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enn bei di W e … Männer sich verli eben Liebe Leserinnen 2 und Leser, Aus unserem Archiv 3 Staub und verborgene Schätze im Aus unserem Archiv 3 Ihnen allen die besten Wünsche für 2017 und danke für Ihre Unterstüt- CSG-Archiv Aktivitäten 4 zung im vergangenen Jahr! Titelthema/Hintergrund 6 In der ersten HIStory 2017 geht es Titelthema/Fundstück 9 zwei Mal um Kindesmissbrauch. Das Bild, das man gewöhnlich ben mich gefesselt und neugierig Kriminalfall 12 Zunächst Gerold Becker, ehemaliger von einem Archiv hat: verstaubte, ­gemacht. Die zusammengehefteten Leiter der Odenwaldschule, großer schmutzige, alte Akten. Archivare oder losen Blätter passten gut in die Buchbesprechung 15 Skandal. Gerhard Oelkers rechnet in gelten als Schatzgräber, die ver- provisorischen Hängetaschen, um Termine 17 seinem Buch dazu mit der Reform- borgene Schätze aus vergangenen sie aufzubewahren. Um sie zu le- Spenden an: pädagogik ab. Friedrich Schregel Zeiten ans Tageslicht heben. Die sen, war es aber erforderlich, sie von Förderverein bespricht es (S. 15). 1966/67, vor 50 Schätze können unter Staub in alten Klammerheftung und Klarsichthül- Centrum Schwule Geschichte e.V. Jahren, wurde der Kindermörder Akten verborgen sein. Sieht man le zu befreien. Sparkasse KölnBonn Jürgen Bartsch verhaftet und verur- genauer hin, kommen sie ans Tages- Fesselnde IBAN: DE95 3705 0198 1932 566662 teilt. Der Fall war seinerzeit Thema licht. Der Schatzgräber ist der Ar- BIC: COLSDE33XXX Nummer eins in den Medien. Wir chivar gemäß dem Leitspruch „Wer ­historische erinnern (S. 12). suchet, der findet.“ Nein, so einfach Dokumente ist es nicht. Ein wenig Mühe muss Neben dem Sichten der August Platen und der Alleskönner man sich schon machen, um histo- Transkriptionen hatte ich Herausgeber: August Kopisch waren in den 1820er rische Schätze wieder ans Tageslicht aber auch das Privi- Centrum Schwule Geschichte e. V. Jahren ein Paar. In zwei Artikeln In den Reihen 16 zu bringen. In unserem CSG-Archiv leg, Live-Mitschnitte ­begegnen Sie ihnen: Willi Kutsch 51103 Köln mit den ehrenamtlichen Archivaren von Zeitzeugenin- berichtet über Kopischs Werdegang Fon: 0221/98558348 verhält es sich ebenso. Der Umgang terviews anhören (S. 6), Friedrich Schregel beschäftigt Mobil: 0176/68862443 mit dem überlassenen Archivgut zu können. Der Archivar hat das Mail: [email protected] sich mit einer Platen-Ausgabe von wird immer umfangreicher und an- Glück, den historischen Dokumen- www.csgkoeln.org 1853/54 aus der CSG-Bibliothek spruchsvoller, Sorgfalt ist stets an ten nahe zu sein. Trotz aller Mono- Chefredaktion: Herbert Potthoff und weiteren Editionen (S. 9). der Tagesordnung. tonie und der Akribie, die Archiv- Stv. Chefredaktion: Kristof Balser (V.i.S.d.P.) Wissen Sie bereits alles über den arbeit mit sich bringt, bleibt sie stets Klammern und Klarsichthüllen Kölner Heumarkt einschließlich Sei- anregend und abwechslungsreich. Grafik/Bildredaktion: müssen weg Holger Willms, tenlinien der schwulen Geschichte? Übrigens: Ich habe die Zeitzeugen- GlobalGraphics.de Exklusiv bietet Ihnen das CSG eine Es sei erlaubt, ein persönliches Er- transkriptionen natürlich sach- und Beiträge: Kristof Balser Führung zur Sonderausstellung lebnis anzuführen: Ich erinnere fachgerecht in Archivfaltkartons Willi Kutsch Friedrich Schregel „Drunter und drüber: Der Heu- mich daran, als ich erstmals Hänge- umgelagert und dokumentiert. Bibliographische Information der Deutschen markt“ im Kölnischen Stadtmuseum. akten in unserem Archiv in Kalk, In Bibliothek Alle Informationen: Termine, S. 18. den Reihen 16, bearbeitete, in denen Habe ich dich neugierig gemacht Die Deutsche Bibliothek verzeichnet die Pub- die Transkriptionen oder Protokolle auf eine interessante, ehrenamtliche Viele Neuentdeckungen und Anre- likation in der Deutschen Nationalbibliogra- der Interviews mit homosexuellen Archivarbeit bei uns im CSG? gungen bei der Lektüre! phie; detaillierte bibliographische Daten sind Zeitzeugen aufbewahrt werden. im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Die zeitliche Distanz zu ihrer Ent- Dann melde dich einfach! stehung und die in den Biographi- Wir brauchen Deine Unterstützung! Kristof Balser Urheber und Inhaber von Bildrechten, die en enthaltenen Informationen ha- Fon: 02 21/98 55 83 48. nicht erreicht werden konnten, werden Für Herbert Potthoff und den Vorstand des CSG zwecks nachträglicher Rechtsabgleichung um Willi Kutsch

Nachricht gebeten. Foto: Holger Willms Titelbild: © fotolia.com, mikolajn; CSG © 2017, alle Rechte vorbehalten www.sparkasse-koelnbonn.de

4 Aktivitäten 5 Der CSG-Herbst 2016

AStA-Ausstellung Das CSG war 2016 nicht Teil des ­offiziellen Programms der -Muse umsnacht Köln. Dennoch präsen- tierte das CSG Anfang Oktober/­ Anfang November im Barcelon in der Pipinstraße eine Ausstellung. Die Schau „Aufklärung und Skan- dal. 33 Jahre Lesben und Schwule an der Universität zu Köln“ wurde von Großes Kino Michael Bau für den Kölner AStA Die Sonderausstellung im Kölni- und das Lesben- und Schwulenrefe- schen Stadtmuseum „Großes Kino – rat der Universität zu Köln erarbei- 120 Jahre Kölner Filmgeschichte“ tet und im November 2015 zum ers- erzählte vom Kino-Glamour der ten Mal in der Hauptmensa ­gezeigt. 1920er Jahre, dem Kino-Boom nach In der Ausstel- 1945 mit Filmtheater-Palästen in der Innenstadt, den zahlreichen Vorortkinos und vom Niedergang mit den Schachtelkinos der 1970er Jahre. Am 4. Oktober 2016 ­erhielten CSG-Mitglieder, -Fördermitglie- der und -Gäste in einer Sonder- führung durch Museumsdirektor und CSG-Fördermitglied Dr. Mario Kramp einen profunden Einblick Unser Engagement für Kultur. in die Geschichte der Kölner Kinos ­unter ­besonderer Berücksichtigung lung wurden Kunst und Kultur als Lebenselixier der Region schwuler Aspekte. die ­wichtigsten Ereignisse der Ge- schichte der ­Homosexualitäten und Musik, Theater, Tanz, Literatur oder die Vielfalt der Museen: Ein breites kulturelles Angebot In seiner unnachahmlichen Art, der Aufbau einer lesbisch-schwulen macht unsere Region lebendig und gibt ihr ein Gesicht. Daher unterstützen wir Highlights wie große, kleine und ganz kleine Ge- Interessenvertretung an der Kölner das Beethovenfest Bonn oder die lit., aber auch die vielen kleinen Theater, Bühnen und schichte in einen Zusammenhang Alma Mater parallel dargestellt. Gruppen in Köln und Bonn. zu stellen, fand die Führung durch Auch hier wurden die Besucher Dr. Mario Kramp großen Anklang. Zeitzeugen: Wer die Zeit miterlebt Die Veranstaltung bot eine kurz- hatte, konnte eigene ­Erinnerungen weilige Zeitreise und machte alle wieder ans Licht bringen, prüfen,­  Sparkasse Teilnehmer zu Zeitzeugen. Denn sie bewerten und hatte sicherlich KölnBonn veranlasste, eigene Erinnerungen an auch die ­Möglichkeit, ausgiebig zu Kölner Kinos, Filme und Erlebnisse schwelgen.

wieder hervorzuholen. Kristof Balser Kutsch Fotos: Kölnischen Stadtmuseum; CSG; Willi August Kopisch um 1829

6 Hintergrund 7 homosexuellen Mäzen Gustav Gün- August Kopisch del (1794 – 1860) kennenlernte. Pla- Deutscher Schriftsteller, Erfinder, Maler ten war zunächst reserviert, doch dann notierte er in sein Tagebuch: „Ich erwartete wenigstens bloß eine trockene, gewöhnliche Bekannt- ie bekannte Sage „Die Heinzel- populär. In Köln ist Kopisch wahr- schaft zu machen. (...) Ich aber war männchen zu Köln" verfasste scheinlich nie gewesen. Erstmals nicht wenig bestürzt, mich aufʼs inD ihrer populärsten literarischen schriftlich erschien die Sage 1826 als Neue in einem Zustande zu sehen, Form der im 19. Jahrhundert be- Prosaerzählung des Kölner Schrift- in welchen ich (…) nie mehr zu ge- kannte Dichter, Erfinder und Maler stellers Ernst Weyden (1805 – 1869), dieser Attraktion der Insel einen raten hoffte.“ Die Liebe ereilte ihn August Kopisch. mit dem Überlieferungshinweis bis heute nicht versiegenden Tou- „wie ein Pfeil, den die Kraft Amors „mündlich“. Steinernes Zeugnis ist ristenstrom. Kopisch liebte das gesendet, mein Herz traf und dem Kobolde, Wichtel und „Die der Heinzelmännchen-Brunnen in nea­politanische Leben, ließ sich zu Leibe Ruh nahm.“ Heinzelmännchen zu Köln“ der Straße Am Hof, zwischen Brau- volkstümlichen Dichtungen und Glück, Eifersüchteleien und 1799 in Breslau geboren, haus Früh und Dom-Hotel gelegen, Übersetzungen populärer italieni- begann Kopisch 1815 zum 100. Geburtstag von August scher Stücke inspirieren. Als „Don Orangen zum Abschied ein Kunststudium, zu- Kopisch errichtet. Augusto Prussiano“ (Prussiano = Kopisch dichtete nun, durch Platen nächst in Prag. Nach Preuße) wurde er zu einem stadt- angeregt, nach antiken Vorbil- „Don Augusto Prussiano“ und einem Schlittschuhunfall mit bekannten Original und zur Figur dern. Beide waren unzer- bleibenden Verletzungen an die „Blaue Grotte“ in einer Volkskomödie des mit ihm trennlich und verbrach- der Hand gab er seine künst- Mit der Wiederentdeckung der befreundeten Dramatikers Filippo ten mehrere Wochen am lerischen Ambitionen auf, „Blauen Grotte“ von Capri sicherte Cammarano. Golf von Neapel. Platen verlegte sich vorwiegend sich Kopisch bleibenden Ruhm. Seit war überzeugt, in Ko- Liebeskummer und die auf seine dichterische 1824 war er in Rom und Neapel. Ge- pisch die Erfüllung sei- Begabung und gestaltete meinsam mit dem Heidelberger Ma- B­egegnung mit Platen nes Freundschaftsideals mit Zwergen, Kobolden und Was- ler Ernst Fries (1801 – 1833; Selbst- In seinen Jugendbriefen ist bereits gefunden zu haben. Für sergeistern bevölkerte Gedichte. mord) entdeckte er – Kopisch war eine enge Freundschaft zum „Ge- Kopisch soll diese Lebensspan- „Die Heinzelmännchen zu Köln“, ein guter Schwimmer – die „Blaue liebten meines Herzens“, einem ne der Freundschaft mit Platen der 1836 veröffentlicht, sind bis heute Grotte“ wieder und ­bescherte mit Nicolaus aus Prag, belegt. Über wei- Höhe­punkt seines Aufenthalts in tere Kontakte Kopischs zu männer- Italien, vielleicht seines ganzen Le- liebenden Männern in dieser Zeit bens, gewesen sein. Unwahrschein- Nostalgische Postkarten: Heinzelmännchen-­ ist bislang nichts bekannt. 1827 in lich ist jedoch, dass ihre Beziehung Brunnen, Köln um 1920, l., Capri, Blaue Grotte, r. Italien dagegen sinnt er über eine über eine bloße Männerfreund- unglückliche Liebe zu einem Mäd- schaft hinausging. Zum Streit kam chen, die er in Deutschland gehabt es durch Platens Eifersucht auf den haben will. Sein Zustand besserte wohl homosexuellen Karl Wilhelm sich durch die Begegnung mit dem Semler (1788 – 1838), einem hochre- deutschen Dichter August von Pla- ligiösen Finanzrat. Semler bemerkte, ten (1796 – 1835), einem der ersten der Umgang mit dem „halben Hei- bekennenden Homosexuellen (sie- den“ Platen lasse ihn für Kopischs he auch den Artikel von Friedrich Seelenheil fürchten. Platen ging auf Schregel in diesem Heft, S. 9 bis 11), Distanz zu Kopisch. Der nahm sich den Kopisch in der Künstlerszene das so zu Herzen, dass er auch ein-

Foto: fotolia.com, tanita_b; goethezeitportal.de Fotos: Porträtsammlung Franz Hanfstaeng von Neapel um den wohl ebenfalls mal in heftige Tränen ausbrach. Sie Hofgärtnerhaus in Sanssouci, Gemälde von Hermann Schnee Fundstück 8 (1840 – 1926) 9 Erfinder Vor 170 Jahren Kopisch kehrte 1829 nach Breslau Ist die Homosexualität eines Dichters von zurück und betätigte sich auch als Bedeutung? Erfinder. 1834 erhielt er das ­Patent auf einen Reise-Schnellofen und ugust Platens (1796 – 1835) im Unterschied zu den meisten Pro- einen transportablen Ofen zur „Gesammelte Werke“ gibt es fessoren seiner Zeit bis heute allen Stuben­heizung. Er nahm damit die inA mehreren Ausgaben. 1839 wur- Germanistik-Studenten ein Begriff: tragbaren Heizgeräte heutiger Zeit de die erste Edition veröffentlicht, Sein „Grundriss zur Geschichte der vorweg. Er wurde Kunstbeirat am 1853 erschien die nächste Version deutschen Dichtung“ (3 Bände, 1859 ­versöhnten preußischen Hof und lebte ab 1847 in 5 Bänden, bis 1910 folgten wei- bis 1881) ist das umfangreichste sich zwar, in , im Park von Schloss tere Ausgaben. Die Bibliothek des Buch seiner Art. Karl Goedeke ver- doch beider Sanssouci im Gärtnerhaus. Eng be- CSG enthält auch die Ausgabe von ließ die Universität Göttingen ohne Verhältnis freundet war er wohl nur mit dem 1853/54. Diese Ausgabe hat beson- Abschluss, arbeitete als Journalist, ließ nach, und Naturforscher Alexander von Hum- dere Bedeutung – ihre Herkunft. Literaturhistoriker, Herausgeber es endete mit boldt (1769 – 1859). Beide verband Volker Bulla, 2016 verstorben, lange und übernahm dann mehr und einem Tren- die Zuneigung zu (jungen) Män- Jahre Mitglied des CSG, in der Köl- mehr Arbeiten für den Stuttgarter nungsbrief nern. Kopischs exponierte Position­ ner Politik engagiert, in den Stadt- Verlag Cotta. Kopischs an am Hof, die gesellschaftliche rat gewählt (vgl. Nachruf HIStory Platen. Zum Ab- Stigma­tisierung der Männerliebe August Platen und August Alexander 3-2016, S. 9), hat uns mit anderen schied schenkte und die Angst vor öffentlicher Bloß- von Humboldt, Teilen seiner Bibliothek dieses Werk Kopisch Kopisch dem Enttäuschten Sor- stellung mögen dazu beigetragen Gemälde, 1843, überlassen. Karl Goedeke schrieb zuvor bereits rentiner Orangen und ein Gedicht. haben, dass Kopisch mit 53 Jahren von Joseph Stieler Mitte der 40er Jahre des 19. Jahrhun- Platen war gerührt: „Wirklich habe in den preußischen Militäradel ein- (1781 – 1858) Karl Goedeke derts eine Platen-Biographie – nun- ich mir viel gegen Kopisch vorzu- heiratete: Doch sein Eheglück war Die Platen-Ausgabe von 1853 wurde mehr vor 170 Jahren. Er spart darin werfen“, heißt es im Tagebuch. Und nur kurz. 1853 erlag August Kopisch betreut von Karl Goedeke (1814 – nicht an Lob, würdigt Form und In- „Ich fühle in diesem Augenblick einem Schlaganfall. Beigesetzt wur- 1887), Schriftsteller und Literatur- halt der wichtigsten Werke Platens, mehr als je, was so ein treuer und de er in einem Ehrengrab der Stadt historiker. Goedeke hatte zwar nie zitiert aus Briefen von und an Pla- zärtlicher Freund wert ist, und hätte im Feld OM G2 auf dem Drei- eine Professorenanstellung, ist aber ten, stellt Einflüsse, Lebensstationen noch in Neapel verweilen sollen.“ faltigkeitskirchhof II (Kreuzberg). und Bekanntschaften dar. Wer aber Willi Kutsch zum Leben auch die Lieben geschil- dert bekommen möchte, wird ent- Quellen täuscht. Auch der Dichter und Maler Paul Bornefeld, August Kopisch. Sein Leben und seine Werke mit einer Quellenunter­ August Kopisch (1799 – 1853, „Die suchung zu seiner Sagendichtung, Münster 1912 Heinzelmännchen zu Köln“) findet Georg von Laubmann/Ludwig von Scheffler (Hrsg.), Die Tagebücher des Grafen August Erwähnung: Platen fand in Kopisch von Platen, Band II, Stuttgart 1900 einen gleich gesinnten Freund (S. Ludwig Frey, Aus dem Seelenleben des Grafen Platen; in: Jahrbuch für sexuelle Zwischen- stufen 1899 bis 1923, Band 6, Leipzig 1904, S.359 – 447 xxxix). Kopisch „lebte den Sommer Literatur hindurch dem Grafen gesellt“ (sic, aktuell: Udo Kittelmann/Birgit Verwiebe (Hrsg.), August Kopisch. Maler, Dichter, Ent­ S. xl), die beiden machten Ausflüge, decker, Erfinder, 2016 – Ausstellungskatalog zur August-Kopisch-Ausstellung widmeten einander Oden, nur ihr in der Nationalgalerie, Berlin, 2016 sehnlichster Wunsch, das Innere Si- Bernd-Ulrich Hergemöller (Hrsg.), Mann für Mann, Berlin 2010, S. 442, 553, 556 August Platen, Gemälde, um 1830, ziliens gemeinsam zu bereisen, blieb Peter Bumm 1990, August Graf von Platen. Eine Biographie, Paderborn 1990 Foto: Sello, Familienbesitz; Schloss Charlottenhof, Potsdam Foto: www.dvdediciones.com von Moritz Rugendas (1802 – 1858) unerfüllt“ (S. xl). Näheres zu ihren Heribert A. Hilgers, Der Schlesier August Kopisch und die Heinzelmännchen zu Köln, in: Für Köln und Schlesien, Köln 1984, S.125 – 128 Heinrich Heine, Gemälde, 1831, von Moritz 10 Daniel Oppenheim (1800 – 1882) 11 Platen wird homosexuell Wünschen und „Sicherlich sind diese Freundschaf- Platens wurden in vier Bänden zwi- zu ihrem Ver- ten (…) heilig und rein; aber die Goedeke gönnt Platens Neigungen schen 1911 und 1931 gedruckt. hältnis erfahren fieberische Art, mit welcher sich die- kein Wort. Gegenbeispiele gibt es Literaturwissenschaftler wir nicht (vgl. zu ses Freundschaftsgefühl ausdrückt, mit Wilhelm Scherers (1841 – 1886) August Kopisch erhebt das Herz nicht, empört es. verbreiteter Literaturgeschichte, ab desinteressiert oder in diesem Heft S. 6 – 8). Der Anblick der ekelhaftesten Miß- 1883. Er behandelt Platens Werk rücksichtsvoll? geburt kann nicht widerlicher sein, auf anderthalb Seiten und bemerkt Haben die ­Literaturwissenschaftler Homosexualität Platens als, in diesen schönen Versen, das nur für Kundige verständlich: „Ein auf die vollständige Edition der thematisieren? glühende Körperlob der Jünglinge, sehr reiner Geschmack stand ihm Werke gewartet? Waren sie desin- Müssen die mann-männlichen Nei- dieses für sie kraftlose Schmachten, fast überall zur Seite, nur leider an teressiert oder rücksichtsvoll? Über gungen eines Dichters thematisiert dieses jammervolle Verschmähtsein, den Stellen nicht, wo er in seinen die Beweggründe lässt sich speku- werden? Lenken solche biographi- diese unweibliche Weichheit im Ge- Gedichten von sich selbst redet.“ (S. lieren, zumindest lässt sich jedoch schen Fakten nicht ab vom künst- fühle der Freundschaft!!“. Goedeke 660). Von der Germanistik wurde feststellen: Die Literaturkritik und lerischen Werk? Darüber ließe sich führt diese Kritik von Ludwig Robert Platen als Homosexueller erst in den -wissenschaft ließ eine Gelegenheit wohl streiten – nicht aber im Falle (1778 – 1832) in seinem „Grundriss“ 1920er Jahren wahrgenommen. Ge- ungenutzt, einen offen homosexuell von Dichtern, die ihre Sexualität auf – ob er sie inhaltlich zur Kennt- legenheit zur Berücksichtigung sei- auftretenden Dichter zu fördern und oder Homosexualität selbst zum nis nahm oder schlicht bibliogra- ner sexuellen Neigungen gab es zu- in seinem Namen Anerkennung zu Thema machen, in ihrem Werk be- phiert hat, ist nicht festzustellen. vor mannigfach. Platens Tagebücher fordern. Es wäre Gelegenheit ge- handeln und sich somit dem Pu- Bekannt war allen literarisch Inte- wurden ungekürzt 1896 bzw. 1900 wesen, auch gegen zu vermutende blikum öffnen. Platen war, schon ressierten auch der Streit zwischen (Bd. 1/2) auf den Markt gebracht. existente Ressentiments im Pub- zu seiner Zeit, als homosexuell Heinrich Heine (1797 – 1856) und Diese Ausgabe besprach Numa likum, den Dichter, seine Werke ­bekannt. Platen: Nachdem Platen sich 1829 Praetorius (Pseudonym von Eugen und seine sexuelle Disposition zu im „Romantischen Ödipus“ über die Wilhelm, 1866 – 1951) im „Jahrbuch würdigen und Akzeptanz zu for- August Graf von Platen-Haller­ Freunde Karl Immermann (1796 – für sexuelle Zwischenstufen“ 1898 dern. Der Historiker, der Gründe münde, 1796 geboren, kam bereits 1840) und Heine lustig gemacht bzw. 1900. Im „Jahrbuch“ erschien und Hintergründe einbezieht, wird als Knabe nach München ins Kadet- hatte und dabei Heines jüdischen ein Jahr früher der biographische aber vielleicht ins Grübeln kom- tenkorps, um Offizier zu werden: Glauben aufs Korn genommen hat- Abriss von Ludwig Frey „Das See- men: War nicht möglicherweise das Dort verliebte er sich 1812 in einen te, revanchierte sich Heine in den lenleben des Grafen Platen“. Im Verschweigen und Verstecken der Franzosen – er hat erste Ahnungen, „Bädern von Lucca“ („Reisebilder“,­ gleichen Verlag, bei Max Spohr in sexuellen Orientierung Platens bei noch nicht das Bewusstsein seiner 1830), indem er die „warmen“ Leipzig, erschien 1907 die kleine gleichzeitig kräftigem Lob seiner Homosexualität. 1814 geht er zu- Freundschaften Platens ausbreitete. Schrift „Heinrich Heine contra Graf Person und seiner Werke schon tap- rück in die Armee und macht die August von Platen und die Homo- fer und mutig genug? Befreiungskriege ohne Beteiligung Erotik“ von Max Kaufmann. Eine Friedrich Schregel an den Kämpfen mit. Er verliebt sich historisch-kritische Gesamtausgabe erneut – in den Offizierskameraden der Werke Platens wurde in 12 Bän- Friedrich von Brandenstein, die Lie- den 1910 herausgegeben, die Briefe be bleibt unerwidert. 1826 verlässt Platen Deutschland, geht nach Itali- en, 1835 stirbt er auf Sizilien. Platens Lyrik zu weich Das beschriebene Fundstück:

CC-BY-SA 3.0 CC-BY-SA Gesammelte Werke des Grafen Der Lyriker Platen wird 1828 mit ei- August von Platen. In fünf Bänden; ner Ausgabe gesammelter Gedichte Stuttgart und Tübingen, J. G.

bekannt – und fällt der Kritik auf: Foto: CSG; Kramp Foto: Lenard Cotta’scher Verlag, 1854 „Im Gegensatz zu den meisten Menschen habe ich schon seit 12 Kriminalfall einigen Jahren nicht den gerings- 13 ten Grund mehr zu lügen.“ Der Jungenmörder Jürgen Bartsch J. B. Prügel, baden, im Ehebett Die herrische Mutter war stim- Biene“, trat als Zauberkünstler auf. mungsschwankend, wechselte mo- Bereits in den 60er Jahren galt der mentan zwischen grausamer Ableh- Fall Bartsch als exemplarisch für nung mit Schlägen und liebevoller m Juni 1966 – vor 50 Jahren – von Bartsch begangenen Verbrechen die Zerstörung der Persönlichkeit Zuwendung. Der Vater griff nicht ­wurde der 19-jährige Jürgen finden sich Pädophilie, Päderastie, eines Kindes durch eine autoritäre ein. Mit beiden Eltern hat Jürgen BartschI aus Langenberg bei Velbert, Sadismus, Nekrophilie, Züge von Erziehung, wie sie in Deutschland Bartsch nie ein ernsthaftes Gespräch ein Metzgergeselle, wegen vier­ Kannibalismus. Er war einer der be- auch nach 1945 üblich war. Einzel- geführt. Seine fachen Mordes an Jungen zwischen rüchtigtsten Sexualverbrecher der ne Aspekte dieses autoritären Sys- Mutter legte ihm acht und dreizehn Jahren verhaftet. Nachkriegszeit. In der Sensations- tems wurden zur Zeit des Prozesses jeden Tag die „Wer im Fall Bartsch nur die ext- presse wurde Bartsch durch ange- noch als Tugenden angesehen. Die Kleidung bereit, reme Verirrung eines Einzeltäters sieht, vergisst, dass jede Gesell- deutete Details aus Sadismus und Waise, unehelich am 6. November die er tragen schaft die Verbrecher hervorbringt, kalter Grausamkeit bei seinen Taten 1946 als Karl-Heinz Sadrozinski sollte, badete ihn die ihrem Entwicklungsstand zur „Bestie“, zum „Kirmesmörder“, ­geboren, wurde vom Metzgerehe- täglich – bis zu entsprechen.“ zum „Teufel in Menschengestalt“. paar Bartsch aus Essen adoptiert. Verhaftung, da Tobias Brocher Der putzige kleine Junge wurde für war er 19 Jahre Briefwechsel mit Paul Moor die neue Mutter aber uninteressant, alt. Da badete sie Jürgen Bartsch wurde 1967 zu sobald er nicht mehr niedlich war, bereits einen erwachsenen Mann. ­lebenslänglicher ­Zuchthausstrafe sich schmutzig machte und eigenen Prügel gab es täglich: mit dem Klei- verurteilt. Der in Deutschland Willen zeigte. derbügel oder Schläge ins Gesicht. ­lebende amerikanische Journalist Er hatte vor seiner Einschulung kei- Paul Moor (1924 – 2010) führte von Zerstörter zerstört nen Kontakt zu anderen Kindern, 1968 bis 1972 einen Briefwechsel mit In einer Atmosphäre der Eiseskälte, da seine Adoptiveltern befürchte- Jürgen Bartsch. Bartsch hat sich in mit der Mutter als bestimmendem ten, andere Kinder könnten ihm von dieser Korrespondenz detailliert zu Element, stets auf extreme Sauber- seiner Adoption berichten. Und er seiner Kindheit, seinen Taten und keit in Haus und Geschäft bedacht, sollte sich ja auch nicht schmutzig seiner Sexualität geäußert. Nach dem immer abwesenden Vater in machen. Er lebte in einem Souter- dem Prozess erfolgte über Jahre der Metzgerei, einer sexualfeind­ rainzimmer ohne Licht, überschüt- keinerlei psychiatrische Betreuung lichen Erziehung blieb dem künfti- tet mit Spielzeug, auch Gesell- des Verurteilten; das Gericht hatte gen Mörder kein Spielraum, um er- schafts- und Kartenspielen, aber dies abgelehnt. Der hochintelligente wachsen zu werden. Tobias Brocher niemals haben die Eltern mit ihrem Mann, in Einzelhaft, ohne Kontak- (1917 – 1998), Sozialpsychologe und Sohn gespielt. Das Kind Jürgen te, bemühte sich in den Jahren nach ein Gutachter im zweiten Prozess, wurde zum Einzelgänger. Es lebte seiner Verurteilung hartnäckig dar- meinte: „Der Täter sucht eigent- in einer Welt mit Schlagermusik, um, sich selbst zu erkennen und zu lich in seinem Opfer gleichsam ein bevorzugt traurige. Abends legte es verstehen. Daher willigte er in den Abbild einer selbst als Kind, das er sich zwischen die Eltern ins Ehebett Briefwechsel mit Paul Moor ein. dann so verderben und zerstören – zum Fernsehen. Mit zehn Jahren will, wie er selbst als Kind zerstört kam er in ein Internat, anschließend Zerstörung einer J. B. kurz nach Zwischen 1962 und 1966 hatte er die wurde. (…) Nicht seine Sexualität in ein katholisches Kinderheim. Im der Verhaftung , Jungen in einem stillgelegten Stollen Persönlichkeit war böse und mörderisch, sondern Kinderheim wurde seine Persön- Juni 1966 bei Langenberg äußerst sadistisch Bartsch galt als gut angepasst, höf- seine ganze Persönlichkeit war der- lichkeit endgültig vernichtet. Durch gequält, missbraucht und umge- lich, war charmantes Mitglied im maßen zerstört, dass er auch andere Prügel, ­Schikanen, Beten und auch bracht. In seiner Person und in den Langenberger Sparklub „Fleißige zerstören musste.“ s­exuellen Missbrauch. Foto: UPI/Süddeutsche Zeitung Photo Der Eingang zum Stollen, heutiger Zustand 14 Buchbesprechung 15

und im Ruhrgebiet Jürgen Oelkers, Pädagogik, Elite, Missbrauch. auf der Suche nach Die „Karriere“ des Gerold Becker neuen Opfern. Nach eigener Einschätzung Kurze Hosen hatte er sich über 100 Mit 14 begann er in Essen Jungen angenähert. Was er mit den erold Becker – 1936 in Verden akademischem Lehrer und Lieb- eine Metzgerlehre, die er im Jungen und ihren Leichen anstellte, geboren, Jungengymnasium, lingsschüler entwickelt sich fort, elterlichen Betrieb beende- ist kaum zu schildern. In diesen Ak- strengerG Vater, enge Beziehung zur sodass laut Oelkers in der Literatur te. Da hatte sich seine Sexu- ten lebte er seine Sexualität, erlebte Mutter, Tanzschule, Gruppenleiter auch die Rede ist von der größten alität bereits auf Jungen in die Tat in einem Dauerorgasmus. Evangelische Jugend, bis zum 26. Liebe in Hentigs Leben. Sie wohnen einem Alter von etwa acht Beim fünften Mal hatte er den noch Lebensjahr im Elternhaus, Studium schließlich ab 1994 in zwei überein- bis fünfzehn Jahren gerich- lebenden Jungen gefesselt im Stollen der Theologie, keine Priesterweihe. ander liegenden Wohnungen in Ber- tet. Kurze Hosen mussten zurückgelassen, ging nach Hause Ein Durchschnittslebenslauf oder lin. Hentig hält auch während der sie auf jeden Fall tragen. zum Abendbrot und sah anschlie- die Entwicklung zum Pädophilen? öffentlichen Angriffe stets zu Becker. Die trug er selbst, und so wollte er ßend mit den Eltern Hans-Joachim Wie wurde Gerold Becker selbst sein. Mit Anfang zwanzig Kulenkampffs populäre Samstag- Odenwaldschule pädophil? sagte Bartsch, er wolle nie erwach- abend-Quizsendung „Einer wird Im Frühjahr 1969 tritt Gerold Be- sen sein, er wünsche sich mehr Zeit gewinnen“. Der Junge konnte sich Gerold Beckers Umgang als Jugend- cker in die Odenwaldschule ein zum Spielen und möchte „ein Leben befreien und Jürgen Bartsch wurde licher war ausschließlich männlich. – ohne passendes Studium, ohne lang kurze Hosen tragen.“ Glücklich verhaftet. Oelkers erläutert: „In dieser Um- entsprechende Examina, ohne Un- sei er nie gewesen; er wäre gerne ein gebung muss er irgendwann seine terrichtserfahrung. Er wird schnell glücklicher kleiner Junge, ein glück- Tod bei der Kastration sexuellen Neigungen entdeckt und Direktor, bleibt dort bis 1985. Dann liches Kind gewesen, mit Spielkame- Zunächst zu fünf Mal lebenslänglich ausprobiert haben, (…) ergaben sich verlässt er ohne Erklärungen das raden und Spaß. Zu seiner Homose- verurteilt, erging in einem zweiten daraus die lebenslangen Fixierun- Internat. Durch seine Reputation xualität stand er, doch äußerte er Prozess das Urteil nach Jugendstraf- gen eines Pädophilen. (…) Das Beu- als Fachmann für Bildungspolitik auch: „Ich strebe nicht nach recht auf zehn Jahre Haft und an- teschema hat sich in seinen Jahren erhält er 1987 eine Stelle im Institut dem Homosexuellen hin, ich schließende Sicherheitsverwahrung. in Verden herausgebildet“ (S. 60 f.). für Schulentwicklung in Wiesbaden, strebe an sich nach dem Nor- 1976 war Jürgen Bartsch einverstan- 1962 beendet Becker ein Theologie- von 1992 bis 1999 arbeitet er im hes- malen hin. Stinknormal ist den, sich kastrieren zu lassen. Er studium und legt die erste theolo- sischen Kultusministerium im Be- für mich das Allerwün- starb bei dem Eingriff durch einen gische Prüfung für das Pfarramt ab. reich Schulentwicklung. schenswerteste.“ Narkosefehler. Jürgen Bartsch hatte Er tritt eine Stelle als Vikar in Linz/ in seinem ganzen Leben – außer bei Österreich an, übernimmt dort auch Enthüllungen Junge wird einer kurzen Begegnung im Gefäng- Aufgaben in der Jugendarbeit. Ein 1999 kommt der erste Skandal. In ­Jungenmörder nis – niemals einen Sexualpartner, Jahr später verlässt er überstürzt dem Artikel „Der Lack ist ab“ von Nachdem er bereits einen der einvernehmlich mit ihm agierte. Linz. Gerüchte werden laut, er habe Jörg Schindler in der Frankfurter Kurze Jungen in den Stollen einen Jungen sexuell missbraucht. Rundschau (17. November 1999) Hosen … gelockt, geschlagen und Die von Jürgen Bartsch getöteten Becker geht als wissenschaftliche wird Becker des sexuellen Miss- (Das Photo zeigt belästigt hatte, tötete er Jungen hießen Klaus, Peter, Ulrich, Hilfskraft ans Pädagogische Semi- brauchs seiner Odenwaldschüler kein Opfer von Jürgen Bartsch) mit fünfzehn Jahren 1962 Manfred. Sie wären heute zwischen 3.0 CC-BY-SA nar der Uni Göttingen. In dieser Zeit verdächtigt. Der große Skandal den ersten Jungen. Jahre- 62 und 64 Jahren alt. Jürgen Bartsch lernt Becker Hartmut von Hentig kommt 2010. Mehrere Ehemalige lang fuhr er dann auf Jahr- starb mit 29, er wäre heute 70. (*1925) kennen, Professor für Päda- äußern sich über ihren Lehrer und märkte im Bergischen Land Kristof Balser gogik. Hentigs Netzwerk wird Be- einige seiner Kollegen. Erneut geht cker wiederholt den Weg ebnen. Die es um sexuellen Missbrauch. Becker

Literatur: Paul Moor, Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch, Frankfurt/M. 1972 Fotos: Photocase , maspi; CSG; www.velbertansichten.de Foto: Mussklprozz, anfängliche Beziehung zwischen weicht aus, wie bereits 1999, ist aber Dokumentarfilm: Nachruf auf eine Bestie, von Rolf Schübel, Bundesrepublik Deutschland 1983 Spielfilm: Ein Leben lang kurze Hosen tragen, Regie: Kai S. Pieck, Deutschland 2002 16 17

schon schwer krank. Im Sommer Für sein Buch nahm er Kontakt zu 2010 stirbt Gerold Becker. Opfern auf und hat mit Interviews „Kinderschänder“ und „Pädo- neues Material zum Fall erstellt. Er stützt sich vielfach auf andere Wer- krimineller“ ke, die als bekannt vorausgesetzt Oelkers führt mehrfach schwule Be- werden und deren Aussagen er Termine kannte Beckers an – behauptet aber übernimmt, ohne zu hinterfragen. nicht, Becker sei schwul gewesen. Abrechnung mit der Reform- Ausstellung: Er hält sich vorsichtig an die ver- pädagogik? fügbaren Fakten und spricht davon, Drunter und Drüber: Der Heumarkt Becker habe schwule Erfahrungen Wer verstehen will, wie leicht es Seit 10. Dezember 2016 bis 1. Mai 2017 gemacht. „Kinderschänder“, „Sexu- ­Becker gemacht wurde, muss die alstraftäter“ und „Pädokrimineller“ Mentalität der damaligen Zeit be- – mit diesen Begriffen charakterisiert rücksichtigen: Viele, nicht nur pädo­ Das Kölnische Stadtmuseum präsentiert in der Ausstellungsreihe „Drunter Oelkers immer wieder die Sexua- phil Orientierte, hielten sich für und Drüber. Schauplatz Kölner Geschichte“ den Heumarkt. Er ist im Laufe lität Beckers. Die Untaten Beckers Anhänger von Fortschritt und Libe- seiner Geschichte vieles gewesen: geschäftig, bunt, verrucht, reich und mo- werden nicht näher beschrieben. ralität. Sie forderten auch das Recht dern, stets ein Mittelpunkt kölschen Lebens. Dieser spannenden Geschichte Wie konnte er so lange unentdeckt von Kindern auf Sexualität. Antiau- widmet sich die Ausstellung: vom römischen Hafenviertel über den mittel- agieren? Oelkers berichtet von Ver- toritäre Erziehungskonzepte waren alterlichen Marktplatz bis hin zum Event-Ort als CSD-Feierbühne. Das CSG dächtigungen und Beschuldigun- modern, pädophile Passagen gab es hat mit seinem reichhaltigen Bestand, insbesondere zur Kneipenkultur am gen von Kollegen, Eltern und in Wahlprogrammen der Grünen. Heumarkt und Umgebung, Unterstützung für diese Ausstellung geleistet. Opfern gegen Becker. Oelkers möchte offenbar mit der Auch das reguläre Begleitprogramm der Ausstellung bietet viel Spannen- Doch man nahm sie Reformpädagogik abrechnen. Er des: Bei der Exkursion „Der Heumarkt von hinten: Sitte und Unsitte im Her- nicht recht ernst, miss- berücksichtigt indes nicht, dass Pä- zen der Altstadt. Ein nicht ganz staatstragender historischer Rundgang“, billigte sie und ging dagogen und Pädagoginnen grund- am Donnerstag, 27. April 2017, erläutern die CSG-Mitglieder Stadtmuseum- nach mahnenden Wor- sätzlich gefährdet sind, Grenzen zu Direktor Dr. Mario Kramp und Dr. Jürgen Müller vom NS-Dokumenta­ ten zur Tagesordnung verletzen. Das Vertrauensverhält- tionszentrum bei einem Rundgang am Platz des Geschehens auch Aspekte über. Becker konnte nis, das sie verstehen aufzubau- des schwulen Lebens am Heumarkt und in den Seitenstraßen. Weitere In- weitermachen und en, ist stets fragil. Becker hat diese formationen dazu auf www.museenkoeln.de/koelnisches-stadtmuseum/. nutzte geschickt sein Grenzen häufig und hemmungslos Kristof Balser Netzwerk von Päda- überschritten. Im „Lexikon der Hu- gogen mit Macht und mansexuologie“ liest man, dass pä- Einfluss. Der Autor dophile Übergriffe zu 75 % hetero­ Für eine CSG-Exklusivführung durch die Ausstellung haben wir Stefan Lewejohann Jürgen Oelkers war sexueller Art sind, die Eigenschaften gewonnen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stadtmuseum und einer der Museumskura- bis 2012 Professor schwul und pädophil gehören also toren. Er gibt Ihnen detaillierte Erläuterungen zu allen Facetten der Heumarkt-Geschichte. für Pädagogik an der nicht so eng zusammen, wie es in Universität Zürich. diesem Buch suggeriert wird. Hys- Dienstag, 14. März 2017, 17 Uhr terie in der Auseinandersetzung Der Eintrittspreis beträgt 5,00 €, die Sonderführung ist frei! mag manche Partialinteressen för- Ort und Treffpunkt: Kölnisches Stadtmuseum, Zeughausstraße 1– 3, 50667 Köln Das besprochene Buch: dern, dem eigentlichen Zweck dien- Jürgen Oelkers, Pädagogik, Elite, Missbrauch Wir würden uns freuen, wenn viele von Ihnen an der Führung teilnehmen möchten und bitten Die „Karriere“ des Gerold Becker; lich ist sie nicht – der Verhinderung wegen der Planung um Rückmeldung an [email protected]. Weinheim/Basel (Beltz Juventa) 2016, € 58,00 von sexuellem Missbrauch.

Friedrich Schregel Beltz, www.beltz.de Foto: Verlagsgruppe Neujahrsempfang 2017

Sonntag „Wissen ist das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt.“ 29. Januar 2017, 18 Uhr Marie von Ebner-Eschenbach (1830 – 1916) Ort: Barcelon Colonia, 1. Etage, Einladung Unter diesem Leitspruch lädt der Förderverein Centrum Schwule Geschichte zum Neujahrs- 18 Pipinstraße 3, 50667 Köln empfang 2017 ein. Der FCSG möchte sich auf der Veranstaltung bei allen Fördermitglie- 19 dern bedanken. Die finanzielle Unterstützung hat die Durchführung vieler Projekte erst ermöglicht. Bei einem Glas Sekt möchten wir mit Euch auf das neue Jahr anstoßen. Gastredner ist CSG-Fördermitglied Dr. Ulrich S. Soénius, Direktor Stiftung Rheinisch- Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln. Er spricht zum Thema „Wissen ­erlangen – Veranstaltungen: Vermittlung organisieren“. Anschließend lassen wir bei Getränken und kleinem Imbiss das vergangene Jahr noch einmal Revue passieren und wagen eine Vorschau auf 2017. Donnerstag Erinnern – Eine Brücke in die Zukunft 26. Januar 2017, Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Zur Er- 18 Uhr innerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. Buchvorstellung/Lesung: Anschließend ein Mahngang: Wohnen Wagen mit Dr. Khalil und Dr. Bita Kermani von Avicenna Kultur- und Hilfswerk e.V. Das Grußwort hält Sonntag Matthew Griffin, Im Versteck Oberbürgermeisterin Henriette Reker (angefragt). 8. Februar 2017, „Im Versteck“ (Originaltitel „Hide“) ist Autor Matthew Griffins Erstling. 20 Uhr Sprecherinnen und Sprecher: Renate Fuhrmann, Stefan Preiss, Maria Er erzählt von Frank und Wendell, die seit über sechzig Jahren zusam- Ammann, Klaus Nierhoff men leben – nach außen hin als Brüder. Nach dem Ende seiner Militär- Musik: Margaux Kier und Henning Brand Mohammad Dehghani zeit war Frank irgendwann in Wendells Laden aufgetaucht – Wendell war Tierpräparator. Frank kam jeden Tag wieder. In den 1940er Jahren Veranstalter: Projektgruppe Gedenktag wusste man noch nicht so genau, wie man mit einem Mann flirtet, doch Beteiligte an der Projektgruppe: Centrum Schwule Geschichte, Arbeits- die beiden kommen sich näher und suchen sich schließlich ein weit kreis LSBTI im ver.di Bezirk, Kölner Frauengeschichtsverein, LSVD – ­abgelegenes Häuschen. Betreten darf es niemand. Lesben- und Schwulenverband, LAG Lesben in NRW, NS-Dokumenta- Frank, nun 83 Jahre alt, bricht eines Morgens zwischen seinen Toma- tionszentrum der Stadt Köln, Schwules Netzwerk NRW u. a. tenstauden zusammen. Wendell kümmert sich liebevoll um Frank, doch Ort: Antoniterkirche, Schildergasse 57, 50667 Köln der wird immer schrulliger. Das Häuschen verkommt, denn Frank hat geputzt. Wendell denkt zurück an die Anfänge ihrer Beziehung, an den starken jungen Frank, am ganzen Körper tätowiert … Freitag Gedenkveranstaltung für die schwulen und lesbischen Opfer des 27. Januar 2017 Nationalsozialismus am Mahnmal „Totgeschlagen – totgeschwiegen“. Mit zurückgenommener, eindringlicher Sprache erzählt Matthew Im Rahmen des Tages des Gedenkens an die Opfer des National­ ­Griffin von dieser lebenslangen Liebe. Emanzipation, Schwulendiskos sozialismus. Zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrations­ und CSD-Paraden gab es für Frank und Wendell nie. Die alten Männer lagers Auschwitz am 27. Januar 1945. gehören nur einander, sind stur, verbockt, eigenartig. Am jährlichen offiziellen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nati- Matthew Griffin stammt aus Nord Carolina. Er ist Universitäts- und onalsozialismus, anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzent- Iowa-Writers'-Workshop-Absolvent, lehrte Komposition, Literatur und rationslagers Auschwitz-Birkenau, am 27. Januar, werden am Mahnmal kreatives Schreiben an verschiedenen Hochschulen. Matthew Griffin im Rahmen einer Veranstaltung Kränze und Blumen niedergelegt. Der lebt mit seinem Ehemann und vielen Haustieren in New Orleans. Kölner schwule Männerchor „Zauberflöten“ hat die Patenschaft von der Lesung durch den Autor aus dem amerikanisch-englischen Original, Stadt Köln übertragen bekommen. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Lesung der deutschen Übersetzung voraussichtlich durch den Schau- Pflege des Mahnmals und begleitet musikalisch die jährlichen Gedenk- spieler Christian Schüler. veranstaltungen. Ort: Buchsalon Ehrenfeld, Wahlenstraße 1, 50823 Köln Ort: Mahnmal, Rheinufer/Hohenzollernbrücke Südseite Eintrittspreis: 8,00 €, für CSG-Mitglieder/-Fördermitglieder 5,00 € Uhrzeit zum Redaktionsschluss nicht bekannt, siehe kurzfristig: www.rosa- winkel-mahnmal.de/aktuell/

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Pipinstraße 3 Öffnungszeiten 50667 Köln Montags Ruhetag (Nähe Heumarkt) Di.-Do. 17:00 bis 24:00 Uhr Fr. 17:00 bis 03:00 Uhr Kontakt: Sa. 16:00 bis 03:00 Uhr Fon: +49 172 6666963 So. 14:00 bis 24:00 Uhr www.barcelon-colonia.de Feiertags. 14:00 bis 24:00 Uhr [email protected]