rerin Seifriedsberger gestalteten eine ehrgeizige Hei- einen Einsatz Edtbauers als Lehrer war wegen seiner matkundeausstellung dazu. Edtbauer malte Zeit seines NS-Vergangenheit ein weiteres Jahr nicht zu denken. Lebens auch – und zeigte diese Öl- und Aquarellbil- Edtbauer hatte sich noch im Jahr des der bei dieser Ausstellung erstmals Einmarsches um die Parteimitglied- einer breiteren Öffentlichkeit. Mit schaft der NSDAP bemüht. Ähnlich der Gesangs- und Volkstanzgruppe wie vielen Lehrern, die vorher auch Hofing trat Edtbauer in Eisenstadt bei der Vaterländischen Front agiert auf. Als neu in der Gemeinde akti- hatten, wurde ihm diese erst nach ei- ver Verein kam in den 50er Jahren ner Probezeit gewährt. Von November der Kriegsopferverband (KOV) 1939 bis Kriegsende war er dann bei dazu. Mehrmals veranstalteten die der NSDAP, er war als Zellenleiter Kinder Obstsammlungen zugunsten auch in offizieller Funktion.22 Edtbau- des KOV. Folgerichtig erhielt St. er hatte sich nach dem Krieg als für die Georgen 1951 auch ein neues Krie- kulturelle Erneuerung der jungen Re- gerdenkmal. Nach neuen Glocken publik sehr eingesetzt, seine NS-Zuge- 1948 bekam St. Georgen 1951 auch hörigkeit war ihm auch deswegen hin- eine neue Orgel. Als „Glockenpa- derlich und peinlich. Die Lehrer der tinnen“ (tatsächlich nur Frauen) der Volksschule wechselten bis 1947 in vier neuen Glocken traten bekann- schneller Folge. 1948 wurde Hermann te und wohlhabende St. Georgener Edtbauer wieder Leiter der Volksschu- Frauen auf. Die Glocken wogen le. Im selben Jahr wurden die Gloc- zwischen 263 kg-1248 kg.24 ken, die nach dem Krieg abzuliefern waren, wieder ersetzt. Kulturell baute Gewissenhaft hielt Pfarrer Hofstät- Edtbauer die Qualität seiner Schule Glockenweihe 1948 (Foto: SCR St. Georgen) ter die jeweiligen Wahlergebnisse

88 beiteten die St. Georgener beim Obernber- ge 1000 Jahrjubiläum führend mit. Und so läuft das kulturelle Leben in der Gemeinde fast immer über Hermann Edtbauer. 1955 ist St. Georgen bei der ersten „Wien-Woche“ dabei. Die meisten Schulen Oberösterreichs zögerten damals noch, in das ferne und eben noch besetzt gewesene Wien zu fah- ren. Nicht die St. Georgener. Mit 41 Kin- dern fuhr Edtbauer 8 Tage nach Wien. In der Schülergruppe waren klingende Namen vertreten: Demmelbauer Hermann etwa oder Fill Alois. Weit über 20 Punkte umfas- ste das umfangreiche Besuchsprogramm – kaum ein Museum wurde ausgelassen. 1956 war der Obernberger Chor in Deutschland unterwegs, im selben Jahr wurde die Schu- Edtbauer wusste immer um eine gute Inszenierung - auch auf Fotos ist er immer perfekt in Szene gesetzt. (Foto: SCR St. Georgen) le generalsaniert. Um Weiterbildung am Land auch nach der Schulpflicht realisieren fest. So erfahren wir etwa, dass es in St. Georgen 1949 zu können, kommt 1956 auch das Volksbildungswerk zwar 295 ÖVP Anhänger, aber nur 33 Sozialisten und nach St. Georgen. Die Vorträge (oft Diavorträge mit gar nur einen Kommunisten gab.25 Reiseberichten) zogen Besucher aus den umliegenden Gemeinden an. Immer wieder kamen auch Lehrer aus An einem Stück Zeitgeschichte durfte die Jungbauern- Deutschland, um sich in St. Georgen Volksschulunter- zeche Hofing 1952 teilhaben. Als die Pummerin 1952 richt anzusehen. Edtbauers Kontakte, die er auf seinen von Oberösterreich nach Wien überstellt wurde, nah- vielen Reisen zudem ständig erweiterte, waren hier hilf- men die St. Georgener daran teil. Das brachte Lehrer reich. 1957 kam sogar eine russische Lehrerdelegation Edtbauer in engen Kontakt mit dem Landeshauptmann nach St. Georgen. Mit der Jahrhundertfeier 1958 stand Gleißner. Dieser verspricht in einer schriftlichen Dan- die Schule wieder einmal im Zentrum des Gemeinde- kesrede, dass „(…) ich die Jungbauernzeche bei näch- lebens. Aus diesem Anlass wurde von der Raiffeisen- ster Gelegenheit wieder gerne heranziehen werde.“26 So kassa eine neue mit herrlichem Einband verzierte gro- nahm nun die Jungbauernzeche öfters am Linzer Bruck- ße Schulchronik gestiftet. Die Eckpfeiler des sozialen nerfest teil. Auftritte in Kärnten oder Radioaufnahmen Lebens, die hier beschrieben wurden, blieben auch in folgten die nächsten Jahre. Die 1000 Jahr Feier von St. den nächsten Jahrzehnten gleich: Die Schule als nicht Georgen 1953 brachte wieder den Bischofskoadjutor wegzudenkender Motor der Kultur in unserer Region. Zauner nach St. Georgen. 1954 (die Obernberger sind Mittendrinnen immer Hermann Edtbauer, meist mit hier die Vorbilder) gab es den ersten eigenen St. Geor- seinem charakteristischen weißen Mantel, der das Ge- gener Kinderfasching. Wieder wurde in St. Georgen ein schehen geschäftig lenkt. Er hat das kulturelle Gesche- Steinbeil gefunden. Diesmal in einem Grab auf dem hen in St. Georgen lange federführend bestimmt, mit Friedhof. Auch durch seine guten persönlichen Verbin- Unterricht, der auch in anderen Teilen Oberösterreichs dungen gelang Edtbauer der Schritt in die Lehrerfort- beachtet wurde. Er war der kundige „Professor“ – ein bildung. In den 50er Jahren referierte er in Vöcklabruck, Titel der Edtbauer, der nicht frei von Eitelkeiten war, mit den Jahren immer wieder auch in der Rieder Be- durchaus behagte. Der „Konsulent“ und „Schuimoasta“ zirkslehrerfortbildung. Das Hochwasser 1954 traf auch hatte aber auch seine anderen Seiten. Das kulturelle Le- St. Georgen sehr hart. Der Postautobus von Ried nach ben der kleinen Gemeinde St. Georgen bestimmte er als Obernberg blieb in St. Georgen stecken und versank im Zellenleiter und damit ranghöchstes NSDAP Mitglied Wasser, etliche Brücken werden weggerissen. 1955 ar- vor Ort auch in der NS Zeit deutlich mit. Und wie sich viele seiner Schü- ler erinnern, hatte er eine kurzen Ge- duldsfaden – die bekannte „gsunde Watschn“ war ihm als Unterrichts- mittel durchaus vertraut, ebenso das Eisenlineal als Disziplinierungs- mittel. Auch kul- Land unter - 1954 beim Hochwassser in St. Georgen (Foto: SCR St.Georgen) turelle Aktivitäten,

89 die nicht die Billigung des Professors fanden, hatten in großen Nachbarort Obernberg. Interessant auch, dass Obernberg lange einen schweren Stand. Auf der ande- sich nur wenige Frauen aus St. Georgen für eine NS- ren Seite haben viele seiner Schüler vom Wissen und Mitgliedschaft interessierten. Bei 8 Frauen aus einer dem Charisma dieses umfassend gebildeten Pädagogen Bevölkerungsmarge von 400 Menschen kann man nur sehr profitiert. Er hat mehrere Bücher geschrieben, 60 von einem Randphänomen sprechen, das die NSDAP Jahre die Erste Bauernliedtafel geleitet, den Kirchenchor für die St. Georgener Frauen offenbar war. Dazu passt, sogar 64 Jahre. Die Quintessenz seines Schaffens war si- dass das politische Entnazifizierungsgremium 1946 cherlich sein Buch „Das Gesicht eines Dorfes“, ein auch befindet, dass der vor der Zusammenlegung der Orts- heute noch gut zu lesendes, spannendes Geschichtsbuch gruppen Obernberg und St. Georgen 1938 kurzfristig über das kleine Dorf am Inn, in dem er die längste Zeit als Ortsgruppenleiter agierende Johann Trenkner, sich seines Lebens gewirkt hatte. Wie in einem Brennglas „Innerlich über Anschluss enttäuscht, (…) von der Par- verwob er mit dem Buch sein persönliches Schaffen mit tei abgewandt“ hat.32 Dass Bürgermeister Alois Höllerl der Geschichte von St. Georgen im 20. Jahrhundert. 1945 sein Bürgermeisteramt behalten konnte, in einer 2012 ist Hermann Edtbauer, der den Ort seit 1935 be- Zeit, wo die Bekleidung eines solchen Amtes während gleitet hatte, im 102. Lebensjahr verstorben.27 der NS Zeit nachher beinahe automatisch eine Haft in Glasenbach nach sich zog – auch das zeigt, wie wenig Nationalsozialisten in St. Georgen sich die NS-Ideologie in St. Georgen verfestigen konn- te. Eichsteininger Hannes In der St. Georgener Chronik von 1990 lesen wir, dass es in St. Georgen nur eine „Handvoll Nationalsoziali- 1 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 106 sten“ gab.28 Diese Edtbauer Erinnerung hat schon seine 2 Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 109 3 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung. Alle Berechtigung, da beinahe 40% der nach den Registrie- nachfolgenden direkten Zitate sind, sofern nicht anders angegeben, aus dieser rungsblättern aufscheinenden 43 Parteimitgliedern des Chronik. Ortes erst im Jahr 1940 der Partei beitraten. Häufig 4 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung. Alle nachfolgenden direkten Zitate sind, sofern nicht anders angegeben, aus dieser waren diese Personen vorher ein Jahr Parteianwärter. Chronik. Gut möglich, dass dieser Zuwachs auf einen Besuch des 5 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung, Jahr Gauleiters Eigruber in St. Georgen Ende 1938 zurück- 1926 6 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 140 zuführen war. Eigruber übte damals heftigen Druck auf 7 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung, Jahr St. Georgen und Obernberg aus, um die beiden Ge- 1933 meinden politisch zu vereinen. „Die Meinung eines 8 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung, Jahr 1933 einzelnen Volksgenossen, der sich vielleicht von seinem 9 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 140 Ortspatriotismus noch nicht trennen will, ist hier nicht 10 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 149 entscheidend.“29, gab Eigruber an die Adresse der St. 11 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 149 12 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 168 Georgener bei einer Rede in Obernberg im November 13 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 169 Die 1938 kund. Was folgte, dürfte im Ort eine Mischung Pfarrchronik schildert – wenig überraschend – nur die Sicht des in der Sache tief aus zivilem Widerstand und Nachgeben gewesen sein. verletzten Pfarrers Baumgartner. Anm. des Verfassers 14 Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 170 Die Gemeinden wurden nicht zusammengelegt, dafür 15 Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftliche Einträge und etliche nicht stieg der Druck auf die Bevölkerung, mehr Menschen zuordenbare Zeitungsartikel zu dem Vorfall, Bd. bis 1961 S. 149 zur NSDAP zu bringen. Über diesen Druck kamen 16 Schulchronik St. Georgen bei Obernberg, Band 1, ohne Seitenkennung, Jahr dann auch Personen in die NSDAP, die vom Typus her 1935 17 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/St._Georgen_bei_Obernberg_am_Inn, eher als „Mitläufer“ denn als überzeugte Nationalsozia- abgerufen am 17.01.2018 listen zu bezeichnen waren. Hochrangige NSDAP Mit- 18 Edtbauer, Hermann: St. Georgen bei Obernberg – das Gesicht eines Dorfes, glieder hatte Obernberg wenige. Edtbauer Hermann 1990, S.116 19 Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 168 und Wintersteiger Johann waren Zellenleiter. Nur dem 20 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 185 letzteren wurde von der Entnazifizierungskommissi- 21 Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 185 on der Gemeinde 1946 bescheinigt, ein „fanatischer 22 Vgl. Akten zur Entnazifizierung OÖLAV: Registrierungsblatt zur Entnazifi- 30 zierung: Edtbauer Hermann Nationalsozialist“ gewesen zu sein. Ihren Schulmei- 23 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 190 a-f ster behandelt der politische Ausschuss der Gemeinde 24 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961, gedruckte milde: „Funktion übernommen zur Existenzsicherung, Beilage „Unsere neuen Glocken“ 25 Vgl. Pfarrchronik von St. Georgen, handschriftlich, Bd. bis 1961 S. 211 war Maßvoll (sic!) und gerecht in Ausübung seiner 26 Dankesbrief Gleißners, zit. Schulchronik St. Georgen, 2. Band, ohne Sei- 31 Funktion.“ Verglichen mit der NSDAP Quote von tenkennung Obernberg, waren tatsächlich recht wenige St. George- 27 http://www.nachrichten.at/oberoesterreich/nachrufe/Hermann-Edtbauer- bdquo-Ih-bi-von-St-Irgn-ldquo;art86198,1034201, abgerufen am 17.01.2018 ner bei „der Partei“. Die vielen Krämer, Gemeindebe- 28 Edtbauer, Hermann: St. Georgen bei Obernberg – das Gesicht eines Dorfes, dienstete und Angestellte, und Gewerbetreibende, die 1990, S.116 sonst das typische Ressourcen-Klientel für die NSDAP 29 Innviertler Heimatblatt, 24. November 1938, S.8 30 OÖLAV, Schachtel 78: Registrierung der Nationalsozialisten in St. Georgen darstellten, fehlte hier ja auch fast völlig. Und auch wenn bei Obernberg, Wintersteiger Johann einzelnen Landwirten bescheinigt wird, „fanatisch“ ge- 31 OÖLAV, Schachtel 78: Registrierung der Nationalsozialisten in St. Georgen wesen zu sein, so bekommt man beim Aktenstudium bei Obernberg, Edtbauer Hermann 32 OÖLAV, Schachtel 78: Registrierung der Nationalsozialisten in St. Georgen doch den Eindruck, dass in St. Georgen das NS-Ge- bei Obernberg, Trenker Johann dankengut viel weniger Fuß fassen konnte als etwa im

90 Das „Vogelparadies“ am Innstausee Obernberg

in Grund für die wechselnde Anzahl der im Jah- Gab es am Inn früher auch so viele Vögel wie jetzt? Ereslauf anwesenden Vögel sind die Veränderungen, Diese Frage wird Vogelkundlern im Innviertel im- die der untere Inn in den letzten 150 Jahren über sich mer wieder gestellt. Die Antwort, dass es ergehen lassen musste. mit Sicherheit schon einmal viel weniger waren, wird genauso wenig befriedigen Der Inn im Lauf der letzten 200 Jahre wie die Antwort, dass es schon einmal viel, Wie der Inn vor der großen Regulierung in der zwei- wirklich viel mehr waren. Und doch stim- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgesehen hat, ist grob men beide Antworten! und aus der Distanz betrachtet von nicht wenigen un- terschiedlichen Bildern und Karten her bekannt. Weil begann, sich einzutiefen. Die Flusssohle senkte sich der Inn aber aus eigener Kraft durch seine gewaltigen bedrohlich und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hochwasserereignisse immer wieder sein Bild verändert begann man sich Sorgen und Gedanken zu machen und hat, war keine der Karten lange gültig. Im breiten Über- befürchtete Sohldurchbrüche mit schwerwiegenden schwemmungsbereich suchte sich der schäumende Al- Folgen für das Grundwasser im Umland. penfluss nach jedem Hochwasser ein neues Hauptbett, warf neue Inseln auf und gab dann wieder einige Zeit Im Zweiten Weltkrieg wurde Elektrizität dringend be- Ruhe. Wie es im Tal des Inn im Detail ausgesehen hat, nötigt, um die Kriegsmaschinerie am Laufen halten zu wird nicht so genau berichtet. Viele Biologen würden können. So versuchte man im sprichwörtlichen Sinn viel dafür geben, einmal einige Zeit im Gebiet des unre- zwei Fliegen mit einem Schlag zu erwischen und plante gulierten Inn herumstreifen und forschen zu können. vorerst einmal zwei Kraftwerke: das Kraftwerk Ering/ Frauenstein und das Kraftwerk Obernberg/Egglfing. Der Fischreichtum war auf jeden Fall legendär. Riesige Der Stausee Ering wurde 1942 und der Innstau Obern- Huchenteller zum Fang dieses großen Lachsfisches sind berg 1944 geflutet. beispielsweise in Museen und Heimathäusern entlang des Inn zu bestaunen. Auch über Pflanzen des „Ur-Inn“ Nicht einmal 100 Jahre nach der Kanalisierung des Inn ist einiges bekannt, weil in den Klöstern – damals waren war der in früheren Zeiten als unzähmbar eingeschätz- es noch deutlich mehr als heute – immer schon Kräu- te Inn ein zweites Mal einer brutalen Veränderung un- terkunde gelehrt wurde. Deutlich weniger weiß man terworfen worden. Große, breite und auch recht tiefe über die Vogelwelt. Aber eines kann man mit Sicherheit Stauseen waren entstanden. Mit großen Einschränkun- sagen: Die Artenzusammensetzung war eine andere als gen, aber auch neuen Chancen für die Tiere im Fluss. heute. Während jetzt die Arten der stehenden Gewässer Die Fische hatten plötzlich – zumindest für einige Jahre die häufigeren sind, müssen damals Vögel der Fließge- – mehr Platz und Wasser. Aber sie konnten die Dämme wässer dominiert haben. Der Triel ist einer der Vögel, nicht mehr überwinden und am Innstausee Obernberg die früher sicher hier lebten. Allerdings hat er mit den – auf diesen Stausee wollen wir uns bei den weiteren Regulierungen vor etwa 150 Jahren seinen Lebens- und Überlegungen beschränken – war als einziger Zulauf Brutraum verloren. Und in den Auwäldern flog und die Altheimer Ache geblieben und auch in diesem Zu- sang wohl vieles, was Vogelkennern von heute Tränen bringer versperrte ein Wehr schon etwa einen Kilome- der Freude und Rührung in die Augen drücken würde. ter flussaufwärts den Weg für laichbereite Fische. Die Bachlaicher unter den Fischen hatten keine Möglich- Mit der Regulierung des Inn zwischen der Salzachmün- keit mehr, in frühere Zuflüsse zu gelangen, um sich dort dung westlich von Braunau und der Einmündung des fortpflanzen zu können. Inn in Passau veränderte sich das vielarmige Flussbett nämlich enorm. Der jetzt nicht ganz 200m breite Inn Die Hochwässer brachten wie bisher große Mengen an war – man kann es so sagen – zu einem schnell strömen- Schwebstoffen, durch die urplötzlich gebremste Ge- den Kanal geworden. Diese Tatsache machte das Leben schwindigkeit im Stauraum lagerten sich große Men- für Tiere, die stehende Gewässer lieben, sowohl unter gen an Flusssand und Feinschlick im Stauraum ab und der Wasseroberfläche als auch darüber auf jeden Fall füllten ihn schon in den ersten Jahrzehnten weitgehend schwerer. Während sich die gute Nährstoffversorgung an. durch die Fäkaleinleitungen der Städte, Märkte und Schon in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre zeigte sich Dörfer nicht oder nur unwesentlich verändert hatte, eine erste Sandbank, aus der sich in weiterer Folge die war der Lebensraum Flusstal mit Auen und Altwässern „Vogelinsel“ entwickeln sollte. Aber sie befand sich da- weitgehend entwertet oder ganz verschwunden. Die mals noch fast einen Kilometer weiter westlich fast auf Zahl der Vögel muss im Zuge dieser Landschaftsverän- Höhe der Ortschaft Katzenbergleithen. derung dramatisch zurückgegangen sein. Der Schlick im Stausee war in den ersten Jahrzehnten Bald zeigte sich aber, dass manches nicht wirklich durch- Belebtschlamm im wahrsten Sinn des Wortes, weil dacht worden war. Schwierigkeiten ergaben sich durch die Fäkalabwässer der Bewohner an Inn und Salzach das schnelle Fließen der bedeutenden Wassermenge im ja nach wie vor weitgehend ungeklärt in den Inn und neugegrabenen und eingegrenzten Flussbett: Der Inn seine Zubringer eingeleitet wurden. Kleinkrebschen, 91 verschiedene Klein- und Großmuscheln, Schlammröh- führt. Dabei wird das gesamte Gebiet Mitte des Monats renwürmer, Insekten und deren Larven und viele wei- gezählt, idealerweise immer am Sonntag, der dem 15. des tere Kleinlebewesen nutzten unsere Haushaltsabwässer Monats am nächsten liegt. Es wird sehr genau darauf ge- und gediehen prächtig. Sie machten die oberste Schicht achtet, dass kein Zählabschnitt mehrmals gezählt wird. des Innschlamms zu einer gedeckten Tafel für Fische, Die bei diesen Zählungen gewonnenen Daten werden genauso aber für Wasservögel verschiedener Arten, be- in der Ornithologischen Datenbank Unterer Inn gespei- sonders aber für Tauchenten. Hier ist auch die im Ein- chert und stehen für Auswertungen wie die folgende zur gang gestellte Frage zu beantworten: Ja, es gab in den Verfügung. Anhand der jahrzehntelangen Datenreihen 1960er- und 1970er-Jahren viel mehr Wasservögel als kann man die Entwicklung vieler Vögel verfolgen, ob sie jetzt, gut 50 Jahre später. So viele, wie es vermutlich mehr werden oder ob die Bestandszahlen zurückgehen. auch am Ur-Inn nie gegeben hatte! Der Stausee war zu Durchgeführt werden diese Zählungen von ehrenamtli- Zugzeiten und im Winter voll von Enten und anderen chen Ornithologen sowohl aus Oberösterreich als auch Wasservögeln . Vor allem von den Tauchenten waren aus Bayern. Am Innstau Obernberg waren das seit 1968 gewaltige Mengen festzustellen. Auer Helmar, Billinger Karl, Brunninger Beate, Christl Walter, Denefleh Waltraud und Peter, Dorfer Johann, Warum gingen ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jah- Erlinger Georg, Goldschmitt Heinz, Hable Heinrich, re die Vogelbestände aber zurück? Bei manchen Arten Hellmannsberger Johann, Huber Kunigunde, Kahrer schlagartig um 90%? Josef, Kumpfmüller Hans, Pammer Leopold, Philipp Neben der Begradigung, die Tieren ganz allgemein we- Christa und Franz, Pilshofer Walter, Pointner Karlo, niger Lebensraum bietet, ist ein weiterer Grund in der Reichholf Josef, Reichholf-Riehm Helgard, Riedmann fast flächendeckenden Versorgung mit Kanal- und Klär- Hans-Albert, Samhaber Johanna und Hans, Segieth anlagenanschlüssen zu suchen. Der Kleintierwelt wur- Inge und Franz, Selbach Stephan, Stahlbauer Georg, den die gewohnte Nahrung (unsere Fäkalabfälle) entzo- Staudinger Franz, Stinglhammer Sebastian, Stockham- gen und so wurden die Kleinkrebschen, Kleinmuscheln mer Hertha, Stöckl Gottfried, Stöger Emma, Strasser weniger und logischerweise mussten die Tiere, die bisher Thomas, Weber Hans, Wiesinger Udo und Windsper- von den Schlammorganismen recht gut gelebt hatten, ger Wolfgang. zwangsläufig weniger werden oder in andere Gebiete ab- Darstellung der Veränderung der Vogelfauna anhand wandern, wie das die Vögel vorerst taten. Bei den Fischen einiger Beispiele war der Mangel an zur Verfügung stehender Nahrung noch deutlicher zu spüren. Die Angler klagten bald über Hier wird in tabellarischer Form anhand von einigen zurück gehende Fänge. Fische können nicht wegfliegen Arten gezeigt, wie stark sich die Bestände einiger ausge- und sie reagierten noch stärker als die Wasservögel auf wählter Arten im Zeitraum seit 2000 gegenüber einem das plötzlich sauberere und nährstoffärmere Wasser. Zeitraum vor gut 50 Jahren verändert haben: Es sind An dieser Stelle muss die Frage kommen, ob wir unsere die Zählergebnisse der Monate aufgezählt, in denen die Abwässer wieder ungeklärt einleiten sollen? Nein, das meisten Exemplare dieser Art im Innstauraum Obern- sollen wir natürlich nicht, aber es ist wichtig, dass das berg/Egglfing festgestellt werden konnten. Wissen um Gründe für das Zurückgehen der Vogelzah- Reiherente: len und vor allem der Fischzahlen mehr Leuten bewusst wird als bisher. Am Zurückgehen der Fischbestände sind Die stärksten Rückgänge gab es bei den Tauchenten wie Kormoran, Graureiher, Gänsesäger, und Eisvogel viel we- bei der in der obigen Tabelle angeführten Reiherente. niger Schuld als die geänderte Nährstoffsituation. Aber Die Zahlen sind bei dieser schwarz-weißen Tauchenten- auch der Verlust von Unterstands-, Laich- und Jungfi- schentwicklungsmöglichkeiten ist mit Schuld am Rück- Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt gang der Fischbstände. Die guten Nachrichten in ökolo- Okt.1969 4 634 März 2006 452 gischer Hinsicht müssen noch ein bisschen warten, aber Sept. 1969 4 608 März 2010 385 die Zeit wird buchstäblich reif dafür. Im letzten Abschnitt dieses Aufsatzes wird davon zu lesen sein. Noch sind wir Feb. 1974 4 534 Nov. 2011 276 aber bei Fakten, die weniger Freude aufkommen lassen. März 1973 4 036 Jan. 2011 270 Ein weiterer Grund für die Rückgänge sollte nämlich nicht unerwähnt bleiben: die Bestände vieler Wasser- vogelarten in ganz Europa gingen und gehen zurück, art mit dem kecken Schopf um über 90% zurückge- was auch daran liegt, dass wir Menschen immer mehr gangen. Noch viel schlimmer erwischt hat es aber die Platz, immer größere Flächen und auch die Gewässer Tafelente. nach unseren menschlichen Vorstellungen verändern Bei der Tafelente kommt zur Veränderung der Ernäh- und dadurch weniger Lebensraum für Wildtiere und rungssituation an unserem Stausee noch dazu, dass Vögel übrig bleibt. diese Entenart aus bisher noch nicht genau bekannten Die Wasservogelzählungen Gründen in ganz Europa dramatisch zurückgeht, was sich bei uns am Inn wie man oben sieht dramatisch ver- Seit 1968 werden am gesamten unteren Inn in großem stärkt. Aber auch bei der Schellente, bei der die Erpel Stil einmal im Monat Wasservogelzählungen durchge-

92 Blässhuhn: Maximalzahlen im Zeit- Maximalzahlen im Zeit- Auch beim Blässhuhn ist ein Rückgang festzustellen. raum 1968 - 1984 raum 2000 – 2017 In der Hagenauer Bucht war das Wasser die längste Zeit Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt im Jahr klar und Wasserpflanzen wuchsen üppiger als Okt.1969 11542 März 2006 132 Sept. 1969 5443 März 2010 121 Maximalzahlen im Zeit- Maximalzahlen im Zeit- raum 1968 - 1984 raum 2000 – 2017 Dez. 1972 5172 Feb. 2007 117 Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt Okt. 1968 4036 Jan. 2000 115 März 1971 1541 Dez. 2016 267 deutlich am weißen Wangenfleck von anderen Arten zu Okt. 1972 1150 März 2010 255 unterscheiden sind, gibt es die großen Bestandszahlen Feb. 1971 665 Dez. 2010 238 nicht mehr. Feb. 1973 491 Feb. 2011 231 Schellente:

Von der Schellente sind die meisten der bei uns anzu- im freien Inn, der fast das ganze Jahr über trübe ist. Die- treffenden Exemplare Wintergäste. Sie fressen wie die se Trübung behindert das Pflanzenwachstum und das Tafelenten und die Reiherenten Kleinmuscheln und an- Blässhuhn, das sich hauptsächlich von Wasserpflanzen Maximalzahlen im Zeit- Maximalzahlen im Zeit- ernährt, hält sich auch derzeit bevorzugt in klaren Alt- raum 1968 - 1984 raum 2000 – 2017 wässern oder wasserpflanzenreichen Baggerseen auf. Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt Einen Sonderfall stellt die Lachmöwe dar. Sie brüte- te seit den 1960er-Jahren in Kolonien am unteren Inn Feb. 1969 4 174 Jan. 2011 348 und wechselte dabei die Standorte alle zehn bis fünf- Jan. 1975 3 385 Feb. 2006 179 zehn Jahre. Einerseits, weil der Bewuchs in diesen alten Feb. 1974 3 316 Feb. 2007 144 Kolonien so weit fortgeschritten war, dass ein Brüten, Jan. 1974 3 056 März 2006 133 wie es Lachmöwen mögen, nur mehr sehr eingeschränkt möglich war. Andererseits wurden die Chancen genutzt, wenn sich an einem anderen Stauraum eine fürs Anle- dere Kleintiere, die sie im Schlamm oder zwischen Kies gen einer neuen Brutkolonie deutlich geeignetere Sand- am Boden bei Tauchgängen suchen und finden. bank gebildet hatte. Die größte Lachmöwenkolonie am unteren Inn und damals vermutlich die größte Kolo- Im Gegensatz zu den bisher genannten drei Arten ist die nie dieser Art in Mitteleuropa war die auf der schon Stockente eine Gründelente, die sich ihre Nahrung im erwähnten Vogelinsel zwischen Kirchdorf und Obern- Bodenschlamm der seichteren Regionen sucht oder von berg. 1990 wurden von einer Ornithologengruppe um der Wasseroberfläche abseiht. Georg Erlinger auf dieser Insel über 9000 Brutpaare ge- Stockente: zählt. Seit 2014 ist aber die letzte bedeutende Brutkolo- nie, die sich auf den Anlandungen bei Kirchdorf befun- An der Stockente sieht man, dass auch diese bekann- den hatte, erloschen. Man findet die Lachmöwe immer teste Schwimmente zurückgegangen ist, aber bei wei- noch an den Innstauseen und im nahen Umland, aber tem nicht in dem dramatischen Ausmaß wie dies bei nur in geringen Stückzahlen und wenn überhaupt nur Maximalzahlen im Zeit- Maximalzahlen im Zeit- in kleinen Gruppen und nicht in großen Kolonien brü- raum 1968 - 1984 raum 2000 – 2017 tend. Die nächstgelegene Brutkolonie findet sich derzeit Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt im Weidmoos, das ist ein südwestlich ans Ibmer Moor grenzendes Naturschutzgebiet im Salzburger Flachgau. Okt. 1971 7484 Dez. 2011 2838 Aber es gibt nicht nur Verlierer unter den Wasservögeln. Nov. 1976 6540 Nov. 2005 2535 Die Graugans beispielsweise hat sich von ganz weni- Dez. 1979 6203 Sept. 2000 2230 gen Einzelbeobachtungen in den 1960er- und 1970er- Nov. 1974 6201 Nov. 2000 2133 Jahren im Gebiet etabliert und es werden nicht selten Trupps von mehreren hundert Exemplaren am Wasser, den Tauchenten der Fall ist. Bei Schwimmenten und aber auch auf Wiesen und Feldern beobachtet. Grau- vor allem beim Blässhuhn ist der Anteil an tierischer gänse machen aber etwas, was nur die wenigsten Was- Nahrung kleiner als bei Reiher-, Tafel- und Schellente. servögel tun und geschafft haben: Sie versorgen sich Für das Blässhuhn war der Innstau Obernberg nie so „draußen“ mit Nahrung, weil sie auf Wiesen und Fel- wichtig wie die Hagenauer Bucht. Dort weideten in den dern weiden und vor allem zum Ruhen und Schlafen 1970er-Jahren im Herbst Zehntausende von Exempla- ans Wasser kommen. Und weil sie hauptsächlich Gräser ren die Wasserpflanzen dieser Klarwasserbucht ab, die (Wiesengräser und Getreide) weiden, ist ihr Schaden, damals nicht vom Inn durchströmt wurde. den sie durchs Fressen anstellen, überraschend gering. Süßgräser treiben nämlich gerne an der Abbisskante mit

93 mehreren Halmen neu aus. Wir kennen und nutzen diese Wuchseigenschaft der Gräser ja auch beim Rasen- mähen und beim Grasschnitt auf Wiesen. Graugans: Konnten im frühen Beobachtungszeitraum überhaupt nur dreimal Graugänse im Stauraum festgestellt wer- den, waren es im Oktober 2015 über 2000 Exemplare, Maximalzahlen im Zeit- Maximalzahlen im Zeit- raum 1968 - 1984 raum 2000 – 2017 Monat/Jahr gezählt Monat/Jahr gezählt Feb. 1973 4 Okt. 2015 2110 März 1974 1 Nov. 2015 1633 Graugans (Foto: Florian Billinger) Nov. 1975 1 Nov. 2013 1544 se dem Laub und abfallenden Ästen neuerdings wieder Sept. 2013 1074 vermehrt „selbst“ produzierte Pflanzenreste ins Wasser abgeben. Auch die Biber helfen tatkräftig mit, die neu die am Stauraum festgestellt wurden. Eine früher nur entstandenen Auen in den Stauräumen vital zu erhalten extrem selten im Gebiet auftauchende Art ist zu einer und leisten einen wichtigen Beitrag in Richtung Nor- der häufigsten Arten geworden. malisierung und Verbesserung der Nährstoffsituation im Fluss. Ein Teil der durch die Kläranlagen „verloren“ gegangenen Fäkalnährstoffe wird so durch Eigenproduktion der Auen von organischer Substanz ersetzt. Auch die EU leistet in Form von Auflagen an die Kraftwerksbetreiber einen sinnvollen Beitrag zur Weiterentwicklung des Innflus- ses: Durch bereits geplante und im Oberlauf des Inn inzwischen realisierte Verbindungs- fließstrecken um die Kraftwerke herum wird der untere Inn zusätzlich einen Teil seines ur- sprünglichen und wilden Charakters zurück- gewinnen dürfen. Dies wird in den nächsten Jahren zu einer Aufwertung des Lebensrau- mes für die natürlich im Inn vorkommen- den Flussfische führen. Aber natürlich wird auch für Vögel, die Fließwasser bevorzugen, der Lebensraum deutlich erweitert und ver- Urinn / Mappe (Foto: Wasserkraft/Verbund) bessert. Ein sehr erfreulicher und wichtiger Schritt in eine Richtung, durch den unser Bewertung und Ausblick großer Fluss wieder um ein ganzes Stück natürlicher und wilder werden darf. Billinger Karl Müssen wir uns Sorgen um unser Europaschutz- gebiet am unteren Inn machen? Natürlich nicht! Verdient es überhaupt noch diese Bezeichnung und Einstufung? Ja, ganz sicher! Der untere Inn zählt nach wie vor neben dem Seewinkel und dem Rhein- delta im Bodensee zu den bedeutendsten Feuchtge- bieten für Wasservögel in Österreich und ist auf jeden Fall wert, unter besonderen Schutz gestellt zu bleiben. Ein ohne menschliches Zutun sich langsam aufbauen- der Effekt, der bisher nicht erwähnt worden ist, kommt noch aufwertend dazu. Im Gebiet verändert sich näm- lich auch die Nährstoffsituation in kleinen Schritten zum Besseren weiter. Waren nach dem Einstau praktisch alle produktiven Auwaldgebiete außerhalb der Dämme anzutreffen, findet man auf ausgedehnten Anlandungen Selten geworden: Triel (Foto: Gerlach) innerhalb der Stauseedämme jetzt wieder reife Auwald- bestände, die mit ihrem „Baumabfall“ wie beispielswei-

94 Obernberg am Inn Hochburg der Fleckviehzucht (1945-1965)

n einem der fruchtbarsten Landstriche Österreichs In einem der fruchtbarsten Landstriche Österreichs war die Landwirtschaft für die Ernährung und als I war die Landwirtschaft für die Ernährung Arbeitgeber immer von größter Bedeutung. Die beiden und als Arbeitgeber immer von größter Weltkriege setzten der Bevölkerung stark zu. Doch ging Bedeutung. Und so ist es spannend, die es der Bevölkerung am Land noch immer besser als in Geschichte der Fleckviehzucht in Obern- der Stadt, und so konnten sich die Leute mehr oder berg während der 20 Jahre nach dem 2. weniger mit Nahrungsmittel versorgen. Weltkrieg nachzuzeichnen. Wipplinger Fritz hat das Waren vor dem 2. Weltkrieg die Pferde Stolz und Ar- getan. beitskraft auf jedem Hof, begann die Bedeutung der Pferdezucht aufgrund der beginnenden Mechanisie- rung danach immer mehr abzunehmen. Die erfolg- reichen Pferdezüchter des Innviertels setzten immer mehr auf die Kuh. Die Kühe waren bei kleineren Bau- ern schon immer sehr wichtig, beim Dreinutzungsrind war neben Milch und Fleisch auch die Arbeitsleistung der Kuh oder des Ochsen für die Feldarbeit unentbehr- lich. Am Beginn der 50er Jahre wuchsen mit dem Weg- fall der Pferde rund um Obernberg die Rinderbestände. So lieferten die Rinder neben Milch und Fleisch auch noch wertvollen Dünger und es konnten die Erträge auf den Ackerböden gesteigert werden. Ohne Kühe war zu Einzug der erstprämierten Kühe auf dem Marktplatz in Obernberg vor der Preis- dieser Zeit Landwirtschaft schwer vorstellbar. Die vor- verleihung bei der Fleckviehbezirksschau am 24. Juni 1958 (Foto: FIH Ried) herrschende Rasse rund um Obernberg war Fleckvieh. Schon bei der Gründung des Fleckviehzuchtverbandes Nonsbach, als Verbandsobmann des FIH an vorderster Inn- und Hausruckviertel (FIH) 1894 waren zahlreiche Stelle an der Aufbauarbeit der Fleckviehzucht beteili- Betriebe aus der Gegend rund um Obernberg dabei. St. gt. Auch die damaligen Großbetriebe wie der Gutsbe- Georgen und Mörschwang nahmen mit ihrem Anteil trieb vom Augustinerstift Reichersberg oder die älteste an Fleckviehpionieren eine landesweite Spitzenstellung Fleckviehherde des Innviertels bei der Gutsverwaltung ein. Der Betrieb Lindinger (Brandmeier in Hofing) aus in St. Martin waren Vorbilder für die Region. Bei allen St. Georgen war als Vorreiter der Rinderzucht mit der größeren Betrieben erledigten die Melkarbeit angestell- Rasse Braunvieh eine Ausnahme, war aber mit seinen 20 te, hauptberufliche Melker oder Melkerehepaare. Die Kühen 1922 ein Vorbild mit 4600 Liter Milchleistung. durchschnittliche Jahresmilchleistung betrug 1950 ca. Zahlreiche Bauern aus der Gegend holten sich Rat bei 3.500 Liter Milch pro Kuh. Zu dieser Zeit gab es in diesem erfolgreichen Rinderzüchter. unserer Gegend bereits Laufställe und die Kühe wur- den im Winter mit Heu und Grassilage gefüttert. Auch Nach dem 2. Weltkrieg (1945-1951) war ebenfalls ein Futterrüben stellten einen wichtigen Bestandteil der St. Georgener ÖR Franz Schneebauer, Hofbauer in Winterfütterung dar. Im Sommer waren Kühe und Kalbinnen auf der Weide und bekamen das vor allem im Winter auch etwas betriebseigenes Kraftfutter, das früher den Pferden vorbehalten war. Vor allem der Ha- fer spielte damals in der Zusammensetzung noch eine bedeutende Rolle. Der Maisanbau begann erst 1964. 1951 und 1952 dezimierte die Maul- und Klauenseuche die Rinderbestände unserer Region stark und schränkte die Bauern und ihre Familien stark ein. Höfe wurden gesperrt und die Bewohner durften sie nicht verlassen. Von den damals 90 Rinder haltenden Betrieben waren zum Beispiel in St. Georgen 73 betroffen. Auch die Schule war für einige Wochen geschlossen. Danach ging es aber schnell bergauf und 1954 erbringt Bild 1: 3. 100. 000 Liter Kuh in Österreich , VIKTORIA geboren am 25. 2. die Kuh ERNA als erste Kuh des Inn und Hausruck- 1951 16 Kälber (Foto: FIH-Ried) viertels vom Betrieb Schneebauer, Bauer in Ulrichstal,

95 das natürlich nicht. Zuerst kom- men die Zuchtinteressen, dann die Geldinteressen. Wir züchten nicht um zu mechanisieren, sondern wir mechanisieren um zu Züchten. An diesem Bericht konnte man schon erkennen, dass sich bei Tieren und Bauern etwas verän- derte. Hatte vor den 60er Jahren noch jeder Bauer in unserer Re- gion Kühe, Schweine und auch Federvieh, spezialisierten sich im- mer mehr Landwirte. Durch die ansteigenden Löhne konnten sich Prälat Floridius Buttinger vom Stift Reichersberg bei der Besichtigung der ersten Nachzuchtschau seines Prämi- immer weniger eine Fremdarbeits- enstieres PARZIVAL (Foto: FIH Ried) kraft leisten. Die Melker und die St. Georgen eine Jahresleistung von über 10.000 Litern. Kühe verschwanden von den grö- 1956 wird eine St. Georgener Kuh mit dem prophe- ßeren Betrieben. Durch die Erhöhung der Schlagkraft tischen Namen VIKTORIA vom Betrieb Kirchstei- der Maschinen war es möglich, dass ein großer Betrieb ger, Schrems in Nonsbach, Bundessiegerin in Wels. Sie seine Flächen alleine bewirtschaftete. Reine Schweine- bekam auch den begehrten (nach dem damaligen Ge- betriebe nahmen zu, aber auf vielen Betrieben krähte schäftsführer des FIH benannten) Dr. Anton Pohl-Preis kein Hahn mehr. Der Einsatz von Kunstdüngern und und war neben weiteren Siegerpreisen die dritte Kuh Spritzmitteln trug ebenfalls bei, um reine Ackerbaube- Österreichs, die eine Lebensleistung von über 100. 000 triebe zu etablieren. Nur die kleineren und mittleren Liter Milch erbrachte. Betriebe waren auf die Kuh als Einkommensquelle an- gewiesen. Die Melkarbeit wurde meist von der Familie Das Ergebnis der Zuchtarbeit wurde 1958 am 24. Juni - oft der Bäuerin durchgeführt. (Johannitag) in der Bezirksschau in Obernberg ein- drucksvoll präsentiert. Es wurden ca. 160 Rinder Kühe, Nach Zeiten des Mangels begann ein Zeitalter des Stiere und Kalbinnen aller Altersklassen ausgestellt und Überflusses. Die Importe von billigeren Futtermit- die Siegertiere vor zahlreichen Besuchern am Markplatz teln und industriell erzeugten Kunstfetten (Margari- vorgestellt und ausgezeichnet. Die Kühe der Züchter ne) hielten ab dieser Zeit Milch und Fleisch billig und im Gerichtsbezirk Obernberg waren zu dieser Zeit den zwangen die Bauern bis zum heutigen Tag ihre Milch- anderen Gebieten stark überlegen. Die Fleckviehkühe viehhaltung zu rationalisieren. Die niedrigen Erzeuger- wurden gut versorgt, gaben mehr Milch und waren bei preise beschleunigten den sogenannten Strukturwandel Tierschauen immer vorne dabei. Auch auf den Verstei- in unserer Region. Die Folge waren weniger Betriebe gerungen erzielten die Stiere aus dem Bezirk Spitzen- mit immer mehr Kühen, die immer mehr leisten. Doch preise. Gleichzeitig begann aber mit dem Wegfall der auch heute gab und gibt es rund um Obernberg noch Arbeitskräfte, und mit der immer besseren Mechanisie- Züchter, die auf Ausstellungen Siegerpreise erzielen und rung der Verkauf der wertvollen Tiere. sich den Anforderungen der Zeit stellen und mit ihren Kühen Fleisch und wertvolle Milch erzeugen. An die Dr. Anton Pohl schreibt in seinem Nachbericht zur Be- Vormachtstellung der Rinderzucht und an die Bezirks- zirksschau Obernberg: schau in Obernberg können sich immer weniger Bau- ern erinnern. In Obernberg dominierten die Prämienkühe von ein- maliger Kraft, Leistung und Schönheit. Aber wenn wir Wipplinger Fritz uns nach Nachfolgerinnen umsahen, so war zu we- nig Auswahl vorgestellt worden. Ich glaube, dass am ehesten unter den unfertigen Kalbinnen Anwärter auf Quellen: Spitzenpositionen zu finden waren. In dem Mittella- gen waren viele gute Tiere, aber keine ausgesprochene Dipl. Ing. Dr. Anton Pohl , 1952-1958, FIH- Mitteilungen 50-56

Spitzen. Die Stierklassen waren dagegen für diesen alten Dipl. Ing. Dr. Otmar Föger, , FIH-.Mitteilungen 90, 90 Jahre Fleckviehzucht, Zuchtbezirk zu schwach und zwar an Zahl und Alter 1984 und die Qualität muss auch im Durschnitt noch bes- ser werden. Die jüngsten Stierklassen zeigten sich viel- Prof. Hermann Edtbauer, Das Gesicht eines Dorfes, 1989 versprechend, aber wo werden Sie hinkommen? Man hat leider den Eindruck, dass in den letzten Jahren zu wenig darauf geachtet wurde, beste Tiere nachzustellen. Sie werden ja erzeugt, aber verkauft. Auf Dauer geht

96 Grenzland Obernberg Die Überquerung des Inns 1918-1965 etrachtet man alte Fotos und Stiche aus den früheren Jahrhunderten vom Inn im Bereich Obernberg, so Der Inn war lange das Schicksal Obernbergs. Die Ver- B suche, ihn in den Jahrhunderten zu zähmen, zu über- fällt die weite Verzweigung des Inns in viele Arme auf, winden, würden Bände füllen. Folgender die sich natürlich nach jedem Hochwasser veränderten. Artikel ist der Versuch einer gedrängten Die Überquerung erfolgte zu früheren Zeiten mittels Zusammenfassung von Ilse Ungers volumi- Einbaum oder Floß. Die Lage war hier günstig, denn nöser Darstellung „Der Inn zwischen Fluss- die vielen kleinen Nebenarme des Inns waren leicht zu kilometer 33 und 37 - Obernberg - Eggling“ Fuß oder per Steg zu überqueren. Infolge dieser vielen Wer sich tiefer in das Thema hineinwagen möchte, sei Nebenarme war der Hauptfluss nicht sehr breit. Die auf diese äußerst lesenswerte aber unveröffentlichte Bewohner hatten überall an den Flussufern leichte Ru- Arbeit der Obernberger Heimatforscherin verwiesen. derboote und mit reichlich Muskelkraft gelang es gut, den Fluss zu überqueren. Dies mag vielleicht auch ein Aber leider hatte man damit kein Glück. Der Egglfinger Grund gewesen sein, dass es im Raume Obernberg kei- Bürgermeister sträubte sich mit allen Mitteln dagegen. ne Brücke bzw. Brückenfunktion gegeben hat. Es gab je So mussten die Obernberger die Kosten alleine tragen. einen Übergang in Braunau und in Schärding. Die Gemeinde Egglfing steuerte lediglich die Grund- stücke für eine neue Zufahrtsstraße bei. Als um die Mitte des 19. Jhdts. die Innschifffahrt zu- sehends an Bedeutung verlor, hat Obernberg großen Die Kosten für den Fährenbau waren nicht gering. Die wirtschaftlichen Schaden erlitten. Die Obernberger Arbeiter an der Flussregulierung waren zwar ziemlich suchten nach Auswegen und wollten einen florierenden abgeschlossen, aber der Inn hatte noch immer nicht Grenzverkehr aufbauen. Es gab zum ersten Mal Be- sein endgültiges und einziges Flussbett. Also mussten strebungen, eine Brücke über den Inn zu bauen. An neben Kosten für die Fähre auch noch drei kleinere Brü- den Versuch, diesen Plan zu verwirklichen, wagten sich cken über ehemalige Inn-Nebenarme gebaut werden. erstmals 32 Bürger des Marktes, die sich 1861 zu einer Schließlich wurde das Projekt „Drahtseilfähre“ doch Interessentengemeinschaft zusammenschlossen. 1885 vollendet und am 1. Mai 1900 eröffnet. Ihr Betrieb schließlich übertrug die Gemeinde die Ausarbeitung wurde gegen ein Drittel des Ertrages Karl und Alois von Trassierung und Kostenvoranschlägen für einen Schatzl in Ufer übertragen. Lenker der Fähre waren bis Brückenbau dem Bauunternehmen Carl Freiherr von 1924 Karl Schatzl, von 1925 bis 1930 Gottlieb Gros, Schwarz in Wien. von 1930 bis1938 Josef Hüt- ter, der jedoch durch die po- Geplant war eine Eisenkon- litischen Vorkommnisse von struktion bzw. eine Holzkon- Deutschland her, insbesondere struktion. Im Heimathaus durch die 1000 Mark Sperre, Obernberg befinden sich die in eine schlimme Zeit gera- Pläne aus 1886 dazu, eben- ten war. Die Frequenzzahlen so die dazugehörigen Situ- stiegen von anfangs 3000 bis ationspläne. Gescheitert ist max. 30 000 jährlich – sie dieses Vorhaben jedoch aus sanken schließlich sehr. Nach verschiedenen Gründen: ´Zu dem Einmarsch Hitlers 1938 hohe Kosten und zu geringes trat auch ein Meinungsum- Verkehrsaufkommen ließen schwung in Bezug der Fähre das vielversprechende Projekt ein – sie müsse mindestens 50 scheitern. Also fasste man den Personen fassen. Infolge seines Entschluss, eine Drahtseilfähre Alters sah sich Hütter nicht zu errichten. mehr in der Lage, die Fähre zu Die Drahtseilfähre bedienen – auch sei der Tarif zu hoch. Die Fähre könne nicht Hierzu mussten an beiden mehr Einnahmequelle der Ge- Uferseiten feste Streben er- meinde sein, sondern solle die richtet werden, an denen die bisher getrennten Wirtschafts- Taue befestigt werden konn- gebiete verbinden. Von Mai ten. Als Partner und auch 1930 bis zur Stilllegung war Beteiligte wollte man die Eg- Hans Parzer Fährmann (dazu gibt es verschiedene Fotos). glfinger gewinnen – natürlich Drahtseilfähre 1931, hier die Anlegestelle mit der Glocke (Foto: Lang) auch aus finanziellen Gründen. 1945 legten die Amerikanerals 97 Besatzungsmacht den Drahtseilverkehr still. Eine Glo- Stauwerkbau cke hing früher an einem Pfosten am rechten Innufer. Zog man sie, ertönte ein lauter Glockenton über den Noch 1938 begann man mit den Vorarbeiten zum Bau Inn. Nun musste man geduldig sein und warten, bis der der Eringer Staustufe. Die Staustufe Obernberg/Eggl- Fährmann gemächlich aus seiner Wachhütte kam und fing mußte noch zurückgestellt werden, da Material das Fährboot gegen den Strom über den Inn steuerte. und Arbeitskräfte für zwei so große Projekte nicht aus- reichten. Große Schwierigkeiten ergaben sich beim Er- Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges kamen zum Fähr- inger Werksbau durch den Kriegsbeginn (Arbeitskräfte) betrieb große Viehtransporte über den Inn dazu. Es und die dadurch schwierige Materialbesorgung. Das befand sich hierzu am Innufer eine lange Rampe, an der die Rinder angekettet wurden und auch die tierärzt- lichen Kontrollen stattfanden. Alles in allem florierte der Handel diesseits und jenseits des Inns. Ein wesentlicher Umstand rückte sicherlich das Ende der Drahtseilfähre näher: Der große Eisstoß im Jänner 1942! Die Drahtseilfähre wurde damals durch einen rie- sigen Eissstoß abgetrieben und zerstört. Einen Eisstoß in der Intensität kann man sich in heu- tiger Zeit nur mehr schwer vorstellen. Durch die vie- len Staustufen entlang des Innflusses können derartige Geschehnisse wie die „Jahrhunderthochwasser“ und die riesigen Eisstöße weitgehend verhindert werden. Die Geschichte Obernbergs berichtet von zwei riesigen Na- turereignissen: 1929 und 1942. Aus dem Jahr 1929 sind im Heimathaus 2 Aufnahmen ausgestellt. Es war natür- lich ein großes Ereignis, wenn der Inn total zugefroren war. Ganze Bevölkerungsscharen nutzten die Gelegen- heit zum „Hinübergehen“. Pontonbrücke Beginn des Stauwerkbaus 1941 (Foto: Sommerbauer)

Nach wiederholten negativen Bemühungen der Obern- Hochwasser im Mai 1943 tat sein Übriges! Trotz allem berger um eine Innbrücke stand dieses plötzlich da: waren 1943 alle Maschinen in Betrieb und konnten das Die Pioniere der deutschen Wehrmacht errichteten im schon erstellte Aluminiumwerk Ranshofen mit Strom Sommer 1939 im Zuge einer militärischen Übung eine versorgen. Pontonbrücke. Sie stand eine Stunde dem Verkehr zi- viler Fuß0gänger zur Verfügung. Der Teil auf österrei- Nachdem das Eringer Werk schon sehr weit gediehen war, wurden viele Arbeiter und Maschinen frei – man konnte mit voller Kraft an das Stauwerk Obernberg/ Egglfing gehen. Selbst als die Pläne längst ausgearbei- tet und der Bau beschlossen war, wusste die betroffene Bevölkerung noch nichts von dem großen Vorhaben – lediglich eine Ahnung hatte man. Die Nazigrößen verstanden es, ihre Vorhaben bis zuletzt geheim zu hal- ten. Aluminium und metallisches Silizium für militä- rische Zwecke zu produzieren war ihr Wille und ihr Ansporn zu äußerster Aktivität. Wie überrascht waren die Egglfinger, als im April 1940 der Befehl kam, 20 Tagwerk Auwald oberhalb des Ortes müssen sofort ge- räumt werden! Es war dort ein sechs- bis siebenjähriger Jungwuchs, noch nicht einmal armdick! Frauen und Mädchen, alte Männer und größere Buben – die Män- Pontonbrücke 1939 (Foto: Unger) ner waren im Krieg – mussten diese eiligen Arbeiten verrichten! Kaum war man mit dem Abholzen fertig, chischer Seite war eine Holzkonstruktion, während der luden am 2. Mai 1940 schon Lastwagen die ersten Ge- bayerische Teil auf Schwimmelementen auflag. Unter- räte ab. Schubraupen kamen angerollt. Auf holprigen gebracht waren die Soldaten im „Gasthaus zur Draht- Schotterstraßen rumpelten erstmals schwere Bagger seilfähre“. Diese Pionierbrücke stand vom 12. bis 22. durch Egglfing, vom Bahnhof Tutting kommend. Bis Juni 1939. zum Frühjahr 1941 waren die Vorarbeiten, eine dam-

98 martige Zufahrtsstraße und die Aufschüttung des Be- nigen Freizeitstunden wurde Spielzeug gebastelt und triebsgeländes, durchgeführt. Für das Werk wurde eine am Stacheldrahtzaun gegen Lebensmittel eingehandelt. eigene Eisenbahnlinie vom Bahnhof Tutting aus gebaut, Aber auch so wurden ihnen manchmal Lebensmittel um die riesigen Materialmengen und schweren Geräte zugeschmuggelt. Die Wachposten bemerkten es wohl, herbeischaffen zu können. Oberhalb des Ortes war un- doch drückten sie trotz gegensätzlichem Befehl ein terdessen ein Barackenlager entstanden. Hunderte von Auge zu. So war es auch, wenn sie müde von der Ar- Gastarbeitern aus Italien und der Slowakei waren hier beit „heimgingen“. Nicht weit vom Weg hatte ein Bau- untergebracht. Der Krieg machte sich schon bemerk- er eine Kartoffelmiete. Diese wurde von den heimkeh- bar. Die Essensrationen waren klein, obwohl es erst spä- renden Gefangenen entdeckt und sie holten sich hier ter zu dramatischen Rationskürzungen kam. ihre Kartoffeln – der Bauer merkte es bald, doch er ließ sie gewähren! Andere Gefangene bauten sich Fischreu- Im Frühjahr 1941 begann der eigentliche Bau der sen und hatten so eine zusätzliche Nahrung. Kraftwerksstufe. Große Schwierigkeiten machten sich bemerkbar, durch den kriegsbedingten Mangel an Spe- Je länger der Krieg dauerte, umso schwieriger wurde die zialarbeitern und Materialien. Monatelang hörte man Beschaffung der nötigen Geräte. Die Termine konnten das Hämmern der schweren Bohrhämmer, die Spund- nicht mehr eingehalten werden. Im Jahre 1943 began- wände tief in den Boden stampften und so den Inn zur nen die großen Fliegerangriffe. Städte und Transport- Hälfte abriegelten. Wo es nur ging, wurden Gerüste und wege wurden angegriffen und zum Teil zerstört. Wie Verschalungen gebaut. Ununterbrochen rollte Baustahl, groß die Schwierigkeiten bei der Anlieferung wurde, Zement und Verschalungsmaterial herbei. Andere Bau- soll an einigen Beispielen beschrieben werden: kolonnen begannen schon mit dem Dammbau. Das Erdmaterial lieferte der künftige Stausee. Durch Zerstörung des Transformatoren- und Gena- torenwerkes in Berlin und Nürnberg durch Flieger- Der Krieg dauerte immer länger und wurde stetig är- bomben, mussten Ersatztransformatoren aus Hamburg ger. Immer mehr Arbeiter mussten in den Kriegsdienst. herbeigeschaftt werden. Fliegerangriffe hatten jedoch Selbst die Italiener und Slowaken wurden immer weni- Kräne und Gleisanlagen zerstört. Ein Schiffshebekran ger. So mussten die zahlreicher werdenden Kriegsgefan- der Kriegsmarine konnte einspringen und den Transfor- genen einspringen. Nahe am Betriebsgelände wurde ein mator auf einen Elbkran verladen. Bei einem Gewicht Lager mit hohen Stacheldrahtzäunen erbaut. Hunderte von 38 Tonnen war der Transformator so hoch, dass er gefangener Russen, Franzosen und Jugoslawen bevöl- nur bei Niedrigwasser Brücken passieren konnte. kerten das Lager, bewacht von militärischen Wachpo- sten. Diese Menschen waren wirklich zu bedauern – bei Ein andermal gingen wichtige Rotorlüfter verloren. Der schwerer Arbeit, die bis zu 11 Stunden dauerte, beka- Eisenbahntransport wurde von einem Fliegerangriff men sie nur noch Hungerrationen. Allmählich waren es heimgesucht. Nach langem Suchen wurden die Rotor- nur noch russische Gefangene, die hier hausten. Nach lüfter auf einem Abstellgleis in Irrelohe bei Schwandorf Arbeitsschluss waren sie hermetisch von der Außenwelt entdeckt. abgeschlossen. Aber Not macht erfinderisch! Und so Trotz unendlicher Schwierigkeiten konnte der Stausee wußte sich mancher Gefangene zu helfen: in den we- im Herbst 1944 geflutet werden. Im Oktober 1944 ging der erste Maschinensatz in Betrieb. Von Maschine zwei und drei waren die Turbinen sowie alle elektrischen und mechanischen Hilfseinrichtungen im Wesentlichen fer- tig, bis auf einige Kleinigkeiten. Zum Kriegsende ließen die Amerikaner alle Arbeiten bis Juni abbrechen. Als die Erlaubnis der US-Militärregierung zur Fertig- stellung erteilt wurde, konnte sich die zweite Maschine erstmals am 2. November 1945 drehen. Am 16. Jänner 1946 konnte die Maschine endgültig in Betrieb genom- men werden, nachdem auf umständliche Art ein alter Drehstrommotor aus Berlin beschafft werden konnte. Nach anstrengenden Bemühungen bei der US-Mili- tärregierung durften die Arbeiten erst 1947 fortgesetzt werden. Bei Siemens-Schuckert und Escher-Wysswer- ken wurden noch vorhandene vorgearbeitete Teile zu- sammengestellt. Erst nach weiteren Anstrengungen bei der Militärregierung durften die Maschinen drei und vier weitergebaut werden. Abermals verlangsamten Ma- terialschwierigkeiten die Fertigung der Turbinen. So wurden Turbinen und zusätzliche Geräte durch die Be- Stauwerkbau 1944, kurz vor der Vollendung (Foto: Sommerbauer) satzungsmacht nach Nürnberg umgeleitet. Im Novem-

99 Die fertige Brücke in einer eindrucksvollen Federzeichnung (Foto: Genehmigung des Abdrucks, Abteilung Gebäude- und Beschaffungs-Management, Land OÖ.)

ber 1947 erklärten sich die Fa. Lloyd Dynamo Bremen Das große Aluminiumwerk in Ranshofen brauchte bereit, die geeigneten Gleichstromgeneratoren zu bau- große Energiemengen. Bei Pocking wurde ein Werk zur en, wenn die Kupferwicklungen und Dynamobleche Herstellung von Ferrosilizium gebaut. Ferrosilizium ist vom Innwerk beschafft würden. eine Verbindung von Silizium und Eisen – ein neuar- tiges Metall, welches der Flugzeugindustrie zu neuen Als der Stator der dritten Maschine fertiggestellt war, Erfolgen verhelfen sollte. Nach Planung und Genehmi- begann die Berlinblockade. Alle Bemühungen um den gung des Innenministeriums am 3. Dez. 1943 begann Abtransport mit Großraumflugzeugen aus Berlin miss- der Bau eines umfangreichen Industriegebietes, wozu lang. Schließlich erteilte der russische Kommandant bis zu 1000 Arbeiter eingesetzt wurden. 1944 konnte von Berlin – Karlshorst die Genehmigung, den Trans- die Gießerei schon in Betrieb genommen werden. Alles port mit der Eisenbahn durchzuführen. Es begann je- geschah sehr überstürzt – alles war mehr oder weniger doch ein Eisenbahnstreik. Mit einem Elbkahn ging der behelfsmäßig. Selbst die Heizung geschah nicht mit Transport nach Hamburg und von dort mit der Eisen- elektrischer Energie, sondern mit Gas. bahn nach Egglfing! Am 13. Juni 1949 konnte endlich die dritte Maschine in Betrieb genommen werden. 1945 und 1946 war Produktionsstillstand. Erst im Juni 1946 durfte die Gießerei wieder arbeiten. Die Ferrosili- Die Währungsreform war vorbei und so konnten die ziumherstellung erlaubten die Amerikaner aber erst ab Anlieferungs- und Einbauarbeiten reibungslos vonstat- Juli 1947. Mit 2000 Grad hohen Temperaturen wur- ten gehen. Beginn des Probebetriebes der Maschine vier de Quarz zu einem Halbmetall mit 99% Reinheit ge- war am 17. Jänner 1950, der Maschine fünf am 19. Mai schmolzen. 1950 und der Maschine sechs am 26. Sept. 1950. Die Beendigung sämtlicher Arbeiten war im Juli 1951. Ab 1951 lieferte das Egglfinger Kraftwerk den nötigen Strom und nun konnte sich das Werk erst richtig ent- Zusätzlich zum Kraftwerk wurde in den dreißiger Jah- wickeln. 500 Arbeiter schafften in drei Schichten – also ren vom Werk ein Vorbau fertiggestellt, auf dem ein Tag und Nacht. Die Produktion wurde später auf reines automatischer Treibholzrechen mit Beförderungsanlage Silizium umgestellt und hauptsächlich an die Wacker- installiert wurde. Dieser Vorbau war eine kriegsbedingte werke in Burghausen geliefert. Anlage und wurde nur hier gebaut. Er sollte das Werk vor den von Flugzeugen abgeworfenen Treibminen Für die Umwelt war das Rottwerk aber eine große Be- schützen. Außerdem wurde für zu den Laichgründen lastung. Denn Abgase und Rauchentwicklung hüllten wandernde Fische eine spezielle Fischtreppe gebaut. manchmal als dichter Nebel das ganze Gebiet ein. In Nach dem Bau weiterer Kraftwerke flaute jedoch der den 70-iger Jahren wurde für 6 Millionen DM eine Wandertrieb der Fische ab. Wie bereits oben erwähnt, Entsorgungsanlage gebaut und jetzt entweicht nur mehr sollte der Bau des Kraftwerkes Obernberg/Egglfing so Wasserdampf. 24 Tonnen Siliziumstaub werden in der schnell wie möglich fertig gestellt werden, um Energien Folge gewonnen, der früher auf die Umwelt hernieder für die Produktion kriegswichtiger Metalle zu gewin- rieselte! Der Staub aber kann teuer verkauft werden. nen.

100 Vom Kraftwerk Obernberg/Egglfing führen zwei Stark- die zwei Bedingungen erfüllte: neben einer technisch stromleitungen zum Rottwerk – eine mit 110.000 Volt günstigen Lösung sollte sie auch möglichst wirtschaft- und eine kleinere mit 20.000 Volt. Doch nur 25 – 30% lich sein. Da bei derartigen Baumaßnahmen die rei- des Stromes fließen zum Rottwerk – die größte Menge nen Brückenbaukosten den größten Anteil an den Ge- wird nach St. Peter geliefert. Von hier wird der Strom samtkosten haben, galt es, die kleinste Brückenlänge nach Ranshofen und Linz weitergeleitet. zu suchen. Zirka 7oo Meter flußabwärts des Inns vom Kraftwerk aus gesehen konnte diese Stelle ausgemacht Die Innbrücke Egglfing – Obernberg werden. Dort nähern sich der am linken Ufer verlau- fende Hochwasserschutzdamm und das rechte Innufer Durch das Kraftwerk kam es zu einem weiteren groß- einander bis auf rund 4oo Meter. Nachdem von dort en Bauwerk am Inn. Der Bau einer Brücke über den aus nach beiden Seiten relativ gute Straßenanschlüsse Inn 1963 -1965 erfüllte einen uralten Wunschtraum gegeben waren, war unsere Brücke somit im Sommer der Bevölkerung dies- und jenseits des Inn. Aus meinen 1961 lagemäßig fixiert. Im Jänner 1963 beginnt man vorausgegangenen Ausführungen wissen wir, dass sich auf der bayerischen und österreichischen Seite des Inns die Obernberger schon im 19. Jahrhundert wiederholt, mit der Einrichtung. Nach der Erteilung der Aufträ- aber vergeblich um ein Brückenbauwerk bemüht haben. ge an die bauausführenden Firmen zur Jahreswende Doch durch den Bau des Kraftwerkes traten Umstän- 1962/63 wurde trotz der winterlichen Temperaturen de ein, die einen Brückenbau zweckmäßig erscheinen mit Tiefstwerten um minus 25 Grad schon im der Bau- ließen. Durch den hohen Wellengang des Kraftwerks stellen begonnen. Die Bauarbeiten begannen von der war ein Fährbetrieb unmöglich geworden. 20 Jahre lang Öffentlichkeit fast unbemerkt wurde der Grenzbetrieb über die private Werksbrücke geleitet. Doch von Anfang an war klar, dass dies nur Am 9. Juli 1965 war es endlich soweit: eine Notlösung sein konnte, die von der Innwerk AG geduldet wurde. Als sich aber die zuständigen Behör- Die Innbrücke Obernberg am Inn – Egglfing wird ein- den nicht darum kümmerten, einen ordnungsgemäßen geweiht und für den Verkehr freigegeben! Übergang zu schaffen, kündigte die Innwerk AG den Vertrag. Es war ein Volksfest für die Bewohner „drent und he- rent“ – die Festgäste und die Bevölkerung von öster- „… aus betrieblichen Gründen werden wir im Ein- reichischer und bayerischer Seite trafen sich bei der vernehmen mit der Verbundgesellschaft das Überein- Zollinsel. Es regnete in Strömen. Angeführt von der kommen in der wasserrechtlichen Verhandlung vom 5. Trachtenmusikkapelle Obernberg am Inn, gefolgt von Aprik 1955 in absehbarer Zeit widerrufen müssen, in den Ehrengästen , vielen Vereinen der beiden Orte und welchem wir der Gemeinde Obernberg versuchsweise zahlreichen „Zaungästen“, die das erste Überqueren der gestattet haben, das Wehr des Kraftwerkes Egglfing mit Brücke nicht versäumen wollten, bewegte sich der Fest- einem Kleinwagenomnibus zu passieren……..es dürfte zug in Richtung Bayernland. In der Mitte der Brücke daher richtig sein, den bisherigen provisorischen Zu- war das Brückenband. Der Bayer. Staatsminister des In- stand zu beenden und die ursprüngliche Regelung hin- nern Dipl.-Ing. Heinrich Junker und der Landeshaupt- sichtlich der Fähre im Sinne des Übereinkommens vom mann von Oberösterreich Dr.h.c. Heinrich Gleißner 11. September 1944 wieder herzustellen…“1 haben das Brückenband durchschnitten. Den kirch- lichen Segen erteilte Pfarrer Michael Dobler aus Obern- Nun war Handlungsbedarf angesagt. – Es wurden berg. Nun war die Brücke für den Verkehr freigegeben. nochmals Berechnungen erstellt, was eine neue Fähre Auf bayerischer Seite war ein großes Festzelt aufgebaut, kosten würde: Seilfähre ca. 300.000 ÖS – Motorfäh- das freudig angesteuert wurde. In geselliger Runde fand re ca. 475.000 ÖS. In Hinblick auf die bestehenden dieser Freudentag mehr oder weniger später einen zünf- Gefahren, die eine Fähre nach wie vor mit sich brin- tigen Ausklang! gen würde, hat sich die Innwerke AG schließlich ver- pflichtet: „den Betrag, den die Wiederherstellung einer Kaum war die Brücke freigegeben, da rollten schon die neuzeitlichen Fähre bei den augenblicklichen Gegeben- Autos und Zweiräder über die Brücke – viele machten heiten erfordert hätte, dem Projekt BRÜCKENNEU- einen Ausflug zu Fuß. In Obernberg war wieder „Gold- BAU zuzuschießen!“2 gräberstimmung“ angesagt. Die Gäste des nahegele- genen Füssing – damals hatte Füssing noch keine „Bad- Als einziger Ausweg blieb der Bau einer Brücke. Die verleihung“ – aber auch die Einheimischen schätzten Initiative ergriffen schließlich das Land Oberösterrei- die Gastlichkeit der Österreicher und frequentierten die ch und der Landkreis Griesbach/Rottal. Noch vor Ab- neu renovierten Gasthäuser und Kaffees überaus zahl- schluß der Bemühungen um eine Finanzierung haben reich. Unger Ilse (gekürzt aus dem Original) bereits die Bautechniker mit den Vorstudien über Lage, Konstruktion und Baudurchführung der Brücke und ihrer Straßenanschlüsse begonnen. 1 Archiv der Gemeinde Obernberg/Inn, Schachtel „Brückenbau“, Brief der In- nwerke AG vom 18.4.1961 Nachdem der Raum Obernberg für die Errichtung ei- 2 Archiv der Gemeinde Obernberg , Schachtel „Brückenbau“ , Protokoll vom ner Brücke feststand, galt es eine Baustelle zu suchen, 7.11.1961 zur Besprechnung , Brückenbau Obernberg/Egglfing

101 DAS LUFTKRIEGSGESCHEHEN IN UNSERER NÄHEREN HEIMAT m die Jahreswende 1944/45 dominierte das militä- Der Militärhistoriker Renato Schirer skizziert hier Urische Geschehen bereits alle Bereiche des täglichen anhand der verfügbaren Quellen das Luftkriegsge- Lebens. Die Väter und Söhne waren Großteils zum schehen vor allem im nördlichen Innvier- Militär eingezogen, wo sie über ganz Europa zerstreut tel. Dieses ist von der Gesamtlage nicht zu Kriegsdienst an den ständig zurückgehenden Fronten trennen, weshalb auch Angriffe auf Passau, leisten mussten. Daher waren die Frauen gezwungen, Wels oder Linz ein Thema sind. Alle An- die Positionen der fehlenden Männer einzunehmen, um griffe, in denen Obernberg, Schärding oder so das Leben aufrecht zu erhalten. Von einem Kriegsge- Braunau betroffen sind, finden hier Erwähnung. Über schehen im eigentlichen Sinn kann für das Innviertel das Schicksal eines über Münsteuer abgeschossenen erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 gesprochen US-Piloten („Der Tod des 1st Lt Donald H. Stott“ - in werden. Obwohl der Luftkrieg gegen die Alpen- und Weilbach) hat Schirer in den ÖFH Nachrichten 2/17 geschrieben. Für den Angriff auf das Flugfeld in Mün- Donaureichsgaue bereits mit dem Luftangriff auf Wie- steuer sei auf den Artikel von Herbert Gruber im Buch ner Neustadt, am 13. August 1943, einsetzte und damit „Das Wunder von St. Martin“ 2015 verwiesen. die Phase der Raumgunst beendete. Bis zu diesem Zeit- punkt sprach man damals von den Alpen- und Donau- reichsgauen als der „Reichsluftschutzkeller“, der vom mehrere starke Kampfverbände in 5000 Meter Höhe Luftkrieg verschont war. die Stadt Ried überflogen.4 Während des Überflugs ent- ledigten sich einige der von den deutschen Jagdflugzeu- Doch um die Jahreswende 1943/44 war dies bereits gen bedrängten Bomber ihrer auch für die Besatzungen Vergangenheit, die Landeshauptstädte Graz, Klagenfurt gefährlichen Bombenlast. So kamen 33 Sprengbomben und Innsbruck hatten bereits die ersten schweren Bom- zu je 50 kg in der Umgebung des Bahnhofes von Au- benangriffe erlebt und der Gegner tastete sich an den rolzmünster zu Boden, wodurch die Gleisanlage er- Reichsgau Wien heran. Nur Oberdonau war, abgesehen heblich beschädigt wurde. Auch zwei Häuser und fünf von einigen schwachen Störangriffen im Februar 1944, Bahnobjekte hatten Schäden abbekommen, doch Per- welche sich gegen das Rüstungszentrum Steyr richteten, sonen kamen nicht zu Schaden. Zur selben Zeit gin- noch vom Luftkrieg verschont. Doch auch hier waren gen in , nächst Kleinreith, sechzehn schwere die Tage der Ruhe bereits gezählt, den Umschwung Sprengbomben5 auf freies Gelände nieder, von denen brachte ein schwerer Luftangriff am 25. Juli 1944, der vierzehn detonierend erheblichen Flurschaden anrich- sich gegen das Rüstungszentrum Linz richtete. Zu die- teten.6 In beiden Fällen, in Aurolzmünster ebenso wie sem Zeitpunkt hatte Groß-Wien bereits sieben Luftan- in Mettmach, dürfte es sich um Notabwürfe von be- griffe überstanden. Doch das Innviertel hatte bereits ei- drängten Flugzeugen, von verschiedenen Bombergrup- nige Tage vorher, am 21. Juli 1944, im Zusammenhang pen, gehandelt haben. Die in Aurolzmünster gezählten mit dem Überflug von Bomberverbänden, welche das 33 Sprengbomben zu 45 kg entsprachen nämlich genau Hydrierwerk in Maltheuern bei Brüx (heute Most in der Ladung eines Bombers.7 Tschechien) zum Ziel hatten, den ersten Kontakt mit dem Gegner. An diesem Tag kam es über dem Innvier- Bei den kurze Zeit darauf im Gemeindegebiet von tel zu heftigen Luftkämpfen. Die deutsche Jagdabwehr Mettmach niedergegangenen 16 Sprengbomben zu stellte sich den amerikanischen Bombenflugzeugen ent- 250 kg handelte es sich ebenfalls um die Bombenzu- gegen und die Messerschmitt-Jäger attackierten die in ladung einer B-17 „Flying Fortress“.8 Während der großer Höhe dahinziehenden Verbände.1 Doch in kür- Rückflüge der Verbände aus der Tschechoslowakei kam zester Zeit waren die amerikanischen Begleitjäger zur gegen 12:30 Uhr neuerlich ein Verband in den Wir- Stelle und es kam zu heftigen Luftkämpfen, die unter kungsbereich der Rieder Batterie, die sofort das Feuer anderem zum Absturz von drei deutschen Jagdflugzeu- eröffnete. Von diesem zu ihren Flugbasen in Italien ab- gen im Bereich der Gemeinden Aurolzmünster, Eber- fliegenden Verband scherten drei Bomber aus, die noch schwang und führten.2 ihre Bombenladung an Bord hatten, mit der Absicht diese aus geringer Höhe auf die Bahnanlagen von Ried Neben der Jagdwaffe beteiligte sich auch die Flak-Un- abzuwerfen.9 Bei diesem Vorhaben kamen insgesamt 51 tergruppe Braunau mit ihren schweren Batterien an der Sprengbomben mit einem Gewicht von 125 bis 250 kg Bekämpfung der Bomber. Zwischen 10:54 und 12:34 zum Abwurf. Doch nur 45 detonierten und 6 blieben Uhr feuerten die um Braunau und in Passau statio- als Blindgänger liegen. Die Abwurfzone erstreckte sich nierten Batterien auf die dahinziehenden Pulks. Auch in vom Gebäude des Wehrbezirkskommandos über den Ried griff die eben erst einsatzbereit gewordene schwere Bahnhof und die Bahnanlagen bis in den angrenzenden Alarmbatterie des Heeres in das Geschehen ein.3 Die 8,8 Ortsteil Wegleithen. Als schwer beschädigt galten das cm Batterie eröffnete das Feuer, als um etwa 11:00 Uhr Wehrbezirkskommando, der Bahnhof mit seinen Gleis-

102 Langstrecken-Begleitjäger Treibstoff- Zusatztanks, als Außenlasten an den Flugzeugen angebracht, in Verwen- dung. Dadurch verdoppelten sich die Einsatzreichweiten für die verwende- ten Flugzeugmuster P-38 „Lightning“ und P-51 „Mustang“, welche in der Vergangenheit wegen des fehlenden Treibstoffes zumeist noch vor dem Zielgebiet umkehren und ihre Bom- berverbände ungeschützt zurücklassen mussten. Mit Hilfe der Zusatzbehälter war der Einsatzbereich der Jagdflugzeuge fast unbegrenzt und die Bomberverbän- de konnten während des Hin- und Rückfluges und vor allem auch wäh- Das Bahnnetz im Innviertel, ein wichtiges Bindeglied zwischen den Hauptstrecken Linz – Salzburg und rend der Phase des Bombenabwurfs Linz – Passau, wird zum bevorzugten Angriffsziel der Jagdverbände der 15. US-Luftflotte. (Foto: US-Army) geschützt werden. Ein für die Bevöl- kerung äußerst unangenehmer Nebe- anlagen. Fünf Häuser galten als mittelschwer- und 27 neffekt war, dass nun der begleitende Jagdschutz, der Häuser als leicht beschädigt. Eine Frau und ein Soldat nicht unmittelbar zum Schutz der Bomber erforderlich wurden getötet, fünf Frauen und zwei Soldaten leicht war, Jagd auf alles machen konnten, was sich auf den verletzt, alle Betroffenen befanden sich außerhalb der Straßen und Schienenwegen bewegte. Ab diesem Zeit- Luftschutzräume. Der durchgehende Bahnverkehr war punkt konnte sich kein noch so unbedeutender oder für drei Tage unterbrochen. In der Umgebung der de- abseits gelegener Ort vor den überraschenden Attacken tonierten Bomben gab es auch zahlreiche zersplitterte der amerikanischen Jäger sicher wähnen. Besonders be- 10 Fensterscheiben. troffen war natürlich die Eisenbahn als das wichtigste Verkehrsmittel jener Zeit. Wegen des akuten Mangels Die zahlreichen Blindgänger führten dazu, dass ein an flüssigen Treibstoffen gab es damals im sogenannten Sprengkommando der Luftwaffe mit vier Trupps acht „Heimatkriegsgebiet“, so nann103te man das Gebiet Tage lang in Ried im Einsatz stand. Zur Freilegung der des Deutschen Reiches seit der Gegner die Luftüber- 29 Blindgänger, ein Teil davon war bis zu sechs Meter legenheit errungen hatte und sich fast ungestört in der tief ins Erdreich eingedrungen und musste erst ausge- Luft bewegen konnte, fast keine Autos mehr auf den graben werden, setzte man 32 Strafgefangene ein. Da Straßen. Alles fuhr mit der Eisenbahn, die auch die diese bei dieser nicht ungefährlichen Arbeit von 16 Hauptlast des Güterverkehrs trug und für die Versor- Gendarmen bewacht werden mussten, hatte dies Kon- gung der ländlichen Gebiete unverzichtbar war. Na- sequenzen. Sechs von dem im Umland von Ried gele- türlich war die Eisenbahn auch ein strategisches Ziel, gene Gendarmerie-Posten blieben während dieser Zeit soweit sie Truppen und militärische Versorgungsgüter unbesetzt.11 transportierte, welches auch von den amerikanischen Am Tag des ersten schweren Luftangriffs auf Linz, am Tieffliegern bevorzugt angegriffen wurde. Doch es wur- 25. Juli 1944, blieb der Himmel über dem Innviertel den nicht nur militärische Ziele angegriffen, wobei man frei von Flugzeugen, doch die Schreckensnachrichten auch ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vorging aus Linz verbreiteten sich rasch im ganzen Land. Wäh- und die nicht unbeträchtlichen zivilen Opfer als Kolla- rend des ganzen Hochsommers kam es regelmäßig zu teralschäden bewusst in Kauf nahm. Einflügen aus dem Süden, wobei die Flugzeuge auf Regelmäßig wurden auch die auf den Feldern arbeiten- ihrem Weg zu ihren Zielen in Süddeutschland, Tsche- den Menschen, aber auch die Tiere auf der Weide, zu chien und Schlesien auch das Innviertel querten. So feu- Zielen für die allgegenwärtigen Tiefflieger. Die ameri- erte die in Braunau und Ried stationierte schwere Flak kanischen Jagdflugzeuge mit ihren Piloten wurden zum am 12. und 23. September 1944, ohne erkennbaren Schrecken der Bevölkerung. Natürlich waren solche Erfolg, auf die durchfliegenden Verbände. Mittlerwei- Angriffe, ebenso wie die Bekämpfung von eindeutig le hatte sich die in Italien, im Gebiet um Foggia stati- erkennbaren zivilen Personenzügen, völkerrechtwidrig. onierte 15. amerikanische Luftflotte konsolidiert und Doch für die von den Bombenflugzeugen aus großer ihre Jagdverbänden war es in monatelangen ständigen Höhe abgeworfenen Sprengbomben machte es keinen schweren Kämpfen gelungen, die deutsche Jagdabwehr Unterschied, ob es sich um einen Truppentransport, ei- zu dezimieren, so dass ab September 1944 in unserem nen Lokalzug oder um einen mit dem Roten Kreuz ge- Raum kaum mehr deutsche Jagdflugzeuge gab, welche kennzeichneten Lazarettzug handelte. Diese durch die sich den alliierten Flugzeugen entgegenstellen konnten. Technik bedingte Aushöhlung des Kriegsvölkerrechts Seit dem Frühsommer 1944 standen für die alliierten

103 führte auch dazu, dass sich auch bei den in den Tiefflie- digt. Vom Zug brannten 2 Waggons aus, 5 Waggons gern sitzenden Piloten, welche sehr wohl erkennen schwer beschädigt und beide Richtungsgleise unterbro- konnten, welche Ziele sie vor sich hatten, nur ein Teil chen. In Mining erfolgten um 12:10 und 15:45 Uhr an die Regeln hielt. Andere wieder machten regelrecht Tiefangriffe, dabei wurde eine Verschiebelok im Bahn- Jagd, auf alles, was sich am Boden bewegte. Letztlich hofsbereich schwer beschädigt und der Lokführer leicht war es aber die einsame Entscheidung und Verantwor- verletzt. In Vöcklabruck wurden 4 Wohngebäude leicht tung jedes einzelnen Piloten, welche auch kaum durch beschädigt und in Attnang-Puchheim gab es an diesem entsprechende Belehrungen bezüglich der rechtlichen Tag Schäden an den Gleisanlagen. Gegebenheiten zu beeinflussen waren. Mit dem Einset- zen der Jagdbomberangriffe kamen neben Bomben des Am 29. Oktober 1944 war dann die Hausruckbahn Öfteren auch leere Treibstoffbehälter zu Boden. So zähl- das Ziel der Tiefflieger, wobei es in Attnang-Puchheim te man beispielsweise am 21. Juli 1944 im Gau Ober- schwere Schäden an den Bahnanlagen und dem rol- donau dreißig solcher abgeworfener Tanks, am 25. Juli lenden Material gab. In Breitenschützing wurden fünf waren es sogar zweiunddreißig. außerhalb des Bahnhofes abgestellte Dampflokomoti- ven mit den Flugzeugmaschinengewehren beschossen, Vorerst lag das Innviertel noch im Abseits, sowohl die wobei auch das Bahnhofsgebäude und fünf Wohnhäu- strategischen Bomber als auch die Tiefflieger konzen- ser beschädigt wurden.13 Am 15. November 1944 ka- trierten sich vorerst auf den Zentralraum. Am 23. Sep- men in Gemeindegebiet von Ranshofen sechs Spreng- tember bombardierte ein Verband mit 16 Maschinen, bomben, zwei davon als Blindgänger, zu Boden ohne der ein Treibstoffwerk in Tschechien zum Ziel hatte, am größeren Schaden anzurichten.14 Bei strahlendblauen Rückflug die Bahnanlagen von Wels. Die abgeworfenen Himmel überflogen am 17. November starke Feindver- 124 schweren Sprengbomben verursachten schwere bände, von Süden kommend, den Kreis Ried, um dann Zerstörungen an den Gleisanlagen. Erst am nächsten in nördlicher Richtung wieder auszufliegen. Kurz nach Tag um 17:00 Uhr konnte ein eingleisiger Notbetrieb Mittag warfen vier Flugzeuge ihre Bombenladung, ins- aufgenommen werden und erst vier Stunden später gesamt waren es 21 Bomben, auf Neuhofen. Der Bom- konnte der Durchgangsverkehr auf zwei Gleisen abge- benteppich erstreckte sich über das freie Gelände bis wickelt werden. Der nächste Tiefangriff erfolgte am 16. hin zur Unfriedmühle. Von den abgeworfenen Bomben Oktober, dabei wurde die Stecke Passau – Wels zwischen detonierten 16 sofort und zerstörten ein Haus und be- den Stationen Kumpfmühle und Riedau unterbrochen. schädigten drei Wohngebäude schwer. Fünf weitere Ge- Drei Flugzeuge hatten mit ihren Bordwaffen auf einen bäude wurden erheblich- und zehn leicht beschädigt. Wehrmachts-Güterzug mit 45 Waggons geschossen Auch die Kirche hatte schwer gelitten und der Friedhof, und auch eine Bombe abgeworfen, welche eine Muni- wo eine Sprengbombe detoniert war, wurde verwüstet. tionsexplosion in einem der Güterwagen auslöste. Da- Drei weitere Bomben waren unweit der Friedhofsmauer bei wurde ein Bauernhaus total zerstört, über zwanzig niedergegangen. Trotz der Verwüstungen gab es in Neu- Häuser erheblich und 50 leichter beschädigt. Von dem hofen nur drei leicht verletzte Personen.15 Die Mehrzahl Militärzug waren zwei Waggons ausgebrannt und fünf der Bomben ging zum Glück auf freies Gelände nieder, weitere schwer beschädigt. Ein riesiger Sprengtrichter wo man dann auch fünf Bomben mit Langzeitzünder hatte beide Richtungsgleise zerstört. Ein Soldat und der feststellten konnte, von denen drei noch in den Abend- Heizer der Dampflokomotive wurden getötet, fünf Sol- stunden detonierten. daten schwer- und 18 leicht verletzt.12 Nach dem Bombardement von Neuhofen flogen die Auch auf der von Ried nach Simbach führenden Bahn- Flugzeuge weiter in südwestlicher Richtung, wobei sich linie wurde an diesem Tag bei der Station Mehrnbach ein weiterer Bomber bei der Ortschaft Riegerting sei- ein Güterzug angegriffen, wobei der Lokführer leicht ner brisanten Ladung entledigte. Insgesamt waren es verletzt wurde und zwei Waggons Schäden abbekamen. 11 Bomben, unter denen sich auch zwei mit Langzeit- Die Flugzeuge feuerten auch auf den Feldern arbeiten- zündern befanden, die noch am selben Tag detonierten. de Personen, wobei es glücklicherweise keine Personen- Personen waren nicht betroffen, lediglich Schloss und schäden gab. Die Tiefflieger kehrten anschließend zu- Brauerei hatten leichte Gebäudeschäden abbekommen. rück und beschossen zweimal die Bahnstation, wobei Mit den Bomben mit Langzeitzündern war man erst- eine Verschiebelokomotive schwer beschädigt und der mals mit einer besonders heimtückischen Waffe kon- Heizer leicht verletzt wurde. In Hohenerlach im Ge- frontiert. Diese Bomben hatten chemische Zünder, meindegebiet von Taiskirchen erfolgte ein Tiefangriff welche, abhängig vom Modell des eingesetzten Zün- von 3 Flugzeugen mit Bordwaffen und Bombenabwurf ders, die Bombe mit einer Verzögerung von 2 bis 144 auf einen Wehrmachts-Güterzug mit 45 Waggons. Die- Stunden zur Detonation brachten. Besonders perfide ser befand sich auf der Strecke Wels-Passau, zwischen war, dass diese Zünder mit einer Ausbausperre versehen den Stationen Kumpfmühle und Riedau, als der Angriff waren, was eine Entschärfung verhindern sollte. Am erfolgte. Ein Soldat und der Lok-Heizer wurden getö- 30. November 1944 fielen bei Braunau vier mittlere tet, 5 Soldaten schwer- und 18 Soldaten leicht verletzt. Sprengbomben in einem Auwald, ohne das ein größerer Dabei wurde auch ein Bauernhaus total zerstört und 10 Schaden entstand.16 Danach machte der Luftkrieg im Häuser schwer-, 13 mittelschwer- und 50 leicht beschä- Gebiet zwischen Inn und Antiesen wieder eine längere

104 Pause. Erst am 16. Dezember 1944 überflogen gegen schwer beschädigt.21 Mit dem Gemetzel von Geinberg Mittag starke Verbände den Landkreis Ried, wobei ver- endete das Kriegsjahr 1944 im Innviertel. Trotz des blu- einzelt auch Bomben fielen. So gingen sechs Bomben tigen Geschehens vom 27. Dezember darf zusammenge- bei Mettmach auf einem Feld nieder und verursachten fasst werde, dass der Kreis Ried und hier besonders das geringen Flurschaden. Eine davon hatte jedoch einen Gebiet zwischen Inn und Antiesen bisher noch wenig Langzeitzünder, der die Bombe erst sechs Stunden nach vom Luftkrieg betroffen war, was man von anderen Ge- dem Abwurf detonieren ließ. Weitere fünf Bomben ka- bieten in Oberösterreichs so nicht behaupten konnte. men bei Warmannsstadl und Mitterberg zu Boden, wo Doch viele ahnten, dass es so nicht bleiben würde und sie nur geringen Häuser- und Flurschaden anrichteten. mancher fürchtete sich vor der nächsten Zukunft. Die Auch im Hausruckwald ging eine einzelne Bombe, ei- vielen Toten und Verwundeten in den letzten Tagen des nen Kilometer vom Nordportal des Hausrucktunnels Jahres 1944 ließen die begründete Angst aufkommen, entfernt nieder, wobei es zu erheblichen Waldschäden dass das Jahr 1945, es war nun bereits das sechste Kriegs- kam.17 Am nächsten Tag überflogen zur Mittagszeit jahr, der Bevölkerung noch weitere schwere Prüfungen wieder einmal Bomberverbände den Kreis Ried. Bei be- auferlegen würde. Der erste Vorfall im noch jungen Jahr decktem Himmel stürzte dabei im Bezirk Schärding ein 1945 wurde bereits am 7. Januar 1945 aus der Gemein- Bombenflugzeug ab. Gegen 13:00 Uhr schlug inSu- de Geinberg gemeldet, wo in Mühlheim während der metrad, in der Gemeinde Rainbach, ein viermotoriger Nachtstunden eine Sprengbombe und über 200 Stab- Bomber vom Typ B-17 G, mit der Nummer 44-6110, brandbomben, von denen jedoch 30 nicht zündeten, auf. Das Flugzeugwrack wurde vorerst von Angehö- niedergingen. Die Wirkung war gering, doch der Flur- rigen des Volkssturms bewacht, bis das Wrack, in der schaden erheblich und es gingen auch einige Fenster- Zeit vom 22. Dezember 1944 bis zum 5. Januar 1945, scheiben zu Bruch. Der Abwurf ist mit hoher Wahr- von der 2. Kompanie des Luftwaffen-Bergebataillon III scheinlichkeit dem Bomber Command der Royal Air zerlegt und der Flugzeugschrott in Schärding auf Ei- Force zuzuschreiben und stand im Zusammenhang mit senbahnwaggons verladen wurde. Schon vorher hatten dem letzten nächtlichen Großangriff auf München.22 Soldaten der Fliegerhorst-Kommandantur A 35/VII Anscheinend handelte es sich um einen Not-Abwurf (o) Pocking die im Flugzeug vorhandenen Unterlagen eines nahe Simbach abgestürzten Feindflugzeuges.23 sichergestellt und alle brauchbaren Geräte und Teile ausgebaut. Die noch rechtzeitig mit dem Fallschirm ab- Der erste Luftangriff des Jahres richtete sich am 8. Ja- gesprungene Besatzung kam weit verstreut in den Ge- nuar 1945 auf Linz, wobei auch der Bezirk Braunau in meinden , Taiskirchen, und Mitleidenschaft gezogen wurde, wo in Dietfurth, in der Geiersberg zu Boden.18 Während neun von den zehn Gemeinde St. Peter am Hart, und in Unterhartberg, im Notspringern von der Gendarmerie aufgegriffen wur- Gemeindegebiet von Burgkirchen, Bomben fielen, wo- den, lief der zehnte Mann bereits dem eilig herbeigeeil- bei der Schaden gering blieb.24 Als am 20. Januar 1945 ten Militär in die Hände. Die Flugzeugbesatzung wurde die Städte Linz, Salzburg und Rosenheim bombardiert vorerst in den Fliegerhorst nach Pocking verbracht, von wurden, kam es auch im Innviertel zu einigen Bomben- wo sie in das Vernehmungslager der Luftwaffe in Ober- abwürfen. So im Kreis Braunau, wo die Orte Schwandt ursel überstellt wurde.19 im Innkreis, , Burgkirchen, Roßbach und Mining solche Fehlwürfe meldeten. In Mining fielen Am 25. Dezember 1944, es war ein wolkenverhangener acht Sprengbomben in die Inn-Au, dabei wurde das un- Tag, detonierte in Klingersberg, im Gemeindegebiet mittelbar beim Kraftwerk gelegene Schloss Frauenstein von Weilbach, sowie in Gurten je eine Sprengbombe, leicht beschädigt. Wiederum trat eine längere Pause ein, wobei es in beiden Fällen keine ernstlichen Schäden gab. wobei es sich diesmal um die sprichwörtliche Ruhe vor Auch in Lambrechten und Taiskirchen kam an diesem dem Sturm handelte. Am 17. Februar 1945 waren die Christtag unerwartet eine Bombenladung zu Boden.20 Bahnanlagen von Linz und Wels das Ziel der Bomber. Um die Mittagszeit des 27. Dezember 1944 flogen zwei In Wels zählte man 250 Bombenkrater und die Bahnan- Flugzeuge in niedriger Höhe über das Rieder Bahnhofs- lagen wiesen schwere Schäden auf. Der Bahnbetrieb war viertel und beschossen den Bahnhof und die dortigen empfindlich gestört, was sich auch auf das Verkehrssy- Bahnanlagen. Dabei wurde einem Streckenwärter ein stem des Innviertels negativ auswirkte. Arm abgeschossen, zwei weitere Eisenbahner wurden leicht verletzt. Im Bahnhofsbereich wurden durch das Am 22. Februar 1945 kam es um 13:15 Uhr im Gemein- Maschinengewehrfeuer eine auf die Abfahrt wartende degebiet von Manning, unweit der Bahnstation Wolfs- Lokomotive sowie das Stellwerk beschädigt. Schwerer hütte, zum Absturz eines amerikanischen Jagdflugzeugs waren die Auswirkungen einer unmittelbar danach er- vom Typ „Lightning“. Dieser Absturz war wohl die Folge folgten Attacke auf Geinberg. Unmittelbar nach dem des Beschusses der in Ried stationierten leichten Flak.25 Geschehen in Ried attackierten die beiden Flugzeuge Am nächsten Tag kam es im Kreis Schärding zu einem mit Ihren Bordwaffen einen aus Ried kommenden und Tieffliegerangriff, bei dem ein Schiff auf der Donau un- in den Bahnhof einfahrenden Personenzug. Die blutige ter Feuer genommen wurde und im Kreis Braunau war Bilanz des nur einige Minuten dauernden Angriffs wa- wieder einmal der Bahnhof von Minning das Ziel der ren 10 Tote, 7 Schwer- und 15 Leichtverletzte. Auch die Jagdflieger. Um die Mittagszeit beschossen zwei Flug- Lokomotive und die Waggons des Zuges wurden dabei zeuge den Bahnhof und beschädigten dabei vier Gü-

105 terwagen leicht.26 In Verbindung mit einem schweren eines mit Erdöl beladenen Zuges schwer beschädigten. Bombardement der Bahnanlagen von Linz konzen- Das ausgeflossene Öl machte auch mehrere Häuser trierten sich die begleitenden Jagdflugzeuge am 2. März unbewohnbar. Unmittelbar danach erfolgte eine wei- 1945 auf die Bahnstrecken im Innviertel. So wurde um tere Attacke, diesmal waren es sieben Flugzeuge die in die Mittagszeit ein Personenzug in Neumarkt-Kallham Andorf das Bahnhofsgebäude und Güterzüge, welche angegriffen, wobei zwei Männer und zwei Frauen den auf freier Strecke abgestellt waren, mit ihren Bordma- Tod fanden, vier weitere Personen wurden schwer ver- schinengewehren beschossen. Die beiden Lokomotiven letzt. Unmittelbar danach erfolgte eine Attacke auf den galten nach dem Angriff als Totalschaden. In Schärding Bahnhof Riedau, wo eine Dampflokomotive und ein flogen an diesem Tag zwei Waggons eines mit Muniti- Waggon Beschussschäden abbekamen. Einige Minu- on beladenen Transportzuges, nach erfolgtem Beschuss, ten danach attackierten zwei Tiefflieger die Bahnstation in die Luft.31 Nach einer sechstätigen Pause kam es am Obernberg-Altheim, wo die Dampflokomotive eines 19. März 1945 zu neuerlich Attacken auf die Bahnstre- Güterzuges durch den Beschuss betriebsunfähig wurde. cken in den Kreisen Braunau, Ried und Schärding. An Auch mehrere Waggons wurden bei diesem Angriff be- diesem Tag warfen auch mehrere in großer Höhe flie- schädigt. Ein zufällig im Bahnhofsbereich anwesender gende Bombenflugzeuge ungezielt ihre tödliche Fracht Soldat erlitt dabei einen Durchschuss am Bein.27 Kurz ab. Sprengbomben fielen in Münzkirchen, Andorf und nach 11:00 Uhr stürzte im Gemeindegebiet von Ottn- Suben, wo es überall nur Flurschäden gab.32 Amerika- ang am Hausruck ein amerikanisches Jagdflugzeug ab, nische Tiefflieger beschossen bei Helpfau-Uttendorf wobei der Pilot ums Leben kam.28 Das Flugzeug hatte einen mit Flüchtlingen überbesetzten Transportzug, unmittelbar vor dem Absturz einen im Bahnhof Holz- wobei zwei Männer und eine Frau ums Leben kamen, leiten abgestellten Kesselwagen beschossen, danach weitere vier Personen wurden schwer- und zwei Frauen konnte der Pilot seine Maschine nicht mehr rechtzeitig und ein Kind leicht verletzt. Die Dampflok und der er- hochziehen und rammte den gegenüber liegenden dicht ste Waggon des Zuges blieben nach dem Angriff schwer bewaldeten Bergrücken.29 Es war bereits der zweite Ab- beschädigt zurück. sturz im Gemeindegebiet von Ottnang, da hier schon am 22. Februar eine P-51 zu Boden gekommen war. In Ein weiterer Tiefangriff hatte wiederum Mining zum Summe war an diesem Tag das gesamte Inn- und Haus- Ziel, wo im Bahnhofsbereich die Dampflokomotive ruckviertel von den Tiefangriffen betroffen und es gab und der erste Waggon eines auf die Abfahrt wartenden viele Tote und Verwundeten sowie beträchtliche Schä- Zuges schwer beschädigt wurden. Auch hier gab es ei- den an den Bahnanlagen. nen Schwerverletzten und ein Soldat wurde leicht ver- wundet. Da die Jagdflieger vorrangig die Lokomotive Im Rahmen eines Angriffsunternehmens, welches sich und hier den Dampfkessel als Ziel ihren überschweren vorrangig gegen die Städte und Landshut Maschinengewehre wählten, waren in erster Linie die richtete, kam es am 13. März 1945 zu Tiefangriffen ent- Dampflokomotive samt Lokführer und Heizer sowie die lang der Bahnlinie Regensburg - Passau – Linz, wobei vorderen, unmittelbar nach der Lokomotive eingereih- die daran beteiligten mehr als 30 Jagdflugzeuge ihre Ak- ten, Waggons besonders gefährdet. Um 13:26 Uhr kam tivitäten auf das gesamte Innviertel ausdehnten. es im Haltepunkt Atzing zu einem weiteren Tiefangriff, wobei die Lokomotive eines Personenzuges schwerste Schon vorher hatte in Braunau ein Flugzeug einen im Beschussschäden abbekam.33 Um 14:00 Uhr waren Bahnhofsbereich abgestellten Militärzug beschossen die Flugzeuge in der Umgebung von Ried unterwegs, und beschädigt. Auch die Bahnstation Obernberg-Alt- wobei die zwei Lokomotiven eines doppeltbespannten heim wurde neuerlich zum Ziel, als um 13:00 Uhr zwei Güterzuges bei Atzing durch den Beschuss fahrunfähig Flugzeuge eine hier abgestellte Dampflokomotive und wurden. Auch im Bereich der Hausruckbahn kam es einen leeren Kesselwagen beschädigten. Um 14:15 Uhr in zu einer Attacke auf einen Güterzug, wurde die von Ried nach Schärding führende Strecke auch hier wurde die Lokomotive schwer beschädigt. von zwei Flugzeugen angegriffen, die in St. Martin im Ein Stück weiter wurden in Manning fünf kalt abge- Innkreis einen im Bahnhofsbereich wartenden Güter- stellte Dampflokomotiven zerstört und im Bahnknoten zug und den soeben in Richtung Hart ausfahrenden Attnang-Puchheim brannten nach Beschuss 20 Kessel- Personenzug unter Feuer nahmen. Dabei gab es zwei waggons mit Erdöl aus. Ein weiterer Angriffsschwer- Schwer- und zwei Leichtverletzte. Die Dampflokomoti- punkt lag im Bezirk Schärding, wo unter anderen in ven beider Züge wurden schwer-, das Bahnhofsgebäude Taufkirchen die Bahnanlagen angegriffen und eine ab- leicht beschädigt.30 Zehn Minuten später waren die bei- gestellte Dampflok zerstört wurde.34 den Flugzeuge entlang der der Bahnlinie von Ried nach Braunau unterwegs, wo sie nächst dem Haltepunkt Am 23. März 1945 wurde ein fahrender SFR-Zug Mehrnbach einen Güterzug attackierten. Nach dem (Schnellzug für Fronturlauber mit Reisezugteil) zwi- Angriff war der Kessel der Dampflok von 30 Geschos- schen Griesbach und Andorf von drei Flugzeugen an- sen regelrecht durchsiebt. gegriffen. Dabei wurde die Lokomotive und der erste Waggon schwer- und ein weiterer Waggon leicht be- Ähnlich war es auch im Bezirk Schärding, wo in Taufkir- schädigt. Am 30. März 1945 attackierten um 08:25 chen sechs Flugzeugen angriffen und 13 Kesselwaggons Uhr sieben Feindflugzeuge einen Personenzug im Ge-

106 meindegebiet von Hohenzell. Während es durch den ßend wurde ein Güterzug mit Personenbeförderung, Abwurf von leichten Bomben nur zu Flurschaden kam, zwischen den Stationen Mattighofen und , wurden durch die Maschinengewehrgarben fünf Per- beschossen. Dabei wurden zwei Frauen schwer verletzt sonen verletzt und die Lokomotive des Zuges schwer und die Lokomotive leicht- und zwei Personen- und ein beschädigt. Vermutlich hatte man es hier erstmals mit Güterwaggon schwer beschädigt. 16 Tiefflieger waren den Jagdbombern des XIXth Air Command zu tun, im Bereich von Neumarkt-Kallham unterwegs, welche welche der nach Bayern vorrückenden 3. US-Armee um 13:05 Uhr einen nach Grieskirchen fahrenden Gü- (General Patton), zur Unterstützung aus der Luft, bei- terzug mit Bordwaffen beschossen und auch 13 Spreng- gegeben waren.35 bomben abwarfen, was dazu führte, dass beide Gleise der wichtigen Bahnstrecke für 4 Tage unterbrochen Am letzten Tag des Monats März waren in der Haupt- waren. Bei den Attacken wurden eine Lokomotive und sache die Kreise Schärding und Grieskirchen betroffen. acht Waggons total zerstört. Mit drei Schwerverletzten Im Kreis Ried kam es um 12:30 Uhr in Eberschwang hielten sich die Personenschäden in Grenzen. zu einem Tiefangriff, wobei zwei Jagdbombern eine Lokomotive beschossen und schwer beschädigten. In Neumarkt-Kallham kam es um 13:15 Uhr zu einem Während der Attacke streifte ein Flugzeug den Boden, Angriff auf den Bahnhof, wobei vier mittlere Spreng- konnte jedoch noch rechtzeitig hoch ziehen. Bei diesem bomben das Bahnhofsgebäude erheblich beschädigten. Flugmanöver streifte die Maschine vier 10 kg schwere Auch ein militärischer Transportzug wurde angegriffen, Splitterbomben ab, welche nach mehrmaligem Über- wobei ein mit Waffen uns Ausrüstung beladener Waggon schlagen am Boden frei liegen blieben. Um diese Zeit ausbrannte. Auch zwei Soldaten einer Transportschutz- wurden auch bei Katzenberg sieben Bomben abgewor- batterie, die zur Bedienung eines im Zug mitgeführten fen, wobei eine als Blindgänger liegen blieb.36 Am 1. und mit Fliegerabwehrkanonen bewaffneten sogenann- und 2. April 1945 waren Tiefflieger wieder über oberö- ten „Flak-Wagen“ gehörten, wurden schwer verwundet. sterreichischen Gebiet unterwegs, doch der Kreis Ried Um 13:20 Uhr griffen vier Flugzeuge in der Haltestelle blieb diesmal verschont. Am 3. April 1945 verhinderte Mehrnbach einen mit ungarischen Flüchtlingen vollbe- eine Schlechtwetterfront jegliche Flugtätigkeit, so kam setzten Zug an, wobei die Lokomotive leicht beschädigt es erst am 4. April, um 13:10 Uhr, zu einem Angriff wurde. Um 13:30 Uhr erfolgte ein neuerlicher Tiefan- auf einen Güterzug zwischen Andorf und Taufkirchen. griff, diesmal von fünf Flugzeugen, die in der Haltestelle Daran waren drei Flugzeuge beteiligt und es kam auch Gurten einen weiteren Ungarn-Transport unter Feuer zum Abwurf einer mittleren Sprengbombe. wobei die nahmen, wobei ein Mann getötet und ein Mann leicht Lokomotive schwer beschädigt und der Heizer ver- verletzt wurde. Mehrere Waggons blieben beschädigt wundet wurde. zurück. Um 13:45 Uhr warf eine Maschine neuerlich eine Sprengbombe auf Neumarkt-Kallham, diesmal Der 8. April 1945 entwickelte sich für das Eisenbahn- ohne Schaden anzurichten. system im Innviertel zu einem wahren Katastrophen- tag.37 Vier Flugzeugen attackierten um 11:00 Uhr Am 11. April 1945 griffen um 09:30 Uhr sechs Flug- den Bahnhof und einen außerhalb des zeuge einen Güterzug in der Haltestelle Achenlohe, im Bahnhofsbereichs abgestellten Güterzug, wobei es zu Gemeindegebiet Munderfing, an. Die Folge war eine Gleisschäden kam und etliche Telegrafenleitungen zerstörte Dampflok und ein schwer verletzter Lokführer. ausfielen. Anschließend wurde in Unterhartberg, an Um 16:25 Uhr erfolgte ein weiterer Tiefangriff, diesmal der Straße von Ried nach Braunau, die dortige Stel- im Bereich Mehrnbach durch zwei Flugzeuge. Wieder lung der schweren Flak attackiert, dabei wurden vier war es ein Zug mit ungarischen Flüchtlingen, nach der Soldaten schwer- und zwei leicht verletzt, die 8,8 cm Attacke blieb eine zerstörte Lokomotive und ein ver- Fliegerabwehrkanonen blieben einsatzbereit. Anschlie- letztes Flüchtlingskind zurück. Ein weiterer Tiefangriff, diesmal waren es drei Flugzeuge, richtete sich um 16:30 Uhr gegen einen Zug. ebenfalls mit ungarischen Flücht- lingen besetzt, der im Bahnhof Eberschwang hielt. Ein Soldat und zwei Frauen fanden bei dem Angriff den Tod, drei Frauen wurden leicht verletzt. Drei Tage spä- ter, am 15. April 1945, es lag an diesem Tag eine dichte Wolkendecke über dem Innviertel, warf ein Flugzeug um 12:15 Uhr zwei Bomben, auf das Inn-Kraftwerks Egglfing-Obernberg, die den Staudamm um etwa 50 m verfehlten und keinen Schaden anrichteten.38 Am 16. April 1945 verkündete General Spaatz, der Oberkommandierende der amerikanischen Luftwaffe in Europa, vor versammelter internationaler Presse das Ende des strategischen Luftkrieges an. Trotzdem ging US Bomber über den Alpen (Foto: US-Army) das Bombardement durch die beiden Luftflotten der

107 US-Strategic Air Force weiter. Nur hieß es jetzt, die stra- rere Flugzeuge. Hierbei wurde ein Wohnhaus in Brand tegischen Luftflotten unternehmen unvermindert alle geschossen und zwei Lastkraftwagen brannten aus. Von Anstrengungen, um vereint mit den taktischen Flieger- den Maschinengewehrgaben wurden drei Pferde ge- verbänden gemeinsam die baldige Niederlage Deutsch- tötet und an blutigen Personenverlusten wurden zwei lands sicherzustellen.39 Parallel dazu plante man an die- Schwer- und zwei Leichtverletzt gemeldet. Am Nach- sem Tag eine Großaktion, welche die Infrastruktur der mittag erfolgte ein neuerlicher Tieffliegerangriff auf deutschen Luftwaffe im Rücken der Ostfront endgültig Schärding wobei diesmal auch drei Sprengbomben zum zerschlagen sollte. Es sollte eine gemeinsame Aktion der Abwurf kamen, wobei ein Militär-Lastkraftwagen und in England und Italien stationierten Luftflotten werden. das Gau-Schulungsgebäude schwere Schäden abbe- Die Jagdgeschwader des VIIIth und des XVth Fighter kamen. Der Angriff kostete zwei Soldaten das Leben, Command sollten vereint die wichtigsten Flugplätze in vier Volkssturmmänner wurden leicht verwundet. Kurz Böhmen, Süddeutschland und Westösterreich angreifen vor dem Einbrechen der Dunkelheit erfolgte noch ein und so der deutschen Luftwaffe den Todesstoß verset- Angriff, der die bereits für den Erdkampf aufgestellten zen.40 Fliegerabwehrkanonen zum Ziel hatte. Wieder kamen zwei Soldaten ums Leben und eine unbeteiligte Frau Am 25. April 1945 fielen in der Gemeinde Geinberg, wurde leicht verletzt. im Ortsteil Durchham, 13 kleine Bomben wobei es zu keinen ernsthaften Schäden kam. Die Passauer-Strecke Auch in der weiteren Umgebung machten sich die war nun ein ständiges Ziel der Tiefflieger und war auch amerikanischen Jagdbomber am 26. April bemerkbar. an diesem Tag wiederum betroffen. Bei Untertrattnach So erfolgte am Nachmittag Tiefangriffe auf Siegharting wurde um 11:00 Uhr ein Militärtransport mit vier und Andorf, wobei im Ortsgebiet von Siegharting ein Bomben beworfen und mit Maschinengewehrfeuer at- Lastkraftwagen des Militärs beschossen und schwer be- tackiert. Dabei wurden ein Soldat und eine Frau schwer- schädigt wurde, dabei gab es auch einen Toten und zwei und zwei Frauen leicht verletzt. Auch die nahegelegene Schwerverwundete. Etwas später erfolgte ein Tiefangriff Futtermittelfabrik und das Lagerhaus sowie 20 Wag- auf das Bahnhofsbereich von Andorf, wo zwei Güter- gons mit Wehrmachtsgut wurden schwer beschädigt. waggons schwer beschädigt wurden und das Lagerhaus In Grieskirchen erfolgte kurz vor Mittag ein weiterer abbrannte, dabei gab es zwei Schwerverletzte.42 Am Tiefangriff von zwei Flugzeugen auf einen Militärtrans- nächsten Tag, es war der 27. April 1945, war wiederum port, auch hier wurde die Lokomotive schwer beschä- die Passauer-Strecke das Ziel. Um 15:00 Uhr griffen vier digt. Im Bereich Neumarkt-Kallham führten mehrere tieffliegende Flugzeuge Neumarkt-Kallham an, warfen Flugzeuge kurz nach Mittag Tiefangriffe auf die Bahn- vier Sprengbomben ab und schossen im Bahnhofsbe- anlagen durch, wobei auch fünf Sprengbomben abge- reich einen militärischer Transportzug in Brand. Bei worfen wurden. Bei diesen Angriffen wurden zwei Lo- den Kampfhandlungen wurde auch das Stationsgebäu- komotiven schwer beschädigt und zwei Waggons hatten de und fünf weitere Häuser schwer-, und zwei Wohn- Beschussschäden abbekommen. Zum Glück gab es nur gebäude leicht in Mitleidenschaft gezogen. Kurze Zeit drei Leichtverletzt. In Ried nahmen vier Flugzeuge im später waren zwei von diesen Flugzeugen in Riedau, wo Gemeindegebiet von Hohenzell eine Flüchtlingskolon- sie fünf Eisenbahnwaggons schwer beschädigten und ne unter Beschuss, wobei ein Mann getötet wurde. Auch das Frachtenmagazin in Brand setzten.43 Diese Angriffs- fünf Zugpferde verendeten im Maschinengewehrfeuer, serie, geflogen von den taktischen Fliegerkräften der an den Fuhrwerken gab es erhebliche Schäden.41 3. US-Armee, erfolgte bereits zur Unterstützung der Kampfhandlungen um Passau, welches dann am 2. Mai Die amerikanischen Truppen kamen im Bereich nörd- 1945 kapitulierte. lich der Donau wesentlich rascher voran als südlich des Stromes, wo die Isar ein quer zur Vormarschrichtung Für den Bezirk Schärding war es ein besonderer Glücks- liegendes Wasserhindernis bildete und erst überwunden fall, dass die letzte Aprilwoche durch eine ungewöhn- werden musste. Daher konzentrierte sich die Tätigkeit lich hartnäckige Schlechtwetterlage gekennzeichnet der amerikanischen taktischen Fliegerkräfte vorerst auf war. Tiefliegende Wolken und die ständige Vereisungs- den Raum Passau. Dies bekam auch der Bezirk Schär- gefahr schränkten jegliche Flugtätigkeit ein, so dass die ding zu spüren, wo am 26. April 1945 um die Mittags- Angriffsserie unerwartet ein Ende fand und das Inn- zeit die Stadt Schärding von mehreren Flugzeuge an- viertel in den beiden nächsten Tage von Tieffliegeran- gegriffen wurde. Im Bereich der Reichstraße zerstörten griffen verschont blieb. Gauleiter Eigruber sprach in die Tiefflieger drei Panzer und drei Lastkraftwagen des seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar Militärs, wobei ein Soldat getötet und weitere zwei am Mittwoch,den 25. April 1945, am Abend im Rund- schwer verwundet wurden. Auch drei Zivilisten wur- funk: „…Demnach werden die Amerikaner in den näch- den leicht verletzt. Kurze Zeit später wurde im Orts- sten Tagen versuchen, an den Inn zu kommen und von teil Brunnental ein weiterer Militärkonvoi angegriffen, dort Inn aufwärts und Donau abwärts vorzustoßen. Wir wobei sechs Pferde verendeten und ein Soldat und zwei werden nunmehr Kriegsgebiet. Das hat zur Folge, dass sich Zivilpersonen ums Leben kamen, zwei Männer wurden die Luftangriffe, insbesondere die Jagdbombertätigkeit ver- schwer verletzt. Unmittelbar danach kam es im Bereich stärken wird…“.44 Eigrubers Aufforderung an die Bür- der Reichsstraße zu einem Tieffliegerangriff durch meh- germeister und Gendarmerieposten, die Fliegerwarnung

108 im öffentlichen Bereich besser als bisher zu organisieren, tet, die planmäßige Ankunft in Geinberg wäre um 10:15 Uhr gewesen. zeigt die Hilfslosigkeit des einst so mächtigen Gaufür- 22 Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), LWA, Zl. 19 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 11/45 geh., II. Ang.) 2. LS-SM/SM zum 8.1.1945. Der ange- sten. Diese Ohnmacht gegenüber der Luftüberlegen- sprochene Luftangriff auf München ist eingehend dargestellt bei: Irmtraud heit des Gegners wurde noch durch das Eingeständnis Peermoser, Der Luftkrieg über München 1942—1945, Oberhaching 1996, S. unterstrichen, dass es ab nun nicht mehr möglich sein 318—326. Die 15. US-Air Force in Italien hatte an diesem Tag wegen Schlecht- wetters Startverbot und die 8. US-Luftflotte in England agierte an diesem Tag würde, so wie in der Vergangenheit, rechtzeitig Flieger- nur im Frontbereich. alarm auszulösen. Am Schluss seiner Rede erging er sich 23 TB. Langer. Allerdings findet sich weder in Langers Tagebuch, noch bei Peer- noch in pathetischen Durchhalteparolen, welche selbst moser, konkrete Angaben zu einem Absturz bei Simbach. 24 AFHRA, History/OP 8.1.1945 und INTOPS No. 536. OÖLA, LWA, Zl. 19 die gläubigsten Parteigenossen kaum motivieren konn- g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 11/45 geh., II. Ang.) 2. LS-SM/SM zum 8.1.1945. ten. Renato Schirer Linz meldete 1200, der Reichsgau Oberdonau 456 und der Reichsgau Nieder- donau 26 Sprengbombenabwürfe. 25 NARA RG-92, M.A.C.R. 12465, P-51D No. 43-25096, Absturzort Wolfs- hütte und TB. Langer. 26 OÖLA, Zl. 84 g. Meldung über die Luftangriffshandlungen auf den Reichs- 1 US-Air Force. Air Force Historical Research Agency (AFHRA/RSA), 15th gau Oberdonau am 23. Februar 1945 und BArch R19/341. Hier: Der Chef der Army Air Force, History 21.7.1944. Ordnungspolizei Berlin, Betr.: Luftangriffe auf das Reichsgebiet, Lagemeldung 2 Renato Schirer, Ried und seine Garnison im Luftkriegsgeschehen der Jah- Nr. 1415, vom 4.4.1945 (BdO. Wien – Nachtrag: 23.2.1945). re 1944/45. In: Der Bundschuh XVI, Schriftenreihe des Museums Innviertler 27 TB. Langer und OÖLA, LWA Zl. 107 g.; BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 201/45 Volkskundehaus (Ried im Innkreis 2014) 117—124. geh., II. Ang., 2. LS-SM/SM zum 2.3.1945. 3 Gestellt von der von Wiener Neustadt nach Ried im Innkreis verlegten Heeres- 28 OÖLA, LWA, Zl. 107 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 201/45 geh., II. Ang.) 2. Flakartillerie Ersatz- und Ausbildungsabteilung 277. LS-SM/SM zum 2.3.1945. 4 Österreichisches Staatsarchiv-Archiv der Republik (ÖStA-AdR) 08R450/1. 29 OÖLA, LWA, Zl. 107 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 201/45 geh., II. Ang.) 2. LGK XVII, Ic, Br.B.Nr. 23984/44 geh. Abendmeldung für den 21.7.1944. LS-SM/SM zum 2.3.1945. Zu diesem Absturz konnte im Bestand RG-92 kein 5 Als schwere Bomben wurden jene mit einen Gesamtgewicht von 1000 und M.A.C.R. ermittelt werden, obwohl im MASAF INTOPS 589 der Verlust einer 500 Pfund (annähernd 500 bzw. 250 kg) bezeichnet. P-51 der 52nd Fighter Group, durch Beschuss mit Handwaffen, vermerkt ist. 6 Tagebuch Langer (TB Langer). Langer war ein Gendarm, der im Gendarme- 30 Langer notierte bezüglich der Geschehnisse im Gendarmerie-Kreis Ried: rie-Kreiskommando in Ried im Innkreis in leitender Funktion Dienst versah. Zwischen 12:00 und 14:00 Uhr kreisten feindliche Tiefflieger über dem Inn- 7 Da nur die B-24 der 461st und 484th Bomb Group solche Bomben geladen viertel, wobei die hiesige Flak diese mehrmals erfolglos beschoss. Durch Bord- hatten, musste es demnach eine Maschine von einer dieser Gruppen gewesen waffenbeschuss wurden im Bahnhofsbereich von St. Martin im Innkreis und auf sein, welche sich auf Höhe von Aurolzmünster ihrer Bombenladung entledigte. der Strecke nach Hart zwei Personen schwer und zwei Personen leicht verletzt. Beide Gruppen, mit dem Angriffsziel Brüx, hatten an diesem Tag keinen Flug- Zwei Lokomotiven wurden schwer beschädigt. zeugverlust. 31 OÖLA, LWA, Zl. 115 g.; Der Kommandeur der Gendarmerie Oberdonau in 8 Die 2nd Bomb Group verlor über dem Innviertel zwei B-17. Die von den Linz, RV 5400 Nr. 114/45 geh., LS-SM/SM zum 13.3.1945. Jagdfliegern angegeben Positionsangaben 48°30´N – 15°30´E und 48°10´N – 32 OÖLA, LWA, Zl. 124 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 274/45 geh.) LS-SM/ 13°35´E zu den Verlusten würden einem Standort etwas südlich der Ortschaft SM zum 19.3.1945. Schardenberg, im Bezirk Schärding, und unmittelbar über der Ortschaft Eber- 33 Es war dies der aus Simbach kommenden Personenzuges 823, mit Planan- schwang, im Bezirk Ried, entsprechen. Beide Flugzeuge flogen noch eine erheb- kunft 13:26 Uhr in Atzing. liche Strecke, bis sie in der Gegend des Traunsees am Boden aufschlugen. 34 Mariane Kreuzhuber Hausarbeit in Geschichte, Das Kriegsende 1945 im 9 Es handelte sich um drei Maschinen der 99th Bomb Group. Bezirk Ried, Linz an der Donau, September 1978, S. 6. 10 ÖStA-AdR, 08R450/1, LGK XVII, Ic, Br.B.Nr. 23984/44 geh. Abend- 35 AFHRA/RSA. MASAF, INTOPS No. 617 und 618 und Mehner, Kurt (Hg.): meldung für den 21.7.1944 und Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA), Die geheimen Tagesberichte der Deutschen Wehrmachtsführung im Zweiten Bestand Landeswirtschaftsamt (LWA), Zl. 322 g. (BdO, Abt. L-5560/f- Weltkrieg 1939—1945, XII (Osnabrück 1984) 335—337, hier die Abendmel- Nr.1505/44 geh.) Luftschutz-Schadensmeldung, Schlussmeldung (LS-SM/SM) dung des Luftwaffenführungsstabs Abt. I c, vom 30.3.1945. zum 21.7.1944. In Oberdonau zählte man insgesamt 144 Sprengbomben. 36 TB. Langer 11 TB. Langer. Der Angriff auf Ried wurde bereits mehrfach behandelt. Ver- 37 AFHRA/RSA. History 8.4.1945 und INTOPS No. 626. OÖLA, LWA, Zl. gleiche dazu: Raminger, Franz: Luftangriffe auf Ried im Innkreis und Neuho- 148 g. (Der Kommandeur der Gendarmerie Oberdonau in Linz RV 5400 Nr. fen (1944/45), in: Der Bundschuh VI, Schriftenreihe des Museums Innviertler 155/45 geh.) LS-SM/SM zum 8.4.1945. Die Meldungen zur Luftlage-Reich Volkskundehaus (Ried im Innkreis 2003) 125—126 und Salamon, Ladislaus/ fehlen für den 8. und 9.4.1945. Laszló A: In der Garnison Ried im Innkreis vor 60 Jahren, in: Der Bundschuh 38 TB. Langer. XVI (Ried im Innkreis 2014) sowie Schirer Renato: Die Garnison Ried im Luft- 39 AFHRA/RSA. Cable No. R-825, DTG: 161551B. To: Doolittle, Twining kriegsgeschehen der Jahre 1944/45, in: Der Bundschuh XVI (Ried im Innkreis, Throug Cannon. From: Spaatz Personal Reims, 16 April 45. 2014). 40 AFHRA/RSA, MF A6391, 0440, Karte der Flugbewegungen am 16. April 12 OÖLA, LWA, Zl. 506 geh. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 2160/44 geh., II. 1945. Ang.) 2. LS-SM/SM zum 16.10.1944. In Linz zählte man 500, im übrigen Gau 41 TB. Langer. Oberdonau 633, in St. Valentin 120 und im restlichen Gau Niederdonau 275 42 Bundesarchiv (Deutschland) R19/341, Bl. 282—287, Der Kommandeur der Sprengbomben. Ordnungspolizei bei dem Reichsstatthalter in Oberdonau, Abt. Ic – Nr. 1/45 13 AFHRA, History/OP 29.10.1944 und INTOPS No. 465. OÖLA, LWA, Zl. (g.), vom 27.4.1945, LS-SM/SM zum 26.4.1945. 535 g (Der Kommandeur der Gendarmerie beim Reichsstatthalter in Oberdo- 43 AFHRA/RSA MF B 5146. In der Zeit vom 23. bis zum 27. April wurden im nau, RV 5400 – Nr. 495/44) LS-SM/SM zum 29.10.1944. Angriffsstreifen des XIIth und XXth Corps 133 Lokomotiven, 1149 Waggons, 14 National Archives Washington D.C. (NARA) RG 243. USSBS Sec. 4: Euro- 29 Panzerfahrzeuge zerstört und 15 Flugplätze attackiert. pean Target Intelligence 2. m. (14) Daily operations November 1944. 44 Freitag 27. April 1945, S. 2. 15 AFHRA, History/OP 30.11.1944 und INTOPS No. 497. OÖLA, LWA, Zl. 608 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 2435/44 geh., II. Ang.) 2. LS-SM/SM zum 30.11.1944. Linz meldete 60 und der Reichsgau Oberdonau 72 Sprengbom- ben. 16 AFHRA, History/OP 30.11.1944 und INTOPS No. 497. OÖLA, LWA, Zl. 608 g. (BdO, Abt. L-5560/f-Nr. 2435/44 geh., II. Ang.) 2. LS-SM/SM zum 30.11.1944. Linz meldete 60 und der Reichsgau Oberdonau 72 Sprengbom- ben. 17 TB. Langer. 18 TB. Langer. 19 NARA, RG 92, M.A.C.R. 10731 (LGK XVII, KSU-2585) Absturz einer B-17G, der 463rd Bomb Group, 774th Squadron um 12:28 Uhr, auf dem Rückflug von einem Angriff auf Regensburg. 20 13 Sprengbomben, drei davon waren Blindgänger oder Langzeitzünder. 21 TB. Langer und Schulchronik Kirchdorf. Der Personenzug 816 war verspä- 109 Die letzte Brauerei von Obernberg am Inn

Die Geschichte des Traditons- Am 14. Juni 1915 brannte der Brauereigasthof Schwend- mayer im Alten Markt, heute Kirchenplatz bis auf die gasthofes und der Obernberger Grundmauern nieder. Damit ging die lange Tradition des Bierbrauens im Markt Obern- Brauerei Schwendmayer berg am Inn zu Ende. Obernberg am Inn ie Schwendmayer (Swentmayr) scheinen in hatte ursprünglich 6 oder 7 Brauereien. DObernberg am Inn bereits im Jahr 1485 auf. Ge- naueres ist leider bis dato unbekannt. Im Jahr 1782 (lt. Dieses Haus war eine Brauerei mit einer Gastwirtschaft Pfarrchronik) war das Haus mit der Nummer 48 in der und einem Sommerkeller. Bis zum Vollbrand im Jahr Zehenthofgasse im Besitz eines Schwendmayers, es ging 1915 trug die Brauerei den Namen Schwendmayer. aber dann in den Besitz des Brauers Georg Franken- berger über, bis es am 22.09.1858 abbrannte. Bei die- Im Jahr 1895 gab es in Oberösterreich 196 Brauereien, sem Großbrand wurde nicht nur das Frankenbergsche wobei die Brauerei Schwendmayer mit 10620 Hektoli- Brauhaus, sondern auch ein Gasthaus und das Leimho- ter in diesem Jahr auf Platz 19 der Rangliste kam. Im fersche Brauhaus ein Raub der Flammen. Es brannten Jahr 1902 waren es dann schon 13.360 Hektoliter. Also auch alle zugehörigen Stadeln und Holzschuppen ab, recht gute Ergebnisse, bei der Vielzahl an Brauereien. die später außerhalb des Marktes, im Bereich des heu- tigen Oberfeldes, neu errichtet wurden. Mit dem Bau- Im Jahr 1905 verkaufte er seine Brauerei im alten Markt schutt wurde ein Teil des Burggrabens zugeschüttet, dann an Leopold und Marianne Bramberger, die wohl heute befindet sich dort die Konrad-Meindl Straße. zu jener Zeit noch nicht verheiratet waren. Leopold Bramberger war bereits ein Enkel des Josef Schwend- Da sich um das Jahr 1858 aber mehrere größere Brän- mayer. Dessen Tochter Josephine übernahm im Jahr de ereigneten, wurde Brandlegung vermutet, jedoch 1893 das Haus Nr. 64 und führte dieses Gasthaus wei- konnte nie ein Täter ermittelt werden. ter. Josef Schwendmayer gelang es, seine Töchter an vermögende Herren zu bringen, so heiratete Josephine Wiederum ein Schwendmayer erwarb das Haus Nr. 64 den Brauer Bramberger, Maria den Kaufmann Anton des Brauers Jakob Gabler, jedoch ist das Datum nicht Woerndle, Antonia den sehr reichen Rieder Gastwirt bekannt. Hirschenauer und die 4. Tochter an den Hopfenhänd- ler Danzer in Saatz. Josef Schwendmayer verstarb im Ab dem Jahr 1827 scheinen in den Sitzungsprotokollen Jahr 1913. die Namen Georg Schwendmayer und Michael Bram- berger auf. Vermutlich schon damals, sicher aber bald Leopold Bramberger galt als sehr geschäftstüchtiger darauf muss sich eine nähere Beziehung zwischen bei- Brauer, Wirt und Unternehmer. So riss er Anfang des den Familien, wie etwa durch Heirat, ergeben haben, 20. Jahrhunderts alle Braugasthöfe an sich. 1909 kauf- denn seither können beide Namen mit den großen te er das Gasthaus Goldenes Kreuz samt Gründen und Obernberger Brauereien in Verbindung gebracht wer- pachtete den Bayrischen Hof mitsamt einer Lohnkut- den. Lt. einem Grundbucheintrag erwarben Josef und scherei. Josephine Schwendmayer am 28.05.1884 das Haus Nr. 32, bis dahin Dirmayrische Behausung genannt. Am 23.10. 1909 kaufte Leopold Bramberger das Gast- hof- und Brauereianwesen des Ferdinand Ma- yer in Altheim, die Gastwirtschaft hat Bram- berger sogleich wieder weiterverpachtet an Josef Lengauer. Lengauer hatte bis dahin das Gasthaus am Mooshamer Bahnhof betrieben, Mayer zog nach Braunau und übernahm die dortige Brauerei des Fidelius Schattenfroh. Im Jahr 1912 kaufte er noch die Brauerei und die Andorfsche Behausung, den Gasthof Pe- ham, heute unter Gasthof zur Post bekannt, nachdem Karl Peham diese Brauerei im Jahr 1908 aufgegeben hatte. Dieses Gasthaus wur- de ab dem Jahr 1928 von Franz und Aloisia Öttl weitergeführt, die wiederum eine Peham Tochter war.

Obernberg, alter Markt 1890 (Foto: Wiesenberger Josef) Leopold Bramberger war, nebenbei bemerkt,

110 auch bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv und wurde im Jahr 1900 zum Fahnenjunker gewählt. Dass er 15 Jahre später einmal viele Feuerwehrmänner im Hause haben sollte, hatte er damals wohl nicht ah- nen können. Im Jahr 1907 feierte er die Verlobung mit der Gast- und Realitätenbesitzertochter Marianne Prohaska aus Altheim. (Lt. Zeitungsbericht, Neue Braunauer Warte) Am 13.01.1915 starb völlig unerwartet Antonia Hir- schenauer, eine Tochter des Josef Schwendmayer, im 61. Lebensjahr. Die irdische Hülle der Verstorbenen Brandruine Schwendmayer im Jahr 1915 (Foto: Wiesenberger Josef) wurde am 23.01.1915 beim Trauerhaus ausgesegnet und nach Obernberg am Inn überführt, wo dann am Tschernitschek, wo das Dach Feuer gefangen hatte. nächsten Tag die Beisetzung in der Familiengruft beim Doch konnte auch dort das Feuer auf einen kleinen Teil Vaterhause, der Brauerei Schwendmayer, stattfand. (lt. beschränkt werden. Neue Braunauer Warte) Inzwischen waren in rascher Aufeinanderfolge die Feu- Am 14.06.1915 um 14:15 Uhr verkündete Glockenge- erwehren der Umgebung und zwar von Reichersberg, läute einen Brand. Es brannte der dem Leopold Bram- Antiesenhofen, Kirchdorf, St. Georgen, Mörschwang, berger gehörige Gasthof im Alten Markt in Obernberg Altheim, Geinberg, Weilbach, , St. Mar- am Inn. Die rasch am Brandplatz eingetroffene Orts- tin (mit Motorspritze), Schärding, sowie eine Abteilung feuerwehr fand bereits das gesamte Objekt in hellen Militär zur Hilfeleistung erschienen. Anfangs schien Flammen vor, denn es herrschte ein heftiger Nordwind, auch das gegenüberliegende Schulhaus (Anm.: heute welcher in wenigen Minuten alles in Flammen hüllte. Trachten Wenger) bedroht, da der Wind die Flammen, diesem entgegen trieb. Glücklicherweise hatte sich das Das Feuer fand in den Futtervorräten zudem reichlich Blechdach der Schule, trotz der großen Hitze nicht auf- Nahrung. Gleichzeitig brannte auch das nebenan be- gerollt. findliche, rückwärtige Haus des Bürgermeisters und Kaufmanns Franz Gailling, in welchem eine große Da das Feuer furchtbar wütete und schnell um sich griff, Menge Holz sowie zahlreiche leere Holzkisten gelagert konnte vieles nicht mehr aus den Zimmern gebracht waren. werden, obwohl sich die Bewohner des ganzen Marktes am Rettungseinsatz beteiligt hatten und die rastlos ar- Auch dieses Objekt war im Nu ein Raub der Flammen. beitenden Feuerwehren tatkräftig unterstützten. Dort, Zudem griff das Feuer auch auf das vordere Wohnhaus wo kein Wasserstrahl den Flammen Einhalt bot, trugen (Anm.: heute das Haus Dr. Plunger) über und äscherte Frauen, Mädchen, sowie Kinder in Eimern Wasser her- den Dachstuhl ein. bei. Durch Funkenflug hatten auch bereits die umliegenden Besonders hart getroffen wurde das bei Herrn Bramber- Häuser zu brennen begonnen, doch konnten diese ger angestellte Fräulein Buchhalter, welchem alle Sachen Brände gelöscht werden. Besonders in Gefahr war das sowie ihr Geld verbrannten. gegenüber in der Ufergasse gelegene Haus des Herrn Von dem selben Schicksal wurden auch mehrere Dienstboten getroffen, denen ebenfalls die gesamte Habe zugrunde ging. Durch das zielbewusste Arbeiten der Feu- erwehren gelang es bis 17:00 Uhr den Brand einzudämmen, so dass die Gefahr des Weiterbrennens vorerst beseitigt war. Im Innern der Gebäude wütete jedoch das Feuer weiter und gegen 23:00 Uhr ertönten wiederum die Glocken, denn es hatte noch einmal lichterloh zu brennen begonnen. Es fiel nun auch der bisher vom Feuer verschont gebliebene Trakt des Herrn Bramberger den Flammen zum Opfer, so dass das 2 Stockwerk hohe Gebäude bis auf Obernberg, Schwendmayr, 1920 (Foto: Wiesenberger Josef) das Erdgeschoß ausbrannte. Gegen 04:00

111 Uhr früh ertönten zum 3. Mal die Glockensignale. Diesmal hatte es im Haus des Kaufmanns Gailling nochmals zu brennen angefangen, wodurch die Plafonds der im 2. Stock gelegenen Wohnung ein- stürzten. Gegen 23:00 Uhr war auch noch eine Abteilung mit 70 Pionieren eingetroffen, welche die Feuer- wache unterstützten und erste Aufräumarbeiten durchführte. Der Schaden am Besitz des Leopold Bramberger ließ sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau feststellen, war jedoch enorm. Lt. Zeitungsbe- richt sollte der Schaden aber von einer Versiche- Mobilmachung, 1. Weltkrieg, Obernberg (Foto: Wiesenberger Josef) rung gedeckt gewesen sein. Der Bürgermeister und Kaufmann Franz Gailling erlitt einen Schaden von Haslinger die Leiten hinunter. Haslinger zog sich dabei 11.000 Kronen, jedoch war dieser stark unterversichert. einen Kieferbruch und eine große, klaffende Stirnwun- Die Brandursache konnte nicht eindeutig geklärt wer- de zu. Der Arzt Dr. Eglseer leistete dem Verunglückten den. erste Hilfe. Bei den Löscharbeiten machte sich auch der Pferde- Am 13.08.1915 langten noch 30 russische Kriegsgefan- mangel recht bemerkbar, da die meisten Pferde für den gene aus dem Gefangenenlager Marchtrenk in Obern- Kriegseinsatz eingezogen wurden. Die wenigen Pferde, berg ein und wurden im Sommerkeller des Bramberger die den Bürgern geblieben waren, befanden sich auf den einquartiert. Sie wurden zum Teil bei den Abräumar- Wiesen zur Heueinfuhr und mussten von dort erst ge- beiten, teils in der Fassbinderei der Brauerei eingesetzt. holt werden. Eine Feuerwehr musste mangels Pferden Unter ihnen befand sich auch ein jüdischer Kaufmann sogar den Löschwagen selber ziehen. aus Warschau, der deutsch sprach und deshalb als Dol- metscher fungierte. Seinen Angaben nach waren die Leopold Bramberger konnte den Braugasthof nicht Kriegsgefangenen mit ihrem Los sehr zufrieden. mehr aufbauen, da vermutlich die Versicherung, es war ja Kriegszeit, doch nicht bezahlt hat und musste die Ru- Im Jahr 1919 ließ sich Leopold Bramberger scheiden ine abtragen lassen. und blieb bis 20.03.1920 alleiniger Besitzer seiner Immobilien. Er zog nach Eggerding und betrieb dort, Im Zuge der Abräumarbeiten passierte am 19.07.1915 das heute noch bekannte Gasthaus mit dem Bramber- ein schwerer Unfall. Ein dort beschäftigter Maurer na- ger-Saal. Leopold Bramberger war der letzte Brauer in mens Haslinger fuhr mit mehreren italienischen Kriegs- Obernberg am Inn. Wiesenberger Josef flüchtlingen einen mit Schutt beladenen Wagen zur Abladestelle an die Kirchenleiten. Dabei kam der Wa- gen an einer abschüssigen Stelle ins Rollen und stieß

Quellen: Chronik der Marktgemeinde Obernberg, Hans Brandstetter

Neue Braunauer Warte, österr. Nationalbibliothek

Linzer Volksblatt, österr. Nationalbibliothek

Gambrinus, Bräuerzeitung, österr. Nationalbibliothek

Ansichtskartensammlung Josef Wiesenberger

Schwendmayr, Wappen (Foto: OB Chronik)

112 Die wechselvolle Geschichte des Stiftes Reichersberg von 1920 bis 1965 ie Geschichte des Stiftes Reichersberg im zu be- handelnden Zeitraum gleicht einer Hochschau- Die Geschichte des Stiftes Reichersberg im zu behan- D delnden Zeitraum gleicht einer Hochschaubahn mit bahn mit Höhen und vor allem Tiefen in kaum vorstell- Höhen und vor allem Tiefen in kaum vor- barem Ausmaß. Diese Epoche wurde bereits recht gut stellbarem Ausmaß. Hier der Versuch einer erforscht durch meinen bereits verstorbenen Mitbruder, kurzen Zusammenschau der wichtigen Jah- Dr. Gregor Schauber, der in seiner Diplomarbeit die re von 1920-1965. Jahre während der Zeit des Nationalsozialismus1 und in einer weiteren Schrift die Zwischenkriegszeit2 behan- hintereinander die Einquartierung von Flüchtlingen delte. aus Südtirol, von internierten Priestern aus Italien, von Im Großen und Ganzen war das Stift bis zum Beginn jüdischen Flüchtlingen aus Galizien und der Bukowina des Ersten Weltkriegs schuldenfrei, wenngleich bereits und von v.a. russischen Kriegsgefangenen.9 die Aufhebung der Grundherrschaft im Jahr 1848 dem Zu Beginn des Ersten Weltkrieges setzte bald eine Stift erhebliche finanzielle Einbußen beschert hatte: Die Geldentwertung ein, Gold- und Silbermünzen wurden staatlichen Rentenzahlungen brachten etwa ein Drittel entweder eingezogen oder von vorsichtigen Leuten zu- weniger Einkünfte, als der bisherige Zehent erbracht rückgehalten, Kupfer- und Nickelmünzen wurden für hatte3. Aber bei sparsamer Wirtschaftsführung konnte Kriegszwecke eingezogen, an ihre Stelle traten Eisen- ein halbwegs ausgeglichenes Ergebnis erzielt werden. münzen. Nach Ende des Krieges wurden Landeskas- Am 13. Oktober 1915 war nach dem Tod von Propst senscheine gedruckt, kleinere Gemeinden wie Reichers- Konrad Meindl - bis heute weithin bekannt und ver- berg behalfen sich mit den Maßzeichen, für die man dienstvoll als Historiker - Roman Wögerbauer (gebo- ursprünglich im Stiftsbräustüberl Bier beziehen konnte. ren 1866 in Öpping im Mühlviertel), seit 1907 Pfarrer Diese Maßzeichen wurden dann als Notgeld im Wert in Lambrechten, wo er segensreich gewirkt hatte, zum von 10 und 20 Heller verwendet10, sie reichten aber bald neuen Propst des Stiftes am Inn gewählt worden.4 nicht mehr aus, sodass der Gemeindeausschuss von Rei- Der Erste Weltkrieg hatte auch dem Stift einiges abver- chersberg am 24. Mai 1920 die Ausgabe von Notgeld in langt: Ablieferung von fünf Glocken - ausgenommen drei Serien zu 10, 20 und 50 Kronen beschloss, die auf waren nur die kleinste, kunsthistorisch wertvolle Zü- der Vorderseite den Nennwert und auf der Rückseite genglocke aus dem Jahr 16025 und als Alarmglocke im eine Ansicht des Stiftes trugen, die von Novizenmeister Brandfall die größte Glocke mit ca.2.200 kg6 aus dem Eberhard Weinberger - nicht ganz der Realität entspre- Jahr 1871, weiters die beiden Glocken von der Tobelka- chend - gezeichnet worden waren.11 pelle am Ortsrand von Reichersberg. Im Stift selber waren trotz prekärer wirtschaftlicher Situ- Der Generalkonservator des Denkmalamtes, Prof. Karl ation bei sparsamem Wirtschaften nach dem Krieg doch Holey (1879-1955)7, konnte jedoch unter Hinweis auf einige Reparaturen und auch Neuschaffungen möglich: die kunsthistorische Bedeutsamkeit die Abnahme des 1922 konnte das Kriegerdenkmal vor dem Eingang zur Kupfers vom Kirchturm sowie der Pfeifen der teilweise Stiftskirche errichtet werden - beim Festgottesdienst im noch aus dem Jahr 1779 stammenden Orgel verhin- Stiftshof am 9. Juli konnte auch das 40-Jahr-Jubiläum dern.8 der Feuerwehr begangen werden12, 1923 wurden die Wesentlich mehr betrafen das Stift andere Maßnahmen: Kirchenfenster neu verglast, 1924 die Sakristeischränke restauriert und wieder in der alten Sakristei aufgestellt13, 1925 der Kirchturm restauriert und die Stiftskirche neu ausgemalt, zwischen 1920 und 1925 wurden auch die Stiftsdächer, die bei einem Sturm Anfang Jänner 1920 arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren, saniert14, und schließlich wurden bei der Glockengießerei St. Flo- rian auch 5 neue Glocken in Auftrag gegeben.15 Dies alles geschah in einer Zeit, in der die Geldentwer- tung immer drastischere Ausmaße annahm - vor allem die Renten des Stifts waren schon zu Beginn der 1920er- Jahre praktisch wertlos.16 Propst Roman nahm in diesen Jahren auch kostspielige Projekte in Angriff: bereits 1916 wurde mit dem Bau eines Elektrizitätswerks begonnen17, das aber viel zu wenig Leistung brachte - auch nach Bau eines zweiten Ansicht Reichersbergs vom Stift aus Richtung Inn - man beachte die Insel E-Werkes im Jahr 192818, sodass ab 1932 Strom vom E- rechts vorne! (Foto: Stift Reichersberg) Werk Hübing zugekauft werden musste.19 Ein weiteres

113 Projekt, an dem sich das Stift wohl oder übel beteiligen Summe von rund 350.000,- Schilling. So wusste man musste, war die Drainagierung der Gründe in den Jah- sich nicht mehr anders zu helfen, als Darlehen in dieser ren 1928/29, zu deren Durchführung sich 173 Besitzer Höhe aufzunehmen - zunächst vor allem bei verschie- zu einer Entwässerungsgenossenschaft zusammengetan denen Darlehenskassen und Banken36 und schließlich hatten, deren Obmann Gastwirt Anton Junger war20 mit etwas niedrigeren Zinsen bei der Bundesländer- und zu deren Kassier Stiftshofmeister Floridus Buttin- Versicherung; bis es jedoch zum Vertragsabschluss kam, ger gewählt wurde - ein Projekt, das nicht ohne Schwie- verging aber mehr als ein Jahr - staatliche wie kirchliche rigkeiten durchgeführt werden konnte, weil aufrühre- Behörden mussten Genehmigungen erteilen.37 rische Elemente unter den Arbeitern Ende November Als Propst Roman Wögerbauer am 30. August 1935 - 1928 zu Streik führten.21 Investitionen wurden auch ein Jahr nach äußerst bescheidenen Feiern zum 850jäh- im Bereich der Brauerei und Bäckerei sowie im Bräu- rigen Bestehen des Hauses38 - starb, hinterließ er - zu stüberl des Stifts getätigt, allerdings konnten oft nur einem beträchtlichen Teil ohne eigene Schuld - ein die allernötigsten Anschaffungen und Verbesserungen Haus, dessen Zukunft mehr als ungewiss war.39 Der gemacht werden, und so war allen diese Maßnahmen Schuldenstand war auf 500.000,- Schilling angewach- kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Auch der Meier- sen.40 hof war von den Maschinen her hoffnungslos veraltet Beim außerordentlichen Plenarkapitel am 16. Oktober und auch zu gering ausgestattet, was zu hohen Personal- 1935 fiel die Wahl auf den bisherigen Stiftsdechant Ger- kosten vor allem in der Erntezeit führte22, dazu kamen hoch Weiß (1880-1946), einen sehr spirituellen Mann, auch noch Seuchen, die zur Notschlachtung zumindest der sich aber einer fast unlösbaren Aufgabe gegenübersah eines Teils des Viehs führten23. Positiv wirtschafteten - 1935 und 1936 konnte das Stift nicht einmal mehr die die seit 1864 bestehende Weinkellerei24 und der Forst Zinsen für das Darlehen der Bundesländer-Versicherung in Ober- und Niederösterreich25, hatten aber auch des bedienen41 - und auch schwer an seiner Aufgabe trug, Öfteren Prozesse betreffend Besitzanfechtungen26 und aber dennoch voller Gottvertrauen war, wie auch sein der Innauen;27 diese wurden zwar zugunsten des Stifts Wahlspruch zum Ausdruck bringt: „Deine Vorsehung, entschieden, kosteten aber doch viel Energie, ebenso die Vater, lenkt alles“.42 Zum Jahreswechsel 1936/37 Rechtsstreitigkeiten mit den in Niederösterreich und vermerkte Propst Gerhoch in der Pfarrchronik: „Auf der Steiermark gelegenen Patronatspfarren des Stifts.28 jeden Fall muss das Jahr 1937 irgendeine Entscheidung Hinzu kamen noch außerordentliche Verluste in Form bringen: Sanierung oder Konkurs“!43 Auf manche Ent- hoher Staatsabgaben gleich zu Beginn der 20er-Jahre; täuschung von menschlicher Seite - eine Prälatenkonfe- die ausgegebenen Anleihepapiere waren bei Ablauf im renz in Wien am 11. Oktober 1936, in deren Vorfeld Jahr 1937 praktisch wertlos.29 Propst Gerhoch händeringend um Hilfe für das notlei- Als Manko stellte sich auch heraus, dass Propst Roman dende Stift gebeten hatte, brachte als einziges Ergebnis, von 1922 an die Verwaltung selbst führte und offen- dass die Chorherrenprälaten künftig einen violett passe- sichtlich den Überblick verlor - zusehends ab einem poillierten Talar tragen durften44 - begegnete der Prälat Schlaganfall im Jahr 192830. Erst im Jahr 1931 wurde mit der Bitte um Hilfe an den Himmel: alte Reichers- H. Michael Aschenberger Rentmeister31, es konstitu- berger wussten noch in den 1970er-Jahren zu erzählen, ierte sich ein Wirtschaftsrat und es wurde die zentrale der Propst habe sie mit Tränen in den Augen ersucht, Buchhaltung eingeführt, die erst die Erstellung von Bi- mit ihm um ein Wunder zu beten.45 Daher beteten die lanzen und damit einen Gesamtüberblick über die Wirt- Reichersberger Mitbrüder bereits seit dem Jahr 1930 schaftsgebarung möglich machte. Aber auch H. Micha- im Stift eine tägliche Andacht zum hl. Bruder Konrad, el bekam die Pro- um seine Fürsprache zu erbitten, und jeden Samstag be- bleme nicht in den teten sie gemeinsam in der Stiftskirche den Rosenkranz Griff: der Renten- in diesem Anliegen.46 Diese Hilfe kam im Jahr 1937 tat- besitz ging durch sächlich in Form einer von Papst Pius XI. angeordneten die Geldentwertung Apostolischen Visitation, mit deren Durchführung er gänzlich verloren32, den Kapuzinerpater Hilarin Felder47 beauftragte. War Verkäufe brachten der unmittelbare Anlass auch die Angleichung der Kon- entweder nicht den stitutionen (ordensrechtliche Sonderbestimmungen) an notwendigen Erlös33 das neue Ordensrecht48, so brachte es für Reichersberg oder kamen erst gar die entscheidende Wende: der Visitator beauftragte das nicht zustande34. Stift Klosterneuburg bei Wien, dem Stift Reichersberg Die Lage wurde also ein Darlehen in Höhe von 505.000,- Schilling bei nied- immer aussichts- riger Verzinsung, um das hochverzinsliche Darlehen der loser, die jährlichen Bundesländer-Versicherung und der Hypothekenbank Abgänge immer grö- abstoßen zu können:49 die Rückzahlung dieses Darle- ßer, stiegen zwischen hens sollte bis zum Jahr 2000 erfolgen,50 konnte aber 1924 und 1930 um dank der späteren guten wirtschaftlichen Entwicklung das Achtfache35 und bereits in den 1970er-Jahren erledigt werden. Was P. Beleuchtung des Stifts im Zuge der 850 Jahr Feier erreichten Ende Hilarin dazu bewog, war unter anderem der gute Or- im Jahr 1934 (Foto: Stift Reichersberg) Mai die horrende densgeist, die Eintracht und die Frömmigkeit, die er in

114 Reichersberg vorfand51 und wohl auch der gar nicht so inhaftiert. Damit kein Ordensmann vor Gericht stand, schlechte Personalstand der damaligen Zeit: zu Beginn wurde H. Lambert am 20. März 1938 - er hatte erst der Amtszeit von Propst Gerhoch gehörten dem Kon- die einfache Profess abgelegt - aus dem Stift entlassen; vent 22 Priester, 3 Kleriker und 2 Novizen an52; 1936 nach seiner Enthaftung kehrte er ins Stift zurück, wurde starben zwar 4 Priester, es konnten aber auch wieder 4 wieder aufgenommen und setzte seine Studien in Wien Novizen aufgenommen werden - 2 weitere konnte man fort; einer Einberufung zum Wehrdienst entging er we- wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage nicht gen seiner starken Kurzsichtigkeit.58 aufnehmen53. Wesentlich stärker Ermöglichte diese waren die Ressen- Maßnahme ein we- timents gegen die nig Entspannung, Kirche in der Pfarre so zogen mit der Ort: Demonstrati- Machtergreifung der onen, Besetzung des Nationalsozialisten Pfarrhofs, Störung in Deutschland und des kirchlichen Le- dem „Anschluss“ bens, Drohungen, Österreichs an das Beleidigungen der Deutsche Reich neue Geistlichen, Schul- Bedrohungen herauf. verbote, Bespitze- Vom Rücktritt Bun- lung der Predigten, deskanzler Schusch- auch Beschlagnahme niggs erfuhr man von Pfarrhofgrund, aus dem Radio, eine Besetzung der Pfarr- erste Überraschung kanzlei - Pfarrer Gre- erlebten Rentmeister gor Rumpl von Ort Norbert Hofbauer hatte viel zu leiden.59 und Novizenmeister Selten: Weibliche Jung-Vaterland Formation, der Jugendbund der Vaterländischen Front 1934 In Reichersberg in Reichersberg. (Foto: Stift Reichersberg) Odulf Danecker: als selbst wurde das all- sie abends noch ins tägliche Leben zwar Bräustüberl gingen, um Neues zu erfahren, betrat Ober- auch schwieriger, vor allem, weil sich auch verschiedene lehrer Gottfried Pöppl das Lokal in SA-Uniform; bei Stiftsbedienstete wie der Gärtner, der Kellermeister und seiner Präsentation durch das Stift auf diese Stelle war der Verwalter des Meierhofs als Nationalsozialisten ent- niemandem aufgefallen, dass er illegaler Nazi war.54 puppten, was die Zusammenarbeit schwieriger machte. Ansonsten war vom Einmarsch der deutschen Truppen Neben Fanatikern für das neue Regime gab es aber auch in Reichersberg fast nichts zu bemerken, wenngleich eingefleischte Nazigegner, die dem Stift die Treue auch die nationalsozialistische Partei noch am Abend des in dieser schweren Zeit hielten.60 Um den seltenen, 12. März einen Fackelzug rund um das Stift organisier- aber doch vorhandenen antikirchlichen Emotionen kei- te, an dem sich viele beteiligten; zu hören waren ne- ne Nahrung zu geben, ermahnte Propst Gerhoch die ben den „Heil Hitler!“-Rufen aber offenbar auch „Heil Mitbrüder zur Zurückhaltung und empfahl die Kom- Schuschnigg“-Rufe - offenbar herrschte noch Unklar- munität dem Schutz des hl. Josef.61 Die Bevölkerung heit über die neue Situation.55 selbst blieb der Kirche, dem Stift und der Pfarre trotz Im Stift selber war die Situation zu Beginn der national- mannigfaltiger Behinderungen62 großteils treu, es gab sozialistischen Ära - der neue Bürgermeister Josef Groß- kaum Austritte, die Kinder wurden von den Eltern zum bötzl aus Traxlham war zwar wie sein Stellvertreter, der Konfessionsunterricht angemeldet, der Kirchenbeitrag Kaufmann Rupert Strasser, Nationalsozialist, aber tole- rant und durchaus nicht antikirchlich eingestellt.56 Ganz ungeschoren kam aber auch das Stift nicht davon: am 15. März durchsuchten SA-Männer aus Ried das ganze Stift nach Waffen, konnten aber nicht das Ge- ringste finden und störten auch den kirchlichen Betrieb in keiner Weise.57 Sehr unangenehm war eine andere Angelegenheit: der Kleriker Lambert Weißl studierte in St. Florian bei Linz und beging bei einem Spaziergang mit einem Freund die Unvorsichtigkeit, Spottverse auf Hitler in eine Bank zu ritzen, was von einer Frau beobachtet und zur An- zeige gebracht wurde. H. Lambert wurde aus der Vor- lesung heraus verhaftet und nach Linz gebracht. Am 2. Primizfeier von Lambert Weißl (Foto: Stift Reichersberg) April wurde er verurteilt und am 8. August von Linz nach Dachau überstellt und war dort bis 21. April 1939

115 bezahlt.63 Bald spürte die Kommunität die neue Zeit Bereits im August 1938 ersuchte das Luftfahrtkom- auch durch den Austritt mehrerer Kleriker: 5 Mitbrüder mando XVII, um Mitteilung, ob das Stift Ersatzgrün- verließen das Stift zwischen 1938 und 1941.64 de für die Bauern zur Verfügung stellen würde, deren Mit der Zeit wurden auch politisch bedingte Verset- Gründe für die Errichtung des Flugplatzes herangezo- zungen der Mitbrüder immer häufiger: eine ganze Rei- gen wurden, nicht ohne den Hinweis, dass bei einer he von Mitbrüdern musste zwischen 1939 und 1942 Weigerung auch eine Enteignung möglich wäre. Alle die Wirkungsstätte wechseln, weil sie an ihren bishe- Einwendungen gegen geplanten Maßnahmen, die auch rigen Einsatzorten Schwierigkeiten bekamen65; wer kei- eine Zerstückelung des Stiftsbesitzes zur Folge hatten, ne Pfarrstelle hatte, musste außerdem mit der Einberu- halfen letztlich nichts und brachten dem Hofmeister fung zum Militärdienst rechnen.66 Floridus Buttinger nur viel Hass und Feindschaft von Als glückliche Fügung sollte sich herausstellen, dass H. Seiten der NS-Bauernschaft ein. Um weitere Probleme Norbert Hofbauer das Amt des Stiftsdechants und des zu vermeiden, willigte man schließlich ein und nahm Rentmeisters bekleidete, sowie die Versetzung von H. auch eine im Vergleich zu den Bauern niedrigere Ablöse Ambros Handlechner von Pitten nach Reichersberg, wo in Kauf.78 er u. a. als Kaplan von Aurolzmünster und Ort im Inn- Von der Pfarrbevölkerung von Reichersberg außeror- kreis sowie als Vicarius substitutus von St. Martin und dentlich bedauert wurde die Abnahme der 5 größeren später von Reichersberg eingesetzt war - dies, um seiner Glocken - gerettet konnte wieder nur die Zügenglocke Einberufung zum Militärdienst zu entgehen67 - und sich aus dem Jahr 1602 Ansehen bei der Bevölkerung erwarb und offensichtlich werden - am 24. auch die neuen Machthaber durch seine Festigkeit und März 1942. Lei- Unerschrockenheit zu beeindrucken wusste.68 der verliefen alle Eine zunehmend große Belastung und zugleich ein Se- Bemühungen, sie gen war die Verwendung des Stifts als Quartier für die nach Kriegsende im Expositur der Fliegerschule A/B 115 des Fliegerhorsts Sammellager Har- Wels ab 13. April 1940 bis Ostern 1945: ein Segen war burg-Wilhelmsburg es, weil die Wehrmacht das Gebäude nicht enteignete wieder ausfindig zu und das Stift nicht aufhob, sondern mietete69 und dieses machen, erfolglos.79 auch der Verwendung zu anderen Zwecken entzogen Um Gebäude und war; so konnte etwa die Verwendung eines Teils des Gründe, die sich Gebäudes für die Unterbringung von Rückwanderern laut Grundbuch aus Bessarabien im September 1940 nach Einspruch im Eigentum des der Luftwaffe verhindert werden.70 Auch der Leiter der Stiftes befanden, für Fliegerschule, der Kommandant des Fliegerhorsts Wels, den Fall einer Auf- Oberst Bruno Wentscher71, war dem Stift genauso gewo- hebung des Stifts gen wie viele andere Offiziere und Fliegerschüler; ganz Von links: Prälat Floridus Buttinger und Dechant vor Enteignung zu besonders erwähnt sei hier Oberleutnant Georg Gier- Odulf Dannecker (Foto: Stift Reichersberg) bewahren, wur- lich72, der selber jeden Sonntag die Hl. Messe besuchte den in den Jahren und den Soldaten immer seinen Grundsatz vermittelte: 1943-44 grundbücherliche Umschreibungen ins Eigen- „Wir sind hier nicht die Herren, sondern Gäste!“73 Zum tum der Pfarren vorgenommen - in Reichersberg Stifts- guten Einvernehmen zwischen Militär und Konvent pfarrkirche, Friedhof und Tobelkapelle sowie das Haus trugen wohl ganz besonders das geschickte Vorgehen Nr. 46, um für den Pfarrer wenigstens eine Wohnung und die guten Kontakte von Stiftsdechant Norbert und zu erhalten.80 H. Ambros bei. Sie pflegten den Kontakt mit den Of- Eine gefährliche Situation gab es am 16. April 1945: fizieren und setzten sich mit ihnen auch auf manches Amerikanische Tiefflieger zogen über das Stift und grif- Glas Wein im Bräustüberl zusammen.74 Die Soldaten fen mehrere Stunden lang den Flugplatz an. Das Stift ihrerseits waren bei manchen Arbeiten - beispielsweise wurde glücklicherweise nicht getroffen.81 bei der Rübenernte im Jahr 1940 und bei Bränden in Viel schwerer als alle Behinderungen trafen das Stift den Jahren 1941 und 1944 - behilflich.75 Propst Ger- aber 2 Ereignisse zu Kriegsende: Am 2. Mai 1945 wur- hoch hingegen zog sich mehr in den innerklösterlichen de der Chorherr Rupert Haginger, der sich gerade im Bereich zurück - Ausdruck auch seines eher ängstlichen Haus der Geschwister Lauß - Nichten von Propst Ro- Wesens.76 man Wögerbauer, die allesamt im Stift oder als Haus- Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Soldaten zogen hälterinnen auf Pfarrhöfen beschäftigt waren - aufhielt, auch ins Stift ein - waren es anfänglich etwa 80 Mann, von SS-Männern aus Ried, die die Einholung der wei- so wohnten in den Jahren zwischen 1941 und 1944 bis ßen Fahnen forderten, erschossen82 - einen Tag, bevor zu 300 Soldaten im Stift - auch in der Klausur, was ein die Amerikaner in Reichersberg einrückten. reguläres Ordensleben zusehends schwieriger machte. Am 24. Mai starb im Krankenhaus Rotthalmünster H. Die Verpflegung geschah zunächst aus der Stiftsküche, Magnus Huber, der seit Silvester 1940 mit Wirkungs- später wurde eine eigene Küche im späteren Bügelzim- verbot in der gesamten Ostmark belegt war und seit mer eingerichtet, 1943 das Bräustüberl für die Öffent- 1942 in der Pfarre Kirchham jenseits des Inn segens- lichkeit gesperrt und als Militärkantine verwendet.77 reich gewirkt hatte83. Er hatte sich bei der Pflege der

116 Gefangenen im La- Zeit manövriert hatte, wurde Pfarrer in Lambrechten ger Kirchham das und sein ebenfalls hochverdienter Mitstreiter H. Am- Fleckfieber zugezo- bros Handlechner Pfarrer in Pitten.88 gen.84 Propst Floridus trat ein schwieriges Erbe an, das nicht Nach Ende des nur in der nach wie vor schlechten wirtschaftlichen Lage Krieges am 3. Mai des Stifts begründet war, sondern auch in der rückläu- wurde das Stift 3 figen Zahl der Priester im Konvent: nur mehr 17 Priester Tage lang von Plün- standen zur Verfügung; zwar gab es Neueintritte, aber derern aus der Be- bis zu deren Studienabschluss war noch eine Durststre- völkerung heimge- cke zu bewältigen, der Einsatz von Flüchtlingspriestern sucht, die sich über war keine wirkliche Hilfe.89 die Wehrmachtsbe- Nun ging es darum, die wirtschaftliche Basis des Stifts stände - Monturen, zu konsolidieren: bereits 1945 konnte die Weinkellerei Schuhe, Rucksäcke, wieder rückerworben werden90, für das Bräustüberl wur- Zeltplanen, Ge- de mit der ehemaligen Pächterin ein neuer Pachtvertrag schirr, Tische, Bän- abgeschlossen91, 26 ha der Grundstücke, die für den ke, Kästen, Schläu- Flugplatzbau zwangsenteignet worden waren, konnten che, Maschinen wieder erworben werden - auf 11 ha wurde verzichtet etc.85 hermachten. -, 1947 an die Oö. Landes-Saatbaugenossenschaft Linz Schließlich konn- verpachtet und 1955 endgültig an diese verkauft.92 ten die Mitbrüder Wurde von SS-Männern 1945 ermordet: Chor- Allerdings konnte nicht verhindert werden, dass der herr Rupert Haginger (Foto: Stift Reichersberg) doch darangehen, Schuldenstand des Stiftes wieder anstieg. Gründe dafür das Stift halbwegs waren sicherlich veraltetes System und Gerätschaften in instand zu setzen, mussten aber vom 25. bis 31. Mai der Landwirtschaft, auf die Propst Floridus hauptsäch- noch einmal Unterkünfte für 90 amerikanische Solda- lich setzte; verschiedene Experimente brachten ebenso ten und 15 Offiziere zur Verfügung stellen.86 wenig wie die Anstellung eines fachkundigen Verwal- Am 29. Juli 1945 konnte Propst Gerhoch unter groß- ters, der aber nicht frei entscheiden konnte.93 er Anteilnahme der Bevölkerung noch sein 40jähriges Forst und Weinhandel warfen zwar Gewinne ab, konn- Priesterjubiläum begehen, musste sich aber im Juni ten aber den Finanzbedarf nicht decken.94 1946 im Krankenhaus Ried einer Magenoperation un- Auch für das Stiftsgebäude versuchte man neue Verwen- terziehen, die er nur mehr 10 Tage überlebte; er starb dungen zu finden: ein Institut zur Umschulung Kriegs- am 7. Juli 1946.87 versehrter, ein Blindenheim, eine Landwirtschaftsschule Da sich der Großteil der Mitbrüder in der russischen - letztlich blieb alles erfolglos; auch dem Exerzitienhaus Zone befand und es für die Mitbrüder schwierig war, war nur kurzzeitiger Erfolg beschieden, weil deren Lei- die Demarkationslinie zu überschreiten, wurde das Ple- ter, H. Eusebius Katzlberger, 1953 die Pfarre Lamb- narkapitel zur Propstwahl am 30. Juli 1946 im Pfarrhof rechten übernahm.95 von Pitten gehalten. Aus der Wahl ging der Pfarrer von Wirtschaftlich brachte die Notwendigkeit, im Zug des Pitten, Floridus Buttinger, als neuer Propst hervor, zum Kraftwerksbaus in St. Florian am Inn ca. 80 ha Auwald Stiftsdechant wurde sein Kaplan Odulf Danecker ge- zu schlägern und den Grund an die „Österreichisch-Ba- wählt, Hofmeister wurde H. Lambert Weißl, H. Nor- yerische Kraftwerksgesellschaft“ zu verkaufen; der Erlös bert Hofbauer, der das Stift so geschickt durch die NS- wurde für die Tilgung der Schulden sowie für den Einbau einer Zentralheizung im Stift verwendet, auch ein Waldgrundstück in Pit- ten/Nö. konnte erworben werden.96 Auch sicherte man sich das Rückkaufrecht für an- landende Flächen.97 Ab dem Jahr 1960 machte sich bei Propst Floridus eine Erkrankung bemerkbar, die es ihm zusehends unmöglich machte, die Amtsgeschäfte zu führen. Stiftsdechant Odulf nahm ihm viel Arbeit ab, konnte aber keine Entscheidungen treffen. Die Demüti- gung der Absetzung wollte man ihm jedoch ersparen, und so wurde Dechant Odulf im Jahr 1962 als Administrator eingesetzt. Am 13. August 1963 verstarb Propst Floridus, körperlich und geistig schwer gezeichnet.98 Aus der Wahl am 10. September 1963 ging Keine Nachwuchssorgen nach 1945: Viele junge Kleriker des Stiftes Reichersberg 1949 Stiftsdechant Odulf als neuer Propst des (Foto: Stift Reichersberg) Stiftes Reichersberg hervor. Günstige Zeit-

117 umstände und die richtigen Leute am richtigen Platz 35 Diss. 62 machten einen starken Aufschwung des Stifts möglich. 36 Auflistung siehe Diss. 64 37 Diss. 64ff. Bereits unter Propst Floridus Buttinger war H. Roman 38 Diss. 172 - 175 Foissner 1958 zum Rentmeister des Stifts ernannt wor- 39 Diss. 176f. den; er traf zusammen mit Propst Odulf und dem Kapi- 40 Diss. 69 41 Diss. 69 tel die richtigen Entscheidungen, sodass das Haus eine 42 Dipl. 11 wirkliche Renaissance erlebte: Defizitäre Betriebe wur- 43 Diss. 70 den geschlossen - so das E-Werk, die Bäckerei und die 44 Diss. 70 45 Diss. 71 Landwirtschaft, andere Betriebe saniert, neue Einnah- 46 Diss. 71 mequellen erschlossen, das gesamte Stiftsgebäude einer 47 Biographische Daten in Anm. 235 in Diss. 72 umfassenden Sanierung unterzogen.99 Endlich gelang 48 Diss. 181 49 Diss. 183 auch die Befreiung von der finanziellen Schuld. Viele 50 Diss. 72 Jahre seiner Amtszeit litt Propst Odulf allerdings unter 51 Diss. 182 der drückenden Personalnot - 11 Jahre lang gab es kei- 52 Diss. 178 53 Diss. 79 nen Neueintritt, doch sollte er gegen Ende seiner Regie- 54 Dipl. 2 rungszeit noch die Freude einiger Neueintritte erleben. 55 Dipl. 2f. 45 Jahre, schicksalhafte Jahre, in denen sich Hoffnung 56 Dipl. 5 57 Dipl. 3 und Sorge um den Fortbestand des alten Chorherren- 58 Dipl. 4f. stiftes abwechselten. Mit Gottes Hilfe konnten unsere 59 Dipl. 6f. Mitbrüder das Stift über diese schwierige Zeit in eine 60 Siehe Anm. 20 in Dipl. 5 letztlich gute Zukunft führen. 61 Dipl. 6 62 Dipl. 35-39 Johannes Putzinger Can.reg. 63 Dipl. 42 64 Dipl. 14 65 Dipl. 15-18 1 Wilhelm (Gregor) Schauber, Das Chorherrenstift Reichersberg in der Zeit 66 Dipl. 21 des Nationalsozialismus, Arbeit aus Kirchengeschichte zur Erlangung des 67 Dipl. 17 Theologischen Diploms, Linz 1975 (zitiert: Dipl.) 68 Dipl. 18; 62f. 2 Mag. theol. Wilhelm (Gregor) Schauber, Das Stift Reichersberg vom Ersten 69 Dipl. 50 bis zum Zweiten Weltkrieg, Kirchengeschichtliche Dissertation zur Erlangung 70 Dipl. 8f. des theologischen Doktorates, Graz 1978 (zitiert: Diss.) 71 biographische Daten Dipl. 51, Anm. 214 3 Diss. 56 72 Biographische Angaben Dipl. 50, Anm. 211 4 Diss. 21-24 73 Dipl. 53 5 Diss. 26 74 Dipl. 53 6 Diss. 25 75 Dipl. 54 7 Daten zu seiner Person Diss. 24, Fußnote 49 76 Dipl. 53 8 Diss. 24f. 77 Dipl. 51 9 Diss. 27-30 78 Dipl. 47ff. 10 Diss. 34 79 Dipl. 41 11 Diss. 35 80 Dipl. 70 12 Diss. 43 81 Dipl. 78 13 Diss. 41f. 82 Dipl. 80 14 Diss. 40f. 83 Dipl. 17 15 Diss. 44ff. 84 Dipl. 82 16 Diss. 36 85 Dipl. 81 17 Diss. 38f. 86 Dipl. 81 18 Diss. 47f. 87 Dipl. 13 19 Diss. 48 88 Bei den folgenden Ausführungen stütze ich mich auf die Beiträge von Dr. 20 Lebensdaten Diss. 49, Anm. 142 Gregor Schauber, Das Stift Reichersberg im 20. Jahrhundert, v.a. die Seiten 21 Diss. 49f. 218-227 zitiert: FS Schauber), sowie Christian Schleicher, Wirtschaftsge- 22 Diss. 51f.; schichte des Augustiner Chorherrenstifts Reichersberg am Inn, v.a. die Seiten 23 Diss. 61 367-370 (zitiert: FS Schleicher). 24 Diss. 55f. 89 FS Schauber 220 25 Diss. 52ff. 90 FS Schleicher 367 26 So in Zusammenhang mit dem Besitz in Höchwolkersdorf, Nö.; Diss. 73f 91 FS Schleicher 367 27 Diss. 75ff 92 FS Schleicher 368 28 Die Einnahmen waren mit Aufhebung der Grundherrschaft im Jahr 1848 93 FS Schauber 220 weggefallen, die Verpflichtungen des Patronatsherrn blieben aber bestehen; 94 ebenda manche Zahlung konnte zwar abgewiesen werden, aber mehrere waren den- 95 FS Schauber 220f. noch zu leisten; siehe Diss. 156-165 96 FS Schauber 223; FS Schleicher 368f. 29 Diss.59ff. 97 FS Schleicher 368 30 Diss. 67 98 FS Schauber 222 31 Diss. 91 99 FS Schleicher 370 32 Diss. 59: Ab 1924 scheinen in den Bilanzen überhaupt keine Renten mehr auf. 33 Diss. 64: Der Verkauf des 1839 erworbenen Schlosses Hackledt sollte die Investitionen im Jahr 1928 in der Brauerei decken; beim Stift verblieb jedoch die Messstiftung mit ursprünglich 104 jährlichen Messen, die 1919 bereits auf 46 reduziert worden waren. 34 Diss. 67: ein Interessent für den Wald in Hochwolkersdorf war nicht bereit, die auf dem Grundstück liegenden Patronatslasten für die Pfarre Hochwolkers- dorf zu übernehmen.

118 Eine Jugend im Kriegseinsatz - die Erzählung eines der letzten Zeitzeugen

Wenn du an deine Jugend zurück denkst, woran er- Der 1925 in Weilbach geborene Josef innerst du dich? Pranz, der später in St. Georgen lebte, erlaubt uns Erinnerungen an eine fast ch bin einer von der älteren Generation, ge- vergessene Zeit. An Bauernhöfen mit fixen Rangordungen, wie er sie in sei- Iboren am 21.11.1925. Wir hatten damals ner Jugend erlebte. Und an einen bru- noch die Ganztagsschule. Wir mussten zu Mit- talen Krieg, in dem der junge Soldat an zwei Fronten tag heimgehen und uns nachher wieder beei- des 2. Weltkrieges zum Einsatz kam. len, um zum Nachmittagsunterricht zu kommen. In den Ferien wurden wir schon voll eingeteilt. Die Kinder, welche nicht von Bauern stammten, waren der Amerikaner. Ich sehr begehrt. Getränke tragen – „Firi foan“ mit den kam nach der zwei- Pferden, das war keine leichte Arbeit, besonders wenn ten Verwundung bei die Bremsen recht böse waren. Weitere Aufgaben wa- Kriegsende wieder ren „Mandeln“ halten bzw. Kühe oder Schweine hü- nach Hause in die ten, da es noch keinen Elektrozaun gab. Es gab damals geliebte Heimat. keinen einzigen Traktor, keinen Garbenbinder, keine Einberufung: Ich Strohpresse, keinen Höhenförderer und keinen Grei- weiß nicht, wo ich fer. Es gab einen Dreschwagen und einen überschwe- beginnen, und wo ren Dampfer, der wurde mit großen Holzklötzen be- ich enden soll. Ich heizt. Wenn man sich etwas weiter zurückversetzt, beginne im Novem- gab es auch keine Wasserpumpe. Für die Wasserver- ber 1942, Stalingrad sorgung war ein Widder zuständig, welcher vom flie- war da schon gefal- ßenden Quellwasser angetrieben wurde. Außerdem len. Ich habe mit den gab es keine Tiefkühltruhe und keinen Kühlschrank. Rössern gerade auf Bei kleineren Baustellen gab es keinen Betonmischer, dem Tretacker geac- Josef Pranz als Angehöriger der Wehrmacht keinen Kran, keinen Bagger, keinen Kipper. Beim kert, ich weiß noch, (Foto: Pranz) Haus- oder Stallbau wurden die Ziegeln mit einer dass es schon gefro- Holzschaufel mit langem Stiel nach oben „geschupft“. ren hatte, am nächsten Tag habe ich einrücken müssen. Ich komme jetzt noch auf den Winter zurück. Es Die 1924er und 1925er mussten mit dem Zug zur SS gab keinen Schneepflug. Die Straße Dornetbauer-Al- nach Kammer/Schörfling zum Wehrertüchtigungslager. lichham-Weilbach lag viel tiefer als heute. Wir mus- Dort wurden wir bereits bei der Abholung am Bahnhof sten Schnee ausschaufeln und hinter uns war schnell von unserem Vorgesetzten angeschrien :“Ihr Hunde…“. alles wieder zugeweht. Ich kann mich noch gut er- Der Fahrdienstleiter entgegnete wütend: „Das sind keine innern, bei deinem Uropa musste der Sarg mit den Hunde, das ist die Zukunft unseres Führers Adolf Hit- Pferden und einer „Schlaerpfn“, so nannte man den ler.“ Wir hatten keine Winterbekleidung. Wir mussten großen Schlitten, über die Felder zum Friedhof ge- Nachtübungen mit einem Kompass machen. Nachher fahren werden. Das dürfte 1941 -1942 gewesen sein. bin ich gleich überstellt worden zum Arbeitsdienst. Ich will euch jetzt noch einen kleinen Bericht zu den Kriegsereignissen geben. Am 13. März 1938 wurde Frankreich: Wir sind nach Metz gekommen, das ist in Österreich an Deutschland angeschlossen. Anschließend Elsass – Lothringen, wo wir ein halbes Jahr verbrach- kam das Memelland und Sudetenland zu Deutschland. ten. Hier war die Verpflegung besonders schlecht – so Oktober 1939, Polenfeldzug. Die erste Todesnachricht schlecht war es später nie mehr. Anschließend wurden von Weilbach war die über Josef Moser. In der Familie wir zum Militär überstellt nach Mistelbach bei Wien, sind vier Brüder gefallen. Weiters kam dann der Frank- wo wir die Ausbildung machten. Dann ging es nach reich Feldzug 1940. Belgien – Brüssel – Ostende – Südfrankreich, dort wa- ren wir ein paar Monate. Dann sind wir herauf gekom- Woran ich mich noch gut erinnern kann, war der men nach Lyon – dort fassten wir Winterbekleidung Kriegsausbruch am 22. Juni 1941. Es war ein Sonntag, und Waffen. Am Am Heiligen Abend waren wir wieder ich war in Altheim beim Friseur, da wurde am Markt- in Metz in Elsass-Lothringen, wo wir den Arbeitsdienst platz über Lautsprecher das Schreckliche verlautbart. genau vor einem Jahr gemacht hatten. Dort waren wir Meine Einberufung kam im November 1942, ich war wieder am Bahnhof, die Waggons waren mit Tannenrei- noch nicht ganz 17 Jahre alt. Meine Fronteinsätze wa- sig ausgekleidet. ren in Russland und Südfrankreich, bei der Invasion

119 Russland: Dann waren wir sechs Tage auf Transport war. Unsere zwei schlafenden Kameraden waren bereits nach Russland. Um vier Uhr nachmittags kamen wir bewusstlos. Wir haben sie in den Schnee hinausgetra- in Witebsk an (im Mittelabschnitt der Front), von dort gen und damit eingerieben – somit kamen sie wieder zu wurden wir mit Lastwägen abgeholt. Von der ersten sich. Wir hatten Glück, dass wir nicht alle vier während Stunde an waren wir im Einsatz, da war der Kessel fast des Schlafs gestorben sind. Ja, das war Russland. zu.1 Wir hatten keine Winterbekleidung, die anderen weiße Tarnanzüge. Gleich die erste Stunde mussten wir Südfrankreich; Invasion der Alliierten die Rollbahn bewachen und am Neujahrstag mussten Besonders schlimm war die Invasion der Amerikaner in wir schon mit zum Gegenangriff, wobei bereits der er- Südfrankreich 1944. Wir sind herauf bis Mittelfrank- ste Kamerad (aus Mistelbach, „Strebl“ Fritz), der vorher reich, bis Charlot und danach sind wir auch eingesetzt mit mir im Waggon gefahren war, fiel. Es war sehr bru- worden. Die Tiefflieger flogen von früh bis spät. Wir tal, weil die Russen mit all ihrer Waffenüberlegenheit sind in die Region der Vogesen zurück. Wir haben uns angegriffen haben. Dann war es wieder ein paar Tage in vielen Orten „eingeigelt“, obwohl wir auch auf di- ruhiger, da wusste man dann direkt, dass wieder was rektem Weg hätten flüchten können. Ich weiß noch Großes kommen wird. Es wurde mit allen Waffen an- jeden Ort: Biffontaine, Epinal, Saint-Etienne-lès-Re- gegriffen, besonders die „Stalinorgel“2 war besonders miremont und andere. Die Schützen liefen schon vor gefürchtet, weil sie nicht auf einem Punkt einschlug, uns zurück. Wir mit dem Funkgerät waren beim Rück- sondern streute und dadurch mehr Schaden anrichtete. zug immer die letzten. Ohne Funkgeräte durften wir Am 6. und am 12. Jänner haben wir einen Frontan- nicht zurückkommen, denn die waren sehr teuer und griffsbefehl bekommen, das waren die Großkampf- außerdem waren sie schwer. Der Funktruppenführer tage. Danach ist es ruhiger geworden. Wir hatten hatte Sensor und Empfänger und im zweiten Kasten schon viele Ausfälle zu beklagen. Wir sollten zu zweit befanden sich die Tasten, die Kopfhörer und Batterien. Leitungen zerstören und Stellungen suchen. Wir Eines Tages standen wir wieder unter Artilleriebeschuss. mussten dabei über die eigene Frontlinie hinaus- Wir waren mit dem Funkgerät in einem Haus und laufen, da waren vorgeschobene Stützpunkt. Über durch den Beschuss brachen die Fenster. Ich bekam uns wurde geschossen und wir wussten nicht, ob das Glassplitter ab und wurde verletzt. Aber es war nicht die eigenen Leute waren oder die feindlichen Kräfte so schlimm, ich bekam einen Verband. Deshalb wur- Ich kann mich erinnern, dass wir im Freien, in einer de ich für kurze Zeit zum Gefechtstross zurückversetzt, Mulde, die mit Brettern abgedeckt war, geschlafen ha- wo ich in der Feldküche mit fünf anderen Kameraden ben. An einigen Tagen war es besonders schlimm: wir zum Kartoffel schälen usw. eingeteilt wurde. Eines Ta- wurden von den Granatwerfern stark unter Beschuss ge- ges gingen wir wieder auseinander. Die anderen waren nommen, aber es wurde uns befohlen, dass wir trotzdem in einer Holzhütte untergebracht und ich war bei einem vorrücken müssen um Leitungen zu entstören. Da es Schulmeister im Keller einquartiert. Plötzlich kam die gefroren war, hatten die Granaten eine besondere Split- Nachricht von einem Volltreffer auf die Unterkunft der terwirkung. Die Granaten gingen flach auseinander, die anderen Kameraden und vier der fünf sind gestorben. Artilleriegeschosse schlugen tief ein wie eine Bombe. Bei Sie wurden notdürftig begraben, weil von früh bis spät Tageslicht mussten wir trotz der vielen Trümmer vorrüc- Tiefflieger flogen. ken. Dann krochen wir in einen Bretterverschlag hinein, wo sich lauter Munitionskisten befanden. Dort hatten Verwundung: Wenn man die Panzerketten gehört hat – wir Glück, dass es zu keiner Explosion kam. Danach wer sich noch retten konnte, nichts wie zurück! Einmal sind wir sofort auf und in einen Bunker. In dem Bun- schlug hinter mir eine Panzerrakete ein und es erwischte ker saß ein Funker, und den mussten die Geschehnisse mich am Bein. Ich wurde in die Sammelkrankenstelle auch alle kalt lassen, er dufte sich nicht ablenken lassen nach Colmar gebracht. Dort sind Westwall und Magino- beim Funken, auch wenn es sehr zuging. Der Kompa- tlinie nahe beisammen. Der Westwall war die deutsche nieführer hatte mit dem Gewehr versuchsweise einen Verteidigungslinie und die Maginotlinie war die franzö- Stahlhelm aus dem Bunker gestreckt – sofort wurde sische Bunkerlinie. In Colmar war ich ein bis zwei Tage von MG-Schützen der Russen darauf geschossen. Dar- in einem großen Saal mit ein bisschen Stroh am Boden um mussten wir den ganzen Tag im Bunker verbringen. – das war schon was wert, weil man ein bisschen aus Der Oberstleutnant hatte den Staffelführer für seinen der Schusslinie war. Am dritten Tag kam ich nach Frei- Befehl, uns nach vorn zu schicken, geschimpft. Das war burg im Breisgau ins Lazarett, das sich in einer Schule einer der vielen schlimmen Tage. Ein anderes Mal, in befand. Die Schule hatte mehrere Trakte. Die leichter den Pripjet-Sümpfen, da konnte man nur hinein oder Verwundeten waren zwei Etagen im Untergeschoss und hinaus, wenn der Boden gefroren war. Da haben wir die schwer Verwundeten waren in den oberen Stockwer- Partisanenjagd machen müssen. Mit dem Sattler von ken. Was ich noch genau weiß, ist, dass am 9. Oktober Geinberg, der Mann Michl, war ich in einer Division. 1944 Fliegeralarm war, aber um 19:30 Uhr war noch Da sind wir zu einem Funklehrgang gekommen, wo wir alles in Betrieb. Theater, Konzerte und Straßenbahnen in einem hölzernen Haus untergebracht waren. In der – alles war noch in Betrieb. Dann fielen die Bomben. Es Nacht hatten wir Nachtwache. In der ersten Nacht war waren ein paar Volltreffer auf die Trakte, in denen wir es sehr kalt. In der zweiten Nacht war ein Zwischenfall uns befanden. Ich habe gehört, wie die Leute um Hilfe mit dem Ofen, aus dem Kohlenmonoxid ausgetreten schrien – es war ganz schrecklich. Alle sind gelaufen – es

120 waren so viele Verschüttete. Das war der erste Angriff und plötzlich kam der Funkspruch durch: „Wir müssen in Freiburg.3 Nachher hat sich niemand mehr hinaus weg!“ Wir kamen schließlich nach Gmunden und so- getraut wegen der Zeitzünder und Phosphorkanister. mit war der Krieg für uns vorbei, weil nachher bald die Alles hat gebrannt. Einige vermissten Kinder oder Alte. Amerikaner gekommen sind. Wir wurden abgezogen nach Marburg und somit war es für uns nicht ganz so schlimm wie für die anderen. Wieviel Urlaub hast du gehabt? Bist du öfter heim- Von Marburg kam ich dann nach Donau-Eschingen, gekommen? dort entspringt die Donau. Dann kam ich nach Regens- burg und später hinauf nach Schlesien, (Neuhaus an der Ich war nicht so viele Jahre dabei. Die Jahre, die ich Oder) und in andere Orte in dieser Gegend. Dort war dabei war, da hatte ich den ersten Urlaub von Russland. ich wieder im Lazarett. Es dauerte nicht lange, bis die Ich war ein halbes Jahr in Russland. Vom Neujahrstag Russen vor Ort waren. Normalerweise hätte ich jetzt bis zum Juli. Dann hätte ich wieder nach Russland zu- einen Genesungsurlaub bekommen, und uns gefiel die rückmüssen. Ich war viel im Bunker zusammen mit Situation hier gar nicht mehr, deshalb suchten wir, wir einem Hammerschmied aus Essen. Er war jung ver- waren zu zweit, um Entlassung an, um den Urlaub an- heiratet und hat jeden Tag, wenn es ruhiger war, nach zutreten. Allerdings kam am selben Tag eine Nachricht Hause geschrieben. Da es auch Luftangriffe über sei- vom Oberleutnant durch, dass alle, die zur Entlassung ner Heimat Essen gab und der Mann Angst um seine vorgesehen waren, hierbleiben müssten und zum Stab Frau hatte, schrieb auch ich nach Hause, ob die Frau Remich in Neuhaus an der Oder kommen. Wir durften vom Hammerschied bei uns am Hof wohnen könnte. nicht einmal den Genesungsurlaub antreten, da sämtli- Ich bin aber nicht mehr zu meinem Kameraden gekom- cher Urlaub gesperrt war. Als wir dort hinkamen, waren men. Er hatte mir seine Kappe und seine Pistole für den dort nichts als lauter Versprengte, die „stiften“4 gingen. Fronturlaub geliehen. Ich hätte sonst mit dem Gewehr Dann wollten sie uns über die Oder übersetzen. Ich nach Hause fahren müssen. Und derweil bin ich zu ihm hatte meine Papiere in den Händen, aber es war auch nicht mehr gekommen. Ich weiß nichts mehr von ihm. für Verwundete alles gesperrt. Der Hauptmann hat jene Es war zu dieser Zeit die Großoffensive. Wer weiß, ob besonders geschimpft, die mir den Urlaubsschein noch er überlebt hatte. Ich hätte es anhand des Fotos, das er ausgestellt haben. „Hauen Sie ab!“, hat er dann noch ge- mir von ihm und seiner Frau schenkte, herausfinden sagt. Dann sind wir 40 km neben der Straße gegangen, können, wo und ob er nach dem Krieg noch lebte. Ich da überall Streifen gestanden sind. hatte seine genaue Adresse nicht, hätte es aber herausge- funden. Es wäre mir ein Anliegen gewesen, ich glaubte Anschließend kamen wir nach Dresden. Am 13. Febru- aber insgeheim auch nicht, dass er die Großoffensive ar wurde Dresden bombardiert5, und wir waren am Tag überlebt hatte. davor dort! Dort waren viele Flüchtlinge, und man wus- ste nicht, wie viele Menschen wirklich umgekommen Mein Heimaturlaub dauerte drei Wochen. Da habe ich sind. Zur Zeit des Fliegerangriffs war auch ein Kamerad zwei Kameraden getroffen, die im gleichen Abschnitt aus St.Georgen, der Kumpfmüller Tischler z`Röfl, in waren. Wir waren in der 129er Division und die waren Dresden im Lazarett. in der 145er Division, in der österreichen Division. Ei- ner war vom Gaderbauer, er sollte Bauer werden, und Am Bahnhof in Frankfurt an der Oder war ich leicht- einer vom Fekührer. Den einen traf ich am Gurtner sinnig: Ich war unterwegs mit einem Obergefreiten aus Bahnhof, den anderen in Weilbach an seinem letzten Deutschland, ich selbst war Gefreiter. Er hatte Papie- Urlaubstag. Es kam zur Großoffensive – heimgekom- re für einen Abstellungsurlaub, aber es war sämtlicher men ist keiner mehr. Sie sind seither vermisst. Urlaub, außer Genesungsurlaub, gesperrt. Am Bahnhof befanden sich einige Feldgendarmen, auch „Kettenhun- Ich war auch in der Hitlerjugend, da haben wir uns nichts de“ genannt. Ich gab dem deutschen Kameraden heim- gedacht, das war nichts Spektakuläres. Wir machten lich den Schein für meinen Genesungsurlaub. Wenn sie Sport, mit dem Politischen hatten wir gar nichts zu tun. mich da erwischt hätten, wäre ich entweder in die Straf- Ein halbes Jahr war ich beim Reichsarbeitsdienst, aber kompanie gekommen oder sie hätten sonst was mit mir das ist kein Vergleich gewesen mit dem Militär. Beim gemacht. Er war mit meinem Schein gerettet, aber von Militär ist es ganz anders. Der Arbeitsdienst war nicht mir war es sehr leichtsinnig. überall gleich. Dort bekamen wir Ziegelbrot, „Bims“ genannt. Da mussten wir uns um den Tisch aufstellen, Danach bin ich mit dem Zug heimgekommen und einen Spruch aufsagen und währenddessen hat schon bin nach Ried zum Militärarzt gefahren. Es war schon jeder geschaut, wo das größte Stück Brot liegt, weil wir der letzte Tag meines Urlaubs, deshalb konnte der Arzt immer zu wenig hatten. Die deutschen Abteilungslei- nichts mehr tun. Dann kam ich wieder nach Retz, wo ter haben uns nicht besonders mögen, wir waren lauter ich damals eingerückt bin. Dort war immer noch der Österreicher. In der Nacht war öfters Fliegeralarm, wir gleiche Schreibstubenunteroffizier wie damals. Ich war mussten auf und zu den Hydranten in den Kasernenhof da nicht lange, denn ich musste wieder nach Schlesi- hinunter. In der Früh ging es mit der Tagwache genauso en hinauf. Mit einem Feldfernsprecher „Konrad“ hieß weiter, als wäre nichts gewesen. Und danach haben wir er, mit einem Kehlkopf-Mikrofon ohne Tasten war ich lange keinen Ausgang bekommen, da waren wir dann auf einer Straßenkreuzung. Der „Russ“ war schon da schon fünf-sechs Wochen dabei. An einem Sonntag 121 Dort sind die Russen einquartiert gewesen. Diese gefangenen Russen wurden nicht zur Arbeit eingeteilt. Die anderen Franzosen und Italiener sind überall bei den Bauern gewesen. Ich weiß aber nicht direkt, wie es ihnen ergan- gen ist, den Russen. Eine gewisse Frau Frau- scher von Geinberg war Köchin dort. Also denen, die bei uns in Gefangenschaft gewesen sind, wird’s nicht schlecht ergangen sein. Ich weiß es aber nicht.7 Wie ist es dann weitergegangen?

Wir zuhause haben als Arbeiter Franzosen und Italiener gehabt. Sie haben am Abend in ein Lager müssen, das war ein Haus beim Dresden nach dem Angriff vom 13.Februar 1945 (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z0309-310) Rieglmetzer in Weilbach. Um die gewisse Zeit haben sie dort sein müssen. Diese Leute ha- mussten wir Betten zerlegen (die Bettstatt) und Stiefel ben genauso beim Tisch gegessen, wie unsere putzen, lauter solche Sachen. Leute. Das waren Soldaten, also Gefangene. Gefangene Franzosen während der Kriegszeit. Die sind dann eh Wie ging es zu Hause weiter? bald nachhause gekommen, als der Zusammenbruch war. Zuhause am Bergerhof in Weilbach habe ich wieder ge- arbeitet. Im Anschluss kam ich nach Lambach in die Wie seid ihr mit denen umgegangen? Landwirtschaftsschule. 1958 habe ich meine Frau ge- heiratet und wir haben das Stranzingergut in St. Geor- Die sind bei uns beim Tisch gesessen, wie andere auch. gen gekauft. Seither wohnen wir hier. Nächstes Jahr Von denen hat man nie etwas Böses gehört. Man mus- sind wir 60 Jahre verheiratet. ste sich eh wundern, wer die Arbeit früher gemacht hat. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Männer wa- War in Weilbach oder in St. Georgen etwas zerstört, ren fort im Krieg und es gab auch keine Maschinen. Bei als du vom Krieg heimkamst? uns zuhause hatten wir eine sehr gute Melkerin. Es war sehr viel wert, wenn wenigstens eine verlässliche Person Da ist nichts gewesen. Abgesehen von einem Vorfall. Ein da war, zum Beispiel im Kuhstall. Das war besser, als Flieger ist abgeschossen worden und der Pilot hat zum wären nur Gefangene dort bei der Arbeit gewesen. Die Rennen angefangen. Er hat sich nicht ergeben. Und den Mutter der Melkerin wohnte in Geinberg, und da ist haben sie dann erschossen. Der Pilot ist dann in Weil- sie einmal nachmittags mit dem Rad heimgefahren, die bach begraben worden. Und nach dem Zusammen- Mutter besuchen. Und als sie zurückfuhr, ist sie beim bruch wurde er dann zurück nach Amerika überführt. „Schneebauerberg“ (St.Georgen) hochgefahren und Die Amerikaner machten dann Ärger, weil er erschossen dort war es einmal beiderseits voll mit Amerikanern, worden ist. Aber was dann herausgekommen ist, weiß wie sie einmarschiert waren und dort ist sie einfach mit ich auch nicht.6 Ich erinnere mich auch noch an eine dem Fahrrad durchgefahren. Ich wäre da querfeldein schlimme Sache. Es sind lauter Gefangene hier gewesen, nach Hause gefahren. Sie wusste ja gar nicht, was los wie die Arbeit wieder weitergegangen ist. Beim Hacker war. Noch dazu alleine als Frau (Oblinger) in St. Georgen war ein Kriegsgefangener, ein Pole oder Russe. Und der ist so gefürchtet gewesen. Er Wie lange sind die Amerikaner dann hier gewesen? ist überall herum, in den Häusern in Weilbach und hat immer gedroht, dass er die Leute anzeigt etc. Die Leute Manche sind ganz lange hier gewesen. Hauptsächlich in hatten Angst vor ihm. Und auch die anderen Gefange- Kasernen in den Städten. Sogar noch einige Jahre nach nen haben ihn gehasst. Auf jeden Fall war dann noch dem Krieg. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, ein Vorfall mit ihm in Pischelsdorf in St. Georgen. Er ob bei uns noch welche waren. Wir haben nichts mehr ist auf den Feldern irgendwo erschossen worden. Beim mitbekommen von den Amerikanern, als wir heimka- Hacker (Oblinger) irgendwo. men vom Krieg. Von wo ist er gewesen? Wie war deine Volksschulzeit?

Er war aus Polen. Wir mussten zu Fuß hingehen und zu Mittag wieder nach Hause. Es war jedoch eine Ganztagsschule. Wenn Ein Kriegsgefangener? der Schulweg weit war, war das schon sehr zeitaufwen- dig. Aber das hat sich dann bald aufgehört. Die Volks- Ja, es muss ein Kriegsgefangener gewesen sein. In Gur- schule war in Weilbach am gleichen Standort wie jetzt. ten, da hat es einen Stadl gegeben, da war eine Tischlerei. 122 Waren Dienstboten bei euch am Hof?

Ja, wenn wir jetzt nicht von den Kriegsjahren ausge- hen, da hat es auch bei den Leuten am Hof, „Dienst- grade“ gegeben. Da war der Mitterknecht, dies war der erste Knecht und hatte beim Tisch seinen bleibenden Sitzplatz. Dann gab es den Bammer, das war der Roß- knecht. Bei den Frauen gab es die Großdirn und die Kleindirn. Die Kleindirn musste im Saustall und in der Küche helfen. Es waren viele Leute beim Tisch. Es kam eine Schüssel Milch auf den Tisch und der Mitterknecht schnitt den Brotlaib an. Das Brot wurde in die Milch gebröckelt und alle aßen gemeinsam aus dieser Schüs- Weilbach vor 1938 (AK, MS Eichsteininger) sel. Wenn zu Mittag Fleischtag war, wurde das Fleisch aufgeteilt. Einige sparten sich von diesem Fleisch etwas Welche Lehrer hast du gehabt und wie waren sie? zur Jause. Zur Jause gab es dann gute Sachen wie Top- In der ersten Klasse hatten wir die sogenannten „schwar- fenkäse oder Erdäpfelkäse. Wir waren damals halt totale zen Schwestern“. Eine davon war die Schwester Lamp. Selbstversorger. Die meisten Produkte hatten wir sel- Auch mein Bruder, 1934 geboren, der neun Jahre jünger ber von der Landwirtschaft und vom Garten. Das war ist als ich, hatte die Schwester Lamp noch. Als er auf- so, obwohl es in der kleinen Gemeinde Weilbach mit stehen musste, um vorzusingen, sagte sie nur: „Kannst damals ca. 700 Einwohner (weil so viele Dienstboten dich schon wieder niedersetzen, hat eh dein Bruder da waren), fünf Krämer gegeben hat. Der Hoferladen auch nicht singen können.“ Und von da an hat mein im Ort drinnen war hauptberuflich ein Kaufgeschäft. Bruder nicht mehr gesungen. Er hatte lauter gute No- Dann war in Voitshofen noch ein Krämer, jedoch ne- ten. Beim Entlassungszeugnis hatte er jedoch bei Singen benerwerblich. Dieser war dann Messner. Beim heuti- keine Note, weil er nicht mehr mitsang aufgrund dieser gen Rauchenecker war früher das Geschäft Tiefenthaler. Bemerkung. Mein Bruder und meine Nichte wurden Dieser war zugleich Milchfuhrmann. Beim Sägewerk im gleichen Jahr geboren und gingen in dieselbe Klasse. gegenüber war auch noch ein Krämer. Dieser war von Eine weitere Begebenheit war, dass mein Bruder neue Beruf Schneider. In Ellreching war ein Bäcker. Und ne- Klapperl bekam. Er wollte sie nicht anziehen. Ich weiß ben dem Bäcker war ein Krämer namens Greil. Dieser auch nicht warum. Auf jeden Fall musste er sie in die ging im Nebenerwerb Eierhandeln. Er zog das Wagerl Schule anziehen. Kurz vor der Schule bei der Hoferlei- selber. Er war nicht mit einem Fahrzeug unterwegs. ten unten, stellte er sie dann in den Graben und ging Wirtshäuser wird es ja auch gegeben haben, oder? barfuß in die Schule. Später fand jedoch jemand die neuen Klapperl und es wurde in der Schule gefragt, Ja. Das Gasthaus Burgstaller, das Gasthaus Streif und wem denn die Klapperl gehören. Es hat sich niemand der Winhart in Ellreching. gemeldet. Meine Nichte, die auch in die Schule ging, erkannte die Schuhe und sagte, dass sie dem Franzi ge- Was hattest du für ein Gefühl, als du erfuhrst, dass hörten. Oje, dann ist die Sache aufgeflogen! du einrücken musst?

Hast du neben der Schulzeit zu Hause mitarbeiten Kein gutes. Wir waren ja noch Buben mit 17 Jahren. Ich müssen? kann mich auch noch erinnern, wie die Männer sagten, als sie vom Krieg im Fronturlaub nach Hause kamen, Viel und fest. Ich glaub ich habe mich um die Arbeit ge- dass ich zeitlich noch richtig geboren wurde – spät ge- rauft. Ich habe mehr getan, als ich hätte tun müssen. Ich nug - und somit nicht einrücken müsste. Damals dach- bin bei vielen Sachen drangekommen. Mit den Rössern te niemand, dass er sechs Jahre dauern würde. 1939- musste ich bei der Ernte vorfahren und Getreidemandl 1945. In Stalingrad unter Generalfeldmarschall Paulus aufstellen. Vielseitig war ich eigentlich schon. durfte niemand kapitulieren. Der letzte Mann wurde geopfert. Zurück zu deiner Frage, wie man sich fühlt. Wie viele Geschwister hast du? Das Ungewisse ist schrecklich. Wenn du Fronturlaub Vier sind wir gewesen. Mein Bruder verstarb leider hast und du weißt, du musst in ein paar Tagen wieder beim Stadlbau. Beim ersten Schaufelstich hatte er einen zurück zur Front. Schrecklich, diese Ungewissheit für Herzinfarkt. Er war 1919 geboren. Sein ältester Sohn, einen selber und für die Familie. Maxi war 15 Jahre alt, als mein Bruder starb. Damals hat es auch noch keinen Fernseher und die er- Wie hast du deine Frau kennengelernt? ste Zeit auch noch keinen Radio gegeben. Ich war ein Schulbub, als wir das erste Radio bekamen. Da sind ja Sie ist 1931 geboren, sechs Jahre jünger als ich. Sie war die Leute in der Stube beisammengesessen, heute ist es ja leicht zum Kennenlernen, weil wir alle zwei aus Weil- im Vergleich wie ausgestorben, ist ja oft niemand mehr bach gewesen sind. da. Die einen haben Karten gespielt, hat ja gemütlich

123 ausgesehen, in so die Erde dann fehlte. Deshalb hat man stattdessen „aus- einer Bauernstu- gestockt“ und es wurde in der Mitte ein Loch gebohrt, be. Manche sind eine Patrone oder Stockpulver hineingesteckt, angezün- beim Ofen geses- det und danach musste man schnell das Weite suchen. sen. Elektrizität Gefährlich war es, wenn die Zündschnur nicht mehr hat es schon gege- ganz einwandfrei war und dann unterbrach. Wenn man ben. Und es wur- dann schließlich hinging, konnte man nie wissen. Die de der Bäuerin Zündschnur musste man immer „resch“ (trocken) la- geholfen, wenn gern, denn wenn sie feucht war, konnte es sein, dass sie eine Sau abge- plötzlich aufhörte zu brennen. Denn dann ging sie ja stochen worden nicht los. Mein Großvater, mütterlicherseits, vom Gru- war, zum Beispiel ber von Weilbach, der war total schwarz getupft im Ge- „Lingerl“ schnei- sicht, weil ihm Stockpulver ins Gesicht kam. Das ging den, oder es wur- nie wieder weg. de Brot gebacken, wo beim Kneten Das Interview führten Schwarzmayr Julia Der erste ab 1933 gebaute Volksempfänger geholfen wurde. (rechts) und Moser Anna. Sie können es kaum (Foto: Wikipedia) Die Männer mus- glauben, dass man in einem Leben so viel pas- sieren kann und möchten selber keinen Krieg sten auf Strohsäc- erleben müssen. ken schlafen und die Frauen hatten Matratzen. Manch- mal kam eine Maus in den Strohsack, haben sie gesagt. Es waren starke Winter. Es gab keine Motorsägen, des- 1 Der 2. Weltkrieg zeichnete sich in der Sowjetu- halb mussten wir die Bäume mit einer Säge fällen. Eine nion durch eine Reihe von Umfassungsangriffen aus (=Kesselschlachten). Bis 1942 waren es meist der besseren Sägen war die Hobelzahnsäge. Mit einem die Deutschen, welche die Russen einkesselten, Ross haben wir die Baumstämme aus dem Wald gezo- mit den Jahren danach waren die Deutschen in der Defensive und wurden oft gen. Beim Wiesner, das war gewaltig: die haben schwere „eingekesselt“. Anm. 2 Ein einfacher aber militärisch effektiver Granatwerfer. Anm. Rösser gehabt, besonders gut dressierte und die wurden 3 Ein Monat darauf, am 27.November 1944 legte die Royal Air Force mit 300 auch gebraucht, um besonders schwere Baumstämme, Kampfflugzeugen die Stadt in Schutt und Asche. Anm. fürs Langholz, herauszuziehen. 4 Von Ihrer Truppe durch die Kampfhandlungen getrennte Soldaten, die abhauen wollten. Anm. 5 Dresden wurde am 13. Februar von der britischen Luftwaffe in einem Akt Man hat auch Wurzelstöcke herausgeschossen, was auch der militärisch sinnlos war, völlig zerstört. In der Stadt waren viele Flücht- etwas leichtsinnig war. Ich habe das immer alleine ge- linge und Zivilisten. Die Zahl der Opfer ist jedes Jahr Gegenstand heftiger macht. Die Scheiter vom Stock hat man ja wieder zum ideologischer Auseinandersetzungen. Die Zahl schwankt zwischen 17000 und 250.000 Toten. Anm. Vgl. dazu etwa: https://www.welt.de/geschichte/zweiter- Heizen gebraucht. Zuerst hat man etwas herausgegra- weltkrieg/article137184137/Warum-genuegen-25-000-Tote-von-Dresden- ben und Patronen hineingesteckt und dann herausge- nicht.html schossen aber die Bauern ließen das dann bald nicht 6 Vgl. dazu den hochinteressanten Artikels von Renato Schirer: „Der Tod des 1st Lt Donald H. Stott“ (in Weilbach), erschienen in den ÖFH Nachrichten mehr zu, da dadurch so große Löcher entstanden und 2/17 7 Die im Innviertel eingesetzten Kriegsgefangenen wurden recht unterschiedlich behandelt. Da sie bei uns als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, war ihre Verpflegung besser als in den Städten. Dort, wo diese zur Zwangsar- beit eingesetzten Menschen Famili- enanschluss hatten, entstanden sogar Freundschaften oder (gefährliche, weil verbotene) Liebschaften. Westeuropä- er, vor allem die Franzosen, wurden meist besser behandelt als Russen oder Polen. Man sollte sich aber beim Thema nicht in falscher Sozialromantik ergehen – die meisten russischen und polnischen Frauen, die bei uns in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, waren in ihren Heimatländern einfach gekidnappt und von ihren Familien getrennt worden. Kaum beforscht ist, dass besonders viele Frauen aus diesen Ländern nach dem Krieg Opfer von (auch amerikanischen!) Vergewalti- gungen wurden. Anm.

Weilbach, frühere Ansicht (AK: MS Eichsteininger)

124 „Der Wunsch nach Frieden: Dass man nach draußen gehen konnte, ohne Angst, erschossen zu werden.“

Wie war deine Schulzeit? Wenn Anna Zechmeister erzählt, hört man ihr mit Begeisterung zu. Sie wurde lso damals in der ersten Klasse hatten wir noch keine 1937 in Ort geboren und lebt in Mör- AHefte oder Bleistifte. Ich schrieb mit einem Griffel schwang. Die Mangelwirtschaft wäh- auf eine Tafel und löschte es mit einem Schwämmchen rend und nach dem Krieg, die Willkür weg. Mit einem trockenen Tuch konnte man es ab- davor: Sie hat es nicht vergessen. Und trocknen und man konnte wieder schreiben. Während über allem war die Angst vor dem Tod, den US-Bom- des Krieges war ich wie alle anderen auch nicht oft in bern. Aber Anna Zechmeister schildert auch dike Hoff- der Schule. Man konnte mal ein paar Stunden im Keller nung darauf, dass es besser werden könnte - was dann lernen. Dort waren lauter Flüchtlinge drinnen. Wenn tatsächlich auch so war. dann eine Sirene anging, mussten wir in den Luftschutz- keller gehen. Das war irgendein Keller wo man nicht gen wärst, musstest du vermuten könnte, dass dort Leute darin waren. Dort in ein Schülerheim, da haben wir uns vor den Bomben versteckt, um nicht ver- du keine Gelegenheit letzt zu werden. Bei diesem Fliegeralarm mussten wir hattest, von Obernberg uns schnell verstecken. Wenn sie in Pocking eingeschla- dort hinzukommen, gen haben, haben wir es gespürt.Manchmal sind wir ein denn einen Bus gab es ganzes Jahr nur selten zur Schule gegangen. Die zweite nicht. Heutzutage gibt Klasse musste ich deswegen wiederholen, genau wie alle es Sachen, die wir nicht anderen auch. Man konnte eine Nachprüfung machen, gelernt haben, aber es wenn man zu Hause fleißig gelernt hatte. Kindergarten gab auch Fächer, die es gab es nicht und ich bin dann in Obernberg in die Schu- heute nicht mehr gibt, le gegangen. Wenn ich nach der Schule heimgekommen etwa Maschinenschrei- bin, musste ich wieder mithelfen, weil wir zu Hause ben oder Stenografie. auch eine Landwirtschaft hatten und die Männer, wie Selbst als kleines Kind mein Vater, alle im Krieg waren. Hier mussten alles die haben wir schon bei Frauen erledigen, weil die Männer meist 4-5 Jahre im der Landwirtschaft Krieg waren und dazwischen höchstens mal eine Woche mitgeholfen, weil die Anna Zechmeister als junge Erwachsene nach Hause kamen - wenn sie Glück hatten. Überall wo (Foto: Zechmeister) Mutter und die Groß- sie Krieg geführt haben, sind viele gestorben, weil sie mutter nicht alles allein erschossen wurden oder verhungert sind, vor allem in machen konnten. Da haben wir alle einfach gemeinsam Russland und Rumänien. Wenn sie dann für einen Ur- mithelfen müssen. Wir mussten in der Früh das Gras laubstag zurückgekommen sind, mussten sie von Brau- abmähen. Dann hat man die Kuh eingespannt und das nau nach Hause gehen, weil kein Autobus gefahren ist. Heu eingesammelt. Nach der Schule bin ich arbeiten Sie mussten zu Fuß oder mit dem Fahrrad nach Hau- gegangen im Stift Reichersberg. Dort war ich in der se. Bei uns gab es auch selten Schulausflüge und wenn, Landwirtschaft, sechs Jahre lang. Im Anschluss habe ich dann sind wir zu Fuß nach Antiesenhofen gegangen. geheiratet. Dann sind wir mit dem Zug nach Schärding gefahren und von da weg sind wir wieder gegangen. Entweder Welche Strafen gab es in der Schule? nach Wernstein oder auf Schardenberg. Wir waren mal in einem Kohlebergwerk und haben eine Jause mitge- Die Strafe in der Schule war schreiben. Eine Seite nommen. Da hat jeder ein bisschen was mitgehabt. Das schreiben oder auswendig lernen. Vor allem sehr lange haben wir dann gegessen und dann ist es wieder Zeit Gedichte. zum nach Hause fahren gewesen. Zur Schule bin ich zu Welche Auswirkungen hatte der Krieg? Fuß gegangen, da es keinen Bus gab. Ich hoffte natür- lich auch, dass sie uns heute nicht bombardierten oder Eine der Auswirkungen des Kriegs war, dass man nicht dass keine Tiefflieger kamen. Die Tiefflieger sind so tief wirklich Lebensmittel bekommen hat. Du hattest Mar- geflogen, dass sie jeden sehen konnten, wer genau da ken und wenn du zum Bäcker gegangen bist und ein ging. In Obernberg gab es einige Luftschutzkeller. Zum Brot kaufen wolltest, musstest du eine Marke hergeben, Beispiel am ,,Sinhuberberg‘‘, beim Gamisch oder unten sonst hättest du nichts bekommen. Wenn du keine mehr am Ufer. Du konntest auch nicht einfach in eine Han- hattest, hast du auch nichts mehr bekommen. Dass war delsschule oder in ein Gymnasium gehen oder sonst eine bei allen Lebensmitteln so, ob Mehl oder Milch, alles beliebige Schule besuchen, weil es da nichts gab. Wenn war rationiert. Du hast alles in Tüten bekommen, denn du nur Einsen hattest und in Ried in die Schule gegan- alles wurde genauestens gewogen, damit du ja nicht zu

125 vertragen haben. Es musste aber sein, weil du hast ja sonst nichts besessen. Ob das jetzt beim Essen war oder bei der Pflege. War Fleisch da, etwa von Hühnern, ist alles gegessen worden, weil sie nichts gehabt haben. Dein Vater war im Krieg?

Mein Vater war ihm Krieg bei einem Flug- platz, genau genommen in einer Werkstatt. Sie haben Flugzeuge repariert. Wenn diese aber bombardiert worden wären, wären alle drauf- gegangen. Wie ein paar meiner Onkel, die sind nicht mehr nach Hause gekommen. Dreschen beim Kastner in Mörschwang (Foto: „Hansbäurin“ / Schachinger) Was war dein größter Wunsch in deiner Ju- viel bekommst. Du hast nur das Notwendigste bekom- gend? men. Was meinst du, was damals ein Apfel oder Klei- dung wert war? Wenn du Kleidung neu bekommen hast Der Wunsch nach Frieden natürlich. Dass man ohne und rausgewachsen bist, Gewand, dass du meist schon Sorgen nach draußen gehen konnte, ohne Angst zu ha- drei Jahre angezogen hattest, hast du einen anderen ben, erschossen zu werden. Urlaub konnte man nicht Stoff genommen und mit dem alten anderen vernäht, machen. Man ist höchstens mal einen Tag wo hinge- so dass es wieder länger geworden ist. Heute kauft man fahren. Heute hast du einen Ladewagen. Früher gab es es sich so, dass es passt und früher hast du es gleich zwei Arbeiten, die es heute nicht mehr gibt. Es gab Schmie- Nummern größer gekauft, damit es länger gepasst hat. de oder eine Wagenerei. Man hatte lange noch Angst So etwas wie Pullover oder Blusen gab es nicht. Du hast vor Fliegern. Es kam oft im Radio: „Achtung, Achtung! es dir entweder selber gestrickt oder andere Sachen zer- Luftgefahr über Steiermark und Kärnten!‘‘ Das habe trennt und zusammengenäht. Socken musstest du dir ich mir noch besonders gut gemerkt. Dann musste man selbst stricken, wenn du Wolle hattest. sofort wieder schauen, sich zu schützen. Am schlimm- sten war es in den Städten. Am Land ging es uns schon Wie war die Zeit allgemein? besser, da du Eier, selbstgefütterte Hühner und diese Dinge hattest. Du musstest aber aufschreiben, wie viel Es gab keine Traktoren. Man hat Kühe eingespannt oder du hattest. Bei so einer Viehzählung wurde genauestens die größeren Bauern haben Pferde dafür genutzt. Bei geschaut, ob du nicht zwei mehr hattest als letztes Mal einem Feuerwehrball lernte ich meinen Mann kennen. oder ob du eine verkauft hast. Dann sind die Hofbe- Früher schrieb man noch Briefe und wenn du Glück geher immer wieder gekommen und haben nachge- hattest, war er nur eine Woche unterwegs. In einem zählt. Du musstest es davor melden und dafür zahlen. Markt wie in Obernberg, hat es die Telefonhäuser ge- Du hattest nichts, was du nicht anmelden musstest. Im geben, bei denen man gegen ein paar Schilling telefo- Frühling waren alle sehr froh, da sie wussten, dass nun nieren konnte, weil es in den Häusern keine gab. Später endlich wieder Obst kommt. Du hattest alles im Keller, haben wir dann zu viert ein eigenes Telefon gehabt. Na- ob das jetzt ein Krautkopf war oder ein Sack Kartoffeln. türlich musste man warten, wenn gerade jemand ande- Jetzt geht jeder einfach zu einem Laden und kauft das, rer telefonierte. was er gerade braucht. Und wie war es nach dem Krieg? Es hat sich viel verändert, aber zum Positiven. Trotzdem Nach dem Krieg haben die meisten ihre Häuser wieder in ist das manchen immer noch zu wenig. Man hat das Ordnung gebracht und sind wieder arbeiten gegangen, damals anders empfunden. Jedem ging es gleich. Keiner damit sie sich wieder was leisten konnten. Es hat wieder hatte mehr als der andere, weil jeder nichts hatte. Die was zu essen gegeben, Gerichte, die man gemocht hat. anderen sind wieder nach Hause gekommen, manche Wer Kinder hatte, der hat dem ersten Kind Schuhe ge- hatten dann aber keinen Fuß kauft, die zwei Nummern zu groß waren und dann hat mehr und andere sind gar nicht sie das nächste Kind bekommen. Später hast du sie zum mehr gekommen. Schuster gebracht, der sie repariert hat. Damals war es eine Not. Heute gibt’s keinen Schneider oder Schuster mehr. Du gehst ins Geschäft und kaufst dir das passende Paar Schuhe. Der Verlauf von früher bis heute war, dass Nesibe Alija und Magdalena Zech- meister haben mit Anna Zechmeister wir von der Armut in den Reichtum gekommen sind. gesprochen. Anders als ihre Oma kennt Es gab keine Windeln. Man hat stattdessen zerrissene Magda keine Luftangriffe, Telefonhäuser Leintücher zusammen zu einer Windel geschnitten. Es oder Luftschutzkeller. Sie ist darüber nicht traurig. gab auch keine Milch. Man musste Mehl einkochen. Es sind auch viele Kinder gestorben, weil sie das nicht 126 „Die Wiener haben bei den großen Bauern um Essen gebettelt.“ Wie war es früher in Obernberg? Marianne Strobl (geb. Moser) wurde Ich kann mich noch gut daran erinnern. Meine Fami- 1944 geboren. Sie erinnert sich an die lie und ich haben damals sehr sparsam gelebt, wegen Nachkriegszeit, an die Hamsterfahrten der Wiener zu uns und an ihre Kindheit unserer Landwirtschaft, die wir bis heute noch haben. und Schulzeit in Obernberg. Wir mussten alle drei Wochen einen frischen Wecken Brot backen, der für drei Wochen reichen sollte. Dieses Brot ist dann in ein Fassl reingekommen und mit einem Ich musste sehr viel zu Hause mithelfen. Da wir noch Streifen ausgeräuchert worden, damit es nicht schim- kein fließendes Wasser hatten, sind wir immer zu einem melig wird. Brunnen Wasser schöpfen gegangen. Du musstest alles machen, was dir angeschafft wurde, wie zum Beispiel Wie war deine Schulzeit? in der Küche mithelfen, Erdäpfel klauben, grasen, Un- kraut jäten. Wie schon gesagt, es ist uns nie so richtig Meine Schule war dort, wo jetzt das Geschäft „Wen- schlecht gegangen aufgrund unserer kleinen Landwirt- ger“ ist, neben der Kirche. Unsere erste Lehrerin war die schaft. Meine Mutter hat Brot gebacken, wir hatten Frau Bräuer, die sehr streng war. Wenn wir frech waren, ein Schwein, dadurch auch Fleisch, Erdäpfel und einen hat sie uns an den Haaren gezogen oder wir haben zehn Garten. Wir hatten einen Müller, der uns gutes Mehl Seiten schreiben müssen. Beim Bäcker Nussbaumer ha- gebracht hat für unser Getreide. Das bessere Mehl wur- ben wir immer unsere Jause geholt. Im Nebengebäu- de für Kuchen verwendet, den es nicht oft gab. Und das de war die Hauptschule. Die Schüler der Hauptschule sogenannte “Miterweizerne“ wurde zum Brotbacken haben von weiter weg herfahren müssen, zum Teil aus verwendet. Die Kleie haben die Tiere bekommen. Die Reichersberg, Weilbach und Kirchdorf. anderen haben immer gejammert, weil sie kein Brot backen konnten, da das Mehl aus dem Geschäft keine Wie hast du die Nachkriegszeit erlebt? Backeigenschaft hatte. Oft sind wir auch zum Müller Man kann die Zeit von früher nicht mit heute verglei- gefahren, nicht mit einem Traktor, sondern mit einem chen. Ein gutes Beispiel ist mein Onkel, der Schneider Ochsen, da wir uns damals noch keine Traktoren lei- war, von dem habe ich einen Mantel bekommen, der sten konnten. Wir hatten Hühner, somit auch Eier. Die aus einer Decke angefertigt wurde und mir so deutlich Nachbarn haben uns manchmal geholfen oder haben zu groß war, dass er für ein paar Jahre reichen muss- mitgearbeitet, dadurch mussten wir immer mehr ko- te. Es war normal, dass man manche Sachen eine lange chen. Zum Trinken war auch was da, da wir Most hat- Zeit hatte. Nicht so wie heute, wo man zwischendurch ten. einfach mal einen Pullover bekommt. Damals war we- Euch ist es ja einigermaßen gut gegangen, weißt du der das Material, da noch hatte man das Geld dafür. wie es den anderen ergangen ist? Was hast du in deiner Freizeit gemacht? Mein Mann ist von St. Georgen und dorthin sind immer Der einzige Fernseher der in meiner Nähe war, war da- Wiener gekommen, die mit dem Bruder meines Mannes mals im Pfarrhof. Der im Krieg waren. Und von denen ist die Familie aus Wien damalige Pfarrer Herr gekommen. Den Leuten in Wien ist es damals sehr Dobler hatte sich da- schlecht gegangen, sie hatten oft lange nichts zu essen. Die mals sehr für die Jugend haben dann bei den großen Bauern um Essen gebettelt. engagiert und daher Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich ein Paar hat es auch sogenannte Sandalen gebraucht hätte, da hat meine Mama erstmals Heimstunden gegeben. Eier verkaufen müssen, um mir die Sandalen zu kau- Im Winter sind wir oft fen. beim Gamischberg mit einer „Goasl“ (Schlitten) gefahren. Wir hatten damals immer sehr viel Schnee. Tina Wörndl und Elenea Weinhäupl Wie war deine Kind- haben noch nie einen Wiener in heit? Obernberg gesehen. Schon gar keinen, Hauptschule Obernberg früher der um Essen gebettelt hat! (Foto: Lindlbauer)

127 Szenen einer harten Kindheit

Wie war es denn in der Schule und wie waren die Gertraud Reiter wurde 1930 geboren. Lehrer so? Die 88-jährige Zeitzeugin blickt auf eine harte Kindheit und eine strenge Erzie- hung zurück. Schuld war wie so oft der Da muss ich euch gleich sagen, dass ich nicht viel in die Krieg. Schule gegangen bin. Also wir waren fünf Kinder, der Vater war im Krieg und die Schulzeit begann normal Wie war der Krieg für Sie? mit sechs Jahren. Doch dann wurde ich lungenkrank,

damals kannte das ja noch keiner von den ganzen Ärz- Der Krieg war sehr schlimm für mich. Ich kann mich ten. Wenn man Fieber hatte oder sonst ernsthaft krank noch gut daran erinnern als meine Mutter und ich am war, lag man einfach nur im Bett, da konnte man sonst Feld waren und das Gras zusammenfassten, und als wenig machen. Aber als irgendwann meine Mutter dann Fliegeralarm war. Ich fürchte mich heute noch sagte, dass es nicht mehr ging, und da auch meine an- vor Flugzeugen so sehr, weil es einfach eine schlimme deren vier Geschwister sehr geschwächt waren, wurde Zeit war. Überall wurde geschrien: „Alarm! Alarm! ich dann nach Vöcklabruck gebracht. Dort stellte sich Schnell unter den Wagen.“ Meine Geschwister und ich dann als Krankheit Lungentuberkulose heraus. Und versteckten uns auch oft in den Gräben der Felder und von da an musste ich eben sehr lange im Krankenhaus Wiesen, um einfach von der Bildfläche zu verschwin- bleiben, nachhause durfte ich lange Zeit nicht, da ich den. Damals wurde Attnang-Puchheim so bombardiert, keinen anstecken sollte, bis dann endlich an der Heil- ich scheue sie heute noch, diese Flieger. Aber man hat stätte am „Gmundnerberg“ ein Platzt frei wurde. Das überlebt und alles getan um diese Zeit zu überstehen. war eine Kinderheilstätte, wo Kinder mit Lungen- oder Tja, ich denke, mehr kann ich nicht erzählen. Knochentuberkulose und ähnlichen Krankheiten ein- geliefert wurden. Damals gab es auch keine richtigen Durften Sie oft fortgehen, und wie war ihr Vater? Medikamente, sondern es war wichtig an der frischen Luft zu sein - spazieren gehen war wichtig. Und dort Fortgehen war ganz selten möglich. Weder Kino noch war ich dann zweieinhalb Jahre, bis es einigermaßen ge- sonst etwas, nur in die Kirche durften wir gehen. Mei- heilt war. Und dann in der Schule hatten wir so einen ne Brüder durften mehr fortgehen als ich. Bei meiner Professor aus Münster, der uns ein bisschen was lernte. Schwester und mir war es strenger. Wenn wir mal in Tja, das waren die ersten Jahre. Mit sieben Jahren kam ein Kino durften, wurde die ganze Zeit auf die Uhr ge- ich erneut in die Heilstätte bis zu meinem zehnten Le- schaut. bensjahr. Dann musste ich mich wieder schonen, das Durch seine Kriegserfahrungen war mein Vater sehr heißt, ich durfte zum Beispiel keinen ganzen Tag in die streng zu meinen Geschwistern und mir. Wenn wir nur Schule gehen. Insgesamt hatte ich damals in etwa den ruhig dagesessen wären, hätte er mit Absicht alle Schub- Stoff der zweiten Klasse im Kopf. Später kam ich end- laden ausgeräumt. Nur aus Bosheit! Dann haben wir lich nach Wels ins Krankenhaus, wo ich dann operiert das wieder einräumen müssen. Jede Schublade musste wurde. Ich bekam wegen dieser Krankheit sehr viel we- perfekt eingeräumt sein. An einem Montag hatte er ein- niger von der Schule mit als ihr heute, und da ich mich mal alle Schuhe und kaputte Sachen rausgeworfen und schonen musste, konnte ich danach auch keinen Beruf weggeschmissen. ergreifen. Erst mit siebzehn Jahren durfte ich anfangen Aber durch seine penible und strenge Art hat sich das zu arbeiten. Ich musste aber aufpassen und hätte nicht bei mir mental verankert. In meinen Schubladen muss arbeiten sollen, wo schlechte Luft oder Rauch war. Ich alles perfekt drinnen liegen, und wenn ich die Schub- fing beim „Brandy“ im Kaffeehaus in Obernberg zu ar- lade aufmache und alles herausfliegt, könnte ich aus- beiten an. Mein Zustand verschlechterte sich durch die flippen! Rauchwolken dort wieder. Die Schule, die Arbeit und Meine Kindheit war schwer und mein Vater ist dann das Geld zu verdienen, war schon ein Kampf, bei dem auch durch seine Kriegser- man sich durchschlagen musste. Viele arbeiteten auch lebnisse zum Alkoholiker nebenbei viel bei anderen Bauern, um sich das Nötig- geworden. Es war schon ste dazu zu verdienen. Auch Essen wie Brot, Kartoffeln schlimm. und Milch bekam man dort. Manchmal wurden wir um fünf Uhr in der Früh schon gerufen um mitzuhelfen, als Viktoria Bakran und Selina Ziegler wir noch klein waren. fürchten sich nicht vor ihren Eltern - und das ist gut so!

128 Eine Obernbergerin erinnert sich: Arbeitseinsatz in Ostpreußen, das erste Gehalt in Reichsmark

In welche Schule sind Sie gegangen? Maria Watzinger (geb. Schönberger) hat noch in der NS-Zeit die Ausbildung n Geinberg in die Volksschule, mehr hat es nicht ge- zur Kindergärtnerin absolviert. Sie war Igeben. danach noch im Osteinsatz und erlebte dann 1945 die Bombardierung Attnang- Wie war die Schulzeit? Puchheims. Ganz einfach ohne jeden Luxus. Der Unterschied zwi- schen damals und heute ist vor allem die Schüleranzahl. Die Frauen hätten dann auch zum Arbeitsdienst müs- Wir waren damals viel mehr Kinder in der Klasse. sen, aber da war der Krieg dann schon zu Ende. Hatten Sie strenge Lehrer? Können Sie sich an die Nachkriegsjahre noch erin- nern? Nein, wir hatten auch vorwiegend Lehrerinnen. Frau Wiesenberger hieß die eine und an den anderen Namen Ja, gleich nach dem Umbruch war alles zu. Der Kinder- kann ich mich nicht mehr erinnern. Der Schuldirektor garten wurde zugesperrt. Ich fuhr heim nach Geinberg, hieß Herr Vortoba. da war jedoch die sechs Kilometer Sperre und ich konn- Erzählen Sie, wie Sie Ihre Jugend erlebt haben. Was te nicht zurück. Wenn jemand bei der NSDAP gewesen war damals anderes? war, durfte er nicht weiterarbeiten. In Thomasroith war ein Werkskindergarten, da waren vier Kindergärten. Ich Ich war das vierte Kind. Ich hatte vier Brüder und da- war die Einzige, die nicht bei der Partei war und durfte mals war es bei uns so, wenn mehrere Kinder in der mir von den vieren einen Kindergarten aussuchen. Die Familie waren, dass der älteste Sohn das Haus/das An- anderen 3 Pädagoginnen mussten gehen. Im Prinzip wesen bekam und der zweite studieren durfte. Mein wurde die Verordnung umgedreht: Zur Nazi-Zeit be- Bruder ging dafür nach Wien. Ein Mädchen hingegen kam jeder Arbeit, der Anhänger der Partei war und nach brauchte und sollte gar nicht weiterlernen, da sie sowie- dem Umsturz war es umgekehrt. so heiraten würde und somit dann versorgt war. Das war gang und gäbe. Damals war Österreich ein armes Land, 1945 hatte ich ein Erlebnis. Ich konnte meine Arbeit und es hat nicht viel gegeben. Die wirtschaftliche Lage als Kindergärtnerin noch nicht antreten, da sie mich war sehr schlecht. Es herrschte große Arbeitslosigkeit, zuvor noch zum Arbeitsdienst eingezogen hätten. Da auch zwei meiner Brüder hatten keine Arbeit. Der Drit- schickten sie uns hin, wo wir gerade gebraucht wurden. te war im Gymnasium, das war der, welcher studieren Mich schickten sie dabei in das Kinderheim in Attnang durfte. Der Älteste lernte Schlosser und Schmied, fand Puchheim, das war in den Osterferien. Da waren lau- aber keine Arbeit. Erst nach dem Umsturz (als Hitler ter Buben aus Deutschland. Als ich mit den Kindern gekommen ist), bekam er eine Anstellung und wurde in in den Wald ging, fielen zahlreiche Zettel vom Him- der Voest in Linz mel auf denen stand an welchem Tag der Bahnhof in eingeschult. Der Attnang bombardiert werden würde. Inzwischen wurde zweite Bruder hat ich zum Bahnhofsdienst eingeteilt. Flüchtlinge und Sol- sich zum Arbeits- daten versorgten wir mit Bohnensuppe und mit Brot. dienst gemeldet Dann wurde der Bahnhof bombardiert. Ich lag krank und der dritte Bru- der machte gerade die Matura und musste sich dann sofort, das war ge- setzlich vorgege- ben, zum Arbeits- dienst melden. Dabei musste man ein ganzes Jahr für zehn Mark überall, wo man gebraucht wurde, aushelfen, vorwiegend in der Im April 1945 dem Erdboben gleichgemacht: Attnang-Puchheim nach dem Maria Schönberger in jungen Jahren Landwirtschaft. (Foto: Watzinger Maria) US Angriff. (Foto: Landesarchiv OÖ.) 129 einen Monat bekommt und es war einfach so eingeteilt. Das war im 1. Weltkrieg nicht der Fall. Wie haben Sie die Kriegszeit erlebt? Können Sie sich an irgendetwas Besonderes erinnern?

Ja, kann ich. Wir haben nach Polen fahren müssen, weil wir den Kindern Deutsch lernen mussten. Da hatte Hitler Polen schon erobert. Wir fuhren mit dem Zug dorthin. Dann haben wir den Erntekindergarten über- nommen. Wir haben die ganzen Ferien dort gearbeitet. Am Schluss war es schon sehr schlimm. Da hat man von der Front das Donnern schon gehört und dann ha- Osteinsatz im Zeichen der näherrückenden Front 1944 ben sie uns früher nach Hause gelassen. Unsere Ober- (Foto: Watzinger Maria) sten haben es auch schon mit der Angst zu tun gehabt. So sind wir dann früher heim. im Bett und sah die Bomben auf den Bahnhof fallen. Der Bahnhof war völlig zerstört. Auch in Geinberg wur- Wie sind Sie dann nach Hause gefahren? de ein Zug bombardiert. Die Angreifer waren jedoch human und warteten darauf, bis die Menschen den Zug Mit dem Zug. Wir waren zwischen Posen und War- verlassen hatten. Meine Mutter und ich versteckten uns schau. Dann mussten wir uns um einen Arbeitsplatz im Keller. Trotzdem las ich danach, dass es zehn Tote ge- bemühen. Ich habe mich im Bezirk Ried gemeldet und geben hatte. Ich wusste zuvor nur von der Schaffnerin. habe eine Stelle in Vöcklabruck bekommen. Mein Ge- Der Bahnhof war ein Knotenpunkt, auch für Deutsch- halt 1945 betrug 180 Reichsmark. Ich habe in Thomas- land, und der sollte eben zerstört werden. roith gearbeitet. Da war inzwischen die Vorgängerin gestorben. Bis 1949 war ich in Thomasroith, dann habe Mussten Sie nach der Schule Zuhause mitarbeiten? ich zehn Jahre meine Tochter erzogen. Sie ist nicht in den Kindergarten gegangen. Von 1962 bis 1985 war ich Ja, meine Eltern hatten eine Landwirtschaft und ich dann Kindergärtnerin in Obernberg. hatte dadurch nie Ferien. Drei Mal war Heuernte und wir mussten immer fest mitarbeiten. Wie und wo haben Sie Ihren Ehepartner kennenge- lernt?

(lacht) Mein Mann ging zu meiner Mutter und fragte sie, um welchen Preis sie ihre Zwetschken verkaufen würde. Meine Mutter antwortete: „Um 2 Schilling“, und er zeigte sie daraufhin an, weil ihm der Preis zu hoch war. Meine Mutter hatte auch 5 kg angegeben, die sie verkauft hat. Ich nahm aber 20 kg kostenlos in den Kindergarten mit. Und mein späterer Mann sprach von 50 kg! Meine Mutter sagte, mit der Wahrheit geht sie durch dick und dünn. Sie fuhr zur Bezirkshauptmann- So sieht die Marienburg in Ostpreußen heute aus. (Foto: Wikipedia) schaft und klärte die Sache. Darauf bekam sie die be- zahlte Strafe wieder retour. So lernten mein Mann und ich uns also kennen. Während des Krieges war ich zuhause bei meiner Mut- ter in Geinberg. Sie sagte mir, dass die Marienburg in Wenn man nun einen Vergleich ziehen würde. Was Ostpreußen, wo ich gearbeitet hatte, bombardiert wor- war früher alles anders als heutzutage? den war. Da war ich ganz fertig. Vor einem Jahr war ein Bericht von der Marienburg in Polen in der Zeitung. Wie soll man das vergleichen? Es war viel ruhiger, Stress Sie wurde wiederaufgebaut und hat es noch nicht gegeben. Die ganzen heute bekannten sieht heute wie früher aus. Krankheiten wie Krebs hat es kaum gegeben. Demenz kannten wir auch nicht. Die Zivilisationskrankheiten hat es in diesem Ausmaß eigentlich nicht gegeben. Die Leute haben sich mehr bewegt und haben mehr arbeiten müssen. Sie hatten auch weniger Essen während der Kriegsjahre. Mein Vater hat zwei Kriege mitgemacht. Felix Öttl und Moritz Bögl kennen Bom- Beim 2. Weltkrieg war es besser, da sind die Lebensmit- bardierungen nur aus dem Fernsehen tel besser eingeteilt worden. Man hat eine Lebensmit- und wussten bis zu diesem Gespräch telkarte bekommen. Darin stand, wie viele Eier man für nicht, wo die Marienburg liegt.

130 1941 von Jugoslawien ins Innviertel

Oma, erzähle uns aus deiner Jugend! Margarete Kinzinger wurde 1932 in Schidski Banovci geboren. Von 1940- Geboren bin ich als drittes Kind von fünf am 17. No- 1970 lebte sie in Moosbach und danach vember 1932 in Schidski Banovci, das liegt im ehema- in Mühlheim. ligen Jugoslawien. Meine zwei älteren Brüder zogen in den Krieg, sie gelten noch heute als vermisst. Des wei- teren starb meine Mutter, als ich acht Jahre alt war. Ich besuchte in wieder die Schule. Wir mussten ging in Schidski Banovci drei Jahre zur Schule. unter Hitlers Regierungszeit eine Schuluniform tragen: In Schidski Banovci lebten wir von meiner Geburt an eine weiße Bluse, einen schwarzen Faltenrock, weiße bis 1941. Zu dieser Zeit herrschte Krieg und wir mus- Stutzen mit schwarzen Lackschuhen und eine Krawatte sten unsere Heimat verlassen. Geflohen bin ich mit mit Lederknopf. Den Schulweg musste ich zu Fuß zu- meinem Vater, mit meinen zwei jüngeren Geschwi- rücklegen, da ich noch kein Fahrrad hatte, das waren stern, mit meiner Tante und mit ihrem Sohn. Wir flo- so ca. sechs Kilometer. Als ich dann ein Fahrrad hatte, hen von Jugoslawien nach Österreich, teilweise zu Fuß, fuhr ich damit immer eine Abkürzung durch den Wald. aber den größten Teil auf Leiterwagen, die von Pferden Dieser Weg war etwas kürzer, jedoch auch unheimlich. gezogen wurden. Unser Ziel war das Flüchtlingslager in Mein Vater lernte eine Frau kennen, mit der wir nach Moosbach. Zu dieser Zeit war ich neun Jahre alt. Ich Moosbach in ein Haus zogen. Wir lebten von 1940 kann mich noch erinnern, dass wir auf unserer Flucht bis 1970 in Moosbach. Mein Vater fand in Ranshofen warmes Wetter hatten. Als wieder einmal Fliegeralarm Arbeit dort blieb er bis zu seiner Pension. Einen Beruf war und die Sirenen heulten, hielten wir wie so oft an erlernte ich nicht. Ich ging zu einem Bauer und arbei- und suchten Schutz in einem Graben, dort warteten tete dort als Magd. Meine Aufgaben bestanden darin, wir, bis die Flieger vorbeizogen. Doch an jenem Tag im Haushalt mitzuhelfen, die Tiere zu versorgen und war nichts mehr wie vorher. Wir saßen im Graben, ich im Sommer auf der Weide das Heu einzubringen. Dort erinnere mich, dass ich immer meinen Kopf zwischen blieb ich fast sieben Jahre. Danach ging ich noch für die Füße meines Vaters steckte und ich meine Ohren drei Jahre zu einem anderen Bauern. Von 1970 an lebte zuhielt und die Augen fest zudrückte und ich betete, ich in Mühlheim am Inn. Zu dieser Zeit hatte ich drei dass gleich wieder alles vorbei ist. Meine Tante stillte ledige Kinder. Meinen Mann lernte ich bei einer Be- neben mir meinen Cousin. Plötzlich hörten wir lautes kannten kennen, mit ihm bekam ich noch einmal drei Geschrei und überall war Blut: meine Tante wurde von Kinder, einen Sohn und zwei Töchter. Mit diesem Mann Granatensplittern in den Kopf und in die Brust getrof- war ich glücklich. Er nahm meine anderen drei Kinder fen, dabei wurde sie und mein Cousin tödlich verletzt. auf, als ob es seine eigenen wären. Als er eines Tages mit Wir legten sie in den Graben neben ihren Sohn. Dort seinem Moped in die Arbeit fuhr, schneite es stark, ein mussten wir sie zurücklassen, wir konnten sie nicht be- PKW-Fahrer übersah ihn und stieß ihn zu Boden. Ein graben, weil wir ja sofort wieder weiterziehen mussten. nachfahrender Bus konnte nicht mehr ausweichen und So etwas vergisst man nie. Überall wo man hinschau- erfasste ihn, dabei wurde er tödlich verletzt. Von nun an te sah man nur Tod und Elend. Nach einer monate- musste ich meine sechs Kinder alleine großziehen, was langen Flucht kamen wir endlich im Flüchtlingslager mir, glaube ich, ganz gut gelungen ist. Sie haben alle in Moosbach an. Dort wurden wir mit Kleidung und eine eigene Familie gegründet und ich habe 13 Enkel Essen versorgt. Wir blieben in diesem Lager und ich und sechs Urenkel. Meinen Lebensabend verbringe ich in Mühlheim am Inn. Ich empfinde heute noch Furcht, wenn ich Flieger sehe oder es irgendwo laut kracht. Öfters denke ich darüber nach, wie ich das alles überleben konnte.

Gurtner Christina und Moise Nicole sind froh, dass sie nicht aus ihrer Heimat flüchten müssen.

Mühlheim, NS-Zeit (Foto: AK Lindlbauer)

131 Aus großer Armut zur Geschäftsfrau: In Obernberg hatten wir auch viele Neider! Oma, was hast du von der Kriegszeit miterlebt? Brettbacher Margarete wuchs arm in Laakichen auf - der geliebte Vater war igentlich haben wir allerhand miterlebt. Ein gutes im Krieg gefallen. In den 60er-Jahren EBeispiel sind die Amerikaner mit ihren großen Ar- baute sie mit ihrem Mann das Sparge- mywägen, die uns manchmal von der Schule mit nach schäft in Obernberg auf. Hause gebracht haben, damit wir nicht so weit gehen mussten. Wir lebten wirklich mühselig. Es gab Lebens- mittelkarten, damit konnte man nur bestimmte Lebens- entage verbracht. Ohne Begleitung unserer Mutter, die mittel einkaufen. Am Land dagegen war das einfacher, aufgrund ihrer Arbeit als Näherin keine Zeit hatte. Im da die Bauern selber auch Gemüse, Fleisch usw. hatten. Winter waren wir auf der Skipiste. In Ebensee war ein KZ-Lager, dass nur etwa 40 Kilome- Später wollte ich unbedingt Kindergärtnerin werden. ter von meinem Heimatort entfernt war. Als der Krieg Die Kindergartenschule konnten wir uns aber leider zu Ende war, wurden die Gefangenen freigelassen. Di- nicht leisten, da wir zuhause vier Kinder waren und ese sind bei uns mit ihrer schäbigen Kleidung vorbei- meine Familie viele Schulden hatte. gekommen und haben gebettelt, da hatten wir Kinder In Linz machte ich dann einen Nähkurs. Dort wohnte natürlich Angst vor denen. ich in Urfahr. Zu dieser Zeit waren gerade die Russen Wir mussten nach dem Krieg nochmal mit der Schu- dort, die auch das Mühlviertel besetzten. le beginnen, da der Unterricht 1945 so oft ausgefallen Ich kann mich noch gut daran erinnern, wenn man war. Wir fingen in der Volksschule an, Kurrentschrift über die Brücke in Linz wollte, musste man den Russen zu lernen. seinen Ausweis vorzeigen, was mir immer große Angst Ich habe ein ganz dickes Paket mit Briefen, die mein Va- machte. Danach hatte ich die Möglichkeit, im Ort eine ter meiner Mutter vom Krieg nach Hause schickte. Di- Lehre in einem Lebensmittelgeschäft zu beginnen. ese sind natürlich alle in Kurrentschrift geschrieben. Ich In meinen drei Lehrjahren bekamen meine Chefleute bin die Erstgeborene und war das Lieblingskind meines zwei Kinder. Von denen habe ich immer die Windeln Vaters. Es war schön, wenn er kurz zu Hause war, denn waschen müssen. Es hat mir nicht geschadet, aber sowas es war immer lustig mit ihm. kann man heute niemandem mehr zumuten. Ich war sieben Jahre als er im September 1944 gefallen Mit dem Fahrrad transportierte ich oft Zigaretten im ist. Meine jüngste Schwester kam erst im Jänner 1945 Rucksack von Gmunden nach Oberweis, wo das Ge- zur Welt. Meine Mutter machte natürlich viel durch schäft war. Die Berufsschule war in Gmunden. Dorthin ,mit insgesamt vier Kindern in der Kriegszeit. Zum musste ich mit dem Rad oder mit dem Zug. Glück hatten wir hinter unserem großen Wohnhaus, Später kam ich zwei Jahre nach Bad Aussee, dort hat- wo mehrere Familien wohnten, einen Garten. Draußen te ich einen sehr strengen Lehrherren. Daraufhin war im Hof gab es eine gemeinsame Waschküche. Das war ich fünf Jahre bei Meinl in Linz, in der Landstraße. In ein kleines Häuschen, wo sich ein Waschkessel befand. dieses Geschäft kamen sehr viele „gnädige“, betuchte Es wurde eingeteilt, wann die Frauen die Wäsche ihrer Damen – diese bleiben einem in Erinnerung. Familien waschen konnten. Bad gab es sowieso keines, In Linz lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Wir nur ein kleines Badewandl. Im Gang hatten wir eine heirateten und 1965 zogen wir nach Obernberg, wo Gemeinschaftstoilette. mein Mann ein Geschäft mietete. Sehr mühselig fingen Trotz allem, hatten wir eine schöne Kindheit. Wir wir an, und arbeiteten viel, aber nach ein paar Jahren wuchsen arm, aber trotzdem zufrieden auf. Wir sind konnten wir das Haus kaufen. Leicht hatten wir es trotz- viel mit dem Rad gefahren, da wir kein Auto hatten. dem nicht, da wir nicht gebürtige Obernberger waren Am Nachhauseweg von der Schule dichteten wir im- und trotzdem viel schafften. Da gab es auch Neider. mer. An einen Reim kann ich mich noch erinnern. Der Das Arbeiten gefällt mir heute noch immer. Meine Ge- lautet so: schwister und ich haben durch die armselige Kindheit einen guten Zusam- „Als wir von der Schule gingen, taten wir so fröhlich menhalt. Leider sind singen, doch das ging nicht so weiter, denn wir wa- alle weit voneinander ren gar zu heiter. entfernt und wir kön- Wir waren frisch und munter, und rannten gleich nen uns daher nicht eine Stange herunter. mehr so oft sehen. Die Frau hob ihren Stecken, doch das konnte uns nicht schrecken.“ Brettbacher Michael, Philipp Buchner und Gadermayr Oliver sind Im Sommer waren wir vom frühen Morgen bis zum derzeit noch keine Geschäftsleute. Das späten Abend bei der Traun, dort haben wir viele Feri- kann aber noch werden! 132 Helga und Herbert Gruber: Eine Kindheit zwischen Tulln und Antiesenhofen

In welche Schule bist Du gegangen? Herbert und Helga Gruber, die heute in In Gaspoltshofen, das ist etwa 40 Kilometer von hier, Münsteuer leben, erinnern sich an ihre Jugendzeit. Gerüche, das Essen auf den besuchte ich die Volks- und Hauptschule. Bauernhöfen, die Schule. Daran erin- Woran erinnerst Du dich zurück wenn Du an die nern sie sich ebenso, wie an karge Weih- nachtsfeiern. Herbert Gruber weiß ge- Volkschulzeit denkst? nau, wie die amerikanischen Panzer ausgesehen haben - er ist einmal mit einem in die Schule gefahren. Da ich im November geboren bin, bin ich erst 1947 in die Schule gekommen. Den Krieg habe ich noch ein bisschen in Erinnerung. Mein Vater war eingerückt kommen, wenn ein Auto kommt und so haben wir uns und ist wieder nachhause gekommen. Wir haben drei auf die Straße gestellt und haben salutiert, dann durften Geschwister, ich war der Älteste. Da mein Vater aber wir manchmal mitfahren. Das war für uns natürlich ein seinen Job verloren hat, pachtete er einen Bauernhof Highlight, das könnt ihr euch vorstellen. Damals war in Gaspoltshofen, um seine Familie zu ernähren. Dort Besatzungszeit und wir waren in der amerikanischen sind wir aufgewachsen. Zone. Daher war öfters amerikanisches Militär un- terwegs. Einmal durfte ich mit einem amerikanischen An den ersten Schultag kann ich mich noch gut erin- Panzer in die Schule fahren. Es war immer toll, wenn nern. Wir sind damals 48 Kinder in einer Klasse ge- die Amis da waren. Die haben immer Kaugummi ge- wesen. Unser Lehrer in der 1.Klasse war ein älterer habt und solche auch an die Kinder verteilt - das war Lehrer (damals vielleicht 50 Jahre alt). Er ist ein richtig für uns herrlich. Süßigkeiten haben sich früher unse- knorriger Typ gewesen. Ich kann mich erinnern, am 1. re Eltern gar nicht leisten können und das war für uns Schultag kamen wir in die Klasse. Dort waren Holz- ein Highlight. Die Amerikaner hatten zwei Gesichter. bänke und der Lehrer ist auf dem Podest gewesen. Dort Die einen haben uns nicht gemocht, aber es hat auch hatte er seinen Schreibtisch oben gehabt. Der Lehrer ist wieder Angenehme gegeben. Für uns Kinder waren die so ca. 30 cm höher gesessen als wir und dort war auch Schwarzen am nettesten. Die schwarzen Soldaten haben die Tafel. Am ersten Schultag waren unsere Eltern noch immer etwas für uns übrig gehabt, mit denen war es im- dabei. Ich habe zu meinem Nachbarn gesagt: „Jetzt be- mer sehr lustig. Als sie Funkübungen hatten, schauten kommen wir Zuckerl“. Daraufhin sagte meine Mutter: wir immer zu. Da war ein dicker Sergeant, der hat uns „Nicht gleich schwätzen am ersten Schultag.“ Das war Schokolade und Zuckerl zugeworfen und hat herzlicht, so meine Erinnerung an diesen ersten Schultag. Ja, die als wir uns um die Leckereien gebalgt haben. Dieses La- Schule selber: Also ich hatte einen Schulweg von vier chen höre ich heute noch. Ansonsten in der Schule sel- Kilometern und das war natürlich immer schön, das ber; wir haben noch nicht so vieles gehabt wie ihr. Das könnt ihr euch vorstellen. Wir waren mehrere Kinder erste Schuljahr schrieben wir noch auf einer Schieferta- und wir haben die Möglichkeit gehabt, entweder durch fel und Computer oder solche Sachen hat es natürlich den Wald, entlang eines Baches oder entlang der Stra- noch gar nicht gegeben. Ich habe vier Klassen Volkschu- ßen zu gehen. Daneben ist eine Straße und dort sind le absolviert und im Anschluss habe ich die Hauptschu- öfters Autos gefahren. Das haben wir schnell heraus be- le gemacht in Gaspoltshofen. Schließlich habe ich das Arbeiten angefangen, aber wie gesagt, das ist nicht in der Gegend passiert, in der ihr wohnt, sondern ungefähr 50 Kilometer von hier entfernt. Vielleicht die eine Geschichte, die ich euch noch erzählen möchte: Es war Weihnachten 1945, gleich nach Kriegsende. Bewi uns auf dem Land waren viele Flücht- linge, die von Rumänien und Jugoslawien vor der Roten Armee geflohen sind. Auch in unserem Bauernhof war eine Familie mit drei Kindern einquartiert. Wir haben damals, wie gesagt, einen Bau- ernhof gehabt. Ich war damals fünf Jah- re alt und meine Schwestern waren jünger als ich. Zu Weihnachten hatten wir einen Antiesenhofen vor 80 Jahren - es hat sich nicht viel verändert! (Foto: AK Gruber)

133 Weihnachtsbaum mit Kerzen, mehr nicht. Wir haben Geschichten gelesen und als Geschenke gab es selbstge- strickte Socken und ein paar Äpfel. Es hat noch keine so großen Weihnachtsgeschenke gegeben wie heute, es war einfach nichts da. Dann sind wir zu den Flüchtlin- gen rüber gegangen. Die haben auch einen Christbaum gehabt und am Christbaum waren Zuckerl in Seiden- papier und Kerzen. Wir sind dann weinend zu unserer Mutter gelaufen, weil wir haben sowas nicht gehabt. Unsere Mutter sagte: „Nein, nein, die haben auch keine Zuckerl. Da sind Steine eingewickelt.“ Wir haben das geglaubt und wir waren beruhigt. So war Weihnachten damals. Es war nicht so wie heute. Ihr müsst bedenken, Antiesenhofen Zentrum früher (Foto: AK Gruber) damals war eine echte Notzeit. Die Leute haben nichts Jahre verheiratet. gehabt, die Leute haben nach dem Krieg gehungert. Die Russen und die Amerikaner haben damals in Wien Le- Hast Du noch Erinnerungen an die Kriegszeit? bensmittel spenden müssen. Wir haben in der Schule eine Weihnachtsfeier gehabt, ich kann mich erinnern Sehr leichte Erinnerung, meine Erfahrungen sind sehr die Älteren haben damals schöne Weihnachtslieder ge- gering. Ein Erlebnis kann ich euch erzählen, da war ich sungen und es hat von den Amerikanern gespendeten viereinhalb Jahre alt und das war wie Attnang-Puchheim Kakao gegeben. Wir haben sowas nicht gekannt. Ein bombardiert wurde. Da hatte es hunderte Tote gegeben. Kakao, das war sowas Tolles und Gutes. Dann hat jeder Aber an den Krieg selber kann ich mich nicht mehr er- noch ein Paket bekommen, das sogenannte Care-Paket. innern. Wir haben die Kondensstreifen am Himmel ge- Da haben wir natürlich gleich nachgeschaut, was da sehen, aber da sind wir gleich in den Keller gegangen. drinnen ist. Da war so ein komisches gelbes Pulver, das Von meinem Vater weiß ich noch, dass die Flieger auf haben wir probiert. Es schmeckte nach Ei. Zahnseide jeden Menschen, den sie gesehen haben, schossen. Ich war auch dabei in dem Paket, wir haben sowas nicht ge- selber kann mich daran aber nicht mehr erinnern, aber kannt - das haben wir weggeschmissen. Die Amerikaner ich weiß es von meinem Vater. Der Krieg war furchtbar. haben diese Pakete zusammengestellt und haben sie uns Wie haben Glück gehabt und in unserem Leben keinen notleidenden Österreichern geschickt und natürlich Krieg gehabt und ich wünsche euch das auch. Ich habe auch den Deutschen. Es war wirklich so damals, wenn es selber mitgekriegt, wie es war. Nach dem Krieg haben jemand ein Auto hatte, der war ganz groß. Und es war wir sogar am Bauernhof gehungert. Da hat es das nicht nicht normal so wie heute, dass bei jedem Haus zwei gegeben, dass der Bauer die Sau verkauft. Da sind sie oder drei Autos stehen. Wer damals ein Auto hatte, war gekommen und haben die Sau aufgeladen und du hast vielleicht Arzt oder ein reicher Bauer, aber so normal jede Sau angeben müssen. Im Krieg, wenn du eine Sau wie heute ist, dass jeder Arbeiter ein Auto hat oder mit schwarz gestochen hast, bist du erhängt worden. Auch 17 den Führerschein macht, war es damals nicht. Das jedes Gramm Fett oder Butter ist rationiert gewesen. hat es einfach nicht gegeben früher. Die Straßen waren Da hat es noch Lebensmittelkarten gegeben. Aber nur auch nicht dafür ausgelegt, alles war voller Schotter. wenn du eine Karte hattest oder ein „Markerl“, deswe- gen hast du nicht automatisch etwas bekommen. Da Hast Du nach der Schule auch daheim etwas arbeiten hieß es: „Heute gibt es Butter.“ Und da hast du schnell müssen? sein müssen beim Einkauf. Oder es wurde Rindfleisch aufgerufen. Da hast du ein halbes Kilogramm Rind- Ich habe mit zwölf Jahren schon arbeiten müssen, nach fleisch bekommen, für einen Arbeiter und für die ganze der Schule bin ich in die Lehre gegangen, aber habe zu- Woche. hause auch noch arbeiten müssen. Ich habe noch fünf- kleine Geschwister gehabt. Was war bei Euch damals anders?

Welchen Beruf hast Du erlernt? Das kann ich euch nicht genau sagen. Da müsst ihr Helga fragen. Im Prinzip hat sich nicht viel geändert. Ich habe eine Lehre beim „Eisen Wagner“ in Ried im Die Leute sind die gleichen geblieben. Es war halt so, Innkreis gemacht. dass sehr viel Leid da war, weil ja viele nicht mehr nach Wo hast Du deine Frau kennengelernt? Hause gekommen sind. Und viele fremde Leute waren da. Flüchtlinge und so weiter. Das politische System Ich bin damals 1964 zur Österreichischen Bundesbahn hat sich geändert und sich wieder neu einrichten müs- gegangen und habe meinen Berufsweg bei der Eisen- sen im Leben. Die Männer sind im Krieg gewesen und bahn angefangen. Ich habe noch keinen Führerschein die Frauen haben zu Hause arbeiten müssen. Ihr müsst gehabt. In Antiesenhofen beim Gasthaus „Wageneder“ euch vorstellen, die Männer sind Kriegsgefangene in habe ich meinen Führerschein gemacht und da haben Russland gewesen. uns sich unsere Wege gekreuzt. Inzwischen sind wir 47

134 Es war 1954, das Hochwasser, und natürlich ist das für ein Kind ja lustig, und so ging ich Hochwasser schau- en. Und zwar wo die Malerei Huber steht, da war ein Fußballplatz, also eine große Wiese. Die war wie ein See überflutet und es sind alle Kinder dort unten gewesen, ich auch. Dann bin ich heimgekommen und war natür- lich nass. Meine Mama war relativ streng. Sie sagte: „So, weil du nicht gefolgt hast, legst du dich jetzt nieder, ins Kino darfst nicht mitgehen.“ Da war sie streng und das war die Strafe. Herr Gruber: Ich muss aber sagen, trotz alledem, wir haben eine glückliche Kindheit gehabt. Wir waren frei. Wir haben machen können, was wir wollten. Wir sind Die legendäre Autobuslinie Obernberg-Antiesenhofen nach dem 1. Weltkrieg (Foto: Gruber) nicht gezwungen gewesen, wir sind einen halben Tag Wie ist es dem Vater nach dem Krieg gegangen und auch unterwegs gewesen und haben Indianer gespielt. was hat er erlebt? Frau Gruber: Wir auch, ich bin oft bei Bauern gewesen, Mein Vater war beim Reichsnährstand angestellt und wo auch Kinder da waren zum Spielen, da haben wir wurde 1944 zum Militär eingezogen. Ähjnlich erging etwa auch Fußball gespielt. es dem Vater von Helga. Er war Briefträger in Antie- Herr Gruber: Oder auch Völkerball. senhofen und Ortsgruppenleiter der NSDAP. Auch er musste 1944 einrücken. Beide verloren aufgrund iher Frau Gruber: Nein, wir haben das nicht gespielt. Ich politischen Betätigung ihre Arbeit. Während mein Va- habe für mein erstes Zeugnis in der Volkschule einen ter es nie überwinden konnte, dass der Krieg verloren Ball bekommen. Ich habe mich so wahnsinnig gefreut ging, stand Helgas Vater mit beiden Füßen auf dem Bo- damals. Und beim zweiten Zeugnis habe ich einen Ho- den und hat sich an die Veränderungen angepasst. Er la-Hopp Reifen bekommen, das war damals modern. arbeitete als Bauernknecht und war dann bei einigen Dann einmal ein Federballspiel, es hat nicht so viel ge- Kraftwerksbaustellen beschäftigt. Er ging 1966 in Pen- geben. Wir sind viel alleine gewesen und wir haben uns sion. Sein bester Freund ist damals 1944 gestorben und auch selber beschäftigen müssen. Wir haben uns selber am Totenbett hat er versprochen, dass er sich um seine was suchen müssen zum Spielen. Puppen und sowas hat Familie kümmert. Den ersten 1000er hat er in Obern- es nicht so viele gegeben. Nachdem meine Schwester berg verdient, beim Kraftwerkbau. Weihnachten hat er zehn Jahre älter ist als ich, hat sie mir, als sie einmal in uns von einer Keksefabrik 1kg mitgebracht. Italien war, eine Puppe mitgebracht. Ich hab sie aber nicht bekommen, meine Brüder haben damit gespielt Frau Gruber: Zurück zur Schulzeit. Also die vier Jahre und Weihnachten hätte ich die Puppe bekommen, aber Volkschule, die waren nicht unangenehm, obwohl ich die Puppe hat nicht mehr gehen können, weil meine sagen muss, dass wir einen guten Lehrer hatten. Der Brüder sie zu Tode gespielt haben. Dann habe ich mal ist leider weggekommen. Ich habe ihn gerne gehabt, eine Puppe mit Schlafaugen bekommen und wir haben dann haben wir einen anderen bekommen. Es war sehr in einem Haus gewohnt, in dem mehrere Parteien wa- schlimm für mich, weil er hat die Kinder bevorzugt, die ren. Da war ein Junge, der ist ein Jahr jünger war als ich, von einem Bauernhof kamen. Und wir waren ja arme er hat mir bei der Puppe die Augen eingedrückt. Das Leute, meine Eltern waren arm. war furchtbar für mich. Aber ich muss sagen, ich habe Herr Gruber: Das war früher immer so, wenn du die dann mit seiner Mama und mit ihm nach Ried fahren Frau oder Tochter von einem reichen Bauern warst, hast dürfen mit dem Zug, das war ja auch ein Highlight. du schon einen Vorteil gehabt. Wisst ihr, wann ich mei- In Ried hat sie mir meine Puppe in einem Spielzeugge- ne ersten Würsteln gegessen habe? Bei der Erstkommu- schäft wieder herrichten lassen, damit die Augen wieder nion! vollständig waren. Ja, zu Mittag waren wir beim Wirt, wie es auch üblich Herr Gruber: An meine erste Zugfahrt kann ich mich war, da haben wir dann die Jause bekommen. Kaffee auch noch erinnern. Und zwar als ich zur Firmung ge- und Torte. dann haben meine Eltern noch ein paar fahren bin. Ich bin in Wels gefirmt worden. Dorthin Würsteln gekauft. „Ma, sind die gut,“ habe ich gesagt. sind wir von Gaspoltshofen mit der Lokalbahn gefahren Wir hatten damals kein Auto, wir waren mit dem Pferd und dann habe ich aus dem Fenster geschaut und es hat dort. mir so sehr gefallen. Frau Gruber: Am Sonntag beim Brunnen draußen, Frau Gruber: Ich muss sagen, ich habe trotzdem eine habe ich die Fußballschuhe meiner Brüder, die gute schöne Kindheit gehabt, weil es damals ja auch besser Fußballer waren, geputzt. Und ab und zu habe ich Geld geworden ist. Ich bin 1949 geboren, und da ist es auch bekommen. Dann habe ich ins Kino fahren können. schon deutlich besser geworden.

135 anpflanzen durfte., wenn man dafür einen Tag arbeitete. Meine Mutter hat so immer dafür gesorgt, dass wir im Winter Kartoffel, Kraut und Karotten gehabt haben, die wir selber angesetzt und geerntet haben. Im Herbst hat es mir viel Spaß gemacht, wenn wir Tannenzapfen klauben gegangen sind. Das war ein wichtiges Heizmaterial, weil das war was, was schnell gebrannt hat Die legendäre erste Mannschaft des 1950 gegründeten SVA (Foto: Gruber) und viel Hitze abgegeben hat. Heutzutage gibt es das nicht mehr. Habt Ihr eine Schuluniform getragen? Früher hat Antiesenhofen einen richtigen Skiberg geha- Frau Gruber: Nein, aber wir Mädchen haben noch eine bt, da hat es Skirennen gegeben. Am „Monte Greiffo“ Schürze getragen. Nur in der Volksschule, in der Haupt- hat es richtige Skirennen gegeben. Wir haben da ein schule nicht mehr, obwohl mir meine Mutter welche Foto von einem Skitag, an dem ein Slalom gefahren machen hat lassen. In der Hauptschule Schärding hat wurde. Mein Vater hat das Eisstockschießen organisiert, das keiner mehr gehabt, danach sind wir ins Gasthaus essen gegangen. Da es frü- her keine Mähdrescher gab, hat man das Gras händisch Bist Du immer mit dem Zug hingefahren? gemäht, dann wurde es aufgeklaubt und zusammenge- Frau Gruber: Ja bin ich, wir haben an einem Donners- bunden. Danach sind die Heumandln aufgestellt wor- tag immer Religionsunterricht gehabt und der Zug von den und man hat gewartet, bis sie trocken waren. Das Attnang ist zu spät gekommen, der hatte oft Verspä- nannte man „Kornmandlbinden,“ die wurden dann ge- tung. Ich bin zu spät zur Schule gekommen und der droschen. Die Dreschmaschine, die war so schwer, so Religionslehrer war schon da und er hatte gesagt: „Gu- groß wie ein Wohnzimmer. So ein Teil war auf Eisen- ten Morgen die Damen, auch schon da?“ Er sagte, dass rädern montiert und das hat man von Bauer zu Bauer ich eine Betragungsnote bekomme und ich sagte: „Gut, bringen müssen, da es keinen Traktor gab. Der erste ös- ich sage das meinem Vater.“ Und dann hatte er nachge- terreichische Traktor wurde erst 1948 gebaut. Einer der schaut und mein Vater war ja aus der Kirche ausgetre- ersten Traktoren, den es bei uns in der Nähe gab, war in ten. Dann habe ich keine Betragensnote bekommen. Bodenhofen. Ein lustiges Erlebnis war das Traktorfah- ren! Obwohl es Arbeit war, hat es Spaß gemacht. Als ich Herr Gruber: Ich möchte nicht mehr jung sein, ich fin- neun Jahre alt war, wurde ich auf den Traktor gesetzt. de, ich habe meinen Beitrag in dieser Welt schon ge- Standgas und Gang waren eingelegt. Ich bin da oben leistet. Mein Vater ist auch nicht so alt geworden und gesessen. Lenken hat man eh nicht müssen, weil es die Helgas Vater auch nicht. Aber meine Mutter ist 96 ge- ganze Zeit geradeaus gegangen ist. Mein Mann war 12 worden. In unserer Zeit war man mit 50 schon ein alter Jahre alt, als er das erste Mal auf einem Traktor geses- Mann. Als ich zehn war, bin ich an Gehirnhautreizung sen hat. Handys hat es noch nicht gegeben. Wir hätten erkrankt. Mein Arzt hat das erkannt und mir Penizillin für sowas auch keine Zeit gehabt. Früher hat man nur gegeben. Ohne diese neue Medizin hätte die Krankheit Schotterstraßen gehabt, die Asphaltstraßen gibt es erst auch tödlich sein können. Ich habe keine bleibenden seit den 60er Jahren. Alledings ist1912 das allererste Schäden davongetragen. Insgesamt kann ich sagen, Postauto von Obernberg nach Antiesenhofen gefahren. dass ich die Jugend heute nicht beneide. Wir hatten Was man bei jedem Innviertler Bauern gefunden hat, eine schöne Zeit in unserer Jugend und wenn ich mir waren die Pferde. Die Rösser waren der Stolz der Bau- die Weltlage so ansehe, glaube ich nicht, dass es besser ern, jedes Mal, wenn ein Foto von den Bauern gemacht wird. wurde, haben unbedingt die Rösser auf dem Bild sein müssen. Viele Bauernhäuser haben sogar ein Bild von Frau Gruber: Mir fällt noch etwas zur Schulzeit ein. Ich den Pferden malen lassen. Für sowas hat es Pferdema- habe ein sehr schönes Erstkommunionkleid gehabt, das ler gegeben. Ein Höhepunkt im Bauernleben war das war aus Amerika, das war etwas ganz Besonderes. Ich Maschinendreschen. Aus einem ganz einfachen Grund: war als Kind öfters bei einem Bauern und habe dort Es immer ein besseres Essen gegeben. Das sind immer auch gearbeitet. Da wir nicht viel hatten, arbeitete meine so große Dreschgesellschaften gewesen, da ist der große Mutter auf diesem Bauernhof. Früher hat es den Brauch schwere Dampfer gewesen und gleich dahinter muss- gegeben, das man von einem Acker einen Streifen selber te die Maschine stehen. Wichtig war der Dampfer, der 136 fen gegeben, genauer gesagt Bauernkrapfen frisch aus dem Schmalz raus. Das war etwas Gutes! Und Mama hat immer eine Likör gemacht mit Schnaps, den habe ich kosten dürfen, das war schön.

Elena Laufenböck, Iustina (Foto: Gruber) Cosa und Leonie Rabanser können sich ds Leben früher in hat die Maschine angetrieben und da haben die Bauern Antiesenhofen nun viel besser zusammen oftmals 20 bis 25 Leute beschäftigt. Die Ma- vorstellen! schinendrescher sind dann von Bauer zu Bauer gegan- gen und da sich dann keine Bäuerin lumpen lassen, da haben sie groß aufgekocht. Deswegen hat es wirklich nur gutes Essen gegeben, es war schwere Arbeit, aber da haben wir uns als Kinder gefreut. Da hat es Krap-

137 Wie man einen Lanz Bulldog startet

ch wurde in Antiesenhofen bei meinem Großvater Hubert Ibinger wurde 1947 in Antie- Igeboren. Dort lebte ich mit meiner Mutter bis senhofen geboren und ist dort und in zur Hochzeit 1949. Dann lebte ich einige Jahre in Reichersberg aufgewachsen. Er erinnert Reichersberg und ging da auch in die erste und zweite sich an seine Kindheit in den beiden Ge- Klasse Volksschule. Später ging ich zurück zu meinem meinden. Großvater nach Antiesenhofen, weil seine Frau gestorben und er ziemlich einsam war. In Antiesenhofen soweit ich mich erinnern kann, keine Baumaschine, ging ich dann weiter zur Schule und lebte dort auf also diverse Landmaschinen wie es sie heute gibt, hat es einem Bauernhof. Obwohl ich schon acht Jahre alt war. damals einfach nicht gegeben. Wie auf einem typischen Ich ging zur Volksschule bis zu meinem 13. Lebensjahr. Bauernhof gab es in den 50er Jahren Hühner, Schweine, Die Volksschule in Antiesenhofen war ungefähr 100 Kühe und vier Pferde. In der Erntezeit musste ich oft Meter von meinem Wohnort entfernt, also bin ich mithelfen oder Getränke aufs Feld bringen. Nachdem immer zu Fuß gegangen. Ich war in Antiesenhofen mein älterer Onkel, der Sepp, geheiratet hat und fünf Jahre Ministrant. Die Kirche war 150 Meter von den Hof meines Großvaters übernahm, ging ich mit meinem Wohnort entfernt, also für mich kein Problem, meinem Großvater in das so genannte „Auszugshaus“. ich brauchte kein Auto, keinen Bus, keinen Zug, kein Es war ungefähr zweihundert Meter vom Hof weg, Fahrrad es ging immer zu Fuß. In Antiesenhofen in die also hatte ich es zur Schule und zur Kirche noch näher. Volksschule zu gehen war für mich irgendwie immer Als Ministrant war ich eine Woche zur 7 Uhr-Messe sehr lustig. Wir gingen dort meistens nur am Vormittag eingeteilt und eine Woche zur Abendmesse. Was zur Schule und hatten dann nachmittags frei. Da ich mich beim Ministrieren am meisten geärgert hat war, einige gute Freunde in Antiesenhofen hatte, waren die dass ich am Sonntag am Nachmittag zum Segen um Nachmittage für mich immer so eingeteilt: Von der zwei Uhr dort sein musste. Genau zur besten Zeit am Schule nach Hause, Aufgabe machen und dann auf dem Fußballplatz habe ich wegmüssen! Ich hatte einen guten Sportplatz. Fußball spielen war mein ein und alles. Es Freund, der Fußball nicht so gern mochte wie ich, den gab auch Tage wo ich mit den Aufgaben alleine nicht habe ich dann meistens dazu überreden können, dass er zurechtkam, dann hab ich bis zum Abend gewartet bis mich vertrat. Dies gelang aber nicht immer. meine Tante, die meinem Opa die Wirtschaft geführt hatte, Zeit hatte mir bei den Aufgaben mir zu helfen. Nachdem mein Onkel seine Frau auf den Hof gebracht Außerdem hatte ich einen Onkel, den Hans, der sich hatte, war es nicht mehr so wie früher. Da sie selbst sehr um mein schulisches Weiterkommen bemüht hat. schon ein Kind hatte, war ich dann irgendwie am Hof Bei diversen schulischen Aufgaben hat er mir geholfen. nicht mehr erwünscht. Er war ziemlich hart zu mir: Bevor ich meine Aufgabe nicht fertiggemacht hatte, hatte ich nicht frei. Einen Ich bin dann im sechsten Schuljahr, mit 14 Jahren, Fernseher gab es damals sowieso keinen. wieder zurück zu meinen Eltern nach Fraham, und bin dann die letzten zwei Schuljahre in Reichersberg zur Auf dem Bauernhof meines Großvaters gab es nur Schule gegangen. händische Arbeit, es gab (die ersten Jahre) keinen Traktor, Nach der Schule musste ich auf den Hof kommen, weil wir unser altes Wohnhaus abgerissen haben und ein neues Wohnhaus gebaut haben. Statt den Bleistift, hat mir mein Vater eine Schaufel in die Hände gedrückt. Das waren eigentlich für mich die härtesten Jahre überhaupt. Mit 15 Jahren musste ich Beton mischen, Betonsäcke tragen und Ziegelblöcke schupfen, was nicht einfach war. Aber ja gut, wir hatten damals eine andere Mentalität wie heute, für uns war das einfach eine Aufgabe, die wir bewältigen mussten. Von sieben in der Frühe bis acht Uhr in der Nacht, weil in der Früh hat es auch noch die Stallarbeit gegeben und am Abend wieder. Danach waren wir sehr müde, haben uns gewaschen und sind manchmal ein bisschen fort gegangen. Ich habe damals ein Fahrrad Reichersberg am Abend (Foto: Fam. Schlegel) 138 besessen, mit 16 Jahren habe ich von meinem Vater einen Motorroller bekommen, einen Zweisitzer, damit mein Bruder, der ein Jahr jünger war als ich und auch ein Moped wollte, mitfahren konnte. Ich lebte die ersten paar Jahre Zuhause auf dem Hof. Mein Vater war immer sehr sparsam. Er hat gesagt: „Wenn du Geld haben möchtest, musst du es dir verdienen.“ Das heißt, ich habe in der Zeit in der es am Hof nicht mehr so viel zu machen gab häufig im Herbst, als Maurer gearbeitet. Ich bin auch manchmal zur Baumschule gegangen und habe dort geholfen und bin dann mit 19 zum Militär nach Salzburg, wo ich meine Militärzeit abgedient habe. Als ich dann nach Hause kam, half ich von früh bis spät meiner Mutter im Kuhstall. Tagsüber habe ich Brot ausgefahren. 1971 bin ich dann als LKW- Lanz Bulldog restauriert, Baujahr 1939 (Foto: Egger01/Wikipedia) Fahrer zur Wiesbauermühle gekommen, dort habe ich bis zur Pensionierung gearbeitet. Ich habe allerdings da schon ein bisschen auf mich geschaut, obwohl er 1980 nachdem mein Vater 1979 verstorben war, den sehr wenig Zeit hatte, weil er für zehn bis zwölf Leute Hof übernommen und mit meiner Frau, die ich 1975 verantwortlich war. Es war damals eine wunderschöne geheiratet habe, im Nebenerwerb weitergeführt. Zeit, die fünf Jahre bei meinem Großvater, die ich nicht missen möchte. Auf der anderen Seite habe ich von Und jetzt fällt mir gerade noch eine gute Geschichte zu Hause in Fraham eigentlich nichts mitbekommen. ein: Als ich bei meinem Großvater am Hof war, das Jahr Ich kann mich zum Beispiel an kein Weihnachten weiß ich nicht mehr, aber das erste motorische Gerät erinnern, weil das alles irgendwie untergegangen ist. Da ist mir wahrscheinlich meine Mutter und mein Vater zu Weihnachten abgegangen. Ich habe drei Brüder und eine Schwester, die haben mir hinterher immer erzählt, wie schön das Weihnachten war. Das ist mir eigentlich nicht mal so aufgefallen, weil ich am Hof das einzige Kind war die ersten Jahre. Geschenke hat es damals nur minimal gegeben. Es waren einfach die Zeiten anders wie heute, da ist man nicht so mit Geschenken überhäuft worden.

Die Wiesbauermühle in Mörschwang (Foto: Bezirksrundschau) war ein Lanz-Bulldog. Ein riesengroßer Traktor, der mit einem Lenkrad, das war aus Holz, angeschmissen wurde. Das heißt, man hat vorher eine sogenannte Lötlampe (Wärmelampe) angeheizt. Dann ist das Lenkrad seitlich Helene Lettner hat sich mit in eine Vorrichtung hineingeschoben worden und mit ihrem Großvater sehr gut un- Schwung hat man den Traktor angeschmissen. Eines terhalten. Einen Lenz Bulldog Tages habe ich meinen Onkel, den Hans, damit genervt, kann sie nicht starten. dass ich einmal beim Lenkrad umdrehen möchte. Der hat das gemacht. Natürlich ohne dass ich es bemerkt habe, hat er den sogenannten Startpiloten nicht auf Start gestellt, denn sonst hätte es mich wahrscheinlich 3-4 Meter vom Traktor weggeschmissen. Den hat nur ein erwachsener, kräftiger Mann starten können. Dummerweise ist genau in diesem Moment als ich das Lenkrad in den Händen hatte und starten wollte, mein Großvater durch die Garagentür hineingekommen und hat meinen Onkel derart geschimpft, weil er mich den Traktor starten hätte lassen. Er hat dann gesagt: „Du bist nicht ganz gescheit, was stellst du dir da vor, was da alles passieren könnte.“ Also mein Großvater hat

139 1945: Bei Kriegsende in Obernberg zu Tode gefürchtet und überlebt. lso, ich bin 1935 geboren und kam 1941 - be- Areits nach Kriegsbeginn - in die Volksschule nach Ingeborg Fritz wurde 1935 geboren. Die Obernberg. Ich hatte neun Geschwister und wir ha- Obernbergerin erlebte als Schülerin den ben eng zusammengewohnt. Eines der Ereignisse, an Einmarsch der Amerikaner mit. Sie er- die ich mich noch gut erinnern kann, war, dass wir bei innert sich detailreich an die Ereignisse Fliegeralarm von der Schule aus in einen Luftschutzkel- des Jahres 1945. ler laufen mussten. Einer davon war am Sinhuberberg und der zweite Luftschutzkeller war am Gamischberg, und zwar genau unter dem Kino, wo die Klassen auf- Fleisch gab, weil die Kost bei uns nicht so ausgiebig geteilt wurden. Sobald die Sirene zu hören war, liefen war. Aber unsere Mutter versuchte trotzdem, uns satt die einen zum Luftschutzkeller am Sinhuberberg, und zu bekommen. Meistens mit Erbsensuppen und ähnli- die anderen zum Luftschutzbunker am Gamischberg. chem. Daran erinnere ich mich noch sehr gut. Was ich Es gab damals ein kleines Brothaus, wie wir es früher noch weiß, ist, dass wir in einem Mehrfamilienhaus ge- genannt haben, wo eine alte Frau Brot und Gebäck wohnt haben. Dort wohnten noch drei ältere Ehepaare, verkaufte. Ich kann mich auch daran erinnern, dass es unter anderem war dort dabei der letzte Nachtwächter dort gute Roggenweckerl gab, die süßlich schmeckten. von Obernberg mit seiner Frau untergebracht. Wenn Dorthin gingen wir immer von der Schule und kauf- wir aus dem Fenster geschaut haben, schauten wir auf ten uns unsere Jause. Auch gut in Erinnerung habe ich den Flugplatz von Münsteuer. Zwar nicht direkt, aber noch das Kriegerdenkmal bei der Kirche. Zu der Zeit wir haben gewusst, dort ist der Flugplatz und wenn die gab es Lebensmittelkarten, da haben wir alles nur mit Tiefflieger gekommen sind, hat man gehört, wie die Karten einkaufen können. Jedes Familienmitglied hat feindlichen Soldaten geschossen haben. Damals, wäh- eine Karte bekommen, da gab es dann gewisse Markerl rend des Krieges, waren deutsche Soldaten im Stift Rei- für Zucker, für Brot und alle anderen wichtigen Le- chersberg einquartiert und die Soldaten haben damals bensmittel. Ein Bruder von mir war damals Bäcker. Der kleine Maschinen auf dem Flugplatz stehen gehabt. hat uns damals dann ein bisschen geholfen und einen Dazu weiß ich noch gut, dass damals ein junges Mäd- Wecken Brot mehr gegeben. chen erschossen wurde, welches zu der Zeit auf dem So konnte uns unsere Mut- Feld gearbeitet hatte und ter durchfüttern. Unser Va- noch nach Hause laufen ter musste dann 1943 in den wollte. Doch sie schaffte es Krieg einrücken und dann nicht mehr und die Flie- war unsere Mutter mit 10 ger haben sie erschossen. Kindern alleine. Wir haben Bei Kriegsende habe ich noch damals während des Krieges in Erinnerung, dass gegen- auch Getreidereste sammeln über von uns, auf der Innsei- gehen müssen. Wenn dann te auf der bayrischen Seite, Fliegeralarm war, haben wir dann 1945 die Amerikaner uns schnell bei irgendeinem gestanden sind. Wir hatten Haus versteckt. In der Schu- damals keine Brücke, sondern le war es dann auch so, dass nur ein Stauwerk gehabt. Die nicht immer Unterricht war. haben dann dort gewartet, Was ich ebenfalls noch gut in und wir hatten damals ei- Erinnerung habe ist, dass in nen Landpolizisten, der noch den Pausen oft zwischen den meinte, er muss Obernberg Mädchen das Essen getauscht verteidigen. Er hat mit der wurde, denn die Mädchen Pistole geschossen, aber letzt- vom Land bekamen von Zu- endlich hat jemand zurück- hause immer ein Fleischbrot geschossen und ihn verletzt. zur Jause. Wir bekamen mei- Zur gleichen Zeit ist damals stens ein Marmeladenbrot zum Glück der Bürgermeister Woerndle Josef mit der wei- von Zuhause mit. So waren 1 dann die vom Land froh, ßen Fahne hinten gewesen. Das heißt, Obernberg hat wenn sie etwas Süßes bekom- Die Weihnachtsfeiern der Amerikaner wurden auch von den Soldaten selber men haben und wir waren berichtet. Hier die TItelseite einer US-Soldatenzeitung, welche in Ried sich ergeben. Dann sind die froh, wenn es wieder einmal gedruckt wurde. (Foto: MS Eichsteininger) Panzer und die Soldaten über

140 getragen. In dem Gasthof Zöpfl war damals ein Tanzsaal und alle Kinder waren eingeladen zur Weihnachtsfeier. Damals war Frau Mazoch die einzige Lehrerin, die Eng- lisch gesprochen hat, sie hat dann gedolmetscht und ich habe das jetzt noch in Erinnerung. Es war so schön, weil die Soldaten jedem Kind einen Sack gegeben haben, wo Erdnussbutter, Orangen und Salzkekse drin waren. Also Sachen, die wir nicht einmal kannten, und da wir fünf bis sechs Kinder waren, kam jeder mit einem Sack voller Essen heim und unsere Mutter freute sich dann sehr. Das war eigentlich eine der schönsten Weihnachtsfei- ern, weil da standen noch so schöne Christbäume auf

Blick auf Obernberg, kurz vor Kriegsende. (Foto: Sommerbauer) der Bühne, an die ich mich erinnern kann. das Stauwerk hinüber gekommen, einquartiert sind sie Was war dann noch? Ja, wir haben dann natürlich keine in der Schule worden und am Inn unten, auf der Ufer- Schule gehabt. Nicht regelmäßig. Dann wurde immer seite gegenüber von der Innwerkssiedlung, wurde eine gesagt, dass wir einmal zum Brandstätter kommen um Baracke aufgestellt. Dort war die Küche für die Sol- die Zeit, dann zum Gasthof Öttl. Dort hatten wir dann daten. In den gerade fertig gebauten Innwerkshäusern immer ein paar Stunden Unterricht. Aber für das ganze haben sie sich auch einquartiert, und da waren dann Jahr war das zu wenig und wir mussten später dieses die Büros und ähnliches drinnen. Wir hatten alle große Jahr wiederholen, als dann Österreich wieder frei war Angst, als es geheißen hat, dass die Amerikaner kom- und wir wieder in die Schule konnten. Weil nach den men. Unsere Mutter hatte sogar so große Angst, dass sie Amerikanern sind dann eine Menge Flüchtlinge von sagte „Kinder, schnell zieht euch an, wir gehen in den Schlesien und Banat gekommen. In Obernberg sind Keller runter!“ Sie hatte da immer schon eine Tasche dann auch viele von ihnen geblieben. Die haben sich parat mit ihren Papieren und jedes von den Kindern hier ihre Häuser gebaut. Es ist dann ein gutes Jahr ver- musste eine Flasche Wasser mitnehmen und so warteten gangen, bis wir dann wieder normal in die Schule gehen wir im Keller, bis wieder Entwarnung kam. Wo heute konnten. Soweit man sich an diese Dinge noch erinnern das Altersheim ist, war damals eine Pferdezucht. Die kann, wenn man selbst noch ein Kind ist. Es hat dann Pferde wurden von den Amerikanern geholt, als sie in kurz nach dem Krieg immer diese Carepakete aus Ame- der Nacht hinüber kamen und Obernberg eingenom- rika oder England gegeben. Und dort war dann immer men haben. Die Pferde wurden dann irgendwo ausge- Kleidung drinnen, da man ja nichts kaufen konnte. lassen. Dort wo wir gewohnt haben, war eine Sackgasse. Es hat ja nichts zu kaufen gegeben. Man musste dann Die Rösser haben dann mit den Hufen auf die Haustüre „schwarz“ handeln. Meine Mutter hat zum Beispiel die hingetreten, und wir haben uns zu Tode gefürchtet, weil Lebensmittelmarken, wie Zuckermarken oder andere, wir nicht wussten, was los war. Damals wurden immer die sie auch entbehren hat können, ausgetauscht, da- schlimme Märchen erzählt, dass dann dunkelhäutige mit wir wieder Wäsche und Kleidung bekommen ha- Personen mitkommen und dann irgendwelche Sachen ben. Wir sind zwar nicht dicker geworden, aber länger treiben.2 Unsere Mutter hat sich zu Tode gefürchtet und und dann hat uns wieder nichts mehr gepasst. Ich kann wir Kinder auch. Am Morgen sahen wir dann, dass sich mich noch erinnern, ich habe von einem Carepaket mal die Pferde blutig geschlagen haben, weil sie zurück in Schuhe bekommen und diese Schuhe waren so schmal den Stall wollten, aber sie haben die Gasse verwechselt, und Stöckel hatten sie. Dann bin ich eben als 12 jähriges weil Pferde in der Nacht nicht sehr gut sehen. Am Mor- Mädchen mit Stöckelschuhen in die Schule gegangen. gen wurden die Pferde schließlich zurück in den Stall Wir hatten später auch mal einen netten Lehrer, den gebracht. Diese Zuchtstation ist dann weggekommen Herrn Bernecker. Das war ein Kriegsinvalide, der hat 3 von Obernberg. Auf jeden Fall war das alles für uns un- beim Etz gewohnt und der war ein sehr tüchtiger Leh- heimlich schlimm, da unser Vater nicht zuhause war und rer. Bis die anderen zurückgekommen sind, die meisten wir alleine waren, also nur mit älteren Leuten im Haus. waren ja im Krieg aus, hatten wir den. 1945 ist dann In der Küche der Amerikaner, in Ufer unten, durfte mei- unser Vater heimgekommen. Als der Krieg aus war, kam ne Schwester arbeiten, sie war sieben Jahre älter als ich. er in Gefangenschaft. Aber nicht besonders lange. Er ist Dort wurde immer ziemlich gut gekocht, und sie durfte erst 1943 eingerückt und war schwer krank, als er heim- dann immer die Reste mit nach Hause nehmen. Deshalb gekommen ist. Er hatte starkes Rheuma, da er im Lager warteten wir schon am Abend, bis sie nach Hause kam, immer auf Betonböden schlafen musste. Er war wirk- um von ihr wieder etwas Gutes zu Essen zu bekommen. lich schwer krank, er brauchte wochenlang einen Arzt. An ein Weihnachtsfest kann ich mich noch gut erin- Mein älterer Bruder musste mit 17 Jahren einrücken. nern. Die Weihnachtsfeier war beim ehemaligen Gast- Da weiß ich die Zeit nicht mehr so genau. Ziemlich hof Zöpfl am Marktplatz, da sind vier amerikanische am Anfang des Krieges. Der war dann in russischer Ge- Soldaten mit einem kleineren Lastwagen gekommen, fangenschaft und ist am 08.12.1945 heimgekommen. der voller brauner Papiersäcken war und die haben dann Das weiß ich deshalb noch so genau, weil da ist meine die Amerikaner mit Wäschekörben hinauf in den Saal Schwester Emma auf die Welt gekommen und da hat-

141 die ich gepflegt habe, die mit 48 Jahren an Brustkrebs starb. Da waren auch zwei ältere Leute, die Großeltern meines damaligen Chefs, mit 85 und 90 Jahren. Die habe ich ebenfalls hier im Haus gepflegt. Und dann hab ich den Chef geheiratet. Der hat gesehen, dass ich sehr fleißig war und dann bekamen wir selbst Kinder. Und so läuft das Leben. Und jetzt bin ich 66 Jahre hier. Vom Krieg selbst weiß ich sonst nichts mehr. Das schönste Erlebnis im Krieg war, wie gesagt, die Weihnachtsfeier, das war das schönste. Alles andere war nicht schön. Die Furcht, die die anderen uns eingeflößt haben, wenn die Amerikaner kommen, was die alles mit uns machen, war alles eine Lüge. Im Gegenteil. Mei- ne Mutter hat dann für die Soldaten gewaschen. Dafür bekam sie etwas mehr zu essen und brachte uns Kin- dern immer wieder etwas von den Amerikanern mit. Das erste, was wir damals kennenlernten, war der Kau- gummi. Den gab es bei uns nie zuvor. Ja, Zigaretten und Kaugummis bekamen Kinder damals schon. Wie Akribisch genau listet die Chronik der Volksschule Obernberg auf, was von den gesagt, wir hatten wenig Schule und wenig zu essen. Für Amerikanern 1947 anläßlich der Weihnachtsfeiern gespendet wurde. niemanden hier war es einfach. Die ganzen Kriegsjahre. (Foto: VS Chronik Obernberg) Aber als Kind bekommt man selbst nicht so viel mit, ten wir unseren Bruder, den ja unsere Oma aufgezogen wie als Erwachsener. hatte, das erste Mal gesehen. Wir wussten damals gar Später wurden dann die Siedlungshäuser erst vermietet nicht, dass wir einen älteren Bruder hatten. Aber das und dann an die Innwerksarbeiter verkauft. Mein Va- war eben der 8. Dezember. Er stand am Bett unserer ter arbeitete zum Beispiel im Innwerk. Die haben eben Mutter und wir sahen ihn natürlich ganz neugierig an, dort auch eine Wohnung bekommen und sind dann da wir ja nicht wussten, wer dieser Junge war. Dann eben vom Alten Markt in Obernberg hinunter gezogen. sagte unsere Mutter, dass wir nicht so verdutzt schauen Da lebten meine Geschwister und ich aber schon woan- sollen, da dies unser Bruder war. Er war das erste Kind ders. Vieles hat sich nach dem Krieg verändert. Obern- und wurde von unserer Oma aufgezogen. berg hatte großes Glück, ebenso wie Reichersberg. Es Ja die Kriegsjahre… natürlich gab es nichts. Wir hatten ist nichts bombardiert worden. Im Vergleich zu den Tafeln mit Griffen und einen Schwamm daran, damit großen Städten, die zerstört wurden, ist Obernberg wir die Tafel wieder putzen konnten. Statt der Hand- nicht zerstört worden. Wir blieben da relativ verschont. arbeitsstunde, da es ja kein Garn, keinen Stoff, kein gar Wie gesagt, ich kann mich nur an den Fliegeralarm und nichts gab, hat unsere Handarbeitslehrerin damals, die das Rennen und die Angst erinnern. Wir haben das von Wimmer Kathi, zu mir gesagt, „Nimm kaputte Wäsche Reichersberg vom Flugplatz nur mitbekommen, weil mit, dass wir was zum Arbeiten haben!“ Dann hab ich wir eben gerade da in die Richtung hingesehen haben. immer eine Tasche oder einen Korb voll Wäsche mit- Wir haben gesehen, wie die Flie- gebracht. Babysachen, die geflickt gehörten, waren das ger gekommen sind und zu schie- oft. Wir haben dann Bändchen daran genäht und so ßen begonnen haben. und die ganze Mädchenklasse hat dann geflickt. Statt Leonie Schröcker und Christina Fritz könnten auch mit den dem Stricken, es gab ja kein Garn, keine Wolle, rein gar Amerikanern sprechen - sie nichts, mussten wir Norwegermuster aufzeichnen. Weil können recht gut Englisch. Handarbeiten konnten wir ja nicht, es war ja nichts da. Mit 14 Jahren sagte unser Vater, dass wir selbst etwas verdienen sollten. Dann kam ich zu einer Familie in 1 Der damalige Bürgermeister ist laut eigenen Anga- Obernberg mit fünf Kindern und deren Mutter musste ben bereits 1933 in die NSDAP eingetreten. Wie in ins Krankenhaus, deshalb haben die mich gebraucht. vielen anderen Gemeinden auch, war der Bürgermei- ster, obwohl NSDAP-Mann, ein Mann des Ausgleichs. Dort musste ich so gut wie alles tun. Diese Kinder be- Vergessen darf man aber nicht, dass die Bürgermeister in der NS Zeit nicht jene Entschei- suchen mich heute noch. Gundel und Erich. Ich war dungsbefugnis hatten, die ihnen vorher und nachher zukam. Das Amt des Ortsgruppen- damals ihre Kinderfrau, obwohl ich selbst noch fast ein leiters war in der Zeit sicher eines mit mehr Einfluss. Hoch angerechnet wurde Woerndle, dass er lt. Hans Brandstetter bei Kriegsende den Amerikanern mutig mit der weißen Flag- Kind war. Dann musste ich in der Zwischenzeit heim, ge entgegenging und den Markt ohne weiteres übergab. Anm. Eichsteininger das war schon nach dem Krieg, da wieder ein Kind bei 2 Tatsächlich wurde die Furcht vor Vergewaltigungen durch die „Neger“ durch die NS Propaganda in den letzten Kriegsmonaten noch kräftig geschürt – mit Erfolg. An den – uns zur Welt kam. Und nach einigen Monaten bin ich erschreckend häufigen – Berichten über tatsächliche Vergewaltigungen bei uns in der Antiesen dann hier zur Glaserei gekommen. Auch wieder als und Innregion, waren sie aber allen Anschein nicht oder nur gering beteiligt. Anm. Eichsteininger Mädchen für alles. Da war eine krebskranke Frau hier, 3 Etz war der vormalige und nachmalige Leiter der Hauptschule. Er wohnte in Obernberg. Anm.

142 Erinnerungen an das alte Antiesenhofen

n welcher Schule bist du gegangen und wie lange Karl Lissl, geboren 1947, verbrachte Ihat sie gedauert? seine Kindheit zum größeren Teil in Antiesenhofen. Im Gespräch erzählt er In die Volkschule Antiesenhofen, acht Jahre lang. über die Volksschulzeit und das Leben An welche positiven oder negativen Dinge erinnerst im alten Antiesenhofen. du dich noch, wenn du an die Schulzeit denkst? gestanden und da hat die Lehrerin draufgemalt. Und Negativ war, dass wir nicht in die Hauptschule gehen wenn wir was angestellt haben, mussten wir uns hinter durften, weil der Direktor der Volksschule so streng war die Tafel stellen. Das war dann die Strafe. Das war auf und gesagt hat „Das kann ich auch machen!“ Naja - der anderen Seite ganz interessant, weil da ein Fenster nachdem es auch finanziell nicht so gut lief, habe ich war und da konnten wir nach draußen schauen und von nicht in die Hauptschule gehen dürfen, in die ich gerne da hat man den Friedhof gesehen. Wir sind schon in der hingegangen wäre. Acht Jahre war ich in der Volkschu- neuen Schule gewesen. Die Schule war ja früher neben le. Die Lehrer, die waren sehr streng. Es gab sehr viele der Kirche in Antiesenhofen. Strafen damals. Eigentlich hatten wir die ganz norma- len Fächer, so wie in der Hauptschule auch, nur in der Also das war eine ganz neue Schule als du zur Schule Hauptschule hätten wir noch Englisch und Geome- gekommen bist, oder? trisch Zeichen gehabt, das war in der Volkschule nicht der Fall. Ja, die war neu. Die alte Schule war noch beim Loder hinten. Haben euch die Lehrer auch manchmal geschlagen? Wie bist du zur Schule gekommen? Gab es einen Zu unserer Zeit hat sich das schon eher aufgehört, aber Bus? vor uns gab es das noch. Wir mussten uns als Strafe draußen vor die Tür stellen und viel abschreiben, viele Alles ist zu Fuß gegangen früher. Sogar die von Maas- Sätze, 100-mal dasselbe schreiben, das war keine Sel- bach sind zu Fuß gegangen und die haben vier Kilome- tenheit. Die Lehrer damals waren streng. Da hast du dir ter bis zur Schule gehabt. nichts erlauben dürfen. Für jede Klasse gab es nur einen Hast du neben der Schule auch daheim mitarbeiten Lehrer. Es war eine erste Klasse, eine zweite Klasse und müssen? dritte gemeinsam und es war die vierte und fünfte Klas- se gemeinsam. Die großen Kinder in der sechsten bis Ja, ich habe immer arbeiten müssen. Ich bin viel bei den zur achten Klasse waren auch beisammen. Es waren im- Bauern gewesen und habe bei den Bauern mithelfen mer sehr große Klassen, bis zu 50-55 Kinder. Da waren müssen, in den Ferien auch und auch nach der Schule. die Lehrer gefordert. Hausübungen hatten wir damals, Aber nur fürs Essen, sonst hat es kein Geld gegeben. soweit ich mich noch erinnern kann, weniger, das war Das mit dem Essen war immer ein bisschen knapp. damals nicht so wie heute. Es gab damals Strafaufgaben, Wurst und Fleisch hat es bei uns fast nie gegeben. Es aber Hausübungen fast gar nicht. Das haben wir damals gab Milchprodukte und Sachen, die man heute nicht alles in der Schule gemacht. Und vorne ist eine Tafel mehr oft isst, etwa Reisauflauf, Krautsuppen oder Kar- toffelsuppen. Als ich die Schule angefangen habe, waren wir einklassig und da haben wir noch Bänke gehabt, wo wir zu acht wa- ren in einer Reihe. Wir haben damals auf kleine Schiefertafeln geschrieben. Es waren so kleine Tafeln wie die Tablets heutzutage. Was hast du nach der Schulzeit gemacht? Hast du zu arbeiten begonnen?

Nach der Schule habe ich eine Lehre begon- nen, eine Mechaniker Lehre bei der Firma Reisegger. Hast du die Kriegszeit noch miterlebt?

Eigentlich weniger. Ich erinnere mich noch an die Besatzungszeit mit den Amerikanern. Einige der Schüler der Volksschule Antiesenhofen 1949/50. (Foto: SCR Antiesenhofen) Seinerzeit sind wir noch Schlitten gefahren

143 im Winter. Wenn uns die Amerikaner gesehen haben, Und als deine Eltern das Haus gebaut haben, wie war dann haben sie uns Schokolade und Kaugummi und das? solche Sachen gegeben, aber mehr weiß ich nicht mehr. Es waren beim Langeder ein paar Soldaten stationiert. Es war am Anfang ja noch ziemlich klein. Da haben wir dann immer erweitert, erweitert und erweitert… Wenn Was war damals in Antiesenhofen anders als heute? wieder genug Geld da war! Spielsachen gab es auch fast keine. Einmal habe ich einen Teddybären bekommen, Es war viel anders. Die Häuser und von der ganzen In- doch den haben sie mir nach Weihnachten wieder ge- frastruktur her hat sich alles geändert. Viele Häuser wur- nommen, damit er nicht schmutzig wird. Dann haben den abgerissen, viele wurden neu gebaut. Dann wurde sie ihn auf den Dachboden getan und dort haben ihn die Autobahn mitten durch die Ortschaft gebaut, die die Motten gefressen. hat sowieso alles verändert. Die Landwirtschaft hat im- mer mehr abgenommen, die meisten haben den Beruf Habt ihr Weihnachten, Ostern, Geburtstag und so gewechselt. etwas gefeiert? Hat es Geschenke gegeben?

Kennst du noch jemanden, der im Krieg mitge- Gefeiert haben wir schon, aber bekommen hat kämpft hat? man praktisch nichts, es hat nicht viel gegeben. Da war ich schon froh, wenn es Kekse gegeben hat. Ja, sicher, meinen Vater. Er hatte Glück und er ist wie- der heimgekommen nach dem Krieg. Über die Kriegs- zeit hat er aber nie geredet. Und wo haben deine Eltern gearbeitet?

Mein Vater war Knecht beim Jodlbauer und die Mutter war Dirn. Ihr habt am Anfang aber noch nicht da gewohnt?

Nein, vorher wohnten wir beim Jodlbauer, dann sind wir zum Hochaspöck Haus gekommen und 1965 bau- ten wir unser eigenes Haus. Da wo jetzt unser Haus steht, war es überall Wiese, das war dann das erste Haus. Ausgestorben: der Viertelanschluss in Österreich Ich bin mit etwa sechs Jahren nach Antiesenhofen ge- (Foto: Telekom Austria / Wikipedia) kommen und habe die Volksschule angefangen. Vorher war ich bei einer Ziehmutter und mit ca. zwei Jahren Hat es Unterschiede zwischen den Menschen gege- bin ich nach Gurten zu meiner Großmutter gekom- ben? Zwischen Arm und Reich? men. Ich war als Kind nicht bei meiner Mutter. In erster Linie waren es die großen Bauern, die wirklich Und wo hat die Ziehmutter gewohnt? was gehabt haben. Das waren nur einige wenige. Und die Skifabrik Hagan hat es gegeben. Die Besitzer waren In Antiesenhofen. Ja, sie hat mehrere Kinder so wie auch reich. mich gehabt. Was war früher anders vom Lebensstandard her? Und wieso warst du nicht bei deiner Mutter? Das kann man nicht vergleichen, früher hatte man Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich wegen Zeitmangel. nichts. Es hat auch kein Telefon gegeben. Wir haben Sie hat viel arbeiten müssen. das erste 1982 bekommen. Das war noch eines mit Wählscheibe. Ein Wählscheibentelefon. Radio hatten Wie war das mit der Kirche? Seid ihr jede Woche in wir schon seit 1952. Im Jahr 1954 gab es den ersten die Kirche gegangen? Kühlschrank. Es gab auch nicht so einen guten Kaffee Ja, wir haben jede Woche in die Kirche gehen müssen. wie heute, die Bohnen waren damals noch etwas Be- sonderes. Im Dezember sind wir jeden Tag in die Kirche gegan- Andra Pisaltu, Anna Hochas- gen. Wir waren sehr gläubig. pöck und Emma Lißl kennen Highspeedinternet aber keinen Habt ihr früher Haustiere gehabt? Viertelanschluss.

Nein, wir nicht, aber wir haben ja beim Jodlbauer ge- wohnt und die haben das alles gehabt: Kühe, Schweine, Landwirtschaft, eine Mühle, Transportunternehmen . oder ein Sägewerk. Die haben das alles gehabt. Auch schon Traktoren und LKW.

144 Trotz aller Not: Mit dem Motorrad von Reichersberg zum Großglockner! Erzähl uns von deiner Schulzeit! Maria Redhammer wurde 1930 in Rei- a, ich bin acht Jahre in Reichersberg im Stiftshof in die chersberg geboren. Bereits 1948 war sie JSchule gegangen. Wir hatten nur zwei Klassenzimmer. verheiratet und Mutter. Die Probleme Im ersten Klassenzimmer waren drei Schulstufen und von heute sind nichts gegen die von frü- her, sagt sie. in dem zweiten Klassenzimmer waren fünf Schulstufen. Ich bin täglich zu Fuß hingegangen, damals war es noch üblich, dass Kinder zu Fuß gehen. Mein Bruder war in Russland. Er ist im Lazarett ge- storben. Er hat meiner Mutter einen sehr rührenden Habt ihr da schon Englisch-Unterricht gehabt? Abschiedsbrief geschrieben. Er ist dann an seinen Ver- letzungen gestorben. Er hat den Brief diktiert und der Nein, überhaupt nicht. Das hat es früher alles noch Pfarrer hat ihn geschrieben. Meine Mutter hat zu mir nicht gegeben. gesagt, wenn sie stirbt, soll ich ihr den Brief mit ins Grab Hast du nach der Schule zuhause mitarbeiten müs- legen. Mein Bruder ist mit 20 Jahren gestorben. Mein sen? Mann ist mit 19 Jahren in die Gefangenschaft gekom- men. Er war ein ganzes Jahr gefangen. Wir waren noch Ja sicher, ein Jahr habe ich zuhause mitgearbeitet. Dann nicht verheiratet, aber ich kannte ihn schon. Meine vier war ich drei Jahre in Obernberg im Krankenhaus in der Brüder haben in den Krieg einrücken müssen, sie waren Küche. Meine Schwester Gerti wurde schwanger und alle an der Front. Mein Vater hat immer sofort, wenn blieb dann drei Jahre daheim. Danach musste ich wie- wir die Zeitung bekamen, geschaut und uns gesagt, an der zuhause mitarbeiten. welcher Front es für meine Brüder gefährlich, oder rela- Hast du eine Lehre gemacht? tiv gesehen, weniger gefährlich war. Nein, ich habe in Obernberg nur das Kochen gelernt. Sind deine Brüder manchmal nach Haus gekom- men? Ihr habt doch einen Bauernhof gehabt? Ja, sie sind im Urlaub immer nach Hause gekom- Naja, es war kein richtiger Bauernhof, es war eher ein men, aber sie haben nichts vom Krieg erzählt Sacherl. Wir hatten fünf Kühe und drei junge Stiere. Sie sind mit 16 bzw. 17 Jahren zum Militär gekommen. Leider hatten wir keine Pferde und spannten daher Mein Mann hat mir erzählt, als er in Frankreich in Ge- Kühe ein. Erst als der Hof übernommen wurde, beka- fangenschaft war, mussten die Amerikaner sie beschüt- men wir einen Traktor. Wir waren sechs Kinder. Ich war zen, denn sonst hätten die Franzosen sie angegriffen die Jüngste, die Älteren mussten in den Krieg ziehen. und verletzt. Meine Mutter hat sich immer sehr um ihre Ich habe alleine zu Hause bleiben müssen, weil die an- Kinder gesorgt und sie hatte immer Angst um sie. Die deren weg geheiratet haben oder in den Krieg zogen. Probleme, die ihr heutzutage habt, sind nichts gegen die von früher. Wie viele Geschwister leben noch und wie ist es ih- nen ergangen? Sind viele Männer wieder nach Hause gekommen? Niemand mehr, ich bin die Letzte von uns sechs. Ich Naja; es sind viele Männer ausgeblieben. Auch mein habe nur noch meine Neffen und Nichten als meine Bruder, der den Hof bekommen hätte. Man bekam ein Verwandten. Foto, wo viele Kreuze standen. Dort wurden sie begraben.

Haben dann die Frauen zu Hause mit den Kindern den Bauernhof gemacht? Ja sicher, die Frauen haben alles gemacht mit den Kin- dern, da haben wir viel gearbeitet. Wir haben das Gras mit der Sense geschnitten. Wir habe alles mit den Hän- den gemacht. Wir haben aber immer was zu essen ge- habt, in Reichersberg ist nie jemand betteln gegangen. Aber aus Obernberg sind viele gekommen und haben gebettelt1. Sie sind so froh gewesen, wenn man ihnen Erdäpfel gegeben hat

Reichersberg, Hofmark, 1930 (Foto: Fam. Schlegel) Wie war das früher mit Weihnachten/Ostern…?

145 Wir hatten schon einen Christbaum. Wir haben uns mit dem Motor- Strohsterne immer selbst gebastelt, das haben wir in der rad weggefahren, Schule in Handarbeiten gelernt. Wir bekamen keine immer drei Tage, Geschenke, das war noch nicht so üblich. Wir haben dann haben wir aber schon einen Festtagsbraten gegessen. Es gab auch in den Heustadeln schon Oblaten, die haben wir aber selbst gemacht mit übernachtet. Sogar Butter, Kakao und Zucker zum Einstreichen auf den Großglo- ckner sind wir mit Seid ihr früher oft in die Kirche gegangen? dem Motorrad ge- Ja, wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Das fahren. Unser Es- war Pflicht! sen haben wir mit- genommen und Was hast du in deiner Freizeit getan? das war immer Ich habe mich mit den Nachbarskindern getroffen. Da sehr romantisch. haben wir dann gespielt, wie zum Beispiel: Tempelhüp- Es haben während fen oder Verstecken. Wir sind sogar von der Schule aus, des Krieges auch drei Wochen in den Urlaub nach Lindeneck gefahren, einmal deutsche da wurde viel geturnt und gewandert. Ich war damals Soldaten bei uns zehn Jahre alt. Maschinendreschen in Reichersberg 1951 gelebt. Solche, die (Foto: Fam. Schlegel) von der Front zu- Ich bin sonst mit meiner Familie nirgends hingekom- rückgekommen men, weil wir kein Auto hatten. Wir sind in Reichers- sind. Sie sind in Häuser einquartiert worden, jeder mus- berg im Winter oft Schi gefahren, mein Bruder hatte ste jemanden aufnehmen. Und einer hat gesagt: „Wir schon richtige Schier und ich habe sie mir manchmal brauchen keine Angst zu haben, wenn die Amerikaner ausgeliehen. Meine Mutter hat es ihm dann verraten, kommen, denn unser Chef übernimmt das Kommando dann hat er die Schier versteckt, weil das für Mädchen und er schaut, dass uns nichts passiert.“ Die Amerika- nicht passt, wenn sie Schi gefahren sind. ner wollten in Obernberg die Brücken sprengen, aber dieser Chef hat das verhindert2. Und mit diesem Chef Hat es früher Schokolade und andere Süßigkeiten sind wir immer in Verbindung geblieben. Wir haben gegeben? ihn mit dem Motorrad in Deutschland, genauer gesagt Ja, hat es. Wir haben Schokolade von unserer Taufpa- in Weiden, oft besucht, wir haben Briefe geschrieben, tin bekommen, weil sie keine eigenen Kinder hatte. Zu doch der lebt nicht mehr, das haben mir seine Angehö- Allerheiligen hat sie uns immer einen Spitz (=Striezel) rigen geschrieben. Später haben wir das Motorrad ver- geschenkt. kauft, da wir Haus gebaut haben. Dann kauften wir uns einen VW, da wir ihn zum Transportieren brauchten. Habt ihr Erstkommunion und Firmung gefeiert? Dann waren wir schnell allein, mein Mann ist bei Ja sicher, ich hatte mit acht Jahren meine Erstkommu- einem Zugunfall tödlich verunglückt. Er wollte mir nion in Reichersberg. Ich wurde in Passau gefirmt, dort meine Schuhe vom Schuster holen, an meinem Ge- bin ich mit dem Zug hingefahren. Es war lustig und burtstag. Dann habe ich auf meine Kinder alleine aufregend, denn wer kam in dieser Zeit schon so weit schauen müssen. Ja, es war nicht einfach. Monika war weg? Meine Taufpatin hat mir einen teuren Mantel neun und Hansi elf. Marianne war schon verheiratet. aus Wien geschenkt. Den Stoff habe ich dann zu einer Schneiderin in Reichersberg gebracht. Was waren deine Eltern von Beruf? Die drei fleißigen Schülerinnen Sie waren Landwirte. Mein Vater war bei einem Bau- haben auch mit Redhammer Maria gesprochen. Dass man so wie Maria ern, beim „Gaderer“. Der war sein Taufpate und da war die weite Welt sehen will, können sie er dann, bis er geheiratet hat. Mein Vater ist, wenn er sehr gut verstehen! ausging, immer über den Inn nach Deutschland ge- schwommen. Dort traf er sich mit Freunden, die ein trockenes Gewand für ihn hatten. Er hat immer erzählt, dass sie unterwegs waren. Wann habt ihr geheiratet? 1 Hier sind vermutlich die vielen Flüchtlinge gemeint, die ab 1944 verstärkt nach Obernberg drängten. Anm. 1949 haben wir geheiratet und 1948 wurde meine 2 Hier vermischen sich offenbar zwei Erinnerungsfragmente. Das Stauwerk, Tochter Marianne geboren. Ich bin am 7. Jänner 18 ge- welches hier gemeint ist, wurde nicht gesprengt und so etwas war auch von den worden und am 19. Jänner ist meine Tochter geboren. US Truppen nicht vorgesehen. Die damals lancierte Geschichte wirkt aber nach, wir finden sie in den Erinnerungen häufig. Anm. Nachdem wir geheiratet haben, sind wir jedes Jahr

146 Von Lebensmittelmarken und Panzern, die in Katzenberger Wiesen stehen.

Kannst du uns etwas über das Leben früher sagen? Katharina Meindl (Mädchenname: Ich wurde 1929 in Ranshofen geboren- mit zwei Jahren Meilenz) ist 1929 geboren. Sie ver- kam ich dann nach Katzenberg. Ich verbrachte mein brachte ihre Kindheit in Katzenberg Leben bis zu den 50er Jahren in Katzenberg und bin und erinnert sich an diese Zeit in Kirch- in Kirchdorf in die Schule gegangen. Ich bin nur in dorf und Mühlheim. die Volkschule gegangen und das acht Jahre lang. Wir haben alles in Kurrentschrift geschrieben. Während des fallen. Einer hat noch einen Brief geschickt (Feldpost), Krieges hat man dann auf die deutsche Schrift umge- wo drin stand „Osten“, weil sie ja sonst nichts schreiben stellt. durften. Also nur zwei meiner Brüder waren in Russ- land, der andere war in Berlin im Hitlerbunker. Sie wa- Was kannst du über deine Lehrer sagen? ren aber alle gewöhnliche Soldaten. Mein Stiefvater ist auch eingezogen worden zum Volkssturm. Da haben sie Wir haben einen Oberlehrer gehabt, der aber nur die 1 gegen Kriegsende noch alle alten Männer eingezogen. höheren Jahrgänge unterrichtet hat und der Herr Zah- Jeder hat eine Nachricht zur Einberufung bekommen, rer, er hatte die unteren Stufen, die bis zu dem vierten so auch mein Stiefvater, aber als der einsteigen wollte in Schuljahr ging, unterrichtet. Danach sind wir zum den Zug, ist er umgefallen und war tot. Oberlehrer gekommen, zum Herrn Holzinger. Es gab auch keinen Direktor, sondern nur den Schulrat. Wir Was hast du nach der Volkschule Oberstufe ge- waren ca. 30 Kinder in der Klasse. Die Schulbänke wa- macht? ren rechts und links und in der Mitte war ein Gang, wo der Lehrer war und die Buben und die Mädchen waren Im 43er Jahr habe ich bei dem „Simandl Bauer“, der auch getrennt, aber in einen Raum. Oberstufe und Un- dort, wo du nach Katzenberg hinauffährst, auf der terstufe waren auch nicht in dem selben Gebäude. Die linken Seite mal kommt, zum Arbeiten angefangen. Volkschule-Unterstufe war dort, wo die heutige Volks- Dort diente ich mein Pflichtjahr ab und das musste je- chule in Kirchdorf steht und die Oberstufe dort, wo der der machen während des Krieges. Ich war am Hof das Friedhof jetzt ist. Pflichtjahr-Mädchen und musste somit alle anfallenden Arbeiten machen, etwa ausmisten, aber nicht bei den Was kannst du zu deiner Familie sagen? Pferden, sondern nur bei den Schweinen und Kühen. Füttern musste ich auch. Ich habe auch am Hof ge- Ich habe drei wohnt und verpflegt bin ich auch worden. Dann bin Brüder geha- ich zu der Schlossgärtnerei Katzenberg gekommen. bt, eine Mutter und einen Va- Wann hast du deinen Mann kennengelernt und wo? ter, aber mein Vater ist an Im 48er-Jahr am ersten Mai in Kirchdorf beim Mai- Magenkrebs ge- baumaufstellen, weil da sind die Mühlheimer immer storben, als ich runter gekommen zum Tanzen und da habe ich meinen zwei Jahre alt Mann kennengelernt. Bei der Feier habe ich ihn kennen war, also habe gelernt. Mein Mann war auch im Krieg, aber schon be- ich ihn nicht vor wir uns kennengelernt haben. Er ist aber auch erst mehr gekannt. später zurückgekommen, denn er war in amerikanischer Dann hatte ich Gefangenschaft (in Amerika). Ihm ist es in Amerika gut einen Stiefvater. gegangen. Er wollte sogar auswandern, wenn ihm sein Alle meine Brü- Vater das Geld gegeben hätte aber wer hatte zu dieser der sind älter Zeit so viel Geld? Danach war er beim „Michelbauer“ als ich, einer ist als Knecht. Da blieb er bis zu unserer Hochzeit. Dann 1910 geboren, ist er nach Ranshofen gegangen, aber das hat er nicht einer 1925 und gepackt im Ofenhaus2, weil das war sehr stark für ihn einer 1927. Alle und dann hat es ihn beim Magen gepackt. meine Brüder mussten in den Wie ist dir im Krieg gegangen? Krieg einziehen Das haben wir gar nicht so gespürt, weil wir ja so jung und sind dort Ansicht Kirchdorfs aus der Luft, 1936 waren. Ich kann mich halt noch an das erinnern, dass (Foto: SCR Kirchdorf) auch alle ge- 147 uns meine Mutter zum „Krämer“ geschickt hat um drei dag Germ und da ist alles in Sackerl eingefüllt worden und auf einer Waage abgewogen geworden. Da hatten wir die Lebensmittelkarten wie Fleischkarten, Brotkar- ten usw. Die Karten haben wir immer monatlich be- kommen und die Krammerin hat dann die gewissen Markerl runtergeschnitten. Eier haben wir keine ge- kauft, weil wir selber ein paar Hühner gehabt haben. Und da ist immer eine aus Katzenberg gekommen, die ist mit einem Radfahranhänger gefahren ist und die hat die Eier eingesammelt. Die eingesammelten Eier mus- ste sie wiegen. Nach dem Gewicht hat man dann das Geld bekommen. Der „Petermayer“ hat das alles gere- gelt. Dann hat es auch Bezugsscheine gegeben, dass wir manchmal zumindest ein bisschen Gewand bekommen Schloss Katzenberg in einer alten Darstellung (Foto: AK Lindlbauer) haben. Das Geld von den Eiern hatten wir auch noch. So war es unterm Krieg. Wir mussten alles abliefern. im Kasten frische, weiße Leintücher aufgerichtet. Und die Amis waren so „gschert“ und haben die Wäsche aus- Wie hat es mit Bomben in eurer Gegend ausgese- einandergerissen, sind auf die Wiese rausgegangen und hen? sind dort dann aufs Klo gegangen und mit den Leintü- Bei dem Schloss in Katzenberg, wo der Stall war (weiß chern haben sie sich dann abgewischt. Das waren alles nicht mehr ob der noch steht), ist von Katzenbergleiten neue Leintücher. Ja, so haben die gehaust. ein Flieger gekommen und der ist unter das Gebäude Wie waren die Winter früher? hineingeflogen, weil das höher oben gestanden ist. Es sind viele Leute gekommen und haben geschaut und es Sie waren viel härter und es gab viel mehr Schnee. Mit ist auch niemand rausgekommen und es hat nur eine den ganz normalen Schaufeln haben alle Leute auch in Stelle gegeben, wo es ein bisschen geraucht hat. Mühlheim die Straßen ausgeschert. Hier, wo wir jetzt sind, ist es ein bisschen höher gelegen, und hier hat es Wer war der Ortsgruppenleiter? alles zugeschneit. Es hat keinen Schneepflug gegeben In Katzenberg war es der Pfeifer, und der ist bei und der Doktor Schik, der ist damals noch von Altheim Kriegsende um drei in der Früh durch Katzenberg ge- mit dem Ross gefahren. rannt und hat allen gesagt, das sie einen Rechenstab Hat es zu dieser Zeit die Firma Wiehag schon gege- nehmen und ein weißes Leintuch rundherum wickeln ben? sollen, um damit zu zeigen, dass wir uns ergeben. Die Amis sind gekommen mit so vielen Panzern, aber auch Ja sicher, mein Bruder, der 1910 geboren ist, hat damals Fliegern und es waren lauter Neger, wirklich lauter Ne- schon beim „Wiesner“ gearbeitet, bis er eingezogen ger. wurde. Wie haben sie euch behandelt? Wie war der Wiederaufbau nach dem Krieg bei euch? Da hat es auch viele verschiedene Leute gegeben. Mein älterer Bruder, der war verheiratet, und seine Frau hatte Hier bei uns ist nichts bombardiert worden aber in der Au haben sie eine Bombe abgeworfen und da hat es ihnen beim Stall die Mauer abgetragen mit dem Stoß, den die Bombe verursacht hat. Alle Häuser sind aber ganz geblieben, aber ein paar Sprünge haben sie bekommen. Und ihr seid von den Amis befreit worden?

Ja, wir sind von den Amis befreit worden, aber wie lange sie geblieben sind, das kann ich gar nicht sagen. Aber wir haben nach dem Krieg keine Sachen gehabt, und die haben so viele Sachen mitgehabt und sie sind Tag und Nacht durch Katzenberg gefahren, weil da eine Haupt- straße war- oder wie wir gesagt haben - Land- straße. Kaffee und Schokolade haben sie auch Die Innregion hatte in den 40er Jahren Unmengen an Schnee - hier eine Ansicht auf mitgehabt. Und da bin ich einmal an einem Obernberg. (Foto: Sommerbauer) 148 regnerischen Tag raus und musste Gras mähen. Dann hab ich da gemäht und sie sind gekommen - aber es waren ja lauter „Neger“ und wir haben uns gefürchtet. Die sind ja ganz wild gewesen auf die weißen Mädchen und eine junge Bäurin in Pirath, die war hochschwan- ger und die haben sie vergewaltigt, aber mit denen sind sie gleich „abgefahren“. Habt ihr eure Häuser auch verdunkeln müssen?

Ja, das haben wir auch machen müssen bei der Nacht, da hat es so ein schwarzes Verdunklungspapier gegeben Standen nach dem Krieg in Kirchdorf herum: Sherman Panzer und da haben wir selber so Rahmen machen müssen (Foto: Wikipedia) und das so, dass kein Licht raus geschienen hat. Damit, wenn die Flieger im Tiefflug gekommen sind, uns diese haben wir uns den Stoff von den Fallschirmen genom- nicht entdecken konnten. Es hat auch keinen Flucht- men und uns Blusen machen lassen. Sonst hat es nichts keller oder so etwas gegeben, wo wir vor den Angriffen gegeben. Ja das ganze „Kobel-Holz“ ist abgebrannt. Ja, sicher gewesen wären, das war nur in den Städten. In den Aufwand, den wir früher gehabt haben verglichen Katzenberg ist auch nie eine Bombe gefallen, da war mit heute… nur der Flieger, der da ins Schloss reingeflogen ist. Was meinst du mit Aufwand? Angriffe oder so hat es durch die Amerikaner nicht gegeben? Ja, halt nach dem Krieg hast du nirgends bei einem Wirt oder so essen können. Nach dem Krieg sind nur Sie sind halt mit den Panzern und mit den Jeeps ge- die großen Bauern ins Gasthaus gegangen, weil die ja kommen. Die Panzer sind auch überall in den Wiesen Geld hatten. Als ich dann meinen Mann kennengelernt rumgestanden, da war alles zugestellt, aber die sind alle habe, habe ich mein Haus in Katzenberg verkauft und auf einmal weg gewesen und eine meiner Freundinnen bin mit meinen Mann nach Mühlheim gezogen. Wir ist reingekrochen, weil sie wissen wollte, was sie da drin haben auch kein neues Haus bauen müssen. hatten und dann fällt der Deckel zu. Und der „Hof- mann“ von Katzenberg hat es rumpeln gehört und hat dann den Panzer geöffnet. Mikkel Jakobsen, Lukas Rinortner Habt ihr etwas von den Bombenangriffen gehört? und Feuchtinger Lorenz kennen die Sherman Panzer nur aus Bildern. So eigentlich nicht, aber wenn sie im Tiefflug gekom- men sind und dann immer tiefer geflogen sind und dann wenn sie München und die anderen großen Städte bombardiert hatten, dann hat man es so rich- tig gehört. Dann haben sie auch das „Kobel-Holz“ in 1 Das war Alois Holzer – eine faszinierende Lehrerpersönlichkeit. Vergleiche der Nähe abgebrannt. Später, als alles abgewaschen war, dazu den Beitrag zur Schulgeschichte von Kirchdorf. Anm. 2 In Ranshofen wurde früher Aluminium verhütet. In den glühend heißen Hal- len, war man ohne richtiger Schutzkleidung eine ganze Schicht – es gab wech- selseitig auch Nacht- und Frühschichten – den giftigen Dämpfen ausgesetzt. Anm.

149 Gertraud Lang und ihr weiter Blick in die Vergangenheit Obernbergs

on den alten Obernbergern leben nicht mehr viele. VIch kann mich noch an einen Bürgermeister er- Es gibt Menschen, die haben besondes innern und der hat „Pfliegl“ geheißen.1 Und der war viel zu erzählen. Gertraud Lang, zugleich auch ein Fabrikant, weil er damals die ganzen geboren 1924, ist so eine Person. Ihr Farben in der Monarchie und in Russland, die er er- Blick geht zurück fast bis zur Grün- zeugt hat, mit Wasserkraft beim Gurten Bach unten, dung der Bürgerschule 1921. Sie kann hat er das betrieben. Und dieses Gebäude steht ja noch. sich an die meisten Lehrer erinnern, Das hat sich dann der Leitner gekauft. an das Schwimmen in den Altarmen des Inn und an wahghalsige Operationen im Obernberger Kranken- GS-Team: In Obernberg, war da etwas im 34-er Jahr, haus! Sie lesen hier die gekürzte Fassung zweier langer sind dort welche verhaftet worden, Schutzbündler? Gespräche, die unser Team Geschichte mit Frau Lang und ihrer Tochter, Elisabeth Kutschera, führte. Verhaftet? Sind laufend welche worden. Es sind meistens die verhaftet worden, wo sie halt gemeint haben, dass die was gemacht haben. Es sind viele über Obernberg mal kurzfristig ein Chirurg da, irgendwie durch Kriegs- nach Deutschland geflüchtet, weil nach dem 33-Jahr wirren, der war ein richtiger Chirurg, da haben sie dann war dort schon der Hitler. Aber das waren dann schon auch größere Operationen gemacht. Der Dr. Plun- Illegale, die dann sehr gute Begünstigungen gehabt ha- ger, der Großvater des heutigen Doktors, der hat das ben, als dann bei uns der Anschluss war. Als dann der auch mehr in Schwung gebracht, der hat gleich in der Krieg war, sind einige sogar gleich in den Offiziersrang Nachkriegszeit, Anfang der 20-er Jahre, angefangen in gekommen, ohne Ausbildung, wie es das österreichische Obernberg als praktischer Arzt. Er ist von Linz herauf Bundesheer gehabt hat. gekommen. GS-Team: Da war doch auch ein Krankenhaus in GS-Team: Er hat also als praktischer Arzt operiert? Obernberg? Sicher! In den 50-er Jahren hat das dann sein Sohn, der Aber es ist operiert worden, noch Jahrzehnte nach dem in meinen Alter war, weitergeführt und jetzt hat der En- Krieg, Leute sind gepflegt geworden. Das kann man kel die Ordination, jetzt hat es die dritte Generation. sich gar nicht mehr vorstellen heute. Aber es war eben damals während des 2. Weltkrieges, da haben auch andere Ärzte operiert, da war gleich nach GS-Team: Wie viele Ärzte waren dort? dem Krieg ein Militärarzt da. Der ist immer sehr schnell mit den Jeeps herumgefahren und hat aber alles was er Der Dr. Plunger! vor die Füße bekommen hat, operiert. Ganz alleine! Kutschera: Und der Dr. Koller, aber operiert hat der GS-Team: Ein deutscher Arzt? Doktor Plunger im Krankenhaus. Und dann war ein- Nein, ein Amerikaner. Das war so ein „Mulat- te“, der „Espenose“, der hat alles, alles was ir- gendwie ging, operiert. Wir haben oft gesagt: „Um Gottes Willen! Der traut sich etwas.“ Ich habe ihn noch gut in Erinnerung. Von den jun- gen Damen in Obernberg hat keine mehr einen Blinddarm gehabt. Keine mehr, alle haben auf einmal einen Blinddarmvorfall gehabt. Gott sei Dank ich nicht! (lacht) (Frau Lang zeigt ein Foto.) Das war das Ge- schäft von meinen Schwiegereltern. Die haben alles gehabt, in deren Geschäft, das war beim Tor hinaus. Das war eines von den vielen Kauf- geschäften. Lang hat es geheißen. Von dort hätten wir viele Fotos. Mein Schwiegervater ist genau fertig geworden mit der Schule für Schiffbau in Pula als der Erste Weltkrieg ausge- Weihnachten bei der Familie Lang 1931. (Foto: Lang) brochen ist. Dann kam er heim, seine Karriere

150 war zu Ende, und er hat dann eben ein Geschäft über- nehmen müssen. Sie haben zwei Geschäfte zu Hause in Österreich gehabt und das wollte er nicht unbedingt machen, aber die Fotographie schon, darum haben wir ja so viele Fotos.

GS-Team: Hat er das Fotographieren professionell betrieben?

Tochter: Ja sicher, der hat für das Stift Reichersberg, den ersten Bildband vom Stift gemacht, zum Beispiel. Ja professionell, die Leute haben bei ihm entwickeln las- sen, er hat sich Foto Lang genannt. Das war ein Kauf - & Fotographie Geschäft. Meine Großmutter hat eben Die Obernberger Autobuslinie (Foto: Lang) das Geschäft geführt und er hat die Fotographien ge- macht. NSDAP angehangen ist). Der Ortsgruppenleiter war anfangs, als erster, der Streisslberger, der war damals Die Leute, die schon selber fotographiert haben, hat er noch nicht verheiratet und der war aber auch einer der beraten und die Negative hat er dann vergrößert. Er hat- ersten Soldaten, die gefallen sind, dem hat ein Geschäft te damals im Geschäft auch Fotoapparate zum Verkauf gehört. Und dann nach ihm war es der Höllinger. Der gehabt, und wenn er wieder etwas zum Ausprobieren Höllinger war bei der Sparkasse Kassier, sein Vater war gehabt hat, sind die Leute gekommen. Und das hier ha- bei Gericht. Die drei Kinder vom Höllinger Franz ha- ben sie damals in der Auslage gehabt, im Geschäft vom ben dann studiert, der eine ist im Ministerium gleich Schwiegervater und wir sind als Kinder ganz verrückt neben der Firnberg3 gewesen, die dann nach dem Krieg gewesen und haben uns das angesehen, weil der Kram- Ministerin war. Nach dem Höllinger war es der Dr. Mo- pus auf das Geschäft aufgepasst hat2. Der Krampus war har, weil der andere hat auch einrücken müssen. Der in der Auslage von dem Geschäft und hat fotografiert. Apotheker musste nicht, da er damals auch schon äl- Und um den Krampus sind Fotos ausgestellt gewesen, ter war. Und daneben war der Wörndle, der war der die vergrößert waren. Für die „Volksschule“ hat er auch Bürgermeister. Das waren zwei Freunde, die Familien fotografiert, die waren dann auch in der Auslage! Und waren befreundet. dort hinten sieht man diesen Mechanismus, den hat er mit dem „Matador“ gemacht. (Frau Lang zeigt ein Foto von der Autobuslinie Obern- berg-Antiesenhofen.) GS-Team: Damit sich das bewegt hat? Der erste Chauffeur von Obern- Ja, das hat ja fotografiert, in diesem berg hat schon die Leute vor dem Krampus war eine richtige Fotoka- ersten Weltkrieg und die ganze mera Zeit, bis die Amerikaner gekom- men sind, chauffiert. Der hat aber (Frau Kutschera zeigt ein Foto von gar keinen Führerschein gehabt der Familie.) (lacht). Der hat nie einen Füh- rerschein gehabt und hat aber Das ist meine Großtante, das ist den Leuten, die damals schon so mein Vater und das sind ein paar interessiert waren an Autos und Hausmädchen, die sie gehabt ha- Motorrädern, denen hat er etwas ben, das ist auch mein Großvater, beigebracht beim Fahren. Aber das ist meine Großmutter mit ih- dann haben sie ihn eine Weile rem Hund, mit der „Lady“, so hat eingesperrt, weil er die ganze Zeit 4 der Hund geheißen. Und das hier ohne Führerschein gefahren ist! ist mein Vater, als er läutet, dass die Danach haben sie ihn eh wieder Überfuhr kommt! ausgelassen, weil wenn der schon von 1910 bis 1945 die Leute bis (Das Gespräch dreht sich dann um nach Südtirol fährt, kann er kein einige Bilder und die Frage, wer schlechter Fahrer gewesen sein. Er von den Leuten in Obernberg der Eine mit einem Matadormotor bewegte Krampus-Schau hat uns etwa nach Schloss Orth fensterattraktion! (Foto: Lang) auch zu meiner Hochzeit gebracht. 151 Das war ja alles selbstverständlich, weil es hat ihn nie- mand gefragt. Dann hat ihn eben die Polizei doch mal gefragt, wo er seinen Führerschein hat, ob er ihn nicht mithat. „Ich habe ja gar keinen,“ hat er geantwortet. Er so eine Limousine gehabt, wo acht Leute Platz gehabt haben und noch ein paar Kinder dazu.

(Frau Lang zeigt ein Foto von Kindern vor einer Sprung- schanze in Obernberg.)

Da haben wir Kinder uns die Schischanze selbst gebaut, da war ein Lehrer, der hat Nowotny geheißen. Der No- wotny Rudolf, der war als junger Lehrer da, hat dann einmal während der Hitler-Zeit im Linzer Landestheater als Tenor gesungen. Er ist nach dem 2. Weltkrieg wie- der zurück nach Obernberg gekommen und dieser Leh- rer war mit uns sehr gut befreundet und meine älteren Brüder wurden von ihm sogar noch unterrichtet, meine Brüder haben ihn in Werken gehabt! Das hier mit dem Spaß am Inn 1940 (Foto: Sommerbauer) Skispringen, das war einfach eine Attraktion, das war beim Garmisch-Berg, dort beim Reisegger, das war ein gie führen können. In Obernberg haben sie einmal eine Plateau, da haben die Kinder noch alles selbst gebaut, goldene Operette gezeigt, und da war eine Sängerin das war noch mit dem Nowotny. Da wurde dann mit hier, die war schon pensioniert - das wären besonders Lautsprechern ein künstliches Publikum erzeugt. Sie interessante Bilder! Wie die Schule damals immer so werden mir es nicht glauben, was wir für Hänge gehabt Operettenaufführungen gehabt hat! haben, beim Grauwinkler, gegenüber bei dem Bauern, ist es auch hinuntergegangen. Aber die Attraktion war (Frau Lang zeigt ein Foto von Kindern, die im Inn das, wie dann alle gesprungen sind und danach ist mein schwimmen.) Das war ja alles Au-Gebiet, was immer Bruder, der erst acht Jahre alt war, auch gesprungen. wieder überschwemmt war und dazwischen immer wie- Und das hat eben den Leuten so gefallen, weil sie gesagt der altes Wasser, wie es in Reichersberg noch hinunter- haben, das haben sie noch nie gesehen, dass ein Kind, geht. Es gab immer wieder diese Altwasserarme, wo die das erst ein Jahr oder zwei in die Schule geht, genauso Kinder auch gefischt haben, wo wir immer schwimmen springt wie die anderen fünfzehn, sechzehn Jahre alten gegangen sind da unten, auch wenn es ein wenig ver- Jugendlichen. Und so sind wir aufgewachsen in dieser sumpft war. Und die Augärten hat es auch gegeben – da Zeit, rundherum solche Hügel! Bei allen Berge sind wir wurde allerhand angebaut! Die Augärten waren überall hinuntergefahren, beim Schlittenfahren. Oft sind sogar bekannt! manche bis in den Inn hineingefah- ren. Zum Glück war damals noch (Frau Lang zeigt ein Foto von Kin- der Inn gefroren. Aber es sind oft dern, die einen Ausflug machen.) auch welche in das Wasser hinein- gefahren mit zu viel Geschwindig- Wenn sie einen Ausflug gemacht keit (lacht). Ist eh immer das gleiche haben und weiter weggefahren sind, gewesen, aber dieses Bild habe ich haben sie zuerst zum Bahnhof ge- eben auch noch gefunden! musst nach Antiesenhofen, wenn sie Richtung Passau wollten, dann sind Dort haben wir ein paar Bilder vom sie nach Wernstein, dort hat es da- Werkunterricht! mals schon eine Aussichtsplattform gegeben. Und der Lehrer Nowotny hat auch in Ried bei allen Aufführungen, in den 50-er Jahren, 60-er Jahren und bei den Oratorien mitgewirkt. Er GS-Team: Wir haben in der Schul- hat hier in Obernberg eine Schüle- chronik gesehen, dass die Schüler rin gehabt, die auch dort mitgewirkt damals mit einem offenen Wagen Der Sprungsport der 30er Jahre war eine professionelle bis zum Traunstein gefahren sind. hat. Er hat auch besonders gut Re- Angelegenheit! (Foto: Lang)

152 Ich sage es euch, der Kastenhuber hat bis zum Ende sei- nes Lebens die Erinnerungen von Obernberg, von sei- ner Schulzeit, die er hier verbracht hat, nicht aus dem Kopf gebracht. Er hat gesagt, solche Schüler hat er nie wieder gehabt. Er ist von Bad Ischl gekommen, dort war er tätig und er war als Deutschlehrer sehr gut. Und er hat gesagt, die Kinder sind in Obernberg so anhäng- lich. Wir haben ihn gerne gehabt, weil wir hatten vorher immer viel strengere Lehrer gehabt, als er es war. Und der Kastenhuber ist zu jedem Klassentreffen, das ich mit meiner Klasse gehabt habe, gekommen. Vorher hatten wir den Lehrer Heger, der war immer so streng. Und der Nachfolger von ihm war der Kastenhuber. Der war so ein guter Mensch, das kann man gar nicht in Worte fassen. Wir haben oft gesagt, das gibt es gar nicht, dass uns der nicht schimpft!

Der Direktor Etz, war das auch ein Lehrer von Ih- nen?

Der Direktor Etz, der ist als ganz junger Lehrer nach dem ersten Weltkrieg nach Obernberg gekommen, da hat es noch keine Bürgerschule oder dergleichen gege- ben. Er war einer der Leute, die die Bürgerschule ge- gründet haben. Als mein Vater das Geschäft gekauft hat, ist er nach Obernberg gekommen. Da sind sie durch Direktor Kastenhuber mit Traudi (Foto: Sommerbauer) das Tor gefahren, und dort neben der Kirche war die Schule und dort ist noch Bürgerschule oben gestanden! (Frau Kutschera) Aber auf so einen Lastwagen ist meine Das war 1923 und damals hat schon eine Bürgerschule Schulklasse auch noch gefahren! Da haben sie solche bestanden, die dann im Laufe der Jahre zur Hauptschu- Bänke hinauf gestellt…. le geworden ist.

(Frau Lang) In der Schule waren wir 30 Kinder in ei- (Frau Lang erinnert sich weiter zurück, an den ersten ner Klasse, und trotzdem waren wir die Klasse mit den Direktor der Obernberger Bürgerschule Herrn Bucheg- wenigsten Schülern. In der Hauptschule war es so, dass ger, der später Bezirksschulinspektor in Braunau wur- die Kinder, von auswärts damals ein Schulgeld zahlen mussten. Und es mussten die Bücher bezahlt werden. de.) Das konnten sich viele nicht oder halt ganz schwer lei- sten. Mit mir sind ein paar solche Kinder zur Schule Und als dann mein Bruder die Lehrerausbildung gehabt gegangen. Das war die Klasse vom Herrn Direktor, die- hat, hat der Buchegger meinen Bruder als Deutschlehrer se Klasse hat er geführt, da hat er sehr viel Wert darauf- gebraucht, in Braunau. Naja, mittlerweile ist der Krieg gelegt, dass diese Klasse gut aussteigt. Er hat sich sehr bemüht und war deshalb auch sehr streng! Wir haben damals schon sehr gute Fachlehrer gehabt. Das hat auch mein Bruder gespürt, der um zehn Jahre älter war als ich. Da hat es nie Probleme gegeben und später ist er dann auch Lehrer geworden, ist hier in Obernberg in die Hauptschule gegangen und dann in das Gymnasi- um nach Linz. Da gab es später nirgends irgendwelche Probleme. Die Schule war gut, hatte aber wenig Geld. Weil die Schule hat sich zum Teil noch selber erhalten müssen, damals. Da haben eben dann die ganzen Ge- schäfte noch alle die Schule erhalten.

GS-Team: War bei Ihnen Herr Kastenhuber Direk- Abschlussklasse 1936. Rechts sitzend neben der Tafel Direktor Etz tor? Wir war er so? (Foto: SCR HS Obernberg)

153 Der Schülerchor 1949 - sitzend in der Mitte Irmgard Mazoch (Foto: SCR HS Obernberg) gekommen, mein Bruder hat dann eben, obwohl er (Frau Langs Tochter spricht weiter.) Die sind oft schon schon Lehrer und dann schon verheiratet war, einrüc- in der zweiten Klasse aus der Hauptschule gegangen, ken müssen. Da hat der Buchegger dann gesagt: „Fritz, weil sie vierzehn Jahre alt waren, das war zu meiner wenn du nach Hause kommst, dann gründen wir ein Schulzeit auch noch so! Die haben auch oft am Land Streichorchester und du bist wieder bei mir, als Leh- die fünfte Klasse Volksschule gemacht, dann waren sie rer!“ Es war so eine nette Freundschaft und dann ist sein in der dritten Klasse Hauptschule vierzehn und dann Sohn gefallen, der auch schon Lehrer war, der war ein haben sie aufgehört. 1922er Jahrgang und mein Bruder ist dann auch nicht mehr gekommen. Als der Buchegger dann Inspektor GS-Team (an die Tochter): Haben Sie die Frau Ma- geworden ist, ist er immer wieder nach Obernberg ge- zoch gehabt? Von der erzählen die Zeitzeugen oft! kommen, zum ehemaligen Schiffmeisterhaus. Von die- sem Haus hat der Buchegger eine Tochter geheiratet. Ich habe in der Schule kein Problem in Englisch, bzw. Und dann haben wir als Lehrer noch den Herrn Böhm mit ihr gehabt! Die Obernberger Hauptschule hat zu gehabt. Der Böhm! Der war auch in der Obernberger meiner Zeit einen so guten Ruf gehabt, dass in meiner Hauptschule, bis er eingerückt ist, aber er ist wieder Klasse, wir waren 21 Schüler/innen in der vierten Klas- nach Hause gekommen. Er ist dann in Raab Direktor se Hauptschule, 18 weiter in die Schule gegangen sind! geworden, aber da sind wir schon bald bei seinem Be- Die Buben meistens in eine HTL. Zu unserer Zeit wa- gräbnis gewesen, der ist nämlich nicht alt geworden, ren ja so viele Kinder, da hat es ja noch das Schülerheim aber das war ein einmalig guter Mathematiklehrer. Das gegeben. Viele waren aus St. Marienkirchen und aus war ein ganz ein guter Lehrer, den haben wir vier Jahre Kopfing dabei. Und als wir ein Klassentreffen gehabt gehabt, aber er war länger Lehrer hier in Obernberg! Er haben, da waren wir sechzig Jahre alt, da habe ich zu war auch bis zum Einrücken noch in Obernberg und denen, die von Schärding gekommen sind, gesagt: „Wa- als er nach Hause gekommen ist, er hat schon eine Fa- rum seid ihr in Obernberg in die Hauptschule gegan- milie hier gehabt, seine Frau war auch Lehrerin, das war gen?“ Die hätten nur ein paar Kilometer nach Schär- die Gusti. Es sind ja dann in Obernberg jene Schüler, ding mit dem Autobus gehabt. Sie haben gesagt: „Weil die zuerst nur die Pflichtschule hier gemacht haben, Obernberg so einen guten Ruf gehabt hat!“ Die haben zuerst noch einige Jahre in die Berufsschule gegangen schon vorgehabt, in die HTL zu gehen, da wäre es mit und dann erst in die Hauptschule. Das waren meist jene der Schärdinger Hauptschule nicht so gut gegangen! Kinder, die vom Land gekommen sind. Die sind ja auch oft nur vier Jahre in die Hauptschule gegangen, die sind (Ein weiteres Foto zeigt den Obernberger Pfarrer) oft schon mit vierzehn Jahren oder früher aus der Schu- le gegangen! 154 Ach ja, der Pfarrer5, das war ein ganz ein lieber Mensch, hat eben der Direktor ein guter Mensch, er war ja damals noch Benefiziat und den größten Bereich danach ist er erst Pfarrer geworden. Er hat in der Haupt- gehabt. Nach dem schule Religion unterrichtet. Der war so lieb, wenn ich Anschluss haben wir an das denke. Mein Bruder hat immer erzählt, wenn dann den Direktor der Etz besonders streng war und sie haben kurze Zeit Kutscherer gehabt. darauf Religion gehabt, dann hat er einfach angefan- Da haben wir vor gen, das Gespräch zu suchen.B ei der Mathematikauf- dem Unterricht den gabe, bei der Kubikwurzel oder bei irgendetwas haben „Heil-Hitler-Gruß“ sie Schwierigkeiten gehabt und er hat ihnen dann ge- eingeübt, wie er ihn holfen indem er es noch einmal erklärt hat. Er hat es haben wollte. Und gleich auf die Tafel geschrieben und er hat immer einen da haben wir alle, Ausweg gewusst! Und wenn ein gewisser Lehrer sehr wir haben Hitler gar streng war, dann ist der Falkensteiner als Religionsleh- nicht mehr ausspre- rer gekommen, und der hat das einfach so geschlichtet, chen können, bei der dass es irgendwie wieder in gewisse Bahnen gekommen zweiten Silbe laut ge- ist, weil es oft wirklich kritisch zugegangen ist. lacht. Und er ist so Rechts stehend Direktor Ernst Kutschera 1941 wild geworden! Na- (Foto: Sommerbauer) Wenn ein Lehrer damals durch die Ufergasse gegangen türlich war es dann so ist und wir sind auf der Bank gesessen, wir haben da- laut, dass von der Nebenklasse der Lehrer Böhm rein- mals aufstehen müssen und grüßen, sobald ein Lehrer gekommen ist. Doch dann sieht er den neuen Direktor vorbeigegangen ist. Wenn das aber nicht geschehen ist, dort stehen und uns alle lachen, der hat die Tür schnell dann hat sich so ein Lehrer eventuell bei den Eltern be- wieder zugemacht! klagt. Das ist dann mit der Zeit besser geworden, aber das war schon noch bis in die 20er Jahre so. Die Lehrer haben auch den Kindern Arbeit angeschafft. Im Vor- markt-Gurten hat man einen großen Schulgarten ge- habt und dort haben die Lehrer ansetzten können. Da hat jeder Lehrer einen gewissen Teil bekommen und da Das Interview wurde vom TEAM GS geführt. Franz Einböck (Bild links) führte alleine die äußerst schwierigen Transkriptionsar- beiten durch!

1 Max Pfliegl war ein sehr erfolgreicher Fabrikant und Geschäftsmann, dazu Reichstagsabgeordneter und mehrere Perioden hindurch Obernberger Bürger- meister. Anm. 2 Die in der Auslage des Geschäftes Lang ausgestellte Figur des Krampus konnte sich mechanisch bewegen – eine Sensation für die damalige Zeit. Anm. 3 Hertha Firnberg war in der ersten Kreisky Regierung 1970 die erste sozialde- mokratische Ministerin Österreichs. Anm. 4 Die Geschichte kann durchaus stimmen – die Führerscheinpflicht, 1906 ein- geführt, hat sich in Österreich erst nach einigen Jahren durchgesetzt. Anm. 5 Es handelt sich um Ignaz Falkensteiner, der seit 1916 in Obernberg Benefiziat war und 1939 als Pfarrer ordiniert wurde. Anm.

Seltene Obernberger Ansicht von 1931 (Foto: Lang)

155 Vom Analaphabeten zum Filialleiter - eine Jugend in Mörschwang

Erzähle uns von früher! Konrad Schachinger, 1945 geboren, erfuhr eine so schlechte Ausbildung ch wurde am 10. September 1945 in Obernberg am in der erste Volksschulklasse, dass er IInn geboren. Das Krankenhaus in Obernberg gibt es praktisch nicht lesen und schreiben nicht mehr, es war da wo heute die Musikschule ist. Ich konnte. Wie er es dann doch noch zum bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und als ich ein Filialleiter des Lagerhauses Mining gebracht hat, er- bisschen älter wurde, wurde ich ein kleiner „Lausbub“, zählt er uns hier. da ich sehr viele Sachen anstellte. Zum Beispiel als wir früher noch sehr viele Hühner hatten, habe ich alle wei- Land so sind, nicht so wie heute. Wir sind in den Wald ßen Hühner mit einer schwarzen Wagenschmiere ange- gegangen, haben alle Fuchslöcher aufgesucht, die wir malt. Manche sind dann durcheinandergeflogen und es gefunden haben, haben sie mit Lehm zugemacht. Drei sind dort viele schwarz- und weißgefleckte Hühner her- Tage darauf haben wir wieder nachgeschaut ob wieder umgelaufen. Im September 1951 bin ich dann in die 1. offen ist, dann haben wir sie wieder zugemacht. Wir ha- Klasse in der Volksschule in Mörschwang gegangen. Die ben auch im Wald Räuber und Gendarm gespielt. Da- erste Klasse war einklassig, die zweite und dritte wurde bei habe ich aufs Lernen vergessen und nur das gelernt, in demselben Raum unterrichtet. Am Anfang waren wir was sein musste. Aber der Lehrer war sehr streng. Wenn nur zu zweit in der 1. Klasse, aber dann ist der andere wir die Hausübung vergessen haben, mussten wir alles weggezogen, jetzt war ich noch ein oder zwei Monate al- nach der Schule nachholen. Das war aber kein Problem, leine in der Volkschule. Die vierte, fünfte, sechste, sieb- wenn wir erst um vier nach Hause gegangen sind, wenn te und achte Klasse wurden am Vormittag unterrichtet, die Schule vorbei war. die erste, zweite, und dritte Klasse am Nachmittag. Wir Ich war auch Ministrant in der Kirche. Der Pfarrer war hatten dort einen alten Schuldirektor, der selber unter- ein sehr alter Pfarrer, bei dem hatten wir auch Religi- richtete und Alkoholiker war. Ich wurde immer wieder onsstunden. Da mussten wir während des Unterrichtes mal um Most geschickt, mit einer Milchkanne vom immer die Hände auf die Bank legen und ruhig sitzen, Bauern. Dadurch habe ich sehr wenig gelernt, weil ich sonst hätte es eine Strafe gegeben. Das war für 6-8 jähri- sehr oft spät davon zurückkam. In der Ersten konnte ich ge Kinder sehr schwierig, ganz ruhig zu sitzen und dem gerade so meinen Namen schreiben und ein bisschen Pfarrer zuzuhören. Auch Ministranten mussten jeden lesen. Da mein Vater Bürgermeister war, hat er sich be- Sonntag in die Kirche gehen. Wir wurden sehr katho- müht, dass der Lehrer ausgetauscht wurde und in Pensi- lisch erzogen. Jede vierte Woche musste ein Ministrant on geht. Es war sehr schwierig, aber mit Verhandlungen jeden Tag um sieben in die Kirche um zu ministrieren. haben wir es dann aber doch geschafft. Ich habe dann Die Ministranten, die zur Volksschule gegangen sind, in der zweiten Stufe einen ganz jungen Lehrer namens sind für die ganze Woche drangekommen. Mit sieben Heinz Riegler bekommen. Bei der ersten Ansage merk- bis zwölf Jahren war ich ein begeisterter Taubenzüchter. te er, dass ich nicht schreiben konnte. Er hat dann so- Ich hatte Tauben jeder Art. Maltesertauben, Kropftau- fort meinen Vater aufgesucht und ihm das gesagt. Mein ben, Fetztauben (wilde Tauben). Ich bin immer auf den Lehrer hat ihm versprochen, das alles wieder nachzuho- len. So hatte ich jeden Tag nach der Schule eine Stunde Nachhilfe, sodass ich zu Weihnachten fast so weit war wie die anderen und wieder mitmachen konnte. In der zweiten und dritten Schulstufe hatten wir eine eigene Klasse. Ich bin zu Fuß in die Schule gegangen und der Weg war ca. zwei Kilometer lang. Wenn man so sechs, sieben Jahre alt war konnte man auf dem Schulweg mit den anderen all den Unfug treiben, den man nur treiben kann. Bei starkem Regen haben wir links und rechts auf der Schotterstraße die Gräben aufgestaut. Im Sommer haben wir dann die Heumännchen, die zum Trock- nen aufgestellt waren, umgeworfen. Natürlich haben Maschinen waren früher eine Seltenheit - hier ein Traktor im Stift Reichers- wir auch gerauft, wie halt die jungen Kinder auf dem berg. (Foto: Fam. Schlegel)

156 gelegt und nach Hause gefahren. Und deswe- gen wurde das Lernen manchmal vergessen.

Welchen Beruf hattest du nach der Schul- zeit?

Nach der Schule war ich zu Hause und wie ich dann 15, 16 Jahre war, habe ich die Land- wirtschaftsschule in Lambach besucht. Ich habe nicht viel gelernt, nur was ich musste, oder was mich interessiert hat. Ich war in der Rechtschreibung schlecht, doch in Ma- thematik war ich wieder ganz gut. Eigentlich habe ich immer recht gute Noten gehabt. Eine Postkarte aus Mörschwang - Kaiserzeit (Foto: MS Eichsteininger) Außer in Deutsch, da war ich eher schlecht. Taubenmarkt nach Ried gefahren. Der Wirtin in Mör- Aber ich bin nie sitzen geblieben und musste schwang habe ich meine Tauben verkauft und wenn ich keine Klasse wiederholen. Mit 16 Jahren in der Land- 50 Schilling zusammen hatte, habe ich mir wieder neue wirtschaftsschule in Lambach habe ich schon den Füh- Tauben gekauft. Mein Vater hat mir eine Taubenstube rerschein gemacht für den Traktor. In Lambach war ich hergerichtet, wo die Tauben untergebracht waren und im Internat, das war sehr streng. Es gab wenig Ausgang, dort die junge Tauben zur Welt gebracht haben. nur dreimal in der Woche eine Stunde. Wir durften nur alle 14 Tage nach Hause fahren. Da hatten wir sämt- Im Kuhstall habe ich auch mitgeholfen, was mich aber liche Gegenstände: Deutsch, Mathematik, wir haben nicht gefreut hat. Was mich hingegen interessiert hat, auch ein bisschen Englisch gelernt, Botanik, Ackerbau, waren Maschinen, Traktoren und ein alter Deutz. Mit Viehzucht, Pflanzenkunde, Baumkunde, alles. In den 10 Jahren bin ich im Sommer schon tagelang mit dem Sommerferien war ich zu Hause. Traktor auf dem Feld gefahren. Auch bin ich „schwarz“ auf der Straße gefahren. Da war es noch nicht so Nach der Landwirtschaftsschule bin ich zum Bundes- schlimm mit der Polizei, die geschaut hat, wer da jetzt heer gekommen, nach Salzburg. Grundausbildung auf der Straße fährt. Es war ja nur ein einfaches Bau- sechs Wochen, da kamen wir die ganze Zeit nicht nach erndorf. Es waren zehn Dienstboten bei uns am Hof, Hause. Wir hatten nur die Grundausbildung mit der was ziemlich viel war. Es wurden die Kühe noch mit der Waffe. Nach den sechs Wochen beim Bundesheer bin Hand gemolken. Meine Eltern hatten auch sehr viel Ar- ich dann zu den Panzern gekommen, da habe ich dann beit, deswegen haben sie sich nicht darum gekümmert, die Panzerfahrschule gemacht. Ich hatte es eigentlich ob wir die Hausübung gemacht haben oder nicht. Dazu sehr schön beim Bundesheer, weil ich immer im Pan- hatten sie einfach keine Zeit. Sie haben immer nur von zer gewesen bin. Ich musste kaum was anderes machen. dem Lehrer erfahren, wenn wieder etwas in der Schule Einmal weiß ich, da haben wir zugeschaut, wie sie die passiert ist. Wenn ich mal mit dem Lehrer gelernt habe Waffenmunitionen hergerichtet haben. Da habe ich und er gemerkt hat, dass ich nicht aufgepasst habe, dann mir einmal eine Munition genommen und wollte das habe ich eine heftige Ohrfeige bekommen oder er zog Projektil aus der Hülse ziehen, da wurde ich gemel- an meinen Haaren. Man musste sich dann auch mal ins det, das war nämlich verboten. Und da kam ich dann Eck stellen oder neben dem Tisch hinknien. Das waren ins „Häfn“, ich wurde eingesperrt, drei Tage lang, und die Strafen, da wurde nicht geschaut, ob du jetzt nach dann war ich wieder dabei bei der Ausbildung. Da war der Ohrfeige einen roten Kopf hattest oder nicht, das ich dann schon froh, als die neun Monate vorbei waren war ihnen egal. Genauso ging es auch zu Hause zu, du und ich vom Bundesheer nichts mehr hörte. bekamst sofort eine Ohrfeige, wenn du was angestellt Nach dem Bundesheer bin ich auf Wunsch meines Va- hast. Da war der Vater genauso wie die Dienstboten. ters ins Lagerhaus gekommen, als Praktikant. Das war Wenn irgendwer was angestellt hat, war das bei uns zu sehr schwierig, da ich keine kaufmännische Ausbildung Hause so. Jeden Samstag durfte man sich in der Bade- hatte. Ich musste sehr viel lernen, damit ich auch auf wanne waschen. Sonst war das nicht so, dass man sich der kaufmännischen Seite die Leistung bringe, die von jeden Tag geduscht hat, das war nur am Samstag mög- mir verlangt wurde. Da war ich drei Jahre Praktikant lich. Im Winter wurde nur mit Holz geheizt, weil es und wurde in allen Sparten eingesetzt. In der Werkstät- noch keine Heizung oder sonstiges gab. te, in der Buchhaltung, im Verkauf, in Ersatzteillager Ich musste draußen am Feld immer wieder „firifoan“ usw. In den drei Jahren war ich Springer für die Fili- und die Dienstboten haben das Heu mit der Gabel auf- alleiter. Wenn die auf Urlaub oder krank waren, habe

157 Wo war dein Vater Bürgermeister?

In Mörschwang. In Mörschwang war er zwölf Jahre Bürgermeister.

Wir haben beim Hausbau alles selbst gemacht, da wurde der ganze Beton mit der Hand in der Mischmaschine gemischt, damals gab es keinen Fertig- beton, die ganzen Ziegel, alles wurde mit der Hand abgeladen. Das war sehr viel Arbeit. Auch die Stallarbeit war sehr viel Handarbeit, nicht so wie heu- te. Wir haben alles, das ganze Futter, jeden Tag in der Früh machen müs- Geinberg 1920 (Foto: AK MS Eichsteininger) sen, Gras besorgen, Kühe füttern. Die Landwirtschaft war sehr arbeitsintensiv, ich die Filialleiter vertreten. Das ging dann sehr schnell, kaum ist man von der Arbeit im Lagerhaus heimge- zuvor war ich aber noch in der Zentrale in Geinberg, kommen, ging daheim die Arbeit wieder weiter. In der dann in der Filiale in Mauerkirchen, auch in Gurten, Früh hieß es um fünf Uhr aufstehen, Stallarbeit, und Aspach und zuletzt in Mining. Dazwischen auch wieder um halb acht in die Arbeit ins Lagerhaus, das war Tag in Geinberg. Dann lernte ich in dieser Zeit ein Mäd- für Tag so. chen kennen, das hat Anna Luger geheißen, und wir waren befreundet. Dann ging der Filialleiter in Mining Ich hab vergessen zu sagen, dass ich in jungen Jahren in in eine Lungenheilanstalt, er war schon sehr krank, und Obernberg Fußball gespielt habe. Acht Jahre lang in der dort wurde ich provisorischer Filialleiter. Als er wieder Kampfmannschaft. Ich war da sehr stark integriert in geheilt zurückkam, sah er, dass sich sehr viel geändert die Fußballmannschaft. Dann bin ich im Winter sehr hat, und dadurch war er nicht mehr in der Lage die Fi- gerne Schi gefahren, wir sind alle Jahre im Winter eine liale zu führen. Dadurch wurde ich im Jahre 1971 Filial- Woche Schi gefahren, etwa in St. Anton, im Pitztal, in leiter in Mining. Die Freundschaft zu meiner Freundin Schladming oder in Südtirol. Wir sind auch Meister- Anna hat sich dann verstärkt und vertieft, und so haben schaften gefahren. Ich war mal von 100 Startern Siebter wir auch dann zur gleichen Zeit, wo wir sehr verliebt in Südtirol. waren, im Jahre 1971 am 31. Mai geheiratet. So bin ich von meinem Elternhaus weggekommen und bin zu ihr 1973 ist mein Vater plötzlich verstorben. Es kam sehr nach Hause nach Mühlheim gezogen und hab dort mit überraschend. Das war nicht gut für mich, weil mich ihr die Landwirtschaft von ihren Eltern übernommen. mein Vater sehr stark beim Hausbau unterstützt hat. Ich hatte immer sehr viel Zuspruch von ihm. Meine Nach einem Jahr kam der erste Sohn zur Welt, zwei Jah- Mutter war aber dann sehr aktiv und hat mir immer re drauf der zweite Sohn Arthur, dann fünf Jahre nach- wieder geholfen, wenn ich was gebraucht habe, auch bei her die Tochter Barbara und dann nochmal zehn Jahre den Kindern fürs Aufpassen, damit wir dann draußen später der Thomas. Wir haben die Landwirtschaft dann arbeiten konnten. Mit ihren Kochkünsten hat sie uns dort neu aufgebaut. Es wurde sehr viel neu gebaut, wir immer sehr verwöhnt. Sie war zwar eine alte Bäuerin, haben drei Jahre nach der Hochzeit, im Jahre 1973, mit aber beim Kochen war sie noch sehr aktiv. dem Hausbau angefangen. Als der Arthur auf die Welt gekommen ist, sind wir ins Haus gezogen. Es war nicht Ich habe mir im Beruf vieles selbst angeeignet, ich habe so leicht, da die Schwiegermutter, die Mutter meiner geschaut, wie es die anderen machen. Da habe ich mich Frau, sehr dominant war. umstellen müssen, ich musste mich um alles kümmern, um das Personal. Ich musste auch die Lehrlingsausbil- Wir hatten eine Rinderzucht, wobei es immer mehr dung machen, damit ich Lehrlinge ausbilden darf. Ich wurden und ein Stall gebaut wurde. Mein Schwiegerva- habe die Filialleiterprüfung gemacht, in St.Pölten. In ter hatte viel mitgeholfen, er war sehr stark, sonst hätte weiterer Folge wurde ein neues Gebäude in Mining ge- n wir das nicht geschafft. baut, dieses wurde eröffnet und dann waren verschie- dene Vorgaben zu erfüllen, wie viel Gewinn gemacht werden musste und sich die Filiale rechnet. Das war in Mining etwas schwierig, auf einer Seitewar der Inn und

158 auf der anderen Seite, waren die anderen Filialen. Wei- Welche Lehrer mochtest du gar nicht in der Schul- ters habe ich dann zusätzlich mit dem Sägeholzhandel zeit? angefangen. Ich war da der Pionier in Bezug auf Holz. Das hat es bei uns nicht gegeben, Lehrer mögen, oder Am Anfang war das schwierig, weil ich das ja nicht ge- nicht mögen, das gab es bei uns nicht. In der Volks- konnt habe, die ganzen Geschäfte, die der Holzeinkauf schule hatte ich den Heinz Riegler als Lehrer und es war verlangt. In Gmunden machte ich die Ausbildung für nur ein Lehrer, da gab es keinen anderen, der hat mit den Holzeinkauf. Dann wurde ich im Laufe der Jahre mir richtig Gas gegeben. Heute bin ich ihm dankbar, sehr erfolgreich in dem Gebiet. Dadurch habe ich die dass er mit mir so streng war, denn sonst wäre ich in Filiale Mining gerettet, weil der Umsatz und der Ge- späterer Folge ein Analphabet geworden. Ich war mit winn so hoch waren. So war die Filiale sehr erfolgreich. sechs Jahren nicht soweit, dass ich gesagt hätte, dass ich Es bereitete mir oft schlaflose Nächte, bis ich den gan- lernen wollte. Ich war stolz drauf, dass ich nicht lernen zen Holztransport unter Dach und Fach bekommen musste. Ich habe mich abgedreht, wo es ein wenig ging. habe. Dann mit 62 Jahren bin ich in Pension gegangen, „Heute habe ich es wieder schön gehabt in der Schule, nachdem ich die Filiale an einen Nachfolger übergeben ich brauchte nix lernen.“ Das waren meine Gedanken. hatte. Auch in der Pension habe ich zu Hause mit der Nachdem ich zwei Jahre in Mining Filialleiter war, bin Tierzucht viel Arbeit. Das ist aber für mich eine Arbeit, ich zu dem Gesangsverein Mining beigetreten, da bin die ich gerne gemacht habe, und immer noch mache. ich heute noch. Nachdem ich auch beim Schülerchor Ich gehe immer noch morgens und abends in den Stall in der Landwirtschaftsschule in Lambach war und ich und melke die Kühe. Und die Tierzucht mache ich im- auch als kleiner Bub in Mörschwang beim Krippensiel mer noch gerne. mitgespielt habe und auch gesanglich dabei war, habe Wie genau hast du die Oma kennengelernt? ich mich ganz leicht getan beim Singen. Ich war ein Lausbub mit einer hellen Stimme, das hat den Leuten Drei Jahre, bevor wir geheiratet haben, ist sie ins La- ganz gut gefallen, das konnte ich einfach, das Singen. gerhaus gekommen, als Chefsekretärin. Nach Dienst- Beim Singen hatte ich immer einen Einser! schluss, habe ich gesehen, dass beim Chef eine neue Sekretärin da ist, und da habe ich mich bei den Be- Und 1973 kam ich zur Liedertafel in Mining. Das triebsfeiern zu den Mädchen gesetzt und da haben wir machte ich, weil mich jemand ansprach, dass ich da gesprochen. Das Mädchen, das am interessantesten war, dazu gehen sollte, es war dann jeden Dienstag Probe. hat man am Schluss heimgefahren. Aber deine Oma Dazumal war ich der Jüngste, heute bin ich der Älteste, war da sehr zurückhaltend, da war es nicht so, dass sie der dabei ist. Ich bin schon 45 Jahre bei der Liederta- mir gleich um den Hals gefallen ist, das hat gedauert. fel dabei, und solange ich noch meine Stimme erhalten Sie war sehr vorsichtig, aber je mehr sie mich kennen kann, werde ich noch dabei bleiben. So bin ich jetzt alt gelernt hat, desto näher sind wir uns gekommen. Beim geworden. Jetzt bin ich schon fast 48 Jahre verheiratet, Aussteigen vom Auto gab es mal ein Busserl. Und im- und wenn wir noch so lange leben dürfen, dann wer- mer wieder habe ich sie eingeladen und dann haben wir den wir wir den 50. Hochzeitstag feiern und werden ein uns verlobt. Meine Eltern waren begeistert, als ich ih- großes Fest machen. Einfach nochmal Hochzeit feiern. nen meine Freundin vorgestellt haben. Sie waren positiv Wenn wir noch so lange leben. überrascht. Die haben sie sehr gemocht. Mein Vater war ganz begeistert, meine Mutter auch. Dadurch wurde das für mich immer noch schöner. Weil sie gesehen ha- ben, dass sie ein liebes Mädchen ist. Sie ist nicht fortge- Lea Mair und Vanessa Strasser haben viel über Taubenzucht und gangen, und hat auf mich gewartet, bis ich sie abgeholt das Lagerhaus in Mining erfahren. habe. Wenn ich mal nicht gekommen bin, war sie halt Besonders hat ihnen gefallen, wie romantisch sich manche traurig, aber sie ist mit niemand anderem fortgegangen. Menschen früher kennengelernt Sie hat gewartet, bis ich wieder gekommen bin. Sie hat haben. mir vertraut und je näher wir uns kennengelernt haben, desto mehr haben wir uns verliebt. Ich habe die Oma sehr schätzen gelernt. Ich kannte auch andere Mädchen, aber wenn ich keine Zeit hatte, waren sie mit anderen fort, das machte die Oma nicht. Und so hat sich das immer vertieft. Die Oma war keine Biene, die von einer Blüte zur anderen flog. Sie war von zu Hause sehr stark gelenkt und streng erzogen. Es dauerte drei Jahre, bis wir geheiratet haben.

159 Theresia Endl über Lebensmittelkarten, „Flak-Mädchen“ und die Amerikaner it sechs Jahren bin ich in die Schule gegangen so Die Zeitzeugin Theresia Endl war bei wie ihr – bei mir war es die Volksschule Mör- M Kriegsende 16 Jahre alt. Sie ist in Mör- schwang. Wir sind am Anfang nur vier Mädchen und schwang aufgewachsen und kann sich ein Junge gewesen. Danach sind wir nur noch vier gut an die Zeit um 1945 erinnern. Mädchen gewesen, mit denen ich in die Volksschu- le gegangen bin. Wir haben immer nur einen Lehrer gehabt. 1938 ist dann der Krieg gekommen, dann hat hatten Glück, dass wir nie getroffen wurden. Bei uns der Lehrer in den Krieg gemusst und wir haben eine sind auch oft Flieger vorbeigeflogen, sie sahen aus wie Lehrerin bekommen. Am Land hat man den Krieg zum silberne Vögel. Als Hitler starb, glaube ich, hat man die Glück nicht so mitbekommen. Wir haben immer „Heil Leiche nie gefunden, aber das weiß ich nicht so genau. Hitler“ sagen müssen anstatt „Guten Morgen“. Als ich Nach dem Krieg waren auch die Amerikaner bei uns. aus der Schule kam, habe ich sofort zum Arbeiten an- Vorher waren das immer deutsche Militärs. Aber als die fangen müssen. Mit 14 Jahren habe ich schon immer in Amerikaner kamen, sind die alle verschwunden. Es gab den Stall gehen und ausräumen müssen, ich habe auch dann auch solche „Flak-Mädchen“, die haben sich mit auf dem Feld gearbeitet. 1945 war der Krieg zu Ende, den Amerikanern abgegeben.Die Amerikaner sind im- da war ich 17 Jahre alt. Während des Krieges hat es kei- mer gekommen und haben die abgeholt und so. Sie ha- ne einheimischen Dienstboten, sondern nur Ausländer ben auch, das, was sie brauchten, bei den Bauern geholt, gegeben, wie Polen, Russen und Franzosen. Und eben aber bezahlt haben sie nichts. In Niederösterreich waren uns die Frauen. Wir waren vier Mädchen zu Hause, die Russen, da waren die Leute schon viel ärmer dran, wir haben alles machen müssen im Haus und im Stall, weil die Amerikaner, die haben nichts Böses getan. Ich aber zum Essen hatten wir immer genug. Bei uns war es persönlich habe auch nie einen Schwarzen gesehen. An nicht so, dass wir nichts hatten. Wir waren nicht arm. anderen Ausländern hat es bis zu Kriegsende die Fremd- Es hat nämlich für die meisten Menschen, vor allem in arbeiter gegeben. Die Russen waren dann nach dem den Städten, die Lebensmittelkarte gegeben. Da hast du Krieg bald wieder weg, auch die Polen und die Fran- nur das kaufen können, was da aufgedruckt war. Aber zosen. Die Russen und die Polen sind nur in Zivil da bei den Bauern war das nicht so, wir hatten ja Kühe gewesen, aber die Franzosen sind immer in der Uniform und genug Weizen, aber Schweine haben wir nicht so rumgegangen. Die haben auch in so einem Heim ge- viele abstechen dürfen, weil man das nicht durfte. Aber wohnt, dort haben sie in der Nacht hingehen müssen, wir haben manchmal trotzdem ein Schwein „schwarz“ dass sie nicht weglaufen oder sonst etwas machen. Wir abgestochen. Man musste viele Schweine, Getreide und haben auch einen Russen gehabt, der wegrannte, der Milch abliefern, deshalb war es manchmal schwer zu wurde dann aber erwischt. Deshalb musste er ins KZ. tricksen, um für die eigenen Leute auch noch Fleisch zu Ins KZ ist von unserer Umgebung, glaube ich, keiner haben. Man durfte es niemandem sagen, dann ist keiner gesteckt worden. Als der Krieg begann, war ich elf Jahre darauf gekommen. alt. Früher hat man auch nie Flugzeuge gesehen, nicht so wie heute, wo extrem viele überall hin- und herfliegen. Früher war es ja nicht so, dass es Diskos gab, sondern es Als Österreich zu Deutschland kam, flogen extrem viele wurde bei den Bauern getanzt. Da sind schon die einen Flugzeuge. In der Stadt ist es den Leuten viel schlechter oder anderen zusammengekommen. Wir sind früher oft gegangen, als bei uns auf dem Land. Denn in der Stadt zu Bällen gegangen, zum Beispiel zum Feuerwehrball, waren viele Nazis und wenn du etwas falsches gesagt zum Musikerball und zu einem Maskenball. Am Ende hast, wurdest du zusammengeschlagen oder bist ins KZ des Krieges wurde auch der Flughafen in Münsteuer gekommen. Die Leute aus der Stadt sind immer zu den beschossen. Als die Amerikaner den angegriffen haben, Bauernhöfen gekommen und haben dort etwas gekauft, das war schon schrecklich. Sie haben alle Flugzeuge was sie in der Stadt vielleicht nicht mehr bekommen abgeschossen, es hat überall geraucht. Danach war der konnten, weil ihre Lebensmittelkarte zu wenige Punkte Krieg aber bald zu Ende. Aber wenn sie München bom- hatte. Meistens haben sie nur Butter gekauft. Aber sie bardiert haben, haben wir das immer mitbekommen. haben natürlich mehr bezahlen müssen. Deshalb haben Am Anfang sind immer überall viele Flieger rumgeflo- wir oft während des Krieges Butter gerührt. Wir haben gen, sie sahen aus wie silberne Vögel und danach hat sehr selten bei anderen Bauernhöfen etwas gekauft, die die ganze Erde gebebt, dann hat man gewusst, dass sie Leute aus der Stadt aber sehr oft. Früher konntest du München angreifen. Bei uns hat es zum Glück nie was nicht ins Geschäft gehen und kaufen was du wolltest, gegeben. Als sie den Flughafen in Münsteuer bombar- weil das durch die Lebensmittelkarte beschränkt war. diert haben, sind sie immer so niedrig geflogen, dass sie Früher mussten wir unsere Kleidung selber flicken, uns sahen. Wir waren auch noch so dumm und stan- denn es gab nicht so viel, was du anziehen konntest. den immer unten und haben nach oben geschaut. Wir Heutzutage wird aber sogar schon bewusst zerrissene

160 Kleidung hergestellt und getragen. Es ist gar kein Vergleich mehr zu frü- her. Schöner haben sie es vielleicht, aber ich glaube, dass die Menschen nicht zufriedener sind als früher, denn sie wollen immer was Neues haben. Ich glaube, dass es fast niemandem mehr schlecht geht. Wenn man eine Arbeitsstelle hat, dann kann es dir eigentlich gar nicht schlecht gehen. Meine Mutter war richtig geschockt, als damals wieder ein neuer Weltkrieg ausbrach, da sie auch den ersten mit- erleben musste. Früher haben wir immer nur Fleisch und Knödel gehabt, außer am Frei- tag, denn das war ein Fasttag. Da hat es früher nur Mehlspeisen gegeben. Die vielen Kaufgeschäfte in der Gegend durften in der Nachkriegszeit nur auf „Marke“ verkaufen. Hier Man hat damals nicht zum Metz- das Geschäft Schmid in Reichersberg. (Foto: Fam. Schlegel) ger gehen können, um sich ein Stück Wurst zu holen, vor allem nicht wäh- matik und Deutsch. Was ich nie mochte, war das Auf- rend des Krieges. Man hat auch während des Krieges sätze schreiben. Ich mochte es gar nicht, aber musste es eine Kleiderkarte bekommen. Die hat man von der trotzdem machen. Was mir sehr gefiel, waren Diktate. Gemeinde bekommen und ein Kleidungsstück koste- Wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen, aber te eine bestimmte Anzahl an Punkten. Ich habe oft heute geht das nicht mehr, weil ich nicht mehr richtig mit Freunden Kartenspiele gespielt, wie zum Beispiel gehen kann, sonst würde ich es noch immer tun. Die Schnapsen, Unter anlegen oder Schwarzer Peter. Zu Jugendlichen heute gehen kaum mehr in die Kirche, Weihnachten habe ich einmal eine Puppe bekommen, höchstens zu Weihnachten oder Ostern. Es gibt kaum doch diese hat mir mein Bruder dann kaputt gemacht, mehr Ministranten. Früher war das nicht so, dass man sodass ich wieder eine neue brauchte. Im Winter sind einmal zuhause bleiben konnte, du musstest da mitge- wir des Öfteren Schlitten gefahren, denn früher gab es hen. Wir gingen oft vor der Schule in die Kirche. Früher ja noch viel Schnee. Wir sind meistens über einen stei- durften keine Mädchen ministrieren, aber damals gab len Berg in Mörschwang hinuntergefahren. Unter der es auch noch genug Jungs dafür. Die Schule früher war Kirche, wo heute viele Häuser sind, war ein sehr stei- nicht am gleichen Ort wie heute. Sie war dort, wo heute ler Berg. Dort sind wir gefahren. Schneemänner haben der Friedhof ist. Unser Lehrer wohnte in der Schule. wir auch gebaut. Ich habe damals nie Milch getrunken, Es gab immer nur einen Lehrer, sodass die Kinder der sondern immer nur Kaffee, aber den musste ich immer ersten bis dritten Klasse Nachmittag Unterricht hatten ohne Zucker trinken, weil der Zucker so viele Punkte und die Klassen vier bis sieben am Vormittag. Da wa- kostete. Die anderen haben immer Milch getrunken, ren jeweils auch alle Jahrgänge in einer Klasse. Ich hatte aber ich mochte Milch gar nicht. das Glück, dass ich nicht weit zur Schule gehen musste. Nur ca. fünf Minuten, doch andere Kinder mussten fast Wie war es in der Schule? schon eine Stunde gehen bis zur Schule. Meine Lehrer waren nicht wirklich streng. Bei uns in der Klasse wurde selten wer geschlagen, aber wenn wir nicht aufgepasst haben, dann mussten wir eine schwe- re Eisenkugel nehmen und nach draußen gehen und sie dann die ganze Zeit festhalten. Ich musste sie zum Glück nie nehmen. Wenn wer geredet hat, dann schlug der Lehrer einem manchmal auch auf den Hinterkopf, aber das tat nicht so weh. So schlimm waren wir nicht, dass er uns richtig geschlagen hätte. Ich bin sieben Jahre in die Volksschule gegangen. Heute gibt es nur noch vier Jahre Volksschule. Als meine älteste Tochter in die Schule ging, gab es noch die siebenjährige Volksschu- Peter Endl (links) und Oliver le, doch dann wurden die Hauptschulen eröffnet. Wir Bauchinger haben im Gespräch viel waren früher weniger Kinder in der Schule, aber das erfahren. Sie sind sehr froh, dass es in den Schulen der Gegenwart keine lag daran, dass Mörschwang nicht groß war. Früher Ohrfeigen mehr gibt! in der Schule hatten wir nicht sehr viele Fächer, nur Fächer wie Zeichnen, Religion, Handarbeiten, Mathe- 161 Es vergeht fast kein Tag, an dem du nicht dar- an denkst. So ein Krieg prägt sich schon ein. n Lemberg wo meine Mutter aufwuchs, waren sie 13 Hannah Pöttinger sprach mit Franzis- Kinder. Da saßen sie alle in der Stube, wie aufgefä- I ka Schärdinger. Sie war während des delt. Sie lebten in großer Not. Heute haben die Leu- Krieges bereits eine erwachsene Frau. te alles, damals hatten wir nichts. Meine Großmutter Mit 96 Jahren ist sie 2018 verstorben. hat öfters beim Nachbarn, beim Seppen-Bauer, bei der Ernte geholfen, damit sie ein wenig Getreide und Mehl bekommen hat. Meine zwei Brüder waren die äl- Meine Mutter, Kathi, machte zusätzlich zur Landwirt- testen von uns fünf Geschwistern. Der Karl ist 1910 schaft das “Milch fahren“, weil der Vater nicht mehr und der Rudi 1911 geboren. Meine Mutter hat sie ledig fahren konnte. Sie ist mit einer Pferdekutsche gefah- geboren. Sie war damals Magd beim Aberham-Bauer in ren und holte die Milch ab. Eines Tages sind „Prasberg“ Manaberg, Gemeinde St.Marienkirchen/Hausruck. Sie Flugzeuge gekommen, und es hat die ganze Zeit auf den hat die Buben immer bei sich gehabt, und später hat sie Dächern gekracht. Da ist meine Mutter gerade mit der unseren Vater, den Schobern-Bauer, geheiratet und ist Pferdekutsche in den Hof gefahren. Wir hatten ständig zum Schobern-Bauer nach Aching 1 (Badegruber, Ho- sehr große Angst um meine Mutter, wenn sie mit der henzell) gekommen. Dort bin ich 1922 geboren. Pferdekutsche unterwegs war. Meine Brüder sind schon 1938 in den Krieg gegangen, Wir hatten während des Krieges auch ausländische als auch der Hitler einmarschiert ist. Dann waren nur Fremdarbeiter in unserem Haus. Wir mussten eng zu- noch meine Eltern und wir drei Mädchen auf dem Hof. sammenrücken, damit alle Platz hatten. Sogar die Melk- Mein Vater musste nicht in den Krieg einrücken, weil er kammer wurde für die Ausländer eingerichtet. Unter nicht so gesund war. den Ausländern waren auch brave Leute. An einen sehr fleißigen Polen kann ich mich noch gut erinnern. Es Es waren sehr schlechte Zeiten damals, und Hitler nutz- waren auch Banater aus Rumänien da, die musste man te die Not der Menschen aus, die in ihm Hoffnung sa- aufnehmen, weil sie einem zugewiesen wurden, hen. Wir hatten auch oft die Läuse. Die Mädchen vom Mül- Als die Soldaten zum Dienst antreten mussten, fuhren ler, unserem Nachbarn, hatten immer Strohhütte auf. sie mit Leiterwägen weg, wo immer fünf oder sechs Die Kinder vom „Jacki“, einer Flüchtlingsfamilie bei Männer darin Platz fanden. Als Arbeitsersatz kamen uns, spielten mit ihnen und so bekamen wir alle die Zwangsarbeiter aus Polen. Sie kamen an einem Sonn- Läuse. tag, vormittags, und sind gleich in die Speisekammer gegangen und nahmen alles mit, was sie fanden. Fast Wir hatten nicht viel zu essen, da man während des hätten sie mit einer Peitsche zugeschlagen. Einige Polen Krieges alles abliefern musste. Meine Mutter hätte eini- sind da geblieben, um auf dem Hof zu arbeiten. Nach- ges gebraucht für uns drei Mädchen. Aber es war ja so, dem die anderen Polen wieder weg waren, fand meine dass zu uns öfter Leute gekommen sind und gebettelt Mutter die Eier nicht mehr, weil sie die mitgenommen haben. Du hast einfach nichts bekommen, du konntest hatten. Jetzt hatten wir auch keine Eier mehr und sonst einfach nichts kaufen! auch nicht viel. Als ich einmal ein Suppenhäferl bekommen habe, wie mich das gefreut hat, und heute haben die Leute ein- fach alles! Damals hast du eine Kleiderkarte gehabt, und da haben sie dir die gewissen Punk- te abgeschnitten, wenn du Meterware ge- kauft hast. Unsere Mutter hat uns dann ein Leiberl genäht. Oft wurde etwas wieder aufgetrennt und zu etwas Neuem zusam- mengenäht. Eines Abends um ca. 21.00 Uhr, als es schon finster war, damit ihn niemand kom- men sah, ist der Oberlehrer Rachbauer mit einem Brief gekommen, in dem mitgeteilt worden ist, dass mein Bruder Karl gefal- Hohenzell in einer alten Darstellung (Foto: AK, MS Eichsteininger) len ist. Meine Mutter war total verzweifelt

162 Als der Krieg aus war, mussten die Soldaten zu Fuß nach Hause gehen, sogar von Jugoslawien herauf und von Russland. In Stalingrad sind besonders viele Män- ner umgekommen. Sie hatten solchen Hunger, dass sie sogar Pferde gegessen haben, und zuletzt sogar Men- schen! Manche Männer haben Jahre später noch einmal sehen wollen, wo ihr Fußmarsch vom Krieg in die Heimat ge- nau gewesen ist, und haben sich von Verwandten dort hinfahren lassen. Ich weiß noch ganz genau wie der „Stial“, Friedrich Reste des Atlantikwalls, Normandie (Foto: Wikipedia) Freund, mein Nachbar, der Urgroßvater von Hannah Pöttinger, heimgekommen ist zum Fronturlaub. Das und konnte nächtelang nicht schlafen. Denn bald war sehe ich heute noch, wie er die Straße heraufgegangen es Gewissheit, dass beide Brüder gestorben waren. Zu- ist. Er hat gleich nach dem Krieg am 18.9.1945 Rosa erst wurde Rudi am 20. Dezember in Russland, in Le- Freund geheiratet und ist der “Stial“ geworden. Es war ningrad erschossen, und dann im März darauf ist Karl die erste Hochzeit in Hohenzell nach dem Krieg. in der Normandie gefallen. Er hatte am Meer Wache halten müssen, obwohl er das Meer so sehr gefürchtet Am 25.6.1946 ist ihre einzige Tochter Rosa (Hannahs hatte. Ein tobender Sturm hatte ihn ins Meer gerissen. Großmutter) geboren. Für die Mutter war es sehr schlimm und wir Mädchen haben auch schon viel mitgemacht. Der Fritz hatte seit dem Krieg Probleme mit dem Ma- gen. Am 16.12.1971 ist er an den Folgen des Darm- Einmal sind wir zu unserer Scheune gegangen, um krebses mit nur 55 Jahren gestorben. Stroh zu holen. Da war hinter dem Stroh Soldatenklei- dung versteckt. Die desertierten Soldaten haben sich Es wäre gut, wenn so etwas nicht mehr kommen würde! dort umgezogen und sind dann im Zivil weitergezogen. Manches vergießt man schon mit der Zeit. Aber es ver- Immer wieder haben wir neues Stroh gebraucht für den geht fast kein Tag, an dem du nicht Stall und immer neue Soldatenkleidung gefunden. daran denkst. So ein Krieg prägt sich schon ein. Mein Mann, der Sepp, Josef Schärdinger, war auch im Krieg. Während eines Fronturlaubes war er einmal bei Hannah Pöttinger haben die traurigen Lebenserinnerungen uns, beim Schobern-Bauer. Er hat auch uns drei Mäd- von Franziska Schärdinger sehr chen immer geschrieben. Danach ist er heimgekommen nachdenklich gemacht. und wir haben geheiratet. Er ist 1975 in Wötzling, Ho- henzell, gestorben. Danke! †

163 NS-Zeit und der Wiederbeginn in St.Georgen

n St. Laurenz bei Altheim bin ich geboren. Sechs Jah- Ire war ich bei den Großeltern in St. Laurenz, weil Erich Hackinger verbrachte einen Teil meine Mutter und der Vater 1933 nach St. Georgen seiner Kindheit in St. Georgen. Er erin- umgezogen sind. Ich bin bei den Großeltern geblieben, nert sich gut an die Kriegszeit und die bis ich zum Schulgehen angefangen habe. 1936 bin ich unmittelbare Nachkriegszeit im Ort. dann auch nach St. Georgen gekommen und bin in Der pensionierte Landmaschinenmecha- die Schule gegangen. 1938 ist dann Hitler gekommen niker wurde 1930 geboren. und dann hat es Österreich nicht mehr gegeben. Der Vater hat im 39-iger Jahren nach Deutschland müssen, eine um sechswöchige Ausbildung fürs Militär zu ab- solvieren. Dann ist er noch im diesem Jahr an die Front gekommen und zuhause war dann unsere Werkstatt zu, weil niemand hier war. 1941 ist der Vater wieder nach Hause gekommen und er konnte wieder arbeiten. Ich bin 1944 aus der Schu- le gekommen und dann hatten wir 1945, als der Krieg vorbei war, noch ein Jahr Berufsschule, aber nicht in Ried und nicht in Linz, sondern nur in Obernberg, weil nichts organisiert gewesen ist. Danach bin ich in die Lehre gekommen. Dann hat sich das mit den Land- maschinen langsam entwickelt. Während des Krieges Flugfeld in Münsteuer (Foto: Fam. Schlegel) haben wir zum Beispiel noch Schlitten für den Perso- nentransport gemacht, damit man sie mit dem Pferd die besten Traktoren. Die Traktoren sind immer größer fahren konnte. Aber nochmal zurück zum Krieg. Als geworden und hatten dann schon 40 oder 50 PS. Schön 1945 die Amerikaner gekommen sind, haben sie in An- langsam sind auch schon die Mähdrescher gebaut wor- tiesenhofen/Reichersberg und in Pocking den Flugha- den. In St. Georgen waren 31 Mähdrescher im Einsatz! fen zerstört. 14 Tage darauf waren die Amis schon beim Zuerst kleine, dann aber schon größere. Immer hat sich Inn und haben Obernberg eingenebelt, sodass niemand alles weiterentwickelt. Und plötzlich kam der Mais- mehr etwas gesehen hat. Danach sind sie rüber nach bau. Die Maschinen dafür haben wir aus Frankreich Österreich, das war Anfang Mai 1945. und Schweden geholt. Bis in dem Bereich endlich gute Die Entwicklung ist dann einfach weitergegangen. Maschinen gebaut worden sind, das hat lange gedau- Zuerst sind Leiterwagen gebaut worden. Dann gab es ert, weil jede Firma schnell baute, aber nicht wirklich schon Gummiräder und somit auch Gummiwägen, die hochwertige Maschinen entwickelte. Ich bin auch zu man aus gebrauchten LKW gebaut hat. Zuerst kleine, den Mähdreschererzeugern hingefahren und habe Kur- dann immer größere. Die waren auch so gemacht, dass se gemacht. Die meisten Kurse waren in Linz. man ein Ross einspannen konnte. Als nächstes wurden Zu meiner Schulzeit sind alle zu Fuß in die Schule alle Maschinen, die man mit einem Ross fuhr, umge- gegangen. Es war egal, ob es drei oder vier Kilometer baut, so dass man sie mit einem Traktor fahren konnte. waren. Ich hatte nur einen kurzen Weg. Mit elf Jahren Immer mehr Pferde wurden durch Traktoren ersetzt. 18 habe ich schon mit dem Arbeiten begonnen, denn da- PS, 26 PS. Die sind von Steyr gekommen. Steyr machte mals war Krieg und alle waren weg. Außer mir gab es niemanden in der Werkstatt. Nach der Schule lernte ich den Beruf des Schmieds. Ich machte sehr viele Kurse, da es noch keine Berufsschule gegeben hat. Meine Frau und ich lernten uns bei einem Ball kennen, denn damals gab es viel mehr Bälle als heute. In Mörschwang, Weil- bach und St. Georgen, überall. Da sind die Leute ein wenig zusammen gekommen. Fernsehen gab es keines, deshalb trafen sich dort alle. Das Telefon kam auch erst sehr spät, die ersten waren in den Geschäften. Wenn man damals irgendwo angerufen hat, hat man sich über die Post vermitteln lassen müssen. Heute tippst du die Nummer ein und es funktioniert. Bis jeder ein Telefon gehabt hat, ist viel Zeit vergangen. In St. Georgen war Der junge Erich mit dem Fahrrad. (Foto: Hackinger) früher die Gemeinde woanders untergebracht und es

164 Gefangenen sind bei den verschiedenen Bau- ern über Nacht eingesperrt worden. Manche Bauern, die so alt waren, dass sie nicht mehr zum Militär konnten, mussten diese Gefange- nen bewachen. Am Tag haben die Gefangenen auch oft auf dem Feld gearbeitet. Ein Bauer aus St. Georgen wurde von der SS zum Tode verurteilt. Eigentlich, muss man sagen, bin ich aus dem Krieg gut herausgekommen. Es hätte auch an- ders sein können. Einmal um zehn Uhr am Abend hat es bei uns geklingelt und mein Va- ter hätte mit einigen anderen mit nach Ried fahren müssen. Zur Mobilisierung, bevor sie nach Polen fuhren. Aber bei ihm ist es an dem Tag nicht gegangen, da ist er erst am nächsten Seltene Aufnahme des Baus der Pontonbrücke in Obernberg. (Foto: Sommerbauer) Tag nach Ried gefahren. Von da aus sind er gab ein großes Wirtshaus. Die Mehrzweckhalle und die und seine Kameraden direkt zu der Grenze Schule sind neu gebaut worden. Bei den Bauern haben nach Polen gefahren und da ging es dann sofort los. Er viele mit den Kühen aufgehört, da sie genug Ackerland war dann auch in Frankreich dabei und ist erst danach haben. Heute haben nur noch vier oder fünf Bauern in heimgekommen. Bei uns waren vier Flüchtlinge. Ein- St. Georgen Kühe. Die meisten haben auf die Schwei- mal war noch ein Flüchtling mit drei Kindern hier, aber nemast umgestellt. Die haben Kühe hergegeben und diese sind schnell wieder weg gewesen. Einmal ist ein Schweine gekauft, weil es einfach weniger Arbeit ist. Schlesier hier gewesen. Die Schlesier waren die letzten, Vom Krieg hat man in St. Georgen schon auch etwas die gekommen sind. In einem Zimmer mit zehn Qua- mitbekommen. Wie ich schon gesagt habe, von Bayern dratmetern hat sich einmal eine ganze Familie aufgehal- sind sie herüber gekommen. Das war so: München ha- ten. Wenn damals keine Kriegsgefangenen mitgearbei- ben sie bombardiert, während des Krieges noch. Damals tet hätten, wäre es mit der Landwirtschaft unmöglich konntest du auf den Balkon hinaufgehen und hast in gewesen. Es waren ja nur noch die alten Bauern hier, Richtung München Feuer gesehen. Flugzeuge sind fast die anderen sind alle in den Krieg gezogen. Viele von jeden Tag hinüber geflogen und wenn die Flugzeuge – den Gefangenen konnten auch gut mit dem Werkzeug Jagdflugzeuge – auf der Bahn einen Zug gesehen haben, umgehen, da sie daheim bei ihnen auch Bauern waren. wurde dieser sofort angeschossen, damit er nicht mehr Mir fällt erst jetzt wieder alles ein. Als sie in Reichers- weiterfahren kann. Wir haben Glück gehabt, dass es bei berg den Flughafen bombardiert haben, hat mein Vater uns nicht so schlimm war. Es hat Lebensmittelkarten vom Messner den Schlüssel für die Kirche geholt und gegeben, die hat man bekommen und damit konn- wir sind auf den Kirchturm raufgegangen. Dort sahen te man sich Zucker, Mehl und solche Dinge kaufen. wir es genau, wie die Flieger geflogen sind. Damals war So gelbe Karten waren das. Da hat man dann schauen ich 15 Jahre alt. müssen, dass man Lebensmittel bekam, bevor sie weg waren. Aber am Land war es viel besser als in der Stadt, Als die Deutschen nach Österreich gekommen sind, dort war es unvorstellbar schlimm. Die Bauern mussten habe ich das auch gesehen. Die waren mit Flugzeugen am Feld bei solchen Ecken, in die man mit den Ma- und Motorrädern unterwegs. Auch meine Frau weiß es schinen nicht hinkam, mit der Hand Kartoffeln oder noch genau, wie die gekommen sind und sie war zu die- Kraut einsetzen. Auf der Lebensmittelkarte standen der sem Zeitpunkt erst drei Jahre alt. Das meiste Erlebte Name oben und die Familie, solche Dinge. Und natür- lich auch welche Lebensmitteln man bekommt. Diese Karte konnte aber von Gemeinde zu Gemeinde anders aussehen. Im Krieg haben die gefangenen Franzosen bei den Bauern als Helfer gearbeitet. Diese sagten immer: „Hitler geht’s wie !“ Als die Amis gekommen sind, hat man sie schon von weitem gehört. Wir sind schnell in den Keller runter. Dort sind wir die ganze Nacht geblieben. Am nächsten Tag in der Früh hat man es beim Nachbarn scheppern hören. Deshalb sind wir rauf. Aber es ist eh nichts passiert bei uns. Aber auf der Straße wurden zwei deutsche Motorradfahrer der Wehr- macht von den Amis erschossen. Die zwei wollten flüch- ten, haben es aber nicht geschafft. Zwei junge Burschen! Zu Kriegsende war in Röfl ein Gefangenenlager. Die Eisenbahnknotenpunkt Ried (Foto: Hackinger)

165 aus diesem Alter weiß sie nicht mehr, aber das weiß sie noch genau. Da hatten wir große Angst vor dem Krieg. 1938 wollten die deutschen Pioniere eine Brücke über den Inn bauen. Als sie zu dreiviertel fertig waren, brach die Brücke ein. Da war ich zufällig gerade in der Nähe. Ich konnte genau sehen, wie die Brücke einstürzte. Da- mals war der Inn noch viel stärker, denn es gab keinen Staudamm und überall waren Fähren, denn Brücken gab es in der Nähe keine. Nur in Braunau und Schär- ding. Dort in Braunau, über die Brücke, ist Hitler nach Österreich gekommen. Beim Wintersteiger wurden im Krieg auch Bomben gemacht. Nach dem Krieg dann jedoch Traktorteile.

Als der Krieg zu Ende war, waren auf einem kleinen Hü- St. Georgen nach dem 2. Weltkrieg (Foto: AK Mitterbauer) gel in der Nähe von Geinberg sehr viele Dinge von der deutschen Wehrmacht. Ich bin dann da raufgefahren um die US-Soldaten gekommen sind, haben sie die zu sehen, was da los ist. Oben angekommen sah ich drei Schweine nicht gesehen, sondern nur, dass sich was deutsche Pferde vom Militär. Ganz allein in der Wiese. bewegt und die Schweine wurden sofort erschossen. Wir haben die Rösser gefangen und sind dann damit auf Als ich vor kurzem eine Wand im Stall niedergeris- der Straße gefahren. Leider sind uns dann Ungarn ent- sen habe, sind vier deutsche Abzeichen aufgetaucht. gegengekommen, die uns die Pferde wieder genommen Den ersten schwarzen Menschen habe ich im Krieg haben, da sie ein H (für Ungarn) eingebrannt hatten. in Katzenberg gesehen. Der hat zu den Gefangenen Während des Kriegs sind im Wald neben uns sehr viele gesagt: „Ihr seid Gefangene und wir sind Sklaven“ In Pferde gewesen. Eines Tages ist dann ein Soldat gekom- Altheim bei der Arche war ein Gefangenenlager, dort men und hat gesagt, wir sollten 20 davon beschlagen. wurden hauptsächlich SS-ler eingesperrt. Einige von Man hat nicht nein sagen können, somit haben wir es na- denen haben immer wieder Hitlerlieder gesungen. Die türlich getan. Am Flughafen in Reichersberg stand und Folge davon war, dass sie einen Tag nichts zum Essen lag nach dem Krieg auch überall Zeugs von der deutschen kriegten. Einer von den SS-lern wurde einmal in einen Wehrmacht, das meiste davon wurde jedoch gestohlen. Wald gefahren und von den Amerikanern erschossen. Eines Tages während des Kriegs, sind einfach in der Ich glaube es wurden 17 beerdigt, die in dem Lager um- Nähe von Katzenberg zwei Bomben eingeschlagen. kamen. Wie viele in St. Georgen gefallen sind, weiß ich Eine auf der Straße und die andere in der Wiese von aber nicht genau. Als ich Ministrant war, hatten wir oft einem Feld. Jetzt hat sich natürlich die Frage gestellt, eine Messe, wenn jemand gefallen ist. Der Sarg wurde warum das passiert ist. Der Grund war, dass im Schloss immer aufgestellt und eine Decke wurde darübergelegt. Katzenberg Munition und Wehrmachtsgeräte gelagert Die Nachbarn des Gefallenen mussten immer Grabwa- waren. Das haben wir überhaupt nicht gewusst. Dafür che halten. waren eigentlich die Bomben bestimmt gewesen, aber sie flogen daneben. Das war großes Glück! Wäre scha- Frau Hackinger: Also mir ist in Erinnerung geblieben, de gewesen, wenn das Schloss nicht mehr hier wäre. dass wenn im Mörschwang ein Kamerad gefallen ist, Den Staudamm in Obernberg hätten sie auch gerne dann haben die Musiker immer „Ich hatte einen Kame- gesprengt, da ist aber die Bombe danebengegangen. raden“ gesungen. Und bevor die Amerikaner nach Obernberg gekommen sind, haben sich die Offiziere der Amerikaner beraten, Er: Aber das spielt man auch noch heute, wenn ein was mit dem Kirchturm geschehen soll, weil die Kir- Kriegsteilnehmer stirbt. Mein Großvater ist beim Er- che wurde immer mit Scharfschützen auf den Türmen. sten Weltkrieg eingezogen und ich weiß noch genau, gesichert. Jetzt haben sie als er mir erzählt hat, dass sie in Italien immer einen nicht gewusst, ob sie ihn Spruch gesagt haben. Der geht ungefähr so: „Liebes Va- in die Luft jagen sollten. terland, magst ruhig sein. Jetzt rücken schon die Kinder Glücklicherweise wurde ein.“ Das war im Ersten Weltkrieg. Die Soldaten sind der Turm dann doch noch ausgegangen und deswegen mussten viele Jugendliche, verschont. Der Bürger- fast noch Kinder, einrücken, von denen dann sehr viele meister von Obernberg umgekommen sind. Im Ersten Weltkrieg wurden die ist an diesem Tage mit der Soldaten förmlich in den Krieg reingejagt. Man musste weißen Fahne hin- und für Gott, den Kaiser und das Vaterland kämpfen. Man her gelaufen. hatte keinen Ausweg. Alleine in Italien starben 40% der Soldaten durch Lawinen. Keiner konnte sich wehren. In einem Stall in Obern- Zum Glück ist alles dies vorbei und hoffentlich bleibt berg waren mehre- es auch so. Erich Hackinger in späteren Jahren re Schweine und als (Foto: Hackinger) Du musst dir vorstellen, 1933 hat Hitler Deutschland

166 übernommen und bis 1938 hatte er bereits solch eine Kriegsmaschinerie aufgebaut, dass du dir denkst: „Das gibt’s ja nicht!“ Die Deutschen hatten nichts mehr, sie waren total am Ende. Die Industrie wurde stillgelegt und fast niemand hatte Arbeit. Die österreichisch-un- garische Monarchie hatte fünf Werkstätten für Loko- motiven. Später nur noch eine. Diese eine hat noch eine sehr berühmte Lokomotive gebaut, doch niemand hat diese gekauft, weil keiner sie finanzieren konnte. Das war nach dem Ersten Weltkrieg. Frau Hackinger:: Die Wirtschaft war einfach am Ende. Er: Wir dachten, es könnte nicht mehr schlimmer wer- den, es gab nur noch Arbeitslose. Die Arbeitslosen ha- ben die schlechte Wirtschaftssituation gefördert. Frau Hackinger: Die Deutschen und die Österreicher hätten den Amerikanern nicht wenig zahlen müssen, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch dann kam der Marshall Plan, sodass wir nichts zahlen mussten. Die Amerikaner dachten sich nämlich, dass wenn wir diesen großen Betrag bezahlen müssen, die Wirtschaft wieder so schlecht wird, dass es zum Krieg kommt. Logo des Marshallplanes (Foto: Wikipedia) Er: Außerdem haben uns die Amerikaner Maschinen geschickt. Die Amerikaner gaben uns auch immer klei- hänger hatte. Und noch bevor Österreich zu Deutsch- ne Boxen, die mit Süßigkeiten gefüllt waren. land gehörte, hat der Brandmaier sich immer mit den Deutschen gestritten und der Wintersteiger war immer Frau Hackinger: Ich weiß noch, mein Vater hat nach unvorstellbar wütend auf ihn. Als die Situation gere- dem Krieg von den Amerikanern Bohrmaschinen be- gelt war, ging der Wintersteiger wieder in die Kirche. kommen. Früher waren beim Hofbauer mindesten fünf deutsche Er: Ursprünglich war die Werkstatt in eurem Haus, das Flugzeuge abgestellt. Ich glaube das waren fünf Ju 52. Haus neben der Feuerwehr in St. Georgen, eine Wag- Später wurden die Flugzeuge von dem Amerikaner ab- nerei und weißt du, was wir immer gemacht haben, als geschossen. Hochwasser kam? Viele aus dem Ort haben beim Win- Ich bedanke mich herzlichst dafür, dass du dir für tersteiger geholfen, die Motoren aus den Maschinen das Interview Zeit genommen hast. auszubauen und an eine höhergelegene Stelle zu tragen. Sonst hätte das Hochwasser alle Maschinen zerstört. Als wir einmal den Dachboden ausgeräumt haben, habe ich eine Nazizeitung vom Wintersteiger gefun- den.

Er: Das wundert mich überhaupt nicht. Der Vater vom Wintersteiger war ja ein absoluter Obernazi. Da fällt mir noch eine Geschichte ein. Eines Tages hat mein Vater den Gefangenen Benzin gegeben, für ihre Feuerzeuge. Sofort kam der Herr Wintersteiger und hat meinen Va- ter geschimpft, weil er den Gefangenen Benzin gab. Der Mann war wirklich gefährlich. Doch zum Glück konn- te er sich nicht entfalten, da der Bürgermeister kein Hillinger Robert (links) und Dragoste Lukas Nazi war und die anderen Nazis ihn in Schach hielten. (rechts) waren beeindruckt, woran sich Erich Nicht weit weg von hier war eine Schottergrube, bei der Hackinger erinnern konnte. der Volkssturm immer seine Schießübungen mit der Flobert hatte. Und am Sonntag nach der Kirche sind wir immer schnell mit den Fahrrädern zur Schottergru- be hingefahren, dass wir auch mal schießen konnten. Wie gesagt, der Herr Wintersteiger konnte nichts an- richten, da alle zusammenhielten und er zu wenig An-

167 Die Amerikaner und das Kriegsende in Ort

In welche Schule bist du gegangen? Alois Baumgartner wurde 1938 in Ort ch bin in die Volksschule Ort im Innkreis gegan- geboren. In einem interessanten Ge- gen. spräch erinnert er sich sehr genau an die I US-Truppen, die direkt neben seinem Woran erinnerst du dich heute zurück, wenn du an Haus stationiert waren. die Volksschulzeit denkst? Fleisch entwendet. Ich bin gerne in die Schule gegangen, besonders das Zeichnen hat mich sehr interessiert und der Lehrer war Was war in Ort damals anders? der Herr Duschl. Ich habe von ihm eine Füllfeder be- kommen, um mit der rechten Hand das Schreiben zu Zur damaligen Zeit gab es in Ort noch vier Greißler, lernen. Ich war Linkshänder. zwei Bäcker und einen Metzger. Also Geschäfte, die es heute nicht mehr gibt. Sämtliche Straßen waren noch Wie bist du zur Schule gekommen? Sandstraßen durch Ort. Keine war asphaltiert. Es ist dann viel gebaut worden. Es war dazumal noch eine Ich bin immer zu Fuß zur Schule gegangen, auch im kleine Ortschaft. Winter. Der Weg war nicht so weit, ungefähr einen Ki- lometer. Ein großes Ereignis 1945 war das Ende des Krieges. Ich war sieben Jahre alt, ging im Aichberg im Wald spa- Welchen Beruf hast du nach der Schulzeit gehabt? zieren, da kamen plötzlich eine Menge Kampfflieger in Nach der Volksschule ging ich in die Hauptschule Ried großer Höhe daher. Sie stürzten knapp über den Wald im Innkreis. Da fuhr ich mit dem Zug und musste um herab und zerbombten den nahegelegenen Flughafen fünf Uhr aufstehen und in Ried vom Bahnhof in die Münsteuer. Ich lief sofort nach Hause. Der Flughafen Schule eingehen. Nach der Schule habe ich dann mit Münsteuer mit ca. 100 deutschen Fliegern wurde zer- der Lehre als Maler begonnen, was mich sehr interes- stört. Das ist ein einprägendes Ereignis gewesen. siert hat. Was war dann danach? Wie hat man die Kriegszeit erlebt? Gibt es da noch Einige Tage später, ist dann die Besatzung mit Panzern konkrete Erinnerungen? und Jeeps, kleinen und großen Fahrzeugen gekommen Ja, die Kriegszeit. In den Kriegsjahren war große Ver- und hat ein Lager gebaut. Das war in der Nähe von pflegungsknappheit. Essen gab es nur mit Markerl. mir zu Hause. Da war auch ein Waffenlager und dort Hast du vorzeitig alles verbraucht, musstest du gewaltig haben die Soldaten gewohnt. Die Soldaten sind dann hungern. Jeder Haushalt am Land fütterte eine Ziege zu den Häusern gegangen und haben um Eier und Brot oder Kuh, um Milch und Essen zu bekommen. Um gefragt. Die Leute haben das alles zusammen gerichtet. ein Schwein zu füttern, um Fleisch zu haben, musste Auch meine Mutter hat den Amerikanern viele Eier ge- man im Gemeindeamt ansuchen, ansonsten wurde das ben müssen. Die sind ein bisschen unfair gewesen. Wir waren drei Buben. Dort wo Mädchen wa- ren, da hat es Kaugummi und Schokolade ge- geben für die Eier. Wir haben nichts bekom- men, weil sie uns als Nazis gesehen haben. Die Mädchen haben die Geschenke bekommen.

Die Soldaten, die haben ja nur verlangen brauchen und dann haben die Leute alles zu- sammengerichtet. Die Amis sind von Haus zu Haus gegangen und haben dann die Eier ein- gesammelt. Sie haben ihre Fahrzeuge in der nahegelegenen Antiesen gewaschen, sind mit den Fahrzeugen in den Bach hinein gefahren und da war eine lustige Situation. Da fuhren Ort im Innkreis, NS-Zeit (Foto: Lindlbauer) sie mit einem großem GMC, das war der

168 Name, auch wieder zum Autowaschen und wir standen Schule gefahren. Alte, kleine Loks und das sind Erleb- auf einer Brücke, mein Bruder und ich, und wir wus- nisse, die man nicht vergisst. sten, dass dann eine Stelle kommt, die ganz tief ist. Das war für uns ein Ereignis, wie wir gesehen haben, wie Was haben die Leute nach dem Krieg gearbeitet? der Wagen unterging und die Soldaten herausschwam- Also technische Berufe gab es weniger, am mei- men. Es war ja kein Dach drauf, es war ein offener Jeep. sten war die Landwirtschaft gefragt. Maurer und Dann war einmal ein Abend mit Schnee im Winter und Tischler und Maler usw. oder auch Fleischhauer sie waren schon lange hier als Besatzungssoldaten. Da und Bäcker, diese Berufe gab es genauso wie heute. haben sie auch schon Leute gekannt von Ort und da Ich bin auch in die Berufsschule gegangen und habe sind wir dann abends Schlitten gefahren am Aichberg. dann im Krankenhaus gearbeitet. In den späteren Jah- Hier war eine Munitionslagerhütte und als wir dort ren machte ich dann die Gesellenprüfung. Ich war zehn Schlitten gefahren sind, sind da Waffen gestohlen wor- Jahre Malergeselle in Ried, bis ich dann einen festen Po- den. Dies hatte dann schlimme Folgen gehabt. Da war sten im Krankenhaus Ried bekam. Dort war ich dann ein Soldat, der eigentlich die Überwachung der Hütte bis zur Pension. über gehabt hätte. Als die Besatzungssoldaten abgezo- Wir hatten eine kleine Landwirtschaft, mit einer Kuh und gen sind, musste der schwarze Soldat noch drei Wochen einem Ferkel, und die wurde von meiner Mutter bewirt- hier bleiben, in einem Zelt, als Strafe. Dem ist es nicht schaftet. Mein Vater war im Krieg und der ist dann lei- schlecht gegangen, denn die Leute haben ihm Brot ge- der gefallen und somit haben wir zu Hause alles machen bracht und der wurde gut bedient. Als es im Winter müssen, weil meine Mutter das alleine nicht mehr ge- kalt war, haben sie ihm Tee gebracht. Strafweise musste schafft hätte. Und wir waren drei Buben, das war irrsinnig er hier drei Wochen verweilen, weil er die Hütte nicht viel Arbeit für eine Frau. Nach vielen Jahren wurden die bewacht hatte. Sein Zelt war hundert Meter von uns finanziellen Verhältnisse etwas besser. Dann haben wir entfernt. Das war ein Schwarzer und der hat diese Strafe die kleine Landwirtschaft aufgelöst. Zu dieser Zeit hat bekommen und damals war eine extreme Kälte. Sicher fast jeder Selbstverpflegung gehabt. Man hat ja so wenig um die zehn Grad minus. Lebensmittel, wie zum Beispiel Fleisch, bekommen. Je- War das selten, dass da ein Schwarzer da war? der hat sich, so weit wie es gegangen ist, selbst verpflegt. Es waren sehr ärmliche Zeiten. Die Zeit ist vergangen Das war der einzige Schwarze und alle anderen waren und heute geht es uns besser. wie wir. Der hätte den Wachdienst über gehabt und mit ihm ist man schlimm verfahren. Die Amerikaner haben Und du warst am Aichberg, wie die Flugzeuge ge- sich immer wieder erkenntlich gezeigt und zu der Zeit kommen sind? gab es sonst weder Schokolade noch Kaugummi. Das Da bin ich dann nach Hause gerannt. Zwei Tage vor- war ein Traum für uns. Die Amis haben überhaupt kein her sind noch die deutschen Flugzeuge geflogen und dunkles Brot gegessen, nur weißes. Weißbrot und Milch. dann war der Umbruch, das Kriegsende, und dann sind die Amerikaner gekommen und haben alle Flug- Hattest du einen langen Schulweg? zeuge zerstört. Drei Kilometer von mir war der Flug- hafen. Über 100 Flugzeuge wurden damals zerstört. Ja, Zugverspätungen waren an der Tagesordnung und Die Piloten waren nicht mehr da, weil sie es schon wus- dann hatten wir mal einen Zug mit Militärwagons, in sten, dass sie bombardiert werden. Die Leute waren alle die keine Fenster und statt Bänken Holzbretter hin- in Sicherheit und die Flugzeuge wurden zerstört. Einen eingelegt waren. Und so sind wir zu dieser Zeit in die Toten hat es gegeben. Ein Amerikaner wurde von der Flugabwehr abgeschossen, hat man später gehört. Die Amerikaner sind dann mit Lastwägen, Panzern und Jeeps gekommen. Städte oder Ortschaften wollten ver- einzelt Blockaden errichten, damit sie nicht reinkom- men konnten. Sogar die Orter Männerschaft hat auf der Straße eine Mauer gebaut. Von einem Haus zum anderen, eine dicke Mauer aus Holzklötzen. Dies war nicht ungefährlich, da die Amerikaner Schüsse abgeben hätten können. Die sind dann mit dem Panzer gekom- men und haben das niedergefahren. Und die haben ge- glaubt, sie könnten die Amerikaner mit einer Holzmau- er aufhalten! Sie wollten etwas retten, aber das war ein Schwarzer US Soldat im Innviertel (Foto: MS Eichsteininger)

169 Viele US Soldaten gab es nach dem Krieg in unserer Gegend in St. Martin. (Foto: NARA-Archives)

Tropfen auf dem heißen Stein. Die Amis sind zuerst mit und Apfelkompott. Das war damals ein gutes Essen. Zu einem Jeep, einem Funkwagen gekommen und haben dieser Zeit hat man ja nichts gekriegt. Und dann hat das sich die Mauer angeschaut, das weiß ich noch ganz ge- Rieder Volksfest begonnen, das war für uns der Wahn- nau. Und dann sind sie wieder weggefahren. Und dann sinn. Als würde man nach Spanien fliegen. Eine Limo ist den Ortern, die das veranlasst hatten, die Muffen oder eine Schokolade war für uns Buben das Höchste. gegangen. Sie haben dann zum Abbauen angefangen, weil die Mehrheit der Leute gesagt hat, dass sonst schie- Was war mit den Nazis? ßen die US-Soldaten schießen. Diese sind aber gleich Das war alles geheim. Man wusste nicht, ob das ein Nazi wieder retour gekommen und haben mit einem klei- ist oder nicht. Falls sie ein Hakenkreuz tätowiert hatten, nen Panzer die Mauer zur Seite geschoben, als würde trugen sie lange Ärmel. Es hat schon welche gegeben, maHolz abladen. Es ist dann nichts Ärgeres passiert. die Hakenkreuze an den Armen tätowiert hatten. So ein kleines Nest hat damals Widerstand geleistet. Das war sinnlos. Kanntest du Personen, die in Kriegsgefangenschaft waren? In größeren Städten wie Wien oder Linz ist mehr ka- putt gegangen. Dort wurde auch bombardiert. Und Ja, mein Nachbar. Der ist vom Krieg zurückgekommen, dann sind sie wieder alle verschwunden. In der Folge aber viele andere nicht. sind dann die Besatzungssoldaten gekommen, die bis 1956 geblieben sind. Die sind die ganze Zeit da gewe- sen. Auf der anderen Seite der Donau, im Mühlviertel, waren die Russen und bei uns die Amerikaner. Die Do- nau war die Grenze, wie auch in Linz. Die Amerikaner haben Übungen gemacht und für Sicherheit gesorgt. Die Nazis sind dann alle verschwunden. Sehr viele sind im Krieg gefallen. In unserer kleinen Ortschaft waren 90 – 95 Männer tot.

Nach dem Krieg sind dann die rumänischen Flüchtlin- ge gekommen. Da hat man jeden Mann gebraucht, weil keine Leute für die Arbeit da waren. Die Frauen sind alle Witwen geworden, wie eben meine Mutter. Viele Fabienne Leithner hat Alois Baumgartner gerne zugehört und vieles über das Leben von Frauen hatten auch kleine Kinder. In der Hauptschule früher gelernt! gab es dann eine Ausspeisung. Das war Reis mit Kakao

170 Und die Plumpsklos gab es auch! ir sind immer zu Fuß in die Schule gekommen. Theresia (1941 geboren) und Alois In der Zeit gab es noch kein Rad oder Moped. W Schönberger (1942 geboren) leben in Neben der Schule haben wir oft im Haushalt mitgear- Reichersberg. Im Gespräch mit ihrem beitet und haben die Erdäpfel zusammensammet. Im Enkel erinnern sie sich an früher. Herbst mussten wir Kühe hüten. Oft sind wir auch von der Schule zu Hause geblieben, wenn wir ge- braucht wurden. Jede Woche mussten wir für die ganze das Flugfeld von Rei- Familie Schuhe putzen. Nach der Ernte haben wir auch chersberg. Alle Straßen immer die Rüben geputzt. Samstag und Sonntag haben waren früher nur Schot- wir auch das Geschirr abgewaschen. Auch Butterrühren terstraßen und oft auch haben wir oft gemacht. In einem Fass haben wir Milch Stiegen. Wo jetzt Stra- gerührt, bis sie zu Rahm und schließlich zur Butter ge- ßen sind, standen früher worden ist. Das mussten wir jeden Tag zweimal machen, oft Häuser, die einfach in der Früh und am Abend. Die Jungen hatten Berufe weggerissen wurden, um gelernt und die Mädchen sind meist zu anderen Bauern Straßen zu bauen. Frü- gegangen, um auf deren Kinder aufzupassen und die her haben wir auch von Tiere zu hüten. Die Mädchen, die bei den Kindern dem Weinberg in unserer aufgepasst haben, haben auch oft bei den Kindern ge- Nähe immer Weintrau- schlafen, bis sie die Schule abgeschlossen hatten. Dann ben gestohlen. Nach der bekamen sie ihr eigenes Zimmer. Schule sind wir auf dem Heimweg dort vorbei Auf den Bauernhöfen haben wir dann überall wo es und haben uns welche Heute kaum mehr zu sehen... ging mitgeholfen. Früher haben wir mit der Sense die mitgenommen. (Foto: Wikipedia) Felder und Wiesen abgegrast und das Heu zu Bündeln zusammengebunden und abtransportiert. Mit 13 Jah- Die älteren Kinder, die nicht mehr in der Schule waren, ren haben wir auch schon das Melken, Stricken, das wurden direkt auf die Bauernhöfe zum Arbeiten ge- Mähen mit der Sense und ähnliches gelernt. schickt. Auch Doktoren gab es früher nicht viele. Wenn zu Hause etwa Geburten stattfanden, musste ein An- In Obernberg gab es früher ein Kino, dort haben wir gehöriger zum Doktor laufen. Autos gab es nicht viele, uns abends im Kino verabredet und sind dann 1961 daher musste der Doktor meist zu Fuß geholt werden. zusammengekommen und haben1963 geheiratet. Wir Es gab richtige Plumpsklos außerhalb der Häuser. Egal mussten so früh heiraten. Wenn man früher eine Woh- wann man auf die Toilette musste, musste man aufste- nung gesucht hat, hätte man keine Wohnung bekom- hen und in das separate Hüttchen gehen. men, wenn man schwanger gewesen wäre, aber nicht verheiratet.

Von der Kriegszeit haben wir nicht viel miterlebt. Auch unser Vater hat nie was vom Krieg erzählt. Das Einzige, was man hier vom Krieg erlebt hat, war

Adrian mag seine Großelten sehr gern. Auf die alten „Sanitäranlagen“ aus deren Erzählungen kann er hingegen gut verzichten.

Reichersberg, Dorfplatz 1938 (Foto: Fam. Schlegel)

171 Als wir nach dem Krieg in Obernberg mit den Handgranaten gespielt haben... Opa, wie war das früher so in deiner Kindheit? Helmut Putta, geboren 1935 erlebte das a, es war sehr schön in unserer Kindheit. Natürlich Kriegsende und die Nachkriegszeit in Jnicht so wie eure, weil es noch keinen Fernseher Obernberg. Der Schuhmachermeister und andere Annehmlichkeiten gegeben hat in unserer erinnert sich, dass es ganz normal war, Kindheit. Mit dem Radio haben wir ein bisschen mit- nach dem Krieg mit den Handgranten zu gesungen, wenn ein schönes Lied war, das uns gefallen spielen. hat. Das war unsere Kindheit. gefallen als der Schuster-Beruf an sich. Schuster war ich Und was hast du mit deinen Freunden so erlebt? nie gern, aber ich habe es halt gelernt, weil es mein Vater Da ist immer so eine Runde beisammen gewesen, eine auch war. Aber lustig war es für mich nicht. lustige. Gesungen und gespielt wurde, es war recht lu- Und wie lange warst du dort tätig? stig. In den 50er Jahren haben wir angefangen, bis 2003. Und hast du deinen Eltern bei der Arbeit geholfen? Über 50 Jahre waren das. Dem Vater mehr. Im Haushalt war ich nicht so gerne, Wo hast du denn deine Frau kennengelernt? aber eine Zeit lang habe ich ganz gerne Geschirr abge- trocknet. Aber ansonsten war ich lieber bei meinem Va- Im Cafe Brandy. Gesehen, verliebt und geheiratet. Das ter in der Schusterwerkstatt. Als Bub habe ich bei dem ist alles schnell gegangen, nach einem halben Jahr war Eisenständer gehämmert, da haben wir dahingewerkt. ich verheiratet. Ich habe immer gesagt, vor 30 heirate Lustig war es, schön war es. Dann sind meine Freunde ich nicht und im Endeffekt habe ich mit 24 geheiratet. gekommen und wir sind zur Mautnerstiege gegangen. Da haben wir dann verstecken gespielt bei den Bäumen, Wie hast du die Kriegszeit so erlebt? das war sehr lustig. Bei uns war nicht viel los. In Obernberg war fast nichts Welchen Beruf hast du nach der Schulzeit gelernt? los. Zuerst sind während des Krieges die Flüchtlinge gekommen. Und dann waren die Amerikaner da. Das Schuhmachermeister, Schuster, kurzgesagt. Ja, das habe weiß ich noch genau: Am 13. Mai um vier Uhr nach- ich gelernt. Drei Jahre Lehrzeit waren das und dann mittags ist der erste Amerikaner mit seinem Jeep bei uns war ich ein Jahr in Graz, dann bin ich heimgekommen, beim Tor reingefahren. Den vergesse ich nie, den Tag. habe den Meister gemacht und das Geschäft übernom- Am 13. Mai 1945. men. Da war ich erst 24 Jahre und bin schon Geschäfts- führer gewesen. Schuhe verkaufen, das hat mir mehr Hast du noch etwas vom Krieg erlebt? Nein, bei uns war ja kein Krieg. Die Amerikaner sind auch recht freund- lich gewesen, die haben uns gleich Schokolade und Kaugummi gege- ben, den haben wir noch gar nicht gekannt. Und die ersten Orangen haben wir gekriegt. Wir haben ge- meint, es sind Äpfel und haben in die Schale reingebissen. So dumm waren wir damals, weil wir nichts ge- kannt haben während der Kriegszeit. Da sind wir arm gewesen. Da hat es kaum Äpfel und keine Orangen ge- geben. Unsere Kindheit war nicht so reich wie die eure. Wir hatten es armselig. Nach dem Krieg sind viele Waffen Helmut Putta war Teil des geselligen Obernbergs - hier als Zweiter von links! (Foto: Fam. Schlegel) herumgelegen. Wir sind nach Rei-

172 chersberg rüber, da war ein Flughafen. Von dort sind da sind sie uns dahintergekommen und dann haben wir die deutschen Wehrmachtsflugzeuge gestartet. Und als von der Gemeinde Ärger bekommen. Als die Amerika- sie gehört haben, dass die Amerikaner kommen, sind ner da waren, haben wir fast nie Schule gehabt, also ha- die Soldaten davongerannt und haben alles liegen und ben wir das 1944er Jahr später wiederholen müssen. Ich stehen gelassen. Wir Buben sind gleich da rüber und habe damals sehr gut Klarinette und Saxofon gespielt. haben Handgranaten und Gewehre gefunden. Heim- Mit unserer Band haben wir eine sehr gute Stimmung gekommen sind wir vollbepackt mit lauter Zeug. Das gemacht. Im Endeffekt haben wir spielen können was kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, wir wollten, es hat ihnen alles gefallen. mit Gewehr und Handgranaten und allem möglichen gefährlichen Zeug haben wir herumgewerkelt. Und ge- Was war in Obernberg früher anders als jetzt? fischt haben wir. Hand- Es war ganz anders, da sind keine Autos gewesen, nur granaten reingeschmis- Pferdefuhrwerke. Aber Obernberg war schon immer der sen, es hat einen Kracher Mittelpunkt, da sind die Leute aus den Gemeinden wie gemacht und dann haben Mörschwang, St. Georgen und Kirchdorf nach Obern- wir gesagt: „Hey, da sind berg reingekommen. Da sind 18 Wirtshäuser hier gewe- schon wieder 100 Fische sen, in ganz Obernberg. Ufer, Nonsbach, Marktplatz, am Baum oben!“. Es war Alter Markt, Neuer Markt, überall Gasthäuser! Da eine gefährliche Sache. haben die Leute viel mehr getrunken als jetzt. Es hat Aber uns ist Gott sei Dank Männer gegeben, die hatten 15 Bier an einem Abend nie was passiert. Anderen getrunken, wenn sie weggegangen sind. Das sind schon schon. Dem Haslberger die Ausnahmen gewesen. hat es den Arm weggeris- sen mit einer Handgrana- Was kann ich noch sagen? Ja, die „Tanzenden Sterne“, te. Der hat die zu lange das war unsere Musikband. Wir sind fünf Mann gewe- in der Hand gehalten. sen und im Fasching sind wir sechs gewesen, da haben Amerikanische M2 Handgranate Man muss anziehen, und wir noch einen Berufsmusikanten dabeigehabt. Da sind (Foto: Wikipedia) gleich wegschmeißen. Un- wir mit dem schwarzen Pick Up vorgefahren. Die Leute gefähr 10 Sekunden, dann haben geschaut, als wir ausgestiegen sind. Der Chauf- explodiert sie. feur hat unsere Musikinstrumente auspacken müssen, Und das hast du früher getan? und wir, die Sirs, waren elegant angezogen, mit schwar- zen Mascherl sind wir dann hineinmarschiert, da haben Ja, sobald du abziehst, ist sie scharf. Das muss dann die Leute schon geklatscht. Wir haben aufgestellt, und schnell gehen. Und möglichst weit wegwerfen muss dann ist es losgegangen. Von 20 Uhr bis 2 Uhr früh. man sie, weil das strahlt ja aus. Ja, so war es in unserer Und dann haben wir nicht aufhören dürfen, weil die Zeit. Leute so lustig waren, bis 3 oder 4 Uhr haben wir im- mer spielen müssen. Es war hart, aber wir haben auch Die Amerikaner sind fünf oder sechs Jahre da gewesen. schon viel Geld damit verdient. Die anderen haben es Die haben dann gleich alle schönen Häuser in Ufer, ausgegeben, und wir haben kassiert. damals neue Häuser, beschlagnahmt. Oben am Markt- platz auch, zum Beispiel die Apotheke. Da haben sich Wie war es in der Schule damals? die Amerikaner gleich einquartiert. Die anderen haben Naja, es ging so. Der beste Schüler war ich nicht. Eng- raus müssen. Aber sie waren nicht böse, die Amerika- lisch haben wir gar nicht gemocht. Aber unsere Eng- ner. Da wo der Woerndle ist, war ein ganzer Haufen mit lischlehrerin, Frau Mazoch, war eine strenge Lehrkraft lauter Waffen. Da sind die Amis immer herumgefahren – sie ist erst vor ein paar Jahren gestorben. und haben gesagt: „Alles, was Waffen sind, ganz gleich was es ist, müsst ihr bringen.“ Und was das Blödeste war: Fotoapparate, Gucker, was gar nichts mit dem Krieg zu tun hatte, haben wir alles abgeben müssen, da war ein großer Haufen. Dann sind die amerikanischen Soldaten gekommen und haben sich das Schönere aus- gesucht. Und dann sind sie wieder herumgefahren mit dem Jeep und haben gesagt: „Wenn ihr wollt, könnt ihr euch den Rest wieder mitnehmen!“ Da sind wir hin- gegangen und haben geschaut, was wir noch brauchen können. Und was liegengeblieben ist, haben sie ange- zündet. Die Waffen die wir mitnahmen, haben wir ver- Augustin Max und Reisinger Marco haben steckt, da hat ein jeder eine Waffe zuhause gehabt. Ein zwar auch etwas für Musik übrig - mit Hand- Wunder, dass nichts passiert ist. Alle Waffen, die wir granaten haben sie aber glücklicherweise noch zuhause hatten, haben wir im Woerndlestadl versteckt, nie gespielt. der war dort, wo jetzt der Raffelsberger wohnt. Doch 173 Von St. Georgen in die Welt und wieder zurück. ch heiße Rudolf Gurtner und bin am 11. August Rudolf Gurtner hatte schon viele Berufe 1927 in St. Georgen bei Obernberg geboren. Am I in seinem Leben: Landwirt, Vertreter Vortag meiner Geburt war meine Mutter noch mit der Bauernschaft und Politiker. Aber als dem Herrichten der Garben beschäftigt. In unserem ganz junger Mann war der St. Georgener Betrieb waren ein Mitterknecht, eine Melkerin, ein gezwungernmassen auch im Reichsar- Stallbub und zur Erntezeit zwei Saisonarbeiter be- beitsdienst (RAD) und Soldat der Wehr- schäftigt. macht. Seine Erinnerungen an diese Zeit Von 1933 bis 1941 besuchte ich die zweiklassige Volks- sind überaus facettenreich. schule in St. Georgen. Die Grundschulzeit war damals 8 Jahre lang, wobei man nach dem 4. oder 5. Schul- Ordnung. Der Truppführer jahr in die Hauptschule wechseln konnte. Von meinem hatte bei der Kontrolle aber Elternhaus brauchten wir im Sommer eine dreiviertel immer etwas zum Aussetzen. Stunde und im Winter sogar mehr als eine Stunde, um Als einmal das Licht nicht zur Schule zu kommen. Von einem Schulbus konnte pünktlich abgeschaltet war, man damals nicht einmal träumen. hatte das fatale Folgen. Wir mussten auf der Hindernis- 1944 wurde ich zum sogenannten Reichsarbeitsdienst bahn laufen, robben, das nach Iglau eingezogen. Jeder musste im Alter zwischen volle Programm. An diesem 15 und 17 Jahren seine Zeit im RAD ableisten. Dieser Abend war Regenwetter, so- jedoch hatte in den letzten Kriegsjahren wenig mit Ar- dass in kürzester Zeit unsere beit zu tun. Es war eine rein militärische Ausbildung, Uniformen völlig verdreckt besser gesagt eine unmenschliche Schleiferei und Tyran- waren. Das von den National- nisierung. Es ging darum, den Willen der jungen Leu- sozialisten favorisierte Boxen Soldat Gurtner (Foto: Gurtner) te zu brechen. Unser Obertruppführer, einer der aller- war die Hauptbeschäftigung schlimmsten, hämmerte uns ein: Das Denken könnt ihr meiner Freizeit. Es gab viele den Pferden überlassen, die haben größere Köpfe. Ausscheidungskämpfe zwischen den verschiedenen Trupps, bis ich plötzlich im Endkampf war. Zu meiner Die ersten Wochen kamen wir kaum zur Ruhe. Abends Überraschung gewann ich diesen Kampf. Als ich von wurde in den Unterkünften geschrubbt, geputzt und diesen Erfolgen beim Arbeitsdienst erzählte, befahl un- die Hocker, auf denen wir unsere Uniformen jeden ser Oberwachtmeister, dass ich gegen einen ehemaligen Abend genau aufbauten, hatten schon ganz dünne Füße Profi-Boxer kämpfen solle. Ich musste eine gewaltige vom Schrubben mit dem Schleifpapier. Es ist nicht Niederlage über mich ergehen lassen, und fasste ab die- nur einmal passiert, dass wir dachten, alles sei in bester sem Tag keine Boxhandschuhe mehr an. Nach der vormilitärischen Ausbildung beim Reichsar- beitsdienst durften wir nur ein paar Tage zu Hause sein, denn die Einberufung zum Militär lag schon bereit. Der eigentlich längst verlorene Krieg verschonte weder die Jungen noch die Alten. Zuhause auf unserem Hof hatten drei Flüchtlingsfa- milien Zuflucht gefunden. Eine ältere Familie aus Ost- preußen, eine Frau mit zwei Kindern, und ein älteres Ehepaar mit Tochter und deren Kind. Unsere Gemein- de hatte die nicht leichte Aufgabe, die vielen Flücht- linge unterzubringen. Außerdem hatten in unserem Getreidespeicher 13 Franzosen Platz gefunden, die bei Bauern der Umgebung arbeiteten1. Zu dieser Zeit war es strengstens verboten, dass die Franzosen am selben Tisch aßen wie die Familie, doch die meisten Familien beachteten dies nicht. So auch wir. Eines Tages kam mein Onkel zu uns auf Besuch. Als er alle vereint am Die Militarisierung der Gesellschaft ist keine Erfundung der Nazis. Unser Ein- Tisch sitzen sah, war er außer sich und fragte, ob wir trag ist aus der St. Georgener Schulchronik! (Foto: SCR St. Georgen) denn nicht Bescheid wussten, dass dies verboten war.

174 Mein Vater verteidigte die Zwangsarbeiter noch, doch ter kam ein russischer Tieffliegerangriff und wir muss- es kam zu einem heftigen Streit. Seit dieser Zeit gibt es ten alle in den Luftschutzkeller. Es war sehr wenig Platz. keinen Kontakt mehr zu meinem Onkel. Ein Kamerad neben mir meinte, er könnte den Kasten- boden meines Gewehrs reparieren. Ich freute mich zu Einmal hat der Gefangenenaufseher des Lagers auf das früh, denn bei dem Gewehrapell am nächsten Tag ist es Zählen vergessen. Erst als zwei Bauern dann am näch- dann passiert. Der Kastenboden fiel genau vor die Füße sten Tag nachfragten, warum die Gefangenen nicht zur unseres Wachtmeisters. Dieser wurde sehr wütend und Arbeit gekommen waren, kam man darauf, dass zwei dachte, dass ich mutwillig das Gewehr beschädigt hätte. der Gefangenen sich einen Nachschlüssel gemacht und Ich versuchte mich zu rechtfertigen, doch das funkti- abgehauen waren. Das verursachte große Aufregung. onierte nicht. Ich wurde unserem Stubenkommandant Erst zwei Monate später konnten die beiden Flüchtlinge zur Sonderbehandlung übergeben. Mit Gewehr, Gas- gefunden werden. Dies wurde als dramatisches Beispiel maske und Stahlhelm musste ich antreten und im Lauf- sehr groß herausgebracht. Man ging mit den Zwangs- schritt vier bis fünfmal am Kasernenhof hin- und her arbeitern von diesem Tag an sehr viel strenger um als laufen. Ich war ihm zu langsam, daher musste ich um vorher. Vor allem, als zwei Gefangene eines Tages dann ein Silo mit zehn Meter Durchmesser laufen. Da mir nicht zur richtigen Zeit aufstanden. Der Gefangenen- nach einiger Zeit die Luft ausging, wurde ich immer aufseher holte sein Gewehr und jagte sie im Nachthemd langsamer. Dann kam sein Befehl die Gasmaske aufzu- die Stiege hinunter. Sie flehten um ihr Leben, und mein setzen. Nach einigen Runden wurde mir schwarz vor Vater stellte sich dazwischen und versuchte den Auf- Augen und ich fiel hin. Am nächsten Morgen musste seher zu beruhigen, was ihm auch gelang. Zusätzlich ich zum Rapport, wo mir die Gelegenheit gegeben wur- zu den Franzosen arbeiteten noch eine Ukrainerin, ein de, das Ganze aus meiner Sicht zu erklären. Pole, ein Stallbub und eine Südtirolerin, neben meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester Maria und Nach einer Beratung des Gerichtes kam das Urteil, dass meinem Bruder Lois auf unserem Hof. Bewunderns- ich drei Tage in den Arrest musste. Schuhbänder und wert war, dass es damals kaum Streitigkeiten gab. Mit Hosenträger wurden mir abgenommen, um keinen einem der Franzosen hatte ich bis zu seinem Tod 2010 Selbstmord begehen zu können. Mit einem Stück Brot, noch Briefkontakt. Wasser und einem eisernen Bettgestell mit Decke mus- ste ich also diese Tage überleben. Die ganze Zeit stellte Bis auf einige nationalsozialistische Fanatiker glaubte ich mir die Frage, was aus uns werden würde, denn die niemand mehr, dass dieser Krieg noch zu gewinnen sei, Front war nur noch 70 Kilometer entfernt. aber niemand traute sich darüber zu reden, denn das war lebensgefährlich. Als ich zurück zur Kaserne kam, war niemand meiner Kameraden mehr da, denn diese hatten zum 30 Kilo- Im Jänner 1945 wurde ich nach Olmütz zur deutschen meter entfernten Truppenübungsplatz gehen müssen. Wehrmacht einberufen. Bei der Fahrt mit der Straßen- Ich konnte mit einem Kraftfahrzeug, das Nachschub bahn sahen wir erstmals die Zerstörungen der Bombar- zum Truppenübungsplatz brachte, mitfahren. Am dierungen. Unsere Zugfahrt wurde plötzlich von Er- nächsten Tag bekam ich wieder ein Gewehr und es ging schütterungen unterbrochen und der Zug war entgleist. zum Scharfschießen auf Pappkameraden. Ich hatte fünf Gott sei Dank ist aber nicht viel passiert. In der Kaserne Schuss, wobei drei daneben gingen. Nach fünf Tagen begann die durchaus spannende Ausbildung als Funker wurden wir wieder zurück zur Kaserne gebracht. Einige bei der Artillerie. Nach ungefähr vier Wochen bekamen Zeit später wurden die Namen der besten fünf Schüt- wir Gewehre. Ich hatte das Pech, ein Gewehr zu besitzen, zen vorgelesen und zwei davon mussten sich freiwillig bei dem der sogenannte Kastenboden leider nicht rich- für ein Exekutionskommando melden. Einer meldete tig befestigt war. Bei der Frage, ob ich das Gewehr nicht sich und der zweite wurde dann bestimmt. Ich war sehr umtauschen könnte, bekam unser Stubenkommandant froh, dass ich beim scharfen Schießen nicht so gut war. einen seiner gefürchteten Wutanfälle. Einige Tage spä- Eines Morgens im März wurden wir informiert, dass neue Truppen eingetroffen waren und da sie keine Ge- wehre hatten, hatten wir die Aufgabe, ihnen unsere zu leihen. Am Nachmittag holten sie sich bei uns die Gewehre. Nach drei Tagen bekamen alle ihre Gewehre zurück, mit Ausnahme von mir. Ich musste unserem Stubenkommandant von diesem Vorfall erzählen. Die- ser bekam wieder einen seiner Wutanfälle und fragte, ob ich mir den Namen des Mannes nicht hatte geben lassen. Wie alle anderen hatte ich das nicht. So war ich wieder ohne Gewehr. Immer noch ohne Gewehr hatte ich das Glück, dass in den nächsten Tagen immer einer unserer Einheit krank Olmützer Rathaus in der Gegenwart (Foto: Michal Maňas) war und ich mir das Gewehr ausleihen konnte, aber 175 das war keine Dauerlösung. Ich überlegte krampfhaft, fünf Schuss Munition und da ein Aufladen während des was in dieser Situation zu tun wäre. In der Zwischen- Angriffs kaum ging, hatte ich wie die anderen eine sech- zeit wurden wir vom Funker bei der Artillerie zu MG ste Patrone hineingegeben. Nach fünf Schüssen war der Schützen beim neu zusammengestellt Panzerjagdkom- Angriff vorbei und ich hatte vergessen die sechste Pa- mando umgeschult. Immer wenn man Freiwillige für trone herauszugeben. Es kam jedoch nicht dazu, dass einen Sondereinsatz suchte, meldete ich mich, um so ich bestraft wurde, denn am nächsten Morgen sind rus- meine Situation zu verbessern. sische Panzer durchgebrochen. Von da an waren wir fast jeden Tag im Einsatz. Wieder einmal wurden Freiwillige für einen Nachtein- satz gesucht um herauszufinden, wo die Russen waren. Mit Lastwägen wurden wir an die Front gebracht. In Mit LKWs fuhren wir ungefähr 50 Kilometer. Wir wur- einem größeren Dorf hatten wir die Aufgabe, es zu den öfter aufgehalten und darauf aufmerksam gemacht, durchsuchen. Ich hatte die Aufgabe, eine Kreuzung dass die Russen nicht mehr weit weg waren. Auf einmal abzusichern. Plötzlich näherte sich vom Waldrand ein hielten wir an und schlichen uns in einen Wald, bis wir Panzer und ich war der Meinung, dass es sich um einen in der Ferne Geräusche hörten. Es mussten drei Frei- deutschen Tigerpanzer handelte, doch als er nur noch willige, ich war dabei, mit unserem Oberwachmeister 400 Meter von mir entfernt war, bemerkte ich, dass es weiter gehen. Am Waldrand sahen wir einen Panzer, um ein russischer Panzer war. Mit meinem Gewehr hatte den lauter graue Gestalten standen. Unser Oberwach- ich keine Chance gegen den Panzer. Er ist dann später meister sagte nur „Russen.“ Wir gingen wieder zurück nach Südosten gefahren. Es war noch einmal gut ge- zu den anderen und kein Schuss ist gefallen. gangen. An Ostern gab uns unser Feldwebel den Nachmittag Am 1. Mai 1945 wurde uns verkündet, dass Adolf Hit- frei, doch niemand sollte allein in die Stadt gehen oder ler im Krieg um Berlin gescheitert sei. Damit war der gar in eine Kirche. Dass ich dieses Ostern in keine Kir- Krieg aber noch nicht vorbei. Eine weitere Feststellung che gehen würde, wäre das erste Mal seit meiner Schul- war, dass die Festung Olmütz bis zur letzten Patrone zeit. Also suchte ich in der Stadt eine Kirche und sagte verteidigt würde, dies war aber mehr eine Wunschvor- nicht einmal meinen Freunden etwas davon. Die Kirche stellung als ein Befehl. war fast menschenleer. Ich nahm in einer der hinteren Bänke Platz und dachte darüber nach, wie wir zu Hause Die ganze Militärzeit hat bei mir so ein Trauma hin- immer Ostern feierten. terlassen, dass es auch heute beim Nachdenken noch immer wie ein Film herunterläuft. Auch mit der Vor- Ich wollte am Anfang meiner Militärzeit nie Zigaretten stellung auf Menschen zu schießen wurde ich nicht fer- rauchen, doch irgendwann überwand ich mich und ver- tig, doch damals hatten wir nicht viel Zeit zum Nach- suchte damit den ständigen Hunger zu stillen. denken. Eines Tages wurden wieder Freiwillige zum Ausladen Am Sonntag, den 6. Mai, schossen die Russen mit ihrer der Verwundeten gesucht und wie immer meldete ich Artillerie auf unsere Festung, wir schossen aber auch zu- mich. Der Anblick der Verwundeten war die Hölle. Es rück. Am späten Nachmittag befahl unser Oberwacht- war furchtbares Schreien und Jammern zu hören. Wir meister den Rückzug in die Verteidigungsanlage, wo begannen zu zweit die Verletzten aus dem Waggon zu wir auch erfuhren, dass die Stadt von den Russen ein- tragen. Ich hatte noch nie zuvor mit so schwer verletzten gekreist war. Als Menschen zu tun. Beim Reinigen des Waggons sah ich unsere Artillerie ganz hinten im Wagon ein Gewehr stehen und fragte die Munition ein paar Verwundete, wem das gehörte. Einer meldete verschossen hat- sich und meinte, dass wir es mitnehmen sollten, da es te, wagten wir niemand mehr brauchte. Unauffällig ließ ich es unter den Durchbruch meinem Mantel verschwinden und obwohl diese drei nach Norden in Stunden zu den schrecklichsten meines Lebens ge- eine kampffreie hörten, hatte ich endlich wieder ein Gewehr. Zone. Zwei Last- wägen kamen Ein paar Tage später griffen russische Jagdbomber den durch und nach Bahnhof in Olmütz an. Als sie im Tiefflug die Waggons unserer totalen beschossen, gab es für uns Feuerbefehl, doch keines der Erschöpfung Flugzeuge konnte zum Absturz gebracht werden. Als hatten wir eine wir zurück in die Kaserne kamen, bemerkte ich, dass kurze Pause auf mein Gewehr noch geladen war. Ich drückte ab und den Stufen einer ein Schuss ging durch den Raum. Das Mauerwerk brö- Schule. ckelte aus der Wand. Im ersten Augenblick wusste ich nicht einmal, dass ich derjenige war, der geschossen hat- Gegen Mittag te. Die Tür wurde aufgerissen und unser Oberwacht- am 7. Mai 1945 meister lief herein. Mein Gewehr hatte ein Magazin von durchquerten Entlassungspapiere aus dem Militär (Foto: Gurtner)

176 sich wohl getäuscht. Kaum waren wir so weit, sahen wir schon ein Kontrollfahrzeug. Wir liefen um unser Leben. Vor lauter Erschöpfung setzten wir uns dann hin und hörten nur noch Schüsse aus der Ferne. Am nächsten Morgen sahen wir einen Bauernhof, wo wir ein Glas Milch und Brot bekamen. Mit einer Fähre kamen wir dank des Fährmanns auch ohne Geld über die Donau. Gegen Abend fanden wir eine gute Unterkunft im Stroh eines Pferdestalls und morgens bekamen wir ein kleines Frühstück. Am 12. Mai trennten sich unsere Wege. Mein Kamerad ging weiter nach Schärding und ich Richtung Weilbach. Auf einmal näherten sich zwei amerikanische Soldaten, welche mir den Weg versperrten. Man konnte erkennen, dass sie nicht ganz nüchtern waren, doch trotzdem ver- Deutsche Soldaten in Ried - auf dem Weg ins Gefangenenlager, in dem auch Rudolf Gurtner war. (Foto: Handbook, 71st Infantry Division) suchte ich ihnen zu erklären, dass mein Elternhaus nur noch vier Kilometer weit entfernt war, bis der eine sein wir ein kleines menschenleeres Dorf. Auf einmal wa- Interesse an mir verlor. Den zweiten konnte ich jedoch ren Schüsse zu hören und wir schossen zurück, doch nicht mehr abschütteln, bis er schließlich seine Waffe es war niemand zu sehen. Nach gut einer Stunde sahen zog. Ich drehte mich um und ging ruhig weiter, bis ich wir eine Unterkunft des Bunds Deutscher Mädchen schließlich in den Wald einbog. Eine gute halbe Stunde in Flammen stehen. Wir wiesen sie darauf hin, dass es später kam ich heim. Meine Mutter war ganz aus dem gescheiter wäre zu flüchten, da spätestens morgen die Häuschen, als ich vor der Tür stand. Es gab sehr viel zu Russen da wären, doch die Mädelsführerin lehnte dies essen, doch mein Magen war dies nicht mehr gewohnt ab.2 und ich schlief sehr schlecht. Früh morgens am nächsten Tag fuhren wir weiter Rich- Nach einigen Tagen bekam ich von unserer Gemein- tung Iglau und es wurde uns gesagt, dass wir über die de einen Brief, dass ich nach Ried ins Entlassungslager Grenze nur noch nach Niederösterreich konnten. Auf musste, um von den Amerikanern einen Entlassungs- einmal sahen wir amerikanische Soldaten, und es wurde schein zu bekommen. Da keine Fahrzeuge zur Verfü- uns klargemacht, dass wir unsere Waffen abgeben mus- gung standen, mussten wir zu Fuß gehen. Nach drei sten. Als wir das taten, kümmerte sich niemand mehr Stunden kamen wir dort an und es wurde uns gesagt, um uns. Unser Kommandant teilte uns mit, dass auch dass wir noch am gleichen Tag heimkehren konnten, für uns jetzt der Krieg vorbei war. doch daraus wurde nichts. Eine Woche mussten wir dort mit Hunger leben, doch endlich bekamen wir das Mit drei Kameraden machte ich mich auf den Weg nach Entlassungspapier und wir gingen Hause. Am 9. Mai machten wir uns schon morgens nach Hause. Damit war das Kapitel auf den Weg. Irgendwie schafften wir es in das Hinte- Krieg Gott sei Dank endlich abge- re eines LKWs zu steigen, bis wir mittags in Freistadt schlossen. ankamen. Wir wussten nicht, was mit uns geschehen würde aber wir mussten irgendwie über die Demarka- tionslinie zu den Amerikanern. Ein ehemaliger Feldwe- bel half uns dabei. Er meinte, dass nach seiner zwei- tägigen Beobachtung immer einige Minuten zwischen den amerikanischen Kontrollfahrzeugen liege und wir in der Zeit darüber gehen konnten. Doch da hatte er Paula Schachinger hat in diesem langen Gespräch viel über die Verhältnisse von früher erfahren!

1 Diese Zwangsarbeiter waren aus ganz Europa nach Deutschland verschleppt worden um Zwangsarbeit zu leisten – bei uns meistens auf den Bauernhöfen. Anm. 2 In Olmütz in Mähren gab es neben den Tschechen (und Slowaken) eine sehr starke deutschsprachige Minderheit. Die Evakuierung der Stadt begann bereits Mitte April 1945. Nach Kriegsende wurden die verbliebenen Deutschen in einer von Gewalt geprägten Atmosphäre brutal vertrieben. Die Vertreibungen und Morde wurden erst in den letzten Jahren von der historischen Forschung be- achtet. Vgl. dazu etwa: http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/cssr2/ kapitel-2-1-1-0-6.htm bzw auch: Traska, Georg: Geteilte Erinnerungen: Tsche- choslowakei, Nationalsozialismus und die Vertreibung der deutschsprachigen Wieder daheim in St. Georgen! (Foto: AK Lindlbauer) Bevölkerung 1937 – 1948, 2017

177 Großdirn, Großknecht und s‘Kuchl: Von der Rangordnung am Land

er Fliegerangriff in Münster am 16 April 1945, Johanna Fischer, geboren 1928, ist eine Dwie ich ihn erlebt habe: Vor 70 Jahren fuhren interessante Zeitzeugin. Sie erlebte den mein Vater, meine Schwester, ein Ukrainer und ich Angriff der US-Flieger auf das Flugfeld zur Mittagszeit um halb eins aufs Feld, um Erdäpfel aus nächster Nähe mit. Und sie erinnert zu setzen. Aber als wir auf dem Feld angekommen sich im Detail an Sitten und Gebräuche waren, da kamen die Tiefflieger. Mein Vater spannte sowie die soziale Rangordung bei den gleich die Pferde aus und suchte unter einem Baum Bauern der damaligen Zeit. Schutz. Als sie über Münsteuer ganz niedrig angeflo- gen kamen schmissen sie etwas ab, ich schrie: „Gott, waren wir nicht mehr fähig. Meine Mutter und mein Bomben!“ Aber es ging nichts in die Luft, weil es leere Bruder Sepp sowie zwei Familien aus Schlesien und Benzinkanister waren und dann ging erst der Angriff dem Banat, alle waren Flüchtlinge, waren im Keller und los. Wir legten uns auf den Boden ich hab mir eine auch mein Onkel Franz. Es war ein Pferd samt Fohlen Schaufel auf den Kopf getan und dann brach es los. Sie auf der Weide, meine Mutter wollte es herein holen, haben alles zerschossen, immer wieder kamen welche. doch es ging nicht, so aufgeregt war es. Mutter machte Die Doppeldecker Lehnmaschinen, die rund ums Dorf die Tore auf und lief wieder in den Keller. Als der An- unter den Bäumen im Loderwald standen, alles wurde griff vorbei war, schaute sie gleich nach den Pferden. zerschossen. Es waren auch vollbetankte Flugzeuge von Doch die standen zitternd im Stall, das Fohlen im Eck, Oberst Rudel um den Flugplatz abgestellt. Diese Flieger die Mutterstute schützend davor. Es kamen sehr viele rauchten so derartig, dass sich die Sonne verdunkelte. Leute aus allen Gegenden, Schaulustige, die glaubten, Der Kirchturm war dann total zerschossen. Ein Flieger ganz Münsteuer brennt. wurde abgeschossen, der brennende Motor flog auf die Scheune von Lovalmaier Hans und die Scheune brann- Am nächsten Tag um die gleiche Zeit fuhren wir wieder te ab. Der Pilot war tot, der wurde in Reichersberg auf- mit unseren Erdäpfeln aufs Feld. Da kamen sie wieder, gebahrt und am Friedhof begraben, von wo er später doch diesmal über den Inn zum Pockinger Flugplatz. ausgegraben und in einem großen Militärfriedhof be- Da kehrten sie über Reichersberg um und dann schos- stattet wurde. Eine Frau aus Schlesien, ein Flüchtling, sen sie hinein. Während dieses Angriffes haben wir end- die bei uns wohnte, wollte gerade in Reichersberg im lich die Erdäpfeln gesetzt. Später haben wir körbeweise, Garten Gemüse kaufen. Sie fürchtete sich dermaßen, unendlich viele Patronen von den Feldern geklaubt. Es dass sie einen Herzinfarkt bekam. Auch diese Frau wur- wurden ungefähr 120 Maschinen zerstört. de in Reichersberg aufgebahrt und sie wurde dann von meinem Vater mit Ross und Wagen geholt und auf dem Essgewohnheiten von früher Münsteurer Friedhof bei unseren Gräbern beerdigt. Ein gewöhnlicher Tag bei uns zuhause: Um sechs Uhr Eine Frau bekam einen Splitter in den Fuß. Einmal hab früh gab es für die Knechte eine Schüssel voll Milch mit ich mich getraut unter der Schaufel hervor zu schauen, Brotbrocken. Um sieben Uhr gab es für die „Weibal- da waren sie gerade über uns und da hab ich sie genau leid“ (Weiberleut) Milchkaffe. Um neun gab es im sitzen gesehen, die Piloten im Flieger. Da hab ich mir Winter hauptsächlich „sauerne Suppe“ mit Kartoffeln. gedacht, wenn ich sie sehe, dann sehen sie mich auch, lm Sommer dann selbstgemachten Käse. Wenn es elf aber sie haben nichts getan. Nach dem zweistündigen Uhr läutete, schrie der Großknecht vor der Haustür: Angriff fuhren wir zitternd nach Hause, zum Arbeiten „Zum Essen geht‘s“ und dann musste meine Mutter mit dem Kochen fertig sein. Dann kamen alle drei Knechte, drei Mägde, der Bauer und die Bäuerin mit den Kindern, da waren zwei Tische voll. Der „Bua“ musste einen Krug Most vom Keller holen, die Großdirn holte das Essen. Die meisten Tage gab es vorher Sauerkraut. Der Großknecht nahm den Laib Brot, machte ein Kreuz drauf und schnitt ihn an. Er legte rund um die Krautschüssel Brotschnitten, die wir dann nehmen und zum Kraut essen durften. Dann trug die Großdirn die leere Schüssel hinaus und brachte das Fleisch. Am Freitag gab es Suppe und verschiedenes Schmalzgebäck. Auch Schmarrn, Apfelstrudel, Nudelgerichte oder gebackenen Grieß Flugplatz Münsteuer, Aufnahme 1939 (Foto: Fam. Schlegel) gab es; es war immer etwas Gutes. Dann trug die Großdirn die Schüsseln wieder hinein und dann 178 mähen), der Bua und s‘Kuchal mussten „zomheing“ (heuen) und der Bauer kam mit dem pferdegespann- ten Leiterwagen. Dann wurde aufgelegt und alles vor die Stalltür heimgebracht. Dann gab es wieder um sechs Uhr eine Schüssel mit Milch und Brotbrocken. Dann gingen die Knechte und der Bauer „dengeln“ (das Sen- senblatt glatt klopfen, damit die Schnittschärfe erhalten blieb) und dann hinaus zum Getreidemähen. Wir mus- sten um sieben Uhr mit der Stallarbeit fertig sein, da gab es wieder Milchkaffee und dann ging es aufs Feld, damit jemand zum Aufklauben da war. Um neun Uhr brachte die Bäuerin die Jause mit einem Korb. Der war natürlich sehr schwer und für 8-10 Leute. In der Hand hatte sie einen 5-Literkrug voll Bier, den sie beim Wirt Bauernleben früher, hier die Familie Nöbauer aus Reichserberg (Foto: Schlegel) geholt hatte. Das Ganze musste sie einen Kilometer tra- gen. Am Nachmittag war es genauso. Niemanden ist da- knieten wir rund um den Tisch, wo wir beteten. Der mals eingefallen, das man auch mit dem Wagerl fahren Großknecht musste vorbeten. Wenn die Schüssel mit hätte können, auf der Schotterstraße hätte man ja alles Fleisch kam, steckte immer ein Steckerl oder Zündholz ausgeschüttet. Als dann die Bäuerin da war, formte man auf dem Stück Fleisch. Erst nachdem der Großknecht mit den Gaben einen Kreis, in die Mitte hinein kam der das genommen hatte, dürften die übrigen hinlangen. Korb und das Bier. Der Großknecht musste gleich den Von dem Stück Fleisch, das man aß, musste man sich Rettich schneiden, das „Kucherl“ musste einsalzen. Die was sparen für die Nachmittagsjause. Zum Sattessen, Großdirn leerte das Bier in einen kleinen mitgebrachten gab es Knödel mit Soße. Krug. Und aus dem kleinen Krug durfte man der Reihe nach trinken, wenn der Großknecht angefangen hatte. Da war so viel da, dass man auch zur Nachmittagsjause Da gab es genug Fleisch, Käse und Rettich. Mittags gin- satt wurde, wenn man auch kein Fleisch mehr hatte. gen wir heim zum Essen, da brauchten wir nicht sparen. Abends gab es wieder Suppe oder Äpfel. Bei der Ernte- Nachmittags um drei Uhr kam die Bäuerin wieder mit zeit war es so, dass man um vier Uhr aufstehen musste, einem Korb voll und man tat wieder wie am Vormit- da hat der Vater mit dem Besen am Plafond geklopft. tag. Die Bäuerin musste schleunigst wieder heim, weil Die Knechte gingen mit der Sense zur Maat (Gras es auch abends um sechs Uhr wieder etwas Gutes gab. Wir „Weibaleid“ durften um halb sechs heimgehen und die „Wegarbeit“ anfangen und die Männer kamen um sechs Uhr. Da mussten wir mittendrin beim Melken mit der Hand zur Suppe gehen und da gab es Kaffee und Schmalzgebackenes. Das war so gut, da freuten wir uns alle Tage. Und wir waren betrübt, wenn die Ernte vorbei war, denn da gab es abends nicht so viel Gutes. Dann mussten wir wieder melken gehen, was gar nicht mehr lustig war. Dann trugen wir die Milch in die Kü- che, wo das „Kucherl“ diese schleudern musste. Wir nahmen uns in den Milcheimern heißes Wasser mit und haben uns im Stall gewaschen. Dann setzten wir uns noch ein bisschen auf die Sonnenbank und haben ge- plaudert und gelacht, trotz des langen Tages. Aber bald sind alle ins Bett, weil ja am nächsten Tag um vier Uhr der Vater wieder klopfte. Es war lustig, wenn so viele Leute beisammen waren und wir haben nichts anderes gekannt. Wie hast du die Nachkriegszeit erlebt?

Beim Peterbauer (Fischer, Münsteuer) ist der Max schon im März 1938 zur SS eingerückt. Er hatte eine harte Ausbildung. Er war an allen Fronten, bis er Ende des Krieges gefangen genommen wurde. In letzter Sekunde konnte er sich vor den Russen retten. Er war in West- falen, Ostfriesland in den Lagern. Zum Schluss kam er Die Zechen blühten nach dem 2. Weltkrieg so richtig auf. Hier die St. Geor- noch ein halbes Jahr nach Wolfsberg in der Steiermark. gener Jungbauernzeche. (Foto: SCR St. Georgen) Da hatte ihn dann sein BruderSepp, der schon zuhause 179 Schauen nicht fertig geworden. Max hatte eine Holländerin geheiratet, die nach dem Krieg vermisst wurde; er hat nie mehr von ihr gehört. Unmittelbar nach dem Krieg, während der Besatzungszeit, durfte ab 10 Uhr abends niemand mehr auf der Straße sein. Da das Leben wieder weiter ging und die Männer nachhause kamen, hatten wir eine „Zeche“ gegründet und sind jede Woche zu einem anderen Bauern mit dem Rad zum Tanzen gefahren. So auch zum „Groß Wei- dinger” bei Maasbach. Als wir in Maasbach waren, ist mein Fahrrad gebrochen. Ich habe es eingestellt und bin zu Fuß weitergegan- gen. Dort lernte ich den Furtner Wirtssohn kennen, der mich auf der Fahradstange nach Kirche in Münsteuer (Foto: Wikipedia) Hause brachte. Aber als wir übern „Buadhügel“ war, weil Max erst im Juli 1947 nach Hause kam, be- herein zum Antlinger auf die Straße kamen, sucht. Als er am Bahnhof stand, kam ein Mann auf ihn sahen wir ein Auto daher kommen. Eine Kontrolle! Da zu und bat ihn um Feuer für Zigaretten. Sepp stellte den es schon Mitternacht war, trat er in die Pedale, was nur Koffer weg und schon war ein zweiter Mann da, nahm so ging und vis a vis vom „Schwendbauer“ stand damals den Koffer und rannte davon. Sepp sah es, rannte ihm eine Scheune. Dahinter haben wir uns hinein geflüch- nach, erwischte ihn, haute ihm eine runter, und so be- tet mit großem Herzklopfen. Gott sei Dank fuhr das kam er den Koffer wieder zu fassen. Als er zu Max kam, Auto vorbei und wir konnten ruhig nachhause fahren. wurde ihm alles weggenommen, nur eine Schachtel Zi- Er wäre noch ein paar Mal „Fensterln“ gekommen, aber garetten wollte er ihm zustecken, doch man erwischte die „Resl“, die Großdirn, hat ihn ihn und er wurde eine Woche lang eingesperrt. Zuhause immer verjagt! wussten wir nicht, wo Sepp wohl bleibt. Noch einmal, Max ist erst im Juli 1947 entlassen worden, denn er hat- te das SS Zeichen unter der Achsel und da konnte er nichts weglügen1. Max war dreimal verwundet. Er war ein sehr fescher SS Mann. Ich kann mich noch erinnern,

im Urlaub kam er zu uns in die Stube mit der schwar- Wagner Lukas und Hauer Florian haben mit zen Ausgehuniform, dem langen Säbel. Ich bin mit dem den Erinnerungen an das Landleben vor 100 Jahren einen echten historischen Schatz 1 Die Mitglieder der Waffen SS wurden von den Siegern in den Lagern stren- gehoben! ger behandelt und waren länger in Kriegsgefangenschaft. Neben der (meist) freiwilligen Mitgliedschaft in der Waffen SS wurden vielen SS Einheiten die Verwicklung in Kriegsverbrechen vorgeworfen. Anm.

Heu wird zu Garben gebunden. (Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F005922-0001,Unterberg, Rolf) 180 Mit 15 auf der Flucht: Im März 1945 von Jugoslawien ins Innviertel

n der Zeit der Das Ehepaar Hubauer aus Altheim IMaria Theresia schildert im Doppelinterview ihre wanderten viele erschütternde Lebensgeschichte. Die aus, auch meine deutschstämmige Elisabeth (Mädchen- Familie. Meine name: Torlutter) aus wohlhabenden Ver- Ururgroßeltern hältnissen flüchtete mit ihren Eltern 1945 siedelten sich im ins Innviertel und erzählte ihrer Enkelin Hannah damaligen Jugo- ihre Geschichte. slawien an. Dort lebten Türken, Serben und Kroa- ren. Aber ohne Auto, entweder mit dem Pferdewagen ten gemischt. In oder einmal, als ich zum Zahnarzt musste, wir hatten Elisabeth Torlutter als Jugendliche (Foto: Hubauer) Banja Luka, das ja keinen Doktor in unserem Dorf, bin ich mit dem kennst du sicher, Fahrrad gefahren. Später gab es dann schon Busse. Aber ist ja glaub ich eh bekannt, war ein großes Trappisten- nur in der Früh hin und am Abend wieder zurück. kloster. Da war ein Trappist, der konnte alle Sprachen. Aber wir haben ja immer friedlich gelebt. Erst als der Der hat dann immer zwischen den Leuten vermittelt Hitler gekommen ist, ist es in den Bergen losgegan- und ihnen geholfen. Wir lebten in Alexandrowac. Un- gen mit den Partisanen. Als sich dann der Krieg zu- ser Dorf wurde immer nach dem König benannt. Da- gespitzt hat, haben die Männer in der Nacht immer mals war es der König Alexander, darum Alexandrowac. patrouilliert, weil die Partisanen uns in der Nacht be- Ich bin auch in Alexandrowac geboren. Dann war der stohlen haben. Wir hatten hinter dem Haus eine Ve- Kronprinz Rudolf, jetzt hat unser Dorf Rudolfstal ge- randa, eine Sommerveranda, da hatten wir Geschirr heißen. Und wie dann der Hitler gekommen ist, hie- und so Zeugs eben. Aber die Partisanen sind von den ßen wir Adolfstal. Unser Dorf hat ständig den Namen Bergen soweit ins Tal gekommen, bis zu der Haupt- geändert. straße, an der unser Haus lag und haben uns be- stohlen. Obwohl die Männer umhergegangen sind. Wir haben so schön in einem Tal gewohnt, ein bis- Auf jeden Fall haben wir dann schon gesehen, die Parti- schen weiter weg waren die Berge und dort haben die sanen kommen immer näher und näher, es wird immer Serben und die Kroaten gewohnt. In den letzten Jah- schlimmer. Jetzt hat mein Vater zu meiner Mutter ge- ren, vor unserer Flucht ist es sehr unsicher geworden. sagt, sie soll den Koffer packen, ein paar wichtige Din- Wir Deutschen haben es zu was gebracht. Es hat eine ge hineintun, damit wir im Notfall bereit sind. Mei- kleine Schule gegeben, uns haben lauter Klosterschwe- ne Mutter hat dann gesagt, dass wir noch ein Schwein stern unterrichtet, und eine Kirche gab es auch. Auf schlachten, damit wir etwas zum Mitnehmen haben, jeden Fall ist es uns, für damalige Verhältnisse, sehr gut etwas zu essen. Aber wir waren zu spät dran. Wir hat- gegangen, aber wir mussten dafür hart arbeiten. Ich ten am Ofen noch das Fleisch, um es fertig zu braten. weiß, dass ich schon mit dreizehn Jahren den ganzen Auf einmal schossen sie von allen Seiten herein. Und Tag am Feld stand. Im Herbst mussten wir Kartoffeln- unser Haus war erst neu gebaut worden, zuvor haben stecken, der Papa fuhr vorne mit dem Pflug und wir sind wir bei der Oma gewohnt. Meine Mama war ja schon hinten nachgegangen und haben Kartoffeln in die Erde relativ modern und hat das Haus rot malen lassen. Es gesteckt. Auch Rüben haben wir gehackt. Wir mussten war schön, aber jeder hat natürlich immer das rote Haus alle arbeiten. Der Alfred, mein Bruder, war der älteste, zuerst gesehen. Ungewohnt, es gab ja damals eigentlich der hat mit den Pferden gearbeitet. Ich war dann das äl- keine roten Häuser. Jedenfalls, ist rundherum geschos- teste Mädchen, ich musste immer am Feld helfen. Auch sen worden, und der Papa hat gerufen „Alle müssen auf Kühe habe ich gemolken, da haben wir eine Kuh ge- den Wagen!“ Dann ist er hinauf gelaufen und hat die habt, die war so böse. Man muss sich ja zur Kuh hinset- Decken von den Betten geholt und auf den Wagen ge- zen und dann melken, du hast das sicher schon gesehen, worfen und von der Nähmaschine hat er den Kopf her- wie das geht. Und die eine hat auf einmal ausgeschla- untergerissen, weil er wusste, dass sich die Mama Geld gen, unverhofft, und dann ist der Kübel mit der Milch verdienen kann, wenn sie etwas näht. Auf was der Papa und alles umgefallen. Und man selber ist auch im Dreck alles gedacht hat. Wir waren ja Kinder, ich war vierzehn, gelegen. Also wir mussten schon viel arbeiten, auch als der Alfred war fünfzehn, aber der war gar nicht daheim, Kinder, aber dadurch ist es uns dann später relativ gut der war bei der Oma, der Werner war erst vier, den hat gegangen. Dann hatten wir sogar ein Dienstmädchen. die Mama tragen müssen und die Gusti war zehn Jahre Wenn wir in eine Großstadt wollten, wie heute, wenn alt. Die Mama mit dem Werner, die Gusti und ich sind ich nach Ried fahre, sind wir nach Banja Luka gefah- 181 gebückt in den Straßengräben gelaufen, der Papa ist am waren vor den Partisanen in Sicherheit. Wir sind zu ei- Wagen gelegen, weil wenn er gesessen wäre, wäre er ein ner Zugstation gefahren, die Männer wollten mit den leichteres Ziel gewesen. Und so sind wir ins nächste Tal Wägen weiterkommen und wir mit dem Zug. Aber sie gefahren. Sechs Kilometer waren das. Und rundherum haben gesagt, dass die Züge belegt wären, wir sollten haben sie geschossen. Ich weiß noch, als wir aus dem nach Ungarn fahren. Sie haben uns nach Ungarn zu Hof raus gerannt sind, dass die Mama geschrien hat, zu den Bauern gebracht. Da haben wir dann gearbeitet. den Soldaten, die die Deutschen beschützt haben, was Ich und die Mama waren die Großen, Gusti und Wer- denn los ist. Wir wussten ja nichts. Und ein deutscher ner waren noch zu klein Der Alfred und der Papa sind Soldat hat gesagt: „Wenn euch das Leben lieb ist, dann mit dem Wagen los, da ist eine ganze Kolonne gefahren, lauft! Wir können sie nicht mehr aufhalten. Wir sind die auf dem Weg nach Wien gewesen ist. Meine Mama zu wenig.“ Also sind wir geflüchtet. Im nächsten Dorf hat dann gesagt, dass wir schauen müssen, dass wir von haben wir dann übernachtet, da war dann auch der Al- dem Dorf wegkommen. Also haben wir und ein paar fred. Dort waren Soldaten, die gemeint haben, dass am andere Familien uns auf den Weg zum nächsten Zug nächsten Tag Nachschub kommen würde. Wir haben gemacht. Das waren ungefähr fünf Kilometer. damals gar nicht gewusst, dass es schon so schlecht ist, dass der Krieg schon zu Ende geht, die konnten also gar Aber da war dann kein Zug. Ein Offizier, der noch keinen Nachschub mehr schicken, weil sie keine Sol- dort war, sagte, dass nur noch ein Zug kommen würde, daten mehr hatten. Erst am nächsten Tag haben dann dass der aber voll wäre mit Soldaten. Wir haben alle die Soldaten gesagt, dass sie weg müssen, weil sie keine gebettelt mitfahren zu dürfen. Wir waren vielleicht Verstärkung mehr erhalten. Wir dachten bis zu diesem noch dreißig Personen, das hat sich alles aufgeteilt. Zeitpunkt ja noch, dass wir wieder zurück können. Der Offizier hat dann gesagt, dass die Soldaten zusam- Wir mussten noch durch ein deutsches Dorf und dann menrücken sollen für die kleinen Kinder. Und die Äl- über eine Brücke, eine Holzbrücke. Wir wussten, dass, teren sollen im offenen Viehwaggon mitfahren. Und so wenn wir nicht über die Brücke kommen, wir dann sind wir dann nach Wien gekommen. In Wien sind wir abgeschnitten wären. Wir könnten nicht mehr weiter. dann ausgestiegen. Wir waren zwei verschiedene Grup- Aber das Glück war, dass wir ja noch ein paar deut- pen und haben dann in Unterkünften, die Flüchtlinge sche Soldaten bei uns hatten. Die Soldaten hatten noch aufgenommen haben, gewohnt. Da haben wir dann die einen großen Lastwagen, also haben sie gesagt, Frauen Bomben erlebt. Wir mussten in den Keller. Und die und Kinder auf den Laster. Die Soldaten mussten rund- nächsten zwei Wochen ist immer wieder bombardiert herum bewachen. Wir mussten uns niederbücken, so- worden. Meine Mama hat dann viel herumgefragt, ob dass niemand mehr zu sehen war. Und der Papa und der wer etwas weiß, ob Alfred und der Papa angekommen Alfred sind mit dem Wagen gefahren. Aber wie gesagt, waren. Naja, dann hat die Frau von unserer Unter- unser Glück waren die Soldaten. Wir alleine wären nie kunft gesagt, sie müsste uns weiterschicken, weil neue durchgekommen. Aber die Soldaten waren so schlau und Flüchtlinge kommen. Also hat die Mama wieder gebet- haben gesagt, sie müssen aufpassen, dass die Partisanen telt. Dann hat die Frau eine andere Partie Flüchtlinge die Brücke nicht sprengen. Also haben dann unter die- weitergeschickt und hat gesagt, dass wir und ein paar ser Brücke Soldaten aufgepasst und da waren wirklich andere noch eine Nacht dableiben dürfen. Und am welche, die die nächsten Tag hat dann die Mama erfahren, dass viele Brücke spren- Pferdewägen angekommen waren. Jetzt wussten wir, gen wollten. dass sie da waren! Wir haben dann den Papa und den Wir wären Alfred wiedergesehen. Die anderen Männer haben alle dann nicht gefragt, wo ihre Familien sind. Aber die waren ja wei- mehr wegge- tergeschickt worden. Niemand wusste, wo die gelan- kommen, die det sind. Nur wir und eine andere Familie waren da. hätten uns alle Wir sind dann aufgeteilt worden, alle zu Bauern, weil umgebracht. wir ja Pferde hatten. Wir hatten das Glück, dass wir Und einer am einem Schloss zugeteilt worden sind, das ungefähr 40 L a s t w a g e n , Kilometer von Wien entfernt war. Da haben wir dann ein älterer gewohnt, der Papa und der Alfred haben gearbeitet. Mann, der Wir hatten ja Geld von daheim mit, aber sie haben war neugierig nicht alles umgetauscht. Der Mann der Baronin war und ist aufge- auch eingerückt, jedenfalls hat die Baronin gesagt, dass standen um die Russen immer näher kommen, dass wir alle weg zu schauen. müssen. Sie wollten, nach Gmunden, weil sie dort Be- Im nächsten kannte hatte. In der Zeit, in der wir dort waren, hat Augenblick die Wehrmacht uns das schönste Pferd genommen, war er tot. jetzt hatten wir nur noch ein Pferd. Jedenfalls hat die Dann sind Baronin gefragt, ob Alfred sie fahren kann. Aber der wir über diese Papa und die Mama haben gesagt, dass wir uns nicht Aus dem Fotoalbum der Familie Hubauer. Brücke und (Foto: Hubauer) mehr trennen. Der Alfred hat dann die Baronin ge-

182 er Essen bekommen, wir mussten alles kau- fen von der Bäuerin. Und irgendwann war unser Geld aus, dann konnten wir nichts mehr kaufen. Wir haben zwar noch so viele Kuna gehabt, aber die haben sie uns nicht umgetauscht. Als dann der Bau- er heimgekommen ist, sind der Papa und der Alfred dann in Ranshofen arbeiten gegangen. Dann hieß es, ich bekomme keine Lebensmittelkarte mehr, weil ich ja schon sechzehn werde, also musste ich auch arbei- ten. Die Mama hat dann erfahren, dass die Gärtnerei in Altheim jemanden sucht. Die haben mich auch so- fort angenommen. Sie hatten aber kein Zimmer zum Schlafen, also bin ich jeden Tag mit dem Rad gefah- ren. Später konnte ich dann mit dem Bus fahren. Auf der Flucht 1945, hier eine Szene aus dem Film „Ida Maier“ Die Bäuerin wollte uns dann schon weiterhaben und be- (Foto: MS Eichsteininger) handelte uns nicht mehr so gut. Überall hieß es Flücht- linge, Flüchtlinge. Sicher, wir waren Flüchtlinge, aber fahren und wir sind mit unserem Wagen hinterher waren Flüchtlinge, die alle Deutsch gesprochen haben. gefahren. Also sind wir dort auch wieder geflüchtet. Dann hat der Papa erfahren, dass in Ebensee ein La- Wir haben von daheim ein Fahrrad mitgenommen. Ich ger aufgemacht worden ist, wo die SS-Offiziere ge- weiß gar nicht, wie der Papa das Fahrrad mitgenommen wohnt haben und dass da auch Flüchtlinge seien. Und hat. Dann bin ich den ganzen Weg bis Gmunden mit dann hat er sich durchgefragt und erfahren, dass sein dem Fahrrad gefahren, weil nicht alle am Wagen sitzen Bruder mit seiner Familie dort ist. Er ist dann da hin- konnten, weil da nicht so viel Platz war. Die Baronin gefahren und hat geschaut, ob er auch ein Zimmer ist dann in Gmunden geblieben und wir sind weiter kriegt. Ich war noch bei der Gärtnerei und sie woll- gefahren. Es hat ja immer so Stellen gegeben, da konn- ten mich zwar mitnehmen, aber ich wollte hier blei- test du dich melden und dann hast du wieder Lebens- ben, weil ich den Opa schon kennengelernt hatte. mittelkarten gekriegt, in Schwanenstadt war so eine Meine Familie ist dann nach Ebensee gegangen und Stelle. Sie haben uns dann einen Marschbefehl nach ich habe in der Küche bei der Gärtnerei geschlafen. Landshut in Deutschland gegeben. Mit der Lebens- Und dann haben Opa und ich geheiratet. mittelkarte hatten wir dann genug zu essen. Auf jeden So bin ich hier geblieben und meine Familie ist dann, als Fall sind wir dann weitergefahren, durch Altheim, weil die Grenzen offen waren, nach Deutschland gefahren. wir in Braunau über die Brücke wollten. Die Mama ist Und dann waren schon unsere Kinder da. Ich dann vorgefahren und hat gefragt, ob wir wo übernach- und die Kinder haben dann auch in Ebensee ge- ten können, weil wir es an dem Tag nicht mehr über wohnt und der Opa ist in Altheim arbeiten ge- die Brücke schaffen würden. Bei einem Bauer durften gangen und hat uns nur am Freitag besucht. Bis wir dann bleiben. Der Bauer war eingerückt, nur der dann in Altheim eine Wohnung frei geworden ist. alte Opa war da und die Frau. Während der Fahrt, Im Nachhinein gesehen, war alles immer ein harter die hat ja drei Monate gedauert, haben wir immer im Kampf, alles. Und für die anderen warst du halt immer Stroh geschlafen und uns kein einziges Mal gewaschen. nur ein Flüchtling. Also, mitgemacht haben wir uns Am nächsten Tag, als wir weiterfahren wollten, hat dann viel. Drei Monate auf der Flucht, die Bäuerin gesagt, dass wir nicht weiterfahren müs- nicht gewaschen und immer wa- sten, weil die Amerikaner schon vor der Brücke stehen ren wir unterwegs. würden und wir nicht mehr hinüber kommen könnten. Da hat sich dann der Papa mein Fahrrad geschnappt und ist nach Braunau gefah- Hannah hat das Interview sehr gerne gemacht, ren. Und dann hat es weil sie mehr über das Leben ihrer Urgroß- mutter erfahren hat, als diese so alt war wie gestimmt, wir konnten sie. nicht mehr hinüber. So sind wir hier überhaupt hängengeblieben, wir wären eigentlich nach Deutschland gefahren. Jetzt sind wir bei dem Bauernhof geblieben. Der Papa hat dann Das Ehepaar Hubauer (Foto: Hubauer) gearbeitet, dafür hat

183 Die Splitter von damals im Arm: eine Kriegserinnerung s war schon 1945, Eals ich einberu- Jakob Hubauer (1927-2017) schildert fen wurde. Eigentlich seine Zeit im Kriegseinsatz 1945. Er ist ziemlich spät und wir nur zwei Wochen nach dem Gespräch wussten ja nicht, dass mit seiner Enkelin verstorben. es schon bald vorbei sein würde. Wir mus- sten nach Wien, aber sind wir bei Tag gefahren, weil wir dachten, hier kön- Wien war schon im Be- ne nichts mehr passieren. Wir waren erst zwei Stunden reich der Bomben. Jetzt unterwegs, als uns ein weiterer Tiefflieger angegrif- sind wir nach Wels ge- fen hat. Der hat mich auch noch erwischt. Deswegen bracht worden. Und da habe ich im Arm und in den Fingern immer noch waren wir eine Woche. Splitterreste. Aber wir sind damals weiter gefahren. Auf einmal hieß es: Ab- Irgendwann sind wir wieder auf unsere Stammein- marsch. In einem Vieh- heit gestoßen. Einer, der uns schon gut gekannt wagon sind wir nach hatte, hat uns einen Marschbefehl nach Mün- Deutschland transportiert worden, nach Norddeutsch- chen gegeben, weil das in der Nähe der Heimat war. land. Dort machten wir eine Schnellausbildung. Dann Aber wir sind nicht bis nach München gekommen. kamen wir zur Westfront. Da hatten wir keine Chan- Das war Ende März. Also sind wir in einen Zug ein- ce. Das kannst du dir ja gar nicht vorstellen, man liegt gestiegen und losgefahren. Wir saßen am Dach, da und dauernd sind die Granaten eingeschlagen. Wir weil alles so überfüllt war. Wir sind bis nach Witten- hatten nichts mehr zum Zurückschießen. Alles, was berg gekommen. Dann ging es nicht mehr weiter. wir hatten, waren Gewehre und die sind mit den Ka- Wir sind nachher zu einem anderen Zug ge- nonen dahergekommen. Früh am nächsten Tag, waren kommen und dort konnten wir noch einen von den 160 Männern nur mehr 60 einsatzbereit. Ich Platz ergattern. Wir sind nicht weit gekom- habe zu den sechzig Überlebenden gehört. Und am Tag men, dann wurde der Zug angehalten und ausge- darauf haben die Amerikaner angegriffen. Wir hatten räumt. Die eigenen Soldaten sind bewacht worden. denen nichts entgegenzusetzen. Also sind wir gegangen. Wir mussten dann in Berlin kämpfen. Dort ha- Zurück Richtung Deutschland. Zuerst waren wir nur ben mich dann die Russen gefangen genommen. zu zweit mit zwei Wägen. Am Wagen hatten wir Mu- Wir marschierten in Richtung Osten. Alles zu Fuß. nition, denn es war ja so: Wenn sie dich erwischten, In drei Tagen sind wir neunzig Kilometer gegangen. nur dich mit Rucksack und so, dann haben sie dich Dann sind wir mit dem Zug weiter gefahren. Das er- geschnappt und in die nächstbeste Kompanie gesteckt. ste Gefangenenlager, wo ich hinkam, war nicht weit Aber so hatten wir Munition am Wagen, jetzt konnten von Moskau. Es war dort ein riesiges Kraftwerk. wir sagen, dass wir das liefern müssen. Wir hatten Pan- Im zweiten Lager haben wir dann die Autobahnen as- zerabwehrraketen am Wagen und ein Tiefflieger hat ei- phaltieren müssen. Es sind viele gestorben. Im ersten nen Treffer gelandet und den Wagen mitsamt dem Ross Lager sind innerhalb von drei Monate sechzig Leute ge- in die Luft gesprengt. Ich bin mit meinem Wagen vor- storben. Insgesamt war ich drei Jahre in Gefangenschaft. aus gefahren und ein Freund mit seinem hinterher. Als Zuhause wusste niemand, ob ich noch lebe oder nicht. ich die Tiefflieger gehört habe, bin ich vom Wagen ge- Ein halbes Jahr, nachdem ich heimgekommen war, starb sprungen und habe mich in den Straßengraben gelegt. meine Mutter. Auch einige meiner Brüder waren im Der andere hat ein wenig gezögert, er ist erst im letzten Krieg umgekommen. Ich habe im Lager hart gearbeitet. Moment heraus gesprungen und hat sich in Sicherheit Später zuhause habe ich dann die Else kennengelernt, gebracht. Und genau sein Wagen ist explodiert. Wenn mich verliebt und wir haben geheiratet. er nicht abgesprungen wäre, hätte es ihn zerrissen. Jedenfalls hatten wir jetzt nur noch einen Wagen. Wir waren schon länger unterwegs, als sie uns nochmal an- Danke! † gegriffen haben. Das war schon kurz vor Bremen. Wir sind sowieso immer nur in der Nacht gefahren. Und am Tag haben wir uns versteckt und haben geschlafen. Und zu essen hatten wir nichts. Bei den Bauern haben wir gebettelt, dann haben wir hin und wieder was ge- kriegt. Aber die Pferde brauchten ja auch immer was. Dann waren wir schon mitten in Deutschland. Dort

184 Bomben in Katzenberg Als ich ein Kind mit ungefähr fünf Jahren war, sind viele Soldaten in den Schlosspark in Katzenberg mit Marianne Hopfgartner wurde als Ma- großen Autos und Panzern einmarschiert. In der gan- rianne Greil 1934 in Katzenberg geboren. zen Gemeinde gab es nur Schotterstraßen mit vielen Sie erinnert sich auch an die Bomben auf großen Löchern, wo bei Regen die Latschen standen. das Schloss. Zu diesem Zeitpunkt waren wir drei Geschwister. Als wir die Soldaten singen hörten und bei unserem Haus ten mussten. Wir waren zwar damals noch kleine Kin- vorbei gehen sahen, schauten wir aus dem Fenster. Wir der, aber es tat sehr weh, die gewohnte Umgebung zu mussten plötzlich zu lachen anfangen, weil die Soldaten verlassen. Früher haben wir die Feldarbeit mit unseren durch die Pfützen marschieren mussten und wir das mit zwei Kühen gemacht. Die zwei Kühe haben wir vorne unseren Schuhen nicht durften. Als die Soldaten den beim Pflug eingespannt und ich musste neben ihnen Befehl bekommen haben, sich auf den Boden zu legen, her gehen, um ihnen den Weg gerade durch den Kartof- waren wir ein bisschen traurig, weil sie von Kopf bis felacker zu weisen. Mein Vater musste hinten den Pflug Fuß voller Dreck waren. Dieses lauten Geschrei und die fahren. Auf einmal kam ganz plötzlich ein Flieger. Vor Befehle habe ich mein ganzes Leben lang nicht verges- lauter Furcht haben sich sogar die Kühe auf den Boden sen. geduckt. So schnell wie möglich sind mein Vater und ich zum nächsten Haus gelaufen. Kurz davor hat mein Ein Schulerlebnis war der Fliegeralarm. Wir haben in Vater die zwei Kühe mit dem Halfter an einen Baum der Schule gelernt, dass wir in den Pfarrhof laufen müs- festgebunden, weil sie sonst vor lauter Angst weg gelau- sen, wenn Alarm ist. Als es geheißen hat, die Flieger fen wären. Sobald wir in Sicherheit beim Haus waren, kommen, haben wir alles stehen und liegen gelassen kam schon gleich der nächste Flieger. Die alte Frau, die und sind so schnell wie möglich gelaufen. Wir mus- in diesem Haus wohnte, zerrte mich sofort ins Haus und sten im Pfarrhof hinunter in den Keller laufen damit sagte: „Dirndl geh eina, sonst daschiaßen sie di!“ Wenn wir sicher waren. Nur war der Keller sehr klein, sodass die Piloten im Flugzeug jemanden entdeckten, würden wir kaum PIatz hatten. Als wir uns dort unten versteckt sie einen sofort erschießen. Als ich mit dieser Frau mich hatten, haben alle gezittert und geweint, weil wir so gro- im Haus verstecken musste, wollt ich mich nicht un- ße Angst hatten. Bis heute habe ich diese Ängste und ter dem Tisch verkriechen. Hätte ich mich nicht unter Sorgen nicht vergessen. Ich bin jetzt schon 82 Jahre alt dem Tisch verschanzt, hätten die Flieger uns aber leicht und ich kann mich daran noch so gut erinnern, als wäre durchs Fenster erschießen können. In dieser Zeit, in der es gestern gewesen. Zu dieser Zeit hatten wir schon wir uns verkrochen haben, sind mindestens zehn Flieger Radio und man hörte immer von Deutschland, wenn über die Dächer geflogen. Als es wieder ruhig geworden Städte wie Leipzig oder München bombardiert und zer- war, ist mein Vater durch die Tür hereingestürmt und stört wurden. Allein wenn man diese Nachrichten ge- hat bestätigt, dass alle wieder weg sind. Das war ein Er- hört hatte, bekam man sehr große Angst und hoffte, das lebnis, das man nicht mehr so leicht vergisst und das es bald vorbei sein würde. mich noch lange in Panik versetzt hat. Bei der Stallar- beit habe ich meinem Vater immer helfen müssen. Eines Wir haben uns vor US-Soldaten nicht gefürchtet, weil Tages haben wir bemerkt, dass sich ein Flieger nähert. sie uns Kaugummis und Bananen gegeben haben. Wir Danach kamen noch einige hinterher. Wir haben festge- haben uns sehr darüber gefreut weil, wir das eben nicht stellt, dass aus dem Flugzeug Bomben abgeworfen wur- kannten. Dafür musste die ganze Familie ausziehen und den. Ich dachte damals, weil ich noch etwas kleiner war, in ein daneben liegendes Haus einziehen. Dort haben dass es halb Meter große Flaschen sind. Es hat sich aber wir im Heuboden schlafen müssen. Das war der ein- herausgestellt, dass es Bomben waren. Im Schlossgarten zige Platz, den wir gehabt haben. Die Küche und die in Katzenberg sind dann drei Bomben niedergegangen. Stube im alten Haus waren voll mit amerikanischen Die Krater der Bomben waren riesig und sind noch bis Soldaten. Sie hatten die Füße auf dem Tisch und sind heute ein bisschen zu erkennen. Wir trauten uns erst so rund um den Tisch gesessen. Wir Kinder haben das nach ein paar Tagen nachzuschauen, was die Bomben einmal gesehen, als wir mit unserer Mutter mit in den alles zerstört haben. Stall gehen mussten, weil wir alleine nicht im Heubo- den bleiben durften. Was wir nicht kannten, bevor die Bis heute ist mir der Bom- amerikanischen Soldaten kamen, waren Ham and Eggs. benangriff fruchtbar in Er- Wir kannten nur die Eierspeise, aber nicht den Schin- innerung. ken dazu, weil es den bei uns in der Gegend nirgends zu kaufen gab. Was mich am meisten geschockt hat war, dass wir unser Heimathaus verlassen mussten und ins Vanessa Wiesner und Melanie Kettl Nachbarhaus vertrieben wurden. Wie jetzt wieder die haben gerne mit Marianne Hopf- Flüchtlinge nach Österreich kommen, hat mich das gartner gesprochen. stark an die Zeit von früher erinnert, als wir auch flüch-

185 Fast gestorben - weil der Vater bei der NSDAP war. n der Schule mussten wir vor und nach dem Unter- Fritz Redhammer, geboren 1936, erin- lricht den Hitlergruß machen. Zur Schule wurde na- nert sich, wie er 1945 keine medizinische türlich bei jedem Wetter zu Fuß gegangen, von Oster- Hilfe bekam, weil sein Vater bei der nach nach Ort im Innkreis. Wenn wir etwas angestellt NSDAP war. hatten, etwa Enten mit der Steinschleuder abschießen, und der Schuldirektor hat uns erwischt, mussten wir kümmerten. Dort habe ich gelebt wie ein Kaiser (Kek- zum Katheder kommen und er hat uns mit einer Ha- se, Schokolade). Nach acht Wochen bekam ich einen selnussrute den Hintern versohlt. Manchmal haben Gips von der kleinen Zehe bis zum Hals. Nach dem wir ihm die Rute mit dem Taschenmesser eingeschnit- Eingipsen bin ich nachhause entlassen worden und ich ten und beim Schlagen ist sie gebrochen. So haben wir trug sechs Monate diesen Gips. Nach dieser Zeit wurde uns durchgewurstelt. Die Mädchen haben sich im Eck der Gips durch einen US-Oberarzt abgenommen und auf ein Holzscheit knien müssen. Wenn wir nicht brav ich war wieder halbwegs geheilt. Ein 12 cm kürzerer waren, haben wir das Holz, welches der Direktor am Fuß ist mir leider geblieben. Ich habe aber trotzdem Vortag gehackt, hat zu einem Holzstoß aufrichten müs- mit meinen Händen ein Haus gebaut und vieles selbst sen. Die Lehrer waren sehr streng und es ist öfters der gemacht und nicht gejammert, wenn mir etwas wehtat. Schlüsselbund oder die Kreide geflogen. Aber lustig war Wenn die Amerikaner nicht gewesen wären, wäre ich es in der Volksschule in Ort im Innkreis. Die Lehrer, gestorben. Der Stabsarzt sagte damals: „Dieser Boy hat die wir hatten, hießen Wagner, Tuschl und Hölzl. Der noch zwei Tage zu leben.“ Auch wegen dieser Erfahrun- Schulweg war ungefähr zwei Kilometer lang und ab und gen sagte mein Vater zu uns Kindern: „Geht niemals zu hat uns ein Lastwagen mitgenommen. lm Sommer zu einer Partei, ihr werdet nur angeschmiert“. Mein sind wir barfuß gegangen und im Winter sind wir mit Vater war im Ersten Weltkrieg schon dabei und hat den Schiern gefahren. dort ein Auge verloren, wodurch er im zweiten Welt- krieg nicht mehr einrücken musste. Wir sind oft auf die Während der Kriegszeit hatten wir bei Fliegeralarm im- LKW gesprungen und haben Schokolade und andere mer schulfrei. Die Amerikaner kamen oft im Tiefflug Naschereien stibitzt. In Ort, im „Mairstadel“, war das geflogen und wir haben die Bombardierung des Flug- Ami-Hauptquartier und wir haben oft amerikanische platzes in Münsteuer, kurz vor Kriegsende, vom Aich- Filme durch entfernte Bretter im Stadel mitgeschaut. berg aus mitangesehen. Beim Rückflug haben die Bom- Nach der Schulzeit sind alle neun Geschwister für ein ber ihre leeren Zusatztanks über Osternach abgeworfen Jahr zu einem Bauern gekommen, um Hilfsarbeiten zu und haben einen neuen Angriff gestartet. Wenn ein Tank leisten. Danach begann die Berufsausbildung. Ich kam am Boden aufschlug, haben wir den sofort gesucht, da als Schneiderlehrling nach Ried. Nach der Lehre kam meist noch Treibstoff drinnen war, den wir verkauften. ich als Schneider zur Firma Inzinger nach St. Martin, Die Tanks haben wir aufgeschnitten und haben sie als wohin ich täglich von Osternach aus mit dem Fahrrad Boote verwendet, mit denen wir in der Osternach fuh- fuhr, bei jedem Wetter. ren. Mit neun Jahren war Kriegsende und wir sind den Amerikanern entgegengegangen. Die Schule war zu die- 1956 ist mein Vater gestorben und ich musste auch ser Zeit bereits geschlossen. noch die Stallarbeiten übernehmen. Es wurde jeden Tag zehn Stunden gearbeitet und am Samstag bis Mittag. Nach dem Krieg waren die Amerikaner in Ort im In- Mein nächster Arbeitgeber war die Schneiderei Wa- nkreis stationiert, das Lager war mitten im Ort. Wir genleitner in Aurolzmünster, wo ich meine jetzige Frau haben uns sehr viel bei den Amerikanern aufgehalten kennenlernte. Zuhause hatten wir eine Landwirtschaft denn dort gab es gutes Essen und Brot. Die Neger wa- mit acht Joch Grund und zwei Joch Pachtgrund, fünf ren sehr freundlich zu uns. Ja, damals haben wir „Ne- Kühen und einem Pferd. Die Felder wurden mit dem ger“ zu ihnen gesagt. Da haben wir immer Kaugummi, Pferd bestellt. Nach dem Tod meines Vaters musste ich Schokolade und Keks bekommen. Wir haben ihnen mich auch um meine jüngeren Geschwister kümmern, auch immer beim Autowaschen mit der Feuerwehrsprit- damit alle einen Lehrplatz fanden. Die Natur war nach ze geholfen. Außer sie waren besoffen, dann waren sie dem Krieg ohne Kunstdünger, also Bio. Das Leben gefährlich und wir sind ihnen ausgewichen. lm Septem- war sehr bescheiden, im Gegensatz ber 1945 bin ich krank geworden. lch habe Knochen zu heute. Nach dem Krieg haben wir TBC bekommen und wurde von keinem Krankenhaus, drei sudetendeutsche Flüchtlinge un- weder in Braunau, Ried noch Schärding aufgenom- terbringen müssen, zwei Frauen und men, da mein Vater bei der NSDAP Parteimitglied einen Mann. Obwohl wir schon elf war. Verzweifelt ist mein Vater zu den Amerikanern Personen im Haus waren. Auch das gegangen und ein Militärarzt hat mich mit dem Jeep haben wir geschafft. nach Schärding ins Krankenhaus gebracht. Dort gab es eine eigene Abteilung für amerikanische Soldaten und Jonas ist erstaunt, was sein Großvater die wurde von Militärärzten geführt, die sich um mich in seiner Jugend alles erlebt hat!

186 Wilhelm Brettbacher: Von Volksempfängern und Spargeschäften In welche Schule bist du gegangen und woran erin- nerst du dich, wenn du daran denkst, wie es in der Wilhelm Brettbacher, geboren 1941, er- Volksschule war? innert sich an seine Zeit, als sie die alten Volksempfänger verkauften. Er wurde ch bin in die Volksschule Lohnsburg und in die später Spar-Kaufmann in Obernberg. IHauptschule Ried im Innkreis gegangen. Ich kann mich erinnern, dass ich meinen ersten Schultag im Sep- rig. Ich wollte nicht ins Büro, das hat mich überhaupt tember hatte und am 8. September habe ich die Kinder- nicht interessiert. Dann habe ich halt weitergesucht. lähmung bekommen. Später war ich acht Wochen im Ein Bekannter aus Lohnsburg hatte ein E-Werk und ei- Welser Spital. Das Jahr darauf musste ich die Schulklas- nen Generator, der Strom erzeugt hat. Er hat gefragt, se wiederholen. Danach bin ich vier Jahre in die Volks- ob mich so etwas interessiert. Dort könne ich die kauf- schule in Lohnsburg gegangen und dann weitere vier männische Ausbildung machen. Nebenbei hat mich die Jahre in Ried in die Hauptschule. Da musste ich jeden Technik recht interessiert, Radio und so. Er hatte eine Tag hin- und herfahren. Ich musste meistens um sechs kleine Werkstatt und da durfte ich mitarbeiten. Und das Uhr mit dem Bus wegfahren und ich kam immer um machte ich dann. Ich kam dann ganz allein nach Linz, vier Uhr oder sechs Uhr abends heim. Damals waren was zu dieser Zeit auch recht schwierig war. Dort habe es ja auch ganz wenige, die in Ried in die Hauptschule ich dann eine Unterkunft bekommen, obwohl ich das gefahren sind. notwendige Alter noch nicht hatte. Von dort hatte ich nicht weit zur Lehrstelle. Die Firma hieß „Elektrofund- Wie bist du zur Schule gekommen? grube“ und wir hatten unter anderem auch den Bischof Zur Volksschule ging ich zu Fuß circa einen Kilome- als Kunden. Es war alles ziemlich interessant. Den Volks- ter. In die Hauptschule bin ich mit dem Autobus von Empfänger, das war das erste Radio im Krieg, haben Lohnsburg nach Ried gefahren. Um 6:10 Uhr fuhr mein wir sehr viel verkauft und repariert. Der Chef hat mir Bus weg. Davor musste ich einen Kilometer zu Fuß zur sehr viel beigebracht. Ich habe meine Lehrzeit dort auch Busstation gehen. Das war im Winter nicht recht an- beendet. Dann bin ich zu einem Elektro-Großhändler genehm. lm Sommer konnte ich jedoch mit dem Rad gewechselt. Dort hatte ich mehr zu tun und konnte dorthin fahren. Früher waren auch die Winter immer nicht mehr so viel basteln. Wir hatten eigentlich alles ziemlich streng. dort als Großhändler und waren 24 Angestellte. Später musste ich im Verkauf und im Büro sehr viel arbeiten. ln Ried ging ich in die alte Hauptschule, die noch im- Auch in der Telefonzentrale, wie es sie damals noch gab, mer bei der Wirtschaftskammer steht. Wir mussten mit ungefähr zehn Anschlüssen. Wenn jemand angeru- aber damals ins Volksfestgelände übersiedeln. fen hat, hat man es noch „umstricken“ müssen. Damals gab es dann noch die Fernschreiber, so wie heute die Hattest du neben der Schule noch Arbeiten zu Hau- E-Mails. Dort war ich einige Zeit, bis es mir zu lang- se? weilig wurde. Dann bin ich zur Versicherung gegangen, bei der heutigen „Generali“, die damals noch zur „Er- Zu Hause hatte ich sehr viel zum Mitarbeiten, denn wir sten Allgemeinen“ gehört hat. Die waren auf der Suche hatten eine kleine Landwirtschaft. Wir waren sieben nach Mitarbeitern im Außendienst, nicht als Vertreter, Kinder und ich war das vorletzte. Mein Vater verstarb sondern als Gebietsbetreuer in sämtlichen Sparten. Weil 1944 im Krieg und meine Mutter hat die Landwirtschaft sie hatten in jedem Ort einen Ortsvertreter, das gibt es weitergeführt. Da mussten wir alle mithelfen, denn es heute ja nicht mehr, die sind jetzt alle hauptberuflich war immer viel zu tun. So ist es uns in den Kriegszeiten tätig. Ich habe den Bezirk Eferding zugeteilt bekom- ganz gut gegangen, weil wir uns selbst ernähren konn- men. Dort habe ich ungefähr 20 nebenberufliche Ver- ten. Somit haben wir vom Krieg nicht viel mitbekom- tretungen betreut (Lehrer, Sekretär, Bauer...). Diese hat men. Die einzige Erinnerung war, als die Amerikaner der Chef geworben, und ich musste sie betreuen. Mit 1945 kamen. Sie sind mit den Panzern vorbei gefahren denen bin ich zu den Bauern gefahren. Zum Beispiel und haben uns Kaugummis und Schokolade gegeben haben wir im Frühjahr die Getreidefelder aufnehmen und waren recht freundlich. Das ist die einzige Erinne- müssen, etwa wegen der Hagelversicherung. Da musste rung, die ich noch vom Krieg habe. der Bauer genau angeben, wie viel Weizen er angebaut hat. Die Versicherungssumme hat sich dann jedes Jahr Eigentlich hätte ich noch die Handelsschule machen darauf ausgewirkt. Da waren wir tage- oder öfters sogar sollen. Aber weitere zwei Jahre in die Schule gehen woll- wochenlang unterwegs. Als Belohnung hat es bei jedem te ich nicht. Ich habe versucht, irgendwo eine Lehrstelle Bauern eine leckere Jause und ein Stamperl Schnaps ge- zu finden. Dies war zu dieser Zeit aber recht schwie-

187 geben. Bei diesem Beruf mich, nachdem ich auf ein Zeitungsinserat aufmerk- hat man viele neue Leu- sam wurde, bei der Firma Spar beworben. Ich stellte te kennengelernt. Da- mich dort vor und erzählte dem Prokuristen Eder mei- nach bin ich wieder zum ne Geschichte, und die meiner Frau. Er war so begei- Gradgruber gegangen, stert davon, dass meine Frau beim Meinl arbeitete, dass bei dem ich gelernt habe. ich das Geschäft führen und pachten und außerdem als Da musste ich zu den Versicherungsvertreter weiterfahren konnte. Er meinte, Händlern fahren und das damit wäre ich auf der sicheren Seite, denn entweder Material verkaufen. Dies verdiene ich mit einem meiner zwei Berufe oder sogar musste ich alle zwei Wo- mit beiden gut. Da könne nichts schiefgehen. Und so Volksempfänger 1944 chen machen. ln diesem haben wir dann begonnen - 1965. Wir haben weiterge- (Foto: Wikipedia/KMJ) Betrieb blieb ich dann macht, das Geschäft vergrößert und weiter investiert. zehn Jahre lang. In der ln St. Georgen haben wir dann auch eine weitere Filiale Zwischenzeit bin ich nach Obernberg gekommen und geführt. Das wurde mir aber dann zu viel und somit habe mir ein kleines Geschäft mit ca. 30 Quadratme- habe ich die Vertretertätigkeit vollkommen aufgegeben tern gekauft. ln diesem sitzen wir gerade. Ich bin aber und mich nur den zwei Geschäften gewidmet. Mein weiterhin ein Jahr für die Versicherung tätig gewesen Sohn Wolfgang war dann bei mir in der Lehre und hat und dann wieder im Außendienst für die Elektrofirma. die Filiale in St. Georgen betreut. Außerdem habe ich Eines Tages musste ich mich entscheiden, ob ich versu- mich in Obernberg sehr um die Vereinstätigkeit be- che, das Geschäft größer zu machen oder ob ich weiter- müht, hatte sämtliche Funktionen bei der Feuerwehr hin für die Versicherung arbeite und das Geschäft auf- und habe einige Kurse absolviert, bis zum Komman- gebe. Später habe ich mich aber dafür entschieden, die danten. Ich war hier lange Kommandant-Stellvertreter Reisetätigkeit aufzugeben und mich voll dem Geschäft und auch zwei Jahre lang Kommandant. Und so hatte zu widmen. Das Geschäft habe ich dann 2003 meinem ich 20 aktive Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr in Sohn übergeben. Ich finde, ich habe damit die richti- Obernberg. Ich bin auch immer wieder zur Jagd gegan- ge Entscheidung getroffen und seitdem wohne ich in gen oder besser gesagt, gehe ich heute noch. Bis dato Obernberg. Seit 1965, also schon seit über 50 Jahren. bin ich noch Jagdleiter in Mörschwang, aber dieses Amt werde ich mit meinen 75 Jahren nicht mehr verlängern. Wie hast du deine Ehefrau kennengelernt? Als ich in Rente gegangen bin, habe ich mir ein Haus Die habe ich in Linz kennengelernt. Zu einer Zeit, wo gekauft bzw. gebaut, in dem ich heute noch wohne. Ich ich mit Freunden gerne mal abends ausgegangen bin. gehe immer wieder gerne ins Geschäft und arbeite teil- Ich habe damals noch in Eferding bei der Versicherung weise auch noch ein bisschen im Büro und in der Ver- gearbeitet. Es war gerade Faschingsdienstag und es ist waltung mit. Meine Frau hilft auch noch mit, allerdings der Bundespräsident gestorben. Daher gab es nirgend- öfters und intensiver als ich. Jedoch wird am 1. März wo Unterhaltung, weshalb ich nach Lohnsburg zu- das Geschäft verkleinert und wir werden nur noch ge- rückfahren wollte, wo ursprünglich ein Faschingsfest ringfügige Tätigkeiten übernehmen, damit Obernberg geplant war, das aber leider auch abgesagt wurde. Ich weiterhin ein Lebensmittelgeschäft am Marktplatz hat. bin dann mit einigen Bekannten etwas essen gegangen Die wichtigste Stelle wird hierbei das Postamt innerhalb und meine jetzige Frau war auch dabei. Sie hat damals des Geschäfts einnehmen, denn dieses kann man nicht bei Meinl gearbeitet und wir sind immer wieder in der ersetzen. Gruppe miteinander fortgegangen. So sind wir uns nä- hergekommen und schlussendlich haben wir im Okto- ber geheiratet. Dazumal hatte ich bereits das Geschäft der Firma Spar in Obernberg gepachtet. Zuvor habe ich

Max Brettbacher und Edtl Jan haben mit Wil- helm Brettbacher gesprochen und wissen nun genau, was ein Volksempfänger ist.

Obernberg 2005 (Foto: Fam. Schlegel) 188 Bettelleutfenster in Viehausen ch heiße Berta Schusterbauer, geb. Weidinger. Ich Ibin 1932 in Viehausen, Gemeinde Antiesenhofen, Berta Schusterbauer (geb. Weidinger) geboren. Während des 2. Weltkriegs habe ich mit mei- wurde 1932 in Viehausen (Gemeinde nen Eltern und Geschwistern in Viehausen gelebt. Wir Antiesenhofen) geboren. Sie erinnert sich wären zehn Kinder, jedoch sind auch einige gestorben. auch an die Bettlerfenster. Ich war eine Bauerstochter; wir hatten damals viele Tiere und Grund zum Bewirtschaften. Mein Vater mus- Sense das Getreide geerntet. lm Sommer brachten wir ste nicht in den Krieg ziehen, weil so viele Kinder da Mädels den Männern um neun Uhr die Jause aufs Feld. waren. Beim sogenannten Volkssturm war er dabei. Das Wir hatten einen Ochsen mit dem brachten wir die Jau- hat aber nicht lange gedauert. Als der Krieg begann, war se raus. In der Küche mussten wir auch immer helfen. ich erst sechs Jahre alt, darum weiß ich auch nicht so viel und habe nicht so viel mitbekommen.Wir mussten Mein Mann war schon beim Weltkrieg dabei, da er älter damals jeden Tag die Fenster verdunkeln und Holzbret- war, als ich. Wir haben 1952 geheiratet. ter davor geben, damit, wenn die Tiefflieger gekommen sind, sie nicht sehen konnten, wo wer wohnt. An einem ln Münsteuer gab es einen Militärflughafen. Dieser Nachmittag waren wir auf dem Feld Kartoffeln pflan- wurde zum Ende des Krieges von feindlichen Fliegern zen. Mein Vater war mit den Pferden mit dem Pflug beschossen. Hunderte von Flugzeugen wurden zerstört. auf dem Feld als plötzlich die Tiefflieger gekommen Auch die, die im Wald versteckt waren. Menschen wur- sind. Wir sind ganz schnell zurück nach Hause gelaufen den nicht verletzt. Am nächsten Tag war noch ein An- und runter in den Keller. Denn es hat immer geheißen, griff in Pocking. wenn die Tiefflieger kommen, müssen wir in den Keller und alles verdunkeln, damit sie niemanden sehen kön- Während des Krieges hatten wir ein „Bettlerfenster”. Es nen. Wir waren immer ganz leise und haben gehofft, sind auch oft arme Leute gekommen, diese haben auch dass uns niemand sieht. Da hatten wir schon immer öfters bei uns im Kuhstall geschlafen. Die Bettler haben Angst, dass uns jemand bemerkt. dann von uns etwas zum Essen bekommen. Die Leute waren zu dieser Zeit sehr arm, aber aufpassen mussten Wir Kinder wussten sofort, wenn die Amerikaner ka- wir nicht, es wurde auch nicht eingebrochen. Wir hat- men, gab es Zuckerl. Sie kamen meistens von Mina- ten eigene Schweine. Bei uns gab es oft Schweinsbraten. berg/Reichersberg runter zu uns. Das werde ich nie ver- lm Sommer gab es „Specksäue“. Während des Krieges gessen, denn das war was ganz besonderes, was Süßes zu musste man ansuchen, damit man eine Sau abstechen bekommen. Zum Einkaufen brauchten wir eine Lebens- durfte. Es gab so gute Mehlspeisen und sehr viel, da wir mittelkarte. Damit konnte meine Mutter nur bestimm- so viele Kinder waren. Meine Mutter konnte sehr gut te Sachen kaufen. Wenn wir Zuckerl bekamen, mussten kochen Wir hatten immer genug zum Essen da, wir im- wir acht Geschwister teilen, aber das war nicht viel. Wir mer eigene Milch von den Kühen und eigenes Vieh. Im mussten früher jeden Tag zu Fuß von Viehausen nach Winter war es so kalt, dass sogar die Bettdecke gefroren Antiesenhofen zur Schule gehen. lm Winter, wenn viel war. Die Fenster waren nicht sehr dicht. Durch die kalte Schnee lag, hat uns unser Vater mit den Pferden auf Luft haben wir unseren eigenen Atem gesehen. einem Schlitten in die Schule gebracht. Wir haben das Pferd namens Fuchs beim Schlitten eingespannt und Wir hatten auch Dienstboten. Eine große und eine klei- sind losgefahren. Und wenn wir ne „Dirn“ für den Stall und für die Pferde einen großen mal lang Schule hatten, sind wir und einen kleinen Knecht. Samstags musste ich immer Mittag nach Hause gelaufen, um den Hof zusammenkehren und sauber machen. Viele dort zu essen. Wenn wir gelaufen junge Mädchen waren bei den Bauern als Magd. Eine sind, brauchten wir 15 Minuten Freundin von mir war auch auf einem Bauernhof. Sie nach Hause. Da hieß es, schnell hat mir erzählt, dass sie 30 Schilling im Monat bekom- essen und wieder zurück zur men hat. Das war sehr wenig, wir mussten aber dafür Schule laufen! Als Lehrer hatten schwer arbeiten. wir den Herrn Habicher, Frau Maria Petterlechner und Frau Hedwig Petterlechner. Nach der Schule haben wir jeden Tag am Feld mithelfen müssen. Wenn es zum Ernten wurde, waren es acht, neun Männer, die haben Baumer Marie (rechts) und Doblmayer Stefanie haben mit Berta Schusterbauer noch mit der Hand und der gesprochen. Die Not der 20er Jahre machte viele zu Bettlern, Hier Notgeld der 20er Jahre, Gemeinde Antiesenhofen. (Foto: SCR Antiesenhofen)

189 Oblinger Aloisia: Kriegsgefangene Belgier und Franzosen in St. Georgen Erzählen Sie uns vom Leben in Ihrer Kindheit! Aloisia Oblinger wurde 1930 geboren. ei uns hat es damals nicht so viel gegeben wie heu- Im Gespräch mit dem TEAM-Geschich- Bte. Ich hatte nur eine Schwester und ich musste te erinnert sie sich an die Schule in St. auch viel in der Landwirtschaft mithelfen. Wir haben Georgen und die Kriegsgefangenen in Kühe und Schweine gehabt, da wurde die Arbeit ein- Pischelsdorf. geteilt. Es waren recht viele Kinder da und es war lustig. Wir sind auch alle miteinander klargekommen. Ich bin in St.Georgen in die Schule gegangen. Natürlich haben wir zur Schule gehen müssen, wir wurden nicht hinge- fahren. Wir waren auch in den Klassen sehr viele Kinder. Bei uns war der Unterricht ganz anders wie heute. Frü- her hat man nicht so viel lernen müssen. Wir haben den Lehrer Edtbauer gehabt, aber erst ab der vierten Klasse und wir haben nachher die Frau Mittlöhner gehabt. Ich bin dann in die fünfte Klasse gegangen, weil das bei uns noch so war. Die Helga haben wir von der vierten Klas- se weggeschickt. Das hat den Edtbauer überhaupt nicht gepasst.1 Wir haben sie in die Hauptschule geschickt, weil ihr nämlich ein Jahr abgegangen ist. Sie ist gut durchgekommen. Meine zwei Söhne haben auch noch Abschlussklasse der Hauptschule Obernberg 1935 (Foto: SCR HS Obernberg) die fünfte Klasse gemacht. Das war dort so, dass man von der fünften weg erst in die Hauptschule gegangen Wir haben schon Englisch gehabt, aber im Vergleich zu ist. Die Lehrer waren damals meist nett. Der Edtbauer heute war es ganz anders. Wir haben schon die Voka- hatte seine Leute. Unseren Hans mochte er gar nicht. beln gelernt und die Sätze schreiben müssen, aber nicht Dann hatten wir mal einen Elternsprechtag. Da hab ich so intensiv wie heute. Wir haben aber englische Bücher gesagt, dass er in der früh immer Angst hat, wenn er in gelesen. Wir hatten kein Kochen, aber Handarbeiten. die Schule muss. Von da an ist es etwas besser geworden. Sport hatten wir auch. In Handarbeiten hatten wir die Den Franz mochte er mehr, da er mit ihm mehr anfan- Wiesmayr Ida. Dann hatten wir die Wimmer gehabt, gen konnte. Aber sonst, bei den anderen Lehrern war die hatten wir in St.Georgen auch schon mal gehabt. es wieder in Ordnung. Ich bin vier Jahre in die Haupt- Da war der Notenunterschied ein bisschen groß. Der schule gegangen. Der Kastenhuber war später Direktor Religionslehrer hieß Dobler. Ich bin dann ein Jahr in und eigentlich ganz in Ordnung. Der war gerecht. die Hauswirtschaftsschule gegangen, später bin ich aber wieder zum Hof zurückgekehrt. Was hat man in der Hauptschule früher alles ge- lernt? Wie haben sie die Hitlerjahre erlebt? Ich war schon fest eingeteilt zuhause. Bel- gier und Franzosen haben wir gehabt. Als sie weggegangen sind bin ich bei den Pferden eingeteilt gewesen. Meine Schwester ist bei meiner Mama in der Küche eingeteilt wor- den. Mit 13 Jahren musste ich Getreide weg- räumen, das mit einer Sense gemäht wurde. Die meisten Jugendlichen heute glauben gar nicht mehr, dass man schon so viel im jun- gen Alter machen musste. Die Arbeit war nicht stressig, aber es war eine harte Arbeit. Heutzutage kann man sich das nicht mehr vorstellen. Bei der Arbeit haben die Älteren schon geschaut, dass wir Jungen nicht so viel machen mussten. Trotz der harten Arbeit war es lustig, abends miteinander zu sitzen. Edtbauer in Aktion - von seinen Schülern geachtet, geliebt - und teilweise gefürchtet. Beim Nachbarn im Lager waren Belgier und (Foto: SCR St. Georgen, 1955) Franzosen, die am Tag raus durften. Aber 190 abends mussten Wir haben dann gemeldet, dass zwei Dunkelhäutige bei sie wieder ins La- uns zuhause waren. Sie wurden abgeholt. Während des ger zurückkehren. Krieges war mein Vater eine kurze Zeit lang Ortsgrup- Es waren 15 beim penleiter. Nachbarn und bei uns waren nur ein Ist die Arbeit in der Landwirtschaft später weniger Belgier und ein hart geworden? Franzose. Wie ging Ja, weil wir neue und bessere Maschinen bekamen und es denen bei uns? es dann viel leichter war. Es wurde wie früher alles ein- Es konnte sich kei- geteilt, wer was macht. Je älter wir wurden, desto leich- ner beschweren. Sie ter wurde später die Arbeit. Wir bekamen auch vier haben genug Nah- oder fünf Pferde. Manchmal waren die Pferde sogar viel rungsmittel bekom- mehr wert als die Leute selber. Meinen Opa haben die men. Sie wurden Pferde leidgetan, weil es damals noch sehr viele Mücken alle genauso bedient, und Fliegen gab. Meine Schwester war nicht bei den wie die Leute hier. Pferden zuständig, sie konnte mit ihnen nicht gut um- Es gab keinen Un- Die US Soldaten waren nicht nur Strahlemän- gehen. Sie war in der Küche eingeteilt. terschied. Die Men- ner mit dem Siegerimage. Sie konnten - vor schen, die aus Polen allem wenn sie betrunken waren - auch sehr Sind Sie damals auch auf Hochzeiten gegangen oder kamen, waren auch rabiat werden. Vergewaltigungen in unserer Gegend sind ein häufiger Erzähltopos. Nicht auf einen Ball? ganz in Ordnung. so beim abgebildeten Infanterieroffzier Auch die Soldaten die Lewington Ponder, der als Offizier der 71. Ja, wir sind schon auf Hochzeiten gegangen. Da konnte hier durchgezogen Infanterie viel im Bezirk Ried herumkam und man sehr schön tanzen, bei einem Ball ebenso. Wenn später eine beeindruckende militärische Karrie- sind, haben etwas zu re hinlegte. (Foto: MS Eichsteininger) meine Schwester oder ich tanzen gingen, war mein Va- essen bekommen. In ter immer in unserer Nähe. Er hat immer aufgepasst auf der Nacht blieben sie uns, weil er immer sehen wollte, mit welchen Burschen beim Nachbarn, aber am Tag zogen sie wieder weiter. wir redeten oder tanzten. Manchmal haben sich Jungs auch geprügelt, weil sie mit dem gleichen Mädchen tan- Gab es auch Amerikaner hier bei euch? zen wollten. Meistens fuhren wir mit dem Fahrrad ins Kino mit Freunden oder mit Bekannten. Ja sie waren auch hier im Ort. Da sind zwei Dunkelhäu- tige gekommen. Eines Abends warfen sie ihr Gewehr auf den Boden und haben sich bedienen lassen. Wir sind geflüchtet. Über die Balkontür. Dort sind wir run- tergesprungen und sind zum Nachbarn gerannt. Wir wissen bis heute nicht wie wir unsere Mutter von dort aufgefangen haben. Eine Magd ist nicht mitgekom- men mit uns. Sie hat es nicht bemerkt und dann war es auch schon zu spät um wegzulaufen. Die zwei Ame- rikaner haben gesagt, dass sie eine Frau wollen und sie hätten fast die Magd mitgenommen. Am nächsten Tag um Mittag sind wir wieder zurückgekehrt nach Hause. Vanessa Harmuth (links) Ilayda Karasu und haben das Interview mit Aloisia Oblinger durchgeführt.

1 Mit der Gründung der Hauptschule beginnt der Wettbewerb zwischen der damals gängigen Volksschuloberstufe und der Hauptschule in Obernberg. Konnten sich die Volksschulen bis in die 1950er Jahre hinein mit der Volksschuloberstufe behaup- ten, so verlor diese danach sehr an Attraktivität. Das war eine arge Qualitätseinbuße der lokalen Volksschulen zwischen Antie- senhofen und Kirchdorf, weil es den kleinen Schulen gerade die besten Schüler entzog. Anm. Eichsteininger

Soziale Kontaktmöglichkeiten gab es wenige - Bälle oder hier das Erntedankfest in Obernberg (1954) waren die Ausnahmen. (Foto: Fam. Schlegel)

191 Ein Direktor erinnert sich: Montessoriunterricht in Reichersberg 1956! m 56er Jahr bin ich hinuntergekommen – davor Hans Aschenberger, geboren 1926, Iwar ich in Neuhofen. Da war ich sechs Jahre lang. hat als Lehrer mit seinen Schülern den Und dann sagt mein Vater: Du musst nach Reichers- Staatsvertrag gefeiert. 1956 kam er berg gehen. Das hat der schon vom Ransmayr (damals als Schulleiter nach Reichersberg. Er Bezirksschulinspektor) gewusst. Die beiden haben sich spricht über seinen Montessoriunter- gut gekannt. Die beiden hatten das dem Prälaten von richt und seine lauten Forderungen nach Reichersberg zugesagt. So ist das damals gelaufen. Und einem Schulneubau. Damit hat er sich nicht überall ich bin da auf einen Schlag sehr weit weggekommen. Freunde gemacht. Wir waren aber als Familie mit Reichersberg sehr ver- bunden. Mein Vater hatte im Konvent gute Freunde, Wir sind dann immer krank wie den Prälaten Floridus. Von daher war die Umstel- gewesen, was blöd war, ich lung nicht so groß. Auch der Loidl, der damals zweit- hab ja auch in der Kirche weise im Stift gewohnt hat. Das war ein sehr gerader singen müssen. Ein Bekann- und ehrlicher Ordensmann, mit dem ich mich gut ver- ter hat mit mir gemeinsam standen habe. Und ein Cousin von meinem Vater war dann die Wand trockenge- Rentmeister gewesen – der hat auch Aschenberger ge- legt. Ich habe vorher nie so heißen. Zu meiner Zeit war aber der Rieder Danecker was gemacht, aber da haben Rentmeister gewesen. Ich bin von daher in keine frem- wir die 70er Ziegel abgesägt, de Welt hineingekommen. Ich war sehr musikalisch, herausgestemmt und Teer und das wurde sehr geschätzt. Es gab da auch einen sehr unterlegt und die Ziegeln guten Chor, der leider heute so nicht mehr besteht. Die wieder rauf. Dann haben Schule war eine Deputats-Schule, das heißt, das prak- wir dem Haus beim Trock- tisch die Kirche die Schule erhält. Im Gegenzug hat sich nen zusehen können, von da der Konvent einen christlichen Unterricht ausbedun- weg hat es gepasst und ich gen. Das war auch leicht, weil das Volk ja noch sehr war auch nicht mehr krank. Hans Aschenberger, Direktor gläubig war damals. Ich hab vom E-Werk den (Foto: MS Eichsteininger) Strom gehabt, Milch und Sie haben oben gewohnt? Brot – vom Meierhof ist Ich habe oben gewohnt, das war alles im Deputat fest- das gekommen. Umgekehrt war ich beim Chor dann geschrieben. Dass der Leiter eine Wohnung bekommen auch sehr eingespannt. Und dann ist mir eines Tages hat – und keine schlechte. Wenn Sie nach Reichersberg der Erlass vom Landesschulrat in die Hände gefallen, in hineinfahren, da sehen Sie als letztes ein ganz schönes dem die Abschaffung der Volksschuloberstufe angekün- Haus mit zwei Türmen. Das war gut renoviert und dort digt war. Das war auch der Trend, weg von der Volks- war die Wohnung für den Lehrer. Ein schönes Haus, schuloberstufe, hin zur Hauptschule. Und das war der aber ungeheuer nass! Das Stift hat ein E-Werk gehabt, Knackpunkt. Da wollte ich dann nicht mehr bleiben. da war ein Bach notwendig. Das E-Werk war eine Eta- Ich bin nicht deswegen gegangen, weil es mir nicht ge- ge neben der Stiftsmauer. Das offene Bachbett war das fallen hat, sondern wegen dieser Reform. Und ich bin Problem, dadurch ist das Wasser auch in die angren- dann nach Ried gekommen, weil ich auch geprüfter zenden Häuser geronnen. Und am meisten war das bei Hauptschullehrer war. unserer Wohnung. Die Wände waren voll mit Wasser. Wie waren denn in Reichersberg die Schüler da- mals?

Ich habe eine sehr gute Disziplin gehabt, auch so. Eine Watschen oder so habe ich nicht als Linie gesehen. Meine Methode war die, welche heute als Montessori- methode bekannt ist: In der ganzen Erarbeitung, das Kind zu unterstützen. Im 49er Jahr, bevor wir maturiert hatten, habe ich eine Übungsschule in Lehen bei Salz- burg besucht. Und die haben damals schon Montessori gemacht und das habe ich dann auch in Reichersberg praktiziert. Ich habe exakt auch darauf vorbereitet. So eine moderne Art war damals nicht gängig? Wenn 1 Faschingsfeier der Volksschule Reichersberg 1956 (Foto: SCR Reichserberg) ich an den Hermann Edtbauer denke?

192 Das hat mich eh gewundert. Ich habe mit ihm ziemlich viele Verbindungen gehabt. Weil mir ist es schon auch wieder vorgekommen, dass er sehr modern eingestellt ist. Meine Schüler haben das honoriert. Und ich habe nichts verlangt, was nicht vorher transparent dargestellt wurde. Und wenn es mal nicht verstanden wurde, ha- ben wir uns in Ruhe hingesetzt und sind es noch einmal durchgegangen. Das hat gut funktioniert. Auch dann später in der Hauptschule. Es hat jeder kommen kön- nen und dadurch hat es niemals Schwierigkeiten gege- ben. Das hat ein anderes Zusammenwachsen der Schü- ler mit mir ergeben. Sie haben mir erzählt, dass Sie sich in Reichersberg auch für den Bau einer neuen Schule eingesetzt ha- Schulbau, Gleichenfeier, 1965 (Foto: SCR Reichersberg) ben? Und was ist aus der neuen Schule geworden? Als ich hingekommen bin: Das mit der Wohnung hat mich am Anfang nicht so schockiert, wie der Zustand Ich bin dann auch zum Inspektor gefahren und hab der Schule. Auf der der rechten Seite im Stift war die eine neue Schule eingemahnt. Und eben immer wie- Schule. Die hat bestanden aus einem größeren Raum der das Stift – den Probst, den Danecker. Und dann ist und einem kleineren Raum. Der kleinere Raum, da tatsächlich eine Kommission gekommen. Und da hat es war die erste und zweite Klasse untergebracht und in so einen schönen Grund, ein Teil des Herrengartens des dem großen die andere dritte, vierte und fünfte Klasse Stiftes, gegeben. Der war hinter dem Gemeindehaus, – die fünfte war dann wieder unterteilt, so hat es inge- abgelegen und ruhig. Der ideale Platz für die Schule. samt sieben Schulstufen in fünf Klassen gegeben. Und Und so ist es gekommen. Wir haben vorher ja keinen gegeben hat es: EIN grausliches Klosett, an dem alle Turnsaal gehabt, keine Abstellplätze für die Schuhe. Schüler und Lehrer immer vorbeigehen haben müssen. Das stinkende Klo. Das hat jeglichen Anstand vermis- Das hat gestunken in der Pause! Ich hab dann den Ge- sen lassen. Meinem Vorgänger, dem Brenneis, ist das ja meindesekretär Dallinger informiert. Wir hatten kein auch zu viel geworden und der ist dann nach Eferding Lehrmittelzimmer. Was wir nicht selber hatten, das hat- abgegangen. Ja, so ist das dann in Gang gekommen. ten wir nicht. Ich hab mich schon geschreckt. Aber ich Der Danecker hat das sehr gefördert. Vermutlich auch hab mich mit den Kindern angefreundet, das ist dann durch das viele gemeinsame Singen in den Messen. Da leichter gewesen. Als erstes haben wir diese langen Bän- haben wir ja so oft miteinander gesungen. Und deswe- ke ausgemistet, wo alle immer nebeneinander in der gen haben mich die dann nicht hängen lassen. Zu einer Reihe gesessen sind. Wir haben Gruppen gebildet, so Begehung ist es noch gekommen, und danach bin ich mit vier Tischen zusammen, wo die Kinder dann in aber weggekommen, weil das Angebot in der Haupt- einer Gruppe zusammenarbeiten haben können. Der schule in Ried zu unterrichten, schon da war. Ich war Raum war aber immer kalt, es war nur ein Kachelofen aber sehr gerne da unten und habe mir einfach zum Ziel drinnen, und der hat den Raum nicht gut beheizt. Der gemacht, eine neue Schule zu bekommen. Als Schullei- Gemeindesrektär hat es verstanden, der Bürgermeister ter kann man nicht bei so einem Missstand zuschauen. aber nicht. Ich bin mit dem Auto hin zu ihm, und der Leider haben sie mich dann nicht zur Eröffnung einge- sagte dann zu mir: „Der alte Leiter war mir lieber!“ Das laden – das hat mir dann schon wehgetan. Mich hätte war unangenehm, aber ich hab mit dem auskommen das sehr interessiert. müssen. Und wie wir dann einiges umgestellt haben in Waren Sie dann jemals oben? den Klassen, haben wir ihn eingeladen, sich die Schule anzusehen, aber er hat nur gesagt: „Wissen wir schon!“. Nein, nie. Die haben mich nicht eingeladen und des- Der hat eine Wut gehabt auf mich. Im Gegensatz zum halb bin ich auch nie raufgefahren. Vielleicht war ich Prälaten, der mich freundlich empfangen hat. Der war zu energisch, beim Fordern nach der neuen Schule. jetzt aber auch nicht so schulinteressiert. Den haben die Weil früher hat man ja nichts getan, außer die langen Kühe und die Landwirtschaft immer mehr interessiert. Bänke eingestellt in einen Raum und gesagt: Setzt euch Der Roman, der Dechant – die waren sehr freundlich. hin,und gebt eine Ruhe! Der Danecker, der Rentmeister war, hat mir aber sehr Hannes Eichsteininger hat mit Hans Aschen- geholfen. So hat er dafür gesorgt, dass ich eine Garage berger gesprochen. Es war ihm ein besonderes für das Auto bekommen habe. Und wir als Schule ha- Vergnügen, nach 15 Jahren wieder ein langes Zeitzeugengespräch mit dem bekannten Rieder ben dann die Feiertage musikalisch sehr gut begleitet zu führen! und die schönsten Sachen gesungen. Einen Organisten haben wir aus Schärding organisiert und der hat uns die Orgel gespielt und der Roman hat dirigiert. Da haben 1 Von 1935 bis 1970 bekannter Schulleiter in der Gemeinde St. Georgen. wir klassische Sachen gesungen. Anm.

193 Einmal Kanada und zurück: Ein Obernberge Auswanderer erinnert sich

Wie war das damals, Sie sind ja nach Kanada ausge- Obernberg war 1945 eine Abgangsgemein- wandert? de - wirtschaftlich und demografisch. So war für einige Obernberger die Auswan- a also, mein Vater hatte damals in Obernberg ein derung ein Thema. Walter Putta, geboren JSchuhgeschäft, wo ich die Schuhmacherei lernte. In 1932, wagte es und ging in die Schweiz diesem Betrieb arbeiteten 18 Leute, welche die Schi- und dann später nach Kanada. Obwohl er sich wirt- ,und Bergschuhe produzierten. Die Schuhe wurden schaftlich dort durchsetzte kam er doch wieder nach nach Linz, Salzburg und nach Wels geliefert. Zu dieser Obernberg zurück. Eine spannende Geschichte! Zeit gab es noch keine Schuhfabrik. Ich habe daheim gelernt und auch ausgelernt und wollte dann ins Aus- Ich habe auch damals, als ich in der Schweiz war, sehr land. Ich bin zuerst in die Schweiz gereist. Dort habe gut Trompete gespielt und auch meine eigene Band ge- ich durch die Schuhfabrik jemanden kennengelernt, gründet: „Die tanzenden Sterne“. Wir spielten jeden der mir in der Schuhfabrik in der Schweiz, welche die Sonntag in den Parks in Zürich und in Bern. So habe Schuhe immer zu uns lieferte, einen Job verschaffte. Ich ich auch meine Freunde kennengelernt. musste dann dort in der Schweiz einen Kurs machen, der sechs Wochen dauerte. Meine Arbeit in der Schuh- In Kanada hatte ich anfangs größere Schwierigkeiten fabrik war die sogenannte Fließbandarbeit. Ich hatte mit der Sprache. Ich besuchte eine Zeit lang einen Kurs damals einen sehr guten Schweizer Freund, der einen für Migranten, damit ich die Sprache besser lernte. Bruder in Kanada hatte und uns immer Briefe schrieb. So kamen wir dann auf die Idee, auch auszuwandern. Nach 20 Jahren bin ich wieder nach Hause gekommen. Mein Freund musste aber leider zu Hause bleiben, weil Die ersten 10 Jahre habe ich keinen Urlaub gemacht, seine Mutter krank wurde, und so musste ich alleine da ich meine Firma aufgebaut habe. Danach bin ich für nach Kanada. Ich erzählte das einem guten Freund, der kurze Zeit im Sommer wieder zurückgekommen. Nach auch nach Kanada wollte. Wir sind dann nach Linz ins einigen Jahren habe ich verglichen und festgestellt, dass Konsulat gefahren und haben dort die Papiere für den ich großes Heimweh hatte. Ich hatte so viel Kapital von Flug bekommen. Als wir in Kanada waren, arbeitete er meiner Firma her, dass ich alles bezahlen konnte und bei einer Malerfirma und ich in der Schuhfabrik. Als wieder zurück nach Österreich und nach Obernberg wir dann sechs Wochen dort waren, wollte ich meinen gekommen bin. Beruf aufgeben und auch Maler werden, da diese viel besser bezahlt wurden. Ich war damals zwei Jahre Lehr- Es war damals nicht einfach, ins Ausland zu gehen. In ling bei der Firma, als sich herausstellte, dass ich in dem Kanada waren die Leute zwar alle sehr großzügig. Man Bereich Talent habe und machte dann einen Kurs zum konnte aber nur als Facharbeiter auswandern. Wenn Vorarbeiter. Ich war sozusagen der Chef von 12 Leu- man keinen Beruf hatte, war dies nicht möglich. ten. Dann wurde ich selbstständig und gründete mei- Toronto hatte damals, als ich auswanderte, also 1954, nen eigenen Betrieb. Durch die Arbeit lernte ich einige knapp 1,5 Millionen Einwohner. 1974 waren es bereits Besitzer von Hochhäusern kennen und bin so auch zu 2,5 Millionen Einwohner. Kanada war das sogenannte meinen ersten Aufträgen gekommen. Ich hatte 15 Jahre Auswandererland Nummer eins damals. Es kamen von meinen eigenen Betrieb überall Leute her. Die meisten allerdings aus England und Irland. Auch einige Deutsche und Italiener waren dort. Aber eigentlich war mein Plan von Anfang an, ir- gendwann wieder zurück nach Österreich zu kommen. Es waren damals nicht alle glücklich. Meine Frau wollte in Kanada bleiben, und sie würde auch jetzt wieder zu- rück auswandern.

Tina Wörndl (links) und Elena Weinhäupl finden es erstaunlich, wie weit man früher schon herumgekommen ist!

Skyline von Toronto (Foto: Wikipedia)

194 Flucht von Polen über das Sudetenland nach Obernberg

Wir waren eine arme Familie. Ich bin nicht in Kinder- Oft wird eine Lebensgeschichte in nur garten gegangen, weil wir uns das nicht leisten konnten. wenigen Sätzen erzählt und lassen den- Meine kleinen Geschwister sind dann aber in Kinder- noch viel ahnen. So im Fall von Roswitha garten gegangen. Wintersteiger. Ihre hochschwangere Mut- ter flüchtete mit ihr über das Sudeten- land, nach Obernberg. Roswita wurde am 25.5.1945 unmittelbar nach Kriegsende geboren.

alles im Krieg verloren. Meine Mutter hat Glück geha- bt als sie auf der Flucht war, weil sie nicht vergewaltigt wurde. Damals wurden nämlich alle Frauen, die auf der Flucht waren, vergewaltigt. Sogar schwangere Frauen. Mein Vater war in Kriegsgefangenschaft, ich war klein als er dann zurückgekommen ist. Er hat mir dann auch nicht viel davon erzählt. Meine Schulzeit war nicht so einfach. Da wir arm waren, bin ich nie bei einem Schulausflug in Obernberg mitge- fahren. Es gab auch Lehrer, die Unterschiede zwischen die Kinder gemacht haben. Ich war kein Geistesblitz, ich war eine Schülerin mit durchschnittlichen Leistungen. Ich hab immer meine Mutter helfen müssen und auf meine Geschwister aufpassen müssen, deswegen hab ich oft in der Nacht gelernt und Hausaufgaben gemacht. Roswita, vorne rechts mit einem Teil der Familie (Foto: Wintersteiger) Wenn unser Vater vom Arbeiten heimgekommen ist, Damals war es so: Wer viele Kinder gehabt hat, war haben wir alle ruhig sein müssen. Die anderen Kinder der letzte Dreck. Mein Vater war ein Kommunist und haben um die Uhrzeit noch gespielt, aber wir müssten meine Mutter wurde oft als „die Kommunistenfrau“ be- in unser Zimmer bleiben und ruhig sein, sonst hätten zeichnet, wir wurden auch oft so genannt. Meine Mut- wir Ärger bekommen. In Obernberg haben alle gesagt, ter wurde in eine gute, reiche Familie hineingeboren. dass wir die anständigsten Kinder waren, weil unsere Sie haben in Polen Friseurgeschäfte gehabt, haben aber Mutter uns immer gesagt hat, ‘’Immer grüßen, freund- lich sein, nicht frech sein.’’ Es gab nur wenige Lehrer, die keine Unterschiede zwi- schen uns, Schüler gemacht haben und uns alle gleich behandelt haben.

Bianca Dudau ist erschüttert, wie grausam Menschen früher zu anderen Menschen waren!

Kirche Mariä Himmelfahrt in Bärn, bis 1945 Sudentenland und beim Deut- schen Reich. Heute Tschechien (Foto: Lehotsky, Wikipedia)

195 Wir hatten damals keine Perspektive - etliche Obernberger sind ausgewandert

ch bin in Obernberg in die Volks- und die Haupt- Wenige kennen Obernberg besser als der Ischule gegangen. Wir sind ja alle recht arm aufge- alteingesessene Max Mayerhofer, geboren wachsen. Größere Ausflüge waren damals nicht mög- 1936. Der Meisterklassenabsolvent und lich, ebenso war der Besuch des Gymnasiums oft nicht Restaurator war dabei als die Amerika- möglich. Es hätte schon Leute gegeben, die mir das ner in den Markt einmarschierten. Er hat Studium gezahlt hätten, etwa der Pfarrer Dobler, der auch die ganze Perspektivenlosigkeit der hätte mich studieren lassen. Ich war auch Ministrant. Nachkriegszeit miterlebt Nach der Hauptschule bin ich eine Meisterschule ge- gangen, nach Baden bei Wien. Da haben wir im letzten – bis zu einem Schiunfall, da habe ich nicht mehr als Jahr der Berufsschule einen Ausflug hin gemacht. Das Maler arbeiten können. Aber durch die Meisterschule hat mir dort so gefallen, dass ich dort unbedingt hin habe ich viel gelernt. Marmorieren, Maserieren und so wollte. Geld war keines da. Aber von meinem Bruder, weiter. Und ich habe dann mit dem Restaurieren der der 1954 nach Kanada ausgewandert ist, habe ich das Bauernmöbel angefangenen. Die habe ich in der Ge- Motorrad bekommen – eine blaue 150er Puch. Mit gend eingekauft, restauriert und wieder verkauft. Aus dem Verkauf dieser Puch habe ich das Schulgeld für das dem hat sich dann der Antiquitätenhandel entwickelt. erste Jahr zahlen können. Und in den Jahren danach Damals hat Obernberg einen großen Aufschwung ge- habe ich immer einen Freiplatz bekommen. Die Schule nommen. Es sind viele Deutsche über die Brücke ge- hat mich sehr begeistert und mich vorwärts gebracht. kommen, haben viel konsumiert und auch eingekauft. Die Schule hat drei halbe Jahre gedauert, im Winter. Und so habe ich die Möbel gut verkaufen können. Ich Weil im Sommer habe ich arbeiten müssen – bei mei- bin auch dabei geblieben – da hab ich mich richtig rein- nem Vater. Da war ich Malerlehring. steigern können. Ich kann mich auch sehr gut erinnern, ich war damals 8 Jahre alt, wie die Amerikaner gekom- Wie war Obernberg früher? men sind. Ich habe mit einem Freund gespielt und da Obernberg war ein wirtschaftlich extrem schwacher hat es auf einmal geheißen, es kommen Ungarn auf der Ort. In Deutschland hat es schon überall Motorräder Straße daher. Das waren aber keine Ungarn, sondern gegeben – in Obernberg nicht. Es hat überhaupt nur die Amerikaner. Ich bin dann heim und nach kurzer drei Autos gegeben. Ein Taxiunternehmer, der ein paar Zeit war der ganze Marktplatz voll mit amerikanischen uralte Autos hatte. Der hatte einen geschickten Helfer, Soldaten. Ich habe da meinen ersten „Neger“ gesehen. den Putta Rudolf. Und die beiden haben immer an ih- Und das haben wir auch sofort gelernt, dass wir sagen: ren alten Autos herumgeschraubt, damit sie fahrtüchtig „Please, give us a little chocolate!“ Die waren natürlich waren. Bei kleineren Reisen mit dem Autobus ist der oft freigiebig, die haben eh alles gehabt. Wir haben vieles, stehengeblieben und der Putta ist wieder ausgestiegen was die hatten nicht gekannt. Orangen etwa – die hat und hat repariert. Der Dr. Plunger hatte ein Auto, einen es während des Krieges nicht gegeben. Die Amerikaner Steyr 50er, so eine haben dann ein Waffenverbot erlassen, von dem auch Art Volkswagen. mein Vater betroffen war als Jäger. Der ist an seinen Ge- Und der Woerndle, wehren gehängt, musste sie aber auch hergeben. Wir ha- der hat auch einen ben damals im Schnellingerhaus gewohnt. Wo heute die Steyr 50er gehabt, Gemeinde ist. Und da wurden wir angezeigt, sonst wäre der Taxler und der nichts passiert. Und die Amis haben Gewehrpyramiden Spengler hat auch errichtet und dann haben sie die alle zusammengehaut. ein Auto gehabt, so Das war auf dem Marktplatz. Damals waren viel mehr einen kleinen Lloyd. Kinder. In dem Stockwerk alleine, wo wir gewohnt ha- Und weil Obernberg ben, waren 27 Kinder drinnen. Da war immer was los! so schwach war, hat Hinten war der große Hof, da haben wir gespielt. Ei- mein Bruder sich ner von den Nachbarn war eingerückt in Griechenland, entschlossen, nach der hat dann beim Fronturlaub aus Griechenland eine Kanada auszuwan- Schildkröte mitgebracht. Die sehe ich noch vor mir, wir dern. Er hat drüben hatten das ja auch nicht gekannt. seine Frau kennenge- Warum ist der Bruder damals nach Kanada ausge- lernt und ist nie wie- wandert? Warum nicht die USA? der zurückgekom- Bis in die 30er Jahre wurde in Obernberg men. Ich hab dann Kanada war damals mehr interessiert an Einwanderern. Wein angebaut. (Foto: Fam. Schlegel) daheim übernommen Es gab damals einen gewaltigen Bauboom mit entspre- 196 Das Team Geschichte hat mit Max Mayerhofer gesprochen. (Foto: Eichsteininger) chenden Bedarf an Arbeitskräften. Er ist damals nach Haben Sie nach dem Krieg von der Lebensmittelkar- Toronto gegangen und hat sich als Maler selbstständig te gelebt? gemacht. Das war dort viel einfacher. Der ist aufs Ma- gistrat gegangen und hat gesagt, ich fange ein Maler- Wir haben nur von der Lebensmittelkarte gelebt. Meine geschäft an. Das war es. Anders als bei uns, wo so ein Mutter hat das nicht so gekonnt, dass sie da Betteln ge- Riesenaufwand ist. Er hat mir aus Kanada immer Pake- gangen wäre, andere haben das besser verstanden. Wir te geschickt. Das hat mir in Baden bei der Ausbildung haben auch kaum Brennmaterial gehabt. So sind wir sehr geholfen. auch oft in den Wald mit dem Radlbock, um Holz zu Sind damals mehr Obernberger ausgewandert? sammeln. Das war möglich. Wir haben auch lange in Miete gelebt. Und mit dem Bausparer, eisernem Spa- Ja, schon. Es waren damals auch schon einige drüben. ren und dem Verkauf seiner Briefmarkensammlung hat Der Buchinger Sepp und der Wagner Sepp. Der Wagner mein Vater die 12.000 Schilling für den Grund irgend- hat dann eine Kanadieren geheiratet. Die sind auch alle wie zusammengekratzt. Das war nicht viel, auch damals rüber, weil es wirtschaftlich so schlecht war. Die sind nicht. Aber der Grund war weniger wert, weil er steil ausgewandert, weil die hier in Obernberg sich nie etwas war. Heute ist das ja alles angeböscht und mit einer geschaffen hätten, so schlecht war es. Gebaut haben wir Stützmauer abgestützt. Beim Kauf war das die „Obern- damals so, dass wir mit einem Bausparer den Rohbau berger Weinleitn“. Es hat in München eine Obernberger gemacht haben. Dann war das Geld aus und es ist eben Weinstube gegeben. Von dem Wein, der hier angebaut weitergebaut worden, immer dann, wenn wieder Geld worden ist. In Obernberg ist Wein angebaut worden – da war. Ich habe 1960 geheiratet. Meine Frau, die sehr bis kurz vor dem 2. Weltkrieg. Das ist heute kaum mehr fleißig war, hatte den Beruf der Vergolderin. Sie hat in bekannt. dem Bereich viel gearbeitet. Der Klerus hatte ja immer Max Mayerhofer war der erste Zeitzeuge, den das Team- Geld. GS 2017 befragte. Seine nette und ruhige Art gab uns den Ansporn weiterzufragen und zu forschen. Haben Sie das Kriegsende in Obernberg erlebt?

Es sind Schützengräben ausgehoben worden, am Steil- abhang. Aber Gegenwehr war keine mehr. Der damali- ge Bürgermeister hat die weiße Fahne gehisst, die haben sich ergeben. Und die Amerikaner sind ohne Wider- stand einmarschiert. Mein ältester Bruder war einge- rückt, der war SS Panzergrenadier. Er ist von Partisanen erschossen worden. In Hartberg.1 Mein zweitältester 1 Vgl. dazu den Artikel von Christine Lindenthaler, geb. Mayerhofer, in diesem Bruder ist mit 16 Jahren schon eingerückt. Der hat aber Band: „Das Schicksal der frühen Geburt!“ einen vernünftigen Offizier gehabt, der hat die Buben heimgeschickt. So war das. 197 Die Volksschule Reichersberg. Eine Schule mit interessanter Geschichte. Leider gibt es recht wenige Fotos über die vielen Jahre, in denen die Schule sich im Stift befand. Hier eine Auswahl aus der Schulchronik!

Jugendtag 1931

Notgeld Reichersberg

Hirtenspiel 1931

Glockenweihe 1963

Hirtenspiel 1954

Hirtenspiel 1956

Hirtenspiel 1964 2.Klasse 1959

198 Zwei Jahre ihres Lebens...... steckten die Schüler des TEAMS Geschichte in dieses Buch

ir, das Geschichte Team der NMS Obernberg, Zugegeben: Das klingt ein wenig gar dra- Whaben uns freiwillig gemeldet, um mit Hilfe matisch. Andererseits: Die intensive Fo- unserer Lehrer Hannes Eichsteininger und Corinna kussierung auf einen Themenbereich ist Leitner einen tieferen und detaillierteren Einblick zu eine Herausforderung, wenn man 13 oder bekommen, wie es den Menschen rund um die Zeit des 14 Jahre alt ist. Ausschließlich an Nach- 2. Weltkrieges bei uns in Obernberg und den Nachbar- mittagen und Wochenenden haben sich Schüler und gemeinden ergangen ist. Schülerinnen mit den Basics der Geschichtsforschung auseinandergesetzt. In der kleinen Projektgruppe ha- Seit Ende des letzten Schuljahres treffen wir uns immer ben sie empirisch gearbeitet - auf hohem Niveau. Julia wieder an Nachmittagen, um Geschichte zu erleben. Da Schwarzmayr hat es zusammengefasst. wird es nie langweilig, da uns die Lehrer immer wieder mit neuen interessanten Aktionen motivieren. der Dinge. Im Geschichtsunterricht haben wir dann wieder den Blick auf die groben Linien der Geschichte bekommen. Neben den Interviews haben wir auch viele Chroniken aus dieser Zeit, wie zum Beispiel die Schulchroniken aller fünf Volkschulen und der Hauptschule komplett digitalisiert und auch archiviert. Die Schüler waren hier damit beschäftigt, mit einer hochwertigen Reprostation (das ist grob gesagt eine hochwertige Spiegelreflexka- mera, etliche Tageslichtlampen und diverse Fixierein- richtungen) die Fotos der Schulchroniken zu digitali- sieren. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, Kurrent zu lernen, was sehr wichtig und interessant war, denn viele Daten, die aus dieser Zeit stammen, sind in dieser Schülerinnen der Projektgruppe beim Kurrentschreiben (Foto: Eichsteininger) Schrift geschrieben. Die Schrift selber wird aber seit den 1940er Jahren kaum mehr an den Schulen unterrichtet. Wir haben Leute aus der Umgebung besucht, wel- Bei uns war es anders. Die meisten konnten nach zwei che die prägende Zeit miterleben mussten. Dort wur- Nachmittagen nicht nur Kurrent recht gut lesen, son- de uns erzählt, wie es damals wirklich bei uns ablief dern auch halbwegs schön schreiben. und wie die Befragten das miterlebt haben. Gerade für uns Schüler ist es einfach viel interessanter und Ich weiß, dass das Projekt Geschichte für alle, die mit- einfacher zu begreifen, wenn man die Möglichkeit gemacht haben, eine riesige Bereicherung war, da man hat, mit diesen Menschen persönlich zu sprechen. durch den forscherischen Zugang viel tiefer als ande- Das Gespräch wurde aufgenommen und danach mit re Schüler in diese interessante Thematik eintauchen viel Hingabe Wort für Wort abgetippt, was bei circa kann. 45-120 Minuten Gesprächsdauer schon einige Zeit in Für uns Schüler war es erschreckend, zu erfahren, was Anspruch genommen hat. Jedes Gespräch ist etwas ganz einige unserer Großeltern ihre Jugend erlebt haben und Besonderes, die Menschen haben ihre persönliche Sicht ich finde es wichtig, dass jeder ausreichend informiert ist, da die Generation die damals betroffen war, schon sehr alt ist. Und auch wenn niemand mehr aus dieser Zeit da ist, sollte man sich der Folgen und Nachwir- kungen, welche die Zeit immer noch hat, bewusst sein.

Julia Schwarzmayr ist während des Schreibens und Arbeitens für dieses Buch auch auf ihre eigene interessante Familiengeschichte aufmerksam geworden.

Technisch interessierte Schüler an der REPRO-Station. (Foto: Eichsteininger)

199 Die Volksschule Kirchdorf. Die charmante Landvolksschule hatte Lehrer, die schon in den 30er Jahren fotografierten. Hier eine Auswahl der Fotos!

Erstkommunion 1962 Schüler 1960

Erstkommunion 1960 1958

Schüler 1960 Erstkommunion 1956

Schüler 1960 200 Jahre Pfarre 1958

200 Die Volksschule Kirchdorf. Fotos der 50er und 60er Jahre. Hier eine Auswahl der Fotos!

Fahnenweihe 1954 Kirchdorf 1954

Kirchdorf 1954 Alte Schule 1956

Kirchdorf 1954

Kirchdorf auf Ausflug in Hallein 1951 Kirchdorf 1960

Schüler 1954 Glockenweihe 1949

201 Es folgen nach den Aufnahmen der Volksschulchronik, Aufnahmen, die von Frau Braid aus Kirchdorf zur Verfügung gestellt wurden!

Ausflug 1950 Entllass-Schüler 1959

Kirchdorf 1958 (Foto: Braid)

Glockenweihe 1949 (Foto: Braid)

Herz-Jesu Fest 1961 (Foto: Braid)

Flugaufnahme vor 1938 (Foto: Braid)

Herz-Jesu Fest 1961 (Foto: Braid)

202 Die Volksschule St. Georgen hat interessante Fotos zu bieten. Hier wurde nicht nur „geknipst“. Viele der Fotos (vor allem die von Hermann Edtbauer) sind ohne Zweifel sehr sorgfältig arrangiert auch wenn sie wie Zufallsaufnahmen wirken sollten.

In Ried 1935

Hirtenspiel 1937

Ausflug 1938 in Burghausen

In Ried 1935

In Passau 1940

Ausflug 1940

St. Georgen / Schulchronik

203 Winter 1940 3 x Hochwaasser 1954

Entlass-Schüler 1951

Kinderfasching 1951

Glockenweihe 1948

Hochwasser 1954

St. Georgen / Schulchronik

204 Volkschule 1948 Unterricht 1955 Unterricht 1955

Unterricht 1955 Entlass-Schüler 1955

Volksschulklasse 1957 Unterricht 1955

Unterricht 1955

Inspektor Ransmayr (links), Hermann Edtbauer (rechts), dazwischen Landeshauptmann Gleißner, 1957

205 Jungbauernzeche Probe für Wien 1957 Unterricht 1955 Zeichnung: Edtbauer!

Jungbauernzeche in Wien 1957

Unterricht in St. Georgen 1957

Reise nach Wien 1955!

Entlass-Schüler des Jahres 1957: Ganz links Her- mann Demmelbauer, ganz rechts Alois Fill!

206 Die oberen Klassen 1951

Unterricht in St. Georgen 1957

Die jüngeren Klassen 1951

Kinderfasching 1955 - handgemalt!

Hochwassser 1954

207 Neben den Fotos aus de Schulchronik ist die Pfarrchronik St. Georgen eine ausgiebige Quelle für histo- risch Forschende. Bildmaterial hat sie für den Untersuchungszeitraum 1918-1965 allerdings wenig aufzu- weisen.

Alte Ansicht der Kirche und des neuen Kriegerdenkmals 1928

Nachprimiz 1957

Nachprimiz 1957

Neuer Pfarrer Humer, 1957 Neuer Pfarrer Humer, 1957

Neuer Pfarrer Humer, 1957 St. Georgen / Pfarrchronik

208 Fotos der Schulchronik Antiesenhofen sind dünn gesät. Am ehesten wurden noch - allerdings auch nicht durchgehend - die Absolventen der Schule (meist während eines Ausflugs) fotografiert).

Unterricht in Antiesenhofen - reechts die fesche Lehrerin Edeltraut Wagner, 1950

Die Klasse von 1950, mit Direktor Habicher

Der „Lehrkörper“ 1957 (von links): Lehrer Johann Herzig (nur kurz an der Schule) Lehrerin Lina Hölzl, Direktor Paul Habicher, die rechte Person ist nicht eindeutig zu benennen.

Entlass-Schüler 1960

Lehrer Knogler und seine Klasse, 1950

209 Entlass-Schüler 1954 Entlass-Schüler 1960

Kaum Bilder, viel Kurrent: Schulchronik Antiesenhofen

Entlass-Schüler 1962

Entlass-Schüler 1956

1000 Jahr Feier in Obernberg - die Antiesenhofner

Entlass-Schüler 1960

Antiesenhofen / Schulchronik

210 Recht umfangreich ist die Bildchronik der Schulaufzeichnungen der Bürgerschule und der späteren Haupt- schule Obernberg. Hier wurden sehr bald professionelle Fotografen engagiert, um vor allem die Absol- venten in Szene zu setzen. Meist sind die Fotos sorgfältig arrangiert. Dass man auf Fotos lachen sollte, war bis in die Nachkriegszeit recht fremd. Dementsprechend finster blicken viele Kinder drein...

Ansicht Hauptschule, Zwischengang 1949

Das erste Foto der Chronik - 1922!

Entlass-Schüler 1930

Abschlussklasse 1936

Eine seltene Ansicht: Schüler des Schülerheimes 1944

Das Lehrerkollegium der Hauptschule 1935. Links der junge Lehrer Etz, der die Schule jahrzehtelang begleiten sollte!

Abschlussklasse 1938

HS Obernberg / Schulchronik

211 Theatergruppe der HS 1948 Theatergruppe der HS 1948

Theatergruppe der HS 1948 4. Klasse 1952

Abschlussklasse 1936 1952

Faschingsfreude nach dem Krieg, 1946

1955

Die 4. Klasse 1950 1950

212 1956

1954

Eine Seite der Schulchronik, 1935 (Foto SCR HS Obernberg)

3. Klasse 1954

4. KLasse 1957

Eine Seite der Schulchronik im - nun lesbaren Deutsch, 1955 (Foto SCR HS Obernberg)

213 4. KLasse 1955

4. KLasse 1956

Ufertor früher (Foto: Lindlbauer)

4. KLasse 1958

4. KLasse 1960 Obernberg 1000 Jahr Feier 1955 (Foto: Fam. Schlegl)

HS Obernberg / Schulchronik

214 4. KLasse 1959

Wienwoche 1961

HS Obernberg / Schulchronik

215 Sehr interessant ist das Bildarchiv der Schulchronik der Volksschule Obernberg. Die Bilder der Haupt- schule sind starkt auf Formaliltät abgestellt. Die der Volkssschule sind viel mehr im öffentlichen Leben ver- ankert und zeigen die verschiedenen Obernberger Feste: Erntedankfeste, Pferdemarkt, 1000-Jahr Feier etc.

Die erste Aufnahme der Volksschule: 1928!

Fasching 1947

Abschlussklasse 1948

Fasching 1947

Beim Pferdemarkt1947

2. Klasse 1948 VS Obernberg / Schulchronik

216 Pferdemarkt 1947

Pferdemarkt 1947 Kriegerdenkmal 1949

Erstkommunion 1948

Cover Schulchronik Volksschule Obernberg

3. Klasse 1948

217 Pferdemarkt 1947 1000 Jahre Obernberg 1955

Hochwasser 1954

3. Klasse 1956

Hochwasser 1954

Der umfassend gebildete VS Leiter 1948

Hochwasser 1954

218 Erntedankfest 1954 Erntedankfest 1954

Erntedankfest 1954

Akribische Planung dieser Jahre!

Erntedankfest 1954

Staatsvertragsfeier 1955

Erntedankfest 1954

219 1000 Jahre Obernberg Volksschulklasse 1956

1000 Jahre Obernberg

1000 Jahre Obernberg

Nationalfeiertag 1958

Unabhängig 1955

VS Obernberg / Schulchronik

220 1000 Jahre Obernberg

Fronleichnam 1954

1000 Jahre Obernberg

Ende der 60er Jahre: VS Klasse mit dem Lehrer Zeilinger Martin

VS Obernberg / Schulchronik

221 Was sagt die ältere Generation?

Viele persönliche Bemerkungen,die im Laufe der vielen Oral History Gespräche gefallen sind, kommen immer wieder. Unsere Schüler haben in der Einrichtung Betreutes Wohnen noch mal nachgefragt.

„Bevor der Krieg angefangen hat, waren die meisten Leute Selbstversorger mit einer kleinen Landwirt- schaft.“ „Wir sind jeden Tag zu Fuß in die Schule gegangen, egal bei welchen Wetter.“

„Sobald es dämmrig wurde, durften wir nicht mehr nach draußen gehen, die Lichter wurden ausgeschaltet und Vor- hänge zugezogen.“ „Als Kinder haben wir das nicht so mitbekommen, aber man hat ge- merkt, dass die Erwachsenen Angst hatten.“ „Nach dem Krieg ging es uns eigentlich ganz gut, denn wir waren in der amerikanischen Besatzungszone und wir haben Schokolade und andere Süßigkeiten bekommen.“

„Nach dem Krieg ging es uns schlecht, etliche Frauen wurden von den Amerikanern vergewaltigt.“

„1945 haben wir amerikanische Panzer gese- hen und unseren ersten Kakao getrunken.“

„1955 war Österreich endlich wieder Leonie Gurtner frei!“ (rechts) und Analena Stockmeier haben sich für sie umgehört und sind immer wieder auf ähnliche Aussagen gestossen!

222 Die Chronik der Gemeinde Obernberg enthält nur wenige ältere Fotos. Interessanter ist die Sammlung des Volksschuldirektors Johann Preischler. Er sammelte Obernberger Zeichnungen seiner Schüler in der Schulchronik. Einige besonders schöne Fotos kommen auf den nächsten Seiten sowohl im Bildteil als auch in Redaktionsteil vor!

(Bild: Sammlung Preischler, SCR VS Obernberg) 1000 Jahr Feier (Foto: Gemeinde Obernberg)

Eine der wenigen Aufnahmen des Schülerheims (Foto: Gemeinde Obernberg)

(Bild: Sammlung Preischler, SCR VS Obernberg)

Das neue Zollamt (Foto: Gemeinde Obernberg)

(Bild: Sammlung Preischler, SCR VS Obernberg)

Schloss Obernberg (Sammlung Preischler, SCR VS Obernberg)

223 Heimat ist nicht nur Österreich, Oberösterreich oder Obernberg. Heimat kann auch ein Stadt- oder Markt- teil sein. So wie etwa die Ufergasse am Ufertor. Josefine Kutil, geb. Flöcklbauer hatte eine solche Heimatlie- be. Sie hat darüber geschrieben. Der Familienforscher Hans Hathayer hat darauf aufmerksam gemacht.

224 Eine wuchtige Fotosammlung gibt es bei der Familie Schlegel in Reichersberg. Der verstorbene Reichers- berger Historiker, Hans Schlegel, hat 20 Jahre gesammelt und auch ein Fotobuch zu dem Reichersberger Bildern herausgegeben. Seine Fotos umfassen aber auch die Anrainergemeinden, unter anderem Obern- berg. Hier zuerst einige ausgewählte Reichersberger Ansichten!

Arbeiter in Reichersberg, ca. 1920 Primiz der Gebrüder Foissner, 1951

Ochsenrennen in Reichersberg 1930 2. Klasse Volksschule 1954

Sauabstechen in Reichersberg 1930 Kinderfasching 1957

d‘Liab am Karnerhof 1948 Kinderfasching 1957

225 Viel Verkehr 1959 1961

Fahnenweihe Kriegsopferverband 1959 1961

Von oben 1959 Marktplatz neu 1963

1961 Chor 1965

226 Etliche der Ansichten rund um das Reichersberger Schulgeschehen finden sich nicht in der Schulchronik. Hans Schlegel hatte sie wohl aus privaten Quellen. Ich ersuche um Verständnis, wenn ich in der Folge die Benennung der Fotos nach dem verdienten Historiker fortsetze.

Kindergarten 1953 Martina Hörzig, Lehrerin

Theater 1954

Theater 1954

Kindergarten 1954

Hirtenspiel 1956

Leherin Hörzig und Kinder 1960 Hirtenspiel 1956

Volksschule / Reichersberg

227 Weniger bekannt ist, dass Hans Schlegel auch Ansichten aus Obernberg gesammelt und katalogisiert hat. Aus diesem ebenfalls viele hundert Fotos umfassenden Bestand können hier wiederum nur einige wenige gezeigt werden.

Erntedankfest1954 Erntedankfest1954

Erntedankfest1954 Fronleichnam 1954

Erntedankfest1954 1000 Jahr Feier, 1955

Erntedankfest1954 1000 Jahr Feier, 1955

228 1000 Jahr Feier, 1955 Rothner, Obernberg

1000 Jahr Feier, 1955

Fronleichnam 1955

Figl in Obernberg

Obernberg1955

229 Einige der Fotos kennen Sie evtl. aus dem Band „Das Wunder von St. Martin“. Wir haben vom Flugfeld Münsteuer aus der Kriegszeit etliche Fotos auch bei Johann Schlegel gefunden. Hier eine Auswahl.

Auf dem Flugfeld Münsteuer Flugplatz 1838

Auf dem Flugfeld Münsteuer Alte Ju 52

Dampfmaschine am Flugfeld (1939 und 1940) Bruchlandung

Dampfmaschine und Seilwinde Das meistgebaute Jagdflugzeug der Geschichte: ME Bf 109

230 Auch wenn man glaubt, man kenne bereits die meisten Ansichten eines Ortes, so können einen ungeahnte Funde doch eines Besseren belehren. So geschehen mit folgender Fotoauswahl - ein versteckter Schatz aus den 30er Jahren aus dem Reichersberger Stiftsarchiv!

Reichersberg, vom Stift aus gesehen. Kinder 1930

Reichersberg, vom Stift aus gesehen. Ernteumzug

Stiftsfeier 1934

Weibliche VF Jugend

Stiftsarchiv/ Ortsmitte Reichersberg

231 Reichersberg, ca. 1930 1930, Meierhof

1930, 2. Klasse Volksschule

Reichersberg, 30er Jahre

850 Jahrfeier, 1934

Reichersberg, 30er Jahre

Reichersberg 30er Jahre

Reichersberg, 30er Jahre

Jung-Vazterland 1934

232 1934, Bundesheeraufmarsch

Stiftsarchiv/ Reichersberg

1934, Heimwehraufmarsch

Die jungen Reichersberger Kleriker, 1949

1934, Bundesheeraufmarsch 233 Viele Fotoschätze zu Obernberg hütet die Obernberger Familie Lang. Hier nur ein kleiner Auszug!

Eis am Innufer, 1929 Anlegestelle

Innufer

Winter 1928/29

Innufer

Gewerbliche Berufsschule 1941

Innufer

Köpfstätte 1931

234 Obernberg 1931 Peterl am Berg, 30er Jahre

1931

Atelier Lang, 30er Jahre

Bus Obernberg, 1938

Auch das ist Obernberg! Soldat bei der Familie Lang 1941

235 Weihnachten bei den Langs Obernberg, Kaufgeschäft Wiesmaier in Urfahr. Dieses Haus hat später der Sparkassendirektor Hans Lehner gekauft.

Winter 1928/29

Kopfstätte 1931

Sommer 1940, im Hintergrund Obernberg

Inn bei Obernberg Über den zugefrorenen Inn gehen: 1929

236 Fotos zum alten Obernberg - insbesondere zum Gauturnerfest 1920 haben wir von Frau Ilse Unger erhalten!

Gauturnen 1920 „Grenzübergang“ Obernberg - direkt vor dem Schatzl-Haus!

Gauturnen 1920

Woerndle Haus, NS Zeit

Gauturnen 1920

Obernberg, NS-Zeit Gauturnen 1920

237 Interessante Fotos zu Mörschwang verdanken wir der „Hansbäurin“ aus St, Martin, Schachinger Josefine.

Auch im kleinen Mörschwang gut organisiert - Jung Vaterland der VF

Die Mörschwanger beim Kolpingumzug, 30er Jahre Die Mörschwanger beim Kolpingumzug, 30er Jahre

238 Dr. Stefan Reifeltshammer hat uns mit Fotos von Reichersberg und Obernberg versorgt. Einige der vielen Bilder zu Obernberg haben wir in das Buch aufgenommen.

Obernberg 1937

Eher nicht bei der Vaterländischen Front: Motorradfahrer in Obernberg 1935

Feuerwehrfest 1951

Motorradfahrer in Obernberg

Obernberg 1953

Obernberg

Privatsammlung / Reifeltshammer

239 Sommebauer Traudi war die Tochter des Obernberger HS-Direktors Kastenhuber. Beide kommen recht oft in unserem Buch vor - etliche der Bilder haben Sie bereits in den Artikeln gesehen. Hier einige mehr!

Blick auf Köpfstatt 1943 Eisstoß 1942

Damm, Juni 1940

Fronleichnam 1942

Heldengedenktag 1940

Jänner 1944

Kein Damm und keine Brücke: Obernberg 1939

240 Unbekanntes Obernberg? Unser Team Geschichte hat interessante Ansichten aus der Gegenwart Obern- bergs gesammelt, die örtlich erst auf den zweiten Blick zuordenbar sind.

Obernberg 2018 Obernberg 2018

Obernberg 2018

Obernberg 2018

Obernberg 2018 Obernberg 2018

Obernberg 2018

TEAM / Geschichte 2018

241 Fotosplitter (Sammlung Weissenböck)

Gurtnertor, Gegenwart (Foto: Team GS)

Fasching in Graben 1924!

Der dritte Band unserer „Beiträge zur Geschichte des Innviertels“ wird 2021/22 erscheinen und beschäftigt sich mit den Obernberger Schulen - von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hier ein Foto aus den 70er Jahren (Foto: Martin Zeilinger)

242 Der Stand der Forschung 2018 - und wie es weitergeht... ie Geschichte des Grenzlandes ist nicht vollstän- Die Geschichte des Marktes Obernberg Ddig beforscht. Das ist sie nie. Auch wenn wir eini- und der Grenzgemeinden zu bearbeiten, ge Lücken verkleinern konnten, gibt es Dinge, wo das war uns zwei Jahre lang ein Anliegen. Zum Hinsehen generell weiterhin lohnt. Wir haben etwa nur Schluss sei gesagt, wo es unserer Meinung einen ersten Blick auf die NS-Zeit in Reichersberg und nach interessant wäre, weiterzuforschen. Dazu ein kurzer Überblick, was wir nicht - mehr - for- St. Georgen riskiert. Hier sollte man noch in die Tiefe scherisch geschafft haben. Und ein Beispiel, wo wir uns forschen. In Obernberg haben wir genauer hingesehen, im Kreise drehten... hier wäre die Mikroforschung in einigen Familien - wie die Überraschung als im Internet dann nie vorher ge- es Christine Lindenthaler in diesem Buch exemplarisch sehene Fotos eines Heldengedenktages auftauchten: gemacht hat - eine interessante Weiterarbeit. Die NS- aus Obernberg 1945! Aber: Trotz aller Bemühungen Geschichte zu Kirchdorf und Antiesenhofen haben wir winkten alle unsere Zeitzeugen ab, alle historisch In- nicht mehr geschafft. Sowohl was die Frühgeschichte teressierten verneinten: So ein Denkmal, in der Form der NSDAP angeht, als auch was die Entnazifizierung betrifft. Sie wird vermutlich in Antiesenhofen - und mehr noch in Ort - ergiebiger sein als in Kirchdorf. Und auch wenn ich persönlich glaube, dass man es mit der NS-Gedenkkultur mancherorts übertreibt: Ein we- nig mehr als nichts, dürfte es an einem öffentlichen Ort in Obernberg schon sein. Es gab etliche Widerstands- kämpfer im Ort. Die Opferbilanz der NS Zeit ist auch in Obernberg erschreckend. Abseits der Gefallenen, die bereits ein Kriegerdenkmal ehrt. Besonders ergiebig würde sich das weitere Forschen an den „Euthanasieop- fern“ aus unserer Gegend erweisen. Die Quellen dazu liegen im Landesarchiv und warten nur auf eine Sich- tung. Da wäre locker eine Diplomarbeit drinnen! Die Schulgeschichte haben wir bis 1965 im Überblick bewältigt. Wie wäre es mit einem Bildband zu den Jah- ren danach? Für Obernberg oder die anderen Gemein- den? Hingegen ist das eindimensionale Weiterschreiben der ein halbes Jahrhundert alten Marktchronik Obern- bergs keine ausgereifte Idee. Wo ist ein Forschungsende erreicht? Wohl bei der Mi- litärgeschichte um 1945, das Grenzland betreffend. Immer wieder wurden in den letzten Jahren Einzeldar- Obernberg im März 1945 - eher aber woanders. (Fotos: MS Eichsteininger) stellungen in lokalen Medien, wie dem „Bundschuh“ vorgestellt. Mit der langen, ausführlichen Darstellungen hat es nie gegeben. Trotzdem hier zwei Fotos dazu, viel- von Renato Schirer, scheint mir hier für die nächste Zeit leicht wissen Sie als Leser mehr? ein forscherischer Meilenstein gesetzt. Die Geschichte Etliche gute Leute haben sich für dieses Buch zusam- der Protestanten in Obernberg ist aufregend. Das „gal- mengefunden - auch und gerade außerhalb von Obern- lische Dorf Obernberg“ als letzter Stronghold in Bayern? berg. Bei der Zusammenarbeit der Forscher in Obern- Das könnte man gut vermarkten! Zusammen mit dem berg selber, sehe ich durchaus noch Luft nach oben. Ensemble des Marktes und der Burg. Mit den Nauflet- Diese Zusammenarbeit braucht es aber. Zu rasch ändert zern und Anton Reidinger. Mit der kuriosen Obernber- sich die Methodik in den Geschichtswissenschaften, zu ger Marinegeschichte. Und weil man träumen darf: Das differenziert sind die Sichtweisen auch in der Regional- Ganze in einer Tourismusregion mit St. Martin und der geschichte geworden, als dass sie ohne Verlust der Qua- weltbekannten Geschichte der Lipizzaner dort. lität von Einzelnen bewältigt werden könnte. Und wo haben wir uns verlaufen? Im Linzer Landes- archiv sind wir auf Planungsarbeiten zu einem großen Eichsteininger Hannes Obernberger Kriegerdenkmal gestossen. Wie groß war 243 Abkürzungsverzeichnis

AK = Ansichtskarte SCR = Schulchronik BA = Bundesarchiv SS = Schutzstaffel BAYHSTA = Bayerisches Hauptstaatsarchiv Stolgebühren = Gebühren, die früher für jede Arbeit des Priesters angefallen BDM = Bund Deutscher Mädchen sind, wenn er sein „Arbeitsgewand“ (die Stola) anlegte. Fam. = Familie T4 = Tiergartenstraße, Nummer 4 Dipl. = Diplomarbeit VF = Vaterländische Front DJ = Deutsches Jungvolk VS = Volksschule Diss. = Dissertation FIH = Fleckviehzuchtverbandes Inn- und Hausruckviertel (FIH) FLAK = Flugabwehr HJ = Hitlerjugend HS = Hauptschule HKL = Hauptkampflinie JV = Jung Vaterland LAV = Landesarchiv MS = Materialsammlung NARA = National Archives and Records Administration NSV = Nationalsozialistische Volksfürsorge NSKK = Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps NSV = Nationalsozialistische Volkswohlfahrt NS = Nationalsozialismus OB = Obernberg PA = Politischer Ausschuss RAD = Reichsarbeitsdienst SA = Sturmabteilung

Ortsregister

Altheim: 7, 33, 69, 79, 91, 106, 110, 111, 119, 148, 164, 166, 181, 183 Antiesenhofen: 2, 13, 17, 19, 21, 29, 43, 49, 54, 55, 56, 58, 60, 72, 80, 110, 124, 132, 134, 136, 138, 142, 144, 144, 150, 152, 164, 188, 190, 206, 210, 142 Braunau: 4, 10, 44, 47, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 91, 97, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 110, 111, 112, 125, 154, 166, 183, 186 Egglfing: 51, 60, 61, 62, 64, 66, 68, 69, 70, 72, 73, 91, 92, 97, 98, 100, 101, 107 Fraham: 75, 138, 139 Füssing: 101 Geinberg: 51, 79, 82, 83, 87, 105, 108, 109, 111, 120, 122, 129, 130, 158, 166 Graben: 19, 242 Gurten: 7, 51, 105, 107, 122, 144, 158 Hub: 84, 88 Katzenberg: 2, 79, 82, 83, 91, 107, 147, 148, 149, 166, 185 Katzenbergleithen: 91, 148 Kirchdorf: 5, 6, 7, 23, 51, 63, 79, 80, 81, 82, 83, 85, 93, 109, 111, 127, 147, 149, 177, 191, 198, 200, 201, 202, 242 Mörschwang: 2, 55, 76, 95, 111, 125, 126, 139, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 164, 166, 173, 188, 238 Nonsbach: 84, 87, 95, 96, 173 Minaberg: 75, 189 Marsbach: 57 Mitterding: 55 Mörschwang: 3, 54, 76, 94, 110, 122, 124, 130, 156, 158, 160, 164, 166, 181, 237, 239 Münsteuer: 48, 56, 59, 61, 71, 73, 82, 102, 133, 140, 160, 164, 168, 178, 179, 186, 189, 230 Obernberg wurde nicht in das Register aufgenommen, weil es praktisch auf jeder Seite vorkommt. Anm. Ried: 2, 3, 4, 5, 9, 10, 11, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 31, 33, 35, 38, 39, 41, 42,44, 45, 48, 49, 50, 52, 53, 54, 57, 58, 59, 62, 63, 66, 68, 70, 71, 72, 73, 74, 77, 78, 79, 80, 83, 86, 88, 89, 95, 96, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 109, 110, 115, 116, 117, 121, 125, 130, 134, 135, 140, 151, 152, 157, 164, 165, 168, 169, 170, 177, 181, 186, 187, 191, 192, 193, 203 Schärding: 4, 10, 45, 55, 58, 59, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 71, 72, 74, 76, 97, 102, 105, 106, 107, 108, 109, 111 125, 136, 155, 162, 166, 177, 186, 193 Senftenbach: 71, 72 St. Georgen: 2, 3, 5, 6, 12, 16, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 32, 44, 50, 52, 60, 72, 80, 84, 86, 87, 88, 90, 90, 94, 96, 110, 118, 122, 126, 164, 166, 167, 172, 174, 176, 178, 188, 190, 192, 200, 202, 204, 206, 208, 242 St.Martin: 4, 7,18, 49, 70, 72, 84, 85, 95, 102, 106, 109, 111, 116, 170, 186, 230, 243 Pischelsdorf: 122,190 Pocking: 19, 48, 100, 105, 125, 164, 178, 189 Reichersberg: 1, 16, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 42, 44, 50, 56, 58, 6, 74, 76, 77, 78, 80, 82, 94, 96, 110, 112, 114, 116, 118, 124, 126, 138, 140, 142, 144, 146, 147, 151, 153, 157, 161, 165, 167, 171, 173, 179, 189, 193, 197, 223, 225, 229, 231 Röfl: 84, 88,121,165 Traxlham: 11 Ufer: 9, 10, 49, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 97, 101, 125, 141, 173 Urfahr: 49, 132, 170, 236 Viehausen: 189 Weilbach: 44, 59, 72, 102, 105, 111, 119, 121, 122, 123, 124, 127, 164, 177

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